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Reihe Forschungsberichte
SOAK Verlag, Hannover 1978
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3000 Hannover, Am Taubenfelde 30
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ISBN: 3-88 209-011-1


 

 

INHALT

AKTUELLE EINFÜHRUNG 3

EINLEITUNG: Karl Korsch, Biographisches 10

1.1 DIE HEGEL - MARX – REZEPTION 11


Korschs Gedanken in den 20er Jahren
aus heutiger Sicht
1.2. THEORIE UND GESCHICHTE 14
Philosophie und revolutionäre Gesellschaftswissenschaft
1.3. MARXISMUS-LENINISMUS 16
Soziale Revolution und Übergangsstaat
1.4. „GEISTIGE AKTION" gegen 18
bürgerliche Ideologie
1.5. DIE PHASENTHEORIE 20
Marxismus und Arbeiterbewegung
1.6. THEORIE UND PRAXIS 22
Bürgerliche Intellektuelle und
proletarisches Klassenbewußtsein 24
1.7. MARX – LENIN
Bürgerliche und proletarische Klasse
in der sozialen Aktion
2.1. DIE ERNEUTE MARX - HEGEL - REZEPTION 26
2.2. HEGEL - MARX – LENIN 27
Korschs Gedanken ab 1930 aus heutiger Sicht
2.3. THEORIE UND GESCHICHTE 30
Bürgerliche und proletarische Gesellschaftswissenschaft
2.4. MARXISMUS - LENINISMUS - ANARCHISMUS 36
Soziale Revolution und Übergang
3. VOM BÜRGERLICHEN ZUM PROLETARISCHEN MATERIALISMUS 44
-Gesellschaftliche Entwicklung und materialistische Wissenschaft
3.1. THEORIE UND PRAXIS 45
Bürgerlicher und proletarischer Materialismus
3.2. MATERIALISTISCHE WISSENSCHAFT 46
und gesellschaftliche Entwicklung in Korschs Denken

ANMERKUNGEN TEIL I 51
ANMERKUNGEN TEIL II 56
ANMERKUNGEN TEIL III 60

LITERATURLISTE 61
HINWEIS 63

 

 

 

Korsch zur Einführung 
Ein Weg zum absoluten Materialismus 
Mit aktueller Einführung 

Von Wolfgang Zimmermann 

In Memoriam:  Avicenna, Maimonide, meinen Eltern und Hans Mayer 

 
„The outstanding Muslim historiens made exhaustive, collections of historical invents and wrote 
them down in book form. But, then, persons who had no right to occupy themselves with history 
introduced into those books untrue gossip which they had thought or freely invented, as well as 
false ……No one can stand up against the authority of truth , and the evel od falshood is to be 
faught with enlightening speculations“  

IBN KHALDÛN, THE MUQADDIMAH, An Introduction to history , Foreword, Princeton New Jersey, 
geschrieben im 13.‐14. Jahrhundert   

Auf dem Wege zum offenen absoluten Materialismus 

Absolute Arbeit, die Dialektik zum Absoluten 

  
Korsch zur Einführung als Neuausgabe. 

Diese 3. Ausgabe ist nun im Internet präsent. 

Das Erscheinen der ersten Ausgabe mehrt sich nun zum 30. Mal. Die Lage der Welt hat sich 
weitgehend verändert. Der Kältestrom des Marxismus ist in Erstarrung getreten (Nordkorea) oder 
vollständig versickert.  

Vieles wird in China heute materialistisch ergriffen was anderswo zerstört und vernachlässigt worden 
ist. 

Der objektive Materialismus von Ernst Bloch hat mit allen seinen Ungleichzeitigkeiten Einzug 
gehalten in dieses Riesenreich auch mit den ökonomischen und ideologischen Rückgriffen, auch 
wenn dies offiziell nicht proklamiert wird. 


 

 
 Die Anwendung der Dialektik auf die Arbeiterbewegung und die Geistige Aktion, die den Diskurs  
durch Theater und Situationismus initiieren hilft,  kann durch das Studium von Korsch  und der 
Gesellschaft in sinnlich praktischer Weise mit dem materialistischen Verstand und der Vernunft das 
Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse verändern.  

Neue Schichten ergreifen die gesellschaftlichen Verhältnisse. Der Arbeitsschein erscheint als 
Ungleichzeitigkeit zwischen zwei Gesellschaftsformationen der mixed economy. Ohne sie hätte die 
Neuergreifung und Aufhebung kollektiven Eigentums keinen Sinn. In dieser Ungleichzeitigkeit wird 
bewusst, dass die Arbeit als Lohnarbeit sich nicht verändern kann ohne den absoluten Standpunkt 
wieder materialistisch zu ergreifen. Absolute Arbeit heißt auch erneut eine neue ideologische 
Auseinandersetzung, die Ergreifung der Religionen, die Gotteskritik und ihre Aufhebung auf 
materialistischer Basis. Wie im Trancezustand sind die Massen nach Auflösung des Sozialismus durch 
die globale Krise weltweit in die Religionen zurückgegangen und haben sich vom versprochenen 
goldenen Kalb vorerst abgewendet – vielleicht bis die Dialektik  der Utopie, der kollektiven 
Gesellschaft des goldenen Zeitalters, des Paradieses neu materialistisch ergriffen worden ist. 

Was in China heute geschieht ist eine neue Mischung. Der Kältestrom des Marxismus wurde 
ergriffen, der Preis war die Aufnahme eines Kältestroms des Kapitalismus. Diese neue 
gesellschaftsökonomisch‐politische, kulturelle und noch wenig ökologische Formation ist in ständiger 
Veränderung. Sie nimmt das kapitalistische Privateigentum mit auf und erhält so die modernsten 
Industrien/Technologien. Der Preis der ökonomisch, sozialen, kulturellen Umwandlung erscheint 
groß‐ vieles wird einfach umgewälzt und nicht gewandelt oder gedreht, sondern verdreht. Jedoch 
gibt es keine andere Chance die sozialistische Gesellschaftsformation nach vorne zu bringen. Die 
Kreativität ist versiegt, eigentlich erschlagen  und schlug sich in unproduktiven Aktionen 
kulturrevolutionärer Veränderungen nieder. 

In anderen sozialistischen Staaten des Sozialismus sowjetischer Prägung war das Recht auf Arbeit 
kein Recht auf Glück. Die Menschen konnten in sinnlich‐praktischer Tätigkeit kein Bewusstsein 
entwickeln. Ihr kollektives Unbewusstes wurde blockiert, also das Glück (Aristoteles, amerikanische 
Verfassung) blockiert. Dadurch konnten sie ihr ökonomisch‐politisches, kulturelles, ökologisches, 
religiöses etc. Erbe nicht ergreifen, sondern haben es ungeniert beiseite geschoben, getreu auch nach 
der Devise von Marx,  Religion sei Opium fürs Volk.  

Heute kümmern sich die Räuber nicht mal mehr ums beten oder Sündenerlass, wenn sie mit Opium 
die Menschheit vergiften, die Produktivität und Kreativität ganzer Ethnien, Staaten, Gruppen und 
Klassen zerstören. Man kann nun nicht behaupten Marx sei auch für diese Banditen der 
Chefideologe, denn  diese Ali Babars haben keine Kultur und beherrschen schon gar nicht die 
Dialektik. Sie laufen als Mafia oder zum Teil als Talibane durch die Welt und steinigen Menschen – 
was im altorientalischen Islam verboten ist und als Praktik abtrünniger Sekten gilt, die nicht den 
philosophischen Islam vertreten.  Man behauptet sogar, sie hätten den Krieg ums World Trade 
Center geführt. Nur Unschuldige darf man da nach alter Kriegsordnung nicht umkommen lassen und 
dagegen haben sie offenbar verstoßen. Denn der Krieg ist immer ein Krieg der Räuber, die wahren 
Besitzenden müssen verschont werden. Das galt schon so in alten orientalischen Zeiten, wo der Islam 
durch die orientalisch‐jüdisch‐islamischen Philosophen und Ärzte  Avicienna, Averroès, Maimonide 

 

 
etc. mit der antiken Philosophie verbunden, durch sie interpretiert und mit dem Absoluten 
verbunden wurde. Alle entsprangen u.a. der Familie Abrahams und haben in gleichberechtigten 
Gemeinden in „neutralen Staaten“ (Sultanaten zusammengelebt, bis Vorläufer der Talibane die 
Bibliotheken in Al Andalus zerstört haben. Dies gilt auch für die altorientalischen ( meist jüdisch‐
islamischen) Sultane der Osmanen. Ein Angriff auf die Juden ist stets auch ein Angriff auf den Islam. 
Wer dies vergisst will seine eigenen Wurzeln zerstören und steht der Mafia und den Talibanen näher. 
Er ist nicht wissend, sondern falsch‐gläubig und lebt  in der sinnlichen Gewissheit ohne viel Verstand 
und Vernunft und hat den Kontakt zum Absoluten eigentlich verwirkt. Aber im Islam konnte dies 
immer leichter geklärt werden. 

Der Ideologe von Al Andalus Averroes hat gegen die Sekten (heute auch verschiedene Strömungen 
wie  Schiiten etc. des Islams, die wahrscheinlich zur Zersplitterung des einst einheitlichen Reiches 
beigetragen haben kritische Beiträge geliefert. Sie haben aus den Anhängern des Islam Gläubige und 
nicht Wissende gemacht und damit den philosophischen Zugang zum Absoluten (Allah) versperrt. 

„Or, si l`on considère toutes ses doctrines, et que l`on considère d`autre part l`intention qui preside à 
l émission du message révélé, on s`apercoit que ce sont, dans leur immense majorité, des thèses de 
leur propre cru et des interprétations innovantes blâmables (al‐kashf, 99‐100§“ 2‐4; Averroes, L`Islam 
et la raison ,99, Paris 2000) 

  Mit den Christen war es immer schwieriger mit der Gleichberechtigung, der menschlichen Würde 
und dem Laizismus oder der religiösen Toleranz. Nach der Vertreibung und Verfolgung der Juden und 
der Muslime aus Al Andalus fanden  Kreuzzüge, Judenverfolgungen, Assimilationversuche der 
Gleichberechtigung und die Zulassung des aufrechten Ganges, die schließlich in der Negativität, der 
nihilistischen Zerstörung in der Shoa enden, statt.   

Es gab auch viele Gelehrte und längere Blütezeiten in den multikulturellen Gesellschaften der 
Orientalen ( Juden, Arabern mit Berbern, Persern, Afrikanern etc.).  Dort ging es bereits dialektisch 
zu. (Vgl.: E. Bloch,  Avicenna und die aristotelische Linke). Diese Philosophen, Ärzte etc. waren meist 
Angehörige der Herrscherfamilien und gehörten häufig mehreren Religionen im Wissen d.h. vor allem  
philosophisch an. Sie standen nicht auf der Stufe des reinen Glaubens, dem so häufig die Intoleranz 
und Ignoranz zur Seite stand. Übrigens stammen von ihnen auch alle großen europäischen Gelehrten 
ab. Sie sind von daher auch als Orientalen zu sehen wie z. B.  Hegel, Hölderlin, Marx,  Korsch, Bloch 
etc.. ‐ Erben der Antike und des Orients, wo Gemeinsinn und kollektiver Geist, dem Eigennutz 
vorgestellt sind und das Kollektive, Individualität fester Bestandteil des Allgemeinen ist. 

Schon damals gingen Gesellschaften unter wie in der jüngsten Geschichte. Und schon damals wurde 
die Geschichte verfälscht durch die christlichen Eroberer. Medizinische Operationen, die es in der 
orientalischen Blüte und vorher der Antike gab wurden verboten und konnten nur heimlich von meist 
orientalischen Ärzten durchgeführt werden. Die Europäer und Araber handelten mit Sklaven und 
brachten sie nach Amerika. Die Osmanen, Chinesen, Perser handelten nicht mit Sklaven für Amerika, 
sie besaßen bisweilen Haus‐und Kriegssklaven. Sie lieferten bereits Seide, Porzellan u.a. im Austausch 
nach Afrika bevor die Europäer alles zerstört und ignoriert hatten. Für Hegel war Afrika nur noch ein 
dunkler Erdteil in den die Europäer heute Abfälle, alte Kleidung und kaputte Autos liefern. Die 

 

 
Chinesen bauen dagegen Eisenbahnen, liefern Solarzeug,  ebenso 1€ Waren wie nützliche Werkzeuge 
und neue Kleidung, Geschirr, wodurch weniger abgeholzt werden muss und Pflanzenabfälle zum 
düngen verwendet werden können. Dies soll zum kurzen Ausblick  über die damalige und heutige 
Welt reichen. Korsch hat am Ende seines Lebens hierzu interessante Bemerkungen gemacht, die im 
Buch zum Schluss diskutiert werden. 

Doch zurück zum Marxismus: 

Ein minimales Wissen der Dialektik wollen wir nun Lenin  nicht ganz absprechen, auch wenn er  nur 
noch schlimmeren Banditen wie Trotzky und Stalin den Weg bereitet hat. Mao hat m.E. sich nur aus 
taktischen Gründen seinen Vorläufern angeschlossen. 

Alte Häuser, Bräuche, Kulte, Religionen wurden zerstört und Ethnien umgesiedelt. Außerdem gab es 
im sowjetischen Pass auch den Judenstern. Aber über Stalins Säuberungsaktionen soll hier nicht die 
Rede sein. Hier sind interkulturelle Aufgaben zu bewältigen, deren Methoden und 
Theorie/Praxis/Wissenschaft an anderer Stelle ergriffen werden. 

Zurück zum Opium für Volk. Die Lösung hierzu führt u.a. über die Feuerbachthesen von Marx.  Marx 
schrieb Religion ist Opium fürs Volk. Andererseits schrieb er an anderer Stelle ungefähr: der Alp der 
toten Geschlechter lastet auf den lebenden. Das kollektive Unbewusste lässt sich nicht durch die 
Sprengung der Tempel, Synagogen ,Kirchen, Moscheen  beseitigen, man raubt  ihnen ihre 
ideologische Geschichte, aber man hat sie nicht  materialistisch aufgehoben (idealistisch ja, bei 
Hegel). Wenn das Unbewusste blockiert ist können die Menschen auch nicht glücklich werden. Hier 
liegt ein Scheitern des Staatssozialismus leninistischer Prägung  China ist  heute auf einem anderen 
Weg, der sogenannten mixed economy, einer Gesellschaft, die die Rückgriffe in kapitalistische 
Methoden wagt um im neuen sozialistisch proletarisch‐bürgerlichen Vorschein zu landen.  

Materialistisch ergriffen hat  Bloch (objektiver  Materialismus) dies Problem der Ideologien, 
Religionen, Literatur, Malerei, Märchen etc. und es  wissenschaftlich materialistisch vorbereitet.   
Sein Verdienst liegt darin diese Probleme bis ins Detail vor‐ und aufbereitet zu haben. Seine 
materialistische Umsetzung konnte er nur im theoretischen, wissenschaftlichen Diskurs oder in 
Vorträgen erreichen.  Allein die gesamt gesellschaftliche Umsetzung in sinnlich‐praktischer Tätigkeit  
mit dem materialistischen Verstand und der materialistischen Vernunft war ihm nicht möglich. Die 
gesellschaftlichen Verhältnisse waren nicht reif genug und es mangelte an der letzten sinnlich, 
praktisch, theoretisch‐wissenschaftlichen Umsetzungsmöglichkeit durch die Aktion. Die provokative 
Art als geistige Aktion (Korsch), auch surrealistisch war ähnlich subjektiv gefärbt wie bei Fichte im 
deutschen Idealismus. Dies gilt auch für die gewollte Diskurstechnik. Nur die Entwicklung einer 
Dialektik der Aktion und Organisation bei Rosa Luxemburg geht hier bereits schon neue Wege ohne 
die formelle und inhaltliche Seite in den Erkenntnisstufen lösen zu können. Jeder ist eben 
Sohn/Tochter seiner Zeit wie Hegel richtig bemerkte. Der  absolute Materialismus, der absoluten 
Arbeit wird deshalb offen bleiben müssen. Wir arbeiten und haben schon unter unseren Füßen den 

 

 
neuen Weg, also sind wir schon und müssen uns nicht nur noch mehr haben sondern auch die 
gegenständliche Welt,  um in die Heimat (Bloch)  zu gelangen. 

Die Umbildung der gegenständlichen Welt nach der Ergreifung im ungleichzeitigen Prozess 

Überbau und Basis durch geistige Aktion,  Provokation , Diskurs 

 Wir handeln  in sinnlich‐praktischer Tätigkeit nicht nur in dialektischen  Beziehungen auf den 
verschiedenen Ebenen der Gesellschaft,  in verschiedenen Schichten, in Basis und Überbau in den 
verschiedenen Kulturen, der unterschiedlichen multikulturellen bürgerlich‐proletarischen 
Gesellschaft in seiner Ungleichzeitigkeit.  

Die sinnlich‐praktische Tätigkeit vollzieht sich nicht durch eine einzige Umwälzung, den einmaligen 
jakobinischen oder leninistischen Prozess der Umwälzung durch  Revolution, sondern in einer langen 
Periode reformistischer  und revolutionärer Veränderungen, reaktionärer, totalitärer, bürgerlicher 
und proletarisch  konservativer Rückschläge,  die in dialektischen Beziehungen  den historischen 
Verlauf der bürgerlichen Gesellschaftsformation auch nach kurzem Stillstand, Zerstörung und kurzen 
Rückwärtsgängen  über sich hinaustreiben zur globalen Veränderung der Reproduktions‐ und 
Produktionsverhältnisse.  

Vergesellschaftungsprozesse als Aneignungs/Ergreifungsprozesse:  Politische‐, ökologische, 
ökonomische Aneignung durch das multikulturelle Wir. Wir sind multikulturell und ergreifen die 
gegenständliche Welt – die sozialistische Akkumulation als sozialer, ökologischer, politischer und 
ökonomischer Veränderungsprozess: der sozialistische Wärmestrom der  Globalisierung kann sich als 
dörflicher, innerstädtischer, innerlandwirtschaftlicher, innerindustrieller, innergewerkschaftlicher, 
innerparteiischer, interethnischer‐ multikultureller‐ interkultureller Prozess mit seinen vielfältigen 
Ungleichzeitigkeiten an den  Orten, den Waren, dem Kapital, dem Boden, der Meere (Fischzucht und 
Fang), des Landes (ökologisches Land als Privateigentum und Gemeineigentum) ergriffen, beginnen, 
stattfinden und fortgesetzt werden.  

Das Zeitalter dieser Ungleichzeitigkeiten ist als Übergang zu sehen: Ergreifen, Sein, Werden und 
Vergehen lassen sich in der sozialistischen  Akkumulation des multikulturellen Vorscheins als 
dauernde dialektische Bewegung begreifen. Insofern erscheint das Zeitalter als ein Übergang, wo sich 
das Neue immer weiter herausbildet: wie die Städtebildungen um die Meere des  Orients und  in der 
Antike, später in West‐ und Nordeuropa in Oberitalien, Flandern mit ihren verschiedenen 
Organisationen der Kaufleute (Hanse, Ostindiengesellschaft etc.)  und Handwerker.  Auch unter 
diesen Entwicklungen der Akkumulationen des kapitalistischen Kapitals gibt es immer wieder 
kollektive sozialistische Ergreifungsversuche, die von der kapitalistischen Totalität nie ganz vernichtet 
werden, allerdings unter ihre Produktionsweise subsumiert werden. Der politische Akt, der an die 
Entwicklungsverläufe der bürgerlichen Gesellschaft orientierten leninistischen Revolutionen, erweist 
das Unvermögen der Umbildung des jeweiligen Landes in eine sozialistische vergesellschafte 
Gesellschaft (Russland, China, Kuba etc.). Ein außerökonomischer Umgestaltungsakt der Gesellschaft 
erscheint als wenig praktikabel. Die Folgen des Wertesozialismus der Sozialdemokratie mit dem 

 

 
Rückbau der lange und blutig erkämpften sozialen Errungenschaften der Arbeiterbewegung finden 
mit der fortlaufenden Armut durch Hartz IV i.a. gesundheitspolitische Maßnahmen ein ebenso 
schreckliches Ende wie der Leninismus auf anderer Ebene. Der Der Kapitalismus konservativer und 
sozialdemokratischer Prägung führt zur surrealistischen Produktion. Es werden Konsumtempel 
errichtet, Autos gebaut die sofort weggeworfen werden können ohne das, dass Bruttosozialprodukt 
fallen würde. Andererseits könnte man den Arbeitslosen mehr Geld geben. Man müsste mehr 
Schulden machen, was schließlich zwar zum  Staatbankrott führen könnte, wenn nicht die 
tatsächlichen Eigentumsverhältnisse die durch Raub an jüdischem  Eigentum, Raub durch 
Schwarzmarktgeldern, Drogenhandel und jahrhundertelange Verkäufe von Lehenseigentum, Drogen 
etc. die Gesellschaft in Kriege und Ungleichgewichte gestürzt hat, nicht rückgängig gemacht werden. 
Also durch die Bewegungen ergriffen werden,  die nach den alten Grundsätzen handeln: Gemeinnutz 
geht vor Eigennutz zum Wohle aller und zum Fortschritt der Wissenschaften und Künste wie 
beispielsweise in den „laizistischen Gesellschaften“ der  Sultanaten der alten orientalischen Welten, 
ganz zu Schweigen vom goldenen Zeitalter, Paradies, Urkommunismus u.ä..  

„Le caractère largement sècularisé de la civilisation islamique andalouse permettait par ailleurs aux 
gens du livre de se sentier les héritiers  d`und grande et respectable tradition culturelle. Et la langue 
dominante, l`arabe, moins étroitment attachée à la religion régnante que le latein ne l´était à l `Eglise 
de Romeo ù d`Orient, etait utilisé couramment et sans réserve quand ils abordaient l`étude de leurs 
propres textes sacré.“(Courrier de l´UNESCO, 35, 1991) 

 Die modernen Finanz‐ und Wirtschaftskrisen sind nichts als ein Ausdruck dieser wirtschaftlichen 
Raubordnung nach Ali Baba Das Kapital von Marx ist die Geschichte dieses Raubes. Sie endet mit der 
faktischen Formel, dem falschen Schluss die Enteigner (Räuber ) zu enteignen und alles in die Hände 
des Staates und nicht des kollektiven Gemeinwesens zu legen, wo der Raub auch ergriffen und 
aufgehoben im Sinne von Rückgängig gemacht wird durch die Herstellung alter Eigentumsrechte. Die 
Mafiakriege mit Al  Kaida u.a. sind nur der Gipfel dieser ökonomischen und polizeilichen Unordnung. 
Europa gibt sich im inneren offen !  Wer jedoch Hartz IV bezieht kommt mit dem Fahrrad nicht sehr 
weit.  Ein unsichtbarer Zaun beschränkt seinen Lebensraum. Eine Stacheldrahtgrenze braucht nicht 
mehr gezogen zu werden.  

  Also muss die weitere Ergreifung der gesellschaftlichen  Verhältnisse  in den ökonomisch‐
ökologischen und multikulturellen politischen und sozialen Ungleichzeitigkeiten beginnen.  

Im globalen Maßstab gesehen finden sich Ungleichzeitigkeiten in den ökonomischen Verhältnissen, 
die immer noch an  urzeitliche Jäger – und Sammler  in Eis‐ und Tundra gebieten,  in den Wüsten,  im 
Amazonas und anderswo an vergangene Reproduktionsverhältnisse des gesellschaftlichen Lebens 
erinnern. Ebenso gibt es Reste feudaler Gesellschaften in einigen Ölgebieten, sowie Afghanistans. 
Keine der alten ökonomischen Reproduktionsformen des gesellschaftlichen Lebens  existiert jedoch 
in Reinform. Die an ihrem Rande agierende globale kapitalistische Produktionsweise hat längst den 
Kontakt zu ihnen gefunden. Dennoch schließt  sich hier auch ein neuer Kreis eine kreisförmige Treppe 
wie sie Hans Mayer in Bezug auf die Musik von Hans Eisler beschrieben hat, um den dialektischen 
Prozess  zu erklären  ( Tübinger Protokoll)  Vgl. auch Hans Mayer, Über Deutsche und Juden.  


 

 
Aber wo bleiben die Ebenen des materialistischen Verstandes, der Vernunft zum materialistischen 
Absoluten in dialektischer Aktion?  Also die Ergriffe mit Aktionen:  diskursiv, provokativ, durch 
eingreifendes Handeln (Brecht, Malerei etc)  situationistisch  etc. zur  sinnlich‐praktischen 
Umgestaltung der Welt, die das Absolute und deren Interpretationen nach Bloch ergriffen haben um 
vorwärts zu gehen? Was bedeutet, dass die Religionen, Musik, Literatur, Kulte, Malerei,  
Essgewohnheit, Ökologie, Medizin, Baukunst  etc.  im inneren ergriffen werden, das Erbe dialektisch  
aufgenommen  interpretiert wird, so dass den Menschen allmählich ihre Funktion/ gesellschaftliche 
Situation im Ergreifen, Sein, Werden und der utopischen Möglichkeit/Notwendigkeit bewusst wird. 
So können wir alles hinter uns lassen und z.B. die Religionen  verlassen und alles museal als 
Geschichte bewahren und als freie Menschen leben. Aber um nach vorne zu gehen müssen wir nicht 
nur nach hinten schauen, sondern das Erbe ergreifen, erleben, durchspielen und es objektiv und 
subjektiv in den gesellschaftlichen Verhältnissen aufheben. Ein Prozess  dessen Kreise mit der 
Erkenntnis von der Tiefe, der Geschichte sich auch immer weiter in die Höhe, Breite in den Raum und 
in der Zeit bewegen wird  

Adorno und Horkheimer kommen das große Verdienst zu, dass sie den negativen Teil der Geschichte 
aufbereitet haben. Sie sind nicht zur Negation der Negation gelangt. 

 Also müssen wir bei Bloch, der oft auch sprachlich den orientalischen Weg beschreitet,  
weitermachen ohne ihre Werke zu vernachlässigen. Für die Arbeit am Absoluten (Gott, das Licht, 
Manitou etc) sind sie auf der materialistischen Basis unumgänglich, weil ohne sie auch die Dialektik 
zum  Arbeitsschein nicht ergriffen werden kann. 

 Der Beitrag von Karl Korsch und sein Einfluss auf Berthold Brecht u.a. ist hier nicht unwesentlich. 
Deshalb diese Neuauflage meines vor über 30 Jahren geschriebenen Werkes. Veränderungen wurden 
im Inneren absichtlich nicht vorgenommen. Es soll als historisches Dokument auf dem Wege in den 
absoluten Materialismus erhalten bleiben wie es einst verfasst wurde unter den Zeichen seiner Zeit. 

18.3.09 letzte Version 

        


 
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Einleitung:

Karl Korsch, Biographisches

Karl Korsch wurde 1886 in Tostedt in der Lüneburger Heide geboren. Er studierte
Rechtswissenschaften, Nationalökonomie und Philosophie in München, Genf, Berlin und
Jena. In Jena arbeitete er bei der „Freien Studentenschaft" mit. Diese Studenten kamen
meistens aus nicht traditionell akademischen Familien. Als Studenten „Zweiter Garnitur"
bemühten sie sich um soziale Einrichtungen, waren als Werkstudenten tätig und führten
Arbeiterschulungen durch. Vier Jahre später (1912) tritt er in die SPD ein, geht nach London
und arbeitet in der Fabian Society mit. Im I. Weltkrieg weigert er sich, die Waffe in die Hand
zu nehmen. 1918 wird er Mitbegründer des Arbeiter- und Soldatenrates in Meiningen und ist
Assistent von Robert Wilbrandt in der Sozialisierungskommission für den Kohlenbergbau. Im
Juni 1919 tritt er in die USPD, Ende 1920 in die KPD ein. Zu dieser Zeit beginnt er mit der
intensiven Marxrezeption. 1923 argumentiert er als Delegierter zum 8. Parteitag der KPD in
Leipzig gegen die Linken. Im August desselben Jahres wird er in Jena Professor für Zivil-,
Prozeß- und Arbeitsrecht. Vom 16.10. bis 12.11. ist er Justizminister in der Thüringer SPD-
KPD-Koalitionsregierung. Nach dem Einmarsch der Reichswehr tritt er zurück. 1924, nach
kurzer Zeit der Illegalität wird er in den Thüringer Landtag gewählt, rückt in den Reichstag
nach und gibt sein Landtagsmandat wieder auf. Reaktionäre Studenten und die
Universitätsbürokratie hindern ihn seine Antrittsvorlesung „Jus belli ac paci im Arbeitsrecht"
zu halten. Für ein paar Monate ist er Chefredakteur der theoretischen Zeitschrift der KPD (Die
Internationale). 1925 wird Korsch aus dem Leitungsgremium der KPD ausgeschlossen. Nach
einem Vergleich in Zweiter Instanz mit dem Land Thüringen erhält er alle Rechte seiner
Professur zurück, verzichtet aber freiwillig darauf, Lehrveranstaltungen durchzuführen. Ende
1925 beginnt er eine linke Opposition aufzubauen. 1926 findet die erste Reichskonferenz der
„Entschiedenen Linken" statt. Es erscheint die erste Nummer der „Kommunistischen Politik".
Im gleichen Jahr wird er aus der KPD ausgeschlossen und versucht eine neue Zimmerwalder
Unke" zu formieren. Ab 1926 arbeitet er nur noch mit kleineren Zirkeln zusammen. Er lernt
Bert Brecht 1928 kennen und veranstaltet freie Diskussionszirkel, an denen neben Brecht
auch E. Mühsam, R. Rocker, A. Souchy, I. Steinberg, P. Partos, E. Gerlach, H. Langerhans,
A. Döblin teilnehmen.

