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Die gute Regierung Pierre Rosanvallon

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Misstrauens Pierre Rosanvallon

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Das Jahrhundert des Populismus Pierre Rosanvallon

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Pierre Rosanvallon
Die gute Regierung

Aus dem Französischen von


Michael Halfbrodt

Hamburger Edition
Die Übersetzung wurde durch das Centre national
du livre gefördert.

Hamburger Edition HIS Verlagsges. mbH


Verlag des Hamburger Instituts für Sozialforschung
Mittelweg 36
20148 Hamburg
www.hamburger-edition.de

© der E-Book-Ausgabe 2016 by Hamburger Edition


ISBN 978-3-86854-672-9
E-Book Umsetzung: Dörlemann Satz, Lemförde

© der deutschen Ausgabe 2016 by Hamburger Edition


ISBN 978-3-86854-301-8

© der Originalausgabe 2015 by Éditions du Seuil


Titel der Originalausgabe: »Le bon gouvernement«

Umschlaggestaltung: Wilfried Gandras


Satz aus der Minion Pro bei Dörlemann Satz, Lemförde
Inhaltsverzeichnis

Von einer Demokratie zur nächsten (Einleitung) 9


Die Präsidialisierung der Demokratien 10
Das ursächliche Faktum: Die Vorherrschaft der Exekutive 14
Das parlamentarisch-repräsentative Modell 15
Das Verhältnis von Regierenden zu Regierten 19
Niedergang und Neudefinition der Parteien 22
Unterwegs zu neuen demokratischen Organisationen 26
Ein anderer demokratischer Universalismus 28
Die vier Demokratien 29

I Die exekutive Gewalt: Eine problematische Geschichte 33


Die Inthronisierung des Gesetzes und die
Degradierung der Exekutive 35
Die Idee einer Herrschaft des Gesetzes 35
Eine politische Utopie 39
Die Degradierung der Judikative während der Revolution 40
Die Abqualifizierung der Exekutive 42
Der Kult der Unpersönlichkeit und seine Metamorphosen 47
Die Vorstellung einer »kopflosen« Macht 47
Eine nicht gewählte, kollegiale Macht 49
Bonaparte: Rückkehr eines Eigennamens und neues Regime
des Willens 52
Das neue Zeitalter der Unpersönlichkeit 56
Französische Ausnahme oder demokratische Moderne? 59
Das Zeitalter der Rehabilitierung 63
Aufstieg der Massen und Stärkung der Exekutive 63
Der Schock des Ersten Weltkriegs und der Führerkult 68
Die Erweiterung staatlichen Handelns und der Niedergang
des Gesetzes 77
Die beiden Versuchungen 81
Das technokratische Ideal 82
Der Ausnahmezustand 89
Kontinuitäten und Brüche 96
II Die Präsidialisierung der Demokratien 99
Wegweisende Experimente: 1848 und Weimar 101
1848 in Frankreich oder der Triumph der Unbesonnenheit 101
Die Weimarer Verfassung 108
Max Weber und die plebiszitäre Demokratie 111
Das Laboratorium der Katastrophe 116
Von der gaullistischen Ausnahme zur allgemeinen Präsidialisierung 121
Die Vorbehalte der Nachkriegszeit 121
Eine amerikanische Ausnahme 125
Das gaullistische Moment 127
Die Verbreitung der Präsidentschaftswahlen 133
Die Personalisierung jenseits der Präsidialisierung 135
Unumgänglich und problematisch 139
Die demokratischen Gründe der Präsidialisierung 139
Die spezifischen Grenzen der Legitimation durch Wahlen 141
Präsidialismus und Neigung zum Illiberalismus 146
Über die »Unmöglichkeit, die Zeit zurückzudrehen« 149
Die Regulierung des Illiberalismus 151
Die Einhegung der Wahlen 151
Reparlamentarisierung der Demokratie? 155
Die neuen Wege der Unpersönlichkeit 160

III Die Aneignungsdemokratie 165


Das Verhältnis von Regierenden und Regierten 167
Die Ratio der Herrn 168
Das Zeitalter der Verführung und der Manipulation 173
Das Verhältnis von Regierten und Regierenden denken 176
Selbstverwaltung, Selbstregierung, Selbstinstitution 179
Die unmögliche Aufhebung der Äußerlichkeit 181
Herrschaft und Asymmetrie 187
Demokratie als Eigenschaft 190
Lesbarkeit 193
Das Auge des Parlaments auf die Regierung 194
Das Auge des Volkes auf seine Repräsentanten 198
Bentham und die Augen der Demokratie 204
Reich der Sichtbarkeit und Elend der Lesbarkeit 207
Die Dämonen der Intransparenz 212
Das Recht auf Wissen und die Institutionen der Lesbarkeit 216
Eine gewisse gesellschaftliche Vorliebe für Intransparenz? 224
Verantwortung 227
Eine englische Erfindung 228
Von der Banalisierung zum Versagen 234
Die politische Verantwortung neu begründen 239
Verantwortung als Rechenschaftspflicht 240
Verantwortung als Verpflichtung gegenüber der Zukunft 245
Reaktivität 251
Zuhören und regieren: Lektion in regressiver Geschichte 251
Polarisierung und Regression des staatsbürgerlichen Ausdrucks 258
Die verkümmerte Demokratie 265
Die Konfigurationen einer interaktiven Demokratie 267

IV Die Vertrauensdemokratie 271


Die Figuren des guten Regierenden 273
Der tugendhafte Fürst 273
Der reine Mandatsträger 277
Der homme-peuple 281
Der Politiker aus Berufung 286
Die Vertrauensperson 290
Wahrsprechen 293
Einige geschichtliche Elemente 294
Utopien und Verrat 300
Die Motive des Wahrsprechens 305
Die Schlachten des Wahrsprechens 309
Integrität 317
Die drei Transparenzen 319
Klärungsversuche 327
Die Institutionen der Integrität 330
Die Sanktionssysteme 333

Die zweite demokratische Revolution (Schluss) 341


Institutionen und Akteure der Betätigungsdemokratie 342
Funktionale Demokratie und Konkurrenzdemokratie 347
Einen positiven Bezug zur Zukunft wiederfinden 348

Bibliografie 351
Namensregister 373

Zum Autor 377


Von einer Demokratie zur nächsten
(Einleitung)

Unsere politischen Systeme können als demokratisch bezeichnet wer-


den, doch demokratisch regiert werden wir nicht. Das ist der große
Widerspruch, aus dem die heutige Ernüchterung und Ratlosigkeit re-
sultieren. Deutlicher formuliert: Unsere Systeme werden in dem Sinne
als demokratisch betrachtet, als die Macht aus einem Urnengang am
Ende eines offenen Wettbewerbs hervorgeht und wir in einem Rechts-
staat leben, der sich zu den individuellen Freiheitsrechten bekennt und
diese schützt. Demokratien, die zugegebenermaßen reichlich unvoll-
kommen sind. Die Repräsentierten fühlen sich häufig von ihren nomi-
nellen Repräsentanten im Stich gelassen, und das Volk empfindet sich,
sind die Wahlen erst einmal vorüber, als wenig souverän. Doch sollte
diese Realität nicht über eine andere Tatsache hinwegtäuschen, die in
ihrer Besonderheit noch unzureichend erkannt ist: die eines Schlecht-
regiertwerdens (mal-gouvernement), das unsere Gesellschaften bis in
ihre Grundfesten zerrüttet. Die Politik mag durch Institutionen ge-
regelt werden, die für ein bestimmtes System charakteristisch sind, sie
ist zugleich aber auch Regierungshandeln, Alltagsmanagement des Ge-
meinwesens, Entscheidungsinstanz und Kommandostelle. Sie ist der
Ort einer Machtausübung, die in der Sprache der Verfassungen »exe-
kutive Gewalt« heißt. Mit ihr sind die Bürger unmittelbar in ihrem All-
tag konfrontiert. Gleichzeitig hat sich das Gravitationszentrum des de-
mokratischen Anspruchs unmerklich verschoben. War Letzterer über
lange Zeit hinweg vor allem mit der Herstellung eines positiven Bezugs
zwischen Repräsentanten und Repräsentierten verbunden, so ist mitt-
lerweile das Verhältnis der Regierenden zu den Regierten in den Vor-
dergrund gerückt. Diese Verschiebung markiert noch keinen Bruch,
solange sich weiter mit Nachdruck die Frage der Repräsentation stellt –
im Übrigen ist ständig von einer »Krise der Repräsentation« die Rede

9
(dazu später mehr). Doch das Gefühl mangelnder Demokratie speist
sich inzwischen offenkundig auch aus einer anderen Quelle. Demo-
kratiedefizit bedeutet für die Bürger, nicht gehört zu werden, zusehen
zu müssen, wie Entscheidungen über die Köpfe der Betroffenen hin-
weg gefällt werden, wie Minister sich ihrer Verantwortung entziehen,
führende Politiker ungestraft lügen, die politische Elite in ihrer eigenen
Welt lebt und nicht hinreichend Rechenschaft über ihr Tun ablegt, be-
deutet, mit einem nach wie vor undurchschaubaren Verwaltungsbe-
trieb konfrontiert zu sein.
Das Problem ist, dass diese Dimension der Politik nie als solche
theoretisch erfasst wurde. Demokratie wurde stets als System verstan-
den, kaum jemals als spezifische Regierungsweise. Das äußert sich
übrigens auch in der Tatsache, dass die Worte »System« und »Regie-
rung« historisch gleichbedeutend waren.1 Die Frage konnte in der Tat
zweitrangig erscheinen in der ersten historischen Form des demokra-
tischen Systems, dem parlamentarisch-repräsentativen Modell, in dem
die gesetzgebende Gewalt alle anderen überwog. Doch inzwischen ist
die vollziehende Gewalt zum Dreh- und Angelpunkt geworden und
hat den Umschlag in ein präsidiales Regierungsmodell der Demokra-
tien nach sich gezogen. War es in der Vergangenheit das Gefühl des
Schlechtrepräsentiertwerdens (mal-représentation), das alle Kritiken
bündelte, so ist mittlerweile auch das Gefühl des Schlechtregiertwer-
dens in Betracht zu ziehen. Das vorliegende Buch präsentiert eine Ge-
schichte dieses Umschlags und der vorherigen Tendenz zur Ausblen-
dung der vollziehenden Gewalt. Im Anschluss werden die Grundlagen
einer demokratischen Theorie von Regierung formuliert.

Die Präsidialisierung der Demokratien


Um das Problem zu erforschen, ist folgende Tatsache der Ausgangs-
punkt: Die Tendenz zur Präsidialisierung markiert seit etwa drei Jahr-
zehnten einen grundlegenden Einschnitt in Wesen und Form der De-

1 Im 18. und 19. Jahrhundert wurden Regierung und System eindeutig als Syno-
nyme verwendet, der Begriff der Regierung erstreckte sich also gleichermaßen
auf die Legislative wie die Exekutive. Der gängige Ausdruck »repräsentative Re-
gierung« bezeichnete somit das, was ich im Folgenden die parlamentarisch-re-
präsentative Form des demokratischen Systems nennen werde.

10
mokratien. Diese Tendenz ist unmittelbar ersichtlich, denn die Wahl
des Staatsoberhauptes durch das Volk beschreibt sie auf die einfachste
und sinnfälligste Weise. Das politische Geschehen rund um die Welt
erinnert ständig daran, welch eine zentrale Bedeutung ihr bei der Ge-
staltung des politischen Lebens der Völker zukommt. Aber gleichzeitig
ist der damit vollzogene Bruch bisher nicht in seiner ganzen Tragweite
erfasst worden. Dafür gibt es verschiedene Gründe. In den Demokra-
tien neueren Datums, und sie stellen die Mehrheit – in Asien, Afrika,
Lateinamerika, in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion und der ara-
bischen Welt –, hat sich das Verfahren unreflektiert durchgesetzt, als
vermeintlich logische Folge des Austritts aus despotischen Regimen
und der Anerkennung der Volkssouveränität; ein Verfahren, dessen
Fundiertheit offenbar keiner argumentativen Begründung bedurfte.
Selbst dort, wo sich die stärksten antiliberalen Tendenzen bemerkbar
machen – erwähnt seien, der Anschaulichkeit halber, Russland oder
die Türkei –, denkt niemand daran, es infrage zu stellen. Die Präsident-
schaftswahl wird in diesen neuen Demokratien gleichsam zum Aus-
druck des allgemeinen Wahlrechts schlechthin.
Auf älterem demokratischen Boden wird dieser Bruch, aus ande-
ren Gründen, ebenfalls nicht wahrgenommen. In den Vereinigten
Staaten, weil das Amt des Präsidenten bereits mit der Verfassung von
1787 eingeführt wurde und die Wahl zum Chef der Exekutive, obwohl
sie formal immer noch zweistufig verläuft, seit nahezu einem Jahr-
hundert, seit der Einführung des Systems der Vorwahlen in den einzel-
nen Bundesstaaten, einer Direktwahl durch das Volk gleichkommt.
Stets unter Berücksichtigung der Tatsache, dass das Prinzip der Gewal-
tenteilung, die das amerikanische System charakterisiert und ihm seine
Besonderheit verleiht, die Vormachtstellung des Amtes begrenzt. Des-
halb stellt sich bei den Amerikanern weniger das Gefühl eines tiefgrei-
fenden Wandels2 als eines schleichenden Prozesses ein, innerhalb des-
sen Ereignissen wie der Krise der 1930er Jahre oder dem 11. September
2001 eine maßgebliche Rolle bei der Erweiterung des präsidialen
Handlungsspielraums zukommt. Die Erfordernisse der Terrorismus-

2 Und das umso weniger, als sich die Verfassung inzwischen stabilisiert hat und
die Verfahren zu ihrer Änderung mittlerweile nahezu unmöglich zusammenzu-
bringen sind (vgl. Artikel V dieser Verfassung).

11
bekämpfung, die das Land jüngst dazu veranlassten, sogar ein Abgleiten
in Formen des Ausnahmezustands zu billigen, lassen eine Bereitschaft
erkennen, die Exekutive in manchen Bereichen mit unbegrenzten Voll-
machten auszustatten.
In Europa wurde das allgemeine Wahlrecht überall vor mehr als
einem Jahrhundert erkämpft. Es ging seinerzeit mit der Bildung reprä-
sentativer Versammlungen einher und wurde, mit Ausnahme der
Französischen Republik von 1848 und der Weimarer Republik von
1919, in seiner Frühphase nicht zur Wahl des Staatsoberhauptes ver-
wendet. Das Besondere an der großen Mehrheit der europäischen
Staaten ist, dass sie anschließend diesem ersten Stadium des demokra-
tischen Prozesses verfassungsrechtlich treu blieben. Aus verschiedenen
Gründen. Zunächst weil konstitutionelle Monarchien in vielen Län-
dern die demokratische Entwicklung dauerhaft begleiteten. So im Ver-
einigten Königreich, in Belgien, den Niederlanden, Luxemburg, Däne-
mark, Schweden und Norwegen. Europa fungiert in dieser Hinsicht
als regelrechtes Museum der im 19. Jahrhundert entstandenen liberal-
demokratischen Institutionen. In diesen Monarchien war es nie eine
Option, und wird es nie sein, den Chef der Exekutive, den Premier-
minister, per Direktwahl zu bestimmen. Denn das hieße, den der
Krone zuerkannten Vorrang grundsätzlich infrage zu stellen. Er wird
also stets als Führer der Partei oder der Koalition, die die Wahlen ge-
wonnen und folglich die parlamentarische Mehrheit errungen hat,
zum Träger dieses Amtes ernannt. Daneben ist der Fall der dem Natio-
nalsozialismus oder Faschismus entronnenen Länder, Deutschland
und Italien, zu beachten. Sie sind mit einem Staatspräsidenten verse-
hen, doch wird dieser vom Parlament gewählt und hat eine rein reprä-
sentative Funktion, während der Bundeskanzler bzw. Ministerpräsi-
dent von diesem Präsidenten gemäß der aus der Abgeordnetenwahl
hervorgegangenen Mehrheit ernannt wird. Deutschland hatte es nach
1919 mit der Direktwahl des Reichspräsidenten versucht, was letztend-
lich in der Machtübernahme Hitlers endete, und Mussolini hatte 1925
eine Diktatur errichtet. Die Erinnerung an diese tragischen Erfahrun-
gen der Zwischenkriegszeit veranlasste beide Länder nach 1945 zur
Einführung der noch heute bestehenden Institutionen. Was die Länder
Südeuropas betrifft, Spanien, Griechenland und Portugal – denen erst
spät, nämlich in den 1970er Jahren, die Abkehr von der Diktatur ge-

