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Theodor W.

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11I Aspekte des neuen Rechtsradikalismus
Ein Vortrag

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Suhrkamp
Bibliografische Inrormauon der Deuuchen N:uiolJaibibliochek

Dic-{)e:utsche Madonalblbllothek vemkhnet diese Publikation

in der Deutschen NadonalbibIiografle;

detaillierte bibliografische Daten sind im Imeruct

über Lmp:/fdnb.d-nb.de abrufur, Inhalt

Aspekte des neuen Rechtsradikalismus


7

Editorische Notiz
57

Nachwort
59

Erste Auflage 2019

© Suhrkamp Verlag Berlin 2019


über die Autoren
AUe Rechte vorbeha.lten, insbesoooetc das deI übersetzung, des

ölfentHchen Vortrags sowIe der Übertragung durcu Run,dfunk und


89
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Kein THI des Werkes darf in itgendeiner Form (durch Forogtafie,

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Druck: CPI - Ebne!' &: Spiegel, Ulm

ISBN 97g-3~)Ia~5Sn7-9

'mi' ~7'S "-'sur" .,


Ja, meine sehr verehrten Damen und Herren,
ich möchte versuchen, nicht etwa mit dem An­
spruch auf Vollständigkeit Ihnen eine Theorie des
Rechtstadikalismus zu geben, sondern in losen Be­
merkungen einige Dinge hervorzuheben, die viel­
leicht Ihnen nicht allen so gegenwärtig sind. Ich
möchte damit also andere theoretische Interpreta­
tionen nicht außer Kraft setzen, aber ich möchte
einfach versuchen, das, was man so allgemein über
diese Dinge denkt und weiß, ein bißehen zu ergän­
zen.
Ich habe im Jahr r959 einen Vortrag gehalten,
"Was bedeutet: Aufutbeirung der Vergangenheit«, in
dem ich die These entwickelt habe, daß der Rechts"
radikalismus dad urch sich erklärt oder daß das
Potential eines solchen Rechtsradikalismus, der da­
mals ja eigentlich noch nicht sichtbar war, dadurch
sich erklärt, daß die gesellschafdichen Vorausset­
zungen des Faschismus nach wie vor furtbestehen.

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Ich möchte also davon ausgehen, meine Damen und Nun, der Übergang zum Sozialismus oder, be­
Herren, daß die Voraussetzungen faschistischer Be­ scheidener gesagt, auch nur Zu sozialistischen Orga­
wegungen trotz des Zusammenbruchs gesellschaft­ nisationen ist diesen Gruppen von jeher sehr schwer
lich, wenn auch nicht unmittelbar politisch, nach geworden und ist heute, zumindest in Deutsch­
wie vor· fortbestehen. Dabei denke ich in erster land - und meine Erfahrungen beziehen sich na­
Linie an die nach wie vor herrschende Konzentra­ turgemäß in erster Linie auf Deutschland -, noch
tionstendenz des Kapitals, die man zwar durch alle viel schwerer, als das früher der Fall war. Vor allem
möglichen statistischen Künste aus der Welt weg­ deswegen, weil ja die SPD, die deutsche sozialde­
rechnen kann, an der aber im Ernst kaum ein Zwei­ mokratische Partei, mit einem Keynesianismus, ei­
fel ist. Diese Konzentrationstendenz bedeutet nach nem KeyneSschen Liberalismus, identifiziert ist, der
wie vor auf der anderen Seite die Möglichkeir der auf der einen Seite zwar die Potentiale einer Verän­
permanenten Deklassierung von Schichten, die ih­ derung der Gesellschaftsstruktur, die in der klassi­
rem subjektiven Klassenbewußtsein nach durchaus schen Maooschen Theorie gelegen waren, abbiegt,
bürgerlich waren, die ihre Privilegien, ihren sO'lia­ andererseits aber doch die Bedrohung der Verar­
len StaUis festhalten möchten und womöglich ihn mung, jedenfalls in der Konsequenz, für die Schich­
verstärken. Diese Gruppen tendieren nach wie vor ten, von denen ich gesprochen habe, verst.~rkt. Ich
zu einem Haß aufden Sozialismus oder das, was sie erinnere an die einfache 'Ilmache der schleichen­
Sozialismus nennen, das heißt, sie verschieben die den, aber doch sehr bemerkbaren Inflation, die ja
Schuld an ihrer eigenen potentiellen Deklassierung eine Konsequenz eben des Keynesschen Expansio­
nicht erwa auf die ApparaUIr, die das bewirkt, s~n­ nismus ist, und ich erinnere weiter an eine These,
dem aufdiejenigen, die dem System, in dem sie ein­ die ich eben auch in jener Arbeit vor acht Jahren
mal Status besessen haben, jedenfulls nach traditio­ entwickelt habe und die unterdessen sich doch sehr
nellen Vorstellungen, kritisch gegenübergestanden zu akUJalisieren beginnt, nämlich daß trotz. Vollbe­
haben. Ob sie das heute noch tun und ob ihre Pra­ schäftigung und trotz all dieser Prosperitätssymp­
xis das heute noch ist, das ist eine andere Frage. tarne das Gespenst der technologischen Arbeitslo-

J.',
IO II

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sigkeit nach wie vor umgeht in einem solchen Maß, es sich etwa um das agrarische Potential des Rechts­
daß im Zeitalter der Automatisierung, die ja in Zen­ radikalismus handelt, ist die Angst vor der EWG
traleuropa noch zurück ist, aber ohne Frage nach­ und den Konsequenzen der EWG für den Agrar­
geholt werden wird, auch die Menschen, die im markt hier sicher außerordentlich stark.
Produktionsprozeß dtinstehen, sich bereits als po­ Zugleich aber und damit berühre ich den ant­
tentiell überflüssig - ich habe das sehr extrem aus­ agonistischen Charakter, den der neue Nationalis­
gedtückt -, sich als potentielle Arbeitslose eigent­ mus oder Rechtsradikalismus hat - hat et ange­
lich fühlen. Hinzu kommt natürlich noch die Angst sichts der Gruppierung der Welt heute in diese paar
vor dem Osten, ebenso wegen des niedrigeren le­ übergroßen Blöcke, in denen die einzelnen Natio­
bensstandards dort wie wegen der Unfreiheit, die nen und Staaten eigentlich nur noch eine unter­
ja doch unmittelbar wld sehr real von den Men­ geordnete Rolle spielen, etwas Fiktives. Es glaubt
schen, auch von den Massen, erfahren wird, und eigentlich niemand mehr so ganz dal'an. Die ein­
dazu, jedenfalls bis vor kurzer Zeit, da~ Gefühl zelne Nation ist in ihrer Bewegungsfreiheit durch
der außenpolitischen Bedrohung. die Integration in die großen Machtblöcke außer­
Es ist nun an die eigenriimliche Situation zu er­ ordentlich beschränkt. Man soUte nun daraus aber
innern, die herrscht mit Rücksicht auf das Problem nicht etwa die primitive Folgerung ziehen, daß
des Nationalismus im Zeitalter der großen Macht­ deswegen der Nationalismus, wegen dieser Über­
blöcke. Innerhalb dieser Blöcke lebt nämlich der holtheit, keine entscheidende Rolle mehr spielt, son­
Nationalismus doch fort als Organ der kollekth dern im Gegenteil, es ist ja sehr oft so, daß über­
ven Interessenvertretung innerhalb der in Rede ste­ ~,'.'
zeugungen und Ideologien gerade dann, wenn sie
henden Großgntppen. Es ist gar kein Zweifd dar­ eigentlich durch die objektive Situation nicht mehr
an, daß sozialpsychologisch und auch real es eine recht substantiell sind, ihr Dämonisches, ihr wabr­
seh r verbreitete Angst davor gibt, in diesen Blöcken 'ir,' haft Zerstörerisches annehmen. Die Hexenprozesse.
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aufzugehen und dabei auch in der materiellen Exi~ haben schließlich nicht Stattgefunden in der Zeit
stenz schwer beeinträchtigt zu werden. Also, soweit des Hochthomismus, sondern in der Zeit der Ge­
""

