verborgenen Winkel und Falten seines Herzens genau und fleißig durchsuchen, ob er nichts darin finde, dem er mit unordentlicher Lust anhängt und ergeben ist, oder ob nicht etwas Vergängliches noch einen Platz in seinem Innern einnehme und behaupte. Findet er etwas dergleichen, so muss er ihm ungesäumt die Herberge aufkünden. Dies ist ihm so notwendig als dem angebenden Schüler das Abc.
Sobald er am Morgen erwacht, soll er sein Herz zu Gott erheben und zu
Ihm sprechen: „Ach, mein Gott und Herr, ich will nun wieder anfangen, um Deiner Liebe willen mir und allem abzusagen.“ Diesen heiligen Entschluss, vor dem Angesicht des Herrn gefasst, muss er dann auch den Tag hindurch ausführen. und sooft er bemerkt, dass sich sein Herz von etwas einnehmen, sich eigenliebig in etwas festsetzen will, sich davon losreißen und sich selbst überwinden. Darin besteht die wahre Gottseligkeit, und ohne diese Selbstverleugnung kann es niemand weiterbringen, er wende sich, wohin er wolle. Und hierin muss man ausharren bis ans Ende; denn keiner kann sich so oft verleugnen, dass ihm nicht noch etwas übrig bleibt, in dem er sich wieder verleugnen muss.
Selbst in den gewöhnlichen Handlungen des menschlichen Lebens
muss man nicht die natürlichsten oder sinnlichen Triebe herrschen lassen, sondern also gesinnt sein, dass man in Wahrheit sagen kann: „O mein Gott, meine Liebe, Dir, nicht mir esse ich; Dir, nicht mir schlafe, lebe, leide ich; um Deinetwillen, nicht um meinetwillen, verleugne ich alles.“ Solange im Menschen noch ein einziger ungestorbener Blutstropfen ist, fehlt es ihm am wahren Christenleben und er kann nicht mit Paulus sagen: „Ich lebe aber, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir.“ Wer etwas sein will (zum Lobe der Herrlichkeit Gottes), der muss aufgehört haben, sich selbst zu leben (in der Eigenheit, etwas zu sein); dies ist der Grund unseres Heils. Wir sind (in uns selbst oder aus uns selbst) nichts, nur in Ihm sind wir etwas; darum müssen wir uns selbst gründlich und von ganzem Herzen verleugnen und verlassen.“
„So kann auch keiner von euch, der nicht allem entsagt, was er hat, mein Jünger sein.“ (Luk. 14,33 )