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Anleitungen zum Lesen

organisationswissenschaftlicher Bücher,
15. Brief

Strategy Safari
Eine Reise durch die Wildnis des
strategischen Managements
von
Henry Mintzberg
mit Bruce Ahlstrand und Joseph Lampel

Einschätzung der Einschätzung der


externen Situation internen Situation

Bedrohungen und Stärken und


Chancen in der Schwächen der
Umgebung Organisation

Schlüsselfaktoren Distinktive
für den Erfolg Kompetenz

Erstellung einer
Strategie

Soziale Management-
Verantwortung werte

Entwicklung und
Auswahl einer
Strategie

Implementierung
der Strategie
Strategy Safari: Eine Reise durch die Wildnis Strategy Safari: A Guided Tour Through the
des strategischen Managements, Wilds of Strategic Management,

von Henry Mintzberg (mit Bruce Ahlstrand und erschien 1998 bei THE FREE PRESS, New York
Joseph Lampel)
Dieser 15. Brief der Anleitungen zum Lesen
ist 1999 erschienen im Wirtschaftsverlag Carl organisationswissenschaftlicher Bücher, wurde
Ueberreuter, Wien/ Frankfurt, 1999, von Wolfgang Schnelle verfasst.

452 Seiten
© Metaplan, Quickborn und Chatou, 2000
In ‚Strategy Safari geht die Reise zu zehn
verschiedenen „Schulen“ des Strategischen
Managements

Mintzberg, Professor an der kanadischen McGill vermerkt, dass vor ihm schon Gary Morgan 1986
University in Montreal, beschäftigt sich seit 1972 in ‚Images of Organization‘ dieselbe Rahmenme-
mit Fragen des Strategischen Managements, des tapher benutzt hat.
organisationalen Wandels und des Managements
schlechthin. Er ist ein vielschreibender und viel- Was wird als Strategie bezeichnet? Mintzberg
zitierter Autor. Sein Talent liegt darin, Ordnung verwendet die Ausdrücke Strategie, Strategisches
in die Dinge zu bringen, die andere in die Welt Management, Strategieentwicklung, strategische
von Management und Organisation hineinge- Planung nebeneinander, ohne deutlich zu machen,
bracht haben. Und dieses hier vorgestellte Buch was sie unterscheidet. Das ist zunächst verwirr-
ist geradezu ein Großversuch, Übersicht auf rend. Aber im Laufe der ‚Safari‘ wird dann doch
einem Feld, nämlich dem Strategischen Manage- klar, wann der eine, wann der andere Ausdruck
ment, zu schaffen, auf dem sich viele Forscher, angebracht ist.
Berater und auch Manager mit Veröffentlichun- Für den Begriff der Strategie werden dem Leser
gen zu Wort gemeldet haben. „Im Laufe der Jahre verschiedene Definitionen vor Augen geführt.
haben wir uns mit fast 2.000 Publikationen
befasst,“ schreibt Mintzberg, „und täglich • Strategie, so lautet die eine der Definitionen, ist
erscheinen neue Arbeiten zu diesem Thema.“ „ein Plan oder dergleichen - eine Richtung, ein
Leitfaden oder ein Aktionskurs für die Zukunft,
Der Titel ‚Strategy Safari‘ erweckt den Eindruck, ein Weg, der von hier nach dort führt.“
als handle es sich um ein populärwissenschaft-
liches Buch. Das ist es sicher auch. Mintzberg • Dieser Vorstellung gegenüber steht: „Strategie
befleißigt sich eines Stils, der unverschraubt ist. ist ein Muster, ein über die Zeit hinweg konsis-
Er verwendet Bilder und Metaphern , wie sie in tentes Verhalten.“
der wissenschaftlichen Literatur ungebräuchlich „Beide Definitionen scheinen ihre Gültigkeit zu
sind, dafür aber das Verständnis erleichtern. Aber haben: Organisationen schmieden Pläne für ihre
man soll sich von der eingängigen Schreib- und Zukunft, und sie entwickeln Muster aus ihrer
Darstellungsweise nicht täuschen lassen: Mintz-
Vergangenheit heraus. Wir können die eine Art
berg und seine Mitautoren setzen sich mit dem
von Strategie als beabsichtigte und die andere als
Themenbereich durchaus wissenschaftlich
realisierte Strategie bezeichnen. Die entscheiden-
anspruchsvoll auseinander. de Frage lautet also: Sind realisierte Strategien
Die Rahmenmetapher ist die Geschichte von den immer beabsichtigt gewesen? (Dass beabsichtigte
sechs Blinden, die sich einen Eindruck von einem Strategien nicht immer realisiert werden, zeigt
Elefanten machen wollen. Aber jeder kann nur
sich in der Praxis nur allzu deutlich).“ [23]
einen kleinen Teil des großen Tiers ertasten und
schließt daraus auf ein anderes Tier oder einen Aber mit diesen beiden Definitionen ist es nicht
Gegenstand. Keiner erfasst den Elefanten ganz. getan.
Hier bei Mintzberg ist Strategisches Management
jener Elefant und wir alle sind die Blinden, • „Für manche geht es bei einer Strategie um die
die ihn nicht in Gänze erfassen können. Mich Position, genauer gesagt um die Positionierung
wundert allerdings, dass Mintzberg nicht bestimmter Produkte in bestimmten Märkten...
• Für andere hingegen ist Strategie eine Perspek- Wir verbinden mit dem Wort Strategie meist
tive, nämlich die grundlegende Art und Weise, etwas Positives: eine Organisation gibt sich eine
wie eine Organisation agiert ...“[26f] zukunftsweisende Strategie und/oder folgt einer
solchen. Demgegenüber machen die Autoren klar:
Auch bei diesen Definitionen brauchen wir beide. „Strategie als geistige Einstellung kann die
„Die Position innerhalb der Perspektive zu ver- Organisation blind dafür machen, dass sie bereits
ändern, mag leicht sein. Der Versuch, die Pespek- veraltet ist. Deshalb kommen wir zu dem Schluss,
tive zu verändern, noch dazu in dem Bestreben, dass Strategien für Organisationen eigentlich das
die Position aufrechtzuerhalten, hat hingegen sind, was Scheuklappen für Pferde sind: Sie
seine Tücken.“[28] halten sie zwar auf einem geraden Weg, erschwe-
Auch eine fünfte Definition wird häufig verwen- ren aber den Blick zur Seite.“[32]
det: „Strategie ist eine List, also ein bestimmtes Man sieht, Mintzberg und seine Mitautoren
‚Manöver', mit dem versucht wird, einen Gegner verengen ihren Blick nicht. Sie hantieren mit
oder Konkurrenten hereinzulegen.“[28] unterschiedlichen Bedeutungen von Strategie
Wenn ich von der letzten Definition einmal abse- und das macht ihre Gedankenführung reich
he (sie ist dem Strategiebegriff nahe, wie ihn und reizvoll.
Crozier/ Friedberg für das machtpolitische Spiel In ‚Strategy Safari‘ geht die Reise zu zehn
in Organisationen benutzen), so verbinden die verschiedenen „Schulen“, wie sie sich im Laufe
einen mit dem Begriff Strategie einen ausgearbei- der Zeit auf dem Gebiet des Strategisches
teten strategischen Plan, beispielsweise einen Management herausgeschält haben bzw. von
Plan, wie man seine Produkte in den Wettbwerbs- Mintzberg unterschieden werden. Jeder dieser
märkten zu positionieren beabsichtigt. Die Schulen wird ein Kapitel gewidmet.
anderen hingegen sehen in der Strategie eine
verheißungsvolle Perspektive, eine Zukunfts- Die Kapitelüberschriften machen neugierig. Sie
vision, die die internen Akteure einer Organisa- deuten an, was gemeint sein kann. Wer wissen
tion nach vorne richtet. will, was dahinter steckt, muss die einzelnen
Kapitel halt lesen. Ich will versuchen, die Kapitel
• Schließlich kann man beobachten und beschrei- gerafft vorzustellen.
ben, wie sich eine Organisation wirklich verhält
und kann dann dieses Muster als die Strategie
dieser Organisation bezeichnen.
So werden sie bezeichnet:

1. Die Designschule Strategieentwicklung als konzeptioneller Prozess


2. Die Planungsschule Strategieentwicklung als formaler Prozess
3. Die Positionierungsschule Strategieentwicklung als analytischer Prozess
4. Die Unternehmerschule Strategieentwicklung als visionärer Prozess
5. Die kognitive Schule Strategieentwicklung als mentaler Prozess
6. Die Lernschule Strategieentwicklung als sich herausbildender Prozess
7. Die Machtschule Strategieentwicklung als Verhandlungsprozess
8. Die Kulturschule Strategieentwicklung als kollektiver Prozess
9. Die Umweltschule Strategieentwicklung als reaktiver Prozess
10. Die Konfigurationsschule Strategieentwicklung als Transformationsprozess
1. Die Designschule:
Strategieentwicklung als konzeptioneller Prozess

„Die Designschule ist fraglos die einflussreichste dem Erscheinen des Standardlehrbuchs der Gene-
Denkschule auf dem Gebiet der Strategieent- ral Management Group an der Harvard Business
wicklung. Ihre zentralen Konzepte bilden auch School im Jahre 1965 ziemlich genau datieren.
heute die Grundlage von Strategiekursen an den Das Buch trägt den Titel ‘Business Policy: Text
Universitäten und liegen weitgehend der moder- and Cases’. Es wurde bis in die 80erJahre immer
nen Praxis des Strategischen Managements wieder neu aufgelegt. Den maßgeblichen Teil des
zugrunde. Professoren, Berater und Planer auf der Textes schrieb K. R. Andrews, der damit als der
ganzen Welt haben das berühmte Akronym Gründervater der Designschule gilt.
SWOT (Strengths, Weaknesses, Opportunities,
Threats) in ungezählte Schaubilder und Flipcharts Das Grundmodell der Designschule wird als
übertragen: die Stärken und Schwächen einer Schaubild dargestellt, das ich hier wiedergebe.
Organisation im Lichte der Chancen und Bedro- Allerdings, so ein Schaubild ist halt nur ein
hungen in ihrer Umgebung. Schaubild. Wie oft bei Autoren der Betriebswirt-
schaftslehre oder der Managementwissenschaft ist
Einfach ausgedrückt, schlägt die Designschule ein es symmetrisch und suggeriert damit Konsistenz,
Strategieentwicklungsmodell vor, dass eine die es wohl so nicht gibt. Aber gewiss ist es
Anpassung der internen Fähigkeiten an die exter- didaktisch geschickt gemacht. Man darf nur nicht
nen Möglichkeiten beziehungsweise eine Harmo- zu genau wissen wollen, was hinter den einzelnen
nisierung zwischen beiden anstrebt.“[38] Kästchen steckt.
Die Entstehung der Designschule lässt sich mit
Grundmodell der Designschule

Einschätzung der Einschätzung der


externen Situation internen Situation

Bedrohungen und Stärken und


Chancen in der Schwächen der
Umgebung Organisation

Schlüsselfaktoren Distinktive
für den Erfolg Kompetenz

Erstellung einer
Strategie

Soziale Management-
Verantwortung werte

Entwicklung und
Auswahl einer
Strategie

Implementierung
der Strategie
2. Die Planungsschule:
Strategieentwicklung als formaler Prozess