12
lang –, so machten sie sich ebenfalls eine Sicht zu eigen, die man als
»kontrollierte« Rückkehr zur Demokratie bezeichnen könnte. Spanien
durch die Wiederherstellung der Monarchie, Griechenland durch die
Einführung eines traditionellen parlamentarischen Systems, bei dem
der Präsident vom Parlament gewählt wird, ohne aktives Oberhaupt
der Exekutive zu sein. Portugal bildete die Ausnahme mit der Einset-
zung eines direkt gewählten Präsidenten, der jedoch insofern eine be-
sondere Position einnimmt, als sein Amt durch die Bedeutung der tra-
ditionellen liberalen Vorstellung einer vermittelnden Instanz definiert
wird (in keinem anderen Land im 20. Jahrhundert wurde Benjamin
Constant so intensiv als Quelle für die Gegenwart kommentiert!). Ist
die Theorie von dieser Sicht beeinflusst, so war es gleichwohl die Pra-
xis, die diesem Präsidenten ab 1976 eine besondere Stellung zuwies: Re-
lativ zurückhaltend in normalen Perioden und engagierter in Krisen-
zeiten, ist seine Beziehung zur Regierung durch ausgiebigen Gebrauch
seiner moralischen Autorität sowie seiner Legitimation durch den
Wähler bestimmt. Die Staaten Osteuropas haben späterhin für das
gleiche Modell optiert wie die Länder des Südens, indem sie sich nach
dem Auseinanderbrechen des Ostblocks 1989 im Allgemeinen für pre-
mierministerielle Systeme3 entschieden (im Unterschied zu den eigent-
lichen Nachfolgestaaten der Sowjetunion).
Auf je verschiedene Weise scheint Europa vom globalen Trend zur
Präsidialisierung verschont geblieben zu sein. Mit der großen Aus-
nahme Frankreichs4 allerdings, von dem man umgekehrt behaupten
kann, dass es 1962, mit der per Volksabstimmung eingeführten Direkt-
wahl des Staatspräsidenten, die Geschichte des modernen Präsidialis-
mus begründet hat. Tatsächlich stellte Frankreich ein verallgemeiner-
bares Modell der Präsidialisierung bereit, während Amerika eine aus
der Vergangenheit stammende, nicht auf das 20. Jahrhundert über-
tragbare verfassungsrechtliche Variante verkörperte.5 Diese seinerzeit

3 Auch wenn mit Ausnahme Ungarns ihre Staatspräsidenten aus allgemeinen und
direkten Wahlen hervorgehen.
4 Und den kleineren Ausnahmen Finnlands (1988), Irlands (1938) und Österreichs
(1951), da der Präsident in diesen Ländern nicht wirklich das Oberhaupt der
Exekutive ist.
5 Die Besonderheit des amerikanischen Modells beruht auf der Ernennung von
Wahlmännern auf bundesstaatlicher Ebene nach je spezifischen Regeln. Das auf

13
von den Wählern weithin angenommene, aber von der politischen
Klasse lange argwöhnisch beäugte Präsidialisierung der Demokratie
trägt in Frankreich nach wie vor Züge einer verfassungsrechtlichen Lö-
sung mit als hoch empfundenem Gefahrenpotenzial. Dieser Verdacht
nährt sich aus der Erinnerung an einen Cäsarismus, der seines Anti-
liberalismus wegen abgelehnt wurde, ohne dass die Gründe reflektiert
worden wären, die ihn in den Augen eines Großteils der Bevölkerung
als eine Erfüllung des demokratischen Ideals erscheinen ließen. Des-
halb ist diese Präsidialisierung im französischen Verständnis häufig
eine »unumgängliche, aber problematische« Figur geblieben, sie wird
als Nationalkrankheit begriffen, von der man kuriert werden müsse,
nicht als erster Entwurf einer neuen demokratischen Form.

Das ursächliche Faktum: Die Vorherrschaft der Exekutive


Jenseits dieser zumeist historisch bedingten Unterschiede gilt es, das
Ausmaß der Tatsache zu erkennen, dass die Präsidialisierung der De-
mokratien nur die Folge eines tiefer reichenden politischen Wandels
ist: des Erstarkens der vollziehenden Gewalt. Denn darin liegt die Ur-
sache der Präsidialisierung: die Gewalt schlechthin, wenn man von ihr
im Singular sprechen will, ist fortan die vollziehende Gewalt. Unmit-
telbar und ununterbrochen tätig, ganz und gar eins mit den Entschei-
dungen, die sie täglich trifft, permanent in Erscheinung tretend, ist sie
diejenige Gewalt, von der die Bürger erwarten, dass sie die Bedingun-
gen ihres beruflichen und privaten Lebens positiv gestaltet. Sie verlan-
gen also von ihr, dass sie sowohl tatkräftigen Einsatz zeigt als auch für
ihre Handlungen einsteht.6 Daher die Tendenz zur Polarisierung und
Personalisierung der vollziehenden Gewalt. Wenn auch die Präsidia-
lisierung im formalen Sinne – als Direktwahl des Staatsoberhauptes –
nicht überall vollzogen wurde, ist das mit der Herrschaft der Exekutive
verbundene Phänomen der Polarisierung/Personalisierung gleichwohl
universell. Politologen konnten folglich von »versteckten Wahlen«

diese Weise zustande gekommene Wahlmännergremium wählt den Präsiden-


ten. Aus diesem zweistufigen Verfahren ergibt sich, dass möglicherweise nicht
derjenige gewählt wird, der die meisten Wählerstimmen im Land erhalten hat.
6 Die Bedingungen dieses Aufstiegs der Exekutive zur zentralen Größen werden
in Teil 1, Kapitel 3, erörtert.

14
sprechen, um das Ernennungsverfahren der Premierminister im alten
Europa zu charakterisieren.7 Es hat also sehr wohl ein globaler Wandel
der Demokratien stattgefunden, unabhängig davon, wie dieser sich in
den Verfassungen niederschlägt.
Um dieses Phänomen adäquat zu erfassen, ist es notwendig, die re-
gierenden Organe in den Blick zu nehmen, jenseits der alleinigen Be-
trachtung des Präsidentenamtes, auch wenn dieses in den meisten Län-
dern den Dreh- und Angelpunkt bildet. Diese Organe sind das aktive
Zentrum der neuen präsidialen Regierungsform der Demokratie. Der
Begriff »vollziehende Gewalt«, obwohl nach wie vor verwendet, ent-
spricht nicht mehr wirklich dem neuen Status dieser Organe, mit der
Konnotation mechanischer Passivität, die ihm historisch lange anhaf-
tete. Selbst die gesetzgebende Gewalt ist, wie wir im Folgenden hervor-
heben werden, de facto zu einer untergeordneten Größe der regieren-
den Funktion geworden. Man muss diese Regierungsorgane also als
ein zusammenhängendes Ganzes begreifen. Die Vorherrschaft dieser
regierenden Funktion erscheint heute derart evident, dass die Feststel-
lung eines solchen Umschlags kaum noch Aufmerksamkeit erregt.
Doch wenn man sie mit dem Blick des Historikers betrachtet, wird
man unweigerlich konstatieren müssen, dass es sich um eine komplette
Umkehrung der Perspektive im Vergleich zur Ursprungsvision der mo-
dernen Demokratien handelt, wie sie sich insbesondere in der Ameri-
kanischen und der Französischen Revolution artikulierte. Die These,
die diesem Buch zugrunde liegt, lautet, dass wir uns mangels einer kla-
ren Analyse dieses Paradigmenwechsels schwertun, die wahren Ursa-
chen der gegenwärtigen Desillusionierung zu verstehen und folglich
die Bedingungen eines neuen demokratischen Fortschritts zu be-
stimmen.

Das parlamentarisch-repräsentative Modell


Kehren wir zum parlamentarisch-repräsentativen Modell, dem histo-
rischen Modell der Demokratien, zurück. Die Begründer der ersten
Verfassungen in Amerika und Frankreich zielten darauf ab, dieses Mo-
dell zu definieren. Es baute auf zwei Prinzipien auf: Herrschaft des

7 Vgl. Teil 2, Kapitel 2.

15
Rechts und Entstehung eines gesetzgebenden Volkes.8 Herrschaft des
Rechts, weil Letzteres als Medium einer wesentlich nicht dominanten
Macht verstanden wurde: der unpersönlichen Regel. Denn Unpersön-
lichkeit galt als höchste aller politischen Eigenschaften, liberal und de-
mokratisch in einem. Eine Macht konnte nur unter der Bedingung gut
sein, dass sie Ausdruck dieser Unpersönlichkeit war. Auf diese Weise
äußerte sich im Denken des späten 18. Jahrhunderts zuerst der Bruch
mit dem Absolutismus, der seinerseits mit der strukturell willkürlichen
Macht eines Einzelnen gleichgesetzt wurde. Dieses grundlegende Merk-
mal unterstreicht an sich schon den Unterschied zu dem auf Perso-
nalisierung beruhenden präsidialen Regierungsmodell. Entstehung
eines gesetzgebenden Volkes, weil das Volk fortan als Ausgangspunkt
aller Gewalten anerkannt wurde. Man bezeichnete es in Amerika als
»Quelle der Macht« (fountain of power) und in Frankreich als »Souve-
rän«. Das Gesetz konnte in diesem Sinne als »Ausdruck des allgemei-
nen Willens« gelten, wie es in der Erklärung der Menschen- und Bür-
gerrechte von 1789 heißt, die diesbezüglich ausführt, dass »alle Bürger
das Recht haben, persönlich oder durch ihre Vertreter an seiner Gestal-
tung mitzuwirken« (Artikel 6). Die Zentralgewalt war also die Legis-
lative, während die Exekutive als sekundär angesehen wurde, sowohl
hinsichtlich dieses Primats als auch der Begrenztheit der staatlichen
Handlungssphäre zu jener Zeit. Die Schaffung der organisatorischen
Voraussetzungen für die gesetzgebende Gewalt bildete folglich den
Kernpunkt der Debatte über die Einführung der Demokratie im
18. und 19. Jahrhundert und die Art der repräsentativen Beziehung die
zentrale Frage.
In diesem Zusammenhang konzentrierte sich das damalige Bemü-
hen um einen Ausbau der Demokratie auf drei große Themenbereiche.
Zunächst den der Demokratisierung der Wahlen. Beispielsweise durch
Verringerung des Einflusses der Apparate und Seilschaften auf die
Wahlmöglichkeiten der Bürger. Im Frankreich von 1848 und unter
dem Zweiten Kaiserreich etwa wehrten sich Arbeitergruppen vehe-
ment gegen die Dominanz von Rechtsanwälten und Journalisten in
den Wahlkomitees. Und zu Beginn des 20. Jahrhunderts nahm dieses

8 Über die Entstehungsbedingungen dieses Modells und die Details seiner Kon-
stituierung vgl. den ersten Teil, Kapitel 1 und 2.

16
Ziel in Amerika die Form einer letztlich siegreichen Kampagne der
Progressiven zur Einführung des Vorwahlsystems und zur Zurück-
drängung des Einflusses der strippenziehenden Bosse an. Sehr viel we-
niger erfolgreiche Schlachten wurden um die Begrenzung der Ämter-
häufung und der Mandatsdauer geschlagen, und auch die Einführung
des imperativen Mandats war im 19. Jahrhundert ein häufig wieder-
kehrendes Thema.9 Obwohl in striktem Widerspruch zur klassischen
Doktrin des Parlamentarismus, die auf dem Prinzip der Unabhängig-
keit von Repräsentanten und Repräsentierten beruhte,10 gewann die
Idee indirekt an Boden über die Formulierung von Programmen oder
Plattformen, die, ohne juristisch bindend zu sein, gleichwohl die Aner-
kennung einer gewissen Abhängigkeit der Gewählten von den Wäh-
lern implizierten.
In eine zweite Richtung ging die Suche nach Wegen einer verbesser-
ten Repräsentativität der Gewählten, und zwar im Sinne der Repräsen-
tation gesellschaftlicher Gruppen: Das war der Ausgangspunkt für die
Bildung von Klassenparteien (das Thema einer »gesonderten Vertre-
tung der Proletarier« war bereits in den 1830er Jahren in Europa aufge-
taucht). Die Idee einer proportionalen Vertretung sorgte ihrerseits um
die Mitte des 19. Jahrhunderts für eine Mobilisierung der Kräfte, um
die »Ausdrucksfunktion« des Parlaments zu erhöhen, wie man in
Großbritannien sagte, wo die Bewegung zuerst theoretisch formuliert
wurde und den Schauplatz der intensivsten politischen Kampagnen
bildete.

9 Ein Ziel, das auf den europäischen Arbeiterkongressen des ausgehenden


19. Jahrhunderts ständig bekräftigt wurde, zu einer Zeit, als das allgemeine
Wahlrecht gerade erst errungen worden war. Siehe für Frankreich die exempla-
rischen Formulierungen von Ernest Roche: »Solange das imperative Mandat
nicht existiert, kann der Volksvertreter, selbst der proletarische, der bis zur Wahl
so bescheiden und gefügig war, zu einem unerbittlichen Herrn und Tyrannen
werden« (Roche, Séances du Congrès ouvrier socialiste de France, S. 590).
10 Mit dem Argument, dass die Repräsentanten handlungsunfähig wären, wenn
die Umstände, auf denen ihr Mandat basierte, sich ändern würden. Deshalb war
eine der ersten Entscheidungen der gesetzgebenden Versammlung von 1789, das
imperative Mandat zu verbieten. Ohne dieses Verbot wäre es in der Tat nicht
möglich gewesen, mit dem anfänglichen Prozedere der Generalstände zu bre-
chen. Und die Möglichkeit, Positionen aufgrund der Dynamik der Debatten zu
verändern, wäre ebenfalls nicht gegeben gewesen.

17
Ein dritter Themenschwerpunkt bezog sich auf die Einführung
von Volksabstimmungen. In den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhun-
derts entzündete sich in Europa eine große Debatte an der Direkt-
gesetzgebung durch das Volk. Amerikanische Progressive, deutsche und
französische Sozialisten, Erben des Bonapartismus, sie alle machten
sich für das Thema stark. Selbst konservative Stimmen, vor allem in
Großbritannien, mischten sich in den Chor, in der Annahme, dass es
unter gewissen Umständen ein nützliches Sicherheitsventil darstellen
könne, dem Volk ein Vetorecht einzuräumen.
Diese verschiedenen, der parlamentarisch-repräsentativen Per-
spektive zugehörigen Sichtweisen des demokratischen Fortschritts
zeichneten sich bereits zuzeiten der Französischen Revolution ab,
während bereits ab Herbst 1789 bissige Kritiken an der »Vertreteraris-
tokratie« laut wurden. Es mag verblüffend sein festzustellen, dass es
zwei Jahrhunderte später immer noch dieselben drei großen Problem-
bereiche sind, die vielfach die Unduldsamkeiten und die Erwartungen
an einen demokratischen Fortschritt heraufbeschwören. Mit gewissen
Anpassungen natürlich. Die Vertretung von Minderheiten oder das
Thema der Geschlechterparität haben beispielsweise das Projekt einer
Klassenrepräsentation in den Hintergrund gedrängt. Doch ansonsten
ist die Kontinuität erstaunlich. Allein die Idee des Losentscheids stellt
eine Innovation dar. Doch läuft sie im Kern auf nichts anderes hinaus,
als die Wahlen durch ein Selektionsverfahren zu ersetzen, das geeigne-
ter erscheint, die Repräsentativität der Institutionen zu erhöhen, und
somit dem parlamentarisch-repräsentativen Paradigma verpflichtet
bleibt.11 Und auch das Konzept der partizipativen Demokratie gehört
im Wesentlichen dem gleichen Raum der Vervollkommnung/Überwin-

11 Allerdings wurde der Losentscheid, wie zu betonen ist, nie für exekutive Funk-
tionen vorgeschlagen. Und zwar aus einem einfachen Grund: Der Losentscheid
würdigt die Kategorie des X-Beliebigen (die den Umfang einer statistischen
Stichprobe annehmen kann) und fällt als solcher in die Rubrik der repräsenta-
tiv-abbildenden Verfahren, während die Ausübung von Regierungsfunktionen
von vornherein Kompetenzen verlangt, es sich also um eine distinktive Wahl
handelt. Der Losentscheid eignet sich somit zur Bildung eines Bürgerforums
oder einer Meinungsgruppe, wobei die technischen Formen des Vorgangs
variieren können, je nach Größe und Zusammensetzung der Populationen, aus
denen gelost wird.

18
dung der repräsentativen Demokratie an. In all diesen Fällen werden
Art und Eigenschaft der Repräsentationsbeziehung sowie die Möglich-
keit direkter Bürgerbeteiligung als die zentralen Elemente des demo-
kratischen Ideals begriffen.

