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Art möglich ist?

Dann hat die


Und führe Bitte in dieser Form gar keinen
uns nicht in Sinn, denn dann muss jeder
Mensch versucht werden, und
Versuchung die Versuchungen gehören zum
Gang der göttlichen Vorsehung.
Betrachtungen zum Es könnte dann etwa heißen:
Gebet des Herrn, hilf uns, nicht allzu böse zu sein,
damit es mit uns nicht gar zu
zusammengestellt schlimm herauskommt.
von Heinz Grob Das befriedigt uns in beiden
Fällen nicht. Was also kann es
auf sich haben mit dieser Bitte?

I mmer wieder einmal taucht im


Kreis der Anhänger Sweden-
borgs die Frage auf, ob nach sei-
Elke Barduhn berichtete von
einem Gespräch im Haus Völker.
Dort wurde, angeregt durch
nen Lehren die Formulierung der eine Arbeit von René Nitschelm,
Bitte im Gebet des Herrn: „Und ein ganz anderer Hintergrund
führe uns nicht in Versuchung“ sichtbar, nämlich die doppelte
zulässig sei. Um sie zu beantwor- Bedeutung des Wortes massah
ten, muss geklärt sein, was der sowohl als Versuchung wie auch
Herr unter „Versuchung“ ver- als Ort eines besonderen Ge-
standen hat, und damit fangen schehnisses. Nachzulesen ist das
die Probleme bereits an. in der Nummer 2/04 der OT,
Liegen sie auf unserem Weg also im letzten Heft.
als Steine, über die wir stolpern Einen weiteren Gedanken-
könnten? Dann hätte die Bitte gang schildert Ad. L. Goerwitz
also den Sinn: führe uns auf ziemlich ausführlich in seinem
einer glatten Straße an diesen Bericht von der europäischen
Hindernissen vorbei, damit wir Pfarrkonferenz (das gab es wirk-
unsere Schwäche nicht zu zei- lich!) in Lausanne im Jahr 1923.
gen brauchen. Ich füge diesen Text, um Wieder-
Oder geht es darum, dass holungen gekürzt, hier ein:
wir „nichts als böse“ sind und Es ist verschiedentlich als
von Grund auf gebessert wer- ein misslicher Umstand emp-
den müssen, was nur auf dem funden worden, dass das Gebet
Weg über Versuchungen jeder des Herrn eine Bitte enthält, die,
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so wie sie dasteht, erst einer In- auch selbst das Böse, die Strafen, „Niemand kann durch Versuchun- sind, die buchstäbliche Idee von
terpretation bedarf, um ohne in- die Versuchungen. Und man soll, gen gehen, wenn nicht Böses der Versuchung und vom Bösen,
wenn man diese übergeordnete ihm anhängt. Wer kein Böses hat, bis der innere Endzweck der Bitte,
neren Widerspruch und Unklar- kann nicht die geringste Versu-
Vorstellung einmal angenommen der die reine engelische Idee ist,
heit gebetet werden zu können. hat, auch lernen, wie er regiert chung haben. Das Böse ist es, was übrig bleibt, und das ist das Gute,
Denn der Eindruck, den diese und ordnet, und dass er das Böse die höllischen Geister anregen.” ohne irgendwelche Beimischung
Bitte erweckt, ist der: wir bitten der Strafe und das Böse der Ver- Und in Nr. 1573: „Kein Engel kann von Versuchung und vom Bösen.
den Herrn, uns nicht in Versu- suchung zum Guten wendet; die je vom Teufel versucht werden.“ Während die buchstäbliche Vor-
chung zu führen, d.h. wenn wir Ordnung des Lebens und Lernens stellung so von der inwendigen
im Wort geht vom Übergeordneten
Der Herr führt nicht in Ver- losgetrennt wird, bilden die guten
ihn bitten, wird er uns nicht in suchung, und darum muss diese Geister unzählige Ideen, z.B. wie
aus. Daher ist der Buchstaben sinn
Versuchung führen, andernfalls voll von solchen Dingen.“ Bitte stets erst von uns interpre- Gutes aus den Trübsalen des Men-
würde er das vielleicht tun. Das tiert werden. Man hat, gerade in schen entsteht, während dennoch
ist ein ganz unmöglicher Stand- Wir müssen also notge- die Trübsal vom Menschen und
der Neuen Kirche, die Schwierig-
punkt. drungen die Bitte innerlich so- von seinem Bösen herrührt, denn
keit empfunden und auch schon
Der Buchstabe enthält also fort gleichsam korrigieren und durch eine Änderung des Textes
jedes Böse enthält seine eigene
interpretieren. Denn der Herr Strafe. Bei diesen Geistern existiert
eine Idee, die höchstens vom zum Ausdruck gebracht, so z.B. zugleich eine Art von Unwillen,
Gesichtspunkt der allgemeinen führt nicht in Versuchung, son- in der französischen Liturgie der dass der Mensch seine Versuchun-
Wahrheit aus gelten kann, dass dern das Böse, das in uns ist Neuen Kirche von 1836, wo es gen irgend etwas anderem als dem
der Herr alles leitet und über- – zumindest der Anlage nach – lautet: „Ne nous abandonnez Bösen in ihm selbst zuschreiben
wacht gemäß solchen Worten wird angeregt durch böse Geis- point en tentation“; also: Verlass möchte und dass er überhaupt
wie: „Ich bilde das Licht und ter, und das bringt uns in einen zur selben Zeit an Gott und an das
uns nicht in der Versuchung. Das Böse denkt. Wenn so die Ideen des
schaffe Finsternis, mache Frie- geteilten, zerrissenen Zustand ist keine Übersetzung mehr, son- Menschen durch Entfernung der
den und schaffe das Böse; ich, des Kampfes, der Versuchung dern bloße Interpretation. Ich Scheinbarkeiten des Buchstabens
der Herr, tue alles dies“, und heißt. Freilich ist es wahr, dass glaube nicht, dass wir berechtigt geläutert werden, so dass die Bitte
noch ausgesprochener: „Ge- das Böse auch seinen Nutzen sind, den Wortlaut des Wortes um das Gute vom Herrn allein
schieht ein Böses in der Stadt, hat: dass das Böse zutage tritt, soweit gehend abzuändern. übrig bleibt, dann werden seine
das nicht der Herr tue?“ In die- zutage gefördert und erkannt Ideen in den Himmel und so zum
Andere Versuche bestanden Herrn erhoben.“
sem Sinn erklären ja such die und dann bekämpft wird, weil darin, das Wort so zu übersetzen
Schriften solche Scheinbarkei- es so wirklich beseitigt und das oder zu erklären, es bedeute: So sehen wir, dass mit zu-
ten im Wort. In den HG steht Gute uns angeeignet werden „Lass uns in der Versuchung nehmender Einsicht das, was im
z.B. in Nr. 245: kann. Im praktischen Leben nicht fallen“, oder: „Führe uns Buchstaben nach dem Schein
„Wenn hin und wieder im Wort können wir ja darum ohne Ver- nicht in schwerere Versuchun- gesprochen ist, losgelöst wird,
gesagt wird, Jehovah Gott wende suchungen gar nicht umgebil- gen als wir ertragen können“. und nur die innere Wahrheit, die
nicht nur das Angesicht ab, zürne, det und wiedergeboren werden. Ludwig Tafel sagt in einer mit jenen Worten verbunden ist,
strafe und versuche, sondern Immer aber ist es das Böse, zu übrig bleibt.
Predigt über diese Worte:
er töte auch, ja er verfluche, so
geschieht dies darum, dass man
dem wir neigen, das die Versu- „Betet der Mensch andächtig die
Trotzdem erscheint es ein
glauben soll, der Herr regiere und chungen hervorbringt. Wie die Bitte unseres Textes, so entfernen Nachteil, wenn im Gebet des
ordne alles und jedes im Weltall, HG in Nr. 1444 sagen: die guten Geister, die um ihn Herrn etwas so ausgedrückt ist,
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dass erst ein tieferes Verständnis wir für die Übersetzung von mè In dieser genauen Überset- Neigung so anfachend, dann
der Zusammenhänge vonnöten eisenengkès zu dem Hiphil des zung kommt das, was an der fallen wir der Versuchung leicht
ist und eine Scheinbarkeit aus Verbs bo’, hineingehen, eintre- üblichen Übersetzung einen ir- anheim. Erlauben wir es aber
unseren Vorstellungen verbannt ten, also „al tabenu al massah“. rigen Gedanken in sich schließt den höllischen Einflüssen gar
werden muss und der wirkliche (Von der möglichen Doppel- (als ob der Herr in Versuchung nicht erst, uns zu berücken mit
Sachverhalt erst durch tiefere Er- bedeutung hier kein Wort.) Wir führe), nicht zum Ausdruck, ihren Bildern und dem „Soll ich
kenntnis vermittelt werden kann, erinnern uns, dass das Hiphil wohl aber die Wahrheit, dass oder soll ich nicht“, so kommen
und es schien geraten, wenn ir- im Hebräischen (respektive das er alles überwacht. Es liegt aber wir gar nicht ganz in die Versu-
gendeine Möglichkeit dazu be- Aphel im Chaldäischen) die schon die Unterscheidung darin chung, wir überwinden sie, wei-
steht, eine Ausdrucksweise zu Verursachungsflektion ist, eine zwischen dem, was der Herr tut, sen sie ab, ehe wir ganz drin
finden, die jene Scheinwahrheit Eigentümlichkeit der semiti- und dem, was er bloß zulässt, waren. Darum bitten wir den
weniger stark zum Ausdruck schen Sprachen, die wir in un- ebenso wie die Wahrheit, dass Herrn: Lass uns nicht in Versu-
bringt. Und darum wollte ich seren indogermanischen verein- es das Böse in uns ist, das uns chung kommen, lass nicht diese
folgende Möglichkeit vorlegen: zelt auch finden (fallen – fällen; in Versuchung bringt; die Nei- Verhältnisse, Umstände, Men-
Der griechische Wortlaut: hangen – hängen usw.), so dass gung zum Bösen lässt erst die schen, Umgebungen, Sinnes-
Kai mè eisenengkès hèmas eis wir den neuen Tätigkeitsbegriff, Verhältnisse, die Menschen usw. eindrücke zur Versuchung für
peirasmon (das è ist ähnlich wie der entsteht durch das hebräi- zur Versuchung für uns werden. mich werden; lass mich nicht in
im Französichen auszusprechen) sche Niphal, Piel, Hiphil usw. ge- Ein ganz simples Beispiel: einem Versuchung kommen, welcher
kann nicht anders übersetzt wer- wöhnlich mit einem neuen Wort Menschen, der gar keine Nei- ich ausgesetzt bin durch den fal-
den als: Führe oder bringe uns ausdrücken, das bei den indoger- gung zum Diebstahl hat, gerät schen Hang in mir, sondern er-
nicht in Versuchung. manischen Sprachen dann meis- es nicht zur Versuchung, wenn löse uns vom Bösen. Diese letz-
Nun müssen wir aber be- tens nicht mehr vom gleichen er zum Beispiel in einem Raum tere Bitte: „Sondern erlöse uns
denken, dass der Herr dieses Wortstamm ist; in unserem Fall allein ist, wo Geld liegt, das er vom Bösen“ schließt sich nun
Gebet den Hörern der Bergpre- wurde von bo’ „hineingehen“ sich aneignen könnte. Einem auch viel harmonischer an.
digt (Mat. 6) oder zumindest das Hiphil hebi’, das wörtlich mit anderen wird dieser Umstand Dürfen wir nun aber diese
den Jüngern (Luk. 11) nicht in „hineinkommen machen“, „hin- möglicherweise zum Verhäng- geänderte Übersetzung im Ge-
griechischer Sprache, sondern eingehen lassen“ übersetzt wer- nis in dem Grad, wie er die brauch in der Kirche verwen-
auf hebräisch beziehungsweise den müsste, eben mit „führen“ Neigung zu stehlen hegt. So den? Es wehrt sich etwas in uns
aramäisch mitgeteilt hat, und übersetzt, wie es auch ins Grie- entwickeln sich Umstände, Ge- dagegen:
dass seine Worte wohl zum größ- chische einfach mit dem Wort ei- legenheiten, Menschen, Um- Eine solche Übersetzung
ten Teil aus dem Hebräischen, senengkès geschehen ist, das wir gebungen, Verhältnisse uns zur ist nicht mehr eine Übersetzung
beziehungsweise Chaldäischen nun mit führen übersetzen müs- Versuchung, je nach dem Hang des Griechischen, in dem uns
erst ins Griechische übersetzt sen, also „Führe uns nicht in Ver- zum Bösen, den die höllischen die Worte des Herrn nun einmal
worden sind. Wie hat nun die suchung“, statt mit der genauen Geister anfachen können. Las- überliefert worden sind, sondern
Bitte gelautet im Hebräischen, in aber umständlichen Verbalkon- sen wir die Geister uns erst das nur eine konstruierte Rücküber-
dem der Herr es zu den Jüngern struktion „ Lass uns nicht in Ver- Bild verlockend vor Augen stel- setzung. Das Griechische sagt
gesprochen hat? Da kommen suchung kommen“. len, das Angenehme der bösen deutlich mè eisenengkès hèmas
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eis peirasmon, und wir müssen einen Untergebenen kommen,
uns sagen, dass doch die gött- oder: der Gast lässt einen Kaffee Swedenborgs Gedanken zum
liche Vorsehung gewaltet hat kommen. Das hat beides nichts
über der Art, wie seine Worte mit einer Zulassung zu tun, mit Begriff „Versuchung“
ins Griechische der Evangelien einem passiven Geschehenlas- von Heinz Grob
übertragen wurde. Wir weichen sen also, sondern ist eindeutig
also ab vom überlieferten Buch- eine Aktion, so wie der Begriff
„Jesus sprach, jeder, der zu mir kommt und meine Reden
staben der Evangelien, wenn- „führen“ auch; daran lässt sich
hört und sie tut, ist gleich einem Menschen, der ein Haus
schon vieles dafür spricht, dass mit keiner Übersetzungstaktik
die vorgeschlagene Fassung eine baut und gräbt und in die Tiefe dringt und den Grund auf
etwas ändern. Ein Unterschied
getreuere Wiedergabe der ur- den Felsen legte, da nun eine Überschwemmung entstand,
allerdings besteht: die Ausfüh-
sprünglichen Worte es Herrn ist. rung wird einem anderen über- stieß der Strom an jenes Haus, aber er vermochte es nicht
lassen, einem Befehlsempfän- zu erschüttern, weil es auf den Felsen gegründet war“
Die Aussprache unter den ger. Goerwitz müsste also in Luk. 6, 47.48.
Pfarrherren ergab eine Mehr- Wirklichkeit formulieren: „Be-
heit für den Verbleib bei der her-
kömmlichen Fassung, da sie die
fiehl uns nicht, in Versuchungen
hinein zu gehen“.
D ass hier wie auch an anderen Orten unter Überschwemmung
Versuchungen verstanden werden, kann jedem klar sein.
Was aber sind nun eigentlich Versuchungen? Ein neutrales
überlieferte sei.“ Das scheint mir nun keiner-
lei Verbesserung zu sein, denn Wörterbuch beantwortet die Frage so:
Soweit der Bericht im Neu- weder wird uns der Herr die- • Jemanden zu etwas Unrechtem verlocken
kirchenblatt von 1923. Der sen Befehl erteilen, noch wird • Versucht sein, etwas Bestimmtes zu tun.
letzte Abschnitt überrascht ein- er sich durch unsere kurzsich- • Eine Versuchung ist der Anreiz, sich einen Wunsch wider bes-
wenig, denn vorher beschreibt tige Bitte davon abhalten las- seres Wissen zu erfüllen, z. B. im Gegensatz zu Gesetzen, Regeln
Goerwitz mit viel Wärme eine sen, eine für unsere Entwicklung der Gesellschaft oder persönlichen, wirtschaftlichen oder gesund-
Situation des Zulassens, die ihm nötige Passage einfach auszu- heitlichen Gegebenheiten.
augenscheinlich den verborge- setzen. Weise scheint mir dage- Wir kennen das aus unserem täglichen Leben: der Wein
nen Sinn des Gebets besonders gen Ludwig Tafels Haltung, die schmeckt mir; soll ich noch ein halbes Gläschen trinken, obwohl ich
gut ausdrückt. Wirkung der Bitte dem Herrn mich anschließend noch ans Steuer setzen muss? Oder: Das Kleid
Geht man jedoch von der zu überlassen. Das taten offen- in meiner Tasche hat nur gerade zehn Euro mehr gekostet als die
sprachlichen Eigenheit des Hip- sichtlich die Pfarrer auch. Goer- Zollvorschriften erlauben. Soll ich es wirklich deklarieren? Dies nur
hil als Verursacherform aus – witz berichtet leider nicht weiter als zwei typische Beispielchen von vielen Dutzend Verlockungen,
Goerwitz vergleicht mit fallen = über den Gang der Diskussion; denen wir ausgesetzt sind oder denen wir uns selbst aussetzen.
hinfallen aber fällen = umlegen es ist auch jedem, der ihn noch Das ist nun aber Alltagssprache gewesen. Philosophen und
–, dann muss „kommen lassen“ gekannt hat, verständlich, dass Theologen formulieren anders. So steht es im Kirchenlexikon:
eine Wirkung auslösen, wie es ihn der Entscheid der Kollegen • Versuchung ist entweder allgemein die Prüfung oder Erprobung
der Fall ist, wenn man einen Auf- (trotz des letzten Abschnitts) der sittlichen Tüchtigkeit oder im Besonderen die Anreizung zum
trag erteilt, also: der Chef lässt nicht gefreut hat. sittlich Mindervollkommenen und zur Sünde, sodass in der Regel
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ein Kampf zwischen Begierde und Pflicht hervorgerufen wird. 760. Der Mensch hat durch beständige Vergnügungen und durch
• Die Hauptquelle der Versuchungen ist das ungeordnete Trieb- mancherlei Arten von Welt- und Selbstliebe – folglich durch deren
leben. Ausflüsse, die Begierden – sich sein Leben so geformt, dass es keine
• Der Teufel ist der Versucher schlechthin. anderen Kriterien mehr kennt. Dieses Leben kann absolut nicht
mehr mit himmlischem Leben übereinstimmen, denn niemand
Dass Swedenborg dabei noch mal etwas anderes im Auge hat,
kann Weltliches und Himmlisches zugleich lieben. Weltliches lie-
ist bekannt. Er hat darüber zwar in der Wahren Christlichen Religion ben heißt abwärts blicken, Himmlisches dagegen aufwärts. Noch
nur wenig, in der erklärten Offenbarung nicht viel mehr geschrie- weniger kann einer sich selbst und den Nächsten zugleich lieben
ben, im Register zu den Himmlischen Geheimnissen jedoch ist und noch weniger den Herrn. Wer sich selbst liebt, haßt alle, die
der Begriff Versuchung unter 77 Nummern aufgeführt. Bei nähe- ihm nicht dienlich sind. Er ist somit weit entfernt von der himm-
rer Betrachtung sind es noch viel mehr, es mögen an die hundert lischen Liebe und tätigen Liebe, die darin besteht, den Nächsten
sein. Wie üblich finden sich darin zahlreiche Wiederholungen, so mehr zu lieben als sich selbst und den Herrn über alles.
dass sich eine Auswahl aufdrängt, die allerdings nicht leicht zu tref- Hieraus wird klar, wie weit das Leben des Menschen vom
fen ist. Ich beschränke mich dabei im Wesentlichen auf die Texte, himmlischen abweicht, und dass es daher durch Versuchungen
die auf unser Leben unmittelbar Bezug nehmen, und gehe nur aus- vom Herrn wiedergeboren und umgelenkt wird, so dass es
schließlich übereinstimmt. Dies ist der Grund, warum diese Ver-
nahmsweise auf Stellen ein, die sich mehr mit der Auslegung alt-
suchung schwer ist, denn sie berührt das eigentliche Leben des
testamentarischer Bibelworte befassen, nämlich vor allem mit der
Menschen und greift es an, zerstört und verändert es; sie wird
Sintflut und den Geschichten um Joseph und seine Brüder. daher auch dadurch beschrieben, dass die Quellen des Abgrun-
Es ist auch so noch eine stattliche Zahl von Texten zusammen- des aufbrachen und dass die Schleusen des Himmels sich aufta-
gekommen, und auch diese sind nicht frei von Wiederholungen. ten, wie es zum Beginn der Sintflut geschrieben steht.
Man begeht also nicht unbedingt eine Unterlassung, wenn man
1717. Wer meint, der äußere Mensch könne ohne Versuchungs-
sich gelegentlich mit Auslassungen behilft.
kämpfe zur Entsprechung (d. h. zum Abbild des inneren, letztlich
Um eine überschaubare Ordnung ins Ganze zu bringen, habe
zum Bild Gottes) gebracht werden, der täuscht sich, denn die
ich mir einige Fragen gestellt: Versuchungen sind die Mittel, das Böse und Falsche zu zerstreuen,
• Wozu dienen Versuchungen Gutes und Wahres einzuführen, und das, was zum äußeren Men-
• Wie ist der versuchte Mensch beschaffen schen gehört, wieder folgsam zu machen, dass es zunächst der
• Was ist überhaupt eine Versuchung Vernunft und anschließend dem inneren Menschen dient, d.h.
• Wann tritt sie auf dem Herrn, der durch den inneren Menschen wirkt.
• Wie verläuft sie Dass das durch die Versuchungen bewirkt wird, kann niemand
• Was ist ihr Ziel wissen, als wer selbst durch Versuchungen wiedergeboren wurde.
Genau treffende Antworten sind nicht immer zu finden, aber Wie es aber geschieht, kann kaum ungefähr beschrieben werden,
immerhin ergibt sich auf diese Weise eine Art von Leitfaden, nach da es geschieht, ohne dass der Mensch weiß, woher und wie,
denn es ist das göttliche Wirken des Herrn.
dem die sehr differenzierte Schau Swedenborgs auch ohne die in
den HG allgegenwärtigen Bibelzitate in einen fassbaren Zusam- In diesem Zusammenhang spricht Swedenborg häufig vom
menhang gebracht werden kann. Gegensatz innerer–äußerer Mensch, wobei er den äußeren als a
Wir wollen mit der Frage beginnen, was die Versuchungen priori böse und kaputt einschätzt, während der innere die Fähig-
überhaupt nötig macht. Er schreibt dazu: keit und die Möglichkeit hat, die Verbindung zum Herrn zu pfle-
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gen und aufrecht zu erhalten. Da aber der Mensch sich des inneren die Versuchung, die das andere Mittel ist; denn dieses Mittel folgt
nicht bewußt ist, bedarf es genauester und anhaltender Selbstprü- dem ersteren. Wer nämlich die Werte des Glaubens und der täti-
fung, um hier zu einiger Klarheit zu gelangen. gen Liebe nicht innerlich bejaht und anerkennt, kann in keinen
Versuchungskampf gelangen, weil innerlich nichts da ist, was
3928. Der äußere Mensch begehrt aus sich nichts anderes, als was dem Bösen und Falschen widerstreitet.
seinem Leib und seiner Stellung in der Welt dient, das sind für ihn
die wahren Reize seines Lebens. Wenn aber der innere Mensch Um überhaupt Versuchungen bestehen zu können, muss der
himmelwärts offen ist und nach himmlischem Leben verlangt Mensch eine ganze Reihe von Voraussetzungen erfüllen. Der Herr
(wie diejenigen, die wiedergeboren werden können), dann spen- würdigt nicht jeden Beliebigen, den Kampf aufzunehmen, denn es
den ihm himmlische Einflüsse seine Freude und sein Glück. geht ja am Ende darum, wiedergeboren zu werden. Dazu heißt es:
Zwischen diesen beiden Arten von Anreiz findet ein Kampf
statt, wenn der Mensch versucht wird. Das weiß der Mensch 711. Ein unvorbereiteter Mensch, der nicht mit Wahrem und
aber nicht, weil ihm weder von himmlischer noch von hölli- Gutem ausgerüstet ist, kann gar nicht wiedergeboren werden,
scher Freude etwas bekannt ist, vollends nicht, dass sie sich so geschweige denn Versuchungen bestehen, denn die bösen Geis-
sehr entgegenstehen. Aber die himmlischen Engel können die ter, die ihn umgeben, regen alles auf, was in ihm falsch und böse
körperlichen und materiellen Wohlgefühle des Menschen nicht ist. Wenn er dann mit nichts Wahrem und Gutem ausgestattet ist,
beeinflussen oder fördern, ehe dieser zum Gehorsam gebracht ist, zu dem er vom Herrn gewendet werden kann und durch das sein
ehe diese Gefühle vom Zweck zum Mittel geworden sind, um den Böses zerstreut wird, so unterliegt er. Wahres und Gutes sind die
himmlischen Freuden zu dienen. Ist dies geschehen, dann können Überreste, die zu diesem Zweck vom Herrn aufbewahrt werden.
die Engel beide Bereiche des Menschen beeinflussen, aber dann 761. Der Mensch bringt von sich allein nie etwas Falsches und
wird sein wichtigster Reiz ein Glücksgefühl und zuletzt die Selig- Böses hervor, sondern es sind die bösen Geister, die sich seiner
keit im anderen Leben. Wer glaubt, dieser Reiz des natürlichen
bemächtigen und es hervorbringen und zugleich dem Menschen
Menschen sei vor der Wiedergeburt nicht höllisch, und er werde
den Glauben einflößen, es komme aus ihm selbst; so bösartig sind
nicht von teuflischen Geistern in Besitz genommen, täuscht sich
sie, und in dem Augenblick, da sie es einpflanzen und ihm jenen
sehr und weiß nicht, dass vor der Wiedergeburt sein natürli-
Glauben beibringen, klagen sie ihn sogar an und verdammen ihn,
cher Bereich von höllischen Genien und Geistern besessen ist.
was ich durch viele Erfahrungen bestätigen kann.
Er glaubt aber, er sei wie ein anderer und könne an der heiligen
Ein Mensch, der keinen Glauben an den Herrn hat, kann nicht
Andacht der übrigen teilhaben und über Wahrheiten und Werte
soweit erleuchtet werden, dass er der Einflüsterung, das Böse sei
des Glaubens vernünftig reden, ja sich darin für besonders stark
von ihm selbst, keinen Glauben schenken würde; daher eignet er
halten. Solange er nicht in sich einen Sinn für Gerechtigkeit und
sich das Böse tatsächlich an und wird gleich den bösen Geistern,
Billigkeit im Beruf und für die wahren Grundlagen und segensrei-
die bei ihm sind.
chen Entwicklungen in der Gesellschaft und im Leben überhaupt
verspürt, soll er wissen, dass er eben den Anreizen ausgeliefert ist, Weil selbst die Versuchungen nur Abbilder oder Entsprechungen
die den Höllischen eigen sind; denn er empfindet keine andere himmlischer Vorgänge sind, verweist Swedenborg immer wieder
Liebe, als die zu sich selbst und zur Welt, und es fehlt ihm also die auf das Vorbild, den Herrn und dessen Versuchungen und Kämpfe:
tätige Liebe und der Glaube.
Haben diese Antriebe einmal die Oberhand gewonnen, so 1683. Der Herr hat nie mit irgendeiner Hölle einen Kampf ange-
werden sie durch kein anderes Mittel gebändigt und vertrieben, fangen, sondern die Höllen haben Ihn angegriffen. So geschieht
als zunächst durch Bejahung und Anerkennung der Heiligkeit des dies auch bei jedem Menschen, der versucht wird oder mit bösen
Glaubens und der guten Lebensführung und anschließend durch Geistern im Kampf liegt; seine Engel greifen niemals selber an,

