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August 2010 DIE ZEIT No 33 ÖSTERREICH


ZEITGEIST

Ödipus in Salzburg
JOSEF JOFFE: Wo bleibt die moderne Tragödie?
ZEIT-Diskussion in Salzburg: »Hätten Romeo und
Ein Sittenbild der Republik
Julia Handys gehabt, wäre es ein Happy End gewor-
den.« So ironisierte der Festspiel-Intendant Jürgen Dubiose Geschäfte,
Flimm die Frage, warum der postmoderne Mensch
keine Tragödien mehr schreibe. Eine SMS, und Romeo
Geldverschwendung,
hätte gewusst, dass die Geliebte bloß scheintot war. Missachtung des
Technik als Tragödienkiller? Immerhin lautet das
Motto von Salzburg 2010: »Wo Gott und die Men- Rechtsstaats – das System
schen zusammenstoßen, entsteht Tragödie.« Aber bis Haider wurde von der
auf Wolfgang Rihms Dionysos wurden Klassiker aus
dem 19. oder frühen 20. Jahrhundert gespielt, von politischen Klasse hofiert
Elektra bis Lulu. Noch klassischer im Theater: Ödipus, VON ANTON PELINKA
Phädra, Jedermann. Nicht anders in Deutschland, wo
regelmäßig die Perser, die Orestie, Medea und Ödipus
»Mitleid und Furcht« erzeugen. So hat uns Aristoteles
in der Schule das Wesen der Tragödie erklärt.
Tragödie ist, anders als in der Umgangssprache, we-
der das schreckliche Unglück noch der Verlust eines
geliebten Menschen, sondern die Kollision gleichwerti-
ger Prinzipien: Kreons Staatsräson gegen Antigones
gottgegebene Pflicht. Die Zuschauer sind die Geschwo-
Foto: CONTRAST/action press

renen, müssen entscheiden. Manchmal, wie in der Ores-


tie, gibt’s göttliche Hilfe. Da singt der Chor: »Wer an
Zeus denkt, der gewinnt Einsicht, Verständnis des Gan-
zen.« Und: »Er brachte den Menschen auf den Weg des
Denkens, zum richtigen Denken. Er gab das Gesetz ...«
Der postmoderne Mensch aber denkt nicht an Zeus.
Ist Gott tot, sind es auch die ehernen Gebote, die im
Zusammenprall Tragödie zeugen. »Anything goes« In Feierlaune: Jörg Haider mit dem libyschen Präsidentensohn Saif al-Islam al-Gadhafi beim Wiener Opernball im Jahr 2002
heißt: Ich habe recht, du aber auch – und beide dürfen

