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nachrichten g 3336 24.3.2005 21. jahrg./issn 0945-3946 1,30 ¤
www.antifaschistische-nachrichten.de
Kameradschaften
verboten Neonazis
Berlin. Innensenator Ehrhart Kör-
ting hat am 9. März drei neonazisti- streiten über
sche Kameradschaften verboten. Es
handelt sich um die „Berliner Alter-
native Süd-Ost“, die „Kamerad-
Deutschtum
schaft Tor Berlin“ und deren „Mä- Lübbe- schen Neonazi Christian Worch sowie
delgruppe“, teilte die Innenverwal- nau. In zur Partei national orientierter Schwei-
tung mit. Mehrere Hausdurchsu- Bran- zer“ (PNOS).
chungen in vier Berliner Bezirken denburg hat Die BDVG/Neue Ordnung verfügte
beendeten dieses Kapittel der auf sich der NPD- über regionale Schwerpunkte in Nordba-
etwa 500 Mitglieder geschätzten Kreisverband den und Sachsen und geht auf einen
Kameradschaftsszene. Beschlag- Prignitz-Rup- Streit innerhalb der Führungsstruktur
nahmt wurden Computer, Mitglie- piner, der als der Jungen Nationaldemokraten Ende
derlisten, Kontounterlagen, Aufkle- einer der aktiv- der 90er Jahre zurück. Auch hier war die
ber und 532 Flugblätter. Die drei Fotos: arbeiterfotografie sten des Aufnahme des Bosniers Safat Babic in
verbotenen Organisationen gelten Bundeslandes den NPD-Nachwuchs der Grund für den
als die aktivsten und auch aggres- galt, faktisch Konflikt. Ezer wollte den Beitritt Babics
sivsten der neonazistischen Kame- aufgelöst. An verhindern, da nach Paragraf 5 des JN-
radschaftsszene in der Hauptstadt. dessen Stelle Statuts „nur Deutsche“ Mitglieder wer-
Die Kameradschaft Tor (10-15 tritt die am 1. den dürfen. Es gelte das „Konzept der
Mitglieder) wurde Sommer 2000 in Februar 2004 Abstammung“, nicht das der Staatsbür-
Lichtenberg gegründet und soll un- ins Leben ge- gerschaft. Unter den JN-Abweichlern
ter anderem Plakate in Gedenken rufene Bewe- war damals auch der Landesvorsitzende
an den SA-Führer Horst Wessel ge- gung Neue in Baden-Württemberg, Lars Käppler.
klebt haben. Ihren Namen bezog Ordnung Zwei Monate nach der verlorenen
sie auf das Frankfurter Tor. Die (BNO). Abstimmung gründete Ezer (Bundeslei-
bald darauf gegründete „Mädel- Unter Füh- ter) und Lars Käppler (Stellvertreter)
gruppe Tor“ verstand sich in der rung der bei- dann die NPD-Abspaltung „Bildungs-
Tradition des nazistischen „Bund den ehemali- werk deutsche Volksgemeinschaft“. Die
deutscher Mädel (BdM)“. Die gen Landes- gefeuerten Vorsitzenden konten aller-
BASO (10-15 Mitglieder) wurde vorsitzenden dings nur zu einen kleinen Teil die
im Herbst 2003 gegründet und er- Mario Schulz NPD-Mitglieder zum Austritt bewegen.
regte insbesondere im Dezember 2004 (NPD) und Jens Pakleppa (JN) trafen Ende 2000 wurde die Geschäftsstelle
den Unmut der Regierenden, als sie vor sich laut Verfassungsschutz 100 Rechts- der 100 Mitglieder zählenden Organisa-
dem Haus des Polizeidirektors Michael extreme zur Gründungsversammlung in tion von Eschweiler nach Heilbronn ver-
Knape aufmarschieren wollte. Der Vetschau. Für die Abspaltung soll die legt. Achim Ezer ist inzwischen nicht
Staatsschutz vermutet hier auch die Ur- Nominierung des gebürtigen Bosniers mehr für die BDVG tätig. Um einem
heber der Morddrohungen gegen den und deutschen Staatsbürgers Safet Babic möglichen BDGV-Verbot den Wind aus
Leiter der Direktion 6 (Lichtenberg, auf der Europawahlliste der NPD aus- den Segeln zu nehmen hat Lars Käppler
Treptow-Köpenick). schlaggebend gewesen sein. kürzlich sein Amt niedergelegt. Käppler
Innensenator Körting kündigte an, Bereits 1999 hatte sich der sächsische ist nach Erkenntnissen von Verfassungs-
weitere Organisationsverbote zu prüfen JN-Landesverband wegen Babic aus schützern dabei, nach Rosenberg-Ho-
und zielt mit der Ankündigung offen- dem Bundesverband verabschiedet. henberg bei Ellwangen umzuziehen.
