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Deutsch lernen und unterrichten – Arbeitsmaterialien

Alltagsdeutsch

Ohren

Ohne dass wir uns dessen bewusst sein müssen, hören wir ständig. Es sei denn,
jemand hat "Tomaten auf den Ohren" oder "sitzt auf seinen Ohren". Da hilft es auch
nichts mehr, demjenigen ständig "in den Ohren zu liegen".

Sprecherin:
Ganz Ohr war ich, als mir Leute bei meiner Umfrage sagten, was ihnen so alles zum Ohr
einfällt.

O-Ton:
"Die Ohren spitzen und ganz Ohr sein ist, wenn man besonders aufmerksam ist."

Sprecher:
Zu viel des Guten ist es allerdings, wenn die Ohren jucken. Dann ist man nämlich nicht
nur aufmerksam, sondern neugierig.

O-Ton:
"Mein Vater hat früher immer zu mir gesagt: Ich ziehe dir die Ohren lang. Da habe ich
irgendwas angestellt, und da wollte er eben so eine kleine Drohung aussprechen, dass er
mir eine Ohrfeige verpasst, da hab‘ ich dann Angst gekriegt."

Sprecher:
Jemandem die Ohren lang ziehen heißt "jemanden bestrafen". Und mit der Ohrfeige ist
ganz bestimmt keine Frucht gemeint, sondern ein Schlag auf die Wange. Ähnliche Bedeu-
tung hat: Du kriegst gleich was hinter die Ohren oder jemandem einen...

O-Ton:
"...Satz heiße Ohren verpassen, jemandem einen links und rechts auf die Ohren geben,
mit der flachen Hand auf die Ohren hauen."

Sprecher:
Auch wenn jemand sagt: Ich zieh dir gleich das Fell über die Ohren, ist das hoffentlich
nur eine Drohung:

O-Ton:
"Ja, dann ist er wahrscheinlich sauer und möchte dann diejenige vielleicht verprügeln. O-
der zumindest ist er sauer und versucht, das halt durch diesen Spruch auszudrücken."

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Sprecher:
Für den Fall, dass es dann doch nicht nur bei einer Drohung bleibt, helfen nur tröstende
Worte:

O-Ton:
"Halt die Ohren steif, bekommt man gesagt von Freunden oder Verwandten, wenn es
einem schlecht geht. Man soll halt die Ohren steif halten, man soll nicht den Mut verlie-
ren."

Sprecherin:
Folgende Redewendungen beinhalten zwar die Verben "hauen" und "schlagen", wie mei-
ne kleine Umfrage zeigt, ist aber keine Gewalt im Spiel. Ich hau' mich aufs Ohr, sagt
man zum Beispiel...

O-Ton:
"...wenn man so ‘n Nickerchen machen möchte, so nachmittags oder so: Ich leg' mich
mal kurz aufs Ohr, ‘n kurzer Schlaf zur Erfrischung." / "Die Nacht um die Ohren schla-
gen ist, wenn man kein Ende findet, also wenn man nicht ins Bett geht, sondern die Nacht
zum Tage macht." / "Jemandem etwas um die Ohren hauen." / "Zum Beispiel die Hefte,
wenn die Arbeit schlecht gewesen ist, kann man die dem Schüler um die Ohren hauen,
aber das darf man heute, glaub‘ ich, nicht." / "Wenn man jemanden übers Ohr haut,
dann betrügt man den." / "Wenn man jemanden betuppt!"

Sprecher:
Betuppen sagte die junge Dame zuletzt. Was nichts anderes bedeutet, als jemanden zu
betrügen oder zu übervorteilen. Nicht unwahrscheinlich ist, dass der betrogen wird, der
noch keine Erfahrung hat, der naseweise Bursche, der eigentlich noch gar nicht mitreden
kann.

Sprecherin:
Über ihn sagt man auch: Er ist noch nicht trocken oder noch feucht hinter den Ohren.
Eben wie ein neugeborenes Kind! Eine Variante lautet: Der ist ja noch grün hinter den
Ohren!

O-Ton:
"Dann heißt das halt, dass jemand noch nicht so viele Erfahrungen gesammelt hat und
erst ‘n Anfänger ist und auf seinem Gebiet halt noch kein Spezialist oder Fachmann." / "Ja,
dass er keine Ahnung von der Sache hat." / "Grün hinter den Ohren ist man zum Bei-
spiel, bevor man das erste Mal ‘ne Frau geküsst hat, voll den ersten Vollrausch gehabt
hat oder noch nie im Fußballstadion war."

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Sprecher:
Mit dem Vollrausch meint der junge Mann den ersten übermäßigen Alkoholkonsum, also
sehr stark betrunken zu sein.

Sprecherin:
Wenn etwas sehr stark oder ganz und gar ist, drückt man das auch mit der Formel bis
über die Ohren aus. Man kann bis über die Ohren verschuldet oder, wie es in einem
alten Schlager erklingt:

Musik
Ich hab' mein Herz in Heidelberg verloren

Ich hab' mein Herz in Heidelberg verloren


in einer lauen Sommernacht.
Ich war verliebt bis über beide Ohren
Und wie ein Röslein hat ihr Mund gelacht

Sprecherin:
...oder bis über beide Ohren in Arbeit stecken. Dann hat man...

O-Ton:
"...viel um die Ohren, wenn ich viel zu tun habe und im Stress bin."

Sprecher:
Bei ihrer Recherche entdeckte unsere Reporterin auch einiges in den Ohren; angefangen
beim meist harmlosen Schmalz...

O-Ton:
"Ohrenschmalz ist das Dicke, was man in den Ohren hat, wenn man sie sich nicht regel-
mäßig wäscht."

Sprecherin:
Gefährlicher ist da schon der Ohrwurm, eine schmerzhafte Ohrenentzündung bei Hunden
und Katzen. Der gemeine Ohrwurm hingegen ist ein für den Menschen harmloses Insekt.
Im Volksmund hat der Ohrwurm noch eine andere Bedeutung:

O-Ton:
"Ohrwurm ist ein Lied, was einem nicht mehr aus dem Kopf geht." / "Man hört beispiels-
weise irgendeine Melodie, und man kommt überhaupt nicht drauf, von wem die ist." / "Und
dann muss man die immer vor sich hin summen, weil sie gar nicht mehr raus geht aus ‘m
Ohr."

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Sprecher:
Insofern kann auch dieser Ohrwurm durchaus etwas Quälendes haben; ganz im Gegen-
satz zum Ohrenschmaus:

O-Ton:
"'Schmaus' ist was zum Essen normalerweise, das man genießt, was total üppig ist. Und
das Gleiche gilt halt sozusagen für Musik. Ohrenschmaus ist ’n Musikstück, was einen
sozusagen komplett erfüllt." / "Zum Beispiel, wenn man sich die 'Moldau' anhört oder so.
Irgendwas, was den Ohren besonders gut tut."

Musik
Smetana, Moldau

Sprecherin:
Genau genommen tut die Musik nicht den Ohren, sondern der Seele gut. So auch, wenn
jemand sagt: Das klingt wie Musik in meinen Ohren! Dann ist ihm etwas Positives zu
Ohren gekommen; eine gute Nachricht etwa, ein Kompliment oder eine Schmeichelei
wie...

O-Ton:
"...mein süßes, kleines Schweineöhrchen ist sehr beliebt."

Sprecher:
Schweineöhrchen kann man übrigens auch beim Bäcker kaufen. Ein köstliches Gebäck!
Aber nun zurück zu unserer Reporterin. Die hat nämlich noch mehr im Ohr gefunden.

Sprecherin:
Einen Floh! Doch nicht vom stechenden Parasiten ist hier die Rede.

O-Ton:
"Floh ins Ohr setzen heißt, jemandem ‘ne fixe Idee ins Ohr setzen. Also, ihn auf ‘ne Sa-
che bringen, auf die er allein nicht gekommen wär‘." / "Die gewagt ist, und man jemand
damit so verrückt macht, dass er eigentlich die Realität nicht mehr so ganz sieht." / "Der
möchte also jetzt unbedingt was verwirklichen. Und das muss wirklich unbedingt passie-
ren. Das kann auch was Verrücktes sein."

Sprecherin:
Als verrückt bezeichnet man denjenigen, der einen kleinen Mann im Ohr hat. Oftmals
wird diese Formulierung jedoch in einem harmloseren Sinne benutzt:

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O-Ton:
"Wenn jemand ‘ne Meinung oder ‘ne Einstellung oder ‘ne Äußerung macht, die man sich
halt nicht erklären kann, wo man meint, er hat irgendwie ‘nen kleinen Mann im Ohr sit-
zen, der ihm das irgendwie einflüstert."

Sprecher:
Folgende Formulierungen dienen der Erinnerung und Aufforderung:

O-Ton: "In den Ohren liegen heißt, ihn permanent wieder darauf hinweisen, dass er end-
lich irgendwas macht." / "Wenn ich möchte, dass sich jemand etwas merkt, dann sag‘ ich:
'Schreib’ Dir das hinter die Ohren!' Der soll das nicht vergessen."

Sprecherin:
Manchmal nutzt selbst das nichts. Man predigt dann tauben Ohren. Oder, wie es die
Leute bei meiner Umfrage ausdrückten:

O-Ton:
"Wenn ich etwas machen möchte oder erreichen möchte bei einer anderen Person, und
die das absolut nicht möchte, und man versucht das durch Argumente, und das aber nicht
klappt und man nicht an sein Ziel kommt – das ist für mich auf taube Ohren stoßen." /
"Auf beiden Ohren taub, wenn man ignorant ist, wenn man sich einer Sache verschließt."

Sprecher:
Es handelt sich nicht um physische, sondern um geistige Taubheit. In gewissen Situatio-
nen kann man es jemandem allerdings gar nicht verdenken, wenn er seine Ohren vor et-
was verschließt, einfach nicht zuhören will.

O-Ton:
"Ohren voll jammern." / "Wenn man die ganze Zeit nur wehleidig ist." / "Wenn jemand
zum Beispiel Liebeskummer hat und so ein Häufchen Elend ist und nicht mehr essen kann
und nicht mehr trinken, sondern nur noch erzählen – das ist jemandem das Ohr voll
jammern."

Sprecherin:
Eine junge Dame verriet mir, wie man sich einem derart zudringlichen Erzähler entziehen
kann:

O-Ton:
"Das geht mir zum einen Ohr rein, zum anderen Ohr wieder raus. Das heißt, ich stell‘
auf Durchzug, weil ich eigentlich überhaupt keine Lust habe, mich damit zu beschäftigen,
darüber nachzudenken."

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Sprecher:
Die Dame ist demnach ganz bewusst unaufmerksam. Wenn man hingegen bereit ist, sich
die Sorgen oder Anliegen einer Person anzuhören, so hat man ein offenes Ohr dafür;
anders ausgedrückt:

O-Ton:
"Jemandem ein Ohr gewähren"...

Sprecherin:
...bedeutet: Jemand nimmt Anteil und hört aufmerksam zu. Halb so aufmerksam ist derje-
nige, der nur mit einem halben Ohr zuhört. Er ist womöglich gleichzeitig mit etwas ande-
rem beschäftigt. Wenn ihm deshalb etwas Wichtiges entgeht, könnte sein Gesprächspart-
ner von ihm meinen, er sitze auf den Ohren.

Sprecher:
Das ist natürlich nur ein Bild. Wie sollte man das machen, auf seinen Ohren sitzen? Au-
ßerdem – es gibt weitaus komfortablere Sitzgelegenheiten:

O-Ton:
"Ein Ohrensessel, das ist ein ganz gemütlicher Sessel, in dem meistens meine Oma sitzt.
Und der hat dann hinten ‘n besonders langes Rückenteil, und an der Seite ist der dann so
‘n bisschen abgewinkelt und hat dann an der Seite so Ohren, damit die Oma nicht aus
dem Sessel fällt."

Sprecher:
Wenn jemand so lacht und seine Mundwinkel dabei stark nach oben zieht, sagt man
scherzhaft: Die Ohren bekommen Besuch.

Sprecherin:
Manchmal traut man den eigenen Ohren nicht, erklärte mir ein junger Mann:

O-Ton:
"Wenn man einfach nicht glauben kann, was man da hört."

Sprecher:
Solchem Erstaunen gibt man auch Ausdruck, indem man sagt: Ich habe mit den Ohren
geschlackert. Schlackern kann man eigentlich nur mit Schlappohren. Wie Löffel beim
Hasen, Behang beim Jagdhund und Lauscher, Luser oder Teller bei Wild ist dies eine
gängige Bezeichnung für hängende, lange Ohren bei Tieren. Nicht besonders schmei-
chelhaft ist es hingegen, die Ohren einer Person als Segelohren zu bezeichnen:

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O-Ton:
"Segelohren, das sind Ohren, die nicht parallel zum Kopf stehen, sondern in einem be-
stimmten Winkelverhältnis vom Kopf abstehen." / "Segelohren hat man, wenn der größte
Luftwiderstand von den Ohren ausgeht."

Sprecherin:
Zum Schluss noch eine Warnung! Vorsicht ist geboten, so sagte mir eine junge Dame bei
meiner Umfrage,...

O-Ton:
"...wenn es jemand faustdick hinter den Ohren hat, dann tut er harmlos, aber er ist es
nicht."

Katja Stiegel

Fragen zum Text:

Wenn jemand sagt, man solle die Ohren steif halten, meint er, man…?
1. solle nicht den Mut verlieren
2. dürfe nichts übereilen
3. solle besonders aufmerksam sein

Eine Melodie, die einem nicht aus dem Ohr gehen will, nennt man auch…?
1. Ohrenschmaus
2. Ohrenschmalz
3. Ohrwurm

Wie heißen die Ohren eines Hasen?


1. Teller
2. Löffel
3. Messer

Arbeitsauftrag:
Nicht nur zum Ohr, auch zu anderen Sinnesorganen und Körperteilen gibt es im Deut-
schen viele Redensarten und Sprichwörter. Schreiben Sie – evtl. mit Hilfe eines Lexikons
– mindestens drei auf ein Blatt Papier auf und geben Sie dieses Ihrem Nachbarn, der dann
die jeweilige Bedeutung erklären bzw. erraten soll.

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Tageszeitung

Auch wenn sie mittlerweile Konkurrenz durch das Internet bekommen hat, ist die
Tageszeitung nach wie vor ein journalistischer Dauerbrenner – ob nun regional oder
überregional, ob höchst seriös oder als Boulevardblatt.

Sprecherin:
Für unzählige Menschen überall auf der Welt gehört sie so notwendig zum Tag wie die
Morgentoilette oder die Nahrungsaufnahme: die tägliche Zeitung. Pünktlich zum Frühs-
tück versorgt sie interessierte Leserinnen und Leser mit Neuigkeiten und Hintergründen
aus dem eigenen Land und der Welt. Das Wort Zeitung kommt vom spätmittelhochdeut-
schen "ziding", "Kunde", "Nachricht", "Botschaft" und bezeichnet eine regelmäßig erschei-
nende Druckschrift mit aktuellen Nachrichten und Berichten.

Sprecher:
Je nach Erscheinungshäufigkeit heißen diese Druckschriften Tageszeitung oder Wo-
chenzeitung. Ungefähr dreihundert verschiedene Tageszeitungen erscheinen allein in
Deutschland. Eine Zeitung, die sich schwerpunktmäßig mit den Geschehnissen der Regi-
on beschäftigt, in der sie erscheint, bezeichnet sich als regional. Zeitungen, die ohne re-
gionalen Schwerpunkt über die Ereignisse des ganzen Landes und der Welt berichten,
bezeichnen sich als überregional.

Sprecherin:
Joachim Westhoff leitet eine große regionale Tageszeitung in der ehemaligen Bundes-
hauptstadt, den "Bonner Generalanzeiger". Ein großes Team sorgt zusammen mit ihm
dafür, dass die Region zwischen Köln und Koblenz täglich aktuell mit Nachrichten ver-
sorgt wird:

Joachim Westhoff:
"Wir, das sind etwa hundert Redakteurinnen und Redakteure – oder das Redaktions-
team –, die nicht nur in der Zentrale natürlich arbeiten, sondern auch in den jeweiligen
Lokalredaktionen in Siegburg oder in Honnef, und 'wir', das sind natürlich noch eine viel
größere Anzahl von freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die ständig für uns beschäf-
tigt sind. 'Wir', das ist natürlich auch die Technik, das Verlagswesen – alles das, was zu
einer Zeitung hinzugehört. Und 'wir', das sind eine sehr viel größere Zahl von Zeitungs-
zustellern, die bei Wind und Wetter und jeden Morgen diese Zeitung auszutragen ha-
ben."

Sprecherin:
Redakteur beziehungsweise weiblich Redakteurin ist die Berufsbezeichnung für Men-
schen, die bei Zeitung, Hörfunk oder Fernsehen Verantwortung für die einzelnen The-

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menkreise oder Sendungen tragen. Redakteure wählen die Artikel und Beiträge aus, die
gedruckt oder gesendet werden. Die Lokalredaktion kümmert sich speziell um die The-
men rund um den Heimatort der Zeitung. Das Wort Redaktion leitet sich vom lateinischen
Verb "redigere", "in Ordnung bringen", ab. Das deutsche Leihwort redigieren bedeutet
dementsprechend, einen Text auf Fehler hin zu untersuchen. Die Arbeit der Redakteurin-
nen und Redakteure spielt sich dabei hauptsächlich in den Räumen der Zeitung oder der
Sendeanstalt ab.

Sprecher:
Informationen an unterschiedlichen Orten zu sammeln, ist dagegen die Aufgabe von Re-
porterinnen oder Reportern. Abgeleitet vom lateinischen "reportare", "zurücktragen", be-
zeichnet der Begriff die Tätigkeit von Journalistinnen oder Journalisten, vor Ort gesammel-
te Informationen in Form eines Artikels oder Beitrags in die Redaktion zurückzubringen.
Die Tätigkeitsfelder sind dabei nicht streng voneinander abgegrenzt. Ein Redakteur kann,
je nach Bedarf, natürlich auch Einsätze als Reporter absolvieren und umgekehrt.

Sprecherin:
Bis eine Zeitung schließlich gedruckt werden kann, man sagt auch, bis sie in den Druck
geht, liegt ein langer Arbeitstag hinter den zuständigen Redakteurinnen und Redakteu-
ren. Da möglichst viele aktuelle Ereignisse des Tages schon am nächsten Tag in der Zei-
tung stehen sollen, fällt der so genannte Redaktionsschluss, der Moment, zu dem end-
gültig feststehen muss, was gedruckt wird, erst in die späten Abendstunden. Bis dahin
müssen die Redakteure, zum Beispiel Michael Nickels von der Sportredaktion des "Bon-
ner Generalanzeigers", an ihren Arbeitsplätzen das aktuelle Geschehen verfolgen.

Michael Nickels:
"Die Sportredaktion ist besetzt von 11 Uhr vormittags bis etwa 23 Uhr, 23.30 Uhr in den
Abend. Und da wird halt alles das verarbeitet, was auf lokaler Ebene anfällt im sportlichen
Bereich und was überregional vonstatten geht. Das heißt, beispielsweise die Telekom-
Baskets, das ist unser Basketball-Aushängeschild in Bonn, spielt im Play-off Viertelfinale
gegen Leverkusen. Da werden wir einen großen Teil unserer Arbeit konzentrieren. Und es
geht in der Tat wirklich bis zum Fußball, Kreisliga, oder um Marathon."

Sprecherin:
Die einzelnen nach Themen gegliederten Redaktionen einer Zeitung heißen Ressorts.
Die Bezeichnung leitet sich ab vom mittelfranzösischen "ressortir", "in einen Zuständig-
keitsbereich gehören". Das immer beliebte und viel beachtete Ressort "Sport" ist meistens
in der zweiten Hälfte einer Tageszeitung vertreten. Die allererste Seite wird immer vom
Ressort "Politik" gefüllt. Wie Hubert Kleine-Stegemann, Politikredakteur beim "Bonner
Generalanzeiger", zugibt, allerdings auch mit sportlichem Ehrgeiz:

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Hubert Kleine-Stegemann:
"Wir haben einige Ereignisse gehabt, bei denen haben wir ganz knapp vor der Konkurrenz
die Nase vorn gehabt. Ich denke an die Geiselbefreiung von Mogadischu, ich denke an
den Kriegsausbruch am Golf und ähnliche Dinge."

Sprecherin:
Die viel gebrauchte Redensart die Nase vorne haben ist ein Ausdruck dafür, schneller
oder besser als andere zu sein. Sie beruht auf dem Bild eines Pferderennens. Auch wenn
mehrere Pferde fast gleichzeitig ins Ziel kommen, hat nur eines gewonnen. Nämlich das,
das die Nase vorn hat.

Sprecher:
Auch wenn Schnelligkeit ein wesentliches Kriterium für die Qualität einer Zeitung ist, darf
sie nicht auf Kosten der Genauigkeit gehen. Hubert Kleine-Stegemann und seine Kolle-
ginnen und Kollegen vom "Bonner Generalanzeiger" versuchen daher, ihre Berichte so gut
wie möglich abzusichern.

Hubert Kleine Stegemann:


"Sich widersprechende Agenturmeldungen beispielsweise prüfen wir dadurch, dass wir
Korrespondenten am Ort nachfragen lassen, oder wir recherchieren innerhalb der Re-
daktion, entweder im Internet oder eben beim üblichen Quellen-Telefonieren, das heißt,
man ruft die Quelle selber an, aus der diese Nachricht stammt."

Sprecherin:
Die Recherche ist der zentrale Bestandteil der Arbeit von Journalisten. Abgeleitet vom
französischen "rechercher", "durchstreifen", "suchen", bedeutet recherchieren, Informati-
onen auf ihren Wahrheitsgehalt hin zu überprüfen, Nachforschungen anzustellen. Re-
cherchen an weit entfernten Orten erledigen oftmals die Korrespondenten. Der Begriff
leitet sich vom mittellateinischen "correspondere", "in Briefkontakt stehen" ab. Korres-
pondenten sind Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter einer Redaktion, die ihren Standort in
einer anderen Stadt oder in einem anderen Land haben, um die Ereignisse dort aus eige-
ner Anschauung an ihre Heimatredaktion zu berichten. So hat jede große deutsche Zei-
tung zum Beispiel einen oder mehrere Korrespondenten in Amerika.

Sprecher:
Außer auf die Recherchen ihrer eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kann jede Zei-
tung noch auf eine ganz wesentliche Informationsquelle zurückgreifen: Die Nachrich-
ten-Agenturen. Unzählige Agenturmitarbeiter in aller Welt liefern sekündlich Meldungen,
die von allen Redaktionen ständig per Computer abgerufen werden können. Zeitungsle-
ser erkennen Agenturmeldungen daran, dass sie nicht mit einem Autorennamen ge-
kennzeichnet sind, sondern mit dem Kürzel einer Nachrichtenagentur. So steht "dpa"

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zum Beispiel für die "Deutsche Presse-Agentur", "AP" dagegen für die amerikanische
Nachrichten-Agentur "Associated Press".

Hubert Kleine-Stegemann:
"Die Rolle der Nachrichtenagenturen ist sehr wesentlich bei unserer Zeitung, wenn-
gleich wir selbstverständlich dem eigenen Korrespondenten Vorrang geben. Aber die
Nachrichtenlage in der Welt ist so groß und so weit, dass man auf Nachrichtenagenturen
nicht verzichten kann, und ein großer Teil unserer Berichterstattung basiert auf den Nach-
richten der Nachrichtenagenturen."

Sprecherin:
Neben den Meldungen aus Politik und Zeitgeschehen gehört auch die Kultur zu den klas-
sischen Ressorts einer Zeitung. Beim "Bonner Generalanzeiger" ist Ulrich Bumann für
den Kulturteil verantwortlich. Er selber ist Theaterexperte. Aber auf seinen Seiten werden
natürlich auch alle anderen Aspekte der Kultur angemessen gewürdigt.

Ulrich Bumann:
"Wir sind großherzig. Wir haben also einen weit gefassten Kulturbegriff. Das reicht also
sicher von der klassischen Hochkultur – unser Kulturteil nennt sich im Übrigen immer noch
Feuilleton, obwohl er sicher im weiteren Sinne viel eher ein Kulturteil ist – das reicht also
von der klassischen Hochkultur, von den großen Ausstellungen, den großen Premieren bis
zu Popkonzerten natürlich."

Sprecher:
Der Begriff Feuilleton für den Kulturteil einer Zeitung wird seit dem 19. Jahrhundert auch
in Deutschland verwendet. Das französische Wort bedeutet übersetzt so viel wie "kleines
Heft". Als eine große Pariser Zeitung ab dem Jahr 1800 ihren Kulturteil als Extra-Beilage,
eben als kleines Heft oder Feuilleton herausgab, begann sich das Wort kurz darauf auch
in Deutschland als Begriff für den Kulturteil einer Zeitung durchzusetzen und wird seither
konsequent in dieser Form verwendet.

Sprecherin:
Während sich das Feuilleton einer Zeitung den schönen Dingen des Lebens widmen
darf, hat sich der Wirtschaftsteil mit den harten Zahlen und Fakten des internationalen Ge-
schäftslebens zu beschäftigen. Ein Thema, das vielen Lesern eher Angst macht, weil es
manchem zu kompliziert erscheint. Dr. Julian Stech vom "Bonner Generalanzeiger" will mit
seiner Wirtschaftsredaktion gerade hier Aufbauarbeit leisten.

Dr. Julian Stech:


"Deutschland leidet ja so ein bisschen darunter, dass das Verständnis für wirtschaftliche
Zusammenhänge nicht besonders ausgeprägt ist. In den Schulen ist Wirtschaftsthema

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eigentlich ein Thema, was stiefmütterlich behandelt wird, in der Regel bekommen Sie im
Gymnasium… die Unterrichtseinheit "Wirtschaft" besteht dann da aus Umweltverschmut-
zung und Ausbeutung. Aber Wirtschaft ist ja mehr. Einen guten Wirtschaftsredakteur
macht aus, dass er dieses Thema Wirtschaft anschaulich und vor allen Dingen verständ-
lich rüberbringt. Wirtschaft ist kein Thema für Fachleute, sondern ist etwas, was jeden an-
geht und was auch immer für jedermann verständlich dargestellt werden sollte."

Sprecherin:
Etwas oder jemanden stiefmütterlich behandeln ist eine viel gebrauchte Redewendung
in der deutschen Sprache. Sie bedeutet "schlecht" oder "nicht sorgfältig genug mit jeman-
dem oder etwas umgehen". Aus nicht geklärten Gründen gilt schon seit dem Mittelalter in
Erzählungen und Märchen die Stiefmutter, die zweite Ehefrau eines verwitweten Vaters,
als Inbegriff des Bösen, der schlechten Behandlung. Die Redewendung von der stiefmüt-
terlichen Behandlung leitet sich aus diesem Sachverhalt ab.

Sprecher:
Manchmal können die Redakteurinnen und Redakteure des "Bonner Generalanzeigers"
nicht vermeiden, das eine oder andere Thema unfreiwillig stiefmütterlich zu behandeln.
Nämlich dann, wenn die Flut der Meldungen so groß ist, dass eine Auswahl getroffen wer-
den muss. Auch für Sylvia Binner von der Lokalredaktion immer wieder eine neue Her-
ausforderung.

Sylvia Binner:
"Das ist jeden Tag aufs Neue eine Abwägung und eine schwierige Entscheidung. Denn in
letzter Konsequenz gibt es Themen, von denen wir glauben, dass unsere Leser da nicht
warten können und nicht warten wollen, die also am nächsten Tag auf jeden Fall auf dem
Frühstückstisch liegen müssen, verpackt in Zeitungsseiten. Es gibt andere Themen, wo
man dann vielleicht schon mal in den sauren Apfel beißen muss und sagen muss, das
hat noch ein bisschen Zeit, das lässt sich noch vertagen, die Geschichte ist morgen noch
genauso gut."

Sprecher:
In den sauren Apfel beißen ist eine beliebte Redensart in der deutschen Sprache. Sie
bedeutet "etwas widerwillig tun", "etwas widerwillig akzeptieren". Zum ersten Mal nachzu-
weisen, ist sie in einem Brief des Reformators Martin Luther. Abgeleitet hat er sie vermut-
lich aus einer Textpassage der Bibel. Im zweiten Buch Moses wird dort berichtet, der ä-
gyptische Pharao habe den Kindern Israel das Leben sauer gemacht, es ihnen also stark
erschwert.

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Sprecherin:
Manchmal müssen die Redakteurinnen und Redakteure des "Bonner Generalanzeigers"
tatsächlich in den sauren Apfel beißen und aus Platzgründen auf das eine oder andere
Thema verzichten. Aber nur, um es zu einem anderen Zeitpunkt umso gründlicher nach-
zuholen. Denn als Zeitungsmacher gilt für sie alle, was ihr Chefredakteur Joachim
Westhoff so treffend zusammenfasst. Oder, wie man im Deutschen gerne sagt, auf den
Punkt bringt.

Joachim Westhoff:
"Es macht mir Freude, Menschen mit Informationen so zu versorgen, dass sie ein wenig
länger wirken, ein wenig deutlicher sind, ein wenig weniger flüchtig sind. Und dazu ist eine
Zeitung nun mal eben da. Ich glaube, Zeitungen werden mehr und mehr in eine Richtung
gehen müssen, in der sie die Hintergründe beschreiben und tatsächlich diesem schönen
Satz gerecht werden, 'das Fernsehen weckt den Appetit, die Zeitung stillt den Hunger'!"

Catrin Möderler

Fragen zum Text

Der ursprünglichen Bedeutung nach bedeutet redigieren...?


1. prüfen
2. in Ordnung bringen
3. zurückkehren

Warum wurde ab 1800 der Kulturteil einer Zeitung auch als kleines Heft (Feuilleton)
bezeichnet?
1. weil Kultur unter Napoleon an Bedeutung verloren hat
2. weil eine große Pariser Zeitung ihren Kulturteil als Extra-Beilage herausgab
3. weil sich Zeitungen aufgrund von Papierknappheit einschränken mussten

Wer in den sauren Apfel beißt,…?


1. tut etwas widerwillig
2. wird lustig
3. verdirbt sich den Magen

Arbeitsauftrag:
Vergleichen Sie drei deutsche Tageszeitungen hinsichtlich Inhalt, Aufbau, Sprache und
wahrscheinlicher Leserschaft.

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Nachbarschaft

Nahezu jeder Mensch hat Nachbarn, mit denen er auf mehr oder weniger engem
Raum zusammenleben muss. Diese Nähe kann durchaus angenehm und hilfreich
sein, führt aber nur allzu oft zu Streit und Auseinandersetzungen.

Sprecherin:
Wenn man in eine neue Umgebung zieht, vielleicht sogar in eine andere Stadt oder in ein
anderes Land, dann kann es sehr schwer und mühsam sein, neue Beziehungen aufzu-
bauen und Freundschaften zu schließen. Meistens sind es dann Nachbarn, die man zuerst
kennen lernt. Die 56-jährige Christel Gerdes knüpfte sehr schnell Kontakt, als sie vor 26
Jahren mit Ehemann und kleiner Tochter in eine Reihenhaussiedlung am Rande von
Wuppertal, einer Stadt mit ungefähr 400.000 Einwohnern, einzog.

Christel Gerdes:
"Ich hatte am Tag zuvor einen großen Topf Linsensuppe gekocht und habe am Tag des
Einzugs unseren Helfern und auch unseren Nachbarn, die zogen auch am gleichen Tag
ein, davon angeboten. Die Nachbarn haben dann gesehen, dass wir aßen und haben ge-
sagt, och, wir haben auch Kohldampf, aber wir haben ja leider nichts zu essen. Ja, und
dann haben die mit uns Linsensuppe gegessen. Und seitdem haben wir mit diesen direk-
ten Nachbarn einen sehr guten Kontakt."

Sprecher:
Die neuen Nachbarn von Christel Gerdes hatten am damaligen Umzugstag Kohldampf,
wie sie sagt. Kohldampf ist ein umgangssprachliches Wort für großen Hunger. Der Aus-
druck Kohldampf stammt ursprünglich aus der Sprache der kleinen Diebe und Gauner,
bei denen sowohl das Wort "Kohl" als auch das Wort "Dampf" ein Synonym für Hunger
waren. Durch die Koppelung dieser beiden Begriffe sollte dann dem besonders großen
Appetit Ausdruck verliehen werden. Über den Umweg durch die Kasernen fand der Kohl-
dampf vor rund einhundert Jahren Einlass in das Alltagsdeutsch.

Sprecherin:
Im Übrigen ist das gemeinsame Essen und Trinken von alters her eine willkommene Mög-
lichkeit, Freundschaft zu schließen. Und so verwundert es nicht, wenn in einer guten
Nachbarschaft so manches Fest gefeiert wird.

Christel Gerdes:
"Wir haben das erste Straßenfest organisiert, als wir 20 Jahre hier wohnten. Wir haben
einen Garagenplatz hergerichtet mit riesengroßen Sonnenschirmen, die haben wir uns
vom Bürgerverein geliehen. Wir haben gebeten, Kuchen zu spenden, und es kam an die-
sem Samstagmittag Kuchen auf Kuchen, dass wir gedacht haben, wir werden erschlagen

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von dieser Menge Kuchen. Aber wir haben alles verkauft, das Fest hat wieder so einen
großen Anklang gefunden, und es war 'ne Stimmung da, das hat bis in die Nacht gedau-
ert."

Sprecher:
Das Fest hatte einen großen Anklang gefunden. In diesem Fall kann man das Wort "An-
klang" durch die Begriffe "Applaus" oder "Beifall" ersetzen. Das zufriedene Publikum eines
Konzerts spendet den Künstlern Beifall, um damit zu zeigen, dass ihnen die Aufführung
gefallen hat. Die Besucher des Straßenfestes applaudierten zwar nicht, doch an der At-
mosphäre und der Stimmung konnte man merken, dass ihnen die Veranstaltung gefallen
hat. Das Lachen und die Freude der Nachbarn war wie Applaus für die Organisatoren.
Das Fest hatte Anklang gefunden.

Sprecherin:
Und damit so ein Fest Anklang finden kann, müssen viele Menschen zum Gelingen bei-
tragen. So brachten die Nachbarn an jenem Tag selbstgebackenen Kuchen mit, Kuchen
auf Kuchen seien am Festtag mitgebracht worden, so dass die Organisatoren dachten, sie
würden von den Backwaren erschlagen. Doch natürlich bestand keine wirkliche Lebens-
gefahr für die Festteilnehmer.

Sprecher:
Das Wort erschlagen wird in der Umgangssprache häufig als Übertreibung benutzt, um
die Unübersichtlichkeit einer Situation zu verdeutlichen. Am Tag des Straßenfestes hatten
die Nachbarn so viel Kuchen gebacken, dass die Organisatoren nicht mehr wussten, wo
sie ihn zum Verkauf hinstellen sollten. Sie hatten das Gefühl, von den gespendeten
selbstgebackenen Kuchen erschlagen zu werden. Die Unterstützung des Festes durch
die Nachbarn war also besonders gut. Das ist aber nicht immer so.

Sprecherin:
Viele, die sich schon einmal für das Allgemeinwohl eingesetzt und beispielsweise so ein
Fest organisiert haben, werden vielleicht auch eine ähnliche Erfahrung gemacht haben wie
Christel Gerdes in ihrer Nachbarschaft.

Christel Gerdes:
"Ich weiß zum Beispiel, dass es beim Schützenverein und auch bei der Feuerwehr Reibe-
reien oder viel Knas untereinander gibt, weil immer dieselben kommen, die arbeiten. Und
es sind immer dieselben, die nicht kommen, wenn's ums Arbeiten geht, aber die beim Fei-
ern denn dabei sind und dann auch noch Sprüche klopfen und reklamieren wollen oder
was zu bemängeln haben, wenn was nicht richtig läuft. Die nörgeln, die nörgeln einfach,
aber sind nie da, wenn es darum geht, etwas zu tun oder die Ärmel hochzukrempeln
und mitzuhelfen."

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Sprecherin:
So ein Nachbarschaftsfest zu veranstalten, bedeutet für die Organisatoren eine Menge
Arbeit, und im Laufe der Zeit wird klar, dass es in einer Gemeinschaft immer Menschen
gibt, die nur zum Feiern kommen, zum Gelingen des Festes aber nicht das Geringste bei-
tragen wollen.

Sprecher:
Christel Gerdes kennt solche Leute auch, die man, wenn es darum geht, die Ärmel hoch-
zukrempeln, nie trifft. In der deutschen Umgangssprache steht die Redewendung sich
die Ärmel hochkrempeln als Sinnbild für jemanden, der bei anstehenden Arbeiten ohne
zu zögern mit anpackt. Hier ist die Tatsache, dass sich körperliche Arbeiten besser mit
hochgekrempelten Hemdsärmeln erledigen lassen, sprichwörtlich geworden.

Sprecherin:
Nicht selten ist unter diesen Faulenzern jemand, der dann auch noch meint, die Arbeit der
anderen kritisieren zu müssen, obwohl er zur Bewältigung einer Aufgabe überhaupt nichts
beigetragen hat. Diese Menschen nörgeln an den Ideen der anderen herum und klopfen
Sprüche, was alles hätte besser gemacht werden können.

Sprecher:
Klopft jemand Sprüche, so meint diese Redewendung jemanden, der prahlt oder angibt,
aber auch über etwas redet, von dem er gar nichts versteht.

Sprecherin:
Und wenn es immer dieselben sind, die nur Sprüche klopfen, ohne sich an der Gemein-
schaftsarbeit in der Nachbarschaft zu beteiligen, dann kommt es auch schon mal zum
Streit. In der kleinen Gemeinde, in der Christel Gerdes lebt, gibt es wegen der ungleich
verteilten Arbeiten beispielsweise im Schützenverein oder der Freiwilligen Feuerwehr von
Zeit zu Zeit Knas untereinander.

Sprecher:
Das Wort Knas ist ein regional in Deutschland unterschiedlich verbreiteter Ausdruck.
Knas oder auch Knies hat dabei zwei Bedeutungen. Zum einen ist es eine andere Be-
zeichnung für "Dreck". Zum anderen – und das ist im eben gehörten Beispiel der Fall –
meint es "Streit". Die Mitglieder der Vereine haben untereinander Streit. In der Nachbar-
schaft gibt es also Knas um die Aufgabenverteilung.

Sprecherin:
Aber es muss ja auch nicht immer das ganz große Fest sein. Es gibt genügend Anlässe,
sich mal mit seinen Nachbarn zu treffen.

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Christel Gerdes:
"Einer sagt denn aus irgendeinem Anlass: 'Ach, komm, ich geb' mal 'n Bier aus bei mir auf
der Terrasse, wir machen 'nen Dämmerschoppen.' Oder wenn der Sommer schön ist,
dann haben wir ein sogenanntes Laufstegfest veranstaltet, und das hat oft hier gut funkti-
oniert."

Sprecher:
Christel Gerdes und ihre vier Nachbarn treffen sich also schon mal spontan zu einem klei-
nen improvisierten Fest vor ihren Reihenhäusern und veranstalten beispielsweise einen
Dämmerschoppen. Eigentlich ist Schoppen die Bezeichnung für ein altes Flüssigkeits-
maß. Vielleicht noch weiter verbreitet ist der sogenannte Frühschoppen. Hier ändert sich
lediglich die Tageszeit, wann man alkoholische Getränke in geselliger Runde einnimmt.

Sprecherin:
Wechseln wir nun die Umgebung und begeben uns in eine andere Nachbarschaft. Vom
eher dörflichen Umfeld kommen wir nun in die Stadt. Schauplatz ist das Wuppertaler Vier-
tel "Ostersbaum", ein Stadtteil mit rund 14.000 Einwohnern. Die Straßen rund um den
"Platz der Republik" werden zumeist von ärmeren Menschen bewohnt. Arbeitslose und
Sozialhilfe-Empfänger aber auch viele ausländische Familien und Rentner mit wenig Ein-
kommen leben in den alten, mehrstöckigen Mietshäusern. Direkt auf dem Platz im Zent-
rum des Viertels befindet sich das sogenannte Nachbarschaftsheim, eine Einrichtung, die
sich seit über 40 Jahren für die Belange der Menschen in diesem Viertel einsetzt.

Sprecher:
Eine der Aufgaben des Nachbarschaftsheims ist das Angebot von Freizeitaktivitäten für
die vielen Jugendlichen, die rund um den Platz wohnen. Vor allem junge Türken, deren
Eltern auf der Suche nach Arbeit vor vielen Jahren nach Deutschland gekommen waren,
prägen das Bild in der sogenannten "Offenen Tür" des Nachbarschaftsheims. "Offene
Tür", das heißt, dass jeder willkommen ist und kommen kann, wann er möchte.

Sprecherin:
Die Jugendlichen haben es nicht leicht. Vor allem Arbeitslosigkeit bedroht die 16- bis 25-
Jährigen. Sprachprobleme und eine eher schlechtere Schulbildung tun ihr Übriges, wie
Horst Willems, Diplom-Pädagoge und Gesamtleiter des Nachbarschaftsheims, zu berich-
ten weiß.

Horst Willems:
"Das ist ein großes Problem, was sogar sich dahingehend zuspitzt, dass viele Jugendliche
für sich sagen, ich will und suche auch gar keine Lehrstelle mehr, weil erstens kriege ich
keine, aber wenn ich dann eine kriege, dann fliege ich hinterher raus. Was ich haben

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möchte, ist einfach partiell immer mal Arbeit, damit ich mir wenigstens mein Minimum an
Dingen, die mich interessieren, leisten kann."

Sprecher:
Nach erfolgloser Suche, einen Arbeitsplatz zu finden, sind viele Jugendliche mutlos ge-
worden. Sie resignieren und glauben, dass, selbst wenn sie eine Lehrstelle finden könn-
ten, sie nach kurzer Zeit sowieso wieder rausfliegen. Das Wort rausfliegen meint in der
Alltagssprache soviel wie "entlassen" oder "gekündigt" werden.

Sprecherin:
Doch egal, ob jemand eine Ausbildung macht, noch zur Schule geht oder arbeitslos ist, die
Jugendlichen rund um den "Platz der Republik" haben alle wenig Geld. Und so sind auch
die Möglichkeiten, etwas in der Freizeit zu unternehmen, gering. Denn will man ins Kino
oder in eine Kneipe, kostet das alles eine Menge Geld. Da kommt das Angebot des Nach-
barschaftsheims gerade recht. Hier können die Jugendlichen umsonst Billard oder
Basketball spielen oder sich einfach nur unterhalten. Der 19-jährige Ibo und die 16-jährige
Ailem beschreiben stellvertretend für viele Besucher der "Offenen Tür", was sie an dem
Jugendtreff in ihrer Nachbarschaft schätzen.

Ibo:
"Manchmal haben wir auch so Turniere, Fußballturniere, Basketballturniere, ist schon in
Ordnung hier. Hier sind alle Kumpels."

Ailem:
"Ich meine, wenn's das Jugendtreff jetzt nicht geben würde, dann würden wir auf der Stra-
ße rumhängen, dann würde es mit der Zeit uns langweilig werden, dann würden wir viel-
leicht mit Alkohol oder mit Drogen anfangen. Und darum finde ich das gut, dass es hier so
'n Jugendtreff gibt."

Sprecher:
Wie gehört, treffen die Besucher des Jugendtreffs dort ihre Kumpels. Das umgangs-
sprachliche Wort Kumpel ist eine Abwandlung des Wortes "Kumpan", was soviel wie "Mit-
streiter" oder "Kamerad" bedeutet. Als Kumpels bezeichneten sich zunächst die Bergar-
beiter in den Zechen des Ruhrgebiets wegen ihres starken Zusammengehörigkeitsgefühls.
Aus der Bergmannssprache fand das Wort schließlich Eingang in das Alltagsdeutsch. Mit
Kumpel bezeichnet man also einen Freund oder jemanden, den man kennt und gut leiden
kann.

Sprecherin:
Und wenn es das Nachbarschaftsheim nicht gäbe, müssten die Jugendlichen auf der
Straße rumhängen. Das Wort rumhängen entstammt ursprünglich der Jugendsprache.

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Jemand, der rum- oder auch abhängt, hat nichts zu tun und langweilt sich. Wenn es kei-
nen Raum gibt, wo man sich dann mit seinen Kumpels aufhalten kann, bleibt als einziger
Ausweg die Straße, um sich zu treffen. Und hier besteht die Gefahr, dass die Jugendli-
chen aus Langeweile anfangen, kriminell zu werden oder Drogen zu nehmen.

Sprecher:
Allerdings beschränken sich die Aktivitäten des Nachbarschaftsheims bei weitem nicht nur
auf die Jugendarbeit. 26 Angestellte, 30 Honorarkräfte sowie über 40 ehrenamtliche Mitar-
beiter kümmern sich um das Gemeinwohl im Stadtteil. Dazu gehört unter anderem auch
eine Altentagesstätte, eine Erziehungsberatungsstelle und ein Kindergarten.

Sprecherin:
Die Menschen im Viertel "Ostersbaum" identifizieren sich mit ihrem Nachbarschaftsheim.
Und egal, ob im Dorf oder in der Großstadt, egal, ob Reihenhaussiedlung oder Arbeiter-
viertel, die Nachbarschaft kann eine Solidargemeinschaft sein, ohne die das Leben für den
Einzelnen nur schwer zu bewältigen wäre.

Marcel Erlinghagen

Fragen zum Text:

Wenn etwas allgemeinen Anklang gefunden hat, ...


1. gibt es Knies.
2. hat es allen gefallen.
3. herrschte schlechte Stimmung.

Jemand, der bei anstehenden Arbeiten mit anpackt, ...


1. klopft Sprüche.
2. hängt rum.
3. krempelt die Ärmel hoch.

Die Bezeichnung Kumpel stammt ursprünglich aus der ...


1. Fußballsprache.
2. Bergarbeitersprache.
3. Jugendsprache.

Arbeitsauftrag:
Verfassen Sie eine kurze Szene, in der eine Auseinandersetzung zwischen Nachbarn
ausgetragen wird.

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Haarspaltereien
Haare sind Überbleibsel aus einer Zeit, als wir sie als Kälteschutz benötigten.
Heutzutage gelten sie als Schmuck – zumindest auf dem Kopf. Sie werden gepflegt,
geflochten und gefärbt, und man spricht über sie …
Sprecherin:
Als ich vor ein paar Tagen mal genauer in den Spiegel schaute, bot sich mir
ein haarsträubender Anblick. Irgendwie war das alles schief und krumm. Jedenfalls einen
Haarschnitt konnte man das nicht mehr nennen, geschweige denn eine Frisur. Haarscharf habe ich
erkannt: Mädchen, du musst zum Friseur! Und da liegt es natürlich nahe, dass ich die
Gelegenheit beim Schopfe packe und mich mal umhöre, was sich in der Welt der Friseure
so sprachlich tut.
Sprecher:
Sie merken schon: Unsere emsige Reporterin kann ihrem Hang zu Wortspielereien nicht
widerstehen und hat gleich mehrere Redewendungen eingeflochten, die der Erklärung bedürfen. Wie
etwa der haarsträubende Anblick im Spiegel. Behauptet jemand, dass sich ihm die Haare
sträuben, so bekundet er damit Ablehnung und Widerwillen. Diese Wendung bezieht sich auf die
tatsächliche Reaktion der Haare bei Angst, Entsetzen oder Erschrecken. Wenn sich jemand bei einem
Horrorfilm so richtig gruselt, kann es sein, dass ihm die Haare zu Berge stehen, oder eben es
sträubt sich ihm das Haar. Das gesamte Kopfhaar eines Menschen nennt man auch den "Haarschopf".
Und damit sind wir bei der Gelegenheit, die unsere Reporterin beim Schopf fasst. Wer eine
Gelegenheit beim Schopf packt oder fasst, nutzt sie entschlossen und ohne zu zögern.
Sprecherin:
Wer zum Friseur geht, hat die Qual der Wahl, denn Friseurgeschäfte gibt es wie Sand am
Meer oder auch wie Haare auf dem Kopf – viele nämlich. In Köln, wo ich wohne, kann ich zwischen
750 Friseurgeschäften wählen – beziehungsweise Salons, wie man sie in dieser Branche nennt. Der
Einfachheit halber gehe ich zum Friseur an der Ecke. Dieser "Salon Weihrauch" ist ein kleiner Laden,
ein Ein-Mann-Betrieb. Gerade mal drei Frisierstühle haben Platz. Eine ältere Dame sitzt mit
Lockenwicklern unter ihrer brummenden Trockenhaube und blättert in einer Zeitschrift. Es riecht
nach Haarwasser und Shampoo. Herr Weihrauch ist ungefähr 60 Jahre alt, weißhaarig, gepflegt und
ein Friseur alter Schule. Ich will mir die Haare ganz kurz schneiden lassen.
Herr Weihrauch:
"Eine Frage, bevor ich sie nass mache: Wie kurz soll ich sie schneiden? Okay, dann schneide
ich Fingerlänge und nehme dann hier mit der Maschine weg. Kommen Sie mit dem Köpfchen mal
zurück! Wunderbar. So, heute gehen wir ja noch kürzer als 'n Mecki. Der Mecki war ja nicht so
kurz wie was Sie jetzt haben. Ach so, nee, nee, der stand etwas höher und der stand. Der wurde exakt
so geschnitten. Das kam von den GIs von Amerika, die haben das ja klassisch gehabt."
Sprecher:
Mecki, das klingt niedlich. Gemeint ist damit eine Igelfrisur. Haare, die abstehen wie die
Stacheln eines Igels. Den Namen Mecki verdankt die Frisur einer populären Comic-Figur aus der
Wirtschaftswunderzeit. Mecki ist ein Igel und war schon vor Jahrzehnten das Maskottchen einer
Fernsehzeitschrift.
Sprecherin:
Seit 44 Jahren schneidet und frisiert Herr Weihrauch den Leuten die Haare. 30 Berufsjahre
hat er in Nordamerika verbracht. Das Friseurhandwerk liegt in der Familie. Schon der Vater und der
Großvater waren Friseure beziehungsweise Barbiere, denn früher – noch bis in die 50er Jahre –
musste ein Friseur auch rasieren können. Dass Friseure früher auch Barbiere waren, erkennt man
noch heute an dem Handwerkszeichen. Es zeigt ein eisernes Wasserbecken, in der [dem] das Wasser
für die Rasur erhitzt wurde.
Sprecher:
Heutzutage ist es natürlich vor allem die Jugend, die in der Haarmode die Trends vorgibt oder
ihnen nachfolgt, je nachdem, wie man es sieht, oder sich gleich die Frisuren selbst macht. Und weil
Frisuren immer eigenwilliger werden, man denke nur an die Auswüchse der haarsträubenden Punk-
Frisuren, etwa den Irokesenkamm oder die Haarstacheln, fällt für altgediente Handwerker wie Herrn
Weihrauch ein guter Teil des jungen Publikums von vornherein aus.
Herr Weihrauch:
"Das Problem, was wir heute haben, wenn Sie heute über die Ehrenstraße gehen – ist ja ein
klassisches Beispiel die jungen Mädchen im Grunde genommen: Haare orange, grün, lila, schwarz
oder blau. Und dann ist es nur noch kreuz und quer, kunterbunt, und es ist Mode."
Sprecher:
Mal eine Strähne blau oder grün, ein Büschelchen orange – das geht kreuz und quer, ganz
durcheinander. Wie Striche auf einem Blatt Papier, die sich mal überkreuzen und mal durchqueren.
Und auf den jungen Köpfen geht es besonders bunt zu, nämlich kunterbunt . Eigentlich also
vielstimmig, denn das zugrundeliegende "Contrabunt" kommt aus der Musik, vom Kontrapunkt, und
bezeichnet das Durcheinander der Stimmen beim kontrapunktisch angelegten Tonsatz. Erst der
Volksmund hat daraus eine Steigerung von bunt gemacht und die deutsche Sprache um die hübsche
Vokabel "kunterbunt" bereichert.
Sprecherin:
So mit frisch geschnittenen Haaren will ich nun noch mehr über diese Zunft der Friseure
erfahren. Ich suche mir einen etwas größeren Damensalon aus, in dem mich Monika empfängt. In
vielen Friseurgeschäften werden die Angestellten beim Vornamen angesprochen, auch wenn man sich
weiterhin siezt.
Monika:
"Man sagt ja nicht mehr 'Friseuse', sagt man ja nicht, weil, dieses Berufsbild ist jetzt als
Friseurin umgewandelt worden. Mich [mir] sträubt [sich] zwar immer noch alles, wenn jemand
sagt, ich bin Friseuse, weil das immer ein bisschen abwertend ist für mich jetzt – meine Meinung."
Sprecher:
Vielleicht ist Ihnen aufgefallen, dass Monika sagte, ihr sträubt sich alles, wie sich eben
auch die Haare sträuben, wenn sie das Wort "Friseuse" hört. Sie möchte "Friseurin" genannt
werden.
Sprecherin:
Natürlich weiß ich, warum die Friseurin Monika die Bezeichnung "Friseuse" nicht mag.
Weniger, weil es so säuselnd und affektiert klingt, deshalb vielleicht auch, aber seit Jahren sind Witze
über blonde Frauen ziemlich beliebt, jedenfalls bei Männern. Und weil Männer Schwierigkeiten
haben, wirklich gute Witze zu verstehen, sind die Blondinenwitze sehr einfach gestrickt. Nach dem
Motto: blond gleich dumm gleich Friseuse. Ein Vorurteil, das Monika, die es ja wissen müsste, nicht
bestätigen kann.
Monika:
"Ich kenne also sehr viele Friseure, die blond sind und sehr viel auf dem Kasten haben.
Und es gibt auch wieder welche, die brünett sind oder dunkelhaarig, die weniger im Kasten
haben. Also, man kann das nicht generell sagen. Aber dieses Urteil ist eben sehr schnell."
Sprecher:
Wer viel auf dem Kasten hat, der ist intelligent, der kann was. Die Redensart geht von
der volkstümlichen Bezeichnung "Kasten" für den Kopf aus, der dementsprechend ein
Verstandeskasten oder Gehirnkästchen ist.
Sprecherin:
Den kleinen Friseurladen an der Ecke haben wir besucht und den klassischen Damensalon.
Fehlt nur noch der Trendfriseur, bei dem sich die Jugend und die Junggebliebenen besonders
ausgefallene Frisuren machen lassen. Ich tippe mal, dass "Vanity Hair" dem entspricht. Ein Wortspiel
und dazu noch auf Englisch, das muss einfach ein tolles Team sein, das dort die Haare stylt. Der Name
erinnert an die Modezeitschrift "Vanity Fair", so benannt nach dem Buch "Jahrmarkt der Eitelkeiten".
Das Publikum ist trendbewusst und jung, und das sollte sich in dem Namen widerspiegeln, meint der
Chef Peter Krah. Er ist selbst erst 28 Jahre alt.
Peter Krah:
"Die Namen spielen schon insofern 'ne Rolle, dass, wenn man nur 'nen Namen hört irgendwie
von 'nem Friseurladen – und das ist dann schon ausgefallener – man eigentlich auch davon ausgeht,
dass es [er] eigentlich jüngeres Publikum anspricht oder einfach Leute, die im Kopf jung geblieben
sind. Also, man geht bei 'Vanity' eigentlich nicht davon aus, dass es so ein Oma-Laden ist, wo man
einmal die Woche zum Waschen, Legen hingeht."
Musik:
Reinhard Mey, Mein erstes graues Haar
"Links überm Ohr habe ich eben
Mein erstes graues Haar ertappt
Mir ist, als wär in meinem Leben
eine Tür lautlos zugeschnappt"
Sprecherin:
Dass die Haare im Alter grau werden, liegt am allmählichen Verlust der Farbpigmente.
Allerdings sagt man auch schon zu jungen Leuten, sie sollten sich keine grauen Haare
wachsen lassen.
Peter Krah:
"Lass dir keine grauen Haare wachsen – ja, das kommt häufig dadurch, weil es
tatsächlich schon passiert ist, dass Leute in 'ner Schocksituation oder so die Pigmente aus den Haaren
verlieren. Das heißt, sie sind über Nacht grau oder kriegen über Nacht graue Schläfen. Und wenn man
sich dann halt ärgert, oder wenn jemand ein großes Problem vor sich hat, und man sagt dem
irgendwie, jetzt lass dir mal keine grauen Haare wachsen, dann meint man damit: 'So,
reg' dich ab, sonst wachsen dir noch graue Haare.'"
Sprecherin:
Für einige Redewendungen gibt es demnach geradezu biologisch begründete Erklärungen.
Kein Wunder, die Haare sind ja auch sensible Organe und registrieren zum Beispiel
Temperaturschwankungen ebenso fein wie die nervliche Anspannung eines Menschen. Die Haare
sträuben sich zum Beispiel auch, wenn zwei Menschen besonders aufgeregt sind, weil sie sich in
die Haare geraten.

Peter Krah:
"Oder in die Haare kriegen. Ja, das heißt halt auch, dass man sehr wütend aufeinander
ist. Ja, und das ist, glaube ich, ein sehr femininer Ausdruck, sich mit jemandem in die Haare
kriegen. Das ist eigentlich, glaube ich, mehr auf Frauen bezogen, weil Frauen, wenn die aufeinander
losgehen, sich gerne an den Haaren ziehen."
Sprecherin:
Na, das ist doch zum Haare raufen, was Männer zum Teil so von sich geben. Mir
erscheint diese Erklärung jedenfalls ein bisschen an den Haaren herbeigezogen zu sein. Ich
hätte Herrn Krah, bei allem Respekt, sagen sollen: Diese Erklärung können sie sich getrost in die
Haare schmieren.
Sprecher:
Nun wird's aber wirklich haarig. Wenn sich zwei Leute, ob Männer oder Frauen, in die
Haare kriegen, dann stellt man sich natürlich vor, dass sie einander an den Haaren ziehen. Etwas
anderes meint etwas an den Haaren herbeiziehen. Eine Erklärung oder eine
Entschuldigung, die man an den Haaren herbeizieht, passt nicht wirklich und ist ziemlich
weit hergeholt. Sie wird gewissermaßen gewaltsam herangeschafft, so wie man einen Menschen gegen
seinen Willen an den Haaren herbeizieht. Jemand, der verzweifelt ist, wird sich unter
Umständen die Haare raufen, also an seinen eigenen Haaren herumziehen. Und ganz
offensichtlich kann man sich neben Shampoo, Gel und Haarwachs noch ganz andere Sachen in die
Haare schmieren. Wenn jemand Ihnen mit einer dummen Entschuldigung kommt oder Ihnen
etwas anbietet, was völlig wertlos ist, dann könnten Sie sagen: "Das kannst du dir in die Haare
schmieren! Darauf lege ich keinen Wert."
Sprecherin:
Weil Haare sehr dünn sind, durchschnittlich nur 0,07 Millimeter, gibt es eine Reihe von
Redewendungen, in denen mit dem Maßstab Haar ein sehr kleiner Abstand oder ein winziges Stück
gemeint ist. Beispielsweise, wenn ein Auto sehr knapp an mir vorbeifährt und mich um ein
Haar erwischt hätte.
Peter Krah:
"Ja, ja, das ist halt dann schon sehr deutlich beschrieben, dass es – also 'n Haar ist ja nicht
besonders dick – und wenn es irgendwie so haarscharf an einem vorbeigeht oder um
Haaresbreite, dann weiß eigentlich jeder, dass das sehr knapp gewesen sein muss."
Sprecher:
Wenn etwas gerade noch mal gut geht, dann hört man Ausrufe wie: Um
Haaresbreite oder um ein Haar hättest du mich angefahren! Das war haarscharf. Es geht
also um Millimeterarbeit, um etwas sehr Kleines. Wie übrigens auch, wenn man
etwas haarklein erklärt haben möchte und alles ganz genau wissen will,
also haarspalterisch an eine Sache herangeht.
Peter Krah:
"Die Haarspalterei, ja, ja. Ja, wie gesagt, so 'n Haar ist halt schon sehr dünn, und wenn
einer es dann so ganz genau wissen will oder jedes Detail wissen will, dann ist das manchmal einfach
nervig und Haarspalterei."
Sprecherin:
Davon, dass jemand Haare spaltet, kann im Friseursalon natürlich keine Rede sein. Hier wird
gewaschen und geschnitten. Bevor wir die Welt der Haare endgültig verlassen, sollen die Friseure
noch einmal zu Worte kommen, schließlich geht es ja um ihren Beruf, den sie sicherlich mit Haut
und Haaren ausüben.
Monika:
"Ich sag' da immer eher, es ist ein Beruf oder 'ne Berufung. Mit Haut und Haar Friseur
sein ist also, mit Leib und Seele dabei sein. Gerne diese Dinge tun, das ist für mich mit Haut und
Haar dabei sein.
Peter Krah:
Nein, man hat jemanden mit Haut und Haaren zum Fressen gern, das passt eher.
Ja, Haut und Haare sind halt sehr sinnliche Organe, und in dieser Redewendung bringt man halt zum
Ausdruck, dass man jemanden schon sehr gern mag."
Sprecher:
Beide Berufskollegen haben recht, denn mit Haut und Haaren heißt schlicht "ganz und
gar", wie übrigens auch mit Leib und Seele. Man kann durchaus jemanden mit Haut und
Haaren zum Fressen gern haben und ihm oder ihr mit Haut und Haaren verfallen
sein. Man kann aber auch, wenn man sich zu diesem Beruf wirklich berufen fühlt, mit Haut und
Haaren Friseur sein.
Fragen zum Text:
Wie sollte man eine Frau, die Haare schneidet, besser nicht nennen?
1. Friseurin
2. Friseuse
3. Coiffeurin
Menschen, die wütend aufeinander sind und miteinander streiten, …
1. kriegen sich in die Haare.
2. raufen sich die Haare.
3. können sich etwas in die Haare schmieren.
Jemand, der intelligent ist, …
1. hat einen Mecki.
2. hat etwas auf dem Kasten.
3. ist mit Haut und Haaren dabei.
Arbeitsauftrag:
Schreiben Sie einen Dialog zwischen einem Friseur und einem Kunden. Lassen Sie darin den
Friseur nach den Wünschen des Kunden fragen und ihn beraten und lassen Sie den Kunden genau
erklären, wie die Haare geschnitten oder behandelt werden sollen.
Autor: Moritz Heistermann
Redaktion: Barbara Syring
Im Reich der Insekten

Sie surren und brummen überall dort, wo es stinkt. Schmeißfliegen sind zwar nicht
die beliebtesten Tiere, aber wenn es sie nicht gäbe, würden wir ganz schön "in der Scheiße
sitzen" - im wahrsten Sinne des Wortes.
Dr. Klaus Coelln:
"Man kennt knapp unter einer Million Insekten, aber wie viele es wirklich gibt, das ist nach wie
vor unklar. Da streitet man sich, ob es 30 Millionen Insektenarten gibt, manche sagen, es sind
wahrscheinlich 100 Millionen, aber keiner bestreitet mehr, dass wir so um die 5 Millionen sicher
haben. Die meisten Insekten leben in den Tropen. Auf der anderen Seite finden wir selbstverständlich
auch hier in Deutschland immer noch neue Arten, wir haben zum Beispiel vor einiger Zeit eine
Fliegenart gefunden, die sozusagen eine Weltneuheit war. Sie heißt Eudorylas goennersdorfensis."
Sprecherin:
Dr. Claus Coelln vom Kölner Institut für Zoologie ist einer der wenigen Insektenforscher in
Deutschland. Die meisten Menschen können die Aufregung um eine Fliege wahrscheinlich kaum
nachvollziehen, doch für den Experten und seine Kollegen ist die Entdeckung einer neuen Art eine
Sensation. Eine scheinbar ganz normale Taufliege hat sich als bis dato unbekanntes
Insekt entpuppt. Benannt hat Dr. Coelln das seltene Exemplar nach dem kleinen Dorf in der Eifel,
in dem es entdeckt wurde, und so heißt die Fliege jetzt ganz wissenschaftlich: Eurodylas
Goennersdorfensis.
Mann:
"Woran erkennt man eigentlich ein Insekt?"
Dr. Klaus Coelln:
"Es hat sechs Beine und in der Regel zwei Paar Flügel. Dann ist etwas ganz Besonderes ein
äußerer Panzer: Insekten haben nicht wie wir Knochen, sondern sie haben ihr Skelett praktisch außen
als Haut auf sich. Wenn man Leuten unter dem Mikroskop kleine Insekten zeigt, sind die teilweise
unheimlich begeistert, wie schön die eigentlich sind. Dann gibt es natürlich auch ja nicht unbedingt
Sympathieträger wie so eine fette Fliegenmade, die dann an einer Leiche herum frisst oder so…"
Sprecherin:
Die wissenschaftliche Betrachtung des Insekts ist der Fachwelt vorbehalten. Die meisten
Menschen reagieren eher emotional, wenn sie an Insekten denken:
Frau:
"Also ich ekle mich vor allem, was krabbelt. Insekten wie Spinnengetier und Schmeißfliegen
kann ich nicht leiden, mit denen bin ich spinnefeind. Wenn so was aus den Ecken kriecht, bin
ich auf der Hut, dann hole ich immer meinen Mann, der muss die Viecher beseitigen."
Mann:
"Ich weiß echt nicht, wer meiner Frau den Floh ins Ohr gesetzt hat, dass die Tierchen
ihr was tun, so ’n Quatsch. Letztens habe ich ’ne Fliege gejagt und mir den Kopf angeschlagen, ich
hatte danach ’nen ziemlichen Brummschädel."
Sprecherin:
Die Frau, die sich vor Spinnen und Fliegen ängstigt, ist einem ziemlich verbreiteten Irrglauben
unterlegen, denn nicht alles was krabbelt, muss zwangsläufig ein Insekt sein. Lassen Sie sich den
Unterschied zwischen einem Insekt und einer Spinne von Dr. Klaus Coelln erklären.
Dr. Klaus Coelln:
"Spinnen sind keine Insekten. Die sind zwar verwandt mit den Insekten, aber sie haben zum
Beispiel acht Beine, sie haben nicht das Fliegen gelernt wie die Insekten im Laufe der Evolution. Dafür
gibt es Anhaltspunkte, dass sie den Insekten das Fliegen beigebracht haben, weil sie so aggressiv und
erfolgreich als Jäger sind, dass diese Spinnen die Insekten sozusagen in die Luft gejagt haben, weil sie
dort sicherer sind."
Sprecher:
Dorthin hat sich auch gerade die Taufliege Eudorylas goennersdorfensis abgesetzt. Sie will
nicht in das Netz einer Spinne geraten, denn diese ist ihr größter Feind. Wenn man mit
jemandem spinnefeind ist, hasst man ihn so sehr wie ein Insekt die Spinne. Und wer uns auflauert
und Böses will, sitzt wie die Spinne im Netz. Die Taufliege hat sich als
Weltneuheit entpuppt, sie stellt sich ganz anders da, als man erwartet hat. Dieser Begriff leitet sich
vom Insekt ab, dass sich im Laufe seiner Entwicklung verändert. Ob sich in der Puppe ein bunter
Schmetterling oder eine gewöhnliche Fliege verbirgt, erfährt man erst, wenn das Insekt schlüpft.
So kann sich auch eine Angelegenheit, die viel versprechend beginnt, als kolossaler
Reinfall entpuppen. Um sich davor zu schützen, sollte man auf der Hut sein. Man sollte
Vorsicht walten lassen. Diese Wendung hat nichts mit der Kopfbedeckung zu tun, sondern leitet sich
vom Verb ‚hüten’, also sich vor etwas schützen, ab.
Sprecherin:
Auf der Hut sollte man auch sein, bevor man in Naturkreisläufe eingreift.
Dr. Claus Coelln:
"Man sollte sich nur mal vorstellen, wenn es keine abbauenden Insekten gäbe und die
Laubstreu jedes Jahr liegen bleibt, was für Konsequenzen das hätte, die ja nicht nur darin bestehen,
dass wir bis zum Hals durch Laub marschieren würden, sondern der Kreislauf würde unterbrochen.
Kreisläufe sind auch zigfach gesichert, so dass unser Eingreifen zunächst gar nicht so deutlich
würde, wenn ein oder zwei Arten ausfallen, dann sind immer noch eine Anzahl da, die das wieder
übernehmen können."
Sprecherin:
Wussten Sie eigentlich, dass eine Kuh jährlich fast fünf Tonnen Dung produziert? Ohne
Insekten, die davon leben und ihn verarbeiten, würde es auf diesem Planeten wahrscheinlich ganz
schön stinken. Jeder, der sich mal auf einer Wiese neben einem frisch gedüngten Feld im Gras
ausstrecken wollte, hat bestimmt schon die Nase gerümpft und bei sich gedacht:
Spaziergänger:
"Bäh, stinkt das. Ich mach’ besser die Fliege."
Sprecherin:
In Australien hat der Mensch in den natürlichen Kreislauf eingegriffen und Kühe importiert –
ohne zu bedenken, dass es auf dem fünften Kontinent keine Insekten gibt, die sich auf den Abbau von
feuchtem Kot spezialisiert haben. Als Folge liegen die Kuhfladen länger als ein Jahr herum, wertvolles
Weideland bleibt ungenutzt.
Sprecher:
Tja, da hat man so mancher Farmer wohl gedacht, er käme mit einer Rinderherde zu schnellem
Reichtum, er könnte schnell zig Tausend Dollar scheffeln. Zig ist die Abkürzung der Zahlwörter
vier-zig, fünf-zig, sech-zig, und so weiter. Man legt sich nicht auf einen bestimmten Wert fest, stellt
aber klar, dass es sich um eine größere Menge handelt. Wenn man jemanden einen Floh ins Ohr
setzt, dann stachelt man ihn so an, dass er fortan keine Ruhe mehr findet. Das Bild leitet sich
vom Hund ab, der sich verzweifelt mit der Pfote am Kopf kratzt, den Floh aber nicht loswird.
Sprecherin:
"Anstacheln, also antreiben, ist ebenfalls ein Begriff aus dem Reich der Insekten. Wenn
eine Biene sticht, ist ihr Opfer ziemlich unruhig, weil der Stachel im Fleisch schmerzt.
Einen Brummschädel bekommt man von so einem Stich allerdings nicht, der ist eher erhöhtem
Alkoholgenuss oder einem Schlag auf den Kopf zuzuschreiben. Man meint dann, ein lautes Brummen
wie von einem Insektenschwarm zu hören. Wenn man hingegen sagt, der Laden brummt, dann
ist er sehr gut besucht - eben so, als ob ein Insektenschwarm eingefallen wäre, dessen Flügelschlagen
ein brummendes Geräusch erzeugt.
Dr. Klaus Coelln:
"Insekten spielen natürlich auch als Gesundheitsschädlinge eine Rolle. Die Läuse gibt es ja
immer mal wieder, Flöhe sind seltener geworden. Dann gibt es natürlich die Malaria, die übertragen
wird von Insekten als ein Hauptproblem der Menschheit überhaupt. Insekten sind auch unsere
größten Konkurrenten, zum Beispiel, wenn es um Nahrung geht. Unsere Vorräte werden von ihnen
angegriffen, die Heuschreckenplage ist natürlich etwas ganz Deutliches in dieser Richtung. Wir
haben dann selbstverständlich auch Schädlinge, die unsere Ausrüstung betreffen, denken Sie an
unsere Kleidung: Wer die Motten kriegt, der hat auf jeden Fall Probleme mit seinen Pullovern
und den vielen Löchern, die dort hinterlassen werden."
Sprecherin:
So mancher hat sich schon über ein ruiniertes Kleidungsstück geärgert, aber man sollte
darüber nicht vergessen, wie wertvoll Insekten im Naturkreislauf sind. Nicht umsonst heißt es
schließlich fleißiges Bienchen. Ein Ausdruck, der gern auf besonders arbeitsame Menschen
übertragen wird.
Dr. Klaus Coelln:
"Insekten sind für uns nützlich, ich denke nur an die Bestäubung. Unsere Vorräte hätten wir
häufig gar nicht, wenn die Insekten nicht unsere Pflanzen bestäuben würden und das ist nicht nur die
Honigbiene, das sind sehr viele Fliegen. Und man stelle sich nur mal vor, man müsse eine
Kirschplantage oder eine Tomatenzucht mit dem Pinsel bestäuben, indem man von den Staubgefäßen
das auf die Nabe übertragen würde. Das geht in die zig Millionen, was allein in Deutschland jedes
Jahr durch die Insekten erwirtschaftet wird."
Sprecherin:
Und so manch verliebtes Pärchen liegt mit Schmetterlingen im Bauch faul auf der
Wiese, während die fleißigen Bienen die Pollen transportieren.
Mann:
"Wenn man das so hört, das ist schon faszinierend. Da kommt man sich vor wie die Made
im Speck, die von der Arbeit der Insekten profitiert."
Sprecherin:
Insekten sind in vielerlei Hinsicht nützlich, in manchen Ländern landen sie sogar als
Delikatesse auf dem Tisch.
Dr. Klaus Coelln:
"Es gibt Dokumente aus Mesopotamien, dass dem König sogar Heuschreckenspieße, ein
Heuschreckenschaschlik, aufgetragen wurde. Das war etwas Besonderes. Es gibt auch so
Kulinarisches wie zum Beispiel Ameisen in Schokolade, das soll besonders nussig schmecken und das
kann man heute in Konserven kaufen in den entsprechenden Läden."
Esser:
"Hmmm, lecker, so ’ne Raupe. Da kann ich gleich zwei Fliegen mit einer Klappe
schlagen. Es schmeckt und ist gesund."
Sprecherin:
Die Menschen essen Insekten, springen aber wie von der Tarantel gestochen auf und
laufen weg, wenn diese wiederum Nahrung von ihnen einfordern. Ein Stückchen Kuchen am
Kaffeetisch zum Beispiel wie die Wespe oder ein bisschen Blut wie die Mücke.
Frau:
"Du Mistvieh. Ich mach’ dich platt!"
Sprecherin:
Sollten auch Sie Mücken für unnütz halten, fragen Sie mal Dr. Klaus Coelln.
Dr. Klaus Coelln:
"Die Mücke hat ja auch zum Beispiel ein Leben als Larve gehabt, und als Larve im Wasser hat
sie viele Bakterien dort gefressen und hat dort auch zur Reinheit des Wassers beigetragen. Und dann
sind es ja schließlich nur die Weibchen der Mücken, die uns ein wenig Blut abzapfen, die brauchen
unsere Bluteiweiße, um ihre Eier aufzubauen. Um dann wieder für Larven zu sorgen, die das Wasser
reinigen."
Sprecherin:
Das ist der ewige Kreislauf der Natur. Und so sollte man vielleicht nicht wie von der
Tarantel gestochen, nämlich jäh und plötzlich wie nach einem heftig Schmerz, aufspringen und
den Kuchen in Sicherheit bringen, wenn sich Wespen dem Kaffeetisch nähern; sie wollen doch nur
ihre Brut ernähren. Auch wenn man manchmal den Eindruck hat, dass sie wie die
Heuschrecken über einen herfallen – äußerst zahlreich vertreten also, wie man es von den
Heuschreckenschwärmen kennt, die ganze Felder in Windeseile auffressen.
Sprecher:
Diese Heuschrecken leben dann wie die Made im Speck, sie haben Nahrung im
Überfluss. Uns allerdings macht so ein Vieh den Schinken ganz schön madig. Es verleidet uns das
Essen, es wird ungenießbar, denn wer will schon ein von Maden befallenes Mahl zu sich nehmen.
Wenn man jemandem also eine Person oder eine Angelegenheit madig macht, dann verleidet man
sie ihm dementsprechend.
Frau:
"Ihh, ekelhaft. Das kann doch keiner mehr essen."
Sprecherin:
Das Wort anzapfen bezieht sich ursprünglich auf das mit dem Zapfhahn angeschlagene
Bierfass, im übertragen Sinne kann man aber auch andere Flüssigkeiten abzapfen: Benzin aus
einem Tank zum Beispiel oder im Fall der Mücke Blut vom Menschen. Wer Schmetterlinge im
Bauch hat, spürt ein Kribbeln im Bauch: ein untrügliches Anzeichen dafür, dass er verliebt ist. Und
wer zwei Fliegen mit einer Klappe schlägt, erreicht mit einer einzigen Handlung den
doppelten Nutzen.
Sprecher:
Damit die Damenwelt sich verschönern kann, werden übrigens rote Schildläuse zerrieben, aus
ihren Farbpigmenten wird nämlich Lippenstift hergestellt. Wenn die Frauen das wüssten…! Ziemlich
sicher ist auch, dass Insekten die wahren Herrscher der Welt sind. Glaubt man Studien, sollen auf
einer Fläche von circa 1,5 mal 1,5 Meter des tropischen Regenwaldes mehr Insekten leben als
Menschen auf der ganzen Welt und etwa 60 Prozent aller Lebewesen auf diesem Planeten Insekten
sein.
Dr. Klaus Coelln:
"Eine Zahl, die ziemlich sicher ist: dass die Menge der Zahl der Ameisen auf der Welt
gewichtsmäßig dem Gewicht aller Menschen dieser Welt entspricht. Und die Insekten sind auch
sicherlich die erfolgreichste Tiergruppe der Welt heute, auch wenn wir das nicht unbedingt
wahrhaben wollen. Und sie haben uns auch immer wieder die Grenzen gezeigt. Wenn wir mal denken
an die großen Pestepidemien, die ja letzten Endes übertragen wurden von Rattenflöhen, und das sind
ja wirklich Epidemien gewesen, die ja die Menschheit unheimlich dezimiert haben und ich glaube, da
müssen wir ständig auf der Hut sein, das Gleichgewicht, das vielleicht jetzt im Moment herrscht
oder die Kontrolle, die wir entwickelt haben, das die erhalten bleibt. Aber die Insekten werden sicher
auch noch unter ungünstigeren Umweltbedingungen bestehen können, wenn wir zum Beispiel nicht
mehr bestehen können."
Sprecherin:
Man muss es zugeben, Insekten sind definitiv anpassungsfähiger als der Mensch. Es gibt sie
schon seit fast 400 Millionen Jahren, sie haben sogar die Dinosaurier überlebt.
Dr. Klaus Coelln:
"Die Generationsfolge der meisten Insekten ist ja relativ kurz. Die Taufliege zum Beispiel, die
braucht etwas mehr als zehn Tage für eine Generation, und von Generation zu Generation kann das
veränderte Erbgut schneller ausprobiert werden, Entwicklungstrends können schneller eingeleitet
werden als bei uns. Außerdem gibt es eigentlich Insekten überall in Höhen bis hinauf in die Gletscher,
praktisch alle Lebensräume, die nur irgendwie von Lebewesen besetzt werden können, haben sie
besetzt und sind von daher schon gerüstet. Wenn der Trend ins Kalte geht, kommen eben die
Kälteangepassten und wenn er in die Wärme geht, die Wärmeangepassten und können sich
ausbreiten und das mit diesen enormen Zahlen."´
Sprecher:
Das Wort gerüstet leitet sich von der Ritterrüstung ab, die einen Panzer gegen äußere
Gefahren darstellt. Wer gut gerüstet ist, dem kann also nicht viel passieren. Und wir sind
jetzt gerüstet, die nächste Wiese zu besuchen und die Insekten mal genauer unter die Lupe zu
nehmen. Und machen Sie am besten die Fliege, wenn Sie aus Versehen zu nahe an ein
Bienennest geraten!
Fragen zum Text:
Wenn man mit jemandem spinnefeind ist,…
1. hat man Angst vor Spinnen.
2. hasst man jemanden so sehr wie ein Insekt die Spinne.
3. ist man sehr eng miteinander befreundet.
Jemand, der wie die Made im Speck, lebt…
1. muss hungern.
2. hat Nahrung im Überfluss.
3. ist Vegetarier.
Wer zwei Fliegen mit einer Klappe schlägt,…
1. geht besonders brutal gegen Insekten vor.
2. erreicht mit einer einzigen Handlung den doppelten Nutzen.
3. isst gern Insekten.
Arbeitsauftrag:
Erklären Sie folgende Redewendungen schriftlich:
jemandem einen Floh ins Ohr setzen, auf der Hut sein, Schmetterlinge im Bauch haben, etwas
genauer unter die Lupe nehmen, die Fliege machen.
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Alltagsdeutsch

Mit Pauken und Trompeten

Melodie und Rhythmus gibt es nicht nur in der Musik. Auch in der Sprache sind sie
ein wichtiger Bestandteil. Wie stark die Sprache mit Musik verbunden ist, zeigt sich
auch in vielen Redewendungen.

Sprecherin:
Ach, wie ich das kenne, ich habe dir schon Tausend Mal gesagt, du sollst das sein lassen.

Sprecher 1:
Beim Sprechen betonen wir, was uns wichtig ist. Ebenso verleihen wir wichtigen Aussagen
Nachdruck, indem wir eine Pause machen. So bleibt das Gesagte länger im Ohr. Doch vor
allem Tonhöhe und Tonfall geben uns Hinweise darauf, wie wir unsere Aussage meinen.
Schlagen wir einen Befehlston an?

Sprecher 2:
Jetzt aber mal zack zack, hier!

Sprecherin:
Los jetzt, marsch, marsch, ab ins Bett!

Sprecher 1:
Oder schwingt auch ein liebevoller Unterton mit? Der Mensch benutzt beim Sprechen am
liebsten die Töne der chromatischen Tonleiter.

Musiker:
Auf dem Klavier: die weißen und die schwarzen Tasten.

Wissenschaftler:
In einer statistischen Untersuchung verschiedener Sprachen fanden amerikanische Wis-
senschaftler heraus, dass Menschen bevorzugt Tonhöhen verwenden, die in einem ha r-
monischen Verhältnis zueinander stehen. Die musikalischen Intervalle Oktave und Quinte
klingen in allen Sprachen häufig wider, auch im Deutschen.

Sprecher 2:
Aber echt? Hätte ich nicht gedacht. Deutsch finde ich eigentlich nicht besonders melo-
disch. Ich meine im Vergleich zu Französisch oder Italienisch. Ciao Bella! Das zergeht auf
der Zunge. Und Chinesisch, sagt man nicht sogar "chinesischer Singsang"? Die Bedeu-
tung eines Wortes erkennt man da an der Tonhöhe, unglaublich.

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Alltagsdeutsch

Sprecher 1:
"Singen": Althochdeutsch singen geht auf indogermanisch senguh "mit feierlicher Stimme
vortragen" zurück. "Singen" und "sagen" war in früheren Zeiten zuweilen eins. Das Wort
"Carmen" weist darauf hin, Plural "Carmina". Im Altlateinischen bezeichneten die Carmina
Kultlieder. Man rezitierte Gebete, Prophezeiungen, aber auch Gesetze und Verträge wie
Beschwörungsformeln. Im Mittelalter verstand man unter "Carmina" ein Gedicht mit weltli-
chem oder geistlichem Inhalt.

Musiker:
Carmina Burana.

Sprecher 2:
Hast’e da noch Töne? Ich dachte immer: Entweder ich singe, oder ich spreche.

Der Literat:
Erstaunt? Natürlich haben Sie Recht. Sprache bleibt Sprache und Musik bleibt Musik. A-
ber zwischen beiden bestehen enge Wechselwirkungen. Sie stellen zwar unterschiedliche
Ausdrucksformen dar, doch sie beeinflussen sich auch gegenseitig. Sowohl beim Spre-
chen wie beim Singen intonieren wir, phrasieren, setzen Akzente. Rhythmus und Melodie
spielen in der Sprache und der Musik eine Rolle.

Musiker:
Da, wo die Sprache aufhört, fängt die Musik an!

Literat:
Bitte, spucken Sie nicht so große Töne! Welches Medium ausdrucksstärker ist, und ob die
Musik eine eigene Sprache hat, darüber sind sich doch selbst die Musiker und Theoretiker
nicht einig. Lassen Sie uns lieber die Gemeinsamkeiten von Sprache und Musik betonen.
Vergegenwärtigen wir uns doch, dass früher die Dichtkunst eng mit dem Musikschaffen
verbunden war.

Sängerin:
Sah ein Knab ein Röslein stehn,
Röslein auf der Heiden,
War so jung und morgenschön,
Lief er schnell, es nah zu sehn,
Sah’s mit vielen Freuden.
Röslein, Röslein, Röslein rot,
Röslein auf der Heiden.
Knabe sprach, ich breche dich,
Röslein auf der Heiden…

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Sprecher 2:
Das ist ja wohl so ziemlich das bekannteste deutsche Lied.

Literat:
Und wer hat den Text geschrieben? Der große Goethe. Drei Strophen und ein Refrain wie
ein Ohrwurm. So viel Alliteration, also gleicher Anfangsbuchstabe aufeinanderfolgender
Wörter, kann man einfach nicht vergessen.

Sprecher 2:
Und was will uns das sagen?

Literat:
Lyrik. Darin ist das griechische Wort "Lyra" enthalten. Gedichte waren bei den alten Grie-
chen zur Leier vorgetragene Gesänge. Daraus hat sich die Gattung der Lyrik entwickelt.
Darunter sind Balladen, Bänkellieder oder Arbeitslieder entstanden, bis hin zu politischen
Protestsongs engagierter Liedermacher. Zahllose Lieder und Gedichte haben Musiker
seither zur Vertonung inspiriert. "Freude, schöner Götterfunken, Tochter aus Elysium, Wir
betreten feuertrunken, Himmlische, dein Heiligtum."

Musiker:
Beethoven!

Literat:
Schiller!

Wissenschaftler:
Man kann historisch nachweisen: Der Rhythmus gesungener Lyrik folgt der rhythmischen
Bewegung des Textes. Seit der Antike ist das so und auch beim mittelalterlichen Minne-
sang…

Sprecher 2:
Jetzt komm ich aber aus dem Takt! Antike, Mittelalter, Lyrik, Lieder, was hat das denn mit
Sprache zu tun?

Sprecher 1:
Apropos Lieder und Sprache. Bevor ein Kind die Bedeutung eines Satzes versteht, er-
kennt es bereits über die Satzmelodie und den Rhythmus zusammenhängende Struktu-
ren.

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Sprecherin: (singt)
Lalelu, nur der Mann im Mond schaut zu, wenn die kleinen Kinder schlafen.

Wissenschaftler:
Die Wissenschaft hat festgestellt: Kinderlieder helfen, die Sprachfertigkeit auszubilden.
Schon Babys beginnen sehr früh "mitzusingen", meist im harmonischen Quintabstand zur
Stimme der Mutter.

Sprecher 2:
Ach? Das ist Musik in meinen Ohren! Gut zu wissen. Dann hab ich’s ja genau richtig ge-
macht. Ich hab nämlich immer viel mit meiner Kleinen gesungen. Die hat sowieso Musik
im Blut. Sie ist erst neun, aber sie spielt schon Geige.

Wissenschaftler:
Studien haben belegt: Mit dem Musikmachen geht eine intellektuelle Reifung einher. Min-
destens vier Jahre aktives Musizieren ist dazu allerdings Voraussetzung.

Sprecher 1:
Apropos Sprache und Musik. Viele Redewendungen im Deutschen zeugen davon, dass
"aktiver Musikeinsatz" früher einmal viel selbstverständlicher war als heute.

Sprecherin:
Den Ton angeben, die erste Geige spielen, Tamtam machen, die Trommel rühren,
"Hier spielt die Musik", auf die Pauke hauen, mit Pauken und Trompeten.

Sprecher 1:
Ob man dabei die Tonart angibt oder die erste Geige spielt, also sagt, wo es langgeht. Ob
man großen Wirbel macht, die Reklametrommel schlägt, oder um Aufmerksamkeit bittet.
Mit der Pauke verschafft man sich auf jeden Fall Gehör, denn sie ist ein besonders lautes
Instrument. Früher spielte man Musik mit Pauken und Trompeten zu festlichen Anläs-
sen. Auf die Pauke hauen, bedeutet, so richtig ausgelassen zu feiern. Und wer zum Bei-
spiel mit Pauken und Trompeten empfangen wird, kann sich geehrt fühlen. Allerdings
verwenden wir soviel Aufsehen auch ironisch.

Sprecherin:
Der Kandidat fiel mit Pauken und Trompeten durch die Prüfung.

Sprecher 1:
Ganz und gar hoffnungslos. Vielleicht hilft dann ja eine Standpauke des Paukers, eine
aus dem Stegreif gehaltene schallende Rede des Lehrers. Jedenfalls muss der Kandidat

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noch mal kräftig pauken, will sagen, lernen, sich den Stoff sozusagen in den Kopf schla-
gen.

Musiker:
Apropos "aktiver Musikeinsatz". In Zeiten von Stereoanlagen und I-Pods genießen viele
Leute leider lediglich passiv Musik.

Sprecherin:
Wer fühlen will, muss hören!

Sprecher 1:
Musik geht unter die Haut, groovt, swingt, das ist ein Hit. In der Jugendsprache existieren
viele Worte, die vom Musik Hören handeln. Bei Lounge und Ambient abhängen oder chi l-
len, bei House, Techno und Rap abtanzen oder neudeutsch: raven. Heavy oder melo-
disch, Hauptsache, es geht ab. Die Geschmäcker sind zwar verschieden, doch Musik
vermittelt ein Wohlgefühl, wenn sie nicht zu dissonant klingt. Das ist übrigens auch wis-
senschaftlich erwiesen. In vielen Redewendungen schwingt diese Tatsache noch mit. Mu-
sik in meinen Ohren will sagen, "das ist aber eine äußerst angenehme Neuigkeit". Da
steckt Musik drin! sagen wir, wenn eine Sache Kraft und Schwung hat. Und wenn man
unbeschreiblich glücklich ist, dann ...

Sprecherin:
... hängt der Himmel voller Geigen.

Sprecher 1:
Dieser Ausdruck für ein Hochgefühl war bereits im 15. Jahrhundert geläufig. Vermutlich
hat man sich von Gemälden dazu inspirieren lassen. Denn in der späten Gotik und Früh-
renaissance waren musizierende Engel im Himmel ein beliebtes Motiv.

Sprecher 2:
"Haste Töne?" Überhaupt Töne: Heißt es nicht "Der gute Ton", wenn man gutes Beneh-
men meint? "Sich im Ton vergreifen", wenn man sich nicht freundlich ausdrückt? Auf
jeden Fall macht der Ton die Musik. Wie ich etwas sage, ist entscheidend. Aber man
kann sich auch ganz schön aufspielen, wenn man zum Beispiel große Töne spuckt, also
angibt. Und man kann von jemandem in den höchsten Tönen sprechen, ihn über alle
Maßen loben. Meine Güte, Musik, Töne, Instrumente. Unsere Sprache ist ja voll davon!

Literat:
Haben Sie mal ein Ohr? "Die linke und die rechte Hand, ein Klavierstück"

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Sprecherin:
Plitsch platsch Plitsch platsch
Plitsch platsch plitsch platsch

Musiker:
Eine Unverschämtheit. So ein paar hingeworfene Worte ohne Sinn und Verstand mit ei-
nem Klavierstück gleichzusetzen.

Literat:
Spaß muss sein. Ernst Jandl hat bei seinem "Klavierstück" aber sicher auch seinen
Verstand eingesetzt. Worte sind Sinnträger, haben eine Bedeutung, bezeichnen Begriffe
oder Dinge. Aber Musik teilt mit, was sie selbst ist, das heißt, eine Tonfolge fungiert nicht
als Zeichen für groß oder klein, schnell oder langsam. Musik muss man machen. Sie of-
fenbart sich im Klang. Ernst Jandls lautmalerisches "Plitsch" und "Platsch", ohne Sinn und
Verstand, wie sie sagen, ist genau so unmittelbar wie ein Ton oder Akkord. Erst wenn wir
die Worte aussprechen, entsteht "Ein Klavierstück" daraus. Wie wir die Pausen setzen,
welche Tonhöhe wir wählen, ob wir laut oder leise sprechen, das obliegt ganz unserer In-
terpretation. Insofern ist das Gedicht schon ein kleines, wenn auch sprachliches, Musik-
stück.

Sprecher 2:
Da treffen sich ja Sprache und Musik.

Musiker:
Richard Wagner hat in seinen Gesamtkunstwerken Sprechgesänge intoniert, auch die
Komponisten der Neuen Musik orientieren sich häufig an sprachlichen Lauten.

Literat:
Ja, ja. Einer, der Singen und Sagen gleichgesetzt hat, war übrigens Martin Luther. Seiner
Meinung nach teilt sich die frohe Botschaft des Evangeliums am besten gesungen mit.

Sprecherin:
Davon ich singen und sagen will.

Sprecher 1:
So heißt es in dem Kirchenlied. "Vom Himmel hoch, da komm ich her." Singen ist erstens
ein Gemeinschaftserlebnis und zweitens intensiviert es den Ausdruck. Die Musik hebt das,
was wir sagen über den Alltag hinaus.

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Literat:
Womit wir wieder bei den Anfängen wären. Erinnern Sie sich an die Carmina, die gesang-
lich rezitierten Kultlieder früherer Zeiten? Sie sind aus magischen Zaubersprüchen und
Beschwörungsformeln hervorgegangen. Der so genannte Carmenstil bringt auch Musikali-
tät in die Sprache. Viele Zwillingsformeln, rhetorische Figuren wie Alliteration oder der
Parallelismus, Wiederholung von Anfangslauten oder Worten, schaffen eine eindringliche
und musikalische Atmosphäre im Text.

Sprecher 1:
Rhythmus entsteht im Deutschen vor allem durch den Wechsel von betonten und unbeto n-
ten, von langen und kurzen Silben. In der Lyrik gelten dabei bestimmte Versmaße, der
Jambus zum Beispiel:

Sprecherin:
An jenem Tag im blauen Mond September.