D
wir das nicht so eng sehen. Wir müssen den »anderen«
respektieren. Die mörderische Leidenschaft der Kly- ie Methode ist seit Langem be- Angesichts des nun ruchbar gewordenen Entscheidung, Haider politisch zu umarmen, Haider nicht um »Ideale«, sondern um handfeste
tämnestra ist therapierbar. Othello und Desdemona kannt: Das System Haider bestand mysteriösen Finanzgebarens des selbst ernannten auch Ausdruck der Bewunderung für den, der Vorteile ging: Überall, wohin man sticht, taucht
gehen in die Eheberatung, die Montagues und Capu- aus einer Mischung von schlech- Saubermannes ist plötzlich bei vielen die Über- alles, was auch in Schüssels Partei existiert, bis das Motiv der persönlichen Bereicherung auf.
lets in die Streitschule. Kreons rächender Staat ist dem tem Entertainment, inhaltlicher raschung groß – und schon tappen sie wieder zur Vollendung perfektionierte? Pilgerte nicht Das stramm rechte Dritte Lager rund um den
rehabilitierenden gewichen. Ödipus lernt in der Famili- Beliebigkeit, trotzigem Postnazis- dem System Haider in die Falle: Hat nun Walter ÖVP-Präsidentschaftskandidatin Benita Ferrero- FPÖ-Chefideologen Andreas Mölzer hatte anfangs
enaufstellung, dass er unschuldig ist. Medea ist un- mus und schamlos frechem Umgang mit Geld. Meischberger ein Tagebuch geschrieben – oder Waldner 2004 nach Kärnten, um sich das Wohl- freilich gerne in Kauf genommen, dass das System
zurechnungsfähig. Hamlet bekommt einen Coach, der Wer hinsah, wusste schon vor Jahren, dass mit ein Romanfragment? Darf man darüber lachen, wollen des Landesfürsten zu sichern? Und folgte Haider die FPÖ zu einem ungeahnten Höhenflug
Entscheidungsfreude lehrt. Und Faust kriegt so viele Jörg Haider »kein Staat zu machen« war, wie Er- dass Haiders Tennislehrer (Lebensmensch?), den ihr nicht ORF-Generaldirektorin Monika Lind- führte, den auch die NS-Nostalgie nicht verhin-
Drittmittel, dass er auf den Teufel verzichten kann. hard Busek meinte. Wer jetzt noch von den neuen viele in Paraguay oder – die Beine in Beton ge- ner auf diesem Pfad, um sich das Placet Haiders derte. Die Granden der selbst ernannten Europa-
Wenn es das Unabänderliche, Unausweichliche Enthüllungen über Millionenkonten überrascht gossen – am Grund des Genfer Sees wähnten, abzuholen? Verzichtete nicht sogar SPÖ-Kanzler partei ÖVP, allen voran Schüssel, zahlten dem
nicht mehr gibt, kann es keine Tragödie geben, auch ist, sollte sich fragen, warum die Ausflüge des offenbar doch friedlich in Kärnten wohnt? Ge- Alfred Gusenbauer am Grab Haiders auf kriti- Steigbügelhalter Haider bei der Bildung der
nicht jene »ewige Gerechtigkeit«, die laut Hegel »in ih- tödlich verunglückten Politik-Desperados zu nügt es, sich – völlig zu Recht – über die Kom- sche Töne? Kurz darauf wurde Gusenbauer – schwarz-blauen Regierung im Jahr 2000 nur zu
rem absoluten Walten durch die relative Berechtigung Diktatoren zu keinen Konsequenzen führten. petenz einer Strafverfolgungsbehörde zu wun- nunmehr Altkanzler – Berater der Hypo Alpe- gerne den von diesem geforderten Preis. Und SPÖ-
einseitiger Zwecke hindurch greift«. Der Rest ist Ge- Warum die provokante Geldverschwendung, die dern, die es nicht der Mühe wert findet, solchen Adria. Einer Bank, die der Stützpfeiler des Sys- Vorsitzender Alfred Gusenbauer versäumte es
sprächsbedarf. Oder kulturelle Sensibilisierung. Oder zum Markenzeichen dieses Systems wurde, nicht (und anderen) Spuren nachzugehen? tems Haider war. nicht, sich beim gemeinsamen Spargelessen und
Resozialisierung. Handys hülfen auch. verstärkt kritische Fragen nach sich zog. Warum Trotz dieser unbeantworteten Fragen geht es Das alles geschah, obwohl schon damals of- anderen Gelegenheit die Möglichkeit offenzuhal-
Aber damit ist das Problem nicht erledigt. Warum die fortgesetzte Verachtung des Rechtsstaates nicht um eine Neubewertung des Systems Hai- fensichtlich war, dass Haider die Millionen seiner ten, von der mit dem Namen Jörg Haider ver-
spielen wir Postmodernen denn andauernd Sophokles (Stichwort: Ortstafel verschieben) nicht dazu der, sondern um jene, die das Land diesem Re- Landesbank zweckentfremdete, um damit sein bundenen Verluderung der Republik vielleicht
und Aischylos, Shakespeare und Racine? Warum fließen führte, dass die »staatstragenden Parteien« diesem gime auslieferten. Haider, so Peter Turrini, war Karnevalsregime zu finanzieren. Dennoch ho- doch einmal politisch profitieren zu können.
die Tränen bei La Traviata? Weil die Sehnsucht nach dem Mann die Rolle eines politischen Paria zuwiesen. ein »Übertreiber« der Großparteien: Auch in de- fierte die politische Klasse den alternden Sunny- Was immer letztlich herauskommen mag –
Absoluten eine »anthropologische Konstante« ist, auch Wer es wissen wollte, der wusste es seit Lan- ren Reihen waren viele, die einen Schlussstrich boy vom Wörthersee, dem scheinbar alles gelang. anonyme Millionenkonten in Liechtenstein oder
wenn Gott tot sein sollte. Zitieren wir Raymond Chand- gem. Dennoch lieferte Wolfgang Schüssel die unter die NS-Vergangenheit ziehen wollten. Jetzt, da die kriminellen Machinationen ans Ta- auch nicht, Beweise für Millionen aus Tripolis
ler, den Schöpfer des unsterblichen Philip Marlowe, aus Republik einem Ungeist aus, der NS-Verharmlo- Haider aber machte aus dieser Neigung eine Tu- geslicht kommen, reibt man sich verwundert die und Bagdad oder auch nicht, Verbindungen zur
dem Essay The Simple Art of Murder: »In diese schäbigen sung und postmoderne Politikunterhaltung, gend. Auch in SPÖ und ÖVP gab und gibt es Augen. Stattdessen wäre von diesen praktizieren- Ustaša-Mafia oder auch nicht – das Meischber-
Straßen muss sich ein Mann begeben, der selber nicht populistische Appelle an primitive Vorurteile Geldgier, Streit um Pfründen und die Belohnung den Christen in der Politik ein reuiges mea culpa ger-Tagebuch (oder Drehbuch oder PR-Gag
schäbig ist. Der weder befleckt noch ängstlich ist und und eine an Mafia-Traditionen gemahnende von Loyalität mithilfe von Postenvergaben. Erst angebracht – etwa von Wolfgang Schüssel. oder Romanfragment) liefert nicht nur ein Sit-
nach der verborgenen Wahrheit sucht. Er weiß, was wahr Umwandlung des Politischen in einen Selbst- das System Haider aber erhob all dies zu einer Das System Haider stand für eine Politik ohne tenbild des Systems Haider. Es ist auch ein ver-
und richtig ist; das fasziniert und erschreckt zugleich.« bedienungsladen zu verbinden verstand. wahren Kunst. War nicht Wolfgang Schüssels Konturen. Jetzt, so meinen viele, sei klar, dass es nichtendes Urteil über diese Republik.