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das tun nur immer und beharrlich die bösen oder höllischen Dazu ist zu sagen, dass diese Altersangaben erstens sehr sum-
Geister. Die Engel wenden nur ab und verteidigen. Dies folgt aus marisch sein müssen, dass sie zweitens nicht überall in den Lehren
der Natur des Bösen und aus der Natur des Guten; das Böse will identisch sind und dass sie drittens, wie so vieles andere in Swe-
jedem Leid antun; das Gute will das auf keinen Fall. denborgs Aussagen zeitlich bedingt bleiben, das heißt, er würde
wohl heutzutage anders damit umgehen. Nun fährt er aber fort:
762. Aber geistige Versuchungen sind heutzutage wenig bekannt,
Von den drei verschiedenen Arten von Gutem ist das Gute der
auch werden sie nicht so zugelassen wie ehedem, weil der Mensch
Einsicht das Beste, denn es ist dasjenige der Weisheit. Das Gute,
die Wahrheiten des Glaubens nicht beherzigt; denn so würde er das vorhergeht, dasjenige der Unwissenheit, ist zwar auch gut,
unterliegen. An ihre Statt tritt anderes, wie Unglücksfälle, Beküm- weil aber wenig Einsicht darin enthalten ist, kann es nicht Gutes
mernisse und Bangigkeiten, die von natürlichen und persönlichen der Weisheit genannt werden. Das Gute der Kindheit aber ist zwar
Ursachen herrühren, wie auch Unwohlsein des Körpers und Krank- an sich gut, dennoch aber ist es weniger gut als beide vorigen,
heiten, die immerhin das Leben seiner Vergnügungen und Begier- denn es findet sich bei ihm noch gar nichts Wahres der Einsicht,
den einigermaßen zähmen und brechen und die Gedanken zur somit ist es nur die Grundlage für alles Weitere. Die Erkenntnisse
Einkehr und Frömmigkeit hinwenden und erheben. Aber das sind des Guten und Wahren machen, dass der Mensch weise wird wie
keine geistigen Versuchungen, die nur bei denen stattfinden kön- ein Mensch.
nen, die ein Gewissen des Wahren und Guten vom Herrn empfan- Die eigentliche Kindlichkeit, durch welche die Unschuld charak-
gen haben. Das Gewissen selbst ist ihr Bereich, auf den sie einwirken. terisiert wird, gehört nicht der Kindheit, sondern der Weisheit an.
Wir haben in diesem Zusammenhang den Begriff „Überreste“ Wer nun durch tätige Liebe Gutes tut, die Wahrheiten des
angetroffen, auf den Swedenborg noch da und dort zurückkommt. Glaubens jedoch nicht kennt, wie es solche sowohl innerhalb
als auch außerhalb der Kirche – die Heiden nämlich – gibt, der
Sie sind die einzigen Waffen, die jeder Mensch von Geburt an, aber
besitzt – eben weil er Gutes tut – dennoch die Fähigkeit, im ande-
nur für eine beschränkte Zeit) zur Verfügung gestellt bekommt.
ren Leben die Wahrheiten des Glaubens aufzunehmen, gerade
Hier ein Abschnitt, in dem sich Swedenborg eingehender darüber wie die Kinder, denn ihr Verstand ist noch nicht angesteckt von
verbreitet: Grundsätzen des Bösen. Das Leben der tätigen Liebe bringt es mit
2280. Gutes von dreierlei Art wird durch die Überreste dargestellt, sich, dass das Falsche und Böse der Unwissenheit leicht zum Wah-
nämlich Gutes der Kindheit, Gutes der Unwissenheit, und Gutes ren und Guten gelenkt werden kann. Nicht so bei denen, die sich
der Einsicht. Dasjenige der Kindheit besteht in den Kenntnissen und in Gegensätzen des Wahren bestärkt, und ihr Leben dem Guten
Verhaltensweisen, die dem Menschen gleich von seiner Geburt an entgegengesetzt verbracht haben.
eingeflößt werden bis zu dem Alter, wo er anfängt unterrichtet zu Es wurde schon angedeutet, dass nicht jedermann versucht
werden und etwas zu wissen beginnt. Gutes der Unwissenheit ent- wird. Das Verfahren der Versuchungen ist also an Bedingungen
springt dem Unterricht, wenn er anfängt etwas zu wissen. Gutes der geknüpft, ähnlich wie die Schulung und Ausbildung auf dieser
Einsicht ist vorhanden, wenn er bedenken kann, was wahr und gut ist.
Welt. Nicht jeder eignet sich für einen bestimmten Lehrgang. Den
Das Gute der Kindheit reicht von der Kindheit des Menschen bis
richtigen Ausgangspunkt beschreibt Swedenborg so:
zu seinem 10. Lebensjahr, das Gute der Unwissenheit von diesem
Alter bis zu seinem 20. Jahr; mit diesem Jahr fängt der Mensch an, 8658. Wenn der Mensch im ersten Zustand ist, nämlich wenn er
vernünftig zu werden und die Fähigkeit des Nachdenkens über auf Grund der Wahrheiten, aber noch nicht aus dem Guten han-
das Gute und Wahre zu entwickeln und sich das Gute der Einsicht delt, d.h. im Glauben, aber noch nicht aus der tätigen Liebe, dann
zu verschaffen. Nun wird niemand versucht, ehe er nachdenken ist er in dem Zustand, in dem er Versuchungen zu erleiden hat;
und auf seine Weise begreifen kann, was gut und wahr ist. durch diese wird er nach und nach in den anderen Zustand ver-

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setzt, nämlich dass er aus dem Guten, d.h. aus der tätigen Liebe Hier haben wir also auch gleich die Beschreibung des Endzu-
und ihrer Neigung handelt. Daher wird, wenn er diesem Zustand standes, also der vollendeten Wiedergeburt, denn nur um diese
nahe kommt, von ihm gesagt, er lagere sich am Berg Gottes handelt es sich, wenn es heißt: „Ich will nicht mehr das Lebendige
(Sinai), d.h. nahe bei dem Guten, aus dem er nachher handelt. schlagen“. Die Versuchungen selbst verlaufen nicht immer glatt
Dies wird gesagt, weil es im Folgenden um die neue Aufstel- und führen nicht immer gerade auf die Wiedergeburt zu:
lung oder Anordnung der Wahrheiten geht, die in jenen Zustand
einführt; und in diesen Zustand kommt auch wirklich der Mensch 857. „Die Wasser waren gehend und versiegend“, 1. Mose 8/5,
der Kirche, nachdem er Versuchungen bestanden hat und bevor bedeutet, dass das Falsche zu verschwinden anfing. Es werden
das göttliche Gesetz seinem Herzen eingeschrieben wird. Daher Schwankungen zwischen dem Wahren und Falschen angezeigt,
wird von dem Berg herab das Gesetz verkündigt; der Berg Sinai immerhin mit der Tendenz, dass diese Schwankungen sich ver-
bedeutet das Gute, in dem das Wahre ist. minderten. Schwankungen treten auf, weil der Mensch nicht
weiß, was wahr ist; nähern sie sich aber nach und nach dem Ende,
Nun nähern wir uns den zentralen Kapiteln, die davon berich- so erscheint das Licht der Wahrheit. Während sie noch andauern,
ten, wie eine Versuchung beschaffen ist, welche Ihre Auswirkungen kann der innere Mensch, – d.h. der Herr durch den inneren – nicht
sind, oder wie der Mensch sie empfindet. Auch da gibt es natürlich auf den äußeren einwirken. Im Innern sind die Überreste, Antriebe
sehr verschiedene Blickrichtungen. Wir wollen uns von Sweden- zum Guten und Wahren, im Äußern aber halten sich noch Begier-
borg selbst leiten lassen. den und aus diesen entstehende Falschheiten. Solange nun dieses
Äußere nicht gezähmt und schließlich ausgelöscht ist, steht der
840. Solange die Versuchung anhält, meint der Mensch, der Herr
Weg für das Gute und Wahre aus dem Einfluß des Herrn vom Innern
sei ferne, weil er von bösen Genien hin und her getrieben wird,
her nicht offen. Die Versuchungen haben daher auch den Zweck,
und zwar so, dass er zuweilen in einer solchen Verzweiflung ist,
das Äußere des Menschen zu zähmen und gegenüber dem Innern
dass er kaum glaubt, es gebe einen Gott; aber der Herr ist in die-
folgsam zu machen. Einen ähnlichen Vorgang kennt jeder: Sobald
sem Zustand näher als der Mensch glauben kann. Wenn dann die
des Menschen Lieblingsneigungen angefochten und behindert
Versuchung aufhört, erhält er Trost, und dann erst erkennt er, dass
werden, z.B. durch Unglücksfälle, Krankheiten oder Bekümmer-
der Herr zugegen ist.
nisse der Seele, fangen auch seine Begierden an, sich abzuschwä-
Es heißt: im Wort, Gott, nicht aber Jehovah gedenke des Men-
chen, und er beginnt, Frommes zu reden; sobald er aber in den
schen, weil dieser sich noch in einem Zustand befindet, der der Zustand der Gesundheit und Kraft zurückkehrt, herrscht wieder
Wiedergeburt voran geht; wenn er aber wiedergeboren ist, dann der äußere Mensch, und die frommen Gedanken verschwinden.
wird Jehovah genannt, wie in 1. Mose 8/20, 21.: Dasselbe spielt sich in der letzten Todesstunde ab, wenn die Kör-
Und Noach baute dem Jehovah einen Altar und nahm von allem perkräfte ganz erlöschen. Die Versuchungen oder inneren Schmer-
reinen Vieh und von allen reinen Vögeln und opferte Brandopfer auf zen, die auch Gewissensbisse genannt werden, bewirken also,
dem Altar. Und Jehovah roch den Geruch der Ruhe, und Jehovah dass der äußere Mensch sich dem inneren unterordnet, sodass
sprach in seinem Herzen: Ich will fortan dem Boden nicht mehr flu- die Antriebe zum Guten und Wahren nicht mehr von Begierden
chen um des Menschen willen; denn das Gebilde des menschlichen und Falschheiten gehindert, zurückgehalten und erstickt werden.
Herzens ist böse von seiner Jugend auf, und ich will hinfort nicht mehr
alles Lebendige schlagen, wie ich getan habe. Nach Swedenborg bilden Versuchungen einen unverzicht-
Der Mensch ist erst wiedergeboren, wenn der Glaube mit der baren Abschnitt im geistigen Werdegang des Menschen, einen
tätigen Liebe verbunden ist und der Mensch aus dieser heraus Prozess der Reinigung und Vorbereitung auf das ewige Leben.
handelt. In der tätigen Liebe ist Jehovah, nicht so im Glauben Beinahe könnte man sie mit dem Fegefeuer vergleichen, wäre da
allein. nicht der Eigenanteil, den der Mensch wenigstens durch den Wil-
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len zur Erkenntnis, zum In-sich-gehen und zur Abkehr vom erkann- von den Engeln gegen die Anfechtung von Seiten der bösen Geis-
ten Bösen zu leisten hat. Dieser letztere Vorgang beschäftigt jeden ter verteidigt werden, denn die Engel haben dann einen Boden,
irgendwie gut gearteten Menschen, auch wenn er sich über dessen auf dem sie wirken können.
Mechanismen gar nicht im Klaren ist. Und nun kann es Swedenborg nicht lassen, auch zu diesem
5036 Kaum jemand weiß heutzutage in der Christenheit, woher Geschehen seine Bilder zu liefern:
die Versuchungen stammen. Wer in solche hineinkommt, glaubt, 5246. Die Versuchung kann auch verglichen werden mit dem
es seien Beängstigungen, die sich einstellen durch das Böse, das Zustand eines Menschen, der in die Hände von Räubern geraten
inwendig im Menschen ist und das ihm zuerst Unruhe, anschlie- ist. Wenn er wieder heraus kommt, hat er struppige Haare, ein
ßend Angst und zuletzt Pein macht. Aber er weiß ganz und gar verdüstertes Angesicht und zerrissene Kleider. Unterliegt er in der
nicht, dass sie von Geistern herkommen, die bei ihm sind; denn er Versuchung, bleibt er in einem solchen Zustand, siegt er jedoch,
glaubt nicht, dass er ununterbrochen von Geistern begleitet wird. dann wechselt er, sobald er das Angesicht wieder in Ordnung
Die Versuchungen treten auf, wenn er in der Wiedergeburt gebracht, die Haare gekämmt und die Kleider gewechselt hat, in
begriffen ist, denn niemand kann wiedergeboren werden, wenn einen freundlichen und heiteren Zustand. Es sind höllische Geister
er nicht auch Versuchungen besteht. Ausgelöst werden sie durch und Genien, die ihn wirklich wie Räuber umringen und anfallen,
diese bösen Geister, denn der Mensch wird dann in den Zustand und Versuchungen herbeiführen.
des Bösen versetzt, in dem er selbst, d.h. sein Eigenes ist. Gerät
er nun in diesen Zustand, so umgeben ihn böse oder höllische Wir müssen laut Swedenborg davon ausgehen, dass eine Ver-
Geister; wenn sie wahrnehmen, dass er innerlich von Engeln suchung – nicht wie die Räuber – immer den ganzen Menschen
beschützt wird, regen sie das Falsche an, das er gedacht und das erfasst, mit Haut und Haar könnte man sagen, gemeint sind Seele,
Böse, das er getan hat, aber die Engel verteidigen ihn von innen geist und Leib, die alle – vielleicht miteinander, vielleicht nachein-
her. Dieses ist der Kampf, der beim Menschen als Versuchung ander – in Mitleidenschaft gezogen werden. Damit ergeben sich
empfunden wird, aber so dunkel, dass er annimmt, es sei eben naturgemäß ganz verschiedene Auswirkungen, vielleicht ähnlich
bloß eine Bangigkeit; denn der Mensch, hauptsächlich derjenige, wie wir sie von Psychosen oder psychosomatischen Störungen her
der nicht an einen Einfluß aus der geistigen Welt glaubt, ist in kennen, die sich ja von Mensch zu Mensch gewaltig unterschei-
einem ganz dunklen Zustand und merkt kaum den tausendsten
den können.
Teil von dem, worum die bösen Geister und die Engel kämpfen.
Dennoch geht es um den Menschen und sein ewiges Heil. 6829. Wenn der Mensch in eine Versuchung gerät, ist er rings
Dass die Sache sich so verhält, weiß ich gewiß: den Kampf habe umlagert von Falschem und Bösem, das das Einfließen des Lichts
ich gehört, den Einfluß empfunden, die Geister und die Engel von Gott her, d.h. des Wahren und Guten, hindert. Der Mensch
gesehen und nachher mit ihnen geredet, auch über diese Sache. ist dann in Finsternis getaucht. Finsternis bedeutet im anderen
Die Versuchungen treten hauptsächlich dann ein, wenn der Leben immer die Umlagerung durch Falsches, denn dieses nimmt
Mensch geistig wird, denn jetzt faßt er die Wahrheiten der Lehre das Licht und somit das innerliche Wirken des Trostes aus den
geistig auf. Das weiß der Mensch oft nicht, aber dennoch sehen Wahrheiten. Wenn aber der Mensch aus der Versuchung heraus-
die Engel in seiner Natur das Geistige, denn sein Inneres ist zum kommt, scheint ihm das Licht mit seiner geistigen Wärme, d.h.
Himmel geöffnet. Daher kommt es auch, dass der Mensch, der das Wahre mit seinem Guten, und dadurch empfindet er nach
wiedergeboren ist, nach dem Leben in der Welt sich unter den der Angst Freude. Sie ist der Morgen, der auf die Nacht folgt im
Engeln befindet und dort geistige Dinge sowohl sieht als innerlich anderen Leben.
erfaßt, die ihm früher als natürliche erschienen sind. Der Grund, warum jetzt das Gute empfunden wird und das
Wenn nun der Mensch so geartet ist, kann er in der Versuchung Wahre durchscheint, liegt darin, dass nach der Versuchung das