Sprecher 1:
Doch auch in der Prosa entstehen Rhythmus und Wohlklang durch die "Komposition" von
Hebungen und Senkungen ein-, zwei- oder mehrsilbiger Wörter, durch das Arrangement
heller und dunkler Vokale.

Literat:
"Die Kunst ist: rhythmischen Wohllaut maßvoll zu dosieren; sich in Halbsätzen dem Vers-
maß anzunähern, aber rechtzeitig den Rhythmus zu wechseln," rät Wolf Schneider, Meis-
ter des perfekten Stils. Der Schriftsteller Karl-Heinz Ott beherrscht als gelernter Musiker
den Rhythmus seines Textes besonders gut.

Sprecherin:
Dann verschränkte er die Arme hinter der Stuhllehne, stülpte die Brust heraus und fragte
mich merkwürdig gewunden, ob die Musik mir ein Anliegen sei. "In der Regel höre ich Mu-
sik nur nebenbei, und wenn sie vom Nachbarn kommt, stört sie mich meist", sagte ich,
"aber Scarlatti mag ich, auch wenn ich davon nicht all zu viel verstehe." Er trank ein volles
Glas in einem Zug leer, schaute eine Weile angespannt vor sich hin, reckte plötzlich den
Arm, rief schnalzend den Kellner herbei, orderte eine neue Flasche, stützte sich mit ve r-
schränkten Armen auf den Tisch, blickte mir in die Augen und stöhnte mit leiser, rauchig
klingender Stimme: "Die meisten wissen gar nicht, was Musik anrichten kann!"
Plitsch platsch plitsch platsch plitsch

Gisela Schinawa

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Alltagsdeutsch

Fragen zum Text:

Was sind Carmina?


1. Kultlieder
2. Tabletten
3. Zeitungen

Wenn jemand auf die Pauke haut, dann…


1. …feiert er/ sie ausgelassen.
2. …ist er/ sie krank.
3. …hat er/ sie Hunger.

Hängt der Himmel voller Geigen, dann…


1. ist das Wetter schlecht.
2. ist jemand unbeschreiblich glücklich.
3. werden zu viele Geigen hergestellt.

Arbeitsauftrag:
„Sah ein Knab’ ein Röslein stehn“ ist ein altes, bekanntes deutsches Lied. Kennen Sie an-
dere, auch neue deutsche Lieder? Welche Lieder sind in Ihrem Land sehr berühmt? Un-
terhalten Sie sich mit Ihren Kursteilnehmer, welches berühmte Lied Ihnen besonders ge-
fällt.

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Um ein Haar
Damit ein Friseurbesuch nicht haarsträubend endet, ist es wichtig, dass das Haar
haargenau geschnitten wird. Auch in der Redekunst kann es haarig zugehen, wer etwas
haarklein erzählt, kann haarscharf daneben liegen...

Sprecherin:
Ich sage immer, wenn ich ein Paar schöne Schuhe anhabe und meine Haare gemacht sind, bin
ich angezogen.
Mehdi Delaram:
"Wir legen halt sehr viel Wert auf die Perfektion der Frisuren trotz dieser lockeren Atmosphäre.
Wichtig ist, dass die Fachlichkeit auf jeden Fall sehr weit oben steht, über dem Durchschnitts-Friseur,
sag ich mal. Wir geben uns Mühe, wir inspirieren uns, wir geben selbst Seminare."
Autorin:
Mehdi Delaram, Friseur und Geschäftsführer eines trendigen Friseursalons im Bergischen
Land. Haare, das sind für ihn nicht lediglich hauchdünne Hornfäden aus einem Gemisch von Keratin,
Schwefel, Wasser und Fett, die täglich 0,2 bis 0,5 Millimeter wachsen.
Sprecher:
Zwischen 100.000 und 150.000 Haare hat ein Mensch auf dem Kopf. Lockige, glatte,
strubbelige, strähnige, frisch gewaschene, glänzende, spröde oder fettige. Blonde, schwarze, braune
oder blau gefärbte.
Autorin:
Haare bereiten dem engagierten Friseur Mehdi Delaram Freude und sie stellen ihm immer
wieder neue kreative Aufgaben.
Mehdi Delaram:
"Leute, die zum Beispiel nicht zurecht kommen, die extreme Locken haben, Wirbel haben oder
nicht wissen, was sie machen sollen. Kann man vielleicht die eine Seite richtig kurz machen, vielleicht
mal ein Muster reinrasieren, oder vielleicht bisschen hier was arbeiten, einfach mal gucken. Immer
Individuell. Das, was unmöglich ist für die Leute, ist immer eine Herausforderung für uns, finde ich.
Meine Aufgabe ist vor allem auch, Fachfriseuren, die bereits zehn, fünfzehn Jahre im Beruf sind,
Schneidetechniken beizubringen, Trends zu zeigen, die Lücken aufzufüllen."
Autorin:
Wie der Mensch seine Haare frisiert, das ist seit Jahrhunderten verschiedenen Moden
unterworfen. Doch stets signalisierten Frisuren Status und Identität. Haare tragen zudem eine große
Symbolkraft in sich. So gilt bei der Frau das Haar als Indikator für Verführung und Weiblichkeit.
Sprecher:
Beim Mann dagegen bedeutet volles Haar Macht und Führungsqualität. Und wenn er lediglich
dünnes, schütteres Haar vorzuweisen hatte, half er früher mit einer Perücke nach. Unter Ludwig XIV
wurde die so genannte Allongeperücke mit ihrer "Löwenmähne" zum Symbol für Macht und Würde.
Autorin:
Wie überhaupt Perücken zu allen Zeiten als modisches Accessoire beliebt waren. Sie dienten
als Statussymbol und boten zudem Schutz vor Kälte. Im Rokoko Zeitalter trugen die Herren einen
Zopf, noch heute als "Mozartzopf" bekannt. Doch die französische Revolution machte dieser Mode ein
Ende. Die alten Zöpfe wurden abgeschnitten. Heute verwenden wir diese Redensart, wenn wir von
einem Neuanfang sprechen: "Der alte Zopf muss ab!"
Sprecher:
Stimmt haargenau!
Autorin:
Das ist doch zum Haare-Raufen! Immer unterbrichst du mich!
Sprecherin:
Jetzt liegen sie sich schon wieder in den Haaren. Das kann ja heiter werden.
Sprecher:
Meine Güte! Ich zeige doch nur Interesse! Ist es nicht spannend, dass wir im Deutschen so viele
Redensarten haben, die sich auf Haare beziehen? Häufig steht dabei die Feinheit des Haares im
Vordergrund. Haargenau untersuchen, zum Beispiel, oder haarklein erzählen sagen wir, wenn wir
etwas überaus genau tun. In der technischen Sprache heißen Risse, die man mit bloßem Auge nicht
sieht, Haarrisse.
Sprecherin:
Und dann gibt es da noch die sehr bildhaften Redensarten, die daran erinnern, dass man sich
in früheren Zeiten beim Kampf tatsächlich in den Haaren gelegen hat. Heute ist sich in den Haaren
liegen eine Metapher für sich streiten, genau wie sich in die Haare geraten.
Sprecher:
Wer beim Zweikampf unterlegen war, hatte mit Sicherheit Haare gelassen. Auch wenn uns
heutzutage niemand mehr Haare ausreißt: Haare lassen ist immer noch ein Synonym für zu Schaden
kommen.
Sprecherin:
Dagegen rauft man sich die Haare, wenn man verzweifelt ist. Eine Geste, die eigentlich den
Klageweibern bei Trauerzeremonien vorbehalten ist.
Autorin:
Trauer, das ist das Stichwort. Es ist wirklich ein Trauerspiel, dass man hier nicht einfach
ungestört seine Ausführungen zu Ende bringen kann. Wo war ich stehen geblieben? Frisuren, um ein
Haar hätte ich’s vergessen.
Sprecher (flüstert):
Um ein Haar - beinahe, fast.
Autorin:
Häufig gab die Haarlänge Aufschluss über die soziale Stellung, aber auch über die Einstellung
seines Trägers. Im Mittelalter zum Beispiel trugen adlige Männer und Frauen das Haar lang. Dem
einfachen Volk stand ein kurzer Pagenschnitt besser an, langes Haar hätte nur bei der Arbeit in Haus
und Hof gestört. In der Renaissance demonstrierten Männer mit einem kurzen Lockenkopf, dass sie
dem damaligen Ideal des ewigen Jünglings entsprachen. Die Tonsur der Mönche dagegen drückte
ihre Demut gegenüber Gott aus.
Sprecher:
Dürfte ich mal etwas anmerken?
Sprecherin:
Ach, jetzt fragt er vorsichtshalber, ehe sie wieder kein gutes Haar an ihm lässt und ihn zur
Schnecke macht, will sagen, tadelt. Ganz schön clever!
Sprecher:
Wie eng das Haupthaar mit Würde und Identität verbunden ist, kann man auch an folgender
Tatsache erkennen: Haare scheren war seit jeher ein Mittel der Demütigung. Sklaven, Gefangenen
oder auch Frauen, denen man Ehebruch vorwarf, hat man zum Zeichen der Unterwerfung die Haare
geschoren.
Autorin:
In den zwanziger Jahren dagegen trugen die Frauen das Haar freiwillig kurz. Der Bubikopf -
kurze, glatt gekämmte Haare - galt damals als Zeichen der Emanzipation. Was für eine Befreiung! Im
Mittelalter verbargen gottesgläubige, verheiratete Frauen ihr Haar noch unter einer Haube und
folgten den Ratschlägen des Apostel Paulus, nicht mit offen getragenem Haar ihre Reize auszuspielen.
Daher rührt der Ausdruck unter die Haube kommen für heiraten. Aber natürlich denken wir bei dem
Wort Haube heutzutage vor allem an den Friseur. Haare färben, Dauerwelle legen lassen, dafür haben
wir Frauen uns schon so oft mit Lockenwicklern unter die Haube gesetzt.
Mehdi Delaram:
"Der neueste Trend ist immer individuell auf jeden Typ abgestimmt. Man kann nicht jede
Frisur auf jeden Typen setzen und muss auch erst mal von der Haarstärke, Haarfülle, Masse, Menge,
wie auch immer, entscheiden, was man überhaupt machen kann oder nicht. Ob es machbar ist oder
nicht."
Miriam Storhas:
"Farbe auf jeden Fall. Was bringt das, der schönste Haarschnitt ohne Haarfarbe?"
Sprecher:
Darüber lass ich mir keine grauen Haare wachsen, das kümmert mich doch nicht.
Autorin:
Musik und Haarmode, will sagen Haarlänge, Farbe und Styling hängen eng zusammen. Nach
dem Zweiten Weltkrieg zeigten Jugendliche mit ihrer Frisur die Zugehörigkeit zu ihrer Gruppe. Ob es
die Elvis-Tolle war, die so genannten Pilzköpfe der Beatles, die langen Haare der Hippies oder der
Irokesenschnitt der Punks: Frisur bedeutete Gegenkultur. Die Skinheads tragen mit ihrer Glatze auch
demonstrativ ihre politisch rechte Gesinnung zur Schau. Vor allem die Punker brachten jedoch Farbe
ins Haar. Über Grellgrün, Knallrot bis Hellblau, alles, was auffiel oder, besser noch, schockte, war in.
Sprecherin:
Die Farbe des kommenden Sommers: Rot. Meine Damen, wenigstens ein Hauch von Henna
ist jetzt ein MUSS!
Sprecher:
Warum macht eine Blondine ihren Pudding schon im Supermarkt auf? Weil auf dem Deckel
steht: Bitte hier öffnen.
Sprecherin:
Oh, jetzt wird es haarig, den Blondinenwitz hätte er sich verkneifen sollen! Bei
frauenfeindlichen Äußerungen versteht sie nämlich keinen Spaß, in solchen Fällen hat sie Haare auf
den Zähnen.
Sprecher:
Diese Redewendungen spielen übrigens auf die Kraft an, die das Haar symbolisiert. Ein
haariger Kerl ist eben ein ganzer Mann.
Sprecherin:
Und eine Frau, die Haare auf den Zähnen hat, zeigt männliche Eigenschaften, sie ist energisch
und lässt sich nichts gefallen. Das kann haarig, sprich, gefährlich werden.
Autorin:
Haarfarbe und Symbolik. Im Mittelalter deutete man rotes Haar als Zeichen des Bösen. Hexen,
Sirenen oder Wassernixen mit roten Haaren schrieb man magische Kräfte zu. Heute gilt eine
rothaarige Frau als sinnlich, aufregend und abenteuerlustig. Besonders beliebt ist jedoch nach wie vor
die Haarfarbe blond. Wobei die Natur äußerst wenig Menschen mit dem hell-goldenen Farbton
ausgestattet hat, die meisten Blondinen sind unecht und ihr Haar blondiert. Reinheit, Unschuld,
Jugend, gepaart mit Sex- Appeal, was wird nicht alles auf die Blondine projiziert! Die wohl
Bekannteste war Marylin Monroe. Süß, sexy, verführerisch und ein bisschen dumm, so hat Mann sie
eingeschätzt. Wie wir wissen, war sie äußerst zielstrebig, intelligent und eine begabte Schauspielerin.
Leider ergeht es mancher blonden Frau so, sie wird häufig intellektuell unterschätzt. Die Gattung der
Blondinenwitze stellt sie jedenfalls als dämliches Sexobjekt dar. Ich möchte hier nicht über die geistige
Kapazität der meist männlichen Blondinenwitzerzähler urteilen...
Sprecher:
...diese Humorlosigkeit! Das ist doch haarsträubend.
Sprecherin:
Entsetzlich. Da stehen einem die Haare zu Berge. Ich wusste gar nicht, dass er so ein Chauvi
ist.
Mehdi Delaram:
"Bewusst ist es anders. Aus dem Grund, wir sind an einem Zeitpunkt angekommen, wo man
sagen kann, entweder möchte man dieses typisch Klassische machen, was die meisten Menschen als
Friseur verstehen: eindrehen, Dauerwelle. Oder dass wir einfach hergehen für die jungen Leute, für
die junggebliebenen Trendsetter, für alles, was ein bisschen mehr Pep aus sich herausholen möchte,
sagen: Ja, da kann man mal ein bisschen ausgefallenere Frisuren machen. Nicht immer diese
typischen Frisuren, was jeder Friseur mittlerweile macht."
Autorin:
Wenn Mehdi Delaram die Schere in der Luft herumwirbelt, zack, zack treffsicher Strähne für
Strähne kürzt, kann einem schon beim Zusehen schwindlig werden. Der Laden hat wenig mit den
althergebrachten Salons namens "Gisela" oder "Monika" gemein. "Visible Change" heißt das Geschäft
von Mehdi Delaram und seiner Schwester Miriam Storhas. "Unisex" oder "Haaralarm" nennen sich
andere Salons ähnlicher Art, die einem neuen Konzept in Deutschland folgen.
Miriam Storhas:
"Uns ist wichtig, dass die Leute, wenn sie zu uns kommen, dass es einfach ein ganz anderes
Erlebnis ist. Also nicht, dass man reinkommt mit typisch langweiligen Warteecken. Einfach so eine
kleine Minibar haben wir hier, lockere Atmosphäre ist bei uns hier angesagt. Wir haben zum Beispiel
von 10 bis 14 Uhr haben wir leisere Musik. Und dann ab 14 Uhr geht die Musik etwas lauter, bisschen
partyähnliche Stimmung. Wir haben auch schon oft gehabt, dass die Leute Farbe auf dem Kopf gehabt
hatten und fangen an zu tanzen. Also einfach viel lockerer, einfach ganz anders sein. Einmal im Monat
haben wir hier einen DJ im Laden, es gibt Motto-Getränke, Cocktail und Glühwein, Wein, Sekt. Also
alles Mögliche, das ist das, was wir gerne machen wollen. Dass die Leute einfach Spaß haben. Einfach
ein anderes Erlebnis, nicht wie typischer Friseurladen."
Autorin:
Es tut sich eine Schere auf in der Friseurbranche. Zwar hat die Zahl der Friseurbetriebe
gegenüber dem Vorjahr zugenommen, doch der Umsatz hat sich verringert. Männer lassen im
Durchschnitt sieben Mal jährlich ihre Haare schneiden, Frauen dagegen nur 5,5 Mal. Wer heutzutage
ein Friseurgeschäft eröffnet, muss sich etwas einfallen lassen, um Kunden zu gewinnen. So wie Mehdi
Delaram und Miriam Storhas ihren Salon zur Kommunikations- und Partyzone ausweiten, gestalten
auch in anderen deutschen Städten junge Friseure ihre Geschäfte nach dem Konzept der Spaßkultur.
Sprecher:
Gesonderte Ladenschlusszeiten für die Haarkünstler erlauben es, dass man sich in so
manchem Salon bis 23.00 Uhr die Haare stylen lassen kann. Zwar mag ein 50-er Jahrgang sich uralt
in solch jugendlicher Atmosphäre fühlen, doch wollen die jungen Friseure durchaus jede Altersschicht
ansprechen. Die günstigen Preise lassen das Konzept denn auch bei Jung und Alt aufgehen, und
schließlich ist ja auch niemand gezwungen, mit blauer Farbe auf dem Kopf durchs Geschäft zu tanzen.
Autorin:
Für die älteren Semester steht gerne zu bestimmten Zeiten auch Mozart auf dem Programm.
Vor allem aber soll der Friseurbesuch wieder erschwinglich werden.
Miriam Storhas:
"Überall wird es teurer. Gerade Anfang des Jahres wird es überall teurer. Da haben wir gesagt,
nein, das wollen wir nicht machen, wir wollen realistisch sein. Für ein bisschen Schneiden wollen wir
nicht, was weiß ich wieviel Euros abzocken. Wir wollen realistisch sein und wir wollen, dass die
Kunden auch daran Spaß haben. Dass sie gerne zum Friseur gehen und nicht, das sie dann sagen, "oh,
ich will schon gerne wieder zum Friseur, und es ist wieder so teuer.“ Das wollen wir nicht."
Autorin:
Und für diejenigen, denen sowohl der Trendfriseur als auch der klassische Friseur im
Hochpreisbereich finanziell nicht genehm sind, haben sich die so genannten Cut-and-Go Läden
etabliert. Da kommen rund 150 Kunden pro Tag auf ihre Kosten und erhalten, was der Name
verspricht: Schneiden und wieder gehen. Vor allem Studenten wählen diese Variante des
Friseurbesuchs.
Sprecher:
Na ja, da ist ja wohl ein grauer Panther deplaziert, oder?
Sprecherin:
Ein grauer Panther, in Anspielung auf die grauen Haare, ist ein Rentner. Dass mit dem Alter
Biss und Tatkraft nicht automatisch verloren gehen, beweist die politische Partei "Die grauen
Panther". Sie vertritt engagiert und vehement die Interessen von Senioren.
Autorin:
Bleibt noch anzumerken, dass ein Kölner Starcoiffeur "reifen Damen" dazu rät, ihre grauen
Haare stolz zu Haupte zu tragen. Bei Bedarf bessert er den individuellen Grauton auf, fügt einen
leichten Goldton oder ein paar Strähnchen hinzu. Doch Grau, und damit hoffentlich auch die Weisheit
des Alters, ist durchaus salonfähig.
Sprecherin:
Das hätte ich nicht gedacht. Früher hätte ich in jeder Diskussion behauptet, Grau macht eine
Frau unattraktiv, in dem Punkt hätte ich kein Haarbreit nachgegeben.
Sprecher:
Attraktivität ist doch keine Frage des Aussehens, ich sage immer: Ausstrahlung ist alles! Nicht
zu vergessen die inneren Werte!
Autorin:
Ich halt’s nicht aus. Jetzt gibt er uns den Softie, der auf innere Werte steht. Tut so, als könne
er keinem ein Härchen krümmen.
Sprecherin:
Er hat halt eine komplexe Persönlichkeit. Jetzt konstruierst du wirklich ein Problem, wo keines
ist. Du findest aber auch immer ein Haar in der Suppe.
Sprecher (ironisch):
Aber meine Damen, bitte, jetzt geraten Sie sich bloß nicht in die Haare!
Fragen zum Text
Wenn an jemandem kein gutes Haar gelassen wird, dann…
1. werden ihm/ ihr die Haare geschnitten.
2. wird er/ sie getadelt.
3. wird er/ sie gelobt.
Wenn jemandem nachsagt, dass er/ sie Haare auf den Zähnen hat,
dann…
1. ist er/ sie sehr ungepflegt.
2. ist er/ sie eine Konkurrentin.
3. lässt er/ sie sich nichts gefallen.
Junge Friseure gestalten ihre Geschäfte nach dem Konzept der…
1. Schlafkultur
2. Esskultur
3. Spaßkultur
Arbeitsauftrag
Strähnchen, Tönung, Musterrasur – es gibt unzählige Möglichkeiten, die Frisur zu ändern.
Probieren Sie immer etwas neues aus, wenn Sie zum Friseur gehen? Oder lassen Sie sich immer
denselben Haarschnitt schneiden? Schreiben Sie auf, welche Vor- und Nachteile ein neuer
Haarschnitt für Sie hat.
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Waschsalon

In einer Gesellschaft, in der die Ausstattung mit technischen Geräten immer um-
fangreicher wird, erscheinen Waschsalons hoffnungslos veraltet. Doch es gibt sie
noch – vielleicht, weil sie auch Orte der Begegnung sind ...

Sprecher:
Wir sind in Berlin-Mitte, einem lebhaften Bezirk im Ostteil der Stadt. Hier wohnen viele
Studenten und Künstler. Das Viertel ist bekannt für seine Kneipen, Galerien und Läden.
Der Selbstbedienungswaschsalon in der Torstraße, vor vier Jahren eröffnet, ist gut be-
sucht. Er hat von sechs Uhr morgens bis Mitternacht geöffnet. In einem großen quadrati-
schen Raum stehen an zwei Wänden stabile Industriewaschmaschinen, an der Stirnwand
sind die Trockner aufgestellt und in der Mitte des Raumes rattern Extra-Schleudern. Für
das leibliche Wohl sorgen zwei Automaten, die Snacks und Getränke anbieten. Der Raum
ist hell und sauber, es gibt Bänke – wenn man warten möchte – und große Tische, auf
denen man die trockene Wäsche zusammenlegen kann.

Sprecherin:
Ein Salon ist ein großer, repräsentativer Gesellschafts-, Empfangs- oder Aufenthaltsraum,
aber auch ein Geschäftsraum. Es gibt Frisör- und Kosmetiksalons.

Sprecher:
Die ersten Waschsalons entstanden in Deutschland Ende der 50er, Anfang der 60er Jah-
re. Damals hatte erst ungefähr ein Viertel aller Haushalte eine eigene Waschmaschine.
Die erste vollautomatische Waschmaschine, bei der alle Waschgänge – Vorwäsche,
Hauptwäsche, Spülgang und Schleudern – vollautomatisch abliefen, war 1951 gebaut
worden. Sie war sehr teuer und nur wenige Familien konnten sich eine solche Waschma-
schine leisten. Die meisten Hausfrauen mussten die Wäsche noch mit der Hand waschen
oder gaben sie in eine Wäscherei. Ein Waschsalon erleichterte die Hausarbeit ganz e-
norm. Inzwischen ist eine Waschmaschine für die meisten Haushalte Standard, und die
Gründe, warum heute noch Menschen im Waschsalon waschen, haben sich geändert.

O-Ton:
"Erstens hab' ich kein Geld, um mir 'ne Waschmaschine zu kaufen, und ich will mir auch
nicht unbedingt 'n gebrauchtes Ding kaufen und ich hab' ehrlich gesagt auch gar keinen
Platz. Ich wohn in 'ner superkleinen Neubau-Zwei-Zimmer-Wohnung und ich hab' echt nir-
gendwo Platz, die hinzustellen. Mein Bad ist so winzig, meine Küche ist so ... wenn da drei
Leute drin stehen, dann ist es voll."

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Sprecher:
Das Platzproblem ist auch für den jungen Mann, der gerade den Waschsalon betritt, der
Grund, hier zu waschen.

O-Ton:
"Ich bin, glaub' ich, der typische Junggesellenwaschsalonbenutzer, der hier so, ja,
zweimal im Monat seine Wäsche wäscht. Ich finde, es hat 'n großen Vorteil. Ich hatte frü-
her auch mal 'ne eigene Waschmaschine in der WG, und die ist andauernd gelaufen und
hat Tag und Nacht gerattert, weil man konnte nicht so viel Wäsche auf einmal waschen
und hatte wenig Platz zum Trocknen, zum Aufhängen, und das ist hier, sag' ich mal, 'ne
ganz große Erleichterung für Leute, die gerne bequem waschen. D.h., ich kann es ganz
lange ansammeln, dann geh' ich hierher mit ganz viel Wäsche, dann ist das in 'ner halben
Stunde fertig, und es geht nicht andauernd nebenbei."

Sprecherin:
Junggesellenwaschsalonbenutzer ist eine Eigenschöpfung des freundlichen Studenten.
Vor einiger Zeit gab es, ausgelöst durch einen Radiosender, eine Phase der langen Wort-
schöpfungen, die alle Personen bezeichneten und meistens eine negative Bedeutung hat-
ten. Dieses Nomen könnte in diese Kategorie gehören, obwohl es freundlich klingt.

Sprecher:
WG ist die Abkürzung von Wohngemeinschaft. Es bedeutet, dass sich Menschen, die
nicht miteinander verwandt und auch nicht unbedingt befreundet sind, gemeinsam eine
Wohnung teilen, um Mietkosten zu sparen, aber auch, um nicht allein wohnen zu müssen.

Sprecherin:
Für andere Nutzer eines Waschsalons ist der soziale Aspekt sehr wichtig. Sie betrachten
ihn als einen sozialen Ort, ähnlich einem Café, zur Kontaktaufnahme und um sich zu tref-
fen.

O-Ton:
"Eigentlich gehe ich ganz gern in den Waschsalon, man trifft so oft noch mal andere Leute
und kommt so 'n bisschen raus aus dem üblichen Alltag."

Sprecherin:
Findige Waschsalonbetreiber haben die Zeichen der Zeit erkannt und bieten mehr an als
saubere Wäsche und Kaffee aus Pappbechern. In Berlin expandiert eine Waschsalonket-
te, die mit der Kombination von "waschen und essen" neue Akzente in der kahlen Wasch-
salonlandschaft setzt. Erlebnisgastronomie, billige Cocktails zur Happy-Hour-Zeit, Möbel
aus hellen Naturhölzern und ausgeklügeltes Lichtdesign lassen vergessen, dass man sich
in einem Waschsalon befindet, zumal der eigentliche Waschraum durch eine Tür vom

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Café abgetrennt ist. Das Notwendige wird unsichtbar, und das Angenehme soll in Erinne-
rung bleiben. Die Kette expandiert. Laut Aussage des Besitzers ist die Auslastung seiner
Waschsalons höher als die herkömmlicher Betriebe.

Sprecher:
Ein Waschsalon ist ein hoch technisierter Ort, der ein Grundbedürfnis befriedigt. Die ein-
zelnen Vorgänge gleichen magischen Ritualen, denen man sich aussetzen muss, um am
Ende das verwandelte Produkt, die saubere Wäsche, in Empfang zu nehmen. Das Vorwa-
schen, die Hauptwäsche, das Spülen und das Schleudern laufen in der immergleichen
Reihenfolge ab, in die man nicht mehr eingreifen kann, wenn man einmal den grünen
Knopf gedrückt hat. Nicht immer funktioniert die Kommunikation mit der Maschine rei-
bungslos. Dabei ist alles eigentlich ganz einfach:

O-Ton:
"Erst die Wäsche rein, Klappe zu, das ist das Wichtigste, dann Waschpulver rein und zum
Schluss die Marke hier oben rein und den grünen Knopf ..."

O-Ton:
"Okay. Alles klar."

Sprecherin:
Was kostet es eigentlich, in einem Waschsalon zu waschen?

O-Ton:
"2,50 waschen, 50 Cent schleudern und 50 Cent trocknen."

Sprecher:
Bevor die Wäsche gewaschen werden kann, muss sie sortiert werden. Die Besucher des
Waschsalons haben verschiedene Ordnungssysteme, die nicht unbedingt zur Nachah-
mung empfohlen werden können.

O-Ton:
"Das Ordnungsprinzip ist: Pullover, keine Pullover, und die Sachen sind schon so oft ge-
waschen, dass sie eigentlich gar nicht mehr eingehen können."

O-Ton:
"Was mir hier wieder auffällt, ist typisch Mann und Frau im Waschsalon. Ich: natürlich or-
dentlich sortiert, farblich, kein weißes Hemd zwischen schwarze Wäsche, und auf der an-
deren Seite, was seh' ich: alles gemixt, ganz egal, welcher Stoff, welche Farbe, interes-
siert überhaupt gar nicht. Hauptsache, es wird gewaschen."

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Sprecherin:
Ein junger Mann geht vor einer Waschmaschine in die Hocke und packt ruhig seine
schmutzige Wäsche aus: T-Shirts, Unterwäsche, Socken, Jeans, Handtücher. Manchen
Menschen fällt es nicht leicht, die eigene schmutzige Wäsche vor anderen Menschen aus-
zubreiten. Herr Berner, der Waschsalonbesitzer aus der Torstraße, hat da mit amerikani-
schen Touristen andere Erfahrungen gemacht.

Herr Berner:
"Ich muss auch sagen, dass wir hier in dem Waschsalon einen hohen Anteil von eng-
lischsprechenden Leuten haben. Wir haben viele Amerikaner, Engländer, durch dieses
Hotel da um die Ecke, das muss man wirklich sagen. Also, ich würde schon fast sagen, 70
Prozent englischsprechende Menschen, im Sommer noch mehr. Da haben wir viele Tou-
risten, die jetzt nicht mit Sack und Pack kommen, die sich hier nur ausziehen bis auf die
Unterhosen, sich die Wäsche waschen und wieder anziehen und weitergehen."

Sprecher:
Mit Sack und Pack kommen heißt mit allem kommen, was man besitzt. Mit allem, was
man in Säcken und Packen verstaut, mit der gesamten beweglichen Habe unterwegs sein.

Sprecherin:
Die Aufgeschlossenheit und Freundlichkeit von Herrn Berner hat sich herumgesprochen,
sein Waschsalon ist beliebt. Am Sonntag gibt es kostenlos Kaffee und Kuchen, bei zwei
gehbehinderten alten Damen holt er die schmutzige Wäsche ab und bringt die gebügelte
Wäsche wieder vorbei, natürlich kostenlos, wie er versichert. Nur Waschsalons mit Atmo-
sphäre haben Zukunft, glaubt Herr Berner. Er betreibt das Unternehmen als Nebentätig-
keit, im Hauptberuf ist er Gastronom mit einem eigenen Café. Die Frage, warum er einen
Waschsalon eröffnet hat, überrascht ihn.

Herr Berner:
"Wie bin ich eigentlich darauf gekommen, auf Waschsalon? Das ist auch 'ne gute Frage.
Manche kommen auf den Hund und manche kommen auf den Waschsalon."

Sprecherin:
Jemand, der auf den Hund kommt, gerät in schlechte Verhältnisse. Herr Berner macht
mit diesem Ausspruch einen kleinen Scherz. Sein Waschsalon läuft gut.

Sprecher:
Wenn die Wäsche sortiert und in den Waschmaschinen verstaut ist, heißt es warten.

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O-Ton:
"Das Nervendste daran ist immer die Zeit dazwischen, das Warten, 'ne halbe Stunde, was
mach' ich, meistens Briefe schreiben, oder ich telefoniere, wie schon gesagt, oder ich war-
te einfach nur und langweile mich und schaue auf die sich drehende Wäsche."

Sprecher:
In einer Waschmaschine wäscht man üblicherweise schmutzige Wäsche. Frau Keim, die
Betreiberin eines Waschsalons im Westen Berlins, in der Nähe des Wittenbergplatzes, hat
da ganz andere Erlebnisse gehabt.

Frau Keim:
"Es hat schon öfter mal was Lustiges gegeben, z. B. dass jemand seinen Fotoapparat mit-
gewaschen hat, der dann hinüber war anschließend. Das passiert aber überwiegend doch
den Touristen, die nach Berlin kommen. Das passiert allerdings auch anderen, weil sie
schusselig sind und ihre Taschen nicht leeren. Ich habe schon diverses Besteck gefunden
in den Maschinen, ich habe auch schon Scheren und ähnliches Handwerkszeug wie
Schraubenzieher, Zangen in den Waschmaschinen gefunden. Das lässt sich alles da drin
finden. Es hat auch schon jemand einen 500-DM-Schein vor Jahren mal mitgewaschen,
der sah dann natürlich nicht mehr so gebrauchsfähig aus. Die Farbe des Scheins hat es
ausgehalten, und dann habe ich etwas gemacht, was man eigentlich doch recht selten tut.
Ich habe diesen 500-DM-Schein durch die Mangel geschoben, und er sah aus, als wenn
der gerade frisch aus der Druckerei kam."

Sprecherin:
Geld waschen ist eigentlich eine strafbare Handlung. Es bedeutet, dass man durch verbo-
tene Handlungen erhaltenes Geld in den normalen Wirtschaftskreislauf einführt.

Sprecher:
Der Umsatz in den Waschsalons sinkt. Immer mehr Menschen können sich eine eigene
Waschmaschine leisten, und ein Waschsalon ist keine ausreichende Existenzgrundlage
mehr. Viele Waschsalonbetreiber bauen ihr Angebot aus. Sie bieten verschiedene ande-
re Dienstleistungen an: Reinigungsannahme, Schuhreparaturannahme, Änderungsschnei-
derei und Schlüsseldienst. Die Menschen sparen am Schleudern und Trocknen und neh-
men die Wäsche lieber nass mit nach Hause, um nicht zu viel Geld ausgeben zu müssen.

O-Ton:
"Ich trockne die eigentlich bei mir im Bad, da hab' ich 'ne Vorrichtung, aber schleudern tu'
ich noch, sonst dauert das Trocknen sehr lange im Winter."

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Herr Berner:
"Also, ein Waschsalon ist auch ein guter Treffpunkt für Leute, also in den vier Jahren ha-
ben sich schon zwei Paare hier getraut, die haben sich hier kennen gelernt und haben
geheiratet, hier haben die sich im Waschsalon kennen gelernt. Wär‘ nun vielleicht 'n Gag
gewesen, wenn sie hier auch drin geheiratet hätten."

Sprecherin:
Herr Berner macht hier ein Wortspiel. Er vermischt die Bedeutungen von getraut werden
vom Priester mit sich trauen, "mutig sein", und jemandem trauen, "nicht argwöhnisch
sein". Alle drei Bedeutungen spielen zusammen, wenn Paare heiraten. Das wäre ein Gag
gewesen, ein guter Einfall.

Sprecher:
Herr Berner erklärt, was sich im Keller unter dem Waschsalon befindet, damit er über-
haupt funktionieren kann.

Herr Berner:
"Wir haben ja 60 qm Keller, das ist ja alles Technik, wir beheizen ja die Trockner mit Öl, da
haben wir im Keller drei große Öltanks, einen Wasseraufbereiter haben wir, das Wasser
muss ja aufbereitet werden, das muss ja enthärtet werden, das ist ja sonst nicht gut für die
Wäsche, das ist sehr wichtig. Dann haben wir hochwertiges Waschpulver und jetzt werden
wir versuchen, Wasser zu sparen, und so 'ne Anlage werden wir sehr wahrscheinlich rein-
bauen, d.h., dass wir dann 80 Prozent Wasser sparen."

Sprecherin:
Ein Tag im Waschsalon geht zu Ende. Herr Berner nimmt das Geld aus dem Automaten.

Herr Berner:
"24 Uhr ist Feierabend, dann kommt der Putzmann, macht alles sauber, guckt, dass alles
okay ist, dann zieht der die Türe zu, da ist ein Zeitschloss drin, und früh um sechs können
die ersten wieder waschen gehen. Automatisch um sechs geht das auf."

Musik:
BAP, "Waschsalon"

Ich jonn su unwahrscheinlich jähn met dir en der Waschsalon,


weil, do häss Ahnung vun dä Technik, vun der ich nix verstonn

Olga Yvons

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Fragen zum Text:

Seit wann gibt es Waschsalons in Deutschland?


1. seit Anfang der 50er Jahre
2. seit Ende der 50er Jahre
3. seit Ende der 60er Jahre

Jemand, der auf den Hund kommt, ...?


1. sollte sich öfters waschen
2. mag keine Haustiere
3. gerät in schlechte Verhältnisse

In welchem Sinne kann das Wort trauen nicht verwendet werden?


1. heiraten
2. mutig sein
3. schmelzen

Arbeitsauftrag:
Selbstbedienungswaschsalon, Junggesellenwaschsalonbenutzer – ein Kennzeichen der
deutschen Sprache sind die zahlreichen Möglichkeiten der Kompositabildung. Besonders
durch die Aneinanderreihung von Substantiven können unbegrenzt viele neue Wörter ge-
schaffen werden. Bilden Sie selbst drei solcher Neologismen und erklären Sie ihre Bedeu-
tung.

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Die Macht des Machens

Das Wort "machen" wirkt harmlos und bescheiden. Dennoch verfügt es über eine
gehörige Portion Macht, weil sich mit ihm mehr machen lässt als man vermuten
mag. Ein Nachteil: Es macht der Verben-Vielfalt den Garaus!

Sprecher 1:
Naturwissenschaften und Technik haben dem Menschen in den letzten vierhundert Jahren
einen neuen Glauben wachsen lassen, den Glauben an die Machbarkeit. Alles ist mach-
bar. Der Mensch wurde vom bloßen Geschöpf Gottes zum Macher, beinahe zum Alles-
könner.

Sprecher 2:
Am liebsten möchte er sich auch von der Allmacht Gottes, vom Allmächtigen, lösen und
sich endlich selbst machen, vielleicht sogar besser, als es einst der Schöpfer getan, ge-
macht hat. Daran scheinen ihn auch die Probleme und Katastrophen, die er bisher schon
verursacht hat – die also hausgemacht sind – nicht hindern zu können.

Sprecher 1:
Schauen wir einmal in die Bibel und lesen – nach der Übersetzung Martin Luthers – in der
Genesis, im ersten Buch Mose:

Sprecherin:
"Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde." …

Sprecher 1:
"… und er schied das Licht von der Finsternis, das Land vom Wasser, er ließ Gras und
Kraut aufgehen und bald wimmelte es von Getier. Und dann war es endlich soweit: …

Sprecherin:
… Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn, und schuf sie
als Mann und Frau."

Sprecher 1:
Gott war und ist also kein Macher, sondern ein Schöpfer. Er machte die Welt und die
Menschen darin nicht – er schuf sie. Und der Reformator, Martin Luther, war ein Mann der
deutschen Sprache und des anschaulichen Wortes.

Sprecher 2:
Martin Luther hatte den Menschen seiner Zeit "aufs Maul" geschaut – nicht den Gelehrten,
heute würde man auch sagen, den Intellektuellen, sondern dem allgemeinen Volk. Und er

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verstand sie, die einfachen Menschen, verstand ihre ungekünstelte, manchmal drastische
Sprache.

Sprecher 1:
Ein wesentliches Merkmal der Ausdruckskraft einer Sprache ist die Vielfalt der Verben. Sie
drücken aus, was der Mensch tut. Grundschüler nennen sie deshalb auch "Tu-Wörter":

Sprecherin:
Laufen, beißen, lesen, schließen, schreiben, atmen, töten, schlafen, träumen, vergessen
.... .

Sprecher 1:
Eine beliebige Auswahl von "Tu-Wörtern", also Verben. Wer viele von ihnen zu seinem
Sprachschatz zählen und sie richtig anwenden kann, verfügt über eine große Ausdrucks-
kraft. Doch droht manchen Verben – eigentlich schon seit etwa zweihundert Jahren – Ge-
fahr durch ein verallgemeinerndes Ersatzwort, ein Allerweltswort.

Sprecher 2:
Sprache, das lehrt die Sprachgeschichte, leidet unter Veränderung, Verschleiß und Ver-
lust. Wörter ändern oder verlieren ihre Bedeutung, ändern Schreibweise und Sprachlaut,
etliche werden verdrängt, gehen verloren oder werden einfach durch ein anderes Wort
ersetzt.

Sprecher 1:
Ein solches Ersatzwort heißt machen. Ursprünglich bezeichnete es im althochdeutschen
Sprachgebrauch eine ganz konkrete Tätigkeit, nämlich das Kneten und Formen des Lehm-
breis für den Hausbau. Dann verallgemeinerte sich seine Bedeutung mehr und mehr. Zu-
nächst meinte machen noch herstellen oder anfertigen, dann trat es aber immer deutlicher
an die Stelle allgemeinen Tuns:

Sprecherin:
Man macht die Tür auf – statt sie zu öffnen. Man macht das Licht aus – statt es zu lö-
schen. Man macht sich Gedanken – statt ganz einfach zu denken. Man macht sogar ein
Gedicht – statt zu dichten ... .

Sprecher 1:
Es ist die Macht des Machens, die unsere Sprache ärmer werden lässt, Eintönigkeit ver-
breitet und stilistischen Mangel zur Folge hat.

Sprecher 2:
Selbst in Grundschulbüchern ersetzt das Wort machen nicht selten ein viel treffenderes
Verb. Ein Blick in die Literatur zeigt, dass auch renommierte Autoren gelegentlich Opfer

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der "Machenskraft" werden. Damit aber nicht der falsche Eindruck entsteht, es handle
sich dabei um die Regel, hier nur ein einziges misslungenes literarisches Beispiel:

Sprecher 1:
Es stammt aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, aus Friedrich Hebbels bürgerli-
chem Trauerspiel "Maria Magdalene":

Sprecherin:
"Einmal sah ich ein ganz kleines katholisches Mädchen, das seine Kirschen zum Altar
trug. Wie gefiel mir das! Es waren die ersten im Jahr, die das Kind bekam, ich sah, wie es
brannte, sie zu essen! Dennoch bekämpfte es seine unschuldige Begierde, es warf sie,
um der Versuchung ein Ende zu machen, rasch hin ... ."

Sprecher 1:
Ein Ende sollte eigentlich bereitet oder gesetzt – nicht aber gemacht werden.

Sprecher 2:
Ein weiteres Beispiel, ebenfalls aus Hebbels "Maria Magdalene", zeigt, dass das Wort
machen durchaus auch richtig angewandt wird, nämlich in feststehenden Redensarten.
Hier zur Ehre des großen Autors also das positive Beispiel:

Sprecherin:
"Die Zeit benutzt ich dazu, der kleinen buckligten Nichte des Bürgermeisters, die so viel
bei dem Alten gilt, die seine rechte Hand ist, wie der Gerichtsdiener die linke, den Hof zu
machen."

Sprecher 1:
Einer Frau den Hof machen bedeutet "um sie zu werben". Solche und ähnliche Begriffe
haben das Wort machen in einen festen Zusammenhang, in eine Redensart, gefügt – un-
trennbar, will man den Sinn nicht zerstören.

Sprecherin:
Jemandem schöne Augen machen, sich davonmachen, voranmachen, sich nichts
draus machen, etwas wiedergutmachen, einen Blauen Montag machen, jemanden zur
Minna machen, Angst machen, aus dem Herzen keine Mördergrube machen, jeman-
den mundtot machen, Furore machen, Kokolores machen, einen Kotau machen,
Mätzchen machen, jemanden zur Schnecke machen.

Sprecher 1:
In seinem Gedicht "In Bulemanns Haus" verwendet Theodor Storm solch einen festste-
henden Begriff: sich lustig machen.

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Alltagsdeutsch

Sprecherin:
"Es leuchtet ein Spiegel aus goldnem Gestell,
Da schaut sie hinein mit Lachen;
Gleich schaut auch heraus ein Mägdelein hell,
Das ist ihr einziger Spielgesell;
Nun wollen sie sich lustig machen."

Sprecher 2:
Heinrich Heine berichtet in seinem Essay "Die romantische Schule" über "Frau von Stael,
glorreichen Andenkens, die ...

Sprecherin:
"... in der Form eines Buches, gleichsam einen Salon eröffnet, worin sie deutsche Schrift-
steller empfing und ihnen Gelegenheit gab, sich der französischen zivilisierten Welt be-
kanntzumachen ... ."

Sprecher 2:
Menschen miteinander bekanntmachen – auch das ist eine feststehende, kaum durch
andere Verben zu ersetzende Wendung. Die Literatur bietet viele solcher Beispiele und
zeigt, dass Schriftsteller meist über ein sicheres stilistisches Können verfügen – im Ge-
gensatz zum üblichen Sprachgebrauch auf der Straße, im so genannten Alltagsdeutsch. In
literarischen Werken findet man das Wort machen selten als Ersatz für ein ausdruckstar-
kes Verb.

Sprecher 1:
Ludwig Thoma lässt in seiner Komödie "Moral" den Dichter Hans Jakob Dobler ausrufen:

Sprecherin:
"Ja, wenn man soviel Geld hat, dass man sich wenigstens ein Stück Brot kaufen kann.
Aber es kommt auch anders. Wir waren damals zu dritt und sind von Basel aufwärts, ein-
mal links, einmal rechts über den Rhein. In Worms ging uns das Geld aus, und da war
nichts zu machen, als fechten."

Sprecher 1:
Nichts zu machen – diese Redewendung lässt sich kaum ersetzen, sie drückt genau das
aus, was gemeint ist und wird von jedem verstanden.

Sprecher 2:
Auch Friedrich Schiller wusste um die richtige Verwendung des Wortes machen, in sei-
nem Schauspiel "Die Räuber" lässt er Franz zum Alten Moor sagen:

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Alltagsdeutsch

Sprecherin:
"Seht Ihrs, wie kindlich Euer Busenkind an Euch handelt? Durch Eure väterliche Teilneh-
mung erwürgt er Euch, mordet Euch durch Eure Liebe, hat Euer Vaterherz selbst besto-
chen, Euch den Garaus zu machen."

Sprecher 2:
Auch diese Wendung ist ein feststehender Begriff, der sich bis heute gehalten hat. Den
Garaus machen bedeutet, "jemandem ein schreckliches Ende zu bereiten".

Sprecher 1:
Wo Schiller ist, darf Goethe nicht fehlen. Wie Ludwig Thoma, liefert auch er uns ein Bei-
spiel aus dem Grenzbereich. In seinem Roman "Die Leiden des jungen Werther" finden
wir folgende Zeile:

Sprecherin:
"Es ward mir schwer, mich von dem Weibe loszumachen."

Sprecher 1:
Eigentlich könnte man ja auch sagen: "... von dem Weibe zu lösen." Aber, das wirkt zuge-
gebenermaßen gekünstelt. Sich von etwas losmachen – das klingt viel stärker; man spürt
die Mühe, die es bereitet, sich zu trennen. Losmachen und festmachen – auch das sind
feststehende Begriffe.

Sprecher 2:
Es gibt übrigens noch eine kleine, aber bedeutende Variante von losmachen. In ihr er-
scheinen die Wortteile los und machen anders herum, wodurch auch ein neuer Sinn ent-
steht:

Sprecherin:
Mach los!

Sprecher 2:
Mach los bedeutet beeile dich, man kann auch sagen: Mach voran! Mach schnell!
Mach, dass du fertig wirst. Wer etwas verträumt durch die Gegend bummelt und nicht auf-
passt, hört vielleicht die Mahnung: Mach die Augen auf. Stellt sich jemand allzu sehr an,
wird er ermahnt: Mach nicht solch ein Theater. Und wenn eine Angelegenheit endlich
abgeschlossen werden soll, heißt es kurz: Mach Schluss!

Sprecher 1:
Das alles sind knappe Anweisungen in der Befehlsform. Sie sind fester Bestandteil der
Alltagssprache und lassen sich kaum durch passendere Verben ersetzen, weil sie dadurch

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an Kraft und Wirkung verlören. In der Literatur finden wir allerdings auch andere Ausdrü-
cke für derartige Befehle mit dem Wort machen.

Sprecherin:
Statt: Mach los, mach voran – fang endlich an, beeile dich. Statt: Mach die Augen auf –
pass auf! Statt: Mach Schluss – hör auf damit!

Sprecher 2:
Über uns Normalbürger, die wir ja keine renommierten Schriftsteller sind, hat das Wort
machen längst Macht gewonnen – von Generation zu Generation mehr. Hört man Kin-
dern auf der Straße zu, kommen Zweifel auf, ob die eigentlichen Verben überhaupt noch
eine Chance haben.

Sprecher 1:
Witze werden gemacht, aber nicht mehr gerissen; die Hausaufgaben nicht erledigt, son-
dern gemacht. Die Tür wird nicht geschlossen – sie wird zugemacht; statt in den Urlaub
zu reisen, wird eine Reise gemacht; ein Dreieck wird nicht gezeichnet – es wird gemacht;
ein Pfeil nicht geschnitzt, sondern gemacht. Wird eins und eins zusammengezählt, ergibt
das Ergebnis nicht zwei, sondern macht zwei.

Sprecher 2:
Kein Wunder, dass das mächtige Verb machen längst auch die Substantive erobert hat.
An der Spitze steht – wie könnte es anders sein – der Macher selbst, der Alleskönner, der,
dem alles zu gelingen scheint.

Sprecher 1:
Ein Macher ist jemand, der nicht lange überlegt, der es anpackt, der alles gleich in die Tat
umsetzt. Der Begriff Macher hat nicht erst heutzutage einen oft abfälligen Beigeschmack.
Schon Kurt Tucholsky lästerte über jenen Schriftsteller,

Sprecherin:
"... der seinen Unterhaltungskram für Dichtung hält, und welcher Macher täte das heute
nicht ... ."

Sprecher 2:
In Verbindung mit Substantiven bezeichnet machen Personen, die einen bestimmten Be-
ruf ausüben, etwas fertigen oder ganz allgemein irgendetwas tun:

Sprecher 1:
Der Theatermacher ist Regisseur, Dramaturg oder Intendant. Büchermacher sind Verle-
ger oder Lektoren, manchmal auch Autoren. Der Liedermacher komponiert und textet
Lieder, die er selbst vorträgt. Ein Krach- oder Radaumacher ist viel zu laut. Der Macher-

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lohn wird für die Herstellung einer Ware gezahlt. Undurchsichtige Geschäfte und üble
Praktiken sind seit dem 18. Jahrhundert als dunkle Machenschaften verpönt.

Sprecher 2:
Es wäre ein Wunder, wenn es das Wort machen nicht längst auch geschafft hätte, sich
mit Adjektiven zu verknüpfen und dann stolz als neues Substantiv, als Hauptwort, aufzu-
treten.

Sprecher 1:
Wer keine Lust zum Arbeiten hat und blaumacht, wird zum Blaumacher. Eine verführeri-
sche Süßigkeit, die man gern immer wieder kostet, ist bald ein Süchtigmacher – in dieser
Machart ist schließlich fast alles machbar.

Sprecher 2:
Die Frage, wann man ein ursprünglich gebräuchliches, treffendes Verb durch machen
ersetzen kann oder soll, ist eine Frage des Stils. Wörter mit derselben oder einer gleich-
wertigen Bedeutung werden in bestimmten Zusammenhängen als besser passend, als
angemessener oder als schlechter, unpassender, empfunden.

Sprecher 1:
"Ich mache die Tür zu" ist ja ebenso verständlich wie: "Ich schließe die Tür", "jemandem
eine Freude machen", ebenso wie "ihm eine Freude bereiten". Warum also kompliziert,
wenn es auch einfach geht?

Sprecher 2:
Zu bedenken ist, dass ein differenzierter Wortschatz auch Träger kulturellen Erbes ist. Wer
nur auf das Verstehen eines Textes achtet und deshalb die einfachere Ausdrucksweise
bevorzugt, fügt seiner Sprache mit der Zeit Verluste zu.

Sprecher 1:
Gewarnt sei aber auch vor Übertreibungen. Wer ein gutes Deutsch schreiben und spre-
chen will, muss das Wort machen nicht zwangsweise vermeiden. Er läuft sonst Gefahr,
sich gestelzt auszudrücken. Zunächst einmal hilft es, zu fragen: Was macht man wirklich,
wenn man etwas tut. Meist findet sich schnell ein treffender Ausdruck. Das kann auch das
Wort machen sein, das manchmal eben nicht zu umgehen ist, zum Beispiel, wenn es um
die zitierten feststehende Redewendungen geht. Wir müssen nur stark genug sein, der
allzu großen Macht des Machens entgegenzutreten. Also, in diesem Sinne machen wir
jetzt Schluss und sagen:

Sprecherin:
Machen Sie’s gut!

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Fragen zum Text:

Das Wort machen bezeichnete ursprünglich folgende Tätigkeit: …


1. Lehm für den Hausbau zu kneten.
2. Waffen für den Zweikampf zu schmieden.
3. Getreide zu ernten.

Der Ausdruck jemandem den Hof machen bedeutet: …


1. jemandem die Tür aufhalten.
2. um jemanden werben.
3. für jemanden das Haus putzen.

Statt das Licht ausmachen sagt man auch …


1. das Licht beenden.
2. das Licht löschen.
3. das Licht erledigen.

Arbeitsauftrag:
Schreiben Sie zehn Sätze mit dem Wort machen und geben Sie diese Ihrer Nachba-
rin/Ihrem Nachbarn. Diese/dieser soll in den Sätzen das Wort machen durch ein anderes,
passendes Verb ersetzen.

Autor: Hanno Murena


Redaktion: Beatrice Warken

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Zeit

Immer schnelllebiger ist sie geworden – die Zeit. Die meisten Menschen gönnen
sich keine Muße, keine Ruhe. Dennoch träumen viele davon. Aber würde dieser
Traum Wirklichkeit, würden sich viele nicht furchtbar langweilen?

Musik
Hermann van Veen "Weg da"

"Schnell weg da, weg da, weg,


es tut uns furchtbar leid
wir schaffen' s kaum
der Weg ist ja noch weit."
Wir haben kein Minütchen,
kein Sekündchen mehr
wir müssen uns beeilen,
komm leg noch zu,
noch einen Zahn,
es ist für uns
die höchste Eisenbahn.
Schnell weg, da weg, da weg …"

Sprecherin:
Die Zeit – viele Menschen haben nicht genug davon, sind den ganzen Tag in Eile. Der nie-
derländische Liedermacher Hermann van Veen besang das Phänomen der Hektik und die
daraus resultierende gegenseitige Rücksichtslosigkeit der Leute, denen es nahezu immer
an Zeit fehlt.

Sprecher:
Van Veen singt von Menschen, die sich keine Pausen gönnen, sondern eher noch einen
Zahn zulegen. Wer noch einen Zahn zulegt, obwohl er schon einen tollen Zahn drauf
hat, entwickelt eine höhere Geschwindigkeit. Diese Redewendung bezieht sich auf das
Zahnradgetriebe der Automotoren und meint das Überspringen auf das jeweils größere
Zahnrad, wenn in den nächst höhren Gang geschaltet wird. Andere Redensarten beziehen
sich auf den menschlichen Zahn. So spricht man zu Beispiel vom Zahn der Zeit, der an
etwas nagt. Diese Metapher ist schon seit der Antike bekannt gewesen. So wie der Zahn
letztendlich jegliche Speise zermalmt und auflöst, übt auch die Zeit in ihrer Dauer auf alles
eine zerstörerische Wirkung aus.

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Der Ausdruck etwas ist die höchste Eisenbahn mahnt, dass etwas höchste Zeit ist. Die-
se weit verbreitete Redensart ist ursprünglich ein geflügeltes Wort, dessen Ursprung je-
doch nahezu vergessen ist. Der Berliner Schriftsteller Adolf Glaßbrenner charakterisiert in
der humoristisch-drastischen Erzählung aus dem 19. Jahrhundert "Ein Heiratsantrag in der
Niederwallstraße" einen Briefträger, der die Tochter eines Stubenmalers heiraten möchte.
Der Briefträger ist über die unerwartete Höhe der Mitgift seiner Auserwählten dermaßen
erfreut, dass er vergisst, rechtzeitig die Briefe des Leipziger Postzuges abzuholen. Beim
überstürzten Weggehen verwechselt er die beiden Wörter "Zeit" und "Eisenbahn" und
sagt: "Es ist allerhöchste Eisenbahn, die Zeit ist schon vor drei Stunden angekommen."

Musik (Hermann van Veen "Weg da")

"Wir haben kein Minütchen,


kein Sekündchen mehr
wir müssen uns beeilen,
komm leg noch zu,
noch einen Zahn,
es ist für uns
die höchste Eisenbahn."

Sprecherin:
Noch nie hatten die Menschen so wenig Zeit wie heute, so ist jedenfalls häufig zu hören.
Der amerikanische Wissenschaftler Robert Levine hat in einer Studie untersucht, ob es in
einzelnen Ländern der Erde einen unterschiedlichen Umgang der Menschen mit der Zeit
gibt. In 31 Ländern Europas, Südamerikas und Asiens ließ er zunächst die Genauigkeit
der öffentlichen Uhren überprüfen und stellte fest, dass man sich in der Schweiz am meis-
ten und in El Salvador am wenigsten auf die Genauigkeit öffentlicher Uhren verlassen
könne. Dann verglich er die Länge der Bedienungszeit am Beispiel der Postschalter und
fand heraus – man mag es kaum glauben –, dass der Postkunde in Deutschland am zü-
gigsten und in Mexiko am langwierigsten bedient wird. Der Soziologe fand außerdem her-
aus, dass sich die Fußgänger in Irland am schnellsten und in Rumänien am langsamsten
bewegen. Anhand dieser Untersuchungsergebnisse zieht der Wissenschaftler das Fazit,
dass das Tempo, in dem sich die Menschen bewegen, in Relation zum Grad der wirt-
schaftlichen Entwicklung ihres Landes steht. Andere Wissenschaftler vermuten, dass sich
die zunehmende Globalisierung einzelner Länder auf den Faktor Zeit ausgewirkt habe.
Das Leben insgesamt bewege sich hier schneller: Die Bilder im Fernsehen nehmen an
Geschwindigkeit zu, und die neuere Musik wird in ihrer Rhythmik immer gedrängter. Der
erfolgreiche deutsche Kinofilm "Lola rennt" erzählt von einer jungen Frau, die nur wenige
Minuten Zeit hat, um ihren Freund aus einer Notsituation zu retten. So sieht man Lola na-
hezu ununterbrochen über Straßen, Brücken und Bürgersteige Berlins rennen.

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Sprecherin:
Zu wenig Zeit zu haben, bedeutet für die meisten, zu viele Sachen gleichzeitig erledigen
zu müssen. So ergeht es auch dem Diplom-Volkswirt Theo Bühler, der eigentlich immer
viele Dinge gleichzeitig zu erledigen hat.

Theo Bühler:
"Ich geh ins Büro und denke, drei Sachen sind heute wichtig, und wenn ich abends aus
dem Büro gehe, stell ich fest, dass sieben andere Sachen unterschiedlicher Art dazuge-
kommen sind, und die doch meine schöne Phantasie von einem entspannten, konzent-
rierten Arbeitstag, bezogen auf die Sachen, die ich vorher im Kopf hatte, irgendwie dahin
sind. Und damit so umzugehen, dass man noch flexibel ist einerseits, aber andererseits
seine wichtigen Arbeitsaufgaben auch konzentriert erledigen kann, das denk ich, ist die
Herausforderung."

Sprecher:
Das Verb spannen und seine Partizipien gespannt, entspannt und spannend werden
häufig im übertragenen Sinne verwendet. Sie leiten sich her vom Bild des gespannten
Jagdbogens. Spannend ist etwas, wenn es interessant ist, Aufmerksamkeit erregt. Man ist
gespannt auf den Fortgang eines Geschehens. Wenn man sich hingegen entspannt, be-
ginnt man sich zu erholen. Wenn man etwas im Kopf hat, beschäftigt einen eine Angele-
genheit sehr und drängt auf schnelle Erledigung. Hat man zu viel im Kopf, ist man gehin-
dert, Dinge nacheinander abzuarbeiten und macht häufig Fehler. Dann weiß man vor lau-
ter Arbeit nicht mehr, wo einem der Kopf steht, weil einem das Übermaß an Arbeit über
den Kopf wächst. Man schafft seine Arbeit nicht mehr, ist ihr kräftemäßig nicht mehr ge-
wachsen.

Sprecherin:
Zumindest in den anspruchsvolleren Berufen nimmt der Freizeit-Anteil schon seit einigen
Jahren kontinuierlich ab. Stattdessen wird immer mehr gearbeitet: man leistet unbezahlte
Überstunden und arbeitet nicht selten auch am Wochenende. Dadurch befinden sich viele
Leute im Dauer-Stress: Sie meinen, keine Zeit mehr zu haben, um sich von ihrer Arbeit zu
erholen, und wenn sie Zeit haben, denken sie immer nur an die Arbeit. Das Problem mit
der Zeit ist gesellschaftsfähig geworden, und deshalb gibt es inzwischen viele Seminare,
die zum Thema Zeit angeboten werden. Theo Bühler:

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Theo Bühler:
"Es gibt eine immer stärker werdende Diskussion über Zeitverdichtung. Das Gegenstich-
wort ist Entschleunigung, also mit der Zeit etwas bewusster, entspannter umzugehen. Der
andere Pol ist, dass das Berufsleben sozusagen auf stärkere Effizienz und Beschleuni-
gung, Mobilität im umfassenden Sinn Wert legt. Und, ich glaub, dass es immer mehr Leu-
ten einerseits schwer fällt, dass sie andererseits auch unter Druck kommen, zwischen
diesen beiden Polen ein Gleichgewicht zu finden, also, sich nicht, salopp gesagt, von dem
Zeitdruck auffressen zu lassen, aber andererseits doch gewissermaßen sehr effizient zu
funktionieren."

Sprecher:
Ein Pol ist der Dreh-, Mittel-, Ziel- oder Ruhepunkt, auch der Endpunkt der Erdachse.
Spricht man im übertragenen Sinne von nur einem Pol, meint man immer den Ruhepol. So
ist jemand der ruhende Pol einer Familie. Spricht man dagegen von zwei Polen, so sind
immer Gegensätze gemeint. Die Rede ist dann von der Polarität im Grunde unvereinbarer
Dinge, die sich polarisieren. Bereits im Mittelhochdeutschen spricht man bildlich von
Druck, der im geistigen oder seelischen Sinne auf jemanden ausgeübt wird. Steht eine
Person unter Druck, so ist sie stark genötigt, etwas Bestimmtes zu tun. Diese Redewen-
dung folgt dem Bild des unter Druck gesetzten Dampfkessels. Man kann bei der Erledi-
gung seiner Arbeit auch unter Zeitdruck geraten oder in Zeitdruck sein. Nimmt das Maß an
Arbeit überhand, so wird man von ihr aufgefressen.

Sprecherin:
Weil die Zeit insgesamt knapper wird, wird allgemein häufig beklagt, dass es nur noch we-
nige Menschen gibt, die sich sozial engagieren. In Aachen gibt es eine Organisation mit
dem Namen 'help', die vornehmlich Studierenden ehrenamtliche Tätigkeiten vermittelt. Die
freiwilligen Helfer übernehmen zum Beispiel regelmäßig Dienste im Krankenhaus oder
fahren behinderte Menschen im Rollstuhl spazieren. José Pons hat den Verein ins Leben
gerufen.

José Pons:
"Die Leute, die zu 'help' kommen, das sind nicht Leute, die viel Zeit übrig haben, nicht wis-
sen, was sie tun sollen. Das sind Leute, die sich Zeit abknapsen müssen, um halt diese
sozialen Dienste zu verwirklichen. Die sind vielleicht vielfältig woanders engagiert. Ich find
das erstaunlich. Also, das sind bei uns meistens auch gute Studenten, die zu uns kom-
men. Das sind nicht so, ich will mal sagen, Faulpelze, sondern Leute, die mit Mühe diese
Zeit sich reservieren, weil sie merken, das lohnt sich."

Sprecher:
Das Eigenschaftswort knapp wurde im 16. Jahrhundert aus dem Niederdeutschen ent-
lehnt und meint etwas Kurzes, Enges, im übertragenen Sinne auch Geringes, Weniges.
Bis heute ist die Wendung kurz und knapp geläufig, die auf die ursprüngliche Bedeutung

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hinweist. Wenn die Zeit knapp ist, ist sie für eine bestimmte Tätigkeit kaum ausreichend.
Man muss dann mit der Zeit knapsen, das heißt äußerst sparsam mit ihr umgehen, oder
sich Zeit abknapsen, das heißt eine bestimmte Tätigkeit schneller erledigen, um für eine
andere noch Zeit zu haben. Das Wort Pelz bezeichnet eigentlich eine weich behaarte
Tierhaut, wird aber in der Umgangssprache auch gelegentlich für die menschliche Haut
gebraucht. So kann man sich, wenn man ein Sonnenbad nimmt, die Sonne auf den Pelz
scheinen lassen. Wenn eine Person hingegen jemanden auf den Pelz rückt, tritt sie mit
einem Anliegen sehr dringlich an jene heran. Wer etwas auf den Pelz bekommt, wird
hingegen geprügelt. Jemanden Faulpelz oder auch Faultier zu nennen, sind ausdrucks-
starke Bezeichnungen für einen trägen oder arbeitsunlustigen Menschen. Das Adjektiv
faul geht auf ein germanisches Partizip zurück, dessen zugehöriges Verb verloren gegan-
gen ist. Die germanische Wurzel ist jedoch in dem lautmalenden Ausdruck "pfui!" heute
noch geläufig. Das Eigenschaftswort faul hat zwei Bedeutungen entwickelt: Es meint zum
einen träge, langsam, zum anderen in Verwesung übergehend. Auf diese Doppelbedeu-
tung zielen die Wortspielereien: vor Faulheit stinken, stink- oder stinkend faul sein.

Sprecherin:
Es gibt aber auch Menschen, die sich Zeit für Muße und Hobby nehmen. Ursula Zeilinger
zum Beispiel spielt an einem ganz gewöhnlichen Montagvormittag mit ihrem Mann Golf.

Ursula Zeilinger:
"Wenn wir zum Golfen gehen, haben wir schon die Zeit und planen das ein und wissen,
dass wir dann eben die vier Stunden unterwegs sind und dass wir eventuell uns dann
noch mit Freunden auf die Terrasse setzen. Das ist dann ja das Schönste, sich so hoch
zu schaukeln und zu sagen, wie gut man war oder wie schlecht man war. Das gehört ein-
fach zum Spiel dazu."

Sprecher:
Die Redewendung sich an etwas hochschaukeln, wie hier beispielsweise am persönli-
chen Erfolg, zielt auf das Bild der Schaukel. Es macht Vergnügen, in der Schaukel immer
höher zu schwingen, wobei allerdings die gleichzeitige Steigerung der unsicheren Lage
zur Gefahr werden kann. Wer sich an etwas allzu sehr hochschaukelt, womit meistens
eine positive Erfahrung gemeint ist, bewertet etwas über und verliert so den Sinn für die
Realität. Die Redewendung: Du wirst das Ding (oder das Kind) schon schaukeln, will
Mut machen und versichern, dass jemand eine Sache schon richtig machen und Schwie-
rigkeiten überwinden wird. Diese Versicherung spielt auf den Wiegevorgang eines Kindes
an, das sich durch die gleichförmigen Bewegungen beruhigt, bis es schließlich einschläft
und durch sein Weinen nicht mehr stört.

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Sprecherin:
Ist es also nun eher erstrebenswert, wenig, oder doch viel freie Zeit zu haben? Menschen
in Eile werden in der Regel gesellschaftlich hoch eingeschätzt. Sie gelten als wichtig, er-
folgreich, wohlhabend, vielleicht sogar als mächtig. Manche dieser gehetzten Menschen
träumen ein Leben lang davon, mehr Zeit zu haben. Was würde wohl passieren, wenn
dieser Traum einfach Wirklichkeit würde? Vielleicht würden sich viele Menschen ganz
furchtbar langweilen und mit ihrem Leben plötzlich nichts mehr anzufangen wissen. Wer
weiß?

Musik (Hermann van Veen "Weg da")

"Schnell weg da, weg da, weg


es tut uns furchtbar Leid
wir schaffen's kaum
der Weg ist da noch weit.
Wir müssen rennen, springen, fliegen,
tauchen, hinfallen und gleich wieder aufstehn,
wir dürfen keine Zeit verlieren,
können hier nicht stehn, wir müssen gehn.
Ein andermal sehr gern…"

Fragen zum Text

Die Redewendung noch einen Zahn zulegen bedeutet, dass …


1. jemand noch schneller wird.
2. jemand sich noch einen Zahn kauft.
3. jemand noch langsamer wird.

Du wirst das Kind schon schaukeln meint, dass …


1. jemand ein Kind in den Armen wiegt.
2. jemand eine Angelegenheit zufrieden stellend erledigt.
3. jemand ein Kind auf einer Schaukel zum Schaukeln bringt.

Als Faulpelz wird jemand bezeichnet, der …


1. träge oder arbeitsunlustig ist.
2. stinkt.
3. mit einer besonderen Pelzart handelt.

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Arbeitsauftrag
Schreiben Sie einen kleinen Aufsatz darüber, was Sie machen, wenn Sie ganz viel Zeit
und Muße haben.

Autorin: Antje Allroggen


Redaktion: Beatrice Warken

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Von Bananen, Mangos und anderen Früchten

In den Läden sehen sie sehr verlockend aus, die Früchte aus aller Welt. Importeure
sorgen dafür, dass der Kunde die beste Qualität bekommt. Modernste Technik und
Logistik bestimmen längst das Geschäft.

Sprecher:
Wir befinden uns auf dem 2,5 Hektar großen Betriebsgelände der Firma Fruchthansa. Das
Gelände liegt an der Autobahn zwischen Köln und Bonn. Das mittelständische Unterneh-
men wurde 1968 von traditionellen Großhändlern auf dem Kölner Großmarkt gegründet.
Da sich in der Lebensmittelindustrie und damit auch im Obst- und Gemüsehandel ein ra-
santer Strukturwandel vollzog, verließ das Unternehmen den Großmarkt und bezog das
moderne Umschlags- und Logistikzentrum an der Autobahn.

Sprecherin:
Die Fruchthansa handelt mit Zitrusfrüchten und Gemüse aus Europa, Birnen, Äpfeln und
Trauben aus Südamerika, Bananen aus Mittelamerika und exotischen Früchten aus den
Tropen. Ein Hauch von weiter Welt liegt über dem Firmengelände. Lastwagen bringen täg-
lich frische Ware. Sie tragen spanische, französische und englische Bezeichnungen für
das Wort "Früchte" als Aufschrift. Man kann eine kleine Sprachreise machen: Frutas, fru-
its, fruits. In den europäischen Häfen landen Schiffe aus fernen Ländern, für die Frucht-
hansa, die diese Früchte für Nordeuropa und vor allem Deutschland vermarktet.

Sprecher:
Mit Kai Krasemann, dem Gesellschafter der Firma, wollen wir uns die Arbeit der Frucht-
hansa einmal näher anschauen.

Kai Krasemann:
"Einer unseren stärksten Tage ist der Sonntag. Weil unsere Kunden in der Nacht von
Sonntag auf Montag beliefert werden wollen, lassen wir die Ware eben am Sonntag bei
uns eintreffen, um sie dann zu bearbeiten."

Sprecherin:
Früher waren die Fruchtimporteure noch Kaskadeure, die spekulationsfreudig Waren ein-
kauften, die sie noch nicht verkauft hatten. Kai Krasemann sieht heute andere Funktionen
für sein Unternehmen:

Kai Krasemann:
"Spekulative Geschäfte werden fast überhaupt nicht mehr gemacht. 90 Prozent unserer
Geschäfte sind heute Back-to-Back-Geschäfte."

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Sprecher:
In modernen Wirtschaftsunternehmen herrscht natürlich auch eine moderne und einge-
schliffene Handelssprache. Wörter sind dabei oft dem Englischen entlehnt. Das liegt dar-
an, das Englisch eine der Hauptsprachen ist, in der der Welthandel abgewickelt wird. In
den kurzen Begriffen können manchmal komplizierte Sachverhalte stecken. Spekulative
Geschäfte zum Beispiel. Was ist das eigentlich? Spekulation heißt eigentlich übersetzt
Streben nach Erkenntnis jenseits der Sinnwelt, kann aber auch Einbildung heißen. Und
tatsächlich, wer in der Wirtschaft spekuliert, bildet sich etwas ein. Die Fruchtimporteure
bilden sich eben ein zu wissen, wieviel Bananen die Leute in einer Woche zum Beispiel in
Köln essen werden. Früher kauften sie dann bestimmte Mengen zu einem bestimmten
Preis, ohne dass sie die Bananen bereits weiterverkauft hätten. Sie trugen dann aber auch
das Risiko darauf sitzen zu bleiben. Heute macht die Importfirma fast nur noch so genann-
te Back-to-Back-Geschäfte, das heißt, die Mengen, die sie den Fruchterzeugern ab-
nimmt, die hat sie auch schon verkauft.

Sprecherin:
Fruchtimporteure wie Kai Krasemann verstehen sich heute als Problemlöser für zwei Kun-
denzweige: für die Produzenten, die ihre Früchte exportieren möchten, und für die Einzel-
händler, die den Verbrauchern Früchte in ihren Läden anbieten müssen. Unternehmen wie
die Fruchthansa sorgen dafür, dass Fruchtproduzenten und Einzelhändler irgendwie zu-
sammen kommen und beide davon profitieren. Dafür bekommt die Fruchthansa ihr Geld.
Wie aber kommt zum Beispiel eine Mango von der Elfenbeinküste zu Lieschen Müller auf
den Obstteller?

Kai Krasemann:
"Zunächst mal muss ja der Absatz entwickelt werden. Es nützt ja nicht allein eine Mango
zu produzieren, die sie nach Europa bringen werden und sagen "Also hallo. Hier bin ich,
jetzt möchte ich gern meine Mango verkaufen“, sondern der Verbraucher muss ja auch
wissen, was er damit anfängt. Das ist also ein ganz wichtiger Aspekt, quasi die Absatzför-
derung, parallel zu den steigenden Lieferungen und dann natürlich auch die Entwicklung
des Produktes selber.“

Sprecher:
Hier haben wir sozusagen eine der heiligen Kühe des Wirtschaftens ins Visier genommen.
Den Absatz. Absatz – das ist eigentlich die letzte Station, die eine Mango auf ihrer Reise
erlebt. Absatz heißt, sie ist abgesetzt worden, bei Lieschen Müller auf dem Tisch zum Bei-
spiel. Lieschen Müller hat die Mango gekauft, das Geld geht zum Teil an den Produzenten
zurück, der an der fernen Elfenbeinküste sitzt. Der Produzent kann mit dem Geld wieder
Mangos anbauen und seine Arbeiter bezahlen. Wenn das so einfach wäre. Denn obwohl
Absatz die letzte Station eine Gutes ist, muss man den Absatz immer als Erstes im Kopf
haben. Nur wenn Absatzmöglichkeiten da sind, macht es erst Sinn, die Mango auf eine

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weite Reise zu schicken. Also untersucht so eine Firma wie die Fruchthansa, ob die Leute
Mangos wollen und sucht sich Einzelhändler, die ihnen die Mangos abkaufen. Denn die
Produzenten an der Elfenbeinküste können solche Marktuntersuchungen ja nicht auch
noch leisten. Deshalb gibt es auch Importfirmen.

Sprecherin:
Es bedarf allerdings schon einer sehr ausgeklügelten Logistik und zeitlichen Abstimmung,
bis Früchte aus aller Welt vor allem per Schiff und Lastwagen in gutem Zustand auf dem
Gelände der Fruchthansa ankommen. Gute Qualität ist dabei heute noch längst nicht ein-
mal alles. Wichtig sind Professionalität sowie Hygiene, die während der gesamten Liefer-
kette, das heißt vom Erzeuger bis zum Abnehmer, gewährleistet sein müssen. Außerdem
müssen die Fruchthändler die strengen Kriterien der Lebensmitteleinzelhändler in Bezug
auf die Sicherheit der Lebensmittel garantieren. Dies alles erfordert die ganze Aufmerk-
samkeit eines modernen Fruchtdienstleisters.

Sprecher:
Etwa 120 Mitarbeiter arbeiten bei der Fruchthansa in mehreren Schichten dafür, dass Lie-
schen Müller jeden Tag frisches Gemüse und Früchte im Laden kaufen kann. Modernste
Informatik und Kommunikation sorgen für eine enge Vernetzung von Produktion und Ein-
zelhandel. Denn das Fruchtgeschäft bedeutet immer ein Geschäft mit dem Faktor Zeit.
Deshalb gibt es im Fruchtimport Geschäftsarten, die es durchaus mit der Hektik an der
Börse aufnehmen können.

Sprecherin:
Der Frucht- und Gemüsehandel gleicht dabei immer mehr auch dem Bankgeschäft. Man
hält die Ware nicht mehr in den Händen, man hat sie nur noch im Computer gebucht. Und
so wird selbst so etwas Konkretes wie eine krumme gelbe Banane zu einer abstrakten
Größe, also zu etwas, was nur noch in Zahlen und Mengen existiert. Das Geschäft mit
Rohstoffen wie Früchten und Gemüse ist hart. Große Gewinne können die meisten Produ-
zenten und Importeure damit nicht erzielen. Die Profite ergeben sich nur über die verkauf-
te Menge. Dabei ist es für einen Normalverbraucher, der ahnungslos seine Mango isst,
schon erstaunlich, was er alles mit dem Kauf seiner Mango bezahlt hat.

Sprecher:
Eine Mango kostet im Laden, wenn sie besonders günstig ist, etwa einen Euro. Sie wiegt
dann etwa 300 bis 400 Gramm. Wenn sie etwas größer ist, dann kostet sie etwa fünfzig
Cent mehr. Und wenn Mangos auf dem Markt knapp sind, dann kosten sie schon mal
mehr als zwei Euro. Insgesamt kann man davon ausgehen, dass ein durchschnittlicher
Kilogramm-Preis von etwa vier Euro zugrunde liegt, wenn man Mangos im Einzelhandels-
geschäft kauft.

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Kai Krasemann:
"Der Großhandelsabgabepreis liegt ungefähr bei 50 Prozent dieses Ladenverkaufsprei-
ses, das andere ist Mehrwertsteuer und verständliche Marge für den Einzelhandel. Von
unserem Abgabepreis muss man dann zurückrechnen den Transport zu unserem Kunden,
unsere eigene Kommission, den Transport aus dem Hafen, dann die Umschlagskosten.
Das macht wiederum ungefähr 30 Prozent unseres Verkaufspreises aus. Wenn dann ein
Produkt auch noch Zoll zu bezahlen hat, aus einem Land, was kein Land ist mit einer eu-
ropäischen Präferenz, wie zum Beispiel aus Zentralamerika, dann erhöht sich dieser Pro-
zentsatz noch."

Sprecherin:
Führt man Kai Krasemanns Rückrechnung des eigentlichen Mangowertes konsequent
weiter, so kostet ein Kilo Mango am Anfang seiner Reise beim Erzeuger nur rund 40 Cent
und später im Geschäft in Deutschland das Zehnfache.

Sprecher:
Hier wimmelt es nur so von Begriffen, die Grundlagen des Handels sind. Zum Beispiel der
Begriff des knappen Gutes. Ein Gut ist dann knapp, wenn es auf dem Markt mehr Nach-
frage nach einer bestimmten Ware gibt als Anbieter. Die Folge: der Preis geht nach oben.
In dem Fall hat der Preis dann eine selektive Wirkung, denn nicht jeder ist womöglich be-
reit einen hohen Preis zu zahlen. Nun unterscheidet Kai Krasemann hier Einzelhandels-
preis und Großhandelsabgabepreis. Einzelhandel ist der Handel, der an den End-
verbraucher verkauft, an unser berühmtes Lieschen Müller eben. Und deshalb ist der Ein-
zelhandelspreis der Preis, den Lieschen Müller zu zahlen hat. Großhandelsabgabepreis
ist der Preis, zu dem die Fruchthansa den Einzelhändlern die Mangos überlässt. Im Ein-
zelhandelspreis ist die Marge für den Einzelhändler mit drin. Marge oder auch Gewinn-
marge ist der Unterschied zwischen Selbstkosten und dem Verkaufspreis. Diese Marge ist
im Einzelhandel besonders hoch, weil die Unsicherheiten im Verkauf groß sind und des-
wegen auch die Verluste. Die Händler müssen zudem ihre eigene Kommission berech-
nen, also die Gebühr, für die sie die Ware im Auftrag des Besitzers weiterverkaufen. Und
Zölle sind Abgaben, die aus finanz- und wirtschaftspolitischen Gründen bei der Einfuhr,
Ausfuhr oder Durchfuhr von Waren erhoben werden können.

Sprecherin:
Der Obsthandel ist aber auch ziemlich stark abhängig von politischen Unwägbarkeiten. Da
streiten Staaten im Zuge der Globalisierung über Marktzugänge, über Bananenzölle, aber
auch über Umwelt- und Gesundheitsstandards. Und die Produzenten in den Entwicklungs-
ländern sind nicht immer in der Lage, den Anforderungen der Einzelhandelsketten zu ent-
sprechen, die die Märkte in den Industriestaaten beherrschen. Wer also genüsslich in eine
Banane aus Mittelamerika beißt, sich für einen Apfel aus Chile entscheidet, der begeht
womöglich einen politischen Akt. Nichts ist eben so stetig wie der Wandel.

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Fragen zum Text

Kaskadeure sind Menschen, die …


1. einen künstlichen Wasserfall anlegen.
2. schwierige Situationen meistern.
3. verantwortungslos sind.

Ein Profit ist …


1. der Gewinn.
2. der Verlust.
3. die Rechnung.

Verkauft jemand im Auftrag eines anderen eine Ware, dann berechnet er …


1. eine Marge.
2. eine Kommission.
3. eine Zollabgabe.

Arbeitsauftrag
Informieren Sie sich in einem Geschäft darüber, wie der Geschäftsinhaber Obst und Ge-
müse einkauft. Schreiben Sie einen Bericht über das Ergebnis Ihres Informationsge-
sprächs.

Autorin: Siegrun Stroncik


Redaktion: Beatrice Warken

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Die Welt zu Gast im Café

Kaffeetrinken ist anregend und verbindet. Früher traf man sich in Kaffeehäusern
zum Kaffeeklatsch, heutzutage in Cafés. In Deutschland beeinflusst die italienische
Lebenskultur zunehmend den Kaffeegenuss.

Zitat: Thomas Mann "Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull"


"Ich oblag dem Schlafe zu jener Zeit fast im Übermaß, meistens bis zum Mittagstische, oft
noch bedeutend darüber hinaus und verließ Pension Loreley erst zu vorgerückter
Nachmittagsstunde, um vier oder fünf Uhr, wenn das vornehmere Leben der Stadt auf
seine Höhe kam, die reiche Frauenwelt in ihren Karossen zu Besuchen und Einkäufen
unterwegs war, die Kaffeehäuser sich füllten, die Geschäftsauslagen sich prächtig zu
erleuchten begannen. Dann also ging ich aus und begab mich in die innere Stadt."

Sprecherin:
Ein Ausschnitt aus Thomas Manns Roman "Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull".
Die Lebensgeschichte des Helden beginnt im Rheinland, wo sein Vater eine Sektkellerei
besitzt und Felix Krull eine sorgenfreie Kindheit verlebt. Schon im frühen Alter lernt der
Junge das bürgerliche Leben kennen, in dem Empfänge und Abendessen eine große
Rolle spielen und vergnügt sich daran, nachmittags in der Stadt herumzuschlendern,
luxuriöse Schaufenstervitrinen zu betrachten und Damen beim Plaudern in den
Kaffeehäusern zu belauschen. Selten verbrachten Damen der gehobenen bürgerlichen
Gesellschaft so viel Zeit in Kaffeehäusern wie im ausgehenden 19. und beginnenden 20.
Jahrhundert. Auch heute noch verabredet man sich in einem Café, um Neuigkeiten
auszutauschen, weiß der Kaffee-Kenner Frank Kessel:

Frank Kessel:
"Was dem Kaffee weiterhin anhaftet, ist die Kommunikation. Ob sie nun als Kaffeeklatsch
an einem Tisch im Tantenstil bedient wird, oder ob man das Ganze an einem Stehtisch in
einer schönen Atmosphäre – und über gewisse News des Tages spricht – und das als
einen Zeitgeist einfach pflegt, aber eine feste Kultur mittlerweile auch hat. Und
Kaffeeklatsch bedient das eine sowohl auch das andere: also die Tanten und auch den
Geschäftsmann."

Sprecher:
Das Verb klatschen im Sinne von leichterem Schlagen ist eine Wortbildung, die
Geräusche nachahmt. Es ist erst seit dem Neuhochdeutschen bekannt. Auch die
Bedeutungsvariante schwatzen, das heißt gern und viel, zumeist über andere Leute
reden, überträgt keinen ursprünglich bildlichen Wortsinn, sondern ahmt ebenfalls den
Klang solchen Redens akustisch nach. Die Vorliebe, auf unangenehme Weise
Persönliches über andere zu verbreiten, weist die Sprache vornehmlich Frauen zu, spricht

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sie doch von Klatschweibern oder Klatschbasen. Aber auch Männer können
Klatschmäuler sein. Man darf sogar einen Mann Klatschweib nennen. Frauen treffen
sich zum nachmittäglichen Kaffeeklatsch. Tun sie das besonders gern und häufig,
werden sie zu Kaffeetanten. Erzählt jemand bei solchen Treffen statt Neuigkeiten alte
dumme Geschichten, so ist das kalter Kaffee, also etwas, das niemanden interessiert.

Sprecherin:
Noch immer trinkt man den Kaffee gerne in Gemeinschaft. Aber der Alltag ist hektischer
geworden. Auf die geringe Zeit ihrer Kunden haben sich viele Kaffeehäuser inzwischen
eingestellt. Frank Kessel ist mit seinem Espresso-Studio diesem Trend gefolgt und bietet
Kaffee nur noch an Stehtischen an. Nichts soll hier an die frühere deutsche Biederkeit
beim Kaffeetrinken erinnern.

Sprecherin:
Besonders beliebt sind zurzeit italienische Kaffeesorten. Im Gegensatz zum deutschen
Bohnenkaffee assoziieren die Deutschen mit Capuccino und Espresso mediterrane
Lebenskultur. Die Sehnsucht nach dem letzten Urlaub in Italien oder nach einem anderen
Land am Mittelmeer wird daheim häufig in Form eines italienisch zubereiteten Kaffees
gestillt.

Frank Kessel:
"Ich denke, das geht durch alle Schichten, weil jeder mal nach Italien fährt und
unweigerlich mit dem Thema Espresso konfrontiert wird und ihn auch dort genießen darf,
und ich freue mich täglich an der Kundschaft, die einfach so bunt gemischt ist. Ob es vom
Arbeiter bis zum Geschäftsmann und zum Mediziner und dergleichen, die alle Spaß an
diesem heißen, aromatischen Getränk finden. Also ich denke nicht, dass das
schickimicki ist, sondern dass jedermann einfach Spaß daran gefunden hat. Es ist nicht
ausschließlich einer bestimmten Schicht zuzuordnen."

Sprecher:
Das Wort schick ist semantisch wie historisch interessant. Entstanden ist es im 14.
Jahrhundert im Niederdeutschen und bezeichnete neben dem heute noch gebräuchlichen
Adjektiv schicklich eine positive moralische Qualität. Der französische Begriff chic stammt
aus diesem deutschen Wort und wurde im 19. Jahrhundert ins Deutsche rückentlehnt mit
der neuen französischen Bedeutung modisch, elegant. Das neudeutsche Wort
Schickeria, das mit negativer Bedeutung die in Mode und Lebensstil tonangebende
Gesellschaftsschicht bezeichnet, stammt aus dem Italienischen und meint Eleganz,
Schick. Die umgangssprachliche Wortschöpfung schickimicki ist eine
Verballhornisierung, die durch die Häufung des Vokals "i" ein übertriebenes gestelztes
Verhalten akustisch nachahmen und damit kritisieren will. Das Wort schickimicki lässt
sich mit nahezu jedem Substantiv kombinieren, beispielsweise zur Schickimicki-

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Gesellschaft oder zum Schickimicki-Gehabe; einfach alles kann schickimicki sein.


Wenn das Wort im 19. Jahrhundert auch noch nicht gebräuchlich war, so kann man über
Felix Krull doch sagen, dass er sich zur Schickeria zugehörig fühlt, als er sich für ein paar
Tage in Paris aufhält:

Zitat: Thomas Mann "Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull"


"Wohlgesättigt beschloss ich, vor einem Café des 'Boulevard des Italiens' zu sitzen und
den Verkehr zu genießen. So tat ich. In der Nähe eines wärmenden Kohlebeckens nahm
ich an einem Tischchen Platz, trank rauchend meinen Double und blickte abwechselnd in
den bunten und lärmenden Zug des Lebens dort vor mir und hinab auf den einen meiner
bildhübschen neuen Knöpfstiefel, den ich bei übergeschlagenem Bein in der Luft wippen
ließ."

Sprecherin:
Inzwischen gibt es immer mehr Cafés, die das schwarze Getränk zu etwas Besonderem
adeln, es auszeichnen wollen. So findet man in immer mehr Buchhandlungen oder auch
hochwertigen Boutiquen ein kleines Café. In Bonn gibt es zum Beispiel die "Libresso-Bar",
die sich mitten in einer größeren Buchhandlung befindet. Allein der Name spielt auf die
Umgebung des Cafés an, erklärt Marcel Römisch.

Marcel Römisch:
"Das kommt von liber, das Buch, und Espresso, und in diesem Zusammenhang heißt das
Café in der Buchhandlung 'Libresso-Bar'. Das, denk ich mal, ist auch ganz passend. Da
unser Schwerpunkt im Kaffeebereich auch auf Espresso-Kaffee liegt und der hier auch am
besten geht, dachten wir, da passt dann am besten der Name zu. Ist nicht allein auf
unserem Mist gewachsen, da hat uns die Werbeabteilung geholfen."

Sprecher:
Ist etwas nicht auf eigenem Mist gewachsen, ist es kein geistiges Eigentum, sondern
zeigt fremden Einfluss. Das redensartliche Bild geht aus von einem Bauern, der niemals
fremden Dünger zu kaufen brauchte, sondern alles auf eigenem Mist wachsen ließ. Bei
Goethe heißt es:
"Diese Worte sind nicht alle in Sachsen
Noch auf meinem eigenen Mist gewachsen,
doch was für Samen die Fremde bringt,
Erzog ich im Lande gut gedüngt."

Sprecherin:
Redet man Mist, so redet man Unsinn. Baut man Mist, so vollbringt man eine sehr
schlechte Leistung oder begeht eine schlimme Tat. Heiratet jemand über den Mist,
heiratet er in die Nachbarschaft ein. Diese Redensart ist in ländlichen Gebieten

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gebräuchlich, wo sich der Misthaufen noch vor dem Haus befindet. Ein Sprichwort sagt:
Heirat übern Mist, dann weißt, wo du bist.

Sprecherin:
Im Straßencafé hinter einem Buch oder einer Zeitung versteckt, dem Treiben der Leute
zuschauen. Die Pariser Cafés des 19. Jahrhunderts faszinierten Felix Krull, weil sie ihm
die Welt ins Kaffeehaus brachten:

Zitat: Thomas Mann "Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull"


"Was braucht ein Pariser in die Welt zu gehen? Sie kommt ja zu ihm. Wenn ich um die Zeit
des Theaterschlusses auf der Terrasse des 'Café de Madrid' sitze, so habe ich sie
bequem zur Hand und vor Augen."

Sprecherin:
Seit dem 16. Jahrhundert hält die Begeisterung für das heiße schwarze Getränk nun
schon an. Kaffee soll außerordentlich klare Wirkungen im Kopf hervorbringen;
Denkprozesse laufen schneller ab, der Geist wird wacher, das Kombinations- und
Reaktionsvermögen nimmt zu. Neben dem besonderen Geschmack sind diese Wirkungen
wohl der Grund dafür, dass der Kaffee mehr als eine bloße Modeerscheinung, eine
Modewelle ist, sondern kulturprägend auf die bürgerliche Gesellschaft gewirkt hat. Aber,
nach wie vor, hütet die Kaffeebohne ihre letzten Geheimnisse – denn noch immer ist die
Zusammensetzung aus Hunderten von ätherischen Substanzen nicht restlos erkannt.

Fragen zum Text

Ein Kaffeeklatsch ist …


1. eine Prügelei in einem Café.
2. eine Fliegenfalle für Cafés.
3. ein Gespräch in geselliger Runde.

Ist etwas sprichwörtlich auf dem eigenen Mist gewachsen, dann …


1. hatte jemand eine Idee.
2. ist etwas auf einem Misthaufen gewachsen.
3. hat jemand eine schlechte Tat begangen.

Der Double, den Felix Krull trinkt, ist ein …


1. Kaffee mit Milch.
2. ein doppelter Espresso.
3. ein Mokka.

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Arbeitsauftrag
Informieren Sie sich über die Wiener Kaffeehaus-Kultur. Schreiben Sie einen Bericht über
deren Entstehung und die Besonderheiten. Präsentieren Sie Ihren Bericht vor der Gruppe.

Autorin: Antje Allroggen


Redaktion: Beatrice Warken

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Rund um den Maibaum

Maibäume an Laternenpfähle vor Häusern gebunden oder vor dem Garagentor


aufgebaut. Es gibt viele Arten, der Angebeteten als Liebesbeweis am 1. Mai einen
Maibaum zu setzen. Der Brauch hat die Jahrhunderte überdauert.

Alois Döring:
"Der Maibaum-Brauch gehört in das weite Feld der Alltagskultur. Im Gegensatz zu der
hohen Kultur wie Kunst, Musik, Theater gibt es das weite Feld der gelebten Alltagskultur –
gerne auch bezeichnet die Kultur des kleinen Mannes. Bräuche gehen nicht unter."