1930 studiert er mathematische Statistik und ihre Anwendung auf Ökonomie und Soziologie.
Er hält Studienzirkel über klassischen Marxismus ab und ist freier Mitarbeiter des Instituts für
Sozialforschung. 1933 wird er von den Nazis aus dem Universitätsdienst entlassen und
emigriert noch im selben Jahr nach England. Während der Emigration besucht er Brecht
längere Zeit in Svendborg und erhält den Auftrag, für die Reihe „Modern Sociologists" das
Buch über Karl Marx zu schreiben. 1936 wird er aus England ausgewiesen und geht in die
USA. Finanzielle Unterstützung erhält er durch die Hermann-Weil-Memorial-Foundation.
Vergeblich bemüht er sich um verschiedene Universitätsstellen und Guggenheim-Stipendien.
Er arbeitet mit der Räte-Gruppe um Paul Mattik und beschäftigt sich mit dem Problem des
Verhältnisses zwischen Revolution und Konterrevolution. Kurzzeitig ist er Lecturer am State
College of Washington Pullmann und dann zwei Jahre Visiting Assistant Professor of
Sociology an der Tulane University of Louisiana. Ab 1945 will er Bakunins Buch
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,,Staatlichkeit und Anarchie" ins Englische übersetzen und glossiert herausgeben. Er


beschäftigt sich mit Problemen Asiens und Imperialismus- fragen. Mit Rosdolsky diskutiert er
1950 bis 53 über Bakunin und Marx. Probleme der Übergangsgesellschaft und des Staates
stehen bis zu seiner Krankheit (Gehirnzellenzersetzung) 1956 im Vordergrund. Die letzten
fünf Jahre seines Lebens war er hospitalisiert. Er verstarb 1961 in den USA, ohne ahnen zu
können, daß er sechs Jahre später zu einem der geistigen Väter der Studentenbewegung
wurde.

Korsch gehörte zu jener Generation Intellektueller, die in die Zeit des Übergangs von der
bürgerlichen zur proletarischen Gesellschaftsform hineingewachsen sind. Er erlebte noch das
alte - nur bürgerliche Zeitalter und zugleich mit der Oktoberrevolution den Aufbruch in die
neue Zeit. Diese Übergangszeit ist im Denken und Handeln Korschs sehr detailliert nach-
vollziehbar. Seine kritischen Äußerungen über Marxismus, Theorie und Praxis sollen von
daher in dieser Arbeit kritisch gewürdigt werden. Er bietet, wie kaum ein anderer, die ersten
Schritte zur Weiterentwicklung und Überwindung des Marxismus an, ohne dies jedoch selber
immer zu bemerken. In dieser Arbeit wird der Versuch gemacht dies zu verdeutlichen. Es
wird gezeigt, daß sich das Verhältnis von Theorie und Praxis zu Korschs Lebzeiten bereits
gewandelt hat. Denn das Verhältnis von Theorie und Praxis wird beim Übergang ins nicht
mehr bürgerliche Zeitalter ein anderes, da das Verhältnis von Bewußtsein und Gegenstand ein
anderes geworden ist. Dies soll im Folgenden gezeigt werden.

1.1. Die Hegel - Marx - Rezeption

Karl Korschs Gedanken in den 20er Jahren aus heutiger Sicht

Eines der ersten Ergebnisse von Korschs gründlicher Marx- und Hegel-Rezeption stellt die im
Jahre 1923 erschienene Schrift „Marxismus und Philosophie" dar. Sie behandelt ähnliche
Probleme wie die Aufsatzsammlung „Geschichte und Klassenbewußtsein" von Georg Lukács,
mit der sich Korsch im Nachwort zu „Marxismus und Philosophie" einverstanden erklärte,
aber sich eine Kritik noch vorbehielt. Die Absicht jener Schrift war, so Korsch in der
Antikritik 1930, trotz ihres streng wissenschaftlichen Charakters den praktischen Zusammen-
hang des Verhältnisses von Marxismus und Philosophie der Zeit nicht zu verleugnen, sondern
im Rahmen der „geistigen Aktion", ein in „Marxismus und Philosophie" entwickelter Begriff,
praktischen Einfluß auf die kommunistische Bewegung zu nehmen.

Das Gegenteil dessen, was er gewollt hatte, trat ein. Der, „Herr Professor" wurde neben
Lukács zur Feindfigur hochstilisiert, als jemand, der - so Sinowjew im Juni 1924 auf dem V.
Weltkongreß der Komintern - „zunächst den Marxismus und Leninismus studieren" müsse.
Der Kampf gegen die Korsch-Gruppe wird schließlich bis zur „restlosen Vernichtung"
(Stalin) geführt, die mit seinem Rauswurf aus der KPD am 3.5.1926 besiegelt werden sollte.
Korsch hat 1930 auf dieses „Ketzergericht" in seiner Antikritik geantwortet und die
Verfälschungen seiner Schrift seitens verschiedener Rezensenten dargestellt und kritisiert.'
Jener 1925 begonnene Kampf gegen die „kleinbürgerliche Korsch-Gesellschaft" wird von
11 
 
12 
 

Seiten einiger orthodoxer Marxisten bis zum heutigen Tage auf völlig unwissenschaftliche Art
und Weise geführt, wie Herr Richard Albrecht in jüngster Zeit wiederholt bewiesen hat: Er
schrieb in einer Rezension des Fischer-Jahrbuchs 1, in dem verschiedene Autoren sich mit
Korsch auseinandersetzen: „Es handelt sich hierbei um ein zielgerichtetes Unternehmen im
Interesse der Imperialistischen Reaktion."2

Dabei ist eine solche unqualifizierte Auseinandersetzung mit den Korschschen Gedanken
heute noch weniger als damals gerechtfertigt, weil wichtige Positionen des westlichen
Marxismus und der neu entstandenen sozialen Bewegung auf ihm fußen.3

In Deutschland hat Erich Gerlach zur Wiederaufnahme der Korsch-Debatte wichtige Beiträge
geleistet. Er hat in der SDS- Zeitschrift „Neue Kritik" einen Abriß über die Marxrezeption
Korschs gegeben und sich um die Neuauflage zahlreicher Schriften bemüht.4

Rudi Dutschke hat 1966 in seinem kritischen Literaturbericht über den revolutionären
Sozialismus auf die Züricher Thesen Korschs hingewiesen, die besagen, daß mit einer
Rekonstruktion der sozialistischen Theorie und Praxis die Weiterentwicklungen des
Marxismus sowie seine Gegenspieler, also Bolschewismus, Anarchismus, Syndikalismus, etc.
nicht nur als Revision, Vorläufer, Abweichler oder Verräter des Marxismus zu betrachten
seien, sondern als Antworten auf die jeweils historisch veränderten Bedingungen gesehen
werden müßten.

Hans-Jürgen Krahl, ebenfalls einer der wichtigsten Exponenten der Studentenbewegung, hat
unter anderem den Korschschen Ansatz der Kritik der Marx’schen Revolutionsstrategie
aufgenommen.

Gerade weil Korsch zahlreiche Fragen aufgeworfen hat, die im Wesentlichen auch heute noch
ungelöst sind und an denen man bei einer Weiterentwicklung des Marxismus nicht
vorbeikommt, ist er noch aktuell.

Ausgangspunkt für eine solche Auseinandersetzung könnten, wenn man an die Räte-
Diskussion anknüpft oder von ihr ausgehend eine Korsch-Debatte führt, die von Erich Ger-
lach herausgegebenen „Schriften zur Sozialisierung" (1919 - 1920) oder das „Arbeitsrecht für
Betriebsräte" (1922) sein. Sie haben die Wiederaufnahme der Korsch-Debatte zusammen mit
vielen als Raubdruck erschienenen Schriften überhaupt wieder ermöglichte Für viele ist
Korsch dadurch zum Ideologen eines „westlichen Marxismus" geworden, der an das kritisch-
pragmatische Element vor allem des jungen Marx und der Räte-Bewegung anknüpft. Mit dem
seit mehr als einem halben Jahrhundert fortschreitenden Sieg der verschiedensten Parteien der
Arbeiterklasse und der Herausbildung zahlreicher sozialistischer Staaten, die sich mehr oder
weniger auf Marx berufen, stellen sich die Fragen nach dem Verhältnis von Marxismus und
Philosophie, bzw. Theorie und Praxis unter einem neuen Aspekt. Es erhebt sich die Frage, ob
der Marxismus selber in vielen Teilen eine Theorie des Übergangs vom Kapitalismus zum
Sozialismus ist, und inwiefern diese Theorie nicht in einem bestimmten historischen Stadium
von der Arbeiterklasse umgebildet werden muß. Fragestellungen in dieser Richtung
durchziehen das Gesamtwerk Korschs. Sie finden ihren "Höhepunkt" in dem unvollendeten
Manuskript „Das Buch der Abschaffungen".7

12 
 
13 
 

In dieser Arbeit werden hauptsächlich Gedanken reflektiert, die die Fragen nach dem
Verhältnis von marxistischer Wissenschaft, Theorie und Praxis betreffen. Aufgeteilt wurde
das Ganze in drei Abteilungen:

1. Korschs Überlegungen zu diesen Problemen in den zwanziger Jahren

2. Seine nacherneuter Hegel-Rezeption angestellten Überlegungen ab den dreißiger Jahren

3. In diesem Teil werden einige Reflektionen über den Marxismus als Übergangswissenschaft
angestellt.

Hierzu ist nun folgendes zu sagen: Es wird die Aneignung des Marxismus und der Hegelschen
Philosophie, wie sie sich für Korsch in den zwanziger Jahren darstellte, nachempfunden.
Korschs Ansätze werden dann aufgenommen, kritisiert oder weiterentwickelt.

Zuerst muß die Aneignung des Hegel-Marx’schen Erbes nachvollzogen werden. Dies wird
unter 1.2. getan. Es geschieht während der revolutionären Ereignisse der zwanziger Jahre. Die
Schrift „Marxismus und Philosophie" erscheint kurz bevor Korsch in der KPD-SPD-
Koalitionsregierung in Thüringen vom 16. Oktober bis 12. November 1923 Justizminister
wird. Im nächsten Abschnitt dieser Arbeit werden dann einige Aspekte zur Staatsproblematik
erörtert. Die Frage der Macht ist wichtiger als die exakte Staatsableitung. Der Wissenschaftler
Korsch ist gleichzeitig Revolutionär. Dies darf bei der Aufnahme der Gedanken nicht
vergessen werden. (1.3.) Ist die Staatsmacht erobert, so stellt sich die Frage der „geistigen
Aktion" und der Erbschaft unter einem anderen Aspekt (1.4.). Unter 1.5. wird deshalb der
Bezug von Marxismus und Arbeiterbewegung im Zusammenhang mit Korschs Phasentheorie
reflektiert. Dies führt, nachdem er den Bezug zur proletarischen Massenbewegung nicht mehr
hat, in der „Antikritik" zu Fragen der Beziehung zwischen Intellektuellen, Wissenschaft und
Theorieproduktion unter 1.6. Hierauf wird der Leninismus von Korsch anders behandelt, Er
differenziert zwischen Wissenschaft, Theorie und Praxis der Arbeiterbewegung. Danach folgt
der Übergang in die dreißiger Jahre.

13 
 
14 
 

1.2. Theorie und Geschichte

Philosophie und revolutionäre Gesellschaftswissenschaft

Um den revolutionären Theorie- und Praxisbezug des Marxismus herzustellen und allgemein
deutlich zu machen, hatte bereits Lenin ein intensives Studium der Hegelschen Philosophie
empfohlen. Wenn auch in der idealistisch verklärten Weise, nach der die Geschichte
wesentlich Resultat des Geistes als dialektischer Prozeß der Entäußerung des Absoluten
aufgefaßt wurde, war die Hegelsche Philosophie jedoch kein leeres Hirngespinst und für ein
breiteres Marx-Verständnis immer noch notwendiges Studienobjekt, um jenen
Zusammenhang zwischen Sein und Bewußtsein zu verstehen, wie er in der Hegelschen und
Marx’schen Dialektik entwickelt worden ist. So scheinen nach Hegel die ,,Taten des
Denkens" „als geschichtlich, eine Sache der Vergangenheit zu sein und jenseits unserer
Wirklichkeit zu liegen. In der Tat aber was wir sind, sind wir zugleich geschichtlich ... Der
Besitz an selbstbewußter Vernünftigkeit, welcher uns, der jetzigen Welt angehört, ist nicht
unmittelbar entstanden und nur aus dem Boden der Gegenwart gewachsen, sondern es ist dies
wesentlich in ihm, eine Erbschaft und näher das Resultat der Arbeit, und zwar der Arbeit aller
vorhergegangenen Generationen des Menschengeschlechts.8

Entgegen der landläufigen Meinung einiger orthodoxer Marxisten zeigt Korsch in


„Marxismus und Philosophie", daß viele Marxisten mit der Hegelschen Philosophie ähnlich
verfahren, wie Feuerbach einst mit dieser umging, was Engels mit den Worten erledigte, er
habe sie einfach ungeniert beiseite geschoben. So wurde die Beschäftigung mit
erkenntnistheoretischen und methodologischen Schwierigkeiten in der II. Internationale als
überflüssige Kraftverschwendung angesehen; man hat sie nicht verboten, meinte aber, für den
Klassenkampf seien solche Fragen irrelevant. Es bestand deshalb für die Theoretiker der II.
Internationale kein Widerspruch darin, wenn ein ,,führender Marxist" im Privatleben
Anhänger der Philosophie Schopenhauers war. So gab es scheinbare Übereinstimmungen
zwischen bürgerlicher und marxistischer Wissenschaft Man meinte, entweder der Marxismus
habe mit Philosophie nichts zu tun, besäße keinen eigenen philosophischen Gehalt oder man
ergänzte ihn durch Kantianische, Dietzgensche, Marxsche Gedanken.

Korsch will verdeutlichen, daß ein derartiges Verständnis von Theorie und Praxis auf einen
vorhegelianischen Standpunkt zurückfällt. „Wir werden nämlich sehen, daß ganz ähnlich wie
bei den bürgerlichen Gelehrten der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts mit dem totalen Vergessen
der Hegelschen Philosophie auch jene 'dialektische' Betrachtung des Verhältnisses von
Philosophie und Wirklichkeit, Theorie und Praxis gänzlich verloren gegangen ist, die in der
hegelschen Epoche das lebendige Prinzip der gesamten Philosophie und Wissenschaft
gebildet hatte, auf der anderen Seite auch bei den Marxisten in der gleichen Epoche die
ursprüngliche Bedeutung dieses dialektischen Prinzips, das in den 40-ger Jahren die beiden
jugendlichen Hegelianer Marx und Engels bei ihrer Abwendung von Hegel mit vollem
Bewußtsein 'aus der deutschen idealistischen Philosophie' und die 'materialistische'
Auffassung des geschichtlich-gesellschaftlichen Entwicklungsprozesses hinüber gerettet
hatten, mehr und mehr in Vergessenheit geraten war".9 Dieses Vergessen deutet den Verfall
des bürgerlichen Denkens an. Schließlich war mit Hegel die bürgerliche Philosophie zum
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Abschluß gekommen, auch wenn in Deutschland der Kapitalismus noch nicht zum
Durchbruch gelangt war, so hatte der deutsche Idealismus durch Hegel den 'Emanzipations-
Prozeß' des Bürgertums ähnlich zum Abschluß gebracht, wie Ricardo die bürgerliche
Ökonomie. Die bürgerliche Klasse konnte nun nicht nur politisch und ökonomisch, sondern
auch wissenschaftlich nicht mehr allein revolutionäres Subjekt sein, in dem Moment, wo mit
dem Durchbruch der kapitalistischen Produktionsweise der „freie" Lohnarbeiter dem
Kapitalisten gegen- über stand. Die einzig zu leistende Aufgabe bestand darin, diesen sinnlich
wahrnehmbaren praktischen Widerspruch zwischen Lohnarbeit und Kapital bewußt zu
machen und auf die Höhe der Wissenschaft zu erheben. Marx und Engels haben dies getan,
stießen jedoch auch hier schon laut Korsch auf eine historische Schranke, wie im 2. Teil der
Arbeit gezeigt wird.

In „Marxismus und Philosophie" geht es Korsch vor allem erst einmal darum, zu erklären,
wieweit Theorie und Praxis, Wissenschaft und Klassenkampf Ausdruck bestimmter Pro-
duktionsverhältnisse und Klassenwidersprüche sein müssen. Ob diese Parteilichkeit bewußt
oder unbewußt eingenommen wird, ist letztlich gleichgültig, sie ist auf alle Fälle vorhanden.
„Auf den verschiedenen Formen des Eigentums, auf den sozialen Existenz-Bedingungen"
hatte Marx im 18. Brumaire geschrieben, „erhebt sich ein ganzer Überbau verschiedener und
eigentümlich gestalteter Empfindungen, Illusionen, Denkweisen und Lebensanschauungen.
Das einzelne Individuum, dem sie durch Tradition und Erziehung zufließen, kann sich einbil-
den, daß sie die eigentümlichen Bestimmungsgründe und den Ausgangspunkt seines Handelns
bilden."10

Zu diesem, über dem materiellen Reich der Produktivkräfte liegenden Überbau gehört sowohl
in ihren inhaltlichen als auch in ihren formellen Elementen die Philosophie. Weil die bürger-
lichen Philosophen seit Mitte des letzten Jahrhunderts sich von der dialektischen Methode und
der Hegelschen Philosophie losgesagt hatten, konnten sie letzten Endes auch mit dem
wissenschaftlichen Sozialismus von Marx und Engels nichts anfangen.

Korsch stellt nun drei Schranken fest, denen die bürgerlichen Philosophen des 19.
Jahrhunderts erlegen waren: daß

1. der Ideengehalt einer Philosophie nicht nur in der Philosophie, sondern ebenso gut in den
positiven Wissenschaften und der gesellschaftlichen Praxis fortlebt;

2. die deutschen Philister-Philosophen nur die deutsche Philosophie betrachteten und dabei
die Weiterbeschäftigung mit der Hegelschen Philosophie im Ausland übersahen;

3. man den Übergang von der Hegelschen Philosophie zum Marxismus völlig verkannte; so
wurde die Auseinandersetzung mit Hegel bei den Junghegelianern als Zersetzungsprozeß der
Hegelschen Schule begriffen, worauf in den 60-ger Jahren nur der Rückgang zu Kant erfolgte.

So ergab sich hieraus, daß die deutsche Philosophie dieser Zeit nur ideologischer Ausdruck
des verfallenen bürgerlichen Bewußtseins sein konnte und demnach die marxistische Theorie
der Ausdruck einer ihr entgegengestellten und sich im Konstitutionsprozeß befindlichen
Klasse.

15 
 
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„Es ist ein und derselbe geschichtliche Entwicklungsprozeß in dem einerseits aus der
revolutionären Bewegung des dritten Standes eine 'selbständige' proletarische
Klassenbewegung hervorgeht, andererseits der bürgerlichen Ideal-Philosophie die neue
materialistische Theorie des Marxismus 'selbständig' gegenüber tritt ... Die Entstehung der
marxistischen Theorie ist, hegelianisch-marxistisch gesprochen, nur die 'andere Seite der
Entstehung der realen proletarischen Klassenbewegung; beide Seiten zusammen erst bilden
die konkrete Totalität des geschichtlichen Prozesses".11

Daraus folgert Korsch, daß es die Aufgabe sei, alle bürgerlichen Ideologien, Philosophien
oder sonstigen geistigen Gebilde zu bekämpfen, solange sie noch existieren und immer wieder
verschleiert „neu" geboren werden - denn auch Marx und Engels haben Philosophien nicht als
leere Hirngespinste, sondern als realen Bestandteil einer vor ihren Augen stattfindenden
Bewegung behandelt und kritisiert:12

1.3. Marxismus Leninismus

Soziale Revolution und Übergangsstaat

Und ebenso wie mit der Philosophie verhalte es sich - und hier schimmert deutlicher Korschs
höchst aktuelles Anliegen durch - auch mit dem Staat. Gerade 1923, in seiner „orthodox-
leninistischen" Phase, in die auch die Arbeiter-Regierung in Thüringen fällt, in der er als
Justizminister tätig war, geht es Korsch darum, das revolutionär-materialistische Prinzip, die
Fragen nach dem Übergangsstaat in die breite Diskussion einzubringen. Die Orthodoxen
haben sich mit dem Problem - Staat und Politik - wenig beschäftigt, und es sei das Verdienst
Lenins, diese Fragen 1917 aus dem praktischen Bedürfnis heraus auf die Tagesordnung
gesetzt zu haben, denn nach der materialistischen Geschichtsauffassung sei nicht nur die allen
anderen geschichtlich-gesellschaftlichen Erscheinungen „letzten Endes zugrunde liegende
Basis, die ökonomische Struktur der Gesellschaft, sondern auch das Recht und der Staat, der
juristische und politische Überbau ein Wirklichkeit", die nicht wie in den anarchistisch-
syndikalistischen Theorien ignoriert und beiseite geschoben werden könne, sondern durch
eine politische Revolution wirklich umgewälzt werden müsse.13

Gerade dieser wichtige Punkt wird oft aus heutiger Sicht nicht korrekt interpretiert. Hier sei
mit der Aufnahme von Korschs Gedanken gleich ein Fehlansatz diskutiert.

Rusconi, Herausgeber von Korsch-Schriften in Italien und zu- gleich Interpret, hat hierzu
bemerkt, daß die Konstruktion dieser Parallele von „Staats-Problemen und Philosophie-
Problemen, die einer der originellen Gedanken von 'Marxismus und Philosophie — sei, auf
dem „brüchigen Boden einer fast wörtlichen Übertragung der alten Leninschen Frage des
'Verhältnisses der Revolution zum Staat' in die Frage 'des Verhältnisses der Revolution zur
Ideologie stehe.14

Für den „Leninisten" Korsch kann sich 1923 diese Frage eigentlich gar nicht stellen, denn
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letztlich spricht hier auch der Revolutionär, dem es darauf ankommt, mit der
kommunistischen Partei die Revolution zu machen. Rusconi hätte die Staatsfrage näher mit
der Phase Einteilung aus „Marxismus und Philosophie" und der leninistischen Position
Korschs erklären müssen, so ist in der Kritik von ihm die politische Position und der
historische Standort zu sehr vernachlässigt. Denn Korsch nimmt vom Standpunkt der Zentrale
gegen Fischer-Maslow in der Frage der Arbeiterregierung im gleichen Jahr folgende Position
ein: „Auch wir wollen die Einheitsfront mit der Arbeiterregierung als Propaganda benutzen.
Aber wir wissen dabei, daß für eine kommunistische Partei das wirkliche Ziel ihrer
Propaganda-Tätigkeit in nichts anderem besteht als in der Organisation des wirklichen
revolutionären Kampfes der proletarischen Klasse. Wollen wir diesen Zweck erreichen, so
kann für uns hierfür im gegenwärtigen Augenblick die chemisch-reine Formel 'Diktatur des
Proletariats' nichts nützen, weil sie diesen wirklichen Zweck nicht erfüllen, den wirklichen
Kampf der Arbeiterklasse im gegenwärtigen Augenblick nicht organisieren kann."15

Man sieht aus diesem kleinen Beispiel, wie Korsch immer wieder das kritisch-pragmatisch
veränderbare Element im Marxismus aus der aktuellen Situation hervorhebt. Deshalb konnten
die Rusconischen Befürchtungen, „daß sich der Raum der Wirklichkeit der Autonomie und
folglich der Kritik für die Theorie sozusagen auf Null reduziert" gar nicht als Frage auf-
tauchen - sie sind vielleicht eher ein Ergebnis reiner Theorie- Reflexion außerhalb einer
revolutionär-proletarischen Bewegung, also „chemisch-reine" Theorie-Produktion.16

Daß sich die Kritik für den Leninisten Korsch nicht auf Null reduziert, geht auch aus dem von
Rusconi zitierten „Der Standpunkt der materialistischen Geschichtsauffassung" hervor.
Rusconi stellt diesen Sachverhalt allerdings so dar, als läge dieser Aufsatz zeitlich hinter
„Marxismus und Philosophie", und für Korsch bestünde demzufolge die Notwendigkeit, „die-
ses Problem überzeugend zu lösen".17

Tatsächlich jedoch datiert jener Aufsatz auf das Jahr 1922 und kann daher als Vorstudie zu
„Marxismus und Philosophie" aufgefaßt werden. In „Der Standpunkt der materialistischen

Geschichtsauffassung" hatte Korsch geäußert, daß „die materialistische Geschichtsauffassung


in einem Teil ihres Wesens noch etwas" sei, „was der bürgerlichen Wissenschaft und
Philosophie gleichartig ist". Als kritische Widerlegung und Überwindung der bürgerlichen
Wissenschaft und Philosophie bleibe die materialistische Geschichtsauffassung unvermeidlich
mit „der einen Seite ihres Wesens selbst noch Wissenschaft und Philosophie."18 Mit der
anderen Seite ihres Wesens aber schreite sie über den bürgerlichen Wissenschafts- und
Philosophiehorizont doch zugleich hinaus.

Ebenso verhalte es sich auch mit dem Staat, welcher als Übergang nach dem proletarischen
Klassenkampf an die Stelle des alten bürgerlichen Staatsapparates treten müsse. Nach der
einen Seite seines Wesens habe dieser Staat noch Eigen- schaften eines bürgerlichen Staates
im heutigen Sinne, nach der anderen Seite seines Wesens habe er schon Eigenschaften, die
den Übergang zur klassenlosen und staatenlosen kommunistischen Gesellschaft bilden.
Rusconi stellt hierzu fest, daß das „ständige Hin- und Herlaufen zwischen verschiedenen
Seiten des Wesens in der Tat völlig unzureichend" ist.19

Diese Probleme sind für Korsch, und das sollte der kurze Exkurs zeigen, als unmittelbar in
17 
 
18 
 

einer revolutionären Bewegung beteiligtem Akteur gar nicht zu lösen gewesen, weil zum
anderen hierfür eine tiefere Analyse der kapitalistischen Gesellschaft, ein sozialistischer Sieg,
die Herausbildung eines hohen Grades von Klassenbewußtsein nötig gewesen wäre. Diese
Voraussetzungen waren trotz politischer Erfolge der kommunistischen Partei in Deutschland
jedoch nicht vorhanden, so herrschte ein Widerspruch zwischen politischem Masseneinfluß
und theoretischer Bildungsarbeit, der sich zwangsläufig theoretisch und praktisch in allen
Bereichen niederschlagen mußte.20

Diese chaotischen Zeitumstände müssen in Korschs Theorie zu einem spezifischen Hin- und
Herlaufen zwischen den verschiedenen Seiten des Wesens in der „geistigen Aktion" eben- so
wie in der praktischen Frage des Staates in der Übergangsphase führen.