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Wahre und Gute ins Innere eindringt und dort Wurzeln schlägt, einige Bemerkungen. Hier geht es zunächst um den Beginn und
denn wenn der Mensch versucht wird, fühlt er Hunger nach dem auch wieder einmal um die Parallele zu den Versuchungen unseres
Guten und Durst nach dem Wahren., Wenn er herauskommt, Herrn, der im Prinzip eine ganz ähnliche Entwicklung durchmachte.
genießt er daher das Gute wie ein Hungriger die Speise und
nimmt das Wahre auf wie ein Durstiger den Trank. Und wenn 1661. Jeder Mensch kämpft zu allererst aus dem Guten und
überdies das Licht aus der göttlichen Kraft scheint, dann wird das Wahren, das er durch die Erkenntnisse empfangen hat, und auf
Falsche und Böse entfernt, und das Wahre und Gute hat Raum, um deren Basis urteilt er über das Böse und Falsche. Auch meint jeder
tiefer einzudringen. Dies sind die Gründe, warum nach den Versu- Mensch beim Beginn des Kampfes, dieses Gute und Wahre sei
chungen das Gute der Liebe mit seinem Licht vom Herrn aufgeht. sein eigen. Er schreibt es genau so sich selbst zu wie die Kraft, mit
Dass nach der Dunkelheit und Angst der Versuchungen Helle der er widersteht. Dies wird zugelassen, weil der Mensch in die-
und Freude herrscht, ist im anderen Leben allen wohlbekannt, sem Moment nichts anderes wissen kann. Ehe jemand wiederge-
denn es ist eine gewissermaßen alltägliche Erscheinung. boren ist, kann er durchaus nicht sagen, er wisse, anerkenne und
glaube, dass nichts Gutes und Wahres aus ihm selbst, sondern
Bis dahin haben die Beschreibungen ausschließlich den Men- alles Gute und Wahre vom Herrn kommt; oder dass er keinem
schen dieser Welt gegolten. Wie wir aber wissen, gibt es auch Bösen und Falschen aus eigener Kraft widerstehen kann. Er weiß
in der geistigen Welt noch Versuchungen für alle, die in diesem ja nicht, dass böse Geister das Böse und Falsche aufwecken und
Leben nicht zu einer hinreichenden Wiedergeburt gelangt sind. einflößen, noch weniger, dass er durch sie mit der Hölle in Ver-
Eine kurze Beschreibung davon folgt hier: bindung steht, dass die Hölle geradeso andringt wie das Meer
gegen die einzelnen Teile eines Dammes anzurauschen pflegt und
8131. Ebenso verhält es sich mit den Geistern, wenn sie Versu-
dass er diesem Druck mit seinen eigenen Kräften nie widerstehen
chungen erleiden; Bei ihnen wird das Innere, d.h. das Wahre und
kann. Bevor er wiedergeboren ist, kann er diese Gegebenheit
Gute vom Herrn in einen solchen Zustand gebracht, dass sie durch
nicht durchschauen, weshalb zugelassen wird, dass meint, es
den unmittelbaren Einfluß von ihm und den mittelbaren durch
geschehe mit seinen Kräften. Auf diese Weise wird er in Kämpfe
den Himmel dem Falschen und Bösen der Hölle widerstehen kön-
oder in Versuchungen eingeführt. Mit der Zeit aber wird er mehr
nen. So wird jeder beschützt, der in Versuchungen gerät.
und mehr erleuchtet.
In einigen Abschnitten äußert sich Swedenborg auch zum Befindet sich der Mensch in dem beschriebenen Zustand, dann
eigentlichen Vorgang einer Versuchung. Trotzdem bleibt er auch ist das Gute und Wahre, aus dem er gegen das Böse und Falsche
da immer reichlich allgemein. Es gibt keine Beschreibung der Vor- kämpft, nicht gut und wahr; es erscheint nur ihm so, denn es ist
gänge, die sich im Einzelnen abspielen und die ein sicheres Kenn- ja sein Eigenes darin, er schreibt den Sieg eigenem Verdienst zu
zeichen einer Versuchung darstellen könnten, auch keinerlei kon- und rühmt sich, er habe das Böse und Falsche besiegt, während es
doch der Herr allein ist, der kämpft und siegt. Dass die Sache sich
krete Empfehlungen, wie sich der Versuchte in seinem Alltag,
so verhält, können nur diejenigen wissen, die durch Versuchun-
seiner Familie, im Kreis seiner Bekannten oder Arbeitskollegen ver-
gen wiedergeboren werden.
halten sollte, und keinen Hinweis auf die verschiedenen Wege, sich Weil der Herr im ersten Knabenalter in die schwersten Kämpfe
die innere Befreiung zu erkämpfen. Es bleibt jedem von uns über- gegen das Böse und Falsche eingeführt wurde, so konnte auch er
lassen, sein Innenleben zu erforschen und abzuschätzen, ob eine damals keine andere Meinung haben, und zwar sowohl, weil es
etwa auftretende Krise oder eine leidvolle, schwer zu bewältigende der göttlichen Ordnung entsprach, dass sein menschliches Wesen
Erfahrung oder Enttäuschung eine Versuchung oder wenigstens durch fortwährende Kämpfe und Siege ins göttliche Wesen ein-
der Vorbote einer solchen sein könnte. Immerhin ist Swedenborg geführt und mit diesem vereinigt werden sollte, als auch, weil
die Gestimmtheit des Versuchten wichtig, und hierzu liefert er das Gute und Wahre, aus dem er gegen das Böse und Falsche

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kämpfte, dem äußeren Menschen angehörte und dieses Gute Jerusalems angenehm sein wie in den Tagen der Vorzeit und wie in
und Wahre also nicht ganz göttlich war; es wird deshalb auch als den früheren Jahren“: Die Söhne Levis stellen hier die Angehörigen
scheinbar Gutes und Wahres bezeichnet. Sein göttliches Wesen der geistigen Kirche dar, denn Levi ist das Symbol für die tätige
brachte so die Menschennatur dahin, dass sie aus eigener Kraft Liebe oder das geistig Gute; das Feuer des Schmelzers bedeutet
siegte; allein hier sind mehr Geheimnisse, als dass sie je beschrie- die Versuchung, durch die eine Läuterung geschieht, und diese
ben werden könnten. wird hier darunter verstanden, dass er sie läutern und reinigen
wolle wie Gold und Silber. Das Opfer, das sie Jehovah darbringen
8159. Es geht um die erste Versuchung derjenigen, die befreit
sollen, ist der Glaube und die tätige Liebe. Die Tage der Vorzeit
wurden, und jede Versuchung geschieht durch einen Einfluß von
den Höllen, denn die Geister, die von daher einwirken, erregen im und die früheren Jahre bedeuten die alten Kirchen, und den
Menschen alles Böse, was er getan und gedacht hat und ziehen damaligen Zustand der Verehrung des Herrn.
es hervor, und durch dieses klagen sie ihn an und verdammen Wie bekannt ist, waren Versuchungen in jener Zeit nicht nötig,
ihn; dadurch wird sein Gewissen belastet, und der Geist gerät in und anschließend, als es mit jenen alten Kirchen bergab ging,
Angst. Dies geschieht durch Einfluß aus den Höllen. fehlte den Angehörigen offenbar die gute Substanz, mit der allein
Hier folgt nun eine Art von Rückblick auf frühere Zeiten. Denn sie eine Versuchung hätten siegreich durchstehen können. – Nun
obwohl der Begriff der Versuchung schon durch die Sintflut und aber geht hier die Beschreibung weiter:
die Josephsgeschichten symbolisiert wird, gab es anscheinend Auf alles Falsche, das die Höllen vorbringen, erfolgt eine Ant-
damals noch keine Versuchungen in dem hier verstandenen Sinn, wort vom Herrn. Das Falsche, das von den Höllen kommt, wird in
weil dafür eine wesentliche Voraussetzung nicht gegeben war. den äußeren oder natürlichen Menschen gebracht und fließt in
Welche, beschreibt Swedenborg so: diesen ein, die Antwort der göttlichen Kraft jedoch fließt in den
inneren oder geistigen ein.
8159. Weil hier von der ersten Versuchung derer gehandelt wird, Das, was von Gott her einfließt, wird nicht so intensiv wahr-
die der geistigen Kirche angehörten, so muss man wissen, dass sie genommen wie die Einflüsterungen der Hölle; auch erregt es
die Versuchungen nicht eher aushalten konnten als bis der Herr weniger die einzelnen Gedanken, als das allgemeine Denken, und
seine Menschennatur verherrlicht, d.h. göttlich gemacht hatte zwar nur so, dass gerade eine gewisse Hoffnung aufkeimt und
und in dieser bei ihnen gegenwärtig sein konnte; vorher wären durch diese ein innerer Trost, in dem jedoch Unzähliges enthal-
sie unterlegen, denn diejenigen, die der geistigen Kirche ange- ten ist, was der Mensch nicht weiß; es sind Dinge, die mit seiner
hörten, wurden einzig und allein durch das göttlich Menschliche
Neigung oder Liebe übereinstimmen, besonders mit der Neigung
des Herrn erlöst. Die Versuchungen der Angehörigen der geisti-
oder Liebe zum Wahren und Guten, aus dem sein Gewissen sich
gen Kirche, die bestanden werden mussten, nachdem der Herr
gebildet hat.
in die Welt gekommen war und aus seiner göttlich gemachten
Menschennatur für sie gegen die Hölle kämpfen konnte, werden Nach diesen Aufzählungen von eher grundsätzlichen Vorgän-
unter Folgendem bei Mal. 3/1-4 verstanden: gen innerhalb einer Versuchung folgen nun einige Schilderungen.
„Plötzlich wird kommen zu seinem Tempel der Herr, den ihr Sie betreffen, wie gesagt, nicht die eigentlichen Vorgänge innerhalb
suchet, und der Engel des Bundes, den ihr begehret, siehe, er kommt, einer Versuchung, dafür aber die von emotionalen Abläufen, wie
spricht Jehovah Zebaoth; wer wird den Tag seiner Ankunft ertragen, eine dieser Versuchungen vom Menschen empfunden werden kann.
und wer wird bestehen, wenn er erscheint? Denn er ist wie das Feuer
des Schmelzers und wie die Lauge der Walker; Er wird sitzen, schmel- 1917. In den Versuchungen gibt es Verstörung und Verödung,
zend und läuternd das Silber, und er wird die Söhne Levis läutern und auch Verzweiflung, Gefühllosigkeit und Unwillen, und zwar in
sie reinigen wie Gold und wie Silber; und sie werden Jehovah Opfer verschiedener, wechselnder Weise, je nach den Zuständen des
bringen in Gerechtigkeit. Dann wird Jehovah das Opfer Judas und Bösen und Falschen, die von bösen Genien und Geistern herbei-

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geführt werden und gegen die gekämpft wird. Die teuflischen selbst nur Böses ist, wovon er gerade durch siegreich bestandene
Geister begehren nichts so sehr, als etwas Falsches aufzufinden, ja Kämpfe überzeugt wird.
es ist für sie normal, von sich aus Falsches einzuschleusen und den
735. Solange die Versuchung den Bereich des Verstandes oder
Menschen dafür anzuklagen. Aber der Herr schenkt zwischenhin-
das Falsche im Menschen betrifft, ist sie leicht, weil der Mensch
ein auch Zustände des Friedens. Er reicht dem Menschen gewis-
Sinnestäuschungen unterworfen ist und diese auch notwendig
sermaßen Brot und Wein, wie es in 1. Mose 14, 18 heißt: „Und
eintreten müssen. Daher können sie leicht zerstreut werden, wie
Melchisedek, der König von Schalem brachte heraus Brot und Wein,
dies bei allen der Fall ist, die am Buchstabensinn des Wortes fest-
und dieser war ein Priester Gott, dem Höchsten.“
halten, der an die Fassungskraft des Menschen, also auch an die
Das ist eine Phase in der Geschichte des Streites um Sodom
Täuschungen seiner Sinne angepasst ist. Wer diesen Täuschungen
und Gomorrah, die im inneren Sinn ein Bild der Versuchungs-
einfältig glaubt, weil sie aus dem Wort des Herrn hervor gehen,
kämpfe des Herrn ist, denen unsere Versuchungen im Großen
läßt sich leicht belehren. Wer zum Beispiel glaubt, der Herr zürne,
und Ganzen ähnlich sind.
strafe, tue den Gottlosen Böses, der kann leicht unterrichtet wer-
1726. Wenn der Mensch in Versuchungskämpfen ist, wird er den, wie sich die Sache wirklich verhält, ebenso, wer einfältig
vom Herrn abwechslungsweise mit dem Zustand des Friedens glaubt, er könne das Gute aus sich selbst tun und empfange dafür
beschenkt und so erquickt; dieser Zustand des Friedens wird im anderen Leben Lohn. Wer aus sich gut ist, der kann auch leicht
durch Schalem und gleich hernach auch durch Brot und Wein belehrt werden, dass sein Gutes vom Herrn stammt und der Herr
bezeichnet, durch die Himmlisches und Geistiges dargestellt umsonst und aus Barmherzigkeit Lohn gibt. Es ist daher nur eine
wird, somit der Zustand des Himmlischen und Geistigen im Frie- schwache Versuchung nötig.
den, also die eigentliche Erquickung. Anders aber verhält es sich bei denen, die sich in den Täu-
schungen und Falschheiten bestärken, weil sie sich daraus Vor-
8352. Die Versuchung besteht darin, dass die Menschen klagen
teile versprechen und ihre Begierden legitimieren, indem sie
und betrübt sind darüber, dass die Wahrheiten, die ihnen früher
Argumente aufhäufen, die sie durch das Wort begründen und
lieb waren und das (vermeintlich) geistige oder himmlische Leben
sich einprägen.
bei ihnen bildeten, ihnen nun widerwärtig erscheinen, und zwar
so sehr, dass sie diese kaum ertragen können. Der bloß natürliche 2338. Die guten Geister und die Engel zerstreuen nun diese Zwei-
Mensch glaubt, so etwas könne keinen Schmerz verursachen, denn fel auf alle Weise, und erhalten dem Menschen fortwährend die
er denkt: „Was kümmern mich die Wahrheiten, ob sie angenehm Hoffnung. Dieser schwebt also die ganze Zeit zwischen einem
oder unangenehm sind? Sind sie unangenehm, so verwerfe ich sie.“ Nein und einem Ja. Wer unterliegt, bleibt im Zweifel gefangen,
Aber der geistige Mensch fühlt ganz anders; es ist die Lust und fällt in die Verneinung. Wer hingegen siegt, verbleibt zwar im
seines Lebens, in den Wahrheiten unterrichtet zu werden und Zweifel, wer sich aber durch die Hoffnung aufrichten läßt, beharrt
Erleuchtung zu erhalten über die Dinge, die seine Seele und somit dennoch in der Bejahung.
sein geistiges Leben betreffen. Fehlt es ihm daran, dann wankt
8165. Bei denen, die in Verzweiflung sind, die das Letzte der Ver-
und leidet dieses Leben, und darum fühlt er Schmerz und Angst.
suchung ist, entstehen auch solche Gedanken, und dann stehen
2334. In jeder Versuchung tritt ein Zweifel an der Gegenwart sie gleichsam an einem Abgrund, d.h. nahe dem Hinabsinken
und Barmherzigkeit des Herrn ein, an der ewigen Seligkeit und zur Hölle. Ein solches Denken schadet ihnen jedoch nicht und
anderem, denn der Mensch gerät in innerliche Angst bis hin zur wird auch nicht von den Engeln beachtet, denn der Mensch hat
Verzweiflung, in der er gehalten wird, damit er in der Gewißheit eine beschränkte Kraft zu kämpfen. Wenn die Versuchung bis
bestärkt werden kann, dass alles von der Barmherzigkeit des zur äußersten Grenze seiner Kraft gelangt, dann erträgt sie der
Herrn abhängt, dass er durch ihn allein selig wird und dass in ihm Mensch nicht länger, sondern wankt; dann aber, d.h. wenn er

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nahe daran ist zu unterliegen, wird er vom Herrn erhoben und so andere Künste an, mehr als in faßlicher Weise beschrieben wer-
von der Verzweiflung befreit. Alsdann wird er meistens in einen den kann. Und nur weniges davon, nur die Umrisse, können ins
deutlich fühlbaren Zustand der Hoffnung und des Trostes versetzt Bewusstsein des Menschen dringen. Aber ihre größte Lust besteht
und dadurch auch in Glückseligkeit. darin, das Gewissen zu zerstören.
Aus diesem wenigen, ja wenigsten, kann deutlich werden, wie
Swedenborg beschreibt auch an einigen Stellen den all-
die Versuchungen beschaffen sind und dass sie sich im allgemei-
gemeinen Ablauf einer Versuchung als absolut bösartig und nen an die Lieblingsneigungen anhängen,
gefährlich. Es ist schon eine etwas apokalyptisch wirkende Schil-
derung, und es fragt sich an dieser Stelle, ob sie als typisch und 4249. Wenn das Gute nach geistigen Versuchungen den ersten
allgemeingültig aufzufassen ist, oder ob auch zahmere Varianten Platz errungen und sich das Wahre unterordnet hat, führt es sehr
viele Wahrheiten mit sich, die im Inneren des Menschen verbor-
denkbar sind, vielleicht angepasst an Psyche und Charakter des
gen liegen, von wo es ja herkommt. Sie können nicht zu dessen
Betroffenen.
Anschauung und Verständnis gelangen, bevor das Gute die erste
1820. Böse und arglistige Geister, schleichen sich in die Lieblings- Rolle spielt, denn dann erst beginnt das Natürliche vom Guten
neigungen des Menschen ein, indem sie ihnen schmeicheln, und erleuchtet zu werden. Dadurch erscheint, was zusammenpasst
führen ihn so hinein, (fixieren ihn auf seine Neigungen), und bald und was nicht; daher stammen die Furcht und die Angst, die
danach versuchen sie diese zu zerstören, und damit den Menschen der geistigen Versuchung vorangehen; denn diese wirkt auf das
zu töten, und zwar auf tausenderlei Arten, die unbegreiflich sind. Gewissen, das ein Teil des inneren Menschen ist. Deshalb weiß
Auch kämpfen sie nicht in der Weise, dass sie gegen das Gute und auch der Mensch beim Eintritt in die Versuchung nicht, woher
Wahre vernünfteln; solche Kämpfe führen zu nichts, denn wenn ihm die Furcht und die Angst kommt, aber die Engel, die beim
sie tausendmal überwunden würden, so bestünden sie doch auf Menschen sind, wissen es wohl; denn die Versuchung kommt
ihren Schlichen, denn künstliche Argumente gegen das Gute und daher, dass die Engel den Menschen im Guten und Wahren hal-
Wahre können trotz allem nicht ausbleiben; sondern sie verkeh- ten, die bösen Geister aber in Bösem und Falschem.
ren das Gute und Wahre und erregen den Menschen mit einem Was nämlich unter den Geistern und Engeln vorgeht, die beim
gewissen Feuer aus Begierde und Wunsch nach Überredung, Menschen sind, wird vom Menschen so wahrgenommen, als ob
sodass er glaubt, diese Begierde sei die seine und entspringe sei- es sich in ihm selbst abspiele. Von allem, was in seinem Inneren
ner eigenen Überzeugung, und sie schüren diese Einbildung zu vorgeht, meint der Mensch, es könne seinen Grund nicht außer-
einer Glut, die sie aus einer anderweitigen Lustempfindung des halb von ihm haben, sondern alle Ursachen müssten in ihm selber
Menschen herleiten. So vergiften und infizieren sie ihn auf die liegen. Die Wirklichkeit ist anders: alles, was der Mensch denkt
arglistigste Weise; sie schleppen ihn vom einen ins andere, und und will, d.h. jeder Gedanke und jede seiner Neigungen stammen
zwar so geschickt, dass nur die Hilfe des Herrn den Menschen am entweder aus der Hölle oder aus dem Himmel.
Ende daran hindern kann, alles für wahr zu halten. Aber die Gedanken und Neigungen des Menschen erscheinen
Sobald sie ein Gewissen wahrnehmen, wie es auch immer größtenteils unter anderer Gestalt: unter der Gestalt von Furcht,
beschaffen sein mag, bilden sie aus den Falschheiten und Schwä- Angst und Versuchung z.B. der Kampf der bösen Geister mit den
chen im Menschen eine Neigung und verdunkeln durch diese das Engeln um den Menschen, der neu geboren werden soll. Dies
Licht des Wahren, und verkehren so alles Gute und Wahre und muss dem Menschen notwendig als paradox erscheinen, weil fast
ängstigen und peinigen ihn. jeder Angehörige der Kirche heutigen Tages glaubt, alles Wahre,
Überdies halten sie die Gedanken hartnäckig bei einer Sache was er denkt und alles Gute, was er will und tut, komme aus ihm
fest und erfüllen sie mit Phantasien und schleusen heimlich selber, obgleich er anders spricht, sobald er aus der Lehre seines
Begierden in die Phantasien ein; sie wenden außerdem unzählige Glaubens redet.