Sprecherin:
Dr. Alois Döring ist Volkskundler und beschäftigt sich mit alten Brauchtümern, ihrer
Herkunftsgeschichte und Entwicklung. Er sagt, der Maibaum-Brauch gehöre zur Kultur
des kleinen Mannes und meint damit natürlich nicht wirklich einen kleinen Mann, sondern
im übertragenen Sinne das einfache Volk, die Arbeiter – im Gegensatz zu Intellektuellen
oder Menschen aus sozial höheren Schichten. Bräuche gehen nicht unter bedeutet,
dass wir nicht wie ein Schiff beispielsweise versinken und somit verschwinden, sondern an
der Oberfläche bleiben, also weiterhin bestehen, auch wenn sie sich im Laufe der Zeit
anders entwickeln. Eine mit am weitesten verbreitete Variante des Maibaum-Brauchs geht
in das 14. Jahrhundert zurück und ist bis heute gerade bei den jungen Mädchen sehr
beliebt.

Musik:
"Zum Tanze da geht ein Mädel mit güldenem Band,
zum Tanze da geht ein Mädel mit güldenem Band,
das schlingt sie dem Liebsten ganz fest um die Hand,
er folgt ihr verschämt und vom Liebreiz gebannt … ."

Alois Döring:
Und dies betrifft besonders eine andere Form des Maibaums, nämlich jene
Maienstecken, welche die jungen Burschen, die Junggesellen, ihrer Liebsten vor das
Haus setzen."

Sprecher:
Maienstecken bedeutet, dass ein Junggeselle seiner Liebsten ein kleines Laubbäumchen
– meistens eine Birke oder Fichte – als Liebesbeweis an ihrer Haus oder Fenster steckt.
Aber leider werden die Birkenbäumchen selten offiziell gekauft, weiß Dr. Döring.

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Alois Döring:
"Die Junggesellen schlagen natürlich ihre Maibäumchen viel lieber im Wald, als dass sie
bei den Forstbehörden einen Baum kaufen. Das ist natürlich viel interessanter, viel
aufregender, viel spannender, sich ja nicht erwischen zu lassen im Wald, wenn man wild
dann sein Bäumchen schlägt und dann mit Karacho mit dem Auto durch den Wald fährt
und dann den wild geschlagenen Maibaum nach Hause bringt."

Sprecherin:
Ein Bäumchen wild schlagen heißt einen jungen Baum fällen, ohne vorher die
notwendige und offizielle Erlaubnis eines Forstamtes einzuholen. Die Junggesellen aber,
die unerlaubt einen Baum fällen, fahren oft mit dem Auto in den Wald hinein und dann mit
dem Bäumchen auf dem Dach mit Karacho, also mit erhöhter Fahrgeschwindigkeit und
so schnell wie möglich wieder weg, um ja nicht vom Forstbeamten oder einem Polizisten
erwischt zu werden. Der Förster Jörg Fillmann versucht jedes Jahr, mit Werbung und
Sonderaktionen die Junggesellen und Jugendlichen davon zu überzeugen, sich den Baum
legal zu kaufen. Aber es gibt immer noch genug, die ohne Erlaubnis erwischt werden und
dann die Konsequenzen tragen müssen.

Jörg Fillmann:
"Bei uns Förstern schlagen dann in dieser Nacht zwei Seelen in der Brust: wir Förster
unterstützen natürlich den Brauch und müssen aber auch darauf hinweisen, dass es
verboten ist, die Maibäume einfach so aus dem Wald zu entnehmen. Jeden, den wir in der
Walpurgisnacht eben erwischen, der muss diesen Maibaum teuer bezahlen. Denn auch
wenn es ein Kavaliersdelikt für viele ist – es handelt sich da ganz klar um einen
Diebstahl. Es gibt teilweise unglaubliche Transporte, wo also horrend große Maibäume
mit 'nem VW-Käfer durch halb Bergisch Gladbach gezogen werden und da passt die
Polizei schon auf, dass da nichts passiert."

Sprecher:
Wenn Förster Fillmann sagt, es schlagen zwei Seelen in seiner Brust, dann meint er
damit, dass er zwei Gefühle gleichzeitig hat, die sich widersprechen. Er mag zwar den
Brauch der Walpurgisnacht, aber nicht, dass die Bäume einfach gestohlen werden. Die
Walpurgisnacht ist die Nacht vor dem 1. Mai. Sie ist benannt nach der heiligen Äbtissin
Walpurga, die im 8. Jahrhundert lebte und dem Volksglauben nach die damaligen
Menschen, deren Vieh und Äcker vor den Hexen schützen sollte. Die Hexen sollen in
dieser Nacht zu ihren Tanzplätzen geflogen sein und viel Unheil angerichtet haben. Die
Herkunft der Bräuche dieser Nacht ist aber nicht – wie viele annehmen – im
Hexenglauben zu suchen, sondern im Heerwesen. Denn seit dem 8. Jahrhundert war der
1. Mai der Tag der Waffenschau der Wehrfähigen. Diese jungen Männer hatten nämlich in
der Nacht vor Dienstantritt noch einmal das Freirecht, ausgiebig ausgelassene Streiche zu
treiben.

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Sprecherin:
Den Diebstahl eines Maibaumes bezeichnet Fillmann als Kavaliersdelikt. Dies bedeutet,
es handelt sich zwar um eine strafbare Handlung, ähnlich wie Steuerbetrug oder
Trunkenheit am Steuer. Aber von der Allgemeinheit, also der sozialen Umwelt, wird sie
nicht als ehrenrührig angesehen. Falls horrend große, also übermäßig große, Maibäume
auf den Dächern von verhältnismäßig kleinen Autos transportiert werden, ist dies ein
Verkehrsrisiko. Denn die Bäume können herunterfallen und Unfälle verursachen; somit
entsteht ein Verkehrschaos, also ein Durcheinander. Gerd Wilfgen ist einer von vielen
Polizisten, die in dieser Nacht verstärkt im Einsatz sind.

Gerd Wilfgen:
"Mir persönlich ist es mal passiert, dass zwei Ausgeflippte tatsächlich durch die Kölner
Innenstadt gefahren sind mit so 'nem alten Trecker und hab'n dann, ich glaube, acht oder
neun Maibäume war'ns quer durch die City gekarrt und da gab's dann natürlich 'nen
entsprechendes Verkehrschaos, na ja, und die Nacht ist härter als die andern. Da ist im
Grunde immer die Hölle los. Die jungen Burschen versuchen natürlich bei den Frauen
Eindruck zu schinden und der Förster, also seine liebe Mühe damit hat, die Burschen, die
ja dann außer Rand und Band sind, im Zaum zu halten. Der Förster, der bittet dann uns
manchmal um Unterstützung, aber das Problem ist ja, dass die Leute das eigentlich
offiziell kaufen können, die Bäume, aber da hat natürlich keiner Bock drauf. Die Kohle
stimmt meistens bei den jungen Burschis auch nicht."

Sprecher:
Gerd Wilfgen spricht von einem Trecker. Das Verb trecken bedeutet von einer Gegend in
eine andere ziehen. Im 17. Jahrhundert bedeutete Trecker Schiffszieher. Heutzutage –
also seit der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts – ist damit Zugmaschine, Schlepper
gemeint. Trecker ist gleichbedeutend mit dem Wort Traktor. Mit diesem Trecker also
fahren zwei Ausgeflippte Maibäume durch die Stadt. Hier meint Wilfgen zwei junge
Männer, die er für unzurechenbar und verantwortungslos hält. Der Polizeibeamte sagt
weiterhin, in der Maibaumnacht sei die Hölle los. Damit ist gemeint, dass sehr viele
Menschen unterwegs sind. Es herrscht Aufruhr und die Polizisten haben viel zu tun.

Sprecherin:
Wenn die jungen Männer dann im Wald einen Baum fällen wollen, sind sie außer Rand
und Band. Das heißt, sie sind übermütig, ausgelassen und der Förster kann sie kaum im
Zaum halten. Mit Zaum ist das Kopflederzeug für Zug- und Reittiere gemeint, womit diese
Tiere gezügelt, also gebremst und geführt werden. Das Wort Zaum ist ein altgermanisches
Substantiv und bedeutet im Althochdeutschen Seil oder Riemen. Keinen Bock auf etwas
haben kommt aus der Jugendsprache. Sie bedient sich des Bocks als Metapher, um keine
Lust zu haben in bildhaft-ironisierender Weise zum Ausdruck zu bringen. In der
Umgangssprache ist Kohle ein anderes Wort für Geld. Und eine ebenfalls sehr beliebte

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Art Geld zu sparen, die zudem noch als sehr mutig und bewundernswert angesehen wird,
ist, ein fertig geschmücktes und bereits aufgestelltes Bäumchen zu klauen. Hendrik und
Karsten haben es schon versucht.

O-Töne:
"Manchmal gibt's schon Ärger. Ich hab's mit Sicherheit schon erlebt, dass wir, als wir 'nen
Baum geklaut haben, dass uns da jemand verfolgt hat, also, dass wir uns wirklich da aus
dem Staub gemacht haben und die Jungs uns gefolgt sind. Muss man schon ganz schön
rennen, also mit dem Baum in der Hand und hinter dir zwei, drei Leute, die dir wirklich an
den Kragen wollen. Muss de zusehen, dass de wegkommst. (Musikeinspielung) / In
dem Augenblick, wie ich mir diesen Maibaum gerade schnappen will, da kommt doch
tatsächlich so einer auf mich zugelaufen, na ja, hab' aber dann den noch schnell ins Auto
geworfen und dann in so 'ner 007-Aktion hab' ich noch schnell im dritten Gang
sozusagen, hab' ich mich dann noch vom Feuer gemacht. Aber es hat sich gelohnt. Ich
hab' den dann auch die ganze Nacht bewacht, den Maibaum, und dann gab's Frühstück
und dann hat's auch so richtig geschnackelt."

Musik:
"Der Mai ist gekommen,
Die Bäume schlagen aus,
Da bleibe, wer Lust hat,
Mit Sorgen zu Haus!
Wie die Wolken wandern,
Am himmlischen Zelt.
So steht auch mir der Sinn,
In die weite, weite Welt. …"

Sprecher:
Die meisten Maibäume werden natürlich, nachdem sie aufgestellt sind, die ganze Nacht
über bewacht. Als Hendrik einen Baum klaut und von den Eigentümern verfolgt wird,
muss er sich aus dem Staub machen. Die ursprüngliche Bedeutung bezog sich wohl auf
den Staub, der in einer Schlacht aufgewirbelt wurde und in dessen Schutz eine
unauffällige Flucht möglich war. Hendrik ist also so schnell wie möglich weggerannt. Die
Verfolger wollten ihm an den Kragen. Jemanden am Kragen packen heißt ihn
handgreiflich zurechtweisen. Jemandem an den Kragen gehen bedeutet so viel wie ihm
nach dem Leben trachten. Eine 007-Aktion soll heißen, es war wie in einer gefährlichen
Filmszene, die der Geheimagent James Bond mit dem Decknamen "007" im Film immer
erlebt.

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Sprecherin:
Wenn Karsten meint, er habe sich im dritten Gang vom Feuer gemacht, will er damit
sagen, er sei mit der Geschwindigkeit angefahren, die man normalerweise nur im dritten
Gang erreichen kann. Dies ist übertrieben, soll aber heißen, dass er sehr schnell gefahren
ist und sich vom Feuer gemacht hat, also schnell dieser brenzligen Situation entkommen
wollte. Denn er wollte seiner Liebsten ja dieses Bäumchen setzen, wobei es bei den
beiden ja dann auch geschnackelt hat. Die beiden haben sich also ineinander verliebt.
Hendrik hat dann aber noch eine ganz besonders ausgefallene Idee für den
Baumschmuck.

Hendrik:
"Ja ich hat so 'ne richtig lange Matte. Als der große Liebesbeweis, schneidst de dir jetzt
den Zopf ab. Na ja, jedenfalls hab'n wir dann den Zopf in der Hand gehalten und hab'n den
dann festgebunden am Baum und das ganz Witzige ist, Aachen ist ja an der Grenze von
Holland und da ist dieser Brauch wohl völlig unbekannt, und da fragte 'ne holländische
Nachbarin meine Freundin, ob das denn hier in Deutschland üblich wäre, dass man denn
Haare an 'nen Maibaum dranmacht."

Sprecher:
Mit der langen Matte meint Hendrik seine Haare, die so lang und dicht waren wie eine
Matte – bis er sie abgeschnitten hat, als Liebesbeweis für seine Freundin, die sich tierisch
darüber gefreut hat. In der Jugendsprache bedeutet das, sie hat sich besonders gefreut.
Die holländische Nachbarin kennt den Maibaum-Brauch nicht und vermutet, dass es üblich
ist, den aufgestellten Baum mit Haaren zu schmücken. Das solche Bräuche bei Menschen
aus anderen Ländern sicher verwirrend sein können, oder auch schon mal falsch
aufgefasst werden, ist leicht verständlich, denn Stadtbewohner kennen sich mit den
Bräuchen auf dem Land nicht immer aus, obwohl sie gerade einmal dreißig Kilometer
entfernt wohnen. Davon erzählt eine Dorfbewohnerin.

Heidi Lex:
"Ja, da war ein Freund meiner Tochter, der aus der Stadt kam und wollte ihr einen
Maibaum setzen. Und er – als alter Fuchs – dachte 'Kein Problem. Im Dunkeln, mit dem
Maibaum auf dem Parkplatz im Dorf parken, und dann klappt das', hatte aber nicht damit
gerechnet, dass auf der anderen Seite die jungen Burschen des Dorfes den Maibaum
bewachten und die Antenne ausgefahren hatten, wenn denn einer käme. Sie hörten ihn
und standen in den Startlöchern. Und wie er nun merkte, er wurde beobachtet oder
verfolgt, fing er an zu rennen und die jungen Männer mit der Kreissäge beziehungsweise
mit der Kettensäge hinter ihm her. Sie kamen ihm immer näher und waren ihm so auf den
Fersen, dass er Panik bekam, stehen blieb und die ganze Sache erklärte. Wenn man als
Stadtmensch aufs Land kommt und sich mit den Bräuchen nicht auskennt, kann das ganz
böse ins Auge gehen."

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Sprecherin:
Heidi Lex wohnt in einem kleinen Dorf im Bergischen Land. Dort wird jedes Jahr von der
Dorfgemeinschaft ein so genannter Dorf-Maibaum aufgestellt, der in der Maibaumnacht
von den jungen Männern des Dorfes bewacht wird. Sie sagt, der junge Mann aus der
Stadt wollte besonders schlau sein, so wie ein erfahrener schlauer Fuchs, weil er auf
dem dunklen Dorfparkplatz ungesehen parken wollte. Die Dorfjugend aber hatte die
Antennen ausgefahren. Dies bedeutet, sie waren sensibel wie Radarantennen und
konnten jede Bewegung erkennen. Die Männer waren bereit, direkt zu starten, standen
also wie Sprinter schon in den Startlöchern. Denn sie dachten, jemand wolle ihren Dorf-
Maibaum klauen. Sie wussten ja nicht, dass dieser Jugendliche schon ein Bäumchen in
seinem Auto hatte, sich aber erst einmal ungesehen an das Haus der Freundin begeben
wollte, um zu sehen, wo er das Bäumchen befestigen kann. Sie waren dem jungen Mann
auf den Fersen, heißt sie hatten ihn fast erreicht.

Sprecher:
Es hätte auch böse ins Auge gehen können sagt Heidi Lex. Sie meint damit, es hätte
auch eine schlimme Wendung nehmen können. Diese Redensart ist im 19. Jahrhundert
aufgekommen. Sie kennt die hochgradige Empfindlichkeit des Auges und empfindet alles,
was nicht das Auge verletzt, als weniger schlimm. Glücklicherweise konnte der junge
Mann aus der Stadt die Situation aufklären und es ist freundschaftlich ausgegangen. Mit
einem Kasten Bier.

Fragen zum Text

Maibäume werden traditionell gefällt von …


1. Holzfällern.
2. unverheirateten Männern.
3. heiratswilligen Frauen.

Als besondere Mutprobe gilt, einen Maibaum …


1. auf der Zugspitze zu pflanzen.
2. jemand anderem zu stehlen.
3. auf dem Autodach zu transportieren.

Wenn jemand außer Rand und Band ist, dann …


1. verhält sich jemand sehr wild..
2. ist jemand sehr beherrscht.
3. flüchtet jemand vor der Polizei.

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Arbeitsauftrag
Verfassen Sie einen kurzen Text, in dem Sie beschreiben, wie ein Mann in Ihrem
Heimatland um eine Frau wirbt. Schicken Sie diesen Text an bildung@dw-world.de. Die
drei schönsten Geschichten werden an diese Alltagsdeutsch-Folge als PDF-Dokument
angehangen.

Autorin: Heike Köppen


Redaktion: Beatrice Warken

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Zimtzicke und Co.

Sie stehen meist in der Schmuddelecke einer Sprache: die Schimpfwörter.


Schimpfwort ist jedoch nicht gleich Schimpfwort. Es gibt sehr beleidigende,
ordinäre, aber auch humorvolle.

Wenn Schulbücher die deutsche Sprache vermitteln wollen, gehen sie dabei meist von
einem idealtypischen Deutsch aus. Sie erklären die korrekt gestaltete Grammatik, welche
Bedeutung einzelne Redewendungen haben, und manchmal auch welche
Sprachfärbungen sich durch Mundarten ergeben. Nun wissen wir längst, dass
Umgangssprache sich oft gerade nicht an die korrekte Grammatik hält. Im Alltagsgespräch
sind unfertige, grammatisch unkorrekte Sätze ganz normal. Eine gewisse Nachlässigkeit
signalisiert Entspanntheit. Allzu korrekte Sätze würden im munteren Geplauder nur
überheblich klingen. Zur Umgangssprache gehören auch Wörter, die meist keinen Platz in
Schulbüchern und Unterrichtsstunden haben: die Schimpfwörter. Einige benutzen sie gern
und ausgiebig, andere haben Geschimpftes zumindest oft still gedacht. Natürlich gibt es
da viel Grobes und Ordinäres – was wir Ihnen ersparen möchten –, doch oft auch
Munteres und viel humorvoll verpackte Kritik. Unsere Reporterin hat sich für uns dieses
Mal auf den Weg gemacht, um zu erfahren, wie die Deutschen schimpfen.

Mit dem Schimpfen ist es wie mit dem Nasebohren. Jeder macht es, aber wenn man die
Leute fragt, wollen es nur die wenigsten zugeben. Deshalb führt mich mein erster Weg zu
einem Fachmann für Schimpfwörter. Dr. Gerhard Müller ist Germanist. Er weiß nicht nur,
dass Schimpfen weit verbreitet ist, sondern auch, wozu es gut und wichtig sein kann:

"Geschimpft wird immer, geschimpft wurde immer. Man hat Ärger, man hat Frust, man ist
wütend. Manche fressen 's in sich hinein, bekommen Magengeschwüre, manche lassen
sozusagen Dampf ab wie es heißt, sie schimpfen. Oder sie fluchen – eine Steigerung. Ein
Wort, das die Situation wie der Blitz und das Gewitter die schwüle Atmosphäre reinigt.
Schimpfwörter jeder Art gehen ihnen dann von den Lippen. Die Situation wird nicht
säuberlich beschrieben, sie wird nicht analysiert, sie wird über die Emotion – und das ist
das Zentrale – über die Emotion das Gefühl sprachlich geleistet. Es gibt im Grunde für alle
Situationen des Lebens – sofern sie sich ärgerlich oder hemmend oder gleichwie
frustrierend auf sie auswirken – gibt es eben Schimpfwörter."

Man kann also nicht nur eine Speise in sich hineinfressen sondern auch Ärger. Ein
umgangssprachliches Wort für den Ärger ist der Frust. Da war wohl manchen das Wort
Frustration zu lang und zu fachlich nüchtern. Wenn Menschen sich aufregen, schimpfen
oder fluchen, lassen sie Dampf ab – ganz so wie sich ein überhitzter Kessel Platz
verschafft, um nicht zu explodieren.

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Schimpfen befreit also, ist sprachliches Ventil für den Ärger mit sich und den anderen. Bei
der Vielzahl von Schimpfwörtern, die im Laufe der Zeit gebildet wurden, ist vor allem eines
auffällig: Tiernamen sind besonders beliebt, um dem einen Langsamkeit, dem anderen
Dummheit oder Gemeinheit vorzuhalten:

"Denken wir an das Allerweltsschimpfwort – und das gilt für viele Kulturen – das
Allerweltsschimpfwort Hund. Das kann man jetzt zusammensetzen, es gibt dann auch ein
Hundewetter, und so weiter, hundsgemein ist ja auch ein Schimpfwort. Andere Tiere,
Kamele, Hammel, Hornochse, Ziege, Lustmolch, dann gibt es eben diese
zusammengesetzten Schimpfwörter Lackaffe, Salonlöwe, Sauhund, Mistvieh – also die
Zahl dieser Schimpfwörter von Tierbezeichnungen hergenommen ist Legion. Mitunter sind
sie aber recht possierlich und nett gemeint: eine Wasserratte, eine Leseratte – das ist
kein Schimpfwort im eigentlichen Sinne, gehört aber auch in diesen Raum des
Emotionalen in der Sprache. Ein Mädchen, ist eine niedliche Kröte, oder Krabbe oder
eine wilde Hummel, Schmeichelkätzchen, Schmusekatze und so weiter. Das ist der
positive Aspekt."

Die Bedeutungen von Kamel über den Hammel bis zum Hornochsen sind ähnlich. Da
hat sich jemand dumm oder vermeintlich dumm verhalten – ob es nun derjenige ist, der
gerade Mutters schönste Salatschüssel fallen lässt oder der bummelnde Autofahrer auf
der Landstraße, der den Zorn der Nachkommenden auf sich zieht. Schimpfwörter sind
eben nicht sachlich oder konkret, sondern vor allen Ventil. Gerhard Müller stellte fest, dass
es auch nett gemeinte Tierbezeichnungen für seine Nächsten gibt. Einer, der häufig
schwimmt, wird da Wasserratte genannt und ein anderer, der gerne und viel liest, ist eben
eine Leseratte.

Nun aber genug mit der Gelehrsamkeit. Wollen wir doch mal sehen, was den Leuten auf
der Straße zum Stichwort Schimpfwörter einfällt:

"In dem Kreis, wo ich so beschäftigt bin, hat sich das irgendwie so bisschen eingebürgert,
das Wort Drecksack. Angenommen, ich les' jetzt hier die Zeitung, wenn ich Leute hab',
die so 'n bisschen nach oben steigen, nach unten treten, dass die jetzt, wollen wir sagen,
ihren Nächsten so bisschen unnebuttern.“

Ein Mensch, der seinen Nächsten unterbuttert, ist für unseren letzten Sprecher ein
Drecksack. Unterbuttern – oder wie er im weichen hessischen Tonfall sagte
unnebuttern – bedeutet, einen anderen zu unterdrücken oder zu benachteiligen. Und
wenn unser Hesse so jemand sieht, fängt er nicht etwa ein großes Palaver – also ein
langes Hin- und Hergerede an, sondern sagt einfach mit dem Schimpfwort Drecksack
seine Meinung. Das Wort Drecksack selbst hat genau wie Kamel und Hammel keine

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genau definierte Bedeutung, sondern drückt nur etwas derber aus, dass sich jemand
gemein gegenüber anderen verhält.

Aber kommen wir doch noch mal zu den Tiernamen. Es gibt ja nicht nur Kamel, Hund und
Hammel, sondern auch allerlei Fantasiebegriffe und Wortzusammensetzungen. Was mich
als Kind immer besonders faszinierte, war die Zimtzicke, besonders wenn meine Mutter
das Wort aussprach oder besser halblaut zischte, immer wenn der Besuch von Tante
Frieda endlich vorbei war. Meine Mutter schimpfte oder fluchte sonst nie. Nur die
Zimtzicke konnte sie nicht zurückhalten. Wollen mal sehen, was die Leute auf der Straße
unter einem solch exotischen Tier verstehen:

"Eine, sag'n wir mal, primitive Emanze. / Zimtziege? Die unzufrieden ist, eine. Das ist 'ne
Zimtzicke. / Streitsüchtig würde ich eher sagen. / Zimtzicke das ist 'ne eingebildete
Frauenzimmer. Ne Zimtzicke. / Zimtzicke ist für mich 'ne Person, die etepetete ist,
woll'n mer sagen."

Streitsüchtig ist die Zimtzicke, eingebildet und – wie der Mann zuletzt sagte – etepetete.
Etepetete ist eine umgangssprachliche Bezeichnung für einen Menschen, der sich
besonders geziert gibt und übermäßig empfindlich zeigt. Und um noch deutlicher
auszudrücken, dass die eingebildete Frau einen unangenehmen Charakter hat, spricht
man statt von einer Frau von einem Frauenzimmer. Aber hören Sie noch andere
Fußgänger, die unsere Reporterin nach ihrer Vorstellung von einer Zimtzicke gefragt hat:

"Ja, die so igelig ist, ekelig, ne Zimtzicke, die so wie soll ich sagen, na ja, die sich überall
reinmischt und wissen Se und über jeden schlecht spricht. / Ne Zimtzicke is', die 'n
bisschen affektiert ist, eingebildet, hochnäsig oder so – dann sacht man als Kölsche – man
dat it vielleicht 'ne Zimtzicke.' Mit der Kleider kann es auch zu tun haben, wenn sich eine
– sag 'n wir mal – jetzt extravagant oder soso überkandidelt ante 'Man wat is' dat denn
für 'ne Zimtzicke', ne, sagt man so."

Die Zimtzicke kann also auch sehr neugierig sein. Manchmal ist sie auch nur besonders
ausgefallen, also extravagant gekleidet. Und wenn sie ihre ausgefallene Kleidung sehr
demonstrativ vorzeigt, sich also für etwas ganz Besonderes hält, dann ist sie
überkandidelt.

Nur gibt es natürlich nicht nur weibliche Zimtzicken. Eingebildete und überkandidelte
Männer werden aber nicht etwas Zimtböcke genannt, sondern einer ganz anderen Tierart
zugerechnet:

"Lackaffe. / Die et Näschen etwas hoch tragen, da rein riechen, et aber nit verdient
haben. Das ist für mich 'nen Lackaffe. / Lackaffe ist, wenn einer so eingebildet ist. Wie

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soll ich Ihnen das sagen, Lackaffe: auffallend, arrogant. / Ja, wenn dat so 'n eingebildeter
Fatzke is, ne. / Ein Lackaffe ist einer, der sich so parfümiert, so, so wat, is' für mich 'n
Lackaffe. Dat kann jung und alt sein."

Hunde, Ziegen, und Affen werden somit versammelt. Fehlt nur noch ein besonders
beliebtes in der Hitliste der Schimpfwörter – das Schaf:

"'N Schaf ist ja normalerweise im … Volkstümlich ist dat 'n dummes Tier, ne. / Dat sacht
man aus, wenn se irgendwie sich dumm anstellt 'Mein Gott bist du ein dummes Schaf'.
Ne? Weil gut, die frisst und mehr kann et nit, ne? In dem Sinne. Ein Schaf, das frisst und
damit hat es sich / 'N Mensch, der der nicht schnell schaltet im Kopf, ja."

Dumm und langsam ist das Schaf und lässt alles mit sich geschehen. Übertriebene
Unterwürfigkeit drückt auch die Redewendung aus Zu allem Ja und Amen sagen. Wenn
jemand keine eigene Meinung zeigt, also immer nur dem Willen anderer folgt, dann sagt er
eben zu allem Ja und Amen.

Für jede unangenehme Eigenschaft scheint es ein spezielles Tier zu geben. Hunde sind
gemein, Kamele sind dumm, Schafe naiv und folgsam. Kein Wunder, dass langsame
Menschen da nicht ungeschoren bleiben:

"Sag ich mal so unter dem Motto Komm ich nicht heute, komm ich morgen. Is mir im
Prinzip egal, ob ich dat jetzt noch heute schaffe oder morgen, und da sagt man ja
Trantüte oder Tranfunzel, dat is' mir dann also egal, wann ich das mache, aber
irgendwann mal, ne. Es muss nicht unbedingt jetzt gerade sein."

Schimpfwörter sind immer Grenzgänge. Nennt man jemanden Lump oder Gauner wird er
sich kaum darüber freuen. Nennt man ihn stattdessen Filou kann das zwar das Gleiche
bedeuten, hört sich aber viel netter an, weil der Filou auch gleichzeitig ein Schelm und
Schlaukopf ist. Nicht nur, dass es grobe und humorvolle Schimpfwörter gibt: Oft
entscheidet einfach die Situation, wie etwas aufgefasst wird. Was den einen erheitert,
macht den anderen ärgerlich und schließlich ist die Betonung noch wichtig. Was die
Wendung Der Ton macht die Musik sehr schön ausdrückt. Wie wichtig die Betonung der
Worte sein kann, weiß Karl Heinz Müller sehr genau. Als Schiedsmann ist er
Schimpfwortspezialist besonderer Art:

"Die Hauptbeschäftigung ist die Körperverletzung und die Beleidigung. Und bei der
Beleidigung ist es so, es sind fast immer die gleichen Worte, die dort kommen. Da ist der
Dummkopf, da ist der Betrüger, da ist der Halsabschneider. Nun der Ausdruck für
Mädchen, die – wie man so schön sagt – auf den Strich geht, da kommt die Schlampe,
die Bordsteinschwalbe und der Zuhälter."

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Schiedsmänner und -frauen sind in Deutschland ehrenamtliche Mitarbeiter in der


Rechtspflege. Ihre Aufgabe besteht darin, kleinere Streitigkeiten zu schlichten, um die
Gerichte zu entlasten. Richten dürfen sie nicht, nur vermitteln. Das tun sie jedoch mit
einigem Erfolg, denn nur ein Zehntel der Menschen, die den Schiedsmann um Rat
fragen, gehen später vor Gericht.

Fragen zum Text

Dem Schaf wird folgende Eigenschaft zugeschrieben: …


1. Extravaganz.
2. Dummheit.
3. Hinterlist.

Kein Schimpfwort ist: …


1. Lackaffe
2. Zimtzicke
3. etepetete

Eine Trantüte ist …


1. jemand, der extravagant ist.
2. ein langsamer und träger Mensch.
3. eine Bezeichnung für eine naive Frau.

Arbeitsauftrag
Notieren Sie alle Schimpfwörter in diesem Text, die sich aus zwei Wörtern
zusammensetzen. Setzen Sie das Wort jeweils in die Grundform und ordnen Sie ihm den
richtigen Artikel zu – zum Beispiel Hundewetter: der Hund; das Wetter.

Autor: Günther Birkenstock


Redaktion: Beatrice Warken

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Obercool und megageil

Der Geschmack und das Kaufverhalten von Jugendlichen ändern sich ständig. Was
heute "hip" und "obercool" ist, ist bald nicht mehr "trendy". Trendscouts müssen
herausfinden, was "hip" werden kann. Wie? Mit viel Intuition.

Sprecherin:
Wissen Sie, wie man etwas hypen kann, was in diesem Jahr wieder hip ist, trendy,
groovy oder einfach nur uncool?

Sprecher:
Sie haben etwa kein Wort verstanden? Macht nichts! Wir werden für Aufklärung sorgen,
damit sie auch in der deutschen Jugend- und Werbesprache voll im Trend bleiben. Trend
kommt aus dem Englischen und heißt übersetzt entweder Strömung oder Richtung. Das
heißt, die Menschen strömen in Massen in eine bestimmte Richtung.

Sprecherin:
Heute befassen wir uns mit Jugendtrends und vor allem mit solchen Leuten, die damit ihr
Geld verdienen. Wir reden mit Menschen von Jugendmarketingagenturen und mit dem
Trendscout Martin. Dessen Trendfindungsarbeitseinsätze beschreibt er so:

Martin:
"Einerseits läufst de auch manchmal wirklich gezielt los, das heißt, du sagst, heute
Nachmittag geh' ich mal wieder in die Einkaufsmeile und schaue nach neuen Sachen und
spür da 'n bisschen in den Regalen rum. Andererseits gehst dann halt abends auch weg
auf die verschiedensten Veranstaltungen. [Musik] Und dann ist es halt auch oft so, dass
sich Trends herauskristallisieren ganz einfach in Gesprächen, dass dann der Schalter
einfach umfällt. Darauf bist de dann spezialisiert, dass du 'n ganz normales Gespräch mit
Freunden hast und irgendwann fällt dann ein Wort, fällt dann irgendwie 'ne kuriose Sache
und dann fällt im Kopf oben der Schalter um und dann sagst de 'Oh, das ist ja ganz
spannend, eh, merk' dir das mal und guck' mal, ob sich damit was anfangen lässt'."

Sprecherin:
Martin ist ein Trendscout, also ein Trendpfadfinder, der Eindrücke sammelt, um seinen
Auftraggeber, eine Werbeagentur, mit Informationen aus den Jugendszenen zu versorgen.
Das kann das Tragen von Turnschuhen sein, die es noch nicht auf dem Markt gibt. Da
sind Themen, über die man sich unterhält, das ist die Art und Weise wie man weggeht
oder ein gewisses Zurechtmachen mit Kleidung, die man in noch keinem Geschäft findet.
Ob Rapper, Hip-Hopper, Skater, Snowboarder, Raver, Drum-and-Bass-Freak: Was bei
Jugendlichen ankommt, wie sie denken und wen sie bewundern, das ist den
Marketingbossen draußen in den Glaspalästen ihrer Unternehmen so fremd wie die

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mongolische Steppe. Da kann einer wie Martin, der die Sprache der Jugendlichen
beherrscht, nützlich sein. Er ist immer auf der Suche nach dem Neuen.

Martin:
"Also 'n Schema F gibt's da nicht. Man muss halt das Gespür haben für Trends, also das
du halt auch das Außergewöhnliche erkennst und gleichzeitig musst du auch 'n Faible
dafür haben, was nicht nur 'ne gute Idee ist und 'ne gute Idee bleibt, sondern was sich
auch entwickeln kann und vielleicht auch im größeren Umfang dann trendy werden kann.
Das ist einfach Intuition, also da gibt's kein Patentrezept dafür."

Sprecher:
Die deutsche Sprache ist wie alle Sprachen von anderen Kulturen beeinflusst. Deshalb
finden sich in ihr viele Fremdwörter wieder. Faible ist ein französischer Begriff, übersetzt
heißt er eine Vorliebe oder ein Schwäche für etwas haben. Trendy kommt aus dem
Englischen und meint jede Art von Tendenz oder Strömung. Man erkundet bei der
Trendforschung, welche Neigungen die Leute zum Beispiel beim Einkaufen haben. Kaufen
sie lieber rosa Pullis oder ist Schwarz in? Ob etwas ein Trend wird, ist dabei gar nicht so
einfach zu erkennen. Oder wie es der Trendscout formuliert, man kann nicht nach
Schema F vorgehen. Dafür gibt es kein Patentrezept – also es gibt keine einfache Regel.
Der Ausdruck Schema F geht auf das Jahr 1861 zurück. Damals hatte das preußische
Kriegsministerium verfügt, dass Truppenstärkennachweise geführt werden mussten, so
genannte Frontrapporte. Die Vordrucke, die es dafür gab, wurden nach den Buchstaben
geordnet. Schema F steht also für "Vordruck Frontrapport". Wenn heute jemand nach
Schema F vorgeht, dann tut er etwas nach einer starren Form und ohne eigenes
Nachdenken.

Sprecherin:
Mike ist auch eine Art Trendscout. Er ist ein Spezialist für Mottoveranstaltungsreihen, die
das Image formen, also das Bild in der Öffentlichkeit. Mikes Rezept ist nicht die übliche
Anbiederei an die magische Zielgruppe der 16- bis 29-Jährigen. Das hält er für falsch.

Mike:
"Man sollte sich nicht partout auf eine Zielgruppe beschränken, die zu eng ist. Damit
macht man sich lächerlich – exakt das. Und das haben eben viele Unternehmen getan,
ohne sich dessen bewusst zu sein wie 'Kauft ihr die coole neue Techno-Scheibe?' oder
'Das ist besonders megageil' und 'obercool' und 'groovy', oder 'trendy' – das ist so wie
wenn 'n Opa zu einem kommt und sagt: 'Na, war's dufte auf 'm Geburtstag gestern?'.
Eigentlich sägen sich Unternehmen damit ihre eigene Credibility an."

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Sprecher:
Mike betreibt Kritik an der eigenen Zunft. Eine Menge Ausdrücke aus der Jugendsprache
werden heute in der Werbung für die 16- bis 29-Jährigen benutzt. Dadurch wirken sie aber
nicht mehr authentisch, weil sie dem wirklichen Leben geklaut wurden. Und heutzutage,
wo alles schon mal dagewesen ist und selbst das scheinbar Neue eigentlich nur das frisch
verpackte Alte ist, suchen die Trendbeschwörer der Marketingagenturen nach neuen
Superlativen. Fündig geworden sind sie bei den Jugendlichen, denen vieles gleich ober-
oder mega- sein muss. Mega ist das Millionenfache von etwas, abgeleitet von der rasant
steigenden Speicherkapazität beim Personalcomputer. Und cool ist eine
Charaktereigenschaft des jungen, modernen Menschen. Cool ist jemand, der völlig
gelassen und abgeklärt über den Dingen steht und sich von nichts beeindrucken lässt.
Und wer obercool ist, kann diese Übung eben besonders gut. Geil kommt dagegen vom
mittelhochdeutschen geilus, was froh oder fröhlich bedeutet. Vor Jahren hatte geil noch
eine erotische Bedeutung – bei den heute 13- bis 18-Jährigen dagegen nicht mehr. Es
meint einfach wunderbar, hervorragend, gut. Dufte heißt dasselbe wie tadellos und ist ein
Begriff aus dem Jiddischen von tof, gut.

Sprecherin:
Die Jugend – das unbekannte Wesen. Zersplittert ist sie in genusssüchtige Einzelwesen,
die anders sein wollen als all die anderen. Und eine Generation, die mit Medien
aufgewachsen ist und jeden Tag ihr Leben neu erfindet, kann man schwerlich mit biederen
Werbemaschen ködern. Man muss das richtige Leben für Werbeereignisse nutzen. Das ist
auch das Glaubensbekenntnis von Uwe Deese, dem Boss der Trendagentur Megacult.

Uwe Deese:
"Was wir nicht machen wollen, ist, dass wir die mit Bannern totschlagen. Produkte in die
Tasche stecken, sie vollsprühen mit Deos und sie vollquaken – das Gefühl zu einem
Produkt muss über den Bauch kommen."

Sprecher:
Uwe Deeses Deostrategie besteht nicht aus dummen und wortreichen Anpreisungen des
Produkts. Er möchte die Jugendlichen also nicht vollquaken, womit wir nun im Reich der
Tiere gelandet wären. Enten und Frösche quaken, zumindest geben sie Laute von sich,
die sich so anhören. Menschen quaken nur, wenn sie Unsinn oder Blödsinn reden. Und
wenn Deese den Bauch der Jugendlichen anspricht, dann will er ihr Gefühl beeinflussen.
Denn im Bauch ist ja bekanntlich nicht das Gehirn beziehungsweise der Verstand zu
Hause. Wenn etwas über den Bauch kommt, hat es also mit Emotionen zu tun – mit dem
guten Gefühl oder dem schlechten. Man sagt ja auch manchmal Ich habe ein komisches
Gefühl im Bauch, wenn man sich vor etwas fürchtet. Dann kribbelt es dort drin wohl
tatsächlich.

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Fragen zum Text

Martin bringt nicht in Erfahrung, was ein Trend werden könnte, durch …
1. Shopping.
2. Gespräche.
3. Produktpartys.

Wer vorausahnt, dass etwas ein Trend werden könnte, der braucht …
1. ein Bauchgefühl.
2. eine gewisse Credibilty.
3. ein Patentrezept.

Mike ist der Meinung, dass der Opa mit seiner Frage …
1. besonders cool wirkt.
2. sich anbiedert.
3. glaubwürdig ist.

Arbeitsauftrag
Besonders die Werbeindustrie bemüht sich um junge Menschen. Gezielt werden diese mit
bestimmten Produkten angesprochen. Schauen Sie sich Werbung für junge Menschen in
Ihrem Heimatland an – egal ob in Zeitungen und Zeitschriften oder im Fernsehen. Wählen
Sie sich eine Werbung für ein Produkt aus und beschreiben Sie, in welcher Form versucht
wird, junge Menschen zum Kauf dieses Produktes zu verleiten.

Autorin: Sigrun Stroncik


Redaktion: Beatrice Warken

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Migranten im Ehrenamt

Ohne die unbezahlte Arbeit von Freiwilligen würden in Deutschland viele


Bereiche des gesellschaftlichen Lebens nicht funktionieren. Zunehmend
engagieren sich auch Migranten ehrenamtlich – nicht nur für andere
Migranten.

Sprecherin:
Bei der Freiwilligen Feuerwehr, in der Kirchengemeinde oder im Fußballverein – überall
dort engagieren sich Bürger ehrenamtlich. Was wenig bekannt ist: Auch viele Migranten
bekleiden inzwischen Ehrenämter. In der bayerischen Hauptstadt München unterstützt die
Freiwilligen-Agentur Tatendrang diese Ehrenamtlichen und vermittelt sie an soziale
Einrichtungen. Die 61-jährige gebürtige Inderin Mehr Syed ist eine von ihnen. Sie arbeitet
für Tatendrang als ehrenamtliche Energieberaterin. Sie sitzt gerade in der Wohnküche der
Studentin Vera und ihres Partners und versucht beiden klar zu machen, dass in einer
Wohnung von 60 Quadratmetern im Winter mindestens zwei Räume die gleiche
Temperatur haben müssen. Ansonsten könnten die Wände feucht werden und sich
sogenannte Schimmelpilze bilden. Die entstehen, wenn die Luftfeuchtigkeit sich an
kalten Wänden absetzt und in der Wohnung nicht genug gelüftet wird.

Mehr Syed:
"Mindestens sind so 60 Quadratmeter, zwei Räume, in einer gleichen Temperatur lassen
tagsüber, im Winter. Und damit die ganze Wohnung Wärme hat und Luftfeuchtigkeit, nur
Luftfeuchtigkeit 50 Prozent zu halten. Und sonst auch, und Wände werden feucht und
Schimmelpilze bilden sich. "

Sprecherin:
Vera und ihr Partner Gil heizen aus Kostengründen nur die Wohnküche. Die meisten
Möbel hat das junge Pärchen von Freunden geschenkt bekommen oder gebraucht gekauft.
Seit der Geburt ihrer Tochter Letizia müssen der junge Physiotherapeut und seine
Freundin sparen. Denn Vera darf noch nicht arbeiten gehen. Sie ist im gesetzlichen
Mutterschutz. Laut diesem Gesetz müssen Mütter, die in einem Arbeitsverhältnis
stehen, sechs Wochen vor der Geburt zu Hause bleiben. Nach der Geburt dürfen sie erst
nach mindestens acht Wochen wieder arbeiten.

Vera:
"Jetzt liegt mein ganzes Studium auf Eis und [ich] bin im Mutterschutz und kann nicht
arbeiten gehen. Da ist natürlich jede gesparte Energie ist praktisch auch gespartes Geld."

Sprecherin:
Bei Vera kommt zusätzlich noch dazu, dass sie erst einmal wegen des Säuglings keine
Vorlesungen an der Universität besuchen kann. Ihr Studium liegt auf Eis. Sie ist froh,
dass Mehr Syed gekommen ist. Die gebürtige Inderin hatte in ihrem Heimatland Literatur,
Philosophie und Psychologie studiert. Als sie vor 33 Jahren nach Deutschland kam,
wurden ihre Abschlüsse hier nicht anerkannt. Sie arbeitete als Verkäuferin und als
Aushilfe, bis sie mit 57 Jahren plötzlich arbeitslos wurde. Sie war auch vorher
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ehrenamtlich bei sozialen Projekten engagiert und stieß dann zufällig auf die Freiwilligen-
Agentur Tatendrang. Darüber ist sie heute sehr froh. Denn sie berät nicht nur, wie man
richtig Energie spart, sondern hat auch ein offenes Ohr für die Probleme ihrer Kunden. Sie
hat anschließend das Gefühl, etwas Gutes getan und anderen geholfen zu haben.

Mehr Syed:
"Wenn ich Energieberatung mache, dann höre ich den Menschen zu, und das tut ihnen gut
– und mir auch. Ich komme mit Zufriedenheit [nach Hause], ich habe etwas Gutes
getan. Außer Energieberatung [zu machen] habe auch noch etwas getan für [die]
Menschen."

Sprecherin:
Im Jahr 2011 hatten zehn Prozent der jährlich weitervermittelten Freiwilligen bei
Tatendrang einen Migrationshintergrund. Doch die Agentur möchte noch mehr von ihnen
in sozialen Einrichtungen unterbringen. 2011 wurde das Projekt InterEsse abgeschlossen,
dessen Motto lautete: "Integration durch Engagement". Hier arbeitete die Agentur mit
Menschen aus unterschiedlichen Kulturen zusammen. Ziel war, sich besser
kennenzulernen und den Migranten die ehrenamtliche Arbeit näher zu bringen. Die
Freiwilligenorganisation möchte selbst auch interkulturelle Erfahrungen sammeln, um die
eigene Beratungsarbeit verbessern und Migranten leichter weitervermitteln zu können. Die
ehrenamtliche Projektleiterin Behare, deren Eltern aus dem Kosovo stammen, sagt, dass
gerade Menschen mit anderem kulturellen Hintergrund die deutsche Gesellschaft
bereichern können – nicht nur durch ihre Mehrsprachigkeit. Sie könnten anderen
Migranten auch ein Vorbild sein und so die Integration erleichtern.

Behare:
"Migranten können natürlich auch im Bereich zum Beispiel Schülerhilfe Migranten aus
ihren Herkunftsländern unterstützen und da auch als Vorbildfunktion fungieren. Es
gibt aber auch Migranten, die in ganz anderen Bereichen tätigen werden wollen, wie zum
Beispiel im Umweltbereich."

Sprecherin:
Das sind Freiwillige wie Mehr Syed. In einer Stadt wie München – mit einem hohen
Ausländeranteil – ist die Beratung, die sie anbietet, notwendig. Neben Migranten und
Studenten hilft sie vor allem armen Rentnern, Arbeitslosen und alleinerziehenden
Müttern. Sie hat eine Aufgabe gefunden, die ihrem Leben Sinn gibt, Kontakt zu anderen
Menschen schafft und sie aus der Isolation einer Arbeitslosen herausholt.

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Fragen zum Text

Schimmelpilze an der Wand entstehen, wenn …


1. schmutzige Luft ins Zimmer kommt.
2. Schimmelkäse viele Tage offen liegt.
3. sich Feuchtigkeit in kalten Räumen bildet.

Die beiden Studenten heizen nicht ausreichend, weil …


1. die Heizkörper kaputt sind.
2. sie Geld sparen wollen.
3. ihr Baby die Kälte mag.

Die gebürtige Inderin Mehr Syed …


1. bekommt einen Stundenlohn.
2. arbeitet ohne Bezahlung.
3. ist bei der Agentur Tatendrang angestellt.

Arbeitsauftrag
Lies dir die Agenturmeldung zum fünften Integrationsgipfel der Bundesregierung durch.
Formuliere eine Schlagzeile, die den Inhalt zusammenfasst. Anschließend schreibe eine
Nachrichtenmeldung von maximal 15 Zeilen, die die wichtigsten Fakten enthält. Dabei
kannst du dich an die Beantwortung der sechs W-Fragen halten: Was geschah? Wer war
beteiligt? Wo geschah es? Wann geschah es? Warum geschah es? Wie waren die
Reaktionen?

Autorinnen: Anja Seiler; Beatrice Warken


Redaktion: Ingo Pickel

Seite 3 / 3
Migranten im Ehrenamt – Arbeitsauftrag

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat dafür geworben, bei der Integration von
Migranten in Deutschland nicht nachzulassen. Offenheit für mehr Integration sollte für
Deutschland "Chance und Bereicherung" sein, sagte Merkel am Dienstag (31.01.2012) in
Berlin auf dem fünften Integrationsgipfel. Die rund 120 Teilnehmer des Gipfels
verabschiedeten einen Aktionsplan für eine bessere Eingliederung der rund 16 Millionen
Migranten in Deutschland. Die Opposition und eine Reihe von Verbänden forderten
deutliche Änderungen im Asyl- und Aufenthaltsrecht.

Merkel hob hervor, Integration sei weit mehr als nur eine Frage des Spracherwerbs. Auf
dem Gipfel sei daher unter anderem beschlossen worden, von zeitlich befristeten
Modellprojekten hin zu nachhaltigen Regelangeboten zu kommen. Nötig seien auch mehr
Migranten im öffentlichen Dienst und in Ehrenämtern. Im Sport habe sich hier bereits viel
getan, doch sei der Anteil etwa bei der Freiwilligen Feuerwehr noch viel zu gering, sagte
Merkel.

Ali Ertan Toprak von der Alevitischen Gemeinde Deutschland sagte, in den vergangenen
Jahren seien mehr Fortschritte in der Integrationspolitik erzielt worden als in Jahrzehnten
davor: "Wir reden endlich miteinander." Allerdings beschränkten sich die Debatten oft auf
Defizite auf Seiten der Migranten. Jetzt brauche es eine "zweite Deutsche Einheit", bei der
alle in der Gesellschaft gemeinsam ein "Wir-Gefühl" entwickelten.

Vertreter der Opposition forderten anlässlich des Gipfels rechtliche Änderungen. Die
Integrationsminister und -senatoren Guntram Schneider (Nordrhein-Westfalen, SPD),
Dilek Kolat (Berlin, SPD) und Detlef Scheele (Hamburg, SPD) begrüßten in einer
gemeinsamen Erklärung zwar den verabschiedeten Aktionsplan. Er reiche aber nicht aus.
Das Aufenthalts- und Einbürgerungsrecht müsse modernisiert werden.

Der integrationspolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Memet Kilic,


kritisierte das Treffen als "symbolisches Kaffeekränzchen". Die Regierung fordere eher
Gesetzesverschärfungen und halte ansonsten "integrationspolitischen Winterschlaf".
Sevim Dagdelen (Linke) kritisierte, auf dem Gipfel würde über Themen wie eine
vereinfachte Einbürgerungspraxis so wenig gesprochen wie über soziale Diskriminierung
oder die Integration von Flüchtlingen.

Der erste Integrationsgipfel fand 2006 statt. Zu den Teilnehmern gehören Vertreter von
Bund, Ländern und Gemeinden sowie Migrantenverbände, Gewerkschaften,
Wirtschaftsvertreter, Wohlfahrtsorganisationen und Religionsgemeinschaften. 2013 soll
ein weiterer Gipfel stattfinden, auf dem es um die Messbarkeit der nun gesetzten Ziele
gehen soll.

Quelle: epd

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Radfahrer im Pulk

In deutschen Städten sind sie überall zu sehen, die Fahrradfahrer. Doch nicht
immer werden sie als gleichberechtige Verkehrsteilnehmer wahrgenommen.
Die Critical-Mass-Bewegung will das ändern.

Sprecher:
Mitten auf dem Dortmunder Friedensplatz im Stadtzentrum haben sich etwa achtzig
Fahrradfahrer versammelt. Sie plaudern und warten, bis es losgeht. Wohin? Einfach ein
bisschen durch die Innenstadt, heißt es. Niemand will das Treffen organisiert haben. Alle
wissen von der Aktion durch Freunde, aus der Zeitung, von Flugblättern oder von einer
Facebookseite. Niemand demonstriert offensichtlich für etwas, denn eine richtige
Demonstration müsste ja auch von den Behörden genehmigt werden. In die Gruppe auf
dem Friedensplatz kommt plötzlich Bewegung: Ein Polizist will die Veranstaltung
verbieten. Es kommt zu Diskussionen. Jede Seite versucht, ihre Position deutlich zu
machen:

O-Töne:
"[Polizist] Ihr könnt euch ungefähr vorstellen, ihr fahrt durch die Kreuzstraße – mit
Gegenverkehr. Da kommt untergeordneter Verkehr aus der Seite raus, der biegt rechts
ab und hat plötzlich diese Masse an Fahrrädern vor sich. Für euch, völlig klar: Tolle Sache,
der hat euch auch gesehen. Ihr habt gezeigt, dass ihr dieses Recht heute für diese Stunde in
Anspruch nehmt, um der Gemeinschaft zu zeigen: 'Wir wollen Radwege haben'. Jetzt ist
die Masse entsprechend stark, um darauf hinzuweisen. Es ist eigentlich auch 'ne
politische Aussage, die getroffen wird, aber die Rahmenbedingungen sind für euch im
Einzelnen zu gefährlich. Deshalb können wir das nicht hinnehmen. / [Demonstrant] Heißt
das, dass man sich nicht mehr zusammen treffen kann und mit 'm Fahrrad durch die
Gegend fahren kann? / [Polizist] Doch, man kann! Gar nichts! Nichts gegen einzuwenden!
Wenn man sich, wenn man sich an die Straßenverkehrsordnung hält! / [Demonstrant]
Ja, das machen wir doch! / [Polizist] Nein, das macht ihr nicht. Das muss man klar sagen."

Sprecher:
Der Polizist zeigt Verständnis für das Vorhaben der Fahrradfahrer, dass sie in der Masse,
mit ganz vielen Teilnehmern, die Politiker dazu bewegen wollen, mehr Radwege zu bauen.
Allerdings müssten sie sich auch an die deutschen Verkehrsregeln, die
Straßenverkehrsordnung, halten. Es könne nämlich zu einer gefährlichen Situation
kommen, wenn zum Beispiel ein Autofahrer aus einer Straße, die untergeordnet, also
keine Vorfahrtstraße ist, abbiege und sich achtzig Radfahrern gegenübersehe, die die ganze
Straßenbreite einnehmen. In der Straßenverkehrsordnung steht nämlich, dass mehr
als 15 Fahrradfahrer einen Verband bilden – das heißt, dass sie nebeneinander auf der
Straße fahren dürfen. Diesen Paragraphen machen sich die Radfahrer zunutze. Ganz dicht
nebeneinander fahren sie im Pulk durch die Straßen und zwingen so die Autofahrer zum
langsamen Fahren oder sogar zum Anhalten. Sie handeln dabei nach amerikanischem

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Vorbild: 1992 fand die erste Critical-Mass-Aktion in San Francisco statt. Von dort aus hat
sich die Bewegung in die ganze Welt ausgebreitet. In der ungarischen Hauptstadt Budapest
legten 2008 rund 80.000 Radfahrer den Verkehr lahm. In Dortmund wollen sich die
Teilnehmer den Polizisten nicht beugen. Mehr und mehr Leute beginnen, mit ihren
Rädern um den Mittelpunkt des Platzes zu kreisen. Plötzlich schert jemand aus dem Kreis
aus. Alle folgen ihm wie ein Tierrudel seinem Anführer. Allerdings entspricht es dem
Prinzip der Massenaktion, keinen ständigen Leiter zu haben. Mal übernimmt der eine,
mal die andere die Führung, wie dieser Radfahrer erklärt:

O-Ton:
"Warum es jetzt losgeht? Weil der Leiter vorneweg gefahren ist. Ich hab ihn jetzt nicht
gesehen. Aber der, der vorne fährt, ist immer der Leiter dann. Da kann man sich
abwechseln, wird auch so gehandhabt, glaub' ich."

Sprecher:
Mittlerweile beteiligen sich etwa 200 Radler jeder Altersklasse. Die meisten sind etwa
zwanzig bis vierzig Jahre alt. Auch bei den Rädern zeigt sich eine große Vielfalt: Sie reicht
von Drahteseln ohne Bremsen bis zum sehr teuren Rennrad. Ein paar Liegeräder und ein
Tandem – ein Fahrrad für zwei Personen – sind auch dabei. Begleitet werden die
Protestler von mehr oder weniger verärgerten Polizisten, die sich immer wieder per
Megaphon zu Wort melden:

O-Ton:
"Ich hab' Sie vorhin aufgefordert, diese Veranstaltung heute nicht passieren zu lassen
und ich hab' Sie aufgefordert, ganz normal nach der Straßenverkehrsordnung Fahrrad zu
fahren. Das tun Sie nicht. Jede Personalie, die wir kriegen können, werden [wir] mit
einer Ordnungswidrigkeitsanzeige [zur Anzeige] münden lassen. Danke!"

Sprecher:
Die Polizisten stellen klar, die Veranstaltung verlaufe nicht nach den Regeln der
Straßenverkehrsordnung. Sie dürfe nicht passieren, stattfinden. Ein paar Teilnehmer
werden von der Polizei angehalten. Sie müssen ihre Personalien angeben wie den Namen
und die Wohnanschrift. Diejenigen, die ihre Personalien angeben, müssen mit einer
Anzeige wegen einer Ordnungswidrigkeit rechnen, einem geringfügigen Regelverstoß.
Der Vorwurf: Die Radfahrer hätten den Verkehr behindert. Die Gruppe sieht sich jedoch
im Recht und fährt geschlossen weiter. Sie beruft sich auf ein Urteil des
Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahr 2010. Danach sind Fahrradfahrer nicht mehr
verpflichtet, die Fahrradwege zu benutzen, sondern dürfen auch auf der Straße fahren.
Fahrradfahren ist in Deutschland immer populärer geworden. Der Geschäftsführer eines
Dortmunder Fahrradladens erklärt, warum:

O-Ton:
"Die Zeit war einfach günstig. Also, in dieser Gründungszeit war es so, dass immer mehr
Leute, damals natürlich auch gepusht durch die Ökoszene, dass Leute eben sinnvolle

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Dinge tun wollten, gesundes Essen essen wollten und nicht Abgase in die Luft blasen
wollten – es war schon so 'ne Hardcore-Ökoszene eigentlich. Das waren so unsere
ursprünglichen Kunden. Die Ansprüche dieser Leute verlangten nach Rädern, die es so im
Handel damals gar nicht gab. In der Folge gab es dann immer mehr qualitativ hochwertige
Räder, in der Folge stieg auch die Nachfrage bei anderen Gruppen und so kommen wir
dann heute zu dem Boom, wie wir ihn heute haben."

Sprecher:
In den 1970er bis 1980er Jahren entstand in Deutschland eine Umweltbewegung, die
immer stärker wurde, sie entwickelte sich zu einem Boom. In dieser Gründungszeit der
Ökoszene wurde auf den Schutz der Umwelt und auch der eigenen Gesundheit sehr
geachtet. Die Striktesten von ihnen, die Hardcore-Ökoszene, verzichtete auf Autos, um
keine Abgase in die Luft zu blasen. Es wurden nur noch sogenannte Bio-Produkte
gekauft, die möglichst von Bauern aus Deutschland kommen sollten. Diese Szene pushte
das ökologische Bewusstsein, sie trieb es voran. Der Geschäftsführer des Dortmunder
Fahrradgeschäfts ist sicher, dass der Fahrrad-Boom anhalten wird. Denn die
Lebenshaltungskosten und Treibstoffpreise steigen schließlich ständig. Die Critical-Mass-
Gruppe kommt nach etwa anderthalb Stunden Fahrt mit etwas weniger Teilnehmern als zu
Beginn wieder am Ausgangspunkt an. Nun muss noch geklärt werden, wer denn mit einer
Ordnungswidrigkeitsanzeige rechnen muss:

O-Ton:
"Wer ist denn alles angezeigt worden? Alle mal die Hand hoch! / Wow! / Eins, zwei, der
Grüne drei..."

Sprecher:
Schätzungsweise fünf Leute werden es sein. Für die Radfahrer ist das jedoch eher ein
Grund, weiterzumachen als aufzugeben.

O-Ton:
"Ich finde, wir sollten das gleich morgen machen!"

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Fragen zum Text

Die Critical-Mass-Bewegung entstand in …


1. Deutschland.
2. den USA.
3. Ungarn.

Verkehrsteilnehmer in Deutschland …
1. dürfen Polizisten nicht widersprechen.
2. fahren auf untergeordneten Straßen.
3. müssen sich an die Straßenverkehrsordnung halten.

Ein Verband besteht nach der Straßenverkehrsordnung aus … Personen.


1. mindestens sieben
2. mehr als 15
3. genau 15

Arbeitsauftrag
Ordne den folgenden Begriffen ihr jeweiliges Gegenteil zu:
Bußgeld – Massenbewegung – Ordnungswidrigkeit – pushen – Vorfahrtstraße –
ökologisch – Pulk // untergeordnete Straße – konventionell angebaut – Regeltreue –
verzögern – Belohnung – Einzelaktion – Einzelner

Autorinnen: Sola Hülsewig; Beatrice Warken


Redaktion: Ingo Pickel

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„Umgedrehter Unterricht“

Vorlesungen in einem überfüllten Hörsaal? Kaum vorbereitet in ein Seminar


gehen? Das gilt nicht für diejenigen, die mit dem Prinzip des „umgedrehten
Unterrichts“ lernen – wie zum Beispiel die Studenten in Marburg.

Sprecher:
Scheinwerfer, Stative und Kameras – das Arbeitszimmer von Jürgen Handke erinnert eher
an ein Fernsehstudio als an das Arbeitszimmer eines Hochschuldozenten. Jürgen Handke
ist Professor am Institut für Anglistik und Amerikanistik der Philipps-Universität Marburg.
Hier in seinem Arbeitszimmer hält er vor einer Multimediatafel, dem sogenannten
Interaktiven Whiteboard, seine Vorlesungen. Sein einziger Zuschauer ist die Videokamera.
Die Studenten hingegen sitzen zuhause und sehen sich die Vorlesung später online über das
Internet an. Diese Form der Vorlesung heißt „inverted classroom“ oder auch „flipped
classroom“. Übersetzt heißt das so viel wie „umgedrehter Unterricht“. Die Idee kommt
ursprünglich aus Nordamerika. Professor Handke sagt, was er daran so interessant findet:

Jürgen Handke:
„Der normale Weg ist ja, Sie sitzen in einem Unterrichtsraum, der Dozent steht vorne und
erzählt etwas. So, und wir sagen, diese Inhaltsvermittlung, die kann in der heutigen Zeit
– und im 21. Jahrhundert sollte das so sein – über das Internet erfolgen. Denn da steckt das
Wissen der Menschheit, und das hat den Vorteil, dass jeder Lernende nach seinem eigenen
Tempo dort die Inhalte beliebig oft, zu jedem Zeitpunkt, von jedem Ort der Welt sich
aneignen kann.“

Sprecher:
Laut Professor Handke sollte für das Lehren im 21. Jahrhundert das Internet genutzt
werden. Denn der Vorteil ist seiner Meinung nach, dass der Lehrinhalt weltweit
vermittelt werden kann, da die Nutzung des Internets unabhängig von Zeit und Ort ist.
Egal, wo sich ein Student, eine Studentin aufhält, kann er oder sie sich jederzeit an jedem
Ort die Vorlesung anhören und anschauen. Das gibt ihm oder ihr zudem die Möglichkeit,
das Lerntempo selbst zu bestimmen und sich den Lernstoff einzuprägen, anzueignen – so
wie Ritva zum Beispiel. Sie besucht im Internet ein virtuelles Seminar von Professor Handke
zum Unterschied der Dialekte im Englischen. Ritva erklärt, welche Möglichkeiten sie nach
dem sogenannten Einloggen hat:

Ritva:
„Ein Link, den ich verfolgen kann, der heißt ‚dialect surveys’ – das ist dann so was wie
Umfragen zu Dialekten. Und dann kann ich mich jetzt hier noch mal weiterklicken und mir
genauere Regionen angucken, wo es verschiedene Dialekte gibt – Großbritannien und halt
andere Staaten. Da drunter sieht man aber auch ’n Fenster, da steht: ‚Start the E-Lecture’.
Das bedeutet einfach nur, hier habe ich gerade die Möglichkeit, auf ein YouTube-Video
zuzugreifen, wo der Herr Handke eine kleine Kurzvorlesung hält.“

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Sprecher:
Auf der Internetseite kann sie die angebotenen Links mit der Computermaus auswählen, sie
anklicken und sich nach und nach durch die verschiedenen Angebote weiterklicken. Zu
finden sind etwa Videos, Landkarten, PDF-Dateien und Übungsaufgaben. Wenn Ritva die
elektronische Vorlesung, die E-Lecture, von Professor Handke anschauen will, öffnet sie
das Video auf der Videoplattform YouTube. Anders als Vorlesungen in den Hochschulen, die
normalerweise eineinhalb Stunden dauern, ist die E-Lecture zeitlich kürzer. Was gefällt
Ritva an dieser Form des Lernens?

Ritva:
„Das Gute ist, dass man anders als in der Vorlesung hier auf ‚Stop’ drücken kann. Wenn mal
was zu schnell ging, kann man auch mal zurückspulen, das heißt, man kann sich hier
wirklich sehr detailliert das anhören und seine Notizen vervollständigen.“

Sprecher:
Für Ritva bedeutet die Teilnahme am „umgedrehten Unterricht“, dass sie die Informationen
genau aufschreiben kann. Denn bei einer normalen Vorlesung ist der Dozent schon weiter
im Thema, ohne dass man schnell genug mitschreiben konnte. Wie früher bei einem
Tonband kann sie das Video – bildlich gesehen – zurückspulen. Sie kann mit der Maus
wieder an die Stelle klicken, an der sie etwas nicht verstanden hat. In der zweiten Phase des
„umgedrehten Unterrichts“ geht es nun darum, das im Präsenzunterricht an der Universität
zu üben, was man vorab in der Theorie schon gelernt hat. Deshalb heißt es auch
„umgedrehter Unterricht“. Die umgekehrte Reihenfolge der Wissensvermittlung hat für
Professor Handke mindestens zwei Vorteile:

Jürgen Handke:
„Für die Lehrer ist der entscheidende Vorteil, dass man sich mehr um die einzelnen
Studierenden kümmern kann. Und dass man eben Dinge machen kann, für die sonst
einfach keine Zeit bliebe.“

Sprecher:
Zeit bleibt zum Beispiel für praktische Übungen wie die folgende. Eine Kursteilnehmerin
testet die sogenannte indirekte Methode. Dabei übernehmen Studenten gegenseitig die
Rolle des Lehrenden. Der Dozent bleibt – anders als bei der direkten Methode – im
Hintergrund und unterstützt nur, wenn er gefragt wird. So stellt eine Kursteilnehmerin
einer anderen gezielte Fragen, die der Kurs vorher in der Sitzung gemeinsam erarbeitet hat.
Die befragte Studentin stammt ursprünglich aus Wisconsin und studiert nun in Marburg.
Bei bestimmten Wörtern kommt ihr Akzent deutlich zum Vorschein.

Petra:
„What do you do in a ballroom? – In a ballroom you usually dance. – Okay. What is
‚Yesterday’ of the Beatles? – It’s a song. – What is the opposite of good? – Bad.“

Sprecher:
Ritva nimmt aus dem „umgedrehten Unterricht“ einiges mit. So kann sie sich durch die
multimediale Vorbereitung am Computer und die anschließende praktische Übung nun
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besser merken, wie Dialektforschung funktioniert. Es bleibt, wie sie umgangssprachlich


sagt, hängen und in einer Prüfung hat sie das Gelernte präsent, sie kann es abrufen.

Ritva:
„Wenn man’s aktiv mal gemacht hat, bleibt einem einfach auch hängen, was zum Beispiel
die indirekte Methode ist. Also, das müsste ich sonst einfach auswendig lernen, aber
wenn man’s einmal selber gemacht hat, hat man natürlich einfach auch Erfahrung
gesammelt, die man dann auch in der Prüfung abrufen kann so ’n bisschen. Da kann man
dann besser beschreiben, wie funktioniert das jetzt. Und das hilft dann schon.“

Fragen zum Text

Welche Ansicht von Professor Handke stimmt?


1. Die Studierenden kommen vorbereitet in ihr Präsenzseminar.
2. Es bleibt im Präsenzunterricht kaum Zeit, mit einzelnen Studenten Themen zu vertiefen.
3. Nur die direkte Lehrmethode ist erfolgreich.

Welche Aussage stimmt nicht mit dem Text überein?


1. Beim Zurückspulen eines Videos im Internet kann man Bandsalat produzieren.
2. Nur wer Internet hat, kann eine E-Lecture besuchen.
3. Bei der indirekten Methode unterstützen sich die Studierenden untereinander.

Nicht richtig ist folgender Satz: Eine normale Seminarstunde …


1. dauert 90 Minuten.
2. beträgt anderthalb Stunden.
3. ist in 75 Minuten abgeschlossen.

Arbeitsauftrag
2012 fand in Deutschland die erste „Inverted Classroom Conference“ statt. Professor Jürgen
Handke äußert sich in folgendem Video: http://bit.ly/JgNPDk (Minute 7’08 bis 8’52) zu der
Frage, was er von dieser Konferenz „gelernt“ hat. Gib die drei Antworten in deinen eigenen
Worten wieder.

Autorinnen: Stefanie Hoppe; Beatrice Warken


Redaktion: Ingo Pickel

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Auf zum Abiball

Wie wird heute das Abitur in Deutschland gefeiert? Mit einem einfachen Fest –
so wie früher? Oder mit einem eleganten Ball? Die Antwort: An jeder Schule
wird der Start ins Erwachsenenleben auf eigene Art gestaltet.

Sprecher:
Das Abitur, umgangssprachlich auch Abi genannt, ist der höchste Schulabschluss in
Deutschland, denn es berechtigt jemanden, an einer Hochschule zu studieren. Und der
Abschluss von vielen Jahren Schule muss natürlich in einem festlichen Rahmen begangen
werden. Auf keinen Fall möchten die Abiturientinnen und Abiturienten von heute aber so
feiern wie früher ihre Eltern. Die haben noch formlose Feste bevorzugt, wollten keine steifen
Feierlichkeiten. Heute wünscht sich die Mehrheit der Schülerinnen und Schüler den großen,
stilvollen Abschluss – wie Vera und Dominique. Die beiden Schülerinnen eines Bonner
Gymnasiums haben monatelang für ihr Abitur gelernt und die Prüfungen bestanden. Auch
sie wollen ihren Abschluss feiern – aber nicht irgendwie. Das hat seinen Grund, wie Vera
sagt:

Vera:
„Es ist so ’n großer Abschluss und es ist so der letzte Abend, wo wir uns alle noch ma’ aus
der Stufe sehen. Und eigentlich freu’ ich mich einfach darauf, diesen Abend mit den ganzen
Leuten, die ich jetzt so lange schon kenne, mal so richtig zu feiern und ja, einfach ’nen
schönen Abschluss von der Schulzeit zu finden.“

Sprecher:
Vera freut sich also darauf, alle Mitschülerinnen und Mitschüler, alle Leute, aus ihrer
Stufe, ihrem Jahrgang, noch mal versammelt wiederzusehen. Und das in einem festlichen
Rahmen. Vornehm soll es sein, ein Abend mit schicken Kleidern, gutem Essen, Tanz und
Bühnenshow. Damit alles perfekt abläuft, kümmern sich Vorbereitungsteams schon
monatelang im Voraus um jedes Detail. Die Teams bestehen aus Schülerinnen und Schülern
eines Jahrgangs. Ein Fest in Eigenregie – das ist die häufigste Form bei Abiturfeiern. Es gibt
aber auch Abiturklassen, die die gesamte Abendveranstaltung von einer professionellen
Agentur organisieren lassen. Dominique findet das nicht so gut.

Dominique:
„Für uns war so ’ne Agentur eigentlich keine Option. Weil es soll ja unser Abiball sein,
was wir selber gemacht haben.“

Sprecher:
Dominiques Jahrgang möchte keine Abiturfeier, die von einer Agentur gestaltet wird. Für
sie ist das keine Option, keine Möglichkeit. So wie Künstleragenturen, die Musiker und
Schauspieler vermitteln, gibt es in Deutschland auch Unternehmen, die eine komplette
Abiturfeier organisieren. Sie erledigen alle Aufgaben, die bei der Vorbereitung einer so
großen Veranstaltung anfallen. Das Geld für ihre professionelle Hilfe kommt meist nicht
direkt von den Schülern, sondern die Agentur behält einen Teil der Eintrittspreise. Eine
Eintrittskarte kann pro Person zwischen 25 und 120 Euro kosten. Jeder darf eine bestimmte
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Anzahl von weiteren Personen mitnehmen, zum Beispiel Eltern, Verwandte und Freunde.
Sie zahlen natürlich genauso wie die Abiturientinnen und Abiturienten. Dominiques Stufe
wollte ihre Abifeier in Eigenregie organisieren. Sie war der Meinung, dass der
Zusammenhalt so gestärkt wird, denn jeder kann sich mit eigenen Ideen einbringen.
Außerdem kennen die Schülerinnen und Schüler ihre Lehrer am Besten. Zu jeder Abifeier
gehört nämlich auch, dass man sich auf humorvolle Art über sie lustig macht. Und was nie
fehlen darf: ein Motto – jeder Abiturjahrgang hat ein eigenes. Und wie lautet das von Veras
und Dominiques Jahrgang?

Vera:
„Unser Motto ist: ‚I wanna be a billionaire‘. Man will erfolgreich werden, man will Geld
haben, also solche Ziele für die Zukunft. Und deswegen sieht man halt vorne Dagobert Duck
als den Repräsentanten von Geld und Macht. Ja, und hintendrauf unsere Namen und
unser Motto.“

Sprecher:
Das Motto ist ein kurzer Leitsatz oder ein Begriff, mit dem die Schülerinnen und Schüler
ihre gemeinsame Geschichte bis zum Abitur oder ihre Ziele charakterisieren. Meist ist das
Wort „Abi“ oder „Abitur“ irgendwie eingebaut – wie in „a-bi-llionaire“. Mit diesem Motto
werden dann T-Shirts für alle bedruckt und große Plakate in den Autofenstern der
Abiturientinnen und Abiturienten angebracht. Passend zum Motto von Veras und
Dominiques Mitschülerinnen und Mitschülern „I wanna be a billionaire“ ist Dagobert Duck
als Symbolfigur, als Repräsentant, von Geld und Macht abgebildet. Die Größe und
Bedeutung des Ereignisses kann gar nicht genug betont werden. Deshalb wird der festliche
Charakter nicht nur bei der Organisation berücksichtigt. Auch am Abend selbst geht es
stilvoll zu, denn schließlich ist es ein Abiball.

Vera:
„Ja, wir sind ja auch alle elegant angezogen, haben uns schick gemacht. Und wenn man
dann da irgendwie abrocken würde als ersten Tanz, das würde nich’ so wirklich passen.
Und so ’n Abiball – man hört es ja schon am Namen – ist ja ’n Ball. Da passt ’n Walzer
einfach als erster Tanz.“

Sprecher:
Wer zu einem Ball geht, sollte sich auf etwas Festliches einstellen. Das Wort kommt vom
französischen „le bal“, ein Fest mit Tanz, das mindestens 300 Jahre alt ist. Bälle haben eine
lange Tradition mit Regeln für den Ablauf. Alle Paare betreten zu Beginn des Abends den
Saal, sie ziehen in ihn ein. Es gibt einen Eröffnungstanz – oft ist es der Tanz mit der größten
Tradition, der Walzer. Die Paare drehen sich in einem bestimmten Takt um sich selbst und
bewegen sich auf diese Weise schwungvoll durch den Raum. Vera meint, dass abrocken,
also ausgelassenes Tanzen zu Rock- oder Popmusik, nicht ganz passend wäre. An dem
Bonner Gymnasium haben die Abiturientinnen und Abiturienten sogar extra Walzer geübt,
um beim Eröffnungstanz keinen Fehler zu begehen, eine – wie es umgangssprachlich heißt
– gute Figur auf dem Parkett zu machen. Vor dem Ball haben sie sich natürlich um die
passende Kleidung gekümmert, sie haben Modemagazine durchgeblättert und in
Kaufhäusern oder im Internet gesucht. Und wenn dann der langersehnte Abend da ist:
Haben die Mühen sich gelohnt? Dominique findet: Ja.
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Dominique:
„Man feiert nur einmal sein Abitur, man hat nur einmal ’n Abiball. Das is’ nich’ was, was
man jedes Jahr wiederholt.“

Fragen zum Text

Was stimmt nicht? Wichtig am Abiball ist für die Schülerinnen und Schüler: …
1. die Gelegenheit, gemeinsam den Abschluss zu feiern.
2. durch die eigene Organisation der Feier viel Geld zu verdienen.
3. sich auch in festlicher Kleidung zeigen zu können.

Gilt auf einer Abifeier ein Alkoholverbot, dann …


1. war Alkohol eine Option für die Schülerinnen und Schüler.
2. fanden es die Schülerinnen und Schüler optimal, dass alle nüchtern nach Hause gehen.
3. ist es optional, was man trinken kann.

Was stimmt? Eine Person, die Walzer tanzt, …


1. braucht einen Partner.
2. wird über das Parkett getragen.
3. kann ihren Rhythmus selbst bestimmen.

Arbeitsauftrag
Was könnte für euch ein Motto für eure Abschlussfeier sein? Macht verschiedene
Vorschläge in der Gruppe und findet demokratisch eine Entscheidung. Versucht dabei das
Wort „Abitur“ oder „Abi“ einzubinden. Hier einige Beispiele: „Wer wird ABIonär?“ – „ABI
2000 – so viele Nullen gab's noch nie“ – „RABInson Crusoe – 13 Jahre warten auf Freitag.“
– „Mit dem ABI in den Händen werden Helden zu Legenden!“

Autor/in: Vera Kern; Michael Stegemann


Redaktion: Beatrice Warken

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Mit Rammstein auf Tour

Rammstein gehört zu den bekanntesten deutschen Rockbands. Auf


Konzerttouren und auch sonst ist ihr persönlicher Assistent immer mit dabei –
backstage und hautnah. Die Arbeit für die Musiker ist eine Herausforderung.

Sprecherin:
General Pinochet hatte 1973 in Chile geputscht. Die Familie von Paulo San Martin floh und
fand Asyl in der damaligen DDR. In Ost-Berlin setzte man den Sechsjährigen in der Schule
neben Christian Lorenz. Dieser sollte Paulo ein wenig unterstützen. Daraus wurde eine
Freundschaft – aber auch noch mehr. Seit Beginn der 2000er Jahre begleitet Paulo San
Martin Christian Lorenz und die übrigen Sänger der Band Rammstein auf alle Konzerte.
‚Flake’ – so der Spitzname von Christian Lorenz – ist Keyboarder bei Rammstein. Schon
früh spielte er Klavier. Die sechs Musiker, die aus dem früheren Ost-Berliner Bezirk
Prenzlauer Berg kommen, fanden nach der deutsch-deutschen Wiedervereinigung 1989
zusammen. 1994 hatten sie ihre ersten Auftritte. Paulo San Martin ist ihr persönlicher
Tournee- und Produktionsassistent. Er erzählt, wie er seine Arbeit sieht:

Paulo San Martin:


„Da macht man alles: also von Schuhe putzen bis persönlicher Sekretär. Es gibt so ’n
freundschaftliches Band. Andererseits sind das auch sehr ehrgeizige Künstler. Also, was
heißt Künstler? Ich würd’ sagen: Musiker, Rocker. Die sind sehr konsequent! Und damals
schon haben die vier, fünf Mal die Woche geprobt, hier in Berlin, da wohnten die auch
hier alle in der Ecke und hatten ’n kleinen Proberaum und haben geprobt nach der
Arbeit bis spät in die Nacht. Danach sind sie auch noch feiern gegangen – oder auch nicht.
Und dann am Wochenende sind die konsequent in jedes Pup-Dorf gefahren, ohne Geld,
und haben gespielt. Du hast gemerkt: Die wollen’s!“

Sprecherin:
Als Tournee- und Produktionsassistent hat Paulo San Martin ganz verschiedene Aufgaben.
Dazu gehören: Schuhe putzen, die Kostüme reparieren, bei einem Open Air Festival das
Gelände ausschildern, Wünsche erfüllen – wie ein persönlicher Sekretär. Nichts darf am
Abend fehlen. Die sechs Mitglieder der Band sind für Paulo San Martin wie Freunde. Er
erlebt sie als ehrgeizige Künstler, die sehr konsequent sind, die wissen, was sie wollen und
es auch durchführen. Und das war schon von Anfang an so: vier- bis fünfmal in der Woche
trafen sie sich zum Üben in einem eigenen Raum, einem Proberaum. In der Hauptstadt
wohnten sie alle in derselben Gegend, derselben Ecke. Um bekannt zu werden, traten sie in
jedem kleinen Dorf auf, jedem Pup-Dorf wie Paulo San Martin sagt. Der Begriff „Pups“
oder „Pup“ wird in der Umgangssprache in übertragener Bedeutung verwendet, um
auszudrücken, dass etwas unbedeutend ist. Mit den Jahren entwickelte sich die Band zu
dem, was sie heute ist. Und für Paulo San Martin bedeutet das:

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Paulo San Martin:


„Erstmal ist Rammstein ’ne Rockband. Aber andererseits sind das auch sechs starke
Persönlichkeiten, die alle ihre Sachen einbringen. Es ist nicht so: Da denkt sich einer
’ne Show aus und wir stellen sechs Leute dahin. Die arbeiten da schon sehr konsequent,
nicht nur mit den Effekten und dem Licht, was sie hervorragend machen, die Pyrotechnik,
wie sie die benutzen, sondern halt auch mit ihren Texten. Und, teils Sachen haben die selber
erlebt, teils sind es auch Ansichten, die sie selber haben, und teilweise sind es auch
Provokationen, die sie auch machen wollen.“

Sprecherin:
Paulo San Martin kennt die Bandmitglieder so gut, dass er weiß: Jeder von ihnen ist eine
starke Persönlichkeit, hat einen eigenen, starken Charakter. Außerdem hat jeder eigene
Ideen und Vorstellungen, er bringt – wie Paulo San Martin es formuliert – seine Sachen
ein. Sechs individuelle Künstler arbeiten an einer gemeinsamen Show. Und diese beinhaltet
nicht nur Show-Effekte wie Licht und Pyrotechnik, Feuerwerk, sondern auch besondere
Liedtexte. Paulo San Martin sagt, dass die Künstler von Dingen erzählen, die sie selbst
erlebt haben. Oder sie greifen Themen auf, mit denen sie die Zuhörer absichtlich
herausfordern, provozieren, wollen. Rammstein-Songtexte behandeln sogenannte Tabu-
Themen wie Muttermord, Inzest, Homosexualität und Tod. Dennoch ist Paulo San Martin
erstaunt:

Paulo San Martin:


„Mich fasziniert immer wieder, wie sie das Publikum erreichen. Und zwar mit ihrer
gesamten Show – weltweit! Und du sagst: ‚Aber ihr versteht doch gar nicht die Texte und ihr
singt mit!’ – ‚Doch, wir haben uns die Texte übersetzt!’ Und die Leute wissen, worum’s
geht.“

Sprecherin:
Trotz ihrer harten Musik und den provokanten Texten hat die Band Erfolg. Paulo San
Martin bewundert, wie sie beim Publikum ankommt, es erreicht. Er ist davon
fasziniert. Und falls Fans die deutschen Texte nicht verstehen, besorgen sie sich die
Übersetzungen – und singen mit. Die Band selbst erklärt ihre Texte nicht. Auch Paulo San
Martin ist der Meinung, dass man als Künstler nicht so viel erklären muss:

Paulo San Martin:


„Die Leute interpretieren ja eh, was sie brauchen an dem Lied. Und die Leute singen und
sind begeistert von dieser Band. Zehntausende im Madison Square Garden, New York
City, – dann denkst du, du bist ’on top’. Wie schaffen’s sechs Jungs aus’m Osten oder
Prenzlauer Berg dahin? Welche deutsche Band schafft es noch? Kraftwerk. Ganz früher
Scorpions. Auf dem Level weltweit gibt’s nur Rammstein!“

Sprecherin:
Rammsteins Texte bieten viel Raum für Interpretationen, sie lassen verschiedene
Deutungen zu. Und Paulo San Martin findet, dass die Zuhörer ja eh, sowieso, einen Text so
interpretieren, wie sie es wollen. Mit der Modalpartikel „eh“ drückt er aus, dass diese
Tatsache für ihn selbstverständlich ist. Rammstein gehört zu den erfolgreichsten deutschen
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Bands; besonders in den USA ist die Gruppe sehr bekannt. Und wenn sie in New York vor
Zehntausenden Fans in einer der berühmtesten Konzerthallen der Welt, dem Madison
Square Garden, spielt, dann weiß Paulo San Martin: Sie sind ganz oben an der Spitze
angelangt. Sie sind ‚on top’. Für Paulo San Martin gibt es nur zwei deutsche Bands, die ein
vergleichbares internationales Niveau, Level, haben: die Düsseldorfer Elektropop-Band
Kraftwerk und die Rockband Scorpions aus Hannover. Auf Konzerttouren zieht
Rammstein mit einer großen Anzahl von Technikern um die Welt. Vor Ort werden viele
weitere Helfer engagiert. Jeder weiß genau, was mit der gigantischen Bühne aus Stahl und
der sehr schweren Ausrüstung, zu der unter anderem Licht, Feuer und Kostüme gehören,
geschehen muss. Die Zusammenarbeit mit der Band beschreibt Paulo San Martin so:

Paulo San Martin:


„Ist ja eben auch immer ’ne Herausforderung, mit denen zu arbeiten, weil die geben sich ja
nicht zufrieden. An einer laufenden Show ändern die immer wieder Sachen und
verbessern, was zu verbessern geht – sei es von ’ner kleinen Glühlampe bis zum Lied. Oder
die ganze Set-Liste neu umzuschmeißen, was natürlich für die Kollegen hinter der
Bühne zum Haare raufen sein kann. Aber das machen die auch. Das ist ja die
Faszination. Denen macht das Spaß nach all ihrer Zeit. Ich glaube diese Energie fasziniert
die Leute auch. Die glauben auch denen das ab, wenn die auf der Bühne da stehen. Das ist
ja ’n echtes Spiel mit dem Feuer, und das macht denen ja Spaß! Und man kann sich
dabei auch verbrennen!“

Sprecherin:
Wenn Paulo San Martin mit Rammstein auf Tour ist, beobachtet er, wie die sechs Künstler
ständig an ihrer Show arbeiten. Immer wieder finden sie etwas, das sie noch verbessern
können. Sie geben sich nicht zufrieden. Manchmal ändern sie sogar kurz vor einem
Konzert die Reihenfolge der Lieder, wie sie in der Set-Liste steht – sie schmeißen die
Reihenfolge also einfach um. Die Techniker raufen sich dabei die Haare, sagt Paul San
Martin. Diese bildliche Redewendung wird verwendet, wenn man sich über irgendetwas
ärgert. Aber dieses spontane Verhalten macht laut Paulo San Martin eben auch die
Faszination und die Glaubwürdigkeit Rammsteins für die Fans aus. Sie nehmen ihnen das
Gesagte ab, glauben es ihnen. Allerdings würden sie auch mit dem Feuer spielen, ein
hohes Risiko eingehen, wenn sie die Show oft veränderten. Denn wie bei einem richtigen
Feuer könne man sich auch sprichwörtlich die Finger verbrennen. Bei so viel Risiko
kann eben auch mal etwas missglücken.

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Fragen zum Text

Die Freundschaft zwischen Paulo San Martin und dem Keyboarder ’Flake’
entstand …
1. beim gemeinsamen Klavierunterricht.
2. in der früheren DDR.
3. bereits in Chile.

Für die Techniker ist die Zusammenarbeit mit Rammstein schwierig, weil …
1. die sechs Bandmitglieder oft schlecht gelaunt sind.
2. sie sich an der Pyrotechnik verbrennen können.
3. die Band ihre Shows immer wieder ändern und verbessern will.

Paulo San Martin findet, dass …


1. jedes Bandmitglied eine eigene Persönlichkeit hat.
2. die Liedtexte für die Fans sehr schwierig sind.
3. die Fans es nicht mögen, wenn die Set-Liste umgeschmissen wird.

Arbeitsauftrag
Analysiere die Sprache von Paulo San Martin. Welchen Dialekt spricht er? Wie steht er zur
Gruppe? Ist er objektiv oder eher subjektiv in seinen Ansichten? Bringe Beispiele für deine
Meinung.

Autor/in: Peter Zimmermann; Antonia Dittmann


Redaktion: Beatrice Warken

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Harmonie auf dem Eis

Das deutsche Eiskunstlaufpaar Aljona Savchenko und Robin Szolkowy hat


schon sehr viele Meisterschaften gewonnen. Was steckt hinter dem Erfolg des
Paares aus Chemnitz? Und welches Ziel wollen die beiden noch erreichen?

Sprecher:
Sie gelten als Traumpaar auf dem Eis: die gebürtige Ukrainerin Aljona Savchenko und der
in der früheren DDR geborene Robin Szolkowy, dessen Mutter Deutsche und dessen Vater
Tansanier ist. 2003 war Aljona auf ihrer Suche nach einem neuen Eiskunstlaufpartner nach
Deutschland gekommen. Robin, der von Ingo Steuer trainiert wurde, suchte damals eine
neue Tanzpartnerin. Ingo Steuer brachte beide zusammen. Im November 2004 liefen Aljona
Savchenko und Robin Szolkowy zum ersten Mal gemeinsam auf dem Eis und gewannen
direkt die Deutsche Meisterschaft. Seitdem sind mehrere große Erfolge dazugekommen: je
vier gewonnene Welt- und Europameisterschaften, dazu die Bronzemedaille bei den
Olympischen Spielen 2010 im kanadischen Vancouver. Nach so vielen Jahren kennen beide
sich sehr gut, sagt Robin:

Robin Szolkowy:
„Wir laufen jetzt seit Jahren zusammen, und da weiß man einfach langsam, was der andere
macht, obwohl man ihn überhaupt nicht sieht. Man fühlt, was der andere fühlt. Und das
bringt natürlich viele, viele Vorteile mit sich. A) sieht es besser aus, und b) kann man sich
natürlich auch viel mehr auf den anderen verlassen. Und das, denke ich, ist auch
natürlich das, was uns sehr, sehr hilft und auch wirklich nach vorne bringt.“

Sprecher:
Aljona und Robin haben so viele Stunden gemeinsam auf dem Eis verbracht, dass sie den
anderen verstehen, wissen, was er vorhat, ohne ihn zu sehen. Jeder fühlt, wie Robin es
ausdrückt, was der andere fühlt. Dieses Gefühl, den anderen inzwischen, langsam, so gut
zu kennen, hat für Robin zwei Vorteile: Die Zuschauerinnen und Zuschauer sehen ein
harmonisch tanzendes Paar, und jeder vertraut dem anderen, verlässt sich auf ihn. Bei
der Aufzählung der beiden Punkte nutzt Robin die Formulierung „a)“ und „b)“, die
eigentlich aus der Schriftsprache kommt. In der Alltagssprache ist die Verwendung von
Buchstaben zur Aufzählung oft ebenso gebräuchlich wie die Verwendung von Zahlen. Nach
vorne gebracht hat sie ihr Trainer. Von ihm trennten sie sich auch nicht, als kurz vor den
Olympischen Spielen 2006 in Turin bekannt wurde, dass er als junger Sportler
Informationen an den früheren DDR-Staatssicherheitsdienst geliefert hatte. Und Ingo
Steuer sorgt dafür, dass sie weiter Erfolge feiern. Worin sieht er den Erfolg des Paares, und
was ist das nächste Ziel?

