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Lukas und Q Studien zur lukanischen

Redaktion des Spruchevangeliums Q


Christoph Heil
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Christoph Heil
Lukas und Q
Beihefte zur Zeitschrift für die
neutestamentliche Wissenschaft
und die Kunde der älteren Kirche

In Verbindung mit
James D. G. Dunn · Richard B. Hays
Hermann Lichtenberger

herausgegeben von
Michael Wolter

Band 111

WDE

G
Walter de Gruyter · Berlin · New York
2003
Christoph Heil

Lukas und Q
Studien zur lukanischen Redaktion
des Spruchevangeliums Q

WDE

G
Walter de Gruyter · Berlin · New York
2003
© Gedruckt auf säurefreiem Papier,
das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.

ISBN 3-11-017434-0

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek


Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;
detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über < http://dnb.ddb.de > abrufbar.

© Copyright 2003 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, D-10785 Berlin
Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung
außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages
unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikrover-
filmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Printed in Germany
Umschlaggestaltung: Christopher Schneider, Berlin
Vorwort

Die vorliegende Untersuchung wurde im Juli 1999 von der Katholisch-


Theologischen Fakultät der Universität Bamberg als theologische Habilitati-
onsschrift angenommen. Mein Lehrer Prof. Paul Hoffmann hat das Thema
dieser Untersuchung angeregt und meine Arbeit daran wohlwollend, geduldig
und kritisch gefördert. Als Dank für die intensive Zusammenarbeit in den
letzten Jahren sei ihm dieses Buch gewidmet.
Herrn Prof. Alfons Fürst danke ich für das hilfreiche Zweit-Gutachten.
Herrn Prof. Michael Wolter und den Mitherausgebern danke ich für die
Aufnahme der Arbeit in die Reihe BZNW.
Seit Juni 1993 arbeite ich am Lehrstuhl für Neutestamentliche Wissen-
schaften der Universität Bamberg. Hier habe ich auf vielfaltige Art und Wei-
se kollegiale Unterstützung und fachliche Herausforderung erfahren; als ein
Beispiel sei unser Oberseminar im Winter 1998/99 zur Rekonstruktion von Q
13-19 genannt. Ich danke Irene Loch, Dr. Thomas Hieke, Dr. Ulrich Bauer,
Dr. Ulrike Brauner, Dr. Albrecht Garsky, Claudio Etti, Martin Fromm, Josef
E. Amon, Dr. Helga Melzer-Keller, Stefan H. Brandenburger und last not
least den vielen studentischen Hilfskräften.
Prof. Hoffmann und seine Mitarbeiter arbeiten seit Anfang 1993 im Inter-
national Q Project mit. Dieses internationale Teamwork unter der Gesamt-
leitung von Prof. James M. Robinson (Claremont, CA), Prof. Paul Hoffmann
und Prof. John S. Kloppenborg Verbin (Toronto) hat unser aller Horizont er-
heblich erweitert; ohne die aufwendige Projektarbeit wäre die vorliegende
Untersuchung nicht denkbar.
Seit dem Winter 2001/02 ist Prof. Lothar Wehr Inhaber des Bamberger
Lehrstuhls für Neutestamentliche Wissenschaften; ihm danke ich für die gute
kollegiale Atmosphäre und Zusammenarbeit.
Die ursprüngliche Habilitationsschrift enthielt als Anhang »Die griechi-
sche Rekonstruktion des Spruchevangeliums Q durch das International Q
Project mit deutscher Übersetzung«. Mittlerweile sind The Critical Edition of
Q (2000) und eine griechisch-deutsche Studienausgabe (2002) erschienen;
daher wird hier auf die Wiedergabe der Q-Rekonstruktion aus der Critical
Edition verzichtet.
John S. Kloppenborg Verbin, Reinhard von Bendemann und Marco
Frenschkowski danke ich, daß sie mir die Manuskripte ihrer neuesten Mono-
VI Vorwort

graphien vor Erscheinen zugänglich gemacht haben.


Die Universität Bamberg hat die Erarbeitung der §§ 16, 22 und 30 durch
Forschungsprojekte in den Jahren 1995, 1996 und 1998 großzügig gefördert
(siehe unten Seiten 118, 182 und 247). Auszüge aus § 31 wurden 1998 auf
dem 47. Colloquium Biblicum Lovaniense als Short Paper vorgetragen.
Im Sommer 1994 und im Winter 1997/98 habe ich Hauptseminare, im
Winter 2001/02 eine Vorlesung zur lukanischen Theologie an der Universität
Bamberg durchgeführt. An der Universität München hielt ich im Winter
2001/02 eine Vorlesung zur Apostelgeschichte. Den Teilnehmern und Hörern
danke ich für engagierte Diskussionen, die nicht selten auch Eingang in diese
Arbeit fanden.
Meinen Eltern danke ich für die herzliche Unterstützung.
Meiner Frau Uta und unseren beiden Kindern Alexander und Susanne
danke ich für - alles.

Forchheim, im Oktober 2002 Christoph Heil


Inhaltsverzeichnis

Vorwort V

Teil 1 : Fragestellung und Durchführung 1

A. Grundlegung 4

Teil 2: Die Textgrundlagen: Die synoptische Frage, Q und Lukas 4


§1 Allgemeines 4
§2 Das Spruchevangelium Q 6
§3 Das Thomas-Evangelium 13
§4 Das lukanische Doppelwerk 16
Lukasevangelium und Apostelgeschichte 16
Redaktionsgeschichtliche Ergebnisse zur lukanischen Markus-Rezeption 17
Das lukanische Sondergut und die Proto-Lukas-Hypothese 19
Lukas und die Paulusbriefe 22
Zeit und Ort der Entstehung des lukanischen Doppelwerks 23

Teil 3: Methoden 26
§ 5 Die redaktionsgeschichtliche Interpretation 28
§ 6 Die literaturgeschichtliche Situierung 33

Teil 4: Kurzer Blick in die Forschungsgeschichte 36

B. Textauslegung 42

Teil 5: Die lukanische Redaktion des Schlußteils von Q 42


§ 7 Die lukanische Redaktion von Q 13,18-21
(Das Senfkorn - Der Sauerteig) 46
ZumQ-Text 46
Zur lukanischen Redaktion 49
§ 8 Die lukanische Redaktion von Q 13,24-27
(Ich kenne euch nicht) 50
ZumQ-Text 50
Zur lukanischen Redaktion 55
Vili Inhaltsverzeichnis

§ 9 Die Manische Redaktion von Q 13,29.28.p0] (Viele werden


von Osten und Westen kommen - [[Letzte werden erste sein]]) 57
ZumQ-Text 57
Zur lukanischen Redaktion 61
§ 10 Die lukanische Redaktion von Q 13,34 f.
(Gericht über Jerusalem) 64
Zum Q-Text 64
Zur lukanischen Redaktion 70
§11 Die lukanische Redaktion von Q 14,#
(Dor Oohso in dor Grubo) 74
ZumQ-Text 74
Zur lukanischen Redaktion 79
§ 12 Die lukanische Redaktion von Q 14,[[11]]
(ßWer sich selbst erhöht...]]) 81
Zum Q-Text 81
Zur lukanischen Redaktion 82
§ 13 Die lukanische Redaktion von Q 14,16-18.719 f.? 21.23
(Einladung zum Gastmahl) 84
Zum Q-Text 84
Zur lukanischen Redaktion 93
§ 14 Die lukanische Redaktion von Q 14,26 f.; 17,33 (Wer seine
Familie nicht haßt - Wer sein Kreuz nicht auf sich nimmt -
Wer sein Leben sucht) 97
Zum Q-Text 97
Zur lukanischen Redaktion 106
§15 Die lukanische Redaktion von Q 14,34 f. (Fades Salz) 111
ZumQ-Text 111
Zur lukanischen Redaktion 116
§ 16 Die lukanische Redaktion von Q 16,13.16.17.18 (Gott oder Geld
- Seit Johannes das Reich Gottes - Kein Häkchen des Gesetzes fällt
- Scheidung führt zu Ehebruch) 118
ZumQ-Text 119
Zur lukanischen Redaktion 136
§17 Die lukanische Redaktion von Q 17,1 f.
(Wehe den Verführern) 145
ZumQ-Text 145
Zur lukanischen Redaktion 148
Inhaltsverzeichnis IX

§ 18 Die lukanische Redaktion von Q 15,4-5a.7.[[8-10E


(Das verlorene Schaf- |Die verlorene Münze]]) 151
ZumQ-Text 151
Zur lukanischen Redaktion 156
§19 Die lukanische Redaktion von Q 17,3 f.
(Vergebt einander immer wieder) 159
ZumQ-Text 159
Zur lukanischen Redaktion 161
§ 20 Die lukanische Redaktion von Q 17,6
(Glaube wie ein Senfkorn) 163
ZumQ-Text 163
Zur lukanischen Redaktion 165
§ 21 Die lukanische Redaktion von Q 17J20 f j 23 f. 37. 26 f. ?28 f.?
30. 34 f. ([Das Reich Gottes ist in eurer Mittel - Der Menschensohn
kommt wie ein Blitz - Wo das Aas, dort die Geier - Wie in den
Tagen des Noach - Mitgenommen oder zurückgelassen) 166
Zum Q-Text 166
Zur lukanischen Redaktion 174
§ 22 Exkurs: Die Unterscheidung griechischer Sprachebenen
mit Blick auf Q 17 und Lk 17 182
Vulgärsprache, Umgangssprache und Schriftsprache 183
Verschiedene Ebenen der Schriftsprache 184
Anwendung auf das Neue Testament 189
Die Sprachebene in Q 17 191
Die Sprachebenen in Lk 17 191
§ 23 Die lukanische Redaktion von Q 19,12 f. 15-24.26
(Das anvertraute Geld) 197
ZumQ-Text 197
Zur lukanischen Redaktion 204
§ 24 Die lukanische Redaktion von Q 22,28.30
(Ihr werdet die zwölf Stämme Israels richten) 208
ZumQ-Text 208
Zur lukanischen Redaktion 210
χ Inhaltsverzeichnis

C. Ausweitung 213

Teil 6: Die literarische Gattung von Q


und deren Weiterentwicklung durch Lukas 213
§ 25 Das »Spruchevangelium« Q 213
§26 Weisheit, Prophetie und Apokalyptik in Q 219
§ 27 Die Gattungen des lukanischen Doppelwerks 226
Teil 7: Die sozialgeschichtliche Verortung von Q
und deren redaktionelle Anpassung durch Lukas 233
§ 28 Frauen 233
§ 29 Arm und Reich 239
§ 30 Land und Stadt 247
Teil 8: Einzelne theologische Themen in Q
und deren Redaktion durch Lukas 259
§31 Johannes der Täufer 259
§ 32 Gott 270
§33 Jesus 275
§ 34 Ή βασιλεία τοΰ θεοΰ 282
§ 35 Menschensohn 289
§ 36 Weisheit 298
§ 37 Geist 304
§ 38 Schrift und Gesetz 310
§ 39 Israel / Juden 325
§ 40 Heiden 332
§ 41 Naherwartung, »Parusieverzögerung« und Gericht 340
§ 42 Ethik 350
Teil 9: Zusammenfassung und Folgerungen 354
§ 43 Die lukanische Redaktion des Spruchevangeliums Q 354
§ 44 Der Autor des lukanischen Doppelwerks 358

Literaturverzeichnis 369

Register 421
Bibelstellen 421
Autoren 436
Teil 1
Fragestellung und Durchführung

Spezialliteratur
J.M. Robinson, Zur Komposition des Markus-Evangeliums, in: ders., Messiasgeheimnis und
Geschichtsverständnis. Zur Gattungsgeschichte des Markus-Evangeliums (TB 81), München
1989, 107-114.
Durch die Arbeit des International Q Project (IQP; s.u. § 2) wurde die zweite
wichtige schriftliche Quelle des Lukas - neben Markus - wiederhergestellt. Q
enthält nach J.S. Kloppenborg etwa 4.500 Worte, hat also ungefähr den Um-
fang des 2 Kor.1 Zum Vergleich: Das Markusevangelium besteht aus etwas
mehr als 11.200 Worten, das Lukasevangelium schließlich aus etwas mehr als
19.400 Worten.2 Lukas hat von den insgesamt 678 Versen bei Markus jedoch
nur etwa 350 übernommen; Q wurde dagegen von Lukas nahezu komplett in
sein Evangelium eingearbeitet. Vom Umfang wie vom Inhalt her war Q also
eine wichtige Vorlage für Lukas. Mit der Q-Rekonstruktion des IQP und dem
Erscheinen der Critical Edition of Q hat die redaktionsgeschichtliche Erfor-
schung des Lukasevangeliums eine neue Grundlage erhalten,3 die in dieser
Arbeit erstmals systematisch genutzt werden soll.
Die Q-Rekonstruktion der Critical Edition of Q wird - mit wenigen be-
gründeten Ausnahmen - übernommen. Es geht hier also nicht um eine Unter-
suchung von Q (stratigraphische Modelle, QR usw.). Das Hauptinteresse der
Arbeit besteht vielmehr in der Art und Weise, wie Lukas seine Q-Vorlage re-
digiert. Solch eine Untersuchung hat J.M. Robinson schon 1971 in einem
Vortrag thematisiert.4

1 Kloppenborg Verbin, Excavating Q, 29, Anm. 19.


2 Kloppenborg, Q, 906; ders. in: Critical Edition of Q, 563; Morgenthaler, Statistik, 164.
Vgl. auch die Verszahlen nach Aland/Aland, Text, 39: Das Lukasevangelium hat 1151
Verse, das Markusevangelium 678 Verse, 2 Kor 256 Verse. Nach Fitzmyer (Gospel ac-
cording to Luke, 63. 75) besteht Q aus 230 Versen.
3 Der Mangel an einer allgemein akzeptierten Q-Rekonstruktion wurde immer wieder
beklagt. Vgl. Dorn, Gleichnisse, 1; Fitzmyer, Gospel according to Luke, 79; Schulz, Q,
17. Aufgrund der Arbeit des IQP jedoch »darf Q als eine erschlossene Größe gelten«
(Roloff, Jesusforschung, 25 - allerdings ohne das IQP ausdrücklich zu erwähnen).
4 Vgl. Robinson, Komposition*, 108: Es »lässt sich die Redaktionsgeschichte bei
Matthäus und Lukas weiter aufhellen, wenn man in den Fällen, wo der Wortlaut von Q
relativ sicher bestimmt werden kann, ihre Redaktionsarbeit an der Logienquelle unter-
sucht.« Ahnlich Kloppenborg, The Sayings Gospel Q: Literary and Stratigraphie Pro-
2 Fragestellung und Gang der Arbeit

Natürlich setzt jede Q-Rekonstruktion ein bestimmtes Bild lukanischer


Redaktionstätigkeit voraus, und man könnte daher einwenden, daß die jewei-
lige Q-Rekonstruktion die Art und Weise, wie Lukas Q redigiert habe, schon
festlegt. Demgegenüber ist mit U. Luz für Q-Studien generell zu sagen: »Der
zirkuläre Charakter ist unvermeidlich - aber man muß seine Voraussetzungen
mindestens benennen.«5 Die Voraussetzung der vorliegenden Studie ist vor
allem die Arbeit des IQP. Die etwa 40 Mitarbeiter des IQP stammen aus ver-
schiedenen wissenschaftlichen »Schulen« und haben über mehrere Jahre
hinweg aufgrund von detaillierten forschungsgeschichtlichen Sammlungen
und eigener Forschung das Spruchevangelium Q rekonstruiert. Damit hat der
rekonstruierte Q-Text m.E. eine solche »Objektivität« erreicht, die den fol-
genden Gang der Arbeit rechtfertigen kann:
Teile 2 bis 4 dienen der »Grundlegung« (Hauptabschnitt A). Teil 2 thema-
tisiert die vorausgesetzten Textgrundlagen der Arbeit. Die hier angenommene
Lösung der synoptischen Frage (§ 1) sowie der verwendete Q-Text (§ 2) wer-
den vorgestellt. Ferner werden kurz die Rolle des Thomas-Evangeliums für
die Rekonstruktion und Redaktion von Q (§ 3) sowie einige Einleitungsfra-
gen zum lukanischen Doppelwerk (§ 4) behandelt. Teil 3 bespricht kurz die
exegetischen Methoden, die der Arbeit zugrundeliegen. In Teil 4 sollen kurz
einige bedeutende bisherige Erklärungsversuche der lukanischen Q-Rezep-
tion vorgestellt werden.
Teil 5 (»Die lukanische Redaktion des Schlußteils von Q«) ist der exegeti-
sche Hauptteil der Arbeit (Hauptabschnitt B: »Textauslegung«). Die behan-
delten Texte bilden den umstrittenen Schlußteil des Spruchevangeliums (Q
13-17; 22,28.30), der von Lukas mit Sonderguttraditionen redaktionell kom-
biniert wurde.
Um das Profil der lukanischen Redaktion des Spruchevangeliums Q weiter
zu schärfen, systematisieren die Teile 6 bis 8 die bisherigen Ergebnisse und
nehmen das gesamte Spruchevangelium und das gesamte lukanische Doppel-
werk »handbuchartig« knapp in den Blick (Hauptabschnitt C: »Auswei-
tung«), Nach den exemplarischen Detailexegesen in Teil 5 wird nun die luka-
nische Q-Rezeption insgesamt untersucht. Teil 6 soll die seit einiger Zeit
heftig diskutierte Frage nach der literarischen Gattung von Q und deren Wei-
terentwicklung durch Lukas einer Antwort näherbringen.6 In Teil 7 geht es

blems, 58: »The reception of Q by Matthew and Luke and specifically, the way in which
each read Q, is a matter which has not yet received much attention.«
5 Luz, Matthäus und Q, 201.
6 Ähnlich wie die Gattungsfrage wären auch die formgeschichtlichen Themen »Wunder«
(vgl. Q 7,1-10.22), »Gleichnisse« (vgl. Kloppenborg, Jesus and the Parables of Jesus)
und »Chrien / Apophthegmen« (vgl. Schneider, Antworten) in diesem Zusammenhang
einer Untersuchung wert, müssen hier aber leider unberücksichtigt bleiben.
Fragestellung und Gang der Arbeit 3

um die sozialgeschichtliche Verortung von Q und deren redaktionelle Anpas-


sung durch Lukas. Als sozialgeschichtliche Beispiele dienen die Fragen nach
den Frauen (§ 28), nach Arm und Reich (§ 29) und nach Land und Stadt (§
30) in Q und im lukanischen Doppelwerk. Schließlich werden in Teil 8 ein-
zelne theologische Themen in Q sowie deren Redaktion durch Lukas unter-
sucht.7 Die Paragraphen in den Teilen 7 und 8 sind (idealerweise) in vier
Schritte gegliedert: a) Jüdische und griechisch-römische Umwelt, b) der hi-
storische Jesus, c) das Spruchevangelium Q, d) lukanisches Doppelwerk.
In den Teilen 5 bis 8 wird durchweg versucht, die theologischen Aussagen
in Q und deren lukanische Rezeption durch religions- und sozialgeschichtli-
che Kontextualisierung zu profilieren.
Teil 9 faßt die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit zur Rezeption von Q
bei Lukas zusammen und formuliert einige Folgerungen bezüglich Lukas und
seiner Theologie.
Um das Literaturverzeichnis am Ende des Buches zu entlasten, wurden
den einzelnen Paragraphen Spezialbibliographien beigegeben. Die hier ge-
nannten Publikationen werden nur in dem jeweiligen Paragraphen herange-
zogen und sind mit einem Asteriskus gekennzeichnet.

7 Das theologische Thema »Gebet« (vgl. Q 10,21; ll,2b-4.9-13) muß hier leider unbe-
rücksichtigt bleiben.
Α. Grundlegung

Teil 2
Die Textgrundlagen: Die synoptische Frage, Q und Lukas

Es müssen folgende Aspekte der Textgrundlagen dieser Untersuchung kurz


beleuchtet werden: die synoptische Frage, das Spruchevangelium Q, das lu-
kanische Doppelwerk, die Proto-Lukas-Hypothese und das Thomas-Evange-
lium.

