Sexualstraftäter TeiU

(Ende der Serie)

Maßregelvollzug D.h., daß die Staatsanwaltschaften nach

und Sexualstraftäter entsprechender Kenntniserlangung den
Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln
und ggf. Anklage zu erheben haben.
Straftaten
gegen die sexuelle Selbstbestimmung Die vorgenannten Straftatbestände lassen
sich hinsichtlich des geschützten Rechtsgutes
Das Strafgesetzbuch (StGB) faßt die Strafta- in zwei Gruppen unterteilen:
ten gegen die sexuelle Selbstbestimmung in
einem gesonderten (13.) Abschnitt zusam- - Eine Gruppe beinhaltet als geschütztes
men, der durch das vierte Gesetz zur Reform Rechtsgut den einzelnen Menschen (Frei-
des Straf rechts vom 02.03.1974 völlig neu heit zur geschlechtlichen Selbstbestim-
gestaltet worden ist. Nach dieser weithin libe- mung, ungestörte sexuelle Entwicklung
ralisierenden Reform ist nur „unerträgliches des jungen Menschen, Schutz vor schwer-
sozialschädliches Verhalten" strafwürdig. wiegenden Belästigungen in sexueller Hin-
Die sexuelle Selbstbestimmung ist entgegen sicht).
der Abschnittsüberschrift im StGB nicht das
alleinige Rechtsgut: Es geht im weitesten Sin- - Die zweite Gruppe ist allgemeinheitsbezo-
ne um die in Artikel 6 des Grundgesetzes zum gen (Ehe und Familie, elementare Grundla-
Ausdruck gekommene Sexual Verfassung. gen des friedlichen Zusammenlebens wie
Die normierten Straftaten reichen vom sexu- Toleranz und Achtung der Menschenwürde
ellen Mißbrauch von Schutzbefohlenen, Ge- des anderen).
fangenen, behördlich Verwahrten, Kranken
in Anstalten, Widerstandsunfähigen und Kin-
dern, homosexuellen Handlungen an einem Sexualstraftäter
Mann unter 18 Jahren, Vergewaltigung, se- im Maßregelvollzug gem. § 63 StGB
xueller Nötigung, Förderung sexueller Hand-
lungen Minderjähriger bis zur Förderung der Im Maßregelvollzug sind vornehmlich die
Prostitution, Menschenhandel, Zuhälterei, Mißbrauchs straftäter (insbesondere Pädo-
Verführung eines Mädchens unter 16 Jahren phile) sowie Vergewaltiger anzutreffen.
zum Beischlaf, exhibitionistischen Handlun- Nicht selten sind Verurteilungen wegen Se-
gen, Erregung öffentlichen Ärgernisses, Ver- xualstraftaten verbunden mit Delikten wie
breitung pornographischer Schriften, Aus- Körperverletzung, gefährlicher Körperver-
übung der verbotenen Prostitution und ju- letzung, Freiheitsberaubung, Totschlag und
gendgefährdenden Prostitution. Mord. Für die Unterbringung im Maßregel-
vollzug, bei Sexualstraftätern fast aus-
nahmslos die Unterbringung in eine psych-
iatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB,
Strafandrohung und Strafverfolgung reicht jedoch allein das Begehen eines sol-
chen Deliktes, wie schwer es auch gewesen
Die Strafandrohungen sind zum Teil erheb- sein mag, nicht aus. Nach § 63 StGB muß die
lich: rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldun-
fähigkeit oder der verminderten Schuldfähig-
- Vergewaltigung wird gemäß § 177 Abs. l keit begangen sein und die Gesamtwürdi-
StGB grundsätzlich mit einer Freiheits- gung des Täters und seiner Tat ergeben, daß
strafe nicht unter S, Jahren bestraft. von ihm infolge seines Zustandes erhebliche
rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er
- Sexueller Mißbrauch von Kindern wird deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist.
mit Freiheitsstrafe von 6 Monaten bis zu Ein Ausschluß oder zumindest eine erhebli-
10 Jahren (§ 176 Abs. l StGB), in beson- che Verminderung der Schuldfähigkeit ist bei
ders schweren Fällen mit Freiheitsstrafe Sexualstraftätern zumeist wegen einer
von einem Jahr bis zu 10 Jahren (§ 176 „schweren anderen seelischen Abartigkeit"
Abs. 3 StGB) bestraft. Bei den Straftaten im Sinne des § 20 StGB gegeben. Psychose-
gegen die sexuelle Selbstbestimmung han- kranke sind hier eher selten anzutreffen. Bei
delt es sich überwiegend um Off izialdelikte. der „schweren anderen seelischen Abartig-
Zu diesem Thema beachten Sie bitte auch die Buchbesprechung auf Seite 65.
keit" unterscheidet die Rechtsprechung nach
Psychopathien, Neurosen, Trieb- und Reife-
Störungen. Folge eines dieser Zustände muß
sein, daß der Täter unfähig ist, nach seiner