sichtlich auf die „Nationalen Aktivisten Durch den Übertritt des NPD-Kreistags- Dort hat der aus Österreich stammende
Prenzlauer Berg“, der „Märkische Hei- abgeordneten in der Prignitz und den ei- Neonazi Andreas Thierry für etwa 45
matschutz“ und die „Autonomen Natio- nes Stadtverordneten in Wittstock ver- 000 Euro einen alten Gasthof ersteigert.
nalisten Berlin“, welche mit den verbote- fügt die BNO über zwei kommunale Anwohner fürchten, dass dieser zu ei-
nen Gruppierungen zusammengearbeitet Mandate. Doch offenbar hat die NPD- nem Zentrum der Neonaziszene ausge-
haben. kun ■ Opposition Größeres im Sinn. Über die, baut wird.
in Stuttgart ansässige „Plattform Neue Bis zur Vertreibung der BDVG aus
Ordnung“, die als Schwester und Dach- Eschweiler bei Köln im Sommer 2000
Inhalt: verband der „Bewegung Deutsche fanden in den Örtlichkeiten regelmäßig
Volksgemeinschaft“ (BDVG) auftritt, Veranstaltungen statt. Diese sollen of-
AN-Tagung 19.2.: Vortrag von sollen die verschiedenen Rechtsabspal- fensichtlich nun nach Ellwangen auf
Prof. Dr. Wolfgang Dreßen: tungen der NPD offenbar organisato- halber Strecke zwischen Stuttgart und
Alle einig gegen Rechts? . . . . . . 7 risch zusammengefasst werden. Weiter- Nürnberg verlagert werden.
hin bestehen Kontakte zu dem norddeut- kun ■
: meldungen, aktionen
die offensichtliche Aussichtslosigkeit
dieser Aktion und die daraus entstehen-
Bracht verstorben kenkreuzfahne, SS-Emblemen und ei- den Kosten für die Partei empört.
Lemgo/Lippe. Kürzlich verstorben ist nem Karabiner. Außerdem wurden Bier- kun, nach PM des sächsischen Verfas-
der 1927 im schlesischen Breslau gebo- flaschen mit dem Konterfei von Adolf sungsschutzes vom 9.3.2005 ■
rene Prof. Dr. Hans Werner Bracht. Der Hitler und Eva Braun gefunden. Der Ver-
Rechtswissenschaftler, der in Bielefeld mieter des Gebäudes will der Gruppe Keine Strafe für Tschechen
und Lippe lehrte, war viele Jahr lang Prä- nun fristlos kündigen. Die Polizei geht
sident von „Western Goals Europe“. Ge- derzeit von rund 70 Neonazis im Land- wegen Neuauflage von
gründet wurde „Western Goals“ 1979 kreis aus. hma ■ „Mein Kampf“
von dem konservativen Abgeordneten im
US-Kongress, Lawrence P. McDonald, Prag. Das oberste Gericht der Tschechi-
Sächsische NPD wählte schen Republik hat am 9. März ein Urteil
der damals zu den führenden Mitgliedern
der „John Birch Society“ in den USA ge- neuen Landesvorstand gegen einen Verleger aufgehoben, der
hörte. Wiesa. Am 5. März fand in Wiesa im 2000 eine tschechischsprachige Ausgabe
Bracht, der auch enge Verbindungen (Landkreis Annaberg) der Landespartei- von Adolf Hitlers Buch „Mein Kampf“
zu diversen revanchistischen Organisa- tag der sächsischen NPD unter Aus- veröffentlichte. Das Gericht gelangte
tionen pflegte, war Ende der 70er Jahre schluss der Öffentlichkeit statt. Der Ter- nach Angaben einer Sprecherin zu der
Mitgründer der „Deutschen Sozialen min des Parteitages war zuvor bereits Auffassung, dass der Verleger Michal
Union“, deren Anhänger sich eine zweimal verschoben worden. Der Land- Zitko keine strafbare Handlung beab-
bundesweite Ausdehnung der CSU er- tagsabgeordnete Winfried Petzold, der sichtigt habe. In erster Instanz wurde Zit-
hofften. Nebenher war er auch juristi- bereits seit 1997 Vorsitzender des sächsi- ko 2001 in Prag wegen Förderung des
scher Berater des Geschichtsrevisionis- schen Landesverbandes ist, wurde mit 52 Nationalsozialismus zu drei Jahren Haft
ten Udo Walendy, einem ehemaligen Stimmen als Landesvorsitzender wieder- mit Bewährung und einer Geldstrafe von
NPD-Funktionär. 1998 war Bracht Mit- gewählt. Als stellvertretende Vorsitzen- zwei Millionen tschechischen Kronen
autor der „Festschrift für David Irving“, den wurden die Landtagsabgeordneten (rund 68.000 Euro) verurteilt.
