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Thomas Brezina

JAGD AUF DEN


100 MILLIARDEN
DOLLAR SCHATZ

SONDERBAND
zum 10jährigen Jubiläum der
Knickerbocker-Bande

Mit Illustrationen von


Dietmar Krüger

Ravensburger Buchverlag
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Der Titeldatensatz für diese Publikation


ist bei Der Deutschen Bibliothek erhältlich

Die Schreibweise entspricht den Regeln


der neuen Rechtschreibung.

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© 2000 Ravensburger Buchverlag Otto Maier GmbH


Umschlagillustration: Ferenc B. Regös
Umschlaggestaltung: Designagentur Krafft/Dirk Lieb

Printed in Austria

ISBN 3-473-47131-3 (Ausgabe Deutschland, Schweiz)


ISBN 3-473-47132-1 (Ausgabe Österreich)

Scan: crazy2001 @ 02/2011


DER NAME
KNICKERBOCKER-
BANDE
ENTSTAND…
- als Axel, Lilo, Poppi und Dominik von Lord Conrad of Knickerbocker ausgezeichnet
wurden, weil sie seinen entlaufenen Mops gefunden hatten,

- als Axel einen Weltrekord aufstellte und in 22 Knickerbocker-Hosen in nur 30 Sekunden


Löcher gebissen hatte,

- als Poppis Papagei zum ersten Mal ein Wort von sich gab und es sich nach
„Knickerbocker“ anhörte,

- als die vier den Zeichenwettbewerb einer Lederhosenfirma gewannen und einander bei
der Preisverleihung kennen lernten,

- als Dominik der jüngste Student an der Knickerbocker-Universität wurde,

- als Lieselotte endlich das Rätsel der jodelnden Knickerbocker-Hosen gelöst hatte,

- als Axel, Lilo, Poppi und Dominik sieben entsprungene Knickerbocker-Hosen wieder
eingefangen haben,

- als der Song „Knickerbocker Kiss“ in der Hitparade auf Platz 1 landete.

Richtige Erklärung bitte ankreuzen. Die Lösung steht auf Seite 124.
ERSTES KAPITEL

In dem die Knickerbocker-Bande


am helllichten Tag eine höchst unheimliche
Entdeckung macht.

„Das Schiff erinnert mich an einen schwimmenden Sarg“, sagte Dominik mit leiser, dunkler
Stimme.
Lieselotte verdrehte die Augen. „Mann, wie kann man nur so überspannt sein. Du mit deinen
ewigen Horrorgeschichten! Du siehst wohl schon überall Geister, Grabsteine und Särge.“
Wütend funkelte Dominik sie an. „Ich bin nicht überspannt, das verbiete ich mir! Du musst
doch zugeben, dass die Form des Schiffes Ähnlichkeit mit einem Sarg hat.“
„Könntet ihr bitte von etwas anderem reden“, bat Poppi die beiden. Obwohl es ein warmer
Sommertag war, hatte sie nämlich bereits eine Gänsehaut.
„Also, sag du, sieht dieses Schiffswrack wie ein Sarg aus Metall aus, der sanft auf den Wellen
des Flusses schaukelt, oder nicht?“, wollte Dominik nun unbedingt von Poppi wissen.
Axel tippte sich an die Stirn. „Wofür hältst du dich? Für einen Dichter?“ Er spitzte die Lippen
und äffte seinen Knickerbocker-Freund nach:
„... ein Särgelein, das munter auf den Wellen des Flüsseleins schaukelt.“
„So habe ich das nicht gesagt!“, verteidigte sich Dominik.
„Schluss jetzt!“, fuhr Lilo dazwischen. „Wir sind nicht hergekommen, um zu streiten.“
„Ist das überhaupt das richtige Schiff?“, fragte Axel.
Lilo, die oft als das Oberhaupt und Superhirn der Knickerbocker-Bande bezeichnet wurde, zog
einen abgegriffenen, zerknitterten Zettel aus der Hosentasche. In krakeligen, altmodischen Buch-
staben stand darauf geschrieben: „... erwarte ich euch dringlich zur Mittagsstunde an Bord des
Kahnes, der vor dem Kilometerstein Nummer 233 vor Anker liegt.“
Axel klopfte auf einen schiefen Granitpflock, in den die Zahl 233 eingemeißelt war. Sie waren
also an der richtigen Stelle.
„Sehr Vertrauen erweckend wirkt dieses alte Wrack aber nicht. Es scheint überhaupt nur noch
aus Rost zu bestehen“, meinte Dominik naserümpfend.
„War früher sicher einmal ein Frachtkahn, der Kohle, Eisenbahnschienen und ähnliches Zeug
hier auf der Donau transportiert hat“, vermutete Axel.
Poppi bückte sich und hob aus dem hohen Gras ein Brett mit Trittsprossen auf. „Damit
kommen wir wohl an Bord. Das Ding dürfte lang genug sein.“
Noch immer hatten die vier Mitglieder der Bande keine Ahnung, wer ihnen den rätselhaften
Brief geschickt hatte. Er steckte am Morgen an der Tür ihres Banden-Hauptquartiers, das sich in
der Villa von Frau Binder befand. Sie hatte den vieren das Zimmer im Gartengeschoss kostenlos
zur Verfügung gestellt, da Poppi sehr oft bei der Pflege ihrer Tiere half.
Fest stand für die Junior-Detektive, dass der Schreiber des Briefes nicht mehr sehr jung sein
konnte. Seine Sprache wirkte verstaubt. Höchstens Dominik redete manchmal so, weil er die
Sprache von seinen Theaterauftritten her kannte. In dem Brief war den vieren ein wichtiges
Treffen angekündigt worden, das möglicherweise zu einem neuen Fall führen könnte. Es ginge
um einen Schatz, wie ihn die Welt noch nicht gesehen habe. Da Ferien waren und die
Knickerbocker-Bande sich bereits langweilte, waren die Freunde über den Brief höchst erfreut
gewesen.
Axel und Lilo schoben das Brett vom Ufer in Richtung Schiffsdeck, bis es dieses erreichte.
Nachdem sie sich versichert hatten, dass es gut und fest lag, balancierte Axel als Erster darüber.
Ihm folgte Lieselotte. Poppi und Dominik zögerten noch. Beiden war der alte Transportkahn un-
heimlich.
„Falls ihr euch nicht traut, kein Problem, wir gehen auch allein“, rief Axel ihnen zu.
Nein, als Feiglinge wollten die anderen beiden auch nicht dastehen. Poppi lief mit schnellen
kleinen Schritten über das schmale Brett und wurde von Lilo an Bord gezogen. Dominik hatte
größere Schwierigkeiten. Schon nach einem Meter begann er heftig zu schwanken und mit den
Armen zu fuchteln. Er ließ sich sicherheitshalber auf alle viere nieder und kroch die kurze
Strecke. Die anderen waren zu aufgeregt, um darüber ätzende Kommentare abzugeben.
Schließlich war die Bande an Bord des alten Frachters versammelt. Mit angehaltenem Atem
standen die vier da und lauschten. Das Wasser des Flusses rauschte an der Schiffswand vorbei.
Immer wieder schlugen Wellen wie kleine Hämmer dagegen. Nur ganz langsam und träge be-
wegte sich das Schiff hin und her. Dabei ächzte es aus allen Schweißnähten und Fugen, als würde
es demnächst zerfallen.
Nachdem sie sich geräuspert hatte, rief Lilo: „Hallo? Ist da jemand?“
Keine Antwort!
Die Kabinenaufbauten standen noch, die Fenster waren aber alle eingeschlagen. In einem klei-
nen offenen Häuschen auf dem Dach des Aufbaus erkannten die vier das Steuerhaus mit dem
Steuerrad und dem Gashebel. Dann sahen sie: Nur wenige Schritte von ihnen entfernt befand
sich eine schmale Luke, hinter der eine steile Treppe in die Tiefe des Schiffsbauches führte.
Dominik deutete mit dem Kopf darauf und fragte: „Gehen wir runter?“
Axel und Lilo sagten nichts und gingen ein paar Schritte an Deck auf und ab. Prüfend blickten
sie sich um. Es gab hier ein paar verwitterte, zum Teil zerbrochene Holzkisten, die aber alle leer
waren. Am Bug, wo die linke und rechte Bordwand zusammenstießen, lag eine aufgerollte Kette.
Die Glieder waren so groß wie Fäuste, und wahrscheinlich war früher der Anker daran befestigt
gewesen.
Liselotte trat an die Reling und blickte zum Ufer zurück. Wo die Knickerbocker-Bande ge-
standen hatte, war das Gras niedergetrampelt. Überall sonst war es hüfthoch und bildete eine
grüne Wand. Auch auf der anderen Schiffsseite war nichts von Bedeutung zu entdecken. Der
Fluss glitt träge am Schiff vorbei. Das Wasser sah nicht blau, sondern eher grünbraun und an
manchen Stellen sogar silbrig wie flüssiges Quecksilber aus.
„Könnte es sein, dass sich jemand mit uns einen Scherz erlaubt?“, fragte Lilo die anderen, als sie
zurückkam.
„Möglich ist alles“, meinte Axel.
Im nächsten Augenblick hörten die vier etwas, das sie zuerst für ein Ächzen der Schiffsplanken
hielten. Tatsächlich aber war es eine Stimme. Eine eindeutig höchst menschliche Stimme. Jemand
stöhnte gequält, fast wie mit letzter Kraft. Als sie genauer hinhörten, konnten sie sogar Worte
verstehen.
„Kommt runter ... schnell... bevor es zu spät ist“, verlangte die Stimme.
Lilo trat an die offene Luke und rief in das enge Treppenhaus: „Wer sind Sie? Hallo?“
„Bist du sicher, dass die Stimme von dort unten kommt?“, fragte Dominik flüsternd.
„Ganz sicher.“ Lieselotte hielt sich am Rahmen der Luke fest und drehte ein Ohr in Richtung
Unterdeck. Angestrengt und mit angehaltenem Atem lauschte sie.
„Ich erwarte euch ... hier unten ... kommt bitte!“, wiederholte die seltsame Stimme. Dem Klang
nach musste sie einem uralten Mann gehören.
Axel wollte schon losgehen, aber Lilo hielt ihn zurück. „Spinnst du? Das kann auch eine Falle
sein.“
„Wer sollte uns eine Falle stellen?“
Darauf wusste Lilo auch keine Antwort, trotzdem ließ sie ihren Knickerbocker-Freund nicht
weitergehen.
„Es bleibt nicht mehr viel Zeit, also bitte, macht schneller!“, flehte die Stimme. Sie wurde von
Satz zu Satz leiser und schwächer.
„Nennen Sie Ihren Namen“, forderte Lieselotte.
„Was tut jemand überhaupt dort unten?“, fragte Dominik leise. „Dort kann es doch nur Rost
und Ratten geben.“
Aus der Tiefe kam ein gequälter Schrei, dem gespenstische Stille folgte.
Die Knickerbocker-Bande wartete. Sekunden verstrichen. Schließlich war eine ganze Minute
vergangen, doch der Unbekannte hatte keinen Ton mehr von sich gegeben.
„Was ist los?“ Lilos Stimme war auf einmal zittrig und heiser.
Auf dem Unterdeck rührte sich nichts mehr.
ZWEITES KAPITEL