mindestens möglichen Unrechtseinsicht zu
handeln. Beruht die Steuerungsunfähigkeit
auf einem anderen Grunde, so scheidet § 20
StGB aus. Ein völliger Schuldausschluß ist
bei Sexualstraftaten die Ausnahme. Die im
Maßregelvollzug untergebrachten Sexual-
straftäter sind daher im Regelfall zu einer,
zum Teil sehr hohen Freiheitsstrafe verur-
teilt. Die hohen Freiheitsstrafen beruhen
darauf, daß neben dem Sexualdelikt schwere
Körperverletzungsdelikte bis hin zum Mord
und Totschlag begangen wurden. Eine Verge-
waltigung (§177 StGB) ohne weitere Delikte
führt bei verminderter Schuldfähigkeit noch
zu einer Freiheitsstrafe zwischen 2 und 4
Jahren (überwiegend 3 bis 4 Jahre). Wenn
auch Sexualstraftaten von Frauen begangen
werden können, sind den Verfassern keine
Unterbringungen von Frauen im Maßregel-
vollzug wegen dieser Delikte bekannt. Wird
der Täter wegen eines Sexualdeliktes zu ei-
ner Freiheitsstrafe von unter 2 Jahren und
zu einer Unterbringung nach § 63 StGB ver-
urteilt, ist es möglich, sowohl Strafe wie Un-
terbringung im Maßregelvollzug zur Be-
währung auszusetzen. Es können vielfältige
Bewährungsauflagen und Weisungen erteilt
werden. Hier ist bei den Weisungen von In-
teresse, daß der Verurteilte sich ggf. einer
„Heilbehandlung", z.B. einer Psychotherapie
unterziehen soll. Eine solche Weisung ist
aber nur mit Einwilligung des Verurteilten
möglich. Die Unterbringung nach § 63 StGB
ist zeitlich nicht befristet, insbesondere auch
nicht von der Dauer der verhängten Frei-
heitsstrafe abhängig. Die zuständige Straf -
Vollstreckungskammer hat in längstens ein-
jährigen Abständen zu prüfen, ob die Maßre-
gel zur Bewährung ausgesetzt wird - dies ist
keine Ermessensentscheidung! Hierbei ist
der Verurteilte persönlich anzuhören; darü-
ber hinaus gibt die Maßregelvollzugseinrich-
tung eine gutachterliche Stellungnahme ab.
Durchführung der Maßregel
Der Maßregelvollzug als solcher richtet sich
gem. § 138 Abs. l Strafvollzugsgesetz nach
Landesrecht. Die Bundesländer haben den
Maßregelvollzug zum Teil sehr unterschied-
lich geregelt: In einigen Bundesländern gibt
es spezielle Maßregelvollzugsgesetze,
während in anderen Bundesländern die Un-
terbringungsgesetze für psychisch Kranke
für entsprechend anwendbar erklärt worden
sind. Diese unterschiedliche Regelungsdichte
ist rechtsstaatlich nicht unbedenklich. Die
Problematik bei der Unterbringung von Se-
xualstraftätern im Maßregelvollzug liegt
- zum einen (psychiatrisch-psychotherapeu-
tisch) in einer sich zum Teil äußerst
schwierig gestaltenden Therapie,
- zum anderen (juristisch) in der langen Un-
terbringungsdauer, die bisweilen erheblich
über der gleichzeitig verhängten Freiheits-
strafe liegt und auch im Vergleich zu Ver-
urteilungen von voll schuldfähigen Sexual-
straftätern zu einer erheblich längeren
Freiheitsentziehung führt.
Da die Unterbringung im Maßregelvollzug
zeitlich nicht befristet ist, kann sie durchaus
„lebenslänglich" bedeuten. An dieser Stelle ge-
hen Allgemeinpsychiatrie und forensische
Psychiatrie sehr unterschiedliche Wege, denn
die durchschnittlichen Unterbringungs- bzw.
Verweildauern in Allgemeinpsychiatrie und
forensischer Psychiatrie weichen stark von-
einander ab. Patentrezepte zur Lösung dieser
Problematiken gibt es nicht. Wenn man aber
die Lebensgeschichten von Sexualstraftätern
im Maßregelvollzug untersucht, findet sich
fast stereotyp ein Umstand wieder, der gera-
de auch in jetziger Zeit in anderen Bereichen
zunimmt, nämlich die Erfahrung von Gewalt.
Es gibt fast keinen Sexualstraftäter im
Maßregelvollzug, der nicht selbst in seiner Le-
bensentwicklung, bevor er straffällig wurde,
massiver Gewaltanwendung ausgesetzt war.
Lösungsansätze können daher nur im gesell-
schaftlichen Bereich liegen. Strafrechtliche
Sanktion, Unterbringung und Behandlung im
Maßregelvollzug können allenfalls dazu bei-
tragen, Wiederholungsstraftaten zu vermei-
den.
Heinfried Duncker, Psychiater und Psychoanalytiker
Werner Heming, Jurist
Ulrich Kobbe, Dipl.-Psychologe und Psychotherapeut
Westfälisches Zentrum
für Forensische Psychiatrie, Lippstadt
Literatur bei den Verfassern