„Alle Lehrbücher über das Thema der strate- alle Formulare des jährlichen Planungsverfahrens
gischen Planung sowie alle ‚Strategie-Boutiquen‘ ausgefüllt hat, gesagt hätte: ‚Mein Gott, hat das
von Consultingfirmen, die etwas auf sich halten, Spaß gemacht! Ich kann gar nicht erwarten, bis es
vertreten ihr eigenes Konzept. Doch die meisten im nächsten Jahr wieder soweit ist!‘“
Modelle lassen sich letztlich auf dieselben Grund-
ideen zurückführen: Man nehme das SWOT- Planung baut auf den Kategorien auf, die in der
Modell, unterteile es in übersichtliche Schritte, Organisation bereits bestehen, nämlich auf den
ergänze diese Schritte durch jede Menge Konzern-, Unternehmens- und Funktionsstrate-
Checklisten und Techniken und lege speziellen gien sowie auf den bestehenden strukturellen Ein-
Wert darauf, an den Anfang Ziele zu setzen und heiten. „Deshalb ist es alles andere als einfach,
an das Ende die Ausarbeitung von Budgets und die Kategorien zu verändern. Aber genau das
operativen Plänen.“[65] ... „Schließlich fügt man bedeutete echte strategische Veränderung ja“.[82]
das Ganze - Ziele, Budgets, Strategien, Pro- Mintzberg ist kein Freund strategischer Planung.
gramme - zu einem System operativer Pläne Er bevorzugt eine offene Form der Strategie-
zusammen, das manchmal als ‚Masterplan‘ entwicklung [89]: „Die effektive Entwicklung
bezeichnet wird. Es erübrigt sich zu sagen, dass von Strategien verbindet das Handeln mit dem
derartige Masterpläne oft erschreckend umfang- Denken, wodurch wiederum die Implementierung
reich sind. ... Der Überbegriff für alle diese mit der Formulierung verbunden wird. Wir
Umsetzungs-bestrebungen lautet Planung, aber denken, um handeln zu können, sicher; aber wir
die dahinter-stehende Absicht heißt in Wirklich- handeln auch, um denken zu können. Wir pro-
keit oft Kontrolle.“ [69f] bieren verschiedene Wege aus, und diejenigen,
Mintzberg beschreibt auf fast allen Seiten dieses die sich nach und nach als gangbar erweisen,
Kapitels die Planungsschule von ihrer negativen verschmelzen zu Mustern, die schließlich zu
Seite. Planung, so schreibt er, kann das Bekennt- Strategien werden. Das ist keine kopflose Verhal-
nis zur Strategieentwicklung untergraben. „Hat tensweise desorganisierter Menschen, sondern das
man je einen Manager gesehen, der, nachdem er Wesen strategischen Lernens schlechthin.“
3. Die Positionierungsschule:
Strategieentwicklung als analytischer Prozess

Die Positionierungsschule, so schreibt Mintzberg, Porters Modell der Wettbewerbsanalyse


verbindet sich vor allem mit dem Namen von
Michael Porter, der sein Buch ‘Competitive Es sind fünf Kräfte in der Umgebung der
Strategy’ 1980 veröffentlichte. Dem folgte 1985 Organisation, die den Wettbewerb beein-
noch ein anderes namens ‘Corporate Advantage’. flussen. Porter beschreibt in seinem Buch die
Am besten bekannt wurden sein Modell der Faktoren, die in diesen Kräften eine Rolle
Wettbewerbsanalyse, seine generischen Strategien spielen. Ich gebe sie hier nicht wieder.
(oder Strategietypen) und seine Definition der Aus der Analyse dieser Kräfte können Unterneh-
Wertkette. men Strategien ableiten.

Neue
Marktteilnehmer

Bedrohung
durch neue
Marktteilnehmer

Verhandlungs- Konkurrenten innerhalb Verhandlungs-


stärke der der Branche stärke der
Lieferanten Kunden
Lieferanten Käufer
Intensität der Rivalität

Bedrohung durch
Substitutionsgüter

Ersatzprodukte
Porters generische Strategien Porter hat die These aufgestellt, ein Unternehmen
müsse sich auf eine einzige Strategie beschrän-
„In Anbetracht der vielfältigen Kräfte würde man ken, damit es nicht ‚zwischen den Stühlen‘ sitze.
normalerweise meinen, dass die Bandbreite der Darin hat er Kritiker gefunden, die behaupten,
anwendbaren Strategien relativ groß sei. Doch dass jenen besonders hohe Erträge winken, die
Porter nimmt die entgegengesetzte Position ein: das Dilemma der Gegensätze lösen können.
er meint, dass nur wenige ‚generische‘ Strategien
langfristig das Überleben im Wettbewerb
sichern.“ [123] Er unterscheidet drei generische
Strategien, um eine überdurchschnittliche Porters Wertkette
Leistung zu erzielen: Kostenführerschaft, Diffe- In seinem 1985 erschienen Buch stellte Porter
renzierung und Konzentration auf Schwerpunkte. einen Rahmen vor, den er als Wertkette bezeich-
Was Kostenführerschaft meint, braucht hier nicht nete. Das Wort ‚Spanne‘ am rechten Rand von
extra erklärt zu werden. Mit Differenzierung ist Porters Diagramm weist daraufhin, dass die
gemeint, dass einzigartige Produkte oder Dienst- Gewinnspannen der Unternehmen davon abhän-
leistungen entwickelt werden. Ein solches Unter- gen, wie die Wertkette gemanagt wird. Die
nehmen kann bessere Qualität, mehr Leistung gepunkteten Linien sollen verdeutlichen, dass
oder einzigartige Produktmerkmale bieten, alles sich jede Unterstützungsaktivität der einen wie
Dinge, die höhere Preise rechtfertigen. der anderen primären Aktivität zuordnen lässt
und gleichzeitig die gesamteKette unterstützt. Für
Die Strategie der Konzentration auf Schwerpunk- Porter bedeutet die Wertkette „eine systematische
te ist darauf ausgerichtet, eng eingegrenzte Methode zur Untersuchung aller von einem
Marktsegmente zu bedienen. Ein Unternehmen Unternehmen durchgeführten Aktivitäten sowie
kann sich auf bestimmte Kundengruppen, ihre Wechselbeziehungen[127]“. Mir kommt die
Produktlinien oder geografische Märkte konzen- Wertkette reichlich banal vor. Vielleicht hat sie
trieren, sei es über den Weg der Differenzierung einen didaktischen Zweck für die Studentenaus-
oder der Kostenführerschaft. bildung. Ich gebe sie hier wieder, weil sie zu den
drei bekanntesten Konzepten von Porter gehört.
Porters generische Wertkette

UNTERSTÜTZENDE AKTIVITÄTEN

Infrastruktur des Unternehmens

Personalwese

Sp
n

an
ne
Technologieentwicklung

Beschaffung

Eingangs- Ausgangs- Marketing &


Operationen Service

Sp
logistik logistik Verkauf

ann
e

PRIMÄRE AKTIVITÄTEN

Im Anschluss an Porter, so führt Mintzberg aus, Wichtiger noch als diese Folgeerscheinungen der
explodierte die Literatur zur strategischen Positio- Porterschen Grundlegung erscheinen mir die
nierung. Manche Arbeiten konzentrieren sich auf Beiträge der Bosten Consulting Group (BCG).
einzelne Bedingungen wie Outsourcing oder Pro- Sie entstanden bereits vor Porters Veröffentli-
duktbündelung, andere beschäftigen sich z. B. mit chungen Ende der 70er Jahre. Es handelt sich um
den Vorteilen des ersten Zuges. Wiederum andere zwei Techniken, nämlich die Boston-Matrix zur
benutzten die sogenannte Spieltheorie, um günsti- Ermittlung von Wachstumspotential und Markt-
ges Wettbewerbsverhalten herauszufinden. anteil und die Erfahrungskurve.
Die Boston-Matrix der BCG Ich gebe sie hier wieder, wie sie in Mintzbergs
Buch abermals abgedruckt ist, ohne sie näher zu
Die Boston-Matrix war Bestandteil der ‚Portfolio- erklären [siehe dazu S. 114 ff]. Die Einfachheit
Planung‘, die sich mit der Frage beschäftigte, des Schemas und die anschauliche Sprache waren
wie die Mittelzuteilung an die einzelnen Bereiche wohl ein Verkaufsschlager ohnegleichen.
eines diversifizierten Unternehmens erfolgen
sollte.
Wachstumspotential des Unternehmens

Hoch
* ?
Star Problemkind

Erfolgs-
sequenz

Niedrig $ X
Milchkuh Armer Hund

Hoch Niedrig
Derzeitiger Marktanteil des Unternehmens
Die Erfahrungskurve der BCG Ferner wirft er der Positionierungsschule die
Überbetonung der Analyse vor: Paralyse durch
Sie geht auf eine Forschungsarbeit aus dem Analyse. Ein Großteil der Probleme, die die Posi-
Jahr 1936 zurück, derzufolge die Produktions- tionierungsschule nach sich zieht, liegt an der ein-
kosten anscheinend um einen konstanten seitigen Konzentration auf äußere Bedingungen
Prozentsatz zwischen 10 und 30% abnehmen, wie Branche und Wettbewerb, weil damit die
sobald in der Produktion insgesamt eine inneren Möglichkeiten des Unternehmens außer
Verdoppelung erreicht ist. Acht gelassen werden.
Diese Strategie ist natürlich davon abhängig, dass Und die Kalkulationen der Analytiker können das
alle anderen Faktoren gleich bleiben - was selten Engagement der Akteure untergraben. „Eine
in der Praxis vorkommt, schreibt Mintzberg. erfolgreiche Strategie ist eine Strategie, die enga-
Trotzdem führte die Erfahrungskurve dazu, dass gierte Menschen mit Energie erfüllt: Sie machen
das Produktionsvolumen als Selbstzweck betrach- sie zu einer guten Strategie, indem sie sie ver-
tet wurde. wirklichen, und vielleicht, indem sie sie selbst
entwickeln.“[138]

Kritik an der Positionierungsschule


Mintzberg geht ausführlich auf die Kritik an der
Positionierungsschule ein. Er meint, die Perspek-
tive der Positionierungsschule sei nicht unbedingt
falsch, aber sie sei verengt. „Sie konzentriert sich
auf das rein Wirtschaftliche und dabei besonders
auf das Quantifizierbare. Soziale und politische
Fragen, ja sogar nichtquantifizierbare wirtschaft-
liche Faktoren lässt sie weitgehend außer acht.
4. Die Unternehmerschule:
Strategieentwicklung als visionärer Prozess