Ein vergessener Ort,


ein verschwundener Mann
und ein Wutausbruch

Niemand wusste von dem Verlies. Der einzig bekannte Zugang war bereits vor mehr als hundert
Jahren verschüttet worden. Aus der alten Festung, die sich stolz auf einer Felsnase am Fluss er-
hob, hatte eine steile Treppe in die Tiefe des Berges geführt. Die Stufen waren grob in den Stein
gehauen, uneben und sogar noch im Frühsommer von einer Eisschicht bedeckt. Gefangene, die
von Soldaten über diese Treppe geführt wurden, wussten, was es für sie zu bedeuten hatte: Sie
würden den Kerker wohl kaum wieder lebendig verlassen.
Aber das war schon lange her. Damals war die Festung von Raubrittern und Flusspiraten be-
wohnt worden. In den vergangenen zweihundert Jahren war das wuchtige Gemäuer mit den me-
terdicken Mauern, den kleinen Fensterluken und den hohen Türmen nach und nach in ein Wohn-
haus umgebaut worden.
Doch - so richtig gemütlich war es nie geworden. Im Winter schien es fast unmöglich, die
Räume zu beheizen und warm zu bekommen, und fast den ganzen Sommer strahlten die Steine
noch die eisige Kälte des Winters ab.
Als bei einem Erdbeben vor zwanzig Jahren ein Turm und der morsche Dachstuhl eingestürzt
waren, hatte der letzte Besitzer beschlossen, die einstmals so stolze Festung zu verkaufen. Da
aber niemand den viel zu hohen Preis bezahlen wollte, war das Gemäuer mehr und mehr ver -
fallen. Heute konnten die Reste höchstens noch Ruine genannt werden.
Der alte Zugang in den Keller war von einem der früheren Besitzer zugemauert und zur Sicher-
heit auch gleich zugeschüttet worden. Der Mann hatte Angst gehabt, eines seiner kleinen Kinder
könnte die lange Treppe hinabstürzen und sich verletzen.
Vor gar nicht allzu langer Zeit war dann in einem Trödlerladen der Stadt eine Truhe auf-
getaucht, die früher einmal in der Festung gestanden hatte. Im Boden dieser Truhe befand sich
ein verwitterter Plan, der auf brüchiges, graues Papier gezeichnet war.
Der Käufer der Truhe hatte ihn gefunden und nicht schlecht gestaunt. In den Plan waren nicht
nur die Grundrisse der Festung eingetragen, sondern vor allem auch ein Netz aus
Geheimgängen, die die Felsen wie lange Wurmlöcher durchzogen. Die Gänge führten zu den
Kellern verschiedener Häuser, zum Ufer des Flusses und sogar in die unterirdischen Gewölbe
des alten Rathauses am Hauptplatz.
Viele Nächte lang hatte der Mann die Gänge mit Taschenlampe und Kompass durchwandert
und sie auf einer Kopie der alten Karte genau beschriftet. Zur großen Verwunderung des Mannes
waren sie alle unversehrt, und er konnte aufrecht darin herumwandern. Nur an einigen wenigen
Stellen lagen Felsbrocken herum, die aber nie den Weg versperrten.
Völlig überraschend war er dann auf einen Gang gestoßen, der niedriger als die anderen war.
Der Zugang war mit einer verwitterten Eisentür verschlossen, die bereits bei der ersten
Berührung zerfiel. Der Rost hatte sie völlig zernagt und zerfressen.
Hinter der Tür erstreckte sich ein weiterer Gang, der immer niedriger und niedriger wurde. Das
letzte Stück musste man sogar auf allen vieren zurücklegen. Dann aber kam man in einen Raum,
der mehr hoch als breit war und an eine Höhle erinnerte. Die Luft war feucht und stank nach
verfaultem Stroh. In der Wand waren grobe Metallhaken zu erkennen, an denen Ketten mit
breiten Armfesseln hingen.
Es handelte sich um das alte Verlies, und der nicht verzeichnete Zugang schien von jemandem
gegraben worden zu sein, der einen Gefangenen hatte befreien wollen.
Der Mann hatte damals gelächelt, als er das Verlies entdeckte. Er hatte den unbekannten Zu-
gang auf der Karte eingetragen und neben dem Raum eine Notiz gemacht: „Für Leute, die be -
stimmt nie wieder gefunden werden sollten.“
Und genau so ein Mensch war jetzt in dem vergessenen Verlies gefangen. Es handelte sich um
einen Mann mit mittellangen, schneeweißen Haaren. Früher war er immer glatt rasiert gewesen,
aber nach zwei Wochen Gefangenschaft war weißer Bart auf seinen Wangen und seinem Kinn
gesprossen. Ein Bein steckte in einer metallenen Fußfessel, die mit einer kurzen Kette an der
Wand befestigt war. Fußfessel und Kette waren neu, und es half kein Ziehen und Zerren. Weder
war es möglich, die Fessel abzustreifen, noch konnte man die Kette aus der Wand reißen.
Zum Liegen hatte der Mann eine alte Luftmatratze, das wenige Essen bekam er in einer Plas-
tikdose. Meistens bestanden die Mahlzeiten aus einem Stück Käse, Brot und einem Apfel. Wasser
brachte man ihm in einer alten Feldflasche.
Das Schlimmste waren die Dunkelheit und die Stille. Das Verlies hatte kein Fenster, und zu hö-
ren gab es nicht einmal das Klatschen von Wassertropfen. Ob Tag oder Nacht war, wusste der
Mann nicht mehr. Man hatte ihm die Armbanduhr abgenommen.
Aber warum er hier unten gefangen gehalten wurde, das wusste er genau. Seine Peiniger woll -
ten etwas von ihm erfahren, doch er würde es ihnen niemals verraten. Sobald sie es wüssten,
würden sie ihn bestimmt nicht freilassen, wie sie das versprochen hatten. Ganz im Gegenteil: Sie
würden ihn einfach „vergessen“. Und es würde auch niemand nach ihm suchen, denn es gab nie-
manden mehr, der ihn vermisste, dachte er bitter. Bestimmt würde es wieder einige hundert
Jahre dauern, bis jemand durch Zufall den unterirdischen Raum fand.
Aus dem Fluchttunnel, der jetzt der Zugang zum Kerker war, ertönte ein Schaben und Kratzen,
das Zeichen, dass jemand kam. Der Lichtkreis einer Taschenlampe tanzte über die Wand neben
dem Gefangenen. Eine Frau steckte ihren Kopf aus der Öffnung im Felsen und leuchtete dem
Mann direkt ins Gesicht. Geblendet schloss er die Augen und hob schützend den Arm.
„Und bist du jetzt bereit, mit der Information rauszurücken?“, fragte die Frau. Vom Grüßen
hielt sie offenbar wenig.
„Ich wünsche einen guten Tag“, sagte der Mann. Es kostete ihn viel Kraft und Überwindung, so
höflich zu bleiben, doch er hatte beschlossen seine Entführer auf diese Weise zu zermürben.
Vielleicht kam ihnen dann irgendwann der Gedanke, dass sie mit der Dünkelhaft in dem
vergessenen Verlies gar nichts erreichten. Er hatte noch den Funken einer Hoffnung, sie würden
ihn dann wieder fortbringen.
Die Ruhe und Höflichkeit des Mannes brachte die Frau völlig aus der Fassung. „Hör zu, du al -
ter Knacker!“, schrie sie. „Ich ... ich werde durchsetzen, dass dir auch noch das Essen und das
Wasser gestrichen werden. Mal sehen, wie lange du dann noch dichthältst.“
Der alte Mann klopfte auf seinen runden Bauch, der zwar in den vergangenen Tagen bestimmt
ein bisschen flacher geworden war, trotzdem aber zeigte, dass er noch einige Reserven besaß.
„Mach dich nicht lustig über mich!“ Die Stimme der Frau überschlug sich, so hysterisch
kreischte sie. „Du wirst es uns noch sagen, du musst! Wir werden dich dazu bringen, verlass dich
drauf. Mit deiner Sturheit und Verstocktheit kommst du hier nicht raus.“
Die Augen des Mannes hatten sich an das Licht gewöhnt.
Er konnte einen Blick auf die große Armbanduhr der Frau werfen und erkennen, dass es
ungefähr Mittag sein musste. Sofort sagte er sich immer wieder im Kopf vor: „Mittag, es ist
Mittag, es ist draußen hell, die Sonne steht am Himmel.“ Er machte das so gut, dass er die
warmen Sonnenstrahlen fast spüren konnte.
Fluchend kroch die Frau rückwärts davon. Die Dose mit seinem Essen und die Wasserfla sche
hatte sie zum Glück dagelassen. Der Mann konnte mit dem Fuß danach fischen und beides zu
sich ziehen.
„Nein, ich werde mich von diesen armseligen Gaunern nicht in die Knie zwingen lassen“, sagte
er sich laut vor. „Überhaupt hast du schon ganz andere Sachen durchgestanden und überlebt. Du
wirst auch diese missliche Lage meistern“, sprach er sich selbst Mut zu.
Um nicht verrückt zu werden, redete er viel mit sich selbst. Er führte lange Selbstgespräche und
malte sich immer wieder den Tag aus, an dem er aus dem Verlies befreit werden würde. An diese
Vorstellung klammerte er sich wie an einen Strohhalm.
Sein Geheimnis war groß, und er verstand, dass die Entführer es unbedingt aus ihm heraus-
pressen wollten. Zum Glück hatte er die schriftlichen Aufzeichnungen darüber gut versteckt.
Niemals würde er etwas verraten. Lieber nahm er das Geheimnis mit ins Grab ...
DRITTES KAPITEL