Das Verhältnis von Regierenden zu Regierten


Im Zeitalter der dominierenden Exekutive liegt der Schlüssel zur De-
mokratie in den Voraussetzungen ihrer Kontrolle durch die Gesell-
schaft. Folglich wird das Verhältnis der Regierenden zu den Regierten
zum entscheidenden Faktor. Das Ziel kann nicht das einer unmög-
lichen Selbstregierung sein (auch wenn das Ideal des gesetzgebenden
Volkes Sinn macht), solange der Begriff »Regierung« eine funktionale
Unterscheidung zwischen Regierenden und Regierten voraussetzt.12
Vielmehr geht es darum, dieses Verhältnis auf das strikt Funktionale zu
begrenzen, indem man die Bedingungen eines Regierungshandelns
festlegt, unter denen es für die Bürger nutzbar ist und zu keiner Herr-
schaftsinstanz, keiner von der Gesellschaft entkoppelten oligarchischen
Macht wird. Das Problem ist, dass die einzige Lösung, die bisher für
diese Anforderung gefunden wurde, sich auf die Wahl des Oberhaupts
dieser Exekutive beschränkt. Allerdings wird auf diese Weise lediglich
eine Genehmigungsdemokratie installiert, eine Lizenz zum Regieren er-
teilt. Nicht mehr und nicht weniger. Was nicht genügen kann, solange
wir auf der Welt gewählte Präsidenten erleben, die weit davon entfernt
sind, sich als Demokraten zu verhalten.
Wenn man auch davon ausgehen kann, dass die Wahl sich unter
gewissen Umständen eignet, das Verhältnis zwischen Repräsentanten
und Repräsentierten angemessen wiederzugeben,13 so gilt für das Ver-
hältnis von Regierenden und Regierten nicht das Gleiche. Dieser Punkt
ist wesentlich. Historisch gesehen ging es bei der Ernennung eines Re-
präsentanten grundsätzlich darum, eine Identität zum Ausdruck zu
bringen oder ein Mandat zu übertragen, alles Dinge, die im Idealfall
durch den Wahlakt gewährleistet werden konnten. Letzterem wurde in

12 Genau dieser entscheidende Punkt wird in Teil 3, Kapitel 1 behandelt.


13 Das ist zumindest das ihr theoretisch zugewiesene Ziel, wie Bernard Manin in
Erinnerung ruft: »Die zentrale Institution der repräsentativen Demokratie sind
die Wahlen« (Manin, Kritik der repräsentativen Demokratie, S. 14).

19
der Tat zugetraut, den Repräsentanten in seiner immanenten Qualität
und Funktionalität zu begründen, einschließlich der Vorstellung
von Permanenz, die dieser Begriff impliziert. Während die Wahl eines
Regierenden nur seine institutionelle Position legitimiert und ihm
keinerlei Qualität verleiht. Die »demokratische Leistungsfähigkeit«
einer solchen Wahl ist insofern geringer als die der Wahl eines Reprä-
sentanten.14
Daher in diesem Fall die zwingende Notwendigkeit, die Genehmi-
gungsdemokratie um eine Betätigungsdemokratie zu erweitern. Letz-
tere hat die Aufgabe, die von den Regierenden erwarteten Eigenschaf-
ten zu ermitteln sowie die organisatorischen Regeln ihres Umgangs
mit den Regierten festzulegen. Die Errichtung einer solchen Demokra-
tie ist das, worum es fortan im Wesentlichen geht. Und ihr Versagen
stellt die Weichen dafür, dass die Wahl eines Exekutivoberhaupts in
ein illiberales, wenn nicht in manchen Fällen diktatorisches Regime
mündet. Unsere Gegenwart ist voller Beispiele dieser Art, die erstmals
durch den französischen Cäsarismus des 19. Jahrhunderts veranschau-
licht wurde. Die mörderischen und destruktiven Pathologien des
20. Jahrhunderts waren, neben den Totalitarismen, solche der Reprä-
sentation. Es handelte sich um Mächte, die für sich in Anspruch nah-
men, die strukturellen Aporien und Unzulänglichkeiten des Repräsen-
tativsystems durch eine vollkommene Verkörperung der Gesellschaft
überwunden zu haben, und ihren Absolutismus aufgrund dieser De-
ckungsgleichheit für legitim erachteten. Diese alten Pathologien exis-
tieren natürlich nach wie vor. Doch sind die neuen Pathologien des
21. Jahrhunderts von anderer Art. Sie resultieren nunmehr aus der Ver-
kürzung der regierenden Demokratie auf ein bloßes Genehmigungs-
verfahren. Wenn es eine Krankheit des Präsidialismus gibt, dann ist es
diese Atrophie.15
Es ist das Hauptanliegen dieses Buches, die Merkmale dieser Betä-
tigungsdemokratie zu definieren. Sie umschreibt, wonach heute in vie-

14 Auch aufgrund der Tatsache, dass die Wahl von Repräsentanten stets eine plu-
rale ist: Es wird eine Versammlung von Repräsentanten gewählt. Wir kommen
auf diesen Punkt zurück.
15 Was manchen erlaubt, sich im Sinne einer positiven Provokation »gegen Wah-
len« auszusprechen (vgl. Van Reybrouck, Contre les Elections).

20
len Bereichen der Zivilgesellschaft und in Aktivistenkreisen auf sehr
allgemeine und unbestimmte Weise gesucht wird, mit dem Propagie-
ren von Forderungen wie der nach Transparenz, dem Appell zum Auf-
bau einer Internetdemokratie bzw. der Bezugnahme auf das Konzept
der offenen Regierung, um nur einige Schlagworte aufzugreifen, die
derzeit allenthalben zu hören und zu lesen sind. Die vorliegende Studie
beabsichtigt, diese Bestrebungen und Reflexionen zu ordnen, indem
zwischen den von den Regierenden verlangten Eigenschaften und den
organisatorischen Regeln im Umgang zwischen Regierenden und Re-
gierten unterschieden wird. Sie bilden zusammengenommen die Prin-
zipien einer Betätigungsdemokratie als guter Regierung.
Dieses Werk unterteilt die Erforschung ihrer Grundelemente in
zwei Rubriken. Zunächst das Verständnis der Prinzipien, die den Be-
ziehungen von Regierenden und Regierten in einer Demokratie zu-
grunde liegen sollten. Derer werden drei angeführt: Lesbarkeit, Verant-
wortlichkeit und Reaktivität (ein Begriff, der noch am ehesten dem
englischen responsiveness entspricht). Diese Prinzipien zeichnen die
Umrisse einer Aneignungsdemokratie. Ihre Implementierung würde es
dem Bürger ermöglichen, auf direktere Weise die demokratischen
Funktionen auszuüben, die die parlamentarische Macht lange für sich
vereinnahmte. Sie tragen auch voll und ganz der Tatsache Rechnung,
dass die Macht kein Ding, sondern eine Beziehung ist, und dass es folg-
lich die Merkmale dieser Beziehung sind, die die Differenz zwischen ei-
ner Herrschaftssituation und einer rein funktionalen Unterscheidung
ausmachen, innerhalb derer sich eine staatsbürgerliche Form von
Machtaneignung vollziehen kann. Es folgt die Benennung der persön-
lichen Eigenschaften, die erforderlich sind, um ein »guter Regierender«
zu sein – Eigenschaften, die nicht deshalb erfasst werden, um ein idea-
lisiertes Phantombild zu zeichnen, als Summe aller Talente und aller
Tugenden, sondern um eine präzisere Vorstellung von jenen Eigen-
schaften zu gewinnen, die notwendig sind, um ein Vertrauensverhält-
nis zwischen Regierenden und Regierten zu etablieren und so eine Ver-
trauensdemokratie zu begründen. Vertrauen gilt in diesem Sinne als
eine jener »unsichtbaren Institutionen«, deren Vitalität im Zeitalter
der personalisierten Demokratien von entscheidender Bedeutung ist.
Wir werden unsere Untersuchung hauptsächlich auf zwei Eigenschaf-
ten konzentrieren: Integrität und Wahrsprechen.

21
Der Aufbau einer Vertrauensdemokratie und der einer Aneig-
nungsdemokratie sind die beiden Schlüssel des demokratischen Fort-
schritts im Zeitalter der präsidialen Regierungsform. Diese Prinzipien
der guten Regierung dürfen allerdings nicht allein auf die verschiede-
nen Instanzen der Exekutive beschränkt bleiben. Sie müssen sich auf
den ganzen Komplex der nicht gewählten Institutionen mit regulativer
Funktion (die unabhängigen Behörden), die verschiedenen Ebenen
der Justiz und den gesamten öffentlichen Dienst erstrecken. Denn es
handelt sich um Personen und Institutionen, die irgendeine Form von
Befehlsgewalt über andere ausüben und damit zu den regierenden Or-
ganen gehören.

Niedergang und Neudefinition der Parteien


Die politischen Parteien waren jene Organisationen, die im Rahmen
des parlamentarisch-repräsentativen Demokratiemodells die Haupt-
rolle spielten. Mit dem Aufkommen des allgemeinen (zunächst auf
Männer beschränkten) Wahlrechts trugen sie zur Meinungsbildung
durch Kanalisierung der Meinungsvielfalt bei. Sie waren eine Organi-
sationsinstanz der »Vielen«, wie man im 19. Jahrhundert sagte. Insbe-
sondere lenkten sie durch den Mechanismus der Kandidatenkür die
Wahlkämpfe in geordnete Bahnen. Parallel dazu strukturierten sie den
Parlamentsbetrieb durch die Bildung disziplinierter Gruppen, die di-
rekt oder über ein System von Bündnissen das Zustandekommen von
Mehrheiten ermöglichten. Mittels dieser beiden Funktionen vollzogen
sie den Bruch mit der alten Welt der Honoratiorennetzwerke, die in der
Ära des Zensus- oder zweistufigen Wahlrechts die Politik und das Par-
lament beherrscht hatten.
Zugleich waren die Parteien in zunehmenden Maße Massen-
organisationen. Jenseits ihres funktionalen Bezugs auf Wahlen und
Parlamente spielten sie auch eine Rolle im Bereich der sozialen Reprä-
sentation. Sie sprachen für Klassen und formulierten Ideologien, das
heißt, sie brachten Interessen und Visionen der Gesellschaft und ihrer
Zukunft zum Ausdruck. Mit ihnen wurde das parlamentarisch-reprä-
sentative System seiner Definition voll und ganz gerecht. Gleichwohl
sorgte ihre bürokratisch-hierarchische Dimension schon früh für hef-
tige Kritik. In Frankreich wurden bereits 1848, anlässlich der ersten all-
gemeinen und direkten Wahlen, Stimmen laut, die sich gegen ihre ers-

22
ten noch embryonalen Erscheinungsformen wandten (es handelte sich
um Wahlkomitees, die Kandidatenlisten erstellten). »Das erste Mal,
dass ihr euer politisches Recht ausübt«, wetterte beispielsweise eine der
großen Stimmen der Epoche, »versammelt man euch ungefragt, man
drückt euch eine Liste in die Hand, die ihr weder diskutieren noch
überhaupt habt lesen können, und sagt euch im Befehlston: Werft das
in die Urne. Man macht euch zu einer Wahlmaschine.«16 Mit größe-
rer Strenge und auch Härte wurde den Parteien zu Beginn des 20. Jahr-
hunderts von zahlreichen Autoren der Prozess gemacht, insbesondere
in zwei Grundlagenwerken der Politikwissenschaft, La Démocratie et
les partis politiques von Moïseï Ostrogorski (1902), bezogen auf die Ver-
einigten Staaten und Großbritannien, und Zur Soziologie des Partei-
wesens von Robert Michels (1911), das sich der deutschen Sozialdemo-
kratie widmete. Diese Studien zeigten, wie über das Parteienwesen
aristokratische Formen in der Demokratie automatisch wiederauf-
leben. Die erste legte den Schwerpunkt auf die Verwandlung von Par-
teien in »Maschinen«, die in den Händen von Berufspolitikern zur Ver-
selbstständigung tendieren, während die zweite die Art und Weise
analysierte, wie aus diesen Politikern eine Oligarchie neuen Typs ent-
steht. Daher die stark zwiespältigen Gefühle ihnen gegenüber. Doch
ungeachtet solcher Trägheitsmomente und der daraus potenziell resul-
tierenden Formen der Apparateherrschaft über die Bürger, die sicher-
lich je nach Gruppierung unterschiedlich ausfielen, mit einer extremen
Zuspitzung des Phänomens durch die kommunistische Disziplin, ist
zugleich unbestreitbar, dass die Parteien bis dahin politikfernen Bevöl-
kerungsgruppen eine Stimme, ein Gesicht und einen Zugang zum Fo-
rum der Öffentlichkeit verschafft haben.
Die Parteien mussten mitansehen, wie diese letztere Repräsenta-
tivfunktion ab den 1990er Jahren allmählich erodierte, um schließlich
ganz zu verschwinden. Aus zwei Gründen. Der erste und offensicht-
lichste ergibt sich aus der Tatsache, dass die Gesellschaft selber un-
durchsichtiger, in mancherlei Hinsicht sogar unlesbar und folglich
schwerer repräsentierbar geworden ist als die einstige Klassengesell-
schaft mit ihren klaren Konturen und Merkmalen. Denn wir sind in
ein neues Zeitalter eingetreten, das des Individualismus der Singulari-

16 Lamennais, »Aux ouvriers«, 24. April 1848.

23
tät,17 das durch eine komplexer und heterogener werdende soziale Welt
charakterisiert ist sowie durch die Tatsache, dass der Einzelne mittler-
weile ebenso von seiner persönlichen Lebensgeschichte wie seiner
sozialen Stellung geprägt wird. Die Gesellschaft zu repräsentieren, setzt
in diesem Sinne voraus, die neuen gesellschaftlichen Verhältnisse im
Zeitalter eines Innovationskapitalismus, der die Nachfolge des Organi-
sationskapitalismus angetreten hat, zu beschreiben und gleichzeitig
den das individuelle Leben bestimmenden Situationen, Belastungen,
Ängsten und Erwartungen gesellschaftlich Rechnung zu tragen. Die
Unsichtbarkeit des Sozialen rührt heute von diesen beiden Realitäts-
ebenen her. Die alten Parteien besaßen, gerade aufgrund ihres Massen-
charakters, ein identitär zu nennendes Repräsentationsvermögen. Das
haben sie heute eingebüßt. Und zwar auch deshalb, weil die Repräsen-
tation der Gesellschaft sich in der neuen sozialen Welt grundlegend
verändert hat. Um die Wahrheit dieser Welt in ihrer ganzen Komplexi-
tät wiederzugeben, muss sie künftig über eine »narrative« Dimension
verfügen, die die Parteien nicht auszubilden vermögen. Gleichzeitig
haben sich Letztere von der Lebenswelt entfernt, und ihre mit abstrak-
ten Kategorien und Begriffen durchsetzte Sprache, die nicht mehr mit
dem konkreten Erleben der Menschen verbunden ist, stößt inzwischen
oft auf taube Ohren. Die soziologisch zu nennenden Wurzeln dieses
neuen Zeitalters defizitärer Repräsentation sind inzwischen besser er-
forscht, und ich selbst habe mehrere Werke publiziert, die sich mit der
Klärung dieser Frage beschäftigen.18
Ein weiterer, unauffälligerer, aber für das Anliegen dieses Buches
wichtiger Faktor hat ebenfalls massiv zum Niedergang der Parteien
beigetragen: ihr Wechsel auf die Seite der regierenden Funktion. Sie be-
greifen sich nicht mehr als Schnittstellen, als Vermittler zwischen der
Gesellschaft und den politischen Institutionen. Zunächst, weil die Par-
lamente selbst keine repräsentativen Instanzen oder treibenden Kräfte
bei der Erarbeitung und Vorlage von Gesetzesentwürfen mehr sind;
letztere Aufgabe ist heute weitestgehend der Exekutive vorbehalten.
Vor allem jedoch, weil die Hauptfunktion der Parlamente heute mehr-

17 Vgl. diesbezüglich Rosanvallon, Die Gesellschaft der Gleichen.


18 Angefangen mit: Rosanvallon, Le Peuple introuvable; und ders., La Question
syndicale.

24
heitlich darin besteht, die Regierungen zu unterstützen oder, was op-
positionelle Fraktionen angeht, sie zu kritisieren, bis sie ihrerseits de-
ren Platz einnehmen. Die Parteien sind folglich zu Hilfstruppen des
Exekutivbetriebs geworden,19 sie führen den Kampf darum, der Macht
eine fortdauernde Legitimation zu sichern oder im Gegenteil durch
den Nachweis der verhängnisvollen Auswirkungen ihrer Politik auf
ihre Niederlage bei den nächsten Wahlen hinzuarbeiten. Sie vertreten
faktisch mehr die Logik der Regierungen gegenüber den Bürgern als
die der Bürger gegenüber den Regierungen. Auch wenn die Abgeord-
neten nach wie vor in ihren Wahlkreisen gewählt werden, sind sie doch
nur noch am Rande deren Vertreter, in der Hauptsache sind sie mit
rein politischen Aufgaben betraut.20 Sie bilden fortan die beherrschte –
da relativ passive – Fraktion der regierenden Oligarchie. Abgesehen
von den sozialen Entdifferenzierungs- und Bürokratisierungsprozes-
sen der Parteistrukturen ist dieses Abgleiten in die Exekutive der
Grund für die zunehmende Entkoppelung der politischen Führungs-
kräfte von der Gesellschaft und ihre Professionalisierung, die sie zu rei-
nen (männlichen und weiblichen) Vertretern des Apparates macht.21
Ihre »Realität« wird identisch mit der Binnenperspektive der Politik,
dem Leben der Strömungen, der Kongresse, der parteiinternen
Schlachten, die das Kräfteverhältnis bestimmen, aus dem die Regieren-
den hervorgehen.
Gleichzeitig reduziert sich der Aktivismus der Parteien auf das
Führen von Wahlkämpfen, mit der Präsidentschaftswahl als Dreh- und

19 Die aufschlussreichsten Arbeiten zu diesem einschneidenden Wandel sind die


von Peter Mair. Siehe: ders., Representative versus Responsible Government,
und sein posthumes Werk: Ruling the Void Diese letzteren Arbeiten scheinen
mir eine Radikalisierung seiner bahnbrechenden Theorie der »Kartellpartei« zu
sein, die er in den 1990er Jahren zusammen mit Richard Katz formulierte (Katz,
»Changing Models of Party Organization and Party Democracy«). Für eine em-
pirische Überprüfung dieser Theorie vgl. Aucante/Dézé (Hg.), Les Systèmes de
partis dans les démocraties occidentales.
20 In dieser Form kehrt die alte organische Repräsentationsvorstellung der franzö-
sischen Revolutionäre oder die Edmund Burkes zurück. Allerdings geht es nicht
mehr darum, durch die Erarbeitung von Gesetzen etwas »für die Nation zu wol-
len«. Das Funktionale ist mittlerweile Aufgabe der Exekutive.
21 Dieser Einschnitt ist in Frankreich besonders ausgeprägt, weil hier die politische
Klasse, als Einheit betrachtet, häufig denselben Elitehochschulen entstammt.

