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Summary
Ethics and the practice of Isolation äs a means of deflecting danger are discussed here
springing from the departure point of every day practice in the forensic-psychiatric field in
which discourses on politics, justice, medicine and psychology come together and therefore
complement or question each other. First of all the implicit prejudices in the explicit assignation
of "danger" and interactionary determinants are sketched. For dealings with personal and
external acts of violence a concept of "seif care" (Foucault) is presented and discussed with
regard to its significance for the development of an ethical attitude. As concrete social
practice this can serve in so far äs to show respect for and recognition of the freedom of
others, whilst also removing the one-sided accusations of guild, illness and danger versus
responsibility, competence etc. and allowing alternating, congruent and complementary
possibilites of interaction.
En emanant de la pratique forenesique et psychiatrique de tous les jours, oü les discussions Zu diesen zentralen Topoi menschlicher Freiheit und individueller Wahl-
politiques, juridiques, medicales et psychologiques se rencontrent, par consequent se freiheit befragt man, will man in Bildern denken, am besten die antiken
completent et se mettent en question, la contribution presente discute l'ethique et la pratique Mythen. Doch ist dies nicht der einzige Grund, an dieser Stelle nach
de «l'isolement» pour exclure la dangerosite du malade pour la societe. D'abord, l'auteur
ebauche les prejuges implicites dans l'attribution explicite du critere de «dangerosite» et les
dem Rätsel der Sphinx im Mythos des Ödipus (Kobbe 1996d) erneut
determinants de l'interaction. En ce qui concerne le commerce avec la violence d'autrui et einen Mythos - die allegorische Erzählung von Amor und Psyche - als
sä propre violence, une conception de «soin de soi» (Foucault) est presentee et discutee par Bezugspunkt ins Spiel zu bringen: Die therapeutischen und die institu-
rapport ä son importance pour le developpement d'une attitude ethique. En tant que pratique tionellen Praxen der forensische Psychiatrie konfrontieren uns auf eine
concrete et sociale, celle-ci peut servir ä reconnaitre - de nouveau - et ä respecter la liberte
de l'autre dans la mesure oü des attributions unilateraux de culpabilite, de maladie et de
Art und Weise mit Verwicklungen, Entfremdungen und Verkettungen
dangerosite versus les questions de responsabilite, de competence etc. se compensent. Ainsi, (in) der Realität, mit der eigenen wie der fremden Borniertheit und Ver-
il est possible de realiser des possibilites d'interaction reciproques, congruentes et gänglichkeit, daß „ohne Zweck und ohne Interesse" versucht werden
complementaires. muß, eine innere Bewegung zu vollziehen, die „auf das Erkenntnis-
oder auf das Begehrungsvermögen bezogen" ist (Kant 1978, 138-139,
Mots-cle 24). Es handelt sich - philosophisch ausgedrückt - um das Erlebnis des
Erhabenen.
dangerosite - contrainte - ethique - soin de soi - responsabilite
„Kant erklärt, daß das Gefühl des Erhabenen eine Struktur habe, die jener des
sittlichen Gefühls der Achtung gleiche: Wenn ichAchtung für das moralische
„ Wenn man sein Gewissen dressiert, so küßt es uns zugleich, indem es beißt. "' Gesetz empfinde, unterwerfe ich mich ihm, und im Hinblick auf dieses Gesetz
(Nietzsche 1886, 66, Aphorismus 98) bin ich das Individuum, das sich bei seinen Handlungen darum sorgt, das Gesetz
nicht zu verletzen, ebenso wie derjenige handelt, der sich um das Leben eines
«noli me tangere» anderen sorgt [...] Diese besondere Verbindung von Unterwerfung, Abhängig-
keit, Furcht, Grausen, Verwunderung und Befreiung, Entlastung, Erleichterung,
Diese Arbeit beginnt mit einem Bibelzitat aus Johannes, Kap.20, Vers Aufschwung schafft dieStruktur des Erhabenen wie auch die der Achtung und
17. Dieses „Rühre mich nicht an" bezieht sich darauf, daß es in zwi- Würde" (Kosik 1997, 40).
schenmenschlichen Verhältnissen zwangsläufig unmöglich ist, sich nicht
berühren zu lassen. Hier verweisen uns die eigenen Fachdisziplinen Psy- Wie ersichtlich, handelt es sich um eine Thematik der zwischenmensch-
chologie und Psychiatrie auf den interaktiven Ursprung der Psyche, auf lichen Ethik, die insbesondere hinsichtlich der Aspekte von Unterwer-
die eigene Spiegelung im Auge des anderen, auf den von Kohut (1966, fung, Respekt und (Für-)Sorge im weiteren konkreter behandelt werden
569) so benannten „Glanz im Auge der Mutter". Entwicklungsgeschicht- sollen. Folgt man den Angaben Hegels zum Erhabenen, so kann der
lich markiert sich im Blick - noch eher als in der Sprache - die Differenz Rekurs auf eine mythologische Allegorie dazu dienen, in ihr ein Erhabe-
des anderen, der die Macht hat, das Selbst entweder zu bestätigen oder nes wiederzugewinnen, um sich - zumindest vorübergehend - aus der
ihm diese Anerkennung zu verweigern. Zwar befinden wir uns hier ei- wissenschaftlichen Arroganz, dem zweckrational-zielpragmatischen Miß-
nerseits im Raum des Imaginären, andererseits jedoch des durchaus Realen brauch der Vernunft als instrumenteller Vernunft (Kobbe 1991b, 12) zu
(Kobbe 1995a): Es geht um die fundamentale Einschränkung menschli- befreien und eine - u.U. antiquiert erscheinende - Fähigkeit interesselo-
cher Freiheit durch den intersubjektive Differenzierung bewirkenden bzw. sen Urteilens und Freiheit philosophischer Erkenntnis zu garantieren.
sie bestätigenden Blick des anderen, der zugleich fremdkontrolliert und
konfrontiert.