Ingo Steuer:
„Wir haben uns halt eben in den vielen Jahren jedes Jahr was Neues einfallen lassen, und
ich hab’ auch mit Absicht im letzten Jahr nicht das Letzte aus den Zweien rausgekitzelt,
sondern im Prinzip normalen ‚Basic‘ gemacht, um einfach noch mal ‘ne Schippe
draufzulegen für Sotschi.“

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Sprecher:
Ingo Steuer erzählt, dass er besonders in dem Vorbereitungsjahr auf die Olympischen
Winterspiele 2014 im russischen Sotschi ein normales Trainingsprogramm absolviert hat.
Er hat die Grundlagen trainiert, oder wie er es unter Verwendung des englischen Wortes
ausdrückt, er hat normales ‚Basic‘ gemacht. Er wollte nicht das Letzte aus beiden
rauskitzeln. Das Wort kitzeln bedeutet ursprünglich, dass man eine andere Person
absichtlich an einer Stelle am Körper berührt, an der sie sehr empfindlich ist. Sie wird so
lange „gekitzelt“, bis sie eine Reaktion zeigt, meistens ein Lachen. Wer im übertragenen
Sinn „etwas aus jemandem herauskitzelt“, bemüht sich darum, etwas Verborgenes zum
Vorschein zu bringen, jemandem Geheimnisse zu entlocken, aber auch jemanden über seine
Grenzen hinaus weiter voranzubringen. Trainer Ingo Steuer wollte das 2013 aber nicht. Es
sollte, wie er es redensartlich ausdrückt, die Möglichkeit geben, noch eine Schippe
draufzulegen. Die Redewendung kommt aus der Zeit der Dampflokomotiven. Wenn der
Heizer noch eine Schaufel, eine Schippe, Kohlen, drauflegte, bedeutete das, dass er die
Leistung des Heizkessels steigern wollte. Aljona und Robin sollten sich ausreichend auf
Olympia 2014 vorbereiten können. Die letzten Wettbewerbe waren für Aljona aus einem
besonderen Grund wichtig:

Aljona Savchenko:
„Man guckt, was man noch zu feilen hat, man fragt Preisrichter, da und da. Von da her,
wichtig für uns, das ist Olympia und dort, dass alles klappt.“

Sprecher:
Für Aljona zählt, dass bei den Olympischen Spielen alles nach ihren Vorstellungen
funktioniert, dass es klappt. Sie findet, dass andere Wettbewerbe eine Art Test dafür
waren, was sie und Robin noch verbessern müssten, woran sie zu feilen hätten. Der
Ausdruck geht zurück auf das Bild einer Metallfeile, mit der man eine raue Oberfläche
glätten kann. Verbesserungsvorschläge holt sich Aljona auch von Preisrichtern. Das ist
eine Jury, die unter anderem im Eiskunstlauf anhand eines international festgelegten
Wertungssystems Leistungen bewertet. Im Eiskunstlauf sind das etwa die technische
Schwierigkeit bestimmter Elemente – wie Sprünge und Würfe –, der Aufbau sowie die
Präsentation des Kurzprogramms und der sogenannten „Kür“. Bei der Kür können die
Eiskunstläufer – anders als beim Kurzprogramm, das bestimmte Elemente enthalten muss
– ganz frei entscheiden. Und dafür nehmen Aljona und Robin auch schon mal extra
Ballettunterricht. Ziel ist es, wie bei jedem Wettbewerb, zu gewinnen. Sowohl Ingo Steuer
als auch Robin sind da zuversichtlich:

Ingo Steuer / Robin Szolkowy:


„Wir müssen einfach unsere Sache machen, müssen sauber laufen. Und dann müssen
die anderen auch erst mal laufen. Es kocht jeder nur mit Wasser. / Wir trainieren, wir
stehen, wenn man so sagen kann, gut im Saft und wir können uns nur noch selber im
Weg stehen. Wir haben gezeigt, dass wir gute Leistungen abliefern können. Und das
werden wir hinbekommen. “

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Sprecher:
Robin fühlt sich ausreichend vorbereitet. Aljona und er stünden gut im Saft. Das ist eine
Metapher aus der Pflanzenwelt: Sind Bäume und Pflanzen jung und kräftig oder Wiesen
grün, dann stehen sie gut im Saft. Das Einzige, was laut Robin als Hindernis im Weg
stehen könne, wären sie selbst. Steht jemand sich selbst im Weg bedeutet das, dass
jemand aus Angst oder psychischem Druck sein Ziel nicht erreicht. Ingo Steuer ist allerdings
der Meinung, seine „Schützlinge“ sollten ihre Sache – oder auch ihr Ding – machen, also
das zeigen, was sie können. Und das möglichst präzise, sauber. Außerdem sollten sie daran
denken, dass die Konkurrenten ja in einer ähnlichen Situation seien. Jeder würde nur mit
Wasser kochen, hat also die gleichen Ausgangsbedingungen. Aljona Savchenko und
Robin Szolkowy können stolz auf sich sein: Aus einer Art „Zufallsbekanntschaft“ ist eines
der erfolgreichsten deutschen Eislaufpaare geworden.

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Fragen zum Text

Was stimmt? Beim Training für Olympia 2014 hat Ingo Steuer …
1. Höchstleistungen von Aljona und Robin verlangt.
2. sich die Möglichkeit offen gehalten, ihre Leistung noch steigern zu können.
3. jede Menge Neues in das Trainingsprogramm gebracht.

Eiskunstläufer müssen …
1. auf dem Eis möglichst harmonisch zusammen laufen.
2. Ballettunterricht nehmen, um erfolgreich zu werden.
3. bei der Kür festgelegte Sprünge und Würfe zeigen.

Was könnte einen Erfolg des Eiskunstlaufpaares verhindern? Wenn es …


1. an sich feilt.
2. das Letzte aus sich rauskitzelt.
3. sich immer selbst im Wege steht.

Arbeitsauftrag
In der deutschen Sprache finden sich viele Metaphern oder Redewendungen, die aus dem
Sport kommen. Beispiele hierfür sind etwa übers Ziel hinausschießen, in den Startlöchern
stehen oder jemandem den Wind aus den Segeln nehmen. Finde mindestens fünf weitere
Beispiele und bilde entsprechende Sätze.

Autor/in: Herbert Schalling; Beatrice Warken


Redaktion: Ingo Pickel

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Nachhilfeunterricht

Es ist ein Millionengeschäft in Deutschland: die „Nachhilfe“. Im


Einzelunterricht oder in der Gruppe, zu Hause, in einer privaten Schule oder
im Internet wird Schülern geholfen, das Klassenziel zu erreichen.

Sprecher:
Eine gute Ausbildung ist heutzutage wichtiger denn je, um später einmal bessere Aussichten
auf eine Arbeit zu haben. Eltern tun alles dafür, damit ihre Kinder die Schule erfolgreich
abschließen. Und wenn es mal nicht so gut läuft, wird eben „nachgeholfen“. Eine Studie, die
von der deutschen Bertelsmann-Stiftung in Auftrag gegeben wurde, stellte 2010 fest, dass
1,1 Millionen Schüler in Deutschland regelmäßig bezahlten Nachhilfeunterricht bekommen,
auch schon in der Grundschule. Paul, der in Dortmund die achte Klasse eines Gymnasiums
besucht, hatte als Grundschüler noch keine Probleme:

Paul:
„In der Grundschule war ich richtig gut, hatte eigentlich nur Einsen auf’m Zeugnis. Und
dann die erste Arbeit auf dem Gymnasium war dann so ein bisschen...“

Sprecher:
Paul war es gewohnt, fast nur die Bestnote „Eins“ auf seinem Zeugnis stehen zu haben. Er
hatte nur Einsen. Die erste Klassenarbeit, die er nach dem Wechsel aufs Gymnasium
schrieb, entsprach dann nicht mehr der gewohnten Benotung. Für Eltern steht in solchen
Fällen meist fest: Eine Nachhilfe muss her. Zu denjenigen, die Nachhilfeunterricht geben,
gehört Stefan. Der Mathematikstudent betreut seit mehr als zehn Jahren Schülerinnen und
Schüler. Er beobachtet, dass Schüler durch das sogenannte „G8“-System unter höherem
Leistungsdruck stehen. Bei G8 wird das Abitur nach acht Jahren auf dem Gymnasium
gemacht, anstatt, wie es in den westdeutschen Bundesländern vorher der Fall war, nach
neun Jahren:

Stefan:
„Insbesondere durch die G8ter habe ich das Gefühl, momentan nimmt jeder Nachhilfe. Es
kommt besonders in Mathe keiner mehr drum rum. Also, die Eltern suchen, die Eltern
sind angewiesen auf Zeitungsanzeigen, auf eBay-Kleinanzeigen. Jeder muss irgendwo
jemanden herbekommen, der Mathe einigermaßen erklären kann.“

Sprecher:
Der Bedarf an Nachhilfe ist groß, besonders in Mathematik. Schülern muss in dem Fach
geholfen werden, sie kommen nicht drum rum, weil Mathematik zu den sogenannten
Hauptfächern gehört. Dementsprechend gewachsen ist deshalb auch das Angebot. Institute
oder private Nachhilfelehrer werben in sogenannten Kleinanzeigen, das sind einspaltige
Anzeigen in der Zeitung, oder auf Internetplattformen wie eBay. Und wenn dann einmal ein
guter Nachhilfelehrer oder eine gute Nachhilfelehrerin gefunden ist, sind Eltern häufig
bereit, den Zusatzunterricht über mehrere Schuljahre hinweg zu bezahlen. Stefan nennt ein
Beispiel:

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Stefan:
„Die letzte Nachhilfe, die ich jetzt im Sommer aufgegeben habe aus Zeitgründen einfach,
hatte ich sechs Jahre dann, von der 5. bis zur 11. Die ist aber einmal sitzengeblieben.“

Sprecher:
Die Schülerin beziehungsweise der Schülerin, die zu Stefan kam, nahm sechs Jahre
Nachhilfe, wobei ein Schuljahr wiederholt wurde. Sie beziehungsweise er war
sitzengeblieben. Weil der Student sich mehr seinem Studium widmen wollte und weniger
Zeit hatte, gab er diesen Nachhilfeunterricht auf. Nachhilfe zu geben bietet nicht nur
Studenten, sondern beispielsweise auch pensionierten Lehrern die Möglichkeit, Geld
nebenbei zu verdienen. Stefan verlangte in der Regel zehn Euro die Stunde – ein
Freundschaftspreis, da er alle bisherigen Schüler persönlich kannte. Preise von 25 oder 35
Euro die Stunde sind aber auch möglich. Der Bildungsforscher Klaus Klemm schätzt, dass in
Deutschland etwa eine bis anderthalb Milliarden Euro jährlich in Nachhilfeunterricht
investiert werden. Er steht dem sogenannten „grauen Unterricht“, also Unterricht, der
privat, neben der Schule erteilt wird, kritisch gegenüber. Und das hat seinen Grund:

Klaus Klemm:
„Wenn ich auf das System gucke, dann ist es natürlich irgendwo auch ein Versagen des
Gesamtsystems, wenn Eltern zusätzlich Geld in die Hand nehmen müssen und Kinder
und Schüler und Jugendliche zusätzlich Zeit, um das zu erreichen, was eigentlich die Schule
erreichen sollte. Also, dass wir ein System haben, in dem die Frage, ob ich denn am Ende
meine Noten so verbessern kann, dass ich nicht sitzenbleibe oder dass ich eine
Übergangsempfehlung, die ich haben möchte, bekomme, wenn das davon abhängt, ob
die Elternhäuser finanzstark genug sind, das zu finanzieren, dann ist das hart an der
Grenze der Verfassungsgemäßheit.“

Sprecher:
Klaus Klemm findet, dass Nachhilfeunterricht eigentlich nicht notwendig wäre, wenn die
Schule das leisten würde, was ihre Aufgabe ist: Kindern und Jugendlichen den Lernstoff so
zu vermitteln, dass sie alles verstehen. Das System habe hier nicht funktioniert, es habe
versagt. Außerdem sieht Klaus Klemm ein weiteres Problem: Eltern müssten für Nachhilfe
bezahlen, sie müssten Geld in die Hand nehmen, damit beispielsweise schon
Grundschüler eine bestimmte Empfehlung zum Übergang auf eine weiterführende
Schule erhalten. Diese, auch Lehrerempfehlung genannte, schriftliche Stellungname der
Grundschule ist in einigen deutschen Bundesländern für den Besuch eines Gymnasiums
oder einer Realschule verpflichtend. In anderen Bundesländern dient sie Eltern und der
aufnehmenden Schule lediglich als Hilfestellung, um die Leistung der Schülerin oder des
Schülers beurteilen zu können. Wenn allerdings nur die Kinder Nachhilfe bekommen
können, deren Eltern sich das auch leisten könnten, die finanzstark genug sind, ist das
für Klaus Klemm beinahe ein Verstoß gegen das deutsche Grundgesetz. Es ist, wie er es
ausdrückt, hart an der Grenze der Verfassungsgemäßheit. So verbietet Artikel 3 des
Grundgesetzes unter anderem Menschen beim Erwerb von Bildung zu benachteiligen oder
zu bevorzugen. Was genau könnte im deutschen Bildungssystem nach Meinung von Klaus
Klemm also verbessert werden?

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Klaus Klemm:
„Es gibt die Aufforderung an das Bildungssystem insgesamt, die Unterstützungen, die
Schüler und Schülerinnen benötigen, um die schulischen Leistungen zu erbringen, stärker
im System selbst anzubieten – also Förderunterricht in der Schule. Es wird ja sehr stark
drauf gesetzt, dass die Ganztagsschule da dann in der nachmittäglichen Betreuung –
Hausaufgabenbetreuung und so weiter– vor allen den Kindern, die das nicht zu Hause
erreichen können, hilft. Bisher haben wir allerdings keine Befunde, die das bestätigen.“

Sprecher:
Der Bildungsexperte meint, dass Schulen über den normalen Unterricht hinaus
sogenannten Förderunterricht erteilen sollten. Schülerinnen und Schüler, die in
bestimmten Fächern Probleme haben, bekommen von den Lehrern dann nach Schulschluss
am Nachmittag zusätzliche Hilfe. Die verantwortlichen Bildungspolitiker, so Klaus Klemm,
würden darauf hoffen, darauf setzen, dass die Ganztagsschule das leisten könne.
Ganztagsschulen bieten, wie der Name sagt, Unterricht oder andere Angebote bis in den
Nachmittag an. Diese werden von der Schule oder in Zusammenarbeit mit der Schule
organisiert. Keinen Beweis gibt es laut Klaus Klemm jedoch dafür, dass die Ganztagsschule
so wie sie bisher existiert, den Schüler hilft. Der Bildungsforscher verwendet in diesem
Zusammenhang das eher in der Medizinsprache gebräuchliche Wort „Befund“. Erhält ein
Patient einen Befund, bekommt er das Ergebnis einer medizinischen Untersuchung
mitgeteilt. Hat Paul der zusätzliche Mathematikunterricht geholfen?

Paul:
„Mal so, mal so. Mal schlechte Noten, dann mal wieder ‘ne gute, also ja und nein.“

Sprecher:
Pauls Mathe-Zensuren haben sich nicht wesentlich verbessert. Nach eineinhalb Jahren
hörte er mit der Nachhilfe auf. Seine Eltern fanden jahrelangen Zusatzunterricht
übertrieben. Wer Nachhilfeunterricht nimmt, hat also keine Garantie, dass sich seine
Schulnoten wirklich verbessern.

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Fragen zum Text

Was wollte Paul sagen? „Die erste Arbeit auf dem Gymnasium war …“
1. nicht so gut.“
2. ein voller Erfolg.“
3. fehlerfrei.“

Welche Einstellung hat Klaus Klemm? …


1. Eltern sollten ihren Kindern Nachhilfeunterricht finanzieren.
2. In der Schule sollte genug Zeit sein, auch auf lernschwächere Kinder einzugehen.
3. Unterricht in Ganztagsschulen macht eine Nachhilfe überflüssig.

Was stimmt nicht? Stefan …


1. hat manche Nachhilfeschüler mangels Zeit nicht weiter betreut.
2. verlangt pro Nachhilfestunde mehr als 30 Euro.
3. sieht zusätzlichen Stress für die Schüler wegen der verkürzten Schulzeit.

Arbeitsauftrag
Hört euch die Aussagen von Paul, Stefan und Klaus Klemm noch einmal an. Welche
Einstellung hat jeder der drei zum Thema „Nachhilfe“. Achtet nicht nur auf die Worte,
sondern auch auf den Tonfall. Diskutiert anschließend in eurer Lerngruppe über die
Aussagen Klaus Klemms? Findet ihr seine Einstellung richtig? Wie steht ihr zum Thema
„Nachhilfe“?

Autorinnen: Sola Hülsewig; Beatrice Warken


Redaktion: Ingo Pickel

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Das Bachhaus

Es zieht jährlich etwa 60.000 Besucher an, das Bachhaus in Eisenach. In ihm
kann man sich über den großen deutschen Musiker Johann Sebastian Bach
informieren. Nur wer dort sein Geburtshaus erwartet, hat sich getäuscht.

Sprecher:
Die thüringische Stadt Eisenach gehört zu den deutschen Städten, die historisch bedeutsam
sind. Sie hat auch eine berühmte Persönlichkeit, die hier geboren wurde, einen sogenannten
„Sohn der Stadt“. Die Rede ist von Johann Sebastian Bach. Der Musiker, Komponist und
Kantor – der Leiter und Organist, Orgelspieler, eines Kirchenchors – wurde 1685 in
Eisenach geboren. Dort verbrachte er seine ersten zehn Lebensjahre. Nachdem zunächst
seine Mutter und später auch sein Vater starben, zog er zu seinem ältesten Bruder Johann
Christoph in die Nähe der thüringischen Stadt Gotha. Bis zu seinem Tod im Sommer 1750 in
Leipzig wirkte Johann Sebastian Bach in mehreren anderen Städten. Mehr als 150 Jahre
später, im Jahr 1906, kaufte der Verein „Neue Bachgesellschaft“ in Eisenach das vor dem
Abriss stehende Haus „Frauenplan Nr. 21“. In dem mutmaßlichen Geburtshaus wurde ein
Museum zu Ehren des großen Musikers eingerichtet und 1907 eröffnet. Jahre später stellte
sich aber, wie der heutige Museumsdirektor Jörg Hansen erzählt, etwas Überraschendes
heraus:

Jörg Hansen:
„Das Kuriose ist, 20 Jahre nach der Eröffnung hat man durch Steuerakten
herausgefunden, dass das Haus, in dem Bach geboren ist, leider schon abgerissen ist. Es
stand 100 Meter weiter. Man konnte damals nicht umziehen. Man hat dann die Tatsache
lange geleugnet, aber 100 Meter weiter ist schon ganz gut getroffen.“

Sprecher:
Erst 1928 stellte sich heraus, dass es sich bei dem von der „Neuen Bachgesellschaft“
erworbenen Gebäude gar nicht um das eigentliche Bach’sche Geburtshaus handelt. Jörg
Hansen bezeichnet es als merkwürdig, kurios, dass dies erst so viele Jahre nach dem
Erwerb durch alte Steuerakten herauskam. Damals hatte ein Hobbyhistoriker, der sich
mit Bachs Leben beschäftigte, nämlich durch alte Steuerbelege herausgefunden, dass Bachs
Vater Ambrosius 1674 ein anderes Haus gekauft hatte, für das er bis zu seinem Tod 1695
Steuern zahlte. Und dieses stand etwa 100 Meter von dem lange als Geburtshaus
angesehenen Gebäude „Frauenplan 21“ entfernt. Diese Entfernung bezeichnet Jörg Hansen
als ziemlich genau, ganz gut getroffen. Hätte es noch existiert, hätte man mit dem
Museum umziehen können. Das vermeintliche Geburtshaus gehörte einem Schulrektor, der
es vermietet hatte, unter anderem an Mitglieder der weitverzweigten Bach-Familie. Auch
wenn Johann Sebastian Bach nie in dem Haus aus dem 15. Jahrhundert gelebt hat, stört das
die Besucher nicht, wie Museumspädagoge und Instrumentenwart Uwe Fischer sagt:

Uwe Fischer:
„Für viele Besucher ist es natürlich ganz wichtig, über die Schwelle zu treten, über die schon
Johann Sebastian Bach gelaufen ist.“

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Sprecher:
Für die Besucherinnen und Besucher des Bachhauses ist die Vorstellung wichtig, wie der
berühmte Musiker das Haus über diese Türschwelle betreten haben könnte. Das Museum,
das sich heute über mehrere weitere Gebäude erstreckt, beherbergt etwa 250 Original-
Ausstellungsstücke. Liebevoll wurden zahlreiche Gegenstände, Schriften, Noten und
natürlich Musikinstrumente von einer Trompetengeige bis hin zur Glasharmonika
zusammengetragen. Räume, in denen Bach gearbeitet, gewohnt und geschlafen hat, sind so
nachgebildet, wie sie in seinem tatsächlichen Wohnhaus ausgesehen haben. Und im
Instrumentensaal des Museums kann der Besucher originale Instrumente des 18.
Jahrhunderts sehen. Dazu gehört auch Bachs Lieblingsinstrument, wie Uwe Fischer erklärt:

Uwe Fischer:
„Ja, Bachs Lieblingsinstrument, das Clavichord spielte er am liebsten, er hielt es für das
beste Instrument zum Studieren sowie zur musikalischen Privatunterhaltung. Also ein
nachbarfreundliches Instrument, das ist das Clavichord, reisetauglich, das Keyboard
der Barockzeit, 10 cm hoch, wiegt 15 Kilogramm, das konnte und hat Bach auf Reisen
mitgenommen.“

Sprecher:
Ein Instrument der Barockzeit, einer Kulturepoche in Europa, die etwa bis 1770 dauerte,
war das Clavichord. Das Tasteninstrument konnte fünf Oktaven und mehr haben, also
eine Einteilung von acht Tonstufen einer Tonleiter. Sein Klang ist sehr fein, hell und nicht
sehr laut; es ist – wie Uwe Fischer sagt – nachbarschaftsfreundlich, weil es die
Nachbarn nicht stört. Uwe Fischer bezeichnet Bachs Clavichord als Keyboard der
Barockzeit. Es hatte – wie manches moderne Keyboard – viele praktische Vorteile. So war
es nicht sehr groß und schwer und konnte deshalb leicht auf Reisen mitgenommen werden.
Es war reisetauglich. Weil Clavichords preiswerter als andere Tasteninstrumente waren,
wurden sie gerne zum Üben eingesetzt. Besonders im 17. und 18. Jahrhundert wurde das
Clavichord nicht nur zuhause, sondern auch bei gesellschaftlichen Empfängen gerne
gespielt, es diente der Privatunterhaltung. Das trifft auch auf das Instrument zu, das das
Bachhaus im Jahr 2010 kaufte: eine thüringische Barockorgel aus dem 17. Jahrhundert. Das
seltene Stück hatte Museumsdirektor Jörg Hansen beim Surfen im Internet bei einem
Auktionshaus entdeckt, wo es versteigert werden sollte. Und die Orgel hatte eine
interessante Geschichte, wie er erzählt:

Jörg Hansen:
„Sie ist gebaut worden um 1650, und sie ist dann 1816 verkauft worden an das Weimarer
Zuchthaus als Zuchthausorgel. Der Zuchthausdirektor hatte damals Geld von den
Häftlingen gesammelt, jeder hat zum Wenigsten zwei Groschen hinzugeben, so dass sich
also das Zuchthaus diese Orgel leisten konnte, die dann dort stand bis zum Ende des 19.
Jahrhunderts, und dann wurde sie verkauft an einen Privatmann.“

Sprecher:
Keiner hätte es vermutet: die Orgel hatte in einem Gefängnis, einem Zuchthaus,
gestanden. Der Gefängnisdirektor hatte eine Sammlung unter den Häftlingen gestartet.
Mindestens zwei Groschen sollte jeder geben. Neben dem Taler und dem Pfennig zählte
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der Groschen zu den verschiedenen Münzen, die es früher gab. Für die damalige Zeit war
das, was die Häftlinge zahlen sollten, kein geringer Betrag. Bevor die tragbare Orgel, das
sogenannte Orgelpositiv, an das Gefängnis verkauft wurde, stand sie in einer Kirche. Nicht
überliefert ist, ob sie auch von Johann Sebastian Bach gespielt wurde. Dieser arbeitete auch
als Kirchen- und Hoforganist, als Hofkapellmeister und schließlich als Thomas-Kantor, also
als künstlerischer Leiter des Thomanerchors, eines Knabenchors in Leipzig. Er war, wie
man im Bachhaus erfährt, ein gläubiger Mensch, aber kein Heiliger. So prügelte er sich
schon mal mit einem seiner Schüler oder landete im Weimarer Gefängnis, weil er sich
seinem Dienstherrn gegenüber widerspenstig verhielt. Johann Sebastian Bach hinterließ der
Nachwelt ein Werk von unerschöpflicher Größe. Seine Choräle, Orgelwerke und allen voran
die Matthäuspassion erfreuen sich bis heute weltweit großer Beliebtheit. Für die Besucher
des Bachhauses zählt nur eins, wie Jörg Hansen feststellt:

Jörg Hansen:
„Die Musik ist es, die die Leute hierherbringt. Keiner würde auf den Gedanken kommen,
einen Komponisten zu besuchen, in seinem Geburtshaus oder das, was man dafür hält,
wenn man nicht die Musik lieben würde.“

Arbeitsauftrag
Spielt ein „Johann Sebastian Bach-Quiz“. Verwendet hierfür Informationen aus dieser
Alltagsdeutsch-Folge sowie aus dem Internet. Bildet in eurer Lerngruppe anschließend zwei
Gruppen. Jede Gruppe formuliert zehn Fragen zum Leben des Musikers, Komponisten und
Kantors. Lost aus, welche Gruppe mit der Fragestellung beginnt. Gewonnen hat am Ende
die Gruppe, die die meisten Fragen beantworten konnte.

Autorinnen: Suzanne Cords; Beatrice Warken


Redaktion: Ingo Pickel

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Landflucht

In ländlichen Regionen sinkt die Einwohnerzahl – mit entsprechenden


Konsequenzen für die verbliebenen Bewohner. Wissenschaftler suchen nach
Konzepten, um die Nahversorgung sowie die Infrastruktur zu verbessern.

Sprecher:
Eineinhalb Stunden für 16 Kilometer. Das ist in ländlichen Regionen Deutschlands nichts
Ungewöhnliches – zumindest dann, wenn man mit öffentlichen Verkehrsmitteln wie Bahn
oder Bus unterwegs ist. Rolf Becker, Professor an der Hochschule Rhein-Waal in
Nordrhein-Westfalen, braucht diese Zeit für die 16 Kilometer, um zum Campus in Kleve zu
fahren. Rolf Becker gehört noch nicht zu denjenigen, die „Landflucht“ begehen, also ihren
Wohnort verlassen und in die Großstadt ziehen. Das Problem veranlasste im Herbst 2013
das privatfinanzierte „Berlin-Institut für Bevölkerung“, eine Studie zu den Gründen und
Folgen von „Landflucht“ zu erstellen. Dabei stellte sich unter anderem heraus, dass eine der
wichtigsten Ursachen die sinkende Geburtenrate ist, so dass der Wegzug vom Land nicht
ausgeglichen werden kann. Und das hat Folgen für die Infrastruktur – wie Institutsdirektor
Reiner Klingholz erklärt:

Reiner Klingholz:
„Weil weniger Leute da sind, schließen ja die Postämter, die Bankfilialen, der Bus fährt nicht
mehr, die Ämter machen dicht, der Arzt ist nicht mehr da und so weiter. Und aufgrund
der schlechter werdenden Infrastruktur, gerade wenn Schulen schließen, werden junge
Leute mit Kindern, also Familien, verstärkt in die Zentren getrieben.“

Sprecher:
Eine Folge der geringen Einwohnerzahlen ist, dass viele Leistungen nicht mehr angeboten
werden. Gab es früher in stadtnahen Orten noch Postämter, machte die Deutsche Post sie
nach und nach dicht, schloss sie. Sie waren nicht mehr rentabel, lohnten sich nicht. Wenn
dann auch noch Schulen schließen, Kinder einen weiten Schulweg in die nächstgrößere
Stadt haben, ist der ländliche Raum für viele Familien mit Kindern nicht mehr attraktiv. Sie
ziehen vermehrt dahin, wo die Infrastruktur vorhanden ist, sie werden in die Zentren
getrieben. Die Untersuchung des Instituts ergab zudem, dass junge Leute zum Studium
direkt in die Städte ziehen und nach dessen Ende meist auch dort wohnen bleiben. In
der Studie fordert das Berlin-Institut Konzepte, die an die künftige demografische
Entwicklung in Deutschland angepasst sind. An der Hochschule Rhein-Waal wurde dieser
Vorschlag aufgegriffen. Im Rahmen eines Forschungsprojekts wird ein Konzept erarbeitet.
Zum Modellprojekt wählten die Wissenschaftler und Studierenden unterschiedlicher
Fachrichtungen Grieth, den Ort, an dem Hochschulprofessor Rolf Becker und seine Familie
wohnen. Die frühere Hansestadt Grieth, die inzwischen zur Stadt Kalkar gehört, hat nur
noch etwa 1000 Bewohner. Ziel des Forschungsprojekts „Smart Villages“ ist es, Lösungen zu
entwickeln, wie das Leben auf dem Land in Zukunft aussehen könnte. Unterteilt ist das
Gesamtprojekt in drei Teilprojekte – mit den entsprechenden Arbeitsschwerpunkten, wie
Rolf Becker erläutert:

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Rolf Becker:
„Also, erst mal gucken, was gibt’s hier vor Ort, was gibt es nicht vor Ort? Was wünscht sich
die Bevölkerung? Wo ist die Not am größten? Zweiter Arbeitsschwerpunkt ist
Nahversorgung, also zum Beispiel ein Dorfladen, aber es gibt natürlich auch andere
Konzepte. Und der dritte Punkt ist Mobilität.“

Sprecher:
Zu Beginn machen die Wissenschaftler und Studierenden – wie in einem Unternehmen –
eine Bestandsaufnahme. Dabei interessiert sie unter anderem auch, was den Bewohnern
sehr stark fehlt, wo die Not am größten ist. Zweiter Bestandteil des Projekts ist die Frage,
wie sich die Bewohner mit lebensnotwendigen Gütern versorgen können, wie die
Nahversorgung aussehen könnte. Wäre hier etwa ein Dorfladen sinnvoll oder
beispielsweise ein Lebensmittelfahrzeug, das an festgelegten Tagen kommt? Der dritte
Arbeitsschwerpunkt ist die Frage, wie beweglich, mobil, die Bewohner sind, ob sie
beispielsweise Autos besitzen oder auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen sind.
Interessant war auch die Frage, wie das Zusammenleben mit Blick auf die Zukunft gestaltet
werden kann. Das Stichwort lautet „Bürgergenossenschaft“. Rolf Becker erklärt, was das
beinhaltet:

Rolf Becker:
„Da geht‘s ja darum, dass jüngere Menschen älteren helfen oder ältere sich untereinander
helfen und man als Währung sozusagen für diese Hilfe so ‘n Arbeitszeitkonto aufbaut.
Also, zum Beispiel ein älterer Mensch, der noch mit seinem Auto fahren kann, könnte einem
anderen beim Einkaufen helfen und der, dem beim Einkaufen geholfen wird, mäht dafür
den Rasen.

Sprecher:
Das Genossenschaftsmodell existiert in Deutschland schon seit dem Mittelalter. Hier
betreiben Menschen, die ein wirtschaftliches, kulturelles oder soziales Ziel verfolgen,
gemeinschaftlich ein Unternehmen. Jeder kann einer Genossenschaft beitreten. Ziel einer
Bürgergenossenschaft in Grieth wäre, dass die Bewohner sich gegenseitig helfen. Für die
jeweiligen Leistungen, die erbracht würden, würde kein Geld bezahlt. Als Währung, also
als eine Art Bezahlung, würden die geleisteten Arbeitsstunden gelten. Sie würden in
sogenannten Arbeitszeitkonten erfasst. Dieses Modell ist bereits in vielen deutschen
Behörden und Unternehmen üblich. Zu viel beziehungsweise zu wenig geleistete
Arbeitsstunden werden in einem Arbeitszeitkonto erfasst. Bei einer „Bürgergenossenschaft“
würde der Ausgleich des Kontos auch auf eine besondere Art und Weise erfolgen, wie Rolf
Becker erläutert:

Rolf Becker:
„Es ist eigentlich auch generationsübergreifend gedacht, dass jüngere Menschen also
älteren helfen, dass sie dieser Genossenschaft beitreten, dann in dieser Hilfe so ‘n
Arbeitszeitkonto aufbauen. Und wenn sie dann selber später bedürftig sind, dieses
Arbeitszeitkonto sozusagen aufzehren können und damit Dienstleistungen bezahlen
können innerhalb dieser Genossenschaft, die sie dann selbst benötigen.“

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Sprecher:
Das Besondere des Bürgergenossenschaftsmodells wäre, dass sich nicht nur Angehörige
einer Generation untereinander helfen, sondern dass jüngere für ältere Menschen da wären.
Es wäre eine generationsübergreifende Hilfe. Die jüngeren könnten dann viele
Plusstunden auf ihrem Arbeitszeitkonto sammeln. Und wenn sie selbst einmal alt und auf
Hilfe angewiesen, bedürftig, wären, könnten sie diese Plusstunden aufzehren, sie wie
etwas Essbares aufbrauchen. Professor Rolf Becker, der selbst gerne auf dem Land wohnt,
findet, dass man für alle Überlegungen offen sein soll. Seinen Wohnort sieht er als Projekt,
das Vorbildcharakter haben soll.

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Unter folgendem Link findet ihr die Studie des Berlin-Instituts: http://bit.ly/KkvFZF. Lest
euch das Vorwort zu der Studie durch (Seiten 4 bis 5). Erstellt anschließend eine
Zusammenfassung. Beantwortet dabei auch folgende Fragen:

1. Welche Bedeutung hat das Leben auf dem Land früher und heute?
2. Welche Meinung vertreten die Autoren des Vorworts zur Zukunft des Landlebens – in
Deutschland und in anderen Staaten?
3. Welche Lösungsmöglichkeiten schlagen die Autoren vor, um das Leben auf dem Land
attraktiv zu gestalten?

Autor/in: Christian Ignatzi; Beatrice Warken


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Eichen in der Kühlkammer

Wie wirkt sich der weltweite Klimawandel auf bestimmte Baumarten wie die
Eiche aus? Dieser Frage gehen Forscher am Helmholtz-Zentrum für
Umweltforschung in Halle nach. Dabei greifen sie auch zu besonderen
Methoden.

Sprecherin:
Mitten im Wald scheint die Zeit stillzustehen. Unverwüstlich, durch nichts zu zerstören,
wirken auch die gewaltigen Eichen. Aber ihnen schaden – wie anderen Bäumen auch – die
Klimaveränderungen. Der weltweite Anstieg der Durchschnittstemperaturen, der
Klimawandel, macht der Natur zu schaffen. Am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung
in Halle an der Saale, dem UFZ, untersuchen Wissenschaftler unter anderem, wie sich der
Klimawandel auf deutsche Wälder auswirkt und auswirken wird. Eine Entwicklung ist jetzt
schon deutlich zu sehen, sagt Stefan Klotz, Biologe und Bereichsleiter am UFZ:

Stefan Klotz:
„Ein Problem, welches wir heute schon erkennen und wo die Forstleute immer wieder
darauf hinweisen, ist, dass wir zu Wachstumsphasen ausgeprägte Trockenphasen
bekommen, so dass viele Baumarten unter Trockenstress geraten und da zum Beispiel
anfälliger für die verschiedenen Schadinsekten sind.“

Sprecherin:
Stefan Klotz stellt fest, dass es in der Zeit, in der die Bäume eigentlich wachsen, den
Wachstumsphasen, inzwischen häufiger sehr stark ausgebildete, ausgeprägte, Phasen
der Trockenheit gibt. Manche Baumarten können das gut vertragen, manche überhaupt
nicht. Diese geraten, wie es Stefan Klotz formuliert, in einen Trockenstress. Eine
Auswirkung ist dann beispielsweise, dass sie ein leichtes Ziel für Schadinsekten sind. Zu
diesen Schädlingen gehören etwa Borkenkäfer oder Eichenwickler. Die einen bohren sich in
die Rinde eines Baumes, legen dort ihre Eier ab, die Larven ernähren sich vom
„Bastgewebe“ der Rinde, der sogenannten Lebensader eines Baumes. In der Regel stirbt der
Baum dann ab. Bei den Eichenwicklern, einer Schmetterlingsart, die überwiegend Eichen
befällt, fressen die Raupen die jungen Blätter ab. Hier erholen sich die Bäume in der Regel
wieder. Die Wissenschaftler in Halle versuchen mit ungewöhnlichen Methoden
herauszufinden, warum manche Bäume krank werden. Auch Sylvie Herrmann, die der
Forschung wegen vor Jahren von Frankreich nach Deutschland gezogen ist, beschäftigt sich
mit dem Thema. In ihrem Labor steht ein Kühlschrank neben dem anderen. Der Inhalt
überrascht:

Sylvie Herrmann:
„Ganz normale Weckgläser für Marmelade oder Birnen oder Äpfel – und anstatt dessen
sind kleine Eichen drin. Die sind drei, vier Zentimeter groß, haben schöne, grüne Blätter
und haben in der ersten Phase keine Wurzeln. Und erst dann, wenn sie schön groß
gewachsen sind, werden wir sie versetzen auf ein anderes Medium. Das ist schwarz,
Aktivkohle, das induziert dann die Wurzelbildung. Und erst ab dem Moment haben wir
eine vollständige Pflanze, die auch für unsere Versuche geeignet ist.“
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Sprecherin:
In den Kühlschränken stehen zahlreiche Weckgläser. Diese Glasbehälter verdanken ihren
Namen dem Unternehmer Johann Carl Weck. Er entwickelte Ende des 19. Jahrhunderts
eine Möglichkeit, Nahrungsmittel durch luftdichtes Verschließen in einem Glas haltbar zu
machen. Sylvie Herrmann erklärt, dass sie in diesen Weckgläsern kleine Eichen bis kurz vor
ihrer Wurzelbildung züchtet. Wenn sie eine bestimmte Größe haben, werden sie dann auf
Aktivkohle gesetzt. Diese besteht aus feinkörnigem Kohlenstoff, der durch einen
chemischen Prozess etwa aus Braunkohle hergestellt wird. Durch Stoffe, die in der
Aktivkohle enthalten sind, wird die Wurzelbildung ausgelöst. Sie wird induziert. Die Kohle
ist somit eine Art Hilfsmittel, ein Medium. In einer Klimakammer werden diese
gezüchteten Eichen später verschiedenen Temperaturen ausgesetzt, um zu sehen, wie sie
reagieren. So wird zum Beispiel ein ungewöhnlich kalter oder ein sehr trockener Sommer
simuliert, vorgetäuscht. Die Pflanzen reagieren „gestresst“, die Blätter verfärben sich viel zu
früh. Die Wissenschaftler gehen unter anderem der Frage nach, welche Gene aktiv sind,
wenn Bäume unter Kälte- oder Trockenstress leiden, und warum Schädlinge solche Bäume
leicht befallen können. Parallel zu den Forschungen im Labor wurde aber auch beobachtet,
wie sich die Bäume in der Natur entwickeln, sagt Stefan Klotz:

Stefan Klotz:
„Wir haben also geschaut bei Arten, wie ist das aktuelle Verbreitungsgebiet. Vom
aktuellen Verbreitungsgebiet hat man natürlich die aktuellen Klimabedingungen. Und
haben dann geschaut – wenn die Klimabedingungen sich ändern –, in welchen Bereichen
des Areals bekommt die Art Probleme und verschwindet, oder kann sie neue Gebiete
erreichen, wo dann das Klima zuträglich wäre?“

Sprecherin:
Untersucht wurde, welche Baumarten wo vorkommen, verbreitet sind, und welches Klima
herrscht. Anschließend überlegten die Wissenschaftler, wie sich diese Arten verhalten, wenn
sich die klimatischen Bedingungen in einem Gebiet, einem Areal, langsam ändern. Die
Frage war, ob sie dann völlig verschwinden oder sich neue Gebiete suchen, in denen sie
bessere klimatische Voraussetzungen haben, wo ihnen das Klima zuträglich ist. Nach den
bisherigen Erkenntnissen gehen die Wissenschaftler davon aus, dass Eichen in Deutschland
nicht aussterben werden. Allerdings ist es wahrscheinlich, dass in Zukunft vermehrt Arten
wachsen, die sonst eher in warmen Ländern verbreitet sind, wie etwa die Flaum-, die
Trauben- oder die Steineiche. Wissenschaftler wie Stefan Klotz glauben, dass sich die
Zusammensetzung unserer Wälder verändern wird. Diese Veränderung, der sogenannte
Turnover, kann sogar, wie Stefan Klotz sagt, extreme Ausmaße haben:

Stefan Klotz:
„Turnover ist die Betrachtung sowohl der Artenverluste als auch der Artenzugewinne, und
das kann natürlich in den krassesten Szenarien ohne Weiteres im Bereich bis zu 50
Prozent des Artenwechsels bis 2080 sein.“

Sprecherin:
Baumarten werden aussterben, neue hinzukommen. Es wird einen Artenwechsel geben.
Laut Stefan Klotz ist das allergrößte Ausmaß, das krasseste Szenarium, dass bis zum
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Jahr 2080 die Hälfte aller Arten nicht mehr existiert und durch neue ersetzt sein wird – ein
Szenarium, das man sich heute noch nicht recht vorstellen kann.

Autorinnen: Claudia Ruby; Beatrice Warken


Redaktion: Stephanie Schmaus

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Recherchiert in eurer Lerngruppe, welche Eigenschaften die Eiche hat. Vor allem in
vergangenen Jahrhunderten hatte sie einen hohen Symbolwert für die Menschen in
Deutschland. In der Zeit des Nationalsozialismus wurde sie missbraucht. Auch heute noch
findet man sie als Symbol. Nennt Beispiele aus Literatur, Musik und Münzkunde. Welche
Pflanze hat einen ähnlichen Symbolwert in eurem Land und warum?

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Fahrradschnellwege

In Deutschland sind sie noch nicht sehr verbreitet: Radschnellwege. Das


könnte sich ändern. Für Berufspendler wären sie eine umweltfreundliche,
nervenschonende und kostengünstige Alternative zum Auto.

Sprecher:
Dänen kennen sie, Belgier, Schweizer und Niederländer auch: Fahrradschnellwege. Sie sind
wie Radwege extra gekennzeichnet und ermöglichen ein schnelles Vorankommen – in der
Regel ohne Ampeln. Im Vergleich zu Autofahrern sind Radfahrer zwar heute schon
schneller, denn während Autofahrer auf dem Weg zur Arbeitsstelle den täglichen Stau fest
einplanen müssen, fahren Radfahrer an den stehenden Fahrzeugen vorbei. Mit
Radschnellwegen wären sie aber noch schneller. Reine Fahrradstraßen wie in den
erwähnten Nachbarstaaten findet man in Deutschland allerdings kaum. Bettina Cibulski,
ehemalige Pressesprecherin des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs, lebt in Bremen und
fährt täglich insgesamt zehn Kilometer mit dem Fahrrad zur Arbeit und zurück. Sie meint,
Verkehrsplaner in Deutschland könnten sich diese Länder zum Vorbild nehmen:

Bettina Cibulski:
„Also, ich glaub’, was man von denen sehr gut abschauen kann, ist, dass die, wenn’s darum
geht, Verkehr zu planen, daran denken, was mach’ ich denn mit den Radfahrern. In
Deutschland ist es oft so, da wird ‘ne Straße gebaut oder irgendwas. Und dann stellt man
irgendwann fest: ‚Ach so, Radfahrer gibt’s ja auch noch. Die müssen wir auch noch
irgendwo unterbringen.‘ Und da ist es so, von vornherein wird einfach geguckt, was
ist für jeden Verkehrsteilnehmer das Beste sozusagen, und dann wird das entsprechend
durchgeplant – also mit allem.“

Sprecher:
Bettina Cibulski findet, dass Verkehrsplaner in Deutschland bei der Straßenplanung und
dem Bau von Straßen nur an Autofahrer denken. Erst später würden sie bemerken, dass ja
auch sehr viele Menschen mit Fahrrädern unterwegs sind, und dass auch sie berücksichtigt
werden müssen. Sie müssen – wie Bettina Cibulski es umgangssprachlich formuliert –
irgendwo untergebracht werden. Anders ist das in den erwähnten deutschen
Nachbarstaaten. Von ihnen kann man nach Ansicht von Bettina Cibulski etwas lernen, man
kann sich etwas von ihnen abschauen. Denn dort wird bei der Planung von Anfang an,
von vornherein, überlegt, wie Verkehrswege gebaut werden müssen, um jedem
Verkehrsteilnehmer gerecht zu werden. Es wird vollständig, bis ins Einzelne geplant, es wird
durchgeplant. Bettina Cibulski begrüßt daher Überlegungen deutscher
Landesregierungen wie etwa der nordrhein-westfälischen oder der hessischen,
Radschnellwege zu bauen:

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Bettina Cibulski:
„Grundsätzlich ist das super, weil das natürlich genau auf so Menschen zielt, die ‘n
Arbeitsweg haben, der länger ist als meiner, nämlich eben so ab zehn Kilometer aufwärts.
Die jetzt nicht mit dem Fahrrad fahren, weil das natürlich relativ lange dauert, wenn man
immer wieder anhalten muss, wenn man rote Ampeln hat. Und wenn ich so ‘n Schnellweg
hab’, auf dem ich einmal so durchfahr’n kann, dann komm’ ich sehr schnell voran. Und
dann ist das tatsächlich auch wirklich eine attraktive Alternative.“

Sprecher:
Bettina Cibulski meint, dass Radschnellwege besonders für Berufspendler eine attraktive
Alternative wären, eine Möglichkeit, die einen besonderen Anreiz darstellt. Sie wären die
Gruppe, auf die ein entsprechendes Angebot zielen würde. Und besonders diejenigen
unter ihnen, die einen längeren Weg zur Arbeit haben, könnten dann das Fahrrad nutzen.
„Länger“ bedeutet für Bettina Cibulski die Entfernung, die über den zehn Kilometern liegt,
die sie selbst fährt. Hierfür verwendet sie die in der Alltagssprache gängige Wendung „ab“
plus „aufwärts“. Diese wird bei Zahlenangaben verwendet und bedeutet, dass etwas über
einer genannten Zahl liegt und diese einschließt. Die Einstellung von Bettina Cibulski kann
der Verkehrsforscher Michael Schreckenberg von der Universität Duisburg-Essen nicht
ganz teilen. Für ihn bestehen beim Thema, das Rad für den Weg zur Arbeitsstelle zu nutzen,
zwei Einschränkungen:

Michael Schreckenberg:
„Erst mal: das Fahrradfahren ist doch stark wetterabhängig. Wenn man jetzt im Sommer
fahren kann, dann ist das eine schöne Sache, das macht auch Spaß. Nur wenn man das
Ganze sich im Winter betrachtet, sieht es ganz anders aus. Das heißt also, da kann ich dann
auch nicht einfach im Anzug oder in meiner sonstigen Dienstkleidung durch Regen, Schnee,
eventuell über Glatteis fahren. Da muss man dann also wirklich sich wieder
umorientieren. Zudem sind das dann zum Teil doch erhebliche Distanzen, die man
zurücklegen müsste.“

Sprecher:
Die Einschränkungen sind für Michael Schreckenberg das Wetter und die Entfernung zum
Arbeitsplatz. Anders als für Autofahrer spielt es für Radfahrer eine größere Rolle, welches
Wetter herrscht. Sie sind wetterabhängig. Denn bei Regen und im Winter ist besondere
Schutzkleidung notwendig, bei Glatteis kann man kein Rad fahren. Diejenigen, die etwa im
Anzug mit dem Rad zur Arbeit fahren, müssen dann laut Michael Schreckenberg eine
Alternative finden, sie müssen sich umorientieren. Eine weitere Einschränkung für Rad
fahrende Berufspendler ist für Michael Schreckenberg die Distanz. Denn wer einen weiten
Weg hat, kommt dann verschwitzt am Zielort an – wenn er ein normales Fahrrad benutzt.
Eine Alternative wäre nach Ansicht von Bettina Cibulski die Nutzung eines Elektrofahrrads,
eines E-Bikes:

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Bettina Cibulski:
„Das ist ‘ne Fortbewegungsart oder ‘ne Fahrradart, die boomt so stark. Wirklich jedes Jahr
steigen die Verkaufszahlen in gigantische Höhen, sag’ ich jetzt mal. Es gibt etwa eine
Million E-Bikes auf deutschen Straßen. Ich gehe schon sehr davon aus, dass sich das in den
nächsten Jahren mindestens verdreifachen wird. Aber wahrscheinlich werden Menschen
sich E-Bikes kaufen, die sonst wahrscheinlich nicht Rad fahren würden.“

Sprecher:
In Deutschland kaufen sich Menschen, die mit weniger körperlicher Anstrengung Rad
fahren und schnell voran kommen wollen, ein E-Bike. Laut Bettina Cibulski ist die Zahl der
Käufer sehr stark gestiegen. Um die große Beliebtheit der Elektrofahrräder zu
verdeutlichen, verwendet Bettina Cibulski die Wörter boomen und gigantisch. Für
Berufspendler wären E-Bikes eine gute Alternative zum konventionellen Fahrrad.
Verkehrsforscher Michael Schreckenberg ist allerdings skeptisch, ob der Bau von
Radschnellwegen mehr Berufstätige zum Radfahren bewegt:

Michael Schreckenberg:
„Der Verkehr der Zukunft wird sich in großen Bereichen von alleine regeln. Wir stehen
kurz vor einem erheblichen demografischen Wandel: Die Bevölkerung nimmt drastisch
ab. Die Menschen werden älter und älter. Das heißt, wir werden es mehr mit Menschen über
60, über 65, über 80 zu tun haben in der Zukunft. Das heißt also, der Verkehr wird deutlich
runtergehen. Das heißt also, die Hälfte des Verkehrs, den wir haben, ist eigentlich
Freizeitverkehr, und der ist flexibel handhabbar.“

Sprecher:
Michael Schreckenberg ist der Meinung, dass bei der Verkehrsplanung auch die
Bevölkerungsentwicklung in Deutschland, der demografische Wandel, berücksichtigt
werden muss. Denn die Altersstruktur ändert sich. Künftig werden weniger Menschen sowie
mehr ältere als junge Menschen in Deutschland leben. Das bedeutet in den Augen des
Wissenschaftlers, dass es weniger Autofahrer, aber auch weniger Radfahrer geben wird.
Und die meisten von ihnen werden seiner Meinung nach dann zum Spaß Rad fahren und
nicht, um zur Arbeit zu kommen. Es ist Freizeitverkehr. Dieser ist nach Ansicht von
Michael Schreckenberg flexibel handhabbar und regelt sich von alleine. Politiker und
Verkehrsplaner müssen nicht von außen eingreifen. Der Verkehrsforscher sieht also für die
Zukunft keinen wirklichen Bedarf an Radschnellwegen. Ob Städte und Kommunen sich
dennoch für den Bau entscheiden, hängt vom Ergebnis sogenannter Machbarkeitsstudien
ab. Dabei werden unter anderem Fragen nach Kosten, aber auch nach dem Bedarf
berücksichtigt. Ein Radschnellwegenetz in Deutschland wie in manchem deutschen
Nachbarstaat ist also weitgehend noch eine Wunschvorstellung.

Autorinnen: Karin Jäger; Beatrice Warken


Redaktion: Stephanie Schmaus
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In Göttingen hat ein Reporter auf dem Fahrrad Studenten auf dem Weg zur Universität
begleitet. Schaut euch in eurer Lerngruppe das Video unter folgendem Link:
http://bit.ly/1ubr63k an. Schreibt anschließend einen Begleittext. Zuletzt spielt das Video
ab und lest euren Text vor. Achtet darauf, dass Text und Bild zusammenpassen.

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Traumberuf „Gamedesigner“

Ein eigenes Computerspiel entwickeln? Seiner Kreativität freien Lauf lassen?


Nur wie? Wer alles hierfür Notwendige lernen will, kann sich an der
Mediadesign Hochschule in Düsseldorf bewerben – Fachbereich
„Gamedesign“.

Sprecher:
Die Zeiten, in denen ein paar Computerfreaks mit einfachsten Mitteln Videospiele erfunden
haben, sind lange vorbei. Inzwischen arbeiten Hunderte Menschen an einem einzigen Spiel:
Programmierer, Designer, Zeichner, Musiker, Autoren, Sprecher. Manche Computerspiele
haben einen höheren Produktionsaufwand und sind teurer als ein Hollywoodfilm. Und oft
bringen sie auch mehr Gewinn. Weil mittlerweile überall gespielt wird – zu Hause, auf
Tablets, Mobiltelefonen und im Internet –, wächst die „Gaming“-Branche. Um die
Nachfrage nach „Gamedesignern“ befriedigen zu können, bildet unter anderen die
Mediadesign Hochschule in Düsseldorf jedes Jahr Studentinnen und Studenten hierzu aus.
War früher der Anteil der männlichen Studenten in dem Bereich höher, haben mittlerweile
auch Frauen das „Gamedesign“ für sich entdeckt. Linda Breitlauch, Professorin an der
Mediadesign Hochschule, meint, das habe einen Grund:

Linda Breitlauch:
„Es geht hier nicht nur um das nerdige Hacken oder reine Technologie. Sondern
‚Gamedesign‘ umfasst ja ‘ne ganze Spanne. Und davon abgesehen: Auch das Klischee,
dass Frauen nicht gerne programmieren, stimmt ja gar nicht. Und da sind ganz viele
Mädels, die anfangen und zuerst sagen: ‚Ach, ich mach was mit Grafik‘ u nd merken dann
aber plötzlich, dass sie Programmierung eigentlich viel toller finden.“

Sprecher:
Computerspiele zu entwickeln, ist nach Ansicht von Linda Breitlauch immer noch mit
Vorurteilen, mit Klischees, verbunden. Dazu gehört etwa, dass es sich bei den Spiele-
Entwicklern um Nerds handelt, also Computerfans, die tagein tagaus nur mit dem
Programmieren beschäftigt sind, aber kaum soziale Kontakte haben. Für das Verhalten der
Computerfans verwendet Linda Breitlauch den Begriff „hacken“ in seiner ursprünglichen
Bedeutung, nämlich sich intensiv mit der Technik zu beschäftigen. In der Alltagssprache
wird der Begriff inzwischen eher für das Eindringen in fremde Computernetze verwendet.
„Gamedesign“ erstreckt sich laut Linda Breitlauch aber auch über mehr Bereiche als nur die
reine Programmierung, er umfasst eine ganze Spanne. Außerdem stimmt ihrer Meinung
nach das Vorurteil nicht mehr, dass Frauen kein Interesse an Technik haben. Ein Beispiel ist
Bea. Nach ihrem Abschluss als Betriebswirtin stellte sie fest, dass es ihr keinen Spaß
machen würde, in dem Beruf zu arbeiten. Sie bewarb sich deshalb an der Düsseldorfer
Hochschule. Denn sie war von etwas fest überzeugt:

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Bea:
„Wenn man sich wirklich für etwas interessiert, und man weiß, wofür man etwas macht,
dass man auf dieser Basis dann eben motivierter ist, auch mal etwas anzugehen, wo man
erst mal etwas scheu drauf reagiert. Okay, Programmieren ist immer noch das Härteste
für mich, ganz klar. Aber weil man da eben auch die Ergebnisse dann sieht, ist es einfach
etwas anderes als in Mathematik in der Schule, wo man gedacht hat: ‚Okay, wofür? Für
meine gute Note am Schluss, oder was?‘“

Sprecher:
Obwohl sie für Technik und Mathematik gar nicht so viel übrig hatte, entschied sich Bea
dafür, „Gamedesign“ zu studieren. Sie wusste, wofür sie es macht, denn hier war es ganz
anders als in der Schule, wo sie allein für sehr gute Noten arbeitete. Hier sah man das
Ergebnis. Und deshalb wagte sie sich an einen Bereich, vor dem sie eigentlich etwas Angst
hatte, auf den sie scheu reagierte. Sie ging die Sache an. Ihr Kommilitone Lukas hat auf
einem anderen Weg zum „Gamedesign“-Studium gefunden, wie er erzählt:

Lukas:
„Ich hab halt überlegt, Architektur oder so was in die Richtung zu machen. Aber da ich auch
immer gerne Geschichten erfinde, kann man das halt ganz gut zusammen, weil
‚Gamedesign‘ da muss man eben sich Geschichten ausdenken, man muss natürlich dann für
Sound sorgen, und man muss für Videos eventuell sorgen, man muss Charaktere
entwickeln, man muss Welten quasi erfinden, Level bauen. Man hat ein sehr breites
Spektrum, wo man seine Kreativität ausleben kann.“

Sprecher:
Für Lukas ist die Vielfalt der kreativen Möglichkeiten, das breite Spektrum,
ausschlaggebend. Er kann in dem Studiengang alles das verwirklichen, was er gerne macht.
Er kann sich ausleben. Beispielsweise seine Vorliebe, Geschichten zu erzählen. Er kann
die verschiedenen virtuellen Personen, die Charaktere, ebenso erfinden und
weiterentwickeln wie die Umgebung, die Welten, in denen sie sich bewegen. Auch
unterschiedliche Schwierigkeitsgrade, Levels, einzubauen, fordert ihn heraus. Im
Unterricht wird auch schon mal gespielt, und zwar aus einem ganz bestimmten Grund, wie
Linda Breitlauch sagt:

Linda Breitlauch:
„Die müssen das knallhart auseinandernehmen: ‚Was ist gut daran? Was ist schlecht
daran? Was funktioniert gut, was nicht? Wie könnte man das besser machen? Kann man
daraus was lernen, mitnehmen, oder was auch immer?“

Sprecher:
Für die Professorin dient das Spielen eines Computerspiels im Unterricht einem Zweck: sich
kritisch mit diesem auseinanderzusetzen. Sie fordert die Studierenden auf, schonungslose,
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knallharte, Kritik zu üben. Vorteile und Nachteile sollen benannt werden. Das gesamte
Spiel wird – im übertragenen Sinn – in seine Einzelteile zerlegt,
auseinandergenommen. Die Berufschancen für „Gamedesign“-Absolventen sind
hervorragend. Ausgebildete Entwickler werden dringend gesucht. Hilfreich ist zudem nach
Aussage von Linda Breitlauch, mit seinem Spiel einen Preis wie den deutschen
Computerspielpreis zu gewinnen:

Linda Breitlauch:
„Die Studenten, die den deutschen Computerspielpreis gewonnen haben, die haben
eben ein Spiel zusammen entwickelt und haben sich damit komplett als Team beworben
und sind auch fast als komplettes Team in einem Unternehmen aufgenommen worden. Die
haben da zwar nicht ihr Spiel weiterentwickelt, aber sie haben damit sozusagen sich ‘ne
Visitenkarte geschaffen.“

Sprecher:
Der deutsche Computerspielpreis wird seit 2009 jährlich in unterschiedlichen Kategorien
vergeben. Im Jahr 2010 erhielt ein Studententeam der Düsseldorfer Mediadesign
Hochschule den Preis für das Spiel „Night of Joeanne“. Der Erfolg bedeutete, dass man
einen Namen hatte. Er war für das Entwicklerteam – im übertragenen Sinn – eine
Visitenkarte. Und die Preistrophäe, die in der Hochschule in der Vitrine steht, ist sicher
ein Antrieb für künftige Studentinnen und Studenten, ihrer Kreativität keine Grenzen zu
setzen.

Autorinnen: Silke Wünsch, Beatrice Warken


Redaktion: Shirin Kasraeian

Arbeitsauftrag
In Berlin gibt es ein Computerspielemuseum. Informationen über das Museum und seine
Sammlung findet ihr hier: http://bit.ly/1nouSXX. Informiert euch über die Sammlung und
versucht anschließend unter http://bit.ly/1rD5iQ3 die Quizfragen zu beantworten.

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Im Universitätstheater

Einmal in eine andere Rolle schlüpfen, Regie führen oder einfach nur
Bühnenerfahrung zur Persönlichkeitsbildung sammeln? Und das als Studentin
oder Student? Das ist möglich: an der „Studiobühne“ der Universität zu Köln.

Sprecher:
Rund 360 Theater gibt es in Deutschland. Sie sind entweder in öffentlicher Hand, werden
also von Städten finanziert, oder in privater Trägerschaft. Doch Theater wird nicht nur hier,
sondern auch an Universitäten gespielt. Denn viele der etwa 140 deutschen Universitäten
und gleichwertigen Hochschulen besitzen ein eigenes Theater. Zu ihnen gehört auch die
Universität zu Köln mit ihrer „Studiobühne Köln“. Diese existiert bereits seit 1920 und
erhebt den Anspruch, Deutschlands ältestes Universitätstheater zu sein. An der Kölner
„Studiobühne“ machen Studentinnen und Studenten aller Fakultäten das Programm, sie
stehen selbst auf der Bühne oder führen Regie. Außerdem gibt es regelmäßige Festivals –
wie etwa „Theaterszene Europa“ –, wo Theatergruppen aus europäischen Gastnationen ihre
Stücke aufführen. 2010 wurde auch erstmals ein Regiewettbewerb ausgeschrieben, zu dem
Studierende aller Fachbereiche aufgerufen waren. Diesen Wettbewerb gewann damals
Patrick Reichert-Young mit seinem Stück „Auf EWIG GemEinsam“. Es handelt von zwei
Frauen, die zugleich Freundinnen und Feindinnen sind. Sie sind durch eine Art Hassliebe
aneinander gebunden. Sein Erstlingswerk hat Patrick Reichert-Young mit Hilfe der
„Studiobühne Köln“ inszeniert und aufgeführt. Das hatte für ihn Vorteile, wie er sich
erinnert:

Patrick Reichert-Young:
„Ich hab vorher nur Co-Regie gemacht, dann war es schon sehr hilfreich, erfahrene Leute
dabeizuhaben, die dann auch immer wieder unterstützen können. Wobei gerade was Text
angeht, Dramaturgie angeht, hab ich ganz frei arbeiten können. Das war sehr
angenehm.“

Sprecher:
Für den Philosophiestudenten Patrick Reichert-Young war es seine erste eigene Regiearbeit.
Zuvor hatte er nur dem eigentlichen Regisseur zur Seite gestanden, hatte nur Co-Regie
gemacht. „Co“ ist eine Ableitung der lateinischen Vorsilbe „con“ und bedeutet „mit“,
„zusammen“. Patrick fand es gut, dass er keine Vorschriften erhielt. Er hat frei arbeiten
können. Das Stück „Auf EWIG GemEinsam“ ist aufwendig produziert und verbindet
verschiedene Kunstformen, wie etwa Video, Fotografie und Malerei. Der Leiter der
„Studiobühne Köln“, Dietmar Kobboldt, unterstützt die Experimentierfreude der
Studentinnen und Studenten, denn die Zeiten haben sich – wie er sagt – geändert:

Dietmar Kobboldt:
„Die strenge Einteilung, die wir mal hatten in Sprechtheater, Musiktheater, Tanztheater,
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die gibt es schon gar nicht mehr. Bei ‚ Auf EWIG GemEinsam‘ verbinden sich die
Kunstformen ‚Theater‘ mit ‚Film und Fotografie‘ ganz extrem. Ich finde, dass diese
Eingrenzung auf ein zu schmales Spartendenken dem Gesamt-Kunstbegriff ‚Theater’
nicht gut tut.“

Sprecher:
Bis etwa zur Mitte des 19. Jahrhunderts war der Theaterbereich in Deutschland weitgehend
in einzelne Kategorien, Sparten, aufgeteilt. Und die waren – wie es Dietmar Kobboldt
formuliert – streng eingeteilt, hatten oft wenig miteinander zu tun. Er findet dieses
eingeengte, schmale, Spartendenken nicht gut. Stattdessen befürwortet er, dass
beispielsweise auch Kunstformen wie Film und Fotografie in Theateraufführungen ihren
Platz finden. Seiner Meinung nach ist das bei dem Stück „Auf EWIG GemEinsam“ in sehr
starkem Maß, ganz extrem, der Fall. Dietmar Kobboldt sieht die „Studiobühne Köln“ aus
einem bestimmten Grund als einen Ort, ein etwas anderes Theater zu machen:

Dietmar Kobboldt:
„Ein Stück weit begreifen wir uns – was den Theater- und auch den Filmbereich betrifft –
auch als eine forschende Anstalt. Wir forschen so ‘n bisschen an dem modernen Theater,
gucken: ‚Was ist noch drin?‘ Und auch den Begriff ‚Lehre‘ erfüllen wir natürlich, weil wir
mit das größte Ausbildungsprogramm in Köln haben für die Bereiche Theater, Fotografie,
Film, Video.“

Sprecher:
Für Dietmar Kobboldt ist die „Studiobühne Köln“ vergleichbar mit einem
wissenschaftlichen Institut, einer forschenden Anstalt. Wie in einem Labor kann selbst
bei modernem Theater experimentiert werden. Es kann geschaut werden, was noch
möglich, was noch drin ist. Gleichzeitig wird den medieninteressierten Studentinnen und
Studenten aber auch Wissenswertes vermittelt, der Lehranspruch erfüllt. So können sie zum
Beispiel Film- und Fotokurse besuchen oder kostenfrei Sprech- und Bühnenerfahrung
sammeln. Zu ihnen gehört auch Simon. Er begründet, warum er gern Theater spielt:

Simon:
„Man muss sich ja schon an relativ viele Konventionen halten, und Theater ist immer
noch zum Glück ‘n sehr geschützter Raum, in dem man viele Sachen machen und
ausprobieren kann, und Grenzen erfahren kann, die man im normalen Leben so nicht
findet. Und das macht‘s eigentlich immer wieder spannend.“

Sprecher:
Im Alltagsleben müssen viele gesellschaftlich festgelegte Regeln beachtet werden. Man muss
sich – wie Simon es ausdrückt – an viele Konventionen halten. Wer allerdings auf der
Bühne eines Theaters steht, braucht das nicht. Das Theater ist ein geschützter Raum,
man kann also Dinge tun, die sonst nicht möglich sind. Und man kann – so Simon –
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Grenzen erfahren, also ausprobieren, ob etwas möglich ist oder nicht. Nach Ansicht von
Dietmar Kobboldt kann eine Bühnenerfahrung auch im Alltag hilfreich sein:

Dietmar Kobboldt:
„Wenn Sie einmal einen ‚Act-Shop‘ gemacht haben, werden Sie danach möglicherweise bei
jedem öffentlichen Auftritt, beim Referat, was Sie halten müssen – sei es beim Interview im
Rundfunk – souveräner auftreten, weil Sie ‘n bisschen was über sich erfahren haben.“

Sprecher:
Theatertechniken können also auch den ganz normalen Alltag erleichtern. Jemand, der an
einem „Schauspielworkshop“ – Englisch: „Act-Shop“ – teilgenommen hat, wird sich nach
Ansicht von Dietmar Kobboldt in der Öffentlichkeit selbstsicherer verhalten, souveräner
auftreten. Diese Meinung teilt auch der Jurastudent Jonathan, der in einem Workshop an
der „Studiobühne Köln“ unter anderem gelernt hat, seine Stimme zu kontrollieren:

Jonathan:
„Wenn man während der Vorlesung ‘n Wortbeitrag macht, kann man den jetzt viel
professioneller platzieren. Und selbstverständlich, wenn ich später als Anwalt tätig sein
sollte und viel vor Publikum und vor dem Gericht spreche, wird mir das auch
zugutekommen – aber auch im Alltag.“

Sprecher:
Jonathan hat den Eindruck gewonnen, dass die Studiobühnenerfahrung ihm weiterhilft,
ihm zugutekommt. Die Theatererfahrung nimmt die Angst, vor einer Menschenmenge zu
sprechen. So schafft man es auch, sich während einer Vorlesung etwa ohne Zittern in der
Stimme zu Wort zu melden und etwas zu fragen oder zu sagen, etwas zu platzieren. Man
wirkt – wie es Jonathan formuliert – professionell. Egal, ob es sich um zukünftige
Regisseure, Schauspieler, Manager oder Juristen handelt: Ganz unabhängig von
Karriereplänen kann man an der „Studiobühne Köln“ auch einfach nur aus Spaß
Theaterspielen.

Autorinnen: Franziska Schmidt, Pia Schneider


Redaktion: Beatrice Warken

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Schreibt in eurer Lerngruppe ein eigenes Theaterstück zum Thema: „Unser erster Besuch in
Deutschland“. In diesem Stück sollten unter anderem zwei Personen vorkommen, die eine
Deutsche beziehungsweise einen Deutschen darstellen. Schreibt ihnen all die Eigenschaften
zu, die für euch typisch deutsch sind. Ein paar Anregungen für euer Theaterstück könnt ihr
euch in unseren Deutschlerner- und Deutschlehrerporträts holen: http://bit.ly/1g1odOd.

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Fair produzierte Kleidung in Deutschland

Ein T-Shirt für zwei, eine Jeans für zehn Euro? Niedrige Preise bedeuten
schlechte Arbeitsbedingungen und Lohndumping in den Herstellerländern. Es
gibt aber auch eine andere Möglichkeit: fair produzierte Kleidung kaufen.

Offiziell ist er zwar abgeschafft, der sogenannte Sommer- beziehungsweise


Winterschlussverkauf. Dennoch sieht man meist schon Wochen vorher die entsprechenden
Schilder in den Schaufenstern der großen Modeketten: „Schlussverkauf“, „Sale“, „70 Prozent
Preisnachlass“. Kleidung, die vorher schon preiswert war, wird noch preiswerter. Unter
welchen Bedingungen diese Kleidung produziert wird, wurde deutschen Verbraucherinnen
und Verbrauchern noch einmal deutlich klar, als 2013 mehr als 1100 Menschen beim
Einsturz einer Textilfabrik in Bangladesch ums Leben kamen. Ein Jahr später waren es
Bilder von gewaltsamen Ausschreitungen bei Protesten von Textilarbeitern in Kambodscha.
Bei einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Sommer
2014 in Deutschland sagten 40 Prozent der mehr als 1000 Befragten, faire
Arbeitsbedingungen in der Textilbranche seien für sie „sehr wichtig“. Für 46 Prozent war es
immerhin noch „eher wichtig“. Allerdings zeigte die Umfrage auch, dass der Preis stimmen
muss. Und dass das Thema „faire Produktionsbedingungen“ für junge Menschen weniger
Bedeutung hat als für ältere. Geschäfte, die „fair produzierte“ Mode verkaufen, haben es
noch schwer, in deutschen Städten Fuß zu fassen. Aber die Geschäfte, die da sind, haben
ihre Kundschaft. Und die kauft – wie diese Kundin – ganz bewusst dort ein:

„Die Nachrichten über die Ausbeutung von Menschen, die in der Bekleidungsindustrie
tätig sind, sind so deutlich, dass man als Verbraucher anfangen muss, darüber
nachzudenken, welche Quellen man für seine Bekleidung findet. Und den Tipp, diesen
Laden dafür zu benutzen, habe ich von einer Schwiegertochter, und ich bin dankbar, dass es
Läden gibt, die sich auf diese Thematik so einstellen.“

Die Kundin möchte das Gefühl haben, Kleidung zu kaufen, für die Arbeiterinnen und
Arbeiter in den Herstellerländern auch einen entsprechenden Lohn bekommen. Sie sollen
nicht ausgebeutet werden, also für ihre Arbeit zu gering bezahlt werden. Noch sind
Geschäfte, die ausschließlich fair produzierte Kleidung verkaufen, ein Geheimtipp. Die
Kundin ist froh, dass sie diesen Laden empfohlen bekommen hat. Er ist ihre Quelle, sie
bekommt dort die Kleidung, die sie sucht. Sie begrüßt es, dass sich Läden wie dieser mit
ihrem Angebot auf fair produzierte Kleidung festlegen, sich auf diese Thematik
einstellen. Dennis Schrey, Koordinator der Konrad-Adenauer-Stiftung in Phnom Penh,
schildert, wie gering die Entlohnung von Textilarbeiterinnen in Südostasien ist:

„In Südostasien ist es sehr, sehr schwierig sich vorzustellen, mit 60 US-Dollar teilweise
Familien zu ernähren. Und viele Textilarbeiterinnen arbeiten ja auch im asiatischen
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Ausland, verdienen dort besser als in Kambodscha und schicken einen Großteil
ihrer Einkommen zurück an die Familien. Aber natürlich sind Sechs-Tage-Woche und
Arbeitszeiten zwischen 12 und 14 Stunden die Regel, und die Arbeitsbedingungen
entsprechen nicht internationalen Standards.“

Wie Dennis Schrey sagt, verdienen Textilarbeiter und -arbeiterinnen in Kambodscha nur 60
Dollar im Monat. Viele wandern daher in asiatische Schwellenländer aus, beispielsweise
nach Thailand oder Malaysia, weil sie dort mehr verdienen. Dafür müssen sie aber hart
arbeiten: 12 bis 14 Stunden, und das an sechs Tagen in der Woche. Sie haben eine Sechs-
Tage-Woche. Das entspricht nicht den von der Internationalen Arbeitsorganisation ILO
definierten Arbeits- und Lebensbedingungen, den internationalen Standards. Dazu
gehört etwa das Verbot, fundamentale Rechte zu verletzen, um einen Wettbewerbsvorteil zu
erhalten. Dabei hätten auch deutsche Unternehmen die Möglichkeit, Einfluss zu nehmen
und faire Produktionsbedingungen vorzuschreiben und zu kontrollieren. Aber auch die
Kunden könnten ihren Beitrag leisten, sagt Kirsten Clodius, Mitarbeiterin der
internationalen „Kampagne für saubere Kleidung“:

„Wir schätzen, immer wenn wir uns ein T-Shirt anschauen, dass schon ab zehn oder 15
Cent, die wir mehr bezahlen würden, sichergestellt werden könnte, dass die Arbeiterin oder
der Arbeiter wirklich fair ausgezahlt würden. Aber im Endeffekt sind das wirklich für uns so
kleine Beträge. 25 Cent für eine Jeans mehr, das würde jeder von uns bezahlen können und
die Bereitschaft wär’ sicherlich auch da. Für uns wäre das gar nicht eine große
Verteuerung unserer Kleidung.“

Würde jede Kundin beziehungsweise jeder Kunde, der Kleidungsstücke wie ein T-Shirt oder
eine Jeans kauft, ein paar Euro-Cent mehr bezahlen, wäre das laut Kirsten Clodius schon
hilfreich. Für die Kunden sind es kleine Beträge, wenig Geld. Die Kleidung würde
unwesentlich mehr Geld kosten, sie würde nur wenig verteuert. Den Arbeiterinnen und
Arbeitern aber würde es in der Summe helfen. Wer sichergehen will, dass er auch wirklich
fair produzierte Kleidung kauft, der achtet auf Kleidung mit Gütesiegel – wie das der „Fair
Wear Foundation“. Oder Kunden kaufen direkt Kleidung von unbekannten Marken, bei
denen aber sichergestellt ist, dass sie ihre Produktionskette Schritt für Schritt selbst
kontrollieren.

Autorinnen: Johanna Schmeller, Beatrice Warken


Redaktion: Ingo Pickel

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Arbeitsauftrag
Informiert euch unter http://bit.ly/1vxyjAQ über das, was die deutsche Sektion der
internationalen „Clean Clothes Campaign“ macht. Bildet Arbeitsgruppen. Jede
Arbeitsgruppe wählt sich einen Beitrag aus den aktuellen Meldungen zu Kampagnen und
Themen aus. Fasst den Beitrag zusammen und stellt ihn in der Gesamtgruppe vor. Überlegt
anschließend gemeinsam, wie eure Kampagne für bessere Produktions- und
Arbeitsbedingungen von Textilarbeiterinnen und -arbeitern aussehen würde.

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Rabeneltern

Ihnen wird nachgesagt, dass sie sich wenig um ihre Kinder kümmern:
Rabenmütter und Rabenväter. Aber stimmt das wirklich? Und woher kommt
dieses angebliche Verhalten? Sind Raben wirklich Rabeneltern?

Der Rabe gehört zu den Singvögeln und das, obwohl seine Rufe doch ziemlich heiser und
krächzend sind. Sein Name ist ursprünglich eine lautmalerische Nachbildung seines nicht
gerade stimmgewaltigen Schreiens. Der Rabe hat einen starken Schnabel und in der Regel
ein schwarzes Gefieder. Rund hundert verschiedene Arten gibt es auf der Welt. Was die
Aufzucht ihrer Jungvögel, ihrer Brut, anbetrifft, unterstellt man den Raben eine lieblose,
zuweilen auch brutale Pflege. Lange Zeit war die Vorstellung verbreitet, dass sie, wenn sie
nicht genug Futter herbeischaffen können, einige Jungvögel aus dem Nest werfen.
Besonders den Rabenweibchen sagt man zudem nach, Einzelgängerinnen zu sein. Anstatt
sich aufopferungsvoll um die Brut zu kümmern, treiben sie sich angeblich lieber allein
herum. Hans-Dieter Ilgner, Kunstlehrer in Bonn und Leiter des Kleintheaters „Die Raben“,
macht deutlich, dass dem nicht so ist:

„Ja, das ist eine Lüge. Das ist die schlichte Unwahrheit, weil die eine ganz tolle Brutpflege
auch haben. Es gibt natürlich die Rabenväter, Rabenmütter, Rabeneltern, das
Schwarze, das Dunkle.“

Sowohl männliche als auch weibliche Raben kümmern sich sehr gut um die Jungvögel.
Begriffe wie Rabenvater, Rabenmutter oder Rabeneltern für diejenigen, die sich nicht
ausreichend um ihre Kinder kümmern, stimmen also im Bezug auf Raben nicht. Das
schlechte Bild, das Raben haben, reicht weit zurück in die Kulturgeschichte. Schon im
Talmud, der Sammlung der Texte und religiösen Überlieferungen des Judentums, ist die
Rede von der Lieblosigkeit der Raben. Auch in der Bibel werden hungrige, von ihren Eltern
verstoßene Rabenjungen erwähnt. Im 38. Kapitel des Alten Testaments heißt es in Vers 41
in der Rede Gottes zum frommen Mann Hiob:

„Wer bereitet dem Raben seine Nahrung, wenn seine Jungen schreien zu Gott und
umherirren ohne Futter?“

Bibeldeuter, zu denen auch Martin Luther gehörte, zogen daraus den Schluss, schon im
Alten Testament sei beschrieben, dass Raben ihre Jungen vernachlässigen würden. Seit der
Mitte des 16. Jahrhunderts findet sich der stets negativ gemeinte Begriff der Rabeneltern
dann auch in Erziehungsratgebern wieder. Dabei sieht das Familienleben der Raben ganz
anders aus: Kolkraben beispielsweise leben nicht nur lebenslang zusammen. Sie kümmern
sich geradezu fürsorglich um ihre Brut. Das Rabenweibchen wärmt sie in den ersten beiden
Lebenswochen ununterbrochen und frisst erst, wenn sie sie versorgt hat. Dieses Verhalten
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stimmt nicht mit dem Bild der menschlichen Rabenmutter überein, die ihre Kinder
vernachlässigt, die arbeiten geht und die die Kinder möglichst schnell aus dem Haus haben
will. Nach Ansicht von Michael Wagner, Professor für Familiensoziologie an der Universität
Köln, ist in der modernen Zeit eher das Gegenteil der Fall:

„‚Rabenmütter‘ – wenn man mal in der Vogelsprache bleibt – wären eigentlich Mütter, die
ihr Kind relativ früh aus dem Nest werfen, sobald es flügge geworden ist. Wenn ich das mal
übertrage jetzt auf die Familie: Wenn diese ‚Rabenkinder‘ relativ früh aus dem Nest
geworfen werden, dann würde das eigentlich bedeuten, dass es Mütter gibt, die ihre Kinder
möglichst früh drängen, auszuziehen und ‘n eigenen Haushalt zu gründen. Das ist
überhaupt nicht der Fall. Im Gegenteil: Nesthocker sind gegenwärtig weiter verbreitet, als
es früher der Fall war.“

Michael Wagner stellt fest, dass es heutzutage in deutschen Familien viele Nesthocker
gibt. Das Vogelnest ist eine sehr alte Metapher für die Familie und ihr Heim. Der Begriff
„Nesthocker“ hat dagegen eine negative Bedeutung: Menschliche Nesthocker bleiben
möglichst lange im elterlichen Haus und lassen sich verwöhnen. Obwohl sie manchmal
schon fast erwachsen sind, werden sie nicht flügge. Sie verlassen nicht das Haus, um, einen
eigenen Haushalt zu gründen, also selbstständig zu leben. Auch bei Raben gibt es wahre
Nesthocker. Erst wenn sich die Jungvögel selbstständig ernähren können, trennen die
Eltern sich von ihnen. Das negative Bild von Rabeneltern stimmt also nicht ganz.
Familiensoziologe Michael Wagner schränkt aber ein:

„Man kann aber auch nicht sagen, dass jetzt in allen deutschen Familien nun hier
Nestwärme vorhanden ist und es allen Kindern in den Familien gut geht. Also es gibt eine
ganze Reihe von Familien, in denen das Verhältnis zwischen den Eltern und den Kindern
auch gestört ist oder eben nicht vertrauensvoll ist. Oder auch, wo die Eltern die Kinder
vernachlässigen, zum Teil auch vernachlässigen müssen. Gerade auch
alleinerziehende Mütter haben‘s häufig ökonomisch schwer.“

Laut Michael Wagner gibt es in Deutschland auch viele Familien, in denen Kinder
vernachlässigt werden, weil keine Nestwärme existiert. Wer keine oder zu wenig
Nestwärme erfährt, bekommt zu wenig Liebe und Zuwendung der Eltern. Das kann dazu
führen, dass sich Eltern und Kinder nicht gut verstehen, ein gestörtes Verhältnis haben.
Aber auch Väter und Mütter, die aus finanziellen Gründen arbeiten müssen, werden als
„Rabeneltern“ bezeichnet, weil sie wenig Zeit für ihre Kinder haben. Besonders betroffen
davon sind, so der Familiensoziologe, alleinerziehende Mütter. Sie haben weniger Geld zur
Verfügung als Paare. Sie haben es ökonomisch schwer. Das Fazit: Raben sind im
Familienverhalten sehr viel besser als ihr Ruf. Im Verhalten zu anderen Vögeln sind sie
nicht gerade vorbildlich: Sie sollen beispielsweise die Nester kleinerer Singvögel plündern.
Vielleicht gibt es also doch Raben, denen der schlechte Ruf dieser Vogelart gerecht wird –
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wie es sicher auch menschliche Rabenmütter, Rabenväter oder Rabeneltern gibt.

Autorin: Antje Allroggen


Redaktion: Beatrice Warken

Arbeitsauftrag
Das Institut für Demoskopie Allensbach hat im Jahr 2015 im Auftrag des
Bundesministeriums für Familie, Frauen und Jugend eine Vergleichsumfrage zu den
Familienbildern in Deutschland und Frankreich veröffentlicht: http://bit.ly/1ANOIkC.
Bearbeitet in eurer Lerngruppe die Seiten 30 bis 40. Erstellt eine Zusammenfassung und
beantwortet vorab die Frage, warum gerade diese beiden Länder miteinander verglichen
werden.

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Obdachlosenzeitungen in Deutschland

In den 1990er Jahren entstanden die ersten Obdachlosenzeitungen in


Deutschland. Noch stellt das Internet kaum eine Bedrohung dar. Die Auflagen
sind gleichbleibend hoch. Zwei Beispiele aus Hamburg und München …

Sinkende Verkaufszahlen und immer weniger Festanstellungen: Der Trend in der Branche
der gedruckten Zeitungen betrifft Magazine wie BISS aus München oder Hinz&Kunzt aus
Hamburg nicht. Beide feierten 2013 ihr 20-jähriges Jubiläum. Sie gehören in Deutschland
zu den größten Straßenzeitungen, umgangssprachlich auch Obdachlosenzeitungen genannt.
BISS hat nach eigenen Angaben eine monatliche Auflage von etwa 38.000 Exemplaren,
Hinz&Kunzt spricht von etwa 68.000 Exemplaren monatlich. Beide hatten ein Vorbild:
„The Big Issue“, eine Straßenzeitung, die 1991 in London entstanden ist. Der Gedanke hinter
diesen Zeitungen ist, dass obdachlose und wohnungslose Menschen statt zu betteln, etwas
eigenes Geld verdienen, Kontakt zu Menschen finden, an Selbstvertrauen gewinnen und
Wertschätzung erfahren. Das 20-jährige Jubiläum war für Gabriele Koch von Hinz&Kunzt
aber eigentlich kein Grund zum Feiern:

„Es ist in gewisser Weise ein trauriges Jubiläum, weil es uns überhaupt noch gibt. Negativ
gesehen, dass sich heute die Situation schlimmer darstellt als vor 20 Jahren, als wir
angefangen haben. Wir haben heute mehr Menschen auf der Straße, nicht nur in
Hamburg, vielleicht sogar deutschlandweit und europaweit, die Hilfe benötigen.“

Gabriele Koch bezeichnet das Jubiläum als „traurig“. Denn die Existenz von
Obdachlosenzeitungen beweist, dass es das Problem noch gibt: dass Menschen kein Dach
über dem Kopf haben und auf der Straße leben müssen. Rund 30 Straßenzeitungen
werden in deutschen Städten produziert und anschließend von Wohnungslosen verkauft.
Diese dürfen einen Anteil vom Verkaufspreis behalten. Beim Münchner Magazin BISS etwa
liegt der Verkaufspreis bei 2,20 Euro, die Hälfte ist für den Verkäufer. BISS bietet ab einer
bestimmten Anzahl verkaufter Exemplare auch die Möglichkeit einer Anstellung in Teilzeit
beziehungsweise Vollzeit. Auch Hinz&Kunzt hat feste Arbeitsplätze geschaffen, einige
ehemalige Verkäufer arbeiten im Vertrieb. Die Beiträge der Magazine kommen inzwischen
aber fast alle von professionellen Journalistinnen und Journalisten. Allerdings sind bei BISS
in jedem Heft vier Seiten für Beiträge aus der sogenannten Schreibwerkstatt reserviert.
Hildegard Denninger von BISS beschreibt, was das für manchen Obdachlosen bedeutet:

„Es hat uns mal ‘n Therapeut gesagt: Die Schreibwerkstatt ersetzt quasi bei manchem
einen Therapeuten, weil er das sich von der Seele schreiben kann und weil er seine
Sache darlegen kann.“

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Schreibwerkstätten sind Kurse, in denen Teilnehmerinnen und Teilnehmer unter Anleitung


lernen, Texte zu verfassen. Ähnlich ist es bei BISS. Einmal wöchentlich findet die
Schreibwerkstatt statt. Eine Journalistin schaut über die Texte drüber, gibt Tipps. Die
Beiträge geben, so die Verantwortlichen, „die persönliche Meinung der Autoren wieder,
nicht die der Redaktion“. Berichtet wird vom Alltag als Obdachlose beziehungsweise
Obdachloser. Manche Geschichten sind wirklich so passiert, andere sind erfunden und
drücken die eigenen Gedanken und Gefühle aus. Obdachlose haben die Möglichkeit, ihre
Sache, also das, was sie erlebt haben oder fühlen, darzulegen. Die Schreibwerkstatt
ersetzt, wie es Hildegard Denninger formuliert, in gewisser Weise einen Psychotherapeuten.
Dort würde sich jemand seine Probleme „von der Seele reden“, in der Schreibwerkstatt
schreibt sie oder er sie sich von der Seele. Die beiden Redewendungen werden im
übertragenen Sinn verwendet, wenn sich eine Person von belastenden Problemen befreit.
Die Straßenzeitungen von heute sind aber nicht mehr vergleichbar mit denen der
Gründungszeit in den 1990er Jahren, sagt Ronald Lutz, Professor für Soziale Arbeit an der
Fachhochschule Erfurt:

„Am Anfang waren das sehr wohl durchaus auch Obdachlose, manchmal auch unter
Anleitung von Sozialarbeitern oder von Ehrenamtlichen, die das produziert haben.
Es sind immer weniger Obdachlose, die tatsächlich in Redaktionen arbeiten. Das finde ich ‘n
bisschen bedauerlich, aber das liegt halt darin, dass diese Zeitungen im Laufe der Jahre sehr
stark eben halt auch auf dem Markt unter Konkurrenzdruck gerieten und natürlich
nur diejenigen wirklich sich verkaufen konnten, die professioneller gemacht waren.“

Als die ersten Straßenzeitungen auf den Markt kamen, waren Obdachlose – so Professor
Ronald Lutz – ihre eigenen Redakteure und Produzenten. Unterstützt, angeleitet, wurden
sie damals von Sozialarbeitern und Ehrenamtlichen. Sozialarbeiter sind Menschen, die
bei kommunalen oder karitativen Einrichtungen beschäftigt sind und Hilfsbedürftige
beraten und unterstützen. Menschen, die ehrenamtlich helfen, tun das in ihrer Freizeit,
ohne dafür eine Bezahlung zu erhalten. Sie müssen auch keine besondere Ausbildung
nachweisen. Ab einem bestimmten Zeitpunkt aber waren die von Obdachlosen selbst
erstellten Zeitungen nicht mehr attraktiv genug für die Leser. Sie wurden nicht von
journalistisch ausgebildeten Profis gemacht, waren nicht professionell. Professor Ronald
Lutz bedauert, dass Straßenzeitungen nicht mehr von denen gemacht werden, die es betrifft.
Aber die Konkurrenz auf dem Markt wurde stärker, sie gerieten unter
Konkurrenzdruck. Nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Ländern stellt
sich zunehmend die Frage, ob Obdachlosenzeitungen im Internet „verkauft“ werden
können. Für Gabriele Koch von Hinz&Kunzt ist das schwer vorstellbar:

„Wir wollen eigentlich überhaupt nicht drauf verzichten, auf der Straße eine gedruckte
Ausgabe zu verkaufen, weil wir wollen einfach, dass die Verkäufer etwas Attraktives in der
Hand haben. Und das wird sich nicht ersetzen lassen durch reine Online-Präsenz.“
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Für Gabriele Koch steht fest: Nur im Internet vertreten, online präsent, zu sein, kann die
Attraktivität einer gedruckten Zeitung nicht ersetzen. Außerdem spricht noch ein Aspekt
dagegen: Tausende von Verkäuferinnen und Verkäufern würden wahrscheinlich ihren Job
verlieren.

Autorinnen: Regina Mennig, Beatrice Warken


Redaktion: Ingo Pickel

Arbeitsauftrag
Unter http://bit.ly/1dWAhCg und http://bit.ly/1M5WfRN findet ihr die Onlineseiten von
Hinz&Kunzt und von BISS. Bildet kleine Arbeitsgruppen. Vergleicht den Auftritt der beiden
Obdachlosenzeitungen. Was spricht euch an, was nicht? Wählt euch eine Rubrik aus, die ihr
als gelungen einstuft, und eine, die ihr nicht so gelungen findet. Stellt euer Ergebnis in der
Gesamtgruppe vor.

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Mehr als nur ein Hobby: die Imkerei

Immer mehr Menschen möchten Bienen halten und damit zum Naturschutz
beitragen. Doch Experten warnen: Bienenhaltung setzt Fachwissen voraus.
Sonst kann aus der guten Tat schnell Tierquälerei werden.

Sie sorgen unter anderem dafür, dass Pflanzen bestäubt werden und Menschen etwas zu
essen haben: die Insektengruppe der Apiformes, der Bienen. In der Umgangssprache wird
darunter meist nur die Honigbiene verstanden. In Deutschland aßen nach statistischen
Angaben im Jahr 2014 mehr als elf Millionen Menschen über 14 Jahren mehrmals pro
Woche Honig. Das Interesse an Imkerei, also der Haltung und Pflege von Bienen zur
Honigproduktion, steigt. War die Bienenhaltung bislang eher auf Imker beschränkt, die das
hauptberuflich machten, hat sich vor allem in deutschen Städten ein neuer Trend
entwickelt: das „Urban Beekeeping“. Hobbyimker stellen eine Bienenkiste auf den Balkon
oder die Dachterrasse und haben ein gutes Gefühl, etwas für den Umweltschutz und den
Erhalt der Pflanzenvielfalt zu tun. Zu ihnen gehört auch Jürgen. 2010 begann er, sich für
Honigbienen zu interessieren. Er fand es spannend und fühlt sich der Natur sehr
verbunden. Die Tiere bleiben ganz friedlich, als er den Deckel von der quadratischen
Holzkiste nimmt, in der sein Bienenvolk wohnt und an der Honigproduktion „arbeitet“. Er
erklärt, dass er ihnen auch hilft, über den Winter zu kommen:

„Das hier ist die sogenannte Futtertasche. Im Herbst wird die aufgefüllt mit Sirup, dass
die im Winter, wenn man den Honig weggenommen hat, dann nicht verhungern.“

Wer Honig ernten will, benötigt einen sogenannten Bienenstock – ein mit einem Deckel und
einer Öffnung versehener Holzkasten. Von oben werden Holzrahmen eingeschoben, in die
die Bienen ihre Waben, sechseckige Zellen aus Wachs, bauen. In den Waben wird der
Pflanzennektar, den die Bienen sammeln und mit eigenen Körperstoffen vermischen,
gespeichert und reift zu Honig heran. Sind die Waben voll und der Honig reif, erntet der
Imker ihn. Damit die Bienen im Winter nicht verhungern, werden leere Waben, sogenannte
Futterwaben beziehungsweise Futtertaschen an den Ort gehängt, an dem sich die
meisten Bienen aufhalten. Dann werden die Taschen mit einer dickflüssigen Zuckerlösung,
einem Sirup, angefüllt. Es ist zwar sehr faszinierend, den Bienen zuzuschauen, aber auch
Hobbyimker haben Pflichten und brauchen manchmal sogar den Rat vom Fachmann, meint
Jürgen:

„Man ist zwangsläufig auch im Imkerverein. Und es gibt dann auch sehr viele offizielle
Regularien, Tierseuchenkasse und so was alles. Also, man muss das anmelden, wenn
man so ‘n Volk hat, auch eins. – Sobald ich irgendwie ‘ne Frage habe oder ‘n Problem habe,
rufe ich den an. Und dann kommt der oder gibt mir am Telefon ‘n Rat – je nachdem. Das ist
nicht weit von hier. Und das klappt prima.“
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Hobbyimker sollten sich nach Jürgens Ansicht einem Imkerverein anschließen – auch um
wichtige Tipps und Ratschläge von erfahrenen Imkern zu bekommen. Er sieht es als
zwangsläufig, absolut notwendig, an. Außerdem bedeutet Bienenhaltung auch, dass
bestimmte gesetzliche Bestimmungen, Regularien, eingehalten werden müssen. Dazu
gehört, dass man bei der zuständigen Behörde der Stadt oder Gemeinde, dem Veterinäramt,
anmeldet, wie viele Bienenvölker man hat und wo die Bienenstöcke stehen. In einigen
Bundesländern ist es zudem Pflicht, für die Bienen Beiträge an die Tierseuchenkasse zu
zahlen. Tritt eine Seuche, also eine sehr ansteckende Krankheit, auf, bekommen die
Tierhalter eine Entschädigung. Wer die Imkerei betreibt, sollte sich in entsprechenden
Lehrgängen informieren. Jürgen hat einen anderen Weg gewählt:

„Also, Lehrgänge hab ich nicht gemacht, obwohl das sicherlich sinnvoll ist. Man kann sich
da viel Fragerei ersparen. Was ich gemacht habe, ist viel gelesen, ne. Da kriegt man dann
vom Imkerverein so ‘ne Art Bibel, wo alles drin steht, was man wissen muss. Und
muss sich halt die Mühe machen, dass mal ‘n bisschen studieren. Und was die Sache
leichter macht ist, dass es höllisch spannend ist.“

Obwohl Jürgen Lehrgänge als sinnvoll empfindet, weil man sich notwendige Informationen
nicht erfragen muss, hat er nur ein Handbuch gelesen, das der Imkerverein zur Verfügung
gestellt hat. Weil dort alle wichtigen Informationen und Regeln aufgeführt sind, vergleicht
er das Handbuch mit dem wichtigsten Buch der Christen. Es ist so ‘ne Art Bibel. Jürgen
findet, dass man sich nur die Mühe machen muss, es intensiv zu lesen, es zu studieren.
Und weil die Informationen so interessant sind, ist es sehr, höllisch, spannend. Während
Jürgen „Urban Beekeeping“ als Hobby betreibt, sieht das bei Klaus Maresch anders aus. Der
Bonner Bio-Imker ist seit den 1980er Jahren im Geschäft. Er hat an mehreren Standorten
Bonns seine Bienenvölker stehen. Die Hobbyimkerei betrachtet Klaus Maresch sehr
kritisch:

„Uns Berufsimkern gefällt das eigentlich nicht wirklich. Ich sag’s ganz brutal: Jeder Depp
kann sich ‘n Bienenvolk kaufen. Hurra, ich bin Imker! Ich kann mit so etwas auch
unbewusst zum Tierquäler und Naturfrevler werden. So weit würde ich gehen.“

Klaus Maresch drückt es mit einer ziemlich deutlichen Formulierung, ganz brutal, aus,
was er von Hobbyimkern hält: gar nichts. Seiner Meinung nach ist es jedem Depp, also
jemandem, der absolut keine Ahnung hat, möglich, ein Bienenvolk zu kaufen und sich als
Imker zu fühlen. Das fehlende Fachwissen kann dann sogar dazu führen, dass man – ohne
es zu wollen – Negatives tut: Tiere zu quälen und die Natur zu schädigen, zum
Naturfrevler zu werden. So müssen Imker beispielsweise wissen, was zu tun ist, wenn ihre
Bienen krank werden. Bei falscher oder nicht ausreichender Behandlung kann das
ganze Bienenvolk sterben. Im Gegensatz zu Klaus Maresch freut sich der Leiter des Instituts
für Nutzpflanzenwissenschaften und Ressourcenschutz an der Rheinischen Friedrich-
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Wilhelms-Universität Bonn, Andreé Hamm, über das große Interesse an den Bienen. Für
den Wissenschaftler ist zwar auch wichtig, dass man sich mit Bienen auskennen sollte.
Andererseits legt er Wert darauf, das Interesse der Menschen an den Bienen zu fördern. So
eignen sich inzwischen – wie Andrée Hamm schildert – immer mehr Studentinnen und
Studenten, auch aus dem Ausland, nicht nur theoretisches Wissen an. In der angegliederten
Forschungsimkerei lernen sie auch das praktische Handwerk:

„Sehr viele ausländische Studentinnen und Studenten haben an diesen Bienenkursen – will
ich mal vereinfachend sagen – teilgenommen und dieses Wissen mit in ihre Heimatländer,
nach Afrika, nach Südamerika und sonst wo auf der Welt, genommen. Das heißt, die Bienen
leisten einen wichtigen Beitrag dafür, dass wir täglich was auf ‘m Teller haben.“

Überall auf der Welt spielen Bienen als Bestäuber eine große Rolle. Sie sorgen dafür, so
Andrée Hamm, dass wir was auf dem Teller haben, was zu essen haben. Allerdings
verwaltet sich ein Bienenvolk nicht von selbst – und die Imkerei ist ein Handwerk, das
gelernt sein will.