§ 1 Allgemeines

Spezialliteratur
U. Bauer, Das synoptische Problem und die Zweiquellentheorie, BiKi 54 (1999) 54-62; M.-
É. Boismard, Art. Two-Source Hypothesis, ABD 6 (1992) 679-682; C.M. Tuckett, Art. Sy-
noptic Problem, ABD 6 (1992) 263-270.

Es kann hier nicht die gesamte Forschungsgeschichte zur Synoptischen Frage


aufgerollt werden; mit der Mehrheit der Neutestamentler1 werden in dieser
Untersuchimg folgende Voraussetzungen (»Zweiquellentheorie«) geteilt:2
• Zunächst wird von der Markuspriorität ausgegangen:3 a) Grundsätzlich
stimmen Matthäus und Lukas generell mit der markinischen Perikopenabfol-
ge überein; wenn Matthäus und/oder Lukas die markinische Akoluthie ver-
lassen, stimmen sie fast an keiner Stelle überein (»argument from order«).
Markus bildet also die gemeinsame »Achse« für Matthäus und Lukas, b)
Matthäus und Lukas verbessern ihre Markus-Vorlage sprachlich.
• Matthäus und Lukas benutzten Q (siehe unten § 2).

1 Stellvertretend seien genannt U. Bauer, Problem*; Broer, Einleitung, 39-53; Catchpole,


Quest, 1-59; Conzelmann/Lindemann, Arbeitsbuch, 67-74. 76-83; Kloppenborg Verbin,
Excavating Q, 11-111; Schnelle, Einleitung, 190-195. 221-226; Tuckett, Q and the Hi-
story of Early Christianity, 1-39.
2 Das IQP hat diese Voraussetzungen übernommen und sah sein Ziel nicht darin, die
Zweiquellentheorie erneut zu begründen; vgl. J.U. Robinson in: Critical Edition of Q,
lxvii, Anm. 156.
3 Vgl. ausführlich Goodacre, Synoptic Problem, 56-105.
§ 1 Allgemeines 5

• Matthäus und Lukas sind unabhängig voneinander. Sie übernahmen zwar


beide den markinischen Rahmen, fügten aber ab Q 6 den Q-StofF immer un-
terschiedlich in den Markus-Rahmen ein.4
• Matthäus und Lukas verwendeten eigenes Sondergut, das jedoch weder
bei Matthäus noch bei Lukas eine schriftliche Einheit darstellte (zu Lukas
siehe unten § 4).

4 Ausnahmen - wie Q 13,20 f. - bestätigen die Regel. Vgl. Neirynck, Argument from Or-
der.
§ 2 Das Spruchevangelium Q

Spezialliteratur
A. Fuchs, Zweiquellentheorie oder Deuteromarkus?, BiKi 54 (1999) 63-69; — Die Pharisä-
erfrage nach der Kaisersteuer. Mk 12,13-17 par Mt 22,15-22 par Lk 20,20-26, SNTU.A 26
(2001) 59-81; M.S. Goodacre, Goulder and the Gospels. An Examination of a New Para-
digm (JSNT.S 133), Sheffield 1996; M.D. Goulder, Luke. A New Paradigm (JSNT.S 20), 2
vol.s, Sheffield 1989; P.W. Haider, Der Hauran, in: Religionsgeschichte Syriens. Von der
Frühzeit bis zur Gegenwart, hg.v. P.W Haider u.a., Stuttgart u.a. 1996, 176-184; — Damas-
kus und Umgebung, ebda., 189-194; J.S. Kloppenborg Verbin, Is There a New Paradigm?,
in: Christology, Controversy and Community: New Testament Essays in Honour of David R.
Catchpole (NT.S 99), Leiden u.a. 2000, 23-47; G. Langer, Das Judentum in Syrien von den
Hasmonäern bis um 700 n.Chr., in: Religionsgeschichte Syriens. Von der Frühzeit bis zur
Gegenwart, hg.v. P.W. Haider u.a., Stuttgart u.a. 1996, 242-256; Z.U. Ma'oz, Art. Banias,
NEAEH 1 (1993) 136-143; Z.U. Ma'oz et al., Art. Golan, NEAEH 2 (1993) 525-546; J.
McRay, Art. Damascus. The Greco-Roman Period, ABD 2 (1992) 7 f.; J.M. Robinson, A
Critical Text of the Sayings Gospel Q, RHPhR 72 (1992) 15-22; E. Schweizer, Jesus, das
Gleichnis Gottes. Was wissen wir wirklich vom Leben Jesu? (Kleine Vandenhoeck-Reihe
1572), Göttingen 1995; D. Urman, Public Structures and Jewish Communities in the Golan
Heights, in: Ancient Synagogues. Historical Analysis and Archaeological Discovery (StPB
47/2), eds. D. Urman/P.V.M. Flesher, Leiden 1995, 373-617.

Mit J.P. Meier ist hier daran zu erinnern: »Any treatment o f Q should begin
with the disclaimer that Q is only a hypothesis.« 1 Daß dies so ist, liegt vor
allem an einem Argument, das gegen die Existenz von Q vorgebracht wird: 2
der Existenz von Minor Agreements, also der Übereinstimmung von
Matthäus und Lukas gegen Markus in Passagen, die beide aus dem Markus-
evangelium übernommen haben. Diese Übereinstimmung kann negativ in der
gemeinsamen Auslassung von Markus-Stoff begründet sein (vgl. Mk 4,26-
29) oder positiv in der gemeinsamen Änderung bzw. Ergänzung von Markus-
Tradition bestehen (vgl. Mt 26,68fin par. Lk 22,64fin gegen Mk 14,65). Als
m.E. hinreichende Gegenargumente werden schon lange genannt: zufällig
gleiche sprachliche und/oder theologische Redaktion von Matthäus und Lu-
kas, Einfluß mündlicher Tradition, Angleichung in der Textüberlieferung. 3
Daß Lukas Matthäus gekannt habe 4 oder daß bei den Minor Agreement-

1 Meier, Dividing Lines, 256.


2 Vgl. Conzelmann/Lindemann, Arbeitsbuch, 73 f. Zu den Minor Agreements als Argu-
ment gegen Q vgl. u.a. Goodacre, Synoptic Problem, 144-148; Goulder, Is Q a Jug-
gernaut?, 670 f.
3 Vgl. Luz, Evangelium nach Matthäus I, 50; Streeter, Four Gospels, 180 f. 293-332. Zur
Angleichung in der Textüberlieferung vgl. auch Robinson in: Critical Edition of Q, xci,
Anm. 3.
4 Dies wird u.a. vertreten von Gundry, Matthew; ders., Matthean Foreign Bodies; Mor-
§ 2 Das Spruchevangelium Q 7

Stellen Matthäus und Lukas ein anderes Exemplar des Markusevangeliums


(»Urmarkus« oder »Deuteromarkus«5) vorlag, ist weniger wahrscheinlich.6
Das heute am intensivsten propagierte Alternativ-Modell zur Zweiquel-
lentheorie ist die Griesbach-Theorie, wonach Lukas das Matthäusevangelium
benutzte, während Markus sowohl das Matthäus- wie auch das Lukasevange-
lium als Vorlage verwendet hat.7 Diese Neubelebung der synoptischen Frage
wurde vor allem von W. Farmer und seinen Mitarbeitern vorangetrieben.
Allerdings sprechen folgende Argumente für die Existenz eines schriftlichen,
griechischen Q-Dokuments:8 Die fast wörtlichen Übereinstimmungen von Lk
3,7-9; 11,19 f. 24-26. 31 f.; 13,34 f. mit den Matthäusparallelen sowie die
Übereinstimmungen in der relativen Abfolge von Q-Stoffen bei Lukas und
Matthäus legen nahe, daß den beiden Evangelisten Q in schriftlicher Form
vorlag. Darüber hinaus sind manche Konstruktionen in Q nur in griechisch
möglich; die Semitismen sind also kein ausreichendes Argument dafür, daß Q
eine Übersetzung aus dem Aramäischen sei.9

genthaler, Statistische Synopse, 300 f. Vgl. Neirynck, Recent Developments, 413 f.


Nach M.D. Goulder (Luke. A New Paradigm*; Is Q a Juggernaut?) kannte Lukas so-
wohl das Markus- wie auch das Matthäusevangelium; alle Hypothesen über vorkanoni-
sche Texte (Q, Proto-Lukas, Proto-Matthäus) seien abzulehnen. Vielmehr seien die
Evangelisten sehr kreative Autoren gewesen, die sich hauptsächlich von liturgischen
Vorgaben inspirieren ließen. Goulder weist z.B. darauf hin, daß Lukas von allen Evan-
gelisten die ausgeprägteste Tendenz habe, den Stil seiner Quellen zu imitieren und damit
selbst einen »unlukanischen« Stil zu pflegen. Lukas habe von allen Evangelisten das
größte Vokabular, die größte Zahl von hapax legomena und den stärksten Hang, seine
Synonyme zu wechseln. Ferner fuhrt Lukas, so Goulder, mehr eigene hapax legomena
in seine Markus-Redaktion ein als er selbst markinische hapax legomena übernimmt.
Zur Kritik an dieser überschätzten »lukanischen Kreativität« vgl. Tuckett, Q and the Hi-
story of Early Christianity, 23; insgesamt ferner Kloppenborg Verbin, New Paradigm*.
Eine sympathisierende Kritik von Goulders Thesen bietet Goodacre, Goulder*. Vgl. nun
die ausführliche Kritik an der Q-Hypothese bei Goodacre, Synoptic Problem, 122-161.
Wie Goulder akzeptiert Goodacre die Markuspriorität, lehnt aber die Existenz von Q mit
der Hypothese von der Benutzung des Matthäusevangeliums durch Lukas ab.
5 Die »Deuteromarkus-Hypothese« wird vor allem von A. Fuchs und seinen Schülern
vertreten. Demnach wurde das kanonische Markusevangelium sekundär bearbeitet.
Matthäus und Lukas hätten diese bearbeitete Fassung des Markusevangeliums
(»Deuteromarkus«) vor sich gehabt. Vgl. Fuchs, Zweiquellentheorie*; ders., Pharisäer-
frage*, 80, Anm. 64 (mit Polemik gegen das IQP). Ohne die spezifische Hypothese von
A. Fuchs zu teilen, nehmen auch H. Koester, U. Luz, G. Strecker und sein Schüler U.
Schnelle verschiedene Markus-Rezensionen an; vgl. Koester, Gospels, 273-286; Luz,
Evangelium nach Matthäus I, 48. 50; Schnelle, Einleitung, 194 f. 198; Strecker, Litera-
turgeschichte, 153.
6 So auch Conzelmann/Lindemann, Arbeitsbuch, Ti f.
7 Vgl. Goodacre, Synoptic Problem, 22 f.; Tuckett, Revival.
8 Vgl. ausfuhrlich Broer, Einleitung, 54-60; Catchpole, Quest, 1-59; Goodacre, Synoptic
Problem, 106-121; Kloppenborg Verbin, Excavating Q, 11-111; Stanton, Gospels, 86-
89; Tuckett, Q and the History of Early Christianity, 1-39; Vassiliadis, ΛΟΓΟΙ ΙΗΣΟΥ,
1-38.
9 So schon Wernle, Synoptische Frage, 229: »Zu Rückschlüssen auf ein aramäisches Ori-
δ Die Textgrundlagen

Die »Major Agreements« sind als »Doppelüberlieferungen« (»Mark-Q


Overlaps«) zu erklären: Markus und Q teilen unabhängig voneinander die
gleiche Tradition. Matthäus und Lukas haben die beiden Versionen der glei-
chen Tradition entweder vereinigt, nur eine oder beide Versionen verwendet.
Vor allem Lukas hat häufiger sowohl die Q- wie die Markusversion über-
nommen und damit »Dubletten« geschaffen. Diese Gewohnheit, eine einzige
Quelle für längere Teile seiner Erzählung zu wählen statt mehrere Quellen
zusammenzuarbeiten, teilt Lukas mit anderen antiken Geschichtsschreibern
und ist gut bekannt.10
Um das Spruchevangelium Q unter Berücksichtigung der umfangreichen
Forschungsliteratur bezüglich jeder Variante zwischen Matthäus und Lukas
zu rekonstruieren, gründete J.M. Robinson 1989 das International Q Pro-
ject." Von 1993 bis 2000 arbeitete der Bamberger Lehrstuhl für neutesta-
mentliche Wissenschaften unter Leitung von P. Hoffmann am IQP mit. Die
Arbeit des IQP wurde 1996 mit den letzten Entscheidungen zur Q-Rekon-
struktion abgeschlossen. Seitdem werden die Ergebnisse des Projekts durch
das »Editorial Board« des IQP unter Leitung von J.M. Robinson, P. Hoff-
mann und J.S. Kloppenborg Verbin in der Reihe »Documenta Q« (Leuven
1996 ff.) publiziert. Darüber hinaus erarbeiteten J.M. Robinson, P. Hoffmann
und J.S. Kloppenborg Verbin eine revidierte Fassung der IQP-Rekonstruk-
tion, die als Critical Edition of Q im Jahr 2000 veröffentlicht worden ist.
Durch die forschungsgeschichtlich wie argumentativ überaus intensive wie
extensive Rekonstruktion des IQP kann man nicht mehr davon reden, die Q-
Rekonstruktion stehe auf literarkritisch relativ unsicheren Beinen. Meine ei-
gene Q-Rekonstruktion lehnt sich meist eng an die Rekonstruktion der Criti-
cal Edition an.
Der schon erwähnte J.P. Meier schreibt über die Q-Forschung der letzten
beiden Jahrzehnte: »My ability to believe in hypotheses is exhausted by my
acceptance of the existence of Q. The further hypotheses about Q developed
in recent years leave me a total skeptic.«12 Meier kritisiert vor allem
»barocke« Theorien zur »Q-Gemeinde« und zu Modellen unterschiedlicher

ginal ist kein Anlaß gegeben.« Gegen die These einer aramäischen Grundfassung von Q
vgl. femer Heil, Q-Rekonstruktion, 129; Kloppenborg, Formation, 51-64; ders., Exca-
vating Q, 72-80; Robinson in: Critical Edition of Q, xxx-xxxiii. Zu den dort genannten
Vertretern eines ursprünglich aramäischen Q-Textes ergänze Schenke/Fischer, Einlei-
tung II, 24. 62.
10 Vgl. Walsh, Livy, 141 f.
11 Vgl. Heil, Spruchevangelium; ders., Das Internationale Q-Projekt; Neirynck, Project;
Robinson, Critical Text*. Schon 1983 gründete J.M. Robinson das »Q Seminar« (seit
1990 »Q Section«) in der Society of Biblical Literature. Die »Q Section« setzt ihre Ar-
beit weiterhin fort.
12 Meier, Dividing Lines, 258.
§ 2 Das Spruchevangelium Q 9

Traditionsschichten in Q. Diese Kritik ist zum guten Teil berechtigt, 13 und


daher wird in dieser Untersuchung kein stratigraphisches Modell der Entste-
hung von Q vorausgesetzt. 14 Allerdings ist zu beachten, daß natürlich die
Unterscheidung von Tradition und Redaktion an sich fur Q nachweisbar ist:15
Vorgegebene, traditionelle Logienkomplexe wurden von der »Q-Redaktion«
verarbeitet.
In der vorliegenden Untersuchung geht es jedoch vor allem um die Q-Vor-
lage, die Lukas kannte. Dabei wird auch nicht in Q MI und QLk unterschieden. 16
Allerdings wird hier davon ausgegangen, daß das »Spruchevangelium« Q (zu
dieser Bezeichnung vgl. § 25) eine eigene Gemeinde voraussetzt. 17 Q ist nicht
in luftleerem Raum entstanden. Die genaue Beschreibimg dieser »Q-Ge-
meinde« gehört zwar nicht zu den zentralen Anliegen dieser Arbeit, aber ei-
nige (nüchterne) Beobachtungen mögen im Gang der Untersuchung erlaubt
sein.
Es wird hier mit P. Hoffmann vorausgesetzt, daß Q zwar alte Traditionen
der galiläischen Jesusanhänger enthält, aber - vor allem aufgrund der Datie-
rung von Q 13,34 f. 18 - erst während des Jüdischen Krieges endgültig zu-
sammengestellt wurde: 19

13 Eine zu große Zurückhaltung Meiers gegenüber der Q-Forschung kritisiert Crossati,


Birth, 111.
14 Das einflußreichste Modell zur Entstehung des Spruchevangeliums liegt zweifellos bei
Kloppenborg, Formation, vor. Eine Revision von Kloppenborgs Modell legte Mack
(Gospel) vor. In der deutschsprachigen Forschung wurde das Modell Kloppenborgs bis-
her vor allem von Kristen (Familie; Nachfolge) übernommen. Zur Kritik an Kloppen-
borg vgl. jedoch P. Hofmann, QR, 268 f.; Schröter, Erinnerung, 115-118. 468-472;
Tuckett, Q and the History of Early Christianity, 69-74; Zeller, Grundschrift.
15 U.a. gegen Theißen, Studien, 184, Anm. 52; Schröter, Erinnerung, 103 f. mit Anm. 205;
141-143 und passim. Daß Tradition und Redaktion in Q zu unterscheiden ist, haben u.a.
folgende Arbeiten gezeigt: Liihrmann, Redaktion; P. Hoffmann, Studien zur Theologie
der Logienquelle; Kloppenborg, Formation.
16 Vgl. Arnal, Jesus, 246 f., Anm. 11; Fitzmyer, Gospel according to Luke, 80; P. Hoff-
mann, Betz and Q, 202 f. (202: »To posit QMatt and QLul" should ... be a last resort.«);
Kloppenborg Verbin, Excavating Q, 104-110 (differenzierend 130, Anm. 24); Neirynck,
QM| and Q u . Gegen Bultmann, Geschichte, 354; Dorn, Gleichnisse, 2; Hengel/Schwe-
mer, Paulus, 59; Luz, Evangelium nach Matthäus I, 48. 50; Meier, Dividing Lines, 257;
Schenke/Fischer, Einleitung II, 25 f.; Theißen, Studien, 183 mit Anm. 52; Wernle, Syn-
optische Frage, 231-233; Zeller, Logienquelle, 658.
17 Gegen Schweizer, Jesus*, 19 f. und mit Kloppenborg Verbin, Excavating Q, 416-419;
Roloff, Jesusforschung, 26: »Die Sammlung Q ist auf den Gebrauch durch einen be-
stimmten Trägerkreis hin konzipiert.«
18 Siehe unten S. 64-66.
19 P. Hoffmann, QR, 278. So auch Lindemann: »kurz vor der Zerstörung Jerusalems 70
n.Chr.« (Conzelmann/Lindemann, Arbeitsbuch, 82 f.); Myllykoski, Social History of Q,
bes. 178-180. 199 (»presumably around 75 C.E.«). Gegen Liihrmann, Redaktion, 88
(»in der hellenistischen Gemeinde etwa der 50er oder 60er Jahre«); Schnelle, Einleitung,
226 (»zwischen 40 und 50 n.Chr.«); Theißen, Lokalkolorit, 244 (»am ehesten in die 40er
Jahre datieren«); Theißen/Merz, Jesus, 45 (»sicher vor dem jüdischen Krieg und der
10 Die Textgrundlagen

Wenn wir für QR die Zeit um 70 und flir MtR die 80er Jahre voraussetzen, handelt es sich
um eine Spanne von zehn bis maximal zwanzig Jahren. Dadurch wird nochmals deutlich,
daß QR in dem frühchristlichen Traditionsprozess vom Jesus der Geschichte hin zum
Matthäusevangelium tatsächlich nur eine »Zwischenetappe« darstellt. Dies könnte erklären,
warum uns Q nicht als selbständiges Dokument, sondern nur in der Rezeption durch die
Großevangelisten erhalten ist.
Da sich die in Q artikulierenden Jesusanhänger nicht am Krieg beteiligt ha-
ben und während bzw. nach der römischen Invasion 67 n.Chr. aus Galiläa
geflohen sind,20 fand die Endredaktion von Q wohl im südlichen syrischen
Raum statt21 - vielleicht in den Landschaften, die dem Tetrarch Philippus ( |
34 n.Chr.) unterstanden und dann seit 53 n.Chr. zum Gebiet Agrippas II. ge-
hörten: Gaulanitis, Batanäa, Trachonitis und Auranitis.22 Wenn an Städte als
Entstehungsort fur QR gedacht werden kann, kommen das zum Gebiet Agrip-
pas II.23 gehörende Caesarea Philippi24, das zur Provinz Syrien gehörende