1.4. „Geistige Aktion" gegen bürgerliche Ideologie

Diese „geistige Aktion" müsse laut Korsch ebenso wie die politische und ökonomische Aktion
nach der Ergreifung der Staatsgewalt durch das Proletariat Bestandteil des revolutionären
Umwälzungsprozesses bleiben, theoretisch und praktisch bis zu Ende geführt werden. Dies
gelte für alle Bewußtseinsformen der bürgerlichen Gesellschaft im Allgemeinen, wie für die
philosophische Aktion im Besonderen. Das bürgerliche „Bewußtsein ... muß durch die
revolutionär materialistische Dialektik, die Philosophie der proletarischen Klasse, auch
philosophisch bekämpft werden, bis es am Ende dieses Kampfes zugleich mit der
vollständigen praktischen Umwälzung der gesamten bisherigen Gesellschaft mit samt ihren
ökonomischen Grundlagen, auch theoretisch vollständig überwunden und aufgehoben sein
wird".21

Diese Problematik hat Korsch jedoch leider nicht näher ausgeführt. So bleibt offen, wie in
Form und Inhalt nach der Eroberung der Staatsgewalt durch das Proletariat die bürgerlichen
Bewußtseins-Restbestände überwunden werden. Nach der einen Seite hin, wo sie als
bürgerliche zu kennzeichnen sind, ist diese Frage klar, doch nach der anderen Seite, wie sie
vom Proletariat angeeignet und weiter entwickelt werden, bleibt dies bei Korsch
unbeantwortet.

Letztlich ist jener Kampf gegen die bürgerlichen Bewußtseinsformen etc. in der
vorrevolutionären Gesellschaft, in der das Proletariat die Staatsgewalt noch nicht erobert hat,
ein anderer, als in jener Phase des Übergangs, in der die Staatsgewalt in den Händen des
Proletariats liegt, wenn die eigentliche Erbschaft und die Neudeterminierung derselben erst in
ihrer Vollständigkeit eingeläutet werden kann.

Im Laufe des Geschichtsprozesses mit der Veränderung der Produktivkräfte und


Produktionsverhältnisse, der Herausbildung des Klassenbewußtseins müßte in der Phase des
Übergangs dieses reine Wissen in Bildung, Umbildung, d.h. eigene Theorie-Produktion
umschlagen, sodann tritt die Arbeiterklasse auch in diesem Bereich die eigentliche Erbschaft
an.
18 
 
19 
 

So konsequent führt Korsch, der im Wesentlichen auf Engels Bezug nimmt, die
Erbschaftsfrage nicht durch, wie man anhand der Antikritik sehen kann. Bis 1930 hat Korsch
dieses Problem in der folgenden Weise begriffen.

Friedrich Engels hatte 1888 am Ende seiner Schrift „Ludwig Feuerbach und der Ausgang der
klassischen deutschen Philosophie" die deutsche Arbeiterklasse als die 'Erbin der deutschen
klassischen Philosophie' bezeichnet. Und Korsch kennzeichnet dieses Erbe als
„Wissensaneignung", was in dem bekannten Ausspruch „Wissen ist Macht" zum Ausdruck
kommt. „Nur in soweit die deutsche Arbeiterbewegung damals, in der Zeit der Entstehung der
II. Internationale die Marx-Engelssche Theorie im Ganzen, und damit auch die
philosophischen Elemente dieser Theorie 'rezipiert' hat, kann die damalige 'deutsche
Arbeiterbewegung' als die 'Erbin der deutschen klassischen Philosophie' betrachtet
werden."22

Allerdings erfolgte die Aneignung der Marx-Engelsschen Theorie durch die Brille der II.
Internationale.23

Um die hier angeschnittenen Fragen der Ideologie, des Theorie- und Praxisverhältnisses näher
zu betrachten, ist es not- wendig, sie im Zusammenhang mit Korschs Phasentheorie, in der
das Verhältnis marxistischer Theorie zur proletarischen Klassenbewegung näher beleuchtet
wird, zu begreifen.

Es kann davon ausgegangen werden, daß bürgerliche Ideologie-Produktion wie ebenfalls


revolutionäre Theorie, wenn sie nicht im Reiche der Unmittelbarkeit stecken bleiben soll,
wesentlich Geschäft der bürgerlichen Intellektuellen ist, d.h. das Verhältnis zwischen
proletarischem Emanzipations-Prozeß und Konstitution des Proletariats als Klasse, wird bis
zum Abschluß dieses Prozesses immer ein bürgerlich-proletarisches sein.24

Korsch hat dies 1931 in seinen Thesen über Hegel ansatzweise erkannt. In „Marxismus und
Philosophie" sieht er dieses Problem noch nicht. Er betrachtet also nicht, wie weit bürgerliche
Ideologie nach abgelaufenem Konstitutionsprozeß nicht anders bekämpft werden kann und
muß.25

Bürgerliche Ideologien etc. sind vom proletarischen Standpunkt aus nicht mehr als „geistige
Aktionen" im Sinne Korschs. Sie sind in einer neuen sinnlich-praktischen Tätigkeit zu über-
winden, weil durch den Konstitutionsprozeß das Theorie-Praxis-Verhältnis ein anderes
geworden ist. Nicht mehr das bürgerliche Bewußtsein bekämpft seine eigenen Ideologien,
sondern das proletarische Bewußtsein, setzt sich mit ihnen im revolutionären Kampf, der
durch das veränderte Verhältnis von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen geschaf-
fen worden ist, auseinander, wodurch also das Verhältnis zwischen dem Bewußtsein und
seinem Gegenstand ein anderes geworden ist. Für den bürgerlichen Militanten Korsch stehen
diese Fragen noch nicht auf der Tagesordnung.26

19 
 
20 
 

1.5. Die Phasentheorie

Marxismus und Arbeiterbewegung

Korsch geht es viel mehr darum aufzuzeigen, wie weit mit mit der Anwendung der
dialektischen Methode von Marx sich auch das Verhältnis von marxistischer Theorie und
proletarischem Klassenkampf verschoben hat. Dies Verhältnis gibt Aufschluß darüber, wie
bei der Wiederherstellung des Marxismus mit den Theoretikern der II. Internationale zu
verfahren sei, wie diese die marxistische Theorie verdreht haben und wie im Gegensatz dazu
Marx und Engels einen viel klareren Bezug zur Bewegung hatten und in ihrer
wissenschaftlichen Kritik eine höhere Ebene erreichten. Hier liegt dann 1923 wie heute der
eigentliche Anknüpfungspunkt zur Wiederherstellung des Marxismus oder zu seiner
Oberwindung im Sinne einer Weiterentwicklung durch die Erbschaft.

Durch die Anwendung auf die Geschichte der Arbeiterbewegung und des Marxismus
unterscheidet Korsch drei große Entwicklungsperioden, welche der Marxismus nach seiner
Entstehung durchlaufen hat. Die erste Periode beginnt um 1843 mit der Kritik der Hegelschen
Rechts-Philosophie. Sie endet mit dem Beginn der Revolution, oder besser am Vorabend der
48-er Revolution mit der Abfassung des „Kommunistischen Manifest". Die zweite Periode
beginnt mit der Niederwerfung des Pariser Proletariats 1848 in der Juni-Schlacht. In sie hinein
fallen Gründung und Untergang der I. Internationale, die Pariser Kommune, der Kampf der
Lassalleaner und Marxisten, die Sozialistengesetze und die Gewerkschaftsgründung, Grün-
dung der II. Internationale - sie endet etwa um die Jahrhundertwende und geht über in die
dritte Periode, die für Korsch z.Zt. der Anti-Kritik noch fortdauert.

In „Marxismus und Philosophie" bezeichnet er die zweite Periode als Zeit, in der nicht
„proletarische Klassengeschichte im allgemeinen, sondern nur die innere
Entwicklungsgeschichte der marxistischen Theorie in ihrem Zusammenhang mit der all-
gemeinen Klassengeschichte" stattgefunden hat.27 So stelle der wissenschaftliche
Sozialismus des „Kapitals" und der übrigen Schriften eine in vieler Hinsicht veränderte und
weiter entwickelte Erscheinungsform der marxistischen Gesamttheorie gegenüber dem
unmittelbar revolutionären Kommunismus des Manifests von 1827/1848 bzw. auch des
„Elends der Philosophie", der „Klassenkämpfe in Frankreich" und des „18. Brumaire" dar.

In ihrem wichtigsten Grundzug aber bleibt die marxistische Theorie auch in den späteren
Schriften von Marx/Engels wesentlich unverändert. Auch in seiner weiterentwickelten
Erscheinungsform bleibt der Marxismus von Marx und Engels das umfassende Ganze einer
Theorie der sozialen Revolution Die Veränderung besteht nur darin, daß in der späteren Phase
die verschiedenen Bestandteile dieses Ganzen, Ökonomie, Politik, Ideologie -
wissenschaftliche Theorie und gesellschaftliche Praxis - weiter auseinander treten. Aber der
Marxismus löst sich niemals, wie es einige Vulgärmarxisten später taten, in eine Summe von
Einzelwissenschaften auf. Korsch verweist in diesem Zusammenhang auf Hilferdings
„Finanzkapital". „Nur bei oberflächlicher Betrachtung scheint es", so Korsch, „als hätte die
reine Theorie des Denkens die Praxis des revolutionären Willens zurückgedrängt."28

20 
 
21 
 

Die Arbeiterbewegung habe die hochentwickelte marxistische Theorie in der 2. Hälfte des 19.
Jahrhunderts nicht rezipieren können, so daß sie teilweise hinter dieser revolutionären Theorie
„zurückblieb" bzw. ihr widersprach. So war in dieser Phase der Marxismus „keine wirkliche
Theorie, d.h. 'bloßer allgemeiner Ausdruck für die tatsächlich vor sich gehende Bewegung'
(Marx), sondern immer nur eine 'von außen' fix und fertig angenommene 'Ideologie'.28

Ganz anders sah dieses Problem G. Sorel, der Vertreter eines Sozialismus, dessen Auffassung
es war, daß der Sozialismus aus einer reinen proletarischen Bewegung hervorgehen müsse. Er
schreibt: „Die Ideen Bernsteins fanden sehr günstige Aufnahme bei denen, die wünschten, daß
der Marxismus aus der Unbeweglichkeit herauskäme, in der Kautsky ihn halten möchte.
Indem Bernstein die Zusammenhangslosigkeit des Systems aufzeigte, bewies er, wie
notwendig es sei, die Grundtendenzen des modernen Sozialismus von neuem, wenn auch nur
vorübergehend, ins Gleichgewicht zu bringen. So wurde einer Lehre, die bis dahin zur
Unfruchtbarkeit verdammt war, neues Leben eingeflößt; das aber war eine Auflösung des
Marxismus."30 Was Korsch als Ideologisierung des Marxismus bezeichnet und von Sorel als
Auflösung des Marxismus gesehen wird, kennzeichnet ein ähnliches Problem. Korsch
reflektiert den Wissenschaftsstandpunkt des Marxismus auf die Arbeiterklasse und stellt ihr
noch nicht weit genug entwickeltes Bewußtsein fest - weshalb er vom „Zurückbleiben" der
Arbeiterbewegung hinter der hochentwickelten Theorie spricht. Es ist dies der Blickwinkel
„von oben", vom Bürgerlichen auf das Proletarische hin, während in der Betrachtungsweise
des „rein" Proletarischen, der wissenschaftliche Standpunkt stark ausgeblendet und auch
verkannt wird, wie Korsch im folgenden Bezug auf „Das Kapital" vorführt.

Im „Kapital" bricht der revolutionäre Wille auch äußerlich immer wieder hervor. Als ein
Beispiel gibt Korsch den 7. Unterabschnitt des 24. Kapitels über die geschichtliche Tendenz
der kapitalistischen Akkumulation an.31 Korsch wendet sich gegen die Vulgärmarxisten, bei
denen die „Kritik der politischen Ökonomie" eine rein theoretische Aufgabe hat. Sie
kritisieren die bürgerliche Volkswirtschaft und stellen die Ergebnisse der Arbeiterpartei
sozusagen zur Verfügung. Diesen naiven Realismus, der eine Trennungslinie zwischen dem
Bewußtsein und seinem Gegenstand vollzieht, kritisiert er dahingehend, daß „Marx und
Engels nicht nur in ihrer ersten philosophischen Periode, sondern auch in der zweiten, positiv-
wissenschaftlichen, von solch (dualistisch) metaphysischen Auffassung des Verhältnisses von
Bewußtsein und Wirklichkeit" entfernt waren.32

Der Kern des Marxismus bestehe gerade darin, keinen Trennungsstrich zu machen zwischen
Bewußtsein und Wirklichkeit, denn dieses bedeutet, „daß auch die materiellen Produktions-
verhältnisse der kapitalistischen Epoche das, was sie sind, nur zusammen mit denjenigen
Bewußtseinsformen sind, in denen sie sich sowohl im vorwissenschaftlichen als auch im
(bürgerlich) wissenschaftlichen Bewußtsein dieser Epoche wieder- spiegeln, und ohne die
Bewußtseinsformen in Wirklichkeit nicht bestehen könnten, eine Kritik der politischen
Ökonomie nie und nimmer zu dem wichtigsten Bestandteil einer Theorie der sozialen
Revolution hätte werden können".33

So ist für Korsch der Marxismus nicht wie für die orthodoxen Marxisten unparteiliche, reine
objektive oder wie auch immer sogenannte Theorie, sondern revolutionäre „Wissenschaft des
Proletariats", Theorie der sozialen Revolution, die im Gegensatz zur Philosophie Hegels das
Bestehende nicht rechtfertigt, sondern kritisch revolutionär umwälzt. Ebenso wie die
21 
 
22 
 

Orthodoxen, so werden auch die Reformisten der II. Internationale kritisiert. Bereits Marx und
Engels haben sich verbittert über die Programme der deutschen Sozialdemokratie
ausgesprochen und kritisiert, daß sie auf „ideologischem Gebiet fast nur reformistische
Forderungen" aufstelle, „in denen von dem wirklichen, materialistisch-revolutionären Prinzip
des Marxismus kein Hauch mehr zu spüren" sei.34 Erst durch die Wiederherstellung des
Marxismus in den kommunistischen Parteien leninistischen Typs ist das revolutionäre
Theorie- und Praxis-Prinzip verwirklicht.

Im Jahre 1923 sieht Korsch im leninistischen Parteitypus das Instrument dieser


Wiederherstellung des revolutionären Marxismus, obwohl er bereits die theoretischen
Grundlagen des 'Leninismus' kritisiert hat. Michael Buckmiller hat in seiner Arbeit
„Marxismus als Realität" auf diese Art „Schere" aufmerk- sam gemacht.35 Korsch selber ist
diese „Schere" erst nach dem Heraustreten aus der Arbeiterbewegung bewußt geworden.36 In
der Anti-Kritik geht er auf dieses Verhältnis zwischen marxistischer Theorie und
proletarischer Praxis näher ein.

1.6. Theorie und Praxis

Bürgerliche Intellektuelle und proletarisches Klassenbewußtsein

Hiermit beginnt der Umschlagprozeß in der Betrachtungs- weise. Alle bisher angeschnittenen
Probleme der Ideologiekritik der Wiederherstellung des revolutionären Marxismus etc. sind in
den bislang aufgeführten Zitaten aus der „Antikritik" nur noch schärfer formuliert als in
„Marxismus und Philosophie". Aber mit dem Ausschluß aus der Kommunistischen Partei
verändert sich Korschs Auffassung von Theorie und Praxis in der „Antikritik". Er stellt sich
als Intellektueller ohne Bezug zur Arbeiterbewegung auf den Standpunkt „des Proletariats".
Er betrachtet die Entwicklung „von unten" - vom rein proletarischen Standpunkt. Hierbei geht
die bürgerliche Erbschaft und damit auch die marxistische Erkenntnistheorie unzureichend in
die Theorie-Praxis-Problematik ein. Auch wenn er hierbei die Marxsche Methode verkennt,
so stellen diese Überlegungen doch einen wichtigen Beitrag zur Weiterentwicklung und
Überwindung des Marxismus dar.

Der Marxismus als Ganzes ist in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts für Korsch nun nicht
mehr wirkliche Theorie einer revolutionären Bewegung. Dadurch wird von ihm das
Verhältnis von der Entwicklung der marxistischen Wissenschaft einerseits, und der Theorie
und Praxis innerhalb der proletarischen Bewegung andererseits neu reflektiert. Diese Linie
führt direkt zu den „Thesen über Hegel und die Revolution" aus dem Jahre 1931. Zum
zweiten wird seine theoretische Position gegenüber dem Leninismus und der Sowjetunion
immer kritischer. Vom „strammen" Leninisten (1923) über den Kritiker der Komintern-
Politik, die die kommunistischen Bruderparteien immer mehr zum Instrument der
Außenpolitik der Sowjetunion mache, wird Korsch nun auch zum schärfsten Kritiker der
leninistischen Theorie.

22 
 
23 
 

Der ultralinke bürgerliche Intellektuelle Korsch reflektiert nun von der „proletarischen
Betrachtungsweise" aus die eben angeschnittenen Fragen auch in ihrem Bezug auf den
Wissenschafts-Produzenten - den Intellektuellen. Korsch sieht zu seiner Zeit noch nicht die
Möglichkeiten einer Wissenschafts-Produktion durch Teile des Proletariats, er reflektiert
diesen Aspekt auch nicht als Möglichkeit in der Übergangsgesellschaft; dies hängt wieder mit
seiner Haltung gegenüber der Sowjetunion zusammen. Darin liegt auch ein Scheitern seiner
Versuche, die revolutionäre Theorie wiederherstellen zu wollen.

Viele orthodoxe Marxisten waren nach Korschs Ansicht der Meinung, die revolutionäre
Theorie sei durch die künftige Arbeiterbewegung nur noch auszufüllen oder wie Kautsky und
Lenin behaupteten, der Sozialismus sei nur 'von außen' durch die bürgerlichen Intellektuellen
als Träger der Wissenschaft an geistig hervorragende Proletarier mitzuteilen, die ihn dann in
den Klassenkampf des Proletariats hineintragen. So war auch Rosa Luxemburg 1903 der
Ansicht, daß Entwicklung und „Stillstand im Marxismus", „einerseits auf die geistige
Schöpferkraft des seinerzeit mit allen Hilfsmitteln bürgerlicher Klassenbildung ausgerüstet
gewesenen Marx" zurückzuführen sei, andererseits auch die für die ganze Dauer der
kapitalistischen Epoche unverändert fortbestehenden 'sozialen Daseinsbedingungen des
Proletariats in der heutigen Gesellschaft' keinen anderen Weg ermöglichten.37

Dagegen habe das Proletariat in der Phase der Herausbildung und Entwicklung des
Marxismus in der letzten Phase der der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts eine theoretische und
praktische Entwicklungsstufe erreicht, die die II. Internationale in dieser Form noch nicht
wieder erreicht hatte. Für die Entwicklung des Marxismus hatte dies für Korsch folgende
Konsequenzen: „Als in der Mitte des Jahrhunderts die in der vorhergehenden geschichtlichen
Epoche bereits zu einer hohen Entwicklungsstufe gelangte Arbeiterbewegung vorläufig völlig
aufhörte und auch in der Folge unter den veränderten objektiven Bedingungen erst ganz
allmählich wieder auflebte, konnten auch Karl Marx und Friedrich Engels ihre ursprünglich
im unmittelbaren Zusammenhang mit der praktischen revolutionären Bewegung konzipierte
Theorie nur noch als Theorie fortbilden."38

Eigentümlicherweise mißt Korsch mit einem ungleichen Maßstab: hier marxistische Theorie,
die in unmittelbarem Zusammenhang mit der revolutionären Bewegung vor 1850 entstanden
war, und dort proletarische Klassenbewegung gegen Ende des 19. Jahrhunderts, die diese
Theorie nicht mehr rezipieren konnte.

Die marxistische Theorie, die als ein Ausdruck der sozialen Bewegung vor 1850 entstanden
war, stand auch schon damals unter einem Widerspruch, den Korsch weder in „Marxismus
und Philosophie" noch in der „Antikritik" erkennt, sondern erst 1931 in seinen Thesen über
Hegel andeutet. Dieser Widerspruch entspringt aus den gesellschaftlichen Verhältnissen, den
unmittelbaren Lebensbedingungen des Proletariats selber. Marx und Engels haben mit dem
„Rüstzeug der bürgerlichen Klasse" vom Überbau der bürgerlichen Gesellschaft aus die
materiellen Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse analysiert und sie haben in dieser
Zeit des Übergangs von der deutschen idealistischen Philosophie zur materialistischen
Geschichtsauffassung die im „Unterbau" der Gesellschaft entstandenen proletarischen
Emanzipationsansätze aufgegriffen und wissenschaftlich revolutionär weiterentwickelt.
Dieses Verhältnis von Theorie und Praxis könnte, wie eingangs schon angedeutet, als
bürgerlich-proletarisches gekennzeichnet wer- den - allerdings als ein historisch bedingtes,
23 
 
24 
 

das durch den geschichtlichen Prozeß selber auch in sein Gegenteil umschlagen muß.

Entscheidend ist hier wohl folgendes: Selbst wenn die Arbeiterbewegung gegen Ende des
Jahrhunderts unmittelbar an die Tradition von 1850, d.h. an die damals entwickelte
marxistische Theorie angeknüpft hätte, so wäre jener oben charakterisierte Widerspruch nicht
aus der Welt geschafft worden. Das „unzeitgemäß" hohe Niveau der marxistischen Theorie ist
nicht nur eine Frage der Weiterentwicklung der Arbeiterbewegung in Theorie und Praxis,
sondern auch ein Problem zwischen der Theorie, die als revolutionäre Wissenschaft für das
Proletariat „von außen" entwickelt wird und des proletarischen Emanzipationsprozesses, wie
er sich durch das Verhältnis von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen, Produktion
und Klassenkampf fortpflanzt; - bis dahin muß die „proletarische Wissenschaft" als „reines
Wissen" vom Proletariat aufgenommen werden.39

Dagegen setzt der eigentliche Emanzipationsprozeß ein, wenn die materialistische Theorie
und Praxis als Ganzes von Teilen des Proletariats aufgenommen und umgeformt wird. Damit
sind die Bedingungen zur Lösung der Frage des Klassenbewußtseins geschaffen. Erst dann ist
der Umschlag zwischen Bewußtsein und Gegenstand möglich. Dann wird der bürgerliche
durch den proletarischen Intellektuellen abgelöst.

Diese Widersprüche und die damit vorhandenen Entwicklungsbedingungen sieht Korsch auch
bei seiner Phaseneinteilung noch nicht klar. Als Frage tauchen sie ansatzweise ab den
dreißiger Jahren auf, wie der Leser im zweiten Teil dieser Arbeit sehen wird.

1.7. Marx - Lenin

Bürgerliche und proletarische Klasse in der sozialen Aktion

Für Lenin und die bolschewistische Partei sind die eben angeschnittenen Probleme aber nicht
nur von theoretischer Bedeutung, Sondern vor allem von praktischer Bedeutung. Seine „von
außen" in das Proletariat hineingehenden bürgerlichen Intellektuellen haben in der Tat für die
damalige russische Situation eine entscheidende Bedeutung, von der Sieg oder Niederlage
einer Revolution abhing, sodaß die 1930 von Korsch hervorgehobenen philosophischen
Fragen im Leninismus eine untergeordnete Rolle spielen.

Für Korsch war 1923 dieses Problem ebenfalls nicht so bedeutend und auch nicht bewußt -
erst nach seinem Ausschluß aus der KPD und seiner praktischen Isolation von der
kommunistischen Arbeiterbewegung mißt er ihr in der „Antikritik" höhere Bedeutung zu. Er
gesteht aber auch dort der leninistischen Theorie eine historische Bedeutung zu, die sich aus
der ökonomischen und gesellschaftlichen Lage Rußlands ergeben hatte. Anders verhält es sich
nun mit der Theorie und Praxis der leninistischen Partei in West-Europa.

„Diese gesamte 'leninistische Theorie ist aber kein ausreichender theoretischer Ausdruck für
die praktischen Bedürfnis- se der gegenwärtigen Entwicklungsstufe des internationalen
24 
 
25 
 

proletarischen Klassenkampfes und die als das ideologische Fundament jener leninistischen
Theorie dienende materialistische Philosophie Lenins ist aus diesem Grunde auch nicht die,
die der heutigen Entwicklungsstufe entsprechende revolutionäre Philosophie des
Proletariats".40

Wenn 1929 die leninistische Theorie keine revolutionäre Berechtigung mehr hatte, so war sie
aber, und hier liegt bei Korsch eine ambivalente Haltung zugrunde, schon vor dem ersten
Weltkrieg ein Bestandteil des orthodoxen Marxismus, ja die russische Marx-Orthodoxie habe
noch einen ideologischeren Charakter gehabt als die deutsche Marx-Orthodoxie. Diese immer
schärfer werdende kritische Position Korschs setzt gerade in dem Moment ein, wo Korsch den
praktischen Kontakt zur Arbeiterbewegung immer mehr verloren hat.41 Seine
wissenschaftliche Kritik der theoretischen Voraussetzung des Leninismus trifft wohl deren
wissenschaftlichen Kern, kann aber von dieser Ebene aus nicht die Arbeiterbewegung und die
Oktober-Revolution treffen. Korsch kann mit seiner Kritik weder die historischen
Widersprüche der Arbeiterbewegung aus der Welt schaffen, noch kann die Arbeiterbewegung
um der Wissenschaft willen notwendige Entwicklungsbedingungen überspringen. Solange der
Konstitutionsprozeß des Proletariats in der Übergangsgesellschaft nicht das erste Stadium
seiner eigenen wirklichen Emanzipation erreicht hat, muß die Vorherrschaft der bürgerlichen
Klasse und ihrer Produktionsweise und deren theoretischer und praktischer Einfluß, auch die
proletarische Bewegung mitbestimmen. Diese Ambivalenz drückt sich deutlich in der Haltung
Korschs aus, wenn er Lenins Widerspiegelungs- und Parteitheorie kritisiert.

Lenin war in seiner Schrift „Materialismus und Empiriokritizismus" zu einem


erkenntnistheoretischen Standpunkt gelangt, der sich zwar aus der historischen
Rückständigkeit Rußlands erklären läßt, aber mit der dialektisch revolutionären Methode
Marxens wenig zu tun hat. „Der Materialismus überhaupt anerkennt das objektive Sein (die
Materie), das unabhängig ist von dem Bewußtsein, der Empfindung, der Erfahrung usw. der
Menschheit. Der historische Materialismus anerkennt das gesellschaftliche Sein unabhängig
vom gesellschaftlichen Bewußtsein der Menschheit. Das Bewußtsein ist hier wie dort das
Abbild des Seins, bestenfalls sein annähernd getreues Adäquates (idealexaktes) Abbild."42

Korsch hat in seiner .„Antikritik" diesen Standpunkt Lenins ausführlicher kritisiert und
gezeigt, daß durch diese einseitige Verlagerung der Dialektik in das Objekt, die Natur und Ge-
schichte, bei der die Erkenntnis passive Widerspiegelung des objektiven Seins ist, das
dialektische Verhältnis von Sein und Bewußtsein und somit auch zwischen Theorie und
Praxis zerstört wird. In der Frage nach dem Objekt und Subjekt der Erkenntnis faßt Lenin, so
Korsch, „zugleich diese Erkenntnis als einen grundsätzlich widerspruchslos fortschreitenden
evolutionären Prozeß und als einen unendlichen Prozeß an die absolute Wahrheit auf."43

Die Frage nach der Theorie und Praxis im revolutionären Prozeß löse sich demnach in eine
Gegenüberstellung - eine reine Theorie, die die Wahrheiten finde und eine reine Praxis, die
diese gefundenen Wahrheiten auf die Praxis anwende - auf. Im unmittelbaren Zusammenhang
hiermit ist auch Lenins Auffassung von Klassenbewußtsein zu sehen, nach der die Arbeiter
nur ökonomisches Bewußtsein entwickeln können; deshalb bedarf es eines übergeordneten
Subjekts, - der Partei leninistischen Typs, die die Dinge durchschauen kann, - welches die
Wahrheit erfaßt und durchsetzt.