25
Angelpunkt, die das ganze übrige politische Leben beherrschen. Wegen
des Rückzugs der Parteien auf eine untergeordnete Regierungsfunktion
befindet sich die Zahl »gewöhnlicher«22 Mitglieder fast überall im
freien Fall. Dennoch kommen sie lediglich unter dem utilitaristischen
Gesichtspunkten den Vorwahlen (wo solche existieren) auf den Gedan-
ken, sich auf diese Basis zurückzubesinnen, weil ihre Kontrolle in die-
sem Kontext ein entscheidendes Kapital darstellt. Aus welchem Blick-
winkel man die demokratische Funktion der Parteien auch betrachtet,
man gelangt zu dem Schluss, dass sie fortan auf das alleinige Funktio-
nieren der Genehmigungsdemokratie beschränkt sind.
Da die Parteien die Repräsentationsfunktion de facto aufgegeben
haben, muss sie nun über andere Kanäle mit Leben erfüllt werden.
Diese werden notgedrungen vielfältig sein, ob es nun darum geht, nar-
rative Repräsentationsformen zu entwickeln oder über Verbände und
Vereine, die in verschiedenen Bereichen des sozialen und kulturellen
Lebens tätig sind, »gesellschaftliche Probleme zu repräsentieren«. Hier
ist eine bedeutsame Aufgabe zu erfüllen, um das Gefühl des Schlecht-
repräsentiertwerdens zu überwinden, das ständig an unseren Demo-
kratien nagt und sie für die Sirenen des Populismus empfänglich
macht. In Le Parlement des invisibles23, dem Gründungsmanifest des
2014 gestarteten Projekts »Raconter la vie«24, habe ich Analyse- und
Aktionswerkzeuge vorgeschlagen, um zur Wiederbelebung einer
»postparteilichen« Repräsentation zu gelangen.

Unterwegs zu neuen demokratischen Organisationen


Die zu Hilfsstrukturen der Regierungsorgane gewordenen Parteien
sind folglich nicht in der Position, eine positive Rolle bei der demokra-
tischen Gestaltung des Verhältnisses der Regierenden zu den Regierten
zu spielen. Das ist offenkundig, wenn sie an einer Machtkoalition teil-
haben, aber ebenso deutlich, wenn sie sich in der Oppositionsrolle be-
finden und die amtierende Regierung kritisieren. Denn ihre Interven-

22 Darunter sind Mitglieder »aus Überzeugung« zu verstehen, die man denjenigen


Mitgliedern gegenüberstellen kann, die direkt oder indirekt am politischen Sys-
tem partizipieren.
23 Rosanvallon, Le Parlement des invisibles.
24 Vgl. www.raconterlavie.fr [29. 4. 2016].

26
tionen verfolgen weit mehr den Zweck, die Macht zurückzuerobern,
als die Fähigkeiten der Bürger zu erweitern, selbst wenn sie oft gebets-
mühlenhaft einen vermehrten Rückgriff auf Volksabstimmungen an-
mahnen.25 Zudem richtet sich ihre Aufmerksamkeit vorrangig auf das
Verhältnis der Regierung zum Parlament, dessen aktiver Bestandteil sie
sind.26
In diesem Kontext sind jenseits dieser längst von der wirklichen
Welt entkoppelten Organisationen neue politische Formen entstan-
den. Parteien, die ungeachtet ihrer Beteiligung an Wahlen einen stark
partizipativen Charakter zu bewahren versuchen, wie Podemos in Spa-
nien, um nur ein Beispiel zu nennen (mit einem sehr charismatischen
Führer an der Spitze, wie allerdings gleichzeitig anzumerken ist); Pro-
testbewegungen neuen Stils, wie die Indignados, die zu Beginn der
2010er Jahre in verschiedenen Ländern auftauchten, oder auch Occupy
Wall Street, die sich 2011 als »führerlose Widerstandsbewegung« defi-
nierte und beabsichtigte, für die 99 Prozent einer Bevölkerung zu spre-
chen, die nicht mehr bereit waren, die Gier und Korruption des 1 Pro-
zent zu tolerieren, sowie spektakuläre Massenmobilisierungen auf
verschiedenen Plätzen der Hauptstädte dieser Welt, die zum Sturz ver-
hasster Regime führten. Auf diese unterschiedlichen Arten vollzogen
sich eine Wiederbelebung des Protest- und Repräsentationsmilieus
und eine Reaktivierung des Konzepts eines demokratischen Forums,
die von den Medien und den politischen Analysten ausgiebig kom-
mentiert wurden. Parallel dazu bildete sich ein anderer Komplex neu-
artiger ziviler Initiativen heraus, die in den englischsprachigen Län-
dern good government organizations getauft wurden. Das Ziel dieser
Initiativen ist es nicht, »die Macht zu ergreifen«, sondern sie zu über-
wachen und zu kontrollieren. Weniger im Fokus der Medien stehend
als die oben genannten Bewegungen, setzen sie sich mittlerweile auf al-
len fünf Kontinenten dafür ein, die Regierenden zu zwingen, Rechen-
schaft abzulegen, die Wahrheit zu sagen, den Bürgern zuzuhören, sich

25 Womit im Übrigen vorausgesetzt ist, dass die Wahl die privilegierte, wenn nicht
die einzige Form des demokratischen Ausdrucks bleibt.
26 In diesem Rahmen sind die Parteien vor allem Hüter bestimmter parlamentari-
scher Vorrechte und setzen sich ansonsten für eine Stärkung der Rechte der Op-
position ein, was einen unbestreitbaren demokratischen Nutzen hat.

27
auf verantwortungsvolle Weise zu verhalten, den undurchsichtigen
Schleier zu lüften, hinter dem sie sich häufig verbergen, und erschlie-
ßen so dem Bürgerengagement ein neues Feld. Das vorliegende Buch
entwirft einen konzeptuellen Gesamtrahmen, der es ermöglicht, über
die Rolle derartiger Organisationen und die Experimente auf diesem
neuen Feld sowie die ihnen entsprechenden Erwartungen Aufschluss
zu geben. Es zielt ferner darauf ab, sie in den Kontext einer erweiterten,
auf Regierungspraktiken anwendbaren Demokratietheorie zu stellen.
Es wird somit beabsichtigt, die Voraussetzungen für eine Demokrati-
sierung der neuen präsidialen Regierungsform der Demokratie zu de-
finieren und infolgedessen auch ihren Auswüchsen vorzubeugen.

Ein anderer demokratischer Universalismus


Die Umsetzung von Formen der Betätigungsdemokratie erschließt
selbst dort eine Perspektive für Forderungen und Aktionen, wo die
Bürger noch davon abgehalten werden, zu den Urnen zu gehen. Das
wird an den Vorgängen in China deutlich, um nur ein plakatives Bei-
spiel zu nennen. Dort engagieren sich die Bürger gegen Korruption,
das Desinteresse der Macht, die Intransparenz mancher politischer
Maßnahmen, die Verantwortungslosigkeit der Herrschenden und ver-
langen, dass die Behörden Rechenschaft ablegen.27 Dort, wo die Re-
gime noch nicht demokratisch sind, kämpfen die Bürger darum, dass
ihre Regierungen gewisse demokratische Mindeststandards erfüllen.
Man erkennt an diesem Beispiel, dass die Erkämpfung von Grundele-
menten einer solchen Betätigungsdemokratie der Einführung einer
Wahldemokratie vorausgehen kann. Historisch gesehen ist es übrigens
in den Altdemokratien, besonders in Europa, genauso verlaufen. Im
Gegensatz zu den neuen Demokratien, die leider in vielen Fällen bei
einer bloßen Genehmigungsdemokratie28 mit antiliberalen, populisti-
schen, wenn nicht offen totalitären Zügen (siehe zum Beispiel Weiß-
russland und Kasachstan) stehen geblieben sind. Die bloße Genehmi-
gungsdemokratie bleibt also, aufgrund der Personalisierungslogik und

27 Vgl. diesbezüglich das sehr aufschlussreiche Werk von Thireau/Linshan, Les


Ruses de la démocratie.
28 Dabei ist das Problem des massiven Wahlbetrugs, der in solchen Fällen häufig
vorkommt, noch gar nicht berücksichtigt.

28
Polarisierungsdynamik, die ihr zugrunde liegen, instabil, manipulier-
bar und anfällig für ein Abgleiten in eine präsidialherrschaftliche Rich-
tung. Wegen ihres dezentralen und facettenreichen Charakters ist die
Betätigungsdemokratie viel weniger der Gefahr ausgesetzt, korrum-
piert zu werden. Deshalb verkörpert sie fortan die positive Seite des de-
mokratischen Universalismus.

Die vier Demokratien


Dieses Buch bildet den Abschluss einer Werkreihe über den Struktur-
wandel der zeitgenössischen Demokratien. Somit wurde die Demokra-
tie in ihren vier Dimensionen erforscht, als staatsbürgerliche Tätigkeit,
als politisches System, als Gesellschafts- und als Regierungsform. Die
Staatsbürgerdemokratie konkretisierte sich zunächst über die Erobe-
rung des allgemeinen Wahlrechts, die ich in Le Sacre du citoyen29 un-
tersucht habe. Dieses Wahlrecht umschrieb zugleich ein politisches
Recht, das heißt eine Macht, nämlich die, aktiver Bürger zu sein, und
einen sozialen Status, nämlich über die gleichberechtigte Teilhabe an
der Gemeinschaft der Bürger als autonomes Individuum anerkannt zu
werden. Dieses Verständnis von Staatsbürgerschaft hat sich in der
Folge erweitert, da die Bürger sich nicht mehr damit begnügten, über
den Wahlakt ihre Souveränität zum Ausdruck zu bringen. Neben die-
ser ursprünglichen Sphäre der Wahlrepräsentation bildete sich allmäh-
lich ein Komplex von Überwachungs-, Verhinderungs- und Verurtei-
lungspraktiken heraus, mittels derer die Gesellschaft Zwangs- und
Korrekturbefugnisse ausübt. Ergänzend zum Wahlvolk gaben diese
Praktiken den Gestalten eines Wächter-Volkes, eines Veto-Volkes und
eines Richter-Volkes Gesicht und Stimme. Während die Wahlen ein
vertrauensbildender Mechanismus waren, begründeten diese Prakti-
ken die Misstrauensäußerung als zweite Sphäre staatsbürgerlicher Be-
tätigung. Ich habe die Geschichte und Theorie dieser Erweiterung, die
seit den 1980er Jahren eine wichtige Rolle spielt, in La Contre-démocra-
tie. La politique à l’âge de la défiance30 formuliert.
Die Demokratie als System wiederum ist durch die Institutionen
und Verfahren definiert, die dazu bestimmt sind, den Gemeinwillen zu

29 Rosanvallon, Le Sacre du citoyen.


30 Ders., La Contre-démocratie.

29
gestalten. Sie hat sich im Kraftfeld zweier großer Komplexe herausgebil-
det: dem der Repräsentativinstitutionen einerseits (ich habe in Le Peu-
ple introuvable31 ihre Geschichte geschrieben und die sie strukturieren-
den Antinomien untersucht) und dem der Souveränitätsinstitutionen
andererseits, deren problematische Entstehung ich in La Démocratie
inachevée32 nachgezeichnet habe. Ich habe dann in Demokratische Legi-
timität33 aufgezeigt, wie durch ein neues Verständnis des Gemeinwillens
versucht wurde, die Grenzen von dessen rein majoritärem Ausdruck
zu überwinden. Eine Macht gilt fortan nur noch dann als vollkommen
demokratisch, wenn sie Kontroll- und Anerkennungsverfahren unter-
worfen wird, die mit dem majoritären Ausdruck zugleich konkurrieren
und ihn ergänzen. Es wird erwartet, dass sie einer dreifachen Anforde-
rung genügt: Distanzierung von Parteipositionen und Partikularinte-
ressen (Legitimität der Unparteilichkeit), Berücksichtigung pluraler
Ausdrucksformen des Gemeinwohls (Legitimität der Reflexivität) und
Anerkennung aller Singularitäten (Legitimität der Nähe). Daher die
immer größere Bedeutung, die Institutionen wie die unabhängigen
Behörden und die Verfassungsgerichte innerhalb der Demokratien
einnehmen. Zeitgleich habe ich die zeitgenössische Krise der Repräsen-
tation analysiert und in dem Essay Le Parlement des invisibles34 die Be-
dingungen ihrer Überwindung untersucht.
Die Demokratie als Gesellschaftsform stellt ihre dritte Gestalt dar.
Ich habe mit ihrer Erforschung in Le Sacre du citoyen35 begonnen, wo
ich aufzeigte, in welchem Maße die moderne Revolution ihrem inners-
ten Wesen nach zunächst eine »Revolution der Gleichheit« war, letztere
verstanden als eine Beziehung, als eine Art, eine »Gesellschaft der Ähn-
lichen« zu begründen. Denn Gleichheit galt anfangs als eine demokra-
tische Eigenschaft, als eine Gestalt der Kommunalität, nicht nur als
Modus der Reichtumsverteilung. Doch vor allem in Die Gesellschaft der
Gleichen36 habe ich diese Frage in aller Ausführlichkeit diskutiert und
nachgewiesen, dass das Versagen dieses Gleichheitsgedankens einer der

31 Ders., Le Peuple introuvable.


32 Ders., La Démocratie inachevée.
33 Ders., Demokratische Legitimität.
34 Ders., Le Parlement des invisibles.
35 Ders., Le Sacre du citoyen.
36 Ders., Die Gesellschaft der Gleichen.

30
wesentlichen Faktoren war, der zur gegenwärtigen, die Demokratie als
Gesellschaftsform zerstörenden Explosion der Ungleichheiten führte.
Und damit allen anderen möglichen Regressionen des demokratischen
Ideals Vorschub leistete.
In vorliegendem Werk wird also die Demokratie als Regierung, ihre
vierte Dimension, analysiert. Dabei werden die Voraussetzungen der
zentralen Stellung beschrieben, die sie in der heutigen Welt einnimmt
und die sich aus dem Durchbruch der neuen präsidialen Regierungs-
form des demokratischen Systems ergibt. Der Abschluss dieses lan-
gen Unternehmens, der mit der Publikation dieses Bandes vollzogen
ist, darf natürlich nicht als umfassende Beantwortung der Fragen ver-
standen werden, die den Anlass gaben, es in Angriff zu nehmen. Es
bleiben in der Tat noch viele Bücher zu schreiben, um Licht in die Ge-
schichte und die Wandlungen der Demokratie zu bringen. Zumindest
kann ich darauf hoffen, eine Anzahl nützlicher Werkzeuge bereitge-
stellt zu haben, um zu einer gedanklichen Neubestimmung dieser Fra-
gen beizutragen. Tatsächlich sitzt uns die Geschichte derzeit im Na-
cken, und vielleicht ist das Bemühen, die Welt zu erklären, noch nie so
notwendig gewesen, um den Anforderungen einer Gegenwart zu be-
gegnen, die auf Messers Schneide steht.