Tempelzerstörung«); Rolo ff, Jesusforschung, 25 (»das Jahrzehnt zwischen 40 und 50«);


Zeller, Logienquelle, 658 (»um 60 nC«), Vgl. auch U. Luz, Evangelium nach Matthäus
III, 370, Anm. 18: »im Vorfeld des Jüdischen Kriegs?«.
20 Die Römer eroberten Galiläa im Sommer 67 n.Chr.; bis November 67 n.Chr. war auch
der letzte galiläische Widerstand gebrochen. Vgl. Horsley, Galilee, 89 f.; Schürer, Histo-
ry I, 491-496. Mit der Flucht der Jesusanhänger aus Galiläa 67 n.Chr. endet die kurze
Geschichte der galiläischen Jesusbewegung. Bis weit ins vierte Jh. n.Chr. gibt es keine
christlichen Zeugnisse in Galiläa. Vgl. Horsley, Galilee, 104-106.
21 Vgl. P. Hoffmann, QR, 278; ähnlich Zeller, Logienquelle, 658 (»vermutlich in Syrien«),
Gegen Schnelle, Einleitung, 226 (»vermutlich in [Nord-]Palästina«); Theißen, Lokalko-
lorit, 232-245. Liihrmann spricht sich für den »syrischen Raum« als Abfassungsort von
Q aus (Redaktion, 88), begründet dies aber mit Q 10,21 f., einem Text, der auf die
»griechisch sprechende hellenistische Gemeinde« zurückgehe (85), sowie mit der in Q
vorausgesetzten Heidenmission (86). Nach Schulz (Q, 481) stammen die »jüngeren,
hellenistisch-judenchristlichen Q-Stoffe« aus »Transjordanien-Dekapolis«. Völlig ab-
wegig meinen Hengel/Schwemer (Paulus, 59 mit Anm. 210), daß Q auf die Kreise der
»Hellenisten« (Apg 6,1) zurückgehe und daß daher »für die Fixierung der Sammlung
von Q am ehesten Jerusalem in Frage kommt (vgl. Lk 13,34f = Mt 23,37-39). Vielleicht
war die älteste Fassung mit dem Namen des Matthäus verbunden und hat dann später a
parte potiori dem 1. Evangelium den Namen gegeben.« (Ironischerweise verbinden
Hengel/Schwemer ihre eigene Spekulation mit einer Polemik gegen die »analytische
Phantasie« der jüngeren Q-Forschung; ebda., 59, Anm. 210.)
22 Vgl. Josephus, Ant. 17,189.319, Bell. 2,95 und Tübinger Bibelatlas, Karten Β V 17.1
und 18. Umgangssprache war hier aramäisch; vgl. Jones, Greek City, 290: »From the
epigraphic evidence it would appear that even in Batanaea, Trachonitis, and Auranitis,
admittedly backward districts, where cities were rare and village life was the rule, Greek
was nevertheless universally spoken: the thousands of inscriptions, some recording the
humblest villagers, are all in Greek. One inscription, which records an interpreter of the
procurators, destroys the illusion.«
Lk 3,1 nennt nur »Ituräa« und Trachonitis als Herrschaftsgebiet des Philippus (vgl.
Fitzmyer, Gospel according to Luke, 457). Nach dem Tod des römischen Vasallenkönigs
Agrippa II. ca. 92/93 n.Chr. kam sein Gebiet zur römischen Provinz Syrien. Zu den seit
ca. 100 v.Chr. durch die Nabatäer besiedelten Landschaften Auranitis und Trachonitis
vgl. auch Haider, Hauran*.
23 Zu Agrippa II. vgl. Schürer, History I, 471-483; speziell zur Datierung seines Todes
(92/93 oder 100) vgl. Flavius Josephus. Aus meinem Leben (Vita), hg.v. Siegert u.a.,
§ 2 Das Spruchevangelium Q 11

Damaskus25 oder vielleicht auch Betsaida-Iulias26 in Frage. In allen genannten


Landschaften und Städten gab es starke jüdische Minderheiten,27 und die rab-
binische Tradition zählte diese Gebiete zum »Land Israel«, in dem die rabbi-
nischen Gesetze ohne Einschränkung galten.28
Der Jüdische Krieg 66/70 n.Chr. wirkte auch ins südliche Syrien: Die von
Josephus berichteten jüdischen Angriffe u.a. auf Orte der Dekapolis, die
Landschaft Gaulanitis und Caesarea Philippi 66 n.Chr. (Bell. 2,458-460) wa-
ren eine Reaktion auf das Judenpogrom von Caesarea am Meer (Bell.
2,457).29 Hintergrund für die Ausweitung des Konflikts in das Ostjordanland
waren Spannungen mit der dortigen Bevölkerung, die seit der hasmonäischen

180.
24 Philippus gnindete Caesarea Philippi 2 oder 1 v.Chr. als Hauptstadt seiner Tetrarchie zu
Ehren des Kaisers Augustus (vgl. Josephus, Bell. 2,168; Ant. 18,28). Agrippa II., der im
Jüdischen Krieg mit den Römern kooperierte, gründete die Stadt im Jahr 61 neu unter
dem Namen »Neronias« (Josephus, Ant. 20,211) und machte sie zur Hauptstadt seines
Reiches. Im Markusevangelium wird Caesarea Philippi als Ort des »Petrusbekenntnis-
ses« genannt (Mk 8,27 par. Mt 16,13), Lukas streicht jedoch die Ortsangabe (Lk 9,18).
Er erwähnt die Stadt auch sonst in seinem Doppelwerk nicht. Zum (eher geringen) jüdi-
schen Bevölkerungsanteil in Caesarea Philippi vgl. Josephus, Vita 49-61. 74-76; ferner
Ma'oz, Banias*, 138; Urman, Public Structures*, 389 f.; Schürer, History II, 169-171.
25 Vgl. Haider, Damaskus*; Hengel/Schwemer, Paulus, 80-101.139-146; Schürer, History
II, 127-130. Seit 62 n.Chr. unmittelbar unter römischer Verwaltung stehend, hatte Da-
maskus unter den syrischen Städten eine der größten jüdischen Bevölkerungen; vgl.
Langer, Judentum*, 242 f. 248. Auch nach dem Jüdischen Krieg gab es wohl eine grö-
ßere griechisch-sprechende, judenchristliche Gemeinde; vgl. McRay, Damascus*, 8:
»Apparently in the synagogues there were Christians who maintained their Jewish iden-
tity. There was in Damascus a large Jewish community which may in some way have
been affiliated with the Qumran Community (Essenes) near the Dead Sea (CD 6). Jose-
phus records (JW 2.561) that during the First Revolt, the people of Damascus slaughte-
red 10,500 Jews (A.D. 66).« M. Hengel (Geschichtsschreibung, 66 f.) spekuliert: »Es ist
durchaus möglich, daß sich schon von Galiläa aus in den benachbarten Städten der phö-
nizischen Küste, in Damaskus oder im Ostjordanland kleine judenchristliche Gemeinden
gebildet hatten. ... Zuverlässige Nachrichten darüber besitzen wir jedoch nicht.« Im
Neuen Testament wird die Stadt außer von Paulus (2 Kor 11,32; Gal 1,17) nur von Lu-
kas in der Apostelgeschichte erwähnt (9,2-27; 22,5-11; 26,12.20).
26 Vgl. unten S. 252 f.
27 Josephus schreibt über die βασιλεία des Agrippa: οίκοΰσι δ' αύτήν μιγάδες 'Ιουδαίοι
τε και Γύροι (Bell. 3,57). Vgl. Langer, Judentum*, 243 (»Insgesamt dürften etwa 15%
der Einwohner Syriens Juden gewesen sein, was bei einer durchschnittlichen jüdischen
Bevölkerung von 7% im Römischen Reich eine relativ sehr große Zahl bedeutete«);
Schürer, History ΠΙ/1, 13-15. Speziell für die Gaulanitis vgl. Urman, Public Structures*,
bes. 379-385. 607-617. Im Gefolge des Jüdischen Krieges wurde die jüdische Einwoh-
nerschaft in der Gaulanitis jedoch radikal dezimiert; vgl. Ma 'oz et al., Golan*, 526.536.
28 Vgl. Langer, Judentum*, 246-248. »Mit Sicherheit hatten zahlreiche galiläische Juden
das angrenzende Syrien als attraktives Domizil erkoren, in dem die durch Steuerlast und
wirtschaftlichen Niedergang zur immer stärkeren Belastung gewordenen Bodengesetze
umgangen werden konnten. Die weitestmögliche Angleichung Syriens an Israel [sei.
seitens der Rabbinen] wollte dieser Tendenz entgegenwirken und die Auswanderung er-
schweren« (ebda., 247).
29 Vgl. Feldman, Jew and Gentile, 118-120.
12 Die Textgrundlagen

Eroberung vielfach antijüdisch eingestellt war. Eine direkt antirömische Aus-


richtung hatten die jüdischen Übergriffe auf das Gebiet der Dekapolis im Jah-
re 66 nicht. Die Römer waren in die Auseinandersetzungen auch nicht invol-
viert.30 Die Antwort der syrischen Bevölkerung ließ nicht auf sich warten:
Die Syrer ihrerseits brachten nicht weniger Juden um; sie töteten vielmehr alle, die sie in
ihren Städten ergreifen konnten, und zwar nicht allein aus Haß wie früher, sondern auch, um
der ihnen selbst drohenden Gefahr zuvor zu kommen. (Josephus, Bell. 2,461; vgl. Bell.
2.461-465)31
Josephus berichtet auch von der massenhaften Ermordung von Juden in Da-
maskus (Bell. 2,559-561).
Selbst wenn die Q-Gruppe also aus dem unmittelbaren Kriegsgebiet geflo-
hen war, war sie als »jüdische Gruppe« im südlichen Syrien vor Verfolgun-
gen nicht sicher - sowohl durch Römer wie auch besonders durch Juden, die
in Zeiten der Unterdrückung Konformität und Loyalität forderten.

30 Vgl. Theißen, Lokalkolorit, 116-118.


31 Zum Judenhaß in syrischen Städten vgl. auch Josephus, Bell. 2,502.
§ 3 Das Thomas-Evangelium

Spezialliteratur
R. Cameron, Art. Thomas, Gospel of, ABD 6 (1992) 535-540; Β. Dehandschutter,
L'Évangile selon Thomas. Témoin d'une tradition prélucanienne?, in: L'Évangile de Luc -
The Gospel of Luke. Revised and Enlarged Edition of »L'Évangile de Luc. Problèmes litté-
raires et théologiques« (BEThL 32), ed. F. Neirynck, Leuven 1989, 197-207. 324-326; RH.
Gundry, Spinning the Lilies and Unravelling the Ravens: An Alternative Reading of Q
12.22b-31 and P.Oxy. 655, NTS 48 (2002) 159-180; S R. Johnson, Seeking the Imperishable
Treasure: Wealth, Wisdom and a Saying of Jesus in the New Testament, the Gospel of Tho-
mas and Q, Ph.D. diss., Claremont, CA 1998; H.-J. Klauck, Apokryphe Evangelien. Eine
Einfuhrung, Stuttgart 2002; S.E. Porter, P.Oxy. 655 and James Robinson's Proposals for Q:
Brief Points of Clarification, JThS 52 (2001) 84-92; G.J. Riley, Influence of Thomas Chri-
stianity on Luke 12:14 and 5:39, HThR 88 (1995) 229-235; J.M. Robinson, Die Bedeutung
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(NT.S 74), Leiden 1994, 23-41; — A Written Greek Sayings Cluster Older Than Q: A Ve-
stige, HThR 92 (1999) 61-77; J. Schröter, Vorsynoptische Überlieferung auf P.Oxy. 655?
Kritische Bemerkungen zu einer erneuerten These, ZNW 90 (1999) 265-272; — Rezepti-
onsprozesse in der Jesusüberlieferung: Überlegungen zum historischen Charakter der neute-
stamentlichen Wissenschaft am Beispiel der Sorgensprüche, NTS 47 (2001) 442-468; —
Verschrieben? Klärende Bemerkungen zu einem vermeintlichen Schreibfehler in Q und tat-
sächlichen Irrtümern, ZNW 92 (2001) 283-289; C.M. Tuckett, The Gospel of Thomas. Evi-
dence for Jesus?, NedThT 52 (1998) 17-32; J.W. Wevers, Apologia pro Vita Mea: Reflecti-
ons on a Career in Septuagint Studies, BIOSCS 32 (1999) 65-96.

»Obwohl manche Forscher die Meinung vertreten, das Thomasevangelium


(EvThom) sei von den kanonischen Evangelien abhängig und darum ohne
eigenen Quellenwert, gewinnt eine differenziertere Einschätzung mehr und
mehr an Boden.« 1 Wie auch immer man die Schluß-Redaktion des EvThom
datiert, ist m.E. davon auszugehen, daß es sehr altes Material enthält, das in
einigen Fällen mit begründeter Wahrscheinlichkeit so weit w i e die synopti-
schen Evangelien zurückreicht. Manchmal sind hier tatsächlich vorkanoni-
sche Traditionen bewahrt worden, 2 ja sogar im Vergleich zu Q manchmal äl-
tere Textdetails. 3

1 Roloff, Jesusforschung, 27. So u.a. auch van Aarde, Fatherless, 36, Anm. 113: »The lo-
gia [sel. des EvThom] should be scrutinized historical-critically one by one in order to
decide in favor of independence or dependence [sei. bezüglich der synoptischen Evan-
gelien].« So auch Klauck, Evangelien*, 145. 161.
2 Roloff (a.a.O.) nennt als Beispiele EvThom 31 gegenüber Mk 6,1-8 und EvThom 65
gegenüber Mk 12,1-12. Auch Bovon (Evangelium nach Lukas II, 299) räumt ein, daß
das EvThom »Sprüche festhält, die manchmal älter sind als Q«. U.a. gegen Schmithals,
Einleitung, 401 f.
3 P.Oxy. 655 (EvThom 36) setzt an mehreren Stellen Q 12,22-31 bzw. die jeweiligen
14 Die Textgrundlagen

Mit dem IQP wird daher hier nicht ausgeschlossen, daß im EvThom alte
Traditionen enthalten sind, die für die Q-Rekonstruktion relevant sein kön-
nen. Das EvThom wird daher mit in die Untersuchung einbezogen, wie es
auch in der Critical Edition of Q für die Q-Rekonstruktion ausführlich und
kritisch ausgewertet wurde.4 Dabei ist jedes Thomas-Logion für sich zu un-
tersuchen; die traditionsgeschichtliche Analyse kann für verschiedene Logien
unterschiedlich ausfallen. Daher muß jede Q-Parallele im EvThom, vor allem
auch die griechischen Fragmente, immer mitbeachtet und individuell analy-
siert werden.5 Die Diskussion über die Beziehung des EvThom zu Q und zu
den synoptischen Evangelien ist noch nicht befriedigend abgeschlossen, und
deswegen sollten keine übergreifenden Thesen die Detailexegese ersetzen.
Mit J.M. Robinson muß jedoch festgehalten werden, daß EvThom noch am
Strom der mündlichen Überlieferung teilhat und nicht allein auf die kanoni-
schen Evangelien und die gnostische Mythologie festgelegt war.6
Allein ausschlaggebend für eine bestimmte Q-Rekonstruktion ist das Ev-
Thom im IQP aber nie geworden.7 Die Parallele Lk 12,52 // EvThom 16 hat
z.B. manche Exegeten trotz fehlender Matthäus-Parallele davon überzeugt,
daß es sich hier um einen Q-Text handelt.8 Im entsprechenden Documenta Q-
Band hat der gewiß unverdächtige J.M. Robinson nachgewiesen, daß Thomas
hier von Lukas abhängig ist.9 Wenn überhaupt kam das EvThom nur als un-

Matthäus- und Lukas-Versionen nicht voraus. Teile von Q 12,22-31, die von mehreren
Exegeten als sekundäre Hinzufügungen erachtet werden, fehlen auch in P.Oxy. 655.
Vgl. Robinson/Heil, Zeugnisse; Robinson, Written Greek Sayings Cluster*; ders., Pre-Q
Text; ders. in: Critical Edition of Q, xciii, xcix-ci, cvii; Robinson/Heil, Lilies; dies.,
Schreibfehler. Damit wird jedoch nicht die These von Koester (Gospels, 86-95; Q, 60 f.)
geteilt, nach der sehr frühe Sammlungen von Worten Jesu, die dem weisheitlichen Ca-
stratami zugrunde lagen, eng verwandt sind mit Traditionen, die der Autor des Thomas-
evangeliums für seine Komposition verwendete. Zur weiteren Diskussion vgl. Schröter,
Vorsynoptische Überlieferung*; ders., Rezeptionsprozesse*; ders., Verschrieben?*;
Porter, P.Oxy. 655*; Robinson/Heil, P.Oxy. 655 und Q; Gundry, Spinning*.
4 Vgl. Heil, Q-Rekonstruktion, 135 f.
5 Vgl. Robinson, Pre-Q Text, 153: »Each saying must be approached with an open mind,
for the pre-history of each saying must be inductively worked out, to the extent possible,
one by one, for the text itself.«
6 Robinson, Bridging the Gulf; ders., Nag Hammadi, 106 f. J.M. Robinson verweist etwa
auf EvThom 9 (diff. Mk 4,1-12.13-20) und EvThom 65 (diff. Mk 12,1-9.10 f.), wo je-
weils die im Markusevangelium angehängte, sekundäre allegorische Interpretation fehlt.
S.R. Johnson hat kürzlich in einer bei J.M. Robinson verfaßten Dissertation dafür plä-
diert, daß Lk 12,33 von Q 12,33; Mk 10,21 und EvThom 76,3 abhängig sei. Vgl. S.R.
Johnson, Seeking*, 178 und passim.
7 Eine Ausnahme von dieser Regel scheint bei Lukas 17:20-21 par. EvThom 3, 113 vor-
zuliegen; vgl. Critical Edition of Q, 494-499. Während P. Hoffmann hier mit der Wahr-
scheinlichkeit {B} keinen Q-Text rekonstruiert, reklamieren J.M. Robinson und J.S.
Kloppenborg mit der Wahrscheinlichkeit {C} eine Q-Vorlage. Vgl. unten S. 166 f.
8 Vgl. Garsky et al., Q 12:49-59, 108-112.
9 Ebda, 119-121.
§ 3 Das Thomasevangelium 15

terstützendes, »konvergierendes« Argument ins Spiel. Methodisch erscheint


es jedoch unabdinglich, das Thomasevangelium in der Q-Forschung sehr
ernstzunehmen: Nicht so sehr, um direkte Anhaltspunkte für die Q-Rekon-
struktion zu erhalten, sondern um anhand von literarischen und traditionsge-
schichtlichen Parallelen und Unterschieden ein besseres Profil von Q zu ge-
winnen. Es geht darum, sozusagen ein »Gefühl« für den Q-Text zu entwik-
keln.10

10 Vgl. die Analogie bei der kritischen Edition der LXX, formuliert von Wevers, Apologia,
71: »The problem with establishing a critical text is simply put: one can only establish
the critical text if one knows the textual history thoroughly, but one can establish the
textual history only insofar as it is distinct from the original text. One is forced to work
within these parameters, hopefully in ever narrowing circles until one reaches some
point of no return. It means learning through constant living with the text... Eventually
one makes tentative decisions. It's a slow process, and certainly is never fully attainable,
but it remains a challenge.«
§ 4 Das lukanische Doppelwerk