I2 13
genreformation, und etwas Ähnliches dürfte es mit sehen Poujadismus vor Augen gestanden hat, zwar
dem, wenn ich es so nennen darf, »pathischen« Na­ in bezug auf, wenn ich so sagen darf, den Sozialcha­
tionalismus heute auch auf sich haben. Dieses Mo­ rakter dieser Bewegungen zutrifft, daß diese The­
ment des Angedrehten, sich selbst nicht ganz Glau­ se sicherlich aber nicht mttiffi mit Rücksicht auf
benden, hat er übrigens schon inder Hiderzeit die Verteilung, obwohl sicherlich gewisse kleinbür­
gehabt. Und dieses Schwanken, diese Ambivalenz, gerliche Gruppen auch unter .den Anfalligen sind,
zwischen dem überdrehten Nationalismus und dem vor allem also kleine Einzelhändler, die durch die
Zweifel daran, der dann wieder es n~twendig Konzentration des Einzelhandels in Warenhäusern
macht, ihn zu überspielen, dam it man ihn sich und ähnlichen Institutionen unmittelbar bedroht.
selbst und anderen gleichsam einredet, das war da­ sind. Außer den Kleinbürgern spielen sicher elne
mals auch schon zu beobachten. hervorragende Rolle die Bauern, die sich ja in einer
Nun, aus diesen recht simplen Thesen möchte permanenten Krise beilnden, und ich würde den­
ich ein paar Konsequenzen zunächst einmal zie­ ken, daß solange, wie es nicht wirklich gelingt, da.,
hen. leh glaube, es erklärt sich nämlich aus dem, Agrarproblem auf eine radikale, nämlich nicht sub­
was ich Ihnen gesagt habe, nämlich daß es sich im ventionistische und künstliche und in sich wieder
Grunde um eine Angst vor den Konsequenzen ge­ problematische Weise zu lösen, solange man nicht
samtgese!lschaftlicher Entwicklungen handelt, das, wirklich zu einer vernünftigen und rationalen Kol­
was von Meinungsfurschungsinstituten allseitig be­ lelttivierung der Landwirtschaft gelangt, daß die­
obachtet worden ist und was auch aus unsrer ei­ ser schwelende Herd dauernd bestehen bleibt.
genen Arbeit sich bestätigt hat, daß nämlich die Darüber hinaus gibt es aber auch in diesen Be­
Anhänger des Alt- und Neuhtschismus heute quer wegungen insgesamt so etwas wie einen sich ver­
durch die Gesamtbevölkerung verteilt sind. leh schärfenden Geg"'fiSatz der Provinz gegen die Stadt.
glaube, daß die sehr verbreitete Annahme, es han­ Auch bestimmte einzelne Gruppen, wie zum Bei­
dele sich bei alldem um spezifisch kleinbürgerliche spiel die kleinen Winzer in der Pfalz in Deutsch­
Bewegungen, wie uns zuletzt noch im französi­ land, scheinen besonders anfällig zu sein. Soweit

... _,
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es sich um die Frage nach dem industriellen backing angezogen, insbesondere auch Typen der Art, die,
dieser Bewegungen handelt, liegen bei uns bis jetzt sagen wir, so als Füofuehnjäbrige um I945 den Zu­
wirklich konkrete Belege dafür nicht vor. Man muß sammenbruch erlebt haben und bei denen dann
in all diesen Dingen sehr vorsichtig sein, daß man außerordendich stark so dieses Geftlhlliegt: »Deutsch­
nicht zu schematisch denkt und etwa also mit dem land muß wieder obenaufkommen.«
Schema von der Industrie, die den Faschismus fur­ Ich darfsozialpsychologisch hier vielleicht sagen,
ciert - man darf damit nicht so leichtfertig ope­ obwohl ich weiß Gott diese Dinge nicht für primär
rieren. Man muß sich dabei auch vergegenwärti­ psychologische Fragen halte, daß ja im Jahr 1945 die
gen, daß ja der Faschismus, dessen Apparatur stets wirkliche Panik, die wirkliche Auflösung der Iden­
eine Tendenz hat, sich auch den tragenden ökono­ tifikation mit dem Regime und der Disziplin, nicht,
mischen Interessen gegenüber zu verselbständigen, wie etwa in Italien, stattgefunden hat, sondern daß
auch für die große Industrie ja keine Annehmlich­ das bis zuletzt kohärent geblieben ist. Die Identifi­
keit isr und daß man in Deursrhland zum Faschis­ kation mit dem System ist in Deutschland nie wirk­
mus als einer Ultima ratio geschritten ist, nämlich lich radikal zerstört worden, und darin liegt nadlr­
im Augenblick der nWl wirklich ganz großen Wirt­ . !~ ·lich auch eine der Möglichkeiten, daß gerade von
schaftskrise, die also für die damals bilanzmäßig den Gruppen, von denen ich eben spreche, dar.n
bankrotte Ruhr-Industrie eine andere Möglichkeit angeknüpft wird.
offenbar nicht gelassen hat. Man hört ja sehr oft, gerade also mit Rücksicht
Natürlich gibt es Kaders alter Nazis. Aber auch auf solche Kategorien wie »Die ewig Unbelehr­
hier mächte ich sagen, und zwar einfach aufGrund baren« und wie solche Trostphrasen sonst lauten
von Beobachtungen, die innerhal.b der empirischen mögen, die Behauptung, es gebe so einen Boden­
Sozialforschung vorliegen, daß man nicht glauben satz von Unbelehrbaren oder von Narren, einen so­
soll, daß es sich lediglich um die sogenannten Un­ genannten lunatic .finge, wie man in Amerika es
belehrbaren handelt, über die man dann so etwas nennt, in jeder Demokratie. Und es steckt dann
die Achseln zuckt. Es werden fraglos auch Junge darin so ein gewisses quietistisch bürgerlich Trö­

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stendes, wenn man sich das so vorsagt. Ich glaube,. nomiscben Rückschlag und haben diesen gewisser­
man kann äarauf nur antworten: Gewiß sei in je­ maßen antizipiert oder, wenn Sie wollen, diskon­
der sogenannten Demokratie auf der Welt etwas tiert. Sie haben gleichsam eine Angst und 'einen
Derartiges in variierender Stärke zu beobachten, Schrecken vorweggenommen, wenn man so sagen
aber doch nur als Ausdruck dessen, daß dem In­ soll, der dann erst ganz akut geworden ist.
halt nach, dem gesellschaftlich-ökonomischen In­ Mit diesem Wort des Antizipierens des Schrek-,
halt nach, die Demokratie eben bis heute nirgends kens glaube ich nun wirklich etwas schr Zentrales
wirklich und ganz sich konkretisiert hat, sondern berührt zu haben, das, soweit ich sehen kann, in
formal geblieben ist. Und die faschistischen Bewe­ den üblichen Ansichten über den Rechtsradikalis­
gungen könnte man in diesem Sinn als die Wund­ mus viel zu wenig berücksichtigt wird, nämlich
male, als die Narben einer Demokratie bezeichnen, die sehr komplexe nnd schwierige Beziehung, die
die ihrem eigenen Begriff eben doch bis heute noch hier herrscht, zu dem Gefühl der sozialen Katastro­
nicht voll gerecht wird. phe. Man könnte reden von einer Verzerrung der
Ich möchte weiter, wenn es sich darum handelt, Marxischcn Zusammenbruchstheorie, dIe' in die­
gewisse Klischeevorstellungen über diese Dinge zn­ sem sehr verkrüppelten und falschen Bewnßtsein
rechtzurücken, auch sagen, daß das Verhältnis die­ srattfrndet. Aufder einen Seite wird nach der ratio­
ser Bewegungen zur Ökonomie ein strukturelles nalen Dimension hin g~..fragt: .Wie soll das wei­
Verhältnis ist, daß es also eben in jener Konzcntra­ tergehen, wenn es, etwa einmal eine große Kiise
donstendenz und der Tendenz zur Verelendung gibt?« und für diesen PalI empfehlen sich diese
steckt, daß man es sich aber nicht zu kurzfristig Bewegungen. Aber sie haben auf der andern Seite
vorstellen kann und daß man, wenn man etwa ein­ etwas gemeinsant mit jener Art von manipulierter
fach Rechtsradikalismus mit Konjunkturbewegun­ Astrologie von heute, die ich für ein sozialpsycholo­
gen gleichsetzt, zu sehr falschen Urteilen gelangen gisch außerordentlich wichtiges und charalrreristi­
kann. So waren die Erfolge der NPD in Deutsch­ sehes Symptom halte, daß sie nämlich in gewisser
land bereits einigermal!en alarmierend vor dem äko­ Weise die Katastrophe wollen, daß sie von Wclt­

