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Süddeuíscne Zeitung

WOCHENEN DE
KULTUR, GESELLSCHAFT, UNTERHALTUNG Samstag/Sonntag, 10./11. Septer nber 2005 Nr.209
Interview - letzte Seite
Die Schauspielerin Nina Hoss: „Jeder Theaterabend ist
ein Wagnis« Da muss ich raus und mich trauen und
glauben, ich habe eine Berechtigung, es zu probieren."

Grand H( )telGaga
Haben wir zu lange in dunklen Wäldern gelebt? Über die c :hronisch leuchtende Untergangshysterie der Deutschen.
set2t wurde, bei den Kühen nachzufra-
gen, ob sie wahnsinnig seien. Auch an-
derswo wurde sinnlos gekeult, aber der
stets gleichhohe Ton, mit dem hierzulan-
de eine neue Gefahr beschworen wird,
geht aufs Gemüt. Freudig erregt erwar-
ten wir nun die Vogelgrippe. Das Virus
kann gefährlich für den sein, der mit Fe-
dervieh unter einem Dach lebt und das-
selbe Wasser trinkt. Aber wer außer den
Figuren von Disney lebt mit Hühnern
und Zugvögeln zusammen?
Brauchen wir also die Placebo-Apoka-
lypse wie der Junkie seinen Stoff? Muss
alles immer schlimmer werden, damit
der deutsche Motor überhaupt läuft?
Manche fürchten sich angesichts von
zehn großen Lauschangriffen im Jahr
2004 vor dem totalen Überwachungs-
staat, dabei ist die Sache ganz einfach:
Es ist sehr unwahrscheinlich, durch ei-
nen Terroranschlag ums Leben zu kom-
men, aber es ist sehr sicher, dass wir uns
gegen die immer raffinierteren und dreis-
teren Formen von Kriminalität besser
schützen müssen.
Das gefühlte Risiko (Überwachungs-
staat) erscheint unseren Unken dabei
stets größer als die reale sogenannte Be-
drohung (zehn Lauschangriffe).
Groteskes Furchtempfinden hat der
Nürnberger Psychologe Reinhold Berg-
ler als „Angst des Rauchers vor dem
Schlangenbiss" beschrieben. So beträgt
die Wahrscheinlichkeit, innerhalb eines
Jahres zu sterben, grob geschätzt 1:86.
Für Tod durch Krebs lautet die Relation
etwa 1:350. Im Straßenverkehr werden je-
des Jahr mehr Menschenopfer darge-
bracht als durch alle kriminellen Akte
und Überfälle zusammen. Verräterisch
ist die Sprache: In einen Verkehrsunfall
wird man verwickelt. Mord oder Tot-
schlag hingegen werden begangen.
Schlimm wäre diese Selbstzerflei-
-sdiung nicht, höchstens .skurril oder so-
gar amüsant - würde sie nicht den nüch-
ternen Blick auf tatsächlich nachweisba-
re Probleme verstellen. Die Kollateral-
wirkungen der demografischen Revoluti-
on, das drohende Rentendesaster, die so-
zialen und medizinischen Probleme im
Kernland des Geburtenrückgangs sind
von Autoren wie Meinhard Miegel oder
von Frank Schirrmacher mit seinem „Me-
thusalem-Komplott" gründlich, da her-
vorragend recherchiert, beschrieben wor-
den. Was wir daraus lernen könnten?
Nun, schlicht: Dass wir keine Angst
mehr brauchen, sondern Kinder. Und al-
so ein Land, das an seine Kinder und de-
mensprechend an seine Zukunft glaubt.