Mintzberg grenzt diese Schule von den vorher- Arbeiten. Dies übergehe ich hier, weil mir das
gehenden darin ab, als sie Intuition, Urteilsvemö- ‚hohe Lied des Unternehmers‘ prinzipiell nicht
gen, Weisheit, Erfahrung und Erkenntnis des passt. Sicher stimmt es, was Mintzberg schreibt,
Unternehmensleiters einbezieht. Das zentrale dass Unternehmen besonders in den ersten Jahren
Konzept ist das der Vision. Es handelt sich um nach ihrer Gründung von der strategischen Vision
eine geistige Darstellung der Strategie, die im ihres Gründers profitieren. Aber wir haben es sel-
Kopf der Führungspersönlichkeit entsteht oder ten mit solchen Unternehmen zu tun. Es hat für
zumindest von ihr aufgegriffen wird. Er schreibt: mich einen makabren Beigeschmack von Schön-
„Eine Vision ist oft eher ein Bild als ein (in färberei, wenn wir erleben, wie ‚reife‘ Unterneh-
Worten und Zahlen) schlüssig formulierter Plan. men von ihren Leitern mittels unternehmerischer
Das macht sie flexibel, so dass sie von der Füh- Visionen wach gerüttelt werden.
rungskraft deren jeweiliger Erfahrung angepasst
werden kann. Daraus lässt sich schließen, dass Mintzberg gibt denn auch die Defizite der unter-
die unternehmerische Strategie sowohl eine beab- nehmerischen Schule wieder. Sie stellt die Strate-
sichtigte als auch eine sich herausbildende ist: gieentwicklung als Prozess dar, der sozusagen im
beabsichtigt in ihren Grundzügen und ihrer Rich- Verhalten einer Einzelperson ‚eingewickelt‘ ist.
tung, sich herausbildend in ihren Einzelheiten, die „Dabei kann man allerdings nie genau sagen,
‚unterwegs‘ angepasst werden können“.[149] worin dieser Prozess eigentlich besteht. Er ist im
wesentlichen eine ‚Black box‘ geblieben. ... Das
Mintzberg referiert eine Reihe von Arbeiten, bedeutet, dass diese Schule einer Organisation,
die zur Unternehmerpersönlichkeit, zur Vision die in Schwierigkeiten steckt, ein allzu einfaches
und zur unternehmerischen Sicht der Strategie- Rezept anbieten würde: Suche dir einen neuen
bildung entstanden sind, darunter auch eigene visionären Führer.“
5. Die kognitive Schule:
Strategieentwicklung als mentaler Prozess

Mit diesem Kapitel in Mintzbergs Buch tue ich für sehr umstritten, wenn die Sozialkonstrukti-
mich schwer. Er führt sehr unterschiedliche visten behaupten, dass Umwelten, da sie inner-
Theorien und Theoriansätze an, die sich meines halb der Organisation konstruiert werden, kaum
Erachtens nur bedingt in einen logischen Zusam- mehr sind, als das Produkt der Überzeugungen
menhang bringen lassen. des Managements. Er schreibt: „Wenn wir kurz
auf die Design- und Positionierungsschule
So stellt er Arbeiten der kognitiven Psychologie zurückblicken, erkennen wir, dass das große Feld
vor, wie Individuen Informationen verarbeiten, der SWOT-Matrix - jenes, in dem es um die
um Entscheidungen zu fällen. Dass der mensch- Umwelt geht und um das die Positionierungss-
liche Geist beschränkt ist und sich allerlei ‚Karten schule so großes Aufhebens macht - plötzlich in
(maps)‘, Schemata, Skripts und Modelle schafft, eine unbedeutende Rolle gedrängt wird.“[197]
um sein begrenztes Wissen zu organisieren, ist ja
wahr. Aber was besagt das für die Strategieent- Hier hätte ich mir mehr Klärung gewünscht, in
wicklung? Das bleibt unklar. welchem Wechselspiel sich die Selbstinterpreta-
tion (also die Konstruktion) der Umwelt und die
Sodann berichtet er von sozialkonstruktivisti- Irritation, die von der Umwelt ausgeht, zuein-
schen Sichtweisen: Kein Mitglied einer Organisa- ander stehen, wenn diese Selbstinterpretation
tion „sieht“ die Umwelt. Statt dessen wird diese versagt. Aber das leistet Mintzberg nicht. Niklas
Umwelt aus den reichhaltigen und mehrdeutigen Luhmann ist ihm sicher unbekannt..
Informationen konstruiert. Mintzberg hält es
6. Die Lernschule:
Strategieentwicklung als sich herausbildender
Prozess

„Ihre Verfechter stellen immer wieder die ein- ‘Der Prozess des Organisierens’ erhältlich.
fache Frage: Wie bilden sich Strategien in
Organisationen tatsächlich? Sie fragen nicht, wie „Weick argumentiert“, schreibt Mintzberg, „dass
sie fomuliert werden, sondern nur, wie sie sich das Management genug damit zu tun habe, den
bilden.“[205] Erfahrungen der Vergangenheit einen Sinn über-
zustülpen. Wir versuchen etwas, sehen die Konse-
Als Prämissen der Lernschule zählen Mintzberg quenzen, finden eine Erklärung dafür und setzen
und seine Mitautoren unter anderen auf [238f]: unseren Weg fort. Diese Theorie klingt durchaus
vernünftig. Aber sie bricht mit dem jahrzehnte-
„1. Die komplexe und unvorhersehbare Natur der langen Grundsatz des strategischen Manage-
Organisationsumwelt ... schließt eine bewusste ments, dass das Denken enden muss, bevor das
Kontrolle aus; die Strategieentwicklung muss die Handeln beginnt - dass also die Formulierung vor
Form eines Prozesses annehmen ...“ der Implementierung kommen muss.“
„2. Obwohl auch der Führer lernen muss und Es gibt eben nach Weick nicht die Welt ‚dort
manchmal sogar im Mittelpunkt des Lernprozess- draußen‘, die zu Ende analysiert werden kann.
ses stehen kann, ist es im allgemeinen das „Statt dessen wird die Welt, wie Weick es aus-
kollektive System, das lernt: in den meisten Orga- drückt, inszeniert. Die Realität entsteht durch eine
nisationen gibt es viele potentielle Strategen.“ ständige Interpretation und Aktualisierung unse-
„3. Dieses Lernen bildet sich heraus durch rer Erfahrung.“
Verhalten, welches das rückblickende Denken Was Weick damit meint, macht man sich am
anregt, um dem Handeln einen Sinn geben zu besten klar, wenn man eine Geschichte liest, die
können.“ Weick in seinem neuen 1995 erschienenen Buch
„4. Aufgabe der Führung ist es daher nicht, ‘Sensemaking in Organizations’ erzählt. Es geht
bewusste Strategien zu konzipieren, sondern den darin um eine ungarische Militäreinheit, die
Prozess des strategischen Lernens so zu mana- Manöver in den Alpen durchführte und nach
gen, dass neue Strategien entstehen können.“ einem zwei Tage dauernden Schneesturm noch
immer nicht zurückgekehrt war. Am dritten Tag
„5. Demgemäß erscheinen Strategien anfangs als erschienen die Soldaten und erklärten:
Muster aus der Vergangenheit und werden erst
später vielleicht zu Plänen für die Zukunft.“ „Wir glaubten schon, wir wären verloren und
erwarteten unser Ende. Da fand einer von uns
Die Prämissen 1., 2. und 4. leuchten mir unmittel- eine Karte in seiner Tasche. Das beruhigte uns.
bar ein. Anders geht es mir mit den Prämissen 3. Wir errichteten ein Lager, warteten auf das Ende
und 5. Hierzu muss man lesen, was Mintzberg des Schneesturms und stellten anhand der Karte
über Retrospektive Sinnerfüllung schreibt [225ff]. fest, wo wir uns befanden. Und jetzt sind wir
Der unter diesem Begriff entwickelte Gedanke zurück.“ Der Leutnant, der die Einheit losge-
stammt von Karl Weick, dem wohl bedeutendsten schickt hatte, ließ sich diese bemerkenswerte
amerikanischen Organisationspsychologen. Das Karte geben und studierte sie gründlich. Zu sei-
Buch, das Weick berühmt gemacht hat, heißt ‘The nem Erstaunen stellte er fest, dass es sich nicht
Social Psychology of Organizing’. Es ist 1969 um eine Karte der Alpen, sondern um eine der
erschienen. Auf Deutsch ist es unter dem Titel Pyrenäen handelte.
Lernen als Erzeugung von Wissen Dabei könnte man fragen, welcher Manager,
einschließlich des Unternehmensleiters, nicht im
„Eine wichtige Strömung der neueren Literatur Geschäft der Erzeugung von Wissen tätig ist.
betrifft die Arbeit an der ‚Erzeugung des Wis-
sens‘. Sie erfreut sich in letzter Zeit großer Ein neueres, sehr substantielles Werk zu diesem
Beliebtheit. Dass sie zu einer echten Mode Thema ist ‘The Knowledge-Creating Company’
geworden ist, erkennt man daran, dass Unterneh- von Nonake und Takeuchi (1995) [240].16
men unter diesem Titel Positionen ausschreiben.