Lukasevangelium und Apostelgeschichte

Spezialliteratur
J.M. Dawsey, The Literary Unity of Luke-Acts: Questions of Style - A Task for Literary
Critics, NTS 35 (1989) 48-66; W.M.L. de Wette, Kurzgefaßtes exegetisches Handbuch zum
Neuen Testament. 1/2: Kurze Erklärung der Evangelien des Lukas und Markus. Dritte, von
neuem durchgesehene Ausgabe, Leipzig 1846; LH. Marshall, Acts and the >Former Treatise<,
in: The Book of Acts in Its Ancient Literary Setting (The Book of Acts in Its First Century
Setting 1), eds. B.W. Winter/A.D. Clarke, Grand Rapids, Ml/Carlisle, UK 1993, 163-182;
R.I. Pervo, Must Luke and Acts Belong to the Same Genre?, SBL.SP 28 (1989) 309-316.
Bei der Untersuchung des Lukasevangeliums muß die lukanische Apostelge-
schichte voll einbezogen werden.1 Schon W.M.L. de Wette hat richtig gefor-
dert: »Das Ev. des Luk. bildet mit seiner Apostelgeschichte ein Ganzes, und
der Kritiker muss bei Beurtheilung des erstem auf die Beschaffenheit der
letztem Rücksicht nehmen.«2 Der große Althistoriker E. Meyer formulierte
bezüglich der Einheitlichkeit von Lukasevangelium und Apostelgeschichte:
»Daß in Wirklichkeit der Titel der beiden Bücher einheitlich und der Verfas-
ser genannt war, kann keinem Zweifel unterliegen.«3 Diese Einheit des luka-
nischen Doppelwerks erfahrt durch die auf HJ. Cadbury (The Making of Lu-
ke-Acts, 1927) zurückgehende Bezeichnung »Luke-Acts« eine besondere
Betonung.4 Mit diesem Urteil über die enge literarische und theologische
Einheit des lukanischen Doppelwerks gab sich die neutestamentliche For-
schung jedoch nicht so leicht zufrieden.5 Häufig wurde etwa die einheitliche
Gattung des lukanischen Doppelwerks bestritten,6 wohl zu Recht, da es antike
Beispiele von Fortsetzungswerken gibt, die nicht der gleichen Gattung ange-

1 Als Textgrundlage wird wie allgemein üblich die 27. Auflage des »Nestle-Aland«
(1993) verwendet.
2 Vgl. de Wette, Handbuch*, 3. So auch E. Meyer, Ursprung I, 3 f.
3 E. Meyer, Ursprung I, 3.
4 Cadbury, Making, 11 (vgl. ebda., 7-11). Parsons/Pervo (Rethinking, 3 f. 19) machen
darauf aufmerksam, daß Cadbury die Bezeichnung »Luke-Acts« schon seit 1925 in sei-
nen Publikationen verwendete, allerdings ohne sie ausdrücklich zu begründen.
5 Zu dieser Frage vgl. Dawsey, Literary Unity*; Sterling, Historiography and Self-Defini-
tion, 331-339; Green, Gospel of Luke, 6-10; Strecker, Literaturgeschichte, 234 f.
6 Cf. von Bendemann, ΔΟΞΑ, 354 f.; Cadbury, Making, 10; Dibelius, Aufsätze, 10; Pervo,
Luke and Acts*; Burridge, Gospels, 244-247; Parsons/Pervo, Rethinking, 13-16. 20-
44. 119 f. Pace Aune, The New Testament, 80 (»Luke-Acts must be treated as affiliated
with one genre, ...«); Marshall, Acts and the 'Former Treatise'*, 178-180; Pokorny,
Theologie, 24-31.
§ 4 Das lukanische Doppelwerk 17

hören und sich zum Teil auch - wie Lukasevangelium und Apostelgeschichte
- überschneiden. Man vergleiche etwa den Übergang von historiographi-
schem zu biographischem Erzählen in Plutarchs Doppelbiographie Galba und
Otho. D. Frickenschmidt bezeichnet deshalb Lukasevangelium und Apostel-
geschichte als »biographisch-historiographisches Doppelwerk«.7 Der Über-
gang vom Lukasevangelium zur Apostelgeschichte ist also eine μετάβασις
εις άλλο γένος, vom biographischen zum historiographischen Genre.

Redaktionsgeschichtliche Ergebnisse zur lukanischen Markus-Rezeption

Spezialliteratur
F.C. Burkitt, The Use of Mark in the Gospel according to Luke, in: The Beginnings of Chri-
stianity. Part 1: The Acts of the Apostles. 1/2: Prolegomena: Criticism, eds. F.J. Foakes Jack-
son/K. Lake, London u.a. 1922, 106-120. Reprint Grand Rapids, MI 1979; W. Übelacker,
Das Verhältnis von Lk/Apg zum Markusevangelium, in: Luke-Acts. Scandinavian Per-
spectives (SESJ 54), ed. P. Luomanen, Helsinki/Göttingen 1991, 157-194; J. Wehnert, Das
Markusevangelium als Quelle der Apostelgeschichte, in: Historische Wahrheit und theologi-
sche Wissenschaft. Gerd Lüdemann zum 50. Geburtstag, hg.v. A. Özen, Frankfurt a.M. u.a.
1996, 21-40.

W. Radi ist zuzustimmen, wenn er zur lukanischen Redaktion des Markus-


evangeliums feststellt: »Die Bearbeitung der ... Logienquelle durch Lukas ...
ist..., was die Redaktion des Wortlauts betrifft, analog einzuschätzen.«8 Es ist
natürlich unwahrscheinlich, daß sich ein Autor immer exakt an bestimmte
redaktionelle Gepflogenheiten hält. Um sich jedoch nicht in fruchtlose Spe-
kulationen zu verlieren,9 wird hier vorausgesetzt, daß Lukas seine Quellen
durchgängig ziemlich gleich bearbeitet hat. Daher scheint es sinnvoll, sich
vorab folgende Fragen zu stellen: Welche Ergebnisse hat die redaktionsge-
schichtliche Forschung erzielt? Welche offene Fragen gibt es?10
Wie aus seiner Bearbeitung des Markusevangeliums ersichtlich, übernahm

7 Vgl. Frickenschmidt, Evangelium als Biographie, 498-500. Auch Strecker und Dor-
meyer erklären das Lukasevangelium als Biographie, die Apostelgeschichte als histori-
sche Monographie. Vgl. Strecker, Literaturgeschichte, 243; Dormeyer, Das Neue Testa-
ment, 228. Zustimmend auch Heil, Arius Didymus, 359 f., Anm. 5; 392. Zur Frage nach
der Gattung des Lukasevangeliums vgl. unten S. 227-232.
8 Radi, Lukas-Evangelium (1988), 44. So auch G.H. Müller, Synopse, 6: »Mk ist für Lk
eine Quelle unter anderen. Das beweist die Beobachtung, daß er in zahlreichen Fällen
anderen Quellen folgend Mk aufgibt. Ein Vergleich des Lk mit diesen anderen Quellen
wie mit Mk ist nicht möglich, aber wir sind, wie bemerkt, zu der Behauptung berechtigt,
daß er in ihrer Benutzung die gleiche Haltung wie zu Mk bewahrt haben wird.« Vgl.
auch ebda., 2-23 (»Arbeitsweise des Lk«), 34 f. (»Gründe für die Änderungen des Lk«).
9 Etwa: Hat Lukas mündliche und schriftliche Quellen unterschiedlich redigiert? Hat Lu-
kas bestimmte Quellen intensiver, andere oberflächlicher bearbeitet?
10 Vgl. Fitzmyer, Gospel according to Luke, 107 f.
18 Die Textgrundlagen

Lukas seine Quellen in Blöcken, verwendete sie ohne besondere Systemati-


sierung oder Vermengung und ließ die Abfolge des traditionellen Materials
meist unverändert. Der dritte Evangelist verbesserte den markinischen Stil; er
fand z.B. in dem von ihm übernommenen Markusstoff das praesens histo-
ricum 90mal vor; er hat es 89mal beseitigt, und nur in Lk 8,49 stehengelas-
sen, wohl eher unabsichtlich.11 Den Markus-Stoff rahmte Lukas mit großen
Blöcken von anderem narrativen Material. Lukas folgt damit der hellenisti-
schen historiographischen Konvention, nur immer eine Quelle zu benutzen,
statt mehrere Quellen zu vermengen.
Diese »historiographische« Methode hat jedoch auch ihren sachlichen Be-
zug; so bemerkte R. Bultmann zur lukanischen Redaktion des Markusevan-
geliums:12
Namentlich Lukas bemüht sich, die chronologische Anordnung zu einer sachlichen zu ma-
chen und durch seine redaktionelle Technik, nämlich durch die Verteilung der Einzelge-
schichten auf einen größeren Zeitraum, den Eindruck zu erwecken, daß seine Einzelge-
schichten nur Beispiele sind, die eine viel reichere Wirksamkeit Jesu illustrieren, während in
der Darstellung des Markus Jesu Leben wesentlich als eine Folge von Einzelgeschichten
erschien. Natürlich kommt die Darstellung des Lukas der geschichtlichen Wirklichkeit nä-
her; aber das darf nicht zu dem Fehlschluß verleiten, als sei sein Bericht der älteste; vielmehr
ist er nur von richtigem Takt geleitet.
Als Indiz der lukanischen Treue zu seiner Tradition wurde häufig die genaue
Übernahme der Markus-Akoluthie betont. Nach H. Schürmann und J. Jere-
mias hat Lukas bis zum Beginn der Passionsgeschichte die markinische Peri-
kopen-Abfolge äußerst genau übernommen.13 Einzige Ausnahmen seien nach
J. Jeremias Lk 6,17-19 (par. Mk 3,7-12 [»Heilungen am See«]) und Lk 8,19-
21 (par. Mk 3,31-35 [»Mutter und Brüder kommen zu Jesus«]). Lukas sei al-
so im Gegensatz zu Matthäus ein Gegner des Rearrangements. In Lk 22 z.B.
stellte J. Jeremias sechs Änderungen der Perikopenabfolge gegenüber Markus
fest und Schloß daher auf eine lukanische Sonderquelle für die Passionsge-
schichte.14
Diese These zur lukanischen Meidung von Perikopenumstellungen ist je-
doch von F. Neirynck widerlegt worden.15 Richtig ist allerdings, daß Lukas
nicht häufig die Akoluthie seiner Vorlagen ändert; dies wird sich auch an der
lukanischen Rezeption von Q zeigen.

11 Vgl. Fitzmyer, Gospel according to Luke, 107.


12 Bultmann, Rez. »K.L. Schmidt«, 212.
13 Schürmann, Dubletten, 273; Jeremias, Perikopen-Umstellungen.
14 Jeremias, Perikopen-Umstellungen.
15 Vgl. Neirynck, Argument from Order. Vgl. auch Fitzmyer, Gospel according to Luke,
71 f. Ein Beispiel fiir eine lukanische Änderung der Markus-Akoluthie ist auch Mk
12,28-34 par. Lk 10,25-28. Mit Schürmann (Lukasevangelium Π/1, 136-140) ist davon
auszugehen, daß Lk 10,25-28 auf keine andere Tradition als auf Mk 12,28-34 zurück-
geht. Anders noch ders., Dublettenvermeidungen, 280 mit Anm. 15.
§ 4 Das lukanische Doppelwerk 19

W o ein Lukastext von einer entsprechenden Passage des Markusevangeli-


ums abweicht, kann das nach T. Schramm auf »Traditionsvarianten« zurück-
gehen. 16 Hier wird jedoch die lukanische Redaktion zu gering geachtet; Lukas
übernimmt nicht Varianten zum Markusevangelium, sondern gestaltet eigen-
ständig den markinischen Text um. 17
Ein eigenes Problem ist die »große Auslassung«: Zwischen Lk 9,17 und
9,18 fehlt Mk 6 , 4 5 - 8 , 2 6 . " Manche haben vermutet, daß in dem Markus-Text,
den Lukas zur Verfügung hatte, Mk 6 , 4 5 - 8 , 2 6 fehlte; 19 es sind jedoch lukani-
sche Reminiszenzen an den Markus-Text zu beobachten, und daher ist es
wahrscheinlicher, daß Lukas den Markus-Komplex wegen seiner redaktio-
nellen Interessen gestrichen hat. 20

Das lukanische Sondergut und die Proto-Lukas-Hypothese

Spezialliteratur
T.L. Brodie, A New Temple and a New Law. The Unity and Chronicler-based Nature of Lu-
ke l:l-4:22a, JSNT 5 (1979) 21-45; — Re-Opening the Quest for Proto-Luke: The Syste-
matic Use of Judges 6-12 in Luke 16:1-18:8, The Journal of higher criticism 2 (1995) 68-
101; B.S. Easton, Linguistic Evidence for Lucan Source L, JBL 29 (1910) 139-180; — The
Special Source of the Third Gospel, JBL 30 (1911) 78-103; P. Feine, Eine vorkanonische
Überlieferung des Lukas in Evangelium und Apostelgeschichte. Eine Untersuchung, Gotha
1891; S.M. Gilmour, A Critical Re-examination of Proto-Luke, in: JBL 67 (1948) 143-152;
J. W. Hunkin, The Composition of the Third Gospel, with Special Reference to Canon Stree-
ter's Theory of Proto-Luke, JThS 28 (1927) 250-262; K. Paffenroth, The Story of Jesus ac-
cording to L (JSNT.S 147), Sheffield 1997; F. Rehkopf, Die lukanische Sonderquelle. Ihr Um-
fang und Sprachgebrauch (WUNT 5), Tübingen 1959; H. Sahlin, Studien zum dritten Kapitel
des Lukasevangeliums (UUÂ 1949:2), Uppsala/Leipzig 1949; V. Taylor, Is the Proto-Luke
Hypothesis Sound?, JThS 29 (1928) 147-155.

Die große Menge an Sondergut im dritten Evangelium fuhrt die Quellenkritik


häufig an ihre Grenzen. Diese Diskussion um das lukanische Sondergut kann
schon an den ersten beiden Kapiteln des Lukasevangeliums beschrieben wer-

16 Schramm, Markus-Stoff. Solche »Traditionsvarianten« seien z.B. in Lk 5,12-16.17-26


(par. Mk 2,1-12) aufgenommen. Zu den unwahrscheinlichen »Ur-« oder »Deutero-
Markus«-Hypothesen vgl. schon oben § 2.
17 Vgl. Neirynck, La matière marcienne.
18 Vgl. Gilmour et al.: Gospel According to St. Luke, 18 f.; Noël, compositie; Pettem,
Great Omission; Schürmann, Lukasevangelium I, 525-527.
19 Vgl. Schenke/Fischer, Einleitung II, 21 f.; Streeter, Four Gospels, 172-179.
20 H. Schürmann sieht bei Lukas einige Reminiszenzen an die ausgelassenen Markus-
Abschnitte: Mk 6,45; 8,22 bei Lk 9,10; Mk 8,8 bei Lk 9,17; Mk 6,46 bei Lk 9,18. Vgl.
Schürmann, Sprachliche Reminiszenzen. So auch Conzelmann, Mitte, 45-48; Conzel-
mann/Lindemann, Arbeitsbuch, 73; Pokorny, Theologie, 19.
20 Die Textgrundlagen

den: Hat der »auctor ad Theophilum« Lk 1,5-2,52 selbst geschrieben21 oder


aus Quellen zusammengestellt? Vor extremen Lösungen ist jedoch zu war-
nen: Weder »erfindet« Lukas Episoden nach Art einer creatio ex nihilo, noch
überliefert er Traditionsgut ohne intensive redaktionelle Überarbeitung.22
Unter diesem Vorbehalt steht auch die Proto-Lukas-Hypothese,23 die 1891
von P. Feine24 begründet wurde; Proto-Lukas sei eine vor 70 n.Chr. verfaßte
judenchristliche Schrift, die vor allem an Jerusalem- und Petrus-Geschichten
interessiert und geschichtlich besonders wertvoll sei. Lukas habe diese
Schrift, die die »Redenquelle« mit lukanischem Sondergut vereinigt, über das
Evangelium hinaus bis Apg 12,24 verwendet. Es ist jedoch sehr fraglich, wie
ein Judenchrist schon vor 70 n.Chr. eine »Kirchengeschichte« geschaffen ha-
ben soll.25
Die Hypothese von P. Feine weiterführend rekonstruierte B. Weiß 1907
eine Sonderquelle des Lukas.26 Auch B.S. Easton setzte in Aufsätzen 1910
und 1911 sowie in seinem Lukas-Kommentar von 1926 die Proto-Lukas-
Hypothese voraus.27 Er schränkt jedoch - wie vorher schon B. Weiß - ein,
daß »L« und Q Lukas getrennt vorgelegen habe,28 nur an manchen Stellen
habe Lukas »L« mit Q kombiniert.29
Die wirkungsmächtigste Formulierung der Proto-Lukas-Hypothese stammt
von B.H. Streeter,30 der 1924 die These vertrat, daß Lukas selbst in Caesarea
am Meer" Q mit Sondergut zu dem vollständigen Evangelium »Proto-Lukas«
(»L«) kombiniert hat, bevor er sein durch Markus-Stoffe ergänztes Evangeli-
um schrieb, das in den Kanon aufgenommen wurde. Die Proto-Lukas-
Hypothese wurde dann u.a. von V. Taylor32 (1926 und 1928) und H. Sahlin
(1945 und 1949)33 weitergeführt. Im deutschsprachigen Raum vertraten die
Hypothese vor allem J. Jeremias und sein Schüler F. Rehkopf (1959)34 sowie

21 So Busse, »Evangelium«.
22 Vgl. Conzelmann/Lindemann, Arbeitsbuch, 451-454 (451: »Die Erzählungen in Lk 1 f.
sind vermutlich ursprünglich selbständige Überlieferungen.«).
23 Vgl. insgesamt von Bendemann, ΔΟΞΑ, 49 f.; Schmithals, Einleitung, 329-332; Stanton,
Gospels, 89 f.
24 Feine, Vorkanonische Überlieferung*.
25 Vgl. die Kritik bei Haenchen, Apostelgeschichte, 43.
26 B. Weiß, Quellen des Lk.
27 Easton, Linguistic Evidence*; ders., Special Source*; ders., Gospel According to St.
Luke, xxiii-xxx.
28 Easton, Gospel According to St. Luke, xxix.
29 Easton, Gospel According to St. Luke, xxiii f.
30 Streeter, Four Gospels, 199-122.
31 Streeter, Four Gospels, 230.
32 Taylor, Behind the Third Gospel; ders., Proto-Luke Hypothesis*.
33 Sahlin, Messias; ders., Studien*.
34 Rehkopf, Sonderquelle*. Rehkopf analysiert nur Lk 22,21-23.47-53, bietet aber eine Li-
ste von 78 Worten und Phrasen mit grammatischen Konstruktionen, die charakteristisch
§ 4 Das lukanische Doppelwerk 21

E. Schweizer35. Seit Mitte der achtziger Jahre hat vor allem T.L. Brodie die
Proto-Lukas-Theorie wieder vertreten.36
Selbst U. Luz spricht davon, daß bei Lukas »das redaktionsgeschichtlich
nicht mehr aufzuhellende kompositioneile Durcheinander zwischen Q und
Sondergutstraditionen besonders im großen Reisebericht darauf hinweisen
könnte, daß Q dem dritten Evangelisten in einer wesentlich erweiterten - vor
allem auch durch ganz andere Gattungen erweiterten - Gestalt vorlag«.37
Die Argumente gegen die Proto-Lukas-Hypothese wiegen jedoch m.E.
schwerer.38 Gerade für den lukanischen »Reisebericht«, der unten in Teil 5 im
Blickpunkt steht, ist eine vorlukanische Zusammenstellung von Q-Tradition
und Sondergut wenig wahrscheinlich, da es erst Lukas selbst war, der das
Reisemotiv überhaupt als Strukturelement eingebracht hat.39 Lukas selbst hat
also seine Überlieferungen als »Reisebericht« gestaltet.
Wie in der Arbeit des International Q Project wird daher auch in der vor-
liegenden Untersuchung die Proto-Lukas-Hypothese abgelehnt. Die Einfuh-
rung von »Proto-Lukas« bzw. »QLk« mag einzelne Detailbefunde leichter er-
klärbar machen, wirft aber ihrerseits schwerwiegende, nicht zu klärende Fra-
gen auf: Warum wurde die Tradition vom »Proto-Lukas-Redaktor« teils mas-
siv, teils gar nicht redigiert? Wer steht hinter der »Proto-Lukas-Rezension«?
Welche theologischen Leitlinien vertritt »Proto-Lukas«? usw. Angesichts
dieser Fragen ist die Rede von »Proto-Lukas« bzw. »QLk« in der Tat eine
»Verlegenheitshypothese«40.

für die lukanische »Sonderquelle« seien.