Axel erlebt eine sprechende,


Dominik eine sehr nasse Überraschung, und
die Bande steht vor einem tierischen Rätsel.

„Ich gehe nachsehen“, verkündete Axel, schob Lilo zur Seite, packte links und rechts an der
Wand das Geländer und stieg Stufe für Stufe in die Dunkelheit hinab. Als das Licht von oben
nicht mehr ausreichte, holte er seine Mini-Taschenlampe heraus, die jeder Knickerbocker immer
bei sich trug. Er drehte am vorderen Ende, schaltete sie auf diese Weise ein und leuchtete auf die
restliche Treppe, die noch vor ihm lag. Wo sie endete, erstreckte sich ein niedriger Raum, der von
mehreren Metallsäulen abgestützt wurde. Außer einem zertrümmerten Stuhl und einem Tisch,
der in der Mitte auseinander gebrochen war, gab es weder Möbel noch Einrichtung.
„Und, was ist?“, kam von oben Lilos Stimme.
„Nichts, ich kann nichts erkennen“, meldete Axel. „Das ist ein total schrottreifer Kahn.“
„Aber wer hat geschrien?“, wollte Lieselotte wissen.
„Das war ich!“, ertönte neben Axel eine Stimme, deutlich und klar. Er erschrak so heftig, dass er
ausrutschte und ein paar Stufen in die Tiefe schlitterte. Sein Herz hämmerte wie wild und der
Schweiß trat ihm aus allen Poren. Hektisch sah er sich um, leuchtete alles links und rechts ab und
entdeckte schließlich, woher die Stimme kam.
„Und?“ Gespannt sahen ihn seine Freunde an, als er mit langsamen Schritten wieder oben er-
schien.
Wortlos streckte ihnen Axel ein Funkgerät entgegen. Es war mit einem Stück Draht an der
Wand befestigt gewesen. Kopfschüttelnd nahm es ihm Lilo aus der Hand, drehte und wendete
es, betrachtete es von allen Seiten und murmelte dabei: „Das ... das gibt es doch nicht!“
„Knickerbocker-Bande, bitte melden!“, kam eine Männerstimme aus dem Lautsprecher.
Lieselotte drückte verschiedene Tasten, war sich aber nicht sicher, ob es die richtigen waren.
Axel nahm ihr das Gerät ab, hielt es an den Mund und sagte: „Hier spricht Axel von der Kni-
ckerbocker-Bande. Wer sind Sie, was wollen Sie, und wozu das Theater? Kommen!“
„Nicht so forsch, Junge“, lautete die Antwort. „Es sei denn, ihr seid an einem Auftrag nicht
interessiert.“
„Wir sind interessiert, haben aber keine Lust auf weiteres Versteckspiel und Rätselraten“, er-
klärte Axel kühl. Lilo bedeutete ihm, die Sprechtaste gedrückt zu halten und fügte hinzu:
„Außerdem reden wir nur mit Leuten, die sich auch vorstellen und einen Namen haben.“
„Sehr schlau“, lobte der Unbekannte, allerdings war der Spott in seiner Stimme nicht zu
überhören. „Namen können aber auch falsch sein.“
Da mussten ihm die Junior-Detektive Recht geben.
„Passt auf, ihr werdet mich in Kürze kennen lernen, und ich freue mich schon auf eine Be-
gegnung. Allerdings müsst ihr zuerst eine kleine weitere Prüfung bestehen. Ich habe noch immer
Zweifel, ob ihr für mein Vorhaben überhaupt die Richtigen seid.“
„Prüfung? Sind wir in der Schule?“ Dominik schnitt eine Grimasse.
„Ich habe meine Adresse versteckt. Sie befindet sich unterhalb eines lautlosen Tieres, das jeden
Tag eine andere Auskunft gibt.“
„Wie bitte, was soll das heißen?“, wollte Axel wissen.
„Es ist eure Aufgabe, das herauszufinden. Wenn ihr es schafft, sehen wir uns demnächst. Wenn
nicht, war es nett, mit euch gesprochen zu haben.“
Ein Knacksen zeigte an, dass der andere sein Gerät abgedreht hatte.
Axel betrachtete das Funkgerät in seiner Hand. „Was tun wir damit?“
„Mitnehmen!“, entschied Lieselotte.
Poppi sah die anderen fragend an. „Suchen wir das Tier ?“
Dominik grinste unternehmungslustig. „Habt ihr heute etwas Besseres vor?“
„Nein!“, lautete die einstimmige Antwort.
„Na ja, dann können wir das ganze Unternehmen doch zumindest als Training unserer kleinen
grauen Grübelzellen verstehen.“
„Ja, Herr Professor, wirklich sehr vernünftig“, ätzte Axel. „Sie reden schon fast wie meine Mut -
ter.“
Dominik schnitt Axel eine Grimasse, streckte das Kinn entschlossen vor und schritt auf die
Planke zu, über die es zurück zum Ufer ging. Da er nicht wieder auf allen vieren kriechen wollte,
nahm er seinen Mut zusammen und betrat das schmale Brett. Die Arme zum Ausbalancieren
nach links und rechts gestreckt, setzte er Fuß vor Fuß. Nachdem er ungefähr die Hälfte des
Weges zurückgelegt hatte, kam er auf die dumme Idee, einen Blick nach unten ins schlammige
Uferwasser zu werfen.
Das hätte er besser nicht tun sollen! Er verlor das Gleichgewicht, zappelte noch kurz, flatterte
mit den Armen, als wollte er abheben, und kippte dann zur Seite. Mit einem lauten Platsch
landete er im Wasser. Als er auftauchte, war sein Hemd nicht mehr weiß und sein Haar klebte
am Kopf. Trost und Hilfe erhielt er von seinen Freunden nicht, dafür empfing ihn schallendes
Gelächter.
Schimpfend kämpfte sich Dominik zu den großen Steinen weiter, die am Rande des Flussbettes
lagen. Er kletterte an Land und riss sich Hemd und Hose vom Körper. Nachdem er mit Axels
Hilfe die Sachen ausgewrungen hatte, legte er sie zum Trocknen in die Sonne.
„Könntet ihr bitte in die andere Richtung sehen“, forderte er die Mädchen auf. „Ich trage
schließlich nur Boxershorts und Socken.“
Kichernd drehten sich Lilo und Poppi zur Seite.
„He, Poppi, große Tierexpertin, zeig was du kannst!“, rief Axel. „Um welches Tier könnte es
sich handeln?“
Poppi hatte darüber bereits nachgedacht, aber noch keine Lösung gefunden. „... ein lautloses
Tier, das jeden Tag eine andere Auskunft gibt“, wiederholte sie die Worte des Unbekannten. „Es
gibt keine lautlosen Tiere.“
Lilo deutete auf die Donau. „Und was ist mit den Fischen?“
„Die meisten geben auch irgendwelche Laute von sich. Manche knurren, andere klicken und
schnalzen“, erklärte Poppi. „Außerdem muss das gesuchte lautlose Tier auch noch eine Auskunft
geben.“
„Ein Karpfen ... der ein Radio verschluckt hat, das noch immer läuft!“, kombinierte Axel und
grinste breit.
„Klar, und dieser Karpfen hat eine Tasche umgehängt, in der sich die Adresse des großen
Unbekannten befindet!“, fügte Lilo postwendend spöttisch hinzu.
Axel deutete mit ausgestrecktem Zeigefinger auf sie und rief: „He, nicht schlecht, das könnte es
doch sein!“
Den Kopf in die Hände gestützt, starrte Dominik düster vor sich hin. Er konnte es nicht leiden,
wenn die anderen sich über ihn lustig machten. Er war beleidigt.
Am anderen Ufer der Donau erstreckte sich ein kleiner Auwald, hinter dem steile Hänge lagen,
auf denen Wein angebaut wurde. Ein Stück weiter flussabwärts lag am Fuße eines hohen Felsens
ein Dorf mit bunten Häusern, das wie aus einem Zeichentrickfilm aussah.
„Ich hab's!“, verkündete Dominik.
„Was?“, wollten die anderen wissen.
„Ich kenne das gesuchte Tier und weiß, wo wir suchen müssen. Vielleicht ist es nicht dieser Ort,
aber in der Nähe befinden sich bestimmt noch weitere, an denen wir auch nachsehen können.
Die anderen verstanden gar nichts. Dominik freute sich über die ratlosen Gesichter. „Tja, ich
mag vielleicht nicht Axels Muskeln haben“, sagte er spitz, „dafür aber habe ich eine große
Portion Hirn bekommen. Wasserfest! Zum Glück.“
Noch immer hatten die anderen keine Ahnung, was er meinte. Dominik prüfte seine Klamotten,
die schon wieder halbwegs getrocknet waren. Er schlüpfte hinein und kommandierte:
„Mitkommen!“
VIERTES KAPITEL

