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8 AGENTUREN

Social Media
Hat das klassische Sender-Empfänger-Modell ausgedient?
Jeder kann mittlerweile über soziale Netzwerke in kürzester mich!) mittels Mediageld an die Zielgruppe (die Empfänger)
Zeit und mit wenig Aufwand seine Gedanken mit anderen durchzudrücken. Irrglaube ist, dass das in Zeiten von Social
in der ganzen Welt teilen. Durch die neuen Medien steht der Media und Internet noch funktioniert wie vor 20 Jahren.
Kommunikationsbranche nach Meinung von Fachleuten ein Social Networks und User Generated Conent gewinnen
fundamentaler Wandel bevor. Denn der Prozeß der Mei- rasant an Bedeutung. Jeder kann im Web binnen kürze-
nungsbildung erfolge nicht mehr vornehmlich über klassi- ster Zeit und ohne großen finanziellen Aufwand seine Er-
schen Medien sondern zunehmend über Twitter, Facebook fahrungen, Gedanken und Meinungen über Produkte und
& Co. Damit löse sich auch das herkömmliche Kommunika- Marken mit anderen teilen und dabei enorme Reichweiten
tionsprinzip zwischen Sender und Rezipienten auf (Sender- erlangen.
Empfänger-Modell). Dass diese Sicht der Dinge nicht überall Noch viel wichtiger: über Google & Co. können andere
auf ungeteilte Zustimmung stößt, belegen die hier eingefan- dies blitzschnell auf- und wiederfinden. Die alte Einteilung
genen Wortbeiträge. von Sender und Empfänger ist zudem gar nicht mehr klar
Für Torsten Panzer, Co-Founder & Managing Director zuzuordnen: Der bisherige 'Empfänger' wird heute via Web
Buzzer Germany und Vorstandsvorsitzender des PR Clubs 2.0 oft auch zum Sender. Dadurch wird die 'originale' Nach-
Hamburg, befindet sich das alte Kommunikationsprinzip in richt der Marke verändert, redigiert, kommentiert und geht
Auflösung. Daher sei es auch ein "Irrglaube", dass in Zeiten vielstimmig auf Reisen.
von Social Media und Internet Kommunikation noch funk- Hinzu kommt, dass Marken gerade in Krisenzeiten viel
tioniere wie vor 20 Jahren. an Glaubwürdigkeit und Authentizität verloren haben. Da
Ion Linardatos, Geschäftsführer Straub & Linardatos in fragen viele lieber erstmal ihre Kollegen oder Freunde und
Hamburg, will indes nicht glauben, dass sich mit dem Hype schauen im Web nach, was andere dazu sagen. Studien zei-
um die sozialen Netzwerke auch die Kommunikation, wie gen, dass diese Art der Informationsbeschaffung (Word of
wir sie kennen, zu etwas völlig Neuem weiterentwickeln Mouth) bei Kaufentscheidungen weit vorne liegt. Das heißt
wird. Er argumentiert, dass das Sender-Empfänger-Modell nicht, dass klassisches Marketing keine Awareness mehr
vielmehr auch für die neuen Medien gilt. aufbauen kann; seine Glaubwürdigkeit wird jedoch täglich
Dritter im Bunde ist Wolfgang Lünenbürger-Reidenbach, stärker hinterfragt.
der seit 2009 als Management Supervisor Digitale Strategie Es kommt heute ergo mehr denn je auf die Qualität der
bei achtung! in Hamburg fungiert. Er stand zuvor als Head Produkte und ihrer Kommunikation an. Denn nur diese kann
of Social Media EMEA bei der PR-Firma Edelman in Dien- letztendlich überzeugen und schließlich zum Kauf führen.
sten. Für Lünenbürger-Reidenbach ist die Frage, ob sich das Marktschreierei und Schönfärberei können ansonsten schnell
Sender-Empfänger-Prinzip in Auflösung befindet, irrelevant. zum Bumerang werden. Marken sollten dies als Chance und
Vielmehr vertritt er die Position: "Wer glaubt, das alte Mo- nicht als Bedrohung empfinden. Vielleicht eher mal zuhören
dell habe je so funktioniert, machte sich schon immer etwas und einen Dialog führen als immer nur 'senden'.
vor." Dass dies nicht einfach ist, mehr Zeit und Aufwand bedeu-
tet und daher auch tradierte Strukturen und Arbeitsweisen
Das 'Push-Prinzip' im Marketing in Frage stellt, liegt auf der Hand. Es könnte
funktioniert nicht mehr sich allerdings lohnen. Denn eines hat sich kaum verändert:
Torsten Panzer, Co- "Märkte sind Gespräche" – das Cluetrain Manifest lässt grü-
Founder & Managing Di- ßen!
rector Buzzer Germany
in Hamburg Nichts Neues im Staate 'Social Media'
Das alte Kommunika- Ion Linardatos, Geschäftsführer Straub & Linardatos in
tionsprinzip des Sender- Hamburg
Empfänger-Modells bzw. In Blogs und Artikeln über die Kommunikation innerhalb
das 'Push-Prinzip', nach der Social Media wird zunehmend argumentiert, dass das
dem heute noch oft gear- alte Kommunikationsprinzip des Sender-Empfänger-Mo-
beitet wird, befindet sich dells aufgeweicht oder durch eine multidirektionale Kom-
in Auflösung. Es reicht munikation abgelöst wird. Häufig wird dabei die Meinung
einfach nicht mehr aus, vertreten, dass Interaktionen und soziale Austauschprozesse
wenn die Marke (der Sen- nur noch in Communities gelöst werden. Wenn das wahr
der) sich eine tolle Idee ist, wird sich die Kommunikation, wie wir sie kennen, zu et-
Torsten Panzer: ausdenkt und dann ver- was völlig Neuem weiterentwickeln. Die Frage ist nur: Ist es
"Märkte sind Gespräche." sucht die Nachricht (kauf wahr?