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Soweit also zu den Versuchungen an sich, ihren Voraussetzun- Und nun zählt Swedenborg systematisch alle Auswirkungen
gen und Abläufen. Nun schließt sich die Frage an, was sie bewirken auf, die sich feststellen lassen, wenn der Mensch in einer Versu-
oder bewirken sollen. Dass das allgemeine Ziel die Wiedergeburt chung siegreich geblieben ist:
und die Erneuerung des Menschen ist, braucht nicht besonders
5356. 1. Die Versuchungen entfernen die Triebe der Selbst- und
betont zu werden, es geht also bei den verschiedenen Überlegun-
Weltliebe, d.h. das Böse. Ist es entfernt, so fließt die Neigung zum
gen eher um die Einzelheiten und Teilziele, vor allem auch um die Guten und Wahren vom Herrn ein.
Schritte, mit denen das Hauptziel erreicht werden kann. Zunächst
heißt es ganz summarisch: 2. Die Versuchungen geben dem Gefühl für das Gute und Wahre
sein eigentümliches Wesen durch den Gegensatz zu den Einflüs-
1692. Die Versuchungen sind die Mittel, durch die das Böse und sen, die von den bösen Geister herrühren. Aus den wahrgenom-
Falsche aufgelöst und beseitigt wird. Sie erwecken einen Schau- menen Gegenkräften spürt man die wechselseitigen Verhältnisse,
der vor diesem, geben dem Menschen nicht nur ein Gewissen, aus denen alle Eigentümlichkeiten stammen; denn niemand
sondern stärken es auch und bewirken dadurch, dass der Mensch weiß, was gut und wahr ist, wenn er nicht weiß, was nicht gut
wiedergeboren wird. und nicht wahr ist.
1717. Wer Versuchungskämpfe siegreich durchgestanden hat, 3. Die Versuchungen stärken das Gute und Wahre; denn nun
erwirbt sich mehr und mehr Gewalt über die bösen Geister oder kämpft der Mensch gegen das Böse und Falsche, und sein Sieg
die teuflische Rotte, bis sie zuletzt keinen Versuch mehr wagen. fördert ihn in der Bejahung des Guten.
Und sooft ein Sieg errungen wird, bringt der Herr das im Kampf
verwendete Gute und die Wahrheiten wieder in Ordnung und 4. Durch die Versuchungen wird das Böse und Falsche gezähmt,
reinigt sie. Im Lauf dieses Vorgangs wird dem äußeren Menschen so dass es nicht mehr hervorzutreten wagt. So wird das Böse mit
Himmlisches der Liebe eingeflößt, und es entsteht eine Entspre- dem Falschen zur Seite geworfen, und dort hängt es, schlaff,
chung (d.h. er nähert sich dem Bild Gottes). abwärts. Das Gute aber und das Wahre befindet sich in der Mitte,
und gemäß dem Eifer der Neigung richtet es sich auf, himmel-
1820. Wer in eine Versuchung gerät, ist auch im Zweifel in Bezug
wärts zum Herrn.
auf das Endziel. Dieses ist die Liebe, die von bösen Geistern und
Genien bekämpft wird, um eben die Zweifel zu nähren, und zwar Die Häufung des Ausdruckes „Sieg“ in diesen Sätzen deutet immer-
um so intensiver, je eifriger der Versuchte dem Ziel zustrebt. Die hin die Möglichkeit an, es könnte auch eine Niederlage stattfinden.
Gewissheit über den Erfolg geht dem Sieg voran und gehört Daher ist es nun nur natürlich, dass in Kürze auch beschrieben
schon zum Sieg. wird, woran denn der Erfolg zu erkennen ist:
2273. Die Versuchungen, in denen der Mensch das Böse über- 1820. Die Siege bringen es mit sich, dass die bösartigen Genien
windet, bringen es mit sich, dass er glaubt, alle anderen seien und Geister nachher nichts mehr wagen, denn ihr Leben besteht
würdiger als er selbst und er sei viel mehr höllisch als himmlisch. im Zerstören; wenn sie aber merken, dass der Mensch ihnen
Wenn er also nach den Versuchungen ganz entgegen gesetzte widerstehen kann, fliehen sie schon beim ersten Angriff, wie dies
Empfindungen hegt, ist das ein Zeichen, dass er nicht gesiegt auch gewöhnlich geschieht, wenn sie sich der ersten Schwelle
hat, denn was er nach den Versuchungen denkt, sollte mit dem
des Himmels nähern; sie werden dann sogleich von Schauder und
zusammen passen, was ihm während der Versuchungen durch
Schrecken ergriffen und stürzen sich rücklings hinab.
den Kopf ging. Wenn es also nicht so herauskommt, ist er ent-
weder in der Versuchung unterlegen, oder er fällt wieder in den 2272. Die Versuchungen haben zum Ziel, dass nicht allein der
alten Zustand zurück. Mensch in den Wahrheiten gefestigt, sondern auch die Wahrheiten

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mit dem Guten enger verbunden werden, denn der Mensch kämpft Verletzung des natürlichen Lebens, also der Liebe zu sich und zur
dann für die Wahrheiten gegen das Falsche. Und weil er dabei im Welt. Diese Schmerzen empfinden bisweilen die Gottlosen, die
Inneren Schmerz und Pein erduldet, finden die Reize der Begierden desto mehr leiden und geängstigt werden, je mehr sie sich und
und falschen Vergnügungen ihr Ende; jetzt fließt Gutes vom Herrn die Welt lieben.
ein, und zugleich wird das Böse als etwas Abscheuliches erkannt. Die geistigen Versuchungen hingegen sind die des inneren
Menschen und greifen sein geistiges Leben an. Die Beängsti-
8351. Der Glaube derjenigen, die der geistigen Kirche angehö-
gungen entstehen dann nicht wegen irgendeines Verlustes im
ren, kann auf keine andere Weise eingepflanzt werden als durch
natürlichen Leben, sondern wegen eines Verlustes des Glaubens
Versuchungen. Das Gleiche gilt somit auch für die tätige Liebe;
und der tätigen Liebe und demzufolge des Seelenheils. Diese Ver-
denn in den Versuchungen steht der Mensch im Kampf wider das
suchungen werden aber oft durch natürliche Versuchungen her-
Falsche und Böse. Dieses flößen die Höllen in den äußeren Men- beigeführt, denn wenn der Mensch diesen unterliegt, nämlich in
schen ein, das Gute und Wahre hingegen fließt durch den inneren Krankheit, Schmerz, Verlust des Reichtums oder der Ehre und der-
Menschen vom Herrn ein. gleichen, und ihm dann Gedanken kommen in Bezug auf die Hilfe
Die bisher angeführten Beispiele befassten sich vorwiegend des Herrn, seine Vorsehung, den Zustand der Bösen, dass sie sich
mit den Versuchungen im Bereich des Verstandes. Nun erklärt rühmen und freuen, während die Guten leiden und mannigfache
aber Swedenborg ja immer wieder, dass Verstand und Wille nicht Schmerzen und Verlust erdulden, dann wird die Versuchung eine
geistige, verbunden mit der natürlichen. Solcherart war die letzte
getrennt werden können. Das bedingt, dass auch Versuchungen,
Versuchung des Herrn in Gethsemane, als er am Kreuz litt, was die
die den Willen betreffen, zwingend ausgestanden werden müssen.
schrecklichste von allen war.
757. Die Versuchung, die sich auf den Willen oder die Begierden
Mit einem einzigen Satz geht Swedenborg auch noch auf die
bezieht, kann nie von der oben genannten getrennt werden.
Möglichkeit einer besonderen Krankheit ein, unter der wir wahr-
Würde sie getrennt, so wäre sie keine Versuchung, sondern eine
Überschwemmung, wie sie bei denen stattfindet, die in der Brunst
scheinlich eine Depression zu verstehen haben:
der Begierden leben, in denen sie, wie die höllischen Geister, die Es gibt auch eine dritte Art, nämlich eine schwermütige Beängs-
Lust ihres Lebens empfinden. tigung, die meistens in einem krankhaften Zustand des Körpers
oder der Seele ihren Grund hat. In dieser Beängstigung kann
8164. Es gibt geistige Versuchungen und es gibt natürliche Ver-
etwas von geistiger Versuchung liegen, sie kann aber auch ohne
suchungen. Die geistigen Versuchungen sind die des inneren
diese eintreten.
Menschen, die natürlichen die des äußeren. Bisweilen finden
Und ebenfalls nur an einer einzigen Stelle erwähnt er den
die geistigen Versuchungen ohne die natürlichen statt, bisweilen
direkten Zusammenhang zwischen geistigen und natürlich Vor-
zugleich mit ihnen.
gängen, und zwar in einer Weise, die in diesem Rahmen sicher
Natürliche Versuchungen zeigen sich darin, dass der Mensch
überraschend wirkt.
leidet in Bezug auf seinen Körper, seine Ehre, sein Vermögen, mit
einem Wort in Bezug auf sein natürliches Leben, was in Krankhei- 8352. Es soll noch mit wenigem gesagt werden, wie es sich mit
ten, bei Unglücksfällen, Verfolgungen, ungerechten Bestrafungen der Versuchung verhält, die aus dem Mangel an Wahrem ent-
und dergleichen der Fall ist. Die Beängstigungen, die dann ent- steht: Die Nahrung des geistigen Lebens ist das Gute und das
stehen, werden unter den natürlichen Versuchungen verstanden. Wahre, wie die Nahrung des natürlichen Lebens Speise und Trank
Diese Versuchungen wirken aber keineswegs auf sein geistiges ist. Wenn das Gute mangelt, ist es, als ob die Speise fehlte und
Leben ein, und können auch nicht eigentlich Versuchungen, son- wenn das Wahre mangelt, so ist es, als ob es an Getränk fehlte.
dern nur Schmerzen genannt werden, denn sie entstehen aus der Die Betrübnis hierüber verhält sich wie das schmerzliche Gefühl,

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das Hunger und Durst hervorrufen. Dieser Vergleich geht aus der die die Wahrheiten des Guten anerkennen, tiefer eingepflanzt
Entsprechung hervor, denn die Speise entspricht dem Guten, der und stärker gefestigt. Dies ist das Mittel, durch das geistiges
Trank dem Wahren, und weil hier ein Entsprechungsverhältnis Leben verliehen wird.
besteht, so ernährt auch wirklich die Speise und das Getränk den Die ganze geistige Welt ist auf das Ziel ausgerichtet, dass gar
Körper besser und angemessener, wenn der Mensch während nichts, auch nicht das allergeringste stattfindet, außer dass Gutes
seines Mittagsmahls oder Frühstücks zugleich das angenehme daraus hervorgeht. Daher wird das Reich des Herrn ein Reich der
Gefühl der Unterhaltung mit anderen genießt, nämlich über
Ziele und des Nutzens genannt.
Gegenstände, die er liebt, als wenn er allein und ohne Verkehr bei
Tisch sitzt. Wenn der Mensch in diesem Zustand ist, dann sind bei 8169. „Denn es ist uns besser, den Ägyptern zu dienen, als zu ster-
ihm die Gefäße zur Aufnahme der Speise gleichsam zusammen- ben in der Wüste“, 2. Mose 14/12, will sagen, die Verdammnis
gezogen, in jenem Zustand aber sind sie offen. Solches bewirkt durch die Gewalt des Falschen im Zustand der Anfechtungen sei
die Entsprechung der geistigen Speise mit der natürlichen. der Verdammnis vorzuziehen, die über sie kommen würde durch
die Niederlage im Zustand der Versuchungen.
8403. Es wird hier von der dritten Versuchung gehandelt, die
Dies geht aus der Bedeutung von „besser sein“ hervor, das ja
wegen Mangel an Vergnügen und an Gutem eintritt, und diese
einen Vorzug ausdrückt, und aus der Bedeutung von „den Ägyp-
Versuchung folgt der Reihe nach auf die frühere, die wegen Man-
gel an Wahrem stattfand. tern dienen“, womit gemeint ist, dem Falschen der Anfechtenden
Diejenigen, die nicht über die Wiedergeburt des Menschen zu unterliegen, denn „dienen“ bedeutet Unterwerfung und also
belehrt sind, meinen, der Mensch könne ohne Versuchung wie- auch eine Niederlage. „Sterben“ ist hier als Verdammnis zu verste-
dergeboren werden, und einige glauben, er sei wiedergeboren, hen, die „Wüste“ als der Zustand der Versuchungen. Hieraus ergibt
wenn er eine Versuchung bestanden habe. Allein man muss wis- sich, dass durch die Worte: „es ist uns besser, den Ägyptern zu die-
sen, dass ohne Versuchung niemand wiedergeboren wird, und nen als zu sterben in der Wüste“, gesagt wird, es sei besser, dem Fal-
dass mehrere Versuchungen aufeinander folgen, weil die Wieder- schen derer, die anfechten, zu unterliegen als den Versuchungen.
geburt den Zweck hat, das Leben des alten Menschen sterben zu Dass eine Niederlage in jenem Zustand besser sei als ein Unter-
lassen, damit ein neues, himmlisches Leben Einzug halten kann. liegen in der Versuchung, ist auch wirklich wahr, denn das letz-
Daraus kann man sehen, dass ein Kampf unbedingt stattfinden tere heißt, sich im Falschen und Bösen zu bekräftigen gegen das
muss; denn das Leben des alten Menschen widersteht und will Wahre und Gute des Glaubens. Eine Niederlage im Zustand der
sich nicht zerstören lassen, und das Leben des neuen Menschen Anfechtungen bedeutet zwar auch, sich im Falschen und Bösen
kann nicht einziehen, solange nicht das des alten zerstört ist. zu bestärken, jedoch nicht primär gegen das Wahre und Gute
Hieraus wird klar, dass von beiden Seiten ein Kampf entsteht, und des Glaubens. Das zeigt, dass ein Unterliegen in Versuchungen
zwar ein heftiger, weil es sich um das Leben handelt. ein Lästern des Wahren und Guten einschließt und bisweilen eine
6574. Der Herr gestattet den Höllischen im anderen Leben, die Entweihung. Die allergrößte und schrecklichste Verdammnis ist
Guten in Versuchung zu führen, folglich auch Falsches und Böses aber die Verdammnis infolge der Entweihung.
einzuflößen, und dies tun sie auch mit allem Eifer, denn während
Fassen wir die hauptsächlichen Aussagen der angeführten
sie es tun, genießen sie ihr Leben in vollen Zügen. Dann ist aber
Texte zusammen, ergibt sich etwa das Folgende:
der Herr selbst unmittelbar und mittelbar durch die Engel bei den
Versuchten und leistet Widerstand, indem er das Falsche der hölli-
schen Geister widerlegt und ihr Böses zerstreut. In der Folge stellt • Die Versuchung erfolgt als ein Teil der göttlichen Liebe und
sich Erquickung, Hoffnung und Sieg ein. Auf diese Weise wird das Weisheit, nicht etwa als Strafe.
Wahre des Glaubens und das Gute der tätigen Liebe bei denen, • Sie erfasst nur einen Menschen, der in der Lage ist, gut von
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böse zu unterscheiden, der also ein Gewissen besitzt. suchung. Diese ist nicht der Anreiz zur Verletzung von Regeln, son-
• Die Kämpfe innerhalb einer Versuchung werden nicht vom dern der Prozess einer völligen Umbildung, bei der der Teufel in
Herrn oder vom Himmel ausgelöst, sondern von bösen Geistern. der Gestalt böser Geister und Genien keine feindliche Übermacht,
• Sie packen den Menschen an seinen schwächsten Stellen, an sondern ein Werkzeug des Herrn darstellt.
seinen irdischen und materialistischen Interessen oder Leiden-
schaften. Soweit ein Einblick in Swedenborgs Gedanken zum Begriff
• Den Kampf führt nicht der Mensch selbst, sondern der Herr „Versuchung”. Etwas anderes ist, wie schon erwähnt, der tatsäch-
durch seine Engel und guten Geister. liche Vorgang. Hierzu ist prinzipiell zu bemerken, dass Sweden-
• Der Beitrag des Menschen besteht darin, am einmal erkannten borg in seinen Schilderungen von Menschen ausgeht, die seiner
Guten festzuhalten. Die Preisgabe würde zu einer Entweihung Lehre, insbesondere des inneren Sinnes der Heiligen Schrift und
führen, was als eine der schwersten Sünden bezeichnet wird. der Entsprechungen, nicht kundig sind, von Menschen also denen
• Jeder Mensch ist in der Lage, mit Hilfe des Herrn eine Versu- ein Gewissenskampf durchaus als eine teuflische Invasion erschei-
chung siegreich zu bestehen. nen kann. Der Kenner der Lehren befindet sich in dieser Hinsicht
in einer ganz anderen Position. Er kann ein Leben lang erfahren
Nun scheint es mir interessant, Swedenborgs Ansichten mit haben und daher wissen, dass der Herr sich immer in seiner Nähe
denen, die – freilich nur andeutungsweise – aus den Lexika zitiert befindet, dass also ein innerer Dialog jederzeit stattfinden und Hilfe
sind, zu vergleichen. bringen kann. Dass der Herr in kritischen Situationen aber nicht
Das bürgerliche Lexikon verzichtet auf jeden Hinweis auf eine wie ein pythisches Orakel einen Spruch herausgibt (den man so
transzendente oder gar religiöse Bedeutung. Das ist kennzeichnend oder so deuten könnte), sondern die Antwort im Inneren des Men-
für die heutige Zeit: Religiöse Bezüge sind nicht nur Privatsache, sie schen oft nur langsam reifen lässt, ist nun nicht ein Swedenborgi-
liegen inzwischen so weit abseits, dass sie in einem neutralen Buch sches Thema, sondern eine ganz einfache Lebenserfahrung.
nicht einmal mehr der Erwähnung wert erachtet werden. Es stellen sich also zum Schluss neue Fragen:
Das kirchliche Lexikon verwendet in der Hauptsache drei Sind die Versuchungen und alles, was damit zusammenhängt,
Begriffe als Auslöser einer Versuchung: die Begierde, das Trieble- auch in diesem Gebiet zu suchen?
ben und den Teufel; d.h. zweimal ist es der Mensch selbst, und Was bedeutet das Ausbleiben von Kämpfen und Verzweiflun-
zwar der körperliche, der gegen eine Regel verstößt, und einmal gen? Heißt das, der Mensch erfülle die nötigen Voraussetzungen
eine höhere Gewalt, der ein Mensch – im Gegensatz zum Märchen nicht; ihm sei überhaupt nicht mehr zu helfen? Oder bedeutet es
– meist nur wenig entgegenzusetzen hat. Die Versuchung selbst das Gegenteil, nämlich laut HG 1444: wer nichts Böses hat, kann
beschränkt sich auf ein einfaches Ja oder Nein, von dessen Intensi- auch nicht versucht werden? (S. a. im folgenden Aufsatz.) Dann
tät allerdings nirgends die Rede ist. allerdings stände dieser Mensch auf einer ähnlich hohen Stufe wie
Gegenpart ist die „Pflicht“, die ihrerseits ethisch-moralisch der Herr, nachdem er alles Erbböse von seiner Mutter abgelegt
oder auch kirchlich, nämlich gemessen an den Regeln des Kate- hatte. Eine höchst unwahrscheinliche Annahme.
chismus, verstanden werden kann. Und als letzte Konsequenz: Sind heutzutage die meisten Ver-
Das Neue und bis heute immer noch Ungewöhnliche bei suchungen auf den Aufenthalt in der geistigen Welt verschoben?
Swedenborg ist also die Gegenwart des Herrn. Nicht die Pflicht,
sondern die Liebe zu ihm soll ja die Triebfeder des menschlichen
Verhaltens sein. Er führt den Menschen in die und auch in der Ver-
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bzw. «das Bild des unsichtbaren Gottes» (Kol 1,15). «In ihm wohnt
Wolfhart Pannenbergs Rekonstruktion die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig.» (Kol 2,9). Der Sohn gibt dem
der Entwicklung der Trinitätslehre der Vater eine schaubare Gestalt. Der Prolog des Johannesevangeliums
endet mit den Worten: «Niemand hat Gott je gesehen; der einzigge-
alten Kirche borene Gott (aber), der Seiende im Schoße des Vaters, der hat (ihn
von Thomas Noack uns) dargestellt.» (Joh 1,18). Dementsprechend antwortet Jesus auf
die Bitte des Philippus, «zeige uns den Vater«: «Wer mich gesehen hat,
3. Das Zeugnis der Schrift der hat den Vater gesehen.» (Joh 14,9). Jesus Christus ist demnach
die sichtbare Gestalt oder das Gesicht5 des unsichtbaren Gottes. Er
3.1. Der Vater Jesu Christi ist der Tempel des unsichtbaren Gottes (Joh 2,18ff.) oder eben der
sichtbare Gott.6 Vor allem die johanneischen Schriften bezeugen die
C hristus ist das Tor zur christlichen Gotteslehre. Als Einstieg wählen
wir daher nicht die triadischen Formeln (1. Kor 12,3-6; 2. Kor
13,13; Mt 28,19).1 Denn dieser Zugang scheint uns zu sehr von dem
Gottheit des Erhöhten. Thomas bekennt: «Mein Herr und mein Gott»
(Joh 20,28; siehe auch Apg 2,39). Und im ersten Johannesbrief heißt
es von Jesus Christus: «Dieser ist der wahre Gott und das ewige Leben»
Interesse bestimmt zu sein, die Trinitätslehre des vierten Jahrhunderts
(1. Joh 5,20).7 Neben diesen johanneischen Spitzenaussagen bein-
schon im Zeugnis des ersten sehen zu wollen. Als Einstieg wählen wir
haltet besonders die Anwendung des Kyriostitels auf Jesus Christus
Jesus Christus. Der aber verweist uns ständig auf einen anderen: seinen
seine Gottheit. Denn in der Septuaginta wurde das Tetragramm des
Vater. Daher konnte Adolf von Harnack sagen: «Nicht der Sohn, son-
dern allein der Vater gehört in das Evangelium, wie es Jesus verkündigt Gottesnamens JHWH mit Kyrios wiedergegeben. Und im Neuen Testa-
hat, hinein.»2 Damit hat er etwas Richtiges gesehen, aber nicht alles ment werden Aussagen der Septuaginta mit Kyrios auf Jesus Christus
und auch nicht das für den Glauben Wesentliche. Der Vater kommt hier bezogen.8 Das erlaubt den Schluss: Der Kyrios des Neuen Testaments
nämlich nur als der Inhalt der Verkündigung Jesu in den Blick. Aber wie ist die sichtbare Gestalt Jahwes.9
verhält sich die Botschaft zu ihrem Botschafter? Die Forschung sieht Die christlichen Gemeinden zur Zeit der Entstehung der neu-
den zentralen Inhalt der Verkündigung Jesu in der Gottesherrschaft. testamentlichen Schriften wussten aus ihren heiligen Schriften, dass
Traditionsgeschichtlich ist diese Botschaft beispielsweise mit den Jahwe allein der Retter ist.10 Besonders der Prophet Jesaja sagte ihnen
Jahwe-König-Psalmen verbunden.3 Aber wieder stellt sich die Frage: das mit aller Deutlichkeit: «Ich, ich bin Jahwe, und außer mir gibt es
Wie verhält sich die Botschaft zum Botschafter? Die neutestamentliche keinen Retter.» (Jes 43,11). Das in Jesaja 43,11; 45,21 und Hosea 13,4
Gemeinde hat Jesus als die Erfüllung ihrer heiligen Schriften verstanden. verwendete Verb js´ (jod-schin-ajin) ist im Jesusnamen aufgenommen.
Schon Paulus sah die Offenbarung Gottes in Christus in ihnen bezeugt. Denn Jesus ist die griechische Form des hebräischen Namens Jeschua
Matthäus deutete das Christusgeschehen mit den bekannten Erfüllungs- bzw. Jehoschua und bedeutet: Jahwe ist Rettung. Daher sagte der
zitaten.4 Und das Johannesevangelium hat diesen Glauben schließlich Engel zu Joseph: «Und sie (Maria) wird einen Sohn gebären, und du
auf die ungemein dichte Formel von der Fleischwerdung des Wortes sollst seinen Namen Jesus nennen; denn er wird sein Volk von seinen
(Joh 1,14) gebracht. Jesus Christus ist die Verkörperung des Wortes und Sünden erretten.» (Mt 1,21). Diese Szene schließt der Evangelist mit
als solche die existentielle Exegese des bis dahin unsichtbaren Gottes einem Reflexionszitat ab: «Dies alles ist geschehen, damit sich erfüllte,
(Joh 1,18). Christus verkündigte also nicht nur, – er verkörperte. Der was vom Herrn durch den Propheten gesagt worden ist: Seht, die
Botschafter wurde mit seiner Botschaft identisch. Diese Identität gilt es Jungfrau wird schwanger sein und einen Sohn gebären, und man wird
in der christlichen Gotteslehre zu denken. seinen Namen Emmanuel nennen (Jes 7,14), das heißt übersetzt: Gott
Jahwe begegnet uns nicht nur im Munde, sondern ganz beson- mit uns.» (Mt 1,22f). Der Name Jesus gleich Jahwe-ist-Rettung wird
ders in der Person Jesu. Christus ist «das Bild Gottes» (2. Kor 4,4). mit dem Namen Emmanuel gleich Gott-ist-mit-uns identifiziert. Das