25 
 
26 
 

Die bolschewistische Partei im Falle der Oktoberrevolution erhält von daher den Charakter
einer „Mannschaft von Sozialtechnikern", die einige emanzipative Strömungen unterdrücken
muß, um die erste sozialistische Revolution nicht zu gefährden.44

Vom reinen revolutionär-wissenschaftlichen Standpunkt, wie ihn Korsch in der „Antikritik"


und noch schärfer später in dem Aufsatz zur „Geschichte der marxistischen Ideologie in
Rußland" (1932) vertritt, ist die leninistische Theorie und Praxis letzten Endes „als bürgerlich-
kapitalistische Aufbaubewegung" zu kritisieren, jedoch läuft dieser Standpunkt darauf hinaus,
zu der „bürgerlichen Arbeiterbewegung" ein kontemplatives Verhältnis zu gewinnen. Von
diesem Standpunkt aus wird zwar die eine Seite als bürgerlich reflektiert - aber die andere
Seite nicht als die eines im Werden begriffenen Konstitutionszusammenhangs erfaßt.45

Andererseits birgt die Entwicklung einer Partei (unter den spezifisch ökonomischen
Bedingungen), wie die der Bolschewiki in diesem Stadium des Übergangs vom Kapitalismus
zum Sozialismus eine Reihe von Konsequenzen, Fehlentwicklungen, die u.U. nur durch lange
revolutionäre Arbeit zu überwinden sind. Aber letzten Endes ist der schlechteste Sozialismus
immer noch besser als der beste Kapitalismus und ein größerer Fortschritt als eine
wissenschaftliche Kritik dieses Fortschritts.

Beide Seiten, die „revolutionär wissenschaftliche" und die realpolitische einer


bolschewistischen Partei sind aber, abgesehen von der anfänglichen Rückständigkeit
Rußlands, nur die zwei Seiten eines und desselben Prozesses, welcher den Übergang von
bürgerlicher und proletarischer Theorie und Praxis, also auch bürgerlicher und sozialistischer
Gesellschaftsform ausmacht und als historische Schranke zu begreifen ist.46

2.1. Die erneute Marx - Hegel - Rezeption

Korschs Gedanken ab 1930 aus heutiger Sicht

Während Korsch in den 20-er Jahren als aktiver Revolutionär der KPD immer wieder die
revolutionären Bestandteile des Marxismus hervorkehrte und nach der Isolierung von einer
Massenbewegung durch Ausschluß aus der KPD 1926 diese Position weitgehend gegenüber
allen orthodoxen Richtungen mit seiner Anwendung des Marxismus auf den Marxismus sel-
ber durchführte, (so in der gegen Kautsky gerichteten Schrift „Materialistische
Geschichtsauffassung"), so wird Anfang der 30-er Jahre nach vorübergehendem Aufschwung
und erneuter Niederlage der kommunistischen Bewegung seine Position gegenüber dem
Marxismus selber immer kritischer; sie beginnt wieder mit einer Hegel-Rezeption.

Seinen Ausgangspunkt findet die Suche nach neuen theoretischen Ansätzen in den „Thesen
über Hegel und die Revolution" 1931 und führt von da über die Züricher Thesen 1950 zum
Buch der Abschaffungen (ca. 1956). Faschismus, Exil, Stalinismus, Zweiter Weltkrieg,
Ausbreitung des Sozialismus in Europa und Asien - diese Ereignisse schlagen sich in der
KorschTheorie nieder und führen zu theoretischen Schwankungen und Widersprüchen. In
26 
 
27 
 

seinem Marx-Buch zeichnet sich dieser Kampf mit dem Marxismus sehr deutlich ab. Außer
„Karl Marx" hat Korsch in dieser Zeit kein größeres Werk mehr zustande- gebracht, so daß
ein umfassendes Korsch-Bild nur entsteht, wenn man außer den veröffentlichten Aufsätzen,
Briefe und Manuskripte zu Hilfe nimmt. In der Korsch-Forschung ist diese Periode bisher
noch nirgends eingehend durchdrungen worden.

Deshalb beruht das Schwergewicht dieses Teils der Arbeit darauf, die von Korsch
entwickelten Ansätze, die von einer Weiterentwicklung zur Überwindung der Marx’schen
Theorie führen könnten, ansatzweise herauszuarbeiten, ohne dabei historische Schranken,
Fehlansätze zu vertuschen.

Unter welch neuen Aspekten Korsch jetzt den Übergang von Hegel zu Marx und die
Beziehung zu Lenin sieht, wird unter Punkt 2.2 gezeigt. Was proletarische Theorie und Praxis
im Ansatz ist, haben Marx und Engels klarer gesehen als Korsch, dennoch liefert dieser
brauchbare Überlegungen. Um vom proletarischen Theorie- und Praxis-Verhältnis zu einer
neuen Wissenschaft zu kommen, muß wieder der klassenmäßige Bezug jeder Wissenschaft
erörtert werden. Dies geschieht unter 2.3. Um Mißverständnissen vorzubeugen: es geht nicht
um Herkunft- oder Standpunktfragen, sondern um gesellschaftliche Entwicklungsprozesse,
die Korsch nicht ganz richtig interpretiert. Trotz des methodisch falschen Ansatzes, wie die
Leninismusproblematik zeigt, sind die Überlegungen der Korsch- Gruppe interessant. Hier
wird versucht, einen Unmittelbarkeitsbezug zwischen Theorie und Praxis und
wissenschaftlicher Entwicklung herzustellen, wie er von linken Gruppen immer wieder
praktiziert wird - dies ist geradezu ein Kardinalfehler des Linksradikalismus.

Es kommt zum Ausdruck, daß Korsch nicht der Vertreter eines kontinuierlichen Teils der
Arbeiterbewegung ist, sondern eben jener, der kurzfristig in die Bewegung hineinstößt und
ebenso schnell wieder verschwunden ist, wenn sich die Realität nicht schnell genug nach
seinen Vorstellungen verändert.

So sind es die Ereignisse in Spanien in der 30-er Jahren, die Korsch zu Fragen der
marxistischen und anarchistischen Arbeiterbewegung führen.

Der vorher erörterte theoretische Hintergrund soll zum Schluß dann noch einmal Licht in die
Fragen des Übergangs werfen. Dies geschieht in der Diskussion der beiden Erzfeinde:
Marxismus-Leninismus - Anarchismus unter 2.4.

2.2. Hegel - Marx – Lenin

Dialektische Methode und Wirklichkeit

In seinen „Thesen über Hegel und die Revolution" (1931) hebt Korsch die historische
Spezifität der Hegelschen Philosophie der bürgerlichen Revolution des 17. und 18. Jahrhun-
derts. Sie drücke nicht den ganzen Prozeß der bürgerlichen Revolution, sondern nur seinen
27 
 
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Abschluß aus: „Sie ist insofern eine Philosophie nicht der Revolution, sondern der Restaura-
tion".'

Diese zweifache geschichtliche Bestimmung erscheine formell in einer zweifachen


Einschränkung des revolutionären Charakters der Hegelschen Dialektik:

a „Die Hegelsche Dialektik endet trotz der dialektischen Verflüssigung aller vorgefundenen
Verfestigungen im Ergebnis mit einer neuen Verfestigung; Verabsolutierung der dialektischen
Methode selbst und damit zugleich des ganzen dogmatischen Inhalts des darauf von Hegel
aufgebauten philosophischen Systems.

b die in dem Ansatz der dialektischen Methode enthaltene revolutionäre Pointe wird von
Hegel in der Synthesis künstlich zurückgebogen zum 'Kreis', zur begrifflichen
Wiederherstellung der unmittelbar gegebenen Wirklichkeit und zur Versöhnung mit dieser
Wirklichkeit, zur Verklärung des Bestehenden."2

Diese Spezifität der Hegelschen bürgerlich dialektischen Methode ist schließlich das höchste
theoretische Resultat des bürgerlichen Emanzipationsprozesses, von daher muß die zweifache
Einschränkung des revolutionären Charakters der Hegelschen Dialektik rühren. Im Jahre 1946
erklärt Korsch die Thesen in folgender Weise: „Dialektik wird hier nicht als eine Art
Superlogik angesehen, d.h. nicht als eine Reihe von Regeln, die von individuellen Denkern im
Prozeß des Denkens gerade so wie die gewöhnliche Logik angewendet werden und sich von
dieser letzteren unterscheidet, wie die sogenannte „höhere“ Mathematik von den einfacheren
und tatsächlich längst überholten Regeln, die als 'elementare Mathematik' in unseren Schulen
heute gelehrt werden. Sie wird vielmehr behandelt als eine Anzahl von charakteristischen
Erscheinungen, die in der Aufeinanderfolge und Entwicklung der Gedanken in einer
gegebenen geschichtlichen Periode von außen beobachtet werden können." 2.1

Aus einem Brief vom 25.11.1935 an seinen Schüler Paul Parthos, mit dem er sein Marx-Buch
diskutierte, geht hervor, daß Korsch nach einer Diskussion mit Brecht seinen Stand- punkt zur
Hegelschen Dialektik kurzfristig geändert hatte. „Die scheinbare Lösung war ungefähr so",
schreibt Korsch, „daß die Hegelsche Dialektik als eine auch nicht mehr bürgerliche, sondern
der Bourgeoisie durch den proletarischen Angriff aufgezwungene und von ihr zugleich
sabotierte Denkweise dargestellt wurde."3

Diese Auffassung entsprach aber mehr Brechts Idee. Korsch wollte dagegen auch zeigen,
wieweit Restbestände des deutschen Idealismus im Marxismus auftauchen und ihn in eine
historische Schranke weisen. Unter III in den Thesen über Hegel heißt es, daß die von
Marx/Engels und Lenin vollbrachte „Hinüberrettung" der bewußten Dialektik aus dem
deutschen Idealismus in die „materialistische Auffassung der Natur und Geschichte, aus der
bürgerlichen in die proletarische Revolutionstheorie" geschichtlich und theoretisch nur den
Charakter des Übergangs habe. Hiermit sei keine „Theorie der proletarischen Revolution"
geschaffen, wie sie sich auf ihrer eigenen Grundlage entwickelt habe, „sondern umgekehrt,
wie sie eben aus der bürgerlichen Revolution hervorgeht", die in jeder Beziehung „im Inhalt
und in der Methode" noch mit den „Muttermalen des Jakobinismus, der bürgerlichen
Revolutionstheorie" behaftet sei. Merkwürdigerweise spricht Korsch hier von der bewußten
Dialektik und der Revolutionstheorie, nicht aber vom wirklichen Verhältnis „proletarischer
28 
 
29 
 

Theorie" einerseits und proletarischer Klassenbewegung andererseits. Sein Schwerpunkt liegt


dort, wo er von der nicht auf ihrer eigenen Grundlage auf- gebauten Theorie spricht,
Revolutionstheorie und nicht marxistischer Theorie im allgemeinen.4

Korsch schreibt 1932, als er auf einen Widerspruch in der russischen Entwicklung
aufmerksam macht, daß es sich in Rußland um ein besonders deutliches Beispiel handele,
einen Widerspruch, „welcher in der einen oder anderen Form in allen Phasen der
geschichtlichen Entwicklung des Marxismus bemerkbar" sei. Er sei zu charakterisieren als
„Widerspruch zwischen der marxistischen Ideologie einerseits und der unter dieser
ideologischen Verkleidung jeweils verborgenen wirklich geschichtlichen Bewegung
andererseits".5

Anders sei dies im Westen gewesen, so schreibt er in Anlehnung an seine schon in


„Marxismus und Philosophie" entwickelte Phasentheorie, hier habe die marxistische Theorie
„die Tendenz der durch die kapitalistische Entwicklung selbst erzeugten und über sich hinaus
schwebenden proletarischen Klasse zum Ausdruck" gebrachte

Hier zeichnet sich Korschs zwiespältige Position deutlich ab, wenn er den nach Rußland
gelangten Marxismus als ideologische Importware deklariert, unter deren „Firma" dann eine
Revolution erfolgreich beendet wurde und von deren Anfängen er 1939 noch lobend bemerkt:
„Es war für das russische Proletariat und seine bolschewistischen Führer sehr nützlich, 1917
die Erfahrung der wirklichen beginnenden Revolution zu machen, statt über sie zu
philosophieren oder zu schreiben."7

So schreibt er über das von Lenin im Jahre 1899 veröffentlichte ökonomische Hauptwerk
„Die Entwicklung des Kapitalismus in Rußland", daß hier „im Grunde von keiner Seite mehr
die marxistische Theorie als theoretischer Ausdruck einer proletarisch-sozialistischen
Bewegung vertreten" wurde .5

Damit trennt er, wie schon in den 20-er Jahren, den Leninismus in Theorie und Praxis auf
(was, wie vorher gezeigt, aus historischen Gründen bei Lenin angelegt ist), betont selber nun
aber allein die Praxis und trennt sie völlig von der leninistischen Theorie und der
Weiterentwicklung der marxistischen Wissenschaft durch Lenin. Denn nicht erst Lenin,
sondern bereits Marx und Engels haben ihre für die praktische Auseinandersetzung benötigten
theoretischen Grundlagen nicht aus der ökonomischen Entwicklung Deutschlands oder
Englands, sondern aus den Revolutionen Frankreichs bezogen und deren Ergebnisse in der
europäischen Revolution von 1848 im damals polit-ökonomisch rückständigen Land
Deutschland angewendet. Ganz ähnlich verfuhr 50 Jahre später der Bolschewik Lenin, dem
aber im Gegensatz zu Marx und Engels die Ausarbeitung einer „neuen Wissenschaft" erspart
blieb, mit der Anwendung des Marxismus auf die damals in Rußland entstehenden
kapitalistischen Verhältnisse.

Beide Länder (Deutschland in der 48-er Revolution und Rußland um die Jahrhundertwende)
standen am Vorabend einer kapitalistischen Entwicklung, in die eine revolutionäre Partei, die
im Zusammenhang mit einer europäischen Bewegung stand, eingreifen wollte, - beide Male
greift Korsch die „Hinüberrettung" der „bewußten Dialektik" und den Jakobinismus in der
theoretischen Grundlage an. Seine Fehleinschätzungen der realen Situation einerseits und die
29 
 
30 
 

falsche Anwendung des Marxismus als allgemein wissenschaftlicher Kritik der


kapitalistischen Produktionsweise und ihre Anwendung auf die reale Praxis, wie sie sich aus
dem bürgerlichen Theorie-Praxis-Verhältnis notwendigerweise ergibt, lassen ihn die
Konstitutionsbedingungen in wichtigen Ansätzen falsch sehen. Dies betrifft vor allem die
Frage nach einem proletarischen Theorie- und Praxis-Verhältnis.

2.3. Theorie und Geschichte

Bürgerliche und proletarische Gesellschaftswissenschaft

Dabei haben Marx und Engels bei ihrer Abkehr von den Resten der Hegelschen Schule bereits
auf ein proletarisches Theorie- und Praxis-Verhältnis hingewiesen, was aber in der Folge der
geschichtlichen Entwicklung in seiner inhaltlichen Seite keinen „gewaltigen Sprung" mehr
gemacht hat und somit nicht über den „gesunden Menschenverstand" hinausgekommen ist. in
der „heiligen Familie" polemisiert Marx gegen die kritischen Kritiker, die meinen, mit ihren
theoretischen Reflexionen die Welt verändern zu können und weist trotz aller Kritik auf die
Arbeiten von Proudhon hin: „ Er schreibt nicht aus dem Interesse der selbstgenügsamen
Kritik, aus keinem abstrakten selbstgemachten Interesse, sondern aus einem massenhaften
wirklichen historischen Interesse, aus einem Interesse, das es weiter als zur Kritik, nämlich
zur Krise bringen wird. Proudhon schreibt nicht nur im Interesse der Proletarier; er selbst ist
Proletarier, Ouvrier. Sein Werk ist ein wissenschaftliches Manifest des französischen
Proletariats und hat daher eine ganz andere historische Bedeutung als das literarische
Machwerk irgendeines kritischen Kritikers."9

Marx gelangt hier zu einem bei vielen späteren Marxisten nicht wieder zu findenden
undogmatischen Standpunkt, eigentlich auch seiner eigenen Theorie gegenüber, er sieht sei-
nen wissenschaftlichen Arbeiten historische Grenzen gesetzt, - ja, daß sie gewissermaßen
durch seine Klassenlage bestimmt sind, denn nicht umsonst hebt er hervor: Proudhon sei
„Proletarier, Ouvrier".

Marx geht noch weiter, wenn er bei aller Kritik Proudhons Werk als das „wissenschaftliche
Manifest des französischen Proletariats" bezeichnet - was in dieser Phase auf einen von ihm
als historisch notwendig betrachteten Subjektwandel in den Wissenschaften hinweist.

Er muß zu seiner Zeit (vor 1850) diesen Subjektwandel auch schon im Kapitalismus im
vorrevolutionären Kampf für möglich gehalten haben. Spätere Theoretiker wie Rosa
Luxemburg und auch Korsch hatten dieses nicht in Erwägung gezogen.

Allerdings sei hier auf den Aufsatz „Undogmatischer Zugang zum Marxismus" von Korsch
hingewiesen, der zuerst 1946 veröffentlicht wurde und mit vier wichtigen Dokumenten
versehen die Arbeitsergebnisse seines Studienzirkels aus den frühen 3o-er Jahren festhielt, wo
u.a. Alfred Döblin, Bert Brecht, Bernhard v. Brentano etc. mitgewirkt haben.

30 
 
31 
 

In diesen kurzen Dokumenten wird der Versuch unternommen, den Marxismus zu


entdogmatisieren. Dokument 1 sind: die Thesen über Hegel und die Revolution, Nr. 2: Thesen
G. Sorels zur materialistischen Geschichtsauffassung und Dokument Nr. 3 stammt von Lenin
und ist ein Auszug aus: „Der ökonomische Inhalt der Volkstümer - Richtung und die Kritik an
ihr in dem Buch des Herrn Struve". Dokument 4 schließlich: Thesen über aktivistischen
Materialismus, Klassencharakter und Parteilichkeit der Wissenschaft (Inhalt nach Marx und
Lenin, Form nach Sorel) wurde von der Korsch-Gruppe erstellt.

So sei das erst undogmatische Ergebnis dieser Betrachtungsweise „daß ein Mensch nicht
durch das Studium der Dialektik eine Revolutionär wird, sondern daß im Gegenteil die
revolutionäre Veränderung in der Gesellschaft neben anderen Dingen auch auf die Weise
einwirkt, in der die Menschen einer bestimmten Periode ihre Gedanken zu produzieren und
auszutauschen tendieren."10

Wichtig ist hierbei, was Korsch im dokumentarischen Anhang zu diesem Aufsatz 4.211
hervorhebt unter

a den Klassenzusammenhang und die historische Notwendigkeit eines Prozesses und


dessen aktive und in ihrer Aktion gehemmte Klassen. Materialistische Dialektik hieße
dann, wie in einer revolutionären Periode gesellschaftliche Gruppen, Klassen und
Individuen „Worte und Ideen bilden und annehmen". Materialistische Dialektik sei dann
weiter „die Erforschung der oft ungewöhnlichen und bemerkenswerten Formen, in
denen sich ihre eigenen Gedanken und die anderer Personen verbinden, bei der
Auflösung bestehender geschlossener Systeme zusammenarbeiten und sie durch andere
flexiblere Systeme, ja sogar im günstigsten Falle durch überhaupt kein System mehr,
sondern durch eine neue völlig ungehinderte Bewegung des freien Denkens ersetzen,
das schnell die sich verändernden Phasen einer mehr oder weniger kontinuierlichen oder
diskontinuierlichen Entwicklung durchläuft."12

Im Hegelschen Sinne besteht hier die Gefahr, daß der Prozeß - die Arbeit des Denkens -
zurückschreitet auf die Stufe des gesunden Menschenverstandes, auch in materialistisch-dia-
lektischer Weise kann das Denken im sinnlich-praktischen Zusammenhang
erkenntnistheoretisch hinter die bereits von Marx erlangte Stufe zurückfallen. Wenn man
Korschs Äußerungen ernst nimmt, führt dies zu überhaupt keinem System. Es gäbe einen
weiteren Rückschritt in das Reich der reinen sinnlichen Gewißheit - damit hätte die
materialistische Wissenschaft keinen Fortschritt, sondern einen Rückschritt erreicht. Erkennt
man dieses nicht an und argumentiert in umgekehrter Richtung, so besteht die Notwendigkeit,
die durch den gesellschaftlichen Fortschritt erreichte höhere gesellschaftliche Ent-
wicklungsstufe auch theoretisch neu zu fassen. Korsch spricht zwar davon, bei der
Beschreibung eines gesellschaftlichen Prozesses zu bedenken, daß man selber als handelnder
Behandelter spricht, oder wie es in Brechts Notizen zu diesem Thema genauer heißt: ,,Wenn
du von einem Prozeß sprichst, so nimm von vornherein an, daß du als ein handelnder
Behandelter sprichst. Sprich im Hinblick auf das Handeln! Du bist immer Partei: Organisiere
sprechend die Partei, zu der du gehörst! Wenn du davon sprichst, was einen Prozeß
determiniert, so vergiß nicht dich selbst als einen der determinierenden Faktoren."13
31 
 
32 
 

Jedoch ist damit nicht notwendig ausgesprochen, daß die da handelnden Behandelten der
Ausdruck eines zum Klassenbewußtsein gelangten Proletariats sein müssen, so heißt es im
Dokument 4.6 (nach Politikon) „wo eine Doktrin nicht von ihren Vertretern selbst mit den
materiellen Interessen einer bestimmten Klasse verbunden wird, wird man oft annehmen
können, daß die Vertreter einer solchen Doktrin mit ihr die Inter- essen der in der betreffenden
Gesellschaft herrschenden Klassen verteidigen. In diesen Fällen bedeutet die Aufdeckung der
Klassenfunktion der betreffenden Doktrin zugleich eine praktische Parteinahme für die in der
betreffenden Doktrin zugleich eine praktische Parteinahme für die in der betreffen- den
ökonomischen Gesellschaftsform unterdrückten Klas- sen."14

Einen direkten Subjektwandel in der Theorie sieht Korsch nicht als historische Notwendigkeit
an. Diese wissenschaftliche Notwendigkeit muß sich aus dem Verhältnis von
Produktivkräften und Produktionsverhältnissen ergeben. Sie ist wesentlicher Bestandteil des
zum Klassenbewußtsein gelangten Proletariats in der Phase des Übergangs. - Sieht man dieses
nicht, so wird die Beziehung zwischen Theorie und Praxis ad absurdum geführt. - Denn
welche Klasse sollte die Theorie für das Proletariat herstellen, wenn auf einer bestimmten
Entwicklungsstufe des Übergangs die bürgerliche Klasse verschwindet und die proletarische
soweit emanzipiert ist, daß sie in nahezu allen gesellschaftlichen Bereichen dominierend ist
?Geschehe dieses nicht, so gebe es keine sozialistische Gesellschaft und das Verhältnis von
Parteilichkeit der Wissenschaft, Theorie und Praxis könnte gar nicht mehr gestellt werden -
nur die Barbarei ließe diese Möglichkeit offen. Dagegen kann ein neues Theorie- und Praxis-
Verhältnis nur ermittelt werden, wenn es mit der entsprechenden gesellschaftlichen
Entwicklung auch wieder eine der Hegel-Marxschen Theorie entsprechende gesellschaftliche
Stufe erreicht hat - was wieder die Frage nach dem historischen und klassenmäßigen Bezug
beinhaltet.

Die historische und klassenmäßige Spezifität jeder Theorie, die Marx im kommunistischen
Manifest betont, wird von ihm in Bezug auf die utopischen Kommunisten mit aller
Deutlichkeit abgesprochen und in gleichem Maße zeigt er, wie sich mit der Veränderung der
revolutionären Bewegung zugleich die Theorie wandelt. „Alle kommunistischen und
sozialistischen Schriftsteller gingen von der Beobachtung aus, einerseits, daß selbst die
günstigsten Glanztaten ohne glänzende Resultate bleiben und in Trivialitäten auszulaufen
scheinen, andererseits daß alle Fortschritte des Geistes bisher Fortschritte gegen die Masse der
Menschheit waren, die in eine immer entfesseltere Situation hineingetrieben wurde. Sie
erklärten daher (s. Fourier) 'den Fortschritt' für eine ungenügende abstrakte Phrase, sie
vermuteten ein Grundgebrechen der zivilisierten Welt; sie unterwarfen daher die wirklichen
Grundlagen der jetzigen Gesellschaft einer einschneidenden Kritik.

Dieser kommunistischen Kritik entsprach praktisch sogleich die Bewegung der großen Masse,
im Gegensatz zu welcher die bisherige geschichtliche Bewegung stattgefunden hatte."16

Diese praktische und theoretische Kritik setzte in den am weitesten kapitalistisch entwickelten
Ländern England und Frankreich ein. Ihre praktisch-utopischen Experimente wurden ebenso
wie ihre theoretische Kritik „von außen" an die kapitalistische Gesellschaft herangetragen und
hatten noch nicht jenen Grad wissenschaftlicher Reflexion erreicht, wie die gleichzeitig mit
ihnen zur höchsten kritischen Selbsterkenntnis gekommenen bürgerlichen Systeme der
Ökonomie (Ricardo) und der Philosophie (Hegel). Für Hegel und die anderen bürgerlichen
32 
 
33 
 

Gesellschafts-Theoretiker bestand, so Korsch, die „unüberschreitbare Grenze" darin, die neue


„gesellschaftliche Klasse nur negativ als 'Pöbel' und nicht zugleich positiv als 'Proletariat' "
begriffen zu haben.16

So sah er im „Elend nur das Elend, ohne die revolutionäre umstürzende Seite darin zu
erblicken, welche die alte Gesellschaft über den Haufen werfen wird".17

Dieses kritische Element der Hegelschen Philosophie trete, so Korsch, noch deutlicher in der
Methode als im Inhalt hervor. Die dialektische Methode sei für Hegel jenes Mittel gewesen,
um die in der bürgerlichen Gesellschaft auftretenden Widersprüche nicht wie Ricardo
unvermittelt nebeneinander stehen zu lassen, sondern sie „mit zahlreichen Unbestimmtheiten,
Schroffheiten und Willkürlichkeiten behaftet" in einem genial konstruierten System
zusammenzuzwingen, aber „entsprechend dem Bedürfnis einer auf Abschluß der
revolutionären Bewegung auf 'Restauration' drängenden Klasse, mit einer scheinbar
vollständigen 'Wiederherstellung' der alten, vom frühbürgerlichen Materialismus bereits
überwundenen Metaphysik mit Einschluß der christlichen Dogmatik in einer neuen 'absoluten'
Metaphysik" überwölbt.18

Die inhaltliche und methodische Perfektion konnten die ersten 'von außen' an die Gesellschaft
herangetragenen Formulierungen der kaum entfalteten proletarischen Emanzipations-
bewegung noch nicht erreichen. Auch die Proudhonsche Theorie, von Marx für kurze Zeit als
„wissenschaftliches Manifest" des Proletariats bezeichnet, hatte noch nicht die Höhe des
deutschen Idealismus erreicht, zumal die kapitalistische Produktionsweise erst am Anfang
ihrer Entfaltung angelangt war.

Die Höhe des deutschen Idealismus mit ihrer „von außen" ins Proletariat hineingetragenen
revolutionären Theorie haben nicht die Proletarier selber, sondern die mit den Bildungsmög-
lichkeiten der bürgerlichen Klasse ausgestatteten Revolutionäre Marx und Engels erreicht. Sie
haben, so argumentiert Korsch, die Dialektik beibehalten, aber der Sache nach mit der
idealistischen Dialektik Hegels gebrochen und sich in ihrer Kritik der bürgerlichen
Gesellschaft auf den Standpunkt des modernen Proletariats gestellt. Die Marx-Engelssche
Theorie hat „als proletarische, und nicht mehr bürgerliche Theorie auch formell einen neuen,
nicht mehr philosophischen, sondern streng wissenschaftlichen Charakter."19

Wenn Korsch hier die Marx-Engelssche Theorie als proletarische bezeichnet, so geht aus dem
Briefwechsel mit seinem Schüler Paul Parthos sein Schwanken in dieser Begrifflichkeit
hervor. Er äußert dort die Überlegenheit der geschichtlich notwendigen „Marx’schen Theorie
und Praxis". Diese sei gegenüber „jeder bloßen 'reinen' Kritik im handlungsleeren und sogar
theoretisch wirklichkeitsleeren Raum als unendlich überlegen anzuerkennen".20

Nach diesen theoretischen Überlegungen hat er die Überschrift im § 6 seines Marx-Buches


geändert und statt „proletarischer", „geschichtlicher Materialismus" geschrieben. Er hat das
„'Lob der Dialektik' umgestaltet zu dem Nachweis, wie diese Denkformen zwangsläufig als
ein erster unzureichender Versuch, die Realität des revolutionären Prozesses (zuletzt: der
proletarischen Revolution vom bürgerlichen Standpunkt) zu denken, entstanden ist."21 (Hier
liegt eine Andeutung vor, die über die Kritik der Revolutionsstrategie hinausgeht.)