die im Kieler „Arndt-Verlag“ erschien. Jürgen Schön und Holger Apfel bestätigt. Die nächsthöhere Instanz hob das Ur-
Zuletzt gab er noch im Jahr 2001 der Als dritten stellvertretenden Vorsitzen- teil wegen Verfahrensfehlern auf. Bei der
NPD-Zeitung „Deutsche Stimme“ ein den wählten die Delegierten den Land- Neuverhandlung 2002 wurde Zitko er-
Interview. hma ■ tagsabgeordneten Mirko Schmidt, der neut schuldig gesprochen, die Haftstrafe
bisher Beisitzer war. Weiterhin im Lan- aber auf 22 Monate reduziert. Zitko legte
desvorstand vertreten sind: Klaus Baier Beschwerde beim obersten Gericht ein,
Rechte Rocker das ihm nunmehr stattgab. Bis dato sol-
(MdL und Vorsitzender des NPD-Kreis-
Mannheim. Die „Rheinwelle“, eine ehe- verbandes Annaberg), Alexander Delle len von dem Buch bereits 90.000 Exem-
malige Fernfahrerkneipe ganz am Ende (MdL und Mitarbeiter im „Deutsche plare verkauft worden sein. kun ■
der Essener Straße im Rheinauhafen, Stimme-Verlag“), René Despang (Vorsit-
„entwickelt sich mehr und mehr zur zender des NPD-Kreisverbandes Dres- NPD-Landtagskandidat ver-
bundesweiten Anlaufstelle für Skinheads den), Jürgen Gansel (MdL und Mitarbei- urteilt
und Neonazis“, berichtet der „Mannhei- ter im „Deutsche Stimme-Verlag“) Jür-
mer Morgen“ (15.3.05). Erneut hatte die gen Krumpholz (Vorsitzender des NPD- Aachen. Das Landgericht Aachen hat
Polizei dort Mitte März ein Konzert mit Kreisverbandes Görlitz), Kerstin Lorenz am heutigen Mittwoch ein Urteil wegen
den Rechtsrock-Bands „Nordglanz“ und (bis 2004 Landesvorsitzende der REP, vorsätzlicher Körperverletzung, began-
„Linientroi“ verhindert. Die Kneipe be- seit September 2004 NPD-Mitglied), Dr. gen an einen 13-Jährigen durch den
heimatet heute das Clubhaus der Rocker- Johannes Müller (MdL und Vorsitzender nordrhein-westfälischen NPD-Landtags-
gruppe „Bandidos“. hma ■ des NPD-Kreisverbandes Sächsische kandidaten Willibert Kunkel, bestätigt.