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untergangsphantasien sich nähren, so wie sie übri­ fisch deutschen Aspekt des Anstiegs der "NPD, so
gens, wie wir aus den Dokumenten wissen, auch der spielt hier sicher eine sehr wesentliche. Rolle die
ehemaligen Fiihrun&Sclique der NSDAP gar nicht Funktion des Begriffs der Organisation. Die NPD
fremd gewesen sind. hat zum ersren Mal, schon allein durch die Angle!­
Wenn ich psychoanalytisch reden sollte, würde chung ihres Namens an die der anderen Parteien,
ich sagen, es sei sicherlich nicht die geringste der so etwas wie einen organisatorischen MassenappcU
Kräfte, die hier mobilisiert werden, daß an den un­ ausgeübt, ohne das sektiererische Aroma zu haben, .
bewußten Wunsch nach Unheil, nach KataStrophe das die rechtsradikalen Vorreiter der NPD, näm­
in diesen Bewegungen appelliert wird. Abet ich lich die Sozialistische Reichspartei und wie sie alle
möchte doch dem hinzufügen und ich spreche hießen, gehabr haben. Es wirkt in Deutschland ­
damit gerade zu denen unter Ihnen, die mit Recht und das ist nun wohl ein spezifisch Deutsches, das
gegen eine bloß psychologische Deutung gesell­ sich nicht ohne weiteres wird auf Österreich übet­
schaftlicher und politischer Phänomene skeptisch tragen lassen - das Srrane und Zentralistische, wäh­
sind -, daß dieses Verhalten keinesvvegs nur psy­ rend alles, was auch nur entfernt an Sekte gemahnt,
chologisch motiviert ist, sondern auch seine objek­ was also nicht von vornherein so auftritt, als ob
tive Basis hat. Wer nichts vor sich sieht und we~ wunders was dahlnterstünde, in Deutschland su­
die Ver'.inderung der gesellschaftlichen Basis nicht spekt ist und keinen Massen.ppell ausübt. Es g<;­
will, dem bleibt eigentlich !,'<lr nichts anderes üb­ hört zu den Grundstücken der deutschen Ideolo­
rig, als wie der Richard-Wagnersche Wotan Zu sa­ gie, daß es keine Einzelgänger geben soll. Man hat
gen: »Weißt Du, was Woran wili? Das Ende« -, der nichr umsonst dem Hindenburg immer wieder
aus seiner eigenen s07jalen Situation heraus das "Seid einig, einig, einig!« in den Mund gelegt,
den Untergang, nur eben dann nicht den Unter­ und der Kampf gegen das »Parteiunwesen«, also
gang der eigenen Gruppe, sondern wenn möglich der Gedanke, daß der politische Kompromiß an
den Unterg'dng des Ganzen. sich selbst bereits eine Verfallsform sei, das ist im
Wenn ich noch etwas sagen darf über den spezi­ ~E deutschen Bürgertum so tief eingewurzelt, daß bis

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heute auch durch die Veränderung der politischen zen wegen ihres niedrigen geistigen Niveaus und
Form an dieser Ideologie noch nicht sehr viel sich wegen ihrer Theotielosigkcit. Ich glaube. es wäre
geändert hat. ein völliger Mangel an politischem Blick, wenn man
Man will also etwas hinter sich haben, und das . deshalb gIal:lbte, daß sie erfolglos sind, Das Cha~
erklärt die große Rolle des sogenannten Bandwag­ rakteristische für diese Bevi'egungen ist vielmehr
on-Effekts, wie mall das in Amerika nennt, in eine außerordentliche PerlCktion der Mittel, näm­
Deutschland, das heißt, daß diese Beweglmgen lich in erster Linie der propagandistischen Mittel
durchwegs so auftreten, als ob sie bereits sehr gro­ in einem weitesten Sinn, kombiniert mit Blinclheit,
ße Erfolge gehabt hätten, und durch die Votspie­ ja Abstrusität der Zwecke, die dabei verfolgt wer­
gelung, daß sie also die Garanten der Zukunft sei­ den. Und ich glaube, daß gerade diese Konstella­
en und Gott weiß was alles hinter ihnen steht, die tion von rationalen Mitteln und irrationalen Zwek­
Menschen anziehen. Es spielt hier sicher noch, in ken, wenn ich's einmal so abgekürzt au'sdriicken
diesem Einigkeitskomplex, herein die Tatsache, daß soll, in gewisser Weise der zivilisatorischen GesaIllt­
gerade also in der Bundesrepublik der Nationalstaat tendenz entspricht, die ja überhaupt auf eine sol­
ja etwas ist, was sich mit ungeheurer Verspätung che Perfektion der Techniken und Mittel hinaus­
überhaupt erst realisiert hat, im Vergleich vor al-!e~ läuft, während der gesaIlltgescllschaftliche Zweck
also zu England und zu Frankreich. Und die Men­ dabei eigentlich unter den Tisch fällt. Die Pwpa­
schen in Deutschland scheinen in einer immerwäh­ ganda ist vor allem darin genial, daß sie bei diesen
renden Angst um ihre nationale Identität zu leben. Parreien und diesen Bewegungen die Differenz, die
eine Angst, die zu der Überwertigkeit des National­ fraglose DifFerenz zwischen den realen Interessen
bewußtseins sicher das Ihrige beiträgt. Etwa die und den vorgespiegelten falschen Zielen ausgleicht.
Panik, die die Deutschen bei der Idee der Spaltung Sie ist wie einst bei den Nazis geradezu die Sub­
ergrejft, dürfte ebenfalls darin ihre Erklärung fin­ stanz der Sache selbst. Wenn Mittel In wachsendem
den. Maß für Zwecke substituiert werden, so kann man
Man sollte diese Bewegungen nicht unterschät­ beinme sagen, daßin diesen rechtsradikalen Bewe­

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gungen die Propaganda ihrerseits die Substanz der trotz der großen Katastrophe etWas Ähnliches wie
Politik ausmacht. Und es ist ja kein Zufall, daß die die Tatsache, daß die Deutschnationalen dann in
sogenannten flührer des deutschen Nationalsozialls­ dem Machtkampf den Nationalsozialisten unterle­
mus, die Hitler und Goebbels, eben in erster Linie
gen sind, daß sich das einfach in den Machtkämp­
, Propagandisten waren und daß ihre Produktivität
fcn innerhaib der NPD einfach so zu wiederholen
und Phantasie in die Propaganda hereingegangen
scheint.
ist. Politische Gruppierungen überdauern Systeme
Ich meine übrigens, daß man deshalb auch die und Katastrophen. In Deutschland scheinen zum
Konflikte in den deutschen Führungsgremien der Beispiel alte nationalsozialistische Zentren wie Nord­
NPD nicht übertreiben soll. Wenn mein Eindruck hessen, wo es bereirs in den achtziger Jahren des vo­
richtig ist, dann hat der sogenannte harte odrr radi­ rigen Jahrhunderts eine wilde antisemitische Bewe­
kale l;lügel gesiegt. Es ist dabei zu erinnern an das gung gab, oder wie Nordbayern besonders anfallig
ehemalige Verhältnis zwischen der NSDAP zu den zu sein. Gruppen, die sich als zugleich ami-schwarz
Hugenbergschen Deutschnationalen. Diese haben und anti-rot empfinden, tendieren mit dieser dop­
nach wie vor keine MassenbaBis, und die Massenba­ pelten flromsrellung fast apriori zum Rechtsradi­
sis scheint gerade mit jenem Moment der Katastro­ kalislnus, und ich könme mir vorstellen, daß ge­
phenpolitik, des sich selbst Übertreibenden, wenn rade in bezug auf di~se Srrukmr Sie in Österreich
Sie wollen, mit jenem Moment deS Wahnhaften, ge­ ähnliche Beobachtungen machen. Dabei ist natür­
radezu zusammen:z.ugehen. lich nichr zu unterschlagen das Manipulierte und
Es ist übrigens in diesem Zusammenhang wohl Angedrehte all dieser Bewegungen, daß sie etwaS
interessant und sollte einmal von der politischen vom Gespewt eines Gespensts haben. Es wäre
WIssenschaft und auch vor allem von den Politi­ falsch, wenn man heute erwa in Deutschland, und
kern selbst, die solche Dinge analysieren, beachtet es wäre hysterisch, wenn man heure in Deutschland
werden, daß solche Strukturen trotz der Katastro­ unter diesen Dingen sich so etWas wie eine spollta­
phen eine merkwürdige Konstanz haben, daß also ne Massenbewegung vorstellen würde. Wohl aber