Nach einem Erfolg gibt es


eine große Enttäuschung und danach
eine noch größere Verwunderung.

Die Bande steuerte die nächste Brücke an und überquerte die Donau. Laut tutend glitt unter
ihnen ein Frachtschiff vorbei, das Autos geladen hatte und kein Ende zu nehmen schien.
Dominik radelte voran und führte seine Freunde in das Dorf, das er von der anderen Flussseite
aus gesehen hatte.
„Aha, und was sollen wir hier? Hier gibt es höchstens Mäuse!“, witzelte Axel.
Dominik ließ sich davon nicht aus der Ruhe bringen. Sein Ziel war der malerische Hauptplatz,
der von bunten Fachwerkhäusern gebildet wurde. Besonders prachtvoll verziert und bemalt war
das alte Rathaus, neben dem sich eine Kirche erhob.
„Was seht ihr dort oben?“ Dominik deutete zur Spitze des Kirchturms.
„Ein Dach!“, lautete Axels Antwort.
„Und auf dem Dach?“ Dominik redete wie ein genervter Lehrer, der ungeduldig auf die
richtige Antwort wartete.
„Der Wetterhahn!“, rief Poppi. „Klar! Er gibt keinen Ton von sich, aber jeden Tag zeigt er an,
aus welcher Richtung der Wind weht.“
„Falls das stimmt und wir dort wirklich eine Botschaft finden, Kompliment!“, sagte Lieselotte
anerkennend.
Am Kirchenportal trafen sie auf einen alten Mann in weiten Cordhosen und einem gestreiften
Hemd, der gerade die Scharniere des Tores ölte. Poppis treuherzigem Blick konnte er wohl nicht
widerstehen, und deshalb gab er schnell nach und ließ Poppi und Axel über eine sehr enge, sehr
steile Holztreppe zur Kirchturmglocke hinaufsteigen.
„Da ist etwas!“, rief Axel aufgeregt. Mit Heftpflaster war an der Glocke ein Brief befestigt, der
die Aufschrift trug: „Nur für die Knickerbocker-Bande!“ Mit zitternden Fingern riss Axel den
Umschlag auf und zog einen weißen Zettel heraus. „Kellergasse 17“ stand darauf, sonst nichts.
Unter lautstarkem Getrampel kamen die beiden wieder die ausgetretene Treppe herunterge-
donnert, stürmten an dem Mann vorbei und riefen im Laufen: „Danke vielmals!“
„Was ist dort oben nur los? Das waren heute schon die Zweiten, die hinaufwollten!“, sagte der
alte Mann zu einer Frau, die neben ihm stand und mit ihm plauderte.
Dominik hatte die letzten Worte aufgeschnappt, blieb stehen und erkundigte sich: „Wer war
vor uns da?“
„So ein junger Mann in Jeans und heraushängendem Hemd!“, berichtete der Alte. „Eine Son-
nenbrille hat er getragen und einen Wagen mit Stoffdach fährt er.“
„Wer das ist, wissen Sie nicht?“
„Nie gesehen, den Burschen. Ist nicht von hier!“
Da die anderen nicht bemerkt hatten, dass Dominik zurückgeblieben war, hatten sie einen
großen Vorsprung. Keuchend holte sie der Knickerbocker erst in der Kellergasse ein. Nummer 17
war ein doppelflügeliges Tor, das in einen unterirdischen Weinkeller führte. Eine Hälfte stand
einen Spaltbreit offen.
Hastig berichtete Dominik, was er erfahren hatte.
Lieselotte drückte die Sendetaste des Funkgerätes und sagte in das Mikrofon: „Wir stehen vor
dem Tor, das Sie in Ihrem Brief angegeben haben.“
„Gratuliere!“, kam die Antwort, allerdings nicht aus dem Funkgerät, sondern direkt hinter der
Tür hervor, die mit einer schnellen Bewegung aufgezogen wurde. Ein junger, ungefähr dreißig
Jahre alter Mann trat heraus. Er hatte etwas besonders Lässiges, Lockeres an sich und die
Hände tief in die Hosentaschen gebohrt. Sein dunkles Haar war mit viel Gel in dicken Strähnen
nach hinten gekämmt und obenauf steckte eine Sonnenbrille, der Axel sofort das Prädikat „ultra-
cool“ verlieh.
Lieselotte zupfte an ihrem weiten T-Shirt, als wollte sie sich etwas schöner machen. Axel ver -
setzte ihr deshalb einen Ellbogenstoß.
Ungerührt fragte Dominik: „Darf ich erfahren, wozu Sie dieses ganze Theater veranstaltet
haben?“
„Sagte ich doch schon: Es war ein kleiner Test, um zu erfahren, was an euch tatsächlich dran ist.
In der Zeitung habe ich schon zwei- oder dreimal über euch und eure gelösten Fälle gelesen, aber
das könnte natürlich alles übertrieben sein.“
„Gehört dieses schrottreife Schiff Ihnen?“, wollte Axel wissen.
„Nein, das liegt dort schon eine Weile. Es ist wohl auf Grund gelaufen und die Besitzer können
sich nicht einigen, wer den Abtransport und die Verschrottung bezahlen soll.“
„Uns kennen Sie ja“, sagte Lilo, stellte die vier Bandenmitglieder aber trotzdem mit Namen vor.
„Und mit wem haben wir das Vergnügen?“
„Eugen Stinger“, lautete die Antwort. „Ich bin von Beruf Schatzsucher.“
Das ließ die vier Freunde aufhorchen.
„Das kann man als Beruf betreiben?“ Axel wollte das irgendwie nicht glauben.
„Kann man. Ich lebe nicht schlecht davon. Allerdings habe ich ein Problem, das ich gern mit
euch bereden würde.“
„Worum handelt es sich?“, fragte Lilo sofort neugierig.
„Nicht hier, Lauscher gibt es überall, und es geht um einen Schatz von noch nie da gewesener
Größe!“ Eugen bedeutete der Bande, in seinen Wagen einzusteigen, der ein paar Meter weiter
abgestellt war. Er ließ auf Knopfdruck das Stoffdach des Cabrios zurückklappen und stellte mit
zufriedenem Grinsen fest, dass die Knickerbocker beeindruckt waren. Erst nachdem er losge-
fahren war, begann er zu erzählen. Im Rauschen des Fahrtwindes war es für Axel, Dominik und
Poppi, die auf der schmalen Rückbank eingezwängt waren, nicht so einfach, alles zu verstehen.
„Es geht um einen Schatz im Wert von 100 Milliarden Dollar“, ließ Eugen Stinger die Bombe
platzen.
„100 Milliarden Dollar“, wiederholte Lilo ungläubig. „Das ... das ist unvorstellbar viel Geld.“
Dominik zog einen kleinen Taschencomputer aus seiner Jacke und begann zu tippen. „Meinen
Berechnungen nach könnte man für 100 Milliarden Dollar so viele Cabrios dieser Art kaufen,
dass jeder Einwohner in Europa eines bekommen würde.“
Axel schüttelte den Kopf und verdrehte die Augen. „Der Schatz wird wohl kaum aus ein paar
Millionen Autos bestehen, oder?“
Eugen, der die Jungen im Rückspiegel beobachtet hatte, verneinte.
„Aber was kann 100 Milliarden Dollar wert sein?“, wunderte sich Lieselotte.
Als er in eine enge Kurve fuhr, die den Berg hinaufführte, musste Eugen einen anderen Gang
einlegen.
„Genau das ist die große Frage. Was könnte das nur sein?“
„Sie suchen doch bestimmt danach, oder?“ Lilo sah ihn fragend von der Seite an.
„Ich möchte selbstverständlich danach suchen und den Schatz auch unbedingt finden,
allerdings kann ich das nicht tun!“
„Warum nicht?“, rief Axel von hinten.
„Ich habe eine schwere Verletzung an beiden Knien und muss schon morgen operiert werden.
Tue ich das nicht, könnten meine Knie bereits in wenigen Wochen steif sein und bleiben.“
Den Knickerbocker-Freunden kam eine Ahnung, worum es ging, aber sie wagten noch nicht zu
hoffen, dass es tatsächlich so war.
„Ich habe einen vagen Verdacht, um welche Art von Schatz es sich handeln könnte und wo er
zu finden ist“, setzte Eugen fort. „Doch ich traue keinem. Ihr werdet verstehen, dass ich zu viel
Angst habe, ein anderer könnte den Schatz vor mir finden.“
„Klar!“, meinte Lilo locker. „Aber ich wette, es haben auch andere von diesem Schatz Wind
bekommen und sind bereits unterwegs, um ihn zu suchen.“
„So ist es!“ Eugen nickte mit bekümmertem Gesicht. „Aus diesem Grund habe ich mich ent-
schlossen, mir einen Helfer zu nehmen.“
„Und das sind wir!“, dachte jeder der vier Knickerbocker in diesem Augenblick.
„Es ist eine alte Freundin von mir“, hörten sie Eugen weiterreden. Die Enttäuschung von Lilo,
Axel, Poppi und Dominik war groß. „Sie kennt sich gut aus und wir haben ein Abkommen unter-
zeichnet, das festlegt, dass sie einen Anteil von 10 Prozent erhält, wenn wir fündig werden.
Allerdings will ich mich nicht darauf verlassen. Bei diesem Betrag kann jemand so ein Abkom-
men schnell vergessen und sich vielleicht auch seiner früheren Freunde nicht mehr erinnern.
Lilo konnte ihre Enttäuschung nicht verbergen und fragte missmutig: „Und wozu erzählen Sie
uns das alles?“
„Ganz einfach, ihr sollt mit meiner Freundin mitreisen und sie unauffällig beschatten“, erklärte
Eugen.
„Wieso sollte sie uns mitnehmen?“, wollte Axel wissen.
„Sie braucht eine gute Deckung, und was ist sicherer und besser, als wenn sie die treusorgende
Tante mit zwei Nichten und zwei Neffen spielt?“
„Unsere Eltern werden nie erlauben, dass wir mit einer Fremden einfach mitfahren“, gab Poppi
gleich zu bedenken.
„Natürlich nicht, aber auch daran habe ich gedacht!“, sagte Eugen. „Es wird klappen, ihr
werdet sehen.“
Lilo verschränkte abwartend die Arme vor der Brust. „Und wie wollen Sie das anstellen?“
„Lasst euch überraschen. Ihr habt meinen kleinen Test bestanden und es liegt an euch, ja oder
nein zu meinem Angebot zu sagen.“
Die vier sahen einander an und jeder hob ratlos die Schultern. „Wer dafür ist, hebt die Hand“,
rief Lilo nach hinten. Sie selbst stimmte für Ja. Etwas zögerlich schlossen sich die anderen an.
„Ausgezeichnet“, freute sich Eugen. Er hatte mittlerweile die höchste Erhebung des Berg-
rückens erreicht und bog auf eine Panoramastraße ab, von der aus man einen prachtvollen Blick
auf das Donautal, die Weinterrassen und einen mächtigen, vorspringenden Felsen hatte, auf dem
sich eine Ruine mit dicken grauen Mauern und zwei Türmen erhob. Früher musste es auch einen
dritten Turm gegeben haben, aber der war wie ein Zahnstocher zur Seite gekippt.
„Ich bringe euch wieder zurück in die Kellergasse, und alles andere wird ganz von allein ge-
schehen“, kündigte Eugen an. „Es werden die aufregendsten Ferien eures Lebens werden“, ver-
sprach er. „Aber ich habe eine Bedingung: absolutes Stillschweigen! Ihr dürft keinem Menschen
etwas verraten, sonst bringt ihr das Projekt in Gefahr und macht mir die Arbeit vieler Jahre ka-
putt. Kapiert?“
„Wir sind ja nicht völlig blöd“, brummte Lilo beleidigt.
„Das Funkgerät könnt ihr behalten. Ich selbst werde mich bei euch über Telefon und Internet
melden. Ihr bekommt deshalb auf die Reise einen Laptop mit.“
Ein paar Minuten später standen die vier wieder bei ihren Fahrrädern und sahen Eugens Cabrio
mit einer großen Staubwolke am Ende der Kellergasse verschwinden. „Das ist ja ein Hit“, staunte
Poppi.
„Ich komme mir vor wie in einem Agentenfilm“, gestand Axel. „Haben wir das alles nur ge-
träumt?“
Lilo zwickte ihn so heftig, dass er laut aufschrie. „Na also, kein Traum“, stellte sie trocken fest.
Mit großer Spannung warteten die vier, was nun geschehen würde.
FÜNFTES KAPITEL