Autorinnen: Julia Vergin, Beatrice Warken


Redaktion: Ingo Pickel

Arbeitsauftrag
Ihr wollt euren eigenen Honig herstellen. Informiert euch zunächst grundsätzlich, was ihr
dafür braucht: ob zum Beispiel in eurem Land Regularien gelten und einzuhalten sind, ob es
Fachleute gibt, mit denen ihr Gespräche führen könnt. Verteilt dann die notwendigen
Aufgaben innerhalb eurer Lerngruppe. Jede Kleingruppe erstellt einen Bericht über die
Ergebnisse in ihrem Aufgabenbereich.

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E-Autos in Deutschland

Das erste Auto wurde in Deutschland gebaut. Und Deutschland soll auch mit zu
den wichtigsten Ländern für Elektrofahrzeuge gehören. Allerdings kommt der
Verkauf von E-Autos nicht so richtig in Fahrt.

Bis zum Jahr 2020 sollen eine Million E-Autos auf deutschen Straßen fahren. Dieses Ziel
setzte die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel bei einem Treffen mit Vertretern der
Automobilkonzerne, der wichtigsten Verbände, Wissenschaftlern, Gewerkschaftern und
Umweltschützern im Mai 2010 in Berlin. Von diesem Ziel ist man allerdings noch sehr weit
entfernt. Bis Ende 2014 wurden etwa 20.000 E-Autos verkauft. Daher findet der Chef des
Automobilkonzerns Daimler, Dieter Zetsche, dass er sich vorkommt wie in einem Sketch aus
den 1960er Jahren, wenn er über das Thema „E-Autos“ spricht. Auf dem 5.
Elektromobilitätsgipfel in Berlin sagte er:

„Es hat ein bisschen was von ‚Dinner for One‘ an Silvester, ‚the same procedure as
every year.’ Wobei es tatsächlich eine Überlegung wäre, heute ‚the same speech as every
summit‘ zu halten – vermutlich würde es den meisten gar nicht auffallen. Das liegt natürlich
nicht an Ihrem begrenzten Auffassungsvermögen oder Ihrer begrenzten Aufmerksamkeit,
sondern vielmehr an den begrenzten Fortschritten in Deutschland, eine Million
Elektroautos auf die Straße zu bringen.“

Im Mai 2015 traf man sich zum fünften Mal, um über Elektromobilität zu sprechen. Es ist
für Dieter Zetsche „the same procedure as every year“. Dieser Satz aus dem Sketch
„Dinner for One“ ist in die Alltagssprache eingegangen für etwas, das immer wieder in der
gleichen Art und Weise abläuft. „Der 90. Geburtstag oder Dinner for One“ ist eine 18-
minütige Fernsehproduktion, die auf einem englischen Original basiert. Seit 1963 wird sie
immer zu Silvester im deutschen Fernsehen gezeigt. Ironisch meint Dieter Zetsche, dass er
jährlich die gleiche Rede halten könnte und kaum jemand es bemerken würde. Er könne
aber auch nichts Neues sagen. Denn es gebe kaum Fortschritte. Laut einer Analyse des
amerikanischen Unternehmensberatungskonzerns McKinsey liegt die Bundesrepublik im
internationalen Vergleich bei den zugelassenen E-Autos, also denen, die die behördliche
Erlaubnis zum Betrieb haben, auf Platz 11. Sie findet sich noch hinter Ländern mit einer
geringeren Einwohnerzahl wie Portugal, Dänemark und Norwegen. Am Angebot liegt das
nicht, betont der Präsident des Verbandes der Automobilindustrie Matthias Wissmann:

„Leitanbieter sind wir nach Meinung praktisch aller internationalen Experten inzwischen
mit anderen zusammen – auch die Japaner spielen mit, die Amerikaner. Wir haben nach
McKinsey sogar die größte Vielfalt: 17 Modelle der Elektromobilität hat die deutsche
Automobilindustrie gegenwärtig im Markt, und im Lauf des Jahres 2015 kommen noch
einmal zwölf Modelle hinzu.“
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Laut Matthias Wissmann gehört Deutschland zu den führenden Anbietern von


Elektroautos. Es ist ein Leitanbieter – zusammen mit Japan und den USA. Wie in einem
Sportteam spielt es auch im Markt mit. Dennoch finden E-Autos in Deutschland kaum
Käufer. Der Hauptgrund ist, dass sie zu teuer sind. Studien zufolge sind Autokäufer meist
lediglich dazu bereit, 2000 bis 3000 Euro mehr für ein Elektrofahrzeug auszugeben als für
ein Auto mit Benzin- oder Dieselantrieb. Die Differenz liegt meist aber deutlich darüber.
Aber selbst die aktuellen Preise für Elektroautos sind nach Ansicht der Autokonzerne noch
zu niedrig. Wirtschaftlich betrachtet „zahlen“ sie redensartlich „drauf“, ist der Verkauf nicht
gewinnbringend, sagt Daimler-Vorstandschef Dieter Zetsche:

„Auch wenn ich nicht in die Bilanzen der Wettbewerber gucken kann, bin ich sehr
sicher, dass es bei uns allen gleich aussehen wird: Dass wir heute schon in jedes
Handschuhfach von so ‘nem Elektrofahrzeug Geld legen – und das können wir nicht in
beliebigem Umfang tun.“

Obwohl er die Gewinne und Verluste anderer Automobilkonzerne nicht kennt, ihnen nicht
in die Bilanzen gucken kann, ist Dieter Zetsche von einem fest überzeugt: Jeder Konzern
macht mit dem Verkauf Verluste, legt – bildlich gesprochen – in jedes Handschuhfach
Geld. Das Handschuhfach ist ein Ablagefach vor dem Beifahrersitz. Doch E-Autos werden
nur preiswerter, wenn mehr Menschen sie kaufen, der Absatz steigt. Hier ist nach Meinung
von Dieter Zetsche auch die Politik in der Verantwortung. Sie muss den Kauf fördern:

„Wir sprechen hier über einen Brückenschlag, über eine deutlich begrenzte Zeit, in der
man die Nachteile, die im Moment dieses Produkt noch aufweist, versucht, abzumindern
oder auszugleichen über entsprechende zum Beispiel steuerliche Anreize, um diesen
Anschub zu schaffen, der dann auch die weitere Entwicklung noch beschleunigen kann.
Ich glaube aber wirklich, dass wir uns entscheiden müssen: Wenn wir wollen, dass wir in
Deutschland im Markt vorangehen, die eine Million ist völlig unrealistisch unter heutigen
Randbedingungen.“

Laut Dieter Zetsche müssen alle erkennen, dass nach derzeitigem Stand das Ziel von einer
Million E-Autos bis 2020 nicht zu erreichen ist. Die Randbedingungen dafür sind nicht
vorhanden. Neben dem vergleichsweise hohen Preis gibt es weitere Nachteile: Dazu gehören
die Leistungsfähigkeit und die meist lange Ladezeit der Batterien sowie die geringe Anzahl
von Ladestellen, von „Stromtankstellen“. So liegt die Reichweite eines E-Autos abhängig
vom Modell zwischen 500 und 100 Kilometern, die Ladezeit kann bis zu acht Stunden
dauern. Damit die Autoindustrie ihre Forschungsanstrengungen verstärken und die
Nachteile beseitigen kann, schlägt Dieter Zetsche vor, dass die Bundesregierung etwa
steuerliche Anreize zum Kauf von E-Autos bietet. Dazu könnte etwa gehören, dass
Unternehmen weniger Steuern zahlen müssen, wenn sie Elektrofahrzeuge als Dienstwagen
kaufen. So könnte laut Dieter Zetsche wie bei einem startenden Flugzeug ein Anschub
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erzeugt werden. Die Maßnahmen könnten zudem zeitlich begrenzt werden. Es wäre, wie es
Dieter Zetsche formuliert, eine Überbrückung, ein Brückenschlag – ähnlich einer Brücke,
die eine festgelegte Distanz überspannt. Sicher ist, dass weder die Politik noch die
Automobilbauer abwartend zusehen können, wie sich die Elektromobilität entwickelt. Denn
es geht nicht nur darum, Klimaschutzvorgaben der Europäischen Union zu erfüllen, wonach
Autos nach 2020 nur noch 95 Gramm Kohlendioxid pro Kilometer ausstoßen dürfen. Die
Automobilbranche ist in Deutschland auch ein zu wichtiger Wirtschaftsfaktor, als dass man
ihn vernachlässigen könnte.

Autorinnen: Sabine Kinkartz, Beatrice Warken


Redaktion: Ingo Pickel

Arbeitsauftrag
Schaut euch die Ansprache der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel „Elektroautos
gehört die Zukunft“ an: http://bit.ly/1FoRkpa. Bildet Arbeitsgruppen und recherchiert, wie
weit die Herausforderungen und Rahmenbedingungen, die die Kanzlerin erwähnt,
inzwischen erfüllt wurden. In welchen Bereichen gab es Fortschritte und in welchen nicht?
Erstellt eine Präsentation für eure Lerngruppe.

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Begleitmaterialien – Aufgaben

Die dunkle Geschichte der Berliner Charité

1. Setze die passende Wendung ein. Achte auf die richtige Form.

sich der Vergangenheit stellen – aus einem Schuldgefühl heraus handeln – für den
Durchbruch sorgen – ins Leben rufen – in Abhängigkeit leben

a) Jüdische Professoren, die Deutschland während der Zeit des Nationalsozialismus


verließen, ________ im Ausland oft ______________.

b) Deutsche Hochschulen haben erst sehr spät damit begonnen, ________


nationalsozialistischen _____________ zu ____________.

c) Nicht die Berliner Charité ______ bei der Aufarbeitung der nationalsozialistischen
Vergangenheit ________________, sondern die Max-Planck-Gesellschaft.

d) Das Projekt „GeDenkOrt.Charité“ wurde _______________, um zum Beispiel an die


während des Nationalsozialismus entlassenen jüdischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
der Charité zu erinnern.

e) Viele Wissenschaftseinrichtungen arbeiten nach Meinung von Rüdiger vom Bruch ihre
Vergangenheit auf, nicht weil sie es als notwendig erachten, sondern weil sie
________________________.

2. In welcher Bedeutung werden die Begriffe im Beitrag verwendet? Wähle


einen der vier Begriffe aus. Nutze ggfs. das Wörterbuch.

a) Institutionen und Unternehmen haben sich entschlossen, sich ihrer Vergangenheit zu


stellen, nicht unbedingt aus einem persönlichen Schuldgefühl heraus. [notwendigerweise,
absolut, angebracht, sicher]

b) Man meinte, es sei besser, wenn man selber eine neutrale Untersuchung von
Fachhistorikern in Auftrag gibt. [tolerant, nüchtern, ungebunden, unvoreingenommen]

c) Manche Lehrerpersönlichkeiten hatten scheinbar nichts mit der Ideologie der


Nationalsozialisten zu tun. [angenommen, anscheinend, scheinheilig, sichtbar]

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Begleitmaterialien – Aufgaben

d) Laut Charitéchef Karl Max Einhäupl begannen die Verstöße an den Hochschulen mit
einer kleinen Verschiebung ethischer Normen. [belanglos, bedeutungslos, geringfügig,
knapp]

e) Solche Verstöße können seiner Meinung nach unter Umständen historische Dimensionen
annehmen. [auf alle Fälle, möglicherweise, in jeder Hinsicht, beispielsweise]

3. Welche Aussage ist richtig? Kreuze an.

1. Deutsche Wissenschaftseinrichtungen haben mit der eigentlichen Aufarbeitung ihrer


Nazivergangenheit … begonnen.
a) Mitte der 1970er-Jahre
b) Ende der 1990er-Jahre
c) zu Beginn des 20. Jahrhunderts
d) im Jahr 1995

2. In Forschung und Wissenschaft wurde laut Rüdiger vom Bruch die Verwicklung mancher
Wissenschaftler in Verbrechen der Nationalsozialisten nicht vermutet, weil …
a) es sich um bekannte Personen handelte.
b) sie Juden waren.
c) ihre Untersuchungen als notwendig erachtet wurden.
d) ihre Kollegen und Kolleginnen sie schützten.

3. Die Charité hat sich nach Aussage von Professor Karl Max Einhäupl für Gedenksäulen
entschieden, weil …
a) es entsprechende Angebote namhafter Künstler gab.
b) die Berliner Stadtverwaltung das so verlangt hatte.
c) für ein richtiges Museum kein Platz war.
d) das Universitätsklinikum eine lange Tradition hat und etwas geschaffen werden sollte,
was jeder sehen kann.

4. Was wäre im Sinne von Charitéchef Karl Max Einhäupl eine „Verschiebung ethischer
Normen“? Wenn man …
a) grundsätzlich bestimmte Verhaltensweisen für richtig hält.
b) eine Person zwar schätzt, sie aber nach und nach z.B. schlecht behandelt.
c) aus selbstsüchtigen Motiven gegen bestimmte Normen verstößt.
d) z.B. Menschen diskriminiert, weil es der eigenen Überzeugung entspricht.

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4. Setze die passenden Konjunktionen ein. Achte auf Groß- bzw.


Kleinschreibung.

während – beziehungsweise – bis – damit– obwohl – dass – vielmehr – soweit –


wenn

_________ es bereits in den 1970er-Jahren erste wissenschaftliche Studien gab, die sich
mit der nationalsozialistischen Vergangenheit deutscher Wissenschaftseinrichtungen
beschäftigten, dauerte es doch noch mehr als zwanzig Jahre, _________ diese bereit
waren, sich damit auseinanderzusetzen. Ein Grund war aber nicht, _______ es ein
allgemeines Schuldgefühl gab. __________ war der Druck der Öffentlichkeit sehr groß.
_________ die Max-Planck-Gesellschaft bereits 1997 mit der Aufarbeitung begann, war
das im Falle der Berliner Charité anders: Sie startete ihr Projekt „GeDenkOrt.Charité“ im
Jahr 2013. _______ die Historiker bisher wissen, gab es mehr als 180 jüdische Dozenten
und Professoren, die die Charité verlassen mussten. _________ heutige __________
nachfolgende Ärztegenerationen schon frühzeitig erkennen, ________ gegen ethische
Normen verstoßen wird, soll das Projekt auch als Mahnung dienen.

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Die dunkle Geschichte der Berliner Charité

Viele deutsche Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen waren in


Verbrechen der Nationalsozialisten verwickelt. Erst spät begannen sie, ihre
dunkle Vergangenheit aufzuarbeiten – so auch die berühmte Charité in Berlin.

Nicht nur Unternehmen oder die beiden großen christlichen Kirchen in Deutschland waren
an Verbrechen der Nationalsozialisten entweder selbst beteiligt oder haben sie
stillschweigend geduldet, sondern auch deutsche Wissenschaftseinrichtungen. So wurden
zum Beispiel Experimente in Konzentrationslagern durchgeführt, Zwangsarbeiter in den
Hochschulkantinen beschäftigt oder Professoren entlassen, weil sie Juden waren. Nach
Jahrzehnten der Verharmlosung haben manche Wissenschaftseinrichtungen damit
begonnen, sich mit ihrer Vergangenheit auseinanderzusetzen, sie aufzuarbeiten. Als eine der
ersten Einrichtungen ließ die Max-Planck-Gesellschaft 1997 eine Arbeitsgruppe zur
Erforschung ihrer eigenen Vergangenheit einrichten. Der Berliner Wissenschaftshistoriker
Rüdiger vom Bruch, der sich schon viele Jahre mit der NS-Vergangenheit deutscher
Hochschulen beschäftigt, meint, diese Initiative habe den Anstoß gegeben für andere:

„Das war, glaube ich, ein ganz entscheidender Durchbruch. Und dann kam auf breiterer
Front, dass andere Institutionen und Unternehmen gesagt haben: ‚Wir wollen uns der
Vergangenheit stellen‘. Nicht vielleicht unbedingt aus einem persönlichen
Schuldgefühl heraus, sondern weil öffentliche Angriffe so stark geworden waren, dass
man meinte, es ist besser, wenn wir selber eine neutrale oder unbefangene Untersuchung
von Fachhistorikern in Auftrag geben.“

Zwar entstanden schon in den 1970er-Jahren Studien über Universitäten, doch waren diese
dem Engagement einzelner Wissenschaftler zu verdanken. Erst seit Ende der 1990er-Jahre
sind deutsche Hochschulen bereit, sich ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit zu
stellen, sich mit ihr auseinanderzusetzen. Die Max-Planck-Gesellschaft brachte nach
Ansicht von Rüdiger vom Bruch den Durchbruch, sorgte dafür, dass viele andere ihr
folgten. Es geschah auf breiter Front. Der wesentliche Grund aber war nicht, dass man
sich schuldig fühlte. Es geschah nicht aus einem Schuldgefühl heraus. Vielmehr
handelte man erst wegen öffentlicher Kritik. Und damit man nicht als befangen, als nicht
objektiv genug, galt, wurden Fachhistoriker beauftragt, die neutral waren. Aber warum
begann die Aufarbeitung erst so spät? Rüdiger vom Bruch hat eine Erklärung:

„Weil zum Teil verehrte Lehrerpersönlichkeiten betroffen waren, wo man sich nicht getraut
hat, Fragen zu stellen. Ein Punkt, den wir immer wieder in allen möglichen Fächern haben:
Dass die sogenannten oder vermeintlichen Lichtgestalten des Faches, die scheinbar mit
NS-Ideologieverbrechen nichts zu tun hatten, sehr viel mehr betroffen waren als man
denken kann.“
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In der Wissenschaft hielt sich lange Zeit die Überzeugung, nicht in die Nazi-Ideologie
verwickelt gewesen zu sein. Dabei zeigten viele Wissenschaftler früh Sympathie mit den
Nazis und stellten ihre Arbeit in den Dienst des Regimes. Auch an der Charité, einer der
ältesten und berühmtesten Universitätskliniken Deutschlands, fanden Rassenforschung,
Menschenversuche oder Zwangssterilisationen statt. Von den nicht-jüdischen Ärzten wagte
es kaum jemand, darüber zu sprechen, Fragen zu stellen oder sich öffentlich gegen den
Nationalsozialismus zu stellen. Denn häufig betraf es sogenannte Lichtgestalten, also
Personen, die wirklich sehr anerkannt waren oder es scheinbar, vermeintlich, waren. So
unterstützten selbst berühmte Wissenschaftler wie der Chirurg Ferdinand Sauerbruch oder
der Psychiater Karl Bonhoeffer politische Vorhaben der Nationalsozialisten wie
Zwangssterilisationen oder Menschenversuche in den Konzentrationslagern. Beide waren
an der Charité beschäftigt. Auch sie arbeitet ihre Vergangenheit auf – mit dem Projekt
„GeDenkOrt.Charité – Wissenschaft in Verantwortung“. Mit dem 2013 gestarteten Projekt
erinnert sie an ihre jüdischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. So werden diese Menschen
und ihre Arbeit auf Gedenksäulen vorgestellt. Der Chef der Charité, Professor Dr. Karl Max
Einhäupl, erzählt, welche Ziele man verfolgte:

„Eigentlich war der ursprüngliche Gedanke, dass wir als Charité schon etwas ins Leben
rufen müssen, was von namhaften Künstlern in einer durchaus sichtbaren Form
dargestellt ist. Wir wollen das Ganze auch verbinden mit einem musealen Teil, in dem aber
auch ein Lehrpfad entsteht für junge Studierende, für junge Ärztinnen und Ärzte, die
dieses auch zum Anlass nehmen sollen, darüber nachdenken: ‚Wie kommt man eigentlich
als Arzt dazu, sich in solche Vergehen einwickeln und verwickeln zu lassen‘.“

Das, was an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erinnerte, sollte etwas Besonderes sein.
Man wollte etwas schaffen, ins Leben rufen, das von bekannten, namhaften, Künstlern
erstellt wurde. Und so entstanden die Gedenksäulen. Das Projekt soll auch noch ein
Museum sowie einen Lehrpfad beinhalten, einen Weg, an dem einzelne geschichtliche
Stationen beschrieben werden. Ziel ist laut Professor Karl Max Einhäupl, dass sich die Ärzte
von heute und von morgen die Frage stellen: Wie haben es die Nationalsozialisten geschafft,
etwa auch Mediziner für sich zu gewinnen, sie einzuwickeln. Das Projekt wird betreut von
Udo Schagen, Historiker im Fachbereich Medizingeschichte der Charité. Für die
Gedenksäulen hat er die Namen von Mitarbeitern der Charité zusammengetragen, die nach
1933 isoliert und entlassen wurden und von denen viele Deutschland verlassen mussten.
Allerdings ist die Recherche – wie Udo Schagen sagt – noch längst nicht abgeschlossen:

„Wir wissen inzwischen von weit über 180 jüdischen Dozenten und Professoren, darunter
sind nur sehr wenige Assistenten. Und wir wissen auch nicht, wie viele Jüdinnen und Juden
aus den Pflegeberufen entlassen wurden. Das waren mit Sicherheit mehr als doppelt so
viele, weil traditionell im ärztlichen und in den Pflegeberufen die Zahl der jüdischen
Mitarbeiter sehr hoch war.“
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Die Medizinhistoriker haben das Schicksal von mehr als 180 hochrangigen jüdischen
Medizinern verfolgen können. Über das Schicksal jüdischer Assistenzärzte,
Krankenschwestern und Pfleger ist dagegen wenig bekannt. Vielen Dozenten und
Professoren gelang die Flucht ins Ausland, weil sie meist genug Geld besaßen und
persönliche Kontakte hatten. Allerdings war der berufliche Neuanfang in der neuen Heimat
aus verschiedenen Gründen nicht einfach, sagt Udo Schagen:

„Sehr häufig kamen sie in Länder, wo sie ihren ärztlichen Beruf nicht ausüben durften,
teilweise nochmal studieren mussten, teilweise in Abhängigkeit von anderen Menschen
leben mussten.“

Die Mediziner durften entweder gar nicht arbeiten oder sie lebten in Abhängigkeit von
anderen, waren darauf angewiesen, dass diese ihnen etwa eine Arbeit verschafften. Manche
mussten sogar trotz eines Hochschulabschlusses noch einmal studieren. Dass sich
Studierende heute mit dem Verhalten von Ärzten im Dritten Reich auseinandersetzen, ist
für Charitéchef Karl Max Einhäupl ein wichtiger Teil der Ausbildung in medizinischer Ethik:

„Wir sind überzeugt davon, dass solche Verstöße häufig beginnen mit einer kleinen
Verschiebung von ethischen Normen. Und solche kleinen Verschiebungen von
ethischen Normen finden möglicherweise in vielen Bereichen – auch der Medizin – statt.
Und man muss sich frühzeitig darüber klar werden, dass das der erste Schritt in eine
Entwicklung sein kann, die dann unter Umständen sogar mal historische Dimensionen
annehmen kann – wie das eben im Dritten Reich der Fall gewesen ist.“

Das Projekt „GeDenkOrt.Charité“ soll nicht nur an die Vergangenheit erinnern, sondern
auch einer neuen Generation von Ärzten als Mahnung dienen – und vielleicht auch anderen
Berufsgruppen. Denn oft beginnt ein bestimmtes Verhalten, wie Professor Karl Max
Einhäupl sagt, mit einer kleinen Verschiebung ethischer Normen. Ein Verhalten, das
normalerweise als falsch bewertet würde, wird plötzlich als normal angesehen. Und mehrere
kleine Verschiebungen können sich dann sogar zu einer Größe entwickeln, historische
Dimensionen annehmen, die – wie im Nationalsozialismus – unter anderem zur
Ermordung von Millionen Menschen führte.

Autorinnen: Bianca Schröder, Beatrice Warken


Redaktion: Stephanie Schmaus

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Arbeitsauftrag
Schaut euch das Video „Deutsche Universitäten unterm Hakenkreuz“ an:
http://bit.ly/1N6GAUw. Erstellt eine Zusammenfassung, die am Ende eine Begründung
enthalten sollte, warum sich Hochschulen ohne Widerstand dem nationalsozialistischen
Regime unterordneten.

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Sankt Martin hoch zu Ross

1. Hast du alles behalten? Wähle aus, ob die jeweilige Aussage richtig bzw.
falsch ist.

1. Der Darsteller des Sankt Martin befürchtet, dass die Tradition des Festes ausstirbt.
a) Richtig
b) Falsch

2. Ein Brauch des Martinsfestes ist es, Hühner zu braten und zu essen.
a) Richtig
b) Falsch

3. Das Wort „Weckmann“ ist in ganz Deutschland gebräuchlich.


a) Richtig
b) Falsch

4. In der früheren DDR wurde das Sankt-Martinsfest nicht gefeiert.


a) Richtig
b) Falsch

5. Sankt Martin wurde als Heiliger geboren.


a) Richtig
b) Falsch

6. Das Martinsfest war ursprünglich ein protestantisches Fest.


a) Richtig
b) Falsch

7. Beim Martinsfest kommt das Licht in den Laternen meistens von Kerzen.
a) Richtig
b) Falsch

8. Ein fester Bestandteil des Martinsfestes im Rheinland ist es, nach dem Laternenumzug
noch singen zu gehen, um Süßigkeiten zu bekommen.
a) Richtig
b) Falsch

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2. Erinnerst du dich noch an die St. Martinsgeschichte? Setze die Textelemente


in der historisch richtigen Reihenfolge ein.

einen frierenden Bettler.


zum Bischof von Tours ernannt und hieß fortan Martin von Tours.
wurde er Soldat im Heer der Römer. und wird seitdem „Sankt Martin“ genannt.
war er mit seiner Armee in der heutigen Stadt Amiens.
dem Bettler, damit dieser nicht mehr fror.
ließ er sich taufen und nannte sich fortan „Martin“.
als Martinus im Jahr 316 n. Chr. geboren wurde.
zerschnitt er seinen Umhang mit einem Schwert.

1. Historiker haben herausgefunden, dass Sankt a)


Martin …

2. Als 15-Jähriger … b)

3. Im Jahr 333 n. Chr. … c)

4. Er sah dort angeblich… d)

5. Der Legende nach … e)

6. Er gab die eine Hälfte … f)

7. Nachdem ihm Jesus im Traum erschienen g)


war …

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8. Im Jahr 372 wurde er … h)

9. Bischof Martin von Tours wurde nach seinem i)


Tod heiliggesprochen …

3. Übe das Partizip I bzw. II: Trage die entsprechenden Verben in der richtigen
Form in die Lücken ein.

verlaufen begegnen singen überlegen einkleben basteln


verbringen beibringen abbrechen drehen leuchten schieben

1. Die Erzieherinnen haben den Kindern vor dem Sankt Martinsfest einige Lieder
_____________.
2. Viele Martinslieder ___________ ziehen die Kinder von Haus zu Haus.
3. Gebügelte und ___________ Wachsfarben sorgen für ein wunderschönes Muster auf
den Laternen.
4. Martinus ist einem frierenden Bettler ___________ und hat seinen Umhang mit dem
Schwert in zwei Hälften geteilt.
5. Meine Kinder haben wunderschöne Figuren aus Architektenpapier in ihre Laternen
___________ .
6. Hajo isst besonders gerne Weckmänner. Er hat direkt den mit Rosinen bestückten Kopf
___________ und ihn direkt in den Mund ___________.
7. Die kalte Nacht draußen ___________ haben sich die römischen Soldaten am Feuer
gewärmt.
8. In dem Kinderlied haben sich die Kühe im Kreis ___________, nachdem sie zunächst
vor- und zurückgelaufen sind.
9. Hell ___________ erstrahlte der Nachthimmel durch das Martinsfeuer.
10. Auf dem Martinszug sieht man viele ___________ Laternen.
11. Hannah hat lange __________, ob sie ihre Freundin Anna nach einem kleinen Streit
über die Form einer Laterne anrufen soll, damit sie nach dem Martinsfeuer gemeinsam
singen gehen.

[beawar / ingpic]
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Sankt Martin hoch zu Ross

Auf seinem Pferd sitzend, einem armen Bettler helfend. So ist er in die
Geschichte eingegangen: Martin von Tours. Rund um diese Tat hat sich ein
Brauchtum entwickelt – wie das Martinssingen oder Martinsgansessen.

Wenn es immer früher dunkel wird und die Blätter von den Bäumen fallen, ist Zeit für das
erste Fest, das auf Weihnachten hinführt: Sankt Martin. Es ist ein katholisches Fest mit
langer Tradition, das am 11. November gefeiert wird. Je nach Region gibt es bestimmte
Bräuche. Auch aus dem Rheinland ist diese Tradition nicht wegzudenken. Was auf jeden
Fall dazu gehört, sind die entsprechenden Sankt-Martinslieder:

„Sankt Martin, Sankt Martin ritt durch Schnee und Wind, sein Ross, das trug ihn fort
geschwind. Sankt Martin ritt mit leichtem Mut, sein Mantel deckt ihn warm und gut.“

Voller Eifer singen die Grundschüler einer Bonner Grundschule. Im Unterricht haben sie
alle beliebten Sankt-Martinslieder gelernt. Das Lied, in dem Sankt Martin auf seinem Pferd,
seinem Ross, durch den Schnee reitet, gehört zu den am häufigsten gesungenen. Der heilige
Martin reitet schnell, geschwind, und gut gelaunt, frohen Mutes, oder, wie es in dem
Volkslied heißt, leichten Mutes durch den Schnee. Es ist windig. Gewärmt wird er durch
seinen Mantel. Er deckt ihn warm. In den Kindergärten und in der Grundschule lernen
die Kinder auch, wer Sankt Martin eigentlich war. Erstklässler Scott kann das jedenfalls
genau erklären:

„Der hat den Mantel einem Bettler gegeben. Ich finde Sankt Martin gut, weil man da auch
Laternen hat und einen Laternenzug machen kann.“

In Erinnerung an das Begräbnis des Heiligen, findet jedes Mal ein Laternenzug statt, bei
dem die Lieder gesungen werden. Wer war Sankt Martin? Er wurde als Martinus um das
Jahr 316 nach Christus geboren und mit 15 Jahren Soldat in den Diensten der römischen
Armee. Die Legende will es, dass Martinus im Alter von 17 Jahren an einem kalten
Wintertag vor den Toren der heutigen nordfranzösischen Stadt Amiens einem frierenden
Bettler begegnete. Damit auch dieser etwas Wärmendes zum Anziehen hatte, soll Martinus
seinen roten Umhang mit einem Schwert in zwei Teile geteilt haben. Später soll ihm im
Traum Jesus erschienen sein und ihn dazu aufgefordert haben, sich taufen zu lassen.
Martinus beendete seinen Armeedienst, ließ sich als „Martin“ taufen und wurde Priester.
Wegen seines Wirkens für andere Menschen wollten ihn die Bürger der Stadt Tours als
Bischof haben. Im Jahr 372 wurde er geweiht. Er starb am 8. November 397. Drei Tage
später, am 11. November, wurde sein Leichnam – begleitet von einer Lichterprozession –
auf einem Boot nach Tours gebracht, wo er beerdigt wurde. Wenig später wurde Martin von
Tours vom Papst heiliggesprochen. Aus ihm wurde Sankt Martin. Wie bei der
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Lichterprozession ziehen heutzutage die Kinder beim Sankt-Martinszug mit Laternen durch
die Straßen. Bei den größten Laternenzügen kommen fast 4000 Menschen zusammen.
Angeführt wird der Zug von einem Reiter, der Sankt Martin verkörpert. Dem Bonner Sankt-
Martin-Darsteller ist das Fortführen der Tradition besonders wichtig, da inzwischen einige
Kinder lieber Halloween feierten:

„Ich finde es schade, dass diese Tradition so langsam aber sicher abbröckelt. Wenn man
die Kinder fragt: ‚Was ist Sankt Martin?‘, ‚Wer ist Sankt Martin?‘ oder die Geschichte nach
dem Sankt Martin, bekommt man nur Antworten von wegen: ‚Äh, äh! Weiß ich nicht!‘ Das
finde ich eigentlich sehr schade.“

Der Darsteller des Sankt Martin hat festgestellt, dass viele Kinder nicht mehr wissen, worauf
die Tradition des Festes zurückzuführen ist. Die Tradition bröckle ab, wie Steine, die
locker sind. Das ist aber längst nicht bei allen Kindern der Fall. Denn Erstklässler Scott weiß
genau, warum er seine selbstgebastelte rote Apfellaterne durch die Bonner Altstadt trägt.
Auch seine Mutter Franziska mag die jährliche Tradition, die sie erst im Rheinland richtig
kennengelernt hat:

„Also, ich bin in der DDR aufgewachsen, und da gab’s keinen Sankt Martin. Insofern hab ich
keine Kindheitserinnerungen. Aber seitdem ich Kinder hab’ und seitdem wir im Rheinland
wohnen, ist es ganz schön, weil man ja jedes Jahr einfach dann im Kindergarten geht. Selbst
unsere kleine einjährige Tochter hatte schon ‘n Sankt-Martins-Umzug, und ja, jetzt ist der
Große in der Schule, und wir gehen das erste Mal in der Schule mit.“

Als Kind hat Franziska Sankt Martin und die damit verbundene Tradition nicht
kennengelernt, weil alles, was mit Kirche und christlichem Glauben zu tun hatte, in der
früheren DDR nicht erlaubt war. Erst im Rheinland ist sie in einem Umzug mitgegangen,
und zwar mit ihrer kleinen Tochter und ihrem älteren Sohn, dem – wie sie
umgangssprachlich sagt – Großen. Der Umzug endet am Martinsfeuer. Mehrere Meter
hoch wird Holz aufeinandergestapelt und angezündet. Dabei wird oft die Martinsgeschichte
noch einmal vorgelesen. Anschließend bekommt jedes Kind einen „Weckmann“. So heißt
das süße Gebäck jedenfalls im Rheinland. Andernorts kennt man ihn auch als
„Martinsmann“ oder „Stutenkerl“. Nicht nur die Kinder mögen diese gemütliche Tradition –
auch Scotts Vater Harald:

„Besonders schön ist einfach das Event als solches, dass sich ganz viele Kinder treffen, und
es ist im Dunkeln, und es ist ‘n bisschen heimelig, es passiert was – und das ganze
Drumherum, also das Basteln der Laternen. Das ist ‘ne ganze Menge, so ‘n Rundum-
Wohlfühlpaket für die Kinder, und ich glaub’, das gefällt den Kindern auch am meisten.“

Harald liebt die gesamte Atmosphäre des Ereignisses oder – wie er neudeutsch sagt – des
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Events. Für ihn fühlt es sich heimelig an, behaglich wie daheim in seinem eigenen Haus.
Auch die Vorbereitung, das Basteln der Laternen und das Einüben der Lieder, das ganze
Drumherum wie er sagt, gehört dazu. Es ist ein Rundum-Wohlfühlpaket, so als ob
man sich einen ganzen Tag nur verwöhnen lässt und sich anschließend richtig gut, richtig
wohlfühlt. Die Laternen sind das Schönste an jedem Umzug. In der Regel werden sie ein bis
zwei Wochen vorher zuhause oder in Kindergärten und Grundschulen gebastelt. Form,
Farbe und Material verändern sich jedes Jahr:

„Also, wir hatten jetzt Architektenpapier. Das haben die Kinder dann mit
Wachsmalstiften bemalt. Das nennt man dann ‘ne Bügeltechnik. Das verläuft dann so.
Und wir hatten einen Korpus dieses Jahr, viereckig, wo das so reingeklebt wurde. Und
dann wählen die Familien selber aus, ob sie ‘ne Kerze nehmen oder elektrisches Licht.“

In ihrem Kindergarten erzählt die Kindergärtnerin wurde dieses Mal Architektenpapier


genommen. Das ist transparent und hat eine gewachste Oberfläche. Dieses Papier kann man
zum Beispiel mit farbigen Wachsmalstiften bemalen. Bügelt man die Zeichnung,
verlaufen die Farben wegen des in den Stiften enthaltenen Wachses. Das Papier wird
anschließend so zurechtgeschnitten, dass es in die Laternengrundform, den Korpus, passt.
Dieser ist in der Regel aus Pappe. Wichtig ist ein fester Boden, so dass eventuell eine Kerze
hineingeklebt werden kann. Die meisten Laternen werden aber durch eine kleine
Glühlampe, die an einem langen Stab hängt, elektrisch erleuchtet. Martinsumzüge gibt es
nicht in allen Teilen Deutschlands, sondern nur in überwiegend katholischen Regionen wie
im Rheinland und in Süddeutschland. Mancher Kindergarten veranstaltet, wie die
Mitarbeiterin des Gütersloher Kindergartens erzählt, aus einem ganz bestimmten Grund
nur ein sogenanntes Laternenfest:

„Das haben wir uns hier im Team so überlegt, weil wir hier viele Menschen haben aus
unterschiedlichen Kulturkreisen oder auch Menschen, die überhaupt gar keiner Religion
angehören. Und um allen Gesellschaftsschichten gerecht zu werden, haben wir uns jetzt hier
für ‘n Laternenfest geeinigt, wo wir halt Lieder singen, wo wir gemeinsam mit den Eltern
ein Laternenfest feiern und den Kindern. Aber die klassische Martins-Geschichte mit
Mantel teilen und so, das findet hier nicht statt.“

Dieser Kindergarten hat sich dafür entschieden, das rein katholische Fest anders zu
gestalten. Der Grund: Den Kindergarten besuchen Kinder unterschiedlicher Religionen und
aus verschiedenen Staaten mit ihren Bräuchen und Traditionen, aus verschiedenen
Kulturkreisen. Der Gedanke von Hilfsbereitschaft und Nächstenliebe des Martinsfestes
wird allerdings auch beim alternativ gefeierten Laternenfest betont. Auch die Lieder, die
gesungen werden, gestalten sich etwas anders. Da geht es nicht um Sankt Martin, sondern
zum Beispiel um zwei Kühe, die mit ihren Laternen losziehen und anfangen zu tanzen:

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„Am Kindergarten wollen sie starten, so ein Laternenumzug ist doch richtig schön. Und die
Kühe wandern mit, einmal vor und dann zurück. Und dann dreh’n sie sich im Kreis …“

Neben den Laternenumzügen ist auch das traditionelle Martinsgans-Essen besonders


beliebt. Es geht ebenfalls auf die Sankt-Martinslegende zurück. Danach soll sich Martin vor
der Weihe zum Bischof in einem Gänsestall versteckt haben, weil er dachte, er sei nicht
geeignet für das Bischofsamt. Allerdings schnatterten die Gänse so laut, dass er gefunden
wurde. Aus Verärgerung soll er diese anschließend geschlachtet haben. Für die Kinder
kommt der eigentliche Höhepunkt des Festes allerdings erst nach dem Laternenumzug. Im
Rheinland heißt dieser Brauch „Schnörzen“ oder „Dotzen“. Dabei ziehen die Kinder von
einem Haus zum nächsten, singen Martinslieder und bekommen als Belohnung
Süßigkeiten. Der Brauch hat vermutlich damit zu tun, dass früher die Angestellten von ihren
Arbeitgebern, der sogenannten Herrschaft, über den Winter entlassen wurden. Mit dem
Schnörzen sorgten sie dafür, dass die Familie etwas zu essen hatte. Viertklässlerin Hanna
und ihre Freundinnen können es kaum noch abwarten, loszuziehen:

„Wir gehen von Haus zu Haus, klingeln da, singen dann Lieder, und dann kriegen wir
meistens dafür was Süßes. / Deswegen hab’ ich auch so ‘ne große Tasche dabei!“

Wer schnörzen geht, muss auf alle Fälle etwas dabei haben: eine sehr große Tasche. Und
wenn die Füße schmerzen, die Stimme so langsam versagt, bleibt nur noch ein Lied übrig:

„Dort oben leuchten die Sterne und da unten leuchten wir. Mein Licht ist aus, wir geh’n
nach Haus, Rabimmel, Rabammel, Rabumbumbum. Mein Licht ist aus, wir geh’n nach
Haus, Rabimmel, Rabammel, Rabumbumbum.“

Autorinnen: Nina Treude, Beatrice Warken


Redaktion: Ingo Pickel

Arbeitsauftrag
Nicht überall wird das St. Martinsfest so gefeiert wie im Rheinland. Recherchiert in
Kleingruppen, ob und wie es in deutschsprachigen Regionen (z.B. auch in Österreich und in
der Schweiz) begangen wird.

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Unterbezahlt und überfordert: Lehrkräfte in Integrationskursen

Lehrkräfte in Integrationskursen nehmen angesichts der Migrantenzahlen


immer mehr Aufgaben wahr. Aber die Arbeitsbedingungen sind nicht
erfreulich, der Verdienst gering – besonders für Freiberufler.

Deutschland steht vor einer großen Herausforderung: Mehr als eine Million Menschen, die
vor Krieg und Verfolgung nach Deutschland geflüchtet sind und hier Asyl bekommen haben,
müssen in die Gesellschaft integriert werden. Dazu gehören nicht nur die Vermittlung etwa
von Geschichte, Kultur, dem demokratischen Grundverständnis, sondern vor allem der
deutschen Sprache. Eine sehr wichtige Aufgabe, die derzeit mehr als 20.000 Dozentinnen
und Dozenten übernehmen, die bundesweit im Auftrag des Bundesinnenministeriums an
verschiedenen Bildungseinrichtungen unterrichten – etwa an Volkshochschulen, in
Vereinen oder bei Wohlfahrtsorganisationen wie beispielsweise dem Deutschen Roten
Kreuz oder der Arbeiterwohlfahrt. Doch die meisten dieser Lehrkräfte sind nicht
festangestellt, sondern freiberuflich tätig. Das hat mehrere Nachteile, zu denen vor allem die
geringe Bezahlung gehört. Für Lehrkräfte ist die Situation, wie Corinna Becker, die als
Dozentin für Integrationskurse arbeitet, deutlich macht, nicht sehr angenehm:

„Na ja, also sehr prekär. Das ist ja so, dass es den meisten ‘ne Herzensangelegenheit
ist, und sie das gerne machen. Sonst kann man das auch nicht machen. Viele stocken auf,
also zumindest in den Kursferienzeiten, wenn wir Verdienstausfall haben. Und viele
leben halt auf einem sehr niedrigen Niveau. Und dann gibt es bestimmt auch einige,
die in ‘ner Partnerschaft leben, wo es einen Doppelverdienst gibt und wo sie jetzt nicht
unbedingt darauf angewiesen sind.“

Dass Sprach-und Integrationskurse noch stattfinden, hat laut Corinna Becker hauptsächlich
damit zu tun, dass es den Dozentinnen und Dozenten eine Herzensangelegenheit ist. Sie
tun es gern, weil sie helfen wollen. Denn von der Dozententätigkeit leben können sehr viele
nicht. Ihre Situation ist prekär, problematisch und instabil, weil etwa der Verdienst niedrig
ist. So werden die Lehrkräfte während der Ferien die Lehrkräfte nicht bezahlt, haben also
einen Verdienstausfall, ebenso, wenn Kurse nicht zustande kommen. Werden sie krank,
wird ihnen für die Zeit kein Honorar gezahlt. Deshalb müssen sie aufstocken, also mit
einem anderen Job noch Geld dazuverdienen. Und sie leben auf einem sehr niedrigen
Niveau, können sich nicht viel leisten. Es gibt aber auch Lehrkräfte, die von ihrem
Verdienst nicht leben müssen, nicht darauf angewiesen sind. Meist sind das Personen,
deren Partner ein regelmäßiges Einkommen haben, wo es also einen Doppelverdienst
gibt. Derzeit erhalten freiberufliche Dozentinnen und Dozenten durchschnittlich etwa 23
Euro pro Unterrichtsstunde. Nur das Goethe-Institut und Volkshochschulen in größeren
Städten zahlen besser. Von diesem Geld müssen noch Steuern und Beiträge zur
Arbeitslosen-, Kranken- und Rentenversicherung gezahlt werden. Nach Abzug von Steuern
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und Versicherungsbeiträgen bleibt ein Nettoeinkommen von rund 14.145 Euro pro Jahr –
das macht im Monat 1178 Euro. Das hat der „Bonner Offene Kreis“, ein Zusammenschluss
engagierter Lehrkräfte für Deutsch als Fremdsprache beziehungsweise Deutsch als
Zweitsprache, in einer Modellrechnung errechnet. Zu den schlechten Arbeitsbedingungen
trägt auch bei, dass es eine Vielzahl von Einrichtungen gibt, die in Deutschland
Integrationskurse anbieten. Rund 1400 waren es nach Angaben des Bundesamtes für
Migration und Flüchtlinge im Jahr 2015. Die Bundesbehörde entscheidet unter
anderem über Asylanträge, ist für die formale und inhaltliche Ausgestaltung der
Integrationskurse sowie die berufsbezogene Förderung der Deutschkenntnisse von
Migranten verantwortlich. Die Arbeitsbedingungen der Integrationslehrkräfte haben sich
nach Aussage von Corinna Becker zuletzt weiter verschlechtert:

„Insofern, dass beispielsweise Qualifizierungsmaßnahmen für uns vom Bundesamt für


Migration und Flüchtlinge gestrichen wurden. Beispielsweise unterrichten wir in
Alphabetisierungskursen teilweise, weil viele Leute hierherkommen, die entweder keine
Schule besucht haben oder die Zweitschrifterwerbler sind, das heißt, die unsere
Schriftzeichen erst lernen müssen. Das ist eigentlich sehr wichtig, da ‘ne
Weiterqualifizierung zu haben, weil das noch mal sehr weit darüber hinausgeht, was der
normale Deutschunterricht ist.“

Die Lehrkräfte werden laut Corinna Becker mit zusätzlichen Aufgaben konfrontiert: Unter
den Migrantinnen und Migranten sind sehr viele, die Analphabeten sind, also weder
schreiben noch lesen können, beziehungsweise Zweitschrifterwerbler sind, weil sie
beispielsweise nur arabische Schriftzeichen kennen und die lateinischen noch lernen
müssen. Das geschieht in sogenannten Alphabetisierungskursen. Nur sind nicht alle
Lehrkräfte darin geschult, sie müssten sich hier zusätzlich qualifizieren, Kenntnisse
erwerben. Allerdings hat das Bundesamt nach Angaben von Corinna Becker die Mittel dafür
gestrichen, stellt kein Geld mehr dafür zur Verfügung. Neben der geringen Bezahlung, der
unterschiedlichen Zusammensetzung der Kurse, der Heterogenität, bereitet den
Lehrkräften noch ein weiterer Punkt Schwierigkeiten, so Corinna Becker:

„Zum andern wurden die Teilnehmerzahlen in den Kursen erhöht – in den


Integrationskursen – von 20 auf 25 Teilnehmer. Das klingt jetzt vielleicht nicht so viel, es ist
aber sehr viel für uns, weil die Gruppen eh schon sehr heterogen sind, was beispielsweise
das Lerntempo betrifft.“

Die freiberuflichen Dozentinnen und Dozenten sind entscheidende Bindeglieder zwischen


den Migranten und der neuen Heimat. In ihrem Honorar und den Arbeitsbedingungen –
finden sie – spiegelt sich das noch nicht wider.

Autorinnen: Kersten Knipp, Fidaniya Mukhamadieva


Redaktion: Beatrice Warken Seite 2/3

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Personen, die Asyl in Deutschland erhalten haben, müssen unter anderem Deutsch lernen
und Integrationskurse besuchen. Informiert euch in Kleingruppen auf der Seite des
Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF): http://bit.ly/1emOxSU , welche
Bestimmungen es gibt. Tragt eure Ergebnisse in eurer Lerngruppe zusammen.

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Begleitmaterialien – Aufgaben

Unterbezahlt und überfordert: Lehrkräfte in Integrationskursen

1. Welche Aussage ist richtig, welche falsch. Entscheide dich und kreuze an.

1. Immer mehr Deutschlehrer wollen als Integrationslehrer tätig sein.


a) richtig
b) falsch

2. Wer Integrationslehrkraft wird, bekommt sofort eine Festanstellung.


a) richtig
b) falsch

3. Die Arbeitsbedingungen in Integrationskursen werden nach Aussage von Corinna Becker


immer schwieriger.
a) richtig
b) falsch

4. Lehrkräfte in Integrationskursen verdienen doppelt so viel wie ihre Kolleginnen und


Kollegen an Schulen.
a) richtig
b) falsch

5. Freiberufliche Lehrkräfte in Integrationskursen müssen ihre Krankenversicherung selbst


bezahlen.
a) richtig
b) falsch

6. Deutschlehrkräfte in Integrationskursen müssen manchen Lernenden auch das deutsche


Alphabet beibringen.
a) richtig
b) falsch

7. In Integrationskursen werden alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer entsprechend ihrer


Kenntnisse in Gruppen aufgeteilt.
a) richtig
b) falsch

8. Corinna Becker meint, dass alle Lehrkräfte so qualifiziert sind, dass sie auch
Alphabetisierungskurse geben können.
a) richtig
b) falsch
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Begleitmaterialien – Aufgaben

2. Welcher Begriff gehört zur Definition? Ordne zu.

die die Aufstockung die der Doppelverdienst die Heterogenität


Freiberuflichkeit Volkshochschule
die die Schulung der die die Qualifizierung
Alphabetisierung Verdienstausfall Herzensangelegenheit

1. Etwas, das für jemanden ganz persönlich sehr wichtig ist:

2. Wenn in einem Haushalt zwei Leute arbeiten und Geld verdienen:

3. Unterricht, dessen Ziel es ist, Lernenden das Schreiben und Lesen beizubringen:

4. Eine bestimmte Anzahl von etwas vermehren bzw. erweitern:

5. Maßnahmen, um bestimmte Fähigkeiten zu erlangen bzw. sein Wissen zu erweitern:

6. Eine Lage bzw. eine Zeit, in der ein Gelderwerb nicht möglich ist:

7 . Eine eigenständige Tätigkeit, mit der man Geld verdienen kann:

8. Eine öffentliche Einrichtung, in der sich v.a. Erwachsene weiterbilden können:

9. In der Pädagogik ein Zustand einer Lerngruppe, die nicht einheitlich, nicht homogen, ist:

10. Ein Lehrgang bzw. ein Kurs, um einer Person ein bestimmtes Wissen zu vermitteln und
sie weiterzubilden:

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3. Nomen-Verb-Verbindung: Welches Verb gehört zum gefetteten Begriff bzw.


zur gefetteten Wendung? Wähle aus und setze es in die Lücke.

1. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sollte Corina Beckers Ansicht nach die
Aufgabe _________ (benehmen / wahrnehmen / abnehmen), die Arbeitsbedingungen
in Integrationskursen zu verbessern.

2. Deutschland _____ (liegt / steht / stellt) vor der Herausforderung, den anerkannten
Flüchtlingen zu helfen, sich in die deutsche Gesellschaft zu integrieren.

3. Eine zunehmende Teilnehmeranzahl in den Integrationskursen _________ (bietet /


sorgt / bereitet) den Lehrkräften zusätzliche Schwierigkeiten, Deutsch möglichst schnell
und qualitativ zu vermitteln.

4. Für eine bessere Bezahlung der Lehrkräfte werden noch keine zusätzlichen finanziellen
Mittel zur Verfügung _______ (gesetzt / gestellt / bewilligt).

5. Corinna Becker meint, dass die Lehrkräfte in Integrationskursen noch zusätzliche


Kenntnisse _______ (erwerben / anreichern / beweisen) müssen.

6. Manche Lehrkräfte verdienen so wenig, dass sie sich einen bestimmten


Lebensstandard nicht _______ (kaufen / leben / leisten) können.

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Parktag in Deutschland

1. Welche Aktionen werden in dieser Folge angesprochen? Wähle aus.

In einer Parklücke …
a) werden Holzfiguren mit einem Ball umgeworfen.
b) wird ein Theaterstück aufgeführt.
c) werden Pflanzen angebaut.
d) ist ein Zelt aufgebaut worden.
e) werden Möbel verkauft.
f) können Besucher etwas trinken.
g) zeigt das Ordnungsamt Radfahrern, wie sie sicher durch den Verkehr kommen.
h) gibt es kostenloses Benzin für die Autofahrer.

2. Welche Antwort ist richtig? Wähle aus.

1. In einem Garten finden sich normalerweise nicht: …


a) Beete.
b) Rasen.
c) Kegelbahnen.

2. Ein Ordnungsamt ist …


a) eine bundesweite Polizeibehörde.
b) eine städtische Behörde mit besonderen Aufgaben.
c) eine Abteilung eines Gerichts.

3. Hat jemand ein Auto, dann ist jemand …


a) markiert.
b) motiviert.
c) mobil.

4. Aktivisten sind …
a) Leute, die sich aufopferungsvoll um andere Menschen kümmern.
b) Personen, die immer viel Sport treiben wollen.
c) Menschen, die sich aus Überzeugung für eine bestimmte Sache einsetzen.

5. Wer etwas wiederverwerten will, möchte es …


a) reproduzieren.
b) recyceln.
c) renovieren.
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6. Wer sagt „Das ist das Normalste der Welt“ will damit ausdrücken: …
a) „Es muss der Normalität entsprechen.“
b) „Es ist völlig selbstverständlich.“
c) „Die Welt, in der wir leben, ist normal.“

7. Sieht jemand etwas entspannt, dann …


a) lehnt sich jemand zurück und ruht sich aus.
b) ärgert sich jemand über alles.
c) findet jemand etwas nicht so schlimm.

8. Sagt jemand: „Du bist bei dieser Sache gefragt“ soll das ausdrücken:
a) „Ich möchte von dir etwas wissen.“
b) „Man erwartet von dir, dass du hier etwas tust.“
c) „Du stehst bei dieser Sache im Mittelpunkt des Interesses.“

3. Welche Vorsilbe gehört zu welchem Verb? Ordne sinngemäß zu.

heraus mit hin auf an aus weg um ein aus ab

1. Anna hat Rollen mit Rasen für ihren Garten bekommen. Sie rollt ihn sofort _____.
2. Sebastian ist sehr konzentriert bei seinen Hausaufgaben. Er lässt sich von seinen
Geschwistern nicht _____lenken.
3. Blanka sitzt im Flugzeug in einem sehr engen Sitz. Wenn sie aufstehen will, muss sie sich
_____quälen.
4. Die Polizisten sind auf einer Kontrollfahrt. Sie halten bei Tino _____.
5. Manche der Teilnehmer des Parktages machen es sich gemütlich. Sie haben auf ihrem
Rollrasen Liegestühle _____gestellt, in denen sie sitzen und die vorbeifahrenden Autos
beobachten.
6. Menschen, die vor Krieg und Hunger in ihren Ländern flüchten, müssen auf der Flucht
viel ertragen. Viele von ihnen können das schwer _____halten.
7. In jedem Jahr müssen sich diejenigen, die an einem Parktag teilnehmen wollen,
besondere Aktionen _____denken, mit denen sie Aufmerksamkeit erregen.
8. Gruppen, die in Deutschland öffentlich für etwas demonstrieren oder ihre Meinung
kundtun möchten, müssen laut Gesetz eine Versammlung _____melden.
9. Tino will in eine Parklücke mehrere Möbelstücke _____stellen, damit dort kein Auto
parken kann.

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Begleitmaterialien – Aufgaben

10. Die Anhänger des Parktages wollen andere Menschen dazu _____regen,
umweltbewusster zu denken und ihr Auto vielleicht auch mal zuhause stehen zu lassen.
11. Der Verein KunZstoffe sammelt Gegenstände, die andere _____werfen.
12. Vincent spielt während des Parktags draußen und versucht, auf einer extra aufgebauten
Kegelbahn die Kegel _____zuwerfen.
13. Viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Parktages wissen, dass sie von zuhause nicht
nur etwas zu Essen und zu Trinken _____bringen müssen, sondern auch Stühle oder
Spielsachen für die Kinder.
14. Wenn Tino nicht innerhalb eines bestimmten, von den Behörden festgelegten Zeitraums
eine Sondernutzung beantragt hat, dann hat er die Frist nicht _____gehalten.

[beawar / stesch]

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Begleitmaterialien – Manuskript

Parktag in Deutschland

Für die meisten Menschen ist eine Welt ohne Autos unvorstellbar. Aber immer
mehr Menschen sind genervt vom vielen Verkehr, dem damit verbundenen
Lärm. An einem Tag im Jahr wird dagegen protestiert.

Volle Straßen in Innenstädten, die vergebliche Suche nach einem Parkplatz. Besonders
schlimm ist es in Großstädten. Der Amerikaner Matthew Passmore beobachtete von einem
Büro in San Francisco im Jahr 2005, wie Autos sich aus engen Parklücken herausquälten,
und kam auf eine Idee. Warum diese Parklücken nicht mal künstlerisch gestalten und
Autostellplätze in richtige Parks verwandeln. So entstand der „Park(ing) Day“. Deshalb ist
der Begriff „Park(ing)“ auch als Wortspiel zu verstehen. „Parking“ steht für „Parken“, kann
aber auch „Parks schaffen“ bedeuten. Die Idee griff um sich. Im Jahr 2011 beteiligten sich
nach Angaben der Organisation „Park(ing) Day“ Bürger aus 162 Städten in 35 Staaten
weltweit. In Deutschland fand 2007 in München der erste „Park(ing) Day“ statt. Inzwischen
nehmen auch Bürger weiterer deutscher Städte wie zum Beispiel Leipzig an dem Aktionstag
teil. Dort, wo sonst Autos stehen, wird ein Picknick gemacht, Kinder spielen. Zu ihnen
gehört auch Vincent. Er lässt sich von den vorbeifahrenden Autos nicht ablenken und
versucht, auf einer mobilen Kegelbahn die Holzfiguren, Kegel genannt, mit einem Ball
umzuwerfen:

„Wir haben jetzt hier zwei Bälle. Genau, und da sind die Kegel, das sind neun Stück und wir
machen fünf Runden. Okay.“

Vincent kegelt in einer kleinen Parklücke auf der Karl-Heine-Straße, einer gut befahrenen
Hauptstraße im Leipziger Westen. Die Lücke besetzt haben an diesem „Park(ing) Day“ die
Aktivisten vom Verein „KunZstoffe“. Sie recyceln Dinge, die andere wegwerfen, bauen
daraus Kunstwerke, Bühnenbilder, Schmuck und Möbel – oder an Tagen wie diesem eben
eine Kegelbahn und gleich nebenan einen kleinen Garten:

„Wir haben uns entschieden, hier Rollrasen auf die Parkfläche auszulegen und haben aus
unserem mobilen Garten ein paar mobile Beete mitgebracht: Pfefferminze, Rhabarber
und Mais. Und zusätzlich gibt es noch ‘n Sofa hinter uns, und das ist wild mit Kresse
bewachsen.“

Dominik erzählt, dass man, um eine gartenähnliche Atmosphäre zu schaffen, Rollrasen


mitgebracht habe. Für Rollrasen wird Rasensamen gesät. Sobald eine Rasenfläche
entstanden ist, wird diese in Streifen mit einer Maschine vorsichtig vom Boden abgeschält
und aufgerollt. In einem Garten findet man natürlich auch Beete, Bereiche, in denen
Blumen oder auch Gemüse wie Rhabarber und Kräuter wie Kresse gepflanzt werden.
Rhabarber wird gerne für Süßspeisen wie Kuchen oder Kompott verwendet. Passanten wie
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Rebecca ist der ungewöhnliche kleine Garten in einer Parklücke aufgefallen. Sie fragt sich,
was der Hintergrund ist:

„Ich hab erst mal das Sofa nur von hinten gesehen, und dann fand ich die Idee einfach sehr
schön, sich hier einfach quasi auf die Straße, aber gleichzeitig auf den Rasen und in den
Garten zu setzen. Ich wollte wissen, was ihr hier macht. / Na, ‚Park(ing) Day’ ist, dass wir
halt Parklücken besetzen, also, wir wollen halt zeigen, dass halt hier nicht nur Autos parken
können. Also, wir haben zum Beispiel auch ‘ne Kegelbahn dort stehen, und hier ist halt jetzt
eben die Wiese. / Genau. / Okay.“

Rebecca findet die Idee gut, eben mal – oder wie sie sagt einfach quasi – eine
Gartenatmosphäre auf der Straße zu schaffen. Die Partikeln „einfach“ und „quasi“ sind in
der Umgangssprache sehr geläufig. „Einfach“ wird gerne als Bestärkung von etwas
Gesagtem, „quasi“ als Synonym für „fast“, „beinahe“ verwendet. Ein paar Kilometer von der
Aktion des Vereins „KunZstoffe“ entfernt sitzen an der nächsten großen Hauptstraße die
Aktivisten vom Leipziger Umweltschutzverein „Ökolöwe“. Auch sie haben Rollrasen
ausgelegt, ein paar Liegestühle aufgestellt. Es gibt Getränke und Gitarrenmusik und ein
kleines Radio mit Vogelgezwitscher. Vereinsmitglied Tino erklärt, sie wollten mit ihrer
Aktion darauf aufmerksam machen, dass mancher Autofahrer schwächere
Verkehrsteilnehmer wie Radfahrer und Fußgänger nicht beachte. Mit den entsprechenden
Konsequenzen:

„Das Verhältnis ist schon recht angespannt, dieses Straßenkampfthema: wo da der böse
Fahrradfahrer sich nicht an die Regeln hält und der Autofahrer rücksichtslos ist. Das ist in
anderen Ländern irgendwie alles ‘n bisschen entspannter. Es ist hier in Deutschland – und
in Leipzig dann herum speziell – jetzt nicht so harmonisch, sag ich mal.“

Tino schildert, dass es in vielen deutschen Städten wie Leipzig manchmal zu Situationen
kommt, die an einen Straßenkampf zwischen verfeindeten Banden erinnern.
Fahrradfahrer fänden, dass zu wenig Rücksicht auf sie genommen werde, Autofahrer
dagegen, dass Fahrradfahrer sich nicht an Straßenverkehrsregeln hielten. In anderen
Ländern wie Dänemark und den Niederlanden, in denen Fahrradfahren eine ganz andere
Tradition hat, ist das, so Tino, anders. So eine Aktion wie der „Park(ing) Day“ ist allerdings
mit viel Bürokratie verbunden, sagt Tino:

„Man kann ja überall sein Auto hinstellen, und das ist irgendwie das Normalste der Welt.
Aber jetzt zum Beispiel hier für die Lücke, wenn wir jetzt mal ‘nen Tisch und zwei Stühle
hier hinstellen wollen, dann müssen wir zum Ordnungsamt gehen, ‘ne Sondernutzung
beantragen. Wenn wir da zu spät sind, müssen wir eine Versammlung anmelden, eine
politische Kundgebung, ja. Ein Riesenaufriss, nur weil man halt mal da sitzen will, Kaffee
trinken mit anderen Leuten.“
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Für eine Protestaktion wie diese muss man, wie Tino umgangssprachlich sagt, einen
Riesenaufriss machen, man muss sehr viel tun, einen Riesenaufwand betreiben. Ein
Aufriss ist eigentlich eine technische Zeichnung, zum Beispiel der Seite eines Hauses. Will
man in Deutschland eine öffentliche Fläche für sich nutzen, muss bei der entsprechenden
Behörde der Stadt, dem Ordnungsamt, eine Sondernutzung beantragt werden. Werden
Fristen nicht eingehalten, kann es noch umständlicher sein, wie Tino erzählt. Die Erlaubnis
ist aber wichtig. Denn immer mal wieder hält die Polizei, kontrolliert auch beim dritten Mal
minutenlang die Genehmigung der jungen Leute für ihre Aktion. Jonathan, der gerade mit
seinem Fahrrad angehalten und sich nach dem Sinn des Ganzen erkundigt hat, findet die
Aktion gut – bezweifelt aber einen nachhaltigen Effekt, eine dauerhafte Wirkung:

„Also, ob jetzt Park(ing) Day was erreicht, Leute dazu anzuregen, weniger mit ihrem Auto zu
fahren – weiß ich nicht. Ich find es auf keinen Fall sinnlos, weil, wenn schon mal ein, zwei
Leute stehen bleiben und mal gucken, hat ’s schon ‘nen Sinn. Ich weiß nicht, ob das jetzt
‘nen großen Effekt hat, das wird sich zeigen.“

Trotz manchen Zweiflers finden es Teilnehmer des Aktionstages wie Tino aber wichtig,
endlich über alternative Konzepte nachzudenken. Dazu gehören bessere und günstigere
öffentliche Verkehrsmittel und mehr Fahrradwege – kurz gesagt eine
menschenfreundlichere Verkehrspolitik:

„Ich denke schon, dass wir hier in der Ersten Welt ‘ne andere Mobilitätskultur
entwickeln können, an der sich auch andere Länder orientieren können. Weil, was nicht
funktionieren wird, ist, wenn die ganze Welt so Auto fahren würde wie der Deutsche und so
viele Autos besitzen würde wie der Deutsche. Das würde unsere Erde gar nicht aushalten.
So viel Platz hätten wir gar nicht und so viel Öl gibt es gar nicht. Also, wir müssen in
zwingender Weise ‘ne Alternative zu dieser Autokultur finden. Und da ist auch Deutschland
gefragt, und deswegen machen wir das auch hier in Leipzig und versuchen, einfach da ‘nen
anderen Weg zu zeigen.“

Tino findet, dass die Industrienationen der Ersten Welt Vorbild für andere Regionen der
Erde sein müssten. Denn wenn auf der ganzen Welt so viel Auto gefahren werde und jeder
so viele Autos besäße wie mancher Deutsche, würde unsere Erde das gar nicht ertragen,
aushalten. Und deshalb müsse man auch mal, selbst wenn es nur eine einmalige
Protestaktion sei, andere Wege aufzeigen, eine Mobilitätskultur schaffen.

Autor / Autorin: Ronny Arnold, Beatrice Warken


Redaktion: Ingo Pickel

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Arbeitsauftrag
Erarbeitet in Kleingruppen ein Konzept, wie ihr einen Park(ing) Day in eurem Land
organisieren würdet. Diskutiert die erarbeiteten Konzepte in eurer Lerngruppe.

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Lasst es krachen!

1. Du hast nun einiges zur Herstellung einer Rakete erfahren. Wähle aus den
folgenden Antworten die richtige aus.

1. In der Firma WECO …


a) werden jeden Tag Tests durchgeführt, um die Qualität der Feuerwerkskörper zu
überprüfen.
b) werden pro Woche nur einmal mehrere Tests absolviert, um die produzierten
Feuerwerkskörper zu überprüfen.
c) werden die Feuerwerkskörper wegen der Explosionsgefahr nur am Abend getestet.

2. Der wichtigste Bestandteil eines Feuerwerkskörpers ist Schwarzpulver, das …


a) nur Lindenholzkohle, Kaliumoxyd und Schwefel enthält.
b) aus Steinkohle, Schwefel und Nitrit zusammengesetzt ist.
c) aus Kaliumnitrat, Kohle und Schwefel besteht.

3. Ein rot-grüner Lichteffekt einer Rakete bei der Explosion am Himmel wird erzeugt …
a) mittels Rapskörnern, die in rote und grüne Farbe getaucht wurden.
b) durch die chemische Verbindung von Strontium und Barium.
c) durch ein metallisches Natrium-Kalzium-Salzgemisch.

4. Raketen …
a) brauchen einen Stab, der die Rakete überragt, damit sie besser in die Luft steigt.
b) müssen einen Stab haben, um sie in eine Flasche stellen zu können.
c) können ohne einen Stab nicht gerade starten.

5. Einer der wichtigsten Bestandteile eines Feuerwerkskörpers ist …


a) die Zauberschnur.
b) die Zündschnur.
c) die Abbrennschnur.

6. Der Produktionsraum für Raketenantriebe ist besonders geschützt, weil …


a) die Gefahr besteht, dass das hochexplosive Gemisch gestohlen wird.
b) das getestete Gemisch für die Feuerwerkskörper stinkt.
c) schon ein kleiner Funke eine Explosion herbeiführen kann.

7. Die Firma WECO …


a) darf ihre Feuerwerkskörper in Deutschland ganzjährig an Privatkunden verkaufen.
b) stellt Feuerwerkskörper das ganz Jahr hindurch her.
c) verkauft ihre Feuerwerkskörper nur an Silvester und Neujahr.
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2. Welcher Begriff ist richtig? Entscheide dich für einen.

1. Eine Rakete wird mit Schwarzpulver …


a) umgefüllt.
b) abgefüllt.
c) befüllt.

2. Die Hülsen, in die das Schwarzpulver eingefüllt wird, müssen … werden.


a) beschlossen
b) verschlossen
c) angeschlossen

3. Hat jemand mit einer Arbeit begonnen, sie aber nicht beendet, dann ist sie …
a) fertiggebracht.
b) unfertig.
c) gefertigt.

4. Eine Rakete wird durch ein sehr explosives Gemisch …


a) umgetrieben.
b) vertrieben.
c) angetrieben.

5. Wenn etwa eine Rakete zur Spitze hin enger wird, dann spricht man davon, dass sie …
a) scharf wird.
b) sich verjüngt.
c) gespitzt ist.

6. Die Effektsterne kommen … in die Raketen hinein.


a) verklebt.
b) lose.
c) ungelöst.

7. Wenn man z.B. den Kern eines Effektsterns mit einem metallischen Salz bedeckt, dann …
man ihn damit.
a) verziert
b) bezieht
c) überzieht

8. Ohne den passenden Leitstab würde ein Rakete laut Markus Schwarzer …
a) in der Versenkung verschwinden.
b) taumelnd zu Boden gehen.
c) ins Trudeln geraten. Seite 2/3

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3. Übe das Passiv: Setze den jeweiligen Aktivsatz ins Passiv und ergänze ggfs.
auch den Artikel im richtigen Genus.

1. Die Firma WECO stellt nach Aussage von Markus Schwarzer keine Gammelraketen und
Gammelböller her.
Von ______ Firma WECO ___________ nach Aussage von Markus Schwarzer keine
Gammelraketen und Gammelböller ________________.

2. Ein WECO-Mitarbeiter holt jeden Morgen die benötigte Schwarzpulvermenge für den
Tag aus einem unterirdischen Bunker.
Die benötigte Schwarzpulvermenge für den Tag ___________ jeden Morgen von
___________ WECO-Mitarbeiter aus einem unterirdischen Bunker ______________.

3. Die Firma WECO verwendet für ihre Raketen hochwertiges Schwarzpulvergranulat und
eine besondere Holzkohle.
Bei ___________ Firma WECO ___________ für die Raketen hochwertiges
Schwarzpulvergranulat und eine besondere Holzkohle _______________.

4. Hans feuert an Silvester mehrere Raketen aus einer Sektflasche ab.


An Silvester ________ von Hans mehrere Raketen aus einer Sektflasche
_______________.

5. Susanne holt ein Feuerzeug aus der Tasche und zündet den Knallkörper an.
Der Knallkörper ________ von Susanne mit ________ Feuerzeug, das sie aus der
Tasche holt, _______________.

6. Bei Tests setzt der WECO-Mitarbeiter einen Hörschutz auf, um den Knalllaut nicht so
deutlich zu hören.
Bei Tests ________ von ____ WECO-Mitarbeiter ein Hörschutz _____________, um
den Knalllaut nicht so deutlich zu hören.

7. Markus fügt für eine Feuerwerksbombe viele Sterne zu einer größeren Kugel zusammen.
Für eine Feuerwerksbombe ____________ von Markus viele Sterne zu einer größeren
Kugel _______________.

[beawar / suzcor]
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Lasst es krachen!

Ohne sie wären Silvester und andere Feste nur die Hälfte wert: die
Feuerwerkskörper. Die meisten kommen aus Ostasien. Allerdings gibt es auch
in Deutschland noch einige Traditionsfirmen. Eine davon ist die Firma WECO.

Knaller, Böller, Raketen: Für Feuerwerkskörper werden in Deutschland jedes Jahr alleine
an Silvester rund 100 Millionen Euro ausgegeben. Der Verkauf ist nur wenige Tage vor dem
31.12. erlaubt. Doch die Entwicklung und die Produktion läuft das ganze Jahr über – auch
bei der Firma WECO in Eitorf, 40 Kilometer von Bonn entfernt. Markus Schwarzer, der bei
WECO arbeitet, ist die ständige Knallerei schon gewohnt:

„Das ist ein Produktionstest. Wir müssen jeden Tag Produktionstests durchführen. Wir
wollen ja keine Gammelraketen oder Gammelböller herstellen.“

Täglich werden die produzierten Feuerwerkskörper getestet, denn man wolle ja, wie Markus
es ausdrückt, keine schlechte Ware auf den Markt bringen, keine Gammelraketen oder
Gammelböller. Der Begriff „Gammel“ wird in der Alltagssprache für das verwendet, was
keine gute Qualität hat oder schlecht geworden, vergammelt, ist. Basis der
Feuerwerkskörper ist Schwarzpulver: Es besteht aus drei Viertel Kaliumnitrat, einem
Zehntel Schwefel, der Rest ist Holzkohle. Diese entsteht, wenn trockenes Holz in einem
luftdichten Gefäß und ohne Sauerstoffzufuhr, erhitzt wird. Und weil das zu Granulat, zu
kleinen Körnchen, verarbeitete Pulver hochexplosiv ist, lagert es am Rande des
Betriebsgeländes in einem unterirdischen Bunker. Jeden Morgen holt ein Mitarbeiter die
für den Tag benötigte Menge aus dem Bunker. Er verteilt sie auf einige kleine
Holzhäuschen, die an eine Hundehütte erinnern und am Rande des Fabrikgeländes liegen.
Markus Schwarzer öffnet eine der Hütten und holt einen kleinen Beutel heraus:

„Das ist ein sehr hochwertiges Schwarzpulvergranulat, sehr sauerstoffhaltig. Es ist eine
sehr hochwertige Holzkohle, eine Lindenholzkohle, drin verarbeitet, die dafür sorgt, dass
es sehr scharf abbrennt. Und durch das Prinzip der Verjüngung wie bei ‘ner großen
Rakete, bei ‘ner Challenger oder so auch, also durch eine Düse wird quasi ein Auftrieb
erzeugt, und dann steigt die Rakete auf. Und diese Produktion des Raketenmotors, die
gucken wir uns jetzt als nächste Stelle an.“

Markus erklärt, wie bei WECO so eine Feuerwerksrakete hergestellt wird. Es wird nicht nur
ein sehr gutes, hochwertiges Schwarzpulvergranulat verwendet, sondern auch eine
besondere Holzkohle. Dadurch zündet die Rakete, wenn man das Gemisch anzündet, besser.
Sie brennt – wie es Markus Schwarzer formuliert – scharf ab. Wichtig ist allerdings auch
noch die Konstruktion. Feuerwerksraketen ähneln dabei großen Raketen und anderen
Flugkörpern wie etwa der US-Raumfähre Challenger. Diese haben unten einen breiten
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Düsenantrieb und werden zur Spitze hin schmaler, sie verjüngen sich. Auf dem WECO-
Firmengelände werden im ersten Gebäude neben den Holzhütten aus dem Schwarzpulver
Raketenantriebe gepresst. Eine massive Schutzwand teilt den Produktionsraum in zwei
Hälften: eine für die Mitarbeiter, eine für die mit Schwarzpulver befüllte Presse:

„In diesem Bereich der Treiber-Pressen sieht man eine gigantische Stahlbetonwand in
der Front, und der eigentliche Pressvorgang findet hinter dieser Wand statt. Und bevor der
Pressvorgang durchgeführt wird, schließt sich eine Sicherheitstür, die sehr dick ist – das
heißt, wenn es zu einer Verpuffung kommen sollte, dann passiert das nur im hinteren
Bereich der Presse, so dass in dem Bereich, wo sich halt Personen befinden, überhaupt
nichts eindringen kann. Das ist also alles massiver Stahlbeton.“

Der Produktionsraum für die Raketenantriebe ist durch eine Wand aus Stahlbeton und eine
zusätzliche dicke Tür stark gesichert. Und das hat seinen Grund: eine Verpuffung, eine
chemische Reaktion, könnte Menschen verletzen. Denn bei dieser Verpuffung wird ein
starker Druck erzeugt. Auch die Maschinen in der Feuerwerksfabrik sind strengen
Sicherheitsrichtlinien unterworfen. Es dürfen keine Materialien eingebaut sein, die Funken
erzeugen könnten. Alles ist aus Aluminium, Kunststoff oder Holz gefertigt. Den Rahmen für
den Raketenmotor bilden schwarze Papphülsen. Diese werden von oben mit wenigen
Gramm Schwarzpulver befüllt. Eine Presse, die sogenannte Treiber-Presse, drückt das
Pulver sehr fest zusammen, damit es schnell und gleichmäßig abbrennen kann. Am unteren
Ende der Rakete wird dieses kleine Rohr jetzt von einer sogenannten Düse aus Ton
verschlossen. Aus dieser kommen dann – wie bei einer großen Rakete – nach der Zündung
die heißen Verbrennungsgase und sorgen letztlich dafür, dass die Rakete abhebt:

„Man zündet sie an und sie steigt auf. Sie steigt also oben in den Himmel und erzeugt dann
oben in 50 oder 80 Meter Höhe den Effekt.“

Die schwarzen Röhrchen mit dem Raketenantrieb haben inzwischen die nächste Station im
Produktionsablauf erreicht. Hier werden sie mit etwas größeren farbigen Hülsen verklebt.
Auf ihnen steht, was den Käufer des Feuerwerks beim Abschuss erwartet: zum Beispiel
„Rakete Zion mit Panorama-Effekt – Verwandlungssterne grün-rot“. Außerdem kommt in
die noch nicht ganz fertig gestellte– oder wie es Markus Schwarzer umgangssprachlich sagt
– halbfertige Rakete das, was für das Anzünden mit Feuerzeug oder Zündholz wichtig ist:

„Gleichzeitig wird eine Zündschnur automatisch in den Treiber eingesetzt, also da wo unten
die Düse ist, und es wird auch gleichzeitig diese orangefarbene Zündschnurschutzkappe
aufgesetzt. Das Ganze kommt dann hier über dieses Band nach draußen. Und wir haben so
einen halbfertigen Raketenkörper, der von hier aus in den nächsten Produktionsbereich
gehen kann, nämlich das Befüllen.“

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Die Zündschnur wird – geschützt durch eine Plastikkappe – eingesetzt. Beim Start brennt
erst der Treibsatz aus Schwarzpulver von unten nach oben durch. Dann erreicht die Flamme
das eigentliche Herz der Rakete: die bunten Effektsterne. Dazu wird ein winziger Kern,
zum Beispiel ein angefeuchtetes Getreidekorn, in Schichten mit metallischen Salzen
überzogen. Das sind chemische Verbindungen, deren Grundlage ein bestimmtes Metall ist,
das den Farbton bestimmt. So steht das Metall Strontium für die Farbe rot, Barium für
grün, Natrium für gelb und Kalzium für orange. Bekommt ein Stern zunächst eine Schicht
aus Strontiumsalz, dann eine aus Barium, dann wechselt der Stern seine Farbe beim
Abbrennen von grün auf rot. So entstehen Farbspiele, die das Publikum in Staunen
versetzen. Diese Effektsterne sehen aber eigentlich ganz unscheinbar aus:

„Das sind eigentlich nichts anderes als kleine, schwarze, runde Kügelchen. Die gibt es im
Durchmesser von ungefähr einem Millimeter bis zu zweieinhalb Zentimeter. Und diese
Effektsterne werden halt entweder lose in die Raketen eingefüllt oder aber man macht
daraus sogenannte kleine Feuerwerksbomben.“

Für diese Feuerwerksbomben werden viele Sterne in einer größeren Kugel zu besonders
eindrucksvollen Lichtspielen zusammengefügt. Arrangiert man die Effektsterne zum
Beispiel alle am Außenrand der Kugelschale, dann entsteht beim Abbrennen ein kreisrunder
Sternenkranz. So kann auch eine Herzform oder sogar ein mehrfarbiges Gesicht an den
Himmel gezaubert werden. Die Raketen vom Typ Zion durchlaufen jetzt den letzten
entscheidenden Schritt der Fertigung. Ein etwa 80 Zentimeter langer Holzstab, der
sogenannte Leitstab, wird seitlich angeklebt:

„Die wichtigste Eigenschaft des Leitstabes ist der Gewichtsausgleich der Rakete beim
Aufstieg. Wenn dieser Leitstab nur ein klein bisschen kürzer wäre, würde die Rakete nicht
ordentlich fliegen, das heißt, es gäbe ein Ungleichgewicht im Verhältnis Kopflastigkeit
und Fußlastigkeit. Und die Rakete würde trudeln. Dieser Leitstab sorgt also in erster
Linie dafür – wie der Name schon sagt –, dass die Rakete schön, sauber, gerade aufsteigt.“

Dieser Stab dient, anders als viele vielleicht denken, also nicht in erster Linie dazu, die
Rakete aus einer Sektflasche heraus abzuschießen. Er sorgt dafür, dass sie gleichmäßig
aufsteigen kann und nicht – sich um die eigene Achse drehend – nach unten fällt, trudelt.
Auch muss der Stab eine genaue Länge haben, damit die Rakete weder vorne noch hinten zu
schwer, also kopf- beziehungsweise fußlastig ist. Am Ende des Produktionsprozesses wird
die „Zion“ mit einem halben Dutzend anderer Raketen zu einem sogenannten Sortiment
verschiedener Feuerwerkskörper zusammengepackt. In jede Packung kommt ein
Einlegezettel in Schwarz-Rot-Gold mit der Aufschrift „Made in Germany“. Darauf ist
Markus Schwarzer angesichts der starken ostasiatischen Konkurrenz im Pyrotechnik-Markt
besonders stolz. Denn die Firma WECO ist eine von nur noch wenigen Traditionsfirmen in
Deutschland, die Feuerwerkskörper herstellen. Und jetzt heißt es nur noch: die notwendige
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Begleitmaterialien – Manuskript

Vorsicht beim Zünden der Raketen, Knallkörper und Böller walten lassen! Und: Frohes
Neues Jahr!

Autor/ Autorin: Sascha Ott, Beatrice Warken


Redaktion: Ingo Pickel

Arbeitsauftrag
Schaut euch dieses kurze Video über die Firma WECO bei Bonn an: http://bit.ly/1Wpqbj1.
Fasst den Inhalt zusammen. Was haltet ihr selbst von Feuerwerk? Ist es notwendig oder
betrachtet ihr es eher als Geldverschwendung? Diskutiert in eurer Lerngruppe über das Für
und Wider von Feuerwerk.

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Begleitmaterialien – Aufgaben

Waschen, schleudern, trocknen: ein Besuch im Waschsalon

1. Hast du alles gut verstanden? Welche der Antworten sind RICHTIG? Wähle
aus.
a) Bereits vor dem Zweiten Weltkrieg gab es in Deutschland die ersten vollautomatischen
Waschmaschinen.
b) Einer der befragten Waschsalonnutzer schätzt es, dass er nur zweimal im Monat seine
schmutzige Wäsche waschen muss.
c) In deutschen Waschsalons ist es Vorschrift, dass jeder Waschsalonnutzer sein
Waschpulver selbst mitbringt.
d) Männer legen nach Ansicht einer Waschsalonnutzerin meist nicht so viel Wert darauf,
ihre Wäsche farblich zu sortieren.
e) Die Waschmaschinen in einem Waschsalon sind technisch so entwickelt, dass man alle
Kleidungsstücke unabhängig vom Material zusammen waschen kann.
f) Den Menschen im Waschsalon sollte es egal sein, ihre schmutzige Wäsche vor den Augen
anderer Leute zu waschen.
g) Außerhalb von Großstädten finden sich seltener Waschsalons.
h) In manchen Waschsalons kann man nicht nur Wäsche waschen, sondern auch andere
Dienstleistungen in Anspruch nehmen.

2. Ergänze deinen Wortschatz: Welches Verb bzw. welches Nomen gehört in


die Lücke? Setze den passenden Begriff ein.

Spülgang sortieren Verfärbung Reinigung


Wäscheladung eingehen Waschpulver verfilzen

1. Meine Mutter hat einen Mantel, den sie nicht waschen darf, sondern in die chemische
_____________________ geben muss.
2. Maria ist entsetzt: Ihre gesamte helle Wäsche hat eine blaue __________________,
weil sie ihre Jeans mitgewaschen hat.
3. Anna hat einen hellblauen Wollpullover, den sie sehr liebt. Neulich war sie im
Waschsalon. Aber sie hat nicht daran gedacht, dass er in der Waschmaschine die Größe
verändern, also _____________________ kann und zudem
_____________________ kann.
4. Heike sitzt im Waschsalon und beobachtet einen jungen Mann, der einen großen Haufen
verschiedenfarbiger Wäsche in die Waschmaschine stopft. Sie denkt sich: „Ich glaub es
nicht. Kann der die Wäsche nicht _____________________!“
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Begleitmaterialien – Aufgaben

5. Susanne bringt ihre schmutzige Wäsche nicht in den Waschsalon in ihrer Nähe, sondern
fährt mit dem Fahrrad zu einem anderen, der ein bisschen weiter entfernt ist. Denn eine
______________________ dort kostet nur 2,50 Euro. Ihr ________________
muss sie allerdings selbst mitbringen.
6. Achim wartet sehnsüchtig darauf, den Waschsalon endlich verlassen zu können. Der
letzte ______________________ läuft und entfernt das restliche Waschpulver aus der
Kleidung.

3. Übe Präpositionen und Kasus: Trage die Präpositionen sowie die Nomen im
richtigen Kasus ein.

1. Anja sitzt schon mehr als zwei Stunden _____ (Präposition) ______________ (die
Friseurin), obwohl sie eigentlich schon längst im Waschsalon sein wollte.
2. Für manche Waschsalonbesucher ist es beruhigend, wenn sie sehen, wie sich die Wäsche
_____ (Präposition) ____________________ (die Waschtrommel) langsam dreht.
3. Es ist wichtig, _____ (Präposition) ____________________ (der
Temperaturknopf) die richtige Temperatur an der Waschmaschine einzustellen
4. Nachdem man Wäsche sortiert hat, muss man sie _____ (Präposition)
____________________ (die Waschmaschine) verstauen.
5. Auch in einem Waschsalon sollte man es vermeiden, schlecht _____ (Präposition)
____________________ (das Verhalten) anderer zu reden.
6. In der Zeit, als es noch keine Waschmaschinen gab, musste die Wäsche noch mühsam
_____ (Präposition) ____________ (die Hand) gewaschen werden.

[beawar / ingpic]

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Waschen, schleudern, trocknen: ein Besuch im Waschsalon

Waschsalons findet man vor allem in Großstädten. Obwohl eine


Waschmaschine in den meisten deutschen Haushalten zur Grundausstattung
gehört, gibt es Menschen, die hier ihre schmutzige Wäsche waschen.

