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Ungeliebte Opposition
Das «Kritische Oberwallis» / Von Marcel Schwander
«Kritisches Oberwallis» (abgekürzt: K. 0.) heisst eine Bewegung, die vor
einem Jahrzehnt in Brig von Studenten und Schülern gegründet worden
war und eine eigene Zeitung herausgibt. Sie umfasst nur einige Dutzend
Mitglieder, doch in der letzten Zeit ist sie zur wichtigsten Oppositionspartei
im deutschsprachigen Wallis geworden. Dass die Oppositionspolitik im skan-
dalträchtigen Alpenkanton mit der absoluten CVP-Mehrheit gefährlich sein
kann, erfuhr K. O.-GrÜnder Stefan Niklaus: er wurde bei einer beruflichen
Anstellung «aus politischen Gründen» abgelehnt, obwohl er der einzige
Bewerber war. '

Im Heim «La Castalie» in der WaIliser Stefan Niklaus, ausgebildeter Psy-


Ortschaft Monthey werden körperlich chologe, hat nun als Arbeitsloser täg-
und geistig schwer behinderte Kinder lich im Stockalperschloss zu Brig zum
gepflegt: neben Mongoloiden und an- Stempeln anzutreten, während in Mon-
dem Invaliden vor allem zerebral ge- they vierzig schwerbehinderte Kinder
lähmte kleine Patienten, von denen ohne psychologische Betreuung blei-
zahlreiche ihr Bettchen nie verlassen ben. Die besorgte Heimleiterin erhielt
können und kaum eine Aus,s icht auf in Sitten Auskunft über die Motive: Ni-
Eingliederung in das ' Leben der «Ge- klaus wird «aus politischen Gründen»
sunden» haben: ein kleines Mädchen nicht angestellt.
aus GLis zum 'Beispiel, Opfer eines
Verkehrsunfalls, da:s nie mehr das vol- Eine Zeitungskontroverse und eine
le Bewusstsein erlangt hat und nur Petition
noch schwach auf HeIligkeit reagiert.
Andere können in den Familien nicht Niklaus gehört zu den Gründern der
mehr gepflegt werden, weil ihre Be- Jugendbewegung <<Kritisches Oberwal-
handlung besondere Kenntnisse ver- lis» (K. 0.), die besoriders gegenüber
langt. Allerdings' hat auch das Kinder- der Kantonsregierung zu Sitten recht
heim Schwierigkeiten, geeignetes und
gut ausgebildetes Personal zu erhal-
ten. So sind die rund vierzig deutsch-
sprachigen Zöglinge gegenüber ihren
französischsprachigen Schicksalsgenos-
sen benachtei:ligt: seit langem fehlt
dem Heim ein deutschsprachiger Fach-
mann für die psychologische Betreu-
ung.
Im November vergangenen Jahres
atmete die Heimleiterin Simone Rei-
chenbach endlich auf, da sie, wie sie
glaubte, den richtigen Mann gefunden
hatte: den 28jährigen Stefan Niklaus
aus Brig. Im März hatte er sein Psy-
chologiestudium an der Universität
Freiburg mit dem Lizentiat in Arbeits-,
Sozial- und Experimentalpsychologie
abgeschlossen, wobei er sich be-s onders
mit den Theorien des in Genf wirken-
den Neuenburger Psychologen Jean
Piaget befasst hatte. Ein sympathi-
scher junger Mann, mit einem offenen
Lachen, das den kleinen Invaliden
Vertrauen gab.
Nach eingehender Prüfung war Si-
mone Reichenbach, die über hundert
Angestellten vorsteht, von den fachli-
cheJ;h und' menschlichen Qualitäten- des
I Bewerbers überzeugt: sie teilte "ihm
mit, dass sie ihn dem Walliser Staats-
rat zur Nominierung vorschlagen wer·
de, was bisher stets nur eine Formsa-
, che gewesen war. Stefan Niklaus hatte
sie zwar darauf aufmerksam gemacht,
\ dass er in der oppositionellen Politi-
schen Gruppierung des OberwaIlis mit-
mache, doch die Heimleiterin war
überzeugt: Wenn es um das Wohl der
behinderten Kinder geht, spielt Partei-
I politik keine Rolle. '
efan Niklaus bekam auf die Be- Die "Matze", ein mittelalt'3rliches
w€rbung für die Hal'btagsstelle in Mon- Symbol tür den Widerstand gegen die
they vom kantonal,en Personal amt kur- Unterdrückung, ziert jede Nummer
z·en Bescheid: «Wir teilen Ihnen mit,
dass Ihre Stellenbewerbung für den der K .O.-Zeitung.