Schweiz), Marcus Müller (Vorsitzender Das Gericht bestätigte zudem die am
Skinhead-Treffen aufge- des NPD-Kreisverbandes Muldental), 12. November 2004 vom Amtsgericht
Matthias Paul (MdL und bisheriger Pres- Eschweiler gegen den 54-Jährigen ver-
flogen sesprecher im Landesvorstand), Frank hängte Geldstrafe von 2 100 Euro. Beide
Kochel am See. Aufgeflogen ist ein Rohleder (ehemaliger stellvertr. REP- Kammern sahen es trotz widersprüch-
Treffen der Skinheadgruppe „Division Bundesvorsitzender, Beisitzer im NPD- licher Zeugenaussagen als erwiesen an,
Oberland“ im bayerischen Kochel am Bundesvorstand, Vorstandsmitglied des dass der alkoholisierte NPD-Funktionär
See. Knapp 40 rechte Skinheads aus dem „Nationalen Bündnis Dresden e.V.“), den Jungen im September 2003 vor sei-
Kreis Weilheim, München, Dresden, Ba- Thomas Schüßler (NPD-Kreisrat im nem Wohnhaus nach einem teils ordinä-
den-Württemberg und der Schweiz hat- Landkreis Chemnitzer Land). Neu in den ren Wortgefecht attackiert hatte. Dabei
ten sich am 12. März in einem zum Ver- Landesvorstand gewählt wurden Kerstin habe er den zur Tatzeit 13-Jährigen so ra-
einsheim umgebauten Kiosk am Bahn- Lorenz, Marcus Müller, Frank Rohleder biat an Hals und Nacken gepackt, dass
hof getroffen, um eine Rechtsrock-Band und Thomas Schüßler. dieser kurzfristig über Atembeschwerden
zu hören. Die Polizei stürmte das Gebäu- In der Partei macht der Verfassungs- und Schmerzen klagte. Kunkel hatte ge-
de und nahm den 26jährigen Penzberger schutz „interne Streitigkeiten der sächsi- gen das Urteil aus erster Instanz Beru-
Chef der Gruppe, die aus der früheren schen NPD“ aus. Hintergrund hierfür sei fung eingelegt. Der 54-Jährige kandidiert
Kameradschaft „Oberland“ hervorgegan- ein schwelender Ost-Westkonflikt. Zu- bei der NRW-Landtagswahl am 22. Mai
gen ist, wegen „Volksverhetzung“ und dem sind die Kreisverbände darüber ver- an sechster Stelle der Reserveliste. Zu-
„Verwendens von Kennzeichen verfas- ärgert, dass sie vom Einzug der NPD in dem ist er Ratsmann in Stolberg, Vorsit-
sungswidriger Organisationen“ fest. Ge- den Sächsischen Landtag bislang nicht zender des NPD-Kreisverbandes Aa-
gen weitere 10 Neonazis wurde Anzeige finanziell profitieren. Kritisiert wurde chen, Beisitzer im NPD-Landesvorstand
erstattet, weil sie u.a. Hemden der „Divi- auch der Antritt des saarländischen NRW und gehört dem Bundesvorstand
sion Oberland“ mit dem Totenkopf-Ab- NPD-Funktionärs Peter Marx zur Ober- der Kommunalpolitischen Vereinigung
zeichen der Waffen-SS trugen. Dekoriert bürgermeisterwahl in Leipzig. Das Gros (KPV) der NPD an. Das Urteil ist noch
war der Raum u.a. mit einer großen Ha- der sächsischen NPD-Mitglieder ist über nicht rechtskräftig. mk, www.bnr.de ■
Am 2. April 2005 planen alte Faschismus ist keine Meinung sondern ein Verbrechen!
und neue Nazis erneut einen Pro-
pagandamarsch durch München,
der in ein Open-Air-Konzert auf der The-
Kein Naziaufmarsch am
resienwiese münden soll. Unter dem
Motto „Nur ein Esel glaubt noch an ei- 2. April 2005 in München!
nen Sozialstaat in der BRD“ hat der An-
führer der Kameradschaft München und wenn Sprache, Outfit und Aktionsformen Wir können uns nicht darauf verlas-
NPD-Mitglied Norman Bordin diese De- moderner geworden sind: Hinter der Sozi- sen, dass die Stadt oder der Staat den Na-
monstration angemeldet. Angekündigt alabbaukritik von Rechts steht die immer zis den Ton abdrehen. Wir müssen schon
sind Redner aus dem Spektrum der gleiche völkisch-rassistische Ideologie selber auf die Straße gehen und unüber-
“Freien Kameradschaften/Freie Nationa- von Volksgemeinschaft, Nationalismus hörbar klar machen:
listen” aus dem gesamten Bundesgebiet. und Antisemitismus. Wir werden auch den Nazi-Aufmarsch
„Es ist legitim, ja legal, sich den Der Skandal von 1997 darf sich nicht am 2. April 2005 nicht hinnehmen! Wir
Totengräbern der Demokratie wiederholen, als über 5.000 Nazis unter rufen alle Münchnerinnen und Münchner
entgegenzustellen.“* Polizeischutz durch München marschier- auf, den Faschisten kreativ und ent-
(* Zitat Martin Löwenberg) ten. Nur die konsequente Haltung der schlossen entgegenzutreten. Wo immer
15.000 Münchnerinnen und Münchner, die Nazis aufmarschieren – wir werden
Wir werden nicht dulden, dass 60 Jahre die damals stundenlang den Marienplatz präsent sein. Stoppen wir gemeinsam
nach der Befreiung von Auschwitz und besetzt hielten und schließlich die Nazis den braunen Spuk.
