Sie sind auf Seite 1von 20

Referat

zur Verteidigung der Promotion im Mai 1989 Zürich, Schweiz.


Doktorand: Pastor Hermann Hartfeld, M. Div. Winnipeg
Theological Seminary Kanada; Mennonite-Brethren Biblical
Seminary Fresno, USA; DRS Theologie von der Reformierten
Fakultät Bollandistenstraat 40, Brüssel.

Das Thema der Dissertation: „Das korinthische Milieu zur Zeit


der Urchristen und die Aufforderung des Apostels Paulus, sich
den kulturellen Gegebenheiten zwecks der „Förderung des
Evangeliums“ anzupassen. (Eine Studie der evangelistischen
Methode des Apostel Paulus anhand von 1Kor 11,2-16).

Wissenschaftlicher Konsultant: Prof. Dr. James A. Hayes/ Dekan


Prof. Dr. Herbert W. Haberland

Disputation

Dissertation hinterlegt in der Universitätsbibliothek Zürich

0
DIE AUSEINANDERSETZUNG UM DIE KOPFBEDECKUNG IN
DER GEMEINDE VON KORINTH UND IHRE BEDEUTUNG FÜR
DIE CHRISTENHEIT HEUTE
A. DAS MILIEU, IN DEM DIE GEMEINDE JESU
CHRISTI IN KORINTH IHR CHRISTSEIN
BEWÄHREN MUSSTE

1. Die Sittenlosigkeit

Die Stadt Korinth war im Altertum weit und breit für ihre
Sittenlosigkeit bekannt. Das Verb "korinthisieren" war
gebräuchlich zur Bezeichnung sexueller Unmoral. (1) Der Ausdruck
"korinthisches Mädchen" war gleichbedeutend mit "Prostituierte".
Die vielen Attraktionen Korinths waren sprichwörtlich; daher auch
die Redensarten "Nicht jeder kann es sich leisten, nach Korinth
zu segeln" oder "wie ein Korinther leben" (d.h. ein
ausschweifendes, liederliches Leben führen). (2)

Wie war es in dieser Stadt zu solcher Sittenlosigkeit gekommen?

Erstens trug die geographische Lage zum Aufkommen einer


"außergewöhnlichen" Sittenlosigkeit bei: Korinth hatte zwei große
Seehäfen. Kenchreä (gr. Kenchreai) lag im Südosten der Stadt, am
Saronischen Golf des Ägäischen Meeres. Der westliche Hafen hieß
Lechaeum und lag am Golf von Korinth, der zum Ionischen Meer
gehört. Die Lage Korinths zwischen Ägäis und Ionischem Meer
begünstigte seinen Aufstieg zur reichen Handelsstadt. Durch den
Zustrom ehrgeiziger römischer Staatsbürger sowohl griechischer
als auch italienischer Herkunft ließ die Stadt auch zu einem
berühmten Kulturzentrum werden. Dabei hatten diese römischen
Staatsbürger natürlich auch ihr religiöses "Gepäck" mit nach
Korinth gebracht. Seeleute, Geschäftsleute und sonstige Besucher
überfluteten die Stadt ständig. Der sexuelle Nachholbedarf der
rauen Seeleute sowie die vergnügungssüchtigen Händler schürten
die Unmoral. (3)

Zweitens trug das religiöse Leben der Einwohner zum Aufkommen der
Sittenlosigkeit bei. Auf dem Akrokorinth oberhalb der Stadt gab
es einen großen Aphrodite-Altar, das Zentrum des religiösen
Lebens der Korinther. Hier lebten an die 1000 Mädchen, die im
Dienst der religiösen Prostitution standen. (4) Aphrodite wurde
als Göttin der Liebe, Schönheit und Fruchtbarkeit verehrt. Dieser
Göttin weihten sich Hunderte von Tempelpriesterinnen bzw. -dirnen
(Hierodulen, d.h. Tempelsklavinnen), die im Rahmen der
orgiastischen Aphroditefeiern in Erscheinung traten. (5) Die

1
geweihten jungen "Priesterinnen" hatten zur Aufgabe, sich während
der Fruchtbarkeitsfeier den anwesenden Männern in sexuellen
Orgien hinzugeben. Damit "sicherte" jeder Beteiligte Mann für
sich und seine Gattin gesunde Nachkommenschaft sowie reiche Ernte
für die Familie.(6) Die verheirateten Männer genossen im Altertum
große sexuelle Freizügigkeit, sei es mit hochgebildeten,
politisch einflussreichen Freundinnen, sei es mit Tempeldirnen -
oder mit Knaben. Solche Beziehungen galten damals als "normal".
(7) Nicht zu übersehen ist, dass die Tempeldirnen unter den Ein-
wohnern von Korinth in hohem Ansehen standen. Laut den
Inschriften an den Ruinen eines großen Theaters hatten sie dort
reservierte Sitzplätze! (8)
Resümee: In römischen Zeiten bzw. zur Zeit des Apostels Paulus
war die Stadt Korinth eine der reichsten und verwöhntesten Städte
Europas. Der Reichtum förderte die Vergnügungssucht.
Selbstverständlich kam der Aphroditekult dieser Einstellung von
Korinther Bürgern, Seeleuten und Händlern sehr gelegen. Nicht
selten verfielen auch Christen der Versuchung, an den Orgien auf
dem Akrokorinth teilzunehmen (vgl. 1Kor 6,13-20).

2. Die "Emanzipation" der Frau


Ungeachtet der Verehrung der Griechen für überirdische weibliche
Wesen behandelten die Männer ihre Frauen noch im 5. Jh. v.Chr.,
als ob sie nur dazu geschaffen wären, weitere Generationen
männlicher Griechen aufzuziehen. Die Frauen hatten sich
vorwiegend im Haus aufzuhalten, um ihren Platz in der
Gesellschaft zu behaupten. Nur zu bestimmten religiösen oder
familiären Anlässen durfte sie das Haus verlassen; die
Besorgungen wurden von Sklaven erledigt.

Eine gewisse Liberalität unter bestimmten Umständen trat ab 431


v.Chr. ein. In Sparta z.B. begann man Mädchen sportlich und hart
wie die Jungen für den Dienst am Vaterland zu erziehen. Der
griechische Dramatiker Euripides schrieb darüber: "Spartanische
Mädchen dürfen mit jungen Männern ausgehen, mit ihnen um die
Wette laufen und sich raufen."(9) Nach und nach wurde es
griechischen Frauen auch anderswo gestattet, ein verhältnismäßig
freies Leben zu führen. Viele wohlhabende Mädchen durften sich in
Dichtung, Musik und Tanz ausbilden lassen. Unter anderem
bereitete man sie auch auf die Ehe vor. (10) "Sobald sie vierzehn
sind", schrieb der Philosoph Epiktet (um 50-138 n.Chr.), "werden
Frauen von den Männern als 'Damen' bezeichnet, und wenn sie
erkennen, dass sie nur dazu da sind, Bettgenossen der Männer zu
sein, beginnen sie sich schön zu machen..." (11)
Eine verheiratete Frau durfte aber keinesfalls ohne Schleier z.B.
zu öffentlichen Spielen gehen. Publius Sempronius ließ sich sogar
einzig deswegen von seiner Frau scheiden, weil sie unverschleiert
ausgegangen war. (12) Warum war er so streng mit seiner Frau? In
Korinth trugen nur die so zahlreichen Geliebten verheirateter
Männer und die Tempeldirnen keine Kopfbedeckung. Die Sklavinnen
und die ertappten Ehebrecherinnen mussten in der damaligen
Gesellschaft zusätzlich ihre Haare abschneiden. Auf diese Weise
unterschied man damals "ehrwürdige" Ehefrauen von Mätressen,
Tempeldirnen und Ehebrecherinnen. (13)

2
Der Zorn des Publius Sempronius ist im Blick auf diesen
kulturellen Hintergrund verständlich. Er konnte nicht dulden,
dass seine Gemahlin sich ohne Schleier in der Öffentlichkeit
zeigte und damit den Verdacht heraufbeschwöre, zur Kategorie der
Geliebten, Tempeldienerinnen und Ehebrecherinnen zu gehören. Mit
ihrem Verhalten brachte sie auch ihren Mann in Verruf - als habe
er kein Anrecht mehr auf seine Ehefrau. (14)

3. Die philosophischen Strömungen


Nach Korinth kamen auch umherziehende Philosophen wie Apollonius
von Tyana oder der Kyniker Demetrius. Beide versuchten durch ihre
Lehrtätigkeit auf den Märkten dem moralischen Zerfall
entgegenzuwirken.
Apollonius lehrte eine Seelenwanderungstheorie und die damit
verbundene Trennung von Seele und Leib. Er leitete davon die
Forderung ab, ein streng geregeltes Leben zu führen, um als
Götterwesen wiedergeboren zu werden. Er wirkte viele Wunder und
wurde auch mit Jesus verglichen. Zudem ist er als Kritiker von
Kaiser Domitian in die Geschichte eingegangen. (15) Der Kyniker
Demetrius lehrte Bedürfnislosigkeit als höchste Tugend und
einzige Voraussetzung der Glückseligkeit. Er lehnte alle übrigen
Werte, vor allem staatliche Gesetze und religiöse Traditionen,
ab. (16) Diese beiden Wanderprediger hatten zwar einen gewissen
Einfluss auf einen Teil der Korinther, aber sie vermochten die
Unmoral keinesfalls auszumerzen. Denn die Bürger der Stadt waren
zu sehr an ihren Fruchtbarkeitskult mit sexuellen Orgien
gebunden, um den Lehren solcher Philosophen Folge zu leisten.