Zu

stillschweigendem esplizitem Wissen


Wissen

Sozialisierung Externalisierung

stillschweigendem
Wissen

Von

esplizitem Wissen

Internalisierung Kombination
Das Schaubild, das Mintzberg aus dem Buch von Die Dynamik der Organisationsfähigkeiten
Nonaka und Takeuchi adaptiert hat, verschränkt
‚stillschweigendes Wissen, mit ‚explizitem „Derzeit ist vor allem bei den Praktikern die
Wissen‘, woraus sich vier Arten der Wissens- Ansicht verbreitet, die Strategie hänge vom
umwandlung ergeben [241f]: Lernen ab und das Lernen von den Fähigkeiten.
Vor allem C. K. Prahalad und Gary Hamel sind
• Sozialisierung beschreibt die implizite Weiter- für die Verbreitung dieser Ideen in der Business-
gabe von stillschweigendem Wissen, oft sogar Gemeinde verantwortlich, insbesondere durch die
ohne Verwendung von Sprache, wie zum Beispiel Veröffentlichung einer Reihe hoch inflationärer
durch Erfahrung. Artikel in der Harvard Business Review, wie
‚The Core‘ (1990) und ‚Strategy as Stretch and
• Externalisierung wandelt stillschweigendes in Leverage‘ (1993) sowie eines 1994 erschienen
explizites Wissen um, oft mittels Metaphern und Buches mit dem Titel ‚Competing for the Future‘.
Analysen - speziellen Verwendungsweisen der Wenn sich im strategischen Management in den
Sprache. neunziger Jahren eine ‚Modeströmung‘ heraus-
• Kombination ... verbindet formal kodifiziertes gebildet hat, dann ist dies sicherlich das Konzept
Wissen und gibt es von einer Person zur anderen der dynamischen Fähigkeiten.“[244]
weiter. Mintzberg stellt die drei populärsten Konzepte
• Internalisierung bringt das explizite Wissen von Prahalad und Hamel vor: Kernkompetenz,
zurück zur stillschweigenden Form. strategische Intention und Dehnung/ Verviel-
fältigung[248].
Der Schlüssel zu jeglichem Lernen ist daher die
‚Wissensspirale‘, die im Schaubild gezeigt wird. 1. Kernkompetenzen
In ihr interagieren diese vier Prozesse auf dyna- „... Prahalad und Hamel glauben, der Wettbe-
mische Weise [243f]. werbsvorteil beruhe auf tiefverwurzelten Fähig-
‚Stillschweigendes Wissen‘ ist die Übersetzung keiten, die hinter den von einem Unternehmen
des englischen Begriffs ‚tacit knowledge‘. Hier hergestellten Produkten stehen. ... Das Erfolgs-
ist darauf zu verweisen, dass es M. Polanyi war, geheimnis liegt also nicht in großartigen Produk-
der 1966 hierüber ein sehr bekannt gewordenes ten, sondern in der einzigartigen Kombination
Buch veröffentlicht hat mit dem Titel ‘The Tacit von Fähigkeiten, die es einem Unternehmen
Dimension’. Dieses Buch ist im Jahre 1985 auch gestattet, großartige Produkte herzustellen. Die
auf Deutsch erschienen mit dem Titel ‘Implizites Manager werden deshalb ermutigt, ihr Unterneh-
Wissen’. men als Portfolio von Ressourcen und Fähigkei-
ten zu betrachten, die auf verschiedene Weise
kombiniert werden können, nicht jedoch als
Ansammlung von Produkten...“
2. Strategische Intention Mit Vervielfältigen ist sowohl eine Konzentration
der Ressourcen um einen strategischen Brenn-
Die strategische Intention gibt die allgemeine punkt gemeint, als auch das Anzapfen von Ress-
Richtung vor und „fordert die Mitarbeiter zum sourcen anderer (Lieferanten, Kunden,...)
Kampf auf“. Für mich ist das Konzept ähnlich
dem der Vision. Mir bleiben die Konzepte von Prahalad und
Hamel zu verschwommen. Aber sie sind in Mode
3. Dehnung und Vervielfältigung und werden es wohl noch eine Weile bleiben.
Hamel und Prahalad definieren Dehnung als Vielleicht ist es ihre relative Unbestimmtheit
‚Diskrepanz zwischen den Ressourcen und den (ähnlich dem Begriff Qualität), die die ‚Halbwert-
Bestrebungen‘. Einerseits ist damit gemeint, dass zeit‘ der Konzepte ausdehnt.
Firmen oft selbstzufrieden sind und ihre Ress- Im Kapitel ‘Die Lernschule’ gefällt mir besonders
sourcen dehnen und nicht ausschöpfen. Anderer- eine Zusammenstellung von Prinzipien für die
seits gibt es Unternehmen, die von starkem Ehr- lernende Organisation, verfasst von Joseph
geiz getrieben sind und ihre mageren Ressourcen Lampel, dem Mitautor von Strategy Safari [245f].
‚dehnen‘. Diese Prinzipien klingen fast banal. Sie sind es
dennoch wert, dass man sie sich vor Augen führt,
wenn man Strategieentwicklung als sich heraus-
bildenden Prozess betreiben will.

Prinzipien für die lernende Organisation


1. Organisationen können von Misserfolgen genauso viel, wenn nicht sogar mehr als aus
Erfolgen lernen.

2. Eine lernende Organisation lehnt das Motto „Repariere nichts, was nicht kaputt ist“ ab. Sie nimmt
von Zeit zu Zeit eine Überprüfung von Systemen, Routinen und Verfahren vor, um festzustellen, ob sie
eine erwünschte Funktion immer noch erfüllen.

3. Lernende Organisationen gehen davon aus, dass die Manager und jene Mitarbeiter, die unmittelbar
mit dem Entwurf, der Herstellung und dem Verkauf des Produktes zu tun haben, oft mehr über diese
Aktivitäten wissen als ihre Vorgesetzten.

4. Eine lernende Organisation versucht aktiv, das Wissen von einem Teil der Organisation in einen
anderen zu verlagern, um sicherzustellen, dass das relevante Wissen seinen Weg zu jener
Organisationseinheit findet, die es am dringendsten braucht.

5. Lernende Organisationen investieren viel Energie, um außerhalb ihrer Grenzen Ausschau nach
Wissen zu halten. Sie lernen von Kunden, Lieferanten und Konkurrenten.
7. Die Machtschule:
Strategieentwicklung als Verhandlungsprozess

Mintzberg unterteilt das Kapitel in „Mikromacht“ Dazu zählt ein Auszug aus Mintzbergs Buch von
und „Makromacht“. Die erstere befasst sich mit 1989 ‘Mintzberg on Management: Inside Our
den Vorgängen innerhalb der Organisation, die Strange World of Organization’, das 1991 auch
Makromachtschule beschäftigt sich mit dem Ein- auf Deutsch ‘Mintzberg über Management’
satz von Macht durch Organisationen. Er hebt erschienen ist. Er listet eine Reihe politischer
hervor, dass die der Machtschule zuzuordnende Spiele auf, die ich nur mit ihren anschaulichen
Literatur eher spärlich ist. „Macht galt auf diesem Bezeichnungen wiedergebe [270f]:
Gebiet lange als eine Art von fünfter Kolonne.
Jeder wusste, dass es sie gab, aber die Forscher Aufstandsspiel, Rückschlagspiel, Sponsoren-
beschäftigten sich nur ungern mit ihr“.[267] spiel, Allianzbildungsspiel, Spiel zum Aufbau
eines Herrschaftsgebietes, Budgetspiel, Experten-
Für unsereins ist es erstaunlich, dass Mintzberg spiel, Überheblichkeitsspiel, Spiel „Linie gegen
überwiegend von der Illegitimität des Machtein- Stab“, Spiel der rivalisierenden Lager, Spiel um
satzes ausgeht, obwohl er dann doch auch positi- die Strategiekandidaten, Verpfeifen, Jungtürken-
ve Seiten des politischen Spiels beschreibt. spiel
Mintzberg erkennt an, dass neue angestrebte
Strategien auf Machtverschiebungen hindeuten,
Mikromacht die politische Manöver nach sich ziehen. Wie
Am Ende des Unterkapitels über Mikromacht zurückhaltend er in der Bewertung der politischen
zitiert Mintzberg aus einer Arbeit von Macmillan Komponente der Strategieentwicklung ist, zeigt
und Guth. Die beiden Autoren empfehlen den folgende Formulierung: „Wir haben den Ver-
Einsatz politischer Mittel zur Durchsetzung von dacht, dass sich Strategien, die aus politischen
Strategien unter anderem so [279]: Das Wort Prozessen entstehen, eher herausbilden, als dass
erinnert uns an das uns geläufigere Wort von der sie bewusst konzipiert werden, und dass sie eher
Mikropolitik. Mintzberg verwendet es jedoch die Form von Positionen als von Perspektiven
nicht. Ihm ist die deutsche Literatur dazu von annehmen. Eine Strategie auf dem politischen
Küppers und Ortmann sowie von Neuberger Wege zu entwickeln, bedeutet im Normalfall,
unbekannt. Auch die in Frankreich durch Crozier dass man Schritt für Schritt in Verhandlungen
und Friedberg entwickelte Theorie der Macht in und ähnlichen Prozessen zu ihr gelangt“. Und
Organisationen wird von ihm nicht herangezogen. weiter: „Es scheint jedoch unwahrscheinlich, dass
Selbst der amerikanische Autor, der sich mit unter politischen Umständen eine Strategie
‘Power in Organizations’ hervorgetan hat, näm- entwickelt werden kann, die eine umfassende
lich J. Pfeffer, wird nur mit einer Arbeit zitiert, Perspektive, eine einzige gemeinsame Vision
die über Makromacht geschrieben wurde. darstellt,“[275]

Dennoch liest man dies Kapitel mit Gewinn, weil Offiziell anerkannte Machtmittel werden manch-
es in Beziehung zur Strategieentwicklung auf mal eingesetzt, schreibt Mintzberg, um illegitime
Phänomene aufmerksam macht, die in der uns Ziele zu erreichen, und Politik kann eingesetzt
bekannteren Literatur so nicht beschrieben sind. werden, legitime Ziele zu erreichen, obwohl die
eingesetzten Mittel formal nicht legitim sind. Wir Mintzberg erkennt an, dass Politik eine positive
haben da ein anderes Verständnis von Legitimität, Funktion für die Strategieentwicklung haben
für uns ist die formale Organisation nicht per se kann.
legitim und der Einsatz von politischen Mitteln
nicht per se illegitim.

Der Nutzen der Politik


1. Die Politik als System der Einflussnahme kann eine evolutionäre Funktion haben und dafür sorgen,
dass die stärksten Mitglieder einer Organisation in Führungspositionen gelangen. Die Politik kann
alternative Informations- und Beförderungskanäle öffnen. Politische Spiele helfen nicht nur die Stars
zu finden, sondern sind möglicherweise auch geeignet, ihre schwächeren Rivalen aus dem Spiel zu
nehmen.

2. Politik kann dafür sorgen, dass alle Facetten einer Angelegenheit ausreichend beleuchtet werden. Die
Politik zwingt die Menschen, für die von ihnen verfochtenen Ideen zu kämpfen, und sorgt auf diese Art
dafür, dass zu jeder Frage verschiedene Meinungen gehört werden.

3. Politik kann erforderlich werden, um notwendige Veränderungen herbeizuführen, die von den legiti-
meren (!) Systemen zur Einflussnahme blockiert werden. Das System der Sachkenntnis konzentriert die
Macht in den Händen altgedienter Experten statt in den Händen der Jungen, die möglicherweise die
neueren Kenntnisse besitzen. Angesichts dieser Widerstände wird die Politik möglicherweise zu einer
nützlichen Umgehungstaktik, welche die notwendigen Veränderungen herbeiführen kann.

4. Politik kann den Weg für die Durchführung von Veränderungen ebnen. Beispielsweise gehen Spit-
zenmanager häufig politisch vor, um Unterstützung für ihre Entscheidungen zu gewinnen, und bilden
Allianzen, um den Weg für ihre Vorhaben zu bereiten.
Das Koalitionsverhalten steuern
1. Die Unternehmensleitung kann die Reihenfolge beeinflussen, in der die Aufgaben in Angriff
genommen werden. Das kann zur Bildung ganz unterschiedlicher Koalitionen führen.

2. Sie kann die Sichtbarmachung bestimmter Themen erhöhen.

3. Sie kann die Aufgaben in ähnliche Teilaufgaben untergliedern. Damit wird der Widerstand der
Koalitionen unter Umständen verringert, und zwar aus dem einfachen Grund, dass Bildung und Auf-
rechterhaltung einer Koalition einigen Zeit- und Energieaufwand erfordern. Je geringer die Aufgabe,
umso unbedeutender wird der Kampf und desto geringer ist die Motivation zur Bildung einer Koalition.

Direkte Maßnahmen gegen die oppositionelle Koalition ergreifen


1. Bildung einer vorbeugenden Koalition - sie kann selber einige Manager der mittleren Ebene auf ihre
Koalition einschwören.

2. Bildung einer Gegenkoalition, nachdem die oppositionelle Koalition sichtbar geworden ist.

3. Änderung der Positionen, welche die Führer der oppositionellen Koalition in der Organisation
einnehmen.