dem Ende des 2. Weltkriegs in München im Tal gestoppt haben, verhinderte, dass 2.4.2005 um 10 Uhr Kundgebung auf
unverhohlen mörderische NS-Propaganda diese ihr Ziel erreichten. Auch weitere dem Marienplatz
betrieben wird, gegen Flüchtlinge und Versuche der NPD, in München aufzutre- Im Anschluss daran Proteste entlang
MigrantInnen gehetzt und die Erinnerung ten sind an der Wachsamkeit und Präsenz der Route des Nazi-Aufmarsches. Ange-
an die Opfer der Vernichtungspolitik Na- der Münchner Bevölkerung mehrmals ge- meldete Plätze: Stachus, Sendlinger-
zideutschlands mit Stiefeln getreten wird. scheitert: So ihre Propagandaveranstal- Tor-Platz, Goetheplatz, Esperantoplatz
Das Thema der Demonstration „Sozial- tung am 30. September 2000 auf dem Ma- „Nie wieder Faschismus“ ist kein Lip-
staat“ stellt einen weiteren Versuch der rienplatz und die geplante Großkundge- penbekenntnis, sondern Ansporn und
Neonazis dar, sich antikapitalistisch und bung am 25. November 2000 auf dem Anlass zum aktiven Handeln!
globalisierungskritisch gerierend an die Maria-Hilf-Platz, die wegen der angekün- Der Aufruf wird unterstützt von einem
Proteste gegen die sogenannten Sozial- digten Gegendemonstrationen kurzfristig breiten Bündnis von Organisationen und
und Arbeitsmarktreformen (Agenda von der NPD abgesagt wurde. Damit wur- Einzelpersonen
2010/Hartz IV) anzudocken. Doch auch den klare Zeichen gesetzt. email: KeinKrieg@aol.com ■
: antifaschistische nachrichten 6-2005
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Köln. Über 100 Menschen ka-
men zur Eröffnung eines Begeg-
nungs- und Erzählcafés für NS-
Begegnungs- und Erzählcafé
Verfolgte, das jetzt alle vierzehn Tage in
der Seniorenresidenz am Dom stattfin-
für NS-Verfolgte eröffnet
den wird. Der Bundesverband Informa-
tion & Beratung für NS-Verfolgte hat das
Café initiiert und der rege Zuspruch bei
der Eröffnung lässt hoffen, dass dies ein
Treffpunkt für die noch lebenden NS-
Verfolgten in Köln und Umgebung wird,
an dem sie sich austauschen können und
über den sicher auch die eine oder andere
Hilfe für ihren Alltag organisiert werden
kann.
NS-Verfolgte scheuen häufig den
Kontakt mit den Angehörigen ihrer Ge-
neration, der Tätergeneration. Aber auch
professionellen Helfern gegenüber sind
sie in der Regel misstrauisch und zurück-
haltend. Sie berichten manchmal von
schlechten Erfahrungen, die sie mit Mit-
menschen gemacht haben, wenn sie ihr
Verfolgungsschicksal offenbart haben.
Diese alten Menschen haben es auch be- „NS-Verfolgte haben eines gemeinsam – sie haben immer Angst, auf irgend-
sonders schwer, Hilfe anzunehmen. Sie welche alte Nazis zu treffen. Wenn sie wildfremden Menschen begegnen, die
haben oft nur überlebt, weil sie außerge- gleichaltrig sind, ist immer dieses Misstrauen vorhanden.“ so Regina Suder-
wöhnlich stark waren. land, Vorsitzende des Bundesverbandes Information und Beratung für NS-Ver-
Daher schweigen sie über eine Erfah- folgte in ihrer Eröffnungsrede.