35 Schweizer, Frage.
36 Zur Kritik an Brodie vgl. Steyn, ΜΙΜΗΣΙΣ. Der neueste Versuch, die Proto-Lukas-
Hypothese zu formulieren, stammt von Paffenroth (Story). Auch er behauptet, eine ko-
härente, einheitliche, schriftliche vorlukanische Quelle (»L«) aus dem Sondergut des
dritten Evangeliums rekonstruieren zu können; vgl. seine Gliederung, Gattungsbeschrei-
bung und Geschichte von »L« in ders., Story, 143-158. Kritisch dazu von Bendemann,
ΔΟΞΑ, 60 f., Anm. 34.
37 Luz, Matthäus und Q, 207.
38 Vgl. Gilmour, Re-Examination*; Gilmour et al.: The Gospel According to St. Luke, 16-
18; P. Hoffmann, Q 22:28.30, 64-66; Schürmann, Protolukanische Spracheigentümlich-
keiten? (Kritik von Rehkopf, Sonderquelle*).
39 Vgl. Schneider, Evangelium nach Lukas, 225-228; Theißen/Merz, Jesus, 47, Anm. 39.
Gegen Streeter, Four Gospels, 214.222; Rehkopf, Sonderquelle*, 90.
40 Luz, Matthäus und Q, 206.
22 Die Textgrundlagen

Lukas und die Paulusbriefe

Spezialliteratur
L. Aejmelaeus, Wachen vor dem Ende. Die traditionsgeschichtlichen Wurzeln von 1. Thess
5:1-11 und Luk 21:34-36 (SESJ 44), Helsinki 1985; — Die Rezeption der Paulusbriefe in
der Miletrede (Apg 20,18-35) (AASF Β 232), Helsinki 1987; T.L. Brodie, Towards Tracing
the Gospels' Literary Indebtedness to the Epistles, in: Mimesis and Intertextuality in Anti-
quity and Christianity (Studies in Antiquity and Christianity), ed. D.R. MacDonald, Harris-
burg, PA 2001, 104-116; M.S. Enslin, Luke, the Literary Physician, in: Studies in New Te-
stament and Early Christian Literature. FS Allen P. Wikgren (NT.S 33), Leiden 1972, 135-
143; J. Knox, Acts and the Pauline Letter Corpus, in: Studies in Luke-Acts. FS Paul Schubert,
Nashville, TN/New York 1966, 279-287; J. Kobes, Minderheit als Macht. Juden in der Aus-
einandersetzung mit Paulus in Kleinasien, in: Ethnische und religiöse Minderheiten in
Kleinasien. Von der hellenistischen Antike bis in das byzantinische Mittelalter (Mainzer
Veröffentlichungen zur Byzantinistik 2), hg.v. P. Herz/J. Kobes, Wiesbaden 1998,43-75; W.
Schenk, Luke as Reader of Paul: Observations on his Reception, in: Intertextuality in Biblical
Writings. FS Bas van Iersel, Kampen 1989, 127-139.

U m die Quellenbenutzung des Lukas zu erfassen, muß auch die Frage gestellt
werden, ob er die Paulus-Briefe gekannt hat. H J . Holtzmann bejaht dies u.a.
mit dem Hinweis auf Lk 10,7 f. und 1 Kor 9,5-14; 10,27/" Allerdings betont
Holtzmann die »nur äußerliche Art, wie paulin. Ideen von der lucanischen
Darstellung zuweilen aufgegriffen und angebracht werden.« 42 Auch J. Knox,
M.S. Enslin, L. Aejmelaeus, W. Schenk und T.L. Brodie nehmen an, Lukas
habe Paulus-Briefe gekannt, 43 während sich jedoch die Mehrheit der Exegeten
dagegen ausspricht. 44 Das Verhältnis des Lukas zu Paulus ist wohl ähnlich
dem der Pastoralbriefe zu dem Apostel. In der dritten urchristlichen Generati-
on besteht großes Interesse am Rückbezug auf die Person des Apostels und
die durch ihn verbürgte Tradition, aber nicht so sehr an der in seinen eigenen
Briefen zur Sprache kommenden Theologie. 45

41 Holtzmann, Lehrbuch der Neutestamentlichen Theologie I, 520.


42 Holtzmann, Lehrbuch der Neutestamentlichen Theologie I, 520.
43 Knox, Acts*; Enslin, Luke*; Aejmelaeus, Wachen*; ders., Rezeption* (vgl. die Rezensi-
on von A. Weiser in ThRv 85 [1989] 460 f.); Schenk, Luke*. Brodie (Tracing*) meint,
Lukas habe Lk 22,14-30 mit Bezug auf 1 Kor 11,16-34 formuliert. Vgl. ferner die Liste
von Autoren bei Jervell, Apostelgeschichte, 83, Anm. 183.
44 von Bendemann, ΔΟΞΑ, 409 f.; Conzelmann, Luke's Place, 307-309; Deißmann, Licht,
209; Haenchen, Apostelgeschichte, 120-124. 133 (»Daß Lukas die Paulusbriefe ...
kannte, dafür läßt sich kein Beweis erbringen.«); Hemer, Book of Acts, 244-276. 377;
Hengel, Geschichtsschreibung, 60; Hengel/Schwemer, Paulus, 4 f., Anm. 12; Kobes,
Minderheit*, 47; Strecker, Literaturgeschichte, 249-251; Wehr, Petrus, 130-132.
45 Vgl. u.a. Gräßer, Studien, 25-30, bes. 29, Anm. 158: »Man mag es also drehen und
wenden wie man will, es bleibt die Schwierigkeit, dass sich der Paulinismus der Apo-
stelgeschichte mit dem der Briefe nicht reimt.«
§ 4 Das lukanische Doppelwerk 23

Zeit und Ort der Entstehung des lukanischen Doppelwerks

Spezialliteratur
J. Becker, Geisterfahrung und Christologie - Ein Vergleich zwischen Paulus und Johannes,
in: Antikes Judentum und Frühes Christentum. FS Hartmut Stegemann (BZNW 97), Ber-
lin/New York 1999, 428-442; R.E. Brown/J.P. Meier, Antioch and Rome. New Testament
Cradles of Catholic Christianity, New York/Ramsey, NJ 1983; J. Frey, Vier neue Kommentare
zum Jobannesevangelium, BZ NF 43 (1999) 255-259; A. von Harnack, Beiträge zur Einlei-
tung in das Neue Testament. IV. Neue Untersuchungen zur Apostelgeschichte und zur Ab-
fassungszeit der synoptischen Evangelien, Leipzig 1911; H. Klein, Zur Frage nach dem Ab-
fassungsort der Lukasschriften, EvTh 32 (1972) 467-477; P. Lampe, Acta 19 im Spiegel der
ephesischen Inschriften, BZ 36 (1992) 59-76; RE. Oster Jr., Art. Ephesus, ABD 2 (1992)
542-549; P. Pilhofer, Philippi. I: Die erste christliche Gemeinde Europas (WUNT 87), Tü-
bingen 1995; R. Seiinger, Die Demetriosunruhen (Apg. 19,23-40). Eine Fallstudie aus
rechtshistorischer Perspektive, ZNW 88 (1997) 242-259; P. Southern, Domitian: Tragic
Tyrant, London/New York 1997; W. Thiessen, Christen in Ephesus. Die historische und
theologische Situation in vorpaulinischer und paulinischer Zeit und zur Zeit der Apostelge-
schichte und der Pastoralbriefe (TANZ 12), Tübingen 1995; D. Trobisch, Die Entstehung der
Paulusbriefsammlung. Studien zu den Anfängen christlicher Publizistik (NTOA 10), Frei-
burg (Schweiz)/Göttingen 1989; J. Ulrich, Euseb, HistEccl ΠΙ, 14-20 und die Frage nach der
Christenverfolgung unter Domitian, ZNW 87 (1996) 269-289.

Aufgrund von Lk 19,41-44; 21,20-24 wird heute allgemein gefolgert, daß Lu-
kas nach der Zerstörung des Jerusalemer Tempels im Jahr 70 n.Chr. schrieb.
D a er die Paulusbriefsammlung, die etwa seit 100 n.Chr. im Umlauf war, 46
nicht kannte, kann man davon ausgehen, daß Lukas sein Evangelium und die
Apostelgeschichte in der Regierungszeit von Kaiser Domitian ( 8 1 - 9 6 n.Chr.)
verfaßte. 47
Vor allem aus der lückenhaften Kenntnis Palästinas kann geschlossen wer-
den, daß Lukas weder in Palästina aufgewachsen ist noch dort seine Bücher
verfaßte. 48 Wo hat Lukas aber dann geschrieben? Vorgeschlagen wurden An-

46 Vgl. Kümmel, Einleitung, 153. 424-426.


47 Vgl. Bovon, Evangelium nach Lukas I, 23 (»in den Jahren 80-90«); Holtzmann, Die
synoptischen Evangelien, 411 (Entstehungzeit zwischen 70 und 100 n.Chr., eher
»werden wir ... auf die früheren Jahre unser Augenmerk richten«); Kümmel, Einleitung,
119 f. (»zwischen 70 und 90«); Schmithals, Einleitung, 367 (»Ende der Regierungszeit
Kaiser Domitians«); Schnelle, Einleitung, 288 (»um 90 n.Chr.«) mit Anm. 353. Gegen
von Harnack, Beiträge IV, 86: »Es scheint die Erkenntnis nunmehr gesichert, daß das
große Doppelwerk noch bei Lebzeiten des Paulus abgefaßt ist.« Zu Domitian vgl. Ai-
ston, Aspects, 178-190; Goodman, Roman World, 64-66; Klauck, Umwelt II, 60;
Southern, Domitian*; Texte, hg.v. Barrett/Thornton, 20-23; Ulrich, Euseb*.
48 Vgl. Klostermann, Lukasevangelium, 73; Kümmel, Einleitung, 120. Gegen Klein
(Frage*), der das palästinische Caesarea am Meer (vgl. Apg 8,40; 9,30; 10,1.24; 11,11;
12,19; 18,22; 21,8; 23,23.33; 25,1.4.6.13) als Abfassungsort vorschlug. Zum komplexen
Problem, ob die meteorologischen Formulierungen in Lk 12,54 f. fur ein westliches oder
ein palästinisches Lokalkolorit sprechen, vgl. Garsky et al., Q 12:49-59, 215-234.
24 Die Textgrundlagen

tiochia,49 Kleinasien (bes. Ephesus), Makedonien,50 Achaia, die Ägäis allge-


mein und schließlich Rom.51
Unter allen Regionen, die erwogen werden, scheint m.E. Kleinasien als
Abfassungsort des lukanischen Doppelwerks am wahrscheinlichsten zu
sein.52 Wenn man sich auf einen Ort festlegen soll, ist von »einer Großstadt
westlich von Palästina«53 auszugehen. Damit liegt es nahe, an Ephesus zu
denken, seit 29 v.Chr. Hauptstadt der Provinz Asien.54 Die Stadt war eine
wichtige »Missionsbasis« des Paulus55, beherbergte eine größere jüdische
Gemeinde56 und spielt eine wichtige Rolle in der Apostelgeschichte.57 R. Se-
iinger konstatiert etwa zu Apg 19,23-40:58
Das historische und rechtliche Ambiente von Ephesos liegt in der Demetriossaga in so klarer
Gestalt und scharfen Konturen vor, daß beim Autor ein großes Detailwissen von Theorie und

49 Vgl. Schneider, Evangelium nach Lukas, 34 (»in Kleinasien oder Griechenland, viel-
leicht aber auch in Antiochia«); ders., Apostelgeschichte I, 121. Außer Gal 2,11 und 2
Tim 3,11 wird die Hauptstadt der Provinz Syriens im Neuen Testament nur noch in der
Apostelgeschichte erwähnt: 6,5; 11,19-30; 13,1-3; 14,26; 15,22 f. 30. 35; 18,22. Aller-
dings ist es kanongeschichtlich schwer vorstellbar, daß das lukanische Doppelwerk in An-
tiochia entstanden, nicht rezipiert, aber dennoch weiterhin tradiert worden wäre. Denn das
Matthäusevangelium wurde mit großer Wahrscheinlichkeit in Antiochia verfaßt, und so-
wohl Ignatius von Antiochien als auch die Didache setzen die matthäische Form des Evan-
geliums voraus. Vgl. Brown/Meier, Antioch*, 25-27; Kümmel, Einleitung, 90; Schnelle,
Einleitung, 265 f. (Syrien als Entstehungsort, dem Matthäusevangelium sei jedoch eine ge-
nauere Bestimmung nicht zu entnehmen).
50 Aufgrund der von Lukas bewiesenen ungewöhnlich guten Kenntnis der Stadt Philippi
(vgl. Apg 16,9-40; 20,6) nimmt P. Pilhofer (Philippi*, 153-205. 248-254) an, daß Lu-
kas aus Philippi stammte und dort auch sein Doppelwerk verfaßte, in einer römischen
Militärkolonie in der Provinz Makedonien. Dazu würde passen, daß es in Philippi schon
früh eine Sammlung der Paulus- und der Ignatiusbriefe gab, wie aus dem Schreiben des
Polykarp von Smyrna an die Philipper hervorgeht (3,2; 13,1 f.). Vgl. aber die Einwände
gegenüber der These Pilhofers bei Broer, Einleitung, 134 f.
51 Vgl. die Überblicke bei Kümmel, Einleitung, 120; Schneider, Apostelgeschichte I, 121;
Schnelle, Einleitung, 288; Thiessen, Christen in Ephesus*, 236-247.
52 Zum frühen Christentum in Kleinasien vgl. Oster Jr., Christianity.
53 Theißen/Merz, Jesus, 48. Zur städtischen Perspektive im lukanischen Doppelwerk vgl.
auch unten S. 254-258.
54 So auch Thiessen, Christen in Ephesus*, 226-236. Lindemann läßt die Frage nach dem
Entstehungsort des Lukasevangeliums zwar offen, vermutet aber »Ephesus, möglicher-
weise auch Philippi« als Abfassungsort der Apostelgeschichte. Vgl. Conzel-
mann/Lindemann, Arbeitsbuch, 344. 360.
55 Vgl. 1 Kor 16,8 f. Paulus erwähnt Ephesus sonst jedoch nur noch 1 Kor 15,32. Die Be-
deutung der Stadt fur ein sich auf Paulus berufendes Christentum spiegeln Eph 1,1 (auch
wenn die Adresse als sekundär beurteilt wird, unterstreicht das nur die Bedeutung der
Stadt fur die nachpaulinische Theologie); 1 Tim 1,3; 2 Tim 1,18; 4,12. Im Neuen Te-
stament wird Ephesus sonst nur noch Offt» 1,11; 2,1 genannt.
56 Belege bei Oster Jr., Ephesus*, 549; Schnelle, Einleitung, 519 f., Anm. 120; Schürer,
History ΠΙ/1, 22 f.; Thiessen, Christen in Ephesus*, 15-17.
57 Vgl. Apg 18,19-21.24-27; 19,1-20,1.(16-38); 21,29.
58 Seiinger, Demetriosunruhen*, 259. Vgl. auch Lampe, Acta 19*, 66. 76: »Apg 19 wird
... von jemandem verfaßt, der bestens mit der ephesischen Szene vertraut ist. ... Lukas
selber als hellenistischem Autor ist ein Großteil der guten Lokalkenntnis anzurechnen.«
§ 4 Das lukanische Doppelwerk 25

Praxis griechischer Stadtverwaltung vorausgesetzt werden muß.


In Ephesus wurde wahrscheinlich auch das Johannesevangelium abgefaßt,59
und durch einen gemeinsamen Entstehungsort würden auch die Berührungen
des Lukas- mit dem Johannesevangelium60 einer Erklärung zugeführt. Daß
gerade auch in Ephesus wohl zur gleichen Zeit, in der Lukas schrieb, auch die
Paulusbriefe sukzessive zu einer Sammlung zusammengestellt wurden,61
spricht nicht gegen die Stadt als Abfassungsort des lukanischen Doppelwerks.
Der erste Clemensbrief, Ignatius von Antiochien und Polykarp von Smyrna
(vgl. auch 2 Petr 3,15) zeigen, daß die Paulusbriefe um 100 n.Chr. im Westen
und im Osten bekannt waren. Daß Lukas die Paulusbriefe nicht benutzte,
bleibt also ein Problem - gleich ob er im Westen oder im Osten schrieb. Daß
Lukas die Paulusbriefe nicht verwendete, kann nicht damit erklärt werden,
daß er sie nicht kannte.

59 Vgl. Schnelle, Einleitung, 518-520; Frey, Kommentare*, 259 (zu neueren Joh-Kom-
mentaren von F.J. Moloney, L. Schenke, U. Schnelle und U. Wilckens: Ȇbereinstim-
mend vertreten die vier Ausleger eine Abfassung des Joh in Ephesus.«). U.a. gegen Bek-
ker, Geisterfahrung*, 439-442; Kümmel, Einleitung, 211 f. (212: »irgendwo in Syrien«),
60 Vgl. Kümmel, Einleitung, 167-170, bes. 169; Schnelle, Einleitung, 540-544, bes. 543.
61 Vgl. die Übersicht bei Schnelle, Einleitung, 395-399, bes. 398. Vgl. femer Trobisch,
Entstehung*, 115-117. 128-132.
Teil 3
Methoden

Spezialliteratur
K. Fitschen, Serapion von Thmuis. Echte und unechte Schriften sowie die Zeugnisse des
Athanasius und anderer (PTS 37), Berlin/New York 1992.
Das Ziel der vorliegenden Untersuchung ist es, einen Beitrag zur Theologie
des Lukas zu leisten, vor allem anhand der Leitfrage, wie Lukas Q redigiert
hat. Damit kommt in dieser Arbeit der redaktionsgeschichtlichen Methode die
Priorität zu. Aber auch die anderen exegetischen Methoden werden angewen-
det: Literarkritik bei der Rekonstruktion des Q-Textes (in enger Anlehnung
an die Critical Edition of Q) oder formgeschichtliche Gattungsanalyse bei der
Frage, welchen Gattungen Q und das Lukasevangelium angehörten und wie
Lukas die Gattung von Q rezipiert hat. Literaturgeschichtlich wird gefragt,
wie die lukanische Q-Rezeption mit zeitgenössischen Redaktionsprozessen
vergleichbar ist. Einsichten aus der Sprach- und Literaturwissenschaft sowie
aus der antiken Sozialgeschichte werden eingebracht, wo es sich anbietet.
Zunächst muß festgestellt werden, daß zur Erhebung des theologischen
Profils des Lukasevangeliums die diachron ausgerichtete Methodik, also vor
allem die klassische »historisch-kritische Methode« unaufgebbar ist. Was J.
Weiß vor mehr als hundert Jahren in bezug auf die historische Verwertbarkeit
der Apostelgeschichte bemerkte, gilt auch für die Beschreibung der lukani-
schen Theologie:1
Wichtig ist aber, dass ein Mann, der den Inhalt der Predigt des Paulus so definieren kann:
περί δικαιοσύνης και έγκρατείας και του κρίματος του μέλλοντος, wenig Zusammen-
hang mit dem eigentlichen Urchristentum mehr hat. ... Wer es [sei. die Apg] historisch nut-
zen will, muss doch auf seine Quellen zurückgehen und das kann nur, wer den Bearbeiter
von ihnen zu unterscheiden versteht. Darum bleibt die Arbeit der Quellenforschung notwen-
dig, und sie wird sicherlich noch zu brauchbaren Ergebnissen fuhren.
Daß die literarkritische Quellenforschung, die ja eine Voraussetzung der Re-
daktionskritik ist, ordentliche Ergebnisse liefern kann, sei durch ein Beispiel
illustriert:2
Der Manichäertraktat Serapions [von Thmuis, 4. Jh.] ist bis vor etwa hundert Jahren nur sehr
verkürzt bekannt gewesen. ... Möglich war [die] Rekonstruktion [des vollständigen Textum-

1 J. Weiß, Absicht, 60.


2 Fitschen, Serapion von Thmuis*, 5 f.
Methoden 27

fangs], weil der uns heute bekannte restliche Text von Serapions Werk nicht verloren, son-
dern durch Quatemionenvertauschung in den Manichäertraktat des Titus [von Bostra, 4. Jh.]
eingegangen war. ... Nachdem Brinkmann die Blatt- und Quaternionenvertauschungen be-
hoben hatte, war Serapions Streitschrift bis auf ein Blatt wiederhergestellt. Vollends bestätigt
wurde diese Rekonstruktion durch eine genaue Begutachtung des Codex Athos Vatopedi 236
(12. Jhd.), in dem Casey den Serapion-Text vollständig und in richtiger Ordnung fand.
Dies ist gewiß ein seltenes Beispiel für die Bestätigung komplexer text- und
literarkritischer Hypothesen durch einen tatsächlichen Handschriftenfund.
Auch und gerade weil dies für Q nicht mehr zu erhoffen ist, zeigt das Bei-
spiel, daß die Quellenkritik nicht mit (postmoderner) Überlegenheitsgeste
abgelehnt werden sollte. 3
Ausführlicher sollen nun zwei methodische Vorgehensweisen betrachtet
werden, die in der vorliegenden Untersuchung bevorzugt angewendet wer-
den: die redaktionsgeschichtliche Interpretation und die literaturgeschichtli-
che Situierung.