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kann eine solche sich herausbilden, wenn das durch den »manipulativen Typ« genannt habe - übrigens
die objektiven Bedingungen gegebene Potential er­ zu einer Zeit, als all das Material über die Himmlers
griffen und in sich zuspitzenden Situationen gesteu­ und Höß und Eichmanns noch gar 11icht bekannt
ert wird. Und in diesem .Fall ist es wohl sicher rich­ war, sondern lediglich auf G rund von Material, das
tig, daß die extremistischen Gruppen nach ei~er uns damals aus der empirischen Sozialforschung zu­
Dynamik, die sich immer wieder in diesen Situa­ gefallen ist. Das sind also Menschen, die gleichzei­
tionen zeigt, die Oberhand gewinnen. Heute ist es tig kalt, beziehungslos, strikt technologisch geson­
sicher nicht soweit, aber man druf auf der andern nen, aber ja in gewissem Sinn eben doch irre sind,
Seite auch die von den Meinungsforschern ermittel­ wie also in einem prototypischen Maß es Himmler
ten und im übrigen keineswegs so getingen Zablen gewesen ist. Und diese merkwürdige Einheit von
für das Potential des Rechtsradikalismus nicht als Wahnsystem und technologischer Perfektion, die
Invarianten nehmen. Daß dabei nicht ganz dran ge­ scheint in der Aszendenz zu sein und in diesen Be­
glaubt wird, macht es nicht besser. Es enthält das wegungen überhaupt wieder eine entscheidende
zwar die Möglichkeit, an die bei der Abwehr anzu­ Rolle zu spielen.
knüpfen ist man kann da diese Widerspruchlich­ Auf der andem Seite, meine Damen und Herren,
keit und dieses nicht ganz Geglaubte sicher benut­ muß man natürlich die Differenzen von der Wei­
zen, um gegen diese Tendenzen anzugehen -, aber marer Zeit sehr stark hervorheben, wenn man nicht
es steckt darin auch die Möglichkeit und das Poten­ nun wieder schematisch in Analogien denken will.
tial dieser Bewegungen selber, daß sie in Wabnsy­ Die Nachwirkung der Niederlage ist hier zuerst zu
sterne sich steigern, und es kann ja wohl gar kein nennen. Diese Niederlage wurde allerdings über­
Zweifel mehr sein, daß also sogenannte Massenbe­ deckt durch die Periode der Prosperität. Und hier
wegungen faschistischen Stils mit Wabnsystemen ist nun allerdings bei der Abwehr dieser Dinge ent­
eine sehr tiefe strukturelle Beziehung haben. - Hier scheidend anzusetzen. Man soU nicht in erster Linie
spielt sicher eine erhebliche Rolle jener anthropolo­ mit ethischen Appellen, mit Appellen an die Huma­
gische Typ, den ich in der Authoritarian Personalit:y nität operieren, denn das w,rt »Humruütät« sel­

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ber und alles, was damit zusammenhänge, bringe ja man warnen muß vor dem Drill in jeglicher Ge­
die Menschen, um die es sich handelt, zum Weiß­ stalt, vor der Unterdrückung ihrer privaten Sphäre
glühen, wirkt wie Angst und Schwäche, etwa ähn­ und in ihrem Lebensstil. Und man muß sie war­
lich so, wie in bestimmten Vorgängen, die mir nen vor dem Kultus einer sogenannten Ordnung,
bekannt sind, die Erwähnung von Auschwitz zu die ihrerseits vor der Vernunft nicht sich aUsweist,
Rufen wie »Hoch Auschwirz" geführt hat und die vor allem vor dem Begriff der Disziplin, die als
bloße Erwähnung jüdischer Namen bereits zum Selb,'tzweck präsentiert wird, ohne daß auch nur
Gelächter. noch die Frage "Disziplin für was?" dabei gestellt
Das einzige, was man - ich nellme das hier vor­ würde. Etwa auch die Fetlschisierung alles Mili­
weg, weil ich das für eine dcr zentralsten Sachen tärischen, wie sie in solchen schönen Ausdrücken
halte mit Rücksicht auf die Gegenwehr gegen diese wie »der soldatische Mensch" sich ausdrückt, ge­
Bewegung -, das einzige, was mir nun wirklich et­ hört selbstverständlich in diesen Zusammenhang.
was zu versprechen scheint, ist, daß man die poten­ Weiter ist als ein Unterschied zu erinnern an die
tiellen Anhänger des Rechtsradikalismus warnt vor politische Verflechtung. Deutschland jedenfalls ist
dessen eigenen Konsequenzen, daß man ihnen klar heute nicht mehr in dem Sinn auch nur der Mög­
macht eben, daß diese Politik auch seine eigenen lichkeit nach politisches Subjekt, wie das in der
Anhänger unweigerlich ins Unheil führt und daß Weimarer Zeit der Fall gewesen ist. Es bestehr die
dieses Unheil von vornherein mitgedacht worden Drohung sogar, daß gerade durch diese Bewegung
ist, so wie ja Hider schon früh den Ausdmck »Dann Deutschland aus dem wcltpolitischen Zug, aus der
schieße ich mir lieber eine Kugel vor den Kopf(, ge­ weltpolitischen Tendenz überhaupt herausfällt und
braucht und dann bei jeder Gelegenheit wiederholt nun wirklich vollkommen provinzialisiert wird. Das
hat. Also man muß, wenn man gegen diese Din­ setzt einerseits real viel engere Grenzen einer sol­
ge im Ernst angehen will, auf die drastischen Inter­ chen Politik, es sei denn, daß in anderen und viel
essen derer verweisen, an die sich die Propagan­ mächtigeren Ländern ebenfulls der Reehtsradika­
da wendet. Das gilt besonders bei der Jugend, die !ismus sich durchsetzen sollte. Aufder andern Seite

28 29

"'~.'~
aber erzeugt gerade das Wut. Und diese Wut Heute gibt es keine kommunistische Partei mehr
dürfte dann besonders in dem sich austoben, was in Deutschland, und damit hat der Kommunismus'
man so mit "kulturellem Sektof<' zu bezeichnen wirklich eine Art von mythischem Charakter ange­
pflegt. Ich würde deshalb sagen, daß - wenn ich nommen, das heißt, er ist völlig abstrakt geworden,
einmal ganz schweigen darf von den Interessen, und diese eigentümliche Absttaktheit, die führt
die man als geistiger Mensch ganz unmittelbar an dann wieder dazu, daß man einfach alles, was ei­
diesen Dingen hat -, daß auch unter dem Geskhts­ nem irgendwk nicht paßt, unter diesen Gummibe­
puokt der Politik die Symptome der Kultorreak­ griffdes Kommunistischen subsumiert und als kom­
tion und der angedrehten Provinzialisierung mit munistisch abwehrt. Zum Beispiel der berüchtigte
besonderer Wachsamkeit beobachtet werden müs­ Kongo-Müller, ein Mann, der iri Deutschland sich
sen, weil das, einfach weil die außenpolitische Be­ aufgehalten hat, ein Deutscher, der unter den Söld­
wegungsfreiheit diesen Bewegungen abgeht, der nern im Kongo eine offenbar besonders grausliche
Bereich ist, in dem sie am meisten sich austoben Rolle gespielt hat, der hat also erklärt, wo immer in
könncn und sicherlich versuchen und noch mehr der Welt gegen den Kommunismus zu kämpfen sei,
versuchen werden, sich auszutoben. Da gibt es eine da werde er sich sofort zur Verfügung stellen, denn
ganze Reihe designierter Feinde. Hierher gehört et­ das sei ja im Sinn der Demokratie.
wa die Imago des Kommunisten. Jn der Weimarer Nun, das ist abgespalten von jeder Kemitnis der
Republik Wdr es so, daß die kommunistische Par­ Sache. Es ist zu einem reinen Schreckwort gewor­
tei eine numerisch sehr starke Partei war und daß den. Eine gewisse Rolle spielt dabei nur - auch als
die politisehe Rivalität zwischen den Nazis und den ein Schreckbegriff der Begriff des Materialismus,
Kommunisten immerhin eine gewisse Plausibilitat wobei man in einer ganz trüben Weise den Mate­
besessen hat, obwohl durch die Stellung der Reichs­ rialismus des Gewinnstrebens und des Interesses
wehr damals auch sehon die reale Bedeutung des­ am materiellen Vorteil mit der materialistischen
sen, was man damals kommunistische Drohung Theorie der Geschichte konfundiert und sich so
genannr hat, sicher sehr übertrieben worden ist. benimmt, als ob die, die dieses System verandern
,