Mit einem Salon, einem repräsentativen Gesellschafts-, Empfangs- und Aufenthaltsraum,


hat ein Waschsalon eher weniger gemein. Aber Waschsalon klingt besser als „Waschsaal“. In
Deutschland entstanden die ersten Waschsalons Ende der 1950er Jahre. Damals besaßen im
Vergleich zu heute nur sehr wenige Menschen eine eigene Waschmaschine. Die erste
Waschmaschine, bei der alle Waschgänge – Vorwäsche, Hauptwäsche, Spülgang und
Schleudern – vollautomatisch abliefen, kam in Deutschland 1951 auf den Markt. Sie war
sehr teuer, und nur wenige Familien konnten sich eine leisten. Die meisten Hausfrauen
mussten die Wäsche noch mit der Hand waschen oder gaben sie in eine Wäscherei. Aber
warum geht man heutzutage in einen Waschsalon, wo doch etwa 94 Prozent aller Haushalte
in Deutschland eine Waschmaschine besitzen? Die Gründe sind unterschiedlich:

„Erstens hab ich kein Geld, um mir ‘ne Waschmaschine zu kaufen, und ich will mir auch
nicht unbedingt ‘n gebrauchtes Ding kaufen, und ich hab ehrlich gesagt auch gar keinen
Platz. Ich wohn in ‘ner superkleinen Neubau-Zwei-Zimmer-Wohnung, und mein Bad ist so
winzig, meine Küche ist so, wenn da drei Leute drin stehen, dann ist [es] voll. / Ich bin der
typische Junggesellen-Waschsalonbenutzer, der hier so zweimal im Monat seine Wäsche
wäscht. Das heißt, ich kann es ganz lange ansammeln. Dann geh’ ich hierher mit ganz viel
Wäsche, dann ist das in ‘ner halben Stunde fertig, und es geht nicht andauernd nebenbei. /
Eigentlich gehe ich ganz gern in den Waschsalon. Man trifft so oft noch mal andere Leute
und kommt so ‘n bisschen raus aus dem üblichen Alltag.“

Drei Personen, drei Gründe, um seine schmutzige Wäsche außerhalb der eigenen vier
Wände zu waschen: egal, ob man ein Platzproblem hat, ein alleinstehender Mann, ein
Junggeselle, ist, der nur gelegentlich, so nebenbei, seine Wäsche reinigt, oder jemand,
der einen Waschsalon als einen sozialen Treffpunkt sieht. Allerdings funktioniert hier alles
fast so wie daheim, wenn man waschen will. Fast, denn man muss bezahlen. Waschpulver
kann man von daheim mitbringen oder auch vor Ort kaufen. Bevor es losgeht, muss die
Wäsche sortiert werden. Jede und jeder hat sein eigenes Ordnungssystem oder vielleicht
auch nicht:

„Das Ordnungsprinzip ist: Pullover, keine Pullover, und die Sachen sind schon so oft
gewaschen, dass sie eigentlich gar nicht mehr eingehen können. / Was mir hier wieder
auffällt, ist typisch ‚Mann‘ und ‚Frau‘ im Waschsalon. Ich: natürlich ordentlich sortiert,
farblich, kein weißes Hemd zwischen schwarzer Wäsche. Und auf der anderen Seite, was

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seh’ ich: alles gemixt, ganz egal, welcher Stoff, welche Farbe, interessiert überhaupt gar
nicht. Hauptsache, es wird gewaschen.“

Beim Wäschewaschen ist einiges zu beachten: Die Wäsche sollte farblich sortiert gewaschen
werden. Denn weiße oder helle Wäsche könnte sonst einen sogenannten „Grauschleier“
bekommen, also schmutziggrau aussehen, oder sich gar ganz verfärben. Auch auf die Faser
muss geachtet werden. Handelt es sich um eine Kunstfaser, Seide oder gar Wolle?
Wollpullover zum Beispiel können eingehen, ihre Größe verringern, und verfilzen, wenn
sie mit einer zu hohen Temperatur gewaschen werden. Die Wollfäden sind dann so fest
miteinander verschlungen, dass man sie nicht mehr erkennen kann. In der Regel wissen
erfahrene Hausfrauen oder auch Hausmänner das. Oft sind aber, wie die junge Frau sagt,
die Frauen diejenigen, die die Wäsche machen und auch wissen, worauf zu achten ist. Die
junge Frau sieht sich in diesem Urteil bestätigt, wenn sie sich in dem Raum umschaut, wo
sie sitzt. Wer in einen Waschsalon geht, darf vor etwas keine Angst haben: seine schmutzige
Wäsche den Augen anderer auszusetzen. Aber aufgepasst: Man kann auch im übertragenen
Sinne schmutzige Wäsche waschen. Das bedeutet dann, dass man in aller Öffentlichkeit
über die Fehler oder schlimmen Geheimnisse einer anderen Person redet. So etwas sollte
man im Waschsalon lieber vermeiden. Stattdessen heißt es: die Wäsche sortieren und in der
Waschmaschine verstauen, die richtige Temperatur und das passende Waschprogramm
wählen, die Maschine starten und das tun, worauf die Wenigsten Lust haben:

„Das Nervendste daran ist immer die Zeit dazwischen, das Warten, ‘ne halbe Stunde. Was
mach’ ich? Ich telefoniere, oder ich warte einfach nur und langweile mich, schaue auf die
sich drehende Wäsche.“

Wer die Zeit nicht für eine kurze Besorgung nutzen will, setzt sich hin, liest, spielt mit
seinem Smartphone, telefoniert oder schaut einfach nur der Wäsche zu, wie sich in der
Waschtrommel dreht. Manche finden das entspannend, andere wiederum nervig, oder wie
die junge Frau nicht ganz richtig sagt, „nervend“, äußerst unangenehm und lästig. Dass in
einer Waschmaschine nicht immer nur schmutzige Wäsche landet, weiß diese Mitarbeiterin
eines Berliner Waschsalons zu berichten:

„Es hat schon öfter mal was Lustiges gegeben, zum Beispiel, dass jemand seinen
Fotoapparat mitgewaschen hat, der dann hinüber war anschließend. Das passiert aber
überwiegend doch den Touristen, die nach Berlin kommen. Das passiert allerdings auch
anderen, weil sie schusselig sind und ihre Taschen nicht leeren. Ich habe schon diverses
Besteck gefunden in den Maschinen, ich habe auch schon Scheren und ähnliches
Handwerkszeug wie Schraubenzieher, Zangen in den Waschmaschinen gefunden. Das lässt
sich alles da drin finden.“

Wer nicht aufpasst, nachlässig, schusselig, ist, kann schon mal übersehen, dass zwischen
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der schmutzigen Wäsche noch Gegenstände sind, die beim Kontakt mit Wasser kaputtgehen
könnten, hinüber wären. Wirtschaftlich betreiben lässt sich ein Waschsalon nur, wenn er
genug Kundinnen und Kunden hat – und das ist meist nur in Großstädten der Fall, wo
Singles und Studentinnen und Studenten leben. Die Preise für eine Ladung Wäsche
schwankt je nach Stadt und Standort. Bei einer Kette, die mehrere Waschsalons betreibt,
kann der Preis für eine Maschine Wäsche zwischen 1,90 Euro und 3,50 Euro betragen,
woanders kann es etwas teurer sein. Das gilt auch für die Trockner. Wer seine Wäsche nicht
selbst waschen, falten und bügeln will, kann in dem einen oder anderen Waschsalon sogar
ein entsprechendes Dienstleistungsangebot annehmen. Um wirtschaftlich arbeiten zu
können, haben manche Betreiber ihr Angebot noch weiter ausgebaut: Sie sind
beispielsweise Annahmestelle für Textilien, die nur chemisch gereinigt werden dürfen, und
für Schuhreparaturen, oder sie bieten einen Schlüsseldienst an. Möglicherweise könnte das,
was dieser Mitarbeiter eines Waschsalons in Berlin erzählt, noch eine Marktlücke sein:

„‘n Waschsalon ist auch ‘n guter Treffpunkt für Leute. Also in den vier Jahren haben sich
schon zwei Paare hier getraut. Die haben sich hier kennengelernt und haben geheiratet.
Wär’ nun vielleicht ‘n Gag gewesen, wenn sie hier auch drin geheiratet hätten.“

Autorinnen: Olga Yvons, Beatrice Warken


Redaktion: Suzanne Cords

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Sächsisch auf der Alm

1. Hast du alles gut verstanden? Wähle die jeweils richtige Antwort aus.

1. Gaststätten und Hotels in Urlaubsgebieten wie dem Allgäu …


a) schließen alle während der Wintermonate.
b) stellen meist während der Saison zusätzliche Arbeitskräfte ein.
c) beschäftigen grundsätzlich Saisonarbeiter aus Sachsen.

2. Martina Berktold-Thaumiller ist der Meinung, dass …


a) man nicht viel Geld braucht, um im Allgäu gut leben zu können.
b) ihre Gäste sich an den sächsischen Dialekt gewöhnt haben.
c) alle Arbeitskräfte, die aus der früheren DDR kamen, gerne im Hotelgewerbe gearbeitet
haben.

3. Die Arbeitsagentur in Sonthofen …


a) hat schnell auf die sich veränderte politische Lage reagiert.
b) hat vor Ort im Allgäu Arbeitskräfte aus Osteuropa angeworben, die übergesiedelt waren.
c) erhielt nach der Wende zahlreiche Bewerbungen gut ausgebildeter Hotelfachkräfte aus
der ehemaligen DDR.

4. Hotelier Eckart Lässer hat …


a) ausschließlich Service-Fachkräfte in der Veranstaltungshalle angetroffen.
b) schon vor der deutsch-deutschen Grenzöffnung DDR-Bürger beschäftigt.
c) zu DDR-Zeiten mit dem Arbeitsamt in Balderschwang zusammengearbeitet.

5. Nadine …
a) ist aus Liebe zu einem Mann nach Balderschwang gezogen.
b) musste sich noch im Hotelfachgewerbe ausbilden lassen.
c) schätzte von Anfang an die gute Arbeitsatmosphäre in dem Hotel in Balderschwang.

6. Martina Berktold-Thaumiller stellt fest, dass …


a) sich alle, die nach der Wende kamen, von Anfang an heimisch gefühlt haben.
b) man nicht grundsätzlich von einer ausreichenden Qualifikation der neuen Mitarbeiter
ausgehen konnte.
c) alle neuen Mitarbeiter blieben und umgeschult wurden, selbst wenn sie keine Arbeit in
der Hotelerie erhalten hatten.

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2. Welches Adjektiv passt sinngemäß? Ordne den jeweiligen Begriff zu.

verlockend ganzjährig sauber familiär wunderschön


gewillt naheliegend frisch ausgebildet saisonabhängig arbeitslos

Tanja stammt aus einer Familie, die schon seit mehreren Generationen einen Hotelbetrieb
in Berlin betreibt. Daher steht für sie nach Ende ihrer Schulzeit fest, dass sie auch in dem
Bereich eine Ausbildung machen möchte. Sie erzählt ihrer Freundin Sabine davon:

„Weißt du, es ist einfach ________________, dass ich das mache, denn dann kann ich
später im elterlichen Betrieb mitarbeiten. Ich kenne die meisten, es geht bei uns sehr
________________ zu. Gestern erhielt ich ein Ausbildungsangebot von einem Hotel,
dessen Inhaber schon seit Jahren mit unserer Familie befreundet ist. Das Angebot ist sehr
________________, denn das Hotel liegt im Allgäu. Die Landschaft ist
________________, die Luft sehr ________________. Allerdings bin ich nicht
________________, die Großstadt Berlin und alle meine Freunde zu verlassen. Sie
bietet doch mehr Vorzüge gegenüber dem Landleben. Außerdem hat unser Hotel den
Vorteil, dass es ________________ geöffnet hat und nicht während der Wintersaison
geschlossen wird, weil zu wenige Gäste kommen. Ein Hotelbetrieb ist in der Regel der Fälle
leider ________________. Na ja, wenn ich ________________________ bin, habe
ich zumindest einen großen Vorteil: Ich kann nicht ________________ werden!“

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3. Übe Adjektive mit Präpositionen: Welche Präposition ist richtig? Wähle aus.

1. Seit zwei Monaten arbeitet Sam als Servicekraft in einem Lokal. Sie kommt aber mit dem
Arbeitstempo nicht so gut klar. Daher teilt ihr Chef ihr mit, sie sei ungeeignet ______
[bei/zu/für] diese Arbeit.

2. Peter arbeitet wie seine Frau im Schichtdienst in einem Hotel. Gerne würde einer von
beiden etwas weniger Arbeit und mehr Zeit für die Kinder haben. Leider sind sie aber
angewiesen ______ [für/an/auf] das Geld, das sie beide verdienen.

3. Wir haben unseren Urlaub zum ersten Mal im Allgäu verbracht. Sehr positiv überrascht
waren wir davon, dass jeder – vom Chef bis zu den Mitarbeitern – in unserem Hotel sehr
______ [um/über/auf] unser Wohlergehen bemüht war.

4. Petra steht zwar noch nicht lange am Empfang des Hotels, sie ist aber sehr geschickt
______ [an/zu/in] der Beantwortung von Fragen unangenehmer Gäste.

5. Wer als Großstädter in die bayrischen Alpen kommt, kann ganz blass ______ [über/
vor/auf] Neid werden, weil es dort sehr ruhig und die Luft nicht durch viele Autoabgase
belastet ist.

6. Karl ist nach der Wende ins Allgäu gekommen, um als Koch zu arbeiten. Weil er immer
sehr gerne gekocht hat, ist er sehr bewandert ______ [mit/zu/in] allem, was mit der
Zubereitung verschiedenster Speisen zu tun hat.

7. Manche Hoteliers im Allgäu waren sehr verwundert ______ [nach/über/in] die


anfangs hohe Zahl von Interessentinnen und Interessenten, die aus der ehemaligen DDR
kamen und einen Job suchten.

[beawar/shikas]

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Sächsisch auf der Alm

Als Arbeitskräfte auf Zeit kamen sie in das Allgäu: Sachsen aus
Ostdeutschland. Nach dem Wegfall der innerdeutschen Grenze boten sich im
Westen gute Arbeitsmöglichkeiten etwa in Hotels und Restaurants.

Das Allgäu, eine Region im südlichen Bayern, lockt mit seiner guten Bergluft, der Natur und
seiner Ruhe jedes Jahr Tausende Besucher aus dem In- und Ausland. Wer Bayern besucht,
stellt sich auf Tradition, Tracht und die bairische Sprache ein. Manche Besucherin, mancher
Besucher dürfte deshalb überrascht sein, wenn sie oder er in einem der zahlreichen Hotels
und Gasthöfe auf Servicepersonal trifft, das aus dem Osten Deutschlands kommt und
Sächsisch spricht. Im Alpenraum begegnet man jedoch häufig ostdeutschen Arbeitskräften,
weil man sich dort besonders um sie bemüht hat. Auch der „Birgsauer Hof“ gehört dazu. Der
Hotelgasthof in dem Ort Birgsau mit seinen breiten Dächern und Holzbalkonen, an denen
Blumenkästen mit Geranien hängen, ist typisch für die Region. Er liegt idyllisch – mit Blick
auf Almen, Wiesen, auf denen das Vieh im Sommer weidet, und felsige Gipfel.
Der„Birgsauer Hof“ gilt als das südlichste Hotel Deutschlands. Inhaberin Martina Berktold-
Thaumiller erzählt, wie ihre Gäste auf die ostdeutschen Servicekräfte reagieren und reagiert
haben:

„Mittlerweile hat man sich dran gewöhnt, und es denkt sich sicher niemand mehr was
dabei. Aber am Anfang war es sicher sehr ungewohnt, und schon so mancher hat dann
manches Mal schmunzeln müssen.“

Martina Berktold-Thaumiller sagt, wie ungewohnt es in der ersten Zeit für ihre Gäste war,
dass gerade im Oberallgäu, im äußersten Süden Deutschlands, Sachsen arbeiteten. Sie
empfanden es manchmal sogar als lustig, sie mussten schmunzeln. Inzwischen fällt es den
Gästen nicht mehr auf, sie denken sich nichts mehr dabei. Es ist kein Zufall, dass
gerade hier in der Gegend viele Sachsen arbeiten. Denn die Agentur für Arbeit der
nahegelegenen Kreisstadt Sonthofen hatte nach der Wiedervereinigung Deutschlands, nach
der sogenannten Wende, 1989/90 gezielt um sie geworben. Der langjährige Leiter der
Sonthofener Geschäftsstelle, Wolfgang Scholz, erinnert sich an den Grund:

„Wir sind hier im Allgäu eine sehr saisonabhängige Gegend von den Arbeitsplätzen her,
und da war es natürlich naheliegend, dort zu suchen, wo wir eventuell neue Köche, neue
Servicekräfte bekommen können, und das war nach der Wende eben zunächst Berlin und
dann Sachsen.“

Nach der Wende verließen fast 390.000 Ostdeutsche ihre Heimat und siedelten in die
sogenannten alten Bundesländer oder ins Ausland über. Viele, die in der früheren DDR
blieben, hatten keine Arbeit mehr. Daher war es für die Arbeitsagentur in Sonthofen schnell
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klar, es war naheliegend, dass man sich um ostdeutsche Arbeitskräfte bemüht. Das Allgäu
ist das Wintersportgebiet in Deutschland mit den meisten Übernachtungen. Vor allem in
dieser Zeit und in den Sommermonaten, in dieser Saison, werden viele Arbeitskräfte
benötigt. Die Region ist saisonabhängig. Die Saisonarbeiter werden für eine befristete
Zeit beschäftigt. Die meisten Einheimischen sind ganzjährig in Betrieben der
Metallindustrie beschäftigt. Deshalb musste man sich schon immer außerhalb der Region
nach anderen Arbeitskräften umsehen. Vor der Wende behalf man sich vor allem mit
Saisonarbeitern aus dem östlichen Europa, nun gab es auf einmal auch deutsche
Interessenten. Allerdings waren die ersten Versuche, Saisonarbeitskräfte aus dem Osten
Berlins anzuwerben, enttäuschend. Die Großstädter fühlten sich in den abgelegenen
Betrieben einfach nicht wohl. 1993 aber begann eine überaus erfolgreiche Kooperation mit
dem Arbeitsamt im sächsischen Annaberg. In Bussen wurden Bewerber aus der dortigen
Region nach Sonthofen gebracht, oder interessierte Arbeitgeber fuhren nach Annaberg. Der
Hotelier Eckart Lässer aus dem Dorf Balderschwang fuhr einmal mit und hielt die
damaligen Busaktionen für ideal:

„Weil die Mitarbeiter da herkommen, wo es zu wenig Arbeit gibt. Wir haben zu viel Arbeit
und zu wenig Mitarbeiter. Das ist perfekt, wie das sich eigentlich ergänzt.“

Eckart Lässer hatte schon Arbeitskräfte aus Ostdeutschland beschäftigt, da stand die
Berliner Mauer noch. Denn am 28. Februar 1989, also mehr als neun Monate vor dem
sogenannten „Mauerfall“, entschloss sich Ungarn, die Grenzanlagen zu Österreich zu
entfernen. Über Ungarn, in das DDR-Bürger ohne Probleme reisen konnten, gelangten sie
dann in den Westen. Für Eckart Lässer war das eine perfekte Situation, denn die Flüchtlinge
waren auf der Suche nach Arbeit und er selbst suchte Arbeitskräfte. Es fügte sich gut, es
ergänzte sich – wie zwei Teile, die zusammenpassen. Die Arbeitssuchenden waren
zunächst in einer Veranstaltungshalle in der nordbayerischen Stadt Hof untergebracht.
Hotelier Eckart Lässer, der mit einem Kollegen damals zu der Halle fuhr, erinnert sich:

„Da war das Problem nur so, dass alle Fachkräfte waren, weil die alle aus dieser Halle
rauswollten, und jeder wollte Koch und Bedienung sein. Aber wir haben da schon
Mitarbeiter geholt.“

Da jeder in der Halle auf Arbeit hoffte, gab auch jeder an, über Erfahrungen als Koch oder
Servicekraft, als Bedienung, zu verfügen, obwohl das nicht immer der Fall war. Jeder war,
wie es Hotelier Eckart Lässer formuliert, eine Fachkraft. Dennoch fand er geeignete
Leute. Mit einer derartigen Busaktion kam auch die frisch ausgebildete Restaurant-Fachfrau
Nadine aus Querfurt in Sachsen-Anhalt in das Allgäu. Sie erzählt:

„Für mich war eigentlich der Punkt, dass ich halt zu Hause bei mir keine Arbeit gefunden
hab’, und da bot sich halt dann die Gelegenheit, in ’ne andere Region zu gehen, und dann
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bin ich halt nach Balderschwang gekommen. Aber ich hab’ ’n guten Chef gefunden, ’n tolles
Haus, tolles Hotel, und, ja, dann bin ich halt hängengeblieben.“

Wie für die anderen war auch für Nadine der Grund, der Punkt, ihre gewohnte Umgebung
zu verlassen und ins mehr als 550 Kilometer entfernte Balderschwang zu kommen, dass sie
keine Anstellung in ihrem Beruf fand. Balderschwang liegt an der Grenze zu Österreich. Das
Dorf hat 240 Einwohner, aber 1200 Gästebetten. Man ist daher dringend auf Fachkräfte von
außen angewiesen. Nadine nahm eine Arbeit auf dem Almhof von Eckard Lässer an.
Eigentlich wollte sie nur eine Saison bleiben, schließlich wurden es dann drei Jahre. 2003
heiratete sie einen Einheimischen, mit dem sie nun zusammen einen Bauernhof mit
Ferienwohnungen in Balderschwang führt. Nadine ist längst nicht die Einzige, die im Allgäu
geblieben ist, die, wie sie umgangssprachlich sagt, dort hängengeblieben ist. Es gab auch
viele andere. Martina Berktold-Thaumiller hat überwiegend gute Erfahrungen mit
ostdeutschen Saisonarbeitskräften gemacht:

„Es gab immer Leute, die verstanden haben, dass man hier auch arbeiten muss, um schön
leben zu können, und die auch gewillt waren zu arbeiten. Und wie es überall so ist und
auch bei uns herüben so ist, gibt es auch Leute, die das einfach nicht verstehen, aber die
waren dann auch schnell aussortiert und wollten dann auch wieder nach Hause.“

Im Rückblick stellt Martina Berktold-Thaumiller fest, dass es immer Leute gab, die sich
anstrengten, weil sie arbeiten wollten. Sie waren gewillt zu arbeiten. Aber es gab auch bei
ihnen, bei uns herüben, wie sie es bairisch formuliert, Menschen, die sich keine Mühe
gaben. Sie wurden gekündigt, aussortiert. Die Zeiten haben sich seit dem Mauerfall
geändert. Zwar benötigen die Gastronomen in der Region in der Saison nach wie vor
Unterstützung in ihren Betrieben. Allerdings kommen die Saisonarbeiter jetzt nicht mehr
aus Sachsen, sondern eher aus osteuropäischen Staaten wie Ungarn, Serbien und Polen.

Autor / Autorin: Peter Stützle, Beatrice Warken


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Die Welt des Fahrrads

1. Du hast sicher alles gut verstanden! Dann weißt du, welche der Aussagen
richtig sind. Wähle aus.

a) Draisinen besitzen zwei große Räder und ein kleines Rad zur Stabilisierung.
b) Die erste Draisine zeichnete sich dadurch aus, dass das vordere Rad größer war als das
hintere.
c) Alfred Baltus sammelt nicht nur alte Fahrräder, sondern auch alte Autos.
d) Alfred Baltus konnte den Mopedfahrer überholen, weil dieser wegen eines
Reifenschadens plötzlich nicht weiterfahren konnte.
e) In manchen deutschen Städten kann man sich ein Fahrrad leihen, muss dafür aber eine
Leihgebühr zahlen.
f) Kester weiß, dass er ein Risiko eingeht, wenn er Verkehrsregeln missachtet.
g) Subunternehmen müssen sehen, dass sie möglichst viele Aufträge bekommen, um einen
guten Verdienst zu haben.

2. Prüfe deinen Wortschatz: Welcher Begriff gehört zur Beschreibung? Ordne


zu.

Vehikel Kurbel Kurier Pedal Kessel Zweirad

1. Ein umgangssprachliches Synonym für „Fahrrad“:

2. Ein gehobener Begriff für „Fahrzeug“, der auch abwertend verwendet werden kann:

3. Eine kurze Stange, die man dreht, um einen Mechanismus in Gang zu setzen:

4. Ein Behälter aus Metall, in dem man etwas erhitzen kann:

5. Eine Person, die wichtige Dinge schnell von einem Ort zu einem anderen befördert:

6. Das Teil am Fahrrad, das ein Gegenstück hat und mit dem die Kette und so das Fahrrad
vorwärtsbewegt werden:

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3. Teste deine Sprachsicherheit: Welcher Begriff, welche Wendung passt?


Trage ein und passe ggfs. die Form an.

Höllenqualen (jemanden) abhängen platt (sein) (sich) kaputtlachen


Broterwerb (einen) Triumphzug antreten kein Risiko eingehen (mit etwas) nicht rechnen

Karin ist Profi-Radfahrerin. Radfahren ist ihr ________________, sie verdient ihr Geld
damit. Bei mehreren internationalen Radrennen hat sie schon Medaillen gewonnen.
Mancher ihrer Bekannten und Freunde hätte __________ damit ________________,
dass sie so erfolgreich werden würde. Sie waren wirklich ___________, als Karin ihr
erstes Rennen gewann. Auch in späteren Rennen war Karin sehr erfolgreich. „Du
_________ ja gerade einen wahren _____________________ ____!“, meinte ihre
beste Freundin. Seit vielen Monaten trainiert Karin nun, weil sie an einem besonders
schwierigen Radrennen teilnehmen möchte. Weil es sehr heiß ist, leidet sie manchmal
________________________ – besonders, wenn sie Berge hochfahren muss. Hier
__________ sie allerdings ohne Probleme Radfahrerinnen und Radfahrer ___, die
langsam und nur zum Spaß Rad fahren. Anders als Karin sind diese Radfahrer sehr
vorsichtig, sie wollen _______ ______________ ______________. Denn wenn man
sehr schnell einen Berg herunterfährt, steigt die Gefahr, schwer zu stürzen. Einmal ist es
Karin sogar passiert, dass jemand am Wegesrand stand und sich
____________________ hat, als sie beinahe gestürzt wäre. Für sie war ein dermaßen
schadenfrohes Verhalten völlig unverständlich.
[beawar/stesch]

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Die Welt des Fahrrads

Fahrradfahren macht nicht nur Spaß, es hält auch fit. Das zweirädrige Vehikel
entwickelte sich in den letzten Jahrhunderten vom eher gemütlichen Hochrad
zu einem technisch hochwertigen Gefährt.

„Es ist einfach schön, mit dem Fahrrad durch die Stadt zu fahren. Man bekommt mit, was
links und rechts von einem los ist, man nimmt also die Umwelt ganz anders wahr, als wenn
man in so ’nem Auto sitzt. Es ist ’nen schönes Erlebnis, insbesondere bei schönem Wetter,
mit dem Fahrrad durch die Stadt zu fahren. Es ist einfach schön, Rad zu fahren.“

Das Fahrrad: Ausflugsvehikel und Rennmaschine, verantwortlich für schöne


Wochenendstunden im Kreis der Familie genauso wie für Höllenqualen. Wie kaum ein
anderes Sportgerät hat das Fahrrad Einzug in viele Bereiche des Alltags gehalten. Schon um
das Jahr 1500 soll Leonardo da Vinci die Skizze eines zweirädrigen Fortbewegungsmittels
mit Kettenantrieb gezeichnet haben. Es dauerte jedoch noch rund 300 Jahre, bis das
Fahrrad verstärkt in das Alltagsleben der Menschen vordrang. 1817 konstruierte der
badische Forstmeister und spätere Professor der Mechanik, Carl Friedrich Christian Ludwig
Freiherr Drais von Sauerbronn, das erste lenkbare Laufrad: die nach ihm benannte
„Draisine“. In den kommenden Jahrzehnten trat das Laufrad seinen Triumphzug um die
Welt an. In England, Frankreich, Deutschland und den USA arbeiteten fahrradbegeisterte
Konstrukteure ständig an Verbesserungen. Zur Mitte des 19. Jahrhunderts verließen dann
die ersten pedalgetriebenen Zweiräder die Werkstätten Europas. Der Fahrer beschleunigte
das Gefährt mittels einer Tretkurbel am Vorderrad. Diese Vorderräder wurden in der
Folgezeit immer größer, denn so konnte die Frau beziehungsweise der Mann auf dem Sattel
mit einer Pedalumdrehung eine längere Strecke zurücklegen.

Ein Fachmann auf dem Gebiet der Hoch- und Laufräder ist Alfred Baltus aus Solingen. Zu
seiner Sammlung antiker Zweiräder gehören diverse alte Draisinen, die nicht nur schön
anzuschauen sind, sondern mit einem geübten Fahrer auch ein ansehnliches Tempo
erreichen können. An ein schönes Erlebnis erinnert sich Alfred Baltus:

„Da kam so ’n Mopedfahrer, überholte mich an der Seite links vorbei da, und lachte sich
kaputt. Ja, und dann kam er auf gleiche Höhe, und da erzähl ich mit ihm da. Und ich sage:
‚Junge, ich kann dich auch mit ’nem Hochrad abhängen.‘ Und auf einer gewissen Strecke,
da ging es gerade so schön flach. Da hab ich den Mopedfahrer abgehängt, so richtig mal
einen draufgestocht. Und nach ein paar hundert Metern, wie ich dann gewartet hatte,
guckt der, hat der sich auch wieder kaputtgelacht, da war der platt gewesen, dass ich mit
dem alten Hochrad den Mopedfahrer abgehängt hab.“

Als Alfred Baltus dem Mopedfahrer davonradelte, hat er, wie er sagt, so richtig einen
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draufgestocht. „Gestocht“ heißt hier nichts anderes als „schnell fahren“. In der
ursprünglichen Bedeutung meint „stochen“ „das Feuer schüren“. Nur wenn beispielsweise
bei einer Dampfmaschine das Feuer richtig gestocht ist, kann der Kessel genug Druck und
die Maschine ausreichend Kraft produzieren. Als Alfred Baltus dann den Mopedfahrer
abgehängt, ihm davongefahren war, war der platt. Er war von der Schnelligkeit des
antiken Zweirades überrascht. Damit hatte er nicht gerechnet. Auf langen Strecken konnten
gut trainierte Draisinenfahrer früher sogar einen Reiter abhängen. Doch spätestens mit der
Entwicklung des Autos als Fortbewegungsmittel für breite Massen der Bevölkerung nahm
die Bedeutung des Fahrrads als Verkehrsmittel ab. Erst im Zuge der Diskussion um die
starke Umweltverschmutzung durch Autoabgase gewann es seit den 1980er Jahren als
Fortbewegungsmittel wieder an Bedeutung.

Heutzutage stellen zahlreiche Unternehmen sogenannte Diensträder zur Verfügung, in


immer mehr Städten finden sich „Radstationen“, wo man Räder gegen ein Entgelt ausleihen
kann. Aber das Fahrrad hat noch einen weiteren Vorteil in Städten: Man kommt schneller
vorwärts. Diesen Vorteil nutzen beispielsweise auch Fahrradkuriere, die mittlerweile zum
gewohnten Stadtbild in Deutschland gehören. Die per Muskelkraft transportierten Briefe
oder Dokumente, aber auch Speisen, die in Restaurants bestellt wurden, sind in der Regel
schneller bei ihren Empfängern, als wenn sie mit dem Wagen befördert worden wären.
Doch wie in jedem Transportgewerbe gilt auch hier für Fahrradkuriere der Spruch: Zeit ist
Geld. Da nimmt es der eine oder andere mit den Verkehrsregeln manchmal nicht ganz so
genau. Das hat meist einen bestimmten Grund, erzählt Kester:

„Es ergibt sich einfach aus der Situation, dass wir im Prinzip Subunternehmer sind und
selbständig arbeiten. Das heißt, es gibt kein festes Gehalt, sondern je mehr ich schaffe in der
Zeit, desto mehr verdiene ich auch. Und dadurch ergibt sich auch irgendwo das Problem,
dass Verkehrsregeln missachtet werden und dass man natürlich auch irgendwo ’n kleines
Risiko eingeht. Obwohl man in dem Moment sicherlich nicht darüber nachdenkt. Es gibt oft
Punkte, wo man dann anschließend sagt: ‚Oh, das war aber knapp jetzt!‘ Bloß, dann ist die
Situation im Prinzip schon vorbei.“

Kester arbeitet als Subunternehmer. Die aus dem Lateinischen stammende Vorsilbe
„sub“ verweist auf den beruflichen Status von Kester, denn sie bedeutet soviel wie „unter“ –
„unter“ dem eigentlichen Unternehmer. Der eigentliche Fahrradkurier-Unternehmer erhält
die Aufträge und verteilt diese an seine Subunternehmer. Der Vorteil für den Besitzer des
Kurierdienstes ist, dass die Subunternehmer für alles selbst verantwortlich sind, sich zum
Beispiel selbst versichern, oder aber auch selbst für die ordnungsgemäße Versteuerung ihres
Einkommens sorgen müssen. Wird ein Subunternehmer krank, so ist das sein Problem. Da
er juristisch gesehen selbstständig ist, kann er nur Geld verdienen, wenn er auch wirklich
arbeitet. Der eigentliche Unternehmer selbst spart Geld, denn er muss nicht wie für eine
Angestellte beziehungsweise einen Angestellten den Lohn bei Krankheit weiterzahlen.
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Ob als Leistungssport oder als Freizeitvergnügen, ob als Broterwerb oder als Hobby:
Fahrradfahren ist außerordentlich vielseitig. Es schont die Umwelt gleichermaßen wie es
den Körper fit hält. Doch der wichtigste Grund, sich aufs muskelbetriebene Zweirad zu
schwingen, ist: Es macht ganz einfach Spaß!

Autor: Marcel Erlinghagen


Redaktion: Beatrice Warken

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Im Schallplattenwerk

Sie war früher der einzige Tonträger für Musikgenuss: die Schallplatte. Trotz
neuer Medien ist Vinyl weiterhin gefragt. Auch eine deutsche Firma produziert
die schwarzen oder auch bunten Scheiben wieder.

Sprecherin:
Etwa Ende des 19. Jahrhunderts wurde sie „geboren“, jene meist schwarze, kreisrunde
Scheibe, die es einem ermöglicht, Musik zu hören, ohne ein Konzert zu besuchen: die
Schallplatte. Spätestens seit Mitte der 1980er Jahre sahen viele ihr Ende gekommen. Dann
kamen die Compact Discs, die CDs, auf den Markt, sie hielten Einzug. CDs, die die Musik
als Daten digital speicherten, hatten gegenüber der „alten“ Schallplatte viele Vorteile, unter
anderem, dass einfach mehr auf sie „draufpasste“. Plattenhersteller wie die Pallas Group in
der niedersächsischen Stadt Diepholz, etwa 65 Kilometer von Bremen entfernt, machten
sich Gedanken, wie es nun weitergehen sollte. Firmenchef Holger Neumann erzählt:

Holger Neumann:
„Na ja gut, also, wir haben schon schlussendlich überlegt nach dem Einzug der CD, was
machen wir mit Vinyl. Das ist vollkommen klar. Aber wir haben einfach gesagt, wir
motten die Maschinen ein, lassen sie ruhen, vielleicht kommt irgendwann der Peak
wieder, Vinyl machen zu können. Das ist natürlich heute für uns ’n großer Vorteil, dass wir
wieder Vinyl fertigen.“

Sprecherin:
Die Pallas Group ist eine der letzten Firmen Europas, die noch „Vinyl“ herstellt. Vinyl ist
die umgangssprachliche Bezeichnung für „Schallplatte“, weil diese aus dem
Kunststoffmaterial Polyvinylchlorid, PVC, hergestellt wird, was sich seit Ende der 1940er
Jahre immer stärker durchsetzte. Holger Neumann erzählt, dass man sich Mitte der 1980er
Jahre entschied, die für die Produktion notwendigen Maschinen zu behalten und
stillzulegen. Sie wurden – umgangssprachlich – eingemottet. Der Begriff kommt daher,
dass man besonders Wollkleidung nach dem Winter wegräumt und gegen Kleidermotten
schützt. Diese Kleinschmetterlinge fressen Löcher in Stoffe wie Wolle, Pelz und Fell, weil sie
sich von dem darin enthaltenen pflanzlichen Stoff ernähren. Holger Neumann begründet
die damalige Entscheidung mit der Hoffnung auf eine mögliche erneute Nachfrage nach
Schallplatten. Er benutzt dafür – nicht ganz korrekt – das englische Wort peak, das
eigentlich „Gipfel“ oder „Spitze“ bedeutet. Seit 1949 werden im Werk in Diepholz
Schallplatten gefertigt. Holger Neumanns Großvater Karl gründete das Presswerk. Damals
wurden die Platten noch aus Schellack hergestellt, einer klebrigen, harzigen Flüssigkeit, die
Insekten, die Lackschildläuse, ausscheiden. Karl Neumann benannte das Unternehmen
nach der griechischen Göttin Pallas Athene. Sie gilt unter anderem als Beschützerin der
Künste und als klug. Als dann Mitte der 1980er Jahre die CD die Schallplatte aus den
Studios und Musikgeschäften verdrängte, ging auch die Firma Pallas mit der Zeit und baute
eine CD-Produktion auf. Aber dann stieg die Nachfrage nach Schallplatten erneut an.
Holger Neumann erinnert sich:

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Holger Neumann:
„Der erste Gig oder die ersten Anfragen kamen eigentlich auch mit der ersten Love-
Parade aus Berlin, wo du da auf den LKWs die Platten brauchtest zum Scratchen. Und da
ja die anderen Werke nicht mehr gefertigt haben, kam die Anfrage natürlich zu uns. Und das
war für uns vielleicht so ’n kleiner, ich sag’ mal so ’n Stern am Himmel, wo es hieß: ‚Na,
vielleicht könnte jetzt Vinyl wieder bisschen mehr Aufwind kriegen’. Und man kann fast
sagen, also, ab dem Tag an kamen hier und da mehr Anfragen fürs Vinyl wieder ran. Und
wir haben dann Hoffnung geschöpft.“

Sprecherin:
Dass Schallplatten erneut wieder stark nachgefragt wurden, führt Holger Neumann zurück
auf den Sommer 1989. Damals hatte die Schallplatte ihren musikalischen Auftritt, ihren
Gig, bei der sogenannten Love-Parade in Berlin, einer großen Techno-Musikparty. Denn
die Discjockeys brauchten für ihre Musik Schallplatten zum Scratchen. Dabei wird eine
Platte während sie sich dreht mit den Händen rhythmisch hin und herbewegt, so dass die
Plattenspielernadel über das Vinyl kratzt. Die Pallas Group wurde gefragt, ob sie
entsprechende Platten produzieren könne. Und sie hoffte, dass nun noch weitere Aufträge
kommen. Man schöpfte Hoffnung. Holger Neumann benutzt zwei Bilder: das eines
Sterns am Himmel, der leuchtet sowie das eines Flugzeugs, das durch bestimmte
Luftbewegungen weiter nach oben steigt, Aufwind bekommt. Und es war in der Tat so,
dass von verschiedenen Seiten, von hier und da, Aufträge kamen. Wie wird eine
Schallplatte denn hergestellt? Holger Neumann erklärt:

Holger Neumann:
„Hier haben wir den Außensilo, ungefähr acht Meter, neun Meter hoch, so ungefähr 30
Tonnen PVC-Granulat drinne, schwarzes Granulat, wo wir dann nachher eigentlich das
Material für benötigen für die Vinyl-Fertigung. Es wird hier alle vier Wochen mit ’nem
Silowagen aufgefüllt, getrocknet alles und dann wird von hier über verschiedene
Förderanlagen das zu den Pressen transportiert. Und daraus entstehen die
Schallplatten.“

Sprecherin:
In einem riesigen Speicher, einem Silo, der außen auf dem Fabrikgelände steht, wird das
Material für die Schallplatten gesammelt: PVC-Granulat. Für das Granulat wird das
Polyvinylchlorid geschmolzen und nach der Abkühlung in kleine Abschnitte geschnitten, die
wie Körner aussehen. Jeden Monat einmal kommt ein spezieller Lastwagen, ein
Silowagen, und bringt neues Granulat. Dieses wird über dann über Förderanlagen,
besondere Maschinen, die keine Luft und Feuchtigkeit hineinlassen, in die Presserei
gebracht. Dort werden aus dem Granulat die sogenannten Schallplattenrohlinge in Form
gepresst.

Holger Neumann:
„Also, wir sind jetzt eigentlich im Herzstück der Firma, eigentlich in der Pressabteilung
oder in der Presserei, wo jetzt die ganzen Vollautomaten stehen, wo dann die Schallplatte
vollautomatisch hergestellt wird. Also, früher waren sie ja fast ausschließlich schwarz, heute
haben wir es ja in vielen Farben. Wir fertigen jetzt gerade im Augenblick hier Rot, weil der
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Kunde gerne Rot haben möchte. Also, man kann fast jeden Kundenwunsch erfüllen.“

Sprecherin:
Holger Neumann bezeichnet die Presserei als das Herzstück der Firma. Den Begriff
verwendet man, wenn man betonen will, dass etwas besonders wichtig ist, eine zentrale
Bedeutung hat. In der Presserei wird die klebrige PVC-Masse unter hohem Dampfdruck zu
Schallplatten gepresst. Meistens sind Schallplatten schwarz. Wünscht jemand jedoch eine
andere Farbe, wird dieser Wunsch erfüllt. Jede Farbmischung ist einzigartig, ein Unikat,
weil die Mischung mit der Hand hergestellt wird. Und wie kommt die Musik auf den
Rohling? Folien, die die jeweilige Musikproduktion enthalten, werden von dem jeweiligen
Musikstudio oder dem Kunden geliefert. Die einzelne Folie wird versilbert, danach
gewaschen und anschließend galvanisiert. Dafür wird zunächst ein chemisches Mittel
aufgesprüht, dann die bearbeitete Masterscheibe in ein Bad getaucht, das das Metall Nickel
enthält. Das legt sich auf die Folie auf und bildet ein Duplikat. Anschließend werden diese
Masterscheibe und das Duplikat, die Matrize, getrennt. Wichtig bei dem Master ist, dass die
Rillen sauber und gleichmäßig sind, da man beim Abspielen der Platte jede Unebenheit
hört. Über ein Mikroskop wird das kontrolliert. Durchschnittlich zwei Euro kostet eine
Scheibe – je nach Größe, Farbe und Dicke. Holger Neumann liebt Schallplatten und schätzt
den warmen Klang einer direkten, analogen Abtastung der Musik durch die Nadel eines
Plattenspielers. Er gibt allerdings zu bedenken:

Holger Neumann:
„Solange die Generationen danach fragen, wird es auch Vinyl geben. Und es ist der Markt,
der sich auf Vinyl etwas eingestellt hat. Die sogenannten Plattenspielerhersteller haben sich
drauf eingestellt. Also, es ist ein Boom. Keiner weiß, wo er herkommt. Und keiner weiß
auch, wie lange er anhält. Es ist aber ein sehr interessanter und spannender Markt.“

Sprecherin:
Schallplatten haben laut Holger Neumann plötzlich wieder Erfolg, sie boomen. Er ist der
Meinung, dass Vinyl auch weiter produziert werde solange die Nachfrage anhält,
unabhängig von der Altersgruppe der Käufer, der Generation. Man wisse nur nicht, wie
lange. Zumindest ist es ein finanziell einträgliches, lukratives, Geschäft. Mit einer
Schallplatte lässt sich mehr Geld verdienen als mit einer CD. Und noch dreht sie sich
unermüdlich. Auf der Homepage der Firma steht Folgendes: „Die Erde ist eine Scheibe“. So
weit wird es dann aber doch nicht kommen.

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Fragen zum Text

Was stimmt? Die Pallas Group …


1. hatte Mitte der 1980er Jahre ihre Maschinen verkauft.
2. ist seit 1949 in Familienbesitz.
3. produziert ausschließlich Schallplatten.

Holger Neumann bezeichnet … als Herzstück des Unternehmens.


1. die Presserei
2. die Förderanlagen
3. das PVC-Granulat

Was kann man nicht einmotten? …


1. Schallplattenspieler.
2. Fellmützen.
3. Lebensmittel.

Arbeitsauftrag
Schaut euch das Video in eurer Lerngruppe an: http://bit.ly/suzN4F. Beschreibt
anschließend schriftlich, was ihr gesehen habt. Verwendet dabei den einen oder anderen
Fachbegriff aus dieser Alltagsdeutsch-Folge und recherchiert gegebenenfalls noch ein
bisschen im Internet.

Autor/in: Godehard Weyerer; Beatrice Warken


Redaktion: Ingo Pickel

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Im Schallplattenwerk

Sie war früher der einzige Tonträger für Musikgenuss: die Schallplatte. Trotz
neuer Medien ist Vinyl weiterhin gefragt. Auch eine deutsche Firma produziert
die schwarzen oder auch bunten Scheiben wieder.

Etwa Ende des 19. Jahrhunderts wurde sie „geboren“, jene meist schwarze, kreisrunde
Scheibe, die es einem ermöglicht, Musik zu hören, ohne ein Konzert zu besuchen: die
Schallplatte. Spätestens seit Mitte der 1980er Jahre sahen viele ihr Ende gekommen. Dann
kamen die Compact Discs, die CDs, auf den Markt, sie hielten Einzug. CDs, die die Musik
als Daten digital speicherten, hatten gegenüber der „alten“ Schallplatte viele Vorteile, unter
anderem, dass einfach mehr auf sie „draufpasste“. Plattenhersteller wie die Pallas Group in
der niedersächsischen Stadt Diepholz, etwa 65 Kilometer von Bremen entfernt, machten
sich Gedanken, wie es nun weitergehen sollte. Firmenchef Holger Neumann erzählt:

„Na ja gut, also, wir haben schon schlussendlich überlegt nach dem Einzug der CD, was
machen wir mit Vinyl. Das ist vollkommen klar. Aber wir haben einfach gesagt, wir
motten die Maschinen ein, lassen sie ruhen, vielleicht kommt irgendwann der Peak
wieder, Vinyl machen zu können. Das ist natürlich heute für uns ’n großer Vorteil, dass wir
wieder Vinyl fertigen.“

Die Pallas Group ist eine der letzten Firmen Europas, die noch „Vinyl“ herstellt. Vinyl ist
die umgangssprachliche Bezeichnung für „Schallplatte“, weil diese aus dem
Kunststoffmaterial Polyvinylchlorid, PVC, hergestellt wird, was sich seit Ende der 1940er
Jahre immer stärker durchsetzte. Holger Neumann erzählt, dass man sich Mitte der 1980er
Jahre entschied, die für die Produktion notwendigen Maschinen zu behalten und
stillzulegen. Sie wurden – umgangssprachlich – eingemottet. Der Begriff kommt daher,
dass man besonders Wollkleidung nach dem Winter wegräumt und gegen Kleidermotten
schützt. Diese Kleinschmetterlinge fressen Löcher in Stoffe wie Wolle, Pelz und Fell, weil sie
sich von dem darin enthaltenen pflanzlichen Stoff ernähren. Holger Neumann begründet
die damalige Entscheidung mit der Hoffnung auf eine mögliche erneute Nachfrage nach
Schallplatten. Er benutzt dafür – nicht ganz korrekt – das englische Wort „peak“, das
eigentlich „Gipfel“ oder „Spitze“ bedeutet. Seit 1949 werden im Werk in Diepholz
Schallplatten gefertigt. Holger Neumanns Großvater Karl gründete das Presswerk. Damals
wurden die Platten noch aus Schellack hergestellt, einer klebrigen, harzigen Flüssigkeit, die
Insekten, die Lackschildläuse, ausscheiden. Karl Neumann benannte das Unternehmen
nach der griechischen Göttin Pallas Athene. Sie gilt unter anderem als Beschützerin der
Künste und als klug. Als dann Mitte der 1980er Jahre die CD die Schallplatte aus den
Studios und Musikgeschäften verdrängte, ging auch die Firma Pallas mit der Zeit und baute
eine CD-Produktion auf. Aber dann stieg die Nachfrage nach Schallplatten erneut an.
Holger Neumann erinnert sich:
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„Der erste Gig oder die ersten Anfragen kamen eigentlich auch mit der ersten Love-
Parade aus Berlin, wo du da auf den LKWs die Platten brauchtest zum Scratchen. Und da
ja die anderen Werke nicht mehr gefertigt haben, kam die Anfrage natürlich zu uns. Und das
war für uns vielleicht so ’n kleiner, ich sag’ mal so ’n Stern am Himmel, wo es hieß: ‚Na,
vielleicht könnte jetzt Vinyl wieder bisschen mehr Aufwind kriegen‘. Und man kann fast
sagen, also, ab dem Tag an kamen hier und da mehr Anfragen fürs Vinyl wieder ran. Und
wir haben dann Hoffnung geschöpft.“

Dass Schallplatten erneut wieder stark nachgefragt wurden, führt Holger Neumann zurück
auf den Sommer 1989. Damals hatte die Schallplatte ihren musikalischen Auftritt, ihren
Gig, bei der sogenannten Love-Parade in Berlin, einer großen Techno-Musikparty. Denn
die Discjockeys brauchten für ihre Musik Schallplatten zum Scratchen. Dabei wird eine
Platte während sie sich dreht mit den Händen rhythmisch hin und herbewegt, so dass die
Plattenspielernadel über das Vinyl kratzt. Die Pallas Group wurde gefragt, ob sie
entsprechende Platten produzieren könne. Und sie hoffte, dass nun noch weitere Aufträge
kommen. Man schöpfte Hoffnung. Holger Neumann benutzt zwei Bilder: das eines
Sterns am Himmel, der leuchtet sowie das eines Flugzeugs, das durch bestimmte
Luftbewegungen weiter nach oben steigt, Aufwind bekommt. Und es war in der Tat so,
dass von verschiedenen Seiten, von hier und da, Aufträge kamen. Wie wird eine
Schallplatte denn hergestellt? Holger Neumann erklärt:

„Hier haben wir den Außensilo, ungefähr acht Meter, neun Meter hoch, so ungefähr 30
Tonnen PVC-Granulat drinne, schwarzes Granulat, wo wir dann nachher eigentlich das
Material für benötigen für die Vinyl-Fertigung. Es wird hier alle vier Wochen mit ’nem
Silowagen aufgefüllt, getrocknet alles und dann wird von hier über verschiedene
Förderanlagen das zu den Pressen transportiert. Und daraus entstehen die
Schallplatten.“

In einem riesigen Speicher, einem Silo, der außen auf dem Fabrikgelände steht, wird das
Material für die Schallplatten gesammelt: PVC-Granulat. Für das Granulat wird das
Polyvinylchlorid geschmolzen und nach der Abkühlung in kleine Abschnitte geschnitten, die
wie Körner aussehen. Jeden Monat einmal kommt ein spezieller Lastwagen, ein
Silowagen, und bringt neues Granulat. Dieses wird über dann über Förderanlagen,
besondere Maschinen, die keine Luft und Feuchtigkeit hineinlassen, in die Presserei
gebracht. Dort werden aus dem Granulat die sogenannten Schallplattenrohlinge in Form
gepresst:

„Also, wir sind jetzt eigentlich im Herzstück der Firma, eigentlich in der Pressabteilung
oder in der Presserei, wo jetzt die ganzen Vollautomaten stehen, wo dann die Schallplatte
vollautomatisch hergestellt wird. Also, früher waren sie ja fast ausschließlich schwarz, heute
haben wir es ja in vielen Farben. Wir fertigen jetzt gerade im Augenblick hier Rot, weil der
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Kunde gerne Rot haben möchte. Also, man kann fast jeden Kundenwunsch erfüllen.“

Holger Neumann bezeichnet die Presserei als das Herzstück der Firma. Den Begriff
verwendet man, wenn man betonen will, dass etwas besonders wichtig ist, eine zentrale
Bedeutung hat. In der Presserei wird die klebrige PVC-Masse unter hohem Dampfdruck zu
Schallplatten gepresst. Meistens sind Schallplatten schwarz. Wünscht jemand jedoch eine
andere Farbe, wird dieser Wunsch erfüllt. Jede Farbmischung ist einzigartig, ein Unikat,
weil die Mischung mit der Hand hergestellt wird. Und wie kommt die Musik auf den
Rohling? Folien, die die jeweilige Musikproduktion enthalten, werden von dem jeweiligen
Musikstudio oder dem Kunden geliefert. Die einzelne Folie wird versilbert, danach
gewaschen und anschließend galvanisiert. Dafür wird zunächst ein chemisches Mittel
aufgesprüht, dann die bearbeitete Masterscheibe in ein Bad getaucht, das das Metall Nickel
enthält. Das legt sich auf die Folie auf und bildet ein Duplikat. Anschließend werden diese
Masterscheibe und das Duplikat, die Matrize, getrennt. Wichtig bei dem Master ist, dass die
Rillen sauber und gleichmäßig sind, da man beim Abspielen der Platte jede Unebenheit
hört. Über ein Mikroskop wird das kontrolliert. Durchschnittlich zwei Euro kostet eine
Scheibe – je nach Größe, Farbe und Dicke. Holger Neumann liebt Schallplatten und schätzt
den warmen Klang einer direkten, analogen Abtastung der Musik durch die Nadel eines
Plattenspielers. Er gibt allerdings zu bedenken:

„Solange die Generationen danach fragen, wird es auch Vinyl geben. Und es ist der Markt,
der sich auf Vinyl etwas eingestellt hat. Die sogenannten Plattenspielerhersteller haben sich
drauf eingestellt. Also, es ist ein Boom. Keiner weiß, wo er herkommt. Und keiner weiß
auch, wie lange er anhält. Es ist aber ein sehr interessanter und spannender Markt.“

Schallplatten haben laut Holger Neumann plötzlich wieder Erfolg, sie boomen. Er ist der
Meinung, dass Vinyl auch weiter produziert werde solange die Nachfrage anhält,
unabhängig von der Altersgruppe der Käufer, der Generation. Man wisse nur nicht, wie
lange. Zumindest ist es ein finanziell einträgliches, lukratives, Geschäft. Mit einer
Schallplatte lässt sich mehr Geld verdienen als mit einer CD. Und noch dreht sie sich
unermüdlich. Auf der Homepage der Firma steht Folgendes: „Die Erde ist eine Scheibe“. So
weit wird es dann aber doch nicht kommen.

Autor / Autorin: Godehard Weyerer, Beatrice Warken


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Der Advent und seine Traditionen

Adventskranz, Adventslieder, Adventskalender und Adventsbäckerei: Die Zeit


vor dem eigentlichen Weihnachtsfest ist eine Zeit der Vorfreude und der
traditionellen Bräuche. Viele sind noch nicht so alt wie mancher denkt.

Der unwiderstehliche Duft frisch gebackener Plätzchen, glitzernde Lichterketten auf den
Straßen und in den Schaufenstern, ein wärmender Becher Glühwein nach einem
winterlichen Weihnachtsmarktbummel – in den Wochen vor Weihnachten steht in
Deutschland alles im Zeichen des Advent, also der Vorweihnachtszeit:

„Macht hoch die Tür, die Tor macht weit; / es kommt der Herr der Herrlichkeit, / ein König
aller Königreich, / ein Heiland aller Welt zugleich …“

Der Begriff „Advent“ stammt aus dem Lateinischen und bedeutet „Ankunft“ – und zwar die
des Gottessohnes Jesus Christus. Diese Zeit wird genutzt zur Vorbereitung auf diese
„Ankunft“, also das eigentliche Weihnachtsfest. Zu dieser Vorbereitung gehört
beispielsweise das Aufstellen eines Adventskranzes. Das ist ein traditionell aus
Tannenzweigen, Weihnachtsschmuck und vier Kerzen bestehendes Gesteck:

„Advent, Advent, ein Lichtlein brennt, / ein Lichtlein brennt, Advent, Advent. Erst eins,
dann zwei, dann drei, dann vier, / dann steht das Christkind vor der Tür.“

Der Text dieses bekannten Kinderlieds beschreibt die Funktion des Kranzes: An den vier
Sonntagen vor Weihnachten wird immer eine neue Kerze, ein Lichtlein, angezündet, bis
schließlich alle vier Kerzen brennen. Sie symbolisieren das Licht, das Christus in die Welt
gebracht hat. Allerdings existiert dieser Brauch erst seit 1838, weiß die ehemalige
Gästeführerin Angelika aus Köln, die sich intensiv mit dem Thema „adventliche Bräuche“
beschäftigt hat:

„Das war ein evangelischer Pastor, der in Norddeutschland mit Handwerksgesellen nach
deren Arbeitszeit in einem Handwerkerwohnheim in der Bibel gelesen hat und für diese
Erwartungszeit jeden Abend eine Kerze angezündet hat, bis es 25 waren. Das war aber recht
teuer. Im Jahr darauf hat er nur noch jeden Sonntag eine Kerze angezündet. Und dieser
Brauch hat sich dann in evangelischen Kirchen doch recht schnell durchgesetzt.“

Der Brauch geht laut Angelika auf einen evangelischen Geistlichen, einen Pastor, zurück.
Der Lichterkranz setzte sich durch, verbreitete, sich zunächst in Kirchengemeinden,
Kinderheimen und Schulen und später allmählich in den privaten Haushalten. Nach dem
Zweiten Weltkrieg wurde der protestantische Brauch auch unter Katholiken beliebt. Neben
dem Adventskranz steht auch der Adventskalender für die Vorfreude auf Heiligabend, den
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24. Dezember. Dabei ist auch dieser noch gar nicht so alt, sagt Angelika:

„Anfang des 20. Jahrhunderts gab’s schon die ersten Ideen [für] solch einen
‚Wartekalender‘, das heißt, ein[en] Kalender, wo man kleine Türchen geöffnet hat, und
dahinter war dann ein kleines Bild, was so etwas durchsichtig war, so dass man den
Kalender entweder ins Fenster kleben konnte oder vor eine Kerze stellen konnte. Und wenn
gar keine Türchen mehr zu öffnen waren, dann wusste man: ‚Gott sei Dank, abends ist die
Christmette und am nächsten Tag gibt es Geschenke‘.“

Charakteristisch für einen traditionellen Adventskalender sind 24 kleine Türen, die geöffnet
werden. Anfangs war dahinter nur durchsichtiges Pergamentpapier, auf das kleine Bildchen
aufgemalt waren. Im Laufe der Zeit veränderte sich der Charakter des Kalenders. Hinter den
Türchen fanden sich jetzt kleine Schokoladenfiguren mit weihnachtlichen Motiven. Manche
der Kalender, die man heutzutage in den Geschäften kaufen kann, haben mit diesen
traditionellen Adventskalendern nur noch gemeinsam, dass sie mit kleinen Überraschungen
gefüllt sind. Den Ideen sind kaum Grenzen gesetzt. Besonders für Kinder ist jedoch eines
wichtig: Ist die Zahl „24“ erreicht, also der Heiligabend, gibt es in den meisten deutschen
Familien die Weihnachtsgeschenke, die „Bescherung“. Manche „bescheren“ jedoch erst am
25. Dezember nach der Christmette, der Messe, die in der Nacht vom 24. auf den 25.
Dezember gefeiert wird. Denn Jesus soll am 25. Dezember geboren sein. Über den genauen
Geburtstermin rätseln Historiker und Theologen allerdings bis heute weiter.

„Vom Himmel hoch, da komm’ ich her, / ich bring’ euch gute neue Mär, / der guten Mär
bring’ ich soviel …“

Typisch für die deutschen Advents- und Weihnachtsbräuche ist, dass evangelische und
katholische Christen manches voneinander übernahmen und mit der Zeit gemeinsame
Rituale entwickelten. Die Katholiken stellten den Adventskranz der Protestanten bei sich
auf und die Protestanten übernahmen die Weihnachtskrippe der Katholiken. Die figürliche
Darstellung der Geburt Christi gab es schon im 13. Jahrhundert. Bis zum 19. Jahrhundert
stand die Krippe im Mittelpunkt der familiären Weihnachtsfeste, bis sie durch den
Christbaum – ursprünglich ein protestantisches Symbol – etwas verdrängt wurde, sagt die
ehemalige Gästeführerin Angelika:

„Der Baum wird in ganz reichen Familien, in adeligen Häusern, privat aufgestellt und geht
dann im 19. Jahrhundert ganz langsam auch in die reichen Bürgerhäuser. Vielleicht hatte
der Baum 33 Kerzen – so alt ist Christus geworden. Er wird dann irgendwann Kugeln dazu
bekommen, weil die Kugeln gleichzeitig das Licht reflektieren. Aber es ist erst mal wirklich
ein protestantisches Symbol für die Auferstehung, für das ewige Leben, für die Göttlichkeit.“

Einen Weihnachtsbaum, Christbaum oder Tannenbaum, kurz „Baum“, konnten sich vor
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Mitte des 19. Jahrhunderts nur Adelige oder reiche Bürger in den Städten leisten. Denn
anders als heutzutage waren diese Nadelbäume damals selten und kosteten entsprechend
viel Geld. Erst ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts änderte sich das. Zunehmend
wurden Christbäume gezielt für den Verkauf gezüchtet. Es gab mehr Bäume, entsprechend
sank der Preis. Die katholische Kirche widersetzte sich lange diesem eher bürgerlichen
Brauchtum. Erst Mitte des 20. Jahrhunderts erlaubte sie, in den Kirchen einen Christbaum
aufzustellen. Der Tradition entsprechend wird der Baum vor dem Heiligen Abend, dem 24.
Dezember, aufgestellt und geschmückt:

„O Tannenbaum, o Tannenbaum, / wie grün sind deine Blätter! / O Tannenbaum, o


Tannenbaum, / wie grün sind deine Blätter! / Du grünst nicht nur zur Sommerzeit, / nein,
auch im Winter …“

Zur Adventszeit und zum Weihnachtsfest gehört auch das Adventsbacken: für die Familie,
die Arbeitskolleginnen und Arbeitskollegen oder einfach nur für den eigenen Gebrauch:

„In der Weihnachtsbäckerei / gibt es manche Leckerei. / Zwischen Mehl und Milch / macht
so mancher Knilch / eine riesengroße Kleckerei …“

Allerlei Plätzchen werden gebacken, kleines Gebäck in unterschiedlichen Formen und mit
verschiedenen Zutaten und Gewürzen. Eine besondere Kunst stellt das Backen eines
Christstollens dar. Anders als bei den Plätzchen, ist die Form des Christstollens festgelegt.
Das hat, wie Angelika erzählt, seinen Grund:

„’n bisschen nachgebildet: ein Kind in Windeln gewickelt, also so eine längliche Form,
ungefähr die Neugeborenengröße mit 50 Zentimeter. Ganz, ganz dick immer Schichten von
Puderzucker, dann wieder flüssige Butter. Und in diesen ganz schweren Hefeteig
kamen eben Unmengen von kandierten Früchten hinein, die ja sehr teuer waren,
einfach um auch wieder etwas ganz besonderes, was es nur für Weihnachten gab, praktisch
den Gästen und der Familie anbieten zu können.“

„Christstollen“, „Striezel“, „Struzel“ – oder kurz „Stollen“: Das sind ein paar Namen für den
fettreichen und gehaltvollen – kalorienreichen und sättigenden – Kuchen. Charakteristisch
ist seine längliche Form. Er besteht aus einem schweren Hefeteig. Der Teig enthält viel
Butter und Mehl. In einen Stollen gehören aber auch Rosinen – getrocknete Weintrauben –
und Unmengen kandierte Früchte, ganz viele gezuckerte und getrocknete Früchte.
Zuletzt wird er mit einer dicken Schicht ganz fein gemahlenen Zuckers, Puderzuckers,
bedeckt. Die Adventszeit endet am 24. Dezember. Und dann sollte man Zeit finden: für
gemütliche Runden bei Kerzenschein in der Familie oder im Freundeskreis, fürs Essen auch
des Selbstgebackenen und für Entspannung beim Hören weihnachtlicher Musik:

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„Stille Nacht, heilige Nacht, / alles schläft, einsam wacht / nur das traute, hochheilige Paar.
/ Holder Knabe im lockigen Haar …“

Autorinnen: Nadja Baeva, Beatrice Warken


Redaktion: Matthias Klaus

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Die Wahrheit der Karten

1. Du hast sicher alles gut verstanden! Welche Sätze gehören zusammen.


Ordne zu.

1. Ratsuchend Menschen suchen Winfried auf, weil … a) … die Karten ihnen auch etwas
Unangenehmes vorhersagen können.

2. Winfried hat sich selbst Karten gelegt und … b) … Esoterik und der Glaube an
Übersinnliches schon immer existiert hat.

3. Ratsuchende müssen damit rechnen, dass … c) … sie wissen wollen, was ihnen die
Zukunft bringt.

4. Wer als Kartenlegerin bzw. Kartenleger arbeitet, … d) … einleuchtende Erklärungen für ihre
alltäglichen Probleme.

5. Die Esoterik, das Übersinnliche, bietet e) … muss keine Ausbildung nachweisen.


hilfesuchenden und ratsuchenden Menschen oft …

6. Die Kulturgeschichte zeigt, dass … f) … festgestellt, dass manches, was er


sah, auch eingetroffen ist.

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Begleitmaterialien – Aufgaben

2. Teste deinen Wortschatz: Welcher Begriff bzw. welche Wendung ist richtig?
Wähle aus.

1. Macht jemand etwas mit großem Eifer, dann ist jemand …


a) emeritiert.
b) opferungswillig.
c) passioniert.

2. Wer sich an jemanden schmiegt, …


a) bewegt sich weg.
b) kuschelt sich an.
c) rutscht ab.

3. Weiß jemand nach einer Diagnose keine Antwort, kann er fragen: …


a) „Wie soll ich das umgehen?“
b) „Wie soll ich damit umgehen?“
c) „Wie soll ich das begehen?“

4. Eine Prophezeiung ist redensartlich …


a) selbsterfüllend.
b) erfüllend.
c) unerfüllt.

5. Existieren sehr viele Angebote von etwas auf einem Markt, dann ist deren Zahl …
a) überschwänglich.
b) übersehbar.
c) unüberschaubar.

6. Hat jemand etwas erklärt bekommen und ist danach überzeugt, dann war die Erklärung

a) engstirnig.
b) einleuchtend.
c) abwegig.

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3. Wie sag ich es anders? Welches Verb bzw. welche Adjektiv-Verb-Verbindung


drückt dasselbe aus wie die jeweilige Wendung? Ordne zu.

etwas prophezeien etwas verstehen etwas gern mögen/können


etwas gut begründen gewinnen etwas hingebungsvoll tun

1. einen Zugang haben zu etwas


_______________________________

2. eine einleuchtende Antwort finden


_______________________________

3. die Zukunft vorhersagen


_______________________________

4. in seinem Element sein


_______________________________

5. sich einer Leidenschaft hingeben


_______________________________

6. eine Glückssträhne haben


_______________________________

[beawar/suzcor]

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Die Wahrheit der Karten

Der Glaube an Übersinnliches beschäftigt die Menschen seit jeher.


Kartenleger, Wahrsager, Magier, Handleser, Horoskop-Hotlines: Sie alle
machen ihr Geschäft mit dem Wunsch, Unerklärliches erklärt zu bekommen.

Besonders zu Jahresbeginn haben Kartenleger und Hellseher wieder Hochkonjunktur. Wie


war das abgelaufene Jahr, wo hat das Schicksal Hindernisse in den Weg gelegt, geht es
gesundheitlich bergauf oder sollte man vorsichtiger werden? Und kommt jetzt endlich die
lang erhoffte Glückssträhne? Ein Anlaufpunkt sind oft Kartenleger wie Winfried. Menschen
suchen bei ihm Rat aus unterschiedlichen Motiven:

„Meistens kommen die Leute zu mir, es geht um das Berufliche, es geht um Beziehung,
Gesundheit, was das Neue Jahr bringt, und die ganzen Ängste, wie es weitergeht im Leben.“

Winfried ist ganz in seinem Element, ihm macht seine Arbeit richtig Freude. Seit Ende der
1990er Jahre legt er Karten, in der Regel sind es sogenannte Tarot-Karten. Mit ihrer Hilfe
deutet er die Vergangenheit und blickt in die Zukunft. Begonnen hat Winfried mit der
Kartenlegerei, weil es ihm Spaß machte und nicht, um Geld damit zu verdienen. Inzwischen
ist es eine Passion, eine Leidenschaft, der er sich ganz hingegeben hat:

„Bei mir war es eigentlich ’n Zufall. Ich hab’ mir selber eigentlich vor Jahren die Karten
legen lassen und hatte eigentlich – wie die Frau mir dies gedeutet hatte –, selber erkennen
können, was sie so meint. Und es hatte mich immer mehr interessiert, und so fing ich an,
mir selber die Karten zu legen. Und da nach und nach immer gewisse Dinge auch
eingetroffen sind, hab ich gemerkt, da ist nicht nur ’n Gefühl, sondern da ist irgendwie so ’n
sechster, siebter Sinn. Und seitdem hab ich mich dem einfach hingegeben.

Normalerweise hat ein Mensch fünf Wahrnehmungen, auch Sinne genannt: Sehen, Hören,
Riechen, Schmecken und Tasten. Vom sechsten Sinn oder siebten Sinn spricht man
umgangssprachlich, wenn man aus einem bestimmten Gespür oder aus Intuition heraus
handelt, ohne es begründen zu können. In der Wohnung von Winfried deutet nichts auf
besondere okkulte, geheimnisvolle oder magische Künste hin. Die Karten legt er ganz
normal auf den Wohnzimmertisch:

„Ich seh’ hier vorne, das sind die Sonnenzeichen, das steht eigentlich für die Zukunft,
dass es sehr, sehr warm und wohlig wird, das heißt, es wird angenehm. Es wird eine
Beziehung in Kraft treten können – und es wird um die Sommerzeit ungefähr stattfinden.
Aber Sie sollten vorsichtig sein. Es könnte sein, dass das Ganze auch negativ sich auswirkt,
weil daneben ist der Turm – und der steht manchmal für Chaos, und deswegen muss man
abwägen genau, wie diese Person auf Sie wirkt.“
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Jedes Zeichen auf den Karten – wie die Sonne oder der Turm – hat eine eigene
Bedeutung. Je nachdem, wie die Karten liegen, kann es für den Ratsuchenden eine
angenehme oder eine weniger angenehme Sitzung werden. Teuer wird sie zumindest bei
Winfried nicht. Für eine halbe Stunde Kartenlegen verlangt er 20 Euro. Das ist nicht viel,
denn die Preisunterschiede auf dem Markt der Hellseher und Wunderheiler sind groß. So
kann ein Besuch wenige oder auch mehrere hundert Euro kosten. Der Markt mit Ratgebern
etwa zum Kartenlegen, Traumdeuten oder für „weiße Magie“ ist inzwischen
unüberschaubar. Für jede Lebenslage und Befindlichkeit, jedes Anliegen und Problem, für
jede Gesundheitsstörung und jedes Beziehungsproblem gibt es das passende Angebot.
Allerdings: Für diese Berufsgruppe gibt es keine Qualitätskriterien, Ausbildungen oder gar
Prüfungsordnungen. Jeder kann solche Beratungen durchführen. Der Parawissenschaftler
Bernd Harder erklärt, woher in der Gesellschaft dieses große Interesse an allem
Übersinnlichen kommt:

„Es ist zum einen die Sehnsucht nach einfachen Antworten. Wir leben in einer Welt, die
immer komplizierter, immer undurchschaubarer wird, auch immer kälter und
unpersönlicher wird. Und die Esoterik schafft so eine Art Kuschelecke, in der man sich
wohlfühlen kann und in der man auf sehr komplizierte Fragen sehr einfache und
einleuchtende Antworten findet.“

Das Mystische, Übernatürliche, Okkulte, die Esoterik, verschafft dem oder der
Ratsuchenden eine einfache, einleuchtende, Erklärung für alltägliche Probleme. Er oder
sie fühlt sich damit dann wohl – wie in einer warmen, flauschigen Decke, einer
Kuscheldecke, die man um sich legt und sich in sie einkuschelt. Dabei gibt es aber
durchaus gerade auch im gesundheitlichen Bereich Heilungen, die mit rein
wissenschaftlichen Maßstäben nicht zu erklären sind. Bekanntestes Beispiel: der Placebo-
Effekt oder die Homöopathie. Manche Menschen werden geheilt, alleine durch den
Glauben, ein Medikament erhalten zu haben. In Wirklichkeit hatten sie nur Pillen –
beispielsweise aus Zucker – geschluckt, ein Placebo, ein Scheinmedikament. Vor allem für
Ärzte, die sowohl eine wissenschaftliche als auch eine homöopathische Ausbildung gemacht
haben, die einen doppelten Zugang haben, sind manche Heilergebnisse schwer
nachvollziehbar, sagt Martin Honecker, emeritierter Professor für Sozialethik:

„Es gibt in der Tat unerklärliche Phänomene. Das ist gar nicht zu bestreiten. Wir wissen
über die Ursachen mancher Erkrankungen gar nichts. Und zum andern stellt sich für viele
Menschen nicht nur die Frage: ‚Wie soll ich das verstehen?‘, sondern auch die Frage: ‚Wie
soll ich damit umgehen?‘, die Frage der Sinndeutung, die Frage: ‚Wie bewältige ich das?‘ –
bei einem Arzt, der einerseits Allgemeinmediziner ist und andererseits als Homöopath
arbeitet. Dieser doppelte Zugang, der ist nun mal einfach Realität.“

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Besonders die Homöopathie ist in Deutschland sehr umstritten. Die klassische


Homöopathie verfährt nach dem Prinzip: Ähnliches soll durch Ähnliches geheilt werden. So
wird einem Patienten, der zum Beispiel unter Übelkeit leidet, ein Mittel zur Heilung
gegeben, das eigentlich Übelkeit hervorruft. Für den Medizinhistoriker Heinz Schott ist die
Erforschung dieses Grenzbereiches zwischen reiner Wissenschaft, Autosuggestion und
Aberglaube sehr interessant. Allerdings: Auch früher schon hatten Wissenschaftler diesen
Drang nach Erkenntnis:

„Nichts, was heute so esoterisch oder parapsychologisch – oder wie auch immer –
daherkommt, ist fremd in unserer Kulturgeschichte, sondern war immer schon da. Und im
Grunde sehen wir in unserer eigenen Geschichte viele Modelle, die uns helfen können
eventuell heute, diese Phänomene wissenschaftlich neu anzugehen, um sie zu erforschen.
Insbesondere interessieren mich natürlich als Medizinhistoriker die Suggestivkräfte, die
in der Medizin ’ne Rolle spielen, Stichwort Placebo-Effekt oder auch Nocebo-Effekt –
wenn die Dinge schaden.“

Die sich selbst erfüllende Prophezeiung kommt vor allem dann zum Zuge, wenn man
tatsächlich daran glaubt, auch alles dafür tut und seine Gedanken, seine Suggestivkräfte,
darauf ausrichtet. Der Effekt kann dann positiv oder wie beim Nocebo – Lateinisch für „ich
werde schaden“ – negativ für einen selbst sein. Also: möglichst immer positiv denken. Dann
geht bekanntlich – fast – alles in Erfüllung.

Autor / Autorin: Peter Kolakowski, Beatrice Warken


Redaktion: Shirin Kasraeian

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Landwirtschaft in der Stadt

1. Du hast alle Informationen gut behalten? Dann findest du sicher die


richtige(n) Antwort(en). Wähle aus.

1. Die Stadtfarm produziert …


a) Obst und Gemüse.
b) Biogemüse und Biofische.
c) Geflügel und Gemüse.

2. Die Idee der Berliner Unternehmer ist …


a) eine kontrollierte Zucht von Fischen mit dem Anbau von Nutzpflanzen zu verbinden.
b) auch die Zucht von Muscheln in einer Aquakultur zu testen.
c) herauszufinden, ob amerikanische Buntbarsche in Zuchtbecken überleben.

3. Die Produktionskosten sind niedrig, weil …


a) man mit dem gleichen Personal größere Flächen bewirtschaften kann.
b) für den Bau der Anlage nicht viel Geld ausgegeben werden musste.
c) die Computersysteme größere Flächen steuern können.

4. Aquaponik-Anlagen …
a) sind umweltfreundlich.
b) nutzen Grundwasser für die Fischbecken.
c) tragen in begrenztem Umfang dazu bei, die Meere vor Überfischung zu bewahren.

5. Der Kern des Betriebs befindet sich …


a) in der dritten Etage.
b) hinter dem Pumpengebäude.
c) hinter den Fischtanks.

6. Das Gemüse, das von „Ecofriendly Systems“ produziert wird, …


a) wächst in der Erde.
b) wird nicht mit Pestiziden behandelt.
c) ist so beliebt, dass jede Woche hunderte von Gemüsekisten an Käuferinnen und Käufer
in der Stadt ausgeliefert werden können.

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2. Du hast jede Menge Fachausdrücke gelernt! Ordne zu, welcher Begriff zu


welchem Foto gehört.

Zisterne Hydrokultur Luftfeuchtigkeit Schädling Gewächshaus Nützling

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3. Teste deinen erlernten Wortschatz: Lies den Text für eine Schülerzeitung
durch. Trage die richtigen Begriffe bzw. Wendungen ein. Passe ggfs. die Form
an.

tummeln geschlossen abschrecken Start-up Kreislauf Dünger


sich ranken robust aussetzen Zögling Kubikmeter Schritt in die richtige Richtung

Vergangene Woche hat unser Biologie-Kurs das __________________ „Ecofriendly


Farmsystems“ hier in Berlin besucht. Wir wollten uns das interessante Konzept erklären
lassen. Es war wirklich unglaublich interessant! Was ich mir so gemerkt habe: Es gibt
riesige Wassertanks, in denen sich die Fische ________________. Es handelt sich um
eine widerstandsfähige, sehr _______________ Art, die Tilapia. Wenn sie noch ganz
klein sind, werden die __________________ in den Becken __________________.
Ich glaube, wenn die Wassertanks mal undicht wären, würde es eine riesige
Überschwemmung geben. Denn die Tanks fassen 7000 Liter bzw. sieben
__________________ Wasser. Interessant war auch, dass der Kot der Fische sogar noch
nützlich ist und weiterverwendet wird. Das Besondere an dieser Stadtfarm ist nämlich, dass
hier auch Gemüse angebaut wird. Der Fisch-Kot dient als _______________. Der
Fachbegriff für das Ganze heißt: „____________________
_____________________“. Das Wasser lief uns im Mund zusammen, als wir jede
Menge Tomaten sahen, die sich in den Gewächshäusern an langen Schnüren in die Höhe
_________________. „Obwohl der Start 2014 auch finanziell nicht leicht war“, meinte
einer der Chefs, „so war es doch ein ___________ _____ _____
_________________ ______________________“. Zum Schluss hat dann jeder von
uns noch eine leckere Tomate geschenkt bekommen.

[khafat/beawar]

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Landwirtschaft in der Stadt

Stadt und Landwirtschaft schließen sich eigentlich aus. Ein junges


Unternehmen in Berlin will das ändern. Auf einer Stadtfarm werden Biofische
gezüchtet, in Gewächshäusern Biogemüse – mithilfe von „Aquaponik“.

Unscheinbar hinter einem Möbelhaus, einem Baumarkt und einem Postzentrum verbirgt es
sich auf dem Gelände einer alten Brauerei in Berlin: ein Kreativzentrum für Künstler und
Start-Ups, neugegründete, kleine Unternehmen mit innovativen Ideen. Zu ihnen gehört eine
Stadtfarm, die 2014 ihren Betrieb aufgenommen hat: Ecofriendly Farmsystems, kurz ECF
Farmsystems. Hier werden Fisch und Gemüse, die ohne Einsatz von chemischen Mitteln
auskommen, gezüchtet und an die ökobewusste Berliner Stadtbevölkerung verkauft. Denn
die Stadtfarm macht sich die „Aquaponik“ zunutze, ein Mitte der 1980er Jahre in den USA
entwickeltes Verfahren. Es verbindet die Aufzucht von Fischen in Aquakulturen – einer
kontrollierten Fischzucht – mit der Kultivierung von Nutzpflanzen in Hydrokultur – einer
Pflanzennährlösung ohne Erde. Basis ist ein geschlossener Wasser- und Nährstoffkreislauf.
Dagh, einer der Mitarbeiter, kümmert sich um die Fischzucht:

„Also wir züchten jetzt Tilapia – und das ist ’ne relativ robuste Art. Das ist ’n afrikanischer
Buntbarsch, und eignet sich sehr, sehr gut für die Aquakultur, weil er einen niedrigen
Futterquotienten hat, also das heißt, er setzt quasi genau soviel um in Masse, wie
gefüttert wird.“

In riesigen Wassertanks tummeln, bewegen sich, etwa 2000 Tilapias, die noch so groß sind
wie Fingerkuppen. Die Zöglinge sind erst vor wenigen Tagen in den Tanks ausgesetzt
worden. Man hatte sich für diese Fischart entschieden, weil sie als widerstandsfähig,
robust, gilt. Der Vorteil des Tilapias ist, wie Dagh erklärt, dass er mit wenig Futter
auskommt, aber trotzdem gut wächst, das Futter in Masse umsetzt. Die ausgewachsenen
Tilapias wiegen jeweils rund 750 Gramm. Der ohrenbetäubende Lärm der Lüftung und
Pumpen macht den Fischen erstaunlicherweise nichts aus. Nur tropisch warm muss es sein,
erläutert Dagh:

„Die Fische brauchen halt so ’ne Temperatur von 28, 29 Grad. Und dementsprechend ist ja
die Temperatur hier natürlich auch hoch. Und wir haben dementsprechend ’ne
Wasserverdunstung und darum haben wir auch soviel Luftfeuchtigkeit hier im Raum.“

In der Halle fühlt man sich wie in einem tropischen Regenwald. Die Luftfeuchtigkeit ist sehr
hoch, weil das Wasser verdampft, verdunstet. Sieben Kubikmeter frisches Wasser
benötigen die Fische täglich. Es fließt durch mehrere Rohre an der Decke. Das Wasser
kommt aus Zisternen nebenan, Behältern mit gefiltertem Regenwasser. Hinter den
Fischtanks ist das Herzstück der Stadtfarm: ein Bioreaktor. Der verarbeitet die
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Ausscheidungen der Fische zu Dünger – und macht so die gemeinsame Fisch- und
Gemüsezucht möglich. Im angrenzenden großen Glashaus ranken sich reihenweise die
ersten Pflanzen an Schnüren in die Höhe. Um sie kümmert sich Robert:

„Wir haben hier Gurken, Tomaten, Paprika und Auberginen. Und die wachsen in
Rinnen, da befindet sich Steinwolle. Und die wachsen am hohen Draht, das heißt,
die wachsen sozusagen endlos. Die Pflanzen, also die Tomaten[ranken], werden zum
Beispiel am Ende neun Meter lang sein.“

Die rund tausend Gemüsesetzlinge hat Robert mit Kolleginnen und Kollegen in kleine
Gräben, Rinnen, gepflanzt. In diesen befindet sich Steinwolle, ein faserreiches Material,
das unter anderem sehr viel Wasser aufnehmen kann – in diesem Fall die Nährlösung für
die Gemüsepflanzen wie Auberginen, ein längliches Gemüse mit blau-violetter Schale. In
einem weiteren Gewächshaus sprießen Salatpflanzen und Kräuter – alles rein biologisch,
ohne Einsatz von Schädlingsbekämpfungsmitteln, Pestiziden. Stattdessen setzen Robert
und seine Kolleginnen und Kollegen auf etwas anderes:

„Wir machen Nützlingseinsatz, das heißt eben die Gegenspieler der schädlichen Insekten,
zum Beispiel Schlupfwespen oder Florfliegenlarven, Raubmilben oder Marienkäferlarven.
Und die fressen dann eben Blattläuse und Spinnmilben und alles, was nicht gut ist für die
Pflanze.“

Sogenannte Nützlinge, Insekten, die für Pflanzen schädliche Tiere fressen, kommen zum
Einsatz. Dieses geschlossene System der Pflanzen- und Fischzucht hat nach Ansicht von
Robert Vorteile:

„Erst mal ist das Ganze ’n geschützter Anbau, das heißt, man spart jede Menge Ressourcen,
wie zum Beispiel Wasser. Also im Gegensatz zum normalen Feldanbau sparen wir 90
Prozent Wasser. Durch die Fische sparen wir Dünger und haben halt – wie gesagt –
erwartungsgemäß [einen] relativ hohen Ertrag gegenüber Freilandanbau.“

Weitere Vorteile sind, dass die Transportwege kurz sind und die sonst notwendige Kühlung
der Lebensmittel wegfällt. Allerdings kann so eine Stadtfarm höchstens eine Ergänzung zur
traditionellen Landwirtschaft sein, sagt Nicolas Leschke, einer der Gründer von ECF
Farmsystems:

„An sich ist die Landwirtschaft immer das Rückgrat der Lebensmittelproduktion. Und das,
was wir machen, ist, eine Nische bedienen in Städten. Und das ist ’n guter Schritt in die
richtige Richtung. Und wenn wir Menschen inspirieren können, sich über Lebensmittel oder
mit Lebensmitteln auseinanderzusetzen, dann haben wir viel erreicht.“

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Im Vergleich zu Agrarkonzernen kann ECF Farmsystems nur eine Nische bedienen, ein
Angebot für eine nur geringe Anzahl von Kundinnen und Kunden bereithalten. So können
lediglich ein paar hundert Biogemüsekisten monatlich und insgesamt rund 40.000 Tilapia
jährlich ausgeliefert werden. Der Gemüse- und Fischverbrauch der Berliner
Millionenbevölkerung liegt um ein Mehrfaches höher. Etwas mehr als eine Million Euro hat
die Stadtfarm gekostet. Der erst einmal hohe Preis für einen überschaubaren Ertrag sollte
jedoch nach Ansicht von Christian Echternacht, dem Mitgründer des Start-Ups, nicht
abschrecken. Denn die Vorteile würden überwiegen:

„Die Produktionskosten sind niedriger, weil man mit dem gleichen Personal quasi größere
Flächen bewirtschaften kann, weil auch die Baukosten niedriger sind. Je größer man wird,
desto günstiger wird es pro Quadratmeter, so eine Farm zu bauen. Oder die
Computersysteme, die das Ganze steuern, die können auch zehn Hektar steuern, die können
aber auch 1000 Hektar steuern.“

Die Hoffnung von Nicolas Leschke und Christian Echternacht besteht darin, dass größere
und günstigere Aquaponik-Anlagen nach ihrer Idee irgendwann einmal zwei Weltprobleme
der Zukunft lösen helfen: Meere vor der Überfischung retten – und gleichzeitig den hohen
Einsatz von Düngemitteln in der Landwirtschaft eindämmen.

Autor / Autorin: Maximilian Grosser, Beatrice Warken


Redaktion: Raphaela Häuser

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Das PASCH-Netzwerk – ein Erfolgsmodell

1. Prüfe dein Textverständnis: Welche Aussagen stimmen? Wähle aus.


a) Das Bundesbildungsministerium stellt die finanziellen Mittel für die Initiative „Schulen:
Partner der Zukunft“ bereit.
b) Ein Ziel der PASCH-Initiative ist es, über die Sprache Lernenden und Lehrenden im
Ausland das deutsche Gesellschaftssystem nahezubringen.
c) Lernende, die an einem Schulaustausch teilgenommen haben, stärken nach Ansicht von
Gernot Stiwitz ihre Persönlichkeit.
d) Nur Gymnasien können sich für eine Schulpartnerschaft bewerben.
e) Nach Ansicht von Michael Reiffenstuel sprechen alle Schülerinnen und Schüler, die an
Austauschprogrammen teilnehmen, ausgezeichnetes Deutsch.
f) Sich sprachlich auf C1- bzw. C2-Niveau bewegen zu können, reicht nach Ansicht von
Christian Müller für ein Studium nicht aus.
g) Nomin empfindet die Studienkollegkurse als sinnvolle Möglichkeit, sich den für ein
Studium notwendigen Wortschatz anzueignen.
h) Robert Poljan hat an seiner deutschen Gastschule ein Projekt zur kroatischen Kultur
gestaltet.

2. Teste deinen Wortschatz: Welche Wendung passt zu der jeweiligen


Situation. Ordne zu.

mit erhobenem Zeigefinger auf der Höhe sein


ein Muster durchbrechen einen großen Sprung machen

1. Felix Mathelehrer ist jemand, der kaum Verständnis für die Schwächen seiner
Schülerinnen und Schüler hat. Er belehrt gern. Das Stichwort „partnerschaftliches Lernen“
ist für ihn ein Fremdwort.

_______________________________________________________________

2. Über viele Jahre hat Anna Vokabeln am Wochenende gelernt. Dann änderte sie ihr
Lernverhalten. Jeden Tag, wenn sie ein neues, unbekanntes Wort hörte, schrieb sie es auf
einen Klebezettel, den sie auf eine Tafel klebte. So sah sie am Ende der Woche, wie viele
neue Wörter sie schon gelernt hatte.

_______________________________________________________________

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3. Jufeng kommt für einen vierwöchigen Schüleraustausch nach Deutschland. Zwei Jahre
lernt er schon die deutsche Sprache. Besonders die Aussprache fällt ihm schwer. Als er
wieder zurückkehrt, sind seine Mitschülerinnen und Mitschüler erstaunt, wie gut er
plötzlich spricht. Kein Vergleich mehr zu der Zeit vor dem Austausch!

______________________________________________________________

4. Die Estin Kristin lernt schon seit zwölf Jahren Deutsch. Sie versteht fast alles und kann
sich auch gut ausdrücken. Für ein Studium in Deutschland würden ihre Sprachkenntnisse
allerdings noch nicht ausreichen. Denn um in Vorlesungen alles zu verstehen, muss man
sprachlich sehr, sehr gut sein.

_______________________________________________________________

3. Prüfe dein Sprachverständnis! Das PASCH-Mobil ist auf Werbetour. Wähle


aus, welcher Begriff bzw. welche Wendung richtig ist.

Zehn Jahre gibt es sie nun schon: die PASCH-Initiative. Damit auch in Deutschland mehr
Menschen davon erfahren, tourt das „PASCH-Mobil“ durch Deutschland. Sein
_________________ [Antrag/Auftrag] ist: __________________
[Werbung/Stimmung] zu machen für eine Initiative, die es schon seit 2008 gibt: einen
_______________ [Verband/Verbund] von Partnerschulen, an denen Deutsch
unterrichtet wird. Die deutsche Sprache im Ausland zu fördern war
_________________ [eine Utopie/ein Anliegen] des ehemaligen Außenministers Frank-
Walter Steinmeier. Es gab so viele, die schon lange darauf gewartet hatten, dass sich
Schulen und deutsche Bildungsorganisationen miteinander _________________
[vernetzten/verwoben]. Wer mehr erfahren möchte, schaut einfach hier nach, wann das
Mobil wo ist: http://bit.ly/2BJOfsb.

[beawar/ingpic]

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Das PASCH-Netzwerk – ein Erfolgsmodell

Sich weltweit untereinander vernetzen und gemeinsam voneinander lernen:


Die Initiative „Schulen: Partner der Zukunft“ (PASCH) setzte sich das bei ihrer
Gründung zum Ziel. Das Bindeglied ist die deutsche Sprache.

Wer den Begriff „Pasch“ hört, mag zunächst an ein Würfelspiel denken: Wenn zwei oder
mehr Würfel die gleiche Augenzahl zeigen, hat man einen Pasch geworfen. „PASCH“ – in
Großbuchstaben geschrieben – ist aber auch eine Abkürzung für das Partnerschulen-
Netzwerk „Schulen: Partner der Zukunft“. Mehr als 2.000 Schulen mit über 600.000
Schülerinnen und Schülern weltweit, an denen Deutsch einen besonders hohen Stellenwert
hat, gehören zu dem Netzwerk. 2008 wurde die Initiative vom damaligen Außenminister
und jetzigen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier ins Leben gerufen. Ihm lag am
Herzen, eine Art weltumspannende Lerngemeinschaft mit Deutsch als Verbindungselement
zu schaffen. Seitdem werden mit Mitteln des Auswärtigen Amtes in mehr als 120
Partnerländern weltweit, aber auch in Deutschland unter anderem Schulprojekte,
Bildungsarbeit, Schüler- und Lehreraustauschprogramme sowie Stipendien für
Absolventinnen und Absolventen von PASCH-Schulen finanziert. Partner des Auswärtigen
Amtes sind vier große „Player“ in der deutschen Bildungslandschaft: die Zentralstelle für
das Auslandsschulwesen (ZfA), das Goethe-Institut, der Deutsche Akademische
Austauschdienst (DAAD) und der Pädagogische Austauschdienst (PAD) der
Kultusministerkonferenz. Für Michael Reiffenstuel, Kulturbeauftragter im Auswärtigen
Amt, drängte sich 2008 eine Frage auf:

„Wie kann ich über die deutsche Sprache, und ich glaube, das ist vor allem Sprache, die das
ermöglicht, in einen Dialog zwischen unseren jungen Leuten, Schülern, Studenten, treten,
aber auch mit den Schülern in aller Welt, um tatsächlich Themen, die für uns alle relevant
sind im Sinne einer internationalen Bildungs- und Lerngemeinschaft, gemeinsam erörtern.
Und Themen wie Menschenrechte, Medienfreiheit, Demokratie sind für uns in unserer
deutschen Gesellschaft natürlich fundamental wichtigen Errungenschaften.“

Dabei tritt man, so Michael Reiffenstuel, als Partner auf und nicht als jemand, der mit
erhobenem Zeigefinger agiert. Eine wichtige Rolle, auch um Klischees und Vorurteile
abzubauen – oder vielleicht auch zu bestätigen – und neue Kontakte zu knüpfen, spielen
Aufenthalte in Deutschland oder dem Land einer Partnerschule, sei es über das
Internationale Preisträgerprogramm des PAD, einen Jugendkurs des Goethe-Instituts,
Lehrerfortbildungsprogramme der ZfA und des PAD oder ein Hochschulstipendium des
DAAD. Der PAD betrachtet sich dabei nach Angaben seines Leiters Gernot Stiwitz mit
seinen Programmen als Türöffner, allerdings nur für eine bestimmte Gruppe – noch:

„Natürlich können sich alle Schulformen für eine Schulpartnerschaft bewerben. Aber es ist
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schon so, dass Austausch häufig ein gymnasiales Thema ist, weil eben die Fremdsprachen
vorhanden sind, weil die Kinder und Jugendlichen aus Häusern kommen, für die das
Internationale nicht so fremd ist. Und insofern bewerben sich solche Schulformen eher als
andere. Das ist etwas, was wir ganz gerne durchbrechen würden. Austausch ist für die
Persönlichkeitsentwicklung der Kinder und Jugendlichen, die teilnehmen, von hoher
Bedeutung. Wer an einem Austausch teilgenommen hat und erlebt hat, dass er
kommunizieren konnte und dass er klargekommen ist, für den entwickelt so ein
Austausch eine hohe Selbstwirksamkeit.“

Bislang sind in der PASCH-Initiative überwiegend Gymnasien vertreten. Denn hier sind
auch durch die Elternhäuser oft die Voraussetzungen gegeben, weil ein entsprechendes
Bildungsniveau gegeben ist. Gerne, so Gernot Stiwitz, möchte man dieses Muster
durchbrechen, hier etwas ändern. Denn eine andere Sprache zu lernen, die Kultur eines
anderen Landes kennenzulernen, tut der Persönlichkeitsentwicklung gut, entwickelt eine
Selbstwirksamkeit. Die jungen Menschen stellen fest, dass sie in der Lage sind, auch
schwierige Situationen zu meistern, sie kommen klar. Auch Michael Reiffenstuel möchte
das PASCH-Netz nicht als „Elitenförderung“ verstanden wissen. Allerdings drängt sich eine
grundsätzliche Frage auf:

„Wie gut kann ich eigentlich einen Spracherwerb in den nationalen Schulsystemen je nach
Schultyp sicherstellen? Das heißt, wenn ich zum Beispiel Schüler zu Austauschprogrammen,
die das Goethe-Institut beispielsweise macht, nach Deutschland einlade, brauche ich einen
gewissen Mindeststandard an Deutschkenntnissen, dass ich tatsächlich auch diesen Zugang
in Deutschland erleichtere.“

Wie wichtig die Sprachkenntnisse sind, weiß auch Christian Müller, Leiter der Strategie-
Abteilung des DAAD. Denn wer eines der begehrten DAAD-Stipendien für ein Studium an
einer deutschen Hochschule bekommen möchte, muss sprachlich auf der Höhe sein. Das
hat, so Christian Müller, durchaus seinen Sinn:

„Es ist ja nicht damit getan, dass ich in der deutschen Sprache auf C1 oder C2 bin. Ich muss
ja innerhalb eines Hochschulkontextes auch mich sprachlich bewegen können. Das ist noch
mal etwas durchaus anderes.“

Auch Nomin aus der Mongolei kennt das. Sie hatte die zum PASCH-Netzwerk gehörende
Goethe-Schule in Ulan Bator absolviert, die sie für ein DAAD-Stipendium vorschlug. 2014
kam sie mit dem Stipendium in der Tasche für ein Bachelorstudium an die Universität
Bonn. Bevor sie startete, musste sie noch ein Studienkolleg besuchen, um die deutsche
Hochschulbefähigung zu erhalten. In fachspezifischen Vorbereitungskursen lernte sie unter
anderem auch den für ihr Studium notwendigen Wortschatz, denn der Schulwortschatz
beschränkte sich auf das, was zum Bestehen der DSD-Prüfungen notwendig war. Diese
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Vorbereitungskurse empfand Nomin als sehr hilfreich:

„Im Studienkolleg hat man noch mal die Möglichkeit, deutschen Unterricht zu besuchen
und sich über studienspezifischere Themen auseinanderzusetzen. So war der Sprung nicht
allzu groß, als es dann tatsächlich anfing unter Deutschen. Natürlich konnte ich mich im
Alltag schon verständigen durch meine Vorkenntnisse, aber in den Übungen, in den
Seminaren und in den Vorlesungen, wenn ich zu Wort gekommen bin, hatte ich noch mal
diese Sicherheit, weil ich schon im Studienkolleg manche Themen behandelt hatte.“

Nomin kam nach Beendigung des Studienkollegs sprachlich und fachlich gut mit, musste
nicht viel mehr dazulernen. Der Sprung war nicht allzu groß. Die vielleicht wichtigste
Rolle bei der Vermittlung der deutschen Sprache kommt den Lehrkräften zu. So
unterrichten beispielsweise von der Zentralstelle für das Auslandsschulwesen entsandte
Lehrerinnen und Lehrer an 140 deutschen Auslandsschulen weltweit Deutsch; Fachkräfte
der ZfA sind an Schulen mit erweitertem Deutschunterricht beratend tätig. Wie die ZfA
bietet auch der Pädagogische Austauschdienst Fort- und Weiterbildungsprogramme für
Lehrkräfte in Deutschland an, die von zwei bis drei Wochen bis zu einem Jahr dauern. Für
Lernende wie Lehrende ist das, so PAD-Leiter Gernot Stiwitz, eine wertvolle Erfahrung:

„Austausch ist höchst wertvoll insbesondere für die Entwicklung der jungen Menschen wie
auch der Lehrkräfte, und es ist eine schöne Gelegenheit, ein Deutschlandbild zu vermitteln,
was man vielleicht sonst nicht so leicht vermitteln kann, also Deutschland als weltoffenes
Land zu zeigen, in dem man offen kommunizieren kann, in dem man frei ist, in dem man
tolerant ist.“

Austausch als Möglichkeit, Deutschland zu erleben, wie es ist: Das war auch eine wichtige
Erfahrung für Robert Poljan. Der Lehrer an einer PASCH-Schule im kroatischen Bjelovar
nimmt von seinem einjährigen Weiterbildungsprogramm des PAD nicht nur diese
persönlichen Erfahrungen mit nach Hause:

„Ich habe auch viele Unterrichtsmaterialien bei Fortbildungen gesammelt, die ich dann
einsetzen werde. Ich habe auch ein Projekt zu dem Thema ‚interkulturelle
Kommunikation‘ gemacht an meiner Gastschule. Und diese interkulturelle Kompetenz
finde ich auch wichtig, dass man das auch vermittelt – und die deutsche Sprache ist ein
gutes Mittel für die interkulturelle Kompetenz und Kommunikation, denke ich.“

Die interkulturelle Kommunikation und Kompetenz, die Fähigkeit aufeinander


zuzugehen, miteinander zu sprechen und voneinander zu lernen, ist auch das, was im
PASCH-Netzwerk gelebt werden soll. Verglichen mit einem Menschenleben steckt die
PASCH-Initiative im Jahr 2018 noch in den Kinderschuhen. Für die Zukunft ist laut
Michael Reiffenstuel vor allem eines wichtig:
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„Ich hoffe, dass die Partner, die ja dort wirklich sehr, sehr gut zusammenarbeiten, den Elan,
die Begeisterung behalten, um eben gemeinsam dieses PASCH-Netz weiter auszubauen.“

Dann könnte man im Jahr 2028 auf noch mehr Schulen möglichst aller Schulformen
blicken, die dem Netzwerk beigetreten sind – auch in Afrika, wo es bislang nur eine
Handvoll Schulen mit Deutschunterricht gibt. Aber auch in Deutschland wird Werbung für
die Initiative gemacht. Das „PASCH-Mobil“ wurde auf Deutschlandtour geschickt und
besucht Veranstaltungen der PASCH-Partner im gesamten Bundesgebiet. Nicht zuletzt so
dürfte deutlich werden, wofür die 415 Millionen Euro, die der Deutsche Bundestag seit 2008
für diesen Teil auswärtiger Kulturpolitik bereitgestellt hat, verwendet wurden.

