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Klangstandard

Warum findet man deutsche Sänger nicht dauerhaft an der Weltspitze?


Was kennzeichnet die Spitze?
Unser Problem mit Elite, Tradition und Disziplin
Warum war das mal anders?
Italienische Technik auch nicht mehr in Italien, sondern aus Amerika?

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Je mehr Raum die Disziplin des Vorsingtrainings in meiner Arbeit einnimmt,


umso öfter stosse ich auf die Frage:
Gibt es einen professionellen Klangstandard?
Wenn ja, an welchen Kriterien kann ich ihn messen?
Wie kann ich ihn erreichen?

Wenn wir hervorragende Sängerinnen und Sänger der Vergangenheit wie der
Gegenwart hören, kommen wir nicht umhin, unabhängig der nationalen Herkunft
einen internationalen Klangstandard herauszuhören, der Stimmen von
dauerhaftem Weltruf auszeichnet.

Internationaler Klangstandard

Dieser Standard, wie er von allen grossen Opernhäusern gefordert wird, zeichnet
sich aus durch eine ebenmässige Verblendung der Register, eine verlässliche,
tragende und strahlende Höhe durch die Beherrschung des passaggios, und
einer Durchschlagskraft, einem 'Kern' in der Stimme auf der Basis einer
bedingungslosen Körperanbindung, die sie auf jeder Bühne tragfähig macht und
somit nicht in die Gefahr des Forcierens geraten lässt.
Soweit sogut, man kann dieser Liste sicherlich noch Punkte anhängen oder sie
variieren, das hängt aber wahrscheinlich mit Hörgewohnheiten zusammen.
Wenn es also einen objektiven Standard gibt, der auf internationaler Ebene
Sänger und Sängerinnen erfolgreich sein lässt, ergibt sich eine ganz andere
Frage:
Warum findet man heute so wenig deutsche Sängerinnen und Sänger, die diesen
anerkannten Kriterien gerecht werden können, d.h. dauerhaft an der Weltspitze
ihren Platz haben?
Warum findet man in den Besetzungslisten unserer Opernhäuser so wenig
deutsche Namen, sobald es ins italienische oder dramatische Fach geht, warum
sind in Wettbewerben in den Endrunden oft kaum noch hiesige
Gesangsstudenten vertreten?
Sind die "Anderen" einfach besser oder woran kann man das festmachen?
Und - war das schon immer so?

Veränderung der Tradition


Ich erinnere mich an eine Besetzungsliste an der Met zur Zeit des zweiten
Weltkrieges. Es wurde Wagner gegeben, und der grösste Teil des Ensembles
waren deutsche Namen.
Es gab zu der Zeit noch eine Phalanx von erstklassigen deutschen Sängern,
gerade im dramatischen Fach, die ungeachtet der Tatsache, das Deutschland zu
dieser Zeit tabu war, erfolgreich auf internationalen Bühnen standen.
Auch in Deutschland selbst gab es bis in die 50/60er Jahre hinein hochkarätige
Ensembles, die sich auf eine blühende Gesangstradition berufen konnten.
Was ist in den letzten 40 Jahren also passiert, das sich die Gegebenheiten so
umgekehrt haben?
Zum Einen ist der Zweite Weltkrieg selbst wohl eine grundlegende Ursache für
die Zersprengung einer fruchtbaren Tradition, die immer italienisch geprägt
war.(Wagner selbst konnte nur auf Sänger zurückgreifen, die in der italienischen
Tradition ausgebildet worden waren - es gab keine andere). Durch das
Kriegsgeschehen wurden viele Karrieren aprupt beendet, oder aber die Sänger
und Sängerinnen wurden in alle Winde verstreut, d.h, sie standen in Deutschland
zur Ausbildung des Nachwuchses nicht mehr zur Verfügung.
Zum Anderen liegt der Grund an der Tatsache - widerum eine Folge der
deutschen Geschichte - das wir heute ein Problem mit Elite(Hochleistung),
Disziplin, Autorität und Tradition haben.
Dies sind aber Merkmale einer guten künstlerischen Ausbildung.

Eine speziell deutsche Problematik

Als der Film "Rhythm is it!" auch hierzulande Furore machte, wurde ein
Internetforum geschaltet, um den unzähligen Interessenten einen Raum zum
Austausch zu bieten: bis heute wird in diesem Forum nahezu nur ein Thema
diskutiert - ist das, was man da sieht faschistoid oder nicht, verbunden mit
Anschuldigungen, Erklärungsversuchen, Entschuldigungen etc...
Dies Beispiel zeigt ganz deutlich, das wir es hier mit einer speziell deutschen
Problematik zu tun haben: immer wenn eine massgebliche Autorität Disziplin
fordert und andere in Berufung auf eine Tradition zu beeindruckenden
Hochleistungen führt, bewegen wir uns auf Glatteis, und sofort werden Stimmen
laut, die warnend den Zeigefinger heben und an unsere Geschichte erinnern:
hier wird einfach verkannt, das der Faschismus diese Elemente missbraucht hat,
sie aber nicht per se fragwürdig sind. Sie waren in allen Gesellschaftsformen
schon immer das Kennzeichen gerade künstlerischer Ausbildung.