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wollen, eben deshalb die Vülgärmaterialisten wären, auch an das deutsche Mißtrauen gegen den, der
die nur mehr baben wollen. nicht in Amt und Würde ist, dernicht eine feste Po­
Ich glaube, daß es übrigens zu den merkwür­ sition hat, der sozusagen als ein Vagant im Lehen,
digen Scheidungen innerbalb des Klassenbewußt­ als ein »Luftmensch«, wie man das früher in Polen
seins gehört, die es heute nocb gibt - und wir ha­ genannt hat, betrachtet wird. Wer in die Arbeits­
ben dafür recht bandfestes Material -, daß also teilung sich nicht einfügt, Wer also nicht durch sei"
die in einem weiteSten Sinn mit dem bürgeilichen nen Beruf an eine bestimmte Position und dadurch
Klassenbewußtsein Identinzierten sich im allgemei­ auch an ganz bestimmte Gedanken gebunden ist,
nen als Idealisten betracbten, während die Arbei­ sondern wer die Freiheit des Geistes sich bewahrt
ter, die die Zeche ja nach wie vor zu b~len ha­ hat, der ist also nach dieser Ideologie eine Art von
ben, eben doch demgegenüber nach wie vor eine Lump und soll geschliffen werden. Es spielt dabei
gewisse Art von Skepsis haben, die zwar wenig mit natürlich noch die uralte Ranküne des Handarbei­
der Theorie zu tun bat, aber die immerhin 'dem ters gegen die geistige Arbeit herein, aber sich selbst
ideologischen Wesen dieses sogenannten Idealismus, gänzlich unkenntlich geworden und in einer voll­
der ein Vulgärideallsmus ist - es gibt nämlich nicht kommen verschobenen Weise.
nur Vulgärmaterialismus, sondern es gibt auch Vul­ Weil diese Bewegungen, die ja, wie ich sagte,
gäridealismus -, mlt einer außerordentlichen Schär­ prinzipiell überhaupt nur Machttechniken sind und
fe also gegenübersteht. keineswegs von einer durchgebildeten Theorie aus­
, Dann sind natürlich eine bete noire, vor allem gehen, weil die ohnmächtig sind gegen den Geist,
solange man nicht offen antisemitisch sein kann wenden sie sich gegen die 1l:äger des Geistes. Wie
und solange man auch nicht die Juden umbringen einmal Valery, der ja nicht gerade Hnksverdächtig
kann, weil das ja bereits geschehen ist, sind beson­ ist, sehr schön formuliert hat: "Wenn einer geschei­
ders verhaßt die Intellektuellen. Das Wort "Unks­ ter ist als man selbst, so ist er ein Sopbist.« Es wird
intellektueller« g{~ört ja auch zu diesen Schreck­ dabei also die Trennw.g von sogenanntem Verstand
worten. Es wird dabei appelliert zunichst einmal und sogenanntem Gefühl verdinglicht. Ich kann es

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mir nicht versagen in diesem Zusammenhang, Sie Schuldgefühl durch eine Rationalisierung abge­
darauf aufmerksam zu machen, daß die Bea bach­ wehrt: »Etwas muß doch daran sein, sonst hätte
tungen, die ich über die Rolle des Begriffs des Exi­ man sie nicht umgebracht.« Es hängt aber nun
.stentiellen und der Existenz in der Existentialphilo­ natürlich einstweilen unter der offiziellen .Gesetz­
sophie jedenfalls des zentraleuropäischen Gepräges gebung ein Tabu über diesen Dingen. Abet noch
im Jargon der Eigentlithkeit gemacht habe, daß sich das Tabu über der Erwähnung der Juden wird zu
die bestätigt haben. So wurde neulich in einer Pole­ einem Mittel der antisemitischen Agitation, näm­
mik gegen eine Professorin, die den Rechtsradika­ lich so mit diesem Augenzwinkernden: "Wir dür­
len nicht in den Kram pai~te, gesagt: "Wir disku­ fen ja nichts darüber sagen, aber wir versrehen uns
tieren nicht mit ihr, sondern hier handelt es sich unter uns. Wir alle wissen, was wir meinen.« Und
um exlstentielle Gegensätze.« Sie können also dar­ die bloße Erwähnung etwa eines jüdischen Na­
an sehen, wie unmittelbar der Begriff des Existen­ mens genügt dieser Technik der Anspielung bereits,
tiellen hier in den Dienst des Irrationalismus, der um bestimmte Effekte hervorzurufen.
Abweht der rationalen Argumentation, des diskur­ Eine Technik übtigens der neuen Manipulation
siven Denkens überhaupt bereits tritt. Und ich des Antisemitismus, aufdie ichSie aufmerksam ma­
glaube allerdings, daß das vergiftete Klima der chen möchte, damit Sie sie vielleicht ein bißchen
Existentialphilosophie, das im deutschen Sprach­ näher srudieren und dagegen sich zur Wehr setzen,
bereich nun einmal herrscht, eine sehr erhebliche ist der kumulative Effekt. Die Soldaten-Zeitung,
Schuld für die Vorbereitung des Antiintellcktualis­ also die National-Zeitung, hat es zu einer außer­
mus unter den Intellekru~llen trägt. ordentlichen Virtuosität entwickelt, nlemals in ir­
Selbstverständlich ist auch nach wie vor, trotz gendeiner Nummer etwas zu schreiben, was so weit
alldem, der Antisemitismus eine "Planke in der ginge, daß nach der herrschenden ja red,t de'Lidier­
Plattform«. Et hat die Juden, kann man sagen, ten Gesetzgebung gegen den Antisemitismus oder
überlebt, und daher rührt seine eigene gespensti­ gegen Neonazismus eingeschritten werden könnte.
sche Gestalt. Es wird dabei vor allem auch das Andererseits abcr, wenn man sich so eine Reihe

..
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'von Nummern hintereinander ansieht, muß man heit, die diese BL'Wegungen im Stadium ihres Re­
wirklich schon vom Geist des Formalismus gerade­ venanrtums nun einmal haben, Das offen Antide­
zu geschlagen sein, um nicht zU sehen, was siemei­ mokratische
. fällt weg. Im Gegenteil:. Man beruft
nen, Und diese Gefahr, diese zu einer hoclIenrwik­ . sich. immer auf die wahre Demokratie und schilt.
kelten Technik gesteigerre Form der Anspielung, die anderen antidemokratisch. Und in den Konzes­
gehört also zu den Dingen, die man nicht nur ge­ sionen an demokratische Spielregeln liegt ein ge­
nau studieren und dingfest machen soH, sondern wisser Widerspruch. Das demagogische Element
man müßte doch wohl auch versuchen, legale Mit!­ kann sich nicht so ungehemmr mehr entfalten. Ich
tel zu finden, durch die es einem demokratischen erinnete etwa an da.s Problem det innerparteilichen
Staat möglich wäre, dagegen einzuschreiten. Demokratie, das ja in Deutschland von der Verfas­
Nun, wa., die Ideologie anlangt, so ist diese sung garantiert ist: Wo die innerparteiliche Demo­
Ideologie durch die Gesetzgebung an ihrer vollen kratie verletzt wird, droht das Verbot. Wird sie aber
Äußerung verhindert. Man kann sagen, daß alle innegehalten, so ist diese politische Form im Grun­
ideologischen Äußerungen des R"chtsradikalismus de unvereinbar mit dem, was man dabei verficht.
b",kennzelchnet sind durch einen permanenten Kon­ Auch das ist ein Moment, das für die Gegenwir­
flikt zwischen <km Nicht-sagen-Dürfen und dem, kung beachtet werden sollte.
was, wie ein Agitator neulich es nannte, die Zuhö­ Dem I nhalt nach ist natürlich diese Ideologie,
rerschaft zum Sieden bringen soll - und das hat soweit sie überhaupt eine selbständige, durchgebil­
sie nicht zum Sieden gebracht, kann ich Ihnen zu dete Ideologie ist - und ich halte das Ideologische
Ihrer Berulligting verraten. Nun, dieser Konflikt gegenüber dem politischen Wtllen dranzukommen
ist aber nicht nur äußerlich, sondern der Zwang wirklich für ganz sekundär -, eben doch wesent~
zur Anpassung an demokratische Spielregeln be­ lieh gespeist von der Naziideologie. Es ist erstaun­
deutet auch eine gewisse Änderung in den Verhal­ lich, wenn man die Dokumente liest, wie wenig
tensweisen, und insofern liegt darin doch auch ein zu dem alten Repertoire an Neuem hinzugekom­
Moment - ja, wie soll man sagen - der Gebrochen­ men ist, wie sekundär und aufgewärmt es ist. Allen­