33 
 
34 
 

Und er schreibt weiter, die Dialektik erkläre ebenso wenig den revolutionären Prozeß, als daß
sie vielmehr umgekehrt nur von der Kenntnis des revolutionären Prozesses her halbwegs
verständlich gemacht werden könne. Die Hegelsche Dialektik verdankte ihre Schärfe der
unausgeschriebenen Widersprüche weniger aus der „verabsolutierten Existenz der
gesellschaftlichen Klassen, als dem revolutionären Prozeß (der immerhin von Fichte und
Hegel philosophisch noch in der Steigerungsform festgehalten werden kann, in der er in der
wirklichen bürgerlichen Revolution nur in der kurzen Phase des revolutionären Konvents
1792 -94 bestanden hatte)".22

Für die proletarische Theorie könne solche Schärfe erst nach einer Umsetzung nutzbar
gemacht werden. So absolut wie für Hegel sei der Klassengegensatz für die proletarische
Theorie nur, solange noch Klassen bestehen. Durch die proletarische Revolution werden sie
jedoch beseitigt, und somit auch ihr absoluter Gegensatz auf theoretischer Seite. Während
Hegel die vergangenen Phasen eines abgeschlossenen Prozesses erfaßte, müsse die
revolutionäre Theorie den „Übergang von der gegenwärtigen, nach rückwärts geschlossenen,
nach vorwärts offenen Phase seiner Bewegung zu mehreren künftigen, beiderseits offenen
Phasen denkbar und tu-bar gemacht werden."23

Wenn die proletarische Theorie nicht mehr, wie Korsch in Bezug auf die Marxsche Theorie
äußert, vom bürgerlichen Standpunkt aus betrachtet wird, was in der Phase des Übergangs
nach dem zu einem gewissen Abschluß gekommenen Konstitutionsprozeß der Fall ist, kann
mit der veränderten gesellschaftlichen Praxis auch die Theorie zu einem neuen Abschluß
kommen. Dieses setzt aber eine Verlagerung des von Korsch angeschnittenen Problems
voraus. Nicht mehr die Revolutionsstrategie wird wie für Korsch das Hauptproblem einer
Kritik und Weiterentwicklung (insofern wird die Revolutionsstrategie nur rückwärts erfaßt),
sondern die Auflösung der „Ökonomie in eine direkt gesellschaftliche Wissenschaft und
entsprechend direkt sozial-revolutionäre Praxis".24

Daß dies in der Marxschen Theorie nicht geschehen sei und im Zusammenhang mit dem
bürgerlichen Charakter seiner Politik stehe, wirft Korsch Marx zu Unrecht vor. Die Marxsche
Wissenschaft hätte dann ihren Theorie- und Praxiszusammenhang mit der Arbeiterbewegung
verloren und sich zu einer sozialrevolutionären Utopie entwickelt; aber gerade diese Position
hatte die marxistische Wissenschaft überwunden und kritisiert. Nach der Niederlage des
Proletariats in der Juni-Schlacht der 48-er Revolution in Frankreich blieb für Marx und Engels
nichts anderes übrig, als eine Kritik jener Ökonomie zu leisten, die von England aus auf den
Kontinent übergriff und während der konterrevolutionären Phase nach 1850 zu einer
Stagnation des Klassenkampfes führte.25 Die Auflösung der Ökonomie in eine direkt
gesellschaftliche Theorie und Praxis konnte deshalb nicht von Marx geleistet werden.

Soll dieses in der Übergangsphase geschehen, so ist es dadurch möglich geworden, weil eine
Kritik der politischen Ökonomie von Marx geleistet worden ist, ohne dies würde der von
Korsch geforderte Schritt aber nur den Grad an Wissenschaftlichkeit, Theorie und Praxis
erreichen, den das Bürgertum einst schon in seiner Emanzipation erklommen hatte und dessen
Höhe durch die wissenschaftliche Kritik von Marx und Engels überflügelt wird. Sie haben,
wie bereits erwähnt, in ihren Jugendjahren ein im Werden begriffenes proletarisches Theorie-
und Praxis-Verhältnis gesehen. Wenn sie auch später nicht mehr so deutlich von einer
selbständigen proletarischen Wissenschaft gesprochen haben, so legten sie Wert darauf, auch
34 
 
35 
 

den theoretischen Emanzipationsgrad des Proletariats hervorzuheben. So schreibt Marx in der


Einleitung zum „Kapital": „In Deutschland kam also die kapitalistische Produktionsweise zur
Reife, nachdem ihr antagonistischer Charakter sich in Frankreich und England schon durch
geschichtliche Kämpfe geräuschvoll offenbart hatte, während das deutsche Proletariat bereits
ein viel entschiedeneres theoretisches Klassenbewußtsein besaß als die deutsche Bourgeoisie.
Sobald eine bürgerliche Wissenschaft der politischen Ökonomie hier möglich zu werden
schien, war sie daher wieder unmöglich geworden."26

Das theoretische Klassenbewußtsein, von dem Marx hier spricht, hat allerdings nicht mehr
jenen revolutionären Theorie- und Praxis-Zusammenhang, den es vor 1850 erreicht hatte. Es
ist vielmehr die Rezeption von theoretischem Wissen auf das Marx nun stärkere Akzente
setzt. Das im Werden begriffene Proletariat befindet sich nach 1850 auch theoretisch in einer
neuen Aufbauphase. So Marx: „Ein Mann, ökonomisch auf dem Bourgoisiestandpunkt, Herr
Mayer, Wienerfabrikant, tat in einer während des deutsch-französischen Krieges
veröffentlichten Broschüre treffend dar, daß der große theoretische Sinn, der als deutsches
Erbgut galt, den sogenannten gebildeten Klassen Deutschlands durchaus abhanden gekommen
ist, dagegen in seiner Arbeiterklasse neu auflebt."27

Marx läßt dabei an dieser Stelle die Frage nach einer selbständigen proletarischen Theorie, die
sich durch die Weiterentwicklung der Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse er- gibt,
offen.

Korsch kommt in dieser Frage zu keinem eindeutigen Ergebnis. Er erkennt die 'unreinen'
„Züge der Marxschen Theorie und Praxis ... als geschichtlich notwendige" an, wie jener
kritische Brief an Parthos vom 25.11.1939 zeigt. Er betont aber mehrmals: „Alles dies ist aber
keine negative Kritik des Marxismus, sondern historische Richtigstellung, und eine dadurch
bedingte andere praktische Stellung zu der Frage einer 'Wiederherstellung' der durch den
Weltkrieg, die Reformisten und KPDisten, Mussolini und Hitler usw. zerstörten alten
'marxistischen', d.h. sozialdemokratischen Partei- und Gewerkschaftsbewegung in der
Zukunft, sei es direkt oder vermittels einer 'Rückkehr' zum unverfälschten Marxismus von
Marx selbst - und zu den entsprechenden Bestrebungen auf dem Gebiet der Theorie." Es sei
daher auch keine Schwäche der Marxschen Theorie, so Korsch, daß ,,sie vor 90 bis 70 Jahren
die damals bevorstehende tatsächliche Entwicklung der europäischen Arbeiterpolitik und
Ökonomie richtig vorausgenommen (!!) hat. ... Wie aber der von der Anfangsphase sehr ver-
schiedene Kapitalismus von heute und morgen immer noch der 'Kapitalismus' bleibt, so mag
man immerhin die Theorie und Praxis der einzigen wirklich antikapital(istischen) Bewegung
mit all ihren notwendigen Veränderungen auch in Zukunft noch Soz(ialismus)-
Kom(munismus)-Marxismus nennen".28

Hier liegt eine Inkonsequenz des Korschschen Denkens. Seine Kritikansätze bleiben immer,
wo sie neuen Boden betreten, wieder stecken und enden dann oft, wie eben gezeigt, fast mit
einer Entschuldigung seiner vorher geäußerten Kritik.29

Viele dieser Äußerungen sind sicherlich auch nur vorübergehend aus der Tagesstimmung
eines von der Arbeiterbewegung abgeschnittenen, im Exil lebenden Intellektuellen zu
erklären, doch sollte es nicht die Aufgabe sein, diese theoretischen Schwankungen im
einzelnen zu verfolgen, sondern seine in diesen Ansätzen gleichzeitig verborgene Linie
35 
 
36 
 

nachzuzeichnen, und die darin enthaltenen Bemerkungen zu einem Faden zusammen zu


spinnen, der für die Fragen der Theorie und Praxis im letzten Viertel dieses Jahrhunderts noch
oder vielleicht gerade erst aktuell wird.

2.4. Marxismus - Leninismus - Anarchismus

Soziale Revolution und Übergangsstaat

Die Frage nach einer proletarischen Revolutionstheorie, wie sie sich auf ihrer eigenen
Grundlage entwickelt, kommt seit 1929, wo in Korschs Diskussionszirkeln neben Brecht auch
die Anarchosyndikalisten Erich Mühsam, R. Rocker, A. Souchy auftauchen, zu neuen
Diskussionsansätzen. Mit A. Souchy fuhr Korsch im Juni 1931 zum Kongress der spanischen
Anarchosyndikalisten nach Madrid. Von diesem Zeitpunkt taucht in seinen Schriften nicht nur
der Marxismus und die marxistische Arbeiterbewegung, sondern auch sein ehemals großer
Gegenspieler, der Anarchismus und Anarchosyndikalismus auf.

Weitere historische Anlässe, die ihn diese Fragen stellen lassen, sind der Sieg des Faschismus,
die weltweite Konterrevolution und später die Niederlage der spanischen Revolution. Die
Frage nach der Revolutionsstrategie führt ihn wieder zur Staatsproblematik. Durch das
kritische Verhältnis zum Marxismus und zu der marxistischen Arbeiterbewegung setzt sich
Korsch erneut mit der Staatsfrage, dem Verhältnis von Zentralismus und Föderalismus, dem
Jakobinismus und der Räteproblematik in der Arbeiterbewegung auseinander. Er knüpfte mit
seinem Kreis an eine Diskussion an, die seit der 1. Internationale, wo sich die verschiedensten
Richtungen der Arbeiterbewegung voneinander trennten, nicht mehr stattgefunden hatte und
nur noch zu gegenseitigen Verleumdungen und Beschimpfungen und gar physischer
Vernichtung führte. Vor allem aber auch der historische Hintergrund - die Unfähigkeit der
sozialdemokratischen und kommunistischen Arbeiterbewegungen, den Vormarsch des
Faschismus aufzuhalten, sowie die Liquidierung der sozialistischen Opposition in der UdSSR
veranlassen Korsch, die Niederlagen und Siege der bisherigen Arbeiterbewegungen und ihrer
Theorien neu zu reflektieren. Neu heißt, daß es bisher üblich war, sich mit den von den
Klassikern vertretenen Positionen gegenüber anderen Fraktionen darzustellen, ohne selbst
diese Position in ihrem historischen Zusammenhang neu zu reflektieren. So hatte man von den
beiden Erzfeinden Marx und Bakunin jeweils nur einseitige Vorstellungen, die oft nicht
wissenschaftlichen, sondern anekdotenhaften Charakter hatten, deren gegenseitige
Abneigungen dann psychologisch begründet wurden. Ähnlich wie heute, wo neben Marxisten
wieder Anarchisten, Rätekommunisten auftauchen, und wie im Mai 1968 die
Auseinandersetzung mitbestimmen, so war in den 30-er Jahren noch einmal die Sturmglocke
der sozialen Revolution geläutet worden. Doch dieses Mal nicht in Deutschland, England oder
in einem anderen hochentwickelten kapitalistischen Land, sondern in Spanien. Hier hatte die
einzige „moderne syndikalistische Arbeiterbewegung", die sich auf Proudhon und Bakunin
berief, überlebt. Sie hatte sich trotz zahlreicher Phasen der Illegalität immer wieder schnell zu
einer schlagkräftigen Arbeiterorganisation auf ihrer eigenen Grundlage aufgebaut, entwickelt.
Korsch hat, ohne sich zum Anarchismus hinzuwenden, auch nach der Niederlage der spa-
36 
 
37 
 

nischen Revolution und dem vollständigen Sieg der faschistischen Konterrevolution in


zahlreichen Aufsätzen die marxistische Position mit der anarchistischen verglichen.30
Dieses liegt nahe, da mit der Weiterentwicklung des Anarchismus von Proudhon, Bakunin
sich nicht nur theoretisch, sondern vor allem auch praktisch eine Arbeiterbewegung ent-
wickelt hatte, die im Laufe ihres Emanzipationsprozesses andere Auffassungen von Streik,
Organisationsformen, Staat und der sozialen Revolution und daher zum Verhältnis von
Theorie und Praxis gewonnen hatte.
Wenn vorher versucht wurde, das bürgerliche Theorie- und Praxis-Verhältnis in der
Arbeiterbewegung aufzuzeigen und dies als historische Notwendigkeit verstanden wurde, um
durch die wissenschaftliche Kritik den Kampf und Emanzipationsprozeß des Proletariats
voranzutreiben, was bei Marx laut Korsch nach 1850 zur „objektiven
Gesellschaftswissenschaft" führte, unter deren Deckmantel sich dann die Marx-Orthodoxie
entwickelte, so war die Betonung der subjektiven Aktion der Arbeiterklasse durch den
Leninismus wieder ein gewaltiger Fortschritt, der nicht zuletzt durch das Verhältnis des
Marxismus- Leninismus zum Staat zu einer siegreichen Revolution führte.
Anders dagegen verhält es sich mit der Betonung der subjektiven Aktion im revolutionären
Syndikalismus. Diese auf Proudhon und Bakunin zurückzuführende Bewegung hatte bis zu
ihrer völligen Zerschlagung während der spanischen Revolution ein sich im ständigen
Lernprozeß befindendes proletarisches Theorie- und Praxis-Verhältnis behalten, ohne
allerdings die wissenschaftliche Höhe des Marxismus erreicht zu haben. Mit ihrem
theoretischen Ursprung bei Proudhon (von Marx anfangs noch gelobt, s.o.) schlichen sich in
diese Bewegung Elemente hinein, die die kritische Übernahme bürgerlicher Errungenschaften
(theoretisch und praktisch) verhinderten. Vor allem auf theoretischem Gebiet schlugen sich
die materiellen Bedingungen des Proletariats nieder, die weitere, durch die veränderten
Möglichkeiten durch die Entwicklung der Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse,
Klassenkampf und Produktion ungenützt ließen. Eine dieser und zwar die folgenschwerste
Fehleinschätzung liegt in der Auffassung vom Staat begründet. Ihre Wurzel findet sie bei dem
späteren Erzfeind von Marx: Proudhon.
Proudhon war einer der ersten, die den Rätegedanken mit der modernen bürgerlichen
Gesellschaft von Standpunkt und den Bedürfnissen des Proletariats aus versucht haben zu for-
mulieren. Die Auseinandersetzungen über Zentralismus und Rätesystem in der
Arbeiterbewegung haben seit der 1. Internationale, der Pariser Kommune, den beiden
russischen Revolutionen, der November-Revolution bis auf den heutigen Tage zu keinem
befriedigenden Ergebnis geführt. Korsch war zu keiner Zeit einer der größten Räte-
Theoretiker (vg. z.B. „Was ist Sozialisierung ?", eine Schrift, die noch vor seiner eigentlichen
Marx-Rezeption liegt.). Gegen Ende der zwanziger Jahre widmet sich Korsch wieder
intensiver vom marxistischen Standpunkt aus diesen Fragestellungen. Leider hat er nie ein
großes Werk darüber geschrieben. Auch B. Brecht versuchte ihn hierzu zu ermuntern, wie aus
einem am 19.11.1941 an ihn gerichteten Brief hervorgeht. „Ich würde mir viel von einer
historischen Untersuchung des Verhältnisses der Räte zu den Parteien versprechen. Die
spezifischen Gründe des Unterliegens der Räte, die historischen Gründe würden mich
ungeheuer interessieren, das ist ungeheuer wichtig für uns.... Ich wüßte außer ihnen niemand,
der das untersuchen kann."31
Einer der ersten Aufsätze einer kritischen Aufarbeitung des Rätesystems beschäftigt sich mit
der revolutionären Kommune. Korsch resümiert aus der aktuellen Entwicklung, nach der
37 
 
38 
 

Überwindung der Weltwirtschaftskrise des Jahres 1925 und den Niederlagen der deutschen,
polnischen, italienischen Arbeiter und der Niederlage des Proletariats bis zum englischen
Generalstreik und Bergarbeiterstreik, daß „der europäische Kapitalismus auf dem Rücken der
niedergeworfenen Arbeiterklasse einen neuen Zyklus seiner Diktatur begonnen hat".32
Unter diesen objektiven Bedingungen stellt er fest, „dürfen wir revolutionäre proletarische
Klassenkämpfer der ganzen Welt auch subjektiv unseren alten Glauben an die revolutionäre
Bedeutung des Rätegedankens und den revolutionären Charakter der Räteregierung als der
direkten Weiterentwicklung der von den Pariser Kommunarden vor einem halben Jahrhundert
'entdeckten' politischen Form der proletarischen Diktatur nicht mehr ganz ungeprüft und
unverändert festhalten".33
So habe sich ein ähnlicher Entwicklungsprozeß in der proletarischen Konstitutionsphase
vollzogen, wie er in der bürgerlichen Emanzipation zu beobachten war - dies trifft für ihn
auch auf die russische Entwicklung ebenso zu, wie für die ursprünglich „revolutionären"
Räteprinzipien, die von Scheidemann, Müller etc. „verraten" wurden. Die bolschewistische
Partei mit ihrer „millionenköpfigen Bürokratie" habe mit dem revolutionären Rätegedanken
von 1917 und 1918 nicht mehr zu tun, „als die faschistische Parteidiktatur des ehemaligen
revolutionären Sozialdemokraten Mussolini in Italien".34
Aber mit Verrat sei dies nicht zu erklären, da für die klassenbewußten Proletarier auf der
Tagesordnung die revolutionäre Selbstkritik stehe, damit sei die widerspruchsvolle Ent-
wicklung von der revolutionären Losung „alle Macht den Räten" zu dem heutigen
„kapitalistisch faschistischen Regime in dem angeblichen 'sozialistischen Sowjetstaat'
aufzudecken".34• 1
Mit den berühmten Marxschen Sätzen, daß jede geschichtliche Form aus einer
Entwicklungsform der revolutionären Produktivkräfte ah einem bestimmten Punkt in ihre
Fesseln umschlägt, sieht er diesen Umschlagsprozeß von der Pariser Kommune bis zur
Sowjetunion der 30-er Jahre gegeben.
Korsch leitet seinen Vorwurf der „Entartung" der Staatsmacht der Sowjetunion aber nicht aus
den ökonomischen Verhältnissen ab, sondern betrachtet die politischen Veränderungen
nahezu losgelöst davon. Dieses wird auch nicht klarer durch seinen Verweis auf die
Marxschen Bestimmungen der Konstitution der bürgerlichen Klasse. Marx vergleicht dort die
Koalitionsbildung der Arbeiter mit den Kommunen der mittelalterlichen Bourgoisie. So
beschrieb Marx im „Elend der Philosophie", wie sich die Bourgeoisie in ihrer ersten Phase
unter der Herrschaft des Feudalismus als Klasse konstituierte, um dann die Feudalherrschaft
und Monarchie umzustürzen. Die erste Phase war dabei die längere, und das Bürgertum
begann 'mit partiellen Koalitionen gegen die Feudalherrschaft. Marx weist in diesem
Zusammenhang auf die Streiks hin: „Aber wenn es sich darum handelt, sich genau
Rechenschaft abzulegen über Streiks, Koalitionen und die anderen Formen, unter welchen die
Proletarier vor unseren Augen ihre Organisation als Klasse vollziehen, so werden die einen
von einer wirklichen Furcht befallen, während die anderen transzendentale Geringschätzung
an den Tag legen.35
Ähnliches spricht Marx 20 Jahre später noch einmal in der „Resolution des Genfer
Kongresses der internationalen Arbeiterassoziation über die Gewerkschaften" aus.
Zum Streik selber haben Marx und Engels jedoch bisweilen ein merkwürdiges Verhältnis
gehabt, was auch mit der grundsätzlichen Auffassung zu den Fragen von Staat, Föderalismus
38 
 
39 
 

und sozialer Revolution zusammenhängt. In einem Brief aus dem Jahre 1942 an Paul Mattik
schreibt Korsch: „Was hier zu sagen gewesen wäre, ist, daß Marx den Streik zu einem blossen
Mittel für den politisch-parlamentarischen Kampf herabdrückt, während die Syndikalisten
ihm magische Kräfte andichten."36
Der alte Engels schreibt in seiner Streitschrift „Die Bakunisten an der Arbeit" über das
Wirken der spanischen Anarchisten beim Aufstand von 1873. Er kritisiert ihre
Wahlenthaltung und ihr Wirken während des 5. spanischen bürgerlichen Revo-
lutionsversuches von 1868 bis 1874. Gegenüber einer Beteiligung am Parlament zogen die
spanischen Anarchisten den allgemeinen Streik als Hebel für die soziale Revolution vor.
Engels schreibt nun, dies sei ein alter Hut, „französische und nach ihnen belgische Sozialisten
haben seit 1848 dies Paradepferd stark geritten, das aber ursprünglich englischer Race ist ...
nur wurde allseitig zugegeben, daß dazu eine vollständige Organisation der Arbeiterklasse
und eine gefüllte Kasse nötig sei".37 Gegenüber diesem Konzept eines friedlichen Streiks mit
Kasse, wie er in der Geschichte der Arbeiterbewegung meist von den Sozialdemokraten
durchgeführt wurde, stand der aktive Streik, die „direkte Aktion", der Syndikalisten, woraus
sich im Laufe der Geschichte Fabrikbesetzungen, Enteignungsaktionen anschlossen, in denen
die Arbeiter nicht nur tagespolitische Kämpfe führten, sondern theoretisch und praktisch die
Übernahme der Produktion durch die Produzenten lernten.38
Marx und Engels haben jedoch den Zusammenschluß dieser anfangs kleinen Föderationen zu
großen syndikalistischen Organisationen nicht mehr erlebt - aber sie haben, wie dies kleine
Beispiel aus Engels' Schrift zeigen sollte, auch die Konstitutionsmomente in dieser anderen
Klassenkampfauffassung nicht verstanden. Gewiß hat Sorel die Auffassung mancher
syndikalistischer Arbeiter getroffen, nach der die parlamentarischen Sozialisten Kinder der
Bourgeoisie seien und außer der Staatsideologie nichts anderes kennen würden.39
Gleichzeitig ist die Katastrophe, - die Fehleinschätzung der Staatsmacht und die Niederlage
während einer sozialen Revolution hier schon praktisch enthalten. So ist das Klassenbe-
wußtsein stärker entwickelt und auch nicht so bürgerlich wie in den sozialdemokratischen
Arbeiterbewegungen. So zeigen die verschiedenen Ansätze in den revolutionären Fabrikräten
bis hin zur spanischen Revolution die mangelhaften Auffassungen vom Staat auf, die aber
eben auch durch Lernprozesse gekennzeichnet sind - ähnlich aber sieht es in umgekehrter
Weise mit der Marx-Engelsschen Auffassung vom Staat aus.
„Während er noch im 'kommunistischen Manifest' 1847/48 und ebenso auch noch in der
'Inauguraladresse der internationalen Arbeiterassiziation' 1864 nur von der Notwendigkeit der
'Eroberung der politischen Macht durch das Proletariat gesprochen hatte", so Korsch, „haben
für ihn jetzt die Erfahrungen der Pariser Kommune den Beweis geliefert, daß die
'Arbeiterklasse nicht die fertige Staatsmaschine einfach in Besitz nehmen und für ihre eigenen
Zwecke in Bewegungen setzen kann, sondern diese bisherige bürgerliche Staatsmaschine
revolutionär zerschlagen muß‘."40
Auch Lenin hat dies wieder betont und sich durch die Oktoberrevolution als Vollstrecker
dieser Staatsauffassung dargestellt. Dies sei aber lt. Korsch eine rein negative „Bestimmung
des Wesens der neuen revolutionären Staatsgewalt des Proletariats"; wobei bei dieser
Besitznahme über „den formellen Charakter dieser neuen proletarischen Staatsgewalt positiv
überhaupt noch nichts gesagt" ist.41
Und Korsch stellt sich die Frage, wie Marx und Engels als Bewunderer des französischen
Konvents und des zentralistischen Systems der bürgerlichen Diktatur dazu kamen, gerade jene
39 
 
40 
 

diesem System völlig entgegengesetzte „Kommune" als politische Form der revolutionären
Diktatur anzusehen.
Tatsächlich paßte lt. Korsch die Pariser Kommune von 1871 nicht in die vorher oder nachher
aufgestellten Programme und Zielsetzungen von Marx und Engels. Vielmehr hätte M.
Bakunin, Marx' großer Gegenspieler, in der I. Internationale die historische Wahrheit auf
seiner Seite, wenn er über die nachträgliche Annektierung der Pariser Kommune spottend
sagte: „Der Eindruck des kommunistischen Aufstands war so gewaltig, daß selbst die
Marxisten, deren Ideale alle durch diesen Aufstand über den Haufen geworfen waren, sich
gezwungen sahen, vor ihm den Hut abzuziehen: Sie taten noch mehr, im Widerspruch mit
aller Logik und mit all ihren eigensten Gefühlen machten sie das Programm der Kommune
und ihr Ziel zu dem ihrigen. Es ist eine komische, aber erzwungene Travestie. Sie mußten sie
machen, sonst wären sie abgestoßen und von allen verlassen worden."42
So hätten Marx und Engels und später noch mehr Lenin verneint, daß die Pariser Kommune
einen wesentlich föderalistischen Charakter gehabt habe. Dies sei von ihnen aber verschleiert
worden. „Um von dem föderativen und antizentralistischen Charakter der Pariser Kommune
so viel wie möglich abzulenken, haben Marx und Engels, und ebenso später Lenin, in der
Kommune vor allem das Negative betont, daß sie eben die Zerbrechung der bisherigen
bürgerlichen Staatsgewalt darstellt. ... Sie haben gleichwohl demselben Irrtum, den sie bei
ihren Gegnern so scharf bekämpft haben, selbst Vorschub geleistet, indem sie auch ihrerseits
zwar nicht von dem 'föderativen' Charakter der Kommunalverfassung, aber dafür von ge-
wissen anderen formellen Unterschieden der Pariser Kommune von der parlamentarischen
und sonstigen überkommenen bürgerlichen Staatsauffassung zu viel Wesens gemacht
haben."43
Als Beispiele führt Korsch die Ersetzung des stehenden Heeres durch die Miliz oder die
Vereinigung der vollziehenden und gesetzgebenden Gewalt an, ebenso die Verantwortlichkeit
und Absetzbarkeit der kommunalen Funktionäre. Sie hätten, so Korsch, „dadurch eine
erhebliche Verwirrung der Begriffe angestiftet, die nicht nur für die Stellung der Marxisten
zur Pariser Kommune, sondern ganz ebenso auch für die spätere Stellung gerade der
revolutionären marxistischen Richtung zu der neuen geschichtlichen Erscheinung des
revolutionären Rätestaates schädliche Wirkungen hervorgebracht hat". Aber auch die
Proudhonsche und Bakuninsche Auffassung, nach der der Föderalismus die Überwindung des
bürgerlichen Staates sei, teilt Korsch nicht, wenn dies rein formalen Charakter hat.44
Aber er sieht durchaus die differenzierte Betrachtungsweise mit der Proudhon seinen
Föderalismus vom bürgerlichen oder monarchistischen Föderalismus unterscheidet.
Gegen Lenins Theorie wendet er ein, daß sie ihren revolutionären Sinn verliere, wenn dieser
sagt, „daß es einen Staat gibt, in dem nicht mehr die Minderheit die Mehrheit unterdrückt,
sondern vielmehr 'die Mehrheit des Volkes selbst die eigenen Unterdrücker unterdrückt' und
daß ein solcher Staat der proletarischen Diktatur dann in seiner Eigenschaft als Verwirklicher
der wahren oder proletarischen Demokratie 'bereits ein absterbender Staat ist'."45
Mit dieser Auffassung hängt die Vorstellung von Marx und Engels und später auch Lenins
zusammen, daß ein mit kurzfristigen gebundenen Mandat und jederzeit abwählbarer staat-
licher angestellter Funktionär eine weniger bürgerliche Einrichtung sei als ein gewählter
Parlamentarier.
Korsch hat hier sicher wichtige Fragen angeschnitten, er übersieht aber, daß das Proletariat im
40 
 