rung ihres Lebens, die besonders bei zu-
nehmendem Alter und wachsender Ein- die Geschichte zurecht rücken: Wahr von Aus der vielfältigen Arbeit mit Jungen
samkeit an Bedeutung gewinnt. Die Ver- Falsch unterscheiden, das Falsche, das und Alten weiß ich, dass das allerwich-
drängungsleistung lässt nach, die Kom- Schreckliche benennen; das, was Wun- tigste, das es zu vermitteln gilt, das Ge-
pensationsmöglichkeiten werden weni- den bis heute hinterlassen hat. Sie kön- fühl für Gerechtigkeit und Ungerechtig-
ger, auch weil die Mobilität häufig stark nen hier anprangernd aussprechen, wo keit ist, die Menschen widerfährt. Kopf,
eingeschränkt ist. andere am Werk sind und Geschichte Gehirn, Bauch und Gefühl spüren das
In anderen Ländern sind mit der Ein- nach Ihrem Gusto zurecht rücken. gemeinsam am besten. Und da sind es
richtung von begegnungscafés gute Er- Ich wünsche Ihnen, das dieses Café manchmal nicht nur die Worte, sondern
fahrungen gemacht worden. Bereits in die Grundplattform bietet, von der aus auch die Lieder und Bilder, in denen die-
den 60er Jahren wurde in Oslo eine Be- Sie Ihre eigenen Belange aus Ihrer eige- se Sinne zusammen kommen.
gegnungsmöglichkeit für Holocaustüber- nen Sicht in weitere Bahnen lenken kön- Ich wünsche Ihnen von Herzen auch
lebende eingerichtet. Auch in Brüssel nen, so, wie Sie sie brauchen für ein Ihre eigenen Lieder und Bilder. Singen
existiert ein solcher regelmäßiger Treff- glückliches Alter. Sie ruhig zusammen, packen Sie alte Fo-
punkt. Die Wiener Ein- Ich hoffe, dass Sie über tos aus und erzählen Sie darüber, gucken
richtung ESRA in der Der Engel der Geschichte dieses Café auch Anlauf- Sie alte Filme und erinnern sich und er-
Jüdischen Kultusge- stelle für Interessierte von zählen von den Erinnerungen. Und laden
Es ist nicht wahr
meinde Wien unterhält daß Gechichte außen sein können. Ich Sie, wenn Sie wollen, Jüngere dazu ein.
seit über 10 Jahren ein gefälscht wird selbst habe jahrelang mit Nochmal mit Erich Fried: „Lassen Sie
Café für Holocaust- Sie hat sich großenteils Jugendlichen gearbeitet – sich – heute wie damals – nicht entmuti-
Überlebende. Bei den wirklich viel im Rahmen des Mah- gen vom schlechten Wirklichen“.
genannten Beispielen falsch nens und Gedenkens an die Und dadurch, dass Sie sich hier ge-
sind die Besucher aller- zugetragen NS-Zeit. Ich weiß, wie meinsam eine Stimme geben, kratzen Sie
dings ausschließ-lich jü- Ich kann das selbst bezeugen: wichtig für die nachfolgen- die glatten Korrekturen der berichtigten
Ich war dabei
dische NS-Verfolgte. den Generationen Zeitzeu- Fassung der Geschichte an, die eine un-
Wir dokumentieren Doch leicht begreiflich gen sind. Sie helfen aufzu- kritische Öffentlichkeit bereits vorge-
leicht gekürzt die Rede daß jetzt decken, wo Geschichte be- nommen hat.“
von Helga Blümel, die die verschiedenen Seiten richtigt worden ist und
auf der Eröffnungsver- verbesserte Fassungen werden soll. Das Café findet jetzt alle 14 Tage Donnerstags
staltung für die Wohl- nachliefern Ich hoffe, dass Sie noch von 15 bis 18 Uhr statt, Köln, Seniorenresi-
die das Geschehene denz am Dom, An den Dominikanern 6-8.
fahrtsverbände sprach. Freude daran haben, Zeit- Alle acht Wochen wird das Begegnungscafe
nicht zeuge zu sein für Jüngere, zum Erzählcafé. Die Termine dafür in diesem
„Meine Damen und so sehr berichten
wie berichtigen wollen
die noch viele Fragen an Jahr sind der 21. April, der 16. Juni, der 8.
Herren ! eine für sie weit zurücklie- September und der 3. November.
... Als Vertreterin der Weil sie erkennen: gende deutsche und inter-
Wohlfahrtsverbände be- wir dürfen uns nie nationale Geschichte stel- Mehr Informationen gibt es über den über
glückwünsche ich Sie und nimmer len und nach Antworten su- Bundesverband Information und Beratung für
zu der Idee, dieses Er- entmutigen lassen chen. Vielleicht finden sie NS-Verfolgte e.V., Sonja Schlegel, Tel. 0221-17
vom schlechten 92 94-13, Fax 0221-17 92 94-29,
zähl- und Begegnungs- sie, im Dialog mit Ihnen. Schlegel@nsberatung.de. Spendenkonto:
Wirklichen
café zu eröffnen. Hier Es sind sicher Gespräche, Bank für Sozialwirtschaft, Bankleitzahl: 370
Erich Fried
können Sie miteinander die Zeugnis geben. 205 00, Kontonummer: 70 73 100.
