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„Ich liebe die Tochter meines Peinigers“

Heather Gemmen wurde vergewaltigt – und wurde schwanger.


Heute ist ihre Tochter Rachael neun.

Es war bereits mehr als ein Jahr seit der Totgeburt meiner
Tochter Casey vergangen und es sah so aus, als würden mein
Mann Steve und ich nie das dritte Kind bekommen, das wir uns
so sehnsüchtig wünschten. Jeder Monat der verstrich, brachte
erneut Enttäuschung mit sich.

Ich sass im Wartezimmer meines Arztes wie schon so viele Male


zuvor. Die Arzthelferin war gewohnt, mich dort zu sehen und sie
wusste, wie sehr ich versucht hatte, nach der Totgeburt wieder
schwanger zu werden. Das war wahrscheinlich auch der Grund,
warum sie sich ein gewisses Lächeln nicht verkneifen konnte
und mir zuflüsterte: „Der Doktor wird gleich bei Ihnen sein …
und ich denke, Sie werden sich über das freuen, was er zu sagen
hat.“ Das arme Ding hatte ja keine Ahnung! Der Arzt kam. Und
tatsächlich, ich war wieder schwanger. Doch keiner von uns
beide lächelte, denn wir wussten: Ich war vergewaltigt worden!
Was eigentlich wunderbare Nachrichten hätten sein sollen,
stach mir stattdessen durchs Herz und brachte all die
Erinnerung an den brutalen Überfall zurück.

Vergewaltigung

Vergewaltigt im Ehebett
Mein Mann Steve war an jenem Abend noch einmal in unsere
Kirchengemeinde zu einer Veranstaltung gegangen. Ich war zu
müde, um ihn zu begleiten. Unsere beiden Jungs waren bereits
im Bett und auch ich ging schlafen noch bevor Steve das Haus
verliess.

Irgendwann später ging das Licht in unserem Schlafzimmer an.


„Schatz, mach bitte das Licht aus“, sagte ich im Halbschlaf. Das
Licht erlosch – doch das Gefühl, das sich im Raum ausbreitete,
war verstörend. Ich öffnete meine Augen und sah die Umrisse
eines Mannes im Türrahmen. Doch es war nicht mein Mann!

Ich sprang auf, doch sofort machte der Fremde mir klar, dass ich
ja keinen Laut von mir geben solle. Ich dachte an meine beiden
Söhne und war still. Die Minuten, die nun folgten, waren
furchtbar! Zuerst wimmerte ich, ich flehte ihn an. Dann schwieg
ich – und mit einem Messer an der Kehle und dem Gedanken an
meine Jungs ertrug ich schlimmste Demütigung, die einem
Menschen widerfahren kann: Ich wurde in meinen eigenen vier
Wänden vergewaltigt – in dem Bett, das ich mit meinem
Ehemann teilte!

Mittendrin bat ich Gott laut um Vergebung für meinen Peiniger –


und einen Moment lang hörte er auf. Ich fragte mich, ob er sich
für seine Tat schämte oder ob er mich loslassen oder mich doch
umbringen würde. Er tat nichts davon. Er machte einfach weiter.

Das Trauma einer Vergewaltigung ist unbeschreiblich. Die


Erinnerung an diesen Furcht erregenden Moment brachte jedes
erdenkliche Gefühl in mir an die Oberfläche: Es reichte von
persönlicher Scham über eine tief sitzende Unsicherheit bis hin
zu einem wachsenden Missklang in der Beziehung von Steve
und mir. Vergewaltigung verschärft diese Dinge und reisst alles
mit sich, das nicht auf festem Grund steht. Meinen Arzt hören zu
sagen, dass ich schwanger sei, klang wie ein Richterspruch, der
mich dazu verurteilte, eine lebenslange Brandmarkung meiner
Vergewaltigung tragen zu müssen. Mein Vertrauen in Gott
begann zu bröckeln.