new business Nr. 11 • 15.03.10 www.new-business.de


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Ich glaube: nein. Denn Denn: Wer glaubt, das alte Modell habe je so funktioniert,
das Prinzip hat sich auch machte sich schon immer etwas vor. Immer schon haben
in den neuen Medien Menschen sich unterhalten und ausgetauscht. Immer schon
nicht geändert, und die haben die Menschen in meinem Umfeld mitbestimmt, wie
Grundstruktur der Kom- ich eine Botschaft wahrnehme und ob ich sie glaube. Neu ist
munikation ist gleich nur, dass wir Kommunikatoren und Marketingverantwortli-
geblieben. Bei jeder che nun diese Gespräche belauschen können. Und dass wir,
Kommunikation gibt es wenn wir es gut, zurückhaltend und demütig anstellen, so-
jemanden, der etwas sen- gar an ihnen teilnehmen können.
det, und jemanden, der Heute kann Werbung, Journalismus, PR, Direktmarke-
empfängt. Ob es jetzt ein ting und auch sonst noch viel an Senderkommunikation,
Redakteur einer Zeitung beispielsweise in den so genannten Sozialen Medien, Schiff-
oder der Verfasser eines bruch erleiden oder Fahrt aufnehmen. Was immer schon
Eintrages in den Social im direkten und persönlichen Umfeld der Fall war, ist nun
Media ist, spielt dabei räumlich entgrenzt – und kann vermittelt durch das Internet
eine nebensächliche Rol- auch schnell die Grenzen der einzelnen Gruppen überschrei-
le, das Prinzip bleibt wei- ten, in kurzen Zeiten Wellen auslösen und Effekte erzielen.
Ion Linardatos: "Bei jeder Kommuni-
kation gibt es jemanden, der etwas terhin bestehen. Obwohl die meisten Communitys kommunikativ wie Dörfer
sendet, und jemanden, der empfängt." Noch immer ist allein funktionieren, sind die Nachbardörfer eben nur einen Maus-
die Relevanz der Nach- klick entfernt.
richt entscheidend, ob Dadurch ändert sich nicht die gesamte Kommunikation
der Empfänger der Information reagiert oder nicht. Und sind oder gar das gesamte Unternehmen, die Medien an sich oder
Diskussionen über Artikel oder Einträge wirklich etwas Neu- was auch immer sonst noch die fiebrigen Propheten des So-
es? Hatten nicht Leserbriefe oder Kommentare immer einen cial Web uns glauben machen wollen, die landauf landab
festen Platz in den sogenannten alten Medien? Nur musste mit ihren Vorträgen tingeln und den Großteil der medialen
sich damalig der Leser die Mühe machen seine Meinung und Wahrnehmung des Themas bestimmen. Wohl aber heißt die-
Gedanken zu Papier zu bringen und dieses einzuschicken. se neue Sichtbarkeit und Geschwindigkeit von Gesprächen
Der Aufwand lohnte sich nur, wenn der Antwortende Inhal- der Konsumenten untereinander, dass wir Kommunikatoren
te vertrat, die ihm bedeutend schienen. Heute wird auf alles uns darauf einstellen und die Social Media als inzwischen
geantwortet und die Kommentare mit wenigen Klicks in den etablierte Arena in alle unsere Maßnahmen einbeziehen
Umlauf gebracht. müssen.
Da stellt sich die Frage nach der Qualität der Ant- Das geht weder mit der
worten. So kommt es, dass der interessierte Leser, um Leugnung ihrer Bedeutung
einen relevanten Kommentar zu finden, sich durch ei- noch mit der Überschätzung,
nen Wust an oberflächlichen Betrachtungen und Ant- sondern nur mit der jahrelan-
worten auf Antworten auf Antworten wälzen muss. gen Erfahrung, die manche
In mir keimt der Verdacht, dass sich nicht das Prin- von uns inzwischen haben,
zip der Kommunikation geändert hat, sondern nur die die statt zu reden lieber schon
Qualität. Doch – wie in jeder Krise – liegt hierin auch Projekte umgesetzt haben
eine Chance: Gerade in diesem allgemeinen Rauschen – wodurch wir einschätzen
stechen originelle Gedanken und wichtige Inhalte können, was geht und was
deutlich hervor. Durch das Rauschen werden sie in nicht geht, wie die Sozialen
alle Welt weiter verbreitet. Und wer, wenn nicht wir Medien funktionieren und
Kommunikationsprofis, soll das Originelle und Wich- was sich tatsächlich ändert.
tige herausarbeiten? Was sich dann je konkret
ändert und ändern muss, ist
Das "alte" Modell hat noch nie funktioniert gar nicht so viel. Hat aber
Wolfgang Lünenbürger-Reidenbach, Management eine große Wirkung. Und es
Supervisor Digitale Strategie achtung! in Hamburg ist gar nicht so schwer. Aber
Wolfgang Lünenbürger-Reidenbach:
Wird das Sender-Empfänger-Modell aufgelöst? – "Wer glaubt, das alte Modell habe je so wer es unterlässt, nutzt die
Nein. Ändert sich alle Kommunikation und wird neu funktioniert, machte sich schon immer Chancen nicht und bringt
und multidirektional? – auch nein! etwas vor." sich in Gefahr.

new business Nr. 11 • 15.03.10 www.new-business.de

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