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AKTUELLES
Ich bin seit über dreißig Jahren Gesangslehrer, habe immer selbständig gearbeitet und so eine Zeit wie diese noch nie erlebt.
Ich habe immer Sängerinnen und Sänger mit unterschiedlichsten Zielen unterrichtet:
ProMs und ambitionierte Laien, jeder hatte seine eigenen Gründe, mein Studio zu betreten, einen geschützten Raum, in dem man die eigene Stimme
entfalten konnte.
Auf einmal war das nicht mehr möglich: mehr noch! – wir waren auf einmal die „Bösen“, weil wir ja die Aerosole in die Luft pusteten, das ging ja gar nicht.
Von da an gab es eigentlich nur noch Irritationen, weil sich aufgestellte Regeln alle zwei Wochen änderten, wenn man sich als Studioleiter informieren
wollte, sagte das Ordnungsamt: ‚frage das Gesundheitsamt‘ – das wiederum auf das Ordnungsamt verwies. Oder das Gesundheitsamt Treptow sagte
was anderes als das Amt Charlottenburg.
Nun ist die Unsicherheit verständlich, es ist für alle eine noch nie dagewesene Situation. Daher habe ich mich nach bestem Wissen mit Kollegen
ausgetauscht, um immer wieder eine für alle sichere Arbeitssituation zu schaffen. Das hat auch ganz gut geklappt.
Aber, was arbeiten wir in dieser Zeit eigentlich?
Gerade in diesem zweiten Jahr der Pandemie verändert sich dieses ‚Arbeiten‘ sehr:
erst einmal sind durch Corona ein Drittel meiner Schüler weggebrochen. Die, die noch kommen beklagen, dass sie sich immer weniger zu ihrer
Überoutine motivieren können, weil langsam die Ziele ausgehen.
Welchen Sinn hat dann nouancierte technische Arbeit an einer ‚Hochleistungsstimme‘?
Für mich geht es in solchen Momenten nur noch darum, das ’sängerische Potenzial‘ zu erhalten.Eine Insel zu bauen, wo wir einfach Musik machen
können, die eigene Stimme wahrnehmen und das Tun genießen – ohne Aufgabe und Anspruch. Das sind die schönen Momente in meiner Arbeit in dieser
Zeit.
Oder wenn ein Schüler, von dem ich wusste: inMziert, Intensivstation, 5 Wochen beatmet etc…nach mehrmonatiger Reha anruft: „können wir da
weitermachen, wo wir im Januar aufgehört haben? Ich will einfach nur singen…“
Diese Stimme dann zu begleiten, ist eine schöne und dankbare Arbeit.
Und gleichzeitig wird es für mich als Lehrer immer schwerer mitanzusehen, wie Künstler, die in ihrem Beruf eigentlich alles richtig gemacht haben, und die
ich über Jahre betreut habe, untergehen, weil ihnen die Mittel und die Motivation ausgeht.
Was dabei wirklich frustrierend ist, ist die Tatsache, dass man uns spüren lässt, dass Kunst und Kultur nicht lebensnotwendig ist und einfach mal
abgeschafft werden kann.
Täglich wird uns gezeigt, was für einen Stellenwert Kultur in unserer Gesellschaft hat: wenn es auf „Zeit-Online“ einen klugen Artikel über die Situation der
Solo-selbständigen gibt, wird kommentiert, das wir ja „selbst schuld“ seien, wenn wir keine Rücklagen gebildet haben und in so einen unsicheren Beruf
gehen…
Das ist, glaube ich, das Schlimmste, was es zu ertragen gilt: die Erkenntnis, dass der Beruf, den wir mit ganzem Herzen und Seele ausüben, von vielen als
überiüssig betrachtet wird.
Es mag sein, dass die Kunst nicht elementar lebensnotwendig ist. Aber Kunst macht uns Menschen menschlich, und darum ist sie lebensnotwendig und
sollte von der ganzen Gesellschaft geschützt und getragen werden.
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