41 
 

Laufe des Geschichtsprozesses und gerade in der Phase der Machtübernahme auch seine
politische Macht erst einmal gebrauchen lernen muß, um bürgerliche Herrschaft zu
überwinden. - Ein „gegen gewöhnlichen 'Arbeitslohn' angestellter staatlicher Funktionär"46,
dessen Abwählbarkeit durch den proletarischen Revolutionsprozeß gesichert ist, befähigt ihn
dazu, die sozialistische Gesellschaft in allen Bereichen selber mit aufzubauen. Erst so kann
das Proletariat alle bürgerlichen Elemente überwinden und mit der neuen inhaltlichen auch
zur neuen Formbestimmung gelangen, die in der Übergangsgesellschaft erst durch das
proletarisch-bürgerliche Theorie- und Praxis-Verhältnis zu erreichen ist. Dies kann nur
geschehen, wenn dem Proletariat durch die Eroberung der politischen Macht alle
Voraussetzungen hierzu geliefert werden.
Geschieht dies nicht, und das Proletariat entwickelt sich von vornherein auf seiner eigenen
Grundlage (wie es beim Syndikalismus der Fall war) und negiert dabei die Notwendigkeit der
Eroberung der politischen Macht, so geht es das Risiko ein, im Reiche der materiellen
Produktivkräfte stehen zu bleiben und den Überbau dem Bürgertum zu überlassen. Dies hat
sich als besonders folgenschwer während der spanischen Revolution 1936 - 38 erwiesen.
Die spanische anarchosyndikalistische „Confederation Nacional del Trabajo" (CNT) war als
höchste Entwicklungsstufe der spanischen Arbeiterbewegung entstanden und hatte sich 1931
auf dem Kongress von Madrid zu industriellen Einheitsgewerkschaften
zusammengeschlossen, um dem modernen Kapitalismus eine entsprechende Waffe der
Arbeiterklasse entgegenzusetzen.
Anders als die sozialdemokratischen und kommunistischen Organisationen war sie ein
föderalistisch nach den Organisationsvorstellungen von Bakunin von unten nach oben aufge-
bauter Verband mit nur einem hauptamtlichen Sekretär. Alle anderen Delegierten wurden
kurzfristig vom Produktionsprozeß freigestellt.
Es war wichtig, daß jeder Arbeiter Selbständigkeit erlernte und Lernprozesse in der
kollektiven Aktion vollzog. Hierzu gehörten kurzfristige Fabrikbesetzungen zur Durchsetzung
tagespolitischer Ziele, wie die permanente Diskussion über die Frage: Wir übernehmen wir
die Produktion nach der Revolution?
Durch diese theoretische und praktische Erfahrung entstand ein hoher Bewußtseinsgrad des
Proletariats. Möglich war dies nur durch eine Gegengewaltskonzeption, die auch in den Pha-
sen des Verbots der Gewerkschaften die Arbeiterbewegung nicht zum Erliegen brachte. So
wurde die revolutionäre Tätigkeit während der Diktatur Primo de Riveras, in der Phase des
Verbots der CNT, wesentlich von der Guerilla Organisation übernommen. Ferner hatte diese
Geheimorganisation die CNT vor dem Abgleiten in den Reformismus zu bewahren.
Nach dem Plan von Diego Abad de Satillan (Mitglied der FAI) wird jeder wirtschaftliche
Partikularismus, wie er den Anarchisten oft vorgeworfen wurde und noch im Anarcho-
Kommunismus vorherrschend ist, zurückgewiesen. Alle Kommunen sollten verbunden und
der Zusammenhang von produktiven und distributiven Kräften hergestellt werden es darf
nicht zum Privateigentum einzelner Kommunen kommen. Die sozialistischen
Produktionseinheiten sollten dementsprechend eingeschränkte Rechte haben. Der
Bundeswirtschaftsrat erhält Aufgaben der Planung und Koordination von der Basis, er stellt
weder einen etatistischen noch bürokratischen Apparat dar. Direktiven kommen von der Basis
von a) den Gewerkschaftsräten der einzelnen Industriezweige und b) den lokalen Wirt-
schaftsräten. Zahlen und Statistiken bilden dann die Grundlage zur Bestimmung von neuen
Arbeitsmethoden und setzen fest, wo neue Industrien aufgebaut werden. Ferner soll über
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gerechtere Verteilung der Produkte und des Lohnes verfügt werden. Die CNT verstand dies
als Übergangsprogramm zu einer höheren ökonomischen Stufe; ihr Programm lag in der
Verbindung von zentraler Planwirtschaft und dezentralisierter Verwaltung.'
„Eine sozialisierte, richtungweisend geplante Wirtschaft ist unumgänglich und hilft der
Evolution in der modernen Wirtschaftswelt."47 Die Durchführung dieses Planes wurde durch
die faschistische Gegenrevolution verhindert. Nicht zuletzt liegt hier immer noch die
Verengung des revolutionären Kampfes auf die Ökonomie und die Fehleinschätzung
gegenüber Politik und Staat, d.h. dem Staat als notwendigerweise zu übernehmendes
Machtinstrument. Sieht man von der gewaltigen Niederlage einmal ab, so waren in Spanien
über 60 Jahre lang kontinuierliche Lernprozesse zu verfolgen, die allein den hohen Grad des
Klassenbewußtseins ausmachen konnten. „Infolge dieser Entwicklung ist aber auch die
andere, die sozialdemokratisch marxistische Richtung der modernen Arbeiterbewegung in
Spanien früher und entschiedener als sonst in Europa offen in die ihr vorgezeichnete Bahn
hereingedrängt worden. Viel früher und viel klarer", so Korsch, „als in den wichtigsten
sozialdemokratischen Parteien in Europa zeigte sich in der schwachen sozialdemokratischen
Partei, die der Engels-Lafargue-Schüler PABLO IGLESIAS ebenfalls schon seit jenen
sechziger Jahren der starken anarchistisch-revolutionären Richtung der spanischen
Arbeiterbewegung entgegen zu stellen versuchte, jener absolut staatserhaltende Grundzug,
den die deutsche sozialdemokratische Partei erst seit 1914 und 1918 offen darstellte."48
Aber bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts, nach der Niederlage der Kommunarden von
Paris und des darauf folgenden individuellen Terrors der 70-, 80- und 90-er Jahre versuchte
der Anarchosyndikalismus die erste proletarische Antwort auf die zu Reformismus und
Anpassung an die bürgerliche Gesellschaft hinzielende sozialdemokratisch-reformistische
Arbeiterbewegung zu geben. Die veränderten kapitalistischen Verhältnisse konnten nicht mit
einzelnen Attentaten bekämpft werden, aber auch eine Rückorientierung an die meist hand-
werklichen Gruppierungen vor der Kommune von 1871 (vgl. z.B. die Uhrmacher im
Schweizer Jura) konnte die moderne Industriearbeiterschaft nicht erfassen. Die Konsequenzen
lagen nahe, man mußte die revolutionäre Gewalt nicht individuell, sondern kollektiv als
Lernprozeß organisieren - als direkte Aktion.
Hierzu war aber ein Kampf in den Gewerkschaften notwendig. So schrieb Georges Sorel:
„Die Historiker werden den Eintritt der Anarchisten in die Gewerkschaften eines Tages unter
die wichtigsten Ereignisse unserer Zeit reihen."49 Somit schufen sie eine proletarische
Antwort auf die staatserhaltende Sozialdemokratie ohne die Staatsfrage lösen zu können. An
anderer Stelle kritisiert Korsch die Staatsauffassung der Anarchisten ebenso wie die
Marxisten und fordert aus dem historischen Hintergrund, einer nach seiner Meinung 1936 exi-
stierenden weltweiten Konterrevolution, eine Untersuchung dieses Problems, daß immer
wieder nicht korrekt gesehen wurde. „Allerdings wäre es nicht notwendig, eine besondere
Untersuchung über den konterrevolutionären Staat durchzuführen, wenn entsprechend den
übertreibenden Verallgemeinerungen der Anarchisten, jeder Staat zu jeder Zeit - der aus der
proletarischen Revolution hervorgegangene Arbeiterstaat eingeschlossen - seinem Wesen
nach den proletarischen Zielen entgegen stünde."50 Diese Staatsauffassung der Anarchisten
ist selber nur aus dem unentwickelten gesellschaftlichen Verhältnis und der entsprechenden
Position des Proletariats heraus zu sehen - es hat aufgrund seiner Stellung im Produktions-
prozeß Herrschaftstechniken nicht erlernt, sondern negiert sie einfach, während in den
sozialdemokratischen und kommunistischen Arbeiterbewegungen die Erfahrung der bürgerli-
chen Klasse stärker aufgenommen werden.51
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Man bedenke daher auch die langen Auseinandersetzungen über die Funktion der
bürgerlichen Intellektuellen in der Partei und der Revolution und ihre daraus resultierenden
theoretisch-praktischen Schwierigkeiten, wie sie im 1. Teil dieser Arbeit bereits angedeutet
wurden. Trotz all dieser kritischen Einwände hat doch ohne Zweifel „der revolutionäre
Marxismus, wie er durch Lenin wiederhergestellt wurde, die Arbeiterklasse zu ihrem ersten
geschichtlichen Sieg geführt. Diese Tatsache muß nicht nur gegen die pseudomarxistischen
Verleumder des 'barbarischen' Kommunismus der Bolschewiki, des Gegners, des
'verfeinerten' und kultivierten Sozialismus des Westens hervorgehoben werden", meinte
Korsch 1938, obwohl er die theoretische Position Lenins kritisiert hatte und sich seine
Bemühungen nicht „gegen die wissenschaftlichen Ergebnisse" gerichtet haben, „die von Marx
und Engels und einigen ihrer Nachfolger auf verschiedenen Gebieten der Sozialforschung
erreicht wurden und die in vieler Hinsicht bis heute gültig sind."52 Dennoch gelingt es ihm
nicht, die verschiedensten Entwicklungsstufen der proletarischen Bewegungen in Theorie und
Praxis zu analysieren und auf eine neue Stufe zu bringen. Er kristallisiert einige Elemente
heraus, kann sie nicht konsequent weiterentwickeln und will „zu jener praktischen und nicht
nur ideologischen Toleranz 'zurückkehren', mit der die I. marxistische (zugleich
Proudhonistische, Blanquistische, Bakunistische, gewerkschaftliche usw.) 'Internationale
Arbeiterassoziation' erarbeitete."53 So liefert er auch keine ökonomische Analyse jenes aus
der russischen Revolution hervorgegangenen Arbeiterstaates, der langsam „aus einem Instru-
ment der proletarischen Revolution in ein Instrument der gegenwärtigen europäischen
Konterrevolution umgeformt wurde" und führt jene „große Ähnlichkeit zwischen der
kommunistischen Diktatur in Rußland und ihrem anscheinend größten Widersacher und
Gegenspieler" auf „die Nabelschnur zwischen Marxismus und Jakobinismus" zurück, die nie
durchgeschnitten wurde."54 Erklärungen hierfür deutet er in einigen Bemerkungen über die
Marxsche und Proudhonsche Position zum Sieg Napoleons nach seinem Staatsstreich vom
2.12.1851 an. So seien Ähnlichkeiten in den ersten Äußerungen von Proudhon, Marx und dem
gemäßigten bürgerlich fortschrittlichen Exminister Guizot über Napoleons Staatsstreich zu
verzeichnen. Proudhon hatte den 2.12.1851 „als einen historischen Sieg der sozialen
Revolution" begrüßt, ebenso hatte Guizot ausgerufen: „Das ist der vollständige und endgültige
Sieg des Sozialismus", und auch Marx gab sich laut Korsch der gleichen Selbsttäuschung hin,
wenn er die „paradoxe Feststellung" macht: „nicht in seinen unmittelbaren tragikomischen
Errungenschaften brach sich der revolutionäre Fortschritt Bahn, sondern umgekehrt in der
Erzeugung einer geschlossenen, mächtigen Konterrevolution, in der Erzeugung eines
Gegners, durch dessen Bekämpfung erst die Umsturzpartei zu einer wirklich revolutionären
Partei heranreifte".55
Argumentiert man auf dieser Ebene weiter, ohne die wirklichen ökonomischen
Veränderungen zu analysieren, so muß man feststellen, daß auf Napoleon III. die Pariser
Kommune und was Korsch 1938 zwar noch nicht sehen kann, nach dem Niedergang des
deutsch-italienisch-japanischen Faschismus, die sozialistische Revolution in Europa und
Asien einige Siege errungen hat. Nach dem Kriege, Anfang der 50-er Jahre sieht Korsch seine
eigenen früheren Aussagen gegenüber dem Leninismus in einem anderen Licht. „Ich bin da in
einem heftigen inneren Kampf. Vieles von mir auch früher theoretisch verachtete, wie das
sogenannte 'leninsche Gesetz der ungleichen Entwicklung', erscheint mir jetzt mit einem Male
als ganz kolossal umfassend und wichtig in seinen vielfachen Anwendungen in Vergangenheit
und Gegenwart, und überhaupt ist der leninsche Typus des Marxismus und Revolutionstheorie
überhaupt des alten Marxismus und Revolutionstheorie überhaupt dem alten Marxschen nicht
nur um 50 Jahre, sondern um ein ganzes Zeitalter (das eben erst angefangen) überlegen."55
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Er meint damit aber nicht, „daß der heutige russ. Staat im Sinne seiner Beherrscher und ihrer
inneren und äußeren Politik auf der Seite der Weltrevolution, der Befreiung Asiens usw.
steht."55 2
China und nicht Rußland wird vom Gesichtspunkt der Weltrevolution in Asien die
Vormachtstellung einnehmen. „Die Satelliten in Osteuropa, Ost- und West-Deutschland und
ein vereinigtes Klein-Deutschland sind auch mehr preisgebende Objekte als echte Subjekte,
der nächst bevorstehenden Phase der gegenwärtigen Entwicklung. 'Arbeiterbewegung' als
solche auf dem alten Kontinent (Frankreich, Italien, usw.) und auf dem neuen scheinen z.Zt.
keinerlei Aussichten zu bieten; eine große Depression in USA könnte vielleicht etwas
ändern."55 3
Betrachtet man dagegen die Züricher Thesen von 1950, so finden wir hier wieder seinen Ruf
nach einer neuen Theorie und Praxis. So habe es keinen Sinn mehr, die Fragen zu stellen,
wieweit die Lehre von Marx und Engels heute noch gültig und praktisch anwendbar sei. Alle
Versuche, die marxistische Theorie als Ganzes und in ihrer ursprünglichen Funktion als
Theorie der sozialen Revolution wiederherstellen zu wollen, laufen heute auf reaktionäre
Utopien hinaus.
Trotz aller Kritik seien aber „wichtige Bestandteile der Marxschen Lehre mit veränderter
Funktion und auf veränderten Schauplätzen noch heute wirksam".55. 4
Wie der kurze Hinweis auf „Lage und Perspektiven" (1952) zeigte, hatte er hier mehr Asien
als Europa im Auge. Der erste Schritt „zum Wiederaufbau einer revolutionären Theorie und
Praxis besteht darin, mit dem monopolistischen Anspruch des Marxismus auf die
revolutionäre Initiative und auf die theoretische und praktische Führung zu brechen".55 – 5.5
Marx sei heute nur noch einer unter vielen Vorläufern der sozialen Theoretiker. Ebenso
wichtig seien die utopischen Sozialisten, die Anarchisten, etc. und Bewegungen.

3. Vom bürgerlichen zum proletarischen Materialismus


- Gesellschaftliche Entwicklung und materialistische Wissenschaft

Nachdem im ersten Kapitel nach dem eingangs beschriebenen Verfahren die Aneignung des
Marxismus erfolgte und auf die theoretisch-praktischen Schwierigkeiten im Stadium des
Übergangs hingewiesen wurde, erfolgte im zweiten Kapitel eine erneute Diskussion über das
Verhältnis von Theorie, Praxis zur Wissenschaft im Übergang. Das Problem der Erbschaft
wurde unter dem Aspekt der Erbfolge vom deutschen Idealismus zum Marxismus reflektiert.
Der revolutionär-praktische Aspekt und die Schwierigkeiten der Machtübernahme wurden am
Leninismus und Anarchismus diskutiert. Damit wurde der Umschlagprozeß vom bürgerlich-
proletarischen Theorie-Praxis-Verhältnis in ein proletarisch-bürgerliches näher betrachtet.
Was geschieht nun mit der Wissenschaft? Dieser Frage sind wir bisher nur einseitig näher
gekommen. Die negative Seite, das Abrutschen in die Unmittelbarkeit wurde bisher
betrachtet. Dieses Abrutschen ist zugleich eine Gefahr. Sie führt wie gezeigt in eine
neuromantische Sackgasse. Dies ist nicht zuletzt wieder darauf zurückzuführen, daß Korschs
Denken unter erheblichem Realitätsverlust leidet.
Versuchen wir also im Folgenden die Fragen des Übergangs, der Erbschaft und

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materialistischen Wissenschaft in ihrem Entstehen und ihrem augenblicklichen Zustand zu


betrachten. Dies auch im Hinblick auf die Arbeit.

3.1. Theorie und Praxis


Bürgerlicher und proletarischer Materialismus

In seinen zum eigenen Selbstverständnis kurz hingeschriebenen „Thesen über Feuerbach" ist
in genialer Weise der Weg vorgezeichnet, auf dem Marx und Engels später auf den ver-
schiedensten Stufen ihren neuen Materialismus herausbildeten.
„Der Hauptmangel alles bisherigen Materialismus - den Feuerbachschen mit eingerechnet -",
heißt es dort in These 1, „ist, daß der Gegenstand, die Wirklichkeit, Sinnlichkeit, nur unter der
Form des Objekts oder der Anschauung gefaßt wird; nicht aber als menschliche sinnliche
Tätigkeit, Praxis, nicht subjektiv. Daher geschah es, daß die tätige Seite im Gegensatz zum
Materialismus, vom Idealismus entwickelt wurde - aber nur abstrakt, da der Idealismus
natürlich die wirkliche, sinnliche Tätigkeit als solche nicht kennt."1 Die Erkenntnis dieser
wirklich sinnlichen Tätigkeit ist revolutionär, praktisch und kritisch zugleich. Der
Materialismus von Marx meint weder, wie das Lebenswerk von Marx und Engels zeigt,
theorielose Praxis noch praxislose Theorie. Dennoch ist, wie vorher geschrieben, dieser
Zusammenhang bis zum Übergang ein bürgerlich-proletarischer.2 Die Klasse, unter deren
„Firma" dieser Materialismus verkauft wird, hat ihn selber noch nicht produziert - sie ernährt
sich aber von ihm bis zum Übergang. Denn in diesem Materialismus wird und kann die
Klasse, die sich selber, befreit, nur unter der Form des Objekts betrachtet werden. Die Wirk-
lichkeit wird als Verändernde gesehen. Anvisiert wird an anderer Stelle auch das Subjekt,
welches seine Fesseln abzustreifen hat. Diese Form der Erkenntnis macht zugleich das Bür-
gerliche aus. An der wissenschaftlichen Seite seiner Befreiung ist das Proletariat vorerst nur
unter der Form der Anschauung beteiligt - es wird von der Wissenschaft angeschaut, wie es
jene selber nur anschaut.
Beim älteren Engels findet sich eine Passage, die durchaus als selbstkritisch betrachtet werden
kann. Sie zeigt die Differenzen zwischen Erkenntnis und gesellschaftlicher Entwicklung, wie
sie nicht nur rückwärts, sondern zugleich vorwärts betrachtet werden könnten.
„Ebenso wenig wie die Erkenntnis kann die Geschichte einen vollendeten Abschluß finden in
einem vollkommenen Idealzustand der Menschheit; eine vollkommene Gesellschaft, ein voll-
kommener 'Staat' sind Dinge, die nur in der Phantasie bestehen können; im Gegenteil sind alle
nacheinander folgenden geschichtlichen Zustände nur vergängliche Stufen im endlosen
Entwicklungsgang der menschlichen Gesellschaft vom niedern zum höhern. Jede Stufe ist
notwendig, also berechtigt für die Zeit und Bedingungen, denen sie ihren Ursprung verdankt;
aber sie wird hinfällig und unberechtigt gegenüber neuen höheren Bedingungen, die sich
allmählich in ihrem eigenen Schoß entwickeln; sie muß einer höheren Stufe Platz machen."3
Wie die alte Gesellschaft der neuen Platz macht, so muß die alte Wissenschaft der neuen Platz
machen.4 Voraussetzung hierfür ist jedoch menschlich sinnliche Tätigkeit - also Arbeit. Erst
in der modernen bürgerlichen Gesellschaft schändet diese nicht mehr. Sowohl in der antiken
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Sklavenhaltergesellschaft als auch in der Feudalgesellschaft wurde die verachtete Arbeit von
der herrschenden Klasse auch nicht erkenntnistheoretisch reflektiert. Erst in der idealistischen
Philosophie der bürgerlichen Gesellschaft wird die Tätigkeit reflektiert und kommt über die
bloße kontemplative Anschauung hinaus.
Hegel erfaßt diese Beziehung zwischen Subjekt und Objekt als Arbeitsprozeß - jedoch reine
Gedankenarbeit Was bei ihm fehlt, notiert Marx in seinem Notizbuch etwa zur Zeit der Ab-
fassung der Feuerbach-Thesen folgendermaßen: Die „Aufhebung des vorgestellten
Gegenstandes, des Gegenstandes als Gegenstand des Bewußtseins, identifiziert mit der
wirklichen gegenständlichen Aufhebung, der vom Denken unterschiednen sinnlichen Aktion,
Praxis, und realen Tätigkeit".5 Ebenso wie in der idealistischen Philosophie Hegels bleibt
auch in dem höchsten Ausdruck der bürgerlichen Ökonomie (bei Ricardo) die Arbeit noch
nicht unterschieden. Hegel und Ricardo verharren auf dem Standpunkt der Bürger, genauer
derjenigen, die sich auf Kosten der anderen ein angenehmeres Leben leisten können.
Bloch bezeichnet daher die bürgerliche Tätigkeit als „Arbeitsschein, weil die Werterzeugung
nie vom Unternehmer, sondern vom Bauern, Handwerker, zuletzt Lohnarbeiter ausgeht."6
So konnte auch der erkenntnistheoretische Reflex der Tätigkeit, so Bloch weiter, „nur ein
abstrakter sein", da, wie Marx in These 1 betont, „der Idealismus natürlich die wirkliche, sinn-
liche Tätigkeit als solche nicht kennt."7 Durch Marx ist dieser Widerspruch gezeigt, das
wirklich tätige Subjekt erkannt. Zugleich treten auch die Erkenntnisschranken auf; sie sind
durch den gesellschaftlichen Rahmen, in dem diese Erkenntnis stattfindet, notwendigerweise
noch geschlossen. Die bürgerliche Gesellschaft und die in ihr geleistete sinnlich praktische
Tätigkeit - ihr Inhalt und die Form, in der ihr Reichtum geschaffen wird, wird bewußt,
zugleich ist hierdurch auch der Schlüssel zur Analyse aller vorherigen Gesellschaften
gefunden.
Ohne Sklavenarbeit wären Aufstieg, Blüte und Verfall der antiken Gesellschaft ebenso wenig
denkbar, wie ein Feudalismus ohne Leibeigenschaft und eine moderne bürgerliche Gesell-
schaft ohne Lohnarbeit. Erkenntnistheoretisch ist dies weder den antiken noch den modernen
bürgerlichen Philosophen und Ökonomen bewußt geworden.
So kann aber auch die Arbeit als das, was sie für das Proletariat an und für sich ist, erst im
Übergang erfaßt werden. Solange das Proletariat Lohnarbeit verrichtet, ist es ebenso wie seine
Erkenntnistheorie gefesselt. Erst durch die neue sinnlich praktische Tätigkeit wird die Arbeit
eine andere. Materialistisches Bewußtsein als proletarisches ist erst im Übergang möglich.
Erst im Sozialismus wird die Arbeit nicht mehr für andere verrichtet, sondern für das
Proletariat selber. Die Arbeit hat damit ihre letzte absolut notwendige Stufe erreicht. Dadurch,
daß sie durch die Herrschaft des Proletariats absolut geworden ist, erreicht auch die
Erkenntnistheorie diesen neuen Standpunkt und damit eine neue Höhe.