B. DIE CHRISTLICHE GEMEINDE VON KOR1NTH

Der Apostel Paulus sah sich vom Herrn Jesus Christus nach Korinth
geführt, um dort den Gekreuzigten zu predigen (1Kor 1,26-31). Der
Apostel blieb 18 Monate in Korinth. Wenn er nicht predigte,
arbeitete er zusammen mit Aquila und Priscilla, d.h. er webte
Zelttücher oder richtete Leder für Zeltbahnen zu. Ihre kleine
offene Werkstatt befand sich wahrscheinlich in einem Säulengang
an der breiten Lechaionstraße unmittelbar vor dem prächtigen
Torbau, durch den man auf den Marktplatz gelangte. Dort
arbeiteten sie vom frühen Morgen bis zum späten Nachmittag, mit
einer Pause von elf bis vier Uhr, während die große Hitze
herrschte. (17) Schließlich entschloss sich Paulus zur Rückkehr
nach Antiochien in Syrien. Von Kenchreä reiste er nach Ephesus,
nachdem er sich aufgrund eines Gelübdes den Kopf hatte scheren
lassen (Apg 18,18). Aus dieser Gegend stammte auch eine gewisse
Phöbe, die als Diakonisse der Gemeinde von Kenchreä genannt wird
(Rö 16,1). Es sei auch erwähnt, dass in der Stadt Korinth recht
viele Juden lebten, denen der Apostel nachzuweisen versuchte,
"dass Jesus der Messias ist" (Apg 18,5ff).

1. Die apostolische Lehre von der christlichen


Emanzipation der Frau

3
a) Die Frau in der Zeit des Alten Testaments
Zu beachten ist das Milieu, in dem die christliche Urgemeinde
sich zu bewähren hatte. Die Stellung der Frau in der damaligen
Welt muss nicht immer "sklavischen" Charakters gewesen sein. Die
damals verbreitete Vorstellung, dass die Frau nur als
Bettgenossin des Mannes einen Wert habe, stimmt mit den Aussagen
des Alten Testaments keinesfalls überein. Die Frau ist laut 1Mo
2,18ff tatsächlich als ergänzendes Gegenstück zum Mann geschaffen
worden. Sie wurde in die Organismen Ehe und Familie eingeordnet
und hatte innerhalb der Familie eine einflussreiche Stellung (1Mo
16,5f; 27,5ff; 2Mo 20,12; 1Kön 1,11ff; 21,5ff; 2Kön 4,8ff; 8,18;
Am 4, 1ff), ganz besonders als Mutter (2Mo 20,12; 5Mo 5,16;
21,18ff). Es gab nicht wenige israelitische Frauen, die in der
Geschichte eine entscheidende Rolle spielten (Debora in Richter
4,4ff; Hulda 2Kön 22,14-20; Esther) oder sogar königliche Gewalt
ausübten (2Kön 11,1ff). Auch im religiösen Leben des Volkes hatte
die Frau durchaus ihren Platz (2Mo 15,20f; 2.Kön 22,14ff; usw.),
doch trat sie bei den offiziellen religiösen Handlungen in den
Hintergrund. (18)

Im Judentum hatten Frauen wie Männer (ab den 1.Jh.) den Kopf
bedeckt. Anders als bei den Griechen hatte die Kopfbedeckung bei
den Juden eine religiöse Bedeutung: In der Gegenwart Gottes
verhüllte sich der Israelit mit der Kopfbedeckung oder dem Mantel
(2Mo 3,6; 1Kön 19,13); daher behält der Jude beim Gebet die
Kopfbedeckung auf und überdeckt sie noch mit dem Gebetsmantel.
Die semitischen Männer wie Frauen benutzten ein Kopftuch (Jes
3,20; 61,10; Ez 24,17), eine eingeschnittene Spitzmütze, die die
Ohren freiließ, oder eine Turban artige Wicklung (vgl. 2Mo
28,40). Die Frauen trugen auch eine griechische Mitra (Jdt 10,3),
ein Stirnband, eine Kappe oder ein dreieckiges, im Nacken
herabhängendes Tuch wurden von beiden Geschlechtern getragen.
(19) Man sollte nicht vergessen, dass es bei den damaligen Juden
zwischen den Geschlechtern kaum Kleidungsunterschiede gab. (20)
Solche Unterschiede kamen erst später auf, und zwar zuerst in der
griechischen und römischen Welt.

b) Die Frau im Neuen Testament


Die Frau spielt nach dem NT im Missionswerk und im Leben der
christlichen Urgemeinde eine beachtenswerte Rolle (Apg 16,12ff;
18,26; Rö 16,1f; 1Tim 5,9f). Sie steht an der Seite ihres Mannes
als Miterbin der Gnade (1Pet 3,7; vgl. Lk 7,50; 8,1-3; 23,49.55;
4,27; usw.), denn in Christus ist weder Mann noch Frau (Gal
3,28). Diese soteriologische und eschatologische
(heilsgeschichtliche und endzeitliche) Gleichstellung der Frau
mit dem Mann übersieht aber nicht die Verschiedenheit von Mann
und Frau. Dies geschieht im Blick auf ihr Zusammenwirken in Ehe
oder Gemeinde. Es handelt sich dabei um Gemeinschaftsformen, die
man als etwas Organisches betrachtet; dem entspricht der
neutestamentliche Vergleich der Gemeinde mit einem Körper und
seinen verschiedenen Gliedern (vgl. 1Kor 12,12ff; Gal 3,28b). So
wird im Blick auf die Schöpfungsgeschichte der Mann, der der
erste Mensch war, als "Haupt" der Frau bezeichnet (1Kor 11, 3ff;

4
2Tim 2,12f; Eph 5,22ff). Aus diesem Grund werden Frauen im NT
aufgefordert, sich ihren Männern unterzuordnen (Eph 5,22ff; Kol
3,18; 1Tim 2, 11ff; Tit 2,5; 1Pet 3, 1ff), auch in den Gemeinden
das Lehren (1Tim 2,12) und die "letzten" Entscheidungen ihren
Männern zu überlassen (vgl. 1Kor 14,34ff; "schweigen", gr.
"sigao": der Befehlssatz "so sollen die Frauen in den
Versammlungen schweigen" könnte vom Griechischen her auch als
"ruhig/verschwiegen sein" oder gar als "aufhören, etwas
Unordentliches zu sagen" übersetzt werden,(21) obwohl die meisten
Übersetzer "sigao" mit "schweigen" wiedergeben). Denn es handelt
sich um eine schöpfungsmäßige Ordnung und keinesfalls um ein
Werturteil. Mann und Frau haben nicht verschiedene Rechte,
sondern unterschiedliche Verantwortung (vgl. Eph 5,21ff).
Interessanterweise wird in 1Kor 15,28 dem Christus im Rahmen
letztzeitlicher Gottesherrschaft über alles ein Gottvater
untergeordneter Platz mit der gleichen Vokabel zugewiesen, die
für die Stellung der Frau gegenüber ihrem Mann verwendet wird. In
Christus ist die menschliche Ordnung vollendet. Denn nur durch
die Gemeinschaft mit Christus kann von der Frau die eheliche
Unterordnung unter den Mann erwartet werden (Eph 5,22); und der
Mann kann zu einer Liebe aufgefordert werden, die der Liebe
Christi zur Gemeinde entspricht (Eph 5,25). (22)

Das Neue Testament emanzipiert die Frau von allen


Wertunterschieden. Diese revolutionäre Lehre veranlasste die
korinthischen Frauen, sich auch entsprechend (wie sie meinten) zu
verhalten. Wie die Gattin des Publius Sempronius kamen sie
unverschleiert in den Gottesdienst, zeigten sich unverschleiert
auch an sonstigen öffentlichen Plätzen und erregten damit bei
Nichtchristen den Verdacht, sie seien Hetären (Geliebte) oder
Tempeldirnen vom Akrokorinth (?). War solch ein Verhalten eine
gute Voraussetzung für das Evangelisieren unter der Bevölkerung
der Stadt? Keinesfalls!