Was Axel mit allen Schulen vorhat,


und wieso Computer spiele äußerst nützlich
sein können

Später am Nachmittag versammelte sich die Knickerbocker-Bande in ihrem Hauptquartier, um


zu beratschlagen. Auf der Heimfahrt hatte jeder der vier über die seltsame Begegnung mit Eugen
Stinger nachgedacht und sich seine Gedanken dazu gemacht.
„Was sollen wir als Aufpasser für eine Schatzsucherin tun?“, fragte Dominik die anderen.
Lieselotte hatte eine mögliche Erklärung: „Sieh es doch einmal so: Wir melden Eugen natürlich
sofort, wenn uns etwas auffällt. Auf der anderen Seite traut er uns wohl nicht zu, dass wir diesen
unfassbaren Schatz vielleicht einfach für uns behalten.“
Axel rieb sich äußerst unternehmungslustig die Hände. „Obwohl ich den Gedanken cool finde!
Mit 100 Milliarden können wir zum Beispiel alle Schulen aufkaufen und sperren lassen.“
„Träum weiter, Schnarchnase“, knurrte Dominik.
Poppi war eine ganz andere Idee gekommen: „Habt ihr schon daran gedacht, dass es sich auch
um so eine Art „Versteckte Kamera“ handeln könnte? Vielleicht werden wir die ganze Zeit ge-
filmt, und irgendwann schießt einer der Heinis, die diese Sendungen machen, aus dem Gebüsch
und ruft: Reingefallen!“
„He, daran habe ich nicht gedacht, aber ganz unmöglich scheint das nicht!“, meinte Lieselotte.
Eine Frage beschäftigte Axel ganz besonders: „Leute, was kann 100 Milliarden wert sein?“
Allgemeines Schulterzucken.
„Es gibt keine 1000-Dollar-Banknoten, nur 100er. Es müssten also eine Milliarde 100er irgendwo
verpackt liegen. Ich wette, das sind mehrere Lagerhäuser voll Geldscheine. Außerdem ist es
absolut unmöglich, so viel Geld außer Landes zu bringen. Die Geldscheine würden natürlich
fehlen, es würde zu einer Knappheit kommen, die auffällt.“
„Goldbarren?“, fiel Dominik ein.
„Eventuell“, meinte Lieselotte.
Dominik klappte wieder seinen Taschencomputer auf und begann zu rechnen. Seine Augen
wurden sehr groß, als das Ergebnis auf dem Bildschirm erschien. „Das mit dem Gold können wir
wohl vergessen“, sagte er. „Um 100 Milliarden Dollar bekommt man zur Zeit ungefähr 10 Milli-
onen Kilogramm Gold. Das sind 900 000 große Goldbarren, wie man sie immer im Film sieht.“
„Wie viel ist 900000 dividiert durch 60?“, wollte Axel wissen.
Dominik tippte und meldete: „15 000!“
„Und 15 000 dividiert durch 24?“
„625!“, lautete die Antwort.
Axel trommelte mit den Fingern nervös auf dem Schirm seiner Kappe herum. „Das bedeutet,
wenn dieses Gold zum Beispiel irgendwo auf dem Meeresgrund liegt und man es schafft, jede
Minute einen dieser schweren Barren heraufzuholen, würde man 625 Tage brauchen, bis man
den ganzen Schatz gehoben hat. Fast zwei Jahre, in denen man aber Tag und Nacht ohne Pause
schuften müsste.“
„Außerdem braucht man bestimmt länger als eine Minute, um so einen Goldbarren vom Mee-
resgrund an die Wasseroberfläche zu bringen“, warf Lilo ein.
„Irgendwie klingt die ganze Sache reichlich verrückt und total unwahrscheinlich“, lautete
Poppis Meinung. Sie hatte eine Schachtel mit jungen Kaninchen auf den Knien, die sie die ganze
Zeit streichelte und kraulte.
Die anderen mussten ihr Recht geben. Lieselotte knetete wieder einmal ihre Nasenspitze, was
sie immer tat, wenn sie angestrengt nachdachte. „Bei diesem Schatz muss es sich um etwas ganz
anderes handeln.“
„Und was?“, fragten die anderen im Chor.
Lilo machte ein ratloses Gesicht. „Ich habe nicht die geringste Ahnung.“
Gegen fünf Uhr brach die Bande auf. Poppi und Dominik mussten heim, Lilo und Axel woll ten
noch ein bisschen Rad fahren gehen.
„Wir lassen uns einfach überraschen, was weiter geschieht“, schlug Lilo vor.
„Bleibt uns etwas anderes übrig?“, fragte Axel achselzuckend.
Kurz vor sieben Uhr kam er total verschwitzt heim. Seine Mutter öffnete ihm die Tür und
rümpfte die Nase. „Mein Sohn, du stinkst, ab unter die Dusche!“, kommandierte sie.
„Sei nicht so“, maulte Axel.
„Wenn du fertig bist, gibt es Abendessen: Spagetti“, kündigte seine Mutter an. „Und ein Fax ist
auch für dich gekommen.“
„Von wem?“, wollte Axel sofort wissen.
„Zuerst duschen, dann zeige ich es dir“, spannte ihn seine Mutter auf die Folter. Sie wusste,
dass Axel durch diesen Trick im Rekordtempo frisch gewaschen aus dem Bad kommen würde,
und sie sollte sich auch an diesem Abend nicht täuschen. In Jogginghosen und T-Shirt er schien er
am Tisch, wo das Fax neben seinem Teller lag.