;6 37
falls hat man versucht, die europäischeIntegration darfich das en passant sagen, daraufbinweisen, daß
zu usurpieren, etwa von einer »Nation Europa« zu keineSwegs alle Elemente diese; Ideologie einfach
reden, aber gerade da< hat sich offenbar als sehr unwahr sind, sondern daß auch das Wahre in den
wenig zugkräftig erwiesen aus den Gründen des Dienst einer unwahren Ideologie dabei tritt und
Nationalismus als eines Versuchs der Selbstbehaup­ daß das Kunststück der Gegenwehr wesentlicb ist,
tullg iomitten der Integration, der dann. doch stär­ den Mißbrauch auch der Wahrheit für die Unwahr­
ker ist. Auch da ist eine Art von Widerspruch. heit aufZuspießen und dagegen sich zu wehren. Die
Eine sehr starke Rolle spielt offensichtlich in der wichtigste Technik, durch die die Wahrheit in den
Ideologie und damit be7.eichne ich nun wirklich Dienst der Unwahrheit gestellt wird, ist die, daß an
ein wissenschafdiches Problem, aber ein Problem, sich wahre oder richtige Beobachtungen aus ihrem
VOll dem ich mir nicht anmaße, daß ich Ihnen eine Zusammenhang herausgeschnitten, isoliert werden,
wirkliche Lösung gebell könnte -, eine schr erheb­ also daß etwa gesagt wird: »Unterm Hitler ist es uns
liche Rolle spielt der Antiamerikanismus, der ja doch, eh' er den dummen Krieg gemacht hat, sehr
auch in dem Wort VOll den »plutokratischen« Na­ gut gegangen«, ohne daß gesehert würde, daß die­
tionen und in diesen Dingen in der Nazizeit vor­ se ganze Konjunktur der Jahre von 33 bis 39 ledig­
gebildet war. Es wird versucht im Sinn dieses Anti­ lich durch die hektische Kriegswirtschaft, durch
amerikanismus, den Gedanken von der "dritten die Vorbereitung des Krieges überhaupt möglich
Kraft« Europa zu usurpieren. Was hinter dem Anti­ gewesen ist. Und so gibt es hundert Dinge.
amerikanismus steckt, das ist schwer zu sagen. Jedenfalls hier wird angeknüpft an den ganzen
Wahrscheinlich ist es zum Teil das Anknüpfen an Komplex der Selbständigkeit, auf die ja die Demo:
etwas real Empfundenes, nämlich daran, daß man kratie hinausläuft und die gleichzeitig doch in dem
auch unter der formalen Demokratie, eben durch herrschenden System nicht voll realisiert wird. Es
das Blocksystem, die volle Freiheit der politischen hat, wenn meine Beobachtung mich nicht trügt,
Entscheidung sich vorenthalten glaubt - und nicht zu den wirksamsten Parolen des Neofaschismus ge­
nur vorenthalten glaubt. Ich möchte hier, vielleicht hört, daß sie Wendungen gebrauchten wie »Man .

38 39
._~ ­
kann wieder wählen«. Oder daß sie - unter Varia­ entendu war, daß es auf Macht, begtiffslose Praxis,
tion eines Slogans von Goebbels, nämlich' von den schließlich auf unbedingte Herrschaft ankam und
»Systemparteien« - von den »Llzenzparteien« ge­ daß demgegenüber der Geist, wie er in der 11eo'
sprochen haben, also von deh Parteien, die lizen­ rie sich niederschlägt, etwas Sekundäres ist. Und
ziert von den ehemaligen BesarLungsmächten ge­ gerade das hat dann natürlich auch wieder ideo­
wesen seien. Und dies war ungeheuer wirksam, weU logisch diesen Bewegungen jene Flexibilität verlie­
die Menschen das Gefühl hatten, nun gerade mit hen, die man so vielfach beobachten kann. Es liegt
dieser Bewegung, die die Freiheit abschafren will, das im übrigen auch im Geist der Zelt, die Vorherr­
gleichsam wieder in den Besitz der Freiheit, der frei­ schaft einer begriffilosen Praxis, und das hat nun
en Entscheidungsmäglichkeit, der Spontaneität zu. auch seine Konsequenz für die Propaganda.
gelangen. Ich glaube, daß es wichtig wäre, wenn Lassen Sie mich zum Schluß nun Ihnen einiges
man gerade mit diesem Motiv, da~ mit dem des Anti­ über die Propaganda sagen, die ich ja, wie ich Ihnen
amerikanismus sehr verschmolzen ist, wenn man andeutete, eigentlich für das Zentrum, für die Sa­
damit einmal sich genau auseinandersetzen würde. che selbst in gewisser Weise, halte. Diese Propagan­
Wesendich ist an dieser Ideologie ihr Bruch­ da gilt weniger der Verbreitung einet Ideologie, die,
stückhaftes. Viele "Planken« wie die Expansion wie ich Ihnen sagte, viel zu diinn ist, als dem, daß
nach dem Osten, der eigentliche Imperialismus Massen eingespannt werden. Die Propaganda ist
sind nolens volens weggefullen. Es fehlt völlig die also vorwiegend eine m=psychologische Tech­
Perspektive »morgen die ganze Welt«, und dadurch nik. Zugtunde liegt dabei das Modell der autoritäts­
hat das Ganze so ein bißchen etwas Schwungloses gebundenen Persönlichkeit, und zwar heute genau
und noch viel mehr auf die Verzweiflung Gestell­ wie zur Zeit von Hidet oder wie bei den Bewegun­
tes, als das unterschwellig im Nationalsozialismus gen des lunatic ftinge in Amerika oder wie irgend­
auch schon vorhanden war. Aber ich möchte noch wo SOllSt. Die Einheit liegt in diesem Appell an
einmal sagen, daß es im Paschismus nie eine wirk­ die autoritätsgebundene Persönlichkeit. Es wird im­
lich durchgebildete Theorie gab, daß immer sam­ mer wieder gesagt, daß diese Bewegungen allen et­

40 4
'
was versprechen, und das ist als Charakteristik der der nicht mit der notwendigen Exaktheit statistisch
Theorielosigkeit richtig. Aber es ist doch insofern bewahrheitet sei und was es sonst alles mögliche
falsch, als in diesem Appell an den autoritätsge­ gibt, und benutzen' die Mittel eines pervertierten
bundencn Charakter eine sehr spezifische und sehr Positivismus dazu, die Erfahrung, die lebendige Er­
pointierte Einheit liegt. Sie werden niemals auch fahrung zu inhibieren. Das, nebenbei bemerkt, isr
nur eine Außerung finden, die dem Schema der au­ . der Punkt, an dem die Probleme, über die ich ge­
toritätsgebundenen Persönlichkeit nicht entspricht. stern abend vor TImen sprechen durfte,' mit denen,
Und wenn man gerade diese Struktur des Appells die ich heute behandele, unmittelbar konvergieren .
an die autoritätsgebtmdene Persönlichkeit aufdeckt, . Verhaßt ist vor allem natürlich die Psychoanaly­
so bringt das nun wirklich die Rechtsr.d.i.kaJ.en zum se und der Antiintellektualismus, die Angst davor,
WeHlglühen, und ich würde sagen, das ist immer­ daß das Unbewußte bewußt wird, und der autori­
hin ein Beweis dafür, daß in dieser Struktur ein täre Charakter, die bilden hier eine Art von Syn­
Nervenpunkt getroffen wird. Die unbewußten Ten­ drom miteinander. Diese Propagandatechnik be­
denzen, welche die autoritätsgebundene Persön­ zieht sich nun ebenso auf gewisse formale Züge
lichkeit speisen, werden also nicht etwa von dieser wie auf mehr oder minder isolierte eimelne Inhalte,
Propaganda bewußt gemacht, sondern im Gegen­ Es ist schon seit langer Zeit meine überzeugung­
teil, sie werden noch mehr ins Unbewußtege­ und Horkheimer und ich haben noch in Amerika
drängt, sie werden künstlich unbewußt gehalten. an diesem besonderen Problem gearbeitet -, daß
Ich erinnere dabei nur an die überwertige Bedeu­ es sich um eine relativ kleine Zahl immer wieder­
tung sogenannter Symbole, die ja für alle diese Be­ kehrender standardisierter und vollkommen verge­
wegungen charakteristisch ist. genständlichter Tricks handelt, die ganz arm und
Wenn man aber auf diese Dinge dann zu spre­ dünn sind, die aber auf der aridern Seite gerade
chen kommt; dann werden die Herrschaften plötz­ durch ihre permanente Wiederholung ihrerseits ei-
lich ganz wissenschaftlich, erklären, daß der Auf­
weis der autoritätsgebundenen Persönlichkeit, daß I [In seinem Vomag "Zum Problem des sozialen Konflikts heute«.l