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Mitsein Jahwes in dem vom heiligen Geist gezeugten und von der sprach zu Maria: «Der heilige Geist wird über dich kommen, und
Jungfrau geborenen Sohn ist ein das Matthäusevangelium umschlie- die Kraft des Höchsten wird dich überschatten; deswegen wird das
ßender und zentraler Gedanke. Das zeigt die Klammer aus Mt 1,23 geborene (Kind) heilig genannt werden, – Sohn Gottes.» (Lk 1,35).
(«Gott ist mit uns») und Mt 28,20 («ich bin mit euch»).11 «Sohn Gottes» meint hier also Jesu «gottgewirktes irdisch-mensch-
Auch in den im engeren Sinne christlichen Schriften begegnet liches Sein».13 Auf einer zweiten Stufe steht die Taufe des vom Geist
uns Jahwe als das Subjekt des Heilshandelns. Doch das neue Gottesvolk Gezeugten. Zu Beginn seiner öffentlichen Wirksamkeit wurde er
hatte nun im Unterschied zum alten eine genauere Vorstellung von mit dem Geist Gottes begabt und als «mein geliebter Sohn» bzw.
dem Wie der Verwirklichung des eschatologischen Heils: Jahwes rettete «Sohn Gottes» ausgewiesen (Mk 1,10f parr; Joh 1,32-34). Der Geist
sein Volk durch Jesus Christus. Daher konnte nun auch diese Person der kam dabei von Himmel herab. Diese Geburt von oben war auch der
wirksamen Anwesenheit Gottes bei seinem Volk als Retter bezeichnet Gegenstand eines Gesprächs Jesu mit Nikodemus: «Wenn jemand
werden (siehe Lk 2,11; Joh 4,42). Und zwei Jünger auf dem Weg nach nicht aus Wasser und Geist geboren wird, kann er nicht in das Reich
Emmaus konnten nach jenem denkwürdigen Freitag dem Unbekannten Gottes hineingehen. Das aus dem Fleisch Geborene ist Fleisch, und
gegenüber sagen: «Wir aber hofften, er sei es, der Israel erlösen werde.» das aus dem Geist Geborene ist Geist.» (Joh 3,5f). Die Geburt aus
(Lk 24,21). Obwohl demnach die konkrete Verwirklichung der Rettung dem Fleisch der Jungfrau brachte Jesus in unsere Welt. Die Geburt aus
gewissermaßen eine Verdopplung des Subjekts nach sich zog, blieb dem Geist aber brachte ihn in das Reich oder den Herrschaftsbereich
doch Jesus selbst, indem er gehorsam war bis zum Tod am Kreuz (vgl. Gottes. «Wundere dich nicht, dass ich dir sagte: Ihr müsst von oben
Phil 2,8), das Subjekt Jahwes. Und der vom später sogenannten Alten geboren werden (siehe Joh 3,3). Der Geist wirkt nämlich, wo er will;
Testament geerbte Glaube an Jahwe als den alleinigen Retter konnte und du hörst seine Stimme (den Sohn), aber du weißt nicht, woher
auch in den Schriften des Neuen Bundes zum Vorschein kommen. So sie kommt (vom Vater) und wohin sie geht (zum Vater). So steht es
heißt es bei Paulus: «Das alles aber ist von Gott, der uns mit sich selbst mit jedem aus dem Geist Geborenen.» (Joh 3,7f). Der Sohn als die
durch Christus versöhnt hat … Denn Gott war in Christus und versöhnte Stimme oder das fleischgewordene Wort des unsichtbaren Gottes gibt
die Welt mit sich selbst …» (2. Kor 5,18f)12. Und im deuteropaulinischen sich hier als ein aus dem Geist Geborener zu erkennen. In Joh 3,11
Kolosserbrief: «… denn es gefiel der ganzen Fülle (der Gottheit), in ihm versichert er, dass diese Worte eine von ihm und seinen Schülern (vgl.
(leibhaftig) zu wohnen und durch ihn alles mit sich zu versöhnen» (Kol Joh 1,12) gemachte Erfahrung beschreiben. Der Sohnbegriff ist hier
1,19f in Verbindung mit 2,9). Nach dem Benedictus des Zacharias (Lk also bereits über den Horizont der zwar wunderbaren, aber doch noch
1,67-79) hat «der Herr, der Gott Israels» (= Jahwe) seinem Volk «Erlö- physischen Geburt hinausgekommen. Mit der Erfahrung der geistigen
sung» geschaffen (Lk 1,68). Und Simeon erkannte im Jesuskind die von Geburt hatte Jesus die in der anfänglichen Zeugung durch den Geist
Gott gewirkte «Rettung» (Lk 2,30). Aufgrund dieser Zusammenhänge enthaltene Möglichkeit bis zu einem gewissen Grade realisiert. Er war
ist die These, dass in Jesus ein von Ewigkeit her gezeugter Sohn am Werk nun in einem das lukanische Verständnis überschreitenden Sinne ein
war, nicht gerade die naheliegendste. Vielmehr führen die bisherigen aus dem Geist Geborener geworden. Doch die pneumatische Geburt
Beobachtungen zu dem Schluss, dass in und durch Jesus Jahwe selbst war noch nicht das eschatologische Ziel Jesu.
der alleinige Retter war. Auf der dritten Stufe erkennen wir, dass der vom Geist Gezeugte (Lk
1,35) und aus seiner Kraft auch schon von neuem Geborene (Joh 3,8)
3.2. Der Kyrios Jesus Christus erst durch seinen Tod und seine Auferstehung der über alles menschli-
che Maß hinausgehende einzige Sohn Gottes und Kyrios geworden ist.
Nun spricht das Neue Testament aber auch von einem «Sohn Got- Aus dem Sohn «nach dem Fleisch» wurde der «Sohn Gottes in Kraft
tes». Gemeint ist damit auf einer ersten Stufe des systematisierenden nach dem Geist der Heiligkeit aus der Auferstehung von den Toten»
Verstehens Jesus als der von Gott gezeugte Mensch. Denn der Engel (Röm 1,3f). Diese unerhörte Verwandlung des noch Sterblichen in den

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Unsterblichen drückt das Johannesevangelium mit den Verben «hinauf- Christus empfing von Gott, dem Vater, Ehre und Herrlichkeit (2. Petr
steigen» (Joh 3,13; 6,62; 20,17), «erhöhen» (Joh 3,14f; 8,28; 12,32.34) 1,17). „Er wurde … aufgenommen in die Herrlichkeit“ (1. Tim 3,16).
und «verherrlichen» (Joh 7,39; 11,4; 12,16.23.28.31.32; 13,31; 14,13; Und in Phil 3,21 ist vom „Leib seiner Herrlichkeit“ (verherrlichten Leib)
15,8; 16,14; 17,1.4.5.10) aus. Die ersten beiden Verben sind solche die Rede.16 Paulus (an)erkennt den „Herrn der Herrlichkeit“ (1. Kor 2,8;
der Bewegung im Raum. Hinaufsteigen ist hierbei mit der Stadt des 2. Kor 3,18), „die Herrlichkeit Gottes im Angesichte Jesu Christi“ (2. Kor
Tempels verbunden (Joh 2,13; 5,1; 7,8.10.14; 11,55; 12,20), wobei Joh 4,6) und die „Herrlichkeit Christi, der Gottes Bild ist“ (2. Kor 4,4). Zu
7,8 doppelsinnig die Brücke zum Leidensweg Jesu schlägt. Der Aufstieg beachten sind ähnliche Aussagen der Paulusschule (2. Thess 2,14; Tit
nach Jerusalem setzt sich in der Erhöhung durch das Kreuz fort, so dass 2,13), Jakobus 2,1 und die Formulierung des Hebräerbriefes, wonach
Jesus nicht nur den Jahwetempel, sondern sogar Jahwe selbst erreicht. der Sohn „der Widerschein der Herrlichkeit (Gottes) und der Ausdruck
Erhöhen bezieht sich auf das Kreuz (beachte das «muss» in Joh 3,14; seines Wesens“ ist (Hebr 1,3). Die Erhöhung des Sohnes meint seine
12,34) und entdeckt darin die Aufrichtung der Königsherrschaft (siehe Aufnahme in den Bereich des Göttlichen. Seine Verherrlichung meint
die Pilatusinschrift Joh 19,19-22) und die Erhebung in den Raum des seine Aufnahme in die Herrlichkeit Jahwes. Seine Erhöhung und Verherr-
Göttlichen (vgl. das Oben-Unten-Schema Joh 3,31; 8,23; 11,41). lichung meinen demnach seine Vergöttlichung oder die Umgestaltung
Derselbe Vorgang der Bewegung nach oben kann als Verherrlichung seiner menschlichen in die göttliche Person des Kyrios. Die Metamor-
beschrieben werden. Im Hintergrund steht die alttestamentliche phose auf dem Berge (Mt 17,2; Mk 9,2) war ein Vorgriff auf dieses
Kabod-Vorstellung.14 Die Verherrlichung meint daher die Aufnahme Geschehens. Ostern aber war dieses Geschehen selbst. Seitdem es den
Jesu in die Herrlichkeit Jahwes, seine Vergöttlichung oder Umgestaltung Auferstehungsleib gibt, ist Jesus die verherrlichte Leiblichkeit Gottes:
zum Kyrios. Die Deutung ausgerechnet des Spottkreuzes als Stätte der Jahwe in seinem vergöttlichten Menschlichen.
Erhöhung oder Verherrlichung ist im Johannesevangelium besonders Die Sendung des Sohnes scheint seine Präexistenz in sich zu
ausgebaut, begegnet uns aber auch andernorts im Neuen Testament. schließen. Schon Paulus spricht von der Sendung (Gal 4,4; Röm 8,3),
In Apg 3,13 wird „verherrlichen“ ähnlich wie im Johannesevangelium dann aber vor allem das Johannesevangelium. Nach 3,17 «sandte
verwendet: „Der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, der Gott unserer Gott den Sohn in die Welt», und an zahlreichen weiteren Stellen des
Väter, hat seinen Knecht Jesus verherrlicht“. Übereinstimmend mit dem vierten Evangeliums versteht sich der Sohn als der von Gott bzw.
Johannesevangelium ist Gott hier das Subjekt und Jesus das Objekt der seinem Vater Gesandte17. Senden impliziert jedoch nicht vorrangig
Verherrlichung. Außerdem legt der Kontext von Apg 3,13 nahe, daß die Präexistenz, sondern Beauftragung.18 In diesem Sinne erscheint auch
Verherrlichung durch Kreuz und Auferstehung geschieht. Interessant der Täufer als ein von Gott Gesandter (Joh 1,6.33). Klar dürfte sein,
im Rahmen der hochpriesterlichen Christologie des Hebräerbriefes ist dass mit diesen Verben nicht seine Präexistenz ausgesagt werden soll,
die Aussage: „So verherrlichte sich auch der Christus nicht selbst, um sondern seine Beauftragung (vgl. in Joh 1,33 den finalen Infintiv bap-
Hoherpriester zu werden, sondern der [verherrlichte ihn], der zu ihm tizein). Auch die Jünger werden von Jesus als Beauftragte ausgesandt
sprach: Mein Sohn bist du, ich habe heute dich gezeugt …“ (Hebr (Joh 4,38; 13,16.20; 17,18). Indem sich Jesus, der Sohn, als vom Vater
5,5). Auch hier verherrlicht Gott den Christus, wobei dies im Modus des gesandt zu erkennen gibt, bringt er seine vollkommene Willens- und
Gehorsam geschieht (siehe Vers 8).15 Es gibt weitere Stellen, die zwar Wirkgemeinschaft mit dem Vater zum Ausdruck, dass er also «nichts
nicht das Verb „verherrlichen“ verwenden, aber ebenfalls einen Vor- von sich selbst aus tut» (Joh 8,28). Das Leben des Gesandten ist ganz
gang erkennen lassen, der zur Herrlichkeit führt. „Mußte nicht Christus und gar das des Sendenden. So tut er den Willen des Sendenden (Joh
dieses leiden und in seine Herrlichkeit eingehen?“ (Lk 24,26). Der Geist 4,34; 5,30; 6,38) und verrichtet somit sein Werk (Joh 4,34). Auch die
Christi in den Propheten bezeugte „die Leiden Christi und die Herrlich- Lehre bzw. Botschaft des Gesandten ist eigentlich die des Sendenden
keiten danach“ im voraus (1. Petr 1,11). Gott hat den Christus von den (Joh 7,16; 12,49; 17,8). Das vom Vater Gesandtsein bedingt Jesu
Toten auferweckt und ihm die Herrlichkeit gegeben (1. Petr 1,21). Jesus intime Kenntnis des Vaters (Joh 7,29). Es wird auf dreierlei Weise ve-

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rifiziert, erstens durch den Verweis auf die Werke (Joh 5,36), zweitens Licht am Himmel. Diese Metapher ist dem Johannesevangelium ange-
durch das Selbstzeugnis und das Zeugnis durch den Vater (Joh 8,18), messen. Denn dort besteht ein Zusammenhang zwischen dem (von
drittens durch die Selbstlosigkeit Jesu (Joh 7,18). Gott gesandten) Sohn und dem (von der Sonne ausgesandten) Licht
Dennoch gibt es ein präexistentes Sein des Sohnes: den Logos. Der (Joh 8,12; 9,5; 12,44-46).
Prolog des Johannesevangeliums (Joh 1,1-18) beginnt allerdings nicht
mit den Worten: «Im Anfang war der Sohn». Sondern mit den Worten:
3.3. Der Geist des Kyrios
«Im Anfang war der Logos». Der Logos wird Fleisch (Joh 1,14) und heißt
als Fleischgewordener noch im Prolog der «Einziggeborene vom Vater» Der Kyrios ist in der Kraft des heiligen Geistes erfahrbar. Paulus schrieb:
(Joh 1,14) bzw. der «einziggeborene Gott» (Joh 1,18)19. «Einziggebo- «Der Kyrios ist der Geist» (2. Kor 3,17). Nach Ingo Hermanns Analyse ist
ren» begegnet uns anschließend im Evangelium nur noch in Joh 3,16.18 damit gemeint: «Christus wird erfahrbar als Pneuma.»21 «das euch be-
in der Wendung «der einziggeborene Sohn (Gottes)»20. «Einziggebo- kannte lebendigmachende Pneuma ist in Wirklichkeit Christus der Herr.
ren» taucht somit im Evangelium in der ersten längeren Rede Jesu auf, Denn er ist es, den wir erfahren, wenn wir das Pneuma in uns wirkend fin-
und zwar genau dort das erste und letzte Mal, wo der «Sohn Gottes» den.»22 Hermann veranschaulicht das mit einem Bild: «Wie ich die Sonne
das erste Mal im Munde Jesu begegnet. Das heißt: «Sohn» meint fortan in ihren Strahlen erfahre, so erfahre ich den Kyrios als das Pneuma. Das
im Evangelium den fleischgewordenen Logos bzw. einziggeborenen Pneuma ist das unaufhörliche Ausstrahlen des Erhöhten. Dieses Strahlen
Gott des Prologs. Es gibt folglich zwar einen präexistenten Logos, aber trifft auf den Menschen auf. Der nimmt die Strahlungsmacht – das
keinen präexistenten Sohn. Der Logos ist traditionsgeschichtlich über Pneuma – wahr und weiß: das ist der Herr; wie er die Strahlungswärme
die alttestamentliche Weisheit bis auf das Sprechen Gottes von Genesis der Sonnenstrahlen wahrnimmt und weiß: das ist die Sonne.»23 2. Kor
eins zurückführbar. Der Logos ist also in seiner Funktion als Schöpfungs- 3,17 ist die Spitzenaussage. Parallelen sind in Röm 1,1-5; 1. Kor 15,45; 1.
mittler zu sehen (Joh 1,3.10f). Daher ist es etwas zu kurz gegriffen, den Kor 6,17 und Röm 8,9-11 zu finden. Und über alle diese Aussagen hin-
johanneischen Jesus lediglich als Offenbarer darzustellen. Es geht um aus ist am Ende sogar das gesamte theologische Denken des Paulus von
mehr, es geht um die Grundsteinlegung der neuen Schöpfung. Der dem Bewußtsein der Identität von Kyrios und Pneuma durchdrungen.
Logos wurde Fleisch, um nun in der Schöpfung die neue Schöpfung Hermann kommt daher zu einem in unserem Zusammenhang interes-
zu bewerkstelligen: die Schöpfung des Lebens im Kosmos des Todes. santen Schluss: «Weil der ‹eigentliche›, theologisch prägnante Sprach-
In Jesus erschuf der Logos etwas. Die Neuschöpfung des Gekreuzigten gebrauch des Paulus im Pneuma eine Gott und Christus eigene Potenz
aus dem Nichts des Todes muss gesehen werden. Der Logos wurde sieht, verbietet sich für eine Paulusinterpretation jede Hypostasierung
sterbliches Fleisch, aber diese körperliche Sterbewesen wurde Kyrios, des Pneuma in Richtung auf eine selbständige 3. trinitarische Person»24.
wurde der unsterbliche Tempel (Joh 2,19) des ewigen Gottes. Der Das Matthäusevangelium schließt mit den Worten: «Und siehe, ich bin
Logos wird im Prolog von Gott unterschieden: Er war «bei Gott». Er bei euch alle Tage bis zur Vollendung des Aions.» (Mt 28,20). Der heilige
wird aber auch mit Gott identifiziert: «Der Logos war (niemand anders Geist wird hier nicht genannt (wohl aber in Mt 28,19). Stattdessen wird
als) Gott (selbst).» (Joh 1,1). Dementsprechend wird er der «einzigge- den Jüngern das Mitsein des Auferstandenen zugesagt. Unter einem
borene Gott» (Joh 1,18) genannt. Und dementsprechend sagt Jesus: systematischen Gesichtspunkt kann man diese Beobachtung von Paulus
«Wer mich (den Sohn bzw. den fleischgewordenen Logos) gesehen hat, her verstehen: Im Wehen des heiligen Geistes ist eben niemand anders
hat den Vater (Gott) gesehen.» (Joh 14,9). Das heißt: In Jesus war Gott als der Kyrios selbst wirksam. Im Johannesevangelium wird die Situation
in Gestalt seines schöpferischen Wortes am Werk. Sie sind eins und zu des Abschieds am ausführlichsten bedacht. Es geht um die Frage: «Wie ist
unterscheiden wie die Sonne und ihr Licht: Es geht von der Sonne aus, der Abwesende anwesend?»25 Im Kontext der Abschiedsreden verheißt
doch sie wird dadurch nicht dunkler, denn sie ist selbst das Licht, und Jesus den Seinen «einen anderen Beistand»; der wird «bei euch» sein «in
wo das ausgesandte Licht hinfällt, da zeugt es von dem einen großen Ewigkeit (gr. Aion)» (Joh 14,16). Die Nähe zur matthäischen Zusage ist