Alles Walzer, oder was?


Warum der moderne Tanz nicht in Schwung kommt VON ANA TAJDER

E
in Mal im Jahr, zwischen Mitte Juli und besuchen, löst beim Gegenüber meist verständnis-
Mitte August, verwandelt sich Wien in die lose Blicke aus. Zeitgenössischer Tanz? Bitte nicht.
Hauptstadt des Tanzes. Dann steht die Kein Grund für Argwohn: Mit mir muss niemand
Donaumetropole im Zeichen von Impulstanz, eine moderne Tanzperformance besuchen. Ich
einem der besten Tanzfestivals der Welt. Eine boykottiere sie. Ich habe genug davon, nackten
pulsierende Veranstaltungsreihe, die von einer ex- Körpern dabei zuzusehen, wie sie zu ohrenbetäu-
zellenten Auswahl an Performances und Work- bendem Lärm spastische Anfälle imitieren. Ich will
shops geprägt ist. Doch kaum ist der letzte Ton Tanz sehen – und nicht eine falsch verstandene
verklungen, das Festival zu Ende, verkümmert Überinterpretation künstlerischer Freiheit. Genuss?
der Tanz wieder zum Randgruppenphänomen. Fehlanzeige. Doch anstatt zurück an die Basis, in
In dieser Stadt, die ihre reiche musikalische die Tanzstudios zu gehen, beschäftigt sich die Szene
Tradition wie keine andere zelebriert, fristet ihr mit theoretischen Auseinandersetzungen.
Zwilling, der Tanz, ein bescheidenes Dasein. Denn Das Tanzquartier, das im Museumsquartier
im selben Maß, wie sich das Impulstanz-Festival angesiedelte Zentrum für zeitgenössischen Tanz in
in Größe und Qualität steigert, verkümmert Wien, beansprucht für sich, eine der
die heimische Szene. Es scheint, als wichtigsten europäischen Stätten für
würde diese Kunst nur noch in Ball- G ENOSS die Entwicklung dieser theoreti-
sälen oder bei Gastspielen interna- RT E
schen Diskurse zu sein. Doch
A