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nen gewissen propagandistischen Wert für diese Be­ gen operiert wird. Das ist verschmolzen mit der be­
wegungen gewinnen. rühmten Hitlerschen Technik der plumpen Lüge.
Zum Formalen möchte ich zunächst einmal Sie So hat die NPD in deutschen Wahlversammlun­
aufmerksam machen auf eine Sache, auf die man gen, und Zwar offenbar systematisch, die Zahlun­
sich in der Abwehr einstellen muß, und das ist gen, die Wiedergutmachungszahlungen, an Israel
gar nicht so einfach. Das ist nämlich der Appell ums Zehnfache vergrößert. Das ist aber dann her­
an den Konkretismus, wie ich es genannt habe. Es ausgekommen, und es ist energisch dagegen de­
wird - und das wird offenbar gerade von der NPD monstriert worden, und sie sind dadurch nun in
in Deutschland sehr kultiviert - immerzu gearbei­ erhebliche Schwierigkeiten gelangt.
tet mit der Anhäufung von Daten, besonders von Ebenfalls in denselben Zusammenhang gehört
Zahlen, denen man im allgemeinen gar nichts ent­ die "Salami-Methode«, wie man das mit einem
gegnen kann, und zwar also mit diesem Unterton: schnoddrigen deutschen Ausdruck nennt, das heißt,
»Was? Das weiß doch jedes Kind! Und Sie wissen daß man von einem Komplex ein Stück abschnei­
nicht, daß seinerzeit der Rabbiner Nussbaum gefor­ det, dann noch eins und noch eins. Also, es wird
dert har, daß aUe Deutschen kastriert werden sol­ erwa mit dei pseudowissenschaftlichen Pedanterie,
len?" Also solche völlig irren und phantastischen die diesen Bewegungen eigentümlich ist, an den
Geschichten. Ich habe das Beispiel eben erfunden, Zahlen der ermordeten Juden gezweifelt; Und es
wohlverstanden, aber so von dieser Art sind also wird erst gesagt: »Ja, es waren ja nicht sechs Mil­
die Argumente. Es wird mit Kenntnissen geprotzt" lionen, sondern nur fünfeinhalb«, und wenn man
die sich schwer kontrollieren lassen, die aber eben dann einmal soweit ist, dann ist zunächst über­
um ihrer Unkontrollierbarkeit willen dem, der sie haupt verdächtig, daß welche ermordet worden
vorbringt, eine besondere An von Autorität verlei­ sind, und am Schluß wird es dann so dargestellt,
hen. Ich glaube, es wird deshalb gut sein, daß mall als ob's überhaupt umgekehrt gewesen wäre. Ich
von vornherein besonders wachsam dort ist, wenn glaube also, daß man diese Dinge besonders wach­
mit solchen scheinbar ganz konkreten Behauptun­ sam betrachten soll .
.. -­

44 45
Dann weiter ist sehr charakteristisch für diese in Wirklichkeit eine rein propagandistische Sache
Art des Denkens - und das ist gleichsam das KDm­ ist. Ebenso wird das Wort .>deutsch« monopolisiert.
plement zu dem Konkretismus der Formalismus. Es wird alles Erdenkliche. deutsch genannt, wäh­
Besonders gern ein Formalismus juridischer Art. rend die entgegcngesetzten Parteien einf<lch, weil
Daß also etwa gesagt wird, daß das Münchner Ab­ sie eben in Deutschland beheimatet sind und hier
kommen ja freiwillig von den wesdichen Mächten fungieren, genauso deutsch sind wie die, die das
auch unterzeichnet worden sei, daß es infolgedes­ Wort monopolisieren.
sen noch gel.tendcs Recht sei und mit allen daraus Auf einen Trick mochte ich hier aber doch noch
entfließenden Ausprüchen etwa auf das Sudeten­ eingehen, weil er gar nicht nur ein Trick ist, son­
land, und was es sonst noch gibt. dern weil man dem sehr ernsthaft immer wieder
Dann sagte ich, glaube ich, schon.., nein, ich ha­ begegnet. Das ist nämlich der Trick "Man muß
be noch nicht davon gesprochen, das ist eine Sa­ doch eine Idee haben«. Das ist eine Sache, die
che, ich weiß nicht, ob sie auch für Österreich gilt, man auch unter relativ harmlosen und nur be­
für Deutschland gilt sie sicher, ich könnte mir den­ schränkten Menschen findet, die so sagcn: ..Na ja,
ken, daß sie auch hier akut ist: das, Was ich den was soll aus dieser Jugend werden? Diese Jugend
Trick des Offiziellen oder des Amdichen nennen hat keine Idee, und die geben ihr doch wenigstens
möchte -, daß nämlich diese Gruppen durch ihre eine Idee.« Nun, ich habe Ihnen vorhin von Vul­
Nomenklatur sich so gebärden, als ob sie von ir­ gäridea1ismus gesprocben. Ich glaube, das ist ge­
gendwelchen offiziellen Stellen gedeckt und ge­ radezu der Prototyp dessen, was ich mit Vulgär­
fördert wären. Also, zum Beispiel die verbreitetste idealismllS gemeint habe. Es wird nämlich hier der
rechtsradikale Zeitschrift, die für Studenten be­ Begriff der Idee pragmatisch in sein Gegenteil ver­
stimmt ist, nennt sich Studenten-Anzeiger, was so setzt. Das heißt, die Idee soll nicht um dessent­
aussieht, für den Naiven, als ob sie von einer stu­ willen da sein, weil sie wahr ist, nicht um ihres
dentischen Organisation herausgegeben wäre und objektiven Gehalts willen, sondern nur aus dem
die Studentenschaft hinter sich hätte, während sie ptagmatistischen Grund, daß man ohne Idee ge­

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wissermaßen nicht soll leben können, daß es gut gisehen Punkren, die man einmal sehr genau analy­
sein soll, daß man eine Idee hat. Was der Inhalt sieren müßte. Der Grund ist wahrscheinlich der,
der Idee ist, das ist g1eichgilltig .. Aber wenn man daß in den Symbolen eben als ihr Ausdrucksgehalt
nur recht auf den Tisch schlägt und sagt: .Wir ha­ noch ganz andere Dinge mitschwingen als nur das
ben eine Idee«, dann ist das dann schon bereits Nationale, wofür sie angeblich einstehen, und daß
das wirksame Surrogat fur eine solche Idee. Also, das Unbewußte auf ganz andere Drohungen rea­
ich würde sagen, daß man gerade an dieser Stelle, giert, wenn diese Symbole also angeblich nicht ge­
wo also die Berufung auf »Man muß doch wieder nug respektiert werden, als diese Propaganda es
eine Idee haben« erfolgt, daß man da also auch vortäuscht. - Ähnlich ist auch die Neigung, etwa
besonders wachsam sein soll. Menschen, die die Oder-Neiße-Unic anerkennen
Was den Nationalismus anlangt, so tritt er in der möchten, als »Landesverräter« zu brandmarken. Ähn­
Propaganda im allgemeinen nicht generell auf, son­ liche Dinge gab's auch schon, »Erfüllungspoliti­
dern mit großem Geschick konzentriert er sich auf ker« hieß das damals in der Weimarer Republik.
allergische Punkte. Zum Beispiel die Behaupnmg, Das ist der Komplex der punitiveness, den man viel­
daß die Deutschen in der Welt diskriminiert ",ür­ leicht am besten mit Straffieudigkeir, nämlich den
den, worauf doch zunächst ganz einfach zu sagen anderen gegenüber, übersetzen könnte.
ist, daß es nach dem Ungeheuerlichen, das gesche­ Neulich hat in Deutschland eine große Insti­
hen ist, eher das Überraschende ist, wie wenig ei­ 'tution der öffentlichen Kommunikation eine Be­
genclich an Ranküne in der Welt danach übrig- ' spredmng mit ein paar NPD-Führern gehabt, um
geblieben, wie schnell vergessen worden ist. Oder dahinterzukommen, was sie nun eigentlich an kon­
es wird gesprochen von der Mißachtung nationa­ kreten Vorschlägen hätten. Und das einzige, was da­
ler Symbole, eine Sache, die dann unmittelbar in bei herauskam an konkreten Vorschlägen, und das
Wutanfalle und in Gewaltaktionen zu übersetzen ist sehr be7.eichnend, ist: Die Todesstrafe für die
ist. Die Verselbstlindigung des Symbols gegenüber Mörder von Taxichauffeuren müßte wieder einge­
dem damit Gemeinten gehört auch zu diesen allcr­ führt werden. Das ist, ich meine, das klingt sehr