TRAUMSPIELE
stand in großen Buchstaben als Briefkopf. Dann folgte diese Nachricht:

Sehr geehrter Herr Axel Klingmeier,


Sie sind Besitzer eines unserer CD-ROM-Spiele und haben die Antwortkarte, die dem Spiel bei-
liegt, an uns zurückgeschickt. Wir freuen uns, Ihnen mitteilen zu dürfen, dass Sie eine zweiwö -
chige Abenteuerreise unter fachkundiger Leitung gewonnen haben. An welche Plätze der Welt
die Reise führen wird, bleibt noch unser Geheimnis. Auf jeden Fall wird sie so aufregend,
spannend und überraschend wie jedes unserer Spiele. Wir bitten Sie um schnelle Rückantwort,
da der Beginn der Reise bereits der 10. dieses Monats ist.

Nachdem Axel einen langen Pfiff ausgestoßen hatte, sah er zu seiner Mutter. Sie stand hinter
ihm und hatte über seine Schulter das Fax mitgelesen.
„Darf ich? Natürlich nehme ich Lilo, Poppi und Dominik mit!“
„Na ja, Abenteuerreise klingt doch ziemlich gefährlich“, meinte Frau Klingmeier mit tiefen
Sorgenfalten auf der Stirn. „Ich weiß nicht, ob Kinder überhaupt an so einer Reise teilnehmen
dürfen.“
„Wir sind doch keine Babys mehr“, stöhnte Axel. „Mutti, bitte!“
„Heute wird keiner mehr unter dieser Nummer anzutreffen sein ...“
„Das probieren wir einfach aus“, entschied Axel, holte das Funktelefon und wählte. Natürlich
ahnte er, von wem das Fax gekommen war, aber das verriet er natürlich nicht, obwohl er das
Gefühl hatte, seine Mutter zu beschwindeln, und das tat Axel nicht gern.
Am anderen Ende der Leitung wurde abgehoben. „Traumspiele, guten Abend.“
„Hier Axel Klingmeier, ich habe von Ihnen ein Fax bekommen. Es geht um die Abenteuerreise.“
Axel spürte, wie seine Stimme etwas zitterte. Seine Hände wurden feucht.
„Wie gut, dass Sie sich melden, Herr Klingmeier!“ Der Mann hörte sich nicht unbedingt wie
Eugen Stinger an, allerdings kannte Axel seine Stimme nicht sehr gut. Falls es Eugen war, spielte
er seine Rolle perfekt. „Werden Sie die Reise antreten?“
„Ah ... gerne ... aber ich ... also ich bin nicht erwachsen“, stotterte Axel.
Seine Mutter bedeutete ihm, ihr den Hörer zu geben. Sie redete mit dem Herrn eine Weile, und
mit jeder Minute wurde ihr Gesichtsausdruck ruhiger.
Als sie endlich auflegte, sagte sie zu ihrem Sohn: „Ich denke, das geht in Ordnung.“
„Rufst du Poppis Mutter an? Frau Monowitsch ist immer so schrecklich übervorsichtig“, bat
Axel sie.
Frau Klingmeier war einverstanden. Eine Stunde später stand alles fest: In zwei Tagen würde
die Knickerbocker-Bande zu einer Abenteuerreise aufbrechen. Ziel unbekannt. Den wahren
Zweck der Reise kannten nur die vier und Eugen Stinger.
SECHSTES KAPITEL

Vier Knickerbocker unterwegs zu einem Mann,


der Beutelratten und Alligatoren isst
und ein Schlüssel sein könnte.

Axel, Lilo, Poppi und Dominik taten so, als wäre die Abenteuerreise das Selbstverständlichste
auf der Welt. Sie gaben sich betont ruhig und locker, als Frau Klingmeier die Freunde ihres
Sohnes von daheim abholte und zum Flugplatz brachte.
In Wirklichkeit war jeder der vier sehr angespannt und aufgeregt. Sie hatten sich an den ver-
gangenen beiden Tagen jeden Nachmittag im Hauptquartier getroffen und dort alles Mögliche
besprochen. Dominik hatte aus der Bibliothek dicke Bücher über versunkene, vergrabene und
versteckte Schätze geholt und mit seiner speziellen Schnell-Lese-Technik überflogen. Er wusste
über die wichtigsten Schätze Bescheid, die noch irgendwo auf der Welt versteckt sein sollten.
„Aber keiner, wirklich keiner ist auch nur annährend 100 Milliarden Dollar wert“, hatte er
berichtet. „Selbst wenn man die zehn größten Schätze nimmt, die es noch zu finden gibt, kommt
man nicht auf diese Summe.“
Lieselotte hatte ihren Vater, der von Beruf Bergführer und Skilehrer ist, sehr genau befragt, was
die Bande zum Beispiel bei Höhlentouren, im Urwald oder bei Tauchgängen auf hoher See
beachten musste. Sie wollte so gut wie möglich auf alle Situationen vorbereitet sein, ohne den ei-
gentlichen Grund der Reise zu verraten.
Wie vereinbart stand eine Frau unter dem Schild, das einen schwarzen Kreis mit vier Pfeilen
zeigte, das Symbol für Treffpunkt. Sie drehte der Knickerbocker-Bande den Rücken zu, war ge-
drungen und nur ein bisschen größer als Axel, wirkte aber sehr sportlich und muskulös. Ihr Haar
war lang und reichte bis zum Hosenbund. Sie hatte es im Nacken nur mit einem breiten Le-
derband zusammengebunden. Bekleidet war die Frau mit Bluejeans, festen Schuhen und einer
braunen Lederjacke. In der Hand hielt sie einen Filzhut, mit dem sie sich im Augenblick Luft zu -
fächelte.
„Frau Nero?“, fragte Axels Mutter.
Die Frau wirbelte herum, dass ihre Haare durch die Luft flogen. Über den Rand einer kleinen
runden, dunklen Sonnenbrille musterte sie zuerst Frau Klingmeier und dann die vier Kni-
ckerbocker. Ihr Mund verzog sich zu einem freundlichen Grinsen, während sie eine Hand nach
der anderen packte und kräftig drückte und schüttelte.
„Herzlich willkommen und große Gratulation zu einem Preis der Extraklasse. Ich begrüße euch
im Namen der Firma Traumspiele.“
„Und Sie sind sicher, dass den vieren nichts geschehen kann?“, fragte Frau Klingmeier besorgt.
Frau Nero klopfte ihr kumpelhaft auf die Schulter und sagte beruhigend: „Da können Sie ganz
beruhigt sein, meine Beste. Ich bringe in meinen Händen sogar ein rohes Hühnerei heil nach
Hause, selbst wenn ich ohne Fallschirm aus dem Flugzeug springe, die Niagara-Fälle hinunter-
schwimme und im Bermuda-Dreieck tauchen gehe.“
„Das haben Sie alles mit uns vor?“, wollten die vier Freunde wissen.
„Na ja, ganz so aufregend wird es nicht, schließlich seid ihr doch Abenteuer-Anfänger!“,
schränkte Frau Nero ein.
Axel beugte sich zu Lilo und flüsterte hinter vorgehaltener Hand: „Wenn die wüsste!“
„Darf ich das erste Ziel der Reise erfahren?“, bat Axels Mutter.
Frau Nero nickte. „Es ist New Orleans in den USA. Und wir müssen jetzt schnell euer Gepäck
aufgeben, das Flugzeug geht in 45 Minuten.“
Mit einem tiefen Seufzer, einigen Ermahnungen und einer heftigen Umarmung, die Axel vor
den anderen peinlich war, verabschiedete sich Frau Klingmeier von ihrem Sohn. Danach drückte
sie auch noch die anderen drei Knickerbocker und wünschte ihnen alles Gute. Irgendwie hatte sie
kein gutes Gefühl, und das beunruhigte sie sehr.
„Aber vielleicht bin ich auch nur übervorsichtig“, sagte sie seufzend zu sich selbst.
Im Flugzeug saß die Knickerbocker-Bande mit Frau Nero in einer Mittelreihe mit fünf Sitzen.
„Ihr sagt natürlich nicht Frau Nero zu mir, sondern Tante Marion und du. Eugens Idee mit den
zwei Nichten und den zwei Neffen ist wirklich erstklassig!“ Freudig rieb sie sich die Hände. „Ich
fürchte keine Verfolger oder Konkurrenten, aber auf diese Weise sind ich und das Unternehmen,
das mir Eugen übertragen hat, bestens getarnt.“
„Dürfen wir eigentlich mitkommen, wenn Sie ... suchen?“, erkundigte sich Axel.
Marion bewegte den Zeigefinger heftig hin und her. „Nein, nein, nein, selbstverständlich
nicht.“
„Aber Eugen hat es uns versprochen!“, warf Lieselotte sofort ein.
Die Schatzsucherin stutzte. „So, hat er das? Mir hat er davon nichts gesagt. Außerdem hättet ihr
nicht gefragt, wenn es tatsächlich eine feste Zusage gäbe.“
„Bingo!“, dachte Axel. Die Frau hatte ins Schwarze getroffen. Für weitere Diskussionen blieb
keine Zeit, da die Stewardess das Tablett mit dem Essen brachte. Die Knickerbocker-Freunde
hatten riesigen Hunger und machten sich gierig über die Schnitzel her, die ihnen serviert
wurden.
Die Reise nach New Orleans dauerte mehr als fünfzehn Stunden, da die Bande und Marion um-
steigen mussten. Die Stadt wirkte auf den ersten Blick mit ihren Hochhäusern modern, wie viele
andere amerikanische Städte. Deshalb staunten die vier Freunde sehr, als der kleine Bus, der sie
zum Hotel brachte, in ein Viertel einbog, das sie hier nie erwartet hätten.
Die Häuser waren ein-, höchstens zweistöckig, bunt bemalt, mit Säulenveranden und Balkonen.
Man fühlte sich in die Vergangenheit versetzt.
Aus den offenen Türen der Bars drang Jazzmusik, für die New Orleans so berühmt war.
Das Taxi hielt vor einem dunkelrosa Holzhaus mit grünen Fensterläden und Türrahmen. Ein
kleines Schild über der Tür verriet, dass es sich um ein Hotel handelte.
Marion musste klingeln, um eingelassen zu werden. Im Inneren wirkte das Hotel eher wie ein
normales Einfamilienhaus, neben dessen Wohnzimmer sich eine kleine Rezeption befand. Eine
freundliche junge Frau händigte ihnen zwei Schlüssel aus und erklärte: „Die Kinder haben eine
Suite mit zwei Schlafzimmern unter dem Dach, Sie wohnen einen Stock tiefer, Madame.“
Die steile Holztreppe knarrte lautstark, als die Knickerbocker ihre Reisetaschen und Rucksäcke
nach oben schleppten.
„Wauuu!“, staunte Axel, nachdem er ihre Zimmer erkundet hatte. „Das ist eine ganze
Wohnung.“
Allerdings war alles uralt und wirkte ein bisschen verstaubt. Die beiden Doppelbetten zum
Beispiel waren so hoch, dass man über eine kleine Treppe hineinsteigen musste.
Völlig erschöpft legten sich die vier bald schlafen. In New Orleans war es erst acht Uhr am
Abend, ihre innere Uhr aber stand durch die Zeitumstellung auf vier Uhr am Morgen.
Nachdem sich Marion vergewissert hatte, dass die Bande schlief, zog sie sich in ihr Zimmer
zurück, holte einen tragbaren Computer heraus und klappte ihn auf. Es war dasselbe Modell, das
Eugen Stinger auch der Bande mitgegeben hatte.
Marion gab ihr Codewort ein, um auf die gespeicherten Daten zugreifen zu können. Sie klickte
das Dokument an, das Eugen Stinger ihr übergeben hatte. Es enthielt genaue Anweisungen, wie
sie bei der Suche nach dem 100-Milliarden-Dollar-Schatz vorgehen sollte.
Der Grund, warum sie nach New Orleans gekommen waren, hieß Ken Tailor. Sie besaß von
dem Mann ein Foto und eine genaue Personenbeschreibung.
Ken Tailor war 52 Jahre alt, zwei Meter groß und über hundert Kilogramm schwer. Sein Gesicht
war von einer völlig eingedrückten Nase geprägt, da Mister Tailor früher Boxer gewesen war. Er
bewohnte angeblich eine Hütte in den Sümpfen des Mississippi vor New Orleans und ernährte
sich ausschließlich von Beutelratten, Schlangen und Alligatoren.
Den genauen Standort seiner Hütte kannte Stinger nicht. Marion musste ihn selbst heraus-
finden. Stinger hatte ihr eingeschärft, mit Tailor vorsichtig umzugehen, da er als gefährlich und
unberechenbar galt. Sie sollte sich unauffällig an ihn heranmachen, da er möglicherweise über
wichtige Informationen verfügte, die bei der Auffindung des 100-Milliarden-Dollar-Schatzes sehr
nützlich sein konnten.
„Die krieg ich schon aus dir raus“, sagte Marion zu dem Foto auf dem Computerbildschirm. Sie
schaltete den Computer ab und beschloss, auch schlafen zu gehen. Der nächste Tag würde
anstrengend werden.
SIEBENTES KAPITEL