31
I Die exekutive Gewalt:
I Eine problematische Geschichte
Die Inthronisierung des Gesetzes und
die Degradierung der Exekutive

Die Idee einer Herrschaft des Gesetzes


Das demokratische Ideal ist das der Begründung einer spezifisch
menschlichen Gesellschaftsordnung. Man zog daraus den Schluss, dass
die Anerkennung der Volkssouveränität zur Entstehung eines gesetz-
gebenden Volkes führen müsse. Gleichzeitig stützte sich dieses Ideal im
18. Jahrhundert auf einen regelrechten Gesetzeskult. Denn die Idee
einer Herrschaft des Gesetzes wurde seinerzeit auf das Projekt bezogen,
eine Macht der Allgemeinheit zugleich prozeduraler und substanziel-
ler Art zu installieren, die einer neuen Sicht des Umgangs mit Men-
schen und Dingen entsprach. Dieses Unternehmen beinhaltete eine
Dimension praktischer Rationalisierung: die Abläufe der Justiz durch
Vereinheitlichung des bestehenden Wildwuchses an Gebräuchen zu
vereinfachen und zu verstetigen. Doch über dieses technische Ziel
hinaus entwickelten die Reformer allmählich sehr viel ehrgeizigere
Pläne. Es ging darum, das Strafrecht zu revolutionieren, und zwar
nicht nur durch Ausschaltung jeder Form von Willkür, sondern vor al-
lem durch eine radikale »Entsubjektivierung«, indem man das Kom-
mando einer objektiven Macht der Regel anvertraute, die an die Stelle
eines Einzelwillens treten sollte. Cesare Beccaria, der große Rechtsphi-
losoph des Aufklärungszeitalters, gab einem solchen Gesetzesverständ-
nis in seinem epochemachenden Werk Von den Verbrechen und von den
Strafen (1764)1 eine gültige Formulierung. Sein Ausgangspunkt war ein
klassisch »liberaler«. Er wollte zunächst die Inkonsequenz der Justiz
beseitigen, die für gleiche Delikte bisweilen höchst unterschiedliche
Strafen verhängte. Wie viele Philosophen quälte ihn das Gespenst des
Justizirrtums und empörte ihn die Willkür der Urteile. In seinen Au-
gen war der Interpretationsspielraum der Richter für diese verderb-

1 Vgl. Porret (Hg.), Beccaria et la culture juridique des Lumières.

35
lichen Schwankungen verantwortlich. Daher sein Kampf für eine Ob-
jektivierung des Rechts mit dem Ziel, die Uneinheitlichkeit des
Gesetzes im Umgang mit der Vielfalt der Fakten zu reduzieren. Die Be-
gründung einer wahren Justiz, die in der Lage wäre, Willkür durch Un-
persönlichkeit zu verhindern, beinhaltete also für ihn, dass die buch-
stabengetreue Anwendung der Texte eine Selbstverständlichkeit sei,
damit das allgemeine Gesetz mit den Fakten passgenau zur Deckung
käme. Sein Leitgedanke, der von allen Reformern der Zeit geteilt
wurde, lautete, dass jedes Gesetz, aufgrund des allgemeinen Charakters
seiner Formulierung, Einzelfällen aller Art umfassend Rechnung tra-
gen und somit genügen könne, um die Wirklichkeit zu beherrschen.
An der Schwelle zum 19. Jahrhundert führte Jeremy Bentham, der Be-
gründer des Utilitarismus, diesen Gedankengang fort in seinem Ap-
pell, eine Wissenschaft der Gesetzgebung zum wesentlichen Träger einer
zugleich demokratischen, moralischen und methodologischen Revo-
lution zu machen.2 In diesem Geist verfasste er 1789 den Entwurf eines
»Pannomions«, das im Bereich des Rechts das Gleiche leisten sollte wie
sein späteres »Panopticon« auf dem Gebiet der Gefängnisreform.3 Von
Beccaria bis Bentham war der Aufstieg des Gesetzes also unübersehbar
mit dem Projekt verbunden, einer objektiven Macht, Stifterin einer
neuen Politik, nämlich der der Allgemeinheit, zum Durchbruch zu
verhelfen. Die Idee des Gesetzes verdrängte somit die der guten Regie-
rung in den Vorstellungen des 18. Jahrhunderts von einer gerechten
und effizienten politischen Ordnung. Wenige Gesetze genügen, voraus-
gesetzt, dass sie gut sind, um eine Gesellschaft zu regieren: so lautete
der allgemeine Tenor. Die Enzyklopädie4 fasste dieses Zeitempfinden
treffend in dem Urteil zusammen, dass »die Vielzahl der Gesetze unter

2 Vgl. Vanderlinden, »Code et codification dans la pensée de Jeremy Bentham;


Baranger, »Bentham et la codification«, und Ost, »Codification et temporalité
dans la pensée de J. Bentham«.
3 Der Entwurf zu einem Pannomion der französischen Nation findet sich unter sei-
nen Nachlassmanuskripten am University College (siehe Manuskript Nr. 100,
zitiert von Halévy, La Formation du radicalisme philosophique, S. 367). Vgl.
auch seine »Pannomial Fragments« sowie seine »Nomography, or the Art of In-
diting Laws«, S. 211–230 sowie S. 232f.
4 Encyclopédie ou Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers,
hrsg. von Denis Diderot und Jean-Baptiste le Rond d’Alembert, Paris 1751–1772.

36
sonst gleichen Bedingungen den schlechten Zustand einer Regierung
beweist«.5 Aufgrund ihres allgemeinen Charakters und ihrer geringen
Zahl waren die Gesetze auf dauerhaften Bestand eingerichtet. All-
gemeinheit, Einfachheit, Beständigkeit: Als Verkörperungen dieser
Eigenschaften waren die neuen Gesetze dazu ausersehen, Menschen
und Dinge am Schnittpunkt von Liberalismus und Demokratie zu re-
gieren.
Der Kult des Rechts auf der einen, der des Marktes auf der anderen
Seite, Letzterer vom Naturgesetz einer unsichtbaren Hand beherrscht,
veranlassten somit die Menschen der Aufklärung dazu, den Raum des
Politischen als Entscheidungssphäre zu beschneiden. Diese beiden Auf-
fassungen von Gesetz, verschieden insofern, als die eine Ausdruck
eines positiven Rechts war, während die andere als Bestandteil einer
natürlichen Ordnung galt, richteten sich gleichermaßen auf das Ziel,
den Gedanken der vollziehenden Gewalt und die Rolle eines unmittel-
bar tätigen politischen Willens in den Hintergrund zu drängen. Denn
der Wille stand in Verdacht, Träger von Herrschaft zu sein oder die
Bevorzugung von Privatinteressen zu fördern. Das Bemühen der zeit-
genössischen Sozialwissenschaften, deren Wiege in der schottischen
Aufklärung zu suchen ist, zielte also darauf ab, eine Welt zu denken, in
der der Wille, der als potenziell willkürliche Bewusstseinsform wahr-
genommen wurde, keine Rolle mehr spielen sollte, womit gleichzeitig
die Idee der Regierung automatisch an Wert verlor. Es waren die Pro-
tagonisten der Französischen Revolution, die zu aktiven Verfechtern
dieser Vorstellung eines Bruchs mit dem alten Zustand wurden. Ihre
radikale Art, ihn zu vollziehen, hat deshalb ihr Werk zum theoretisch
wie praktisch exemplarischen Laboratorium dieser Inthronisierung
des Gesetzes gemacht. Wir können sie folglich als Ausgangspunkt
unserer Untersuchung über die historischen Entstehungsbedin-
gungen des Primats der Legislative und der Negierung der Exekutive
nehmen.
Nicht umsonst hatte ein französischer Grammatiker 1789 angeregt,
die künftige Bestimmung des Landes darin zu sehen, ein »loyaume« zu

5 Jaucourt, »Loi«, in: Diderot/d’Alembert, Encyclopédie. Vgl. auch Rousseau,


»Über die Gesetze«, S. 527–536. Dieser Text ist eine lange Diatribe gegen »die
enorme Vielzahl der Gesetze« (S. 530).

37
bilden.6 Bezeichnenderweise wurde im Frühjahr 1792 mit großem
Pomp ein »Fest des Gesetzes« organisiert – eines der ersten nach dem
Föderationsfest –, bei dem man einen Wald von Fahnen mit Aufschrif-
ten wie »Das Gesetz«, »Achtung vor dem Gesetz« oder »Sterben, um es
zu schützen« durch die Pariser Straßen trug. Allenthalben ertönte ein
spontanes und überschwängliches »Es lebe das Gesetz!«, um den Geist
des neuen Regimes wiederzugeben. Der Bezug auf das Gesetz war da-
mals im Bereich der Argumente wie in dem der Emotionen gleicher-
maßen allgegenwärtig.7 Von den siebzehn Artikeln der Menschen- und
Bürgerrechtserklärung beziehen sich sieben auf die Funktionsweise
des Gesetzes und begründen damit dessen zentralen Stellenwert. Mi-
chelet hatte deshalb allen Grund, den ersten Impuls der Revolution als
»Durchbruch des Gesetzes« zu charakterisieren. Dieser Allgemeinbe-
fund muss allerdings differenziert werden. Hinter einer scheinbar ein-
helligen Beschwörung verbargen sich 1789 tatsächlich drei verschie-
dene Gesetzesvorstellungen.
Die erste, die man als »liberal« bezeichnen könnte, stellte einen ba-
nalen Gegensatz zwischen den Vorzügen eines Regelstaates und den
Irrtümern einer Willkürmacht auf. Das war die klassische englische
Sichtweise. Die Herrschaft des Gesetzes, die sich die Menschen von
1789 erhofften, hatte zunächst diese Dimension. Die kanonischen For-
mulierungen Montesquieus zu diesem Thema waren in allen Köpfen,
und der Despotismus wurde spontan als Regime gebrandmarkt, in
dem »ein einzelner Mann ohne Regel und Gesetz alles nach seinem
Willen und Eigensinn abrichtet«8. Anders ausgedrückt, der Despotis-
mus wurde mit der Macht des Partikularen gleichgesetzt (dem »Gut-
dünken« des Fürsten als Willkür), während die Freiheit als durch die
Allgemeinheit der Regel gesichert galt: Allgemeinheit als Ursprung
(Parlamentsbetrieb), Allgemeinheit als Form (Unpersönlichkeit der

6 »Wir nennen Königreich (royaume) ein Land, das von einem König souverän re-
giert wird; das Land, in dem allein das Gesetz (loi) herrscht, will ich loyaume
nennen.« Urbain Domergue, zit. n. Brunot, Histoire de la langue française des
origines à 1900, S. 641.
7 Vgl. das Kapitel »La suprématie de la loi«, in: Belin, La Logique d’une idée-force.
Vgl. auch Ray, »La Révolution française et la pensée juridique: l’idée du règne de
la loi, sowie Larrère, »Le gouvernement de la loi est-il un thème républicain?«.
8 Montesquieu, Vom Geist der Gesetze.

38
Norm), Allgemeinheit als Verwaltungsmodus (Staat). Das Prestige des
Gesetzes entsprang dieser dreifachen Äquivalenz. Das Gesetz war zu-
gleich ein Ordnungsprinzip, das es ermöglichte, »eine unbegrenzte
Zahl von Menschen […] in einen Körper zu verwandeln«, und ein
Gerechtigkeitsprinzip, weil es in seiner Allgemeinheit keine bestimm-
ten Personen kannte und somit »leidenschaftsloser Verstand« sein
konnte.9 Die revolutionäre Verherrlichung des Gesetzes harmonierte
außerdem mit dem rechtlichen Rationalisierungsgebot, das im 18. Jahr-
hundert aufgekommen war. Die Entstehung eines umfassenden Kodi-
fizierungsunternehmens erfolgte unter diesem Vorzeichen. Schon der
Begriff des Gesetzbuches (code) umschreibt den Horizont dieses refor-
merischen Willens, die vorherige Heterogenität der Bräuche durch
eine einheitliche und rationale Gesetzgebung zu ersetzen. Die Kodifi-
zierung war für die Mitglieder der Konstituante eine regelrechte The-
rapie, in geistiger wie politischer Hinsicht; sie beschränkte sich nicht
auf ein technisches Verfahren (wie das ältere Projekt, die Bräuche auf-
zuschreiben, um sie zu fixieren). Schließlich hatte das Gesetz noch eine
dritte, eminent demokratische Dimension, denn es war »Ausdruck des
allgemeinen Willens« und musste insofern das Werk des gesetzgeben-
den Volkes sein. Artikel 6 der Menschenrechtserklärung verfügte dem-
entsprechend: »Das Gesetz ist der Ausdruck des allgemeinen Willens.
Alle Bürger haben das Recht, persönlich oder durch ihre Vertreter an
seiner Gestaltung mitzuwirken.« Es war in dieser dreifachen Hinsicht
die Verkörperung einer Herrschaft der Allgemeinheit.

Eine politische Utopie


Dieses Gesetzesverständnis hatte eine totalisierende Dimension. Es
war nicht zu trennen von der Utopie einer Macht, die in der Lage wäre,
die Gesellschaft vollständig zu erfassen und im Einzelnen zu bewegen.
Diese politische Philosophie fand darin ihren mächtigsten Impuls. Die
Herrschaft der Allgemeinheit, die sie heraufbeschwor, war demnach
keine bloße Verfahrenssache. Das Gesetz war für die Menschen von
1789 nicht nur eine effiziente und legitime Norm: es war ein politisches

9 Nach den von Renoux-Zagamé wiedergegebenen Formulierungen, in: dies., Du


Droit de Dieu au droit de l’homme, S. 24.

39
Agens. Durch das Tilgen jeder Beziehung zum Partikularen sollte das
Gesetz eine in ihrer reduktionistischen Einfachheit vollkommen ge-
rechte und wohlgeordnete Welt entwerfen. Dem Kodifizierungseifer
lag also eine echte Utopie zugrunde: die Welt vollkommen zu beherr-
schen, indem man sie zu einer absolut handhabbaren, weil abstrahier-
ten, Welt umstrukturiert. Niemand hat besser als Jean Carbonnier,
einer der großen französischen Rechtsgelehrten des 20. Jahrhunderts,
die Beziehung zwischen dem, was einem Phänomen der Rechtspsycho-
logie ähnelt, und einer bestimmten politischen Vision zum Ausdruck
gebracht. »Gesetze zu machen, ist ein erleseneres Vergnügen als kom-
mandieren«, bemerkte er. »Da ist nicht mehr der grobe Befehl, den der
Herr dem Sklaven, der Offizier dem Soldaten erteilt, die unmittelbare
Anordnung ohne Nachhaltigkeit. Nein, da ist das Gesetz, der gesichts-
lose Befehl mit Anspruch auf Allgemeingültigkeit und Dauer, dem
Göttlichen gleich, der in Raum und Zeit ausgesandte Befehl, der sich
an anonyme Massen und unsichtbare Generationen richtet.«10 Auch
das schätzten die Menschen der Revolution an der Macht der Allge-
meinheit. Souveränität des Gesetzes bedeutete für sie also nicht allein
das Bekenntnis zum Rechtsstaat, sondern das Bestreben des Gesetz-
gebers, alle politischen Funktionen zu übernehmen, insbesondere die
Judikative und die Exekutive.

Die Degradierung der Judikative während der Revolution


Als Folge der hier dargestellten Gesetzesauffassung »degradierte« die
politische Kultur der Revolution zunächst die Judikative. Das war in
der großen Justizreformdebatte von 1790 deutlich zu erkennen. Wir
können diese Frage, die die konstituierende Versammlung über Mo-
nate beschäftigte, hier nicht erschöpfend behandeln. Dennoch lohnt es
die Mühe, wenigstens kurz und exemplarisch auf die Begriffe einzuge-
hen, in denen seinerzeit der Aufbau eines Kassationsgerichts gedacht

10 Carbonnier, »La passion des lois au siècle des Lumières«, S. 240. »Es ist demnach
verständlich«, heißt es bei ihm weiter, »dass es eine Leidenschaft für die Gesetze,
für das Gesetzemachen gibt, die nicht mit banaler Machtgier zu verwechseln ist,
auch nicht mit dem spezielleren Vergnügen, das man dabei empfinden mag, sein
Testament zu machen. Es ist ein rechtspsychologisches Phänomen – bei dem In-
dividual- und Kollektivpsychologie nicht zu trennen sind.«

40
wurde.11 Wenngleich die Mitglieder der Konstituante zugestanden, dass
die Einrichtung eines Revisionsverfahrens »ein Übel, aber ein notwen-
diges Übel ist«12, sorgten sie sich vor allem um die Gefahr, die eine un-
abhängige Auslegungsinstanz darstellen würde. Auch wenn sie sich be-
wusst waren, dass eine solche Instanz im technischen Sinne dazu
dienen könnte, nach den Worten eines von ihnen, »die Einheit der Ge-
setzgebung zu gewährleisten«13, fürchteten sie, dass ein Gericht, das
zum Hüter und Beschützer der Gesetze bestellt sei, unter der Hand zu
ihrem Gebieter werden könne. Sie beschlossen folglich, nur eine ein-
zige, direkt der gesetzgebenden Körperschaft unterstehende Kassations-
kammer zu schaffen, sodass jeweils das Gesetz selbst präzisiert wird,
ohne dass sich eine Rechtsprechung im eigentlichen Sinne heraus-
bildet.14 »Das Wort Rechtsprechung […] sollte aus unserer Sprache ver-
bannt werden«, sagte bezeichnenderweise Robespierre und brachte da-
mit das diesbezügliche Allgemeinempfinden zum Ausdruck. »In einem
Staat, der über eine Verfassung und eine Gesetzgebung verfügt«, so Ro-
bespierre weiter, »ist die Rechtsprechung der Gerichte nichts anderes
als das Gesetz selbst.«15 Im Übrigen beschränkte sich die Tätigkeit des
Kassationsgerichts in dieser Zeit praktisch auf die Annullierung von
Beschlüssen, die einen »förmlichen Verstoß« gegen einen Text darstell-
ten oder aus einer »falschen Anwendung des Gesetzes« herrührten.16