In keinem anderen Land gibt es hinge-
jener rot-grünen Chaostruppe, die er ge- Nach- und Aufrüstung die internationa- li eh. Taugen zum Selbstbefund Hinweise überprüft würden, was sie wirklich wert gen so viele Expertenkommissionen, die
von Hans Leyendecker rade empört abgewählt hat". le Politik. Die USA und die Sowjetunion a uf die germanische Herkunft und das waren", hat der frühere Bundespräsi- sich unablässig mit Risiken beschäftigen
Der Befund ist symptomatisch für eine standen sich scheinbar unversöhnlich ge- 1; mge Hausen unserer Vorfahren in min- dent hinzugefügt. Was wurde etwa aus wie in Deutschland. „Möglichst für jedes

J
edes Jahr im Spätsommer legen eini- Volksmalaise: Da kann nichts draus wer- genüber. In Deutschland war das Wett- n ia] sehr dunklen Wäldern? Bitte keine der Prognose zum Waldsterben, das als relevante Feld" gibt es mindestens eine
ge Maisbauern auf den Feldern den, keinem kann man trauen, nie mehr rüsten ein anderes Wort für Weltunter- A usreden. Die Jungen sehnen sich nach „Lc Waldsterben" ebenso zum internatio- Kommission, hat der Stuttgarter Risiko-
kunstvolle Labyrinthe an. Besu- wird was laufen, das haben wir noch nie gang. Und der bestimmte sogar die Fami- ri armonie, die Älteren nach Übereinstim- nalen Wortschlager geworden ist wie forscher Ortwin Renn herausgefunden.
cher zahlen für den Eintritt und ver- gemacht, was soll das überhaupt? Kein lienplanung. Die „Evangelische Akade- n iiing. Wer Beweglichkeit fordert, gilt als „German Angst"? „Der Wald stirbt" hieß Übrigens ist auch der Untergang bei uns
irren sich dann in den kreisförmigen Irr- Risiko, aber immer schwarze Galle. mie Hofgeismar" veranstaltete Tagun- v eltfremd. Eigeninitiative und Selbstver- die Titelgeschichte eines Magazins in den geregelt, man hat sich ja vorbereitet.
gärten mit den Stauden. Manche holen Der ungarische Philosoph George Lu- gen mit Titeln wie „Freizeit in der End- a ntwortung gelten - das hat der Entrüs- achtziger Jahren. Ein „ökologisches Hiro- Für den Tag eines Terroranschlags
beim Irregehen das Handy raus und ru- káes hat vor mehr als sieben Jahrzehnten zeit". Über „Apokalyptisches und apoka- ti ingssturm nach Schröders „Agenda shima" drohe. In ein paar Jahren werde wird in einem Behörden-Handbuch mit
fen jemanden an, um mitzuteilen, dass es einen Aufsatz über das „Grand Hotel Ab- lyptische Gegenwart" wurde erregt dis- 2 310" gezeigt - dauermoralisierenden das Land nurmehr Steppe sein: „Schau- dem reizenden Titel „Krisenkommunika-
schwierig sei, wieder herauszufinden. grund" geschrieben, in dem die Bewoh- kutiert, die Teilnehmer studierten inten- L eitartiklern nahezu als blanke Unver- en Sie ihn sich noch einmal an, bald gibt tion" festgelegt, dass bei der Verkün-
Was für eine Lust, auch dieser Sommer ner ohnmächtig tun und nur noch die siv die „Apokalypse des Johannes". Ein Si :hämtheit. Sie fordern stets, den Bürger es diesen Wald nicht mehr." Als die Nati- dung schwarzer Botschaften die „Herren
unseres Missvergnügens. Bürger klagen Pflege der Innerlichkeit betreiben. Die fiktives „Tagebuch aus dem 3. Welt- a Dzuholen, wo er steht. Was, wenn der on bereit war, ans Ende des Waldes zu dunklen Anzug, gedeckte Krawatte (aber
routiniert, und ebenso routiniert jam- meisten von ihnen müssen Deutsche ge- krieg" fand Käufer und Filme wie „The B ürger dann weint, statt sich zu bewe- glauben, trotzte der allen Sterbeprogno- nicht schwarz), unifarbenes Hemd" zu
mern die Regierenden über die Bürger, wesen sein. Man erkennt sie daran, dass g ?n? Auch deshalb wird heute der Über- sen und nahm wieder zu. Die Waldfläche tragen haben. Den Damen wird „dunkles
weil die immer jammern. Selbst große sie immer mit der Zunge nach einem b ringer schlechter Nachrichten nicht ge- der Bundesrepublik wurde nicht kleiner, Kostüm, Hosenrock, unauffälliger
Segelschiffe heißen in Deutschland zwei- schmerzenden Zahn fühlen, und es sind k opft, sondern als Warner, Seher und sondern größer. Nicht, dass der Wald Schmuck" vorgeschrieben.
felsfrei Windjammer. bizarrerweise viele von denen darunter, Die Politik soll den Bürger P rophet durch Akademietagungen ge- nicht krankt, aber verschwunden ist er er- Gute Nacht.