2. Die kulturelle Anpassungsfähigkeit des Apostels


Paulus
"Denn wiewohl ich frei bin von allen, habe ich mich doch allen
zum Knecht gemacht, um ihrer desto mehr zu gewinnen. Den Juden
bin ich wie ein Jude geworden, auf dass ich die Juden gewinne;
denen, die unter dem Gesetz sind, bin ich geworden, als wäre ich
unter dem Gesetz - obschon ich nicht unter dem Gesetz bin -,
damit ich die unter dem Gesetz gewinne; denen, die ohne Gesetz
sind, bin ich geworden, als wäre ich ohne Gesetz - wiewohl ich
nicht ohne göttliches Gesetz lebe, sondern in dem Gesetz Christi
-, damit ich die gewinne, welche ohne Gesetz sind. Dem Schwachen
bin ich wie ein Schwacher geworden, damit ich die Schwachen
gewinne; ich bin allen alles geworden, damit ich allenthalben
etliche rette. Alles aber tue ich um des Evangeliums willen, um
an ihm teilzuhaben" (1Kor 9,19-23).

a. Die paulinische Anpassung an die Juden


Laut Apg 18,22 lehrte der Apostel Paulus 18 Monate in Korinth.
Dann beschloss er, das Passahlamm in Jerusalem zu feiern. Und da

5
er Jude war, entschied er sich, das Gelübde eines Nasiräers (?)
abzulegen. Dieses Gelübde gab dem Apostel Gelegenheit, seine
Treue zum Judentum zu demonstrieren (Apg 18,18; 21,23f). Paulus
wollte damit vermutlich auch Gott Dank bekunden für die Errettung
aus Gefahr, doch ist grundsätzlich zuerst an die jüdische
Anpassung zu denken (vgl. Apg 21,24.26), die Paulus Gelegenheit
bieten sollte, das Evangelium unter den Juden zu verkündigen.
(23) Der Apostel musste für eine bestimmte Zeit auf berauschende
Getränke und auf das Scheren des Haupthaares verzichten. Dieses
Gelübde konnte nur am Jerusalemer Tempel gelöst werden: Dort ließ
man sich das Haar scheren und brachte Opfer dar, (24) wobei das
abgeschnittene Haar ins Feuer geworfen wurde, auf dem das
Opfertier gekocht wurde... So hatte Paulus die Freiheit, den
Juden ein Jude zu werden (1Kor 9,20). Er hatte sich zwar gegen
jeden Versuch gewandt, das Heil im Gesetzesgehorsam zu finden,
aber er verbot keineswegs jegliche Gesetzesobservanz unter Juden.
(25)

Paulus hatte immer bestritten, dass das mosaische Gesetz als


Heilsordnung dienen könne. Nichtsdestoweniger hielt er es für
notwendig, Timotheus beschneiden zu lassen (Apg 16,3), bevor er
ihn auf seine Missionsreise mitnahm. Timotheus stammte aus einer
in jüdischen Augen illegitimen Mischehe zwischen einem
griechischen Mann und einer jüdischen Frau. Es ist mir
schleierhaft, wieso Timotheus nicht schon als Kind beschnitten
wurde, denn die Kinder aus solchen Ehen galten als Juden und
waren darum zu beschneiden. (26) Jedenfalls musste Paulus das
Unterlassene nachholen, und zwar vom missionsstrategischen
Gesichtspunkt aus. Denn die Zugehörigkeit eines jüdischen
"Abtrünnigen" zu seinem Mitarbeiterkreis hätte das Verhältnis des
Paulus zu den Juden grundsätzlich belasten müssen. (27) Aus
seinem Vorgehen ergibt sich die Folgerung, dass sich der Apostel
Paulus den Juden einzig und allein anpasste, um erfolgreicher
unter ihnen das Evangelium verkündigen zu können (vgl. Apg
17,2ff; 18,4ff; usw.).

b) Die paulinische Anpassung an die Nationen


Es ist undenkbar, dass Paulus in den Synagogen ohne Kopfbedeckung
mit den Juden Unterredungen geführt hätte. (28) Aber dann erhebt
sich die Frage, wie der Apostel sich dann unter den Nicht Juden
verhielt. Denn seine Aussage "denen, die ohne Gesetz sind, bin
ich geworden, als wäre ich ohne Gesetz" (1Kor 9,21) lässt viele
Fragen offen. Jedenfalls scheint Paulus weit davon entfernt
gewesen zu sein, die heidnischen Völker das Gesetz Mose zu
lehren. Ihm ging es - z.B. in Korinth - einzig und allein um
"Jesus Christus, und zwar als Gekreuzigten" (1Kor 2,2); den
Philippern versicherte er: "...für mich ist Christus das Leben,
und Sterben ist mein Gewinn" (1,21); den Galatern beteuerte er:
"...ich bin durchs Gesetz dem Gesetz gestorben, um Gott zu leben,
ich bin mit Christus gekreuzigt... Christus lebt in mir" (2,19f).
Selbstverständlich hatte er mit den Juden wie mit den Heiden
dieselbe Absicht: sie für Christus zu gewinnen. Seine
Evangelisationstaktik war unter den Juden anders als unter den
Nationen. Die Juden versuchte er anhand des Alten Testaments zu
überzeugen, dass Jesus der Messias sei (vgl. Apg 17,10b-11);
unter den Griechen knüpfte er an die Voraussetzungen seiner Hörer

6
bzw. an die Inschrift eines Tempelaltars an (Apg 17,23ff) oder
verwies auf griechische Dichter (Apg 17,28; vgl. Tit 1,12); er
arbeitete auf den Marktplätzen, wo er die Methode des Sokrates
benutzte und die Passanten und Umher stehenden in Gespräche über
das Heil durch Christus verwickelte.(29)

Es war für Paulus und seine Mitarbeiter durchaus nicht schwer,


sich äußerlich an die jeweiligen Umstände anzupassen. Denn
letztlich ging es dem Apostel nicht um Formen, Gewohnheiten oder
Traditionen, sondern um Christus und nochmals Christus allein.
Einzig aus dem Glauben in Christus sollten auch entsprechende
Verhaltensregeln und ethische Grundsätze "entspringen" (vgl. 1Kor
6,15-20; 1,13a; Eph 5,22-33; usw.). Nichts erhob Paulus zum
Gesetz, sondern für ihn war ein Leitmotiv gültig, das auch uns
zum Nachdenken über unser Verhalten bringen müsste: "Alles ist
mir erlaubt; aber nicht alles frommt! Alles ist mir erlaubt, aber
ich will mich von nichts beherrschen lassen" (1Kor 6,12). "Alles
ist mir erlaubt" war ein korinthischer Slogan, der das Leben der
Korinther bestimmte. Die Anknüpfung an diese Lebensdevise
brauchte eine Zusatzerklärung, und die wurde auch gegeben. Ich
darf mir, wo immer ich mich auch befinde, alles erlauben, aber
ich muss aufpassen, denn "nicht alles frommt" (nicht alles ist
zuträglich, hilft, nützt) und "nichts darf mich beherrschen",
auch sollte ich meinem Bruder oder meiner Schwester in Christus
nicht zum Anstoß werden (1Kor 8,10-13; Rö 14,21; Mt 18,6-14).

c) Der Apostel Paulus und seine Mitarbeiterinnen


Der Apostel Paulus hatte eine besonders herzliche und enge
Beziehung zu manchen christlichen Frauen. Viele dienten gemeinsam
mit ihm am Evangelium (Phil 4,2.3b); der gemeinsame Dienst
verband den Apostel mit diesen Frauen (Rö 16,3), und eine von
ihnen ersetzte ihm sogar die Mutter (Rö 16,13). Sie waren seine
Mitstreiter und Mitarbeiter am Evangelium, aber dennoch sah es
der Apostel als notwendig an, dass die Frau sich trotz ihrer
HEILS- und endzeitlichen Gleichstellung mit dem Mann der Schöp-
fungsordnung Gottes fügen sollte (vgl. Gal 3,26-29 mit Eph
5,22ff). Sie hatte das Recht, in den öffentlichen Versammlungen
zu beten und zu weissagen, aber so, dass sie weder ihren Mann
noch die Gemeinde Christi durch ihr Verhalten in Verruf brachte
(vgl. 1Kor 11,3-16). Denn auch die Frau sollte sich an die
jeweilige Kultur anpassen, um nicht durch ihr Verhalten unter den
Mitmenschen Anstoß zu erregen, sondern vielmehr sie für Jesus
Christus gewinnen zu können.