Die Knickerbocker-Bande bekommt Besuch,


einen Schock und eine Warnung

Irgendwann in der Nacht wurde Poppi munter und konnte nicht mehr einschlafen. Sie war
hellwach und am liebsten wäre sie aufgestanden.
Kein Wunder. Daheim war es neun Uhr am Vormittag, in New Orleans aber ein Uhr früh. Die
Neonreklamen der Bars waren abgeschaltet, und das Viertel, in dem sich das Hotel der Bande
befand, war ruhig und dunkel geworden.
Poppi wollte schnell einmal auf die Toilette, vergaß dabei aber ganz, wie hoch das Bett war. Sie
ließ sich einfach hinausgleiten, bekam keinen Boden unter die nackten Füße und landete hart auf
dem Teppich.
„Aua“, stöhnte sie und rieb sich das schmerzende Hinterteil. Sie brauchte eine Weile, bis ihr
klar wurde, dass sie nicht daheim war. Die Hände vorgestreckt, tastete sie sich durch das
Zimmer zum Bad. Schnell war sie wieder zurück und suchte den Weg zum Bett.
An der großen Fenstertür, die bis zum Boden reichte, blieb sie stehen und sah hinaus in die
Nacht. Vor der Tür befand sich ein schmaler Balkon, unter dem ein Garten mit üppig wuchern -
den Büschen lag.
Zuerst fiel Poppi die zusammengekrümmte Gestalt auf dem Balkon nicht auf. Sie hielt sie für
einen Stuhl, über den jemand ein Tuch geworfen hatte. Auf einmal aber begann sich das Ding zu
bewegen. Es hatte Arme und Beine und einen Kopf.
„Aaaaaaa!“ Poppi schrie aus Leibeskräften und machte einen Schritt zurück. Sie hörte hinter
sich Lieselotte in die Höhe sausen und schlaftrunken murmeln: „Was ist denn los?“
„Draußen ... sieh nur!“
Lilo rieb sich die Augen und starrte in die Dunkelheit. Der Schreck zuckte nun auch ihr durch
alle Glieder: Ein grellweißer Totenkopf grinste ihr vom Balkon entgegen. Der Unterkiefer
bewegte sich auf und nieder, als würde der Schädel sprechen. Weiße Knochenhände legten sich
auf die Glasscheiben und drückten dagegen.
„Der ... der kommt rein!“, stieß Poppi hervor und rettete sich auf das hohe Bett. Zitternd presste
sie sich an Lilo. „Tu doch was! Mach, dass das Skelett weggeht!“
Vom Schrei geweckt kamen nun auch Dominik und Axel ins Zimmer getappt. Bevor sie noch den
Mund zu einer Frage öffneten, sahen sie schon die Gestalt auf dem Balkon, die wilde
Bewegungen vollführte und auf und nieder wippte. Irgendwie erinnerte sie das an einen Affen.
Erst jetzt fiel den Knickerbockern auf, dass das Skelett nur aus Totenkopf, Knochenhänden und
Knochenfüßen bestand und einen Zylinder trug. Noch einmal presste es sich gegen die Glas-
scheibe, danach schwang es sich über das Geländer und sprang in die Tiefe.
Die Jungen erwachten als Erste aus der Erstarrung, stürzten auf den Balkon hinaus und sahen
in die Tiefe. Zwischen den Büschen erkannten sie die unheimliche Gestalt, die geduckt das Weite
suchte.
„Das ... das war ... Wodu“, sagte Dominik leise. „Ich meine, es war ein Wodu-Tänzer oder so.
Hier in New Orleans hat es früher einmal eine Wodu-Königin gegeben, es befindet sich auch ein
Wodu-Friedhof hier.“
„Was ... was wollte der von uns?“, fragte Poppi leise.
„Vielleicht hat er sich nur in der Adresse geirrt!“, meinte Lilo locker.
„Wodu ... das hat doch auch mit Zombies zu tun“, fiel Axel ein.
Lieselotte glaubte nicht an einen Zufall, und auch die Möglichkeit, dass sich der unheimliche
Mann auf ihren Balkon „verirrt“ hatte, erschien ihr unwahrscheinlich.
„Wir melden das Herrn Stinger“, beschloss sie und holte den Computer heraus. Nur mit den
Zeigefingern tippte sie eine E-Mail, schloss den Computer an die Telefonleitung an und schickte
sie ab. Gleichzeitig fragte sie, ob vielleicht auch eine Mitteilung auf die Knickerbocker-Bande
wartete.
„Wir haben zwei Mails“, meldete sie den anderen, die sich neugierig zu ihr beugten und auf
den Bildschirm sahen.
Die erste Nachricht war von Herrn Stinger, der ihnen eine gute Ankunft in New Orleans
wünschte und sie noch einmal an ihre Aufgabe erinnerte.
Die zweite Mail aber kam von einem unbekannten Absender. Der Text versetzte den vieren
einen Schock:

Von: Anonym
An: knickerbocker@thomasbrezina.com
Nehmt das nächste Flugzeug zurück. Ihr befindet euch in Lebensgefahr. Traut niemandem!