3 Vgl. etwa Berger, Theologiegeschichte, vii. Er kritisiert »Willkürakte von literarkriti-


schen Quellenscheidungen und Teilungshypothesen«. »Der Abschied von der literarkri-
tischen Quellenscheidung wurde hier [sei. an der Universität Heidelberg] von der Exe-
gese des Alten wie der des Neuen Testaments vollzogen. Gleichzeitig gab es bei Kolle-
gen und Doktoranden Ansätze, die redaktionskritische Fragestellung nicht für das
Letztmögliche in der Exegese zu halten, sondern den Mut zu historischen Fragen zu-
rückzugewinnen.« Dieser »Abschied von der Quellenscheidung« führt dann z.B. bei
Bergers Schüler Döpp zu der getrennten Behandlung von Mt 23,34-39 und Lk 11,49-51 ;
13,34 f., ohne mit einem Wort auf Q 11,49-51; 13,34 f. einzugehen (Döpp, Deutung,
21-25. 35—47). Das ist kein »Mut zu historischen Fragen«, sondern reiner Biblizismus.
§ 5 Die redaktionsgeschichtliche Interpretation

Spezialliteratur
D.R. Catchpole, Source, Form and Redaction Criticism of the New Testament, in: Handbook
of Exegesis of the New Testament (NTTS 25), ed. S.E. Porter, Leiden 1997, 167-188; E.
Haettchen, Einführung, in: ders., Die Bibel und wir. Gesammelte Aufsätze. Zweiter Band,
Tübingen 1968, 1-12; O. Merk, Art. Redaktionsgeschichte / Redaktionskritik. II. Neues Te-
stament, TRE 28 (1997) 378-384; H. Merldein, Die Heilung des Besessenen von Gerasa
(Mk 5,1-20). Ein Fallbeispiel für die tiefenpsychologische Deutung E. Drewermanns und die
historisch-kritische Exegese, in: ders., Studien zu Jesus und Paulus II (WUNT 105), Tübin-
gen 1998, 190-210; P.-G. Müller, Conzelmann und die Folgen. Zwanzig Jahre redaktionsge-
schichtliche Forschung am Lukas-Evangelium, BiKi 28 (1973) 138-142; M.A. Powell, To-
ward a Narrative-Critical Understanding of Luke, in: Gospel Interpretation. Narrative-Criti-
cal and Social-Scientific Approaches, ed. J.D. Kingsbury, Harrisburg, PA 1997, 125-131;
J.M. Robinson, Zur Gattung des Markus-Evangeliums, in: ders., Messiasgeheimnis und Ge-
schichtsverständnis. Zur Gattungsgeschichte des Markus-Evangeliums (TB 81), München
1989, 126-148; G. Sellin, Das lebendige Wort und der tote Buchstabe. Aspekte von Münd-
lichkeit und Schriñlichkeit in christlicher und jüdischer Theologie, in: Logos und Buchstabe.
Mündlichkeit und Schriftlichkeit im Judentum und Christentum der Antike (TANZ 20),
hg.v. G. Sellin/F. Vouga, Tübingen 1997, 11-31; G.N. Stanton, Redaction Criticism: the End
of an Era?, in: ders., A Gospel for a New People. Studies in Matthew, Edinburgh 1992, 23-
53.

U. Luz hat vor kurzem festgestellt, daß die historische Kritik die Bibel »ato-
misiert« habe: »An die Stelle der Einheit der Bibel als v o m Logos durch-
wirktes Wort Gottes trat eine Vielzahl von Texten sehr verschiedener Verfas-
ser aus sehr verschiedenen Situationen«. 1 Das trifft wohl insbesondere auf die
Synoptiker- und hier noch einmal in verstärktem Maße auf die Q-Forschung
zu. Negativ ist dies jedoch nur zu sehen, wenn auf die analytische »Atomi-
sierung« 2 keine rekonstruierende Synthese folgt. Das Ziel der redaktionsge-
schichtlichen Methode ist ja nicht, Textfragmente auf ihre Herkunft aus »Tra-
dition« und »Redaktion« festzulegen. D i e s ist der Weg, aber das Ziel ist, auf-
grund solcher Analysen die sozialen, sprachlichen und vor allem theologi-

1 Luz, Bibel, 324. Vgl. auch ebda., 328: »Es gibt nicht Jesus, sondern nur den von Markus,
Matthäus, Paulus, Johannes, Orígenes usw. ausgelegten und interpretierten Jesus. Der
>wirkliche< Christus des Neuen Testaments ist kein anderer als der interpretierte und
Sprache gewordene Christus z.B. des Paulus, des Markus oder anderer.«
2 Vgl. die Polemik bei Hengel/Schwemer, Paulus, 59, Anm. 210: »In kaum einem Gebiet
hat die »analytische Phantasie< in den letzten 20 Jahren solche Blüten getrieben wie in
der Q-Forschung.« Ahnlich A.J. McNicol, ein Vertreter der Neo-Griesbach-Hypothese
aus der »Farmer-Schule«, in seiner Rezension von Carruth/Garsky, Q l l :2b-4: »This
work brings the process of atomization of the biblical text going on since the Enlighten-
ment to a new level« (RStR 24 [1998] 83).
§ S Die redaktionsgeschichtliche Interpretation 29

sehen Profile urchristlicher Autoren zu beschreiben. 3 Geht man in systemati-


sierender Absicht daran, eine »Biblische Theologie« zu erarbeiten, ohne sich
über die eigenen Profile der verschiedenen biblischen Texte im klaren zu
sein, endet der Versuch in der Sackgasse. 4
Das Interesse der vorliegenden Untersuchung gilt diachronisch einem
Quellentext des Lukasevangeliums und seiner Redaktion durch Lukas; syn-
chronisch gilt das Interesse der Endfassung des Lukasevangeliums. Die re-
daktionsgeschichtliche Methode entspricht diesem Interesse am besten, da sie
sowohl Endtextexegese umfaßt, d.h. synchronische Interpretation des v o m
Redaktor als >kanonisch< gewollten Textes, 5 als auch diachronische Exegese,
d.h. die Interpretation der Bearbeitung von Vorlagen und damit der Intentio-
nen des Autors. Dabei spielt die Wortstatistik immer eine wichtige Rolle;
diese muß jedoch durch syntaktische, semantische und pragmatische Analy-
sen bestätigt werden. 6
Schon die erste redaktionsgeschichtliche Studie zum Lukasevangelium, H.
Conzelmanns Heidelberger Habilitationsschrift, beginnt damit, die notwendi-
ge Integration von synchronischem und diachronischem Aspekt zu betonen: 7
[Diese Untersuchungen] fragen gerade nach dem Ganzen des jetzigen Bestandes. Ist dieser
ein in sich geschlossener Entwurf, dann ist die literarkritische Analyse erst in zweiter Linie
relevant. Immerhin, in zweiter ist sie es; so soll sie nicht verachtet werden. Es soll nur betont

3 Vgl. Conzelmann/Lindemann, Arbeitsbuch, 115: »Aufgabe der redaktionsgeschichtli-


chen (oder: redaktionskritischen) Arbeit ist es, das schriftstellerische Verfahren der
Evangelisten und den theologischen Standort der einzelnen synoptischen Evangelien
herauszuarbeiten.« Ferner Berger, Exegese, 202-217; Schürmann, Abschiedsrede, 161-
170 (»Bemerkungen über die Handhabung der redaktionsgeschichtlichen Methode«).
4 Vgl. Heil, »Πάντες έργάται αδικίας« Revisited, 273 f. Gerade die o.g. Kritik von M.
Hengel an der »analytischen Phantasie« der Q-Forschung entspringt nämlich einer bibli-
zistischen Apologetik, wonach schon die neutestamentlichen Schriften ein einheitliches
theologisches Profil zeigten.
5 G. Sellin (Wort*, 21) formuliert: »In der Exegese der Evangelien hat sich mit der Me-
thode der Redaktionsgeschichte das Prinzip der Dominanz der synchronischen Text-
analyse durchgesetzt.« Vgl. ferner Conzelmann/Lindemann, Arbeitsbuch, 116: »Dabei
sollte allerdings nicht der Eindruck entstehen, daß das Interesse am Evangelium als dem
vorliegenden Text die Frage nach der darin verarbeiteten Tradition völlig überlagern
müsse. Die beiden Fragestellungen konkurrieren nicht miteinander oder schließen sich
gar gegenseitig aus, sondern sie ergänzen einander.« Zum ergänzenden Zusammenspiel
von »historical criticism« und »narrative criticism« gerade am Beispiel des lukanischen
Doppelwerks vgl. Powell, Narrative-Critical Understanding*.
6 Vgl. Heil, Ablehnung, 18-20.
7 Conzelmann, Mitte, 1. Erst nach Erscheinen der Studie Conzelmanns führte W. Marxsen
in dem Aufsatz »Redaktionsgeschichtliche Erklärung der sogenannten Parabeltheorie
des Markus« (ZThK 52 [1955] 255-271) und in seiner Untersuchung »Der Evangelist
Markus. Studien zur Redaktionsgeschichte des Evangeliums« (Göttingen 1956) den Be-
griff »Redaktionsgeschichte« ein. Allerdings weist J.M. Robinson (Gattung*, 126) zu
Recht darauf hin, daß die Formgeschichte längst von Redaktion und Komposition
sprach, vgl. Bultmann, Geschichte, 362-392: »Die Redaktion des Erzählungsstoffes und
die Komposition der Evangelien«.
30 Methoden

sein, daß das Ziel die Erklärung des Werkes in seiner jetzigen Gestalt, nicht die Erhebung
etwaiger Vorlagen oder historischer Fakten, welche vor ihm liegen, ist. Disparatheit von
Quellenstoffen bedeutet ja nicht einfach eine solche auch im Denken und Gestalten des Au-
tors. Wie kam es denn, daß er gerade diese Stoffe zusammenband? Vermochte er ihnen seine
eigene Anschauung einzuprägen? Hier leistet die Analyse der Quellen den notwendigen
Dienst, das Eigentum des Autors von der Vorlage abheben zu helfen.
Für den »Primat der Synchronie« in der neutestamentlichen Exegese müssen
also nicht erst Literaturwissenschaft und Kommunikationstheorie bemüht
werden. Schon H. Conzelmann hat dieses methodische Prinzip favorisiert,
allerdings ohne die Synchronie gegen die Diachronie auszuspielen, wie es
heute nicht selten geschieht. Werden Texte allein synchron untersucht, endet
dies meist in einer mehr oder weniger geistreichen »Nacherzählung«. Das
theologische Profil eines neutestamentlichen Textes kann nicht ohne Rück-
sicht auf seine diachronen Entstehungsbedingungen erhoben werden. Lukas
selbst war z.B. Leser (des Markusevangeliums, von Q, der Septuaginta usw.)
und hat andere Texte rezipiert.
Man darf also nicht voraussetzen, daß in Kompilationen wie dem Lukas-
evangelium und der Apostelgeschichte, in der der Redaktor vorgegebene, be-
reits mit apostolischer Autorität versehene Texte sammelt und mit unter-
schiedlicher - sich von Buch zu Buch verstärkender — Intensität bearbeitet,
jede Textstelle (ob aus der Vorlage übernommen oder zur Bearbeitungs-
schicht gehörig) in gleicher Weise die Intentionen des Redaktors widerspie-
gelt. Eine Analyse der Bearbeitungsschicht läßt die Absichten des Redaktors
und seines Textes entschieden deutlicher zutage treten.8
Das Argument, daß die Vorlagen dem Redaktor möglicherweise nicht in
derselben Form zugänglich waren, wie sie heute überliefert sind, wiegt ohne
philologischen Nachweis wenig.9 Für das Lukasevangelium, dessen Bearbei-
tung etwa 75% des Textcorpus des Markusevangeliums ausmacht, läßt sich
weitgehende Übereinstimmung zwischen den Vorlagen des Lukasevangeli-
ums und des überlieferten Markusevangeliums wahrscheinlich machen.10
H. Schürmann hat im Vorwort zu seinem großen Lukas-Kommentar fol-

8 Am Beispiel der Sühnetod-Vorstellung im lukanischen Doppelwerk kann man etwa er-


kennen, daß Lukas sie zwar meist getilgt hat, sie aber natürlich dennoch gekannt hat,
wie die Übernahme der Sühnetod-Tradition in seinem Abendmahlbericht zeigt (vgl. Lk
22,19 f. mit 1 Kor 11,24 und Mk 14,24). Die Sühnetod-Vorstellung ist somit Teil des
lukanischen Textes, bildet aber nur ein unwesentliches Randthema lukanischer Theolo-
gie.
9 So nehmen etwa Schramm (Markus-Stoff, passim) und Wendel (Gemeinde, 112) an, daß
Lukas »Traditionsvarianten« des Markusevangeliums zur Verfügung standen.
10 Mit Haencheti (Einführung*, 9) ist davon auszugehen, daß »Lukas das Evangelium des
Markus genau kannte und wahrscheinlich vor sich zu liegen hatte«. Zum Problem der
Minor Agreements vgl. oben § 2.
§ 5 Die redaktionsgeschichtliche Interpretation 31

gendes dazu bemerkt: 11


Sosehr es wahr ist, daß die redaktionsgeschichtliche Methode zuerst an den Lukasschriften
in überzeugender Weise Ergebnisse gezeitigt hat, so sehr ist es wiederum auch wahr, daß
diese nirgends besser ihre Grenze erkennen kann als bei der Kommentierung des Lukas-
evangeliums. Denn immer wieder überwältigt das Sagen der Überlieferungen, deren Aussa-
ge, den redaktionellen Aussagewillen des Lukas, dem das Gründen des Kerygmas auf die
Paradosis ja ein besonderes Anliegen war. Überlieferte Sprachgebilde lassen sich redaktio-
nell nur in der Weise in Dienst nehmen, daß sie sich weiterhin in einer gewissen Freiheit und
Eigenmächtigkeit selbst zur Sprache bringen dürfen.
Nicht jede Textabweichung von den Vorlagen ist also Indiz für das »Luka-
nische«, nicht jede Übereinstimmung ist »unlukanisch«. 12 Man muß natürlich
davon ausgehen, daß Lukas den Intentionen seiner Vorlagen grundsätzlich
zugestimmt hat, sonst hätte er sie ja wohl nicht benutzt. Aber gerade deswe-
gen gebührt den Stellen, an denen Lukas sich inhaltlich von seinen Vorlagen
absetzt, erhöhte Aufmerksamkeit, will man das theologische Profil des dritten
Evangelisten herausarbeiten.
Die Redaktionsgeschichte will sich ja gerade nicht in der Betrachtung der
Vorlagen eines Autors verlieren, sondern den Autor selbst und seine indivi-
duelle Leistung profilieren. Damit teilt die Redaktionsgeschichte nicht unwe-
sentlich das Anliegen der neueren synchron orientierten Untersuchungen.
H. Merklein schreibt: 13
Man kann ... die grundsätzliche Frage stellen, ob das textgenetische ScAicAte/i-Modell, wie
es in der Literarkritik ... häufig vorausgesetzt wird, wirklich zutrifft. Es versteht literarische
Bearbeitungen in Analogie zur Abschrift, so daß die Differenzen als Addition, Subtraktion
oder Substitution einzelner Elemente zu erklären sind. Meines Erachtens ist jedoch die Vor-
stellung einer Nachschrift hilfreicher und zutreffender, bei der ein Bearbeiter sein Konzept
einer ganzheitlich rezipierten Vorlage - unter Rückgriff auf vorhandene Formulierungen -
niederschreibt. Unter dieser Voraussetzung verlagert sich das analytische Interesse von der
Abgrenzung unterschiedlicher Einzelelemente hin zur Auffindung zu unterscheidender nar-
rativer Konzepte. Methodisch ist dann weniger nach offenkundigen Spannungen und Wider-
sprüchen zu fragen als vielmehr positiv nach den vorhandenen narrativen Isotopien bzw.
nach der narrativen Struktur der Geschichte.
Merkleins caveat gegenüber der anachronistischen Vorstellung einer rein me-
chanischen Herstellung von Texten in der Antike ist zuzustimmen. Lukas saß
natürlich nicht mit einer Q-Markus-Synopse am Schreibtisch und tüftelte sein
eigenes Evangelium aus - sozusagen mit »Rotstift, Schere und Klebstoff«.
Allerdings lehnt sich Lukas doch meist eng genug an den Q-Text an, daß bei-
de Modelle der Textentstehung, redigierende Abschrift wie komponierende

11 Schürmann, Lukasevangelium I, v.
12 Vgl. Wendel, Gemeinde, 111-119 (»Möglichkeiten und Grenzen der Redaktionskritik«),
bes. 119.
13 Merklein, Heilung*, 198 f.
32 Methoden

Nachschrift, im Lukasevangelium sichtbar sind. In der vorliegenden Arbeit


sollen daher zunächst die unterschiedlichen Einzelelemente von Q und Lukas
untersucht werden, um dann auch nach Unterschieden wie Gemeinsamkeiten
ihrer narrativen Struktur zu fragen.
§ 6 Die literaturgeschichtliche Situierung

Spezialliteratur
D.L. Balch, Comments on the Genre and a Political Theme of Luke-Acts: A Preliminary
Comparison of Two Hellenistic Historians, in: SBL.SP 1989, 343-361; T.L. Brodie, Greco-
Roman Imitation of Texts as a Partial Guide to Luke's Use of Sources, in: Luke-Acts. New
Perspectives from the Society of Biblical Literature Seminar, ed. C.H. Talbert, New York
1984, 17-46; F.G. Downing, A Paradigm Perplex. Luke, Matthew and Mark (1992), in:
ders., Doing Things with Words in the First Christian Century (JSNT.S 200), Sheffield 2000,
174-197; M.D. Goulder, Luke's Compositional Options, NTS 39 (1993) 150-152; S.L. Mat-
tila, A Question Too Often Neglected, NTS 41 (1995) 199-217; DP. Moessner, Suffering,
Intercession and Eschatological Atonement: An Uncommon Common View in the Testa-
ment of Moses and in Luke-Acts, in: The Pseudepigrapha and Early Biblical Interpretation
(JSPE.S 14; Studies in Scripture in Early Judaism and Christianity 2), eds. J.H. Charles-
worth/C.A. Evans, Sheffield 1993, 202-227.