3. Das Verhalten der christlichen Frau im


Gottesdienst (1Kor 11,2-16)
a) Lob des Apostels für die Korinther Gemeinde (11,2)
Die Korinther Christen duldeten zwar Unmoral, Rechtsstreit und
andere tadelnswerte Verhaltensweisen in der Gemeinde (1Kor 5+6),
aber keine Irrlehre: sie hielten an den Überlieferungen des
Apostels fest. Sie hatten wohl das Alte Testament zur Verfügung,
denn Judenchristen gab es da auch (Apg 18,1-8). Die

7
Heidenchristen konnten sich der jüdischen Schriften bedienen,
aber die Evangelien waren noch nicht vorhanden, und so mussten
sie sich an die "Überlieferungen" des Paulus orientieren, um
nicht in die Gesetzlichkeit der Juden zu verfallen. Die Korinther
missverstanden zwar die Gnade; ihre Freiheit wurde ihnen zur
Freizügigkeit; doch dies ließ sich korrigieren, solange die
Gemeinde noch an der "heilsamen Lehre" (vgl. 2Tim 4,3; Tit 1,9;
2,1-10 mit Heb 13,9) festhielt. Darum schickt Paulus der
Ermahnung hier ein Lob voraus, denn die Korinther Christen hatten
den Apostel und seine Lehre nach wie vor in Erinnerung.

b) Die Reihenfolge der Schöpfungsordnung (11,3)


Die Korinther hielten an den "Überlieferungen" fest, aber einiges
wussten sie dennoch nicht. "Ich will aber, dass ihr wisst",
leitet der Apostel den nächsten Vers ein. Wenn der Schreiber des
Briefes die Empfänger an etwas erinnern oder zu einer Überlegung
auffordern wollte, begann er jeweils mit der Frage "Wisst ihr
nicht...?" (3,16; 5,6; 6,2; 9,24). Aus unserem Text geht dagegen
hervor, dass die Korinther von dieser Ordnung Gottes noch nicht
in Kenntnis gesetzt worden waren (11,3; vgl. Eph 5,22-33).

i. Gott ist das Haupt des Christus (V. 3d): Das griechische Wort
"kephale" heißt "Haupt, Kopf oder auch Quelle" und wurde in der
griechischen Welt niemals im Sinne von Überlegenheit oder
Übermacht verstanden, sondern im Sinne von Herkunft, Abstammung
und Ursprung.(30) So sprach Jesus Christus davon, dass er vom
"Vater" gesandt worden war (Joh 5,36; 6,57; 8,28f; 10,15.29f
-"der Vater" ist zwar größer als alle, auch als Christus, vgl.
14,28, aber dieser sagte dennoch: "Ich und der Vater sind eins",
Joh 10,30; vgl. 1,14.18). Die Herkunft des Christus ist vom
Vater, und er ordnet sich ihm freiwillig unter, "auf dass Gott
alles in allem sei" (1Kor 15,28).

ii. Christus ist das Haupt jeglichen Mannes (V. 3c): Diese
Aussage ist nicht einfach zu verstehen. Wahrscheinlich sollte
hier die Reihenfolge weiter durchdacht werden. Die Existenz
Christi besteht in der Existenz Gottes; so verdankt der Mann
seine Existenz der Existenz Jesu Christi, der die Ursache aller
Schöpfung ist (Kol 1,16f). Selbstverständlich bezieht sich dieser
Gedanke auch auf die Frau, aber das war nicht die Quintessenz der
betrachteten Aussage des Apostels.

iii. Der Mann ist das Haupt der Frau (V. 3b): Paulus sagt nicht,
der Mann sei der Herr der Frau. (Die theologische Deutung des
Begriffs „Unterordnung“ per se müsste einer erneuten biblischen
Revision unterworfen werden). Seine Aussage bezieht sich auf die
Schöpfungsordnung von 1Mo 2,18-23: (1) Die Frau wurde als
Gehilfin bzw. als "ergänzender Teil" des Mannes erschaffen; (2)
ursprünglich verdankt die Frau ihre Existenz dem Mann: sie wurde
gemäß dem biblischen Schöpfungsbericht aus der Rippe des Mannes
gebaut (1Mo 2,21f). Die Naturwissenschaft kann schwerlich mit der
biblischen Darstellung der Erschaffung der Frau fachlich
arbeiten, aber Paulus glaubt dem Schöpfungsbericht von Genesis 2
und begründet seine Argumentation über die Reihenfolge der

8
Entstehung der Geschlechter gerade mit diesem Bericht.

iv. Fazit: Christus verdankt seine Herkunft Gott dem Vater; der
Mann verdankt seine Herkunft Jesus Christus, durch den alles
erschaffen wurde (Kol 1,16); die Frau verdankt ihre Herkunft dem
Mann, aus dessen Rippe sie erschaffen wurde. Man kann
selbstverständlich die Schlussfolgerung ziehen, dass Paulus hier
die Unterordnung im Auge hatte. Dennoch sollte man aus dem Wort
"Unterordnung" keine "Überlegenheitsfolgerung" ziehen (vgl. Gal
3,28, kontra Grosheide, vgl. Anm., 39).

c) Zwischenbemerkung (ll,7b-9)
i. Der Mann kommt nicht von der Frau (11,8): Die Herkunft des
Mannes ist direkt von Gott abzuleiten. Denn er wurde einzig für
den göttlichen Dienst erschaffen und bestimmt. Gott suchte dem
Mann eine Gehilfin unter den Geschöpfen, "aber für den Menschen
fand sich keine Gehilfin, die ihm entsprochen hätte" (1Mo 2,20).
Der Mann entsprach Gottes Vorstellung von einem Aufseher über
alle lebende Kreatur (vgl. 1Mo 1,31). In diesem Sinne ist der
Mann "Gottes Bild und Ehre" (1Kor 11,7; vgl. 1Mo 1,27).

ii. "Die Frau" wurde "um des Mannes willen erschaffen" (11,9b):
Gott fand keine Gehilfin für den Mann unter den lebenden
Kreaturen und schuf ihm daher eine Frau, und zwar aus seiner
Rippe. Sie wurde für den Mann erschaffen und ist somit seine Ehre
(11,7). Der Mann ist also "nicht um der Frau willen erschaffen,
sondern die Frau um des Mannes willen" (11,9b). Es wäre falsch zu
vermuten, dass Paulus die Ebenbildlichkeit Gottes für die Frau
verneinen würde. Der Mann ist die Krone der Schöpfung, so auch
die Frau. Man könnte mit Recht sogar argumentieren, dass die Frau
der Gipfel der Schöpfung sei. Denn es fand sich niemand auf der
Erde, der des Mannes würdig war, außer der erschaffenen Frau. So
ist sie "Gottes Bild und des Mannes Ehre" (vgl. 1Kor 11,7). (31)

d) Die Partnerschaft der Geschlechter (11,11f)

Gott allein ist der Grund für das menschliche Dasein, für die
Heterosexualität und Fortpflanzung (1Mo 1,28). Der Mensch hat
seine Herkunft von Gott; er ist schlicht gottgewollt. Mensch ist
er im wahrsten Sinne, wenn beide Geschlechter eine Partnerschaft
bilden; in der christlichen Gemeinschaft ergänzen sie sich, ob
verheiratet oder unverheiratet. "Doch ist im Herrn weder die Frau
ohne den Mann, noch der Mann ohne die Frau" (11,11). Die Existenz
des einen hängt von der Existenz des andern ab. Gäbe es keine
Frau, so gäbe es auch keinen Mann, und umgekehrt. "Denn gleich
wie die Frau vom Manne (kommt), so auch der Mann durch die Frau;
aber das alles von Gott" (11,12). Damit eine Einheit da ist, die
dem Willen Gottes entspricht, braucht es zwei: den Mann und die
Frau (1Mo 2,24). Nicht Bedürfnislosigkeit, wie sie der Kyniker
Demetrius lehrte, braucht der Mensch, sondern die gegenseitige
Ergänzung, wie die Bibel sie proklamiert, bzw. die Anerkennung
einer Abhängigkeit: weder der Mann noch die Frau könnte ohne den
andern existieren.

9
e) Die Argumentation für oder gegen die Kopfbedeckung
(ll,4-7a,10.13-16)
i. Der Mann braucht beim Beten oder Weissagen seinen Kopf nicht
zu bedecken (11,4.7a): Die Römer beteten ihre Götter wie die
Juden ihren Gott mit bedecktem Kopf an. Die theologische
Begründung bestand darin, dass Frauen und Männer unverhüllt nicht
vor Gottes Heiligkeit bestehen können. (32) Für die Juden war die
Kopfbedeckung ein Schutz zwischen ihnen und ihrem Gott. Sie
bedeckten ihren Kopf auch als Zeichen der tiefsten Betrübtheit
sowie großer Freude (Ez 24,17; vgl. Jes 3,20; 61,3). Jedenfalls
trugen im Judentum beide Geschlechter eine Kopfbedeckung - daran
zweifelt wohl kaum jemand. (33) Anders war es in der griechischen
Welt.
Die Ehefrauen lebten zwar eher im Hintergrund und durften sich
nicht ohne Schleier in der Öffentlichkeit zeigen, aber die
Anbetung verrichteten sie ohne Kopfbedeckung, genau wie auch die
griechischen Männer. Denn vor ihren Göttern waren sie wohl
gleich. (34)

Der Apostel Paulus argumentiert in 1Kor 11,3, "dass Christus


eines jeglichen Mannes Haupt ist". In V. 7 sagt er: "Der Mann hat
nämlich darum nicht nötig, den Kopf zu verhüllen, weil er Gottes
Bild und Ehre ist." Nun lässt sich daraus folgern: Der Mann soll
Gottes Bild und Ehre nicht bedecken - wie die meisten
Kommentatoren erklären -, sonst würde er sein Haupt (Christus?)
entehren (11,4). Diese Folgerung ist aber mit der Aussage des
Apostels kaum gegeben. Laut Paulus ist der Mann das Bild und die
Ehre Gottes und hat es darum nicht nötig, seinen Kopf zu
bedecken. Von einer Wiederspiegelung des Bildes und der Ehre
Gottes in der Glatze oder durch den behaarten Kopf des Mannes ist
hier keine Rede. Es wäre lächerlich, das in der Aussage des
Apostels sehen zu wollen. Man sollte m. E. folgende
Schlussfolgerungen aus dem vorliegenden Text in Betracht ziehen
und genau überlegen.