4. Kooptation von Koalitionsmitgliedern - ihre Aufnahme in Gremien, Ausschüsse oder Projekt-


gruppen, in denen sie neuen Informationen und sozialen Einflüssen ausgesetzt werden.

5. Erhöhung der auf die Koalitionsmitglieder zielenden Kommunikations-/ Überzeugungsbemühungen.

6. Entfernung der Koalitionsführer aus der Organisation.

Makromacht „Tatsächlich sind manche in ihrem Buch behan-


delte Strategien nicht weniger generisch als jene
Bei der Makromacht geht es um die Interdepen- der Positionierungsschule - und in einigen Fällen
denz zwischen einer Organisation und ihrer sind sie sogar dieselben! Beispielsweise wird die
Umwelt. Das bahnbrechende Buch haben Pfeffer Fusion, die von der Positionierungsschule als
und Salancik 1978 unter dem Titel ‘The External wirtschaftliche Strategie bezeichnet wird, hier als
Control of Organizations’ verfasst. Sie beschrei- politisches Mittel betrachtet, das der Erreichung
ben, wie es manchen Organisationen gelingt, politischer Ziele - Macht und Kontrolle - dient.“
bewusst konzipierte Strategien politischer Natur
zu verfolgen. Ich zitiere [281f]:
„Der Unterschied besteht darin, was und wen Kooperative Strategiegestaltung
Pfeffer und Salancik im Vergleich mit Porter und
den übrigen Positionierungstheoretikern zum „Netzwerke“, „kollektive Strategien“, „Joint-
externen Kontext der Organisationen zählen. Sie vetures“ und „strategische Allianzen“ sowie
rechnen die Interessengruppen zu den ‚Aktionä- „strategische Beschaffung“ sind allesamt
ren‘ und ersetzen den ‚Markt‘ durch die Bestandteile des neuen Vokabulars des Strategi-
‚Umwelt‘, womit sie die Organisation für eine schen Managements.
sehr viel größere Zahl von Akteuren und Ein- Nimmt man all diese Konzepte zusammen, so
flussfaktoren öffnen.“ wird es zunehmend schwieriger herauszufinden,
„Pfeffer und Salancik vertreten die Auffassung, wo die eine Organisation endet und wo die andere
dass das herkömmliche Bild vom Markt als einer beginnt. „Mit anderen Worten: Die Grenzen
offenen Arena, in der, um Porters Ausdruck zu zwischen den Organisationen verschwimmen
verwenden, Organisationen ‚frei um Positionen zusehends, da die strengen Hierarchien im Inne-
kämpfen‘, in hochentwickelten Wirtschaftssyste- ren und die offenen Märkte in der Umgebung
men weitgehend durch das Bild von in hohem durch Netzwerke ersetzt werden.“[291]
Maß interdependenten und komplexen Organisa- Mintzberg stellt die politische Dimension von
tions-, Gesetzgebungs- und Berufssystemen Allianzen dem offenen Wettbewerb gegenüber.
ersetzt worden ist.“ Einige Allianzen werden ausdrücklich geschmie-
Sodann geht Mintzberg auf einige Richtungen auf det, um den Wettbewerb zu verringern und die
dem Gebiet der Makromacht ein, die es wert sind, Märkte abzusichern. Er fragt: „Und wie verhält es
näher betrachtet zu werden. sich mit all den Kooperationsvereinbarungen zwi-
schen ansonsten konkurrierenden Unternehmen,
Strategisches Manövrieren die Brandenburger und Nalebuff 1995 unter dem
Begriff der Coopetition zusammengefasst haben?
Der Zweck der Politik besteht darin, schreibt Unter der Oberfläche einer Kooperationsbezie-
Mintzberg, unter Verzicht auf eine destruktive hung kann Rivalität schlummern, doch genauso
Konfrontation bestimmte Ziele zu erreichen, also gut kann Kooperation eine Rivalität unterdrücken
unterhalb einer Art von ‚Krieg‘. Manöver dienen und mildern. Sind die Unternehmen in der Lage,
dazu, den Rivalen zu verdeutlichen, dass es klü- die beiden Zustände sauber zu trennen, oder
ger wäre, für beide Seiten vorteilhafte Regelun- werden sie eines Tages aufwachen und sich in
gen auszuhandeln, statt zu kämpfen. einer riesigen Zwangsjacke des allumfassenden
„Demgemäss stellt die Strategie hier weniger eine Netzwerks wiederfinden (das nach Ansicht
Position als eine List dar, die vor dem Hinter- einiger Beobachter in Ländern wie Frankreich,
grund einer in der Vergangenheit etablierten, sta- wo Regierung und Wirtschaft eng miteinander
bilen Ordnung ausgespielt wird. Sie besteht aus verflochten sind, bereits Realität ist)? Es bedarf
Täuschungsmanövern und anderen Machenschaf- einfach einer gewissen Sensibilität für die politi-
ten, die häufig der absichtlichen Täuschung der schen Konsequenzen wirtschaftlicher Vorgänge.
Konkurrenten dienen.“ Das ist die Kernaussage der Machtschule.“[293]
8. Die Kulturschule:
Strategieentwicklung als kollektiver Prozess

Über Organisationskultur bzw. Unternehmens- diesem Kapitel interessiert sich Mintzberg für die
kultur ist viel geschrieben worden. Es gehört Beziehung zwischen Kultur und Strategie.
heute zum guten Managementton, sie für einen
wichtigen Wert zu halten. Ob das Management es Er nennt fünf Prämissen der kulturellen Schule
ernst damit meint, ist eine andere Frage. Hier, in [302]:

Prämissen der Kulturschule


1. Die Strategiegestaltung ist ein Prozess der sozialen Interaktion, der auf den Überzeugungen und
Übereinkünften der Mitglieder einer Organisation beruht.

2. Ein Individuum übernimmt diese Überzeugungen in einem Prozess der Kulturaneignung oder
Sozialisierung, der im wesentlichen schweigend und nonverbal erfolgt, obwohl er manchmal durch
eine formale Indoktrinierung unterstützt wird.

3. Die Mitglieder einer Organisation können die Überzeugungen, die ihrer Kultur zugrunde liegen,
daher nur zum Teil beschreiben, während ihnen deren Ursprünge und Erklärungen verborgen bleiben.

4. Die Folge ist, dass die Strategie in erster Linie nicht die Form von Positionen einnimmt, sondern
eine Perspektive darstellt, die in den kollektiven (nicht notwendigerweise ausdrücklich erklärten)
Absichten wurzelt und ihren Ausdruck in den Mustern findet, mit denen die tief verankerten Ress-
sourcen oder Fähigkeiten der Organisation bewahrt und zu ihrem Wettbewerbsvorteil eingesetzt wer-
den. Die Strategie wird daher am besten als beabsichtigt (wenn auch nicht vollkommen bewusst)
beschieben.

5. Kultur und insbesondere Ideologie unterstützen weniger die strategische Veränderung, sondern eher
die Aufrechterhaltung der gegenwärtigen Strategie: sie sind bestenfalls geeignet, Positionsverschie-
bungen innerhalb der übergeordneten Strategie der Organisation zu fördern.

