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SPIEGEL ONLINE - Druckversion - Doppelanschlag in Dagestan: Kaukasus-Attacke...

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31. März 2010, 12:55 Uhr

Doppelanschlag in Dagestan

Kaukasus-Attacken schüren Furcht vor neuer Terrorwelle

Von Benjamin Bidder, Moskau

Wieder kamen sie am Morgen, wieder sprengten sie sich im Abstand von rund 40 Minuten in die
Luft: Zwei Selbstmordattentäter rissen in der russischen Teilrepublik Dagestan mindestens
zwölf Menschen in den Tod. Moskau fürchtet nun den Beginn einer Terrorserie.

Moskau - Rund 48 Stunden nach den verheerenden Bombenanschlägen auf die Moskauer U-Bahn am
Montag haben sich in der nordkaukasischen Stadt Kisljar zwei Angreifer selbst in die Luft gesprengt - und
mindestens zwölf Menschen getötet.

Unter den Toten befinden sich zahlreiche Milizionäre, auch der örtliche Polizeichef kam offenbar ums Leben.
Einer der Selbstmordattentäter wollte laut Angaben des russischen Innenministeriums mit seinem
verminten Wagen in Richtung Innenstadt fahren, wurde aber von einer Polizeistreife aufgehalten, in
unmittelbarer Nähe eines Kindergartens und einer Polizeiwache. Dann detonierte der Sprengsatz. Der
zweite Angreifer, selbst verkleidet als Milizionär, mischte sich nach der ersten Explosion unter herbeieilende
Beamte und Rettungskräfte.

Hinter dem Doppelanschlag in Dagestan stecken nach Einschätzung von Regierungschef Wladimir Putin
möglicherweise die gleichen Drahtzieher wie auf die Moskauer U-Bahn. "Ich schließe nicht aus, dass hier
die gleichen Banditen am Werk waren", sagte Putin laut der russischen Nachrichtenagentur Interfax bei
einer Kabinettssitzung.

In Moskau wächst jetzt die Furcht, dass die Bombenattentate vom Montag, bei denen in den U-Bahn-Höfen
Park Kultury und Lubjanka 39 Menschen starben, nur der Beginn einer neuen Terrorwelle sein könnten, die
auf Russland zurollt.

Am späten Dienstagabend sperrten russische Sicherheitskräfte die Nikolskaj-Straße mitten im Herzen


Moskaus wegen Bombenalarms. Die Straße liegt in unmittelbarer Nähe zum Hauptquartier des
Inlandsgeheimdienstes FSB an der Station Lubjanka. Zur Entschärfung der vermeintlichen Autobombe
wurde eiligst ein Roboter herbeigeschafft, doch der Sprengsatz entpuppte sich als harmloser Koffer.

Sprengstoffexperten im Einsatz

Am Mittwochmorgen mussten Sprengstoffexperten erneut ausrücken. Moskauer Milizionäre hatten unter


einem ihrer Fahrzeuge verdächtige Gegenstände ausgemacht: zwei mit Klebeband verbundene Flaschen,
dazu Batterien.

Eine Attrappe, stellten die Sicherheitsexperten später fest. Die Flaschen waren nicht mit Sprengstoff
gefüllt, sondern mit Urin. Trotzdem wächst die Anspannung in der Hauptstadt angesichts des neuen
Anschlags im Nordkaukasus.

Zwar hat noch immer keine Terrorgruppe offiziell die Verantwortung für die Bomben in den U-Bahnen
übernommen. Moskauer Beobachter fürchten jedoch seit langem eine neue Offensive islamistischer
Terroristen aus Russlands Unruheprovinzen im Süden. Deren Anführer, der selbsternannte "Emir des
Nordkaukasus", der tschetschenische Untergrundkämpfer Doku Umarow, hatte bereits im Februar gedroht,
die Zone "militärischer Operationen auf das Gebiet Russlands" auszuweiten. Mitte März prahlte er damit,
man werde bald auch "die Region Krasnodar, Astrachan" sowie die Wolgagebiete "befreien", die sich unter
der Knute der russischen Ungläubigen befänden.

Bei den Anschlägen von Moskau habe es sich um die "sorgfältig geplante, intensiv vorbereitete Aktion
erstarkender Kräfte" gehandelt, sagt der Kaukasusexperte des Moskauer Carnegie-Zentrums, Nikolai
Petrow. Russland habe jahrelang mit der Illusion gelebt, der Terror sei besiegt. Dabei seien die Probleme

http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,druck-686668,00.html 31.03.2010
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im Kaukasus ungelöst, glaubt auch Generalmajor Wladimir Owtschinskij, einst russischer Interpol-Chef.
"Wir müssen uns der Realität stellen. Wir müssen begreifen, dass der Krieg der Terroristen gegen Russland
in Wahrheit nie geendet hat."

Russlands Führung präsentiert sich derweil als Herr der Lage. Präsident Dmitrij Medwedew drohte, man
werde die Hintermänner der Anschläge "fassen und vernichten." Regierungschef Putin forderte die
Sicherheitsorgane des Landes ebenfalls energisch zur Suche nach den Drahtziehern auf. Die "Komplizen
und Hintermänner der Tat" hielten sich versteckt und müssten "vom Boden der Kanalisation gekratzt und
ans Tageslicht gebracht" werden, sagte Putin im russischen Fernsehen. Dies sei "eine Frage der Ehre für
die Sicherheitskräfte".

Russland geht gleichwohl schon jetzt mit großer Härte gegen die Kämpfer aus dem Nordkaukasus vor.
Anfang März töteten Sicherheitskräfte acht Terroristen, darunter ihren Anführer Said Burjatskij. Russische
Boulevardmedien vermeldeten den Schlag gegen den Terror triumphal, und präsentierten Fotos der
entstellten Leiche des Terrorfürsten.

Dabei aber, gibt Sergej Markedonow vom Moskauer "Institut für politische und militärische Analyse" zu
bedenken, dürfe man nicht vergessen, dass jede Spezialoperation neuen Hass auf die Russen sähe. "Jede
Liquidierung", sagt Markedonow, "schafft neue Kämpfer."

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