Konsum und Propa- Wagen, der Opel P4, kostete lichen Nutznießer der
ganda: „Volkspro- 1450 RM) lag unter der Ren- Volksprodukte die
tabilitätsgrenze, weshalb die mittelständischen
dukte“ im „3. Reich“ Industrie die Arbeiten hinaus- Schichten. Die meis-
zögerte. Anfang 1937 über- ten Preise blieben für
Die NS-Herrschaft nahm die „Deutsche Arbeits- Arbeiter weiterhin
konnte durch effektive front“ (DAF) die Planungen unerschwinglich, zu-
Propaganda, brutalste mit der Maßgabe, den Wagen mal die Löhne bis
Repression gegen Kritiker und selbst zu produzieren. 1939 1936 stagnierten bei
mit der Beute, die dem „deut- konnte ein VW-Modell auf der gleichzeitig anziehen-
sche Herrenvolk“ für den Fall Automobilausstellung gezeigt den Lebenshaltungs-
eines gewonnenen Krieges in werden. Das „Preiswunder“ kosten.
Aussicht gestellt wurde, einen von 990 RM wurde nur durch Mit der Politik der
Großteil der Deutschen bis zu- Subventionen der DAF für Volksprodukte griff
letzt an sich binden. Dem dieses Prestigeobjekt möglich. der nationalsozialisti-
dienten auch die Sozialpolitik, Die berühmte Ansparaktion sche Staat in die Wirt-
die „Nationalsozialistische der DAF-Unterorganisation schaft ein – ohne ih-
Volkswohlfahrt“ oder die „Kraft durch Freude“ (KdF), ren kapitalistischen
„Volksprodukte“. Unter letzte- bei der Käufer jahrelang Gel- Charakter zu negie-
rem sind Waren zu verstehen, der einzahlten, war mit ren: durch Vorschrif-
die durch geringere Preise 330000 Kunden gemessen an ten zu Typisierung,
breiteren Schichten zugäng- den bombastischen Dimensio- Preisgestaltung und Koopera- tungskosten aber von der
lich gemacht werden sollten. nen, die sich u.a. Hitler selbst tion der Einzelkapitalien. Dies DAF zugeschossen wurden.
Es gab zwei Varianten zur ausgemalt hatte, eher ein Mis- betraf neben dem Volksemp- Bei gewonnenem Krieg,
Herstellung der „Volksproduk- serfolg. Jedenfalls stand den fänger den „Volksfernseher“ das zeigen die utopischen
te“. Zum einen die Arbeitsge- Prahlereien der DAF keine und den „Volkskühlschrank“. Planspiele insbesondere der
meinschaften verschiedener Realität zur Seite: „Nun ist Im November 1938 wurde DAF, wären Staat und Partei
Einzelkapitalien, zum anderen auch die stille Sehnsucht des eine Arbeitsgemeinschaft der häufiger in die Rolle des Pro-
die Übernahme durch staatli- deutschen Arbeiters, ein Auto entsprechenden Wirtschafts- duzenten getreten. Neue Wer-
che oder parteiliche Institutio- zu besitzen, in Erfüllung ge- unternehmen beauftragt, einen ke, die nicht mehr klassisch
nen. gangen.“ (S. 176) Die wesent- „Einheits-Fernsehempfänger“ privatkapitalistisch geführt
Das bekannteste Erzeugnis lichen Kosten eines Autos für 650 RM zu entwickeln, worden wären, hätten wo-
der ersten Kategorie ist der machte sowieso nicht der was die Kosten nicht gedeckt möglich eine Eigendynamik
„Volksempfänger“. Kaufpreis, sondern der Unter- hätte, und seit 1937 wurde an entwickelt.