Gesicht

„Was werden die Leute sagen?“


Es ist leicht, Parolen für das Leben zu skandieren und ein Plakat
in die Höhe zu halten, wenn man auf einer Demonstration gegen
Abtreibung mitläuft. Aber die Melodie ist eine andere, wenn man
selbst auf der anderen Seite steht – und sich damit abfinden
muss, dass das eigene Leben sich dramatisch verändern wird.

Ich glaube, aus diesem Grund nahm ich die Abtreibungspille


„Ovral“. Diese Pille verhindert, dass sich ein befruchtetes Ei in
der Gebärmutter einnisten kann. Sie wird in den USA
regelmässig Opfern von Vergewaltigungen verabreicht.

Mein Arzt gab sie mir und betonte dabei die Unmöglichkeit, das
Kind einer Vergewaltigung grosszuziehen. Mehr als einmal
erinnerte er mich daran, dass es sich ja nur um „einen
Zellhaufen“ handele. Da ich jedoch daran glaube, dass ein
befruchtetes Ei bereits ein menschlicher Embryo ist, lehnte ich
zunächst ab und sagte, dass dies für mich einer Abtreibung
gleich käme. Erstaunlicherweise aber teilte ein Grossteil meiner
christlichen Freunde und meiner Familie den Standpunkt des
Arztes. Mein Pastor. Meine Mutter. Und auch Steve.

Die Frage, ob ich die Pille nehmen würde oder nicht, wurde
zudem von einer weiteren Tatsache beeinflusst: Das Kind würde
nicht einmal halbwegs meinem Mann ähneln, denn mein
Vergewaltiger war ein Schwarzer gewesen …

„Die Leute werden denken, du wärst fremdgegangen!“

„Du wirst das Gesicht dieses Mannes jeden Tag im Gesicht


deines Kindes sehen!“

„Willst du jedem erzählen, dass du vergewaltigt wurdest? Das


wirst du nämlich dann müssen!“

Ich nahm die Pille bevor die ersten 72 Stunden nach der
Vergewaltigung abgelaufen waren. Dann versuchte ich, nicht
mehr daran zu denken, was natürlich unmöglich war! Viel zu
gross war die Angst, ich könnte mich mit Aids infiziert haben;
hinzu kam die wachsende Empfindlichkeit zwischen mir und
Steve. Und dann stellten wir zu meiner grossen Enttäuschung
fest, dass die Pille nicht gewirkt hatte. Ich war schwanger!

Keine einfache Heilung


Gott sei Dank war wenigstens der Aidstest negativ! Und doch
legte mein Arzt mir und Steve eine 6-monatige sexuelle
Abstinenz nahe, bis wir sicher sein konnten, dass der sich Virus
nicht vielleicht doch noch irgendwo eingenistet hatte. Diese Zeit
der Abstinenz machte mir gar nichts aus, denn ich hatte sowieso
kein Interesse an irgendeiner Form von Intimität!

Wir entschieden uns dafür, das Kind zur Adoption freizugeben,


um uns nicht der schwierigen Aufgabe auszusetzen, diese
„personifizierte Erinnerung“ an die Vergewaltigung erziehen und
lieben zu müssen. Wir trafen uns sogar einige Male mit einem
netten Paar aus unserer Gemeinde, das sich sehnlichst ein Kind
wünschte.

Gott schien weit weg und kaltherzig. Warum hatte er es


zugelassen, dass ich in meinem eigenen Zuhause vergewaltigt
wurde während meine Kinder nebenan schliefen? Und warum
hatte er es zugelassen, dass ich mein drittes Kind auf diese Art
empfangen hatte, statt in der Intimität unserer Ehe, so wie Steve
und ich es immer gewollt hatten? Es schien wie ein grausamer
Witz!

Doch Gott war da. Obwohl die Sünde gewütet hatte, war er da.
Wir mussten nur daran erinnert werden, dass Gott kein
„Hauruck-Reparaturdienst“ ist.

Licht

Überrascht von Schönheit


Steve und ich verzweifelten beinahe – und manchmal ist es
gerade diese Art purer Verzweiflung, die uns in Gottes Nähe
treibt. Wir beide sind Christen. Wir kennen Gott, wir lieben ihn,
wir sagen, dass wir ihm vertrauen. Aber manchmal halten wir
nicht fest genug an der Tatsache, dass er der Liebhaber unserer
Seele ist, bis wir vollkommen hilflos sind.