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unübersehbar. In beiden Fällen ist vom Mitsein («bei euch») und einer 4. Zusammenfassung und Bewertung der Ergebnisse
zeitlichen Erstreckung unter Verwendung des Wortes «Aion» die Rede. und eigene Stellungnahme
Im Matthäusevangelium ist diese Zusage aber mit Jesus verbunden. Im
Johannesevangelium ist sie dagegen mit dem anderen Beistand verbun- 4.1. Erinnerung an die Fragestellung
den. Doch der wird sogleich mit Jesus identifiziert. Jesus sagt nämlich: Als Problem haben wir die Spannung in der altkirchlichen Trinitätslehre
«Ich werde euch nicht verwaist zurücklassen; ich komme zu euch.» (Joh zwischen dem einen Gott und den drei göttlichen Personen genannt
14,18; siehe auch 14,19). Wir kommen also wieder zu demselben Ergeb- (siehe 1.1.). Sie ist nicht hinnehmbar und doch schon in der Grund-
nis: Der heilige Geist ist die Anwesenheit des Kyrios.26 Die Andersartigkeit struktur der altkirchlichen Fassung der Trinitätslehre enthalten. Daher
des nachösterlichen Beistandes erklärt sich aus der Verherrlichung (vgl. halten wir diese Struktur für das Problem. Unsere Auseinandersetzung
Joh 7,39 mit 16,7). Vor seiner Verherrlichung war Jesus als das fleisch- mit Pannenberg war die mit einem Denker, der die Spannung eben-
gewordene Wort gewissermaßen der Leib der Wahrheit (Joh 14,6); falls sieht, sie aber im Einverständnis mit dem einen Wesen in drei
nach seiner Verherrlichung ist er hingegen als «Geist der Wahrheit» (Joh Personen lösen will (siehe 2.1.2.). Somit stellte sich die Frage: Kann
14,17; 15,26; 16,13) und insofern als ein anderer Beistand anwesend. die von Schleiermacher geforderte «auf ihre ersten Anfänge zurück-
Denn der Auferstandene darf nicht als eine wunderbar wiederbelebte gehende Umgestaltung» der Trinitätslehre und damit die Vollendung
Leiche angesehen werden. Der durch das Konzept der Verherrlichung der Reformation (= Umgestaltung der Theologie) im Rahmen einer
gegebene Anschluss an die alttestamentliche Kabodvorstellung deutet die altkirchliche Gestalt des Dogmas im Grundsatz anerkennenden
in eine ganz andere Richtung. Der Verherrlichte ist der in die Herrlichkeit Rekonstruktion gelingen? Oder geht dieser Ansatz eben doch nicht auf
Jahwes Aufgenommene: der Kyrios. Als solcher kann er den Seinen nach die ersten neutestamentlichen Anfänge zurück? Muss man also zu einer
Ostern wahrlich ein anderer Beistand sein als vor seiner Verherrlichung. Neukonstruktion der christlichen Gotteslehre vorstoßen (siehe 1.1.)?
Der heilige Geist ist also die Sphäre der Wirksamkeit des Kyrios.27
4.2. Die Offenbarung Gottes in Jesus Christus
3.4. Theologische Zusammenfassung des als Ausgangspunkt
Schriftzeugnisses
Die «Offenbarung Gottes in Jesus Christus» ist der Ausgangspunkt der
Der Kyrios ist die schaubare Gestalt des bis dahin unschaubaren Gottes christlichen Gotteslehre. Darin stimmen wir mit Pannenberg überein
(Joh 1,18; Kol 1,15). Im Sohn wird der Vater ansichtig (Joh 14,9). Der (siehe 2.2.1.). Allerdings können wir uns nur zum Teil seine Ansicht zu
heilige Geist ist das im Glauben wirksame Kraftfeld des Kyrios. Im Wehen eigen machen, dass in diesem Offenbarungsgeschehen vor allem die
des Geistes ist der Kyrios durch alle Zeiten hindurch bei den Seinen an- trinitarischen Unterschiede von Vater, Sohn und Geist offenbar werden
wesend (2. Kor 3,17; Mt 28,20; Joh 14,16-18). Dieses Verständnis der (siehe 2.2.1.). Mindestens ebenso offenbar ist nämlich, dass das Neue
neutestamentlichen Urkunde des Glaubens kann theologisch profilierter Testament nur eine Mitte kennt: Jesus Christus. In dieser einen Mitte
ausgedrückt werden: Der christliche Gott ist dem Wesen und der Person ist der unschaubare Gott schaubar anwesend und als Geist in der Ge-
nach einer. Dieser eine Gott ist der Kyrios Jesus Christus. Allerdings sind meinde erfahrbar (siehe 3.). Die Einheit des göttlichen Wesens steht also
in dieser einen göttlichen Person drei Hypostasen zu unterscheiden: der in dieser personalen Mitte an sich unübersehbar schon vor uns. Daher
Vater, der verherrlichte Sohn oder Kyrios und das Wehen seines Geistes. hat die Verborgenheit der göttlichen Einheit ihren Grund weniger im
Diese Hypostasen oder Wesensschichten28 muss man sich nicht neben- Neuen Testament als vielmehr im altkirchlichen Dogma, mit dem man
einander vorstellen. Man kann sie sich besser ineinander vorstellen. gewöhnlich die Urkunde der geschichtlichen Offenbarung des einen
Dann wird aus der dreipersönlichen eine einpersönliche Trinitätslehre. Gottes in Jesus Christus betrachtet. Dennoch soll nicht bestritten wer-
Von diesem Schriftverständnis aus bilden wir uns nun unser Urteil über den, dass der Sohn den Vater und den Geist von sich unterschieden und
den Lösungsvorschlag von Pannenberg. damit für Verwirrung gesorgt hat. Schaut man auf die eine Mitte des

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Neuen Testaments, dann sieht man dort die eine göttliche Person des diesen Logos mit dem Sohn identifiziert und als Person gedacht hat,
Kyrios. Hört man hingegen auf seine Worte, dann löst sich dieses eine dann wird man sehr viel vorsichtiger sein, den Personbegriff schon an
«Bild Gottes» (2. Kor 4,4) gewissermaßen in drei Bilder auf, und alle Ver- dieser Stelle ins Spiel zu bringen. Mit den griechischen Vätern können
suche, sie zu einen, scheinen das Gemüt nur noch mehr zu verwirren. wir den Logos als eine Hypostase bezeichnen, ihm also eine gewisse
Die Offenbarung des einen Gottes in Jesus Christus hat paradoxerweise Selbständigkeit zugestehen, obwohl er in Joh 1,1 nicht nur von Gott
die Erkenntnis seiner Einheit sehr erschwert. Dieser Eindruck ist unaus- unterschieden, sondern auch mit ihm identifiziert wird, aber als Per-
weichlich, solange man sich die Hypostasen nur untereinander oder son steht uns der Logos erst nach seiner Fleischwerdung gegenüber.
nach Beseitigung des Subordinatianismus nebeneinander vorstellen Außerdem zeigt der Prolog mit seinen Anklängen an Genesis eins,
kann. Aber man kann sie sich auch ineinander vorstellen, und dann dass die Kategorie der Offenbarung nicht die einzige sein kann, in
sieht man wieder die eine Mitte des Neuen Testaments. der sich das Christus- bzw. Logosgeschehen erschließt. Mindestens
ebenso angemessen ist die Kategorie der Schöpfung.29 Der Logos
4.3. Die Dreipersonengemeinschaft erschafft im Fleisch der alten Schöpfung den unsterblichen Tempel
Pannenberg schließt vom irdischen auf den ewigen Sohn (siehe der neuen Schöpfung. Somit kann mit der Einwohnung des Schöp-
2.2.3.). Doch diesen für die altkirchliche Gestalt der Trinitätslehre so ferlogos im Fleische dieser Welt und erst recht mit der Verherrlichung
grundlegenden Schritt können wir nicht nachvollziehen. Pannenberg Jesu und dem Auferstehungsleib etwas ganz Neues erstanden sein.
geht wie selbstverständlich davon aus, dass der Gott, den Jesus als Das Ergebnis des Logosgeschehens muss demnach so nicht schon im
seinen Vater bezeichnete und von sich unterschied, schon von Ewig- Anfang vorhanden gewesen sein.
keit her Vater gewesen sein muss. Dass aber dieser Gott erst durch Die Homousie des Sohnes mit dem Vater ist für Pannenberg das
die Geburt des von ihm gezeugten Sohnes namens Jesus zum Vater «in der Logik des Sachverhalts begründete Resultat seiner Auslegungs-
geworden sein könnte, liegt außerhalb dieses Denkens, das in seiner geschichte» (siehe 2.1.2.). Dem können wir in dem Sinne zustimmen,
Sicht der Person Jesu ganz und gar vom Gedanken der Offenbarwer- dass der Glaube an Jesus Christus der Glaube an Gott sein muss. Die
dung durchdrungen ist und dementsprechend schließen muss: Wenn Homousie ließe sich auch in eine einpersönliche Trinitätslehre einbauen.
Jesus Gott als Vater offenbart, dann muss Gott seit jeher Vater sein und Denn im Bekenntnis von 325 war «wesenseins mit dem Vater» wahr-
somit seit jeher einen Sohn haben. Doch Pannenberg kann diesen scheinlich nur gegen den Arianismus gerichtet und jedenfalls noch
ewigen Sohn nur indirekt aus der menschlichen Person Jesu erschlie- nicht mit der Vorstellung mehrerer Personen verbunden. Dennoch
ßen (STh 1,337). Denn im Neuen Testament fehlt von ihm jede Spur. haben wir diesen in der alten Kirche so umstrittenen Begriff, dessen
Dort offenbart der irdische Sohn nicht den ewigen Sohn, sondern den Anwendung schon im Bekenntnis von 381 nicht mehr gegen die
unsichtbaren Gott (siehe 3.1.). Ein starkes Argument für einen ewigen Pneumatomachen auf den heiligen Geist ausgedehnt wurde, nicht
Sohn scheint die Rede von der Sendung des Sohnes in die Welt zu übernommen. Stattdessen knüpfen wir an die neutestamentliche
sein. Doch selbst wenn man der Ansicht ist, dass sie seine Präexistenz Redeweise von der Verherrlichung an und sagen: Jesus wurde in den
beinhalten muss, dann ist jedenfalls auch für Pannenberg klar, dass Kabod Jahwes aufgenommen oder, wenn man so will, mit ihm wesen-
der präexistente Sohn nicht notwendigerweise auch ein ewiger Sohn seins (siehe 3.2.). Die Homousie erzwang eine Umstrukturierung des
sein muss (siehe STh 1,289). Außerdem muss das Präexistente des Denkens der alten Kirche (siehe 2.2.4.). In ihm war der Vater der eine
Sohnes keinesfalls eine Person sein. Das andere starke Argument für Gott, und das Gottsein des Sohnes und des Geistes konnte demzufolge
den ewigen Sohn scheint der Prolog des Johannesevangeliums zu nur von seinem Gottsein her ausgesagt werden. So ist denn auch in der
sein. Darin ist das Präexistente des Sohnes benannt: es ist der Logos. Formel «wesenseins mit dem Vater» ganz selbstverständlich der Vater
Wenn man aber bedenkt, wieviel Schwierigkeiten sich die Suche nach der Bezugspunkt der Aussage über das Gottsein des Sohnes. Doch die
dem christlichen Monotheismus dadurch eingehandelt hat, dass sie Homousie erzwang die Streckung des Dreiecks mit dem Vater als Spitze

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und machte ihn zu einer gleichrangigen Hypostase neben seinem Sohn Gemeinschaft als eine enge, ja unauflösliche zu denken; aber es bleibt
und seinem Geist (siehe 2.3.2.). Dennoch konnte sich die Homousie im eben doch eine Gemeinschaft. Bei der Annahme mehrerer Personen
Denken der alten Kirche nicht vollkommen durchsetzen. In Gestalt der ist also die Einheit Gottes nicht auf der Ebene der Personen denkbar,
vom Vater ausgehenden Ursprungsbeziehungen blieb der alten Kirche es braucht die Ebene des Wesens. Doch anstatt drei Personen in einem
ihr ursprünglicher Ansatz bis zum Schluss erhalten. Pannenberg will Wesen zu einen, sollte man drei Hypostasen in einer Person einen. Dieses
diese Inkonsequenz von der Homousie her bereinigen. Daher sahen Vorgehen entspricht nicht nur der einen Mitte des Neuen Testaments
wir in seinem Lösungsvorschlag einen späten Sieg des homousischen besser, sondern auch dem gewöhnlichen Verständnis, für das mehrere
Ansatzes (siehe 2.2.3.). Doch uns wird der Abstand dieses Gottes zum Personen wohl immer mehrere Einheiten bleiben werden.30
neutestamentlichen Ausgangspunkt zu groß. Der Tatsache, dass im
Neuen Testament das Wort Gott fast ausnahmslos für den Vater steht, 4.4. Die Gemeinschaft als Manifestation der Liebe
muss ein größeres Gewicht eingeräumt werden (siehe 2.2.4.). Daher Die Bestimmung des göttlichen Wesens als Geist und Liebe oder als
muss die oben genannte Inkonsequenz vom Gedanken des Gottseins Geist der Liebe hat uns überzeugt. Auch die Deutung des Geistes
des Vaters her bereinigt werden. als «Kraftfeld» im Anschluss an «Feldtheorien der modernen Physik»
Der heilige Geist als dritte göttliche Person ist im Neuen Testament haben wir mit Interesse zur Kenntnis genommen (siehe 2.3.1.). Da
am schwächsten bezeugt (siehe 3.3.). Das stärkste Argument für ihn jedoch sowohl der alttestamentliche Jahwe als auch der neutesta-
als Person kann man jedoch aus dem «anderen Beistand» des Johannes- mentliche Kyrios mit der Sonne in Verbindung gebracht werden,
evangeliums schmieden (siehe 2.2.5.). Doch wird er in demselben Zu- nehmen wir an, dass das Kraftfeld des Geistes einen Mittelpunkt hat,
sammenhang des ersten Parakletspruchs (Joh 14,16-18) ausdrücklich von dem es ausgeht.31
als der nachösterlich anwesende Erhöhte ausgewiesen. Das entspricht Der lange Weg über drei Personen zur Einheit Gottes gipfelt
auch der paulinischen Theologie (siehe 3.3.). Aber im Interesse einer bei Pannenberg im Begriff der Liebe. Sein trinitarisches Denken fasst
auf drei Personen fixierten Trinität verlieren diese exegetischen Beobach- er in die Worte zusammen: «Der Gedanke der Liebe ermöglicht es,
tungen ihr Gewicht. Denn das System will sich nach der Annahme des die Einheit des Wesens Gottes mit seinem Dasein und seinen Eigen-
ewigen Sohnes nun im Sinne dieser Logik selbst vollenden (siehe schaften und so auch die Einheit der immanenten und ökonomischen
2.2.5.). Obwohl im Neuen Testament das Wort Gott fast ausnahmslos Trinität in ihrer eigentümlichen Struktur und Begründung zu denken.»
den Vater meint, obwohl weder in diesen apostolischen Schriften noch (STh 1,482). Dass Liebe verbindet, leuchtet unmittelbar ein, denn
im Apostolikum von einem ewigen Sohn die Rede ist, obwohl das Got- das entspricht einer menschlichen Erfahrung. Allerdings reicht die
tesvolk des neuen Bundes die Bezeichnung Jahwes als Kyrios auf den verbindende Kraft der Liebe als solche noch nicht aus, um die aus
Verherrlichten übertragen hat, und obwohl das Pneuma in Wirklichkeit drei Personen bestehende Gemeinschaft zur Einheit eines Gottes zu
der Kyrios ist, obwohl es also Alternativen gibt, stellt sich Pannenberg verschmelzen. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen die Personen ganz
unter die altkirchliche Konstellation aus drei göttlichen Personen und und gar als Setzungen der Liebe gedacht werden. Dann ist nur noch
will in diesem Dreigestirn aber nur einen Gott sehen. die schöpferische Macht der Liebe als der eine Gott denkbar, und
Doch auch Pannenberg kann drei Personen als solche nur zu einer die Dreipersonengemeinschaft ist dann nur noch die von der Liebe
Gemeinschaft vereinen (siehe 2.3.2.). Vom modernen Personbegriff erzeugte Struktur ihrer selbst. Daher macht Pannenberg die Personen
übernimmt er das relationale Gefüge. Während menschliche Personen zu unselbständigen Manifestationen des göttlichen Wesens (siehe
ihr Selbstsein jedoch nur unvollkommen von den interpersonalen 2.3.2.). Auf diese Weise erreicht er die größtmögliche Annäherung
Beziehungen her empfangen, konstituieren genau diese Beziehungen an die Vorstellung eines einzigen Gottes. An dieser Stelle empfinden
das Personsein der göttlichen Personen ganz und gar (siehe STh 1,465). wir jedoch gewisse Spannungen innerhalb seines Denkens. Denn
Der relationale Personbegriff ermöglicht es gewiss, sich die trinitarische einesteils sollen die Personen selbständige Aktzentren sein (siehe STh