„Angst essen Seele auf", belehrt der die abends ins teuren Bars sitzen statt ucht wie ein Wanderpokal. Dass Flüsse staunlicherweise trotzdem nicht.
Wirtschaftsweise Peter Bofinger die Bür- auf den härteren Bänken des Lebens.
abholen, wo er steht. Was, ri
lötzlich sauber sein sollen und der Un- Die meisten der eher geistig Entnadel-
P
ger, aber auch die Wirtschaft tut, als ha- Es gab hierzulande schon manch ideo- wenn der Bürger nun weint •rgang ausgeblieben ist? Hüstel, nun ja, ten blieben davon unbeeindruckt. Einige
be sie keine Seele mehr. Soviel Schwarz- logische Verirrung, aber derzeit ist De- und sich nicht bewegt?
ti
k ñu) passieren. von ihnen räumten ein, ein paar ihrer Ar- Inhalt
seherei verblüfft kluge Menschen im Aus- pression das einzige Handgepäck. Funda- Anfang der siebziger Jahre wurde der gumente seien nicht ganz richtig gewe-
land, die - wie kürzlich die vom konserva- ment aller Betrachtungen ist ein perma- A larmist Paul Ehrlich („Die Bevölke- sen, aber mit ihren falschen Warnungen Wiglaf Droste
tiven Londoner Economist - unser Land nentes Vergeblichkeitsgefühl. Sogar bei r lngsbombe") als Aufklärer gerühmt, hätten sie immerhin dafür gesorgt, dass
für die Zukunft ausgesprochen gut aufge- der eigenen Lebenserwartung sind die Day After" oder „War Games" wurden w eil er den biologischen Tod der Meere massive Anstrengungen zur Reinhaltung In der Düsternis so hell
stellt sehen. Allein, so der Economist, die Deutschen gedämpft. Neun von zehn von Millionen Zuschauern gesehen. g >nau datieren konnte (1979!), und weil der Luft ergriffen worden seien! Man- Eine Stadtwandening durch Rheinsberg,
deutsche Bevölkerung sei gewisserma- Deutschen schätzen nach einer Umfrage „Die Vorstellung, dass das ganze Sys- e • voraussagte, dass die Hälfte der Men- ches Verhalten jener Rechthaber erin- auch auf den Spuren Kurt Tucholskys.
ßen das Problem, denn diese übe sich ihre statistische Lebenserwartung viel tem einem unvermeidlichen Zusammen- s« :hen, die auf der Erde lebten, verhun- nert an jene Sekte, die im vorigen Jahr-
chronisch in Konsumverzicht und Zu- zu niedrig ein. Ist das nicht fast schon brach zutreibt und eines Tages kolla- g irn würden. In zivilisierten Ländern hundert predigte, dass die Welt an einem Martin Zips
kunftspanik. wunderbar? „Der Wald ist groß, die Fins- biert, ist wohl zur populärsten Vorstel- erde die Lebenserwartung drastisch 21. Dezember untergehen werde. Am 22.