Wir müssen uns darüber klar werden, dass es Opfer gibt, seit die
Sünde in das Leben der Menschen eintrat. Kain ermordete Abel
(1. Mose 4,1–8), Amnon vergewaltigte Tamar (2. Samuel 12,1–22).
Aber was tun die Opfer und ihre Familien mit ihrem Schmerz?
Sind sie auf sich selbst gestellt, selbst ihre „letzte Rettung“ –
oder geben sie ihn an Gott ab?

Steve und ich verliessen uns zunächst nur auf unsere eigenen
Ideen, indem wir versuchten, ein Leben zu verhindern, das uns
unpassend erschien. Niemals würden wir das Kind des
Vergewaltigers lieben können! Das redeten wir uns immer
wieder ein. Und so nahmen wir die Dinge selbst in die Hand.
Doch Gott liebte uns genug, um unsere Pläne zu durchkreuzen.

Mit jedem Zentimeter, den das Kind in mir wuchs, veränderten


Steve und ich uns mehr. Dieses ganze Geschehnis hatte eine
spirituelle Dimension, das begriffen wir schnell. Wir wurden von
diesem kleinen Leben in mir völlig in den Bann gezogen und
freuten uns an seinen Bewegungen, genauso wie wir uns gefreut
hatten, als ich mit meinen beiden Söhnen schwanger gewesen
war. Dieses Kind lebte! Was für ein Wunder, dass es dem Tod
entkommen war!

Uns wurde klar, dass dieses Kind in erster Linie Gott gehörte
und dass es ebenso unschuldig wie Kinder, die auf einem
anderen Weg gezeugt worden waren. Und wir wurden immer
erstaunter und auch beschämter darüber, dass wir je den
Gedanken gehegt hatten, das Baby nicht zu behalten. Wir
bereuten unser Denken und baten Gott um Verzeihung dafür,
dass wir ihm so wenig vertraut hatten; dass wir die Situation an
uns gerissen hatten, statt sie ihm anzuvertrauen. Und als wir
entdeckten, dass es ein Mädchen werden würde, wurde sie für
uns noch kostbarer. Besonders ich hatte mir immer eine Tochter
gewünscht. Wir liessen den Gedanken an eine Adoption fallen.

Als Rachael geboren wurde, wurde ein Licht in unserer Familie


entzündet. Wir begriffen etwas von der wahren Bedeutung der
Liebe unseres himmlischen Vaters. Er betrachtet uns mit weit
mehr als blosser Akzeptanz – er umarmt uns aus vollem Herzen
und nennt uns seine Kinder. „Der Geist, den Gott euch gegeben
hat, ist ja nicht ein Sklavengeist, sodass ihr wie früher in Angst
leben müsstet. Es ist der Geist, den ihr als seine Söhne und
Töchter habt. Von diesem Geist erfüllt rufen wir zu Gott: ,Abba,
lieber Vater!’“ (Römer 8,15). In diesem Geist hat auch mein Mann
Rachael als seine eigene Tochter umarmt und dazu haben wir
einen weiteren wundervollen Sohn adoptiert.

Heute feiern wir neun wunderbare Jahre mit Rachael, unserer


einzigen Tochter. Und es kommt uns wie ein schlechter Traum
vor, dass wir je in Erwägung gezogen haben, ohne dieses
wundervolle kleine Mädchen zu leben. Sie ist eine stetige
Erinnerung für uns – nicht an die Vergewaltigung, sondern an
die überraschende Schönheit, die sich in einer Tragödie
verbergen kann.

Autorin: Heather Gemmen lebt mit ihrer Familie in Colorado


Springs/USA. In ihrem Buch „Tochter des Schicksals“ (Gerth
Medien, Asslar), hat sie die Geschichte ihrer Vergewaltigung und
ihren Weg zur Heilung geschildert. Regelmässig ist sie als
Referentin zu diesem Thema auch im Ausland unterwegs.

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