3.2. Materialistische Wissenschaft


und Gesellschaftliche Entwicklung in Korschs Denken

Korsch sah - wie schon im zweiten Teil gezeigt wurde - diese Problematik anders. Und auch
nach dem Zweiten Weltkrieg, in dem Stalins Armeen bis in die Mitte Europas vorgedrungen

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waren und den Aufbau des Sozialismus bis an die Elbe nach sich zogen, verschloß Korsch
seinen Blick vor dieser Entwicklung. Er wollte die Realität, wie sie geworden war, nicht aner-
kennen. Er sah nicht die Möglichkeit eines neuen Aufbaus, die Möglichkeit der Entfaltung
einer neuen tätigen Seite, eine Veränderung zwischen Bewußtsein und Gegenstand im Vor-
wärtsdrängen, er sah eher einen Rückwärtsgang der Weltgeschichte. Am 18.4.1947 schrieb er
über einen „kommenden Rückschritt im Geistigen und Kulturellen"8. „Es nützt auch nichts,
auf die noch weitergehenden 'Fortschritte' der Technik hinzuweisen. Vielmehr wird der
geistige Verfall in einer heute schon absehbaren Zeit einen Grad erreichen, der auch den
Fortschritt der Technik zum Stoppen bringt."
Geistigen Verfall kann es aber, und das sieht Korsch, hier nur noch für die bürgerliche Epoche
und ihre Vertreter geben. Die neue sozialistische Gesellschaft muß, wie eben gezeigt, einen
anderen Weg gehen. Korschs Übergangsstimmung erreicht zu dieser Zeit einen Höhepunkt.
So schreibt er im Brief an Brecht weiter: „Und schon jetzt verschwindet immer mehr die auch
früher schon fadenscheinige Grundlage dafür, den Fortschritt der Technik mit der materiellen
Produktion nahezu gleichzusetzen. An diesem Gesamtbild wird auch nichts geändert durch
die Weltgegenden, in denen der materielle Fortschritt noch weiter geht, bzw. erst richtig
anfängt, einerseits Rußland, andererseits China." In jenem materiellen Fortschritt sind noch
gar nicht alle geistigen und schöpferischen Fähigkeiten des Proletariats enthalten. Korsch, der
vorher so gründlich auf Lernprozesse und Fortschritte des Proletariats aufmerksam gemacht
hatte, wird hier, wo es um die weiteren Lernstufen des Proletariats geht, sehr von einer
revolutionären Ungeduld befallen. Dies mutet noch grotesker an, da er ja über die
geschichtlichen Entwicklungsprozesse recht gut Bescheid wußte, also z.B. auch darüber, wie
lange das Bürgertum gebraucht hatte, die Fesseln der Feudalgesellschaft abzustreifen. Es ist
merkwürdig, daß er die proletarische Emanzipation nicht mit der bürgerlichen vergleicht.
(Was allerdings auch problematisch ist.) stattdessen tritt er nahezu in die Fußstapfen der
bürgerlichen Untergangstheoretiker.
„Es ist wie zur Zeit des römischen Kaiserreiches", so heißt es dort im Brief weiter, „etwa vom
zweiten und dritten Jahrhundert unserer Zeitrechnung an, wo auch in den entlegensten
Provinzen gegen den Kulturverlust noch ein gewisser Widerstand geleistet wurde und jenseits
der Grenzen bei den 'Barbaren' der Aufbau einer neuen Welt aus dem rohen begonnen hatte. -
Aber wie schwer fiel es schon Engels (sogar für eine viel spätere Zeit) zu 'beweisen', daß die
feudale Gesellschaft eine gegenüber der antiken 'progressive Epoche der gesellschaftlichen
Formation' darstellte, nämlich eine höhere Entwicklung von der Sklavenarbeit zur
Leibeigenschaft."10 Die Möglichkeit des Neuen gibt Korsch jedoch nicht ganz auf, aber
entgegen seiner sonstigen revolutionären Ungeduld wird jetzt alles in eine nebelhafte Ferne
verlegt, wie weiter zu lesen ist: „Wo ich von der Weltlage im ganzen handelte und bei dem
geschichtlichen Vergleich mit dem Untergang des römischen Weltreiches nicht ausdrücklich
dem Umstand Rechnung trug, daß sich die russischen Welt heute in einer ganz anderen Lage
befindet, als damals die 'Barbaren' außerhalb der römischen Reichsgrenze. Es trifft aber für
beide Zeiten zu, daß mit dem Aufbau der neuen Welt erst im Rohen begonnen worden ist, und
es kann heute, für die Zukunft, nicht einmal so bestimmt gesagt werden, wie wir es
gegenwärtig für die damalige Epoche sagen können, daß diese neue Welt, sei sie sonst wie sie
wolle, wirklich als 'neue' Welt im Gegensatz zur alten sich entwickeln und nicht noch einmal
(wie das oströmische im Verhältnis zum weströmischen Reich) in die alte wieder zurückge-
bracht werden würde."11 Davon abgesehen, daß Korsch hier Vergleiche anstellt, bei denen
die unterschiedlichen Produktionsweisen nicht berücksichtigt werden, hat er doch selber

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schon in „Marxismus und Philosophie" das Verhältnis von Theorie und Praxis im Marxismus
in den unterschiedlichen Phasen analysiert. Er hat auch im 19. Jahrhundert Phasen der Nieder-
lage und des scheinbaren Stilstands gesehen und gerade da hat er, solange er in der
Arbeiterbewegung tätig war, festgestellt, daß auch nach einer längeren Phase der Niederlage
und Stagnation der neu einsetzende Lernprozeß nach einer kurzen Periode der Neuaufnahme
der praktischen Kämpfe und der Theorie auf eine höhere Stufe gehoben worden ist.
Verglichen mit der Sozialdemokratie ist der Leninismus sicherlich, wie Korsch festgestellt
hatte, ein Fortschritt und kein Rückschritt.
Aber sein Verhältnis zum Marxismus ist und bleibt zwiespältig und verbissen. So schreibt er
1950 in einem Manuskript: „Zur Frage, ob Marx dogmatisch mit seiner Lehre verfährt, gehört
auch, daß Marx sie fortwährend selbst interpretiert; z.B. fälschte er in den Randglossen die
sehr negative Wendung über die Mittelstände 'sie sind revolutionär nur im Hinblick auf ihren'
bevorstehenden Übergang ins Proletariat."12 Der Dogmatismusvorwurf ist engstirnig, er zeigt
eher das Gegenteil, nämlich, daß der Marxismus sich im Laufe des Bildungsprozesses von
Marx und Engels fortwährend korrigiert und weiter entwickelt. Ein paar Sätze weiter reicht
Korsch den bürgerlichen Wissenschaften fast die Hand. - „Von allem Anfang an hat die
marxistische Theorie besonders in der Form, wie sie im Kapital 1867 dargestellt wurde, eine
unfortunate Ähnlichkeit mit einem Dogma, einem philosophischen oder sogar religiösen
creed."13 Hierauf folgt noch ein Vergleich zwischen der Entwicklung der christlichen
Religion und dem Marxismus. So gab es eine Orthodoxie und die Wiederherstellung der
„reinen" Lehre bei Lenin, ebenso „die große Kirchenspaltung (Schism) zwischen dem
Marxismus des Ostens und dem Marxismus des Westens." In einem Punkte trifft er sich nicht
mit den bürgerlichen Antimarxisten - was folgende Passagen sehr klar zeigen. Die „wichtigste
Erklärung dieser markanten Ähnlichkeiten und Analogien ist nicht, daß der marxistische
Kampf ein religiöser oder irgendeine Art von ideologischem Kampf sei, sondern umgekehrt,
daß auch das Christentum nur der ideologische Ausdruck für eine darunter verborgene ge-
schichtliche und gesellschaftliche Bewegung, eine revolutionäre Bewegung gewesen ist." 44
Folgt man diesen Gedanken, so könnte es zweitausend Jahre dauern, bis der Menschheit
bewußt wird, für welche Bewegung der Marxismus ideologischer Ausdruck sei. Aber diesen
Prozeß möchte er verhindern. - Das zeigen auch die eingangs erwähnten Züricher Thesen.
Hören wir deshalb noch einmal, wie er zum Marxismus steht: „Für mich war der Marxismus
von Anfang an, das heißt seit mehr als vierzig Jahren, keine Theorie, vor allem kein
ökonomisches System, auch nicht eine Philosophie, nicht einmal eine philosophische
Weltanschauung oder Methode, sondern wirklicher Bestandteil - ein besonderer Teil - einer
gesellschaftlichen Bewegung, genauer gesprochen: Ein Teil des revolutionären proletarischen
Klassenkampfes, des Kampfes um die Umwandlung der kapitalistischen Produktionsweise
und ihres gesamten überbaus."15
Daß dies zu den kurz vorher notierten Sätzen nicht im Widerspruch steht, wird, aus dem
Gesamtzusammenhang des Korschschen Denkens klar. Der Marxismus wird als Teil der ge-
samten proletarischen Bewegung begriffen und gerade der Teil der Arbeiterbewegung, der
sich marxistisch nennt, ist vielleicht nicht der revolutionärste.16 Mit Marx' eigenen Worten
bezeichnet er den Marxismus als „critical theory", wobei „kritisch im Gebiet der Theorie
genau dasselbe bedeutet, was im Gebiet der gesellschaftlichen Praxis revolutionäre Aktion be-
deutet. Ein weiterer Unterschied: Auch nicht jede Theorie ist revolutionär, die einen
revolutionären Prozeß theoretisch wiederspiegelt. Das tut z.B. Hegels Philosophie. Sie konnte
dadurch indirekt revolutionär wirken und hat so, vielleicht durch Marx, sicher aber weiter
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nach Osten gewirkt: Hegel = Marx !"17


Die Arbeiterbewegung und deren rein proletarische Theorie, wie am Beispiel Anarchismus
gezeigt wurde, sind aber wesentlich Produkt des 19. Jahrhunderts. Im 20. Jahrhundert spielt
die rein proletarische Bewegung eine untergeordnete Rolle - hier ist der Marxismus
dominierend geworden, und wo er im Osten zum Sieg gekommen ist, kann er nicht mit Hegel
gleichgesetzt werden. Denn Hegel beschreibt einen abgeschlossenen Prozeß, Marx dagegen
ist Kritiker und Revolutionär. Es ist im Wesentlichen die Wissenschaft des vorsozialistischen
Stadiums, aber nicht die eines abgeschlossenen Prozesses. Die Gleichsetzung von Hegel und
Marx wäre auch dann noch problematischer, wenn man - wie Korsch das hier macht - den
Kapitalismus des Westens mit dem Sozialismus des Ostens auf eine Stufe stellt. Aber dann
wird Realität verkannt, und die Suche nach der blauen Blume der Arbeiterbewegung beginnt.
- Das ist die eine Seite des theoretischen Standpunktes von Korsch. Auf der anderen Seite
sucht er nach der Bedeutung einer revolutionären Theorie - und der Marxismus ist für ihn
durchaus noch eine revolutionäre Theorie.18 Er fragt daher nach der Bedeutung des
Marxismus für die marxistische Bewegung und für die proletarische Bewegung. „Provisorisch
in diesem Zusammenhang vielleicht, die beste Beschreibung: eine bestimmte Kombination
von ökonomischen und politischen Aktionen der Arbeiter, allein oder im Bunde mit anderen
unterdrückten Schichten, die von ihren Trägern mehr oder weniger bewußt als ein ganzes im
revolutionären Klassenkampf gesehen und behandelt wird."19
Für den Marxismus der Ersten Internationale trifft dies für Korsch auch zu. Daher sind
„proletarische Theorie und sozialistische Theorie (Marxismus)" identisch. „Man kann sagen
proletarisches Klassenbewußtsein ist der noch ungeformte Inhalt der geformten
revolutionären Theorie."20
Proletarisches Klassenbewußtsein wäre dann nahezu an die Aktion gebunden, in ihm würde
das Verhältnis von Basis und Überbau reproduziert. Was Klassenbewußtsein dann ist, be-
stimmt nicht der theoretisch praktische Bewußtseinsprozeß des Proletariats, sondern ihr
Träger, der in der bürgerlichen Gesellschaft mehr oder weniger bürgerlich ist. Dagegen kann,
wie vorher gezeigt wurde, der eigentliche Bewußtseinsprozeß des Proletariats erst einsetzen,
wenn auch die Arbeit eine andere wird. Erst wenn sie absolut geworden ist, kann sich pro-
letarisches Materialistisches Bewußtsein bilden. Erst dann verändert sich das Verhältnis
zwischen Theorie, Praxis und materialistischer Wissenschaft, weil die Trennung von Basis
und Überbau überwunden wird.
Was in der Übergangsgesellschaft näher geschieht, beschäftigt Korsch in dem unvollendet
und sehr fragmentarisch gebliebenen Manuskript „Das Buch der Abschaffungen". Die Revo-
lution ist für ihn darin „nur eine Umstülpung", die aber „Grundlage für eine andere
Entwicklung wird."21 Und er schreibt über die Art der Arbeit: „Da nach unserer
Voraussetzung die Arbeit nicht mehr individuell, sondern ein nicht mehr abzulösender
Bestandteil der gesellschaftlichen Arbeit geworden ist schon innerhalb der vorhergehenden,
noch kapitalistischen Phase, wobei sich dann auch schon eine bestimmte, mit dieser Art
Arbeit gegebene Hierarchie unter den Arbeitern (weiterhin unter allen an der Produktion im
weiteren Sinne Beteiligten) gebildet hat, so können wir vielleicht hier anknüpfen.
Marx selbst, noch mehr später Lenin, überbetont die Notwendigkeit der Leitung, der
Direktion (vom Kapellmeister bis zum militärischen Kommandeur) und wohl auch, obwohl
weniger betont, der ganze dazwischen geordneten unteren und mittleren Hierarchie (ohne die
die moderne Großproduktion, zeitlos gesprochen, nicht möglich ist). Die Qualifikation der
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50 
 

neuen Funktionäre in unserem Gleichnis ist also wohl, daß sie eine solche Funktion
erfolgreich ausführen können (Beweis alle Spez., alle Organisatoren durchaus heute noch
durch den success zu bestimmen; im alten China durch Examen). Es gehört dazu wohl unter
allen Umständen, daß sie das an die Stelle des kapitalistischen Risikos getreten(e) neue
'Risiko' übernehmen (das mehr der alten Heeresorganisation ähnlich ist). Befehle auszuführen
mit Initiative, unter eigener Verantwortung."22
Mit dieser „Refeudalisierungsthese" verkennt er, wie im zweiten Teil gezeigt wurde, das
Problem der Leitung nach der Revolution, und außerdem kommt hier die inhaltliche
Bestimmung der nachbürgerlichen Arbeit zu kurz.
Er fährt dann fort: „Weiter geht aber die materialistische 'Wissenschaft' nicht. Hier fängt dann
unbedingt der Mythos an.
Und nachdem die Praxis der Revolution diesen Punkt erreicht hat, verwandeln sich beide,
Theorie und Mythos in ein durch veränderte Bedingungen nicht mehr verändertes Dogma und
in eine für jeden unmittelbaren Zweck brauchbare und gebrauchte Ideologie (Heteronomie der
Zwecke). Was Marxismus ist, bestimmt jetzt eine Willensentscheidung, ein Dekret (oft
vorausgenommen durch den Apparat, ausnahmsweise mit Rückwirkung durch Gesetz in einer
'Krise', wo viele Bankrott machen und eliminiert oder zurückgestellt werden."23
Wenn dem so wäre, gäbe es im Sozialismus bald keinen Fortschritt mehr und das Denken
käme auf den Nullpunkt - also auf den Hund. Die Möglichkeit, durch die nachbürgerliche
Arbeit dem Denken und Handeln neue Bahnen zu erfüllen, sieht Korsch nicht. Er denkt nur in
vorgeprägten abgegriffenen bürgerlichen Kategorien. Das Problem der Hierarchie und der
Funktionäre muß aber vom neuen erkenntnistheoretischen Standpunkt der nachbürgerlichen
Gesellschaft und des nachmarxschen Denkens betrachtet werden. Ebenso wenig wie die
Feudalhierarchie mit der bürgerlichen - kann auch die proletarische nicht mit letzterer in einen
Topf geworfen werden, wenn nicht die Arbeit vom proletarischen Standpunkt
erkenntnistheoretisch neu reflektiert wird. In der Übergangsgesellschaft muß die proletarische
Revolution auch im Denken stattfinden. Erstmals in der Geschichte wird die Arbeit nicht als
Arbeitsschein (Bloch) im philosophischen Überbau auftauchen, - auch nicht als Problem von
Lohnarbeit, da auch hier nur ein Austausch der Betrachtungsweise stattfindet. Das eine Mal
wird der Standpunkt der herrschenden Klasse auch philosophisch im Überbau reflektiert, das
andere Mal wird im Überbau kritisch reflektiert, was an der Basis geschieht - aber eben diese
wissenschaftliche Arbeit enthüllt nur den Arbeitsschein. In der Übergangsgesellschaft
verschwinden die Klassen. Damit verschwinden auch Basis und Überbau. Es gibt keine
Lohnarbeit und keinen Arbeitsschein, die Arbeit wird absolut. Auch wenn sie philosophisch
reflektiert wird, verschwindet mit der Auflösung von Basis und Überbau das letzte
kontemplative Moment in ihr. - Der Materialismus erreicht den eigentlichen proletarischen
Standpunkt.

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ANMERKUNGEN TEIL I

1 Im folgenden zitiert als: Antikritik, a.a.O. - Sie ist zusammen mit ,,Marxis-
mus und Philosophie" 1966 neu erschienen. Nach dieser Ausgabe wird im Folgenden zitiert.
2 Marxistische Blätter Nr. 3. Vgl. dagegen die Korschrezeption in Italien,
die ihren Ausgangspunkt in der KPI hatte.
3 Vgl. hierzu: Michael Buckmiller, Marxismus als Realität. Zur Rekonstruk-
tion der theoretischen und politischen Entwicklung Karl Korschs, in: Fischer Jahrbuch I, Ffm
1971, S. 15ff.
B. gibt zahlreiche Hinweise über die neuere Korschrezeption im In- und Ausland. Ferner stellt
diese Schrift den ersten Teil einer Korsch-Biographie dar, die 1976 erschienen ist:
M. Buckmiller, Karl Korsch und das Problem der materialistischen Dialektik, Hannover 1976
4 Erich Gerlach, Karl Korsch und der Marxismus, in: Neue Kritik, Nr. 18,
Ffm 1963
5 Vgl. H.-J. Krahl, Produktion und Klassenkampf, in: Konstitution und Klas-
senkampf, Ffm 1971
6 Vgl. hierzu: Peter von Oertzen, Betriebsräte in der Novemberrevolution,
Düsseldorf 1963. Oertzen untersucht hierin die Rolle Korschs in der Räterepublik.
Ebenso den Versuch linker Gewerkschaftler, die arbeitsrechtlichen Schriften, allerdings sehr
einseitig, in die Gerwerkschaftsdiskussion hineinzutragen. Jürgen Seifert, Anmerkung zu
Korschs Rechtstheorie, in: Kritische Justiz, Nr. 2, Ffm 1972, S. 149 -153
7 Vgl. hierzu auch den unveröffentlichten Bericht über die nachgelassenen
Aufzeichnungen von Karl Korsch von Heinz Langerhans, einem langjährigen Mitarbeiter
Korschs. (Kopie beim Verf.)
8 G.W.F. Hegel, Geschichte der Philosophie, Suhrkamp-Werke 18, S. 21
9 Marxismus und Philosophie, a.a.O., S. 77/78
10 Marx-Engels-Werke 8, S. 139, K. Marx, Der 18. Brumaire des Louis Bonaparte
11 Marxismus und Philosophie, a.a.O., S. 82
12 Vgl. hierzu: M. Buckmiller, Marxismus als Realität, a.a.O. - Buckmiller stellt anhand des
Bildungsganges Korschs fest, daß Korsch nach seiner Hegel- und Marx-Rezeption „seine
frühere kantische Position nicht als bloßen 'Irrtum' abtun kann, sondern als Ausdruck der
allgemeinen Entwicklung jener Arbeiterbewegung sah, die er damit theoretisch, aber nicht
praktisch überwindet".
Fischer Jahrbuch I, a.a.O., S. 48
Die Gefahr dieser Argumentation liegt darin, aus dem durch die ,,geistige Aktion"
vermittelten dialektischen Verhältnis der bürgerlichen Intellektuellen zu ihrem theoretischen
Produktionsprozeß Rückschlüsse zu ziehen auf den praktischen und theoretischen
Emanzipationsgrad des Proletariats. Es entsteht eine Art Projektion des zerfallenen Theorie-
und Praxiszusammenhangs der bürgerlichen Intellektuellen als untergehende Vertreter eines
untergehenden Klassen- und Produktionsverhältnisses auf das sich gerade konstituierende
Theorie. und Praxisverhältnis der proletarischen Klasse (in der Entwicklung der
Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse und Klassenkampf und Produktion).
13 Marxismus und Philosophie, a.a.O., S. 121
14 E. Rusconi, Dialektik in pragmatischer Anwendung, in: Fischer Jahrbuch, a.a.O., S. 142
15 Um die Arbeiterregierung (Rede 1923). Zitiert nach: Karl Korsch, Politische Texte, Ffm
1974, S. 48
16 E. Rusconi, a.a.O., S. 143
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17 E. Rusconi, a.a.O., S. 143


18 Karl Korsch, Der Standpunkt der materialistischen Geschichtsauffassung, in: Marxismus
und Philosophie, a.a.O., S. 147
19 E. Rusconi, a.a.O., S. 143
20 Seit 1919 befindet sich das Proletariat in der Defensive. Die Reallöhne der Arbeiter sanken
im Sommer und Herbst 1923 auf einen Stand herab, der zwei Drittel unter dem Stand der der
Reallöhne vor dem Kriege lag. Dieses entsprach dem niedrigsten Stand in der
Nachkriegskrise. „Noch nie hatte es in einem hochentwickelten Land einen solchen Tiefstand
der Lebenslage der Arbeiterklasse gegeben". (Geschichte der Arbeiter-Bewegung, Kapitel
VII, S. 193, Berlin, DDR, 1968)
Dazu kam die Verarmung der Mittelschichten, der kleinen und mittleren Bauern und
Handwerker. Ob in dieser Situation eine Revolution sinnvoll gewesen wäre, wenn die KP
zugeschlagen hätte, ist problematisch. Braunthal macht es sich hier in seiner „Geschichte der
Internationale" zu einfach, wenn er schreibt, daß sich die „völlige Ohnmacht der Partei
enthüllt" habe, weil sie den Kampf um die Macht erst in dem Moment aufnahm, als die
Konter-Revolution die Macht schon ergriffen hatte. Braunthal schreibt weiter: „Sie (die KPD,
W.Z.) hatte mit Waffen gebrüstet; aber sie war waffenlos gewesen. Sie hatte auf den revolu-
tionären Kampfwillen der kommunistischen Partei gebaut; dieser war nicht mehr vorhanden.
In dieser Situation hatte die Parteiführung den Plan der Revolution einfach aufgegeben." (J.
Braunthal, Geschichte der Internationale Bd. 3, Berlin-Bonn 1971)'
Am schnellen Verschwinden des Kampfwillens sieht man auch, wie weit dieser Kampfwille
nur ein spontaner aus der Unmittelbarkeit heraus entstandener war; wenn ein breiteres
Klassenbewußtsein vorhanden gewesen wäre, hätte dieser Kampfwille nicht so schnell wieder
umschlagen können. Das klassenbewußte Proletariat weiß, was es will; hier entsprach
Handeln und Denken eher dem Hier und dem Jetzt, dem Reich der Unmittelbarkeit, was beim
bürgerlichen Philosophen Hegel schon ein seichtes Element war.
21 Marxismus und Philosophie, a.a.O., S. 136
22 Antikritik, in: Marxismus und Philosophie, a.a.O., S. 38
23 In der Antikritik weist Korsch die Anklagen einiger Kritiker zurück, die behauptet haben,
er hätte Marx und Engels die Verflachung des Marxismus in der II. Internationale in die
Schuhe geschoben, dagegen hat er ebenso wie Lenin auf die positiven Errungenschaften und
historischen Verdienste der II. Internationale aufmerksam gemacht (vgl. S. 41), ihm ging es
dagegen darum, auf die Art und Weise der Marx-Rezeption aufmerksam zu machen. „Jene
angebliche Rezeption des Marxismus Im Ganzen, durch die im letzten Drittel des 19.
Jahrhunderts unter veränderten geschichtlichen Bedingungen wieder erwachende und er-
starkende sozialistische Bewegung" habe in Wirklichkeit niemals stattgefunden. Die
„Rezeption des Marxismus" habe sich nicht auf den „ganzen Marxismus" bezogen, sondern in
„Wirklichkeit auf theoretisch immer nur auf einzelne aus dem Zusammenhang der
revolutionären Marxschen Gesamtanschauung herausgetrennte, und schon dadurch in ihrer
allgemeinen Bedeutung veränderte, obendrein aber meist auch noch in ihrem besonderen
Inhalt gefälschte und verstümmelte ökonomische, politische und soziale 'Theorie`."
(Antikritik, S. 42)
Seinen letzten Feldzug gegen die Verstümmelung des Marxismus durch die Theoretiker der
II. Internationale hat Korsch in seinem Anti-Kautsky, einer gegen Kautskys „materialistische
Geschichtsauffassung" gerichtete Schrift geführt. Korsch zeigt hierin auch, daß Kautsky
seinen Standpunkt seit 50 Jahren nicht geändert habe und entgegen der materialistischen
Geschichtsauffassung Marxens bei Kautsky der Staat das ausschlaggebende Gebilde der
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Geschichte sei. „Die wirkliche, von der Naturgeschichte unterschiedene Geschichte der
Menschheit ist für K., ganz wie für Kant und Schiller, Fichte und Hegel, wesentlich Geschich-
te des Staates." (Anti-Kautsky, S? 60/61)
Mit dieser Staatsauffassung versuchten die Kautskyaner der Frage der Revolution aus dem
Wege zu gehen und plädierten stattdessen für allmähliches Hinüberwachsen in den
Sozialismus mittels Reformen.
24 Vgl. hierzu die bekannten Sätze von Marx aus dem kommunistischen Manifest: „In der
bürgerlichen Gesellschaft ist die lebendige Arbeit nur ein Mittel, die aufgehäufte Arbeit zu
vermehren. In der kommunistischen Gesellschaft ist die aufgehäufte Arbeit nur ein Mittel, um
den Lebens- prozeß der Arbeiter zu erweitern, zu bereichern, zu befördern.
In der bürgerlichen Gesellschaft herrscht also die Vergangenheit über die Gegenwart, in der
kommunistischen die Gegenwart über die Vergangenheit." (MEW 4, S. 476)
In einer aus dem Jahre 1923 stammenden Rede schneidet Korsch dieses Problem an, ohne
jedoch die Konsequenzen für das Verhältnis Theorie und Praxis im proletarischen Sinne
vollständig zu ziehen. Er schreibt: Der „Kampf des Proletariats bedeutet auch zweierlei. In
einem Sinn ist er immer da gewesen. Marx sagt im kommunistischen Manifest: 'Der Kampf
des Proletariats gegen die Bourgeoisie beginnt mit seiner Existenz.' In einem anderen Sinn ist
aber dieser Kampf doch auch heute noch nicht ganz wirklich da, weil er noch nicht
vollständig organisiert, ein seiner wirklichen Ziele noch nicht klar -bewußter Kampf ist. Da ist
es denn reine Ideologie, diese Klarheit über das Endziel schon in den ersten Anfängen des
Kampfes allen Mitkämpfern aufdrängen zu wollen. Vielmehr müssen wir uns bewußt sein,
daß eine ganz klare, eine ganz bewußte Erfassung dieses Zieles bei den Massen sogar erst
dann vorhanden sein wird, wenn die entscheidende Schlacht schon geschlagen und die Macht
schon erobert ist." (Politische Texte, S. 50: Über die Arbeiterregierung, Rede 1923)
Sowie durch die sinnlich-praktische Tätigkeit gesellschaftliche Verhältnisse verändert und
bewußt erfaßt werden, muß sich dieses auch sowohl theoretisch als auch praktisch als ein
anderes darstellen, weil in dieser Phase der Veränderung der Produktionsverhältnisse durch
die Produktivkräfte ein Subjektwandel in allen theoretischen, wissenschaftlichen, kulturellen
etc. Bereichen stattfindet.
Diese letzte Konsequenz hat Korsch nicht gezogen. Hierin liegt zugleich seine historische und
klassenmäßige Grenze.
25 Wie sich diese Fragen für die Herausbildung des Marxismus in der Phase seiner
Entstehung gestellt haben, gibt Korsch folgendermaßen an:
„Eine radikale Kritik der bürgerlichen Gesellschaft kann also jetzt nicht mehr wie sich Marx
darüber noch 1843 ausgedrückt hatte, an 'jeder' beliebigen Form des theoretischen und
praktischen Bewußtseins anknüpfen, sondern muß an jenen bestimmten Bewußtseinsformen
anknüpfen, die ihren wissenschaftlichen Ausdruck in der politischen Ökonomie der
bürgerlichen Gesellschaft gefunden haben. Die Kritik der politischen Ökonomie rückt also -
theoretisch wie praktisch - an die erste Stelle." (Karl Korsch, Marxismus und Philosophie,
a.a.O., S. 124) -
Vgl. hierzu auch die Fußnote ebd.
Natürlich kritisieren Marx und Engels auch in späterer Zeit beiläufig die Philosophen, sie
schieben sie nicht völlig beiseite, aber ihre Kritik wird von ihrem neuen Standpunkt aus nur
noch tiefer und schärfer.
26 G. Lukács ist dieser Frage näher gekommen. In „Funktionswandel des historischen
Materialismus" schreibt er: Der historische Materialismus solle auf „das ganze der
Geschichtswissenschaft" angewendet werden, d.h. die Aufgabe besteht jetzt darin, „die ganze
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Geschichte wirklich neu zu schreiben". Lukács geht davon aus, daß mit der gerade geschaffe-
nen Diktatur des Proletariats nicht nur der eben geschaffene Machtfaktor das
Ausschlaggebende ist, sondern ein „tiefgreifender Funktionswechsel' durch die Tatsache der
Diktatur des Proletariats eingetreten ist - der Klassenkampf werde nun von oben nach unten
und nicht mehr von unten nach oben geführt. (Lukács, Geschichte und Klassenbewußtsein,
Amsterdam 1967, S. 233)
Leider können hier nicht alle Differenzen und Gemeinsamkeiten zwischen Korsch und Lukács
ausdiskutiert werden.
Lukács betont schärfer als Korsch die Bewußtseinsveränderung des Proletariats. „Das
Proletariat erringt den Sieg in seinem Klassenkampfe nicht nur in der Machtsphäre, sondern
.zugleich in diesem Kampf um das gesellschaftliche Bewußtsein, in dem es seit den letzten 50
bis 60 Jahren in aufsteigender Linie die bürgerliche Ideologie zersetzt und sein eigenes
Bewußtsein als das nunmehr einzig maßgebende soziale Bewußtsein entwickelt." (G. Lukács,
Geschichte ..., a.a.O., S. 234)
27 Marxismus und Philosophie, a.a.O., S. 99/100
28 Marxismus und Philosophie, a.a.O., S. 100
29 Antikritik, a.a.O., S. 46/47
Ein Schüler Korschs, Kurt Brandis, hat in der Arbeit „Der Anfang vom Ende der
Sozialdemokratie" diesen Ansatz weiter ausgeführt: „Die spätere Praxis und Theorie der
Sozialdemokratie beweisen, daß die wichtigsten Elemente der von der bürgerlichen
Demokratie übernommenen Gedankenmassen nicht zu jenen Überbleibseln ihrer Embryonal-
Periode gerechnet werden können, die sie allmählich überwand. Mit dem Wachstum der
Arbeiterklasse in Deutschland jedoch macht diese Erbmasse einen 'Funktionswandel' durch:
sie wurde in erster Linie ideologischer Ausdruck der in die sozialistische Bewegung
einströmenden kleinbürgerlichen Schichten und der sich bildenden Arbeiter-Aristokratie." (K.
Brandis, Der Anfang vom Ende der Sozialdemokratie, Berlin 1975). Den Grund sieht Brandis
darin, daß in Deutschland das Bürgertum nur teilweise ökonomisch, aber keine politischen
Siege errang, wodurch in der Ideologie der Sozialdemokratie demokratische, sozialistische
und proletarische Gedanken „neben- und ineinander gelegt" waren.
30 G. Sorel, Die Auflösung des Marxismus, Jena 1930, S. 29
31 Marx zeigt hierin wie der Kapitalismus an sein Ende kommen und umgestürzt werden
muß. „Die Zentralisation der Produktionsmittel und die Vergesellschaftung der Arbeit
erreichen einen Punkt, wo sie unverträglich werden mit ihrer kapitalistischen Hülle." (K.
Marx, Das Kapital Bd. 1, Berlin, DDR, 1969, S. 791)
32 Marxismus und Philosophie, a.a.O., S. 127
33 Marxismus und Philosophie, a.a.O., S. 128
34 Marxismus und Philosophie, a.a.O., S. 105
35 „Der Widerspruch von Marxismus und Philosophie, der in den bisherigen Interpretationen
völlig unberücksichtigt blieb, besteht darin, daß Korsch seinen eigenen praktisch-politischen
Standpunkt von dem aus er diese höchst theoretische Schrift formuliert, mit der
revolutionären Praxis Lenins identifiziert, gleichzeitig aber die theoretischen Grundlagen für
die wissenschaftliche Kritik am Leninismus entwickelt." (M. Buckmiller, Marxismus als
Realität, a.a.O., S. 49)
36 vgl. Antikritik, a.a.O., S. 53
37 Antikritik, a.a.O., S. 46/47
Lukács ergumentiert hier in entgegengesetzter Richtung: Das Bewußtsein der Arbeiter steigt,
was voraussetzt, daß das Kapital sich ebenfalls weiterentwickelt und die soziale Lage sich
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bessert (bei ihm aber nicht ausgeführt), da Bewußtsein und soziale Lage steigen, muß auch ein
Wandel im Theorie-Aneignungsprozeß stattfinden. Diese letzten Konsequenzen zieht Lukács
auch nicht. Vgl. auch: R. Luxemburg, „Stillstand und Fortschritt im Marxismus", zuerst in:
Vorwärts (Berlin), Nr. 62 vom 14. März 1903, wieder in: R. Luxemburg, Gesammelte Werke
1/2, Berlin 1974, S. 363 - 68
38 Antikritik, a.a.O., S. 47
39 Vgl. hierzu: 0. Negt: „Indem Korsch die zwei Ebenen der Konstitution gesellschaftlicher
Wirklichkeit, nämlich Produktion und Klassenkampf von einander trennt, geraten auch die
spezifischen Formen aus dem Bewußtsein, in denen die einzelnen Klassen die Realität
verändern. Dadurch nimmt die Theorie von Korsch, in äußerstem Widerspruch zu ihrer In-
tention, Züge einer Widerspiegelungstheorie an." (Oskar Negt, Theorie, Empirie,
Klassenkampf. Zur Konstitutionsproblematik bei Karl Korsch, in: Fischer Jahrbuch I, a.a.O.,
S. 132
40 Antikritik, a.a.O., S. 60
41 Oskar Negt hatte geäußert, daß Korsch „praktisch an der zunehmenden Isolierung von den
realen Klassenkämpfen, theoretisch aber - und das mag paradox klingen - an seiner Marx-
Orthodoxie" scheiterte. (0. Negt, Theorie, Empirie, Klassenkampf, in: Fischer Jahrbuch I,
a.a.O.)
Die praktische Isolation hatte sicherlich theoretische Konsequenzen, jedoch hatte sich Korsch
durch seine Theorie auch praktisch isoliert. Was zu theoretischen Fragen führte, die m.E.
nicht in Richtung MarxOtthodoxie tendieren, wie ich im folgenden zeigen werde. Vgl. auch
meine Rezension in: Politikon Nr. 45, Göttingen 1974
42 W.I. Lenin, Materialismus und Empiriokritizismus. Kritische Bemerkungen über eine
reaktionäre Philosophie. Zitiert nach der Reclam-Ausgabe, Leipzig 1972, S. 394
43 Antikritik, a.a.O., S. 62
44 Vgl. hierzu Lenins anfängliche Konzession an die Sozialrevolutionäre und Anarchisten.
45 Bei all dieser Akzentuierung der Wissenschaftlichkeit schwebt diese Theorie nicht im
luftleeren Raum und wird von Korsch auch nicht als intellektuelle Beschäftigungstherapie
betrachtet. So lehnt er es ab, seine Meinung im Selbstverlag zu veröffentlichen, wie aus dem
Briefwechsel mit Adrian Turel hervorgeht. „Nach meiner Meinung schreibt man entweder für
sich selbst und für persönliche Bekannte oder für eine wirkliche Öffentlichkeit."
(Unveröffentl. Briefwechsel, Karl Korsch an Turel, v. 18.8.1929, Zentralbibliothek Zürich,
Turel MS 23)
46 Korsch hat sich zwar von der Praxis der Linksradikalen (KAPD, AAUD) distanziert,
dennoch liegt in Bezug auf die deutsche Situation der Vergleich zwischen Ultra-Linken der
KPD mit den Linksradikalen auf der Hand.
So hatte die seit 1925 „bolschewisierte" KPD letzten Endes immer noch mehr Erfolge als die
Ultra-Linken, die ebenso wie die Linksradikalen der KAPD, AAUD, FAUD durch Verbot und
Zersplitterung seit 1921 im Untergang waren. (Vgl. hierzu: M. Bock, Syndikalismus und
Linkskommunismus von 1918 - 1923, Meisenheim am Glan 1969).
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S. Bahne führt den Mißerfolg der oppositionellen KP-Gruppen „auf die wirtschaftliche und
politische Stabilisierung in Deutschland" zurück, die auch „die kommunistischen Anhänger
beeinflußte, vor allem aber auf die Zersplitterung jener Opposition und den grundsätzlichen
Erfolg, den die 'stalistische"Bolschewisierungs-Aktion', trotz vieler Fehlschläge im Einzelnen,
aufweisen konnte". (S. Bahne in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 1961, S. 365)