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1,347), andernteils dürfen sie aber «keine Selbständigkeit» gegenüber zum erhöhten Kyrios, der wahrlich nicht ohne Grund den Namen des
dem göttlichen Wesen haben (siehe STh 1,415). Einesteils sind nur die alttestamentlichen Gottes übernommen hat.
Personen Subjekte des Handelns, das dann dem Wesen zugerechnet
wird (STh 1,416 und 1,421). Andernteils fragt man sich, wie dann 4.5. Zusammenfassung der Antwort auf die
die Fähigkeit der dynamischen Geistwirklichkeit zu benennen ist, Fragestellung
Manifestationen hervorzubringen. Und wie kann ein nicht personales Pannenberg löst die Spannung in der altkirchlichen Trinitätslehre im
Wesen – und nicht personal muss es sein, um die personale Quaterni- Einverständnis mit der Vorstellung eines Wesens in drei Personen.
tät zu vermeiden – personale Manifestationen hervorbringen? Dabei deckt er eine Inkonsequenz des auf der Homousie basierenden
An der alten Vorstellung vom Vater als Spitze des trinitarischen Denkens auf. Die Ursprungsbeziehungen vertragen sich nicht mit der
Dreiecks erwies sich die Subordination als problematisch. Deswegen antisubordinatianischen Stoßrichtung der Homousie. Im Denken der
mussten die Personen nebeneinander angeordnet werden. Doch alten Kirche kann man demnach eine ältere Schicht mit dem Vater als
an dieser Vorstellung erwies sich die Tendenz zum Tritheismus als Spitze des trinitarischen Dreiecks von einer jüngeren unterscheiden.
problematisch. Deswegen musste doch wieder eine übergeordnete Doch die homousische Schicht konnte das altkirchliche Denken nicht
Schicht eingezogen werden, die nun Wesen genannt und vom Vater bis zur letzten Konsequenz umstrukturieren. Daher sahen wir im Schritt
unterschieden wurde. Die Subordination des Sohnes und des Geistes zur Wechselseitigkeit der innertrinitarischen Relationen eine Vollendung
unter dem Vater wurde durch die Subordination des Vaters, des Soh- des nicaenischen Weges. Pannenbergs prinzipielles Einverständnis mit
nes und des Geistes unter dem Wesen ersetzt. Ein Subordinatianismus dem trinitarischen Dogma bedeutet keineswegs, dass er es originalge-
der anderen Art war entstanden. Wenn demnach der trinitarische treu in seiner altkirchlichen Gestalt nachbaut. Vielmehr macht sich in
Monotheismus ohne ein einheitliches Dach nicht auskommt, dann der gänzlich relationalen Struktur seines Wesens- und Personbegriffs
stellt sich die Frage: Hätte dieses die Einheit gewährleistende Prinzip trotz altkirchlicher Anknüpfungspunkte ein spezifisch modernes
nicht auch der Vater bleiben können? Hätte man die Konsequenz der Bauprinzip geltend. Obwohl auch Pannenberg zugeben muss, dass
Geschöpflichkeit des Erlösers nicht auch durch sanftere Eingriffe in das «mit der Einheit Gottes in der Dreiheit der Personen die größten Ver-
ursprüngliche Modell in den Griff bekommen können? Nach Pannen- ständnisschwierigkeiten verbunden» sind (STh 1,375), gelingt es ihm,
berg ist der Geist sowohl das göttliche Wesen als auch das personale einen Weg zu dieser Einheit zu finden. Zwar kann auch er drei Personen
Gegenüber im Verhältnis zum Vater und zum Sohn. Vom Neuen Testa- als solche nur zu einer Gemeinschaft vereinen, aber indem er diese
ment her ist es aber angemessener, den Vater in dieser doppelten Dreipersonengemeinschaft zu einer unselbständigen Manifestation des
Weise zu sehen. Denn dort ist er das göttliche Wesen, das von seinem göttlichen Wesens der Liebe macht, manifestiert sich in der Dreiheit
Sohn ganz exklusiv als personales Gegenüber erlebt wird. Daher der die Einheit. Der altkirchliche Gott zerlegte sich nicht nur horizontal in
Vorschlag: Der vorösterliche Jesus kannte nur einen Gott: den Jahwe drei Personen, sondern auch vertikal in einen immanenten und einen
des jüdischen Glaubens. Dessen Herrschaft war in Jesus angebrochen. ökonomischen Anteil. Dieses Problem beschäftigte die alte Kirche so
Denn er hatte seinen Willen dem Willen seines göttlichen Vaters un- noch nicht. Für Pannenberg aber ist es ein zentrales, weswegen wir es
terworfen. Durch diesen Gehorsam bis zum Tod am Kreuz wurde der nicht völlig ausklammern wollten. Am Ende denkt Pannenberg also die
Sohn in die Herrlichkeit seines Vaters aufgenommen; das Grab ist leer. komplexe Einheit eines gedanklich vielfach zerlegbaren Gottes.
Der Sohn ist der Kyrios der neuen Schöpfung und Jahwe durch ihn Doch dieser eine Gott ist nicht der eine Gott der Schriften des
für uns zur Person geworden. Wir glauben also, dass die homousische neuen Bundes. Die Offenbarung des einen Gottes in Jesus Christus
Antwort auf die arianische Verirrung zwar die Göttlichkeit des Erlösers ist nicht der Ausgangspunkt dieser Rekonstruktion der Wahrheit
gerettet, aber auch Wahres des älteren Denkens verdunkelt hat. Die des seinerzeitigen Geschehens. Zwar beginnt Pannenberg seinen
Verherrlichungschristologie zeigt einen Weg vom subordinierten Jesus Aufbau des trinitarischen Gottes mit der Botschaft Jesu, aber die

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Wahrnehmung der Offenbarungsurkunde wird von Anfang an von ihn aber nicht nach allen Seiten hin ausgebaut und wollen deswegen
seiner Lösung des trinitarischen Problems bestimmt. Das kann man noch einige Fragen und Antwortversuche festhalten.
einem systematischen Denker nicht verübeln. Denn einesteils formt Welches Personverständnis liegt der einpersönlichen Trinitätslehre
die Schrift das System, und andernteils formt das sich formierende zugrunde?33 Die dreipersönliche und die einpersönliche Trinitätslehre
System die Wahrnehmung der Schrift. In diesem Zirkel bewegt sich sind sich je auf ihre Art darin einig, dass mehrere Personen mehrere
jedes systematisierende Denken. Das bedeutet aber im Hinblick auf Einheiten, «Singularitäten» (STh 1,464) oder Subjekte sind. Daher
unsere Auseinandersetzung mit Pannenberg: Die Schrift kann sich muss die dreipersönliche Trinitätslehre die Denkbarkeit der Einheit
in seinem Denken an keiner Stelle gegen das nicaeno-konstanti- Gottes über die «Einheit des göttlichen Wesens» herbeiführen. Die
nopolitanische Konstrukt eines Wesens in drei Personen durchsetzen. einpersönliche Trinitätslehre kann demgegenüber auf die eine göttliche
Daher ist der eigentliche Ausgangspunkt seiner Rekonstruktion dieses Person des Kyrios verweisen. Mit anderen Worten: Die dreipersönliche
altkirchliche Bauprinzip. Seine Darstellung der Schrift wird von Anfang Trinitätslehre erreicht die Einheit durch einen einheitlichen Anfang (=
an vom Gedanken der Selbstunterscheidung beherrscht, aus dem die Einheit des Wesens), die einpersönliche hingegen durch ein einheit-
dann die Aktzentren und die Personen werden. Die Schrift wird also liches Ende (= die Einheit der Person). Oder nochmals anders formuliert:
im altkirchlichen Gehäuse wahrgenommen. Dass in der Schrift auch Die «ganze Fülle der Gottheit» (Kol 2,9) muss von der einpersönlichen
ein Potential zu einer christlichen Gotteslehre jenseits der nicaeno- Trinitätslehre im Personbegriff zusammengefasst werden, also seinen
konstantinopolitanischen Orthodoxie ruht, wird zwar hier und da Inhalt ausmachen. Daher braucht sie einen Personbegriff der nach
wahrgenommen, aber in diesem Gehäuse kann es seine Sprengkraft innen hin offen ist. Jesus war keine in sich abgeschlossene Person,
nicht entfalten. Daher meinen wir: Die theologische Auferstehung sondern die für die Unendlichkeit Gottes offene und empfängliche
des christlichen Gottes hat noch nicht stattgefunden. Noch werden Person.34 Durch ihn bekam der unsichtbare Gott ein Gesicht (Joh 1,18;
nur die Risse in der Wandmalerei der alten Kirche ausgebessert. Dies 14,9; Kol 1,15); durch ihn tönte er hindurch (Joh 14,10.24; 17,8.14).
allerdings mit erstaunlichem Geschick. Die Spannung läßt sich also auf Daher bietet sich die Anknüpfung an das griechische «prosopon» (Ge-
der Grundlage des altkirchlichen Dogmas lösen; allerdings vergrößern sicht oder Maske des Schauspielers) oder das lateinische «personare»
die Denkwege, die man beschreiten muss, wenn man zum einen Gott (hindurchtönen) an.35 Das Antlitz ist einerseits der «Spiegel der Seele»
über drei Personen gelangen will, nur immer offensichtlicher den und ermöglicht andererseits ihr sichtbares Dasein im Gegenüber zu
Abstand zum neutestamentlichen Ausgangspunkt. einem Du. So läßt sich «Person» als Schnittstelle zwischen innen (Tran-
szendenz) und außen (Immanenz) interpretieren. Interessanterweise
4.6. Ausblick scheinen aber die mit dem Personbegriff verbundenen Bedeutungen
von Rolle und Relation bisher einseitig zum Ausbau des Außenanteils
Eine bis auf die neutestamentlichen Anfänge zurückgehende Refor- geführt zu haben. Daher stellt sich die Frage: Ist in der Philosophie der
mation der christlichen Gotteslehre müsste die Gestalt einer ganz im Gegenwart ein Personbegriff, der die Transzendenz Gottes in die Imma-
Kyrios zentrierten einpersönlichen Trinitätslehre annehmen.32 Ihr all- nenz einer erfahrbaren Person integrieren kann, denkbar? Andererseits
gemeiner Umriss sei noch einmal formuliert: Gott ist dem Wesen und wird das benötigte Personverständnis die relationale Komponente gut
der Person nach einer. Dieser eine Gott ist der Kyrios Jesus Christus. aufnehmen können. Denn erstens sind im Kyrios die Unendlichkeit und
In dieser einen göttlichen Person sind drei «Hypostasen» zu unter- die Überschaubarkeit Gottes aufeinander bezogen, und zweitens kann
scheiden: das Göttliche des Vaters, das verherrlichte Menschliche dieser überschaubare und somit schaubare Gott dadurch in ein neues
oder schaubare Göttliche des Sohnes und das von diesem Mittelpunkt Verhältnis zu den endlichen Personen eintreten.
ausgehende Göttliche des Geistes. Wir haben diesen Ansatz mehrfach War die Person als das Ende der Wege Gottes schon im Anfang da?
erwähnt. Wir haben ihn auch aus der Schrift begründet. Wir haben Oder anders formuliert: Kann der Ewige jemand werden, der er nicht

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schon immer ist? Diese Frage können wir vom Prolog des Johannes- problem der altkirchlichen Fassung der Trinitätslehre. «Immanente und
evangeliums her so beantworten: Das Wort ist die ewige Gestalt oder ökonomische Trinität» müssen in der Tat als Einheit gedacht werden;
Selbsterfassung Gottes, die er später im Fleisch und schließlich in der so aber kann das Problem nur im Horizont des altkirchlichen Denkens
Leiblichkeit des Auferstandenen vollkommen realisiert hat. Außerdem erscheinen und formuliert werden. Uns eröffnete sich eine andere Sicht:
sehen wir, dass der von der «Kraft des Höchsten» gezeugte Mensch of- Der «Sohn» meint in den Evangelien und im Apostolikum den Men-
fenbar aufgrund seiner besonderen Zeugung die Unendlichkeit Gottes schen Jesus von Nazareth; daher ist «Sohn» ein christologischer Begriff.
als personales Gegenüber erfahren konnte. Doch alle anderen Menschen Der «Sohn» wurde jedoch in den Kabod Jahwes aufgenommen; daher
können den unendlichen Geist nur im Kyrios als Person erfassen.36 ist «Sohn» auch ein trinitarischer Begriff. Christologie und Trinitätslehre
Inwiefern ist die einpersönliche Trinitätslehre mehr als Modalis- sind also als Einheit zu denken. In der Lösung dieser Aufgabe besteht
mus? Erstens unterscheidet sie zwischen dem unendlichen Geist Got- die Neukonstruktion der christlichen Gotteslehre.
tes und seiner Selbsterfassung als Logos; und Fleisch wurde der Logos. Schluss
Zweitens ist dieser auf so einzigartige Weise geborene Sohn in seiner
vorösterlichen Existenz deutlich von seinem Vater unterscheidbar. Das Anmerkungen
gilt auch für das Johannesevangelium, obwohl hier das nachösterliche 1 Zu den Schwächen der triadischen Formeln als Schriftbeweise für die Trinitätslehre
äußert sich Pannenberg in STh 1,327-329. Im Neuen Testament sind zwar triadi-
Licht die vorösterliche Existenz auf gründlichsten durchhellt hat. Den-
sche Formeln aber nicht die Trinitätslehre des vierten Jahrhunderts zu finden. Die
noch gilt auch hier: Der Sohn befindet sich erst noch auf dem Weg Formeln deuten eine Zusammengehörigkeit von Vater, Sohn und Geist an; aber
seiner Verherrlichung oder synoptisch gesprochen: auf dem Weg wie diese zu denken ist, sagen sie nicht.
nach Jerusalem. Drittens ist das Christus- als Logosgeschehen ein 2 Adolf von Harnack, Das Wesen des Christentums, Leipzig 1902, 91.
Schöpfungsgeschehen. Und diese neue Schöpfung Gottes ist nicht 3 Pss. 47; 93; 96; 97; 98; 99.
schon «der einziggeborene Sohn». Die Neuschöpfung Gottes ist die 4 Diese Reflexionszitate liegen in Mt 1,23; 2,6.15.18.23; 4,15f; 8,17; 12,18-21;
(13,14f); 13,35; 21,5; 27,9f vor. Vgl. Wilhelm Rothfuchs, Die Erfüllungszitate des
Leiblichkeit des Auferstandenen; sie ist eine integrale Wesenskompo-
Matthäus-Evangeliums, BWANT 88, Stuttgart 1969.
nente des ewigen Gottes geworden. Daher ist Gott im Sohn nicht ein- 5 Griech. «prosopon» bedeutet «Gesicht» und «Person». Zu Jesus Christus als das
fach nur erschienen; durch die Verherrlichung seines Sterbewesens ist Gesicht oder die Person Gottes könnte man auch die beiden folgenden Stellen
Gott selbst ein anderer geworden.37 Daher müssen wir im Kyrios drei untersuchen: Paulus spricht von «der Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes im Gesicht
Wesensschichten unterscheiden: Die Unendlichkeit Gottes, die Selbst- (en prosopo) Jesu Christi» (2. Kor 4,6). Und in der Geschichte von der Verwand-
erfassung Gottes im uranfänglichen und dann im fleischgewordenen lung des Leibes Jesu auf dem Berg heißt es: «… und er wurde vor ihnen umgestaltet
und verherrlichten Wort und schließlich die von diesem personalen und sein Gesicht (prosopon) leuchtete wie die Sonne …» (Mt 17,2). Lukas bringt
außerdem den Begriff der Herrlichkeit mit ins Spiel (Lk 9,32). Der Kabod Jahwes
Mittelpunkt wieder in alle Unendlichkeit ausgehende Dynamis des
schuf sich in Jesus ein Gesicht, durch das er bei den Menschen sein kann alle Tage
Geistes, die nun aber eine personale Struktur hat und überall, wo bis an der Welt Ende. Klemens von Rom schrieb um 96 einen Brief an die Gemeinde
Menschen an Jesus Christus glauben, als Person erfahrbar ist. in Korinth; darin heißt es: «Durch Jesus Christus «schauen wir wie im Spiegel sein
Die einpersönliche Trinitätslehre scheint eine ganz andere als die (Gottes) untadeliges und allerhöchstes Anlitz (ten … opsin)» (1. Klemensbrief
dreipersönliche zu sein. Dennoch sollte man die strukturelle Ähnlichkeit 36,2).
nicht übersehen. Denn aus dem einen Wesen in drei «Seinsweisen» 6 Irenäus von Lyon formulierte: «Der Vater ist das Unsichtbare des Sohnes, und der
Sohn das Sichtbare des Vaters.» (adv. haer. IV 6,6).
wurden drei «Seinsweisen» in einer Person. Jeder christliche und somit
7 Vgl. Jean Zumstein: «Der Mensch Jesus ist niemand anders als Gott selbst inmitten
trinitarische Monotheismus muss Dreiheit und Einheit verbinden. Die der Welt.» (Kreative Erinnerung: Relecture und Auslegung im Johannesevangelium,
einpersönliche Trinitätslehre erfasst die Einheit Gottes jedoch in der Zürich 1999, 95).
Person Christi. Damit überwindet sie die Zerlegung der christlichen 8 Diesbezügliche Beobachtungen bei Ferdinand Hahn, Christologische Hoheitstitel:
Gotteslehre in eine Trinitätslehre und eine Christologie: das Folge- Ihre Geschichte im frühen Christentum, Göttingen 1963, 117-120. Der «Tag

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Jahwes» wird im Neuen Testament als «Tag des Kyrios» auf Jesus bezogen (Vgl. 1. sens. Neben der oben gewählten Übersetzung findet man auch: «Gott war es, der
Kor 5,5; 1. Thess 5,2; 2. Thess 2,2; ausdrücklich christianisiert 1. Kor 1,8; 2. Kor in Christus die Welt mit sich versöhnt hat …» (2. Kor 19 nach der Einheitsüberset-
1,14). Jesaja 40,3 wird in den Evangelien an herausragender Stelle auf den Kyrios zung). Die oben gewählte Übersetzung begründet Ottfried Hofius, Paulusstudien,
Jesus bezogen (Mk 1,3 parr). Auf Joel 3,5 wird ausdrücklich in Apg 2,21 und Röm WUNT 51, Tübingen 1994, 19 ausführlich.
10,13 Bezug genommen. In 2. Kor 12,8 haben wir einen eindeutigen Beleg für das 13 Heinz Schürmann, Das Lukasevangelium, Bd. 1, HThK III/1, Freiburg 1984, 55.
Gebet zu Jesus als Kyrios. Auch das Apostolikum kennt noch keinen von Ewigkeit her geborenen Sohn. Statt-
9 Auch andere frühchristliche Schriften bezeugen den Glauben an die Gottheit dessen kennt es den vom heiligen Geist empfangenen und von der Jungfrau Maria
Jesu Christi. Zur Zeit des Kaisers Trajan (98 bis 117) wurde Bischof Ignatius von geborenen Sohn.
Antiochien von Syrien nach Rom geschleppt und in der Arena von wilden Tieren 14 Während Doxa «in der gesamten außerbiblischen Gräzität» die Bedeutung von
zerrissen. Auf dieser Reise schrieb er sieben Briefe. Die Christen in Rom bat er «Meinung» hat (ThWNT II,236f), geht seine neutestamentliche Sinnfüllung vermit-
eindringlich, keine Schritte zu seiner Rettung zu unternehmen; denn, so schrieb telt durch die Septuaginta auf den alttestamentlichen Kabod zurück. Herrlichkeit
er: «Gestattet mir, ein Nachahmer des Leidens meines Gottes zu sein!» (Ign. Rm. bezeichnet «die Erscheinungsweise Jahwes». Und da Kabod zunächst das «Gewich-
6,3; zitiert nach: Schriften des Urchristentums, Bd. 1, hrsg. v. Joseph A. Fischer, tige» und «Schwere» bedeutet, muss auch «die Wucht der göttlichen Erscheinung»
Darmstadt 1986). Ignatius bezeichnete Jesus mehrfach und ohne Scheu als Gott: mitgehört werden (Walther Zimmerli, Grundriß der alttestamentlichen Theologie,
«Ich preise Jesus Christus, den Gott» (Ign. Sm. 1,1; ebenso Eph. 18,2 und Rm 3,3). Stuttgart 1989, 67).
Noch eine Generation später mahnte der Prediger des 2. Klemensbriefes (um 140/ 15 In Bezug auf den irdischen Sohn kann man von Subordination sprechen. Denn Jesus
50): «Brüder, über Jesus Christus müssen wir so denken wie über Gott» (2. Klem wird in den neutestamentlichen Schriften als jemand geschildert, der seinen eigenen
1,1; zitiert nach: Schriften des Urchristentums, Bd. 2, hrsg. v. Klaus Wengst, Darm- Willen als Mensch ganz und gar dem Willen seines göttlichen Vaters untergeordnet
stadt 1984). Selbst Außenstehende konnten nicht übersehen, dass die Christen hat, so dass er schließlich die Gestalt dieses Willens wurde. Nach einem vorpauli-
Jesus als Gott verehrten. Caius Plinius der Jüngere berichtet in einem berühmten nischen Hymnus früher Christen war der Erniedrigte gehorsam bis zum Tod (Phil
Brief an Kaiser Trajan (um 112/3), dass die christliche Gemeinde Lieder sang für 2,6-11). Das Gebet im Garten Gethsemane war die letzte und schwerste Übung im
«Christus als Gott» («Christo quasi deo«; Brief X,96 in: Peter Guyot u. Richard Klein Gehorsam (Mk 14,32-42 parr). Doch die gesamte Gebetspraxis Jesu zielte auf die
(Hrsg.), Das frühe Christentum bis zum Ende der Verfolgungen, Bd. 1, Darmstadt Unterordnung seines menschlichen Willens unter dem göttlichen. Diese Vermutung
1993, 38-43). ergibt sich aus dem Vaterunser, in dem die Gottesherrschaft und die Verwirklichung
10 Siehe vor allem Deuterojesaja: Jes 43,11; 44,6.24; 45,21f; 47,4; 48,17; 49,26; des göttlichen Willens erbeten wird (Mt 6,9-13). Nach Joh 5,19-23 empfängt sich
54,5.8. Aber auch Tritojesaja 63,16, Hos 13,4, Jer 50,34; Ps 19,15; 31,6; 130,7f. der Sohn in seinem Tun aus dem Willen seines göttlichen Vaters. Josef Blank meinte:
«Ich, ich bin Jahwe, und außer mir gibt es keinen Retter.» (Jes 43,11). «Einen «… als ‹Sohn› weiß Jesus sich grundsätzlich an den Willen des Vaters verwiesen, so
gerechten und rettenden Gott gibt es außer mir nicht.» (Jes 45,21). «Ich bin Jahwe, daß er eigentlich gar nichts ‹von sich aus›, das heißt aus eigener Initiative und eige-
dein Gott vom Lande Ägypten her. Einen Gott außer mir kennst du nicht, und es nem Wollen heraus tun kann. Gegenüber allem menschlichen Handeln und Sein-
gibt keinen (anderen) Retter als mich.» (Hos 13,4). wollen ‹aus sich heraus›, aus absolut verstandener Autonomie heraus, das sich eben
11 Joachim Gnilka weist darauf hin, dass Jesus durch die Zusage des Mitseins an die dadurch zu Gott in Gegensatz stellt, betont Jesus seine uneingeschränkte Abhängig-
Stelle Jahwes tritt: «Die Zusage des Mitseins hat gleichfalls ihr Vorbild im AT, wo keit von Gott dem Vater. Positiv ist damit ausgedrückt, daß durch und in Jesus Gott
Jahve dem einzelnen, dem von ihm Gesendeten oder ganz Israel genau dies verhei- handelt.» (Das Evangelium nach Johannes, Bd. 1b, Düsseldorf 1981, 22). Nach Joh
ßen konnte (Gn 26,24; Ex 3,12; Dt 20,1.4; 31,6; Jos 1,9; Ri 6,12.16; Is 41,10; 43,5). 4,34 war das Tun des göttlichen Willens die Speise Jesu. Aus diesem Willen baute er
Jesus tritt auch hier am die Stelle Jahves und übernimmt dessen Amt im Hinblick seine geistige Leiblichkeit auf. Nach Lk 2,49 gehörte schon das Kind in die Sphäre
auf das neue Gottesvolk.» (Das Matthäusevangelium, Bd. 2, HThK I/2, Feiburg seines Vaters (wörtlich: «in dem meines Vaters»). Und er machte Fortschritte «in der
1988, 510). Auch die Forderung seine Gebote zu bewahren (Mt 28,20a), rückt Weisheit und im Alter und in der Gnade» (Lk 2,52). Die Entwicklung Jesu von der
den Erhöhten in die Nähe Jahwes: «Die Vorstellung und die Formulierungsweise Kindheit bis hin zur letzten Gehorsamsprüfung verstehen wir als eine beständige
haben ihre Vorbilder im AT: ‹Wenn sie nur alles halten, was ich ihnen im ganzen Unterordnung oder Subordination seines eigenen Willens unter dem göttlichen.
Gesetz … befohlen habe› (2 Chr 33,8; vgl. Ex 34,32; Dt 4,2; 12,14). Im Gehorsam 16 Zu den Ansätzen des johanneischen Erhöhungs- und Verherrlichungsgedankens in
gegenüber dieser Weisung realisiert sich Volk Gottes, wahres Israel. Jesus erscheint der urchristlichen Tradition vgl. Rudolf Schnackenburg, Das Johannesevangelium,
nicht als neuer Mose, sondern in seiner Erhöhung als Gottes Stellvertreter, der wie Bd. 2, HThK IV/2, Freiburg 1971, 505-510.
einst Jahve Weisung gibt und Heil zusagt.» (a.a.O., 510). 17 Siehe Joh 5,24.30.36-38; 6,29.44.57; 7,16.18.28.29.33; 8,16.18.26.29.42; 9,4;
12 Hinsichtlich der grammatisch-syntaktischen Analyse von 2. Kor 19 besteht ein Dis- 10,36; 11,42; 12,44.45.49; 14,24; 15,21; 16,5; 17,3.8.18.21.23.25.