1933 besaß nur jeder vierte halt (v.a. Treibstoff und Versi- einem „Volkskühlschrank“ als Dementsprechend gab es
Haushalt ein Rundfunkgerät. cherung) aus. Gemeinschaftsmodell ver- dazu auch im Staats- und
Eine stärkere Radioverbrei- Auch deswegen wäre der schiedener Hersteller gewer- Parteiapparat Widersprüche,
tung lag insbesondere im Volkswagen ein Mittelstands- kelt. Beide Produkte kamen wie die Kontroverse zwi-
Interesse der Propaganda, die auto geblieben. wegen des Krieges nicht mehr schen Reichswirtschaftsmi-
den Rundfunk für ihre Zwecke Der Sinn und Zweck, den auf den Markt. nister Walther Funk, der „das
nutzte. Bereits Mitte 1933 die NSDAP mit diesen in er- Außerdem übernahmen Par- Prinzip der Privatwirtschaft“
konnte der erste „Volksemp- ster Linie politisch motivierten teiorganisationen oder staatli- und DAF-Führer Robert Ley,
fänger“ für die Hälfte des da- Projekten verfolgte, ist auf der che und halbstaatliche Institu- der das „der Staats- bzw. Par-
mals üblichen Preises als Ge- wirtschaftlichen sowie auf der tionen die Rolle des Produzen- teiwirtschaft vertrat“ (S. 222)
meinschaftsprodukt der deut- propagandistischen Ebene zu ten. Neben dem Volkswagen zeigt.
schen Radiohersteller präsen- suchen. Der Staat agierte als war dies im Wohnungsbau und König diskutiert die
tiert werden. ideeller Gesamtkapitalist, der bei den Reiseangeboten der „Volksprodukte“ v.a. unter
Bis 1938 wurden weit über Bevölkerungskreisen Zugang Fall. der Fragestellung, ob sie zu
2 Millionen Apparate ver- zu Industrieprodukten gewäh- Mit „Volks- und Führer- einer „nationalsozialistischen
kauft; das bedeutete einen ren wollte, die durch die bis- wohnungen“ wollte das Konsumgesellschaft“ (S. 18)
jährlichen Marktanteil zwi- herigen Preise davon ausge- Reichsarbeitsministerium dem geführt hätten, was er auf-
schen 24,3 und 43,7 %. Dem schlossen waren. Die Verant- akuten Wohnraummangel be- grund seiner Analyse ver-
Volksempfänger folgte 1938 wortlichen erhofften sich da- gegnen: Es gelte billigste, hin- neint. Der Konsum aber
der „Deutsche Kleinempfän- von nicht nur eine engere Bin- sichtlich Ausstattung äußerst scheint mir ein nachrangiger
ger“, der insgesamt 2,8 Millio- dung der Bevölkerung an die beschränkte Wohnungen zu Erklärungsansatz zu sein, so
nen mal verkauft wurde. 1941 NSDAP, sondern auch einen erbauen. Bis einschließlich deutlich wie der Propaganda-
verfügten immerhin 65 Pro- Schub für die technologische 1939 wurden jedoch lediglich aspekt im Vordergrund stand.
zent der Haushalte über ein Entwicklung. Und: „Die proji- 157500 „Volkswohnungen“ Nicht zufällig waren die vor-
Radio. zierten Konsummöglichkeiten errichtet – bei einem Fehlbe- antreibenden und meist fe-
Für die zweite Variante, der und insbesondere die Volks- stand von bis zu drei Millio- derführenden Kräfte die DAF
Produktion in staatlicher oder produkte wurden für die Pro- nen Billigwohnungen. Von und Goebbels’ Propaganda-
Parteiregie, steht der „Volks- pagierung und Inszenierung 1934 bis 1938 machten jähr- ministerium. Für die Bevöl-
wagen“. Zunächst sollte auch der ,Volksgemeinschaft‘ ge- lich eine Million Deutsche Ur- kerung sollte auch etwas ab-
er in einer Arbeitsgemein- nutzt.“ (S. 19) Zu diesem laub mit dem KdF-Amt „Rei- fallen, damit die Ideologie
schaft der Autohersteller ge- Schluss kommt ein neues sen Wandern und Urlaub“, bei der „Volksgemeinschaft“
baut werden. Der vorgeschrie- Buch von Wolfgang König dem die Preise zwar die nicht als leere Propaganda-
bene Preis von höchstens 1000 über die „Volksprodukte“. Tat- „Fremdkosten“ deckten, die hülse dastünde.
RM (der bis dahin günstigste sächlich waren die eigent- Verwaltungs- und Bearbei-
GNN-Verlag, Zülpicher Str. 7, 50674 Köln, Tel. 0221 – 21 16 58, Fax 21 53 73, email: gnn-koeln@netcologne.de
Bankverbindung: Postbank Köln, BLZ 370 100 50, Kontonummer 10419507