Erstens: Aus dem Text geht genau hervor, dass der Mann es nicht
nötig hat, während er betet oder weissagt, seinen Kopf zu
bedecken. Der Text gibt uns kaum Anhaltspunkte zu behaupten,
dieser Befehl gelte einzig im Gottesdienst. Das 11. Kapitel
beginnt mit einer Aussage in bezug auf die Treue der Korinther
Christen zur apostolischen Lehre "in allen Dingen" (V. 2), d.h.
in jeder Situation. Sobald Paulus vom Verhalten im Gottesdienst
zu sprechen beginnt, erwähnt er das ausdrücklich (vgl. 11,18:
"Wenn ihr in der Gemeinde zusammenkommt" mit 14,5b: "...damit die
Gemeinde Erbauung empfange", usw.). Es ist wahr, dass Paulus die
Weissagung anderswo auf die Erbauung der Gemeinde bezieht, aber
in unserem Textabschnitt fehlt ein entsprechender Hinweis (vgl.
Apg 21,11b). Diese Tatsache lässt uns schließen: Wo immer der
Mann öffentlich betet oder weissagt, hat er es nicht nötig, "den
Kopf zu verhüllen" (11,7). Es wäre falsch zu behaupten, dass der
Mann auch bei anderen Gelegenheiten ohne Kopfbedeckung bleiben
müsse; sonst würde er sich im heißen Sommer ja einen Sonnenstich
holen oder sich im Winter die Ohren abfrieren. Gewöhnlich gingen
die Männer allerdings barhaupt. (35)

10
Zweitens: Der Mann würde "sein Haupt/seinen Kopf entehren"
(11,4b), falls er beim Beten oder Weissagen eine Kopfbedeckung
trüge. Manche Theologen glauben, dass mit "kephale" (als "Haupt"
zu übersetzen) einzig das geistliche Haupt, nämlich Christus,
gemeint sei. (36) Diese exklusive Interpretation entbehrt aber
der Logik. Denn der Mann ist als ganzer "Gottes Bild und Ehre"
(V. 7) und nicht allein sein Kopf. Eher meint der Apostel Paulus
mit "kephale" die Stellung des Mannes in der jeweiligen
Gesellschaft. Der säkulare Grieche durfte sich zusätzlich zur
legitimen Gattin noch eine Geliebte oder einen Jungen für
homosexuelle Beziehungen leisten. Seine Rechtsstellung in der
Gesellschaft mussten die Ehefrau und auch die Kinder
respektieren. Hätte der griechische Nichtchrist seine Götter mit
"verhülltem Kopf" angebetet, hätte er gehandelt wie eine Frau und
sich in der Gesellschaft lächerlich gemacht: er hätte seinen
"kephale" entehrt, d.h. sein Status wäre bedroht gewesen! Ein
Christ durfte es sich nicht leisten, seine Position in der
Gesellschaft in Frage zu stellen. Die Anpassung war notwendig, um
mit "denen, die ohne Gesetz sind", "als ohne Gesetz" zu sein -
wiewohl die Christen "nicht ohne göttliches Gesetz" lebten,
sondern im Gesetz Christi, damit sie die gewännen, "die ohne
Gesetz sind" (1Kor 9,21).

Drittens: Es waren wahrscheinlich die Judenchristen, die den


männlichen Heidenchristen die Kopfbedeckung zum Obligatorium
machen wollten. Denn dazu hatten sie im Alten Testament genug
Hinweise. In Korinth bekehrte sich der frühere Synagogenvorsteher
Crispus; Sosthenes - ein Christ -übernahm nach der
Amtsniederlegung des Crispus die Leitung. (37) Diese zwei
bedeutenden Gelehrten müssen einen wesentlichen Einfluss auf die
Gemeinde ausgeübt haben, was möglicherweise die Einführung der
Kopfbedeckung bei den Männern zum Beten und Weissagen bewirkt
hatte. Obwohl diese Männer theologische Begründungen genug für
ihre Stellungnahme hatten, gefährdeten sie damit die Position des
(heidenchristlichen) Mannes in der Gesellschaft, der in der Tat
"Gottes Bild und Ehre" ist, und damit war auch die Verbreitung
des Evangeliums gefährdet (vgl. 1Kor 9,12). Diesen Sachverhalt
muss Paulus erkannt haben, weshalb er nun entsprechende
Korrekturen einbrachte, damit alles "nur mehr zur Förderung des
Evangeliums" ausschlage (vgl. Phil 1,12) und Christus unter den
Heiden nicht "entehrt", sondern verherrlicht werde.

ii. Die Frau hatte es nötig, beim Beten oder Weissagen ihren Kopf
bedeckt zu haben (11,5f.13-15).

(a) "Sie soll ihren Kopf bedeckt bleiben lassen": Paulus


formuliert keine spezielle Regel für Frauen. Seine Aussage
beinhaltet den Gedanken, dass die Frau in der Öffentlichkeit
sowieso mit bedecktem Kopf erscheint, und so soll ihr Kopf auch
beim Beten und Weissagen bedeckt bleiben. Denn macht sie das
nicht, entehrt sie ihren Kopf/ihr Haupt. Wiederum wird allgemein
auf V. 3 verwiesen und behauptet, mit "kephale" sei "ihr Haupt",
also ihr Ehemann, gemeint. Das ist nicht gänzlich auszuschließen;
denn wie der Mann sich in der Gesellschaft mit Kopfbedeckung
lächerlich gemacht und die Verbreitung des Evangeliums gehindert
hätte, so umgekehrt auch die Frau, wenn auch in schwerwiegenderem

11
Maße.(37a) Die Kopfbedeckung der griechischen Frau bestand aus
einem Schleier (Netz) und Kopftuch, das manchmal den ganzen Kopf
bedeckte, oder einen Umschlagetuch, womit man den ganzen Körper
umhüllte; auch konnten griechische Frauen in späteren Zeiten eine
Kappe oder Haube tragen, aber keine russische Kossynka (Halstuch
oder Tragband).(38)

Wenn man in Betracht zieht, dass griechische Frauen und Männer in


den Tempeln ohne Kopfbedeckung beteten - was war dann so
Anstößiges daran, wenn christliche Frauen ohne Schleier Gebete
sprachen und Weissagungen weitergaben? Professor Grosheide meint,
Paulus habe gar nicht von den Frauen verlangt, im Gottesdienst
"verhüllt" zu beten und zu weissagen, sondern einzig in der
Öffentlichkeit, z.B. auf dem Marktplatz, unter Freunden usw.(39)
Diese Annahme beruht auf der bereits oben erwähnten Tatsache,
dass Paulus in unserem Textabschnitt gar nicht spezifisch von den
Zusammenkünften der Christen spricht. Desto schlimmer dann auch
das Verhalten der Frau ohne einen "Schleier".

Erstens: Wenn eine Frau ohne Schleier bzw. ohne Kopfbedeckung in


der Öffentlichkeit gebetet hätte, so hätte man angenommen, sie
sei Mätresse irgendeines verheirateten Mannes oder Hetäre
(gebildete Prostituierte für Aristokraten), Porne (eine billige
Dirne) bzw. Tempelpriesterin. Damit hätte sie ihren "kephale"
(ihren Mann) und ihre eigene Position in der Gesellschaft
entehrt.