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18 Die Rede von der Sendung kennzeichnet den Sohn nicht als die präexistente zweite wirkende Christus.» (Biblische Theologie des Neuen Testaments, Bd. 2, Göttingen
Person Gottes, sondern als den Boten Gottes in der Welt: «Von sich aus setzen diese 1999, 261f). Jean Zumstein: «Der nachösterliche Paraklet ist in gewisser Weise der
Worte [pempo und apostello] gewiß keine Präexistenz voraus, da sie anderswo in Doppelgänger des vorösterlichen Jesus.» (Kreative Erinnerung, Zürich 1999, 56).
der Bibel regelmäßig von den Propheten und auch von Jesus als Gottes ‹Sohn› (Mk 27 Wilfried Joest wehrt sich dagegen, die Wirklichkeit des heiligen Geistes «unpersön-
12,2-6 parr) ohne eine solche Implikation verwendet werden (vgl. Lk 4,43 mit Mk lich, als bloße von Gott ausgehende Kraft zu verstehen» (Dogmatik, Bd. 1, Göt-
1,38; auch Mt 15,24). Johannes gebraucht sie vom Täufer (1,6.33; 3,28) und von tingen 1995, 337). Zwar werde vom heiligen Geist so gesprochen, als sei er eine
menschlichen Bevollmächtigten im allgemeinen (7,18; 13,16). Tatsächlich bringen Kraft, ein Raum oder Kraftfeld und eine Gabe, aber gleichzeitig wird von ihm auch
sie regelmäßig eine Abhängigkeit und Unterordnung zum Ausdruck, nämlich, daß in personhafter Weise gesprochen, so dass man sagen muss: In dem, «was von
der Beauftragte dem Auftraggeber, den er vertritt und in dessen Namen er handelt, Gott ausgeht», ist «Gott selbst «in Person» gegenwärtig» (a.a.O., 1,308f). Diese
voll verantwortlich ist. Er kann nichts ‹aus sich selbst› sagen oder tun – nur was Gegenwehr von Joest ermöglicht uns die Verdeutlichung der eigenen Aussage: Der
ihm ‹gegeben› oder ‹gesagt› worden ist.» (John A. T. Robinson, Johannes – Das heilige Geist ist keine unpersönliche Kraft. Allerdings ist er auch keine dritte Person.
Evangelium der Ursprünge, Wuppertal 1999, 377). Jan-Adolf Bühner hat die These Vielmehr ist er die Anwesenheit und Wirksamkeit der einen göttlichen Person des
vertreten, dass der die johanneische Christologie bestimmende Sendungsgedanke Kyrios. Zwar muss man den Geist des Kyrios vom Kyrios selbst als der persönlichen
seine primären Analogien im frühjüdischen Botenverständnis hat, das dem Grund- Mitte seiner Allwirksamkeit unterscheiden, dennoch gilt: Überall, wo der heilige
satz folgt: «Der Abgesandte eines Menschen ist wie dieser selbst» (mBer 5,5), und Geist erfahren wird, da wird niemand anders als der Kyrios selbst erfahren. Daher
den Boten «personenstandsrechtlich an den Sendenden» bindet (Der Gesandte ist der Geist keine unpersönliche Auswirkung eines im übrigen «in Distanz blei-
und sein Weg im vierten Evangelium, Tübingen 1977, 423). benden Gottes» (a.a.O., 1,309). Vielmehr ist er die wirksame Anwesenheit des
19 Mehrere Handschriften lesen hier statt «Gott» «Sohn». Mit P66 (um 200) und P75 Christengottes; und daher wird dieses im Glauben erfahrbare Sein im Kraftfeld des
(3. Jhd.) sprechen jedoch «Handschriften ganz besonderer Qualität» (Kurt und Geistes als das Aufgehobensein in der warmherzigen Nähe Jesu erlebt.
Barbara Aland, Der Text des Neuen Testaments, Stuttgart 1982, 167) für die Lesart 28 Da Karl Barth hypostasis mit «Seinsweise» wiedergibt (KD I/1 379), hätten wir
«Gott». Auch der Zuammenhang mit Joh 1,1 – dort wurde der Logos als «Gott» uns dem gerne angeschlossen und von drei Seinsweisen (Gottes) in einer Person
bezeichnet – spricht für die schwierigere Lesart. Der «Sohn» kam wohl aufgrund gesprochen. Doch zwei Gründe haben uns bewogen, von «Wesensschichten» zu
von Joh 3,16.18 in den Prolog. Das ist eine trinitätstheologisch interessante Anglei- sprechen. Erstens wollten wir neben den im Zusammenhang der Trinitätslehre
chung. Denn sie taucht erstmals in Handschriften aus dem 5. Jahrhundert auf und geläufigen Begriffen «Wesen» und «Person» nicht auch noch den des Seins einfüh-
somit nach den trinitarischen Entscheidungen des 4. Jahrhunderts. ren. Daher blieb nur die Vorstellung von drei Wesen(heiten) in einer Person übrig.
20 Luther übersetzte «monogenes» (Joh 3,16.18) mit «eingeboren» (Das Neue Und da wir uns zweitens diese Wesen(heiten) ineinander angeordnet denken, bot
Testament von D. Martin Luther. Ausgabe letzter Hand 1545/46. Unveränderter es sich an, von Schichten zu sprechen. Wir ersetzen also das Oben-unten-Schema
Text in modernisierter Orthographie, Stuttgart 1982). Hintergrund dieser Über- durch das Innen-außen-Schema und unterscheiden gleichzeitig zwischen Hypos-
setzung ist wahrscheinlich die Vorstellung des ewigen Sohnes. Walter Bauer gibt tase und Person.
als Bedeutung jedoch an: «Im joh. Sprachgebr. v. Jesus einzigerzeugt od. vom 29 Vgl. Jean Zumstein: «Die ersten Worte des Prologs, ‹am Anfang› (1,1), sind eine
Einzigen erzeugt» (Griechisch-Deutsches Wörterbuch zu den Schriften des Neuen klare Anspielung auf Genesis 1,1. Der Entschluss, das Evangelium auf Anhieb mit
Testaments und der übrigen urchristlichen Literatur, Berlin 1971, Sp. 1043). den ersten Worten der Thora in Beziehung zu setzen, ist natürlich aussagekräftig.
21 Ingo Hermann, Kyrios und Pneuma: Studien zur Christologie der paulinischen Die Adressaten des Werks werden auf den grundlegenden Inhalt der alttestament-
Hauptbriefe, München 1961, 49. lich-jüdischen Tradition verwiesen. Es wird also vom Gott Israels und von seiner
22 I. Hermann, a.a.O., 49. Schöpfung die Rede sein.» (Kreative Erinnerung, Zürich 1999, 89).
23 I. Hermann, a.a.O., 50. 30 Dass nach dem heutigen Verständnis von Person die Rede von drei göttlichen Per-
24 I. Hermann, a.a.O., 140. Die hypostatische Verselbständigung des Geistes zu sonen zur Vorstellung von drei persönlichen Göttern, also zum Tritheismus, führt,
einem Dritten neben Vater und Sohn läßt sich als eine Folge der Hypostasierung wird gesehen. Wilfried Joest: «Der Personbegriff hat im neuzeitlichen Verständnis
des Sohnes betrachten (siehe Geoffrey Lampe, God as Spirit: The Bampton Lec- eine Bedeutung angenommen, die von dem, was die altkirchliche Trinitätstheolo-
tures 1976, Oxford 1977, 210 vgl. 132f. Den Hinweis verdanken wir Pannenberg gie unter ‹persona› bzw. ‹hypostasis› verstand, verschieden ist. Er wird weithin auf
STh 1,293). das individuelle Selbst und Selbstbewußtsein des Menschen bezogen, auf das Ich
25 Jean Zumstein, Kreative Erinnerung: Relecture und Auslegung im Johannesevan- in seinem Gegenüber zu anderm Ich. Unbesehen auf die Relation der ‹Personen› in
gelium, Zürich 1999, 116. Gott übertragen, müßte das zu einer tritheistischen Vorstellung führen.» (Dogma-
26 Peter Stuhlmacher: «Der Paraklet ist der als Geist vor Gott und unter den Menschen tik, Bd. 1, Göttingen 1995, 335). Paul Althaus: «Gefährlich wurde der Begriff der

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Person, als man diesen seinen altkirchlichen und mittelalterlichen Sinn verkannte werden, weil sein menschliches Ich für das göttliche Ich-bin empfänglich war, so
und ihn durch den Sinn, welcher der Personbegriff in der Christologie hat, ersetzte dass hier eine wechselseitige Beziehung zwischen dem Endlichen und dem Unend-
… damit ist persona etwas völlig anderes geworden als die ‹Hypostase› der alten lichen möglich war.
Theologie. Die Einheit Gottes wird tritheistisch gefährdet. Die Dogmatik kann die 35 Pannenberg fasst die Bedeutung von prosopon bzw. persona in der vorchristlichen
Formel von den drei Personen nur dann weiterführen, wenn sie sich dessen bewußt Antike so zusammen: «Im Griechischen bezeichnet prosopon seit Homer ‹Antlitz›.
ist und es klar ausspricht, daß ‹Person› innerhalb der Trinitätslehre nichts zu tun Von daher erklärt sich dann die Verwendung des Wortes für die Maske des Schau-
hat mit dem heutigen Begriff der Person als einer ‹durch unübertragbare Akte des spielers bei der Darstellung einer bestimmten Rolle. Diesen Sinn hat auch das latei-
Selbstbewußtsein und der Selbstbestimmung in sich abgeschlossenen psychischen nische Wort ‹persona›, das die Assoziation der durch die Maske hindurchtönenden
Lebenseinheit› (O. Kirn). In diesem Sinne von drei Personen zu sprechen wäre Stimme mit sich führt. Beide Wörter bezeichnen metonymisch auch die Rolle, die
Tritheismus.» (Die christliche Wahrheit, Bd. 2, Gütersloh 1948, 520). Wenn man der Träger der Maske spielt, und den dadurch dargestellten Charakter. Darauf fußt
als Theologe mit der eigenen Sprache keine Fremdsprache reden will, dann ist der der übertragene Gebrauch der Bezeichnung ‹persona› für die gesellschaftliche
Personbegriff nur noch geeignet, um mit ihm die Einheit Gottes auszusagen. Als Rolle, die jemand spielt. Die Verbindung dieser übertragenen Bedeutung mit
Übersetzung von hypostasis ist er nicht mehr zu gebrauchen. Deswegen haben wir der Grundbedeutung von ‹Antlitz› macht verständlich, dass im Späthellenismus
vorgeschlagen, von drei Hypostasen in einer Person zu reden. Nach Pannenberg prosopon und persona zu Bezeichnungen für die Individuen wurden. Man sprach
ist jedoch «die Behauptung verfehlt, der trinitarische Personbegriff habe nichts mit von einer Anzahl von Personen, wie es auch heute noch geschieht. In diesem
der modernen Auffassung von Person zu tun», obgleich es «in der Tat bedeutende Sinne fand der Begriff Person schließlich auch Eingang in die Rechtssprache der
Unterschiede zwischen menschlichem Personsein und der göttlichen Personalität Spätantike.» (Grundfragen systematischer Theologie: Gesammelte Aufsätze, Bd. 2,
von Vater, Sohn und Geist» gibt (STh 1,465). Göttingen 1980, 80f).
31 Zur Verbindung des alttestamentlichen Jahwes und des neutestamentlichen Kyrios 36 Die Menschen können Gott nicht sehen: vgl. Ex 33,20; Joh 1,18; 5,37.
mit der Sonne vgl.: Hans-Peter Stähli, Solare Elemente im Jahweglauben des Alten 37 Wie verhält sich dieser Gedanke zum Grundsatz der Unveränderlichkeit Gottes?
Testaments, OBO 66, Göttingen 1985. Franz Joseph Dölger, Sol Salutis: Gebet
und Gesang im christlichen Altertum mit besonderer Rücksicht auf die Ostung in
Gebet und Liturgie, Münster 1925. Hugo Rahner: Das christliche Mysterium von
Sonne und Mond, in: Eranos-Jahrbuch X/1943, Zürich 1944, 305-404. Vgl. auch

32
Jes 60,20; Ps 84,12; Mal 3,20. Lk 1,78f; Mt 5,45; Mt 17,2; Offb 1,16.
Die Selbstoffenbarung Gottes in Jesus Christus darf nicht nur der Ausgangspunkt
Leserforum
der Trinitätslehre sein; sie muss auch ihr Brennpunkt sein. Dieser Gedanke ist
zumindest formal gar nicht so weit von Barths Christozentrismus entfernt. Die Wur-
Im letzten Heft der OT zitiert Jür- Bei der Denkwürdigkeit Nr. 42 – es
gen Kramke aus einer Denkwür- handelt darin davon, dass zu Swe-
zel der Trinitätslehre ist die Offenbarung (KD I/1 329); aber nicht abstrakt, sondern
denborg ein Engel in einem Wagen
in Gestalt des Herrn und somit zusammengefasst in dem Satz: «Gott offenbart sich digkeit in der „Ehelichen Liebe“:
kam, und beim Näherkommen
als der Herr» (KD I/1 331). In dieser gestalthaften Zusammenfassung sind die drei
Wir werden daher vermöge der uns waren es zwei, Mann und Frau.
«Seinsweisen» als der dreifache Sinn des einen Herrseins enthalten: «Er kann unser
gegebenen Erlaubnis ein Ehepaar Nun interpretiert Kramke dies als
Gott sein, weil er in allen seinen Seinsweisen sich selbst gleich, ein und derselbe
Herr ist.» (KD I/1 403). zu dir hinabsenden, damit du es entsprechendes Bild der Ehe des
33 Robert Spaemann, Personen: Versuche über den Unterschied zwischen ‹etwas› und sehest.“ Und siehe, es erschien nun Guten und Wahren, und ich ver-
‹jemand›, Stuttgart 1998. Theo Kobusch, Die Entdeckung der Person: Metaphysik ein Wagen, der vom dritten oder stehe Kramke so, dass er glaubt, es
der Freiheit und modernes Menschenbild, Darmstadt 1997. Regina Radlbeck, Der höchsten Himmel herabfuhr, und war nur ein Engel, aber weil er ein
Personbegriff in der Trinitätstheologie der Gegenwart – untersucht am Beispiel der in dem man einen Engel sah; sowie vollkommener Mensch/Engel vom
Entwürfe Jürgen Moltmanns und Walter Kaspers, Regensburg 1989. Konrad Stock, er aber näher kam, sah man zwei in dritten Himmel ist, und sich Swe-
Person, in: TRE XXVI (1996) 220-231. demselben... denborgs Sphäre angepasst hat,
34 Bei der Weiterentwicklung unserer Theologie werden wir also grundsätzlich an das erscheint er, weil in ihm die Ehe des
relationale Personverständnis Pannenbergs anknüpfen (siehe 2.2.2.) und somit
Dazu äußert sicht Franz Guten und Wahren herrscht, ent-
das Personsein des (schaubaren) Sohnes von seiner Beziehung zum (unschau- Kreuzwegerer in einem Brief an sprechungsmäßig als Mann und
baren) Vater her verstehen. Der von Gott gezeugte Sohn konnte zur Person Gottes die Schriftleitung: Frau. (Seite 108 und 109).

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Nun denke ich, dass er sich wie egal mit welchem Kenntnis-
schon bei seinem letzten Artikel,
hintergrund, oder gar unsere
„Denken wir aus uns selbst oder
wird durch uns gedacht“ zu sehr Gemeinschaft, durch die abwei-
in die Entsprechung versteigt. Ich chende Ansicht gefährdet oder
meine, dass es zwei Engel – Mann geschädigt werden könnte.
und Frau – waren, die aufgrund
Vielmehr bin ich zur Überzeu-
ihrer wahren ehel. Liebe, in der Ent-
fernung als „ein Engel“ erschienen.
gung gelangt, Swedenborgs
Wenn Hr. Kramkes Ansicht Äußerungen seien oftmals
richtig wäre, dann frage ich mich: genau so erklärungsbedürftig,
Wie wird mir der Herr erscheinen, wie die Texte oder Vorgän-
in dem doch die göttliche Ehe
des Guten und Wahren ist? Wird
ge, auf die sie sich beziehen.
er auch als Mann und Frau, oder Und eigentlich scheint mir
Vater und Sohn in meiner Sphäre das selbstverständlich, denn
erscheinen, weil doch der Vater wäre es anders, wären wir ja
dem Guten und der Sohn dem
Wahren entspricht?
gezwungen, Dinge so und nur
so zu sehen, wodurch unsere
Franz Kreuzwegerer wirft persönliche Freiheit wie auch
in der Folge der Schriftleitung unser persönlicher Denkanteil
Verantwortungslosigkeit vor, da arg eingeschränkt würde. Ich
sie Jürgen Kramkes vollkommen beziehe mich wieder einwenig
falsche Ansicht nicht durch ei- auf Ludwig Tafel, wenn ich an-
nen korrigierenden Kommentar nehme, der Herr werde jeden
entschärft habe. engagierten Leser Sweden-
Nun, die Schriftleitung bin in- borgs zu den für ihn nützlichen
terimsweise zu 100% ich, und Ansichten anleiten. Dies also
ich nehme an, man wird mich ist lediglich meine persönliche
teilweise entschuldigen, da ich Ansicht.
ja kein Theologe sei. Man kann Welches ist die Ihre? Es wäre
die Sache aber auch anders bestimmt für viele Leser inter-
sehen: essant, die Meinungen anderer
Tatsächlich neige ich selbst kennen zu lernen, sowohl in Be-
in der Deutung der kleinen zug auf die Stelle aus der EL als
Szene auch zur Auffassung von auch auf die grundsätzliche Fest-
Fr. Kreuzwegerer, aber glaube stellung, es seien damit Grenzen
nicht, dass irgendein Leser, überschritten worden. HG
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