Damit verweist Mintzberg auf den konservieren- habe einen Prozess der Verlernens und Vergess-
den Charakter der Kultur in der Suche nach sens gegeben. Das ist eine beschönigende
neuen Strategien. „Bevor IBM damit beginnen Betrachtung. Es hat heftige Machtkämpfe gege-
konnte, eine neue Strategie zu entwickeln, musste ben, die PC-Logik neben der Großrechnerlogik zu
das Unternehmen die Großrechnerlogik teilweise etablieren. Die 5. Prämisse liefert die zutreffende
verlernen oder vergessen,“ zitiert Mintzberg aus Erklärung, dass die übergeordnete Strategie - hier
einem Aufsatz von Bettis und Prahalad. Mir zeigt die Großrechner-Strategie - bestenfalls Positions-
dieses Beispiel, wie schwierig die Verwendung verschiebungen zugunsten der PC-Strategie
des Kulturbegriffs ist. Das Zitat suggeriert, es zuließ.
Mintzberg berichtet von Untersuchungen bei the Firm’ veröffentlichte. Sie stellte sich die
amerikanischen Produktionsunternehmen, die Frage: Warum diversifizieren Unternehmen?
sich mittels Benchmarking miteinander messen. Warum machen sie sich die Mühe, für neue Pro-
Dadurch entgeht ihnen möglicherweise die dukte, die auf dem eigenen Markt keine Verwen-
Bedrohung durch Produzenten, die an den Ver- dung finden, einen neuen Markt zu erschließen?
gleichen nicht teilnehmen. „Kulturen“ etablieren Warum verkaufen sie nicht das Produkt an einen
sich also nicht nur in Unternehmen, sondern auch anderen? Penrose hatte eine geniale Antwort: der
zwischen Unternehmen. Grund liegt im Versagen des Marktes. Märkte
versagen bei der Beurteilung neuer Produkte,
Technologien und Ideen. Diversifizierende Unter-
Ressourcen als Grundlage des nehmen leiten ihre Vorteile aus der Unvollkomm-
menheit der Märkte ab. Die Einzigartigkeit stellt
Wettbewerbvorteils
die Grund-lage für die Entwicklung der Unter-
Der für mich interessanteste Teil dieses Kapitels nehmen dar. Indem sie einzigartige Produkte ent-
beschäftigt sich mit der ressourcenorientierten wickeln,
Theorie der Strategie. Hierzu wird der Kulturbe- eignen sich Firmen auch einzigartige Fähigkeiten
griff zunächst erweitert oder, wenn man so will, oder „Ressourcen“ an.
eingeengt auf den Begriff der materiellen Kultur.
Birger Wernerfelt war der erste Strategieforscher,
Er umfasst die materiellen Ressourcen wie
der Penroses Erkenntnisse 1984 in einem preisge-
Maschinen und Gebäude sowie weniger greifbare
krönten Artikel weiterentwickelte, welcher der
Ressourcen, etwa wissenschaftliches Knowhow
ressourcenorientierten Theorie ihren Namen gab.
und Budgetsysteme. Materielle Kultur entsteht,
wenn „von Menschenhand gefertigte Objekte Nun ist der Ansatz der ressourcenorientierten
bewusst oder unbewusst, direkt oder indirekt die Theorie eng verwandt mit dem von Prahalad und
Überzeugungen der Individuen widerspiegeln, die Hamel propagierten Ansatz, die Strategie hänge
diese Objekte in Auftrag gegeben, hergestellt, vom Lernen ab und das Lernen von den Fähigkei-
gekauft oder verwendet haben, und in der Folge ten, den Mintzberg im Kapitel 6 ‘Die Lernschule’
auch die Überzeugungen der Gemeinschaft, der beschrieben hat. Er rechtfertigt die getrennte
diese Individuen angehören“.[310] Anordnung so [313]:
Der Begriff der materiellen Kultur entspricht in „Während die ressourcenorientierte Theorie
etwa dem bei uns geprägten Begriff der organisa- betont, dass diese Fähigkeiten in der Entwicklung
tionalen Strukturen (‚Strukturen sind alles, was der Organisation (und damit in ihrer Kultur)
der Organisation Dauer verleiht‘). Während wir wurzeln, verfechten Hamel und Prahalad in ihrem
uns damit beschäftigt haben, wie der konservie- Konzept der dynamischen Fähigkeiten die Auff-
rende Charakter der Strukturen überwunden wer- fassung, dass sie sich im wesentlichen in einem
den kann, verweist Mintzberg auf die strategi- Prozess des strategischen Lernens entwickeln.“
schen Chancen, die in der Einzigartigkeit der
materiellen Kultur einer Organisation liegen Die ressourcenorientierte Theorie steht im Mittel-
können. Mintzberg nennt an erster Stelle Edith punkt einer leidenschaftlichen Debatte in den
Penrose, die 1959 ‘The Theory of the Growth of Fachzeitschriften, während das Konzept der
Kernkompetenzen ihre Anhänger unter Beratern Gefahren der Kulturschule
und Managern findet. Nun, nehmen wir es so,
wie Mintzberg die Anordnung in seinem Buch für Nun birgt die Kulturschule auch Gefahren in sich:
richtig hält. Meiner Ansicht nach ist die auf 1. Sie begünstigt das Management der Beständig-
Penrose und Wernerfelt aufbauende ressourcen- keit, die Beibehaltung des Kurses.
orientierte Theorie reichhaltiger als das modische
Konzept der Kernkompetenzen. 2. Eine Gefahr, die Kultur als Erklärungsrahmen
heranzuziehen, liegt darin, dass sie strategische
Kausale Ambiguität Vorteilhaftigkeit mit der Einzigartigkeit der Orga-
Wenn es die Einzigartigkeit der Organisation ist, nisation gleichsetzt. Sie kann auch eine gewisse
aus der strategische Vorteile entstehen, so kommt Arroganz bedingen.
es darauf an, sie zu verteidigen, etwa durch 3. Jede anscheinend unverständliche Organisa-
Patente und Handelsmarken. „Ansonsten besteht tionspraxis kann mit der Unnachahmlichkeit
der langfristig beste Schutz vielleicht in unan- gerechtfertigt werden.
greifbaren Beziehungen, Systemen, Fähigkeiten
und Kenntnissen. Und damit sind wir wieder bei 4. Die mit den Ressourcen zusammenhängenden
der Kultur.“ Kultur ist mit kausaler Ambiguität Ambiguitäten verraten den Managern nicht, wann
beladen, ein Begriff, der im Zusammenhang mit und wie sie sich daranmachen sollten, sie in
der ressourcenorientierten Theorie häufiger Frage zu stellen.
verwendet wird. Er meint, dass es mehrdeutig ist, Also, was fangen Handelnde mit den Lehren der
was eigentlich der Grund für die aus der Kulturschule an? Sie helfen zwar zu erläutern,
Kultur erwachsene Überlegenheit ist. Kausale
warum Strategien erfolgreich waren, aber sie
Ambiguität macht es schwierig, die Kultur zu
führen nicht aus der überkommenen Kultur
verstehen, geschweige denn zu reproduzieren.
heraus. Wie wichtig dennoch die Kultur ist, zeigt
„Beispielsweise ist ein Insider, der das Unterneh-
Mintzberg mit dem Satz [318]:
men verlässt, nicht zwangsläufig in der Lage,
eine Ressource für einen Konkurrenten nachzu- „... ironischerweise ist die Kultur zwar schwer zu
ahmen. Damit wird, so paradox dies klingen mag, errichten und noch schwerer wieder aufzubauen,
die Unfähigkeit einer Organisation, ihre eigene jedoch einigermaßen leicht zu zerstören.
Kultur zu verstehen und zu reproduzieren, mögli- Man muss nur einem abgehobenen ‚professionel-
cherweise zum besten Schutz für ihren strategi- len‘ Manager ausreichende Befugnisse geben und
schen Vorteil. ... Selbstverständlich wird die abwarten, was geschieht.“
Organisation damit auch verwundbar und kann
leicht von einem Unternehmensleiter zerstört
werden, der weitreichende Maßnahmen ergreift,
ohne deren Auswirkungen auf die Organisation
einschätzen zu können."[315]
9. Die Umweltschule:
Strategieentwicklung als reaktiver Prozess

Die Verfechter der Umweltschule neigen dazu, innere Struktur der Organisation. Später wurden
die Organisation als passive Einheit zu betrach- diese Vorstellungen auf die Strategieentwicklung
ten, als etwas, was seine Zukunft damit verbringt, ausgedehnt - beispielsweise ging man davon
auf eine Umwelt zu reagieren, die den Rhythmus aus, dass eine stabilere Umwelt die Planung
vorgibt. In abgeschwächter Form sind die Auf- begünstige. Dann meldete sich eine Gruppe
fassungen dieser Schule durchaus geeignet, die Organisationstheoretiker zu Wort, die sich als
im Strategischen Management tätigen Personen Populationsökologen bezeichnen. Sie postulier-
zu zwingen, sich in Anbetracht der externen ten, dass die Umweltbedingungen die Organisa-
Kräfte und der von außen an die Organisation tion zwängen, sich bestimmte Nischen zu suchen:
gerichteten Forderungen die Frage zu stellen, eine Organisation tut, was ihr die Umwelt
welche Entscheidungsmöglichkeiten sie eigent- vorgibt, oder wird durch ‚Auslese‘ beseitigt. ...
lich haben. Zur selben Zeit entwickelte die Gruppe der
Institutionstheoretiker die Vorstellung, dass die
„Die Umweltschule entwickelte sich aus der von der Umwelt ausgeübten politischen und
sogenannten Kontingenztheorie, welche die ideologischen Zwänge die strategische Entschei-
Beziehungen zwischen bestimmten Dimensionen dungsfreiheit der Organisation zwar einschrän-
der Umwelt und den spezifischen Attributen der ken, nicht jedoch vollkommen beseitigten. Die
Organisation beschrieb - je stabiler beispielsweise Umwelt wurde damit zu einem ‚eisernen
die Umwelt war, desto strikter festgelegt war die Käfig‘.[324]

Die Prämissen der Umweltschule [325]


1. Die Umwelt, die sich der Organisation als Gefüge aus allgemeinen Kräften darstellt, ist der maßgeb-
liche Akteur im Prozess der Strategieentwicklung.

2. Die Organisation muss auf diese Kräfte reagieren oder wird „ausgelesen“.

3. Die Führung erfüllt also den passiven Zweck, die Umwelt zu deuten und eine geeignete Anpassung
der Organisation zu gewährleisten.