11 Gesetz vom 27. November 1790. Vgl. zu diesem Thema die Zusammenfassung von
Halpérin, Le Tribunal de cassation et les pouvoirs sous la Révolution (1790–1799).
12 Bertrand Barère, Rede vom 8. Mai 1790, Mavidal/Laurent, Archives parlemen-
taires, Band 15, S. 432.
13 Antoine Barnave, Rede vom 8. Mai 1790, ebd.
14 Der genaue Mechanismus, der vereinbart wurde, sah ein faktisches Nebenei-
nander von Gesetzesauslegung und Kassation vor. In den – als sehr selten ange-
nommenen – Fällen, in denen eine Ungenauigkeit des Textes vorlag, sollte der
Gesetzgeber selbst entscheiden. »Das Kassationsgericht muss innerhalb der ge-
setzgebenden Körperschaft angesiedelt sein«, sagte Robespierre, um klarzustel-
len, dass die Kassation – im engeren Sinne – als eine Maßnahme von allgemei-
nem Interesse zu betrachten sei und mit den Fällen von Einzelpersonen und
folglich dem Justizsystem nicht zu tun habe (Rede vom 25. Mai 1790, Mavidal/
Laurent, Archives parlementaires, Band 15, S. 671).
15 Intervention vom 18. November 1790, Mavidal/Laurent, Archives parlementaires,
Band 20, S. 516.
16 In buchstabengetreuer Befolgung eines Dekrets vom 27. November 1790, das in
seinem Artikel 3 festlegte, dass eine Kassation nur stattfinden könne, wenn ein

41
Die Abqualifizierung der Exekutive
Parallel dazu wurde auch die Exekutive abqualifiziert und marginali-
siert, weil sie per definitionem nur in einzelnen Akten vorgeht. Be-
reits Rousseau erklärte in diesem Sinne, »daß die Exekutive nicht bei
der gesetzgebenden und souveränen Allgemeinheit liegen kann, weil
diese Macht nur aus einzelnen Akten besteht, die keineswegs in das
Gebiet des Gesetzes und daher auch nicht in den Aufgabenbereich des
Souveräns fallen, dessen Handlungen alle nur Gesetze sein können.«17
Er erkannte die Exekutive zwar an, verstand ihre Rolle aber als eine
untergeordnete und abgeleitete. Deshalb stellte sie in seinen Augen
eine Bedrohung dar, falls sie zu aktiv würde. Das Problem war für ihn
umso wichtiger, als eine strukturelle Asymmetrie zwischen Legis-
lative und Exekutive bestand: Erstere wurde unregelmäßig, Letztere
permanent ausgeübt. Sollte die Herrschaft des Gesetzes gleichbe-
deutend mit der Souveränität des Volkes sein, musste die Exekutive
also in starkem Maße kanalisiert und eingedämmt18, im Idealfall auf
ein Minimum beschränkt werden. In Fortführung dieses Ansatzes
wünschte sich Sieyès, der Vater der ersten französischen Verfassung,
einen permanent tätigen Gesetzgeber, um die Exekutive im Zaum zu
halten.19
Diese Abqualifizierung wurde von den Männern von 1789 einhel-
lig geteilt. Ihre geistigen Vorbehalte waren umso stärker, als sie im
Kontext einer heftigen Ablehnung der absolutistischen Ministerial-
macht erfolgten. Während die Figur des Königs 1789 noch unantast-
bar war, konzentrierte sich die ganze Verbitterung und Unzufrieden-
heit auf seine Minister. Die Cahiers de Doléances (Beschwerdehefte)
sind folglich voller Anklagen gegen ihre »Verbrechen«. In zahlreichen

»ausdrücklicher Verstoß gegen den Gesetzestext« vorliege. Vgl. die Beispiele bei
Jean Belin, »La notion de cassation«, in: ders., La Logique d’une idée-force,
S. 94–96. Die Vorstellung wurde in den Verfassungen des Jahres III und des Jah-
res VIII beibehalten und noch im Gesetz vom 16. September 1807 sowie in der
Zusatzvereinbarung zu den Verfassungen des Kaiserreichs vom 22. April 1815 be-
kräftigt.
17 Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, S. 80 (Drittes Buch, Erstes Kapitel).
18 Vgl. Derathé, »Les rapports de l’exécutif et du législatif chez J.-J. Rousseau«.
19 Vgl. seinen Überblick über die Ausführungsmittel, die den Repräsentanten
Frankreichs 1789 zur Verfügung stehen.

42
Büchern und Pamphleten wurde dem Vorgehen der Minister von den
ersten Revolutionstagen an der Prozess gemacht. »Seit den Anfän-
gen der Monarchie«, stand beispielsweise in Révolutions de Paris zu le-
sen, »haben wir abwechselnd unter dem feudalen Despotismus und
unter dem ministerialen Despotismus gelitten.«20 Die Anprangerung
dieses »ministerialen Despotismus« fand damals allgemeine Zustim-
mung. Sie war eine Art, die Exekutive zu kritisieren, während man
gleichzeitig durch eine »fromme Fiktion« (das Wort stammt von Mi-
rabeau) den König von allen Vorwürfen freisprach.21 Während zu-
nächst noch manche Vorsicht walten ließen und die Ministerialmacht
als »Beschädigung der Exekutive« betrachteten, wurde Letztere rasch
selbst unter Anklage gestellt, weil verdächtigt, sich unwillkürlich des
Verbrechens der Beleidigung der Nation schuldig zu machen. Die Ver-
fassungsdebatten von 1791 sind ein hinreichendes Zeugnis für diesen
Verdacht.22
Als die Mitglieder der Konstituante den Gedanken, dem König
oder seinen Ministern ein Initiativrecht in Sachen Gesetzgebung einzu-
räumen, entschieden verwarfen, bemerkte einer von ihnen unumwun-
den: »Die Exekutivgewalt wird stets die Feindin der Legislative sein und
ihr auf jede erdenkliche Weise schaden. Das ist ein ewiger Kampf in
politischen Systemen.«23 Das Apodiktische der Formulierung bringt
das allgemeine Empfinden gut auf den Punkt. Bezeichnenderweise ver-
suchte man seinerzeit, selbst den Begriff der Gewalt im Zusammen-
hang mit der Exekutive zu vermeiden. Man wollte sie herabstufen,
indem man sie bescheidener in »Funktion« oder »Autorität« umbe-
nannte. Der für seinen semantischen Einfallsreichtum bekannte Sieyès
probierte es mit Begriffen wie »Vollzugskommission«, »verbindender
und ordnender Gedanke«, »Vorsteher des Gemeinwesens«, »Vermitt-

20 Mirabeau, »Introduction à la Révolution«, S. 6.


21 Vgl. das Kapitel »Le discrédit de la fonction ministérielle« in: Bernardin, Jean-
Marie Roland et le ministère de l’Intérieur.
22 Vgl. jedoch für eine nuanciertere Sichtweise als die meine: Glénard, L’Exécutif et
la Constitution de 1791.
23 Bertrand Barère, Rede vom 27. August 1791, Mavidal/Laurent, Archives parle-
mentaires, Band 29, S. 742. Eine ähnliche Formulierung findet sich in dem 1789
posthum veröffentlichten Werk des Abbé Mably, Du Gouvernement et des lois
de la Pologne.

43
lungskommission der Gewalten«.24 Der »Vollzug« wurde im engsten
und mechanischsten Sinne des Wortes verstanden, sodass er die Macht
des Gesetzes als Ausdruck der Allgemeinheit nur ja nicht beeinträchti-
gen konnte. Condorcet träumte sogar von der Inthronisierung eines
maschinellen Königs und übertrug damit die Möglichkeiten der neuen
Automatenwissenschaft auf die Politik.25 »Ein Volk, das frei und fried-
lich leben will«, schrieb er, »braucht also Gesetze und Institutionen, die
das Handeln der Regierung auf das geringstmögliche Maß beschrän-
ken.« Er ging sogar so weit, von einer notwendigen »Bedeutungslosig-
keit der Regierung« zu sprechen, als Resultat »eines gründlich zusam-
mengestellten Systems von Gesetzen«.26
Die Abqualifizierung der Exekutive war nicht nur in der Kultur der
Allgemeinheit verankert. Sie speiste sich auch aus dem weit verbreiteten
Gedanken, dass Regieren im Grunde eine einfache Sache sei und dass
eine kleine Zahl von Gesetzen genügen würde, um das gesellschaftliche
Leben zu regeln. Die liberale Utopie einer billigen Regierung war we-
sentlich dafür verantwortlich, die Mitglieder der Konstituante in ihrer
Haltung zu bestärken. Die meisten von ihnen glaubten aufrichtig, der
aufgeblähte Verwaltungsapparat der Exekutive sei nur eine Nachwir-
kung des Absolutismus. Während sie sich der Lehre der Gewaltenteilung
widersetzten und daran festhielten, dass es nur eine einzige (dem Ge-
setzgebungsorgan obliegende) Gewalt gäbe, glaubten sie im Bereich der
Politik an einen umso rascheren Vollzug des Gesetzes, als sie seine An-
wendung durch die Justiz als rein mechanische verstanden.27 Es wurde in
diesem Sinne sogar symbolisch vorgeschlagen, alle Ministerien in Minis-
terium der Gesetze für … umzutaufen, um ihre untergeordnete Stellung
zu verdeutlichen.28 Gleichzeitig wurden Stimmen laut, den König, als

24 Man findet diese verschiedenen Formulierungen im vierten Heft seiner Délinéa-


ments politiques, wiederabgedruckt in: Fauré (Hg.), Des Manuscrits de Sieyès.
25 Vgl. seinen »Brief eines jungen Mechanikers an die Verfasser des Républicain,
16. Juli 1791«, in: Condorcet, Freiheit, Revolution, Verfassung, S. 171–172.
26 »Von der Natur der politischen Gewalten in einer freien Nation« (November
1792), in: Condorcet, Freiheit, Revolution, Verfassung, S. 122.
27 Als erster Überblick vgl. Barthélemy, Le Rôle du pouvoir exécutif dans les répu-
bliques modernes; und Verpeaux, La Naissance du pouvoir réglementaire.
28 Vorschlag von Pierre-Louis Roederer. Vgl. seinen Beitrag am 10. April 1791, Ma-
vidal/Laurent, Archives parlementaires, Band 24, S. 691.

44
Träger der Exekutivgewalt, nur noch in bescheidenerer Form als »ersten
Beamten des Staates« zu betrachten. Eine Formulierung, die übrigens
ins Gesetz einging. Nach der Annahme der Verfassung von 1791 ließ man
außerdem nichts unversucht, um die Macht der Minister zu beschnei-
den, ja sie zu demütigen, indem man zum Beispiel ihre Bezüge kürzte.
Als später (Ende 1793) die Zuständigkeiten des Wohlfahrtsaus-
schusses, als Vollzugsorgan des Nationalkonvents, geklärt wurden,
stellte man fest, als handele es sich um reine Selbstverständlichkeit:
»Das Ministerium ist nur ein Exekutivrat, der mit Ausführungdetails
betraut ist, mit großer Energie überwacht wird und dessen Leiter sich
täglich zu bestimmten Zeiten einfinden, um die Befehle und Verord-
nungen des Ausschusses entgegenzunehmen.«29 Und Robespierre be-
zeichnete zur selben Zeit die Minister als »bloße Werkzeuge« des Aus-
schusses30, während ein Dekret verfügte: »Der Nationalkonvent ist das
einzige Zentralorgan, von dem die Regierungsentscheidungen ausge-
hen.«31 Tatsächlich lag die Macht bei diesen Konventsausschüssen. Be-
zeichnenderweise wurden damals alle Akte eben dieses Konvents als
»Gesetze« ausgegeben, auch wenn es sich um rein situative Entschei-
dungen oder bloße Verwaltungsakte in Bezug auf spezifische Gegen-
stände handelte.32 In den Jahren 1793 und 1794 wurden selbst die per-
sönlichen Entscheidungen der in die Departements oder zu den
Armeen entsandten Konventsmitglieder als Gesetze bezeichnet. Diese
Ablehnung der Exekutivgewalt kulminierte am 1. April 1794 (12. Ger-
minal des Jahres II ) in der Abschaffung des Exekutivrates (und folglich
der Ministerämter), der durch zwölf dem Wohlfahrtsausschuss direkte
unterstehende Kommissionen ersetzt wurde.33 Zwar konnte die Exeku-

29 Die Formulierung stammt von Bertrand Barère. Vgl. seinen Beitrag vom 4. De-
zember 1793, Mavidal/Laurent, Archives parlementaires, Band 89, S. 637.
30 Maximilien Robespierre, Beitrag vom 4. Dezember 1793, ebd.
31 Artikel 1 des Dekrets vom 4. Dezember 1793, zit. n. Soboul, Die Große Franzö-
sische Revolution, S. 322.
32 Vgl. die Ausführungen im Artikel »Loi« in Merlin de Douai, Répertoire univer-
sel et raisonné de jurisprudence, S. 524. Festzuhalten ist, dass bereits während
der Konstituante alle vom König abgesegneten Dekrete den Titel »Gesetz« tru-
gen, um zu betonen, dass der König keinen eigenen Willen habe.
33 Vgl. den Bericht von Lazare Carnot über die Abschaffung des Exekutivrates,
1. April 1794, Mavidal/Laurent, Archives parlementaires, Band 87, S. 694–698.

45
tive nach dem Thermidor eine gewisse praktische Geltung zurückge-
winnen, was die Verfassung des Jahres III sichtbar bestätigte. Dennoch
kann von einem wirklichen Bruch keine Rede sein. Das gilt auch für die
Bedeutung, die der begleitenden Einführung des Zweikammersystems
oder der Würdigung des positiven Einflusses einer gewissen Gewalten-
teilung beizumessen ist. Es waren Sicherheitserwägungen und prakti-
sche Gesichtspunkte, die diese verschiedenen Verhaltensänderungen
veranlassten. Doch die grundsätzliche Priorität der Gesetzgebung
wurde damals nicht aufgegeben. Sie wurde lediglich modifiziert. Der
Gedanke, dass man »die gesetzgebende Körperschaft vom Joch der
Exekutive befreien« müsse, blieb weiter vorherrschend.34

34 Noch in seinem Bericht des Jahres VII spricht Français de Nantes davon, »die
gesetzgebende Körperschaft vom Joch der Exekutive zu befreien« (zitiert von
Gainot, 1799, un nouveau jacobinisme?, S. 452).

46
Der Kult der Unpersönlichkeit und seine Metamorphosen

Das Gesetz kann den Allgemeinwillen zum Ausdruck bringen, weil es


unpersönlich ist. Allgemeinheit und Unpersönlichkeit sind die beiden
komplementären Eigenschaften, die es in seiner Substanz wie in der
Form der von ihm ausgeübten Macht charakterisieren. Auch aufgrund
dieser zweiten Dimension hatte sein Name bei den Philosophen der
Aufklärung, anschließend bei den Vertretern der amerikanischen und
der französischen Revolution und natürlich bereits bei den alten Grie-
chen35 einen guten Klang: es kann befehlen ohne zu unterdrücken,
denn es gilt als strukturell objektiv, unparteiisch, losgelöst von allen
eigennützigen Bestrebungen. Das Gesetz ist der gerechte Herr
schlechthin, eine Ordnungsmacht, die die Menschen zwingt, ohne sie
zu knechten, sie nötigt, ohne ihnen Gewalt anzutun oder diejenigen zu
erniedrigen, die ihm gehorchen.

Die Vorstellung einer »kopflosen« Macht


Die Kluft zwischen dieser Sicht der vom Gesetz verkörperten guten
Macht der Unpersönlichkeit und der allein auf den König übertrage-
nen Exekutivgewalt war den Franzosen nicht sofort aufgefallen. Tatsa-
che ist vielmehr, dass die Beihaltung eines Königs zunächst nicht als
Widerspruch zu den revolutionären Werten und Institutionen wahrge-
nommen wurde. Er galt als überlieferte Figur, die nicht so verstanden
und gerechtfertigt werden musste, als handele es sich um eine Neuein-
führung. Im Übrigen spielte der positive Bezug auf die englischen In-
stitutionen zu Beginn der Revolution noch eine gewisse Rolle. Außer-

35 Wie ihr Stolz, vom Gesetz regiert zu werden, während ihre Feinde, die Perser,
»dem Kommando eines Einzigen unterstanden«, eindrucksvoll unter Beweis
stellt. Zu diesem Aspekt der »Herrschaft der Gesetze« vgl. de Romilly, La Loi
dans la pensée grecque; und Cohen, »The Rule of Law and Democratic Ideology
in Classical Athens«.