Für Autoren in der Umwelt des Lukas war es gang und gäbe, schriftliche
Vorlagen zu verwenden.1 In der redaktionsgeschichtlichen Forschung der
letzten vier Jahrzehnte wurde jedoch selten der Versuch gemacht, die eruierte
lukanische Redaktion mit zeitgenössischen Beispielen zu illustrieren.2
M. Krenkel3 schrieb, man werde
bei Lukas dasselbe Verfahren voraussetzen müssen, welches wir bei Schriftstellern, deren
Leistungen über das Mittelmass hinausgehen, gewöhnlich da wahrnehmen, wo sich ihre Tä-
tigkeit im Wesentlichen auf Umarbeitung eines schon von Früheren behandelten Stoffes be-
schränkt. Charakteristisch ist für solche die sich auf Schritt und Tritt bemerklich machende
Scheu, zu blossen Abschreibern und Plagiatoren herabzusinken, und das angelegentliche
Bemühen, bei aller Anlehnung an ihre Vorlage doch ihre Selbständigkeit, so weit nur immer
möglich, zu wahren. Dies hat zur Folge, dass sie sich nicht selten willkürliche Abänderungen

1 Vgl. Sandy, Greek World, 61 [für den lateinischen Westen]: »The reliance of even crea-
tive writers on books is evident as early as the times of Catullus and Ovid. Cicero prepa-
red for his philosophical writings by reading in the private libraries of friends.«
2 1996-2001 widmete sich die von D.P. Moessner und G.E. Sterling geleitete »Luke-Acts
Group« der Society of Biblical Literature genau diesem Desideratum.
3 Krenkel, Josephus, 33 f. Krenkel (ebda., 337) nahm an, daß Lukas sämtliche Werke des
Josephus kannte; Mason (Flavius Josephus, 271. 312. 322-325) glaubt, daß Lukas zu-
mindest »etwas« vom Werk des Josephus kannte. Dies ist jedoch unwahrscheinlich. Vgl.
Cadbury et al., Identity, 355-358 (357 f.: »The argument that Luke used Josephus is not
quite conclusive.«); Hemer, Book of Acts, 94 f.; Hengel/Schwemer, Paulus, 15; Park,
Johannes, 75: »Die Beziehung zwischen Josephus und Lukas könnte ... durch eine Le-
serverwandtschaft erklärt werden: nämlich durch ein Milieu, das vergleichbare politi-
sche Urteilskraft und vergleichbare Interessen hatte« (so auch ebda., 77 f. 194 f.);
Schreckenberg, Flavius Josephus und die lukanischen Schriften, passim; ders., Josephus
in Early Christian Literature, 51 f. Abgesehen von der Frage einer literarischen Abhän-
gigkeit soll es in diesem Paragraphen nur um die Ähnlichkeit in der literaturgeschichtli-
chen Situierung von Q, Lukasevangelium und anderen zeitgenössischen Schriften gehen.
34 Methoden

gestatten, hier einen nebensächlichen Zug streichen, dort einen andern hinzufügen, manches
von dem Vorgänger nur Angedeutete weitläufig ausspinnen, dagegen breitere Ausführungen
desselben kurz zusammenziehen.
Dieses Urteil wird auch von G. Sandy bestätigt:4
Free adaption rather than translation of classical literary works and technical treatises was
the standard practice in the schools during the Roman Imperial period, and consequently it
comes as no surprise that Latin >translators< took great liberties with their Greek models.
Seneca encapsulates the practice of what can be called agglutinative adaption.
Hier zitiert G. Sandy Seneca, Ep. 84,5:5
Auch wir müssen diese Bienen nachahmen und, was immer wir aus verschiedener Lektüre
zusammengetragen haben, trennen - besser nämlich läßt es sich gesondert aufbewahren - ,
sodann Sorgfalt sowie Einfallsreichtum unseres Verstandes anwenden und in einen einzigen
Geschmack jene verschiedenartigen Lesefrüchte zusammenfließen lassen; dadurch wird es -
auch wenn deutlich ist, woher es stammt - dennoch offenkundig etwas anderes sein als das,
woher es genommen ist.
Ein letztes Beispiel sei genannt, und zwar der Roman des Longos: »Daphnis
und Chloe« (um 200 n.Chr.). O. Schönberger bemerkt zur Rede des Philetas
in II 3,2-6,2: 6
Dieses Beispiel zeigt, in welch virtuoser Weise Longos das ihm gegenwärtige Material auf-
greift, seinem Stoff anpaßt und es in seine Darstellung einschmilzt. Man erkennt, wie der
Stoff und das Einzelmotiv zwar »entlehnt«, aber so bewältigt sind, daß sie Eigentum des
Longos scheinen. Dabei wahrt Longos immer so viel von dem Nachgeahmten, daß man das
Zitat erkennt.
Es liegt nun nahe zu fragen, ob sich auch bei Lukas ähnliche schriftstelleri-
sche Vorgehensweisen nachweisen lassen. F.G. Downing verglich z.B. die
redaktionellen Charakteristika des Josephus in seinen Antiquitates mit der des
Lukas in seinem Evangelium.7 Zunächst analysierte Downing kurz das Vor-
gehen und die offensichtlichen Intentionen des Josephus: seine Auslassungen,
Hinzufiigungen, Umstrukturierungen, Kompilationen und Neukompositionen.
Einige theologische und apologetische Motive sind leicht zu erkennen; der
generelle Eindruck ist der, daß hier eine harmonische und fortlaufende Er-
zählung geschaffen wurde, die einen einfachen Hintergrund für die »Bot-
schaft« des Josephus abgeben sollte. Downing kommt zum Ergebnis, daß die
Intentionen und »Tendenzen« des Josephus meist mit denen des Lukas (wie
auch denen des Dionysius von Halikarnaß) identisch sind. Dieses Ergebnis
bedeutet auch ein Argument für die Zweiquellentheorie: Anhand der redak-
tionellen Tätigkeit des Josephus kann illustriert werden, wie auch der »Histo-
riker« Lukas mit seinen Quellen Markusevangelium und Q umging. Die Re-

4 Sandy, Greek World, 72. Vgl. auch Dion von Prusa, Olympische Rede, hg.v. Klauck,
176-179 (179: Dions zwölfte Rede als »ein Text über Texte«),
5 Seneca, Philosophische Schriften, hg.v. Rosenbach, Band 4, 224-227.
6 Longos. Hirtengeschichten von Daphnis und Chloe, hg.v. Schönberger, 306.
7 Vgl. Downing, Redaction Criticism, I and II.
§ 6 Die literaturgeschichtliche Situierung 35

daktion des Lukas, die im »Paradigma« M.D. Goulders oder in der Gries-
bach-Hypothese vorausgesetzt wird, hat keine Analogie bei Josephus oder
anderen antiken Autoren.8
Der Vergleich mit Josephus ist auszuweiten auf das gesamte hellenistische
Judentum, zu dem Lukas in einer ungewöhnlich engen religiösen und literari-
schen Beziehung zu stehen scheint.9 Schließlich muß natürlich auch die nicht-
jüdisch-griechische Literaturgeschichte befragt werden, inwieweit sich von
ihr her die redaktionelle Arbeit des Lukas verständlich machen läßt. So hat
etwa D.L. Balch das lukanische Werk mit dem des Dionysios von Halikarnaß
verglichen;10 R. Morgenthaler stellte Lukas und Quintilian gegenüber."
Die Frage nach konkreten Vorbildern bzw. Parallelen für die lukanische
Redaktion in der frühjüdischen und griechisch-römischen Umwelt ist bisher
jedoch nur punktuell angegangen worden und soll daher in dieser Untersu-
chung besonders beachtet werden.12

8 Vgl. die Auseinandersetzung zwischen Downing, Paradigm*, und Goulder, Options*.


9 Vgl. Evans, Luke and the Rewritten Bible; Schnelle, Einleitung, 322. E. Reinmuth
(Pseudo-Philo und Lukas) hat z.B. das lukanische Doppelwerk mit dem pseudo-philo-
nischen LAB verglichen. D P. Moessner (Suffering) unterzog das lukanische Doppel-
werk einem Vergleich mit der palästinischen AssMos.
10 Balch, Comments*.
11 Morgenthaler, Lukas und Quintilian.
12 Vgl. auch die Überlegungen bei Mattila, Question*. Es sei ferner verwiesen auf die Dis-
sertation von R.A. Derrenbacker, Jr. an der University of Toronto: »Ancient Scribal and
Compositional Practices and the Synoptic Problem« (Doktorvater: J.S. Kloppenborg
Verbin, wird demnächst veröffentlicht).
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segno che si spicciasse a fargli il messaggio per cui dovea esser
venuto.
— Reverendo messere... borbottò il bandito, sono venuto a darvi
una buona nuova.
— Una buona nuova?... esclamò Enrico fissandolo tra minaccioso
ed accigliato... Di che vuoi tu parlarmi marrano?...
— D’un racconto di fantasmi che ho inteso ora nella bottega di
mastro Antonio il barbiere.
— E che parli tu di fantasmi?... mormorò Enrico fattosi pallido come
un morto.
— Lo dissi così, messere... per servirmi dell’espressione di mastro
Antonio, il che non toglie ch’egli veda lucciole per lanterne, e che la
paura gli abbia dato di tracollo al cervello... Il gigante raccontò allora
quanto veniva d’aver inteso nella bottega del barbiere. Enrico
l’ascoltò lasciando sfuggir dalle ciglia lampi di gioja selvaggia.
— Affè!... esclamò egli, tu sei un astuto mariuolo, Ambrogio!...
— Vi par che s’abbia a credere che le ombre camminano sull’acqua
e vi spariscan sotto, e cantino e faccian tai cose da vivi?...
scommetterei la guaina della mia daga, che v’è da aguzzar gli occhi
per veder chiaro!... e vedrei tutt’altro di quel che ha veduto il
barbiere!... Se volete che mi metta in posta, la mezzanotte non tarda
tanto, e farò ben io passare alle ombre il grillo di venir a gironzare
nei dintorni del palazzo.
Enrico pareva rapito in profonda astrazione, perchè non diè risposta
alle parole del gigante; egli si immerse ne’ suoi pensieri e parea
stesse annodando le intricate fila che gli si venian svolgendo
nell’immaginazione esaltata.
— Dove è sparita quest’ombra?... questo diavolo?... questa cosa
qualunque come a te pare? esclamò stizzito e di malumore. Cosa
dedurresti tu da questa maledetta fantasticheria da inspiritati?...
— Io dedurrei, messere, che l’ombra invece di esser sparita sotto
l’acqua del canale sia entrata nel vano che v’è appunto al di là della
saracinesca.... Non v’è là una porticina che mette a quella parte
rustica dove nessuno abitò mai... dopo la morte di vostro zio?...
Enrico impallidì di terrore.... e strinse con violenza il braccio
d’Ambrogio come volesse sulle labbra soffocargli le parole che
aveva profferite.
— M’avete domandato cosa ne pensi.... borbottò il gigante, affè,
messere, fatemi avviso se avete intenzione di rompermi le braccia a
questo bel modo!...
— Che sai tu di quella porta?... gli domandò Enrico agitatissimo.
— Affè!... Cerco per dove possa essere entrata quell’ombra
indiavolata, che a quanto disse mastro Antonio cantava una strana
canzone. Sapete cosa ricorda?... Il canto dei morti di quella vecchia
strega che il diavolo s’è portata con sè, e che temo non abbia voluta
nemmeno l’inferno.
— Marta!... vuoi tu parlare di Marta?...
— Affè!... sì... di quella strega!...
— Marta!... ripetè Enrico fra sè con impaziente anelito come se nel
suo pensiero stesse formandosi un concetto intorno a cui la mente
s’adoperava affannosa... Marta!... borbottò ancora; sì, era ben dessa
che apparve in quella notte nella sala del banchetto!... Essa che ha
rapita Angela!... Essa che è sparita dal palazzo dopo quel giorno!... e
che io ho invano fatta cercare!... E tu dicesti, Ambrogio, che un’altra
voce avea risposto a quella della vecchia?...
— Adagio... mastro Antonio non disse poi che era una vecchia.... in
quanto alla voce ei disse ed affermò che gli parve dolce come quella
d’un angelo... non è strano, messere, che gli spiriti abbiano di tali
voci?...
Enrico battè i piedi con impazienza come se non volesse essere
sturbato nell’anelante ricerca in cui impiegava tutte le facoltà della
sua anima, dall’importuno cicaleggio del gigante. Taci, marrano...
mormorò egli con affannosa concitazione... — Oh se fosse di lei!...
Ambrogio, io ti farei ricco come il primo dei cavalieri del duca...
— Chi?... domandò il bandito.
— Angela!... non capisci tu che è d’Angela che io intendo parlare...
che se quella vecchia è Marta.... là nascosta non vi può essere che
Angela... Egli si slanciò verso la soglia e gridò al bandito con voce
alterata dall’emozione, — a noi!... seguimi, Ambrogio.... e al diavolo
gli spettri.... fanfalucche da fanciulli... Essa è là... la sento... e la
troverò... dovessi far demolire questo palazzo pietra per pietra fin
ch’io l’abbia trovata.
L’orologio del castello suonava la mezzanotte.
CAPITOLO XLII.
La stanza del fratricidio.