obgenannten Posten nicht berückskh-
tigt werden konnte. Wir bitten um kritisch ist. Der «Walliser VOlksfreund»
Kenntnisnahme ... » Als sich Niklaus - applaudierte: Ein «Mann sokher Gei-
der einzige Bewerber - nach den steshaltung» wie Niklaus komme nicht in
Gründen erkundigte, bekam er, dies- Frage als Erzieher behinderter Kinder,
mal vom Staatskanzler, die Antwort: von Kindern also, die auf Erziehungs-
«Wir verzichten, Ihnen die Beweggrün- funktion von Schule und Familie dop-
de und Erwägungen mitzuteilen, wel- pelt angewiesen seien. Der «Walliser
che gegen die' Berücksichtigung ihrer Bote» stellte dagegen fest: «Einem
Kandidatur gesprochen haben . . Die Er- Staatsrat 'an den Karren zu fahren,
nennung , eines Beamten ist nämlich stellt im Land am Rotten (Rhone) nicht
ein einseitiger Hoheitsakt, der den einen Bestandteil der politischen Aus-
Staatsrat nicht verpflichtet, seine ge- einandersetzung dar, sondern eine
troffene Wahl zu rechtfertigen.» blanke Majestätsbeleidigung. Handelt
es sich also bei der Nichtwahl des Psy-
chologen Stefal). Niklaus um ein politi-

Nennt das
.l sches ,Revanche-Foul'? Alles deutet
darauf hin,» Unid weiter: «Wer politisch
unbequem und aufsässig ist, wer es
r wagt, di.e . Herren Magistraten aus dem
Busch zu klopfen, dem hängt man den
Brotkorb weg; so einfach machen sich
unsere Staatsräte die Sache mit der
.'
" Demokratie . . .»
.-
r 2500 protestierten gegen
Berufsv~rbot
Bald jedoch musste die Redaktion
einen Rüffel veröffentlichen: National-
rat Paul Biderbost, Mitglied des Ver-
a waltungsrats der Zeitung, verwahrte
s sich gegen den «einseitigen Bericht»
II und die ganze Linie der Zeitung, «die
Im verw~gsrat d er Skaridal - F irma Sa vro ...
seit geraumer Zeit nicht zurückhält mit
s hockt ·die halb e Walliser CV P Prominenz. von
einseitiger und daher ungerechter Kri-
e alt- Bund esrat Bonvi n bis zu m alt- Staats rat tik, ja sogar mit Verdächtigungen zum
n , Gros . ' Und aupg e r ec hnet di eser Firma zahlte Beispiel gegen unsere Regierung». Das
.r d a s Walliser Baudepart em ent des Fra nz Stei .. CVP,Blatt müsse in christlichdemokra-
e n er Rec hnungen gleic h zweimal. ' Be r ei t s vor tischem Geist wirken: «Für sachliche
n d en Staats rat s wahlen kauft e Steiners Ba ud e - und aufbauende Kritik ist von diesem
part em Emt sc"hwarz en Part eifreunden in rvrarti ... sicheren Ausgangspunkt .aus für jeden
~l
nach in aller Eile-und zu überset zten Preisen Presseschaffenden auch immer Platz,
B oden ab. Dies damit di e B esitzer noch die
1. G rundstückgewi nns teu er umg ehen konnten.
nicht aber für Systemveränderung
n W ähr enddessen fahr en Staatsbeamte mit dik- nach Art der Ultralinken.»