Autorin: Beatrice Warken


Redaktion: Ingo Pickel

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Glossar

Player, - (m., aus dem Englischen) – hier umgangssprachlich für: ein wichtiger
Teilnehmer; jemand, der bei etwas viel zu sagen hat

Kultusministerkonferenz (f., nur Singular) – ein Zusammenschluss von Institutionen,


die die Bildungs- und Kulturpolitik der Bundesländer koordiniert

mit erhobenem Zeigefinger – übertragen für: belehrend

Klischee, -s (n.) – das Vorurteil; so, wie viele Menschen über eine bestimmte Gruppe von
Menschen denken

auf der Höhe sein – umgangssprachlich für: etwas sehr gut können, sehr gut sein

DSD (n.) – Abkürzung für: Deutsches Sprachdiplom, eine Sprachprüfung für Deutsch als
Fremdsprache bzw. Deutsch als Zweitsprache

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Im Café St. Oberholz

1. Hast du den Text gut verstanden? Dann kannst du sicher beantworten, ob


die jeweilige Aussage richtig oder falsch ist. Wähle aus.

1. Die Idee hinter der Gründung des Café Oberholz war, jungen Menschen eine Art
Büroarbeitsplatz zu bieten, für den sie nicht zahlen müssen.
a) Richtig
b) Falsch

2. Enno hält sich unter anderem gern im Café Oberholz auf, weil er in Gesellschaft anderer
Menschen sein möchte.
a) Richtig
b) Falsch

3. Anfang der 2000er Jahre kamen viele „Netzarbeiter“ trotz hoher Mieten nach Berlin,
weil die Bedingungen für sie hier viel besser waren als in anderen europäischen Städten.
a) Richtig
b) Falsch

4. Nach Ansicht von Mercedes Bunz sind „Netzarbeiter“ nicht so unabhängig wie sie selbst
denken.
a) Richtig
b) Falsch

5. Michael Brehm hatte mit Vorbehalten zu kämpfen, als er Freunden von seinen Plänen,
sich selbstständig zu machen, erzählte.
a) Richtig
b) Falsch

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2. Teste deinen Wortschatz: Ergänze die Sätze um den passenden Begriff bzw.
die passende Wendung.

sparen Ecke Wasser abgedrängt mithalten versunken herumhängt angewiesen halten

Max betritt ein kleines Café. Als er nach einem freien Platz sucht, sieht er eine junge Frau,
die mit ihrem Laptop beschäftigt ist. Sie ist ganz in ihre Arbeit _______________. Er
setzt sich zu ihr, kommt mit ihr ins Gespräch. Sie heißt Anne, erzählt, dass sie hier im Café
nur ________________, weil sie sich die Kosten für einen Internetanschluss zuhause
_________________ möchte. Sie hat keinen festen Job, kann sich derzeit so gerade
über ____________ ____________. Gern möchte sie mit ihren Freundinnen
____________________, die sich regelmäßig neue Sachen leisten können. Sie will nicht
in eine ________ _______________ werden als jemand, der nichts auf die Reihe
bekommt. Leider ist sie aber immer noch auf das Geld ______________, das ihre Eltern
ihr monatlich zahlen. Max hat interessiert zugehört und erzählt ihr von seinem Job.
Vielleicht kommen die beiden ja miteinander ins Geschäft.

3. Übe Adjektive in feststehenden Verbindungen mit Nomen: Trage das


passende Adjektiv ein. Achte auf die Form und passe sie gegebenenfalls an.

kreativ fest ständig gesund erste

1. Sehr viele Jahre hat Hanne in einem Café gejobbt, um ihr Studium zu finanzieren. Sie
musste immer zu unterschiedlichen Zeiten arbeiten. Jetzt hat sie ihr Studium beendet und
eine Anstellung gefunden. Sie ist jetzt erst einmal froh, _____________ Arbeitszeiten zu
haben.

2. Lange hat Axel davon geträumt, ein eigenes Internetcafé zu betreiben. Jetzt endlich hat
er es geschafft und das Café läuft sehr gut – nicht zuletzt deshalb, weil er ein
_____________ Kopf ist und viele gute Ideen hat.

3. Vor allem Großstädte wie München und Berlin sind ein _____________ Nährboden
für alle diejenigen, die in der Internetszene aktiv sind. Denn es gibt sehr viele talentierte
Menschen dort.

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4. Obwohl Johannes drei Monate im Jahr als Fotograf auf Mallorca arbeitet, hat er doch
seinen _____________ Wohnsitz in Deutschland.

5. Alles begann mit einem erfolgreichen Blog über Turnschuhe. Inzwischen hat David
daraus ein globales Medienunternehmen mit fast 100 Mitarbeitern gemacht. In dem Bereich
gilt David als „Mann der _____________ Stunde“. Alle diejenigen, die versucht haben,
eine ähnliche Idee zu verwirklichen, sind gescheitert.

[beawar/suc]

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Im Café St. Oberholz

Seit 2005 bietet es jungen, kreativen „Netzarbeitern“ ein Büro: das Café St.
Oberholz in Berlin. Freies Internet und kein Bestellzwang lockten. Aber auch
das Café muss sich dem Kostendruck unterwerfen.

Seit 2005 schon ist es das Hauptquartier der sogenannten „digitalen Bohème“, frei und
selbstständig arbeitenden Menschen: das Café St. Oberholz im Herzen von Berlin. Jeden
Tag sitzen hier zahlreiche junge, kreative Menschen, die versuchen, ihr Glück außerhalb von
festen Arbeitszeiten und geregeltem Einkommen zu finden. Ob Start-up-Gründer oder freier
Grafikdesigner: Sie alle haben ihre Laptops vor sich aufgeklappt und sind tief in die Arbeit
versunken. Unter ihnen ist auch der selbstständige Grafikdesigner Enno:

„Ich sitze manchmal hier, und manchmal zuhause, und manchmal sitz ich woanders, weil
[das] bringt Abwechslung. Ich hab Menschen um mich herum, und ’n Büro hatte ich bis vor
kurzem noch, hab ich aber aufgegeben, und vielleicht geb’ ich sogar auf, zuhause zu
arbeiten. Spar’ mir den Internetanschluss, und dann häng ich bloß noch in den Kneipen
rum.“

Das Café St. Oberholz wurde 2005 gegründet, um den Bedürfnissen der sogenannten
„Netzarbeiter“ gerecht zu werden, denjenigen, die die Möglichkeiten des Internets nutzen,
um unabhängig ihrer Arbeit nachzugehen. An jedem Tisch wurden Steckdosen angebracht
und selbstverständlich gab es freies WLAN, ein lokales Funknetz. Für einen heimischen
Internetanschluss muss nicht gezahlt werden, man spart ihn sich, weil man sich
stundenlang im St. Oberholz aufhält, dort herumhängt. Servicekräfte, die den
Arbeitsprozess unterbrachen, um eine Bestellung aufzunehmen, gab es damals nicht.
Entweder man brachte sich sein Essen und seine Getränke selbst mit oder holte sich etwas
an der Selbstbedienungstheke. Das Café wurde zu einer kleinen Berühmtheit in Kreisen –
auch ausländischer – „Netzarbeiter“. Zu ihnen gehört die Schwedin Paulin. Obwohl ihre
Firma ihren Hauptsitz in Stockholm hat, arbeitet Paulin die meiste Zeit von Berlin aus:

„[It’s kind of the deal. I told them that I could only work fort hem, if I did’t have to come to
the office …] Meine Bedingung für den Job lautete: ‚Ich komme nicht jeden Tag ins Büro,
weil ich in Berlin leben möchte.‘ Das Hauptbüro befindet sich zwar in Stockholm, aber da
fahr ich nur einmal im Monat hin. Der Großteil der Kommunikation erfolgt über das
Internet. Wir benutzten Skype – und ohnehin, kann ich den größten Teil meiner Arbeit per
Mail erledigen.“

Dass Berlin zu einer Art europäischem Mekka für digitale Arbeiter wurde, hat aber
natürlich nicht nur mit dem Café St. Oberholz zu tun. Im Gegensatz zu anderen
europäischen Städten waren die Mieten hier damals sehr gering. Schon allein deshalb zog
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die Hauptstadt innovative Köpfe aus der ganzen Welt an. Ein Start-up gründen zu wollen,
war und ist in Berlin verhältnismäßig einfach. Auch bietet die Stadt das entsprechende
„Personal“, meint Jörn Hintzer, Mitgründer des Medienunternehmens Datenstrudel.de:

„Das Tolle ist halt in Berlin, man macht’s Fenster auf und schreit: ‚Wer will mitmachen?‘,
und es melden sich ganz viele Leute, die total talentiert sind, so. Und es gibt total gute Leute
hier. Also was halt so ’n bisschen fehlt, sind – wie in Stuttgart oder in Hamburg – einfach
Mäzene, Geldgeber, große Firmen, die so ’n gesunden Nährboden einfach herstellen für
’ne Wirtschaftlichkeit.“

Im Prinzip ist Jörn Hintzer mit der Internetszene zufrieden. Allerdings fehlen ihm große,
finanzkräftige Unternehmen. Denn diese sind ein gesunder Nährboden auch für die
„Netzarbeiter“, sorgen dafür, dass diese Aufträge bekommen. Denn auch für Jörn Hintzer
und seinen Kollegen Jakob Hüfner war es nicht immer einfach, sich über Wasser zu
halten, genug Geld zu verdienen, um eigene Projekte entwickeln und realisieren zu
können. Um das zu gewährleisten, drehen sie unter anderem Werbefilme und unterrichten
an der Bauhaus-Universität Weimar – weit weg vom Zentrum der Internetszene. Viele der
Kreativen leben am Rande des Existenzminimums. Die Journalistin und
Kulturwissenschaftlerin Mercedes Bunz nennt sie „urbane Penner“:

„Bei „urbanen Pennern“ ging’s mir halt darum zu sagen, dass ich auch so ’n bisschen
sauer war, dass die Generation sich ’n bisschen zu sehr damit zufrieden gibt, in diese
Ecke abgedrängt zu sein. Man muss da aufpassen, dass man nicht denkt: ‚Ich arbeite hier
selbstbestimmt‘, sondern in Wirklichkeit hat man eigentlich gar keine Wahl, außer
selbstbestimmt zu arbeiten. Was dann ja nicht mehr selbstbestimmt ist.“

Nach Ansicht von Mercedes Bunz verhalten sich die „Netzarbeiter“ wie Penner,
Obdachlose. Sie prägte den Begriff, weil sie verärgert, sauer, darüber war, dass die
„Netzarbeiter“ der Meinung sind, frei und unabhängig zu sein. Dieser Eindruck werde ihnen
auch vermittelt, sie würden in diese Ecke abgedrängt. Denn eigentlich müssen die
meisten von ihnen so arbeiten – und sie sind auf Plätze wie das St. Oberholz angewiesen.
Doch manchmal hat ein „urbaner Penner“ Glück und kann in die Nähe des
Prachtboulevards Friedrichsstraße ziehen. Unter diesen Glücklichen war auch Christian
Boris Schmidt. Mit Mitte zwanzig war er bereits Geschäftsführer bei Ecato, nur wenige
Jahre später gründete er die Digitaleffects GmbH. Inzwischen arbeitet er als Online-
Marketingberater für Unternehmen und bringt dort seine über Jahre gewonnenen
Erfahrungen in der Szene ein. Wie Netzarbeiter arbeiten und ihr Geld verdienen, ist für
Außenstehende, Freunde und Bekannte manchmal schwer nachzuvollziehen, meint er:

„Weil man nicht den ganzen Tag irgendwas konkret Produktives macht oder ’nen Bus durch
die Gegend fährt oder irgendwie sowas. Sondern macht dann so irre Sachen wie E-Mails
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beantworten oder im Internet surfen, um sich zu informieren, um auf dem neuesten Stand
zu sein. Man schreibt selbst, man bloggt wie man heutzutage sagt.“

Wie Boris Schmidt wurden auch die Gründer der Social-Media-Plattform StudiVZ bereits in
jungen Jahren zu erfolgreichen Unternehmern. Das soziale Netzwerk war Mitte der 2000er
Jahre eine wahre Erfolgsgeschichte. Michael Brehm, einer der Beteiligten der ersten
Stunde, erinnert sich:

„Wir haben uns Anfang 2006 über ’nen Freund kennengelernt, und nachdem ich eigentlich
schon immer unternehmerisch tätig sein wollte, hab ich mich dann entschieden, da könnt
ich ja mal mitmachen. Ich hatte Ende 2005 mein Studium abgeschlossen, hab dann bei ’ner
Bank angefangen gehabt in Frankfurt, und hab da dann aber relativ schnell wieder
gekündigt, was in meinem ganzen Freundes- und Bekanntenkreis eigentlich für ziemlich
großes Unverständnis [gesorgt] hat. Die haben gesagt: ‚Wie kannst du so ’nen Job aufgeben?
Und was ist das überhaupt? Und das funktioniert doch nie!, und der Name ist komisch und
die Seite sieht komisch aus und würd’ ich doch niemals machen – und na ich hab’s dann
trotzdem gemacht.“

Obwohl sein Vorhaben bei nahestehenden Menschen für Unverständnis sorgte, realisierte
Michael Brehm seinen Traum. Und die Rechnung ging auch auf. 2007 kaufte der Holtzbrink
Verlag StudiVZ für mehr als 50 Millionen Euro. Michael Brehm verlor damit zwar die
Kontrolle über seine Firma, aber er hatte einen guten Zeitpunkt gewählt. Allerdings sorgten
soziale Netzwerke wie Facebook für einen Rückgang der Nutzerzahlen. Mitte 2017 meldete
die Betreibergesellschaft „Poolworks“, der StudiVZ zuletzt gehörte, Insolvenz an.
Michael Brehm und seine Kollegen von damals investieren inzwischen selbst in Start-ups
oder arbeiten an neuen Ideen für Unternehmen.

Doch Internetunternehmen wie StudiVZ sind nicht die einzigen, die Probleme haben,
mitzuhalten. In den letzten Jahren sind die Mieten in Berlin rasant gestiegen. Davon ist
auch das Café St. Oberholz betroffen. Wer heute dort sein Büro aufschlägt, hat zwar
immer noch mehr Steckdosen als er jemals brauchen wird und Zugriff auf kostenloses
WLAN. Doch ungestört bleibt man nicht mehr. Neuangestellte Servicekräfte gehen jetzt
herum und erinnern die Gäste daran, dass sie etwas bestellen sollten, wenn sie noch länger
bleiben wollen. „Digitale Bohémiens“ beziehungsweise „urbane Penner“, egal, wie man sie
bezeichnet: Berlin werden sich viele von ihnen bald nicht mehr leisten können.

Autorinnen: Sabine Oelze, Clara Richter


Redaktion: Beatrice Warken

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in etwas versunken sein – sehr stark mit etwas beschäftigt sein

WLAN (n.; aus dem Englischen; nur Singular) – Abkürzung für: Wireless Local Area
Network, eine lokale, drahtlose Funkverbindung zum Internet

Mekka (n.) – Pilgerort für Muslime; übertragenfür : ein Ort, den viele Menschen aus einem
bestimmten Grund anziehend finden

sich über Wasser halten – gerade noch genug Geld zum Leben haben

am Rande des Existenzminimums leben – in finanziell schlechten Verhältnissen


leben

Prachtboulevard, -s (m.) – eine Straße mit schönen, meist alten Häusern, teuren
Geschäften o.Ä.

der ersten Stunde – hier: jemand, der von Anfang an mit dabei war

(im Internet) surfen – umgangssprachlich für: aufeinanderfolgendes Betrachten von


mehreren Internetseiten (meist ohne besondere Absicht)

Insolvenz an|melden – öffentlich bekanntgeben, dass eine Firma kein Geld mehr
verdient und zahlungsunfähig ist

Betreibergesellschaft, -en (f.) – ein Unternehmen, das u.a. als Arbeitgeber auftritt,
Arbeitsplätze und/oder Arbeitsmittel bereitstellt

(mit jemandem) mit|halten – bei einer Tätigkeit genauso gut wie eine andere Person
sein

rasant – sehr schnell und plötzlich

auf|schlagen – hier umgangssprachlich für: einrichten

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Keine Liebesbeziehung: Mädchen und Mathematik

1. Erinnerst du dich noch? Welcher Begriff aus dem Text gehört in die Lücke?
Schau ggfs. im Manuskript nach.

Für die Mathematik-Klassenarbeit der 6F mussten die Schülerinnen und Schüler


____________________ addieren, ____________________ berechnen und
________________________ lösen. Victoria ist mit dem Ergebnis ihrer Arbeit
unzufrieden. Wie sie mögen viele Mädchen Mathematik nicht. Sie haben eine richtige
____________________ dagegen. So wie Lars’ Schwester, die lieber
____________________ werden will, als die Firma ihres Vaters zu übernehmen. Diese
Beispiele stimmen mit den Ergebnissen von ________-Studien aus den Jahren 2012 und
2016 überein. Forschungen an einer ____________________ Universität lieferten
einen möglichen Grund dafür, dass Mädchen Mathematik nicht mögen: Oft trauen
männliche Lehrkräfte ihren Schülerinnen weniger zu als ihren Schülern. Gudrun
Schweighöfer achtet daher in ihrem eigenen Unterricht auf Gleichbehandlung. Denn sonst,
so die Erfahrung der Mathematiklehrerin, verlieren die Mädchen schnell die
______________________. Noch wichtiger ist aber, dass sie die
_____________________ nicht verlieren. Denn dann haben sie überhaupt keinen Mut
mehr, sich im Unterricht zu beteiligen.

2. Ergänze die Sätze um das jeweils passende Nomen und Verb. Achte bei dem
Verb auf die richtige Form.

Abschlussprüfung Leistung Nachhilfeunterricht Berufswahl Klausur


nehmen beeinflussen erbringen schreiben zulassen

1. Im Mathematikunterricht __________ Emily nicht die _________________, die


sie eigentlich von sich selbst erwartet.

2. Ihre Eltern beschließen deshalb: Emily muss _____________________________


____________, um ihre Leistungen zu verbessern.

3. In zwei Monaten __________ sie ihre letzte ________________ in Mathematik.

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4. Das Ergebnis ist sehr wichtig, damit sie zur ___________________________


_____________________ wird.

5. Ein gutes Ergebnis bei dieser Prüfung _________________ schließlich ihre spätere
_________________________. Denn ansonsten kann Emily ihren Traum, noch
ungeklärte mathematische Phänomene zu erforschen, nicht realisieren.

3. Was spricht aus der Sicht einer Schülerin für (pro), was gegen (contra) das
Fach Mathematik? Lies dir das jeweilige Argument durch und wähl aus.

1. Wir haben einen ganz tollen Mathematiklehrer. Selbst wenn ich eine Textaufgabe nicht
verstanden habe, erklärt er sie solange, bis ich die Aufgabe richtig gelöst habe.
a) Pro
b) Contra

2. In unserer Schule gibt es eine Mathematiklehrerin, die im Unterricht nur meine


Mitschüler drannimmt, selbst wenn ich mich mal melde.
a) Pro
b) Contra

3. Hanna möchte gerne Architektin werden. Mathematik ist für sie bei Statistik und
Flächenberechnungen sehr hilfreich.
a) Pro
b) Contra

4. Integralrechnung? Polynomdivision? Regina fragt sich, warum sie sich mit


mathematischen Dingen auseinandersetzen muss, die für ihr späteres Leben nicht
notwendig sind.
a) Pro
b) Contra

[beawar/suc]

Seit e 2/2

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Keine Liebesbeziehung: Mädchen und Mathematik

Brüche, Logarithmen, Algebra: Was viele Jungen in Deutschland erst mal nicht
abschreckt, ist für Mädchen oft ein Albtraum, so das Ergebnis verschiedener
Studien. Doch muss Mathematik wirklich eine Männerdomäne bleiben?

In der Klasse 6F der Freien Schule Anne-Sophie in Berlin beginnt der


Mathematikunterricht. Vorne an der Tafel steht Lehrerin Gudrun Schweighöfer, kurze,
braune Haare, strenger Blick, die Hand in die Luft gereckt. Sie versucht, die lärmende
Schülerschar unter Kontrolle zu bringen. An diesem Tag gibt sie die Klassenarbeiten zurück.
Die Sechstklässler mussten Brüche addieren, Flächen berechnen und Textaufgaben lösen.
Victoria ist nicht begeistert vom Ergebnis:

„Also ich hab sie verkackt. Ich mag Mathe nicht.“

So wie Victoria geht es vielen Mädchen. Sie mögen das Fach Mathematik nicht. Und das ist
ein Grund, warum dann eine Klassenarbeit auch schon mal verkackt wird, eine saloppe
Bezeichnung, wenn man eine Aufgabe nicht erfolgreich erledigt hat. Das Problem ist, dass
die Abneigung gegen den Mathematikunterricht auch die spätere Berufswahl beeinflusst.
Nur etwa jedes 20. Mädchen kann sich vorstellen, später in einem Beruf zu arbeiten, der mit
Mathematik, Naturwissenschaften, Informatik oder Technik zu tun hat, den sogenannten
MINT-Fächern. Bei den Jungs ist das anders. So wie bei Victorias Mitschüler Lars:

„Ich möchte die Firma von meinem Vater übernehmen. Das ist eine Baufirma. – [Gudrun
Schweighöfer] Was muss man dafür gut können? – Ja, Mathe muss man dafür können.“

Seine Schwester sieht Lars eher nicht als Chefin des elterlichen Betriebs:

„Ich denke nicht, weil, das ist nichts für sie so. Sie möchte eher Tierärztin oder irgendwas
anderes werden.“

Die Ergebnisse der PISA-Studien für Naturwissenschaften aus den Jahren 2012 und 2016
zeigten, dass Mädchen ihren männlichen Mitschülern im logischen, mathematischen
Denken eigentlich in nichts nachstehen. PISA ist die Abkürzung für die Internationalen
Schulleistungsstudien der OECD, der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung. Die Studien zeigten aber auch, dass Mädchen offenbar eine Abneigung
gegen Mathematik und Naturwissenschaften haben. Woran liegt das? Forscher um Victor
Lavy von der britischen Universität Warwick machten Tests, um das herauszufinden. Sie
ließen eine Gruppe von Schülern einen naturwissenschaftlichen Text schreiben, der zum
einen von den eigenen Lehrern, zum anderen anonymisiert von außenstehenden Gutachtern

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bewertet wurde. Die Ergebnisse waren eindeutig: Bewerteten die eigenen Lehrer den Test,
schnitten die Jungen besser ab, bewerteten dagegen außenstehende Lehrer die Schüler,
waren die Mädchen überlegen. Offenbar haben Lehrer also eine vorgefasste Meinung, die
sich in der Benotung niederschlägt. Das kann Lea aus Klasse 12 aus eigener Erfahrung
bestätigen:

„Ich finde, man muss auch in vielen Fächern die Lehrer erst mal so von sich überzeugen,
weil dann denken die: ‚Okay die Jungs können das jetzt gut.‘ Und dann muss man als
Mädchen immer schon mal sich mehr melden oder ’n bisschen mehr machen, um erst mal
zu zeigen: ‚Okay, ich kann’s wirklich gut‘, um dann halt auch auf diesem Niveau zu stehen,
wie die Jungs vielleicht als erstes gestanden hätten.“

Mathematiklehrerin Gudrun Schweighöfer achtet in ihrem Mathematikunterricht besonders


darauf, die Beteiligung von Mädchen zu fördern – denn sonst verlieren diese schnell die
Motivation und die Selbstsicherheit. Aber gerade eine selbstbewusste Selbsteinschätzung ist
wichtig, damit die Mädchen keine Abneigung gegenüber Naturwissenschaften entwickeln.
Die OECD stellte in einem 2015 veröffentlichten Bildungsbericht fest, dass Deutschland zu
den 72 untersuchten Ländern gehörte, in denen es unter den Geschlechtern in Bezug auf
ihre Einstellung zur Mathematik die größten Unterschiede gab. Auf die Frage, wie sicher sie
sich beim Lösen einer Matheaufgabe fühlen, kreuzten nur knapp die Hälfte der
Schülerinnen „sicher“ an. Bei den Jungen dagegen waren es zwei Drittel. Befragt wurden in
Deutschland rund 6.500 Schülerinnen und Schüler im Alter von 15 Jahren. Was kann man
tun, um den Mädchen auf diesem Weg mehr Selbstvertrauen einzuflößen? Gudrun
Schweighöfer ist der Meinung, dass es keine einfache Lösung, aber manche hilfreiche
Methode gibt:

„Zum einen, indem man Mädchen ganz gezielt anspricht, also sich nicht nur darauf verlässt:
‚Ich nehm’ einfach nur die dran, die sich melden, und wenn sie sich nicht melden, dann
eben nicht.‘ Und indem ich das eben, ja nicht besonders, lobe. Das ist ja auch immer so ’n
Eiertanz, nicht. Man darf ja auch jetzt nicht jemand besonders loben, weil es was
Besonderes ist, sondern es ist eigentlich ’ne Selbstverständlichkeit.“

Das Selbstbewusstsein von Mädchen fördern, ohne dabei zu übertreiben: Das ist ein
richtiger Eiertanz, bei dem man sehr vorsichtig sein muss. Die Lehrkräfte müssen die
Balance halten zwischen einem Zuviel und einem Zuwenig an Lob. Was nach Ansicht von
Prof. Dr. Andrea Blunck ebenso wichtig ist: das Image der Mathematik insgesamt zu
verbessern. In dem 2007 veröffentlichten Thesenpapier „Das Geschlecht der Mathematik“
stellte sie fest, dass das Fach Mathematik als zu schwer und zu abstrakt angesehen wird und
als Männerdomäne, also als Bereich, in dem Männer vorherrschen, gilt – ungeachtet des
Interesses weiblicher Studierender. Ob eine Imageverbesserung helfen würde, mehr

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Mädchen für Mathematik zu begeistern, ist schwer zu beantworten. Bislang waren


entsprechende Versuche von Bildungspolitikern nur mäßig erfolgreich.

Autorinnen: Lisa Duhm, Beatrice Warken


Redaktion: Suzanne Cords

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Das KaDeWe – ein Kaufhaus mit Geschichte

Es hat eine wechselvolle Geschichte hinter sich und ist eine der beliebtesten
Sehenswürdigkeiten der Stadt: das Kaufhaus des Westens in Berlin.
Legendär ist seine Lebensmittelabteilung, die zu den größten der Welt
zählt.

Das Kaufhaus des Westens, besser bekannt unter der Abkürzung KaDeWe, hat eine
lange, sehr wechselvolle Geschichte hinter sich. 1907 beschloss der jüdische Kaufmann
Adolf Jandorf, in Berlin ein riesiges Warenhaus in der damals noch ruhigen
Tauentzienstraße zu eröffnen. Dieser Boulevard liegt im Südwesten Berlins und schließt
sich an den Kurfürstendamm an. Die Idee Adolf Jandorfs wurde damals belächelt. Ein
riesiges Warenhaus in einer Wohngegend – wie soll das funktionieren? Der Kaufmann
ließ sich davon aber nicht beeindrucken, erzählt die frühere Geschäftsführerin Petra
Fladenhofer:

„Und dann hat Adolf Jandorf diesen legendären Satz gesagt: ‚Was Lage ist,
bestimme ich.‘ Das heißt also, er war von seinem Sortiment so überzeugt, dass er
gesagt hat, egal wo ich bin, die Leute werden zu mir kommen. Also, er hat von Anfang
an diesen Spagat sehr gut hinbekommen, auf der einen Seite natürlich guten
Geschmack vielen Menschen zugänglich zu machen, aber auf der anderen Seite
immer noch exklusiv zu bleiben. Die Blütezeit unseres Hauses und vieler deutscher
Kaufhäuser ist von deutschen Juden betrieben worden. Sie haben hier den Grundstein
für die Geschichte, für den Erfolg gelegt.“

Adolf Jandorf war Jude. Juden waren, wie es Petra Fladenhofer formuliert, für viele
deutsche Kaufhäuser und deren erfolgreichste Zeit, deren Blütezeit, verantwortlich.
Sie haben den Erfolg möglich gemacht, den Grundstein dafür gelegt. Adolf Jandorf
war damals sicher, genau die Waren anzubieten, die Kunden interessieren. Er war von
seinem Sortiment überzeugt. Kritikern und Zweiflern soll er gesagt haben, dass er
bestimmt, wo ein guter Ort zum Einkaufen ist, was Lage ist. Dieser Ausdruck wurde
berühmt, legendär. Laut Petra Fladenhofer hat es Adolf Jandorf geschafft, Waren
anzubieten, die exklusiv, etwas Besonderes, waren. Und Menschen, die einen guten
Geschmack hatten, schöne Dinge schätzten, wurde es ermöglicht, diese an einem
einzigen Ort zu kaufen. Sie wurden ihnen zugänglich gemacht. Adolf Jandorf hat es
geschafft, diese beiden Punkte miteinander zu vereinbaren, er hat den Spagat
hinbekommen. 1927 übernimmt das jüdische Handelsunternehmen Hermann Tietz &
Co. das KaDeWe. In dieser Zeit wird die bis heute berühmte Feinkostabteilung
fertiggestellt, in der Delikatessen aus aller Welt angeboten werden. In der Zeit des

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Nationalsozialismus wurden die jüdischen Eigentümer aus dem Konzern gedrängt und
mussten ihre Anteile unter Wert verkaufen. Fünf Jahre nach Ende des Zweiten
Weltkrieges eröffnet das KaDeWe als erstes Kaufhaus in Deutschland. An jenem 3. Juli
1950 drängen 180.000 Kaufwillige hinein und kaufen vor allem Fett und Würstchen.
Später wird das KaDeWe zum Sinnbild des deutschen Wirtschaftswunders. Einen
Einschnitt in der Erfolgsgeschichte erlebt das KaDeWe 1961 mit dem Bau der Berliner
Mauer und der Teilung der Stadt. Die Konsequenz erläutert Petra Fladenhofer:

„Das bedeutete für das KaDeWe ganz ähnlich wie für Berlin, dass man vom Umland
abgeschnitten war.“

Für das KaDeWe hatte die Teilung der Stadt zur Folge, dass Kundinnen und Kunden aus
dem Ostteil Berlins ausblieben. Und Hunderte von Verkäuferinnen, die dort wohnten,
konnten plötzlich nicht mehr zur Arbeit kommen. Der Westteil Berlins war vom
Umland abgeschnitten. Doch die Situation des Kaufhauses besserte sich schnell, weil
immer mehr Westdeutsche und ausländische Touristen das KaDeWe besuchten. Es
gehörte zu den Sehenswürdigkeiten, die man in Berlin gesehen haben musste. Im Laufe
der Zeit durften auch Ostberliner und andere DDR-Bürger vor allem bei besonderen
Anlässen nach Westberlin. Und auch sie gingen dann in das KaDeWe und in seine
Lebensmittelabteilung. Für DDR-Bürger bedeutete das – wie Professor Uli Brückner
vom Berliner Stanford Overseas Studies Center erzählt – ein Erlebnis:

„Da alle Westberliner ihren DDR-Besuch in die Lebensmittelabteilung des KaDeWe


geführt haben, waren diese Menschen davon besonders beeindruckt, weil das
westdeutsche System ganz praktisch Leistungen erbringt, die der Osten nicht kann,
nämlich Bananen, Ananas und andere Lebensmittel, die es in der DDR nicht gegeben
hat. Weil Opernhäuser, Fernsehtürme und Universitäten hatten sie ja auch auf der
anderen Seite der Mauer, nur keine Lebensmittelabteilungen von solchem Reichtum
und solcher Vielfalt.“

Wie Uli Brückner erläutert, wurde unter anderem beim Lebensmittelangebot der
Unterschied zwischen den beiden politischen Systemen deutlich: Im Westen mit seinem
kapitalistischen System gab es Waren, die es im kommunistischen Osten nicht gab, wie
Bananen und Ananas. Der Westen konnte – anders als die DDR – praktische
Leistungen erbringen – wie es Uli Brückner formuliert. Das beeindruckte DDR-
Bürgerinnen und -bürger. In der DDR wurde das KaDeWe und was es dort alles zu
kaufen gab zu einem Inbegriff von Luxus. Deswegen wurde es am 10. November 1989,
einen Tag nach dem „Fall“ der Mauer und der Öffnung der Grenze, von DDR-Bürgern
gestürmt. Petra Fladenhofer erinnert sich:

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„Das Haus musste zwischendurch immer wieder geschlossen werden. Man hat teilweise
aus den Fenstern heraus verkauft.“

Der Ansturm war so groß, dass aus Sicherheitsgründen zeitweise niemand


hineingelassen und Waren nicht an der Ladentheke, sondern aus den Fenstern
heraus verkauft wurden. Es folgten wechselvolle Jahre mit neuem Besitzer und neuen
Herausforderungen –auch durch das Internet und Onlineshopping. Das KaDeWe
reagierte auf die Krise in der Kaufhausbranche, indem es unter anderem das Sortiment
der Luxuswaren erweiterte und selbst einen Onlineshop betreibt. Ein großer Vorteil für
das Warenhaus ist die Internationalität Berlins. Kein Wunder: Für viele Touristen – ob
aus dem In- oder Ausland – steht ein Besuch im KaDeWe auf dem Programm. Das
Kaufhaus des Westens ist nach dem Reichstagsgebäude und dem Brandenburger Tor
die am dritthäufigsten besuchte Sehenswürdigkeit in Berlin.

Autorinnen: Danhong Zhang, Beatrice Warken


Redaktion: Ingo Pickel

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Das KaDeWe – ein Kaufhaus mit Geschichte

Hier die Aufgaben zur Alltagsdeutsch-Lektion „Das KaDeWe – ein


Kaufhaus mit Geschichte“.

1. Prüfe dein Textverständnis: Wie geht der Satz richtig weiter? Wähl aus.

1. Adolf Jandorf …
a) beriet sich mit seinen engsten Vertrauten über den besten Standort für ein neues
Kaufhaus in Berlin.
b) ließ sich bei der Standortwahl für das neue Kaufhaus nicht von anderen hereinreden.

2. Adolf Jandorfs Verdienst war es, dass er …


a) kurz nach der Eröffnung des KaDeWe auch sofort eine Feinkostabteilung einrichtete.
b) es Käuferinnen und Käufern ermöglichte, schöne, exklusive Waren an einem Ort
kaufen zu können.

3. Ab 1961 begann für das KaDeWe eine schwierige Zeit, als …


a) Berlin endgültig zur geteilten Stadt wurde.
b) das Kaufhaus zwei Wochen lang bestreikt wurde.

4. DDR-Bürgerinnen und -Bürger, die West-Berlin besuchten, …


a) durften das KaDeWe nicht betreten.
b) gingen gern ins KaDeWe, weil es dort für sie unbekannte Produkte gab.

5. In den letzten Jahren …


a) wurde die Konkurrenz für das KaDeWe größer.
b) blieb das KaDeWe das erfolgreichste Kaufhaus Deutschlands.

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Alltagsdeutsch – Aufgaben

2. Teste deinen Wortschatz: Welcher Begriff entspricht der Definition.


Ordne zu.

Sortiment Blütezeit Umland Feinkost Fernsehturm

1. Das Warenangebot in einem Geschäft

2. Besondere, teure Lebensmittel

3. Ein schlankes, hohes und freistehendes Bauwerk, das oft auch eine
Aussichtsplattform hat

4. Die Dauer, für die etwas auf dem Höhepunkt der Entwicklung ist

5. Das (meist ländliche) Gebiet, das eine Stadt umgibt

3. Übe Modalpartikel: Welche Partikel passt? Wähl aus.

1. Ich wollte heute das KaDeWe besuchen. Leider stand ich wegen einer
Betriebsversammlung vor verschlossener Tür. Was soll ich ______________
(allerdings/ruhig/bloß) machen? Ich brauche für ein leckeres Abendessen unbedingt
eine besondere Zutat, die es nur in der Feinkostabteilung des KaDeWe gibt.
2. Anna erinnert sich nur zu gut an den Tag nach dem „Fall“ der Berliner Mauer. Sie
erzählt: „Du wirst es nicht glauben. Der Ansturm auf das KaDeWe war so groß. Man
hat ______________ (vielleicht/eigentlich/ja) sogar Waren aus den Fenstern
heraus verkauft.
3. Petra steht in der Feinkostabteilung des KaDeWe. Sie will eine besondere
Käsespezialität kaufen. Als sie einfach ein Stück Käse auspackt, um zu probieren,
schimpft die Verkäuferin mit ihr: „Sie können das nicht einfach auspacken!“ Petra
entgegnet: „ Aber ich wollte ___________ (schon/ruhig/doch) nur probieren.“

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Alltagsdeutsch – Aufgaben

4. Peter wartet schon seit einer Stunde in der Hotellobby auf Hanne. Als sie endlich
kommt, fragt er sie etwas genervt: „Wo warst du _____________
(halt/doch/eigentlich) die ganze Zeit?!“ Hanne lächelt ihn an und sagt: „Ich war
__________ (halt/etwa/vielleicht) etwas länger shoppen als sonst. Tut mir Leid!“

(beawar/ingpic)

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Alltagsdeutsch – Aufgaben

Inklusion im Spitzensport

Hier die Aufgaben zur Alltagsdeutsch-Lektion „Inklusion im Spitzensport“.

1. Hast du alles gut verstanden? Wähl aus, ob die jeweilige Aussage


RICHTIG oder FALSCH ist.

1. Paralympics und Olympische Spiele finden an denselben Orten, aber zu


unterschiedlichen Zeiten statt.
a) richtig
b) falsch

2. Stefan Lösler hat sich gegen das Tragen von Beinprothesen gewehrt.
a) richtig
b) falsch

3. Wenn Stefan Lösler an Trainingswettkämpfen der ITU teilnimmt, spielt seine


Behinderung keine Rolle.
a) richtig
b) falsch

4. Das Internationale Paralympische Komitee hat dieselben Strukturen wie das


Internationale Olympische Komitee.
a) richtig
b) falsch

5. Nicht alle Sportverbände in Deutschland unterstützen inklusiven Leistungssport.


a) richtig
b) falsch

2. Teste deinen Wortschatz! Welche Begriffe treffen auf Stefan Lösler


NICHT zu? Wähl aus.
a) Amputation
b) Laufen
c) Radfahren
d) Beinprothese
e) Olympische Spiele
f) Rennrollstuhl
g) Fahrradunfall

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Deutsch im Fokus
Alltagsdeutsch – Aufgaben

3. Übe den Konjunktiv II: Trage die Verben in Klammern in die Lücken ein
und passe die Verbformen wenn nötig entsprechend an.

Wenn Stefan Lösler keinen Unfall ___________ __________ (haben),


__________ er nicht zum Paratriathlon-Sport ____________ (kommen). Dann
___________ er wahrscheinlich einen anderen Sport ______________ (ausüben).
Stefan Lösler ______________ nie zu einem Vorbild für andere Menschen
____________ (werden), denen ein ähnliches Schicksal widerfahren ist. Allerdings
wird sich auch er oft die Frage gestellt haben, wie sein Leben ________________
______________ (verlaufen), wenn er nicht von einem Auto ______________
____________ ______________ (anfahren).

(bwar/rh)

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Deutsch im Fokus
Alltagsdeutsch – Manuskript

Inklusion im Spitzensport

Sport und körperliche Behinderung schließen sich nicht aus, das beweisen
zahlreiche Para-Wettbewerbe weltweit. Doch am liebsten würden
behinderte Athleten gemeinsam mit nichtbehinderten um die Trophäen
kämpfen.

Mit dem Begriff „Inklusion“ tut sich ein großer Teil der deutschen Gesellschaft schwer.
Gemeint ist die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderung am
öffentlichen Leben. Dazu gehört auch der Sport. Denn auch Menschen mit Handicap
können sportlich aktiv sein – auch im Spitzensport. So nehmen behinderte
Sportlerinnen und Sportler an sogenannten Para-Wettbewerben teil. „Para“, griechisch
für „neben“, steht dafür, dass diese Wettbewerbe analog zu Wettbewerben
nichtbehinderter Sportlerinnen und Sportler stattfinden. Ein Beispiel sind die
Paralympics, die in der Regel direkt im Anschluss an die Olympischen Spiele
stattfinden. Das Thema „Inklusion im Sport“, also die gleichberechtigte Teilhabe
behinderter und nichtbehinderter Sportlerinnen und Sportler, rückte verstärkt ins Licht
der Öffentlichkeit, als der unterschenkelamputierte Weitspringer Markus Rehm im Juli
2014 bei den Deutschen Meisterschaften gewann. Doch weil nicht zweifelsfrei geklärt
werden konnte, ob seine Prothese ihm einen Vorteil verschaffte, entschied der Deutsche
Leichtathletik-Verband, dass Rehm zwar den Titel als Weitsprungmeister behalten und
er auch weiterhin an Wettkämpfen mit nichtbehinderten Sportlern teilnehmen dürfe,
aber künftig würden seine Weitsprünge gesondert bewertet. So blieb ihm auch die
Teilnahme bei den Olympischen Spielen 2017 in Rio de Janeiro verwehrt. Seitdem
kämpft Markus Rehm darum, gemeinsam mit dem Weltverband Regeländerungen zu
bewirken, damit sich behinderte und nichtbehinderte Athleten auf Augenhöhe
begegnen können.

Auch Stefan Lösler hat so seine Erfahrungen gemacht. Er konnte sich ein Leben ohne
Sport kaum vorstellen. Daran änderte sich auch 2010 nichts, als er mit 25 Jahren von
einem Auto angefahren wurde und sein linkes Bein auf Höhe des Knies amputiert
werden musste. Er ging in die Reha, machte sich mit Beinprothesen vertraut und
konzentrierte sich auf die Sportart Triathlon, bei der man schwimmen, Rad fahren
und laufen muss. 2017 nahm er an den Paralympics in Rio de Janeiro teil und belegte
dort den 8. Platz. Die Sportart war damals erstmals im Programm der Spiele und gilt in
Sachen Inklusion als vorbildlich. Das kann Paratriathlet Stefan Lösler nur
unterschreiben:

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Deutsch im Fokus
Alltagsdeutsch – Manuskript

„Das Tolle ist, dass beim Triathlon auch bei Internationalen Wettkämpfen alles im
selben Rahmen abläuft. Also es gibt ja bei den Nichtbehinderten die ‚World Triathlon
Series‘. Und bei vielen Wettkämpfen findet dann parallel dazu auch ’n Paratriathlon-
Wettkampf statt. Also es ist nicht nur national, sondern auch international so
organisiert, dass eben die ITU, die International Triathlon Union, auch für den
Paratriathlon verantwortlich ist.“

Die „World Triathlon Series“ der ITU findet jährlich statt. In acht
Wettkampfrunden sammeln die Teilnehmenden so viele Punkte wie möglich. In einem
finalen Wettkampf werden dann die Medaillenplätze vergeben. Für Paratriathleten
gelten andere Distanzen bei den Wettbewerben als für Triathleten. Sie müssen nur die
Hälfte der Strecken absolvieren: 750 Meter schwimmen, 20 Kilometer Radfahren – im
Tandem oder mit einem handbetriebenen Fahrrad –, und fünf Kilometer im
Rennrollstuhl fahren. Seit 1999 engagiert sich die ITU für die Entwicklung des
Paratriathlons. Eine positive Grundeinstellung gegenüber ihm als behindertem Sportler
hat Stefan Lösler aber nicht nur bei großen sportlichen Wettkämpfen festgestellt:

„Das reicht sogar weiter bis ganz runter. Wenn ich sage, ich möchte bei ’nem
Trainingswettkampf mitmachen, ist es sehr unkompliziert in der Regel: Ich gehe zum
Veranstalter und sage, ich brauche ’n Stuhl in der Wechselzone. Und ich wurde bis
jetzt immer mit offenen Armen empfangen, egal bei welchem Wettkampf.“

Selbst wenn er bei Wettkämpfen mitmachen will, die für ihn als Training dienen, stößt
Stefan Lösler nicht auf Ablehnung. Ganz im Gegenteil: Er wird mit offenen Armen
empfangen, man steht ihm positiv gegenüber – und hilft ihm sogar. Beispielsweise
damit, dass der Rennrollstuhl schon in der Wechselzone steht. Damit ist die Stelle
gemeint, an der die Athletinnen und Athleten Kleidung und Räder parat stehen
haben, die sie zur Absolvierung der jeweiligen Disziplin benötigen. Triathlon ist
allerdings eine der wenigen Sportarten, die bei der Inklusion von einem internationalen
Fachverband unterstützt wird.

Das Internationale Paralympische Komitee hatte 2007 das Ziel ausgegeben, spätestens
2016 nicht mehr als Extra-Fachverband zu wirken: Behinderte und nichtbehinderte
Athletinnen und Athleten sollten in denselben Strukturen der jeweiligen Sportarten
aktiv sein, so der Plan. Doch noch heute muss das IPC in zehn Sportarten die
Weltmeisterschaften ausrichten – auch in der Leichtathletik und im Schwimmen. Denn
deren Weltverbände zeigen wenig Interesse an Sportlerinnen und Sportlern mit
Behinderung. Auch auf nationaler Ebene ist noch viel Luft nach oben. Der Deutsche
Leichtathletikverband DLV und der Deutsche Schwimmverband unterstützen

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Deutsch im Fokus
Alltagsdeutsch – Manuskript

„inklusive“ Musterzentren in Berlin oder Leverkusen, in denen behinderte und


nichtbehinderte Sportler gemeinsam trainieren. Aber von einer grundsätzlichen
Gleichberechtigung kann noch keine Rede sein, so Jörg Frischmann, Geschäftsführer
der Behindertensportabteilung bei Bayer Leverkusen:

„Früher haben wir bei Wettkämpfen einfach mitgemacht, war überhaupt kein Thema.
Heute sagen uns Veranstalter: ‚Wir müssen mal überlegen, wie wir euch einbinden
können‘. Weil der DLV gibt uns vor, dass Menschen mit einer Hilfe, dass die
gesondert gewertet werden müssen. Und das stellt schon wieder die Ausrichter bei
Wettkampfprogrammen vor Probleme.“

Mangelnde Gesprächsbereitschaft und organisatorische Hürden verhindern nach


Ansicht von Jörg Frischmann, dass es auf dem Weg Inklusion im Sport nicht weitergeht.
Als schwierig wird die Wertung der Leistung angesehen. Verbände wie der Deutsche
Leichtathletikverband bestehen auf einer gesonderten, getrennten, Wertung. Ein
Grund wird in der fehlenden Vergleichbarkeit der Leistung gesehen. Jörg Frischmann
weiß, wovon er spricht. Er nahm an den Paralympics teil und gewann 1992 in Barcelona
die Goldmedaille im Kugelstoßen und die Silbermedaille im Speerwerfen. Dabei wollte
er, der wegen einer angeborenen Fehlbildung an beiden Händen und Füßen behindert
ist, mit dem Behindertensport lange nichts zu tun haben. Er spielte Handball und
Tischtennis in einem regulären Verein. Erst als er merkte, wie hoch das Niveau im
Behindertensport ist, entschloss er sich zum Wechsel und trat dem TSV Bayer 04 bei.
Seit 1998 ist er dort Geschäftsführer der Behindertensportabteilung, kümmert sich
unter anderem um die Pressearbeit und die Sorgen und Nöte der Athletinnen und
Athleten. Dabei hat er festgestellt, dass es nicht nur auf internationaler Ebene
Vorbehalte gegen behinderte Sportlerinnen und Sportler gibt:

„Wir haben’s erlebt, dass Eltern gesagt haben: ‚Pass auf, der hat ’ne Prothese, der hat ’n
Vorteil.‘ Und das sind einfach für mich erschreckende Sachen, wenn junge Kinder nicht
mehr gemeinsam Sport machen können.“

Nicht immer lassen schwere Behinderungen ein gemeinsames, inklusives Sporttreiben


zu, weil beispielsweise Trainingsprogramme unterschiedlich oder Sportstätten nicht
barrierefrei sind: Türen sind zu eng, Rollstuhlrampen fehlen oder Dusch- und
Toilettenräume sind nicht behindertengerecht gebaut. Nach Ansicht von Jörg
Frischmann kann man aber Lösungen finden. Beispiele sind für ihn die fortschrittlichen
Verbandsstrukturen in Großbritannien oder Kanada. Dort orientieren sich die
Trainerausbildung, der Kampf gegen Doping oder die Prämienregeln stets an

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Deutsch im Fokus
Alltagsdeutsch – Manuskript

behinderten und nichtbehinderten Athletinnen und Athleten. Zwar wurde 1994 der Satz
„Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden“ in Artikel 3 des
Grundgesetzes aufgenommen. Die Umsetzung des Inklusionsgedankens in allen
Bereichen des Sports liegt allerdings noch in weiter Ferne.

Autor / Autorin: Ronny Blaschke, Beatrice Warken


Redaktion: Suzanne Cords

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Deutsch im Fokus
Alltagsdeutsch – Manuskript

Glossar

auf Augenhöhe – auf gleicher Höhe mit einer anderen Person; gemeint ist hier auch:
die Tatsache, dass jemand etwas macht, das eine andere Person auch macht

Reha, -s (f.) – Abkürzung für Rehabilitation, die Wiedereingliederung einer


behinderten Person in die Gesellschaft (z.B. nach einem Unfall)

Beinprothese, -n (f.) – ein künstliches Bein

Tandem, -s (n.) – ein Fahrrad für zwei Personen mit je zwei Sätteln und zwei Pedalen

parat stehen – bereitstehen

(mit) viel Luft nach oben – umgangssprachlich für: es gibt noch viel zu tun

Rampe, -n (f.) – eine schräge Fläche, über die man stufenlos zu einer höheren oder
tieferen Ebene gelangen kann

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Deutsch im Fokus
Alltagsdeutsch – Aufgaben

Kaffee-Know-how aus Deutschland

Hier die Aufgaben zur Alltagsdeutsch-Lektion „Kaffee-Know-how aus


Deutschland“.

1. Prüfe dein Textverständnis

Was steht im Text? Wähle alle richtigen Aussagen aus.

a) Man kann Kaffee auf viele verschiedene Arten zubereiten.


b) Kapselkaffee und Instantkaffee sind ganz neue Kaffeevarianten.
c) Zwei Gründer der Firma Probat haben Lebensmittel aus dem Ausland verkauft.
d) Im 19. Jahrhundert hat sich die Firma Probat auf das Rösten von Kaffee
spezialisiert.
e) Es gibt nur wenige Firmen, die Kaffeeröstmaschinen herstellen.
f) Wenn der Rohkaffee schlecht ist, wird er durch das Rösten auch nicht besser.
g) Wim Abbing glaubt, dass die Menschen in Zukunft vor allem traditionell
hergestellten und zubereiteten Kaffee trinken wollen.

2. Was ist richtig?

Lies die Informationen über die Firma Probat noch einmal genauer. Wähle zu jeder
Ausssage eine richtige Lösung aus.

1. Die meisten Mitarbeiter bei Probat …


a) bauen Maschinenteile zusammen.
b) entwickeln technische Systeme.
c) steuern Maschinen, die Kaffee annehmen, verarbeiten und verpacken.

2. Das Technikum der Firma Probat …


a) ist eine private Hochschule für Ingenieure.
b) ist ein Museum, in dem man alles über Kaffeeherstellung erfahren kann.
c) ist ein Ort, an dem Kunden Experimente durchführen können.

3. Die Kunden von Probat …


a) wollen genau wissen, wie die Maschinen aufgebaut sind.
b) interessieren sich dafür, wie man Kaffee lange lagern kann.
c) suchen nach neuen Methoden der Kaffeeherstellung.

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Deutsch im Fokus
Alltagsdeutsch – Aufgaben

3. Bilde Komposita

Im Text kommen einige zusammengesetzte Substantive vor. Erinnerst du dich an die


Wörter? Bilde die Komposita aus den vorgegebenen Begriffen und schreibe sie in die
Lücken. Manchmal musst du zwischen den beiden Wortteilen ein -n- oder ein -s-
einfügen. Verwende den Plural, wenn nötig.

Wachstum Kaffee Region Kunde Nische


Bohne Kreis Markt Kaffee Filter

1. In speziellen Maschinen werden die rohen _____________________ geröstet.


2. Um _____________________ zu machen, gibt man Kaffeepulver in eine kleine
Tüte aus Papier oder ein Sieb und stellt das auf eine Tasse oder eine Kanne. Dann
lässt man das heiße Wasser von oben hindurchfließen.
3. Ein Unternehmen, das in einer _______________________ tätig ist, hat sich
auf ein kleines Fachgebiet spezialisiert.
4. Länder, in denen die Nachfrage nach einem Produkt steigt, sind
_____________________________.
5. Zum ________________________ der Firma Probat gehören Kaffeehersteller
aus aller Welt.

4. Übe die Verben

Was kann man mit Kaffee alles machen? Wähle zu jedem Satz das passende Verb aus
und ziehe es in die Lücke.

rösten aufsetzen mahlen aromatisieren ziehen lassen

1. Manche Menschen kaufen Kaffeepulver, andere kaufen ganze Kaffeebohnen und


______________ sie zu Hause selbst.
2. Kannst du bitte eine Kanne Kaffee ______________? Die Gäste kommen gleich.
3. Das Aroma hängt stark davon ab, wie die Kaffeehersteller die rohen Bohnen
_______________.
4. Sie sollten den Kaffee länger _________________________, damit sich das
volle Aroma entfalten kann!
5. Manche Kaffeehersteller ___________________ den Kaffee auch. Er schmeckt
dann beispielsweise nach Vanille oder Karamell.

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Deutsch im Fokus
Alltagsdeutsch – Aufgaben

5. Übe das Passiv

Lies die Sätze im Aktiv und vervollständige dann die Passivsätze. Achte dabei auf die
korrekte Zeit.

1. Zwei Kolonialwarenhändler und ein Ingenieur haben die Firma Probat gegründet.
Die Firma Probat __________________ von zwei Kolonialwarenhändlern und
einem Ingenieur _______________ _____________.
2. Man transportierte die rohen Kaffeebohnen auf Schiffen nach Europa.
Die rohen Kaffeebohnen __________________ auf Schiffen nach Europa
__________________.
3. Theodor von Gimborn stellte die ersten Kaffeeröstmaschinen der Firma Probat her.
Die ersten Kaffeeröstmaschinen der Firma Probat __________________ von
Theodor von Gimborn ________________.
4. Heute kann man im Technikum der Firma neue Röstverfahren ausprobieren.
Heute ____________ im Technikum der Firma neue Röstverfahren
__________________ __________________.
5. Man spricht mit den Kunden nicht über technische Details, sondern darüber, wie
der Kaffee schmecken soll.
Mit den Kunden __________________ nicht über technische Details
__________________, sondern darüber, wie der Kaffee schmecken soll.

[amathes/bw]

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Deutsch im Fokus
Alltagsdeutsch – Manuskript

Kaffee-Know-how aus Deutschland

Kaffee ist nicht gleich Kaffee. Der Geschmack hängt von vielen Faktoren ab
– wie etwa der Röstung des Rohkaffees. Ein deutsches
Mittelstandsunternehmen kann dabei auf eine lange Erfahrung
zurückblicken.

Kaffee gehört zu den beliebtesten Getränken weltweit und wird in immer mehr
Varianten getrunken. Ein Beispiel: der sogenannte ‚cold brew‘ – Kaffee, der mit
zimmerwarmem Wasser aufgesetzt wird und den man bis zu zehn Stunden ziehen
lässt. Beinahe kalter Kaffee sind so gesehen der Filterkaffee, Kapselkaffee,
Espresso, Cappuccino, aromatisierter Kaffee oder Instantkaffee. Je mehr
Kaffeevarianten, neue Trends und Modeerscheinungen es gibt, desto besser ist das für
einen mittelständischen deutschen Hersteller, der in Emmerich am Rhein direkt an der
Grenze zu den Niederlanden seinen Sitz hat: die Firma Probat. Denn bei allen Varianten
kommt es auf die Röstung an, und das ist das Fachgebiet des Unternehmens. Die rohen
Kaffeebohnen müssen in einem feuerfesten Behälter, einer Röstmaschine oder einem
Röster, großer Hitze ausgesetzt und unter ständigem Rühren solange bewegt werden,
bis sie eine braune Kruste haben und ihr Aroma entfalten. Sie werden „geröstet“. Die
Firma Probat stellt diese Maschinen schon in vierter Generation her. Geschäftsführer
Wim Abbing blickt in die Gründungsgeschichte zurück:

„Wir sind gegründet [worden] von drei Herren, und zwei davon waren
Kolonialwarenhändler – und bereits in den 1830er Jahren zwei dieser Gründer
gründeten eine kleine Rösterei. Bis dahin gab’s keinen industriellen Hersteller von
Kaffeeröstmaschinen. Und als dann der dritte Herr dazukam, Ingenieur, 27 Jahre alt,
direkt nach ’m Studium, Theodor von Gimborn, der hat halt dann angefangen,
Kaffeeröstmaschinen herzustellen.“

Lebens- und Genussmittel wie Tee oder Kaffee, die aus Kolonien, Besitzungen der
Europäer in Übersee, stammten, sogenannte Kolonialwaren, wurden damals zu
Seehäfen wie Antwerpen in Belgien und Rotterdam in den Niederlanden gebracht. Von
dort wurden sie dann über den Rhein auch nach Deutschland transportiert. Mit den
Probat-Röstmaschinen konnten die Kolonialwarenhändler nicht mehr nur Rohkaffee,
sondern auch fertig gerösteten Kaffee verkaufen. Mit Erfolg, der bis heute anhält, so
Wim Abbing:

„Es werden heute gar nicht so wahnsinnig viel Röstmaschinen gebaut in der Welt. Wir
arbeiten in ’ner sehr feinen, kleinen Nische. Unser Kundenkreis sind ’n paar tausend

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Deutsch im Fokus
Alltagsdeutsch – Manuskript

Kunden weltweit, die Kaffee rösten.“

Probat hat eine Art Alleinstellungsmerkmal, nicht viel Konkurrenz. Die Firma bewegt
sich in einer kleinen, aber feinen Marktnische, einem ausgewählten Teilbereich. Um
seine Marktposition zu behaupten, investiert der Mittelständler in Forschung und
Entwicklung. So arbeitet von den rund 450 Mitarbeitern in Emmerich nur etwa ein
Viertel in der Maschinenfertigung. Der Rest sind Ingenieure oder auch
Softwareprogrammierer. Denn die zum Teil meterhohen Anlagen, bei denen von der
Rohkaffeeannahme bis zur Verpackung alles automatisiert ist, brauchen eine
ausgeklügelte Steuerung.

Ein weiteres Plus: Das Unternehmen setzt die sehr lange Erfahrung mit Röstverfahren
ein und hilft seinen Kunden, neue Produkte, sprich besseren und anders gerösteten
Kaffee zu entwickeln. Dafür wurde ein eigenes Gebäude gebaut, in dem alle möglichen
Sorten von Mahl- und Röstmaschinen aufgestellt sind. In diesem Technikum kann die
ganze Prozesskette – von der Rohkaffeeannahme bis zum fertig verarbeiteten Kaffee –
dargestellt werden. Bei den Kunden stößt das laut Wim Abbing auf großes Interesse:

„Wir haben fast täglich Kunden hier, von einem kleinen Kaffeeröster bis zu den großen,
multinationalen Konzernen. Und die kommen hierhin, um unsere Maschinen
auszuprobieren, um darauf zu lernen, um geschult zu werden. Diese Besuche laufen
von wenigen Stunden bis zu Wochen zum Teil. Es geht soweit, dass wir
Produktentwicklung hier mit unseren Kunden machen. Denn vielfach haben wir
mittelständische Kunden, die gar nicht in der Lage sind, eigenständig Versuche zu
fahren, die halt nur einen Röster haben oder zwei, die in Produktion laufen müssen.
Wenn’s aber darum geht, mal was Neues auszuprobieren, neue Röstverfahren oder neue
Röstungen und neue Geschmäcker auszuprobieren, kommen sie dann lieber zu uns, um
hier mal ’ne Woche im Technikum das Ganze in Ruhe rösten zu können.“

In aller Ruhe können Kunden Versuche fahren, testen, welches Röstverfahren für
den Rohkaffee passend sein könnte. Manche werden ausgebildet, geschult. Denn
durch verschiedene Röstverfahren kann der gleiche Rohkaffee sehr unterschiedlich
schmecken: ein guter Rohkaffee nach einer schlechten Röstung schlecht, ein schlechter
Rohkaffee nach einer guten Röstung nicht sehr gut, aber zumindest akzeptabel. Und
genau das ist es, was Probat eigentlich am Wichtigsten ist:

„Wir sind zwar Maschinenbauer, aber wir definieren uns nicht über unsere Maschinen,
sondern wir definieren uns über die Qualität des Kaffees, über den Geschmack, über
den Geruch, über die Aromen. Darüber sprechen wir mit unseren Kunden. Wir sprechen

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Alltagsdeutsch – Manuskript

nicht über ’n Lager, wir sprechen nicht über die Dicke des Bleches. Das interessiert
keinen Menschen. Sondern wir sprechen darüber: Wie muss ’n Kaffee schmecken? Was
ist der richtige Geschmack? Was ist das richtige Aroma? Und was muss ich dann dafür
tun?“

Nicht technische Details wie Lager, bewegliche Teile einer Maschine, oder Materialien
wie Blech, dünnes, gepresstes Metall, interessieren die Kunden, sondern die lange
Erfahrung der Firma Probat im Bereich der Röstungen. Und dass die Beliebtheit von
Kaffee irgendwann mal abflauen und das Unternehmen aus Emmerich dann in
Bedrängnis geraten könnte, sieht Wim Abbing nicht:

„Ich bin fest davon überzeugt, dass wir in den nächsten Jahren noch viele neue
Entwicklungen im Kaffee erleben werden und auch neue Regionen im Kaffee erleben
werden. Gerade Südostasien und auch China und Indien sind sicherlich
Wachstumsregionen, um die wir uns sehr stark kümmern, so dass ich mir für den Kaffee
und für dieses Unternehmen keine Sorgen mache.“

Autorinnen: Insa Wrede, Beatrice Warken


Redaktion: Suzanne Cords

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Alltagsdeutsch – Manuskript

Glossar

etwas auf|setzen – hier: Lebens- bzw. Genussmittel (Kaffee, Tee o.Ä.) in heißem
Wasser kochen bzw. mit meist kochendem Wasser übergießen und stehen lassen

etwas ziehen lassen – etwas beim Kochen eine gewisse Zeit stehen lassen, bis es gar
ist bzw. den gewünschten Geschmack hat (z. B. Tee, Kaffee)

kalter Kaffee – redensartlich für: etwas Altbekanntes

Filterkaffee, - (m., nur Singular) – mithilfe eines speziellen Siebs, eines Filters,
zubereiteter Kaffee

Kapselkaffee, - (m., nur Singular) – Kaffeepulver in kleinen Metallbehältern


(Kapseln)

Espresso, -s/Espressi (m., aus dem Italienischen) – starkes, in einer Maschine


zubereitetes Kaffeegetränk

Cappuccino, -s (m., aus dem Italienischen) – ein heißes Kaffeegetränk mit einer Art
Haube aus aufgeschäumter Milch oder geschlagener Sahne

Instantkaffee, - (m., nur Singular) – gefriergetrocknetes Kaffeepulver, das mit heißem


Wasser übergossen wird

Übersee, - (kein Artikel) – außerhalb des europäischen Kontinents gelegene Gebiete


(z. B. in Afrika, Asien)

Besitzung, -en (f.) – der Grundbesitz

ausgeklügelt – so, dass etwas sehr gut durchdacht ist

Plus, - (n., nur Singular) – hier: der Vorteil

sprich – das heißt

Prozess, -e (m.) – hier: eine Abfolge unterschiedlicher Herstellungsschritte

akzeptabel – so, dass man damit zufrieden sein kann

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Alltagsdeutsch – Manuskript

ab|flauen – schwächer/weniger werden

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Alltagsdeutsch – Aufgaben

Der deutsche Nachkriegsfilm

Hier die Aufgaben zur Alltagsdeutsch-Lektion „Der deutsche


Nachkriegsfilm“.

1. Prüfe dein Textverständnis

Was wird im Text gesagt? Wähle alle richtigen Aussagen aus.

a) Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es nicht genug Nahrungsmittel und Wohnraum.
b) Es dauerte ziemlich lange, bis in Deutschland wieder Filme gedreht wurden.
c) Viele Schauspieler, Regisseure und Musiker hatten Deutschland verlassen.
d) In den 1950er-Jahren wollten die meisten Menschen unterhaltsame Filme sehen.
e) Heimatfilme waren beliebt, weil sie die Menschen von ihren Problemen ablenkten.
f) Das Fernsehen war der Grund für die schlechte inhaltliche Qualität der Kinofilme.
g) Nach der Wiederaufnahme des Fernsehbetriebs sank die Zahl der Kinobesucher.
h) Die Hauptaufgabe des Fernsehens in den 1950er-Jahren war es, die Menschen zu
informieren.

2. Was ist richtig?

Welche Aussagen treffen auf die Filmgenres zu, die im Text beschrieben werden? Wähle
die passenden Antworten aus. Mehrere Lösungen können richtig sein.

1. Die Trümmerfilme …
a) zeigten das Leben der Menschen in der Nachkriegszeit.
b) thematisierten auch den Nationalsozialismus.
c) erzählten ganz unterschiedliche Lebensgeschichten von Menschen in Deutschland.

2. Schwänke …
a) waren intelligent gemachte Filme für ein anspruchsvolles Publikum.
b) zeigten, dass dumme Menschen selten Erfolg im Leben haben.
c) erzählten Geschichten auf lustige Weise.

3. Heimatfilme …
a) hatten beim Publikum mehr Erfolg als ernste, kritische Filme.
b) thematisierten die gesellschaftliche Wirklichkeit in Deutschland, Österreich und der
Schweiz.

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Deutsch im Fokus
Alltagsdeutsch – Aufgaben

c) zeigten schöne Landschaften und ein traditionelles Familienbild.


4. Kriegsfilme …
a) wurden populär, als Deutsche wieder Militärdienst leisten mussten.
b) sollten den Zuschauern die Verbrechen der Wehrmacht bewusst machen.
c) waren meist gleichzeitig auch sehr gute Antikriegsfilme.

3. Teste dein Sprachverständnis

Haben die Formulierungen eine positive oder eine negative Bedeutung? Lies die
Kommentare und wähle die richtige Antwort aus.

1. Dieser Film sticht qualitativ aus der Masse heraus.


a) positiv
b) negativ

2. Dieser Film steckt voller Klischees.


a) positiv
b) negativ

3. Das ist eine bekannte Masche.


a) positiv
b) negativ

4. Dieser Sender hat für ein interessiertes Publikum viele anspruchsvolle Filme im
Programm.
a) positiv
b) negativ

5. Das war ein absolut banaler Film.


a) positiv
b) negativ

4. Übe die Verben


Welches Verb passt? Wähle zu jedem Satz das passende Verb aus und ziehe es in die
Lücke.

überlisten verlassen ausblenden


erobern bedrohen ablaufen

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Deutsch im Fokus
Alltagsdeutsch – Aufgaben

1. Seit Beginn des 21. Jahrhunderts ______________ viele Fantasy-Filme die


Leinwand.
2. Man kann beobachten, dass Hollywood-Filme einheimischen Produktionen oft den
Rang ______________.
3. In Filmen wie „Batman“ oder „Superman“ geht es um böse Mächte, die die Welt
______________.
4. Viele Geschichten erzählen von einem Helden, der seine vertraute Umgebung
______________ muss und an fremden Orten Abenteuer erlebt.
5. Die Zuschauer empfinden Sympathie für Helden, die es schaffen, Größere oder
Stärkere durch Klugheit zu ______________.
6. Wenn man einen Film sieht, ist man in Gedanken in einer anderen Welt und kann
die eigenen Probleme für eine Weile ______________.

5. Wiederhole die Relativpronomen

Lies, wovon der Antikriegsfilm „Die Brücke“ handelt, der 1959 in die Kinos kam.
Schreibe die passenden Relativpronomen in die Lücken.

Der Film „Die Brücke“ spielt in einer kleinen Stadt, in (1) ________ es während des
Krieges ziemlich friedlich und sicher ist. Im Mittelpunkt der Geschichte stehen sieben
Jungen, (2) ________ in dieser Stadt leben. Kurz vor Kriegsende müssen sie die
Schule verlassen und zum Militär gehen. Sie bekommen die Aufgabe, eine Brücke in
ihrer Heimatstadt zu verteidigen. Kurz danach wird der Offizier, (3) ________ Befehle
die Jungen befolgen sollen, erschossen. Aber sie wissen nicht, dass die Brücke, für (4)
________ Verteidigung sie verantwortlich sind, gar nicht wichtig ist. Ihr Lehrer hatte
dafür gesorgt, dass sie diese Aufgabe bekommen, weil er sie vor dem Krieg schützen
wollte. Er hatte gedacht, dass es an der Brücke keine Kämpfe geben wird und dass die
Jungen dort sicher sind. Aber die Jungen, (5) ________ man den Befehl gegeben
hatte, die Brücke zu verteidigen, nehmen ihre Aufgabe ernst. Schließlich kämpfen sie
gegen amerikanische Soldaten, die zu der Brücke kommen. Dabei sterben fünf von
ihnen einen vollkommen sinnlosen Tod.
[a m athes/bw]

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Alltagsdeutsch – Manuskript

Der deutsche Nachkriegsfilm

In Westdeutschland entwickelte sich nach Ende des Zweiten Weltkriegs


relativ schnell eine neue Filmindustrie. Bis auf die Trümmerfilme gilt der
deutsche Nachkriegsfilm als oberflächlich und wenig ideenreich.

„Es wird ja alles wieder gut, / Nur ein kleines bisschen Mut, / Lässt das Glück dich
auch manchmal allein. / Es wird ja immer wieder Mai, / Auch dein Kummer geht
vorbei, / Und du brauchst nicht mehr traurig zu sein.“

Der Sänger Detlev Lais drückt in seinem Lied das aus, was damals nach Ende des
Zweiten Weltkriegs dringend nötig war: den Mut nicht sinken zu lassen. Auch wenn
man manchmal den Eindruck hat, dass das Glück einen verlassen hat, kommt es doch
zurück – wie der Monat Mai. Denn in diesem Monat konnte man früher das Vieh
wieder auf die Weide treiben. Der Schriftsteller und Literaturnobelpreisträger Heinrich
Böll hatte jedoch das Kriegsende anders empfunden:

„Ich habe das nicht als Stunde Null empfunden, sondern als Stunde Nichts!“

Für Heinrich Böll war es also eine Zeit der totalen Zerstörung, des Nichts. Viele andere
sahen im Ende des Krieges jedoch die sogenannte Stunde Null, einen Neuanfang –
auch die deutsche Filmindustrie. Denn trotz Hunger und Wohnungsnot konnte sich
erstaunlich rasch eine bescheidene Filmkultur entwickeln. Allerdings w ar es mit
enormen Anstrengungen verbunden, in der unmittelbaren Nachkriegszeit Filme zu
drehen. Es fehlte beinahe an allem: Die Studios waren zerstört, Filmmaterial war
Mangelware, und Kameras gab es nur wenige. Schauspieler, Ausstatter, Musiker,
Drehbuchautoren und Regisseure waren ausgewandert, verstorben oder lebten weit
voneinander entfernt. Trotzdem war der Film ein wichtiges Medium, um über den Krieg
und die Verbrechen der Nationalsozialisten aufzuklären.

Deutsche Nachkriegsproduktionen, sogenannte Trümmerfilme, thematisierten


Schicksale von heimkehrenden Flüchtlingen oder die Lebensumstände im Alltag
zwischen den Trümmern der zerbombten Städte. Mancher Film stellte aber auch die
Frage nach der Schuld der Deutschen und den Verantwortlichen. Den Trümmerfilmen
der unmittelbaren Nachkriegszeit folgte schon bald eine populäre Mischung aus
Heimat-, Urlaubs- und Schlagerfilmen. Das hatte seinen Grund, sagte Helmut Käutner,
einer der wichtigsten Nachkriegsregisseure:

„Auch die Trümmerfilme wurden eine Masche. Und dann kamen sehr bald wieder

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Alltagsdeutsch – Manuskript

die Operette und das Volkslied in Gänsefüßchen und der kitschige Schwank. Es
wurde eine allgemeine Banalität.“

Die Menschen hatten irgendwann genug von den Trümmerfilmen, da die Geschichten
sich ähnelten. Sie wurden eine Masche – wie ein Pullover, bei dem sich eine Masche
an die nächste reiht. Deshalb wurden Musikfilme gedreht, wie Käutner sagte – die
Operette und das Volkslied in Gänsefüßchen. Setzt man etwas „in Gänsefüßchen“,
wird dadurch ein Zitat gekennzeichnet. Im übertragenen Sinn kann der Begriff aber
auch verwendet werden, um auszudrücken, dass man sich von etwas Gesagtem
distanziert. Beim Sprechen werden dann mit den Fingern beider Hände in der Luft die
Anführungszeichen dargestellt.

Neben den Musikfilmen wurden auch Schwänke auf die Leinwand gebracht. Ein
Schwank ist eine Geschichte, die die Menschen auf eine meist grobe Art zum Lachen
bringen soll. Die Komik wird dadurch erreicht, dass ein als dumm geltender Mensch
einen anderen überlistet. Die deutsche Filmindustrie konzentrierte sich also darauf,
die Menschen zu unterhalten. Die Filme wurden banal, dümmlich.

Filme, die all das thematisierten, womit die Menschen in ihrem Alltag nach Kriegsende
wirklich zu tun hatten, fanden dagegen beim Publikum keinen Zuspruch. Dazu gehörten
etwa ‚Die goldene Pest‘ von John Brahm aus dem Jahr 1954, ein Film über die US-
amerikanische Besatzungsmacht, und Paul Mays kritische Betrachtung des
Gesundheitswesens aus dem Jahr 1956: ‚Weil du arm bist, musst du früher sterben‘.
Stattdessen wurde 1951 mit ‚Grün ist die Heide‘ jenes westdeutsche Film-Genre
geboren, das dem anspruchsvollen Kinogänger ein Alptraum war: der sogenannte
Heimatfilm.

In diesen Heimatfilmen wird eine unberührte Natur gezeigt. Ort der Handlung sind
meist die Berge in Österreich, der Schweiz oder in Bayern, aber auch die Lüneburger
Heide im Norden Deutschlands, der Schwarzwald oder der Bodensee. Charakteristisch
ist eine melodramatische Handlung, die meistens eine Liebesgeschichte beinhaltet.
Dazu kommen komische oder tragische Verwechslungen. Häufig gibt es Musikeinlagen.
Die große Liebe, Eheglück, Natur- und Wohlstandssehnsucht gehören zu den
beliebtesten Themen. Betont werden konservative Werte wie Ehe und Familie. Frauen
werden meist nur als Hausfrau oder Mutter positiv dargestellt. Personen und
Institutionen, die Macht verkörpern, dürfen nicht in Frage gestellt werden. Der
Filmwissenschaftler Hans Helmut Prinzler begründet, warum der Heimatfilm beim
Publikum so ankam:

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Alltagsdeutsch – Manuskript

„In ihm war schon von der Zeit viel aufgehoben. Also, er hat auch versucht, zu
harmonisieren, bestimmte Spannungen zwischen Großstadt und Land. Er hat auch
versucht, die Traumata des Krieges auszugleichen. Er ist natürlich auch damals eine
Art von Ersatz für Tourismus gewesen. Also, man konnte es sich nicht leisten, in die
Alpen, in ’n Schwarzwald oder in die Lüneburger Heide zu fahren. Das kriegte man im
Kino, und das haben die Leute in vollen Zügen aufgenommen – mit all den
Klischees, die da ’ne Rolle spielten.“

Die Heimatfilme erfüllten, so Prinzler, mehrere Funktionen, es war viel in ihnen


aufgehoben: Zum einen sollte eine harmonische Atmosphäre geschaffen werden. Die
friedliche Idylle sollte die Menschen die schlimmen, traumatischen Erfahrungen des
Weltkrieges, die Traumata, vergessen lassen. Zum anderen wurde den Kinogängern
gezeigt, wie es zum Beispiel in den Bergen oder im Schwarzwald aussieht, denn damals
war kaum Geld vorhanden, um zu reisen. Obwohl die Heimatfilme kein wirkliches Bild
der Realität wiedergaben, sondern nur ein Klischee, eine bestimmte Vorstellung, wie
etwas sein könnte, schauten sich die Menschen diese Filme sehr gerne an. Sie nahmen
sie in vollen Zügen auf – wie ein Raucher, der genussvoll eine Zigarette raucht. Diese
konservative Weltsicht haben Filmkritiker den deutschen Filmemachern in den
fünfziger und sechziger Jahren vorgeworfen. Gerhard Bliersbach, Psychologe und
Filmkritiker:

„Diese Filme sind ja kaum gewalttätig. Es bleibt ja ganz unterschwellig so mehr so als
eine klimatische Bedrohung. Aber es wird so wenig ausgetragen. Ich finde dieses
Kino der fünfziger Jahre ist ja ungeheuer aggressiv gebremst.“

Gerhard Bliersbach kritisiert, dass Gewalt in den Heimatfilmen nicht offen ausgetragen
wird, dass die Filme aggressiv gebremst sind. Der Zuschauer spürt sie, sie ist
unterschwellig, sie bedroht die Stimmung, das Klima, in der dargestellten heilen
Welt. Mit der Einführung der Wehrpflicht 1957 kam eine Wende. Zahlreiche
Kriegsfilme eroberten die Leinwand. Ausgeblendet aber blieben Fragen nach den
Zielen der nationalsozialistischen Wehrmacht, nach ihren Verbrechen und ihren
Opfern. Antikriegsfilme wie ‚Die Brücke‘ stachen da qualitativ heraus. Auffällig am
deutschen Nachkriegskino war ansonsten der Mangel an filmischem Wagemut – auch in
den Jugend- oder sogenannten Halbstarkenfilmen. Stattdessen gab es vor allem
Filme, die jedem gefallen sollten. Bedeutungsvolle Streifen wurden nicht in
Deutschland produziert, sondern in Japan, Frankreich, den USA und Italien. Und
zudem begann ein neues Medium, das Fernsehen, dem Kino den Rang abzulaufen.
Der Filmwissenschaftler Hans Helmut Prinzler sagt:

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Alltagsdeutsch – Manuskript

„Dieser Paradigmenwechsel vom Kino zum Fernsehen, das ist natürlich zentral
fünfziger Jahre, also wo ’54 ungefähr das offizielle Fernsehprogramm begonnen hat und
bis Ende der 50er schon sehr in den Vordergrund kam. Der Verlust an Kinobesuchern
ist eigentlich ’n ganz klares Signal, dass sehr viele Menschen vom Kino zum Fernsehen
übergewechselt sind.“

Die offizielle Wiederaufnahme eines geregelten Fernsehbetriebs in Westdeutschland


1952 führte zu einem Paradigmenwechsel, zu einem Umbruch. Die Fernsehbilder
brachten den Menschen die Lebenswirklichkeit ins Haus – egal, ob es sich zum Beispiel
um die Krönung von Elizabeth II. 1953, die Fußballweltmeisterschaft 1954 oder generell
um Nachrichten handelte. Fernsehen wurde in erster Linie als ein Medium gesehen, das
der Bildung diente und weniger unterhalten sollte. Die Krise, in die das Kino Anfang der
1960er Jahre geriet, hatte jedoch – filmisch gesehen – vorher bereits begonnen.

Autor/Autorin: Michael Marek, Beatrice Warken


Redaktion: Ingo Pickel

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Alltagsdeutsch – Manuskript

Glossar

auf die Leinwand bringen – redensartlich für: einen Film im Kino zeigen

jemanden über|listen – jemanden täuschen (z. B. mit einer List, mit einem Trick)

heile Welt (f., nur Singular) – redensartlich für: eine Scheinwelt, in der alles
harmonisch und gut ist

die Leinwand erobern – redensartlich für: im Kino erfolgreich sein

etwas aus|blenden – hier: etwas nicht wahrhaben wollen

Wehrmacht (f., nur Singular) – das Militär (Heer, Kriegsmarine, Luftwaffe) im


nationalsozialistischen Deutschland

aus etwas heraus|stechen – sich besonders hervorheben

Halbstarker, -en/Halbstarke, -n – abwertend für: ein Jugendlicher, eine


Jugendliche, die sich aggressiv und angeberisch verhält

Streifen, - (m.) – hier: ein Film

etwas den Rang ablaufen – umgangssprachlich für: etwas anderes übertreffen;


wichtiger werden

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Alltagsdeutsch – Aufgaben

„Essen, wo es hingehört“ – die Tafeln in Deutschland

Hier die Aufgaben zur Alltagsdeutsch-Lektion „Essen, wo es hingehört – die


Tafeln in Deutschland“.

1. Prüfe dein Textverständnis

Was steht im Text? Wähle die passenden Aussagen aus. Mehrere Lösungen können
richtig sein.

1. Die Tafeln …
a) sind Restaurants, in denen Bedürftige kostenlos essen können.
b) erhalten Lebensmittel, die unter anderem in Restaurants nicht mehr gebraucht
werden.
c) stellen Bedürftigen kostenlos Lebensmittel zur Verfügung.

2. Die Zahl der Menschen, die das Angebot der Tafeln nutzen, …
a) ist im Jahr 2018 leicht gesunken.
b) hat seit 1993 zugenommen.
c) hat sich laut Statistik kaum verändert.

3. In Deutschland …
a) werden pro Jahr 11 Millionen Tonnen Lebensmittel weggeworfen.
b) werden pro Jahr 11 Millionen Tonnen Lebensmittel produziert.
c) erhalten die Tafeln pro Jahr kostenlos 11 Millionen Tonnen Lebensmittel.

4. Der Staat kann die ehrenamtliche Arbeit dadurch fördern, dass …


a) Bürgerinnen und Bürger erst spät in Rente gehen können.
b) er die Leistung ehrenamtlicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anerkennt.
c) ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter später mehr Rente bekommen.

2. Was sagt Jochen Brühl?

Du hast sicher gut verstanden, was der Vorsitzende des Dachverbands „Die Tafel
Deutschland e. V.“ sagt. Wähle alle Aussagen aus, die richtig sind.

a) Ganz unterschiedliche Menschen kommen zu den Tafeln.


b) In Deutschland gibt es nicht genug Lebensmittel, die an Bedürftige verteilt werden
könnten.

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Deutsch im Fokus
Alltagsdeutsch – Aufgaben

c) Die Menschen in Deutschland müssen sparsamer mit ihren Ressourcen umgehen.


d) Die wachsende Armut ist eine Gefahr für die Gesellschaft.
e) Es ist allein Aufgabe des Staates, die Armut zu bekämpfen.
f) Arme Menschen sollen Teil der Gesellschaft sein.
g) Es wäre schön, wenn die Tafeln irgendwann überflüssig würden.

3. Finde das passende Adjektiv

Übe einige Adjektive, die im Text vorkommen. Wähle zu jedem Satz das passende Wort
aus.

1. Eine Familie mit sehr viel Geld ist […] a) überschüssig.


2. Wenn man von etwas abhängig ist, ist b) wohlhabend.
man darauf […]
3. Der Teil einer Menge, den man nicht c) kostenlos.
braucht, ist […]
4. Arme Menschen sind […] d) angewiesen.
5. Wenn man etwas gratis bekommt, ist e) bedürftig.
es […]

4. Gleiches Wort, anderer Kontext

Im Text kommen einige Wörter vor, die man in unterschiedlichen Zusammenhängen


verwenden kann. Wähle zu jedem Satzpaar ein Wort aus, das in beide Sätze passt.

Schlange Sprengstoff Kluft


Spektrum Tafel Ruck

1. In einer Bombe befindet sich […]. / Ein Thema, das zu Konflikten führen kann, ist
[…].
Lösung: __________________
2. In einem Klassenzimmer hängt an der Wand eine […]. / Menschen essen zusammen
an einer […].
Lösung: __________________
3. Bei meiner Wanderung habe ich eine giftige […]gesehen. / An der Kasse hat sich
eine lange […] gebildet.

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Deutsch im Fokus
Alltagsdeutsch – Aufgaben

Lösung: ________________
4. In einem Regenbogen sieht man das ganze […] an Farben von Rot bis Violett. / In
einer Demokratie gibt es oft ein großes […] an politischen Parteien.
Lösung: ________________
5. Als das Flugzeug die Erde berührte, spürten die Passagiere einen […] / Gib dir einen
[…] und beende den Streit mit deiner Frau.
Lösung: ________________
6. Sei vorsichtig! Zwischen den beiden Felsen ist eine tiefe […] / Die wachsende […]
zwischen meinen Eltern macht mir Sorgen. Sie sprechen kaum noch miteinander.
Lösung: ________________

5. Bilde Substantive

Aus vielen Adjektiven und Partizipien kann man Substantive bilden, die Personen
bezeichnen. Diese Wörter schreibt man groß, aber man dekliniert sie weiterhin wie
Adjektive. Bilde aus den Wörtern in Klammern solche Substantive und achte dabei auf
die richtige Endung.

Beispiel:
Zu den ehrenamtlichen Helfern gehören zum Beispiel Arbeitslose (arbeitslos), die in
ihrer freien Zeit etwas für die Gesellschaft tun möchten.

1. Die ______________ (verantwortlich) weisen darauf hin, dass die Tafeln auf
ehrenamtliche Mitarbeiter angewiesen sind.
2. Überschüssige Lebensmittel sollen an ______________ (bedürftig)
weitergegeben werden.
3. Es ist keine Seltenheit, dass eine ______________ (alleinerziehend) die Hilfe der
Tafeln in Anspruch nehmen muss.
4. Zu den Aufgaben der ______________ (ehrenamtlich) gehört es, Lebensmittel
bei Supermärkten und Restaurants abzuholen.
5. Vielen ______________ (betroffen) fällt es anfangs schwer, Hilfe anzunehmen.

[amathes/bw]

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Deutsch im Fokus
Alltagsdeutsch – Manuskript

„Essen, wo es hingehört“ – die Tafeln in Deutschland

Seit 1993 sorgt in Deutschland eine Hilfsorganisation dafür, dass


Lebensmittel an Bedürftige verteilt werden: die Tafel. Ohne Unterstützung
Zehntausender ehrenamtlicher Helfer wäre das kaum zu bewältigen.