47
dem war der König kein Individuum im eigentlichen Sinne: er ging auf
in seiner Funktion, eine kollektive Identität zu verkörpern. Die zu-
gleich juristische und psychologische Vorstellung, dass er »nichts Böses
tun könne«, war noch fest in den Köpfen verankert.36 Zumal die Exe-
kutivgewalt, die er ausübte, als untergeordnet galt.
Doch alle diese Vorstellungen wurden durch die Flucht nach Va-
rennes schwer beschädigt. Es ist übrigens bezeichnend, dass der Begriff
der acéphocratie, der den Gedanken einer »kopflosen« Macht zur Ver-
fassungskategorie erhob, gerade in diesem Augenblick entstand. Der
Verfasser eines gleichnamigen Aufsatzes erklärte in aller Ausführlich-
keit, dass »sobald ein Einzelner über die staatliche Gewalt verfügt, er
von Sklaven umgeben sein wird«37. Das Wort geriet wieder in Verges-
senheit, nicht aber die Sache. Es war auch die Zeit, in der Brissot und
Condorcet als Erste damit begannen, sich offen als Republikaner zu be-
zeichnen. Es ist somit nicht verwunderlich, dass nach dem Ende der
Monarchie am 10. August 1792 die neue Gestalt der Exekutive nicht so-
fort als »Ersatz« begriffen wurde. Davon zeugten die zeitgenössischen
Debatten, durch welches Bild der Republik die vorherige Figur des Kö-
nigs auf dem offiziellen Staatssiegel ersetzt werden könnte. Die Ent-
scheidung zugunsten der ersten Marianne, einer allegorischen Frei-
heitsfigur römischen Ursprungs mit phrygischer Mütze und Pike in
der Hand38, markierte den ersten symbolischen Akt einer Radikalisie-
rung des revolutionären Anliegens, die Macht zu entpersonalisieren.
Die Wahl einer Frauengestalt als visuelles Symbol bekräftigte diese Ab-
sicht, da sich zu diesem Zeitpunkt noch niemand vorstellen konnte,
dass die Geschicke des Landes von einer Frau geleitet würden.
Mochten die Verfassungsexperten im Frankreich des Jahres 1792
auch in vielerlei Punkten geteilter Meinung sein, so waren sich doch

36 Wenn ein Problem auftauchte, wurden stets allein die Minister dafür verant-
wortlich gemacht. »Wenn der König das wüsste«, sagte man, um den Monar-
chen zu exkulpieren.
37 Billaud-Varenne, L’Acéphocratie ou le gouvernement fédératif, S. 3. Bemerkens-
werterweise wurde der Begriff 1793 von den Gegnern der Jakobiner in einem ne-
gativen Sinne verwendet. So rebellierte General Dumouriez gegen die »demo-
kratische Republik oder vielmehr, das kopflose Monster« (zitiert bei Duprat, »Le
›monstre acéphale‹ dans la Constitution de 1793«).
38 Vgl. Agulhon, Marianne au combat, S. 22–34.

48
alle einig in der Ablehnung des Gedankens, dass die Exekutivgewalt
von einem Einzelnen ausgeübt wird. Da das Volk als Einheit den König
vor aller Augen als Souverän abgelöst hatte, war es unvorstellbar, dass
Letzterer eine irgendwie geartete Form von Nachfolger als Regierungs-
chef findet. Selbst der Begriff des Präsidenten wurde damals in einem
rein technischen Sinne verstanden. Als im September 1792 der Natio-
nalkonvent zusammentrat und der Antrag gestellt wurde, der Vorsit-
zende des Konvents solle den Titel »Präsident von Frankreich« anneh-
men und, um die Würde und Größe der revolutionären Institutionen
und der Souveränität des Volkes angemessen zu verkörpern, im Tuile-
rienpalast residieren, schlug diesem Vorschlag eine Welle der Ableh-
nung entgegen.39 Ein Konventsmitglied fasste das allgemeine Empfin-
den in der schroffen Replik zusammen: »Es kommt nicht nur darauf
an, das Königtum aus unserer Verfassung zu verbannen, sondern jede
Art individueller Macht, die geneigt sein könnte, die Rechte des Volkes ein-
zuschränken und gegen die Prinzipien der Gleichheit zu verstoßen«.40
Einige Zeit später, im Jahr VIII , wurde der Vorschlag, das Amt eines
»Präsidenten der Republik« – das erste Mal, dass diese Formulierung
fiel – einzuführen, ebenso rasch verworfen.41 Selbst Bonaparte bezeich-
nete sie als lächerlich, und das nur wenige Wochen vor seiner Ernen-
nung zum Ersten Konsul mit unumschränkten Vollmachten!

Eine nicht gewählte, kollegiale Macht


Bereits am 15. August 1792 wurde also ein provisorischer Exekutivrat
aus sechs Ministern gebildet. Geplant war ein »technischer« Vorsitz
mit wöchentlicher Rotation, um die kollegiale Funktionsweise des
Gremiums zu unterstreichen.42 Als Condorcet im Februar 1793 dem
Konvent den ersten Entwurf der neuen Verfassung vorstellte, wies er
auf die Bedeutung hin, das Prinzip der kollegialen Führung zu stärken,

39 Antrag von Pierre Louis Manuel vom 21. September 1792, Mavidal/Laurent, Ar-
chives parlementaires, Band 52, S. 69.
40 Georges Couthon, Beitrag vom 21. September 1792, ebd. (Hervorhebung von
mir). Das Modell eines Triumvirates wurde ebenfalls verworfen.
41 Vgl. die Geschichte dieses Vorschlags, erzählt von Paul Barras, und seiner Auf-
nahme in: Gueniffey, La Dix-huit Brumaire, S. 257–258.
42 Es wurde im März 1793 mit der Gründung des Wohlfahrtsausschusses in den
Hintergrund gedrängt.

49
um potenziellen autoritären Fehlentwicklungen vorzubeugen. Mit
Rücksicht auf die vorherrschende Befindlichkeit legte er besonderen
Nachdruck auf die Tatsache, dass es nicht darum gehe, eine »eigenstän-
dige Gewalt« zu begründen, sondern lediglich ein Organ, das »dafür
sorgen [muss], dass der Wille der Nation […] ausgeführt wird«.43 Er
erörterte ausführlich die organisatorischen Bedingungen einer gefahr-
losen Kollektivführung: Der (siebenköpfige) Rat sollte jährlich zur
Hälfte erneuert werden, um sich nicht zu verselbstständigen; die Mit-
glieder des Rates müssten unbedingt den Vertretern der legislativen
Gewalt untergeordnet sein und die gesetzgebende Körperschaft die
Möglichkeit haben, eine gerichtliche Untersuchung gegen Ratsmitglie-
der einzuleiten oder sie »bei Unfähigkeit oder schwerwiegender Ver-
nachlässigung ihrer Amtspflichten« direkt zu entlassen; schließlich
müsse der Vorsitz zweimal wöchentlich rotieren.44
Die schließlich im Juni 1793 verabschiedete Verfassung übernahm
einen Großteil dieser Prinzipien und erweiterte die kollegiale Dimen-
sion durch die Einrichtung eines 24-köpfigen Exekutivrates ohne in-
terne Hierarchisierung, dessen Mitglieder von der gesetzgebenden
Körperschaft direkt ernannt wurden, wenngleich die Auswahl auf der
Grundlage einer in den Departements erstellten Liste erfolgte. Die an-
fängliche Perspektive war die einer reinen Versammlungsregierung,
die Exekutive sah sich unmissverständlich auf die untergeordnete Stel-
lung eines »Arms der Versammlung« verwiesen. Man brachte die
Dinge folgendermaßen auf den Punkt: »Es gibt nur eine Macht: die
Macht der Nation, die bei der gesetzgebenden Körperschaft liegt.«45
Auch wenn der Wohlfahrtsausschuss anschließend eine echte Regie-
rungsgewalt, ja eine diktatorische Macht ausübte, war er im Prinzip
nichts anderes als ein Ausdruck der repräsentativ-legislativen Körper-
schaft. Deshalb blieb nach dem Sturz Robespierres der Gedanke, dass
die Exekutive der Legislative vollständig untergeordnet sein müsse,
vorherrschend. Der im Jahr III vorgelegte Verfassungsentwurf be-

43 Condorcet, »Darlegung der Prinzipien und Gründe des Verfassungsentwurfs«,


S. 189.
44 Ders., »Verfassungsentwurf, der Nationalversammlung vorgeschlagen« (1791),
Artikel XXXI , S. 236.
45 Bertrand Barère, Rede vom 16. Juni 1793, Mavidal/Laurent, Archives parlemen-
taires, Band 66, S. 574.

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down the river soon, at least as soon as there should be water
enough; at present they were arrested by the shallows. The white
men, according to our informer, were French like ourselves.
The armed men have now increased to five hundred, and the
white officers to eight, who are waiting for the rising of the river.
Really these rumours were beginning to make us anxious. The
barges began to assume in our imaginations the appearance of
properly manned vessels, and we wondered if there really was
anything of importance in the wind. Perhaps a party had been sent
out from Timbuktu for Say to make sure that we had plenty of
provisions, perhaps even to found a permanent post at the latter
place. It would be good policy, but bearing in mind the temper of the
natives, the probability was that we should not know anything for
certain till we actually saw the French flag at the bend of the river,
unless of course Madidu should inform us officially beforehand.
Suppose, however, that a French party had followed us, would
they be able to pass? It would indeed be a bold thing to attempt to
pass the rapids as we had done, aided as we were by the natives,
and with such a skilful captain as Digui, who was used to coolies and
knew how to manage them.
May 17.—The river is still falling, and above our island a little
sand-bank is now laid bare, where we were able to leave the
Davoust for the repairs the damage done to her at Labezanga
rendered necessary. Aided by Abdulaye, I undertook the task of
patching her up, and found it a simple affair enough. Fortunately we
had a sheet of aluminium in reserve, one only, it is true, but it was all
we needed. We bent that sheet to the shape required, we bolted and
riveted it all in a few days, and until the water rose again the Davoust
remained high and dry in her dock on the sand.
THE ‘DAVOUST’ IN HER DRY DOCK.

The sand-bank was very useful to our coolies for bathing from,
and was also turned to account by the women who came to our
market for doing their washing. The deck of the Davoust became the
rendezvous of everybody, and no doubt some strange episodes took
place on and in the stranded vessel. The flesh is weak, and it was
perhaps as well that the chaplain of the mission and his aide-de-
camp, Baudry, who had charge of the police department, did not
inquire too closely into what went on in the siesta hour.
May 18.—No storm at Fort Archinard, though it is pouring with
rain all round. One would really suppose that we had a grisgris or a
fetich which enabled us to control the elements.
Three men came from Galadio to ask us to send him the treaty
already alluded to. We gave them two copies of it, one of which was
to be returned to us after being signed by Ibrahim if he approved of
it. This treaty was a league of friendship between the French and
him, agreeing to give mutual aid and protection throughout the whole
of the districts subject to him or to the French to all who came in
peace, whether as travellers or traders, whether actually the
subjects, or only aliens under the protection of either of the
contracting parties. Under all circumstances, in fact, and by every
means in their power, Galadio and the French agreed to assist each
other. Both would do their very utmost to make the road between Uro
Galadio and Massina safe. Lastly, Ibrahim promised to make no
agreement with any other European without having first consulted
the French resident at Bandiagara.
Later the duplicate of this convention came back to us signed in
beautifully clear and firm Arabic writing, after having been read and
discussed at a general meeting of native notables. This valuable
treaty had not been obtained by lavish presents, for we had already
begun to practise economy, in view of the probable heavy expenses
of the return journey, and we had warned Ibrahim that he must not
expect costly gifts.
The convention was simple, direct, and easy to be understood by
all. It was in my opinion the most complete treaty which could
possibly be drawn up in these parts, and after its signature we had a
right to rely upon the absolute good faith of the other party to the
contract, and to consider him our friend and our ally. You will see
presently how much it was worth, and judge from that of the value of
all treaties with negro chiefs, especially of those left with them, the
contents of which have never been explained.
Another great piece of news! A Messiah has risen up, by name
Bokar Ahmidu Collado, who is winning converts on the Liptako to the
west of our encampment, between Say and Bandiagara. He has
already had considerable success, and has received investiture from
Sokoto with a banner, giving him the right to make war on the
French. He went to Amadu Cheiku to ask for reinforcements, but that
chief only gave him his blessing in a very frigid manner, saying,
“Believe me, the time will come, but it is not yet come, for driving the
white men from the Sudan, the land of our fathers. There is a country
in the East bounded by a big creek (the Tchad?), and they must
spread there first. As for me, I know the French too well to care to
rub shoulders with them.”
Bokar Ahmidu Collado then went to Niugui, chief of the Cheibatan
Tuaregs, and asked him to give him some men, but Niugui said to
him, “Madidu will make war on me if I help against his friends the
French.” “You have no faith,” answered the Messiah; “I will make you
believe,” and he gave him a consecrated drink. Then they say Niugui
saw, in the air above him, crowds of combatants armed with rifles
and swords, with many mounted men, all following the Messiah and
the triumphant Crescent. He still hesitates, however, on account of
his salutary fear of Madidu.
Bokar Ahmidu Collado comes from a village of Farimaké, near
Tioko. One of Galadio’s people from Wagniaka (Massina) knew him
when he was quite young. “A poor fool that Collado,” he said to us,
“who has not even been to Mecca, yet sets up for being a Messiah!”
Moral: No man is a prophet in his own country.
Something special seemed to be going on all through the latter
part of May; all manner of news pouring in, some of it really seeming
very likely to be true. The barges at Ansongo constantly increased in
number. The Toucouleur chief Koly Mody was about to abandon the
cause of Amadu. Diafara, a man from Kunari, which had remained
true to Agibu, was on the west of our camp to levy tribute in
Hombari, to found a post at Dori, or to lead a very strong force of
French and their allies into the district of Mossi. The people of
Bussuma had been defeated and driven away, they had taken refuge
at Wagadugu, which last-named rumour seemed to us most likely to
be true, for it behoved the French Sudan to avenge the injury
inflicted on French troops the previous year by the so-called Naba of
the Nabas. What, however, were we to think of all the contradictory
rumours which sprung up like mushrooms and grew like snowballs,
to melt away almost as quickly as they took shape?
May 20.—A new visitor to-day, original if nothing more. Like every
one else, he has his budget of news, and told us about the French
column which is to operate in Mossi. We are beginning to attach very
little importance to all this gossip. Our guest is a heathen, or, as
Suleyman translates it, a Christian, explaining that he must be a co-
religionist of ours, in that he has customs peculiar to the Christians—
drinks dolo and gets drunk on it, of which he is very proud. He
therefore belongs to our family, and that is why he has come to see
his big brother, the commandant!
He calls himself a sorcerer, and seems a little off his head.
Anyhow he talks great nonsense. Whilst we were questioning him he
kept fingering a little goat-skin bag, out of which, when we were quite
weary of his stupid replies, he drew a small phial full of oil of
pimento, and a number of tiny little pots—the whole paraphernalia of
magic, in fact. Having set out all these odds and ends on the ground,
he proceeded to make some grisgris to protect the hut in which he
was from bullets.
He began by smoothing the sand of the floor with his hand, to
bring good-fortune, he said, and he then skilfully drew with his finger
in the sand four parallel lines forming parallelograms. These he
combined two by two, three by three, four by four, and so on, reciting
invocations all the time. He then rubbed all the first designs out and
began again with fresh invocations, making the lines sometimes
vertical, sometimes of other shapes.
With a very solemn face, as if he
were celebrating mass, he now drew
forth a little satchel of ancient paper,
written all over in Arabic by some
marabout, and muttered some words,
evidently learnt by heart, for he
certainly could not read. At last, with
an expression as serious as that of
the Sphinx of the desert, he
TYPICAL MARKET WOMEN. announced: “Hitherto you have had
none but enemies in the land, no one
in the whole country is your friend. Beware of the marabouts!
Beware, above all, of one particular marabout! There is a young man
ill here (this was Bluzet, who was just then lying down with an attack
of fever), but it will not be much. You must sacrifice a white chicken
for his recovery; have it broiled, and give it to the poor: this will
conciliate the favour of the great prophet Nabi Mussa, or Moses. It
will be best to give your charity to children. Then all the grisgris of
the negroes and the marabouts will avail nothing against you. But
beware, above all, on account of your men. If you cut away all the
roots of a tree it falls. In the same way, if they take away your
negroes, all will be over with you. Now I have come to give you a
grisgris for them, which will protect them from all spells, and even
from cortés and other evils. I can even give you a corté myself,
which will kill a man if you only throw the tiniest bit of it in his face.”
The corté is, in fact, the most terrible of all spells amongst the
negroes. It is said to consist of a powder which slays from a
distance. The natives say that if thrown from some miles off the man
it touches dies, and the truth seems to be, that the sorcerers have
the secret of a very subtle poison, which produces terrible disorders
in those touched by it.
As a matter of course, we did not accept the offers of a corté or
counter corté from Djula, but to give him an idea of the mischief we
could do if we chose, I gave him a five-franc piece in a bowl of
galvanized water, as I had the son of the chief of the Kel Temulai. I
then told him to go to Mossi and have a look round there to see what
would happen. He is a crazy old fellow enough, but I have been told
that sorcerers have more influence over the Mossi and their nabas,
as they call their chiefs, than those who are in the full possession of
their senses. He was willing to go, and when the Tabaski was over
he would come back inch Allah, with envoys from Bilinga or
Wagadugu.
Now Bilinga is eleven days’ march from Say, and eight days after
he left us the old fellow came back pretending he had gone all the
way. He had really never gone beyond Say, and brought us all sorts
of silly news only, so Digui took him by the shoulders and quite
gently turned him out of the camp.
May 20.—As the so-called Tabaski fête approached, our visitors
and the news they brought were greatly on the increase. Pullo,
Osman, and the minor ambassadors vied with each other in the
ingenuity of their inventions. The fact was, they all wanted to have
new bubus for the festive occasion, some money, some coppers to
buy kola nuts, etc., not to speak of new bright-coloured
undergarments for their wives. “What would the village people say,
commandant,” they would urge, “if I, who every one knows to be a
friend of the French, should cut anything but a good figure?”

THE MARKET AT FORT ARCHINARD.