Quando Enrico fu nel cortile... s’arrestò: avea inteso del rumore al di


là della saracinesca, avea inteso una voce, era quella di Angela che
chiamava la Marta.
La fanciulla alla sua volta avea inteso dalla parte del palazzo come
un rumore di passi precipitati; atterrita per quel senso di fina
penetrazione che è proprio di chi abbia la coscienza del pericolo,
avea gettato quel grido di spavento.
Era tanto tempo che la povera fanciulla giaceva là, separata dalla
vita, viva per una speranza che veniva collo scorrer del tempo
illanguidendosi nella sua anima angosciata... La buona vecchia che
l’avea strappata alle braccia di quell’infame, s’era sepolta con lei in
quella stanza che dovea metterla a riparo dalle ricerche del signore
della casa.
Fu nel giorno susseguente a quella terribil notte che la vecchia Marta
si spaventò d’un pensiero, vivere!... come avrebber esse vissuto
senza compromettere la loro sicurezza? per la vecchia poca cosa
era la vita... ma voleva salvare quella povera fanciulla così bella!...
Dar indizio che ella fosse là, equivaleva a ritornarla ai lascivi
amplessi di colui che essa aveva fuggito con tanto orrore... Dalla
stanza dove si trovavano le due donne per un piccolo uscio si
scendeva ad una specie di pianterreno allagato dal canale. Marta
attese la notte, scese; vi si scendeva per una scala di legno... la
scala era sospesa sull’acqua e faceva capo ad una porticina bassa
sbarrata da una spranga di ferro arrugginita dall’umidità; il luchetto
della sbarra non era chiuso a chiave, potè levarlo, e si trovò tra quel
vano che eravi tra il canale e la saracinesca dell’abbeveratojo.
L’acqua che ne resentava il fianco era bassa, vi scese e potè
arrivare dietro il palazzo... Innanzi a lei si estendeva la valle; al di là
della valle la campagna; costeggiando la riva poteva nascondersi tra
i canneti e di là internarsi pei campi dove saria andata in cerca di
cibo per sè e per Angela.
Rientrò nella stanza ove la fanciulla l’aspettava in preda ad una viva
agitazione e si convenne ch’ella cercherebbe di radunare quanto
potesse dar alimento alla loro vita limosinando per le case di
campagna.. e che dopo aver fatta sufficiente provvigione
rientrerebbe di notte e starebbero insieme quanto tempo lor
permettessero i viveri raccolti, che poi uscirebbe di nuovo per le sue
bisogna, e così durerebbero finchè il tempo non venisse in soccorso
della fanciulla mutando intorno a lei gli avvenimenti che sì
terribilmente la stringevano nel lor cerchio di ferro.
Così simile sempre in ogni suo attimo, per la vecchia e per la
fanciulla il tempo era scorso sino a quel giorno... Marta avea
provveduto limosinando per la campagna quanto di maggior bisogno
occorresse; aveva portato della paglia con cui formare un canile sul
quale poter adagiare le dilicate membra di quella vaga giovinetta che
sentiva d’amare come una madre... a cui usava tutte le premure, a
cui prodigava tutti i possibili conforti cercando tener viva in lei la
lusinga di giorni migliori che la compenserebbero delle provate
miserie... Angiola le parlava di Adolfo!... del suo giovane fidanzato!...
come si struggeva pensando cosa ne potesse esser avvenuto!...
come rabbrividiva al pensiero che il signore del palazzo come Marta
lo chiamava, avesse tentato sopra lui qualche delitto onde togliersi
dal sentiero un ostacolo che avrebbe potuto un giorno o l’altro
contendergli il possesso della donna che aveva tanto amata!...
Erano ben tristi pensieri codesti!... e ben terribili per lei nel cui animo
inquieto e trepidante andava morendo ogni giorno la speranza di
poter esser tratta da quella tomba ove era costretta seppellire la sua
giovinezza!... e spegnersi consumata dai fremiti anelanti del suo
povero cuore.
Rompevan solo la monotonia di quella miserabile esistenza le
escursioni di Marta, alla quale quando ritornava di notte, chiedeva se
nulla avesse sentito, se nulla avesse veduto... Ma la vita della Casa
della Valle non era alterata da alcun avvenimento.
Aspettava il ritorno di suo padre che avrebbe chiesto di lei, che di lei
avrebbe fatto responsabile l’uomo che s’era intruso nella sua
famiglia per carpirne la confidenza e rubarne il tesoro... pur nulla di
tutto ciò avveniva, e la povera fanciulla gemeva intanto straziata da
tutte le torture d’un’angoscia senza conforto... Infinita come il
pensiero de’ suoi mali che sulle sue labbra di fanciulla avevano
estinto il sorriso della giovinezza!...
Enrico che aveva inteso il grido d’Angela e che s’era slanciato verso
quell’ala del fabbricato da dove era venuta la voce, diè addietro
d’improvviso atterrito, coi capelli irti, colle labbra pallide. In quella
stanza!... mormorò egli con voce bassa e fremente. Lei!...
Scorsero alcuni istanti durante i quali una fiera lotta si combatteva in
quell’anima incallita nel delitto, e che pur non sapeva vincersi in
quello sforzo paralizzato dall’impressione. V’ha qualche cosa diffatti
per chi sia rotto alla colpa, più orribile di un cadavere... Un cadavere
è una cosa... si sa dove è... lo si vede, e se si deve passar oltre, lo si
evita oppure lo si calpesta come più si voglia. Ma aver d’innanzi a sè
il pensiero del proprio delitto... Vederlo come allora, in quell’attimo
terribile in cui si è compiuto... averlo presente vestito coi foschi colori
che vi presta l’immaginazione... ecco l’orrendo spasimo d’un’agonia
che dura finchè in voi dura l’idea che ve ne formate; esso è ben più
terribile dell’agonia reale che dura quanto solo può durare un’agonia,
a cui vi sottraete, o che fate finire più presto. Un fantasma per chi è
reo... è più che un uomo... L’uomo è contro lui, il fantasma è in lui...
L’uomo s’uccide... e v’ha una convulsione in quel parossismo che
attutisce le facoltà intellettuali e fa dominare assoluta la sensualità
delle impressioni. L’orgasmo ed il terrore, sono sensi che
costituiscono in dati momenti una vita a parte... talchè vedremo
talvolta il timido farsi entusiasta e l’indomito farsi pauroso. Essi sono
quali sono fatti in quell’eccezione del momento per riprender tosto
dopo la loro veste abituale.
Enrico lottava con sè stesso!... lotta terribile della realtà contro
l’indefinito... dell’uomo contro un’idea che lo accerchia, che lo
stringe, che è in lui... ed in cui egli vede una cosa orribile fuori di lui,
e che pur sente in sè... È un impressione nella quale egli si perde,
che si fonde con lui e che volendola superare per lo sforzo istesso
del pensiero che la combatte, si veste e si anima di ognor nuove
forme; che si riproduce quando egli crede d’averla distrutta.
S’intese un rumore come d’un corpo che cade, un altro grido che
non era mandato dalla voce d’Angela... Enrico non vide più nulla...
egli aveva vinto sè stesso perchè tutta la vitalità della sua anima era
stata deviata; in quel momento di parossismo il pensiero era
assorbito da quel fatto che si compieva e che diceva a lui ardente di
libidine e di vendetta... Angela è là!...
Nell’istesso frattempo Adolfo s’era gettato dentro al piccolo
sotterraneo, aveva sentita la scala sotto allo sue mani, l’aveva salita.
Angela s’era rannicchiata pallida di terrore nell’angolo più remoto; un
fioco lumicino ardeva in mezzo alla stanza, il grido di spavento che
stava per uscire dalle labbra della fanciulla gli si soffocò dentro il
petto anelante, essa si levò, bella... divina!... collo sguardo acceso...
le gote infuocate... le braccia protese come verso una visione!
Adolfo!... mormorò essa con voce debole e fioca come un sospiro...
Adolfo!... Il giovane ebbe appena il tempo di slanciarsi verso lei
ebbro d’amore, di felicità, dimenticando tutto! sè stesso, il luogo ove
si trovava, il passato, l’avvenire! per non vedere che lei!... Un’altra
porta nello stesso tempo aveva ceduto sotto la pressione d’un urto
terribile, un altr’uomo s’era slanciato in quella stanza... Adolfo
mandò un grido di gioia... Enrico più livido d’un morto si vedeva
sorger di contro il fantasima d’un altro assassinato, là... dove aveva
sepolto il fratricidio!... Egli mandò un ruggito terribile di rabbia che
soffocò in lui il fremito dello spavento... Entrambi trassero il pugnale
e si lanciarono l’uno contro l’altro.
Bastò ad Adolfo quel movimento di terrore a cui non potè sottrarsi
l’uomo ch’egli aveva chiesto a Dio colla più ardente delle preghiere,
a satana col più truce de’ suoi giuramenti, per deporre al suolo
Angela che era svenuta tra le sue braccia.
Que’ due uomini s’incontrarono corpo a corpo... Il lume si spense
urtato nella lotta. Erano soli in mezzo alle tenebre, nella solitudine di
quel palazzo misterioso... S’intese un cozzar di ferri... lo strider delle
due lame che si urtavano sitibonde di sangue, un anelito di petti... un
gemer sommesso come d’un dolore che si freni sul labbro, uno
sbalzar per la stanza come di due tigri che s’avventino... poi un grido
di rabbia... una bestemmia, un rantolo, poi... si fe’ silenzio... un
silenzio d’un attimo... Adolfo era caduto sulla vittima nella cui gola
aveva piantato sino al manico il suo coltello. Egli si sentì umide di
sangue le mani, intriso di sangue il volto che sulla fronte gli era
spruzzato mentre cadeva sopra di lui; ascoltò se ancor si moveva...
non intese che il rantolo della sua agonia... e il gorgogliar del sangue
che usciva dalle arterie squarciate. Si levò; Angela giaceva tuttavia
svenuta.
Adolfo battè l’esca ed accese il lume che per fortuna era rotolato in
un angolo della stanza e non s’era del tutto riverso. A quell’oscillante
chiarore egli vide allora... e fremè per tutte le fibre. Quella stanza era
squallida ed umida, non v’era per terra presso al canile di paglia che
una scodella di legno, non v’era che un piccolo pertugio che parea
più lo spiraglio d’una prigione, che una finestra. Angela giaceva
svenuta al posto ove egli l’avea deposta; le sue vesti eran tutte
intrise del sangue di cui era allagato il suolo e che zampillava ancora
dalla squarciata gola del morente; i capelli aveva rabbuffi ed irti sulla
fronte, non mandava più che un debil alito, un rantolo fioco più di
morto che d’agonizzante.
Adolfo si tolse tra le braccia il prezioso fardello e scese desideroso di
togliersi a quel terribile quadro. Marta rinveniva allora dal suo
assopimento, al rumore dei passi di Adolfo che scendeva la scala si
alzò. Il giovane mandò un grido di sorpresa e di spavento al veder
rizzarsegli di faccia quel nero fantasima, impressionato tuttora da
quanto era succeduto, da quanto egli aveva compiuto in quella casa
maledetta, ebbe quasi paura di quell’improvvisa apparizione!... Dal
petto di Angela uscì un debole lamento... le sue labbra pallide
mormoravano un nome... Adolfo!...
Il giovane si scosse... si strinse al cuore la fanciulla e gettò uno
sguardo di sorpresa sulla vecchia che gli si era rizzata contro
minacciosa ma essa pure aveva inteso il nome che avevan
mormorate le labbra di Angela. Al debole raggio di luce che veniva
dalla stanza dove ardeva il lume acceso da Adolfo essa lo guardò;
sulla sua fronte lampeggiò un raggio di gioia. Sareste voi!?... voi il
signor Adolfo?... domandò essa volgendosi al giovane che la
guardava inquieto ed attonito. Oh che siate benedetto!... è ben il
cielo che vi ha mandato!...
— Sì, sono io... rispose Adolfo assicurato dall’accento della vecchia,
benchè nulla comprendesse, e fosse ansioso di conoscere i
particolari di quello strano avvenimento. Ma ora è necessario, buona
donna, di far rinvenire questa fanciulla...
— Scendete dunque, scendete presto... qui v’ha dell’acqua... e le
tenebre della notte ci proteggono ancora.
Ajutò quindi il giovane a uscir fuori da quell’umido antro.
Quando la vecchia colle premure d’una madre ebbe deposta la
fanciulla nel vano che era tra le due ale del fabbricato, corse alla
saracinesca da dove gettò uno sguardo inquieto nell’interno del
palazzo.
— Facciamo rinvenir presto la fanciulla, buona donna, disse Adolfo,
che aveva indovinati i timori della vecchia. Non v’ha più nulla a
temere nè per noi nè per lei!...
— Non v’ha più nulla a temere?... esclamò la vecchia fissandolo in
volto sorpresa. — È un uomo potente colui... e satana gli dà mano
nei suoi affari...
— Era potente!... mormorò Adolfo a voce bassa, e satana potrà
trastullarsene a suo bell’agio.
La vecchia non capì bene, per quanto gli paressero strane le parole
del giovane.
Angela aveva mandato dal labbro un nuovo lamento, essa corse ad
attingere al canale un po’ d’acqua col palmo delle mani e ne spruzzò
la fronte della giovinetta, che rinvenendo gettò un grido di gioia.
Due voci la richiamarono alla vita, due voci che le erano care ed
adorate!... le parve di destarsi da un sogno ma non era un sogno...
ella sentì un tocco ardente infuocargli le labbra, era un bacio di
Adolfo!... sentì un palpito anelante sul suo cuore che rinasceva alla
vita... ed ella si trovò tra le braccia del giovane e di Marta ebbra di
quell’estasi per cui si benedice anche alla sventura quando sia il
prezzo di quei sovrumani godimenti a cui non si arriva che per la via
del dolore, che solo ne consente di misurare il palpito della felicità!
Qui ha fine la leggenda... Angela e Marta appresero da Adolfo come
finì Enrico il fratricida su cui egli aveva vendicate le innumerevoli
colpe. Il suo cadavere rimasto là, dove fu spento, sarà stato portato
via dall’acqua in qualcuna delle frequenti inondazioni a cui Mantova
andava soggetta, oppur consumato dal tempo si sarà rifatto polvere
e materia. Angela e Adolfo in un alla vecchia Marta che portava alla
fanciulla un affetto di madre, affezione che nasceva in lei per l’opera
istessa del beneficio che aveva compiuto, si recarono al paesello
dove era morta Giulietta, e dove egli si recò a deporre sulla tomba
del padre il pugnale insanguinato che ne aveva vendicato
l’assassino infame. Vi trovarono la povera Margherita che fu beata di
poter morire consolata dal bacio del suo figlioccio, essa si faceva
raccontare tutte le sere dalla vecchia Marta la storia del Palazzo del
Diavolo, storia che narrava poi a tutti i ragazzi del paese. Il
marchese ritornato dalla sua missione, stanco dei tumulti della vita
politica si ritirò a viver tranquillo coi suoi figli.
In quel piccolo paesello allegrato da un vago sorriso di sole che
indora le acque del suo lago, qualche vecchio si ricorda ancora la
leggenda del Palazzo del Diavolo, che aveva sentita raccontare da
bambino. Dopo d’allora egli fu disabitato per molto tempo e si
vociferavano sul suo conto truci storie di spiriti e di folletti; si diceva
che l’anima del nipote del Mago, o del misterioso signore della Casa
della Valle vi si aggirasse di notte gemendo e mandando grida
indemoniate.
Oggi la prosa del secolo ha fatto del suo vasto salone, al quale
rimane appena alcun vestigio dell’antica splendidezza, un
magazzeno ove s’ammucchiano le granaglie... I topi si ingrassano e
vi s’aggirano despoti e signori invece delle anime dei morti; vi ballan
la ridda fra le sacca correndosi dietro per tutta l’ampia vastità del
locale, mettendo fuori dalle fenditure il loro musino vispo ed allegro.
Le loro nere ed ardenti pupille brillano di notte d’una luce fosforica,
per cui qualche buon paesano si sarà anche oggi giorno spaventato
credendole qualche spirito che sia ritornato all’antico suo albergo.
Tutto vi è diroccato... nè più v’ha forma di ciò che fu. Si è fatto del
cortile uno stallo ove fanno capo i carrettieri nei giorni di mercato; si
sono aperte al pian terreno botteghe di ferro rotto, di modiste e di
falegnami; v’è un’osteria ove vado anch’io a cena qualche volta!...
Vicino al luogo ove si sono compiuti gli ultimi avvenimenti che fanno
parte di questo racconto, cantano e lavorano battendo il bucato
allegre lavandaje senza paura che dalla porticina sprangata che
mette alla stanza allagata, esca fuori l’ombra di qualche morto a far
gelare sul loro labbro il canto col quale si rendono meno pesante il
lavoro. Tutto è scomparso e non vi resta più che un informe
ammasso di pietre che sparirà esso pure un giorno, se non al tocco
della magica bacchetta dei maghi antichi, per l’opera più proficua di
qualche centinajo di mille franchi che cercheranno un mezzo di
moltiplicazione imbellettandone la fisonomia per farne tanti
mezzanini moderni da noleggiare ad usum...

Onde coprir le spese


Per tanti franchi al mese!...

FINE.
ADELIA

NOVELLA
DI ULISSE BARBIERI
ADELIA
CAPITOLO I.

Comune storia che finge pur il vero,


A voi fanciulle io narro!...

Spuntava il sole d’un bel giorno di giugno. Le tremolanti cime degli


alti pioppi che imboscano le valli del mantovano erano avvolte in
un’onda di luce e si disegnavano nello spazio in bizzarri frastagli.
Appoggiato al parapetto del ponte di S. Giorgio, vedeasi un giovane
dalle sembianze dilicate, dalla pupilla animata, dai capelli che a
lunghe ciocche scendevangli intorno alla fronte alta e serena.
Egli seguiva astrattamente l’incresparsi delle calme acque del lago,
sul cui dorso vedeasi guizzare qualche gaio pesciolino che le
solcava d’una bella striscia d’argento, mentre il sole che innalzavasi
a poco a poco imperlava i verdi ligustri bagnati ancora dalla notturna
rugiada.
Fra quella folta selva di giunchi che si estende sulla riva sinistra del
lago, l’usignuolo modulava la sua mesta nota; il gardello dalla cima
di qualche antico pioppo trillava il suo armonioso gorgheggio; gaie
villanelle passavano il ponte adorne del loro più bell’abito festivo; da
lunge udivasi lo schioppettìo allegro delle fruste agitate dai merciajoli
che spingevano le loro rozze alla piazza che s’ingrossava di
rivenduglioli.
Era insomma una mattina d’un bel giorno di festa, ed il pensiero ti si
esilarava nel contemplare quella scena così poetica nella sua amena
semplicità.
Il giovane che erasi recato a diporto lasciando errare intanto il volo
del suo pensiero intorno a chi sa quante illusioni che leggiadramente
andava forse accarezzando, ritornò sopra a’ suoi passi, e cacciatosi
sotto al portico dei Mercanti, movea difilato verso la chiesa di
Sant’Andrea.
Era l’ora della messa; il comico teatro rituale rigurgita di spettatori
pel solo scopo che lo spettacolo si dà gratis!
La piccola piazzetta detta del Bocchetto era ingombra d’ogni sorta di
gente; l’occhio avido ed impaziente del giovane ben s’internava tra
quella folla compatta, ben egli si rizzava sulle punte dei piedi per
guardare al disopra delle teste, che rasentava collo sguardo, e
bestemmiava contro la devozione cattolica col maggior garbo
possibile!...
Perchè un fremito l’investe in tutta la persona?... perchè i suoi occhi
mandano un così vivo lampo di gioia?...
— È già tardi, mamma, disse una voce dolce e soave a pochi passi
da lui, e la leggiadra giovinetta dalla cui bocca erano usciti quegli
accenti, trascinava dietro a sè verso il tempio una donna d’aspetto
posato, per un lembo della sua veste di seta nera.
Carlo fece un atto di sorpresa e guardò la folla che gli serrava il
passo come guerriero che misuri d’un colpo d’occhio la forza del
nemico; strinse i gomiti e si dispose a farsi largo. Dal tempio si udì
un modulato tintinnir di campanello... a quel suono la folla cadde
ginocchioni, ed egli si vide ritto e come piantato in mezzo ad un
livello orizzontale di larghi cappelloni di paglia e di cuffie a nastri
rossi che gli si incurvarono dinanzi come capi di spiche al soffiare
d’improvviso vento.
Datemi un punto d’appoggio e solleverò il mondo, disse Archimede...
A Carlo mancò invece il punto d’appoggio; egli spinse i suoi due
pugni inarcati nel vuoto e brancolò urtando contro qualche cosa che
faceva parte del corpo d’una vecchia ottantenne, ed a cui la troppa
divozione dava una prominenza troppo indiscreta!...
Egli vide però... la vide salire la larga gradinata, la vide volgergli uno
sguardo; arrossire ed entrare, e fu questa credo la prima volta che
egli trovò che il sanctus potesse servire a qualche cosa!...
Adelia, che tale era il nome della giovinetta, erasi inginocchiata
accanto alla madre, egli era entrato in chiesa e potè a tutto suo agio
contemplarla per qualche istante; i loro sguardi s’incontrarono...
S’erano detti mille cose!...
Amarsi!... come è bella la vita!... quando la si comprenda in questa
soave aspirazione dell’anima!... aspirazione santa!... come tutto ciò
che è fede!... perchè fede è amore!... amore è giovinezza!... Vivere
l’uno per l’altro!... poter ridirsi questa magica parola di tutti i cuori!...
Correre insieme le fiorite alee d’un giardino, ascoltare il canto di un
augello, darsi un fiore, scambiare un bacio, mormorarsi strane
parole, palpitare di fremiti soavi, guardare il cielo che si adorna di un
manto più fulgido di stelle per farsi più bello ai nostri occhi!... Il sole
che sfavilla di maggior luce!... far proprio ogni volger d’attimo che
concatena il tempo all’eternità, di cui si ama tutto! Le gioie che
prodiga, i dolori che prepara... quelle belle giornate di primavera in
cui si respira l’olezzo delle viole raccolte sul margine d’un fiumicello;
quelle triste giornate di pioggia durante le quali vi raccogliete
leggendo un libro, ridicendovi le mille volte quell’eterno ritornello che
è il grido eterno della vostra anima, sempre nuovo perchè veste
sempre le diverse forme delle impressioni che gli danno vita!...
Ecco cos’era l’amore per Adelia!... era un fuggevole inseguirsi di
giorni sereni e felici!... era un immergersi nella voluttà dell’oggi!... era
un sorridere alla speranza del domani!...
Povero fiore avido di luce e di rugiada che appena schiude i suoi
petali olezzanti, essa aveva ben ragione di chiedere alla vita il suo
caro sogno di fanciulla!...
Perchè il dubbio, questo aspide dalla bava velenosa che
s’avviticchia al verde tronco e ne sugge il miele, avrebbe dovuto
tingerle l’aurora coi foschi colori del tramonto?...
No!... ridi e folleggia, o fanciulla, finchè ha un sorriso il tuo vergine
cuore!... Ama e canta come la rondine che ti saluta il mattino dal
trave ospitale dove ha fabbricato il diletto suo nido!...
Il capriccio innocente od un desiderio di rapina, un giorno glielo
distruggerà, ed ella andrà poi gemendo per gli spazj raccontando
all’aria la sua sventura e la triste storia dei diletti che generano le
colpe!... Ridi e folleggia prima che il dolore impallidisca il bel
vermiglio della tua guancia!... Prima che il pensiero appanni la tua
fronte!... Spendi i palpiti del tuo giovane cuore prima che la
disillusione te li inaridisca nel petto!... Godi, fanciulla!... finchè il tuo
ciglio ha un lampo sereno; il mondo è tuo!... cogline i diletti come il
fiore che côgli attira un tuo sguardo. Ape leggiadra, aggirati pel
giardino della vita ornato d’altari e di croci!... Canta alla vita ed alla
morte la tua canzone, poi fenice dalle ali dorate, fatti un rogo di
vimini olezzanti e coll’ultimo tuo canto prelúditi la tomba!...
CAPITOLO II.

Bello è il riso degli astri, e allor che splende


La compagna dell’ombre, e l’armonia
Del creato sfavilla, a me discende
Dolce nell’alma una tristezza pia.

Caro è l’amplesso d’una madre, e santa


La parola che al cor parla la fede!...
Ma tutto tace se dal duolo affranta,
Ebbra d’amor... non ha d’amor mercede,
L’alma che solo in lei sente la vita,
Nel delirio gentil con te rapita!...

Sol’io ramingo ricercando vado


Un cor che al grido del mio cor risponda!...
E d’una cara illusïon suado
L’alma d’amor digiuna e sitibonda!...

L’argenteo raggio d’una pallida luna baciava le nere chiome d’una


pensosa giovinetta seduta sola e raccolta al piccolo tavolino da
lavoro della sua stanza, allora che dalla strada s’intese il suono della
mesta canzone.
Ne erano le note dolci come un sospiro e parea non domandassero
all’eco che un altro sospiro ad intrecciarne l’armonia.
Quella giovinetta era Adelia... si scosse... tese l’orecchio con avida
ansia... i suoi begli occhi celesti scintillarono ardenti ed animati... un
incitato anelito le sollevò il petto ansante, colla leggiadra sua mano
si compresse la fronte come se volesse frenare l’inquieta danza dei
pensieri che dentro vi turbinava; si alzò tacita, accostossi al balcone
che stava aperto... forse per lasciar adito alla fresca aria della sera...
Ristette immota.... Un giovane svoltava l’angolo della vicina via; la
giovinetta non potè udir altro che l’allontanarsi de’ suoi passi.
Pure aspettò... quel rumore tornò a farsi più distinto; vide un bel
giovane dalla corporatura snella, dal volto pallido, dai capelli neri e
lucidi, che ripassò senza levare lo sguardo, poi più nulla!...
Essa era ancor là... guardava una stella il cui raggio le tremolava sul
capo, e parevale che favellasse arcane parole alla sua anima che
chiedeva alla vita il suo mistero!...
Come era bella! appoggiata a quel balcone, illuminata da quella
mistica luce che ne inargentava le chiome d’ebano! Era pur bella!...
china la fronte sul suo seno d’alabastro, simile alla Margherita di
Goethe, che sfoglia il fiore della rivelazione, sfogliava essa i fiori del
suo pensiero cercandovi il più bello ed il più olezzante!...
Come si disegnava bello il suo corpiccino di gazzella sotto alla sua
veste bianca!
Essa non sapea ancora che nome avesse... chi fosse il pallido
giovinetto che aveva cantata sotto al suo balcone la romanza del
sospiro!...
Ma che importa al cuore che ama di un nome?... Si sovvenne della
prima parola colla quale l’aveva chiamata baciandola sua madre, e
la mormorò stemperando la sua anima in un sorriso. Mio Angiolo!...
Povera Adelia!

*
**
È mezzanotte!... la luna che ha irraggiata quella scena, ha nascosta
la sua faccia luminosa in seno a fosche nubi. Da che ritorse inorridita
il suo raggio?... Dalle socchiuse griglie di un’altra casa s’ode un
tintinnìo di bicchieri... grida... un nome... poi uno scoppio di risa... poi
una parola mormorata da due labbra nello scambio di un bacio:
Povera Adelia!

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