Kennzeichen dieser Problematik

Hochleistung hat bei uns immer den touch des Unnatürlichen, des masslos
Anstrengenden und Ungesunden und wird somit immer kritisch beäugt, obwohl
wir seit der wissenschaftlichen Untermauerung der flow-Erfahrungen von
Sportlern und Musikern wissen, das sich Hochleistung als sehr leicht und
angenehm erweisen kann.
Ausserhalb des Sportbereiches ist aber eine Förderung in diesem Bereich noch
nicht etabliert und Förderung im Fortbildungsbereich von Sängern und
Sängerinnen im Sinne von sponsoring von Seminaren etc, kommt sehr
schleppend in Gang.
Hochleistung fordert Disziplin - die Übereinkunft eines jeden mit sich selbst,
jeden Tag seine Fähigkeiten zu verbessern, seine Arbeit immer wieder zu
hinterfragen und immer auf neue Gegebenheiten reagieren zu können.
Diesen Begriff auf banalen Gehorsam zu reduzieren heißt, das Individuum und
seinen Willen zum Lernen und Wachsen zu negieren und sagt mehr über den
Kritiker aus, als über die Sache an sich.
(In einem Zeitungsinterview wurde über eine junge Sängerin vom Salzburger
Mozarteum berichtet, die jetzt auf den Festspielen eine Rolle singt und vor einer
vielversprechenden Karriere steht - im Vorfeld des Interviews wurde ihr
Gesangsprofessor befragt, was sie denn nun auszeichnet, und es war gar nichts
über ihre Stimme was er als erstes sagte, sondern er hob ihre ausserordentliche
Arbeitsdisziplin hervor.)
Autoritäten, die diese Disziplin fordern können, Gesangsstudenten dazu
einladen,sich dieser Arbeit zu stellen, sind rar gesät. Das hat damit zu tun, das
in einer Gesellschaft, in der nur Jugendlichkeit einen Wert hat, kein richtiger
Platz mehr für die "Älteren" ist, die für die Überlieferung zuständig sind.
Auch der Begriff Tradition scheint mir durch unsere Geschichte belastet, es ist
uns nicht mehr erlaubt, auf Errungenschaften, die auf Traditionen beruhen,
zurückzugreifen, und die "alte Schule" der Gesangskultur ist so eine Tradition.
Ich habe den Eindruck, das gerade unter Gesangslehrern der Tenor besteht, das
jeder viel Wert auf seine eigene Technik, die auf eigenen Erkenntnissen beruht,
legt, diese ausserhalb jeder Kritik stellt und sich in seiner Arbeit auch in keiner
Weise über den Tellerrand schauen lässt.
Dieses Manko an Kommunikation und Vernetzung, deren Selbstverständlichkeit
allen dienen würde, ist ein typisches deutsches Problem.

Internationaler Vergleich

Dozenten und Sänger anderer Nationen haben damit wohl kein Problem, gerade
bei den Lehrern erlebe ich das bedingungslose Bekennen zu einer langen
Tradition, deren Vertreter benannt werden, verbunden mit der Aussage, das die
Arbeit eben nicht auf dem eigenen Mist gewachsen ist, sondern eingebunden,
wobei das Individuum zurücktritt - die Vermittlung der Tradition ist wichtiger.
Wir haben kaum schlechtere Sänger, wir haben auch keine schlechteren Üb
ungen als die anderen - wir machen die gleiche Musik, und müssen lernen,
psychologischen Ballast abzuwerfen und neben der technischen Fertigkeit auch
mit Begriffen umzugehen, die im coaching etabliert sind, aber eigentliche aus der
künstlerischen Ausbildung stammen:
Wie sieht meine optimale Ausbildungsumgebung aus?
Wie gehe ich mit den Gegebenheiten um, wie schaffe ich mir nützliche
Gegebenheiten?
Wie optimiere ich meine Fähigkeiten? Bekomme ich an meiner Ausbildungsstätte
alles, was ich brauche?
Was sind meine Glaubenssätze als Sänger oder Sängerin?
Was macht meine sängerische Identität aus?
Wie beschreibe ich meine geistige Zugehörigkeit - warum Singen im 21en
Jahrhundert?

Eine Arie singen können viele - aber eine gesunde,reife sängerische


Individualität zu verkörpern, ein Bühnendarsteller zu sein, der in unserer
bewegten Zeit etwas zu sagen hat, und sich nicht mit dem Reproduzieren
begnügt, ist das Gebot der Stunde.

(c) Andreas Talarowski 2006

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