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- Geisterbahn-

Jetzt ziehen dunkle Wolken auf und verleihen dem fröhlichen Treiben sofort etwas
Melancholisches. Als sich die angestaute Elektrizität das erste Mal entlädt, klingt es, als
bräche ein gewaltiger Gott einen Scheit für sein Ofenfeuer entzwei. Nicht jedoch in einer
einzigen gezielten Bewegung, weil dieser sich als recht widerspenstig erweist und somit
etwas Nachdruck fordert. Die Leute fangen an, ihren Gang zu beschleunigen oder Schutz
unter der Überdachung diverser Fressbuden zu suchen. Verstohlene Blickkontakte zu
deren Besitzern resultieren in schuldbewussten Spontankäufen, die das finale
Geschäftsresümee des Tages jedoch nicht wesentlich zu verbessern vermögen. Die
lockenden, fast automatisiert erscheinenden Lautsprecherdurchsagen des Kassierers vom
TWISTER vermengen sich mit dem dumpfen Donnergrollen, das inzwischen klar
auszumachenden Kadenzen folgend über die Köpfe der Besuchermassen hinwegfegt.
Die Tropfen, die sich jetzt vom Himmel lösen, wirken massig und schwer. Sie lassen
Mascara verlaufen und bewirken, dass einzelne Strähnen ihres pechschwarzen Haars an
Stirn und Wangen haften bleiben. Du kannst ihre Schönheit nur noch weniger begreifen.
Fast wärst du in eine Pfütze getreten, als du, ihre kalte rechte Hand haltend, die Los-Bude
passierst, hinter welcher nun die DIMENSION OF DOOM in dein Blickfeld rückt. Trotz
ihrer erwartungsgemäßen irrationalen Angst gibt sie recht schnell nach. Ein romantisch
idealisiertes Bild von dir, in welchem du in der von Monstern bewohnten Finsternis
schützend deinen Arm um sie legst, wirkt einfach zu überzeugend. Sie weiß, es muss so
sein.
Die Außenwand der Geisterbahn ist das Werk eines wahnsinnigen Airbrush-Künstlers.
Unaussprechliche Schrecken zieren diese, in ihrer Abstraktheit kaum zu übertreffen. Geld
verwandelt sich in zwei Plastikchips, die du einem behaarten Schausteller mit
Schiebermütze in die ledrige Rechte drückst. Das obszöne Grinsen, das er deiner
Begleitung zuwirft, und eine Reihe gelber Stumpen freilegt, übersiehst du großzügig. Ihr
durchschreitet den aufgerissenen Kiefer eines riesigen Totenschädels und seid nun im
Inneren der Attraktion. Dunkelheit umhüllt euch. Vollkommene. Aus einer Seitenwand
pffffffft euch ein Strahl Druckluft ins Gesicht - ein Schockmoment, der immer sitzt.
Seine Existenz wird von eurem kurzen Lachen gleichzeitig negiert und bekräftigt. Kaum
vier Schritte weiter taucht für 0,5 Sekunden ein Zombie auf und verschwindet, taucht auf
und verschwindet, taucht auf und verschwindet. Stroboskoplicht, das nicht verhindern
kann, dass du einen fehlenden Arm ausmachst, aus welchem diverse Kabel baumeln. Du
simulierst ein Gähnen, wirst dir dann jedoch bewusst, dass man dieses eh nicht sehen
kann. Auf einmal vibriert der Boden unter dir. Der Raum bewegt sich! Mit zunehmender
Geschwindigkeit! Völlig überrumpelt greifst du nach Halt. Du findest diesen in einer
metallenen Stange. Gleißendes Licht schnellt dir entgegen, als die Bahn den Tunnel
verlässt. Jetzt siehst du die anderen Passagiere endlich in ihrer ganzen Verkommenheit.