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ANMERKUNGEN TEIL II

1 Obwohl Hegel auf die historische Beziehung zwischen deutschem Idea-


lismus und französischer Revolution hingewiesen hatte, war dies den nachfolgenden
Generationen offenbar abhandengekommen. Im Anti-Kautsky geht Korsch auf diesen
Zusammenhang zwischen Theorie und Praxis, bürgerlicher und proletarischer Revolution ein
- er vollzieht aber noch nicht dieselben Schlüsse wie in seinen Thesen. „Das theoretische
Verhältnis der Marxschen materialistischen Dialektik zur idealistischen Dialektik Hegels,
welches das geschichtliche Verhältnis zwischen der bürgerlichen und proletarischen
Revolution genau widerspiegelt, ist nicht die einfache Negation, sondern die dialektische
Negation der Negation." Schon Hegel hatte in seiner idealistischen dialektischen Methode,
wie er selbst in der Vorrede zur „Phänomenologie" erklärt, den Standpunkt „des natürlichen
Bewußtseins" auf den Kopf gestellt. Er war sich auch des Zusammenhangs bewußt, der
zwischen dieser Revolution des Gedankens und dem gleichzeitigen geschichtlichen Prozeß
der französischen Revolution bestand. Er erklärt in der bekannten, von Engels in der
„Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft" wiedergegebene Stelle
seiner Geschichtsphilosophie, daß in jener Zeit die ganze bisherige Welt praktisch „auf den
Kopf gestellt" worden sei. Wie nun geschichtlich die proletarische Revolution nicht die
einfache Negierung der bürgerlichen Revolution, sondern die fortschreitende Entwicklung zu
einer höheren Stufe der revolutionären Praxis bedeutet, so ist auch theoretisch die neue
materialistisch dialektische Methode von Marx und Engels nicht die einfache Negation der
idealistischen Dialektik Hegels, sondern ihr gegensätzliche Weiterentwicklung zu einer auch
theoretisch höheren Form des Gedankens." (K. Korsch, Die Materialistische
Geschichtsauffassung, a.a.O., S. 17)
2 K Korsch über Hegel und die Revolution. Zitiert nach: Politikon Nr. 38,
Studentenzeitschrift, Göttingen 1971
3 Fisher Jahrbuch 2, a.a.O., S. 158
1950 präzisiert er diesen Standpunkt noch einmal: „Die wirkliche Bedeutung der Hegelschen
Dialektik - nicht eine revolutionäre Methode im Sinne eines revolutionären Werkzeugs,
sondern umgekehrt eine wirklich Revolution ist ausgedrückt, aber diese Revolution war a)
bürgerlich, die letzte große bürgerliche Zusammenfassung einer Entwicklung vom 11. oder
12. bis zum 18. Jahrhundert, b) eine volldurchgeführte einschließlich des Abschlusses und der
sogenannten Restauration, dies in der Hegelschen Synthese, die auch Marx beibehält." Über
den Hochmut der Marxisten. Unveröffentlichtes Manuskript/Korsch-Nachlaß, Intern. Inst. f.
Soz. Ges. A.
4 Einen Hinweis in dieser Richtung gibt es in Bezug auf das Marxsche
Wertgesetz. In Krise des Marxismus, a.a.O.
Rusconi hat diesen Ansatz erwähnt, aber auch nicht weitergeführt. (E. Rusconi, Dialektik in
pragmatischer Anwendung, a.a.O., S. 152)
5 Zur Geschichte der marxistischen Ideologie in Rußland, zitiert nach: Politische Texte
von Karl Korsch, herausgegeben von E. Gerlach und J. Seifert, Ffm 1974, S. 249
6 Im Grunde genommen erhebt er und das ist gegenüber den 20-er
Jahren eine neue Position, diesen Vorwurf auch gegenüber der marxistischen Theorie nach
1850: ,,sie entwickelte sich in der Folgezeit immer mehr zu einer bloß abstrakt anschauenden
Theorie". (Krise des Marxismus, 1931, zuerst veröffentlicht in: Die Materialistische
Geschichtsauffassung, 1971)
7 Staat und Konterrevolution, in: Politische Texte, a.a.O., S. 331
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8 Zur Geschichte der marxistischen Ideologie in Rußland, in: Politische


Texte, a.a.O., S. 254
9 MEW, a.a.O., S. 43
10 Politikon Nr. 38, a.a.O., S. 9
11 Bezeichnung nach Politikon Nr. 38
12 Politikon Nr. 38, a.a.O., S. 10
13 zitiert nach: Politikon Nr. 38, a.a.O. aus: Brecht, Werke, Band 20, S. 70 Suhrkamp-
Ausgabe
14 Politikon Nr. 38, a.a.O., S. 11
15 MEW 2, S. 88/89
16 K. Korsch, Karl Marx, zitiert nach 4. Auflage, S. 37, Ffm 1967; vgl. auch:
17 MEW 4, S. 143
18 Karl Korsch, Karl Marx, a.a.O., S. 38
19 Karl Korsch, Karl Marx, a.a.O., S. 38
20 Korsch an Parthos, 25.11.53, Fischer Jahrbuch 2, S. 158, Ffm 1975
21 Korsch an Parthos, a.a.O., S. 159
22 Korsch an Parthos, a.a.O., S. 158
23 Korsch an Parthos, a.a.O., S. 159
24 Korsch an Parthos, a.a.O., S. 161
25 Lukacs hatte in „Geschichte und Klassenbewußtsein" darauf hingewiesen, daß die
Bourgeoisie auf den Kampf der Arbeiterbewegung reagierte, in dem sie sowohl praktische als
auch theoretische Ergebnisse übernahm. Diese Defensivposition sei dann als Rückzugsgefecht
deutlich zu erkennen.
26 Karl Marx, Kapital 1, S. 21 (Nachwort zur 2. Auflage 1873)
27 Karl Marx, Kapital 1, a.a.O., S. 19
28 Korsch an Parthos, a.a.O., S. 162
29 In diese Richtung fallen auch Aufsätze wie „Warum ich Marxist bin"
30 Über seinen Schüler Paul Parthos, der auf Seiten der Anarchisten (FAI) an der Revolution
teilnahm, bekam Korsch detaillierte Informationen.
31 zitiert nach Schriften zur Sozialisierung, Einleitung E. Gerlach, EVA,
Ffm 1969
32 Revolutionäre Kommune, zitiert nach: Schriften zur Sozialisierung, Ffm 1969
33 Revolutionäre Kommune, a.a.O., S. 93
34 Revolutionäre Kommune, a.a.O., S. 94
35 Karl Marx, Das Elend der Philosophie, MEW 4, S. 181, Berlin 1972
36 Korsch an P. Mattik, 10/21/42, unveröffentlichter Briefwechsel, Institut für
Sozialgeschichte, Amsterdam
37 MEW 18, S. 480, Hervorhebung von W.Z.
38 Vgl. hierzu den französischen Theoretiker des revolutionären Syndikalismus Georges
Sorel. Ausgehend von der Annahme, daß die Menschen, die an großen sozialen Bewegungen
teilnehmen, sich ihre bevorstehenden Handlungen in Gestalt von Schlachtbildern vorstellen,
die den Triumph der Sache sichern, schlug er vor, „diese Bildungen, deren Kenntnis für die
Historiker von so großer Bedeutung ist, als Mythen zu bezeichnen: Der Generalstreik der
Syndikalisten und Marx katastrophenhafte Revolution sind Mythen." (G. Sorel, Über die
Gewalt, Ffm 1969)
39 vgl. Sorel, a.a.O., S. 28
In H.M. Enzensbergers Roman „Der kurze Sommer der Anarchie" wird über eine Sitzung zur
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Bildung antifaschistischer Milizen während der spanischen Revolution berichtet, an der auch
die Anarchisten teilnehmen - der Gegensatz zwischen der bürgerlichen Linken wurde auch
äußerlich sichtbar als die Anarchistenvertreter hereinkamen. Ein Augenzeuge berichtet: „Ich
nahm an den Sitzungen als Vertreter der Esquera teil, einer linksliberalen Partei. Wir kamen
wie typische bürgerliche Intellektuelle in die Sitzungen, Krawatte, Jacket, Füllfederhalter und
sahen uns unversehens einem Trupp von Anarchisten gegenüber, die unrasiert in ihren
Kampfanzügen zur Tür hereinkamen, mit Revolvern, Maschinenpistolen und Gurten, in denen
sie ihre Dynamitbomben trugen." Dies drückt sich auch in einem Antiintellektualismus aus.
Vgl. hierzu die Geschichte des Linksradikalismus in Deutschland, 1918 - 23, H.M. Bock,
Syndikalismus und Linksradikalismus, S. 323 - 327. H. Marcuse hat im Bezug auf die „Neue
Linke" wieder von den „Antiintellektuellen Intellektuellen" gesprochen, in: Konterrevolution
und Revolte, Ffm 1973
40 Revolutionäre Kommune, a.a.O., S. 101
41 Revolutionäre Kommune 1931, zitiert nach: Schriften zur Sozialisierung,
S. 102
42 Revolutionäre Kommune, Bakunin durch Korsch, a.a.O., S. 102/103
43 Revolutionäre Kommune, a.a.O., S. 106
44 Mit Rosdolsky plante Korsch die Herausgabe des Bakunin-Buchs „Staatlichkeit und
Anarchie". Er kritisierte die Herausgabe des Marxschen Konspekts zu diesem Buch durch
Rjasanoff und schlug vor: „Wir sollten etwas Ähnliches, ja sogar noch schärfere Scheidung
(Marx u. Engels nebeneinander auf verschiedenen Spalten, und immer Bakunin als Sprecher
und Marx als Gegensprecher) bei einer künftigen Herausgabe des Konspekts versuchen."
(Korsch an Rosdolsky, 2/12/52, Nachlaß Institut für Sozialgeschichte, Amsterdam)
45 Revolutionäre Kommune, a.a.O., S. 107
Vgl. hierzu auch Korschs Rezension „Das problem Staatseinheit - Föderalismus in der franz.
Revolution" (1930), hierin heißt es: „und wenn die von Marx und Engels begründete und in
unseren Tagen von Lenin wiederhergestellte Theorie der revolutionären proletarischen Dikta-
tur mit dieser Illusion des Babuvlstisch-Blanquistischen Sozialismus scheinbar völlig
gebrochen und für die Verwirklichung der spezifischen Aufgaben der proletarischen
Revolution auch einen spezifischen proletarischen Staat für notwendig erklärt hat, so besteht
doch der wesentliche Unterschied dieses neuen Staates der proletarischen Diktatur von der
bürgerlichen Jakobinerdiktatur auch nach der marxistischen und leninistischen Konzeption
wieder nur in seiner Zweckbestimmung, seinem sozialen Träger, kurzum in seinem
ökonomischen und sozialen Wesen, dagegen durchaus nicht in irgendeinem Unterschied
seiner pol. Form". (aus: Rev. Klassenkampf, S. 52/53, Berlin o.J.). Die Unzulässigkeit in der
Korschschen Argumentation besteht hierin, daß er nicht von dem ökonomischen und sozialen
Wesen die neue politische Form kritisiert, sondern umgekehrt verfährt und dabei der neuen
politischen Form die alte bürgerliche unterschiebt. Dieses Auseinanderfallen erklärt jedoch
nicht den tatsächlichen Entwicklungsprozeß.
46 Revolutionäre Kommune, a.a.O., S. 106/107
47 Zur Vorgeschichte der spanischen Revolution, Politische Texte, EVA. Korsch meinte, so
die Herausgeber der Textsammlung E. Gerlach und J. Seifert, die „Partido Democratico
Socialista Otrera" (PSOE), die 1879 von Pablo Iglesias gegründet wurde. Vgl. Fußnote S.
225, a.a.O.
48 Zur Vorgeschichte, a.a.O., S. 225
49 Zitiert nach: J. Joll, Die Anarchisten, S. 149, Ffm 1969. Vgl. hierzu einen
Aufsatz Korschs vor dem 1. Weltkrieg aus dem Jahre 1912, wo er noch Fabianer ist und auf
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die anarchosyndikalistische Gefahr aufmerksam macht. Er fordert in „Die sozialistische


Formel für die Volkswirtschaft", daß der Begriff „'Vergesellschaftung der Produktionsmittel'
durch eine genauere und ausführlichere Formel" ersetzt werden solle, da sonst nicht nur in
England, sondern auch in Deutschland, „die so viel einfacheren und dem Fabrikarbeiter so
viel näher liegenden Forderungen des Syndikalismus die herrschenden Dogmen des
Marxismus erheblich erschüttern werden." (Politische Texte, a.a.O., S. 18 u. 21)
50 Staat und Konterrevolution, in: Politische Texte, a.a.O., S. 332
51 Ein sehr anschauliches Beispiel lieferte Paul Parthos, ein Schüler Korschs, der auf Seiten
FAI am spanischen Bürgerkrieg teilnahm: „Alle diese Häuser (die Villen der Bourgeoisie,
W.Z.) wurden beschlagnahmt und z.T. den Organisationen als Amts- und Clublokale zur Ver-
fügung gestellt, z.T. Milizsoldaten und Arbeitern als Wohnung ausgeteilt. Ich habe einige
dieser Wohnungen besucht; der Eindruck ist äußerst merkwürdig, die Arbeiter zeigen mit
großem Stolz die manchmal recht geschmacklosen teuren Einrichtungen ihrer Riesenhäuser,
sie machten auch eine schöne Bibliothek aus den beschlagnahmten Büchern, aber die
Bibliothek ist praktisch beinahe unbenutzbar, weil die Schutzmaßnahmen zur Wahrung der
'schön gebundenen', 'seltenen' Bände soweit geht, daß das Lesen können dabei vollkommen
nebensächlich wird. So ist es auch mit den Wohnungen, es war ein erschütternder Anblick,
eine sympathische Arbeiterfamilie, beide Eltern alte Militante, mit 6 Kindern allen Alters, die
eine Villa mit 6 Zimmern, besser Sälen erhalten haben und sich alle in der Küche
zusammengezogen hielten, die in der bitteren Kälte wegen Kohlenmangel und teurem
Brennstoff auch nicht durchgeheizt werden konnte; sie hatten ein wunderbares Arbeits-
zimmer, aber der Genosse schrieb an einem kleinen Tisch, wo noch 2 Kinder Schulaufgaben
machten, seinen Bericht zur Sitzung irgendeines Komitees, weil das Licht doch teuer ist und
sie nur eine kleine 25-Birne brennen lassen können. Dieser Eindruck wiederholte sich hier
vielfach und bestätigte sich in anderen Maßstäben für das ganze Land; es war handgreiflich,
wie die 'kapitalistischen Verhältnisse' die Arbeiter auch dann gefangen halten, wenn sie an
einem lokalen Punkt wirklich Herren der Lage geworden sind, wenn sie auch die 'politische
Macht' haben, - und dazu noch das 'Klassenbewußtsein' usw. - um die Welt zu verändern: sie
verfügen theoretisch über die gesamten Reichtümer der bourgeoisen Welt, sie haben aber
nicht die 'Betriebsmittel', um die so erworbene Welt auch benutzen zu können." (Parthos an
Korsch, 31.1.1937, unveröffentlichter Briefwechsel, Institut für Sozialgeschichte, Amster-
dam)
52 Der Marxismus und die heutigen Aufgaben im proletarischen Klassenkampf, in: Politische
Texte, a.a.O., S. 320 und 326
53 Der Marxismus und die heutigen ..., a.a.O., S. 326
54 Staat und Konterrevolution 1939, in: Politische Texte, a.a.O., S. 334/335
55 Vgl hierzu: The Fascit Counterrevolution:
„Indeed, in many ways that counter-revolutionary of 1848 is comparable to the infinitely more
serious and more extended counter-revolutionary movement through which European society
is passing today alter the experience of the Russian, the German, and the other European revo-
lutions which followed in the wake of the first world war. Every party and every political
tendency had to go through a certain period of bewilderment until it had adapted itself to a
totally changed situation. Marx himself, although he utterly despised the imperialist
adventurer

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ANMERKUNGEN TEIL III

1 Karl Marx, Thesen über Feuerbach, MEW 3, Berlin 1969, S. 533ff


2 Vgl. hierzu: 1.6.2 und 2.3 dieser Arbeit
3 F. Engels, Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deut-
schen Philosophie, MEW 21, Berlin 1972, S. 267
4 Es wäre müßig, darüber zu streiten, ob nun Marx oder Engels wirklich
hier oder an anderer Stelle angenommen hätten, daß sich gegen ihre eigene Wissenschaft
gerichteter Materialismus entwickeln könne.
5 Marx über sein Verhältnis zu Hegel und Feuerbach, MEW 3, Berlin 1969,
S. 536
6 Ernst Bloch, Das Prinzip Hoffnung, Bd. 1, Ffm 1968, S. 298
7 Bloch, a.a.O., S. 298ff
8 Es gibt wenige Manuskripte, wo er andere Ansätze verfolgt. Deshalb
kann die folgende Argumentation als Grundtenor angesehen werden. Briefwechsel Korsch an
Brecht, zit. nach: Korsch-Nachlaß im Institut für Sozialgeschichte, Amsterdam
9 Korsch an Brecht, a.a.O.
10 ebd.
11 ebd.
12 Unveröffentlichtes Manuskript aus dem Jahre 1950, Korsch-Nachlaß im Institut für
Sozialgeschichte, Amsterdam
13 ebd.
because of his personal inadequacy, was inclined to believe in the revolutionary significance
of the counter-revolutionary coup. He discribed the historical outcome of the two years of
revolutionary defeat from 1848 to 1849 by the paradoxical statement that 'this time the
advance of the revolutionary movement did not effect itself through its immediate tragi-comic
achievements but, the other way round, through the creation of a united and powerfil counter-
revolution, through the creation of an antagonist by opposing whom the party of revolt will
reach its real revolutionary maturity'. And even alter the fateful event he most emphaticaly
restated his conviction that 'the destruction of the parliamentary republic contains the germs of
the triumph of the proletation revolution'. This is exactly what the german communists and
their Russian masters said 80 years later when they welcomed the advent of Nazism in Ger-
many as a 'victory of revolutionary communism." (aus: Living Marxism, Bd. 5 Nr. 2, New
York 1940. Vgl. Marx durch Korsch, alle Zitate in: Staat und Konterrevolution, a.a.O., S. 332
87
14 ebd.
15 ebd.
16 Daher auch sein Interesse für den Syndikalismus, Anarchismus.
17 Unveröffentlichtes Manuskript, a.a.O.
18 In den Versuchen über die Abschaffung ist noch ein deutlicherer Vergleich: ,,Wie Hegels
Philosophie der Ausdruck einer schon bestehenden Restauration ist, so wäre Marx die
antizipierende Restauration einer noch bevorstehenden Revolution." Karl Korsch, Das Buch
der Abschaffungen, unveröffentlichtes Manuskript, o.J., Institut für Sozialgeschichte,
Amsterdam (Korsch-Nachlaß)
19 unveröffentl. Manuskript, a.a.O.
20 ebd.
21 ebd. 22 ebd. 23 ebd.
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LITERATURLISTE

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Internationalen Instituts für Sozialgeschichte, Frankfurt 1967
ders.: Politische Texte. Hrsg. und eingeleitet von Erich
Gerlach und Jürgen Seifert, Frankfurt 1974
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ders.: Briefe. in: Fischer Jahrbuch 2, Arbeiterbewegung
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ders.: Briefe. Aus dem unveröffentlichten Korsch-Nach-
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Korsch, Karl: Über den Hochmut der Marxisten. Unveröffentlichter Vortrag aus dem Jahr
1950; Korsch-Nachlaß im Internationalen Institut für Sozialgeschichte Amsterdam
ders.: Lage und Perspektiven. Unveröffentlichtes Ma-
nuskript aus den Jahren 1952/53; Korsch-Nachlaß, a.a.O.
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Manuskript aus den Jahren 1952 bis 1954; Korsch-Nachlaß, a.a.O.
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HINWEIS

Der leider zu früh verstorbene Korsch-Schüler und SPD- Landtagsabgeordnete Erich Gerlach
war es, der mich schon früh auf die Schriften von Karl Korsch aufmerksam machte. Seinem
Andenken sei daher diese Arbeit gewidmet.
Mit einem Teil dieses Buches habe ich im Mai 1976 mein Politik- und Soziologie-Studium als
Magister an der Technischen Universität Hannover bei Professor Dr. Jürgen Seifert beendet.
Ihm danke ich für Betreuung und Verbesserungsvorschläge.
Mit Dr. Michael Buckmiller führte ich viele Debatten über Karl Korsch. Er las ebenso wie
Hartmut Apel und Walter Kehe das Manuskript. Ihnen sei auch gedankt. Haide Manns danke
ich für Schreibarbeiten. Mein Dank gilt außerdem dem Institut für Sozialgeschichte in
Amsterdam und der Handschriftenabteilung der Zentralbibliothek in Zürich.
Hannover im Januar 1978

„Das was ist zu begreifen, ist die Aufgabe der Philosophie, denn das was ist, ist die Vernunft.
Was das Individuum betrifft, so ist ohnehin jeder ein Sohn seiner Zeit; so ist auch die
Philosophie ihre Zeit in Gedanken gefaßt. Es ist ebenso töricht zu wähnen, irgendeine
Philosophie gehe über ihre gegenwärtige Welt hinaus, als ein Individuum überspringe seine
Zeit.”

G.W.F. Hegel
„Rechtphilosophie"

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