Wer den Begriff „Tafel“ hört, stellt sich zuallererst eine Art Platte vor, die beschrieben
werden kann, seltener einen großen, festlich gedeckten Esstisch. Auf diese zweite
Bedeutung bezieht sich die gemeinnützige Organisation „Tafel“. Denn mehr als 940
Tafeln in Deutschland sorgen dafür, dass Menschen, die monatlich nicht genug Geld zur
Verfügung haben, zumindest beim Einkauf von Lebensmitteln sparen können. Sie
sammeln zum Beispiel bei Supermärkten oder Restaurants überschüssige Lebensmittel
ein und geben sie kostenlos an Bedürftige ab. Mancherorts im Land werden aber auch
Kleidung, Haushaltswaren oder Möbel abgegeben. Wer zu den Tafeln kommt, sind wie
Jochen Brühl, der Vorsitzende des Dachverbands „Die Tafel Deutschland e. V.“, sagt:

„Das sind Menschen, die einfach zu wenig zum Leben haben. Das sind Alleinerziehende,
Senioren, das sind Menschen mit Migrationshintergrund, Flüchtlinge, Rentnerinnen
und Rentner. Also ’n buntes Spektrum der Menschen, die in Deutschland von Armut
betroffen sind.“

Die ‚Kundinnen‘ und ‚Kunden‘ der Tafeln sind Menschen, die ‚mitten unter uns leben‘,
wie beispielsweise ältere Menschen, Menschen, die ohne Partner Kinder großziehen
oder Menschen, die nicht ursprünglich aus Deutschland stammen. Sie bilden ein
buntes Spektrum, eine Vielfalt unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen. Seit
Gründung der ersten Tafel in Berlin im Jahr 1993 sind es mit den Jahren nicht weniger
Bedürftige geworden, die bei den Tafeln Schlange stehen, sondern mehr, sagt Brühl:

„Es gibt 1,5 Millionen Menschen, die auf die Tafel regelmäßig angewiesen sind. Es gibt
12 bis 16 Millionen je nach Statistik, die von Armut betroffen oder bedroht sind. Also,
wenn man den Statistiken glauben will, so rund zehn Prozent der Menschen kommen zu
den Tafeln. Wir haben unglaubliche Ressourcen, wir sind unglaublich verschwenderisch
mit Lebensmitteln, und gleichzeitig gibt’s Menschen, die darauf angewiesen sind, dass
wir sie in ihrem Alltag entlasten und unterstützen.“

Das sind Zahlen, die ein trauriges Licht werfen auf die wachsende Kluft zwischen Arm
und Reich in Deutschland. Eigentlich ist es ein wohlhabendes Land, hat unglaublich
viele Ressourcen, geht damit aber verschwenderisch um. Nach Angaben des
Bundeszentrums für Ernährung landen in Deutschland jährlich elf Millionen Tonnen

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Alltagsdeutsch – Manuskript

Lebensmittel im Müll, bei der Erzeugung und Verarbeitung, bei Großverbrauchern,


im Handel und in Privathaushalten. Nicht umsonst wählte die Organisation das Motto
„Essen, wo es hingehört“. Nämlich zu denjenigen, die von Armut betroffen oder bedroht
sind. Und deren Zahl wächst, was Jochen Brühl mit Sorge sieht:

„Ich glaube, dieses Thema ‚Armut in Deutschland‘, das ist politischer und
gesellschaftlicher Sprengstoff. Und da muss man einfach gut hingucken, gut
aufpassen.“

Das Ungleichgewicht sieht Jochen Brühl als Sprengstoff, als eine Situation, die die
Gesellschaft zerstören könnte. Nicht nur der Staat ist seiner Ansicht nach gefordert,
etwas dagegen zu tun, indem er beispielsweise die Grundsicherung für Berechtigte, das
Arbeitslosengeld II, umgangssprachlich Hartz IV, erhöht. Auch die Gesellschaft sei
gefragt. Denn im Prinzip kenne jeder jemanden, der zur Tafel geht. Er fordert daher:

„Seit 25 Jahren weisen wir nicht nur darauf hin, dass es Lebensmittelüberschüsse gibt,
sondern wir sagen auch, es gibt ausgegrenzte Menschen. Die Gesellschaft darf nicht
nach außen rücken, sondern wir müssen die Menschen, die außen sind, wieder in die
Mitte der Gesellschaft holen. Das ist die Aufgabe, und wir brauchen endlich auch
wieder so ’n Ruck, dass wir uns aus dieser Lethargie, die uns gerade so ’n bisschen
erfasst, wieder herausbewegen, damit wir merken, dass wir in einer tollen Gesellschaft
eigentlich leben.“

In seiner historischen Rede rief der damalige Bundespräsident Roman Herzog 1997
dazu auf, durch Deutschland müsse ein Ruck gehen, Staat und Gesellschaft müssten
etwas tun, und zwar gegen eine Lähmung, eine Lethargie, die herrsche. Mehr als
zwanzig Jahre später macht Jochen Brühl ein ähnliches Gefühl aus wie damals. Sein
Plädoyer lautet, aktiv zu werden und sich eine Frage zu stellen:

„Ich glaube, wichtig ist, dass die Gesellschaft sich hinterfragt, wofür brauchen wir
eigentlich Tafeln, warum haben wir die eigentlich, warum gibt’s da eigentlich ’n
Problem, und ist es nicht eigentlich die Aufgabe von Gesellschaft und Politik, dafür zu
sorgen, dass es Tafeln nicht mehr braucht – und dafür werden wir weiter antreten.“

Denn ohne die etwa 60.000 ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer wäre eine
Institution wie die Tafel gar nicht möglich. Ob Pensionäre, Schüler, Hausfrauen und
Hausmänner, Arbeitende oder Arbeitslose: Sie alle haben 24 Millionen Arbeitsstunden
geleistet und gespendete Lebensmittel an Bedürftige weitergegeben. Eine längere
Lebensarbeitszeit und Ausbildungen, in denen wenig freie Zeit übrig bleibt,

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Deutsch im Fokus
Alltagsdeutsch – Manuskript

stellen nach Ansicht von Jochen Brühl eine Gefahr auch für die ehrenamtliche Hilfe bei
den Tafeln dar:

„Tafel-Ehrenamtliche bringen pro Jahr einen Wert von 216 Millionen Euro. Das
muss man sich mal gut überlegen, was das heißt, wenn das wegfallen würde. Ich glaube,
der Staat tut gut daran, das Ehrenamt wertzuschätzen und auch zu unterstützen.“

Ehrenamtliche leisten Arbeit, die laut Jochen Brühl in Geld umgerechnet 216 Millionen
Euro beträgt, sie bringen einen Wert in dieser Höhe. Jochen Brühl fordert daher, die
Zeit eines ehrenamtlichen Engagements einer Person bei der späteren Berechnung der
Rente anzurechnen. Mithilfe einer Petition an das zuständige Bundesministerium
für Arbeit und Soziales sollte dieser Forderung noch Nachdruck verliehen werden.
Ehrenamtliches Engagement wird sicher weiter gefragt sein – wahrscheinlich auch bei
den Tafeln. Obwohl bei den Tafel-Verantwortlichen natürlich die Hoffnung besteht,
irgendwann nicht mehr notwendig zu sein.

Autorin: Beatrice Warken*


Redaktion: Ingo Pickel

__________________________________________________________
*Unter Verwendung eines Radiobeitrags von Thomas Rautenberg (RBB) sowie eines Telefoninterviews
(https://bit.ly/2OIEy06) von Helmut Rehmsen (WDR) mit Jochen Brühl

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Deutsch im Fokus
Alltagsdeutsch – Manuskript

Glossar

Schlange stehen – redensartlich für: in einer Reihe hintereinander warten

Kluft (f., nur Singular) – hier: ein Gegensatz, der sehr groß ist

Großverbraucher, - (m.) – eine Stelle/Institution, die Waren in größeren Mengen


benötigt (z. B. Kantine, Gastronomiebetrieb)

Plädoyer, -s (n.) – hier: eine Äußerung, mit der jemand eine Position deutlich
unterstützt

etwas an|rechnen – dafür sorgen, dass eine erbrachte Leistung oder Zeitdauer
berücksichtigt wird

Petition, -en (f.) – hier: ein Schreiben an die Regierung mit einer Forderung, die viele
Menschen mit ihrer Unterschrift unterstützen

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Deutsch im Fokus
Alltagsdeutsch – Aufgaben

Der schönste Tag im Leben und seine Bräuche

Aufgaben zum Text

1. Prüfe dein Textverständnis


Im Text werden verschiedene Hochzeitsbräuche vorgestellt. Was ist bei
einer deutschen Hochzeit üblich? Wähle alle passenden Aussagen aus.

a) Die Braut bezahlt ihre Schuhe mit Münzen.


b) Braut und Bräutigam müssen gemeinsam von einer Klippe springen.
c) Man schenkt dem Brautpaar eine Säge als Glückssymbol.
d) Das Brautpaar muss gemeinsam eine anstrengende Aufgabe lösen.
e) Braut und Bräutigam stecken sich gegenseitig einen Ring an den Finger.
f) Die Braut wird von Freunden und Verwandten entführt.
g) Der Bräutigam muss viel Alkohol trinken.
h) Braut und Bräutigam schneiden zusammen mit einem Messer die Torte an.

2. Was steht im Text?


Die drei Paare, um die es im Text geht, hatten alle einen turbulenten
Hochzeitstag. Wie genau ist das Fest verlaufen? Wähl die passenden
Aussagen aus. Es kann auch mehr als eine Lösung richtig sein.

1. Bei der Hochzeit von Alexandra und Thomas …


a) haben sich die Eltern von Braut und Bräutigam die Kosten geteilt.
b) trugen alle Männer kurze Hosen.
c) musste Alexandra ihren Mann erkennen, ohne ihn zu sehen.

2. Angelika und Ralf …


a) haben sehr kurzfristig entschieden zu heiraten.
b) haben am Tag ihrer Hochzeit ein Kind bekommen.
c) waren von ihrem Hochzeitsfest enttäuscht.

3. An seinem Hochzeitstag hat Dieter Lamsfuß …


a) seine Braut längere Zeit nicht gesehen.
b) in einer Kneipe die Getränke aller Gäste bezahlen müssen.
c) so viel Torte gegessen, dass ihm schlecht wurde.

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Alltagsdeutsch – Aufgaben

3. Welche Redewendung passt?


Im Text hast du einige neue Redewendungen kennengelernt. Welche
Redewendung passt zu welcher Situation? Lies die Beispiele und ordne
ihnen den passenden Ausdruck zu.

1. Bevor man ans Heiraten denken kann, a) jemanden durch die rosarote Brille
muss man manchmal erst die Herzen der sehen
Schwiegereltern für sich gewinnen.
2. In der ersten Verliebtheit sieht man nur b) zum guten Ton gehören
die guten Seiten des Partners und hält
ihn für perfekt.
3. Wir haben lange Zeit in wilder Ehe c) Schwein haben
gelebt. Das ist heute doch ganz normal.
4. Letzte Woche habe ich meinen Ehering d) eine Klippe überwinden
nach dem Sport in der Umkleidekabine
liegen lassen. Zum Glück hat ihn jemand
gefunden und ich habe ihn
zurückbekommen.
5. Die Höflichkeit verlangt, dass man auf e) gang und gäbe sein
die Einladung zu einer Hochzeit
rechtzeitig antwortet. Schließlich will das
Brautpaar wissen, wie viele Gäste
kommen.

4. Teste dein Sprachverständnis


Hier kannst du überprüfen, ob du die Ausdrücke, die im Text vorkommen,
gut verstanden hast. Wähle zu jeder Äußerung die passende Antwort aus.

1. Hat deine Tochter schon ein schönes Kleid für ihre Hochzeit gefunden?
a) Ja, aber es war eine schwere Geburt.
b) Ja, sie hat die Zeche schon gezahlt.

2. Bezahlst du die Rechnung, wenn du mit deiner Frau essen gehst?


a) Nein, wir machen immer halbe-halbe.
b) Ja, es geht immer alles glatt.

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Alltagsdeutsch – Aufgaben

3. Wie geht es euch jetzt, ein Jahr nach eurer Hochzeit?


a) Wir leben immer noch in wilder Ehe.
b) Wir sind immer noch im siebten Himmel.

4. Mein Mann schaut keine andere Frau an. Er hat nur Augen für mich.
a) Na, wer’s glaubt, wird selig!
b) Das ist wirklich eine Gemeinheit!

5. Perfekt oder Plusquamperfekt?


Lies die Sätze und entscheide, wo das Plusquamperfekt und wo das Perfekt
steht. Schreib „haben“ in der passenden Form in die Lücke.

1. Nachdem sie lange ohne Trauschein zusammengelebt ____________,


____________ Angelika und Ralf geheiratet.
2. Angelika und Ralf ____________ ihr Kind früher bekommen, als sie gedacht
____________.
3. Alexandra ____________ ihre Brautschuhe mit Fünf-Mark-Münzen bezahlt, die
sie jahrelang gespart ____________ .
4. Die Freunde von Alexandra und Thomas ____________ sich vor der Hochzeit
einige schwierige Aufgaben ausgedacht, die das Brautpaar lösen musste. Aber
gemeinsam ____________ die beiden alles geschafft.
5. Als man ihn endlich gefunden ____________, ____________ Dieter Lamsfuß
lange in einer Kneipe gewartet.

Autorin: Anja Mathes


Redaktion: Beatrice Warken

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Alltagsdeutsch – Manuskript

Der schönste Tag im Leben und seine Bräuche

Auf Brautschuhe sparen, die Braut entführen, die Torte anschneiden:


Manche Hochzeitsbräuche von früher haben sich in die moderne Zeit
gerettet. Nicht jeder hat jedoch für Hochzeitsbrauchtum etwas übrig.

Viele Eheleute heutzutage möchten mit traditionellen Umgangsformen und Bräuchen


nichts mehr zu tun haben. Sie fahren und fliegen zum Heiraten in andere Länder und
feiern alleine, ohne Familie oder gerade einmal mit den besten Freunden, weit weg von
ihrer Heimat Deutschland und meist nur auf dem Standesamt. Für manches Paar
gehört der eine oder andere Brauch von damals jedoch zu ihrer Hochzeit dazu. Das
fängt schon an bei der Frage: nur standesamtlich oder auch kirchlich? Alexandra und
Thomas zum Beispiel sind gläubige Katholiken und haben nicht nur standesamtlich,
sondern auch kirchlich geheiratet. Alexandra erinnert sich:

„Früher war es gang und gäbe, dass die Eltern der Braut die Kosten für die Hochzeit
übernommen haben. Heute ist das anders, meistens teilen sich die Eltern das. Je
nachdem, wie alt man ist, bezahlen die Eltern gar nichts mehr, und das Paar muss dafür
aufkommen. Bei meinen Eltern war das anders. Wir haben halbe-halbe gemacht.
Und mit den Fünf-Mark-Stücken haben wir die Brautschuhe gekauft, also, das ist
vielleicht noch so übrig geblieben. Früher waren es wahrscheinlich keine Fünf-Mark-
Stücke, sondern Pfennige, die gesammelt wurden.“

Früher gehörte es zum guten Ton, dass die Eltern der Braut die gesamten Kosten
einer Hochzeit übernahmen. Es war üblich, gang und gäbe. Alexandra und ihre Eltern
haben sich die Kosten allerdings geteilt, haben halbe-halbe gemacht. Nur die
Brautschuhe hatte Alexandra selbst gekauft. Sie hatte dafür jahrelang – wie es die
Tradition will – gespart. Damit das Geld schneller zusammenkam, hatte sie statt
Pfennigen Fünf-Mark-Münzen gesammelt. Seit Einführung des Euro im Januar 2002
sind es Euro-Cent-Münzen, mit denen Bräute ihre Schuhe bezahlen. Beliebt bei
Brautpaaren heutzutage ist auch noch ein anderer Brauch wie Dieter Lamsfuß,
jahrelang Standesbeamter nahe Köln, erklärt:

„Ein gängiger Brauch ist es, dass ein Holzbock mit einem Holzstamm vor die Tür
gestellt wird, damit die Brautleute dieses Hindernis gemeinsam meistern. Und das
bedeutet in diesem Falle jeder auf einer Seite mit einer Säge, so eine große Bügelsäge,
ziehen und gemeinsam dieses Stück Holz durchsägen. Damit ist die erste Klippe für die
gemeinsame Zukunft natürlich schon überwunden.“

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Alltagsdeutsch – Manuskript

Auf einem Holzbock, einem Gestell aus Holz, liegt ein Holzstamm. Aufgabe des
frischvermählten Paares ist es, mit einer Säge, die einen halbrunden Haltegriff, einen
Bügel, über dem Sägeblatt hat, diesen Holzstamm zu zersägen. Wenn das gelingt,
bedeutet es symbolisch: Wir meistern alle Schwierigkeiten gemeinsam, überwinden
alle Klippen. Allerdings hatten sich die Freunde in diesem Fall noch eine besondere
Gemeinheit einfallen lassen, wie Alexandra sich erinnert:

„Dann gab’s einen Riesenbaumstamm und eine rostige Säge. Und dann haben wir aber
genauer hingeguckt und fühlten uns leicht veräppelt, weil es nämlich ’ne rostige Säge
war. Und mit ’ner rostigen Säge so ’nen dicken Baumstamm zu durchsägen, ist schon
’ne schwierige Geburt. Aber wir haben es geschafft, es ist alles glatt gegangen.“

Die Säge war schon rostig, durch Feuchtigkeit mit einer rotbraunen Schicht überzogen.
Somit war es deutlich schwieriger, den Baumstamm zu zersägen, weil eine solche Säge
schon mal gern im Holz stecken bleibt. Das junge Paar fühlte sich veräppelt, getäuscht.
Am Ende überwanden sie diese zusätzliche Schwierigkeit, es ging alles glatt.
Allerdings geschah es unter großer Anstrengung, war eine schwierige Geburt.
Danach wurde Alexandra eine weitere Aufgabe gestellt:

„Mir wurden die Augen verbunden, und dann setzten sich mehrere Herren
nebeneinander auf die Stühle, zogen ihre Hosen hoch bis Kniehöhe, und dann musste
ich mit verbundenen Augen die Waden meines Mannes ertasten. Ich hab wie durch ein
Wunder die Waden meines Mannes tatsächlich identifizieren können – unter dem
großen Applaus und der johlenden Menge. Da hab ich wirklich Schwein gehabt.
Diese Prüfung hab ich also bestanden.“

Die Umstehenden hatten natürlich ihren Spaß, sie lachten und schrien laut, johlten.
Glücklicherweise ertastete Alexandra die Waden, die hinteren Seiten der
Unterschenkel, ihres Mannes. Sie hatte Schwein gehabt.

Auch Angelika und Ralf hatten Glück. Denn ihr Hochzeitstag fiel auf den Tag, an dem
ihre Tochter geboren wurde. Sie kam zwei Wochen früher als geplant zur Welt. Die
beiden heirateten nicht kirchlich, sondern standesamtlich. Diese Entscheidung kam
jedoch ziemlich plötzlich, sagt Angelika:

„Für uns war das so, dass wir nicht heiraten wollten, w ir fanden das mit der wilden
Ehe ganz toll. Trotzdem, als ich dann den dicken Bauch bekommen hab und wir ein
kleines Kind erwarteten, kam dann so von dem einen, mal von dem anderen der
Gedanke, ob wir nicht doch heiraten sollten. Und das zog sich dann die neun Monate so

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hin. Und es gab nur einen ganz kurzen Moment, wo wir beide gleichzeitig uns überlegt
hatten: ‚Och, heiraten wir doch‘. Wir sind zum Standesamt gegangen, ’ne Woche später
waren wir verheiratet, und am gleichen Tag kam dann auch das Kind.“

Angelika und Ralf lebten in einer „wilden Ehe“, waren nicht verheiratet, ein Zustand,
der heutzutage nichts Besonderes mehr ist. Denn immer mehr Paare leben ohne
Trauschein zusammen. Aber die beiden hatten sich bewusst zu diesem Schritt
entschieden, wie Angelika betont:

„Wir haben das mit dem Heiraten nie durch die rosarote Brille gesehen. Wir
haben Heiraten nicht als den siebten Himmel angesehen, sondern als, ja, einen
Vertrag, den man schließt, und ob man den schließt oder nicht, das kann man sich dann
zweimal überlegen.“

Verheiratet zu sein haben die beiden ganz rational betrachtet, haben den Zustand nicht
durch eine rosarote Brille gesehen, ihn beschönigt. Auch fühlten sie sich nicht im
siebten Himmel, sahen die Ehe nicht als Zustand größten Glücks an. Es war ein
Vertrag, der geschlossen wurde. Angelika und Ralf haben auch auf Eheringe verzichtet,
was bei Brautleuten selten der Fall ist. Denn der Ehering ist der wohl weitverbreitetste
Hochzeitsbrauch. Schon der römische Autor Plinius berichtet von Ringen, die als
Treueversprechen angelegt wurden. Allerdings gab es damals noch keine Goldringe. Die
römischen Christen führten etwa 200 nach Christi den eisernen Brautring mit der
gleichen Absicht wie heute ein: als Treuesymbol. Dieses Treueversprechen aber war
lange Zeit erst einmal einseitig, weiß Dieter Lamsfuß:

„Das Treueversprechen gibt die Braut ab. Der Mann steckte also der Braut diesen Ring
über. Und erst im Mittelalter musste sich auch der Bräutigam mit einem Ring zu dem
Versprechen hinreißen lassen und auch seine Treue und seine Liebe auf die Ewigkeit hin
versprechen. Wer es glaubt, wird selig, da muss man immer abwarten, ob die Treue
sowohl beim Mann als auch bei [der] Frau wirklich sich auf Dauer durchsetzt.“

Trotz eines Eheringes müssen sich Partner nicht wirklich ein Leben lang treu sein.
Zweifel sind durchaus angebracht getreu dem Spruch: „Wer es glaubt, wird selig.“
An eine Trauung erinnert sich Dieter Lamsfuß natürlich noch sehr gut: an seine eigene
– unter anderem auch deshalb, weil die geplante Entführung der Braut etwas anders
ablief als geplant:

„Üblicherweise wird ja die Braut entführt, aber in diesem Fall hatten sich Freunde und
Verwandte vorgenommen, den Bräutigam zu entführen. Und Brauch ist es ja dann, dass

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derjenige, der entführt worden ist, von demjenigen, der dann auf den anderen wartet,
gesucht wird. Und wenn der dann gefunden wird, der muss dann die Zeche zahlen.“

Freunde und Verwandte hatten sich eine „Bräutigamentführung“ ausgedacht. Eigentlich


hätte Dieter Lamsfuß’ Frau ihren Mann suchen und dann freikaufen müssen. Sie hätte
dafür alle Anwesenden in eine Kneipe einladen und die Kosten tragen, die Zeche
zahlen, müssen. Leider scheiterte der Plan. Um die Zeche nicht zahlen zu müssen,
suchte seine Frau ihn lange Zeit nicht. Als er dann endlich am späten Vormittag
gefunden wurde, musste Dieter Lamsfuß die Zeche selbst zahlen. Hinzu kam noch, dass
er während seiner ‚Entführung‘ viel Alkohol getrunken hatte, so dass ihm schlecht war.
Die Hochzeitstorte gemeinsam mit seiner Frau anschneiden, wie es üblich ist, konnte er
zumindest noch. Nur nicht davon essen. Stattdessen gab es für ihn Aspirin und
Zwieback.

Autorin: Heike Köppen


Redaktion: Beatrice Warken

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Glossar

Standesamt, Standesämter – eine Behörde, in der z. B. eine Ehe geschlossen wird

zum guten Ton gehören – hier redensartlich für: zeitgemäß sein, angesagt sein

Pfennig, -e (m.) – die kleinste Münzeinheit in Deutschland (bis 2002)

Mark (f., nur Singular) – eine Münzeinheit in Deutschland (bis 2002)

Sägeblatt, Sägeblätter (n.) – der Teil eines Werkzeugs (einer Säge), mit dem ein
bestimmtes Material (z. B. Holz oder Metall) in zwei oder mehr Teile geteilt wird

Gemeinheit, -en (f.) – eigentlich: eine bösartige Handlung oder Aussage; hier: ein
Scherz, um jemanden im Spaß ein wenig zu ärgern

ohne Trauschein – umgangssprachlich für: nicht verheiratet sein

jemanden freikaufen – für eine Person Geld bezahlen, so dass sie freigelassen wird

Aspirin (n., nur Singular) – ein Medikament (z. B. gegen Schmerzen, Fieber)

Zwieback, Zwiebäcke (m.) – eine brotähnlicher, meist in Scheiben geschnittener


trockener Keks, der lange haltbar ist

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Gärtnern im Großstadtdschungel

Eine grüne Idylle mitten im öffentlichen Raum einer Stadt ist keine Utopie.
Von Bürgern gemeinsam angelegte und bewirtschaftete Gärten auf
ehemaligen Brachflächen zeigen, wie es geht. Ein Beispiel aus Bonn.

Gartenarbeit steht als Freizeitbeschäftigung direkt nach dem Entspannen auf der
Beliebtheitsskala der Deutschen an zweiter Stelle. Vor allem junge Familien mit Kindern
unterschreiben einen Pachtvertrag für einen Schrebergarten und entfliehen so dem
Großstadtdschungel. Die Städter sehnen sich nach Naturerfahrung, wollen oder
können aber nicht immer weite Wege in Kauf nehmen. Doch was, wenn es keine Gärten
mehr zu pachten gibt oder man – wie in Berlin – rund drei bis fünf Jahre auf einen
Kleingarten warten muss, bevor es losgehen kann? Man nutzt einfach städtische
Flächen und legt dort einen urbanen Nutzgarten an. Das Konzept dahinter heißt „Urban
Gardening“, eine Art „Graswurzelbewegung“, die in den 1970er Jahren mit den ersten
Gemeinschaftsgärten in New York begann.

„Grassroot movements“ sind Initiativen, die ein politisches oder gesellschaftliches Ziel
verfolgen und aus der Bevölkerung heraus entstehen, um eigene Bedürfnisse und
Interessen zu stillen. Dazu gehört auch, Essbares aus eigenem Anbau ohne große
Transportwege zu produzieren. 2009 nahmen in Berlin engagierte Bürger* das Heft
in die Hand und wandelten eine verwahrloste und vermüllte Brachfläche in einen
städtischen Nutzgarten um, stellten Hochbeete auf und bepflanzten sie. Das Beispiel
machte Schule: In weiteren Städten entstanden ‚grüne Oasen‘ mitten in der Stadt. So
auch 2017 in Bonn. Dort kamen die beiden studierten Agrarwissenschaftlerinnen Imke
und Miriam auf die Idee, so was auch für die Bundesstadt umzusetzen, und riefen ihr
Projekt „StadtFrüchtchen“ ins Leben. Ein Beweggrund war für beide das Thema
Nachhaltigkeit:

„Ich wollte damals mit dem ‚StadtFrüchtchen‘ zeigen, wie nachhaltiges Leben in der
Stadt funktionieren kann und wie man zeigen kann, dass man seine eigene Umwelt
mitgestalten kann, und [ich] will mit dem ‚StadtFrüchtchen‘ auch dazu einladen, das zu
tun. / Und meine Beweggründe waren auch ’n bisschen, gerade den Städtern das auch
wieder ’n bisschen näher zu bringen, was das überhaupt bedeutet, selber Lebensmittel
anzubauen. Wie zum Beispiel eine Paprikapflanze aussieht und nicht nur die geerntete
Paprika, die man dann verpackt im Supermarkt findet.“

Es gab aber noch einen weiteren Beweggrund bei den Überlegungen, meint Imke:

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„Dass es cool wäre, in der Stadt ’nen Ort zu haben, an den man Menschen
zusammenbringen kann und denen zeigen kann, wie man Lebensmittel produziert und
mit Lebensmitteln umgeht, und wie man vielleicht auch zusammen kochen könnte und
anbauen könnte, und das auch Kindern beibringen könnte.“

„Urban Gardening“ bedeutet also auch, in Gemeinschaft zu gärtnern, voneinander zu


lernen – beispielsweise wie man ein Hochbeet richtig anlegt oder Schädlinge bekämpft
– und Zeit miteinander zu verbringen. Was dann passiert, ist nur logisch: Es entsteht
nicht nur ein Garten, sondern auch ein soziales Netzwerk um ihn herum – auch bei den
„StadtFrüchtchen“–, erzählt Imke:

„Wir haben viele Familien, die den Garten nutzen und mit den Kindern zum Spielen
kommen, auch zum Gärtnern kommen. Dann haben wir auch relativ viele Studenten,
die alle um den Garten drumrum wohnen und keinen Garten haben, die zum Sonnen
kommen oder zum Kaffeeklatsch, und die Leute von den Stadtwerken Bonn
machen da ihre Mittagspause viel.“

Die ‚grüne Oase‘ im Bonner Stadtzentrum ist ein Ort zum Entspannen, nicht nur für die
direkten Anwohner, sondern auch schon mal für Mitarbeiter der Stadtwerke Bonn,
einem kommunalen Nahverkehrs-, Versorgungs- und Entsorgungsunternehmen. Egal,
ob man sich in die Hängematte legt, in eines der aus Badewannen gebauten Sofas
setzt oder sich am Tisch zur gemütlichen Plauderei beim Kaffee, dem Kaffeeklatsch,
versammelt: Der kleine Stadtgarten bietet – neben dem Aspekt des Gärtnerns – auch
das. Probleme mit der Stadtverwaltung bei der Verwirklichung ihrer Idee hatten sie
nicht, sagt Miriam:

„Von der Stadt werden extra Flächen angeboten, die für ‚Urban Gardening‘ genutzt
werden sollen oder zur Verfügung stehen – und darüber sind wir auch darangekommen.
Wir pachten diese Fläche für ’nen relativ geringen Beitrag im Jahr und haben relativ
geringe Auflagen und können eigentlich relativ frei uns entfalten.“

Diese sogenannten „Grabelandflächen“ stehen nicht als Bauland im Bebauungsplan


der Stadt und können deshalb zur Anlage eines Stadtgartens genutzt werden. Die
Vorgaben, die Auflagen, dafür sind nicht sehr streng. So ist beispielsweise nicht
erlaubt, ein kleines Gebäude zu errichten oder einfach, ohne Absprache mit der Stadt,
Bäume und Sträucher zu pflanzen. Ansonsten dürfen sich die Stadtgärtner frei
entfalten, können tun, was sie möchten. Denn eine Initiative wie „StadtFrüchtchen“
hat auch für die Stadtverwaltung Vorteile, meint Imke:

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Alltagsdeutsch – Manuskript

„Die Stadt spart damit halt auch Geld, weil sie Pflegekosten abgeben, und dafür zahlen
wir halt etwas über 60 Euro an Pacht, und [es] ist quasi eine Win-win-Situation und
wird vom Amt für Stadtgrün unterstützt.“

Beide Seiten profitieren, es ist eine Win-win-Situation. Die Stadt bekommt eine
jährliche Pacht von 60 Euro und muss sich nicht um die Pflege der Fläche kümmern.
Und die Initiative erntet, was sie anbaut und tut etwas fürs gemeinschaftliche
Miteinander. Auch anfängliche Widerstände, negatives Feedback, aus der
Nachbarschaft konnten überwunden werden. Und das lief laut Miriam ganz von selbst:

„Am Anfang hat man ja immer noch total viel Energie, sich halt mit so was
auseinanderzusetzen, wo man dann irgendwie denkt: ‚Ja, das kann doch so nicht sein!‘
Wenn man dann irgendwann merkt, es kommt nicht noch mehr Feedback aus der
Nachbarschaft und der Großteil der Nachbarschaft ist eigentlich eher begeistert davon
oder nutzt den Garten auch, ich glaube einfach, dadurch wurde den Menschen auch
einfach der Wind aus den Segeln genommen.“

Imke und Miriam konnten die meisten Anwohner von ihrer Idee überzeugen bis
begeistern, so dass die kritischen Stimmen nach und nach verstummten. Diesen
Nachbarn wurde der Wind aus den Segeln genommen, ihren Argumenten wurde
die Grundlage entzogen. Beide sind glücklich darüber, wie sich ihre „Grasswurzel“-
Initiative“ entwickelt hat, meint Imke:

„Ich sehe, dass ganz viel Motivation auch übertragen wird an Leute, die sich in dem
Garten oder mit dem Garten auseinandersetzen oder im Garten treffen, und sehe
einfach immer so, dass die auch Lust haben, sich zu organisieren, und wirklich Spaß am
Gärtnern haben, aber auch Spaß da dran haben, so ’ne Vorbildfunktion für andere zu
sein, und dass dieser Garten zu so ’ner Plattform geworden ist, die mit so viel
Begeisterung genutzt wird.“

Dass ihr urbaner Garten eine Art Plattform, ein Versammlungsort und Treffpunkt,
geworden ist, treibt die beiden an, weiterzumachen. Sie wollen nicht nur den schon
vorhandenen Stadtgarten noch ein bisschen ausbauen, sondern vielleicht auch – wenn
die Voraussetzungen stimmen – weitere „StadtFrüchtchen“-Gärten gründen:

„Wir müssen einfach gucken, ob es überhaupt Flächen gibt, die auch uns ansprechen
würden, wo man das Konzept auch wieder ähnlich so verwirklich könnte. Aber wir sind
nicht abgeneigt. Oder? / Nein, überhaupt nicht!“

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Deutsch im Fokus
Alltagsdeutsch – Manuskript

Letztlich wäre es dann wie bei richtigen Graswurzeln: Diese breiten sich langsam
unterirdisch aus – bis eine dichte Wiese da ist. Stadtgärten sorgen nicht nur für
bessere Luft, frisches Gemüse und gute Laune, sondern dienen auch als ‚Tempel des
Wissens‘ für Groß und Klein. Eine Win-win-Situation für alle Beteiligten, inklusive des
Klimas.

Autor: Arnold Cosa


Redaktion: Beatrice Warken

____________________________________________________________
* Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird manchmal auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher
Sprachformen verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichermaßen für beiderlei Geschlecht.

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Deutsch im Fokus
Alltagsdeutsch – Manuskript

Glossar

Pacht (f., nur Singular) – eine befristete, vertraglich vereinbarte Nutzung von etwas (z.
B. Land) gegen ein Entgelt

Schrebergarten, -gärten (m.) – ein kleiner Garten, der nicht direkt am eigenen Haus
liegt und den man von einem Verein mietet

Großstadtdschungel (m., nur Singular) – umgangssprachlich für: eine hektische,


laute, undurchdringliche Großstadt mit wenig Parks, Gärten o. Ä.

das Heft in die Hand nehmen – umgangssprachlich für: Entscheidungen treffen


bzw. die Führung übernehmen

Brachfläche, -n (f.) – ein Grundstück, das nicht bearbeitet wird und ungenutzt ist

Hochbeet, -e (n.) – ein mit Erde und ggfs. anderen Materialien befüllter Kasten, der
bepflanzt werden kann

Schule machen – umgangssprachlich für: von anderen nachgeahmt werden bzw. für
andere als Vorbild dienen

Nachhaltigkeit (f., nur Singular) – hier: ein Schutz natürlicher Ressourcen durch eine
umweltschutzgerechte Produktion

Hängematte, -n (f.) – ein Tuch oder Netz, das (z. B. zwischen zwei Bäumen oder
Stangen) aufgespannt wird, um darin zu liegen

Bebauungsplan, -pläne (m.) – ein rechtsverbindlicher Plan zur baulichen


Entwicklung einer Stadt/Gemeinde, in dem bestimmte Regelungen festgeschrieben sind

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Deutsch im Fokus
Alltagsdeutsch – Aufgaben

Gärtnern im Großstadtdschungel

Aufgaben zum Text

1. Was ist richtig?


Du hast sicher gut verstanden, was im Text über das Gärtnern und die Idee
des „Urban Gardening“ gesagt wird. Lies die Aussagen und entscheide,
welche Sätze richtig sind.

a) Gartenarbeit gehört in Deutschland zu den beliebtesten Aktivitäten.


b) Viele Menschen, die in der Stadt leben, vermissen den Kontakt zur Natur.
c) Nur Familien mit Kindern können einen Schrebergarten pachten.
d) Es gibt nicht überall genug Schrebergärten für alle Interessenten.
e) „Urban Gardening“ ist eine Idee, die von Politikern in den USA entwickelt wurde.
f) In verschiedenen deutschen Städten gibt es Gärten, die gemeinschaftlich genutzt
werden.
g) Das wichtigste Ziel des „Urban Gardening“ ist es, Menschen mit kostenlosen
Nahrungsmitteln zu versorgen.

2. Prüfe dein Textverständnis


Was sagen Imke und Miriam über ihr Projekt „StadtFrüchtchen“? Wähle
die Aussagen aus, die zum Text passen. Mehrere Aussagen können richtig
sein.

1. Imke und Miriam wollen, dass die Menschen …


a) die Umgebung, in der sie leben, beeinflussen können.
b) mehr über Lebensmittel erfahren.
c) miteinander in Kontakt kommen.

2. Die Flächen, die für das Projekt genutzt werden, …


a) haben die Mitglieder der Initiative gemeinsam gekauft.
b) werden von der Stadt kostenlos zur Verfügung gestellt.
c) kann die Initiative zu einem sehr günstigen Preis nutzen.

3. Die Menschen, die in der Nähe des Gartens wohnen, …


a) waren sofort vom Projekt „StadtFrüchtchen“ begeistert.
b) mussten zum Teil erst von der Idee überzeugt werden.
c) machen inzwischen in großer Zahl bei dem Projekt mit.

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Deutsch im Fokus
Alltagsdeutsch – Aufgaben

3. Übe die Komposita


Welche Komposita passen in die Sätze? Setz die Wortteile unten richtig
zusammen und schreib sie in die Lücken.

Kaffee- -form
Platt- -vertrag
Schreber- -matte
Hänge- -klatsch
Pacht- -garten

1. Jeden Sonntagnachmittag trifft sie sich mit ihren besten Freundinnen zum
_______________.
2. Im Sommer liege ich am liebsten in einer _______________ im Garten.
3. Für viele Menschen, die in der Stadt leben, ist ein _______________ ihr kleines
grünes Paradies.
4. Wer wenig Ahnung vom Gärtnern hat, kann sich auf einer _______________ im
Internet Tipps von erfahrenen Gartenfreunden geben lassen.
5. Um ein Stück Land nutzen zu dürfen, schließt man einen _______________ mit
dem Besitzer ab.

4. Welches Verb passt?


Im Text kommen einige feste Ausdrücke vor, die ein bestimmtes Verb
verlangen. Erinnerst du dich? Lies die Sätze und wähl das passende Verb
aus.

1. Die Gartengeräte _______________ [stehen/sind/geben] jedem zur Verfügung,


der im Gemeinschaftsgarten arbeiten möchte.
2. Einem Menschen, der Streit sucht, kann man oft durch Freundlichkeit den Wind
aus den Segeln _______________ [holen/nehmen/ziehen].
3. Man braucht Zeit und Energie, um ein neues Projekt ins Leben zu
_______________ [bringen/rufen/machen].
4. In den 1970er-Jahren waren Bioläden etwas Neues, aber inzwischen hat das
Beispiel Schule _______________ [gemacht/genommen/gebracht].
5. Damit ein Projekt Fortschritte macht, braucht man jemanden, der das Heft in die
Hand _______________ [legt/schlägt/nimmt].

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Deutsch im Fokus
Alltagsdeutsch – Aufgaben

5. Sag es anders!
Formuliere die Sätze so um wie im Beispiel. Verwende „es gibt/gibt es“ +
„zu“ + Infinitiv. In jede Lücke gehören zwei Wörter.

Beispiel:
Nicht überall kann man Schrebergärten pachten.
Nicht überall gibt es Schrebergärten zu pachten.

1. In der Gärtnerei kann man viele verschiedene Pflanzen kaufen.


In der Gärtnerei _______________ viele verschiedene Pflanzen
_______________.
2. Bei der Mitgliederversammlung muss heute viel besprochen werden.
Bei der Mitgliederversammlung _______________ heute viel
_______________.
3. Man muss immer etwas tun, wenn man einen Garten hat.
_______________ immer etwas _______________, wenn man einen Garten
hat.
4. Kinder und Erwachsene können im Gemeinschaftsgarten eine Menge lernen.
Für Kinder und Erwachsene _______________ im Gemeinschaftsgarten eine
Menge _______________.

Autorin: Anja Mathes


Redaktion: Beatrice Warken

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Deutsch im Fokus
Alltagsdeutsch – Aufgaben

Zu Besuch auf dem „Zauberberg“

Hier die Aufgaben zur Alltagsdeutsch-Lektion „Zu Besuch auf dem


‚Zauberberg‘“.

1. Teste dein Textverständnis


Du hast den Text bestimmt gut verstanden. Lies nun die Aussagen und entscheide, ob
die Information richtig, falsch oder ohne Angabe im Text ist.

1. Das Berghotel Schatzalp war früher eine Heileinrichtung für reiche Patienten, die in
ein besonderes Sanatorium wollten und daher nach Zürich kamen.
a) richtig
b) falsch
c) ohne Angabe

2. Besonders die saubere Bergluft war für viele Patienten eine große Hilfe, da sie im
Sanatorium im Vergleich zur Stadt viel freier und besser atmen konnten.
a) richtig
b) falsch
c) ohne Angabe

3. Das Hotel nutzt die Geschichte des Hauses und benennt daher verschiedene
Hotelzimmer und Etagen nach berühmten Patienten und Ärzten, die vor vielen
Jahren dort waren.
a) richtig
b) falsch
c) ohne Angabe

4. Für Thomas Manns Buch „Der Zauberberg“ diente das jetzige Hotel Schatzalp als
Vorlage, was durch bestimmte Details deutlich wird.
a) richtig
b) falsch
c) ohne Angabe

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Deutsch im Fokus
Alltagsdeutsch – Aufgaben

2. Übe den Konjunktiv II der Vergangenheit


Im Konjunktiv II der Vergangenheit stehen im Hauptsatz hätte oder wäre an 2. Position
und das Partizip II am Ende des Satzes.
Im Nebensatz steht das konjugierte Verb normalerweise am Ende. Aber handelt es sich
um einen Nebensatz mit Modalverb, so kommt hätte oder wäre ausnahmsweise vor
Modalverb und zweitem Verb, die beide im Infinitiv stehen. Setz die Verben korrekt in
die Lücken ein.

Anne: „Was _______________ du _______________ (machen), wenn du damals


Thomas Mann im Sanatorium _______________ _______________ (treffen)
_______________ (können)?“

René: „Oh, ich glaube, ich _______________ ihn ganz viel _______________
(fragen), und ich _______________ mit ihm Ski _______________ (fahren).“

Anne: „Wirklich Ski?! Dann _______________ du aber _______________


(aufpassen) _______________ (müssen) – es _______________ nicht gut
_______________ (sein), wenn deinetwegen Thomas Mann einen schlimmen Unfall
_______________ (haben) _______________!“

René: „Du meinst, wir _______________ erst mal einen Skikurs


_______________ (besuchen) _______________ (sollen)?“

Anne: „Wäre sicher gut gewesen.“

3. Übe die „n“-Deklination


Wie du sicher weißt, gibt es bei einigen Nomen, die fast immer maskulin sind, die
Besonderheit der „n“-Deklination. Wähl aus, was richtig ist.

Der Arzt besuchte den (1) Patient___ (-/-n/-en) (2) Herr___ (-/-n/-en) Silbermann in
seinem (3) Zimmer___ (-/-n/-en) und bat seinen (4) Praktikant___ (-/-n/-en) alles
aufzuschreiben. Denn die Notizen sollten an den (5) Kollege___ (-/-n/-en) in Basel
geschickt werden. Der (6) Patient___ (-/-n/-en) hatte seit Jahren (7) Probleme___ (-/-
n/-en) mit dem (8) Herz___ (-/-n/-en). Daher sollte keine (9) Information___ (-/-n/-
en) verloren gehen.

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Deutsch im Fokus
Alltagsdeutsch – Aufgaben

4. Übe Partizipien als Adjektive


Wie heißen die Verben in Klammern als Partizip II? Achte auf die richtige
Adjektivendung. Trage die richtige Lösung ein.

1. In unsere Ferienwohnung scheint erst spät am Abend die Sonne. Bei der nächsten
Buchung achte ich darauf, eine Wohnung mit einem nach Süden
__________________ (ausrichten) Balkon zu reservieren.
2. Für seinen Beruf als Historiker wird ein __________________ (abschließen)
Studium vorausgesetzt.
3. Der durch die schlechte Luft __________________ (verursachen) Schaden ist
riesig.
4. Obwohl wir drei Wochen in der Bergluft Urlaub gemacht haben, kam es zu keiner zu
__________________ (erwarten) Besserung.
5. Vielen Touristen gefällt das Berghotel wegen seiner bunt __________________
(beleuchten) Innenräume besonders gut.

5. Übe Präpositionen
„Wegen, auf, aus, vor“: Welche Präposition passt? Trag ein.

1. Warum fährt die Seilbahn nicht hoch zum Hotel? ______________ des Schnees.
2. Komm, wir gehen ins Hotelrestaurant, ich sterbe fast ______________ Hunger.
3. Warum war sie im Luxussanatorium? ______________ gesundheitlichen
Gründen.
4. Ich habe das Hotel ______________ einen Tipp meines Bruder hin gefunden.
5. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben ______________ Anweisung der
Hotelleitung gehandelt.
6. Alle Zimmer sind ______________ der Feiertage ausgebucht.

Autorin: Anja Hütten


Redaktion: Beatrice Warken

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Zu Besuch auf dem „Zauberberg“

Das Berghotel Schatzalp oberhalb von Davos in den Schweizer Bergen war
einst ein Luxussanatorium. Nur war es auch das Sanatorium aus Thomas
Manns Meisterwerk „Der Zauberberg“? Eine Spurensuche.

Eine Standseilbahn führt von Davos, Europas höchst gelegener Stadt in den Schweizer
Alpen, mehr als 300 Meter hinauf auf die Schatzalp. Direkt an der Bergstation in 1861
Metern Höhe befindet sich ein langgestrecktes Gebäude mit flachem Dach und
extragroßen, nach Süden ausgerichteten Holzbalkonen. Als der Jugendstilbau im Jahr
1900 eröffnet wurde, galt er als die fortschrittlichste Heilstätte der Region, erzählt
Lokalhistoriker Klaus Bergamin:

„Ein Luxussanatorium der Extraklasse für die damalige Gesellschaft. Da waren die
ganz Reichen.“

Die Patienten kamen in das Sanatorium, eine krankenhausähnliche Einrichtung, um


sich von der Tuberkulose heilen zu lassen, einer durch Bakterien verursachten
Krankheit, die meist die Lunge betraf. Den Aufenthalt konnten sich jedoch nur
diejenigen leisten, die betucht waren. Deshalb war es laut Klaus Bergamin ein
Sanatorium der Extraklasse, eines, das mehr bot als normale Heilstätten. Die
Tuberkulosekranken mussten täglich mehrere Stunden auf den Balkonen in der Sonne
liegen und die Bergluft einatmen. Sie galt als Heilmittel, denn man hatte etwas
festgestellt, so Klaus Bergamin:

„Dass wir erstens mal keine Milben hier oben haben, dass wir praktisch keine Pollen
hier haben. Wir haben praktisch keine Laubbäume, und die Gräser haben ja auch
Pollen, aber drum können wir nicht sagen, es hätte keine, es hat wenig Pollen. Und dann
vor allem das austrocknende Nord-Süd-Klima. Das waren vor allem die Faktoren, die
eben heilend wirkten.“

Zwei Faktoren sorgten für eine zu erwartende Heilung: Das Klima und die Bergluft, die
weitgehend frei von allergieauslösenden Substanzen wie Milben, winzige,
spinnenähnliche Tiere, oder Blütenstaub, Pollen, ist. Als aber Ende der 1940er-Jahre
Antibiotika gegen Tuberkulose auf den Markt kamen, verlor die Davoser
Berglufttherapie an Bedeutung. 1953 wurde aus dem Sanatorium das Schatzalp-Hotel.
Trotz Umbau behielt das Gebäude seinen ursprünglichen Charakter. So sieht zum
Beispiel der Speisesaal noch immer aus wie im 19. Jahrhundert. Auch manches
Möbelstück ist geblieben, sagt Hoteldirektor Mark Lindner:

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„Die alten Tische sind noch Originale. Das ist wunderbar auch zu erkennen an den
gusseisernen Füßen.“

An die Zeit als Sanatorium erinnern nicht nur die Originaltische mit ihren Füßen aus
Gusseisen, einem harten, spröden Metall, sondern auch die Hotelbar mit ihren bunt
beleuchteten Milchglasscheiben an der Wand. In Anlehnung an die frühere Nutzung
des Raumes hat man die Bar ‚X-Ray-Lounge‘ genannt, also ‚Röntgen-Lounge‘. Mark
Lindner beschreibt, wie der Raum damals aussah:

„Man hat also hier ein Röntgengerät drin gehabt, und die Wände, die es hier noch zu
sehen gibt, die sind beleuchtbar – vielleicht damals in ’ner anderen Farbe. Da hat man
dann die Röntgenbilder angeschaut.“

Ein Original-Fahrstuhl mit schweren Gittertüren bringt die Gäste auf die Etagen mit
den Hotelzimmern. Auch hier, in den Gästezimmern und Gängen erinnert viel an die
Zeit des Hauses als Sanatorium, so Mark Lindner:

„Ja, das ist natürlich in der Baustruktur in vielen Dingen zu erkennen. Ein wunderbares
Beispiel sind die breiten Gänge. Die hat man natürlich gebraucht, um einfach auch die
Betten über die Gänge rollen zu können. Die breiten Türen sind ’n weiteres Beispiel. Das
sind Dinge, die sind natürlich aus diesem Grunde entstanden und die sind auch heute
noch sichtbar.“

Ein solches Haus muss Thomas Mann vor Augen gehabt haben, als er in seinem
Meisterwerk „Der Zauberberg“ beschrieben hat, wie seine Romanfigur Hans Castorp die
abgeschlossene Welt eines Hochgebirgssanatoriums erlebt hat. Dieser Hans Castorp,
der ins Sanatorium Berghof reist, um seinen Vetter zu besuchen, dann aber doch sieben
Jahre bleibt – aus unterschiedlichen Gründen. Einer davon: die attraktive, kapriziöse
28-jährige Russin Madame Chauchat, die gern ihren ‚Auftritt‘ hat und immer zu spät
zum Abendessen kommt. Aber ist das heutige Hotel Schatzalp tatsächlich die
Zauberberg-Klinik? Mark Lindner sagt: ‚Ja‘ – und er sagt auch, warum:

„Das erste ist, die Schatzalp ist das einzige Haus in Davos, was wirklich namentlich
erwähnt ist im ‚Zauberberg‘. Das zweite ist: Es gibt Details aus dem Haus, die auch im
‚Zauberberg‘ auftauchen. Zum Beispiel ist das die Tür des Speisesaals. Es gibt da die
Dame, die abends immer zu spät zum Essen kommt und die Tür hinter sich lautstark
zufallen lässt – und das ist die Tür, vor der wir stehen.“

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Alltagsdeutsch – Manuskript

Etwas anders fällt die Antwort des Lokalhistorikers Klaus Bergamin aus. Seiner
Meinung nach hat Thomas Mann im „Zauberberg“ eine Phantasiewelt aufgebaut, die
sich stark an verschiedenen Originalplätzen von Davos orientiert:

„Ich glaube, es war vor allem das Waldsanatorium. Und er hat aber nie gesagt, es sei das
Waldsanatorium oder eben die Schatzalp, wo er jeden Tag hinaufging. Er hat da gesagt,
es sei das Sanatorium Berghof, denn er hat immer Angst gehabt vor den Juristen, dass
man ihn da belangen könnte, wenn er etwas Falsches sagen würde, und deswegen hat
er gesagt: Sanatorium Berghof. Fertig.“

Der Lokalhistoriker meint, Thomas Mann habe sich namentlich gar nicht festlegen
wollen, weil er befürchtet hat, juristisch zur Verantwortung gezogen und gegebenenfalls
sogar verklagt zu werden. Er wollte rechtlich nicht belangt werden. Klaus Bergamin
empfiehlt deshalb Thomas-Mann-Freunden, bei einem Davos-Besuch zu mehreren
Orten zu pilgern – sowohl zum Waldhotel – dem ehemaligen Waldsanatorium –, als
auch auf die Schatzalp. Denn nur dort könne man heute noch erleben, wie die
Atmosphäre zur Zeit der legendären Davoser Heilanstalten war.

Autoren: Dietrich Karl Mäurer, Beatrice Warken


Redaktion: Stephanie Schmaus

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Alltagsdeutsch – Manuskript

Glossar

Jugendstil (m., nur Singular) – eine kunstgeschichtliche Epoche in Europa (Ende des
19./Anfang des 20. Jahrhunderts)

Lokalhistoriker, -/Lokalhistorikerin, -nen – jemand, der ehrenamtlich die


Geschichte der heimatlichen Umgebung erforscht

betucht – umgangssprachlich für: sehr reich

Antibiotikum, Antibiotika (n.) – ein Medikament gegen Krankheiten, die durch


Bakterien verursacht werden

spröde – hier: so, dass ein Material hart und unelastisch ist

Milchglas (n., nur Singular) – hier: Glas, das weißlich und undurchsichtig ist

Lounge, -s (f., aus dem Englischen) – ein Aufenthaltsraum (z. B. in einem Hotel)

kapriziös – (meist bei Frauen) sehr eigenwillig; launenhaft

zu einem Ort pilgern – hier umgangssprachlich für: einen besonderen Ort


aufsuchen, der für etwas sehr bekannt ist

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Deutsch im Fokus
Alltagsdeutsch – Manuskript

Adventskalender in der DDR

In der ehemaligen DDR war er nicht gern gesehen: der Kalender, der
Kindern die Wartezeit bis Heiligabend verkürzen soll. Nur ganz wenige
Verlage durften Adventskalender produzieren – möglichst ohne christliche
Motive.

Schon seit dem 19. Jahrhundert gehört er zum christlichen Brauchtum in der
Adventszeit: der mit unterschiedlichen Motiven bedruckte Pappkalender mit seinen von
1 bis 24 nummerierten Türchen. Diese kalendarischen Adventskalender sollen vor allem
Kindern die Wartezeit bis zur eigentlichen Bescherung am 24. Dezember versüßen.
Im bis 1990 geteilten Deutschland präsentierte sich bei der Adventskalender-Tradition
ein völlig unterschiedliches Bild: Für die Westdeutschen waren sie überall käuflich, in
der DDR aber nicht. Denn für den sogenannten real existierenden Sozialismus, ein
politisches System mit einer autokratischen Ein-Parteien-Herrschaft und einer
Planwirtschaft, stellte der bunt bedruckte Bogen Pappe eine Bedrohung dar, weil er
Symbolbild für die christlichen Wurzeln des Weihnachtsfests war. Und das passte nicht
in das verordnete Selbstverständnis des Arbeiter-und-Bauernstaats, so die
Kunsthistorikerin Renate Kroll:

„Weil er sich eben als atheistisch erklärte und eben das Weihnachtsfest abschaffen
wollte. ‚Ohne Gott und Sonnenschein bringen wir die Ernte ein‘ war zum Beispiel so ein
Kernspruch dieses Staates. Der hatte natürlich auch nichts mit Weihnachten im Sinn
und mit Christgeburt und Erlöser und so weiter. Das war ihm natürlich ganz furchtbar,
konnte das aber nicht ganz abschaffen, so von heute auf morgen, weil er dann die
ganzen Kirchen gegen sich gehabt hätte.“

Die DDR-Führung glaubte nicht an eine höhere Macht, an einen Gott oder gar einen
Sohn Gottes, einen Heiland, jemanden also, der die Menschen von ihren Sünden
erlöste: Der Staat erklärte sich für atheistisch. Christen, die offen ihren Glauben
praktizieren wollten, hatten im DDR-System keinen Platz. Tat es doch jemand, etwa
indem sich ein Jugendlicher gegen die Jugendweihe und für eine Konfirmation
entschied, wurde er schikaniert oder verfolgt. Öffentlich gegen den christlichen
Glauben vorzugehen, konnte sich die DDR-Führung, so Renate Kroll, allerdings nicht
erlauben.

Deshalb durften auch Adventskalender produziert werden, die allerdings nicht so


genannt werden durften. Stattdessen hießen sie „vorweihnachtliche Kalender“. Auch
bei der Gestaltung setzte sich die atheistische Haltung durch. Die Motive waren weltlich,

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Alltagsdeutsch – Manuskript

stellten eine heile Welt dar und erinnerten nicht an den christlichen Ursprung des
Weihnachtsfests. So verbarg sich hinter der Tür des 24. Dezembers häufig der
Weihnachtsmann statt des Christkinds oder eine Winterlandschaft. Platzhirsch unter
den Verlagen war der Berliner Planet-Verlag, der von verschiedenen Künstlern
gestaltete Kalender herausgab. Das konnte ein durchaus riskantes Unterfangen
sein, sagt Renate Kroll:

„Denn für die Künstler war das – im Gegensatz zu Westdeutschland – mit ihrer Existenz
verbunden. Wer sich zu weit hinauslehnte und christlich so exponierte Dinge
schuf, der war für den Staat unmöglich. Der kriegte keine staatlichen Aufträge mehr.
Und die Verlage hatten eben das kontingentierte Papier. Also sie konnten nur eine
gewisse Anzahl von Künstlern wirklich ernähren. Und für die anderen war es eben ein
Wagnis.“

Die Künstler durften sich laut Renate Kroll nicht zu weit hinauslehnen
beziehungsweise aus dem Fenster lehnen; sie durften ihren Glauben in der
Gestaltung eines Kalenders nicht klar zum Ausdruck bringen. Denn wer eindeutig,
exponiert, christliche Motive wählte, war für die Staatsführung nicht tragbar,
unmöglich, und musste damit rechnen, keine weiteren Aufträge mehr zu erhalten. Da
die Verlage nur eine bestimmte Menge an Papier erhielten – sie war kontingentiert –,
wurde natürlich abgewogen, welche Künstler beschäftigt wurden.

Allerdings bekamen 1973 zwei christliche Verlage, der Oberlausitzer Kunstverlag


Ebersbach und der Wartburg Verlag Max Keßler in Jena, dann doch die Erlaubnis, das
Christkind und die Heiligen Drei Könige darzustellen. Sie produzierten Adventskalender
mit christlichen Motiven, allerdings aufgrund des staatlichen Drucks nur in ganz
geringer Stückzahl. Die Motivwahl der Künstler brachte ihre christliche Überzeugung
zum Ausdruck, sagt Renate Kroll:

„Dass die Künstler die Kinder zur Krippe führen wollten, nicht durch ’ne Stadt an
möglichst vielen Geschenkebuden vorbei, sondern zur Krippe. Es wurde der Weg nach
Bethlehem thematisiert – der eigene Weg des Kindes, also was kann ich jetzt tun, um
den Heiland zu empfangen. Und man konnte dann an allen möglichen Stellen diesen
Kalender aufmachen und sah dann, was jeder so mitbrachte zur Kirche, zum Christkind,
was er ihm schenken wollte.“

Anders als bei den weltlich geprägten Adventskalendern, wo Kinder etwa an


Verkaufsständen, Buden, vorbeilaufen, standen für die christlich geprägten Künstler
Motive im Vordergrund, die mit der Advents- und Weihnachtszeit zu tun haben. Dazu

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Alltagsdeutsch – Manuskript

gehört beispielsweise das Motiv der Krippe, dem Stall in Bethlehem im damaligen
Judäa, dem heutigen Westjordanland. Zur Krippe gehören unter anderem das
neugeborene Jesuskind, seine Eltern Maria und Josef, sowie ein Ochse und ein Esel.
Einer von Renate Krolls Lieblingskünstlern ist der Maler und Grafiker Helmut Rudolph:

„Man merkt eben seinen Sachen richtig an, dass er seine Kinder nicht in diesem
atheistischen Staat Atheisten werden lassen wollte, sondern dass er sie bei der Hand
nahm und zur Krippe führte. Und das hat er jedes Jahr mit einem anderen Thema
versucht, zum Beispiel ganz beliebt in der Familie ist der ‚Adventsgarten‘. Da hat er die
Bibel konsultiert und Pflanzen rausgeschrieben, die in der Weihnachtsgeschichte
vorkommen und hat diese in diesen Garten eingebaut. Wenn man eben an einem
bestimmten Tag das Türchen öffnete, dann sah man dahinter eben die Pflanze und die
Bibelstelle. Und es war richtig etwas, um die Kinder zu bilden, um denen das geistige
Rüstzeug zu geben.“

Die von Helmut Rudolph gestalteten Adventskalender hatten einen pädagogischen


Ansatz: Sie sollten, so Renate Kroll, Kindern in Religionsfragen ein geistiges
Rüstzeug geben, Kenntnisse und Wissen vermitteln über Dinge, die für ihr künftiges
Leben wichtig sind. Er nahm sie so im übertragenen Sinn an die Hand, leitete sie. Ein
Beispiel ist für Renate Kroll der Kalender „Adventsgarten“. Dort sind die Heiligen Drei
Könige zu sehen, die sich – geleitet vom Stern aus dem Morgenland – mit Geschenken
einer Kirche nähern. Diese steht inmitten von Pflanzen, die in den biblischen
Erzählungen zur Geburt Jesu, der Weihnachtsgeschichte, vorkommen. Wer ein
Türchen öffnet, findet dahinter die passende Stelle in der Bibel, wo die Pflanze erwähnt
wird.

Genau betrachtet ist die Entwicklung der Adventskalender im geteilten Deutschland


eigentlich doch nicht so verschieden gewesen: Denn die Entwicklung weg vom
christlichen Motiv, die früher in der DDR ideologisch begründet war, breitete sich auch
in Westdeutschland aus – bis hin zur rein kommerziellen Ausprägung im
wiedervereinigten Deutschland.

Autor/Autorin: Oliver Jeske, Beatrice Warken


Redaktion: Suzanne Cords

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Deutsch im Fokus
Alltagsdeutsch – Manuskript

Glossar

Bescherung (f., nur Singular) – hier: das Austeilen und Auspacken der Geschenke an
Weihnachten

autokratisch – so, dass jemand (z.B. eine Person/ein Staat) allein unkontrolliert
Macht ausübt

Planwirtschaft (f., nur Singular) – eine Wirtschaftsordnung, in der eine zentrale


Stelle den gesamten wirtschaftlichen Prozess nach bestimmten Zielvorstellungen plant,
lenkt und verwaltet

Arbeiter- und Bauernstaat (m., nur Singular) – hier: die Selbstbezeichnung der
Deutschen Demokratischen Republik für ihren Staat

Jugendweihe, -en (f.) – eine typisch ostdeutsche Feier, bei der Jugendliche, die nicht
in der Kirche sind, den Beginn des Erwachsenenalters feiern

Konfirmation, -en (f.) – eine Feier der evangelischen Kirche, bei der Jugendliche in
die Gemeinschaft der erwachsenen Christen aufgenommen werden

jemanden schikanieren – jemandem durch bestimmte Maßnahmen Schwierigkeiten


bereiten; quälen

Platzhirsch, -e (m.) – umgangssprachlich für: jemand, der in einem Bereich führt

ein riskantes Unterfangen sein – umgangssprachlich für gefährlich sein

etwas ab|wägen – mehrere Möglichkeiten vergleichen und sorgfältig prüfen

Oberlausitz (f.) – eine Region im Osten Deutschlands

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Deutsch im Fokus
Alltagsdeutsch – Aufgaben

Adventskalender in der DDR

Aufgaben zum Text

1. Prüfe dein Textverständnis


Du hast sicher alles gut verstanden! Wähle die richtige Option aus.

1. Die DDR war gegen Religion, da sie ...


a) eine konkurrierende Struktur zum Staat darstellte.
b) die Menschen zu sehr vom Staat ablenkte.

2. Die Kunsthistorikerin Renate Kroll erinnert sich, dass ...


a) die Regierung der DDR Schritt für Schritt den Einfluss der Kirche minimieren
wollte.
b) die Konfirmation verboten und dafür die Jugendweihe flächendeckend eingeführt
wurde.

3. Religiöse Begriffe ...


a) wurden genauso wie religiöse Traditionen verboten.
b) waren in der DDR verpönt und wurden durch eine andere Wortwahl ersetzt.

4. Der Papiermangel in der DDR führte dazu, dass ...


a) sich viele Künstler bei ihrem Schaffensprozess zurückhielten und gehorsam waren.
b) viele DDR-Künstler rebellierten und öffentlich für ihre Rechte als Künstler
eintraten.

5. Dem Maler und Grafiker Helmut Rudolph …


a) bedeutete Religion und damit auch das Weihnachtsfest als Geburt Jesu sehr viel.
b) gefiel die Idee, weltliche Motive zu malen, da er Religion als Privatsache sah.

2. Teste deinen Wortschatz


In jeder Reihe hat sich ein unpassendes Wort versteckt. Finde es und wähl
es aus.

1.
a) Planwirtschaft
b) Arbeiter- und Bauernstaat
c) Kirche

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Deutsch im Fokus
Alltagsdeutsch – Aufgaben

d) DDR
e) Sozialismus
f) Einheitspartei

2.
a) Advent
b) Weihnachten
c) Geburt Jesu
d) Atheismus
e) Krippe
f) Heiland

3.
a) Verbot
b) Verlag
c) Produktion
d) Stückzahl
e) Autor
f) Medien

4.
a) jmd. Schikanieren
b) gegen jmd. Vorgehen
c) jmd. Bestrafen
d) jmd. Unterdrücken
e) jmd. Einschränken
f) jmd. Aufmuntern

5.
a) deutlich
b) unscheinbar
c) offenkundig
d) eindeutig
e) in aller Klarheit
f) herausgehoben

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Deutsch im Fokus
Alltagsdeutsch – Aufgaben

3. Welche Begriffe gehören zueinander?


Finde zu den jeweiligen Ausdrücken den passenden (umgangssprachlichen)
Begriff. Ordne zu.

1. Künstler, Künstlerin a) Bude


2. Kiosk b) Bescherung
3. böswillige Quälerei c) kreativer Freigeist
4. weihnachtliche Geschenkefeier d) Schikane
5. die Nummer 1 e) Platzhirsch

4. Übe den Genitiv


Häufig wird der Dativ verwendet, obwohl man eigentlich den Genitiv
braucht. Forme die Sätze so um, dass du eine Genitivkonstruktion nutzt.

1. Das Papier von diesem Kalender hat der Verlag bereits gehabt.
____________ ____________ ____________ ____________ hat der
Verlag bereits gehabt.

2. Der Lieblingskünstler von Frau Kroll ist Helmut Rudolph.


____________ ____________ ____________ ist Helmut Rudolph.

3. Die Motive von Weihnachtskalendern werden immer weltlicher.


____________ ____________ ____________ ____________ werden
immer weltlicher.

4. Die Zahl von den Türchen zeigt das Datum zum Öffnen.
____________ ____________ ____________ ____________ zeigt das
Datum zum Öffnen.

5. Die Bescherung von den Kindern findet am 24. Dezember statt.


____________ ____________ ____________ ____________ findet am
24. Dezember statt.

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Deutsch im Fokus
Alltagsdeutsch – Aufgaben

5. Übe den Dativ und Akkusativ


„Wo“ oder „Wohin“? Wähle den Artikel im richtigen Fall.

Ich hänge den Adventskalender an _____ (die/der) Wand. Und betrachte ihn. Auf
_____ (den/dem) Kalender sieht man ein Dorf im Winter, auf _____ (die/den)
Dächern liegt Schnee. Neben _____ (eine/einer) Kirche ist ein kleiner See, der
zugefroren ist. Auf _____ (ihn/ihm) fahren Kinder fröhlich Schlittschuh. Ein Junge
wirft _____ (einen/einem) Schneeball in _____ (eine/einer) Gruppe Menschen und
lacht. Die Erwachsenen schauen _____ (ihn/ihm) böse an.
Ich mag _____ (meinen/meinem) Adventskalender! Er bringt mich in weihnachtliche
Stimmung.

Autorin: Anja Hütten


Redaktion: Beatrice Warken

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Deutsch im Fokus
Alltagsdeutsch – Manuskript

Bal Folk: Keiner tanzt allein

Sie sind etwas für Jung und Alt: folkloristische Gesellschaftstänze zu


Livemusik. Jeder kann mitmachen, die Schritte sind leicht zu lernen – und
man braucht keinen festen Tanzpartner.

Sobald die Musik zum Reihentanz „An-dro“ erklingt, bewegen sich über 100 Leute
Hand in Hand in einer langen Kette seitwärts übers Parkett und drehen sich dabei
immer wieder schneckenförmig in- und auseinander. Der Bal Folk, ein
folkloristischer Tanzabend, hat viele Anhänger*, darunter auch die Mittzwanzigerin
Lena:

„Es ist halt so ’n Typ Tanz. Wenn es einem beim ersten Mal gefällt, bleibt man dabei.
Also, es ist vielleicht nicht gerade ’ne Sucht, aber es ist ein sehr, sehr angenehmes
Klima. Man fühlt sich furchtbar wohl, wenn einem die Musik gefällt, und ich bin einfach
dabei geblieben.“

Mit 18 Jahren lernte Lena Bal Folk in ihrer Heimat Sachsen kennen. Dort gibt es – wie
in einigen weiteren Bundesländern – regionale Bal Folk-Gruppen. Als Studentin
organisierte sie später zusammen mit einer Kommilitonin in einem Bochumer
Studentenwohnheim Bal Folk-Veranstaltungen, zu denen immer mehr Studierende
kamen. Der Begriff „Bal Folk“ setzt sich zusammen aus dem französischen Wort für
„Tanzveranstaltung, Ball“ und dem englischen Begriff „Folk“ für „Volk“. Beim Folk
werden traditionelle Musikstücke eines Landes rhythmisch und melodisch neu
arrangiert und auf besonderen Instrumenten gespielt.

Die Grundtänze, zu denen während eines Abends getanzt wird, tragen für
Außenstehende so ungewöhnliche Namen wie Mazurka, Bourrée, An-dro und
Fröhlicher Kreis. Oft wird das Tanzbein auch zur schwedischen Polska, zum
Zwiefacher oder Menuett geschwungen. Schon vor Jahrhunderten waren diese
Tänze in verschiedenen Ländern Europas sehr populär, denn vom Grundschritt her sind
sie so einfach, dass jeder sie sofort mittanzen kann.

Begeisterte Anhänger hat Bal Folk nicht nur in Deutschland, sondern auch anderswo. In
den Niederlanden heißen die Volkstanzbälle „Bals“, in der Bretagne „Fest-Noz“, in
Belgien „Boom Bal“. Im Gegensatz zu Tanzabenden, auf denen Standard und Latein
getanzt wird, braucht man beim Bal Folk keinen festen Tanzpartner mitzubringen.
Fabian aus Köln findet das sehr gut:

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Deutsch im Fokus
Alltagsdeutsch – Manuskript

„Es gibt einfach in unserer Gesellschaft gar nicht mehr so viele Momente eigentlich, wo
man mit anderen Menschen, die man nicht unbedingt vorher kennt, wirklich ja auch
Berührungskontakt hat, ohne dass es irgendwie anzüglich ist, oder so. Hier bei
den Gruppentänzen tanzt man zehn, 20 Sekunden immer mit unterschiedlichen Leuten,
die man vorher noch nie gesehen hat. Und das finde ich was total Schönes. Es wird
keiner ausgeschlossen. Es geht nicht darum, was man anhat oder wie man aussieht oder
was man irgendwie kann oder nicht kann, sondern es ist was Offenes für alle, die auch
zum ersten Mal dazustoßen.“

Das Zwanglose beim Bal Folk gefällt Fabian besonders gut. Selbst als Neuling, als
jemand, der zum ersten Mal kommt, dazustößt, wird man vorbehaltlos empfangen.
Weil bei mehreren Tänzen sowieso alle paar Takte ein Partnerwechsel stattfindet, lernt
man im Laufe eines Tanzabends beinahe alle anderen Teilnehmer kennen, hat
Berührungskontakt. Als anzüglich, unanständig, wird das nicht empfunden, weil es
einfach dazugehört. An einer Tanzveranstaltung können schon mal ein paar 100 Leute
teilnehmen. Im Laufe des Abends entsteht dann eine geradezu familiäre Atmosphäre im
Ballsaal oder Festzelt.

Eine wunderbare Erfahrung ist für viele auch, dass Bal Folk eine
generationsübergreifende Veranstaltung ist. Hier ist es nicht ungewöhnlich, dass
Männer Ende 20 mit Damen tanzen, die ihre Großmütter sein könnten. Johannes aus
Köln freut sich darüber, dass zunehmend auch junge Leute Gefallen an Bal Folk und
dessen Musik finden:

„Ich bin schon seit fast 30 Jahren bei dieser Musik und hatte lange Jahre das Gefühl,
dass wir alle gemeinsam alt werden in dieser Folkszene. Das ist glücklicherweise anders
geworden. Ich denke vor allen Dingen, dass es auch jetzt viele junge Leute gibt, die diese
Musik machen. Das zieht auch junges Publikum dazu, die dann eben auch erleben, dass
es so Spaß macht. Und dass es eben auch Spaß macht, altersübergreifend was
gemeinsam zu machen, gemeinsam zu tanzen.“

Für Neulinge kann es allerdings manchmal schon befremdlich sein, wenn Männer in
Jeans oder Cordhosen um Frauen herumtanzen, die fast alle Röcke oder Kleider tragen.
Schon bald überträgt sich aber der Spaß an der Sache und das viele Lachen auf alle im
Raum. Die gute Stimmung entsteht auch dadurch, dass die Musik zum Tanz
grundsätzlich live ist. Die Bands spielen mit einer mittelalterlichen Drehleier oder
einem Dudelsack. Aber auch Violine, Akkordeon, Harfe, Flöte und Klarinette
oder die schwedische Schlüsselfidel Nyckelharpa sind Standardinstrumente. Für
Matthias, der selbst Dudelsack spielt, macht gerade das den Reiz der Bal Folk-

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Alltagsdeutsch – Manuskript

Veranstaltungen aus:

„Anfangs war das Interesse für traditionelle Musik, für alte Musik da. Aber für mich ist
es eben auch ’ne Alternative zur Disko. Ich geh nicht mehr gern in die Disko, ich tanz
aber gerne und kann mir mittlerweile auch nicht mehr vorstellen, zu Musik vom Band
zu tanzen. Für mich ist einfach der Luxus, zu Livemusik zu tanzen, Alltag geworden.“

Matthias ging früher gern in die Disko, wo ein DJ Musik abspielt. Sie kommt vom
Band. Dass es jetzt Musiker gibt, die live spielen, empfindet er als Luxus, als etwas
Besonderes.

Liebhaber des Bal Folk reisen oftmals quer durch Deutschland, um die Volkstanzabende
zu erleben. Zu den Höhepunkten gehören sicher auch Festivals im Ausland wie
beispielsweise der Grand Bal d’Europe in der südostfranzösischen Gemeinde
Gennetines oder das Boombal Festival im belgischen Lovendegem. Für viele junge Leute
sind die völkerverbindenden Tänze mit Livemusik ein schöner Ausgleich in der sonst
eher digitalisierten, anonymisierten Gesellschaft. Notwendig sind nur bequeme
Kleidung, ein Paar Tanz- oder Turnschuhe und jede Menge Spaß am Tanzen in
zwangloser Atmosphäre.

Autorin/Adaption: Antje Hollunder, Beatrice Warken


Redaktion: Suzanne Cords

___________________________________________________________
*Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird manchmal auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und
weiblicher Sprachformen verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichermaßen für
beiderlei Geschlecht.

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Glossar

Parkett (n., nur Singular) – hier: die Tanzfläche

folkloristisch – so, dass etwas traditionell typisch ist für eine Region (z. B. in der
Musik); volkskundlich

Grundtanz, -tänze (m.) – ein Tanz, der zu einem Standardprogramm von Tänzen
gehört

Mazurka (f., nur Singular) – ein aus Polen stammender Tanz (langsam bis lebhaft)

Bourrée (f., nur Singular) – ein in verschiedenen Regionen Frankreichs verbreiteter


Volkstanz mit schnellen, überspringenden Schritten

An-dro (m., nur Singular) – ein bretonischer Reihen- oder Kreistanz im 2/4 Takt

Fröhlicher Kreis (m., nur Singular) – ein Volkstanz, bei dem sich die Tänzerinnen
und Tänzer im Kreis aufstellen und an den Händen fassen

das Tanzbein schwingen – umgangssprachlich für: tanzen

Polska (f., nur Singular) – ein in den skandinavischen Ländern verbreiteter


volkstümlicher Paartanz, bei dem die Partner sich u. a. umeinanderdrehen

Zwiefacher (m., nur Singular) – ein aus dem süddeutschen Raum stammender meist
schneller Tanz, bei dem sich das Paar in Runden umeinander und vorwärts dreht

Menuett, -e/s (n.) – hier: ein ziemlich langsamer Tanz, bei dem kleine Schritte
gemacht werden

Standard (ohne Artikel) – hier Abkürzung für: Standardtänze, ein Sammelbegriff für
sechs Gesellschaftstänze (z. B. Foxtrott, Wiener Walzer)

Latein (ohne Artikel) – hier Abkürzung für: lateinamerikanische Tänze, ein


Sammelbegriff für fünf Gesellschaftstänze (z. B. Rumba, Jive)

Drehleier, -n (f.) – ein Musikinstrument mit Saiten, bei dem mit einer Kurbel ein
eingebautes kleines Rad betätigt wird, um Töne zu erzeugen

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Alltagsdeutsch – Manuskript

Dudelsack, -säcke (m.) – ein Blasinstrument, bei dem Luft aus einem Sack gedrückt
und in eine Flöte geleitet wird, um Töne zu erzeugen
Akkordeon, -e (n.) – ein Musikinstrument mit mehreren runden Knöpfen und
schwarzen und weißen Tasten, Ventilen sowie einem Blasebalg zur Erzeugung von
Tönen; auch: Ziehharmonika

Harfe, -n (f.) – ein großes Instrument mit Saiten, die mit den Fingern gezupft werden

Klarinette, -n (f.) – ein längliches, einer Flöte ähnliches Holzblasinstrument mit


Löchern und Metallklappen

Schlüsselfidel, -n (f.) – ein längliches, einer Bratsche ähnliches Saiteninstrument mit


Tasten (sog. Schlüsseln), das wie eine Gitarre gespielt wird

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Alltagsdeutsch – Aufgaben

Bal Folk: Keiner tanzt alleine

Aufgaben zum Text

1. Hast du alles verstanden?


Markiere alle korrekten Aussagen über den Text, ohne dabei ins
Manuskript zu schauen.

a) Für folkloristische Tänze braucht man einen festen Tanzpartner oder eine feste
Tanzpartnerin.
b) In jedem Bundesland gibt es eigene Bal Folk-Gruppen.
c) Der Begriff „Bal Folk“ entstammt der englischen und französischen Sprache.
d) Die Schritte der Grundtänze sind sehr kompliziert und bedürfen viel Übung.
e) Durch die vielen Partnerwechsel lernt man viele Leute auf einmal kennen.
f) Bal Folk-Tänze sind hauptsächlich für junge Menschen gedacht.
g) Bei den Bal Folk-Veranstaltungen gibt es grundsätzlich nur Livemusik.
h) Volkstanz-Festivals im Ausland zählen zu den Höhepunkten für Bal-Folk-
Tänzerinnen und -Tänzer.

2. Welche Aussagen stimmen?


Beantworte die Fragen zum Text. Wähl alle korrekten Antworten aus.

1. Was gehört nicht zu den Standardinstrumenten beim Bal Folk?


a) Dudelsack
b) Cello
c) Flöte

2. Was gehört zu den Grundtänzen?


a) Mazurka
b) Bourrée
c) Walzer

3. Was braucht man nicht zum Bal Folk?


a) einen festen Tanzpartner
b) einen DJ
c) bequeme Tanzschuhe

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Alltagsdeutsch – Aufgaben

4. Beim Bal Folk ist es wichtig, ...


a) wie alt man ist.
b) welche Kleidung man trägt.
c) offen für alles zu sein.

5. Wahre Liebhaber des Bal Folk ...


a) tanzen am liebsten regionale Tänze aus ihrer Heimat.
b) besuchen auch Festivals im Ausland.
c) reisen oft quer durch Deutschland.

3. Überprüfe deinen Wortschatz


Welches Wort „tanzt aus der Reihe“ und gehört sinngemäß nicht dazu?
Wähl aus.

1. Die Bal Folk-Tänze


a) Menuett
b) Tanzbein
c) Polska
d) Chapelloise

2. Die Blasinstrumente
a) Dudelsack
b) Flöte
c) Klarinette
d) Harfe

3. Die Veranstaltungen
a) Latin Bal
b) Bal Folk
c) Boom Bal
d) Fest-Noz

4. Ein Bal Folk-Tanzabend


a) Tanzveranstaltung
b) Teilnehmer
c) Parkett
d) Musik vom Band

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Alltagsdeutsch – Aufgaben

4. Übe „dass“-Sätze
Führe die Sätze nach dem „dass“ weiter und trag ein. Achte auf die
Wortstellung und die Konjugation der Verben!

1. Die Schritte der meisten Volkstänze sind so einfach, dass jeder sie ____________
____________ ____________ (können / mittanzen / sofort).

2. Eine wunderbare Erfahrung für viele Tänzer und Tänzerinnen ist, dass
____________ ____________ ____________ ____________
____________ ____________ (eine / Bal Folk / alle / sein / Veranstaltung /
für).

3. Hier ist es nicht ungewöhnlich, dass ein ____________ ____________


____________ ____________ ____________ ____________
(Mann / älteren / mit/ Damen / tanzen / junger).

4. Johannes aus Köln freut sich darüber, dass jetzt viele ____________
____________ ____________ ____________ ____________
(diese / Leute / machen / Musik / junge).

5. Übe Partikel
Welche Partikel bzw. Partikeln passen sinngemäß? Wähl aus.

1. Bal Folk ist ... so ein Typ Tanz.


a) halt
b) ziemlich
c) eben

2. Es gibt ... in der Gesellschaft nicht mehr so viele Momente, wo man mit Menschen
direkt in Kontakt ist.
a) eigentlich
b) eben
c) einfach

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Deutsch im Fokus
Alltagsdeutsch – Aufgaben

3. Berührungskontakt wird nicht als anzüglich empfunden, weil es ... dazugehört.


a) vielleicht
b) überhaupt
c) einfach

4. Das zieht auch junge Leute an, die dann ... auch erleben, dass es Spaß macht.
a) eben
b) nur
c) völlig

5. Für mich ist Bal Folk ... auch eine Alternative zur Disko.
a) total
b) lediglich
c) halt

Autorin: Katrin Hofmann


Redaktion: Beatrice Warken

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Deutsch im Fokus
Alltagsdeutsch – Aufgaben

Der Gartenzwerg

Aufgaben zum Text

1. Was ist richtig?


Hier kannst du prüfen, wie gut du den Text verstanden hast. Wähl aus, ob
die Aussagen richtig oder falsch sind.

1. Gartenzwerge und Kuckucksuhren gelten im Ausland als „typisch deutsch“.


a) richtig
b) falsch

2. Ton ist das klassische Material für Gartenzwerge. Er platzt aber bei Frost, weshalb
heutzutage meistens wetterfester Kunststoff verwendet wird.
a) richtig
b) falsch

3. Das erste Patent für Gartenzwerge wurde im Jahr 1900 in München erteilt.
a) richtig
b) falsch

4. Es gibt bis heute nur männliche Gartenzwerge, weil die Menschen das so kennen.
a) richtig
b) falsch

5. Gartenzwerge sind heutzutage immer noch in jedem Garten zu finden.


a) richtig
b) falsch

2. Prüf dein Textverständnis


Es gibt viele verschiedene Gartenzwerge. Welche werden im Text nicht
erwähnt? Wähle alle passenden Antworten aus!

a) Zwerg mit Spaten


b) Flötenspieler
c) Zwerg als Koch
d) Angler
e) Zwerg mit Hund
f) Zwerg mit Schubkarre

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Deutsch im Fokus
Alltagsdeutsch – Aufgaben

g) Zwerg als Vampir


h) Zwerg als Wissenschaftler

3. Übe dein Leseverstehen


Trag in dem folgenden Textauszug aus dem Märchen „Zwergnase“ die
richtigen Verben ein. Verwende das Präteritum.

„In einer bedeutenden Stadt meines lieben Vaterlandes, Deutschlands,


____________ (1) vor vielen Jahren ein Schuster mit seiner Frau schlicht und recht.
Er ____________ (2) bei Tag an der Ecke der Straße und ____________ (3)
Schuhe und Pantoffeln und ____________ (4) wohl auch neue, wenn ihm einer
welche anvertrauen mochte; doch musste er dann das Leder erst einkaufen, denn er war
arm und hatte keine Vorräte. Seine Frau ____________ (5) Gemüse und Früchte, die
sie in einem kleinen Gärtchen vor dem Tore ____________ (6) und viele Leute
____________ (7) gerne bei ihr, weil sie reinlich und sauber gekleidet war und ihr
Gemüse auf gefällige Art auszubreiten und zu legen wusste. Die beiden Leutchen hatten
einen schönen Knaben, angenehm von Gesicht, wohlgestaltet und für das Alter von
zwölf Jahren schon ziemlich groß. Er pflegte gewöhnlich bei der Mutter auf dem
Gemüsemarkt zu sitzen und den Weibern oder Köchen, die viel bei der Schustersfrau
eingekauft hatten, ____________ (8) er wohl auch einen Teil der Früchte nach Hause
(…).“

sitzen flicken verkaufen kaufen


machen leben pflanzen tragen

4. Übe die Substantive


Welches Substantiv passt? Lies die Sätze und wähl für jeden Satz das
passende Substantiv aus. Ordne zu.

1. Die rote ____________________ ist Tradition für Gartenzwerge.


2. Gartenzwerge sind nicht mehr im ____________________, sie sind einfach
nicht mehr zeitgemäß.
3. Kaufen kann man Gartenzwerge sowohl im Internet als auch im
____________________.
4. Etta Bengen hat ____________________ über Zwergenkunde herausgegeben.

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Alltagsdeutsch – Aufgaben

5. Die ersten Gartenzwerge standen in den Gärten von Adel und


____________________.
6. Zum ____________________ wurde der Gartenzwerg in den 1960er-Jahren.
7. Heute verbinden viele Leute den Gartenzwerg mit ____________________.

a) Großbürgertum b) Gartencenter c) Spießertum d) Fachbücher


e) Massenprodukt f) Zipfelmütze g) Trend

5. Übe den Konjunktiv I


Hans und Etta haben viel über Gartenzwerge erzählt. Setz die Verben in der
korrekten Form im Konjunktiv I in die Lücken ein.

1. Hans sagt, Gartenzwerge ____________ heute nicht mehr im Trend. (sein)


2. Seiner Meinung nach ____________ sich Kunststoff als Material am besten für
Gartenzwerge. (sich eignen)
3. Etta Bengen berichtet, dass man Gartenzwerge schon seit dem 17. Jahrhundert in
deutschen Gärten ____________. (finden)
4. Sie sagt, der Gartenzwerg ____________ seinen Durchbruch nach dem Zweiten
Weltkrieg ____________. (haben)

Autorin: Katharina Figge


Redaktion: Beatrice Warken

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Alltagsdeutsch – Manuskript

Der Gartenzwerg

In manchem Vorgarten oder auf dem einen oder anderen Balkon sind sie
noch zu finden: Gartenzwerge. Liebhaber können sie in Museen bestaunen.
Die Zwerge mit der traditionell roten Zipfelmütze gelten als typisch
deutsch.

Vor allem an schön gepflegten Blumenbeeten und im Umfeld von Gartenteichen hält er
sich gerne auf. Er steht ein wenig träumerisch im Gras und verbreitet bei seinen
Besitzern* und vorbeigehenden Besuchern gute Laune. Egal, ob er einen Spaten in der
Hand hat, eine Gießkanne oder die Laterne des Nachtwächters, an einem Merkmal
erkennt man den traditionellen Vertreter immer: an der roten Zipfelmütze. Der
Gartenzwerg gilt wie die Kuckucksuhr im Ausland als typisch deutsch. Man kann ihn
nicht nur über das Internet bestellen, sondern auch in dem einen oder anderen
deutschen Gartencenter kaufen. Allerdings nicht immer, wie Hans, der in einem
Kölner Gartencenter arbeitet, sagt:

„Das ist wie in der Mode, es gibt Trends – auch hier bei den Gartenzwergen. In den
langen Jahren, die ich das hier schon mache, es liegt nicht im Trend. Im Moment ist
‚Gartenzwerge’ nicht ‚in’.“

Hans erklärt, dass es bei Gartenzwergen, wie bei vielem anderen auch, davon abhängt,
ob sie gerade zeitgemäß sind, ob sie ‚in’ sind. Und was zeitgemäß ist, liegt im Trend.
Was dagegen unmodern ist, gilt umgangssprachlich als ‚out’. Wer Zwerge in den Garten
stellen will, muss allerdings auf eines achten, wie Hans erklärt:

„Ich habe einen Gartenzwerg in der Hand aus einem Kunststoffmaterial, das nennt sich
Polyresin. Dieses Material hat den besonderen Vorteil, dass es absolut wetterfest,
winterfest, frostsicher ist. Und das ist hier ein Flötenspieler, der sitzt hier auf einem
Baumstamm und spielt Flöte. Die Beliebtesten kann man sagen, aus der Historie
heraus, ist klassisch der Angler, es ist der Gartenzwerg mit der Schubkarre, aber auch
mit dem Spaten in der Hand.“

Der ursprüngliche, klassische, Gartenzwerg besteht aus Sandstein oder gebranntem


Ton. Besonders Ton hat aber einen großen Nachteil: Bei Frost platzt er. Bei
Gartenzwergen aus Kunststein wie Polyresin ist das nicht so. Ihnen machen das
Wetter, Winter und Frost nichts aus. Während mancher Zwergliebhaber mit der Zeit
geht und moderne Gartenzwerge kauft, haben die klassischen Zwerge weiterhin ihre
Anhänger. Diese Erfahrung hat zumindest Hans in der Vergangenheit gemacht oder,

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Alltagsdeutsch – Manuskript

wie er sagt, aus der Historie heraus erfahren. Der „Ur-Gartenzwerg“ wurde so um
1870 in der thüringischen Stadt Gräfenroda geboren. Nicht ganz geklärt ist, ob August
Heissner oder Phillip Griebel der Schöpfer war. Die Sozialforscherin Etta Bengen, die
einige Fachbücher über Zwergenkunde herausgegeben hat, geht davon aus, dass
Gartenzwerge noch älter sind:

„Die Zwerge als solches spielen auch schon viel eher ’ne große Rolle, und zwar im 17., 18.
Jahrhundert des Adels, als man sich aus Sandstein gehauene Zwergenfiguren in den
Hofgarten stellte. Auch die kleinen Gartenzwerge waren relativ teuer, aber das
Großbürgertum konnte sich dann diese Gartenfiguren, die Gnome, wie sie damals
hießen, leisten. Und das war das Personal in verkleinerter Form oder eben auch die
Hofzwerge, die als Hofnarren an den Höfen waren, die dann irgendwie in Stein
gehauen worden sind.“

Zwerge dienten in den großen Gartenanlagen der adeligen Höfe, den Hofgärten, als
Dekoration. Zunächst konnten sich die Figuren auch nur die Adeligen und diejenigen
leisten, die Geld und das Bürgerrecht einer Stadt hatten – das sogenannte
Großbürgertum. Diese Figuren waren entweder den Angestellten, dem Personal,
und ihren Tätigkeiten nachempfunden oder auch Hofnarren. Manche dieser
Spaßmacher waren bei den Adeligen angestellt und durften sich ungestraft über sie
lustig machen. Vorbilder für Gartenzwerge waren aber auch Fabelwesen, die Gnomen.
Diese kleinen, menschenähnlichen Wesen lebten in Wäldern, Bergen und an Flüssen. In
Märchen und Legenden wurden sie oft als Wohltäter mit übernatürlichen Fähigkeiten
dargestellt – wie zum Beispiel die „Heinzelmännchen zu Köln“. Viele Kölner kennen
zumindest die ersten Zeilen des bekannten Gedichts aus dem Jahr 1836: „Wie war zu
Köln es doch vordem / mit Heinzelmännchen so bequem! […]“

Der Zwerg galt als klug, zuverlässig und naturverbunden. Seine Charaktereigenschaften
machten ihn zu einem idealen Werbeträger für Produkte. Das erste Patent, das 1894
vom Reichspatentamt in Berlin für ein Produkt vergeben wurde, beinhaltete eine
Zwergendarstellung. Der Durchbruch für den Gartenzwerg kam mehr als ein halbes
Jahrhundert später, wie Etta Bengen erzählt.

„Als der Gartenzwerg dann praktisch das Land eroberte, eben nach dem Zweiten
Weltkrieg, als die Konjunktur anzog, man irgendwie sich ’nen Schrebergarten
leisten konnte oder ’nen eigenen Garten, da wollte man sich nach diesem ganzen
Grauen irgendwie was Liebevolles, was Nettes in den Garten stellen, [wie]
Schneewittchen und die sieben Zwerge.“

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Deutsch im Fokus
Alltagsdeutsch – Manuskript

Nach Ende des Zweiten Weltkriegs wollten die Deutschen die Grausamkeiten, das
Grauen, des Krieges vergessen. Da viel wiederaufgebaut werden musste, erholte sich
die Wirtschaft, die Konjunktur zog an. Die Menschen hatten bald wieder Geld, um
sich etwas zu kaufen, auch einen sogenannten Schrebergarten, einen Kleingarten für
Stadtbewohner, in dem man zum Beispiel nicht nur Gemüse und Obst anbauen,
sondern sich auch erholen konnte. Dort wurde eine heile Welt geschaffen, zu der auch
Gartenzwerge gehörten.

Spätestens in den 1960er-Jahren wurden Gartenzwerge zum Massenprodukt. Ab den


1980er-Jahren galten sie vielen Deutschen aber als Symbol für Kleinbürgerlichkeit
und Spießertum. Der klassische Gartenzwerg wurde modernisiert – sei es als
Gartenzwerg mit einem Messer im Rücken, als Vampir oder mit nacktem Hinterteil, das
provozieren sollte. Auch weibliche Gartenzwerge gab es, denn das „Reich der
Gartenzwerge“ war traditionell eines der Männer. Trotzdem stellen sich in Deutschland
nur noch Liebhaber die Zwerge in den Garten. Aber wer weiß: Vielleicht kommt der
Gartenzwerg wieder. Es ist alles nur eine Frage der Zeit.

Autor/Autorin: Günther Birkenstock, Beatrice Warken


Redaktion: Ingo Pickel

___________________________________________________________
*Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird manchmal auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und
weiblicher Sprachformen verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichermaßen für
beiderlei Geschlecht.

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Alltagsdeutsch – Manuskript

Glossar

Spaten, - (m.) – ein Gerät zur Bearbeitung des Bodens mit einem breiten, flachen Teil
aus Metall, das an einem langen Stiel aus Holz befestigt ist (ähnlich wie eine Schaufel)

Nachtwächter, -/Nachtwächterin, -nen – hier: eine Person, die früher nachts


durch Städte lief und kontrollierte, ob alles in Ordnung ist

Gartencenter, - (n.) – ein großes Geschäft, in dem man alles kaufen kann, was man
für einen Garten benötigt (z. B. Geräte, Sitzmöbel, Blumen etc.)

Sandstein, -e (m.) – eine weiche Art von Stein, die mindestens zu 50 Prozent aus
Sandkörnern besteht

Ton, - (m.) – hier: ein natürliches Material, das zusammen mit Wasser formbar ist und
in getrocknetem Zustand in einem sehr heißen Ofen gebrannt werden kann

mit der Zeit gehen – fortschrittlich sein, neue Entwicklungen mitmachen

Ur- – hier: der Erste

Patent, -e (n.) – das Recht, eine Erfindung wirtschaftlich zu nutzen

Durchbruch, -brüche (m.) – hier: der erste große Erfolg

heile Welt (f., nur Singular) – redensartlich für: eine Scheinwelt, in der alles
harmonisch und gut ist

Massenprodukt, -e (n.) – etwas, das in großer Menge produziert wird

Kleinbürgerlichkeit (f., nur Singular) – hier negativ für: die Art zu leben, bei der
Menschen Vorurteile oder feste, traditionelle Meinungen haben

Spießertum (n., nur Singular) – die Art zu leben, bei der die Menschen keine
Veränderungen wollen und immer nach festen gesellschaftlichen Regeln leben

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