tionaler Tanzgruppen hochgehal- obwohl diese Institution von


ten werden. der Stadt gefördert wird und
Noch vor zehn Jahren war das damit eine Einrichtung für
anders. Wien tanzte! In den alle Interessierten sein sollte,
Tanzschulen wimmelte es von scheint hier bloß eine Gemein-
Studenten, die dem Ruf teils re- schaft am Werk zu sein, die vor
nommierter Gastlehrer folgten. Die allem damit beschäftigt ist, lange
richtige Klasse zu finden, einen Platz zu Abhandlungen über die Theorie des
ergattern war angesichts des hohen Niveaus Tanzes zu verfertigen – um so in den
eine regelrechte Kunst. Heute jedoch ist es aus Genuss von Projektförderungen zu kommen. Das
anderen Gründen schwierig, in eine gute Klasse zu Ergebnis sind abgehobene Veranstaltungen, die das
gelangen. Die wenigen Lehrer von Rang, die ge- Publikum vergraulen. Tanz bedarf keiner Anleitung.
blieben sind, unterrichten kaum Neues, viele Kur- Es ist nicht die Schuld der Besucher, wenn sie nicht
se werden mangels Teilnehmern abgesagt. Wo sind verstehen, was auf der Bühne passiert.
sie alle hin, die talentierten, ehrgeizigen Tänzer und Eine Alternative ist der Besuch von Inszenie-
Tänzerinnen? Nach St. Pölten? rungen des klassischen Balletts an der Staatsoper.
Nach St. Pölten! Unter Michael Birkmeyer, bis Hier kann man sehr gute (aber nicht unbedingt
vor einem Jahr künstlerischer Leiter des Festspiel- brillante) Aufführungen genießen, um der Magie
hauses, wurde die niederösterreichische Provinz zu des Tanzes nachzuspüren – so man nicht bereits
einem Zentrum für modernen Tanz. Unter der eine Tütü-Allergie ausgebildet hat.
Ägide des ehemaligen Solotänzers der Wiener Wer jedoch selbst zeitgenössische Tänzerin ist,
Staatsoper entstand das exzellente Ensemble abc- hat ein Problem: Der Unterricht in den meisten
dancecompany, gleichzeitig lotste Birkmeyer in- Klassen ist von durchschnittlicher Qualität. Oder
ternationale Künstler aufs Land. Leider blieb der man gibt einmal im Jahr ein Vermögen für Kurse
Einfluss gering, vor allem wegen der Randlage. im Rahmen des Impulstanz-Festivals aus. Am bes-
Jemand, der für den Besuch einer Tanzperformance ten, man ändert seine künstlerischen Vorlieben und
teils über eine Stunde Autofahrt in Kauf nimmt, wartet auf die Ballsaison: Alles Walzer!
muss tatsächlich ein Enthusiast sein.
Und der gehört einer mittlerweile raren Spezies Die Autorin absolviert derzeit ein Instructor-Training des
an. Die Einladung, gemeinsam eine Aufführung zu New York City Ballets

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