Dezember gab "es sie dummerweise Infantile Temporalsätze
Vt
Im Jammerlappenland wird am nächs- ternis auch", sagte Thomas Bernhard, lung unserer Zeit geworden", schrieb der SJ
aken, sagte Ehrlich voraus. Bürger der
ten Wochenende gewählt. Der Wechsel- aber der war immerhin Österreicher und Schriftsteller Peter Schneider in einem L SA würden im Jahr 1980 im Schnitt immer noch. Aus Sicht der Sekte war die „Der Kleine Nick" ist wieder da. Ein
gesang, der chronisch über die Köpfe konnte noch lachen. Mitte der achtziger Jahre erschienen Un- n ir 42 Jahre alt werden. Was für ein irrer Prophezeiung richtig gewesen, denn denkwürdiger Besuch beim Übersetzer.
schallt, wird danach weiterschallen. Fast jede Zeit hatte das Gefühl, eine tergangs-Buch. Höhepunkt der Betrach- Q uatsch, und mit was für einem irren Gott hatte ihr Flehen erhört, und so hat-
„Wir hatten die Wahl - Erste Rück- Endzeit zu sein, eine Zeit, in der die Ent- tung war die Mitteilung, dass Menschen E mst lauschte man Ehrlichs Worten. ten sie die Welt gerettet. Willi Winkler
blicke auf unsere neue Bundesregie- scheidung über die Zukunft, über das als Leichen die Umwelt gefährdeten. „Ich wüsste kein Land, in dem so viele Unsere Lebensmittelskandale wiegen
rung" ist der Titel eines jetzt schon bei Überleben fiel. Das hing damit zusam- Dürre, Seuchen, Hungersnöte, Heuschre- V erant wortliche und FunktionsträgiT leicht - verglichen mit den Massenvergif- Der Weltmeister
Rowohlt erschienenen Buches, das der- men, dass jede Zeit auf diese Weise aus- ckenschwärme, die ägyptischen Plagen rr it so großer Lust so schlecht, so negativ tungen aus früherer Zeit. Das lässt, sich Theater? Theater! Lafontaine besucht ei-
gestalt mit unserer Heulerei spielt. drücken wollte, dass sie sich für die Zu- des Alten Testaments - verglichen mit ü KT das eigene Land sprechen, wie das auch daran feststellen, dass die Nation ne Krisenregion und hält sich für ehrlich.
Schon heute liegt ein Hauch von Vergeb- kunft der Menschheit verantwortlich deutschem Regenwetter nur ein Klacks! b ii uns in Deutschland geschieht", hat Jo- das Glykol im Wein, die Salmonellen im
lichkeit über dem Gesumse der Neuen. fühlt. Sie brauchte das Feindbild einer to- Es war eine dementsprechend geburten- b innes Rau im Mai 2004 in einer Berliner Fisch und vieles andere mehr in den ver- Nora von Westphalen
Die Tristesse Schröder wird von der talen, absoluten Bedrohung, um sich als schwache Zeit, und - darauf kommen wir R ?de gesagt. „Wir hätten schon viel ge- gangenen Jahren schadlos überstanden
Tristesse Merkel abgelöst werden: „Wie die bedrohteste aller Zeiten zu empfin- noch zu sprechen - das sollte sich viele « onnen, wenn Prognosen und Voraussa- hat, sogar den Rinderwahnsinn, der vor Doc Hollywood
üblich fühlte sich der deutsche Wähler den. In den achtziger Jahren beispielswei- Jahre später, nämlich heute, als das ei- g
•n regelmäßig, nach einem Jahr, nach allem ein Medienwahnsinn war. Nach- Dr. Hauschkas Kosmetiklinie ist aus
schon wenige Tage auch nach dieser se beherrschte die Diskussion über die gentliche Problem herausstellen. z vei Jahren oder fünf Jahren, darauf richten von ein paar Dutzend Rindern, Schwaben und verzaubert Julia Roberts.
Wahl wieder mal belogen und betro- Angesichts wirklicher Katastrophen, die an BSE erkrankt waren, ließen nicht
gen", heißt es in dem Rowohlt-Buch. wie zuletzt im Fall des Hurrikans Katri- nur den deutschen Markt zusammenbre-
Der Wähler sehne sich bereits zwölf na, ist die Befindlichkeit von uns germa- chen, sondern führten auch dazu, dass
Monate danach „förmlich zurück nach nischen Endzeit-Beschwörern selbstherr- fast jeder verfügbare Kameramann einge-

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