48 49
läppisch und unbeträchtlich, zeigt aber, welche Rolle mals witklich verlangt wotden ist. Dann, daß der
der mit Rechtsideen getarnte Sadismus in diesen Nationalsozialismus erst gesund und dann »aus­
Dingen nachwie VOt spielt. geartet« gewesen sei. Überhaupt die Lehre vom
Ich erspare es mir, Ihnen im einzelnen andere gesunden Kern. Dann die These von der Auftech­
dieser für die jetzige Situation charakteristischen nung der Schuld. Und schließlich die Polemik ge­
Tricks zu analysieren. Zum Beispiel die Phrase: gen NS-Prozesse, wobei Feitz Bauer einmal die sehr
"Was jeder N egersraat darf, das sollen wir nicbt dür­ richtige Bemerkung gemacht hat, daß dieselben
fen?« - wobei nur zu fragen wäre, was eigentlich? Leute, die aufdie Wiedereinführung der Todesstra­
. Oder die These vom Ausverkauf der deutschen fe drängen, die Straffreiheit für die Mörder von
Wirtschaft an fremdes Kapital, bei gleichzeitigem Auschwitz fOrdern, eine Sache, aufdie man ja doch
Kapitalmangel innerhalb der deutschen Industrie. wohl in die;;em Zusammenhang hinweisen soll, ob­
Oder die These von der Überfremdung durch Gast­ wohl ich nicht leugne, daß es hier einen sehr ernsten
arbeiter wobei nach wie vor der Bedarf an Ar­ Widerspruch gibt, einen Widerspruch, an dem ich
beitskrafr, selbst bei steigender Arbeitslosigkeit, in mir theoretisch einigermaßen den Schädel einge­
einer ganzen Reibe von Berufen, und zwar denen ranm habe.
der niedrigsten Handarbeit, so groß ist, daß dieses Nun, zur Frage der Abwehr lassen Sie mich nur
Bedürfnis nach Fremdarbeitern - ich sage lieber noch ganz wenige Worte ,al,,,,n. Ich glaube, die
.Fremdarbeiter« als "Gastarbeiter«, weil ich "Gaste »Hush-Hush«-Taktik, also die Taktik, diese Dinge
arbeiter« für einen ideologischen Ausdruck halte -, totzuschweigen, hat sich nie bewährt, und es ist si­
dieses Bedürfnis besteht dabei fort. Darm natür­ cher heute bereits diese Entwicklung viel zu weit ge­
lich der ganze Komplex "Entartete Kunst«, »Sau­ gangen, als daß man damit noch durchkäme. Daß
berkeit(" »saubere Leinwand« und was sonst mit man nicht moralisieren, sondern an die realen Inter­
diesen Dingen also zusammenhängt. essen appellieren soll, habe ich Ihnen bereits gesagt.
Dann gehört hierher der Komplex "Schluß mit Ich wiederhole es nur noch mal. Vielleicht darf ich
dem Schuldbekenntnis«, das sowieso eigentlich nie­ dabei auch an ein amerikanisches Forschungsergeb­

"-' c'
50 )I
nis erinnern aus unserer Authoriutrian Personality, also daß die eigentlichen Subjekte einer Studie, die,
wo sich nämlich gezeigt hat, daß auch die vorur­ die man zu begreifen und zu verändern hätte, die
teilsvollen Persönlichkeiten, die also durchaus auto­ Rechtsradikalen sind und nicht die, gegen die sie
rität, repressiv, politisch und ökonomisch reaktio­ ihren Haß mobilisiert haben. Nun, meine Damen
när gewesen sind, an der Stelle, wo es sich um ihre und Herren, ich bin nicht so naiv zu glauben, daß
eigenen durchsichtigen, für sie selbstdurchsichtigen man mit dieset Wendung nach innen unmittelbar
Interessen gehandelt hat, ganz anders reagieren. Al­ bei den Menschen, um die es sich handelt, sehr viel
so, die waren etwa Todfeinde der Roosevelt-Regie­ erreichen könnte, denn es gehört - ich kann das
rung, aber bei solchen Institutionen, die ihnen, wie jetzt nicht mchr im einzelnen Ihnen auseinander­
etwa der Mieterschutz oder die Verbilligungen der setzen, warum -, es gehört zu diesem Syndrom
Medizin, unmittelbar zugute gekommen sind, da wesentlich dazu, daß diese autoritätsgebundenen
hat der Antitooseveltianismus sofort sein Ende ge­ Charaktere unansprechbar sind, daß sie nichts an
habt und da haben sie sich relativ rational verhal­ sich herankommen lassen. Trotzdem aber hat ­
ten. Diese Spaltung in dem Bewußtsein der Men­ und ich bitte Sie zu verLeihen, wenn ich hier noch
schen, die scheint mir einer der aussichtsreichsten einmal aufdieAuthoritarian Personality zu sprechen
Ansatzpunkte für eine Gegenwirkung in dem Sinn komme -, trotzdem hat sich gezeigt, daß einfach.
zu sein, von dem ich gesprochen habe. dadurch, daß die Persönlichkeiten, die so und nicht
Ein weiteres Moment ist die Wendung nach in­ anders sich verhalten, zu einem sozialpsychologi­
nen. Das heHlt, daß man in der Abwehr versucht, schen Problem gemacht werden, daI~ über sie, daß
bewußtzumachen, daß dieser ganze Komplex der über den Zusammenhang ihrer Ideologie und ih­
autorltätsgebundenen Persönlichkeit und der rechts­ rer psychologischen, ihrer sozialpsychologischen Be­
radikalen Ideologie in Wirklichkeit. seine Substanz schaffenheit nachgedacht wird, daß das zum Pro­
gar nicht an den designierten Feinden hat, gar nicht blem wird, daß dadurch eine gewisse Naivetät des
an denen hat, gegen die man dabei tobt, sondern sozialen Klimas sich aufgelöst hat und eine gewis­
daß es sich dabei um projektive Momente handelt, se Entgiftung doch wohl eingetreten ist. Und ich

)2 53
"ß)
könnte mir denken, daß das auch im deutschen Lüge gegen Lüge sctzen, nicht versuchen, genauso
Sptachbereich, in den verschiedenen Ländern, in schlau zu sein wie er, sondern nun wirklich mit ei­
denen deutsch gesprochen wird, daß das auch ei­ ner durchschlagenden Kraft der Vernunft, mit der
nige Aussicht verspricht. wirklich unideologischen WahIheit dem entgegen­
Schließlich soUte man die Tricks, von denen ich arbeiten.
gesprochen habe, dingfest machen, ihnen sehr dra­ Vielleicht sind manche unter Ihnen, die miCh fra­
stische Namen geben, sie genau beschreiben, ihre gen werden oder die mich fragen würden, wie ich
Implikationen beschreiben und gewissermaßen ver­ nun über die Zukunft des Rechtsradikalismus den­
suchen, dadurch die Massen gegen diese Tricks zu ke. Ich halte diese Frage für falsch, denn sie ist viel
impfen, denn schließlich will niemand ein Dum­ zu kontemplativ. In dieser Att des Denkens, die
mer sein oder, wie man in Wien sagen wird, nie­ solche Dinge von vornherein ansieht wie Naturka-·
mand wiU die "Wurzen« sein. Und daß das Ganze tastrophen, über die man Voraussagen macht wie
auf eine gigantische psychologische Wurztechnik, über Wirbelwinde oder über Wetterkatastrophen,
auf einen gigantischen psychologischen Nepp her­ da steckt bereits eine Art von Resignation drin,
ausläuft, das ist wohl durchaus zu zeigen. durch die man sich selbst als politisches Subjekt
Nun, meine Damen und Herren, ich wiederho­ eigentlich ausschaltet, es steckt darin ein schlecht
le, daß mir bewußt ist, daß der Rechtsradikalismus Zllschauerhaftes Verhältnis zur Wirklichkeit. Wie
kein psychologisches und ideologisches Problem ist, diese Dinge weitergehen und die Verantwortung
sondern ein höchst reales und politisches. Aber das dafür, wie sie weitergehen, das ist in letzter Instanz
sachlich Falsche, Unwahre seiner eigenen Substanz an uns. Ich danke Ihnen für lhreAufmerksamkeit.
zwingt ihn, mit ideologischen, das heißt in diesem
FaU mit propagandistischen Mitteln zu operieren.
Und deshalb muß man ihm, abgesehen vom poli­
tischen Kampf mit rein politischen Mitteln, in sei­
ner dgensten Domäne sich stellen. Aber nun nicht

54 55

Editorische Notiz

Den Vortrag über Aspekte des neuen Recbtsradikatis­


mus hielt Theodor W. Adorno 3m 6. April I967 auf
Einladung des Verband, Sozialistischer Studenten
Österteichs im Neucn Institutsgebäude der Wlener
Universität. Adorno stützte sich auf sieben Seiten
handschriftlicher Notizen und Stichworte, die sich
in seinem Nachlass erhalten haben. Druckvorlage
dieser Edition war die Tonaufuahme, die auch
die Östetreichische Mediathek aufgenommen wur­
de. - Der Text ist ein Vorabdruck aus dem von Mi­
chael Schwarz im Suhrkamp Verlag herausgegebe­
nen Band Theodor W. Adorno, Vtirträge If/4f/-If/o8,
der innerhalb der vom Theodor w: Adarno Archiv
edierten Nachgelassenen Schriften Adornos erschei­
nen wird.

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