Wie ersichtlich, läßt die progressiv-regressive Abfolge von Pose - Geste Es ist eine von Mishima (1969, 343) literarisch verdichtet als peinliche Prozedur
- Verhalten - Handlung (Kobbe 1995b, 2-4) im individuellen Fall keine beschriebene Examinierung, bei der jener andere „alles abzulegen hatte, bis er
hinreichende Unterscheidung und verläßliche Prognose zu, handelt es splitternackt dastand. Man untersuchte seinen aufgerissenen Mund bis zum letz-
ten Backenzahn, und nachdem ihm gründlich in die Nasenlöcher, in die Ohr-
sich doch strukturell um eine Verwerfung des Symbolischen, d.h. - so
gänge, und nachdem man ihn bei erhobenen Armen von vorn geprüft, mußte er
Foucault (1975, 43) - „in Wirklichkeit [...] um eine Revolte auf der
auf allen vieren kriechen, um von hinten examiniert zu werden. Mit solcher
Ebene der Körper gegen den Körper des Gefängnisses", um ein ebenso Rücksichtslosigkeit behandelt, wurde einem der eigene Körper immer fremder,
reales wie imaginär determiniertes Geschehen. Und auch das Wissen um und man hatte schließlich das Gefühl, lediglich die Gedanken noch blieben einem
die Tatsache, daß die Verbalisierungs- und Kommunikationsfähigkeit als unantastbarer Besitz erhalten. Diese Vorstellung schon bedeutete ein Entrin-
für die intrapsychische Verarbeitung von Konflikten und die Beherr- nen aus all der Erniedrigung."
schung von Impulsen wesentlich sind (vgl. Kobbe 1996a, 299-301), stellt
keineswegs generell eine hinreichende Hilfe dar. Offensichtlich geht es Diese fraglos entwürdigende Prozedur soll suizidale Handlungen ver-
also nicht um das einfach als gefährlich identifizierbare Individuum, hindern. Benque (1996, 28), ehemaliger Abteilungsleiter der medizi-
sondern um - wie zuvor bereits behauptet - um intrapsychisch und nisch-psychiatrischen Abteilung einer Strafvollzugsanstalt, beschreibt den
interaktioneil derart unaushaltbare Situationen, daß mehr oder weniger Verantwortungs- und Entscheidungskonflikt wie folgt:
unausweichlich der Wechsel vom Verhalten zur Handlung erfolgt bzw.
zu erfolgen droht. Die Frage lautet also: Welche geringeren Mittel stän- „Die Realität kommt auf ihre Kosten, wenn ein Gefangener totaufgefunden wird,
den gegebenenfalls zur Verfügung, um dem Patienten eine andere erstickt, nachdem er seine Matratze angezündet hat. «Sie können sagen, was Sie
Verhaltensmöglichkeit zu verschaffen, ihm mehr subjektive Sicherheit, wollen, aber hätte man ihn nackt in der Zelle gelassen, hätte er sein Feuerzeug in
eine größere Distanzierungsmöglichkeit oder eben die benötigte perso- seiner Tasche nicht finden können!» Was die Vorschriften betrifft, verbietet die
nelle Nähe zu geben? Dies allerdings ist meist in der direkten Situation Strafvollzugsordnung Erniedrigungen, autorisiert jedoch auch, dem Getangenen
jeden für ihn oder für andere gefährlichen Gegenstand zu nehmen. Was gibt es
zu beurteilen, mithin nur selten verläßlich zu entscheiden und dürfte
Gefährlicheres als ein Kleidungsstück, mit dem man sich erhängt?".
erfahrungsgemäß zur 'sicherer' erscheinenden Wahl der Absonderung
führen.
Und der Kollege fügt an, in einer solchen, durch den institutionellen
Damit ist die konkrete Situation des Patienten in der Absonderung durch Rahmen bis zu diesem Punkt pervertierten Situation sei es wesentlich,
die Unterbringung im Intensivbehandlungsraum (IBR) bestimmt, der nicht in polarisierende Demagogie zu verfallen. Es müsse vielmehr dar-
nichts außer einer Bodenmatratze, einer Bettdecke und einer Naßzelle um gehen, dem Individuum seinen ursprünglichen Respekt zurückzuge-
enthält und in dem der Patient über eine elektronische Rufanlage mit ben bzw. zu garantieren, sprich, ihm seine Kleidung auszuhändigen.
Krankenpflegepersonal in Verbindung treten kann. Jedoch nicht nur das: Denn, so abermals Basaglia und Basaglia-Ongaro (1980, 60): „Der Dis-
Zu seiner - und seien wir wahrhaftig - auch zur eigenen Sicherheit wird kurs der Würde des Menschen beginnt und endet nicht am Ideenhimmel
dem Patienten nichts von seinem Besitz und seiner Kleidung gelassen, der Philosophen, sondern in der gesellschaftlichen Praxis".