,e k en Mercedes durch di e Strassen von Sitte n. Allerdings konnten auch staatstreue
j- WaIliser nicht ganz begreifen, warum
a im freien WaIliser Wildwesten nach to-
talitärem Rezept «Dissidenten» ge-
Der Skandal um die Tiefbaufirma Savro ist nach Ansicht des "Kritischen schaffen werden mussten. An einem
einzigen Samstagnachmittag unter-
Oberwallis» nur die Spitze des Eisbergs: die Einparteienherrschaft er- zeichneten . tausend. Personen eine Pe-
schwert dle ,Kontrolle. . tition. Vergeblich warnte der regie-
_S~it_e46_ _ _ _ _ _ REPORTAGEN,UND BERICHTE _ _
· " ryng~freun!dliche «Walliser Volks- gehalten? Ist es eine Bewegung, die Die Spielverderber
, ' freund»: «Wir werden von unserer Zei- einen totalitären Staat anstrebt? Ste-
• tung uns bemühen, nach Hinterlegung fan Niklaus erklärt: «Wir ollen nicht Für die Regierung s:nd die Polit-
der Petition an die Unterschriften bö- den Stallt als notwendigen Organisator Jünglinge allerdings unbequeme Bür-
gen heranzukommen, und wir werden gesellschaftlicher Tätigkeiten zerstö- ger. Drei Regierungsräte mussten auf
die ullterschriften publizieren, damit . ren. Wenn der Staät aber von den Un- einträgliche Verwaltungsratssitze ver-
jedermann kontrollieren kann, wer in ternehmern und Politikern (zum Bei- zichten: Das «K. 0.» hatte nachgewie-
diesem Fall für Stefan Niklaus und ge- spiel$avro) missbraucht wird, um ihre sen, dass sie gegen die Kantonsverfas-
'gen die Regierung seine Unterschrift Interessen durchzusetzen, dann wollen sung verstossen hatten. Doch wenn
hergab.» ~ine W;9clü~ spät~r wareI1 ~s 'Wir d'iese Urfsoziale;Funktion ~es Staa- Magistraten gegen Verfassung und Ge-
iüber 2500, darunter auch 57 von Bi- tes beseitigen. Diese in unseren Augen setze verstossen, so handeln offenbar
'qerbosts, Kollegen . im Nationalrat, die notwen-digen Veränderungen streben nicht sie, sondern die Spielverderber
gegen das faktische «Berufsverbot» wir im Rahmen von Gesetz und Ord- gegen die Demokratie! Das «K. 0.» ritt
protestierten und erklärten: «Es geht nung an. Gerade das Recht, 'offen für eine weitere Attacke: Beim Kchter
nicht an, dass Leute, die die dem okra- notwendige Veränderungen einzutre- von Martigny reichte es eine Klage ge-
:- . tischen Spielregeln einhalten, wegen ten, unterscheidet die Demokratie von gen ' fünf amtierende und ehemalige
· ihrer politischen Gesinnung im Kanton der Diktatur.» Reg;erungsmitglieder wegen ungetreu-
WaHis keine Anstellung finden und da- er GeschäftSführung und Urkundenfäl-
! her gezwungen sind, stempeln zu ge- Das «Kritische Oberwallis» fährt al- sohung ein; denn bei der Projektierung
I' hen .oder auszuwandern.» . lerdin'gs oft - den raUhen Wallise, der Autobi}h" waren bei "itten und
Bräuchen gemäss ...; mit grobem Ge- Martigny r nkäufe get, ~ worden,
Die ·«Rote Anneliese» schütz auf. Eine Gruppe von Schülern d:e ebenso"-rr.lch Skandal 'rrechen wie
am Kollegium Br:g und von Studenten die Korruj>tion rund um das Tiefbauun-
Hatte das «Kritische Oberwallis» die in )3ern 1,lnd, Zürich stand am Anfang ternehmen Savro, an der Beamte von
demokratischen .Spie,1regeln ·nicht ein- · der Bewegung, die ' heute einen Vertre- Kanton und Stadt Sitten neben Ange-
ter im Stadtrat von Brig und im Gros- stellten des Privatunternehmens betei-
sen Rat (Kantons'parlament) stellt. Ni- ligt sind.