4. Im Lauf der Zeit entstehen in verschiedenen ökologischen Nischen Anhäufungen der Organisationen,
die so lange in ihren Nischen bleiben, bis die Ressourcen zu knapp oder die Bedingungen zu feindselig
werden. Dann sterben sie.
Die populationsökologische Sicht „Die Entstehung einer einzelnen Organisation
aufgrund einer Innovation bringt Variation in eine
Die Umweltschule findet ihren deutlichsten Aus- Population. Die Innovation verschafft der Organi-
druck in den Arbeiten derjenigen Forscher, die sation einen Vorteil, aber ihr Überleben hängt von
ihren Ansatz als Populationsökologie bezeichnen. ihrer Fähigkeit ab, sich mit ausreichenden Ress-
Hannan und Freeman schrieben 1977 mit sourcen zu versorgen. Doch jede Umwelt
‘The Population Ecology of Organizations’ die verfügt nur über beschränkte Ressourcen oder -
bekannteste Arbeit zu diesem Thema. um den Ausdruck zu verwenden, den die Popula-
Die grundlegende Struktur und das Wesen einer tionsökologen aus der Biologie entlehnen - über
Organisation werden nach Ansicht von Hannan eine ‚feststehende Aufnahmekapazität‘.
und Freeman kurz nach der Geburt festgelegt. Eine neue, schnell wachsende Branche hat mög-
Spätere Maßnahmen machen sie rigider und licherweise eine ausreichende Kapazität für die
verringern ihre Fähigkeit, echt strategische meisten vorhandenen Organisationen. Doch wenn
Entscheidungen zu fällen. Solche Maßnahmen diese wachsen und weitere Konkurrenten auf-
führen zu versunkenen Kosten in Form von treten, ist die Kapazität insgesamt erschöpft. An
Investitionen und Anlagen, Ausrüstungen und diesem Punkt beginnt die Auseinandersetzung um
Fachpersonal, zu einer Einschränkung der Infor- die Ressourcen, welche die schwächsten Organi-
mationsprüfung durch die Entscheidungsträger sationen nicht überleben. Selbstverständlich
und zur Entfaltung politischer Kräfte innerhalb handelt es sich hier um Wettbewerb, der sich
der Organisation (beispielsweise zum Widerstand jedoch von dem der Positionierungsschule unter-
einzelner Einheiten gegen Reorganisation). Dazu scheidet, da die Organisationen einander hier
kommen äußerer Druck, der die Unbeweglichkeit nicht direkt angreifen. Die Kriterien der Anpass-
fördert - etwa rechtliche und steuerliche Hinder- sung werden vielmehr von der Umwelt festgelegt.
nisse für den Markteintritt und -austritt - sowie Organisationen, die den Kriterien genügen,
Einschränkungen der Verfügbarkeit und Aneig- überleben, während die, die es nicht tun, der
nung externer Information. Etablierte Legitmitäts- Selektion zum Opfer fallen.“ [329]
formen rufen Widerstand gegen Veränderungen
hervor (wie im Fall einer Universität, die Es klingt so, als hätten die Organisationen gar
versucht, sich der Grundausbildung zu entledi- keine Wahl. Immerhin meinen Hannan und
gen) und kollektive Rationalität zwingt Organisa- Freeman, sie könnten versuchen, soviel wie mög-
tionen einander gegenseitig festgelegte Verhal- lich aus ihrer Umwelt zu machen, also eine
tensmuster auf. größtmögliche Anpassung zu erreichen, oder
bestimmte Ressourcen für zukünftige Notlagen
Die Populationsökologen verwenden das bekann- aufzusparen. In Anlehnung an die Untersuchung
te Modell von Variation, Selektion und Beibehal- biologischer Populationen wird die erste Option
tung. Die Forscher betrachten die Organisationen als ‚Spezialisierung‘, die zweite als ‚Generalisie-
so, wie die Biologen Fruchtfliegen betrachten - rung‘ bezeichnet. Bei der einen liegt der Akzent
aus der Distanz, meint Mintzberg. Sie beobachten auf der Effizienz, bei der anderen auf Flexibilität.
das kollektive Verhalten.
„Die Kritiker wenden ein, dass Organisationen einer Suche nach Wegen, um sich wirtschaftliche
keine Fruchtfliegen und ihre Entscheidungen Ressourcen anzueignen, die dann in symbolische
nicht genetisch programmiert seien. Möglicher- umgewandelt werden und umgekehrt, um dadurch
weise betrachten die Populationsökologen die die Organisation vor der Unsicherheit in ihrer
Welt durch das falsche Ende des Teleskops. Umwelt zu schützen. Damit findet der Vorgang
Was nahe ist, erscheint weit entfernt, und so im Reich des ‚Eindrucksmanagements‘ statt.“
verschmelzen die Einzelheiten zu amorphen
Gebilden. Die Umwelt besteht hier aus den wichtigsten
Lieferanten, Kunden, gesetzgebenden Institutio-
Nehmen wir beispielsweise die Frage der Verän- nen, anderen staatlichen Behörden sowie selbst-
derung. Will sie ihre Konzepte entwickeln, so verständlich den Konkurrenten. Im Laufe der Zeit
bedarf die Populationsökologie eines weiten Zeit- bringen die Interaktionen eine Reihe zunehmend
horizonts. Um die Auffassung zu untermauern, komplexer und mächtiger Normen hervor,
dass ‚selbst die größten und mächtigsten Organi- welche die Praxis beherrschen. Um erfolgreich zu
sationen langfristig nicht überlebensfähig sind‘, sein, muss eine Organisation diese Normen
sahen sich Hannan und Freeman gezwungen, bis erfüllen und mit ihnen umgehen können. So
zur amerikanischen Revolution zurückzugehen!" entwickeln Organisationen, die derselben Umwelt
[330] angehören, im Lauf der Zeit ähnliche Strukturen
und Praktiken.
Die institutionelle Theorie verwendet zur
Institutioneller Konformitätsdruck Beschreibung dieser fortschreitenden Konver-
Die institutionelle Theorie beschäftigt sich mit genz durch Nachahmung den Begriff des institu-
dem institutionellen Druck, dem eine Organisa- tionellen Isomorphismus. Meyer und Rowan
tion in ihrer Umwelt ausgesetzt ist, sei es durch (1977), die den Terminus einführten, vertraten die
andere Organisationen oder aufgrund ihres eige- Ansicht, dass diese Strukturgleichheit einen
nen Daseins als Organisation. Schutzschild darstelle, hinter dem die Organisa-
tion beispielsweise davor geschützt sei, ‚dass ihr
„Die institutionelle Theorie betrachtet die Verhalten in Frage gestellt wird. Die Organisation
Umwelt als Quelle für zwei Typen von Ress- gewinnt an Legitimation‘.
sourcen: wirtschaftliche und symbolische. Die
wirtschaftlichen Ressourcen sind das vertraute, Die institutionelle Theorie unterscheidet zwischen
greifbare Geld, dazu Grundbesitz und Maschinen. drei Arten von Isomorphismus. Der erzwungene
Zu den symbolischen Ressourcen zählen Dinge Isomorphismus beruht auf dem durch Normen,
wie der Ruf der Effizienz, die Anerkennung, die Vorschriften und ähnliches erzeugtem Druck zur
Führungskräften für ihre vergangenen Leistungen Konformität. Beispielsweise müssen sämtliche
zuteil wird, und das Prestige, das mit einer engen Fluglinien zwingende Sicherheitsbestimmun-
Verbindung zu mächtigen und bekannten Unter- gen einhalten, was eine gewisse Einheitlichkeit
nehmen einhergeht. Die Strategie wird hier zu von Struktur und Strategie bedingt. Der mimeti-
sche Isomorphismus beruht auf Entlehnen und
Nachahmung. Organisationen kopieren häufig die (geschweige denn turbulent ist). Möglicherweise
Ansätze erfolgreicher Konkurrenten, offensicht- gibt es zeitweilige Erscheinungen - auf dem einen
lich, weil sie deren Ansätze mit deren Erfolg oder anderen Markt oder im Hinblick auf eine
gleichsetzen; darüber hinaus wollen sie jedoch bestimmte Technologie oder eine bestimmte
auch andere davon überzeugen, dass sie ebenfalls Kundenpräferenz. Doch der Versuch, die
die besten Methoden beherrschen. Darauf beruht Strategie an solchen generellen Zuständen aus-
die gegenwärtige Beliebtheit des ‚Benchmar- zurichten, wirkt tollkühn." [334f]
king‘.
Mintzberg will seine Vorstellung retten, dass
Der normative Isomorphismus schließlich beruht Organisationen strategische Wahlmöglichkeiten
auf dem großen Einfluss der Sachkenntnis. Heuti- haben und nicht ihrer Umwelt ausgeliefert sind,
ge Organisationen werden häufig von Experten von ihr ‚ausgelesen‘ werden.
beherrscht, die ihre eigenen beruflichen Normen
auf die Entscheidungsfindung übertragen. So
erhöht beispielsweise die verbreitete Praxis, zum
Aushandeln von Verträgen Anwälte heranzu-
ziehen, die Uniformität der Unternehmen und
verdrängt damit informellere und idiosynkratische
Geschäftspraktiken."[332f]

Kritik an der Umweltschule


Mintzberg bezeichnet es als vielleicht größte
Schwäche der Anwendung der Kontingenz-
theorien auf das Strategisches Management, dass
ihre Umweltdimensionen vielfach so abstrakt
sind. Es handelt sich um unbestimmte, sehr
umfassende Dimensionen.
„In der Realität hat es keine Organisation mit
einer ‚Umwelt‘ zu tun, die großzügig oder
komplex oder feindselig oder dynamisch
10. Die Konfigurationsschule:
Strategieentwicklung als Transformationsprozess

Zu guter Letzt kommt die Schule, der Mintzberg Handeln (=Transformation) verändert die Struk-
sich selbst zurechnet. Sie bietet, so sagt er, die turen - bezogen auf Strategien. Allerdings wird
Möglichkeit, die Aussagen der anderen Schulen Giddens nicht zitiert.
zu integrieren und miteinander in Einklang zu
bringen. Die in der Kapitelüberschrift verwende- Was will Mintzberg mit dem Begriff der Konfigu-
ten Begriffe Konfiguration und Transformation ration bezeichnen? Er meint damit, dass [341]
sind zwei Seiten derselben Münze. Es gibt Zeiten 1. „sich verschiedene Dimensionen eines Unter-
der Kohärenz (Konfiguration) und der Verände- nehmens unter bestimmten Bedingungen zusam-
rung (Transformation). Während die Strategieent- menfügen, um ‚Zustände‘, ‚Modelle‘ oder ‚Ideal-
wicklung darauf abzielt, die Richtung, in der sich formen‘ zu bilden“,
ein Unternehmen bewegt, zu ändern, stabilisieren
die entwickelten Strategien diese Richtung. 2. „diese verschiedenen Zustände im Lauf der
Zeit aufeinanderfolgen und ‚Stufen‘, ‚Phasen‘
Dies ist das Bild der Dualität von Giddens: Struk- und ‚Lebenszyklen‘ einer Organisation
turen (=Konfiguration) bestimmen das Handeln; definieren.“

Prämissen der Konfigurationsschule


1. Die meiste Zeit kann eine Organisation als stabile Konfiguration ihrer Eigenschaften
beschrieben werden.

2. Diese Phasen der Stabilität werden gelegentlich von einem Prozess der Transformation unter-
brochen - es kommt zu einem Quantensprung in eine andere Konfiguration.

3. Diese aufeinanderfolgenden Konfigurationszustände und Transformationsphasen können sich


im Lauf der Zeit zu strukturierten Abfolgen ordnen, die beispielsweise die Lebenszyklen von
Organisationen beschreiben.

4. Der Schlüssel zum Strategischen Management liegt deshalb darin, die meiste Zeit über Stabilität
oder zumindest anpassungsfähigen Wandel aufrechtzuerhalten, dabei jedoch auch die regelmäßig
wiederkehrende Notwendigkeit für Transformationen zu erkennen und diesen belastenden Prozess
durchzuführen, ohne die Organisation zu zerstören.