Some few, however, were actuated by something more than a


wish for presents on their visits to us. They were rather afraid of the
column which was said to be operating in Mossi. Osman brought the
chief trader of the market to us, a Wagobé, belonging therefore to
the Sarracolais tribe, an intelligent man with a frank, open
expression. His pretext for coming to see us was that he had a slave
to sell, but he knew well enough that we never bought slaves. She
had been brought from Samory’s camp, where prices for such
merchandise were very low, there being a perfect glut of slaves in
the market, and at the same time a scarcity of grain. The young girl,
who was in good health, with all her teeth intact, had been bought for
the modest sum of 10,000 cowries, about 10 francs, or the value of
two sheep, or of a sack of millet. According to her owner, prices were
much higher at Say, where a first-class female slave, that is to say, a
young virgin, would fetch 200,000 cowries, whilst a strong young
man was worth 150,000. Less valuable captives were cheaper, and
some of the fifth-class went for as little as 100,000 cowries. These
are of course commercial quotations, but as a matter of fact now and
then a few are sold for as low a sum as 25,000 cowries.
The chief of the market brought us kola nuts, honey, rice, and
milk. He mourned over the evil days which had fallen on Say. “All our
roads,” he said, “are blocked on the north by the Tuaregs, on the
west by the heathen Mossi, on the south by the Dendi, and on the
east by the Kebbi and the Mauri. It is only rarely that a few caravans
with a strong escort can get as far as Sansan Haussa, by way of
Sergoe. A whole fleet of canoes, which went down to Yauri last year,
had remained there for fear of the Dendikobés. The boatmen had
founded a village there, and were now lost to Say. Then, besides
that, things were not going as could be wished by those of the true
faith. The Empire of Sokoto and its Emir were between two fires, with
Rabba on one side and the Serki Kebbi on the other.”
When Osman, returning to the charge, spoke to us again about
the column supposed to have gone to Mossi, I said to him—“You
see, the Naba of Wagadugu gave the same kind of reception to the
Frenchmen who went to visit him last year as Amadu Saturu has
given to us at Say. So the chief of the whites has given orders that
his village should be destroyed, and it will be your turn next year, I
hope.”
A WOMAN OF SAY.

They then went away plunged in reflection.


Visitors are all the fashion just now. On Thursday, May 21, a
young man came to our market wearing a blue bubu trimmed with
blue and red printed calico, such as is made at Rouen. We had long
known the owner of this costume, and when we recognized him we
were ready to fling ourselves into his arms.
He at least was a genuine person, the son of the chief of Fafa,
who had been such a good guide to us when we were amongst the
rapids, the son of that old Fulah who wished to interpose his own
body between me and Djamarata to protect me from harm. He came
from Djamarata now, and we had no reason to doubt his good faith
at least. He came, he said, to inquire after the health of the
commandant, and to ask what state our boats were in after passing
over the terrible rocks, etc. Djamarata assured us of his friendship.
True, when we first arrived in his country the Tuaregs had been on
their guard, but now that they were convinced of our pacific
intentions, and saw that we molested no one, the Awellimiden were
quite on our side, and had full confidence in us.
When our friend left us his goat-skin bag was full of presents.
Here at least was one native who deserved well of us, for he had
made a twenty days’ march to come and give us his master’s
compliments.
May 24, Whitsunday.—It appears that the Mossi column is making
good progress, at least we gather that it is, from the improved
bearing towards us of the natives, but lies and all manner of false
reports are still the order of the day.
Yesterday the fête of the Tabaski, or the Feast of the Sheep, was
celebrated, which is not, it appears, of Mahommedan origin. The
village of Talibia sent envoys to make friends in our camp, and some
wretched-looking natives danced a tam-tam. Others came to beg,
and to all the poor creatures we gave something—a little salt, a
mechanical toy, a cubit of cloth, or some other trifles. I also
distributed a little money amongst our own men.
A regular descent was made on the camp by sellers of kola nuts,
grisgris, etc. A number of women also came, amongst whom was a
Toucouleur girl named Fanta. She said she had come to see if her
brother was with us, but I suspect her motives were not quite so
innocent as that. In the end, this girl became a dangerous enemy to
us. After warning her off again and again, we at last had literally to
drive her out of the camp. If we had not done so I expect she would
have persuaded some of our men to desert, so great was her
influence over them.
ENVOYS FROM THE CHIEF OF KIBTACHI.

Fanta was really a very reckless person, and is supposed to have


poisoned a man whom she had persuaded to treason, but who had
failed to achieve the result she had hoped by that treason. The
native chiefs know only too well how easy it is to seduce men from
their allegiance to travellers with the aid of some pretty fellow-
countrywoman of theirs, and it is necessary to be always on guard
against this sort of thing.
In the present case the Tabaski fête passed over quietly enough.
We regaled our visitors with a little apparently impromptu fusillade,
which we had really agreed upon beforehand amongst ourselves,
giving the Koyraberos from Talibia a demonstration of the
penetrating force of our bullets on the branches of some trees.
“Bissimilaye! Bissimilaye!” cried old Suleyman Foutanké, hardly able
to believe his own eyes.
June.—No rain at Say yet! It really looks as if we had cast a spell
upon the place, the more so that the want of rain was accompanied
by a plague of locusts. We had invoked the aid of Moses against our
enemies, and now, like him, I had brought upon the natives of the
land of our exile clouds of locusts to devour all green things. The
people were in despair. A drought and locusts together meant
perhaps the complete destruction of the harvest. But there is always
some good in everything, and the Koyraberos flung themselves,
armed with sticks, into the thickest part of the swarms, beating down
the insects, which were picked up by the children, and stowed away
in their bubus. Fried and seasoned, the locusts made a very
appetizing change of diet.
Our men from Senegal, however, made great fun of those who ate
them; they were themselves much too civilized for such food as that.
“The Koyraberos,” Digui said to me, “are regular savages!” and it
was worth something to hear the tone of contempt in which he gave
utterance to this insulting remark.
The chief of Kibtachi, a big Haussa village down-stream, sent us
various presents and made many promises to us. He also begged us
most politely to visit him when we passed later. “Why,” he said, “did
you not come to Kibtachi to begin with, instead of stopping with
Saturu, who wishes you no good?” Talking of presents, Galadio,
when he returned the signed treaty, sent a wonderful collection of
gifts, including kola nuts, symbolic of friendship, with calabashes full
of honey, and bags of baobab flour, the medicinal effect of the two
being totally different, the honey acting as an emollient, the flour as
an irritant.
The chiefs of the Sidibés, Kurteyes, Sillabés, etc., all vied with
each other now in sending messengers to us to assure us of their
friendship, and yet another notable, chief of the Torodi Fulahs, asked
us to make just such a treaty with him as we had with his friend
Galadio. “Galadio and I,” he wrote to us, “are together like two teeth
of the same comb!” A happy metaphor indeed, a regular literary
gem!
Yes, indeed, they all belonged to the same comb, these native
friends of ours, and as yet we did not suspect how very dirty that
comb was.
Presently we heard of a split amongst the Toucouleurs, and that
the Gaberos had had enough of Amadu. They sent, in fact, to beg
me to intercede for them with my friend Madidu, and to get him to let
them return to his country. There were more fresh quarrels too
between the Toucouleurs and the Sidibés. Amadu had put a Hadji
marabout of the Sidibé tribe in irons, and by way of reprisal the
Sidibés had seized three Toucouleurs at Yuli, opposite Dunga. The
hostile tribes were, in fact, snarling at each other from the two banks
of the river, and showing their teeth rather like porcelain dogs, only in
this case the dogs were jet black.
The Sidibés, according to Pullo Khalifa and the son of their chief,
who came to us with him, were disposed to throw themselves upon
our protection. If, they said, Amadu had not set their Hadji free in
three days, the Sidibé women with their flocks and herds would be
placed under the protection of our guns!
Would this be the spark which would set fire to the gun-powder?
Hurrah! If it were, our protectorate would become an effective one;
we should have a fine rôle to play; that of intervening in favour of a
native coalition against the parasitical Toucouleurs, the hereditary
enemies of French influence in Africa.
A COBBLER OF MOSSI.

All, then, was tending in the direction of our hopes. A good job
too, for the river was falling, falling, falling. Our island was completely
transformed, for a big isthmus of sand and flints now united it to the
right bank. Hundreds of determined men, or of men driven in from
behind, might pour into the camp any night now, as into some
popular fair.
Reassured though we were by what we heard of the political
condition of the country, and by all these protestations of friendship,
we yet awaited the 14th July with impatience, and we celebrated its
passing as joyfully as possible when it came at last. No sooner was it
over, however, when slowly and quietly, and at first very doubtfully,
certain bad news filtered through, which gradually gained certainty.
For once, indeed, there was no doubt about the evil tidings, which
were diametrically opposed to all that the politeness of the natives
would have had us believe. The whole country, Toucouleurs, people
of Say, of Kibtachi, and of Torodi, with the Sidibés, the Gaberos and
others, had combined against us and were marching to attack us.
Naturally no one had thought fit to warn us. It was Osman, poor
fellow, who, in spite of himself, put us on the scent, and gave us the
alarm. He meant to play the part of an angel of light, but, as is often
the case, his rôle was really quite the reverse.
One fine day he said to us point-blank, “There is no cause for
anxiety now, you can sleep with both ears shut, for Amadu Saturu
and Amadu Cheiku are both most favourably disposed towards you.”
“Why do you tell us that, Osman?” I asked. “I feel sure you have
some very good reason, but take care what you say. You are lying, I
know. Amadu is really trying to pick a quarrel with us.”
“Bissimilaye! not a bit of it,” was the reply. “He is only getting his
column together to move against Djermakoy.”
I had never been told a word about that expedition, and the fact
seemed strange, so I said—
“Osman! you are telling a lie. What column is going against
Djermakoy?”
Then with much hesitation, and turning as pale as a negro can
when he has got himself into a hobble, he began to tell us how all
the people of Say, and the Toucouleurs, in fact, all the natives, had
united to march on Dentchendu, a big village of Djerma, the very
centre of the Futanké agitation, but that before actually starting they
were all coming to Say to receive the benediction of Saturu, who
would recite the Fatiha to the glory of the Prophet on the tomb of his
ancestor, Mohammed Djebbo, who had founded the town.
FORT ARCHINARD.

I understood at once, and really the plan to surprise us had not


been at all badly thought out. “Well, Osman,” I said, “you will warn
Modido that if the Toucouleur column camps in or near his village, in
which he declined to receive us, it will mean war with us.” “Oh!” cried
Osman in his dismay, “the whole column will not come, only the
chiefs, with Ahmidu Ahmadu, the leader of the troops.”
Then he tried to undo what he had done, and told quite a different
story, saying he had been mistaken; Saturu would go and give the
benediction to the column on the bank near Djerma.
We were warned now; a big column really was assembled. We
made discreet inquiries on every side, and all the news we heard
confirmed the fact. Pullo himself now ventured to be explicit, and told
us to be on our guard.
The palm of deception and treason must be given in this case to a
Fulah from Massina, called Ahmadu Mumi, but we were the ones to
reap the benefit of his evil-doing. Born in the village of Mumi, near
Mopti, on the Niger, all his people had been killed by the Toucouleurs
when El Hadj Omar won his great victory. He himself had been taken
prisoner, and dragged behind the horses of his captors to Say,
where, bruised, bleeding, and in rags, he was sold. Of course, as a
natural consequence, he hated the Toucouleurs with an intense and
bitter hatred, but he was later bought by the chief of Say, who set
him free. He became the confidant and friend of his liberator, so that,
as he explained to us, he knew better than any one else what was
going on, and was therefore better able to betray Saturu.
He did betray him too, for a high price, revealing to us all the
preparations our enemies were making against us. Amadu, it
appeared, aided by the chief of Say, had rallied every one all round
to his standard, and to win over the lukewarm, vague hints were
thrown out of going to get slaves amongst the Djermas on the left
and the Gurmas on the right bank of the river. All would meet at Say
for the benediction, and then at the critical moment, Madidu,
pretending to be suddenly supernaturally inspired, would exclaim
—“Listen! what says the prophet? Leave the Gurmas and the
Djermas alone. It is against the infidels, the Kaffirs of Talibia, that you
must march. It is their destruction which will please God!” Then every
one would be carried away by enthusiasm, and urging each other
on, would rush in their fanatical zeal to the attack of our little island.
None but the chiefs knew of the plot, Ahmadu Mumi told us, but
he had been so placed that he could tell what they were all thinking
of. Double traitor that he was, he used to go backwards and forwards
from Say to Dunga, and from Dunga to Fort Archinard, spying and
taking bribes now from one side, now from the other. When with us
he would say all he wanted was revenge on the Toucouleurs.
Well, we merely said “All right!” and set to work with feverish
activity to double our abattis, which the tornados had somewhat
damaged, and to build new loopholed redoubts round the camp. On
July 14 we were all eagerly engaged in preparing for the defence of
our fort, and I don’t suppose any one gave a thought to the review at
Longchamps, or to the public balls going on in Paris at this festive
time. As in all crises and times of difficulties, our coolies rose to the
occasion, and showed themselves more full of zeal, better
disciplined, more thoroughly in hand
under their French officers than they
had ever done before, so that when
we saw the smoke from the camp of
the allies rising up above Say, we
were all perfectly ready for the attack.
Ready to make the besiegers pay
dearly for their temerity at least, but it
would not do to count upon all of us
coming safe and sound out of the
affair: the forces were too terribly
unequal for that. Amadu had five
hundred guns with him, and the
Toucouleurs are brave, especially
when their fanaticism has been
aroused. A certain number of the
A MARKET WOMAN.
captives taken by the Tuaregs had
also come from Sorgoe to join hands
with them. Aliburi, too, the hero of Cayor of Yuri memory, was there,
and in a night attack all these auxiliaries would be very formidable
adversaries to us. We wondered how many warriors there were
altogether, including those armed with bows and arrows or spears
only. It was very difficult to form an idea, for negroes never allow
their numbers to be counted when they go to war. They think it
brings bad luck. There was, however, no doubt that at this time
Amadu could muster from ten to fifteen hundred combatants.
And to oppose to all this rabble, we were but forty-five, even if we
counted in our scullions.
The worst of it was, a good many of our cartridges had got
damaged, partly by the great heat and partly by the damp. The
damage was such that at the first shot the weapon might become
useless for the rest of the fight, a serious matter when we were so
few.
It certainly seemed as if we were in for it at last!
Several nights passed by in suspense, and we all slept badly. On
the north we could see the gleam of many moving torches in the
forest, for from Talibia to Say signals were being made. Torches of
straw were lit and put out three by three, but what these signals
portended we could not tell.
July 17.—It seems that the attack on our camp is now decided
upon, for our spy tells us we shall be assailed from the right bank in
the night when there is no moon. The Toucouleurs are camped at
Tillé above Say. At the benediction to be given at three o’clock
Amadu Saturu will stir up the people. We might expect the first alarm
at about ten o’clock. Ahmadu Mumi spoke very positively, though he
explained that he could not be absolutely certain, and anyhow not a
woman had come to the market that morning. Osman, on the other
hand, stoutly denied the report, but this only made us more sure of
its truth, and we doubled our sentries in preparation for a night which
might perhaps be our last.
We waited and waited, but nothing
happened. We heard nothing that
night, as on so many others, but the
howling of the monkeys and the
murmuring of the rapids down-stream.
Everything remained quiet the next
day too, and gradually all the smoke
faded away, whilst the light of the
torches was extinguished. The
women, who had deserted our
market, returned as if there had never
been any reason for their absence,
and all went on as before. We knew
now that the column was again
dispersed, the warriors had drawn
back at the very last moment, and had
gone off in small parties to take slaves A FULAH WOMAN.
in Djerma, or to attack Dosso. All the
energy they had displayed with regard to us had been simply
wasted.
It had been enough for us to assume a firm attitude, and for the
natives to know that we had been warned. To maintain a firm attitude
seems rather like a quotation from Tartarin de Tarascon, for we
should have found it difficult enough to defend ourselves. How
should I have been able to make good my threats that I would burn
Say on the first alarm?
It seemed, however, that Saturu really was rather alarmed, lest
harm should happen to his town. He would not let the column
camped near it enter Say, and the Friday benediction was only after
all pronounced on the chiefs. Their secret they knew had leaked out,
they had seen us strengthen our defences, and they hesitated after
all to attack us. The knowledge of the bloodshed which would
inevitably ensue had greatly cooled the enthusiasm of all not quite
mad with fanaticism, and many whose adherence had been counted
on as certain had failed to put in an appearance. Then the rain had
something to do with damping the ardour for war. The daily storms,
which had come at last, completed the demoralization of the rabble.
They had missed their aim, because we, who were that aim, had
been on our guard, and some went off one way, others another, to
hunt slaves instead of rushing upon our defences.
We had had a narrow escape, but it was a complete one, for the
new moon was rising now, and the river was rapidly increasing in
depth, adding each day to the efficiency as a defence of the ditch
which divided us from the mainland and our enemies.
We were saved! but for a whole week we had been face to face
with the melancholy prospect of ending our lives on this remote
island, and often and often as we watched we wondered whether, if
we were massacred, we should be better or more quickly avenged
than our predecessor Flatters had been.
We now understood all the false rumours which had been spread
of French columns marching in the neighbourhood, and of all these
columns were going to do. The reports were spread merely to induce
us to leave our tata, where we were in comparative security, and
which the Toucouleurs seemed to look upon as impregnable. Our
enemies wanted to decoy us to go and meet our comrades, so that

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