Aus den Kopfhörern eines Walkmans wird ein stumpfsinniger, monotoner Beat an dein
Gehör herangetragen. Eine uralte Frau mit wirrem Haar, das dich an deformierte
Spinnenbeine erinnert, funkelt böse in Richtung der Lärmquelle. In ihren zornigen Augen
siehst du, dass weniger die Musik, als viel mehr die unbestimmbare Ethnie des Hörers,
ihre Wut befeuert. Die Unterlippe ihres greisen Begleiters zittert unentwegt. Unter
seinem hochgekrempelten Hemdsärmel scheint für einen Augenblick die verblasste
Tätowierung einer Swastika hervorzugucken. Du bist dir jedoch nicht sicher. An der
nächsten Haltestelle schiebt eine gestresst wirkende Frau einen katatonischen
Behinderten herein. Seine Hände sind Klauen, die über einer viel zu tief liegenden Brust
gekreuzt wurden. Lediglich der Kopf dieses bedauernswerten Menschen ist in Bewegung.
Er pendelt wie ein spastischer Kreisel hin und her, kann sich nie satt sehen an den
mannigfaltigen Impressionen dieser Welt, die ihn alle, jede einzelne, überfordern. Du
beobachtest genervte Gesichter, als der sperrigen Rollstuhl wie selbstverständlich auf die
Menschentraube zugeschoben wird. Als der speichelverschmierte Mund des Behinderten
an Babygestammel erinnernde Laute von sich gibt, nimmt ein Jugendlicher dies als
Anlass für eine gestische Imitation, die seinen Freunden ein halb unterdrücktest Prusten
entlockt. Einer Frau mit Kinderwagen steht die unverhohlene Erleichterung ins Gesicht
geschrieben, mehr Glück gehabt zu haben. Zwei Betrunkene sprechen von den
hängenden Brüsten irgendeiner Bekannten. Es ist unfassbar warm. Die hohe
Luftfeuchtigkeit kondensiert an den Fenstern, die daher nur einen verschwommenen
Ausblick gewähren auf die bedrückende Tristheit einer dir unbekannten Stadt. Du fühlst
Hass in dir Aufkeimen, in seiner Stärke kaum beschreibbar. Doch.er.wird.gebremst. Denn
nun erblickst du sie. Du spürst sofort, dass sie anders ist. Besser. Diverse Buttons an ihrer
Handtasche zeugen von ihrer Individualität und schier grenzenlosen Toleranz. Ein
Hoffnungsschimmer in einer dir gänzlich fremd gewordenen Welt. Warum nicht?, denkst
du dir und lächelst sie an. Ein Lächeln, dass Anerkennung zollt und Interesse. Das jedoch
nicht erwidert wird. Du bist fassungslos. Ein Missverständnis ist ausgeschlossen! Dass es
ihr galt, war unverkennbar. Du fühlst dich peinlich berührt, aber vor allem bist du sauer.
Die Türen öffnen sich erneut und du steigst aus. So eine Fotze!, denkst du. Hält sich für
was besseres!, denkst du. Wie du dich so irren konntest, ist dir unbegreiflich. Als die
Bahn an dir vorbeifährt, macht sie nicht die geringsten Anstalten, dir nachzusehen. Sie
scheint sich jetzt sogar ganz bewusst abzuwenden. Das macht dich wahnsinnig. Am
liebsten würdest du sie an ihren fettigen schwarzen Haaren ziehen und...wuuumb!!!, du
prallst gegen das Drehkreuz, hast das Ende erreicht. Schnellen Schrittes verlässt du die
Bahn, gegen eine unerklärliche Macht ankämpfend, die dich im Inneren behalten will.
Der Regen, der dich in Empfang nimmt, erscheint dir wie ein Geschenk.
Der Besitzer der DIMENSION OF DOOM stochert mit einem Zahnstocher im Mund
herum. Der Regen, der gegen das Plexiglas seines kleinen Tickethäuschens prasselt, lässt
ihn ganz wohlig werden. Als er von seiner dampfenden Kaffeetasse aufblickt, scheint es
ihm für den Bruchteil einer Sekunde, als würde er im undurchdringlichen Wolkenbruch
die Silhouette einer seiner Geisterbahnfiguren ausmachen. Ihm schaudert bei dem
Gedanken hieran, doch mit dem nächsten Lidschlag ist das Hirngespinst schon wieder
verschwunden.

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