5. Demgemäß kann Strategieentwicklung ein Prozess sein, der konzeptuelle Gestaltung oder formale
Planung, systematische Analyse oder Führungsvisionen, kooperatives Lernen oder konkurrierende
politische Aktivität umfasst... Doch jede dieser Möglichkeiten muss zum richtigen Zeitpunkt und im
richtigen Kontext angewandt werden.
Ich habe Zweifel, ob die Konfigurationsschule was die vorgestellten Strategieentwicklungs-
mit diesen Prämissen etwas Wesentliches zur schulen enthalten. Da kann nur ein Potpourri her-
Strategieentwicklung beizusteuern hat: auskommen oder aber Schablonen, die Miller
Archetypen genannt hat. Wie Mintzberg schreibt,
Die 1. Prämisse erscheint mir allzu wahr. Aber verwendet Miller den Begriff der Archetypen, um
was heißt ‚die meiste Zeit‘? Sind es Jahre, Zustände von Strategie, Struktur, Situation und
Jahrzehnte? Prozess zu beschreiben, sowie den Übergang
Die 2. Prämisse führt den aufregenden Begriff zwi-schen diesen Archetypen. Solche Archetypen
des Quantensprungs ein. Der Begriff ist von tragen Bezeichnungen wie Stagnierende Bürokra-
D. Miller und P.H. Friesen in mehreren Schriften tie, Kopfloser Gigant, Dominantes Unternehmen,
Anfang der 80er Jahre geprägt worden. Quanten- Unternehmerkonglomerat oder Innovator.
sprung bedeutet die gleichzeitige Veränderung Mintzberg steuert zum Kapitel eigene Typen von
vieler Elemente, im Gegensatz zu Veränderungen, Konfigurationen bei, deren Namen lauten Die
die ‚häppchenweise‘ erfolgen - ein Element nach aufstrebende Organisation, Die Maschinenorgani-
dem anderen. Miller und Friesen sprechen in sation, Die professionelle oder Expertenorgani-
diesem Zusammenhang auch von strategischer sation, Die diversifizierte Organisation, Die
Revolution. Ich halte solche Umbrüche für so ‚Adhocratie‘-Organisation, Die missionarische
selten und unwahrscheinlich, dass ich nicht weiß, Organisation, Die politische Organisation. Gewiss
wie jemand - entsprechend der 4. Prämisse - ‚die erkennt man in diesen Typen vorkommende Kon-
regelmäßig wiederkehrende Notwendigkeit für figurationen von Organisationen. Mintzberg
Transformationen‘ erkennen soll. Es ist bezeich- räumt ein, „dass die hier beschriebenen Konfigu-
nend, dass die Autoren über Jahrzehnte gehende rationen Idealformen darstellen - eine Vereinfa-
Unternehmensschicksale verfolgen mussten, um chung, ja beinahe eine Karikatur der Realität. Es
auf Quantensprünge zu stoßen. gibt wohl keine einzige reale Organisation, die
Die 3. Prämisse geht davon aus, dass sich die einer dieser Formen genau entspricht, obwohl
Konfigurationsänderungen und Transformations- einige bemerkenswert nahe daran sind“.[346ff]
phasen als Lebenszyklen von Organisationen
Kritik an der Konfigurationsschule
beschreiben lassen. Merkwürdigerweise kommt
jedoch das Verlöschen, Untergehen einer Organi- Mintzberg gibt getreulich eine pointierte Kritik
sation nicht vor. Quantensprünge sind wohl nur wieder, die von L. Donaldson 1996 veröffentlicht
als Sprünge in einen Neuanfang gesehen, die zu wurde. „Donaldson ist der Ansicht, dass Konfigu-
wirtschaftlichen Erfolgen geführt haben. (Quan- rationen einen gescheiterten Zugang zur Theorie-
tensprünge im Sinne von Miller und Friesen formulierung darstellen, und zwar eben deshalb,
dürfen nicht mit den Quantensprüngen verwech- weil sie leicht zu verstehen und zu lehren sind. ...
selt werden, die Champy und Hammer durch Organisationen können nicht einfach schwarz-
Business Process Reengineering vollbringen weiß dargestellt werden, sondern wiesen ‚viele
wollen.) Grauschattierungen‘ auf, erklärte Donaldson. Die
‚Idealtypen‘ lieferten also ein Vokabular, das
Die 5. Prämisse nimmt für die Konfigurationss-
jedoch zuwenig nuanciert sei, um die Vielfalt in
schule in Anspruch, alles in sich einzuschließen,
der realen Organisationswelt zu beschreiben.“
„Die harscheste Kritik Donaldsons“, fährt den Durchsatz zu koordinieren. Sobald auf den
Mintzberg selbstkritisch fort, „galt jedoch der anfänglichen Märkten die Grenzen erreicht
zweiten Stütze der Konfigurationsschule: waren, folgte eine weitere Wachstumsphase: Die
der Veränderung in Quantensprüngen.“ Er argu- Unternehmen diversifizierten in neue Märkte und
mentierte, es sei empirisch und konzeptuell falsch neue Geschäftsfelder, die mit den bestehenden
zu behaupten, dass Unternehmen entweder verwandt waren. Dadurch wurde schließlich eine
statisch seien oder sich sprunghaft veränderten. zweite Verschiebung der Struktur erforderlich. Es
‚Die meisten Organisationen verändern sich die entstand das in Bereiche unterteilte Unternehmen
meiste Zeit schrittweise.‘ Es ist nun interessant zu (Vorreiter war Dupont), in dem jeder Geschäfts-
lesen, wie Mintzberg die Kritik an ‚seiner‘ Konfi- bereich von einer eigenen Einheit gemanagt wer-
gurationsschule kontert. Er meint, Donaldsons den konnte, die ihrerseits einer Konzernzentrale
Kritik beruhe auf dem Kriterium der Richtig- unterstand, deren Aufgabe die allgemeine Finanz-
keit - als ob Theorien richtig oder falsch wären. kontrolle war“.[357f]
Alle Theorien seien falsch, sie seien nur Worte
oder Bilder auf einem Stück Papier. „Die Mana- Mintzberg macht darauf aufmerksam, dass man
ger müssen zwischen falschen Theorien heute eine weitere Phase anfügen würde, in der es
wählen“.[387] zur Konsolidierung der Geschäftsbereiche und
zur Auslagerung bestimmter Aktivitäten kommt,
Strategie und Struktur was einer Umkehrung der vorhergehenden Ent-
wicklung zur Diversifizierung und vertikalen
Um der Konfigurationsschule einen entsprechen- Integration gleichkommt. „Das typische Groß-
den Rang zu verleihen, ordnet Mintzberg die unternehmen konzentriert sich mittlerweile auf
bahnbrechende Arbeit von Chandler ‚Strategy Schlüsselgeschäfte und Kernkompetenzen und
and Structur: Chapters in the History of the überlässt viele seiner Aktivitäten einem ausge-
Industrial Enterprise‘ aus dem Jahre 1962 in dehnten Netz von verbundenen Unternehmen.
dieses Kapitel seines Buches ein. In der Tat hat Fügt man diese Entwicklung mit Chandlers vier
Chandler so etwas wie einen vierteiligen Ent- Stadien zusammen, ergibt sich ein zwischen
wicklungsweg in der Geschichte großer amerika- Kontroll- und Lockerungszyklen hin- und her-
nischer Industrieunternehmen herausgefunden. schwankender Prozess.“[358]
„Am Anfang stand die Aneignung von Ress-
sourcen - Anlagen, Ausrüstung und Mitarbeiter
beziehungsweise Kauf und Konsolidierung klei-
nerer Betriebe, die sich diese Ressourcen bereits Das Bild vom Zyklus, das Mintzberg benutzt,
angeeignet hatten (wie im Fall von suggeriert, dass gewisse Konfigurationen einan-
General Motors). Marketing und Vertriebskanäle der ablösen und wieder auftauchen. Diese Vor-
wurden aufgebaut, und man verschaffte sich stellung treibt er auf die Spitze, indem er aus
Kontrolle über die Zulieferungen (was als ‚verti- einem 1995 veröffentlichten, ihn faszinierenden
kale Integration‘ bekannt wurde). Anschließend Buch von David Hurst einen ‚Ökozyklus der
wandten sich die Führungskräfte dem effiziente- Organisation‘ abbildet und erläutert. Die Abbil-
ren Einsatz der Ressourcen zu und schufen funk- dung sieht so aus:
tionale Strukturen (Produktion, Verkauf usw.), um
Sich herausbildendes Handeln Rationales Handeln Eingeschränktes Handeln

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Mintzberg bemerkt hierzu: „In scharfem Kontrast Der Rest des Kapitels beschäftigt sich mit der
zum linearen Lebenszyklus, den etwa Chandler Transformation. Ich referiere diesen Teil des
beschrieben hat, propagiert dieses Modell eine Kapitels nicht, weil er mir aus recht banalen
unendliche Schleife, in der Krise und Erneuerung Hinweisen zusammengesetzt erscheint.
aufeinander folgen und die die Ansätze vieler
unserer Schulen in eine Abfolge einordnet [364]“. Das bestätigt auch Mintzberg, wenn er am Ende
der Vorstellung von Literatur zum Thema Verän-
Hier wird Strategieentwicklung mythologisch. derungsprozess schreibt: „Es gibt keine Formel
Wie schon Goethe sagte: für die Umwandlung einer Organisation, und das
Aber wenn du dies nicht hast, beinhaltet selbst die Vorstellung, dass die Organi-
dieses Stirb und Werde, sation überhaupt verändert werden muss“.[379]
bis du nur ein trüber Gast
auf der schönen Erde.
Es lohnt sich, das Buch anzuschaffen,
besser noch: es zu lesen!

Hier ende ich mit der Vorstellung der einzelnen Wer Organisationen berät, wer Verständigungs-
Strategieschulen. Mintzbergs Buch ‘Strategy prozesse moderiert, die auf neue Wege führen
Safari’ endet mit einem abschließenden Kapitel, sollen, gewinnt durch Mintzbergs Buch einen her-
das eine Zusammenschau aller Ansätze liefert. vorragenden Einblick und Überblick über die
Stärken und Schwächen der vielen Strategie-
Seit 35 Jahren beschäftigt sich eine große, meist schulen.
amerikanische und kanadische Forscherschar mit
dem Thema des Strategischen Management bzw. Jeder, der sich mit Organisationsgestaltung
der Strategieentwicklung. Deutsche oder französi- befasst, sollte sich dieses Buch anschaffen, allein
sche Beiträge, die das Thema vorwärtsgebracht um nachschlagen zu können, wie Strategieent-
hätten, sind mir nicht bekannt. Wohl aber sind die wicklung und Strategisches Management mit
von Mintzberg geschilderten Theorien und empi- Organisationsbegriffen und -theorien zusammen-
rischen Forschungsarbeiten in unseren europäi- hängen, die man kennt oder von denen man
schen Ländern bekannt geworden. Die Manager gehört hat, z. B. Benchmarking, Chaostheorie,
unserer Unternehmen haben davon während ihres institutionelle Theorie, Kernkompetenzen,
betriebswirtschaftlichen Studiums erfahren oder Kontingenztheorie, lernende Organisation, Porters
sind damit durch die großen Management generische Strategien, Ressourcenorientierte
Consultingfirmen in Berührung gekommen. Theorie, das SWOT-Modell, Vision und visionäre
Führung und viele andere Begriffe. Am besten ist
es natürlich, das Buch von vorne bis hinten
durchzulesen. Es lohnt sich!
Anleitungen zum Lesen organisationswissen-
schaftlicher Bücher (ALOB)

Wolfgang Schnelle, Mitbegründer und langjähri- sie seine Reflexionen darüber wieder, was diese
ger Partner von Metaplan, stellt organisations- Bücher an Erkenntnissen und Anregungen für die
wissenschaftliche Bücher vor, die es sich lohnt Arbeit von Metaplanern liefern, die als Moderato-
gelesen zu werden. Die „Anleitungen“ sind keine ren von Verständigungsprozessen und als Organi-
Rezensionen oder Buchkritiken. Vielmehr geben sationsgestalter tätig sind.

1. Brief 1991 (2 S.) Küpper, Willi; Ortmann, Günther (Hrsg.)


Mikropolitik - Rationalität, Macht und Spiele in Organisationen, 1988
2. Brief 1991 (2 S.) Kotter, John P.
The General Manager, 1982
3. Brief 1991 (5 S.) Scott, W. Richard
Grundlagen der Organisationstheorie, 1986
4. Brief 1991 (3 S.) Pfeffer. Jeffrey
Power in Organizations, 1981
5. Brief 1991 (6 S.) Exner, A. Königswieser, R. Titscher, St.
Unternehmensberatung - systemisch, 1987 in: Die Betriebswirtschaft 47, 1987
Luhmann, Niklas
Kommunikationssperren in der Unternehmensberatung, 1989
in: Niklas Luhmann und Peter Fuchs, Reden und Schweigen
6. Brief 1992 (3 S.) Douglas, Mary
Wie Institutionen denken, 1991
Fleck, Ludwik
Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache, 1980
mit einer Einleitung von Lothar Schäfer und Thomas Schnelle
7. Brief 1992 (3 S.) Crozier, Michel Friedberg, Erhard
Macht und Organisation, Die Zwänge kollektiven Handelns, 1979
8. Brief 1994 (4 S.) Hammer, Michael; Champy, James
Business Reengineering, Die Radikalkur für das Unternehmen, 1994
9. Brief 1994 (8 S.) Axelrod, Robert
Die Evolution der Kooperation, 1991
10. Brief 1995 (6 S.) Kühl, Stefan
Wenn die Affen den Zoo regieren, Die Tücken der flachen Hierarchie, 1995
11. Brief 1995 (12 S.) Bardmann, Theodor M.
Wenn aus Arbeit Abfall wird-Aufbau und Abbau organisatorischer Realitäten, 1994
12. Brief 1996 (3 S.) Luhmann, Niklas
Organisation und Entscheidung, unveröffentlichtes Manuskript, o. J.
13. Brief 1998 (3 S.) Sennett, Richard
Der flexible Mensch, Die Kultur des neuen Kapitalismus, 1998
14. Brief 1999 (3 S.) Springer, Roland
Rückkehr zum Taylorismus? Arbeitspolitik in der Automobilindustrie am
Scheideweg, 1999,
15. Brief 2000 (35 S.) Mintzberg, Henry (mit Bruce Ahlstrand und Joseph Lampel)
Strategy Safari: Eine Reise durch die Wildnis des strategischen Managements, 1999
Metaplan
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