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Wenn wir hervorragende Sängerinnen und Sänger der Vergangenheit wie der
Gegenwart hören, kommen wir nicht umhin, unabhängig der nationalen Herkunft
einen internationalen Klangstandard herauszuhören, der Stimmen von
dauerhaftem Weltruf auszeichnet.
Internationaler Klangstandard
Dieser Standard, wie er von allen grossen Opernhäusern gefordert wird, zeichnet
sich aus durch eine ebenmässige Verblendung der Register, eine verlässliche,
tragende und strahlende Höhe durch die Beherrschung des passaggios, und
einer Durchschlagskraft, einem 'Kern' in der Stimme auf der Basis einer
bedingungslosen Körperanbindung, die sie auf jeder Bühne tragfähig macht und
somit nicht in die Gefahr des Forcierens geraten lässt.
Soweit sogut, man kann dieser Liste sicherlich noch Punkte anhängen oder sie
variieren, das hängt aber wahrscheinlich mit Hörgewohnheiten zusammen.
Wenn es also einen objektiven Standard gibt, der auf internationaler Ebene
Sänger und Sängerinnen erfolgreich sein lässt, ergibt sich eine ganz andere
Frage:
Warum findet man heute so wenig deutsche Sängerinnen und Sänger, die diesen
anerkannten Kriterien gerecht werden können, d.h. dauerhaft an der Weltspitze
ihren Platz haben?
Warum findet man in den Besetzungslisten unserer Opernhäuser so wenig
deutsche Namen, sobald es ins italienische oder dramatische Fach geht, warum
sind in Wettbewerben in den Endrunden oft kaum noch hiesige
Gesangsstudenten vertreten?
Sind die "Anderen" einfach besser oder woran kann man das festmachen?
Und - war das schon immer so?
Als der Film "Rhythm is it!" auch hierzulande Furore machte, wurde ein
Internetforum geschaltet, um den unzähligen Interessenten einen Raum zum
Austausch zu bieten: bis heute wird in diesem Forum nahezu nur ein Thema
diskutiert - ist das, was man da sieht faschistoid oder nicht, verbunden mit
Anschuldigungen, Erklärungsversuchen, Entschuldigungen etc...
Dies Beispiel zeigt ganz deutlich, das wir es hier mit einer speziell deutschen
Problematik zu tun haben: immer wenn eine massgebliche Autorität Disziplin
fordert und andere in Berufung auf eine Tradition zu beeindruckenden
Hochleistungen führt, bewegen wir uns auf Glatteis, und sofort werden Stimmen
laut, die warnend den Zeigefinger heben und an unsere Geschichte erinnern:
hier wird einfach verkannt, das der Faschismus diese Elemente missbraucht hat,
sie aber nicht per se fragwürdig sind. Sie waren in allen Gesellschaftsformen
schon immer das Kennzeichen gerade künstlerischer Ausbildung.
Hochleistung hat bei uns immer den touch des Unnatürlichen, des masslos
Anstrengenden und Ungesunden und wird somit immer kritisch beäugt, obwohl
wir seit der wissenschaftlichen Untermauerung der flow-Erfahrungen von
Sportlern und Musikern wissen, das sich Hochleistung als sehr leicht und
angenehm erweisen kann.
Ausserhalb des Sportbereiches ist aber eine Förderung in diesem Bereich noch
nicht etabliert und Förderung im Fortbildungsbereich von Sängern und
Sängerinnen im Sinne von sponsoring von Seminaren etc, kommt sehr
schleppend in Gang.
Hochleistung fordert Disziplin - die Übereinkunft eines jeden mit sich selbst,
jeden Tag seine Fähigkeiten zu verbessern, seine Arbeit immer wieder zu
hinterfragen und immer auf neue Gegebenheiten reagieren zu können.
Diesen Begriff auf banalen Gehorsam zu reduzieren heißt, das Individuum und
seinen Willen zum Lernen und Wachsen zu negieren und sagt mehr über den
Kritiker aus, als über die Sache an sich.
(In einem Zeitungsinterview wurde über eine junge Sängerin vom Salzburger
Mozarteum berichtet, die jetzt auf den Festspielen eine Rolle singt und vor einer
vielversprechenden Karriere steht - im Vorfeld des Interviews wurde ihr
Gesangsprofessor befragt, was sie denn nun auszeichnet, und es war gar nichts
über ihre Stimme was er als erstes sagte, sondern er hob ihre ausserordentliche
Arbeitsdisziplin hervor.)
Autoritäten, die diese Disziplin fordern können, Gesangsstudenten dazu
einladen,sich dieser Arbeit zu stellen, sind rar gesät. Das hat damit zu tun, das
in einer Gesellschaft, in der nur Jugendlichkeit einen Wert hat, kein richtiger
Platz mehr für die "Älteren" ist, die für die Überlieferung zuständig sind.
Auch der Begriff Tradition scheint mir durch unsere Geschichte belastet, es ist
uns nicht mehr erlaubt, auf Errungenschaften, die auf Traditionen beruhen,
zurückzugreifen, und die "alte Schule" der Gesangskultur ist so eine Tradition.
Ich habe den Eindruck, das gerade unter Gesangslehrern der Tenor besteht, das
jeder viel Wert auf seine eigene Technik, die auf eigenen Erkenntnissen beruht,
legt, diese ausserhalb jeder Kritik stellt und sich in seiner Arbeit auch in keiner
Weise über den Tellerrand schauen lässt.
Dieses Manko an Kommunikation und Vernetzung, deren Selbstverständlichkeit
allen dienen würde, ist ein typisches deutsches Problem.
Internationaler Vergleich
Dozenten und Sänger anderer Nationen haben damit wohl kein Problem, gerade
bei den Lehrern erlebe ich das bedingungslose Bekennen zu einer langen
Tradition, deren Vertreter benannt werden, verbunden mit der Aussage, das die
Arbeit eben nicht auf dem eigenen Mist gewachsen ist, sondern eingebunden,
wobei das Individuum zurücktritt - die Vermittlung der Tradition ist wichtiger.
Wir haben kaum schlechtere Sänger, wir haben auch keine schlechteren Üb
ungen als die anderen - wir machen die gleiche Musik, und müssen lernen,
psychologischen Ballast abzuwerfen und neben der technischen Fertigkeit auch
mit Begriffen umzugehen, die im coaching etabliert sind, aber eigentliche aus der
künstlerischen Ausbildung stammen:
Wie sieht meine optimale Ausbildungsumgebung aus?
Wie gehe ich mit den Gegebenheiten um, wie schaffe ich mir nützliche
Gegebenheiten?
Wie optimiere ich meine Fähigkeiten? Bekomme ich an meiner Ausbildungsstätte
alles, was ich brauche?
Was sind meine Glaubenssätze als Sänger oder Sängerin?
Was macht meine sängerische Identität aus?
Wie beschreibe ich meine geistige Zugehörigkeit - warum Singen im 21en
Jahrhundert?