Zweitens: Professor Grosheides Annahme kann ich nicht


beipflichten. Denn ein damaliger Nichtchrist anerkannte doch die
Zusammenkünfte der Christen in den Privathäusern gar nicht als
"richtige Zeremonie" und die Privathäuser nicht als
Gebetsstätten.(40) Eher vermutete man in solchen Zusammenkünften,
wie z.B. in Rom, Verschwörungen gegen den Kaiser.(41) Die Tempel
wurden als Gebetsstätten gewürdigt, nicht aber die Häuser der
Gläubigen.(42) Folglich, hätte man eine Frau ohne Kopfbedeckung
im christlichen Gottesdienst beten und weissagen gesehen, dann
wäre das Urteil des Nichtchristen über die betroffene Frau
genauso ungünstig ausgefallen, wie wenn sie das gleiche auf einem
Marktplatz getan hätte.(43)

Drittens: Das Beten und Weissagen der Frau mit unbedecktem Kopf
muss aus der heidnischen Praxis übernommen worden sein. Man
bekehrte sich von den Abgöttern zu Gott, behielt aber wohl die
Form der Anbetung bei. Diese Vermutung schließt das Verlangen der
Frauen nach "Emanzipation" nicht aus. Es mag beides angenommen
werden: "emanzipatorische" Gründe sowie die Beibehaltung
heidnischer Formen. Jedenfalls muss diese Form die Ehemänner echt
in Verruf gebracht haben, denn Paulus schreibt, eine Frau, die
unverhüllt bete und weissage, "entehre ihr Haupt/ihren Kopf"
(11,5a). Sie legte damit wohl der Verbreitung des Evangeliums ein
Hindernis in den Weg. Denn die christlichen Frauen brachten mit
diesem Verhalten zum Ausdruck, dass sie nun durch ihren Glauben
an Christus im Rahmen ihrer (Glaubens-)Gemeinschaft mit den
Männern gleichberechtigt seien und dass somit die Frauen in der
Gesellschaft auf den gleichen Status Anspruch hätten wie die
Männer. Hätte das in Rom kaum schockiert, so war eine solche

12
Haltung jedoch unter den Griechen unwillkommen, ja suspekt. (44)
Denn sie untergrub die Autorität der Männer in der Familie wie in
der Gesellschaft. Männer, die sich so etwas gefallen ließen,
wurden zweifellos als Weichlinge angesehen, was ihr christliches
Engagement am jeweiligen Ort zum Misserfolg verurteilen musste
(11,13). (45)

Viertens: Der Apostel Paulus schloss die Möglichkeit für die


Frau, unverhüllt zu beten und zu weissagen, nicht aus. Aber in
dem Fall sollte eine Frau sich gleich "das Haar abschneiden"
(11,6). Warum dieser Rat? Warum wird Paulus hier leicht
sarkastisch ("auf völlig gleicher Stufe mit einer Geschorenen /=
öffentlichen Dirne/", 11,5b Menge)? "...ist es aber für eine Frau
schimpflich, sich das Haar kurz zu schneiden oder es sich ganz
abscheren zu lassen, so soll sie sich verschleiern" (11,6b
Menge). Diese Aussage ist ein direkter Hinweis auf die kulturelle
Umgebung der Korinther Christen. (1.) Sogar unter den Juden war
es Gang und Gäbe, dass eine Frau, die des Ehebruchs verdächtigt
(!) war, zum Priester geführt wurde, der sie "vor den Herrn
stellte" und ihr als Zeichen des Verdachts auf Ehebruch das Haar
auflöste (4.Mo 5,18). Schon der öffentliche Verdacht, sie könnte
ihrem Mann untreu geworden sein, brachte einer Frau Schmach und
Schande ein. (2.) Das Scheren der Haare galt für eine Frau im
Judentum als Zeichen der Trauer (5.Mo 21,10-14). (3.) Wie bereits
erwähnt, ließen auch die Korinther eine Frau scheren, falls sie
beim Ehebruch ertappt wurde. So war es in Korinth das Zeichen
ehelicher Untreue, wenn eine Frau geschoren war, oder aber - wie
Menge in der Übersetzung angibt - Berufsfrisur der
Prostituierten. (4.) Nur Sklavinnen trugen damals geschnittene
Haare, damit man sie von den andern Frauen unterscheiden konnte.
(46) (5.) Fazit: Das Schneiden und Scheren der Haare kam in
Korinth für eine anständige Frau keineswegs in Frage, und man
kann nur darüber rätseln, wieso der Apostel Paulus in unserem
Text diesen sarkastischen Ton gebraucht, um für die christlichen
Frauen eine "Neuordnung" einzuführen. Jedenfalls sollte eines für
jeden klar sein: Paulus verlangt von den Frauen der Gemeinde ein
ehrwürdiges Verhalten in der Gesellschaft und Respektbekundung
ihren Männern gegenüber. Denn Paulus wollte nicht, dass Männer
oder Frauen wegen eines falschen Verhaltens in Verruf gerieten
und damit ihrem christlichen Auftrag nicht mehr nachkommen
konnten!

Fünftens: Die Frau sollte ihren Kopf aus Respekt vor ihrem Mann
"und um der Engel willen" bedecken (11,10). "Deshalb muss die
Frau (ein Zeichen der) Herrschaft auf dem Haupte tragen um der
Engel willen" (11,10 Menge). Mit der Kopfbedeckung anerkannte die
Frau (1.) die Autorität ihres Mannes und (2.) die
Schöpfungsordnung Gottes, der auch die Engel unterstellt sind.
"Exousia" ist der griechische Ausdruck, der hier mit "Herrschaft"
(bei Schlachter mit "Gewalt") übersetzt ist; er bedeutet gleich-
zeitig auch Recht, Befugnis, Vollmacht, Erlaubnis, Freiheit,
Obrigkeit. (47) Das Wort "Zeichen" steht nicht im griechischen
Text, wird hier aber allgemein zur Wiedergabe von "Exousia"
eingefügt, was wohl nicht so verkehrt ist. Die Kopfbedeckung war
in Korinth für die verheirateten Frauen ein Zeichen der Vollmacht
der Ehemänner über sie. Diese gesellschaftliche Ordnung sollte

13
keinesfalls verletzt oder abgeschafft werden. Nicht nur die
soziale, sondern auch die schöpfungsmäßige Ordnung bzw. die Rei-
henfolge sollte berücksichtigt und eingehalten bleiben:
zuallererst Gott, dann Christus, dann der Mann und nun die Frau
(11,3). So hat es Gott gewollt, damit auf der Erde sowie in der
Himmelswelt kein Chaos, sondern Ordnung herrsche (1Kor 14,33;
vgl. Heb 1,4-14). Die Engel sind in jeder Versammlung von
Christen anwesend (vgl. Lk 15,10; Eph 3,10; Heb 1,14; 12,1;
ferner Pred 5,6; 1Kor 4,9; Ps 138,1). Die christliche Gemeinde
hat vor den Engeln die Ordnung Gottes durch Respektbezeugung ge-
genüber dem anderen Geschlecht einzuhalten, (48) weil Gott die
Menschen in jener Ordnung geschaffen hat. Man darf dabei nicht
vergessen, dass die Frühkirche die Frauen mit Recht als vor Gott
mit den Männern gleichwertig behandelte. (48a) Auch Paulus
proklamierte keine Wertunterschiede (Gal 3,28). Ihm ging es
offensichtlich um Gottes Ordnung, die respektiert werden sollte,
nicht um einen geringeren Stand der Frau in der Gemeinde.(49) Der
folgende Vers 11 ist der Beweis dafür: "Doch ist im Herrn weder
die Frau ohne den Mann, noch der Mann ohne die Frau." Hier wird
die gegenseitige Abhängigkeit der Geschlechter betont und präzi-
siert; V. 12 ordnet sie wiederum in die Ordnung Gottes ein: "Denn
gleichwie die Frau vom Manne /kommt/, so auch der Mann durch die
Frau; aber das alles von Gott." Die Schöpfungsordnung ist in sich
harmonisch. Nicht der Mensch hat diese Reihenfolge bestimmt,
sondern Gott. Aus Respekt zu Gott soll eine Frau ihre innere wie
äußere Haltung gegenüber dem Mann zum Tragen kommen lassen - in
der Unterordnung und durch das im kulturellen Umfeld akzeptierte
äußere Zeichen der Autorität des Mannes, der sich diese Autorität
durch ein unerschöpfliches Wohlwollen gegenüber seiner Frau
"abverdienen" (Eph 5,25) muss. (49a)

(b) Die Haartracht von Mann und Frau ist zur Unterscheidung der
Geschlechter gegeben (1Kor 11, 14f). Paulus verwendet in Bezug
auf das Haar eine bekannte griechische Argumentation: "Oder lehrt
euch nicht schon die Natur, dass es für einen Mann eine Unehre
ist, langes Haar zu tragen? Dagegen gereicht es einer Frau zur
Ehre, wenn sie langes Haar trägt; denn das Haar ist ihr statt
eines Schleiers gegeben" (1Kor 11,14f). Der griechische Philosoph
Epiktet (um 50 n.Chr. bis 138) schrieb, das Haar sei den Menschen
zur Unterscheidung der Geschlechter gegeben. "Hat nicht die Natur
bzw. das Wesen eines jeden von uns gleich von Anfang ausgerufen:
ICH BIN EIN MANN! aufgrund dessen nähere dich zu mir, sprich zu
mir, suche sonst nichts anderes an mir; sind denn nicht hier die
Zeichen? Desgleichen bei einer Frau: Hat nicht die Natur ihr eine
sanfte Stimme verliehen und ihr die Haare (vom Kinn)
entfernt...?" Epiktet fährt fort zu beweisen, dass die Haare am
Körper der Menschen sowie die Haarlänge der Unterscheidung der
Geschlechter dienen. (50) Auf einer Papyrusrolle ist
festgehalten, dass ein (heidnischer) Priester dafür gerügt wurde,
dass er sich langes Haar wachsen ließ und Kleider aus Wolle trug.
(51) Bei den Griechen war den Männern keine bestimmte Haarlänge
vorgeschrieben. Die Spartaner trugen das Haar schulterlang und
banden es vor einem Kampf zusammen, damit es ihnen beim Kämpfen
nicht in die Quere kam.(52) Wichtig war aber, dass die Frauen
längeres Haar trugen als die Männer.(53)

14
Die Frage "Lehrt euch nicht schon die Natur...?" meint kaum etwas
anderes als die allgemein anerkannte Körperbeschaffenheit der
Geschlechter. (54) Man nahm an, dass die Haarlänge die
Geschlechter unterscheiden soll, und auch die Korinther sollten
sich an diese allgemeingültige Ordnung halten. Denn es ging doch
letztlich darum, niemandem zum Anstoß zu werden, um unter den
Heiden segensreich das Evangelium verkünden zu können. Langes
Haar war für Frauen "eine Ehre", kurzes Haar für Männer. (55)
Mann oder Frau zu sein ist eine göttliche Bestimmung (11,12b) und
deshalb eine Ehre. Wenn die Gesellschaft der Meinung ist, die
Haarlänge unterscheide den Mann von der Frau - warum sollten sich
Christen dieser Sitte widersetzen wollen? (Noch gar, wenn die
Kleidung der beiden Geschlechter, wie erwähnt, sie nicht
unterschied!)