kl~us ' selbst war eine Zeitlang Gross- War es die Sorge um Staat und Volk,
Grippevirus bald in der tatssuppleant (stellvertretender Kan- welche die Walliser Regierung zum
Schweiz . tonspadamentarier) - eine Funktion, faktischen «Berufsverbot» für den jun-
die ilUr das Wallis kennt. Die' kritischen gen Psychologen N:klaus bewog? War
FortsetZlurtg von Seite 45 jungen Walliser gründeten eine Zei- es die Sorge um das Wohl der kleinen
tung, die sie burschikos «Rote Annelie- Invaliden von Monthey? Oder hat d:e
nach , Auffassung Schärs nicht vom se» (verballhornt aus: Rote Analyse) Regierung eine willkornmende Gele- I
Zaun brechen; er rechnet mit «gehäuf- nannten. S;gnet der angriffi.gen Zei- g,enheit zur Rache an einem unbeque-I
ten Fällen», was in der Schweiz etwa tun'g in frechem Kurzsatzstil ist d'e men, aber unbescholtenen Bürger
20 000 gemeldete Erkrankungen be- «Matze»: ein Baumstrunk mit in die wahrgenommen? _
deuten würde. Höhe ragenden Wurzeln, der den Wi-
Grippe; auch (<Weisse Pest» genannt, derstand gegen Unterdrückung andeu-
ist keineswegs eine harmlose Erkran- tet. Bei Rebellionen gegen die Adeli:
kung. Sie beschränkt sich nicht auf gen wurde im Mittelalter zu nächtli- Ein Rolls Royce -
. Kopfschmerzen oder ' die Atmungsorga- cher Stunde eine Birke ausgegrahen:
ne, sondern greift gelegentlich auch Wer s;ch dem Aufstand anschloss, Die Phantom-Serie mit ständig
Herz ' und Kreislauf an. Zudem führt schlug e:nen Nagel in den Stamm.
sie manchmal zu heimtückischen Lun- Seit die Firma Rolls-Royce im Jahr
genentzündungen, die den raschen Tod Die Berichte der «Roten Anneliese» 1972 in Liquidation trat und kurz dar-
zur Folge haben können. Auch bei un- sind gut recherchiert und stossen im auf saniert ··tde, hört rr~'1 weniger
kompliziertem Verlauf besteht bei den Wallis auf Zustimmung . und Wider- von ihren ei Neltberüh. I Wagen.
meisten Patienten ein starkes Krank- spruch: Bis zu 6000 Exemplare werden Indessen prÖO-aziert Rolls~yce auch
heitsgefühl, das mit Fieber, Schmerz v,e rkauft, über tausend im Abonne- heute noch - wenn auch in geringeren
und Schwächezuständen einhergeht. ment, der Rest im Handverkauf in Wirt- Mengen - Luxuswagen ersten Ranges.
Entsprechend langsam verläuft die Er- schaf,ten, auf der Strasse und in den Das luxuriöseste Auto in der Welt
holung. Glücklicherweise zählt die S-o- Bergdörfern nach der Messe. Die jun- ist eine Rolls-Royce-Limousine vom
wjeti.s che Grippe nach "den bisherigen gen K. O.-Leute bewegen sich im Wal- Typ Phantom VI Landaulette. Sämtli-
Beobachtungen zu den leichteren For- Hs w:e die Fische im Wasser. Vom che Installationen dieses 6,7litrigen
men; zu unterschätzen ist allerdings Volk werden sie nicht als Randgruppe Zwölfzylinderwagens sind mit echtem
das A1-Virus nicht. Es forderte in den betrachtet, oft erhalten sie bereitwilEg Blattgold überzogen. Der Passagier
Jahren 1950151 in Europa erhebliche Auskunft, wenn sie Material für ihre sitzt in himmelbettweichen Samtpol-
Opfer; allein in England starben da- Knüller sammeln. Auch in bezug auf stern, löscht seinen Durst an 'einem
mals 50 000 Menschen. Die Grippe- den politiSChen Einfluss ist das «K. 0.» eingebauten Cocktailkabinett mit gold-
schutzimpfung, darüber sind sich die längst mehr als eine Nebenerschei- geränderten Kristallgläsern und golde-
Fachleute einig, lohnt sich heute auf. nung: In der Abstimmung über d:e nem Korkenzieher und hält sich, wenn
jeden Fall. Selbst wenn der Schutz Reichtumssteuer stimmte jeder zweite _er will, mit Faf'bfernseher wach. Ein
spät kommt (mitten in der Grippesai- Oberwalliser der «K. O.»-Parole gemäs1; Radiotelefon verbindet ihn mit der
son) und nicht optimal ist, kann der al- dafür. In enger Zusammenarbeit mit Aussenwelt, und eine Mikrophonanlage
te «fmpfcocktaib> die eventuelle An- den Sozialde,mokraten beteiligte sich erspart es ihm, sich zwecks Kontakt
kunft von AIUdSSRI77 auf Ende Winter die Jugendgruppe auch erfolgreich bei mit dem Chauffeur nach vorn zu
erträglicher werden lassen. Wahlen. beugen.

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