"Das Haar ist ihr statt eines Schleiers gegeben" (1Kor 11,15b):
V. 4 behandelt die Frage der Verhüllung des Mannes beim Beten und
Weissagen; V. 6 setzt das Nichtverhülltsein der Frau mit dem
Abschneiden ihres Haares in Beziehung, wobei angenommen wird,
dass die Korinther Frauen, die mit unbedecktem Kopf beteten oder
weissagten, das Haar lang trugen, und zwar offen, wie die
Mätressen und die Tempeldirnen.(55a) Mit den folgenden Versen
will Paulus zeigen, dass die christlichen Frauen ihr Haar ge-
ordnet und nicht lose tragen sollten. Denn das Haar ist ihr "als"
oder "statt" (anti) eines Schleiers gegeben (11,15), d.h. eben
nicht um sich mit der Frisur einer Dirne gleichzusetzen und damit
ihr Christsein in Frage zu stellen und den Ehemann in Verruf zu
bringen.(56) Christlicher Anstand orientiert sich an der Liebe
(vgl. Phil 1,9-11; 4,8f) und darf nicht mit dem Weltgeist konform
gehen (vgl. Rö 12,2), aber die Christen auch nicht in ein Getto
verdrängen. Beide Extreme sind für Paulus unannehmbar, zumal es
um das Gewinnen von Seelen für Christus geht (1Kor 9,19-23).
Darum weist er beide Fehlhaltungen zurück und belegt seine
Anweisungen theologisch mit der Schöpfungsordnung bzw. mit der
Reihenfolge der Erschaffung der Kreatur. (57)

iii. Die Kopfbedeckung wird der Korinther Gemeinde nicht


aufgezwungen, sondern zu ihrem Wohl empfohlen (1Kor 11,16): "Will
aber jemand rechthaberisch sein, so haben wir solche Gewohnheit
nicht, die Gemeinden Gottes auch nicht." Die Argumentation des
Apostels betreffs der Kopfbedeckung für Frauen konnte theologisch
angefochten werden, da ja laut Paulus selber beide Geschlechter
vor Gott gleich sind (Gal 3,28). Nicht nur Paulus, sondern auch
andere Apostel sowie weitere christliche Lehrer proklamierten im
1.Jh. diese Gleichheit.(58) Aber Paulus meint hier einfach, er
habe Rechthaberei nicht gern ("philoneikos" heißt streitsüchtig,
wörtlich: streit- oder kampfliebend). Die Aussage "...so haben
wir solche Gewohnheit (der Rechthaberei?) nicht" erklärt nicht,
wen Paulus mit "wir" meint. Die nichtvorhandene "Gewohnheit"
könnte sich auch auf das Beten und Weissagen christlicher Frauen
ohne Kopfbedeckung in "der Gemeinde Gottes", d.h. in den
damaligen Gemeinden generell, beziehen. (59)

C. Zusammenfassung und
Schlussfolgerungen

15
Paulus führt fünf Argumente für die Kopfbedeckung der
korinthischen Frauen an:

Erstes Argument: die göttliche Ordnung und die Reihenfolge der


Erschaffung der Geschlechter(1Kor 11,3-6).

Zweites Argument: der Sinn der Erschaffung der Menschen - die


Ergänzung; Gott schuf sie füreinander (1Kor 11,7-9; 1Mo 1,27;
2,18).

Drittes Argument: sogar die Engel beachten die Ordnung Gottes und
überwachen sie (1Kor 11,10; vgl. Heb 1,4-14 mit 1Kor 4,9; Eph
3,10; 1Tim 5,21; Ps 103,20f). (60)

Viertes Argument: Mann und Frau sind voneinander abhängig, keiner


ist erhabener als der andere (1Kor 11,11f). Die Frau sollte sich
äußerlich instinktiv vom Mann unterscheiden wollen, und umgekehrt
(11,13-15).

Fünftes Argument: die allgemeine Praxis der Kopfbedeckung in den


damaligen christlichen Gemeinden (1Kor 11,16). (Anmerkung: Ich
bin mir heute nach vielen Untersuchungen nicht mehr sicher, dass
die Kopfbedeckung (a) bei jüdischen Frauen und (b) bei
christlichen Frauen in der Urgemeinde die allgemeine Praxis war,
obwohl mich mein wissenschaftlicher Konsultant und die übrigen
Disputanten nach dem Vortrag nicht korrigierten).

Aber wie wir gesehen haben, erwartete der Apostel Paulus von den
christlichen Frauen in Korinth noch aus weiteren Gründen das
Tragen der Kopfbedeckung:

1. Das (freie) Verhalten der christlichen Frauen in Korinth


diskreditierte ihre Männer in der Gesellschaft ("entehrt ihr
Haupt", 1Kor 11,5);
2. es brachte die Frauen selber in Verruf und war daher ein
Hindernis für die Verbreitung des Evangeliums;
3. es verstieß gegen die Schöpfungsordnung Gottes und hatte
eine irregeleitete Emanzipation der Frau ausgelöst; damit
wurde das Haupt Mann bzw. Christus "entehrt";
4. es verstieß gegen die allgemeine Auffassung der Griechen von
der Stellung der Frau in der Familie und Gesellschaft sowie
im religiösen Leben. Auch dies bedeutete ein Hindernis für
die Verbreitung des Evangeliums, das es wegzuräumen galt
(vgl. 11,3a: "Ich will aber, dass ihr wisset").

Dabei zwang Paulus, wie gesagt, den Korinthern "seine" Auffassung


über die Kopfbedeckung nicht auf, sondern überließ es ihnen, ob
sie seinem Rat folgen wollten oder nicht (11,16).

Fazit: Es geht Paulus in unserem Textabschnitt hauptsächlich


darum, die Extreme in Schranken zu weisen. Alles sollte zur
Förderung des Evangeliums beitragen - dies war gewissermaßen sein
persönliches Motto (vgl. Phil 1,12.20f).

Die Frage, ob christliche Frauen auch heute noch eine


Kopfbedeckung tragen sollten, hängt von der Kultur der jeweiligen

16
Umgebung ab, denn das Prinzip der Beantwortung orientiert sich an
der Nützlichkeit einer Sitte für die Förderung des Evangeliums.

Es geht dem Apostel bei den Korinthern nicht darum, neue


"gesetzliche" Regeln aufzustellen; oh nein, er wollte die
Einstellung der christlichen Frauen und Männer gegenüber Gott und
zueinander mit der Erwählung in Einklang bringen (vgl. 1Pet 3,7).
Beide sind Erben der Herrlichkeit Christi, aber die
Geschlechtsunterschiede sind (zum Glück) nicht abgeschafft
worden. Die gegenseitige Ergänzung der Geschlechter bleibt auch
heute bestehen.

Im Hinblick auf die Förderung des Evangeliums unter der


Bevölkerung ist die äußere Anpassung an die jeweilige Kultur eine
christliche Verpflichtung, das für uns heute ebenso gilt wie für
die Korinther im 1. Jh. (1Kor 9,19-22)

D. Fußnoten und Anmerkungen

1 Bo Reiche, Leonhard Rost (Hr.): Biblisch-Historisches


Handwörterbuch (fortan: BHH). Göttingen: Vandenhoeck &
Ruprecht, 1964, Bd. 2, Sp. 940.
2 C.F. Pfeiffer (Hrsg.): The Biblical World. A Dictionary of
Biblical Archaelogy (fortan: DBA). Grand Rapids: Baker Book
House, 5. Aufl. 1979, S. 172-174.
3 M.C. Tenney (Hrsg.): The Zondervan Pictorial Encyclopedia of
the Bible. Grand Rapids: Zondervan, 5. Aufl. 1980, Bd. 1, S.
960f.
4 BHH, Bd. 2, Sp. 989; H. Th. Frank: Bible Archaeology and
Faith. Nashville: Abingdon Press, 1979, S. 81-84; Vgl. S. 105-
108.
5 Völker, Herrscher und Propheten: Die Menschen der Bibel - ihr
Leben, ihre Zeit. Stuttgart: Das Beste, 1979, S. 413.
6 Vgl. Unterwegs in die Vergangenheit: Die erstaunlichsten
Tatsachen der Weltgeschichte. Stuttgart-Zürich-Wien: Das
Beste, 1984, S. 130, vgl. S. 140f.
7 Ebenda, S. 102, vgl. 1Kor 6,12-19.
8 DBA, S. 173; BHH, Bd. 2, Sp. 989f; Tenney, Bd. 1, S. 961
9 Unterwegs in die Vergangenheit..., S. 103.
10 Ebenda, S. 102
11 William Barclay: Brief des Jakobus. Brief des Petrus.
Wuppertal: Aussaat Verlag, 2. Aufl. 1982, S. 209f.
12 Ebenda, S. 208.
13 A.T. Robertson: Word Pictures in the New Testament. Nashville:
Broadman Press, 1931, Bd. 4, S. 160.
14 Frank E. Gaebelein (Hrsg.): The Expositor's Bible Commentary.
Grand Rapids: Zondervan, 1979, Bd. 10, S. 256f.
15 M. Buchberger (Hrsg.): Lexikon für Theologie und Kirche.
Freiburg-Basel: Herder, 1957-1968, Bd. 1, S. 718.
16 Der Neue Knauer: Lexikon in 10 Bänden. Droemer Knaur: München-
Zürich, 1975, S. 3517.
17 Völker, Herrscher und Propheten..., S. 413.
18 BHH, Bd. 1, Sp. 494f. James Orr (Hrsg.): The International
Standard Bible Encyclopaedia. Grand Rapids: Eerdmans, 1976,
Bd. 5, S. 3100f; Vgl. Walther Eichrodt: Theology of the Old

17
Testament. Philadelphia: Westminster Press, 1961, S. 131; 80f.
19 BHH, Bd. 2, Sp. 985f.
20 Ebenda, Sp. 962-965.
21 Halter Bauer (Hrsg.): A Greek-English Lexicon of the New
Testament and other Early Christian Literature. Chicago-
London: Univ. of Chicago Press, 1979, S. 749. Das Lexikon gibt
das Wort sigao wieder mit (1) "sage nichts", "sei ruhig" (Mk
14,61; Lk 19,40; 20,26; Apg 12,17; 15,12; 1Kor 14,28); (2)
"werde ruhig", "höre auf zu sprechen" (Lk 18,39; Apg 13,41;
15,13; 1Kor 14,30); (3) "halte den Mund", "sei verschwiegen"
(Lk 9,36); (4) "halte Geheimnisse", "verschweige bzw.
verheimliche etwas" (Rö 16,25).
22 BHH, Bd. 1, Sp. 494-496.
23 Jürgen Roloff: NTD: Die Apostelgeschichte. Göttingen:
Vandenhoeck & Ruprecht, 1981, S. 275f; Vgl. F.F. Bruce: The
Acts of the Apostles. The Greek Text with Introduction and
Commentary. Grand Rapids: Eerdmans, 9. Aufl. 1979, S. 349.
24 (H.L. Strack,) P. Billerbeck: Kommentar zum Neuen Testament
aus Talmud und Midrasch. München: C.H.Beck, 1922-1961, Bd. 2,
S. 749ff; Vgl. Ernst Haenchen: The Acts of the Apostles. A
Commentary. Philadelphia: Westminster Press, 1971, S. 542-547,
610-614.
25 Roloff, S. 315.
26 Billerbeck, Bd. 2, S. 741.
27 F.F. Bruce: The New International Commentary on the New
Testament: The Book of the Acts. Grand Rapids: Eerdmans,
1977, S. 322f
28 BHH, Bd. 2, Sp. 962-965, 985f.
29 John Pollock: Der Apostel. Wuppertal: R. Brockhaus, 1971, S.
117f
30 C.K. Barrett: A Commentary on the First Epistle to the
Corinthians. London: Adam & Charles Black, 1978, S. 248.
31 Robertson, S. 161.
32 M.R. Vincent: Word Studies in the New Testament. Wilmington:
Associated Publishers and Authors, o.J., S. 786.
33 Orr, Bd. 2, S. 878f.
34 Leon Morris: The First Epistle of Paul to the Corinthians.
Grand Rapids: Eerdmans, 1979, S. 152; Vgl. Barrett, S. 250.
35 Barrett, a.a.O.; Vgl. Vincent, S. 786.
36 Barrett, S. 250.
37 Pollock, S. 130, 136ff.
37a. View of the Biblical World. Jerusalem: Verlag International,
1961, Bd. 5, S. 228; Dio of Prusa: Tarsica prior, Paragraf 48;
dasselbe bei: Miliard J. Erickson: Christian Theology. Grand
Rapids: Baker Book House, 1984, Bd. 2, S. 545-548.
38 Vincent, S. 786
39 F.W. Grosheide: Commentary on the First Epistle to the
Corinthians. Grand Rapids: Eerdmans, 1976, S. 252f.
40 James I. Packer (Hrsg.): The World of the New Testament.
Nashville-Camden-New York: Nelson, 1982, S. 162ff.
41 Karl Kupisch: Kirchengeschichte: Von den Anfängen bis zu Karl
dem Großen. Stuttgart-Berlin-Köln-Mainz: Kohlhammer, 1973, S.
47ff.
42 F.F. Bruce: New Testament History: Historical Foundation of
the New Testament Story. Oliphants: Marshall, Morgan & Scott,
1977, S. 18, 129, 296f. 311.

18
43 David K. Lowery: "1 Corinthians" in John F. Wolwoord, Roy B.
Zuck (Hrsg.): The Bible Knowledge Commentary. Wheaton: Victor
Books, 1983, S. 528f.
44 Unterwegs in die Vergangenheit, S. 101-103; vgl. hingegen die
Stellung der Frau in Rom: Philipp Vandenberg: Nero: Kaiser
und Gott, Künstler und Narr. München: Bertelsmann, 1981, S.
116ff.
45 Tertullian: "On Baptism and the Veiling of Virgins" in Paul
Johnson: A Historiy of Christianity. London: Penguin, 1980,
S. 49. Tertullian stellt fest, dass manche Frauen es wagten
zu lehren, theologische Diskussionen zu führen, zu
exorzieren, die Gabe der Heilung zu praktizieren und sogar
möglicherweise zu taufen. Er lehnte ein Recht der Frauen zu
solchem Vorgehen in den Gemeinden ab und verbot es ihnen
kategorisch. Vgl. S. 75, 1OOf.
46 F.W. Farrar: "I Corinthians" in H.D.M. Spence, J.S. Exell
(Hrsg.): The Pulpit Commentary. Grand Rapids: Eerdmans, 1977,
Bd. 19, S. 361f; vgl. Robertson, S. 160.
47 Hermann Menge: Altgriechisch. Berlin-München-Wien-Zürich:
Langenscheidt, 1985, S. 163.
48 Donald Guthrie: New Testament Theology. Leicester: Inter-
Varsity Press, 1981, S. 139f.
48 Johnson, S. 75; Guthrie, S. 177-180.
49 Vincent, S. 787; Farrar, a.a.O. S. 362f; Robertson, S. 161;
Guthrie, S. 741.
49a Vgl. Guthrie, S. 774-778.
50 Barrett, S. 256f.
51 Robertson, S. 162.
52 Lowery, a.a.O. S. 530.
53 Morris, S. 155f.
54 Vincent, S. 787; Robertson, S. 161f. Farrar glaubt, das
griechische Wort für Natur dürfe mit "Instinkt" wiedergegeben
werden, a.a.O.
S. 363; vgl. Grosheide, S. 260.
55 Grosheide, S. 260.
55a Orr, Bd. 2, S. 1320; BHH, Bd. 2, Sp. 617f; Gilbert Beers: The
Victor Handbook of Bible Knowledge. Wheaton: Victor Books,
1981, S. 87, 255, 477.
56 Vgl. Grosheide, S. 261. Der griechische Ausdruck anti
peribolaion wird mit "als Schleier" oder "statt eines
Schleiers" übersetzt; es bedeutet auch "anstatt eines
Überwurfs" (Menge, S. 346). Darum schließt man, dass es Paulus
letztlich um eine ordentliche Haartracht ging (vgl. Robertson,
S. 162).
57 Lowery, a.a.O. S. 528f; Farrar, a.a.O. S. 361; Vgl. The
Journal of Theological Studies, Georgetown Univ., Washington
D.C., Okt. 1954, S. 211-215; C.S. Lewis: Mere Christianity.
London: Fontana Books, 1955, S. 99f; Morris, S. 152.
58 Johnson, S. 75. Die Empörung über die Gleichstellung der
Frauen kam erst im 2. Jh. durch Tertullian: Johnson, S. 49.
59 Morris, S. 156; Vgl. Lowery, a.a.O. S. 530.
60 Guthrie, S. 139-145.

19

Das könnte Ihnen auch gefallen