„Wer kennt unsere E-Mail-Adresse?“, wollte Dominik wissen.


„Niemand“, lautete Lilos Antwort. „Niemand außer Herrn Stinger, denn diese Adresse hat er
uns gegeben.“
„Der Totenkopfmann könnte eine Warnung gewesen sein“, fiel Dominik ein.
Lieselotte kopierte die zweite E-Mail und schickte sie an Herrn Stinger, um ihn um Rat zu
fragen. Ihr war die Botschaft auch sehr unheimlich.
Erst gegen vier Uhr konnten die Knickerbocker-Freunde wieder einschlafen. Jeder von ihnen
träumte in dieser Nacht allerdings von dem Totenkopfmann. Ständig tauchte die Warnung vor
ihren Augen auf und blinkte wie eine der Neonreklamen der Bars.

Der Totenkopfmann kannte die Gassen des so genannten „French Quarters“, also des Stadtteils
von New Orleans, in dem die Knickerbocker-Bande wohnte, wie seine Westentasche. Er kletterte
über Gartenmauern, huschte durch enge Passagen zwischen Häusern und turnte sogar an
Regenrinnen und Balkonen hoch, um über Hausdächer zu steigen.
Sein Ziel war eine kleine Bar am Ufer des Mississippi, die die ganze Nacht geöffnet hatte. An
einem Tisch in der hintersten Ecke lümmelte ein dicker Mann und schlürfte eine winzige Tasse
Kaffee nach der anderen.
Bevor er die Bar betrat, wischte sich der Totenkopfmann die Schminke aus dem Gesicht. In
Wirklichkeit war er Student, hieß Abraham und wollte sich nur noch sein Honorar abholen. Der
Auftrag hatte ihm von Anfang an nicht gefallen, seit er aber die entsetzten Kindergesichter gese -
hen hatte, war er überzeugt, das Falsche getan zu haben.
„Und, was war?“, fragte ihn der Mann, als er an seinen Tisch trat. Der Mann hatte seinen Hut
abgenommen und hielt ihn vor sein Gesicht, sodass nur die Augen zu sehen waren. Abraham er-
ahnte den Grund: Auf diese Weise sollte die platt gedrückte Nase des Mannes verdeckt werden.
In wenigen Worten berichtete Abraham, was er erlebt hatte.
„Das war das falsche Zimmer“, tobte der andere und schlug mit der Faust auf den Tisch. „Ich
erwarte einen Mann, nicht vier Kinder, und er wäre nicht erschrocken, sondern hätte verstanden,
was dein Auftauchen zu bedeuten hat.“
„Was denn?“, fragte Abraham.
„Es bedeutet ganz einfach, dass er schnellstens verschwinden soll, weil es sonst ein Unglück ge-
ben könnte und ich niemanden in meinem Revier dulde“, erklärte der Mann bereitwillig. Es han-
delte sich bei ihm um niemand anderen als um Ken Tailor.
„Im Gästebuch an der Rezeption war der Name Hofbauer nur einmal zu finden, und zwar bei
dem Zimmer unter dem Dach. Dort bin ich also hin und habe alles getan, was Sie mir aufge-
tragen haben“, beharrte Abraham.
Allerdings kam ihm auf einmal ein Gedanke: Im Gästebuch hatte er vielleicht etwas nicht ganz
richtig erkannt. Die Linie zwischen der Zeile von Zimmer 9 und Zimmer 8 war wohl eine Klam-
mer gewesen. Der Mann hatte möglicherweise beide Zimmer gemietet und wohnte selbst im un -
teren. Aber das wollte er seinem Auftraggeber nicht sagen, sonst würde der ihn vielleicht nicht
bezahlen.
„Kann ich jetzt mein Geld haben?“
Ken Tailor ließ den Hut sinken und fletschte die Zähne wie ein knurrender Hund. „Nein!“,
zischte er. „Ich bezahle nur, wenn ich zufrieden bin.“
Mit diesen Worten sprang er auf und verließ das Lokal. „Der Kaffee hat wie Spülwasser ge-
schmeckt“, schrie er dem Wirt zu, der ihm eine Rechnung entgegenstreckte. Ohne zu zahlen ver-
schwand Ken Tailor in der Dunkelheit. Als ihm Abraham wütend nachstürzen wollte, hielt ihn
der Besitzer der Bar zurück. „Tu es nicht, der Typ isst Beutelratten. Roh! Schreib das Geld ab und
fang dir mit ihm keinen Ärger an.“
Wütend ballte Abraham die Fäuste.
ACHTES KAPITEL

Falsche Namen, falsche Versprechungen


und vielleicht eine falsche Idee

Die Sonne stand bereits hoch am Himmel, als die Knickerbocker-Bande erwachte. Nachdem
sich Poppi und Lilo ausgiebig gestreckt und minutenlang gegähnt hatten, tappten sie ins
Badezimmer.
„Ich fühle mich, als hätte mir jemand mit dem Hammer auf den Kopf geschlagen“, seufzte Lie-
selotte.
„Ich habe Hunger!“, meldete Poppi. „Bärenhunger.“
„Klar, durch die Zeitumstellung ist in uns alles völlig durcheinander!“ Nachdem sie diese
Weisheit von sich gegeben hatte, stieg Lieselotte unter die Dusche.
Als die Mädchen fertig waren, kamen die Jungen. Lilo konnte allerdings nicht widerstehen,
griff heimlich durch eine Falte des Duschvorhangs, als Axel sich wusch, und drehte das kalte
Wasser voll auf. Der Schrei ihres Kumpels war so laut, dass Poppi sofort dachte, es wäre ein
zweiter Totenkopfmann aufgetaucht.
Etwas später kamen die vier die steile Treppe herunter, die wieder knarrte und ächzte, als
würde sie jeden Augenblick zusammenbrechen. Hinter dem Wohnzimmer, das allen Hotelgästen
zur Verfügung stand, gab es den Garten mit den Büschen und einer kleinen Terrasse. Dort war
ein Tisch für das Frühstück gedeckt. Das freundliche Mädchen von der Rezeption brachte den
vieren zentimeterdicke Waffeln, riesige Spiegeleier mit Bergen von Bratkartoffeln, einen ganzen
Stapel Pfannkuchen und einen Teller voll mit gebratenem Speck, gegrillten Tomaten und Pilzen.
„Lasst es euch schmecken“, sagte sie lächelnd. „Mrs. Hofbauer ist übrigens schon lange vor
euch aufgebrochen. Ich soll euch ausrichten, sie kommt erst am Abend wieder. Ihr dürft euch
selbst in New Orleans umsehen. Sie hat mir sogar Geld für euch dagelassen.“ Mit diesen Worten
reichte sie der Bande einige Dollarnoten.
„Wer ist Mrs. Hofbauer?“, fragte Axel und verzog das Gesicht zu einer verwunderten Gri-
masse.
„Na, die Lady, die mit euch gekommen ist!“ Das Mädchen von der Rezeption sah sie ver-
ständnislos an.
„Aber, die heißt doch Nero“, platzte Dominik heraus.
„Nero? Es war lange Zeit nur ein Zimmer reserviert. Für Mister Carl Hofbauer. Vor kurzem
kam ein Fax, dass statt ihm eine Mrs. Hofbauer kommen und ihre Nichten und Neffen mitbrin-
gen würde.“
„Ja, klar. Wir sollten zuerst mit unserer anderen Tante kommen“, rettete Lilo die Situation.
„Versteht ihr das?“, flüsterte Axel den anderen zu.
Lilo schüttelte den Kopf. „Aber wir werden Marion fragen, wieso sie hier unter einem falschen
Namen wohnt.“
„Und warum war das Zimmer zuerst für einen Herrn namens Carl Hofbauer reserviert?“, wun-
derte sich Dominik.
„Ich muss immer an die Warnung denken“, gestand Poppi. „,Traut niemandem!' Wir sollten sie
ernst nehmen.“
„Man tut das nicht, aber ich schlage vor, wir machen es trotzdem. Axel und Poppi, ihr zwei
passt auf, dass sie uns nicht überrascht. Dominik und ich sehen uns ein bisschen bei Marion im
Zimmer um.“
Keiner hatte etwas dagegen.
Das Schloss der Zimmertür war uralt und ließ sich mühelos öffnen.
Marions Zimmer wirkte unbewohnt. Außer einer Zahnbürste und einem Duschbad lag über-
haupt nichts Persönliches von ihr herum. Im Schrank fand Lieselotte den Alukoffer, mit dem
Marion gekommen war. Er besaß zwei Zahlenschlösser, auf denen jeweils ein vierstelliger Code
eingestellt werden musste.
„Den richtigen zu finden dauert Stunden“, stöhnte Lilo und ließ die Finger davon.
„Scheint sehr ordnungsliebend zu sein, unsere Tante Marion“, stellte Dominik fest.
„Oder darauf bedacht, alles zu verstecken, damit es nicht in falsche Hände gerät“, fügte Liese-
lotte hinzu.
Von unten kam ein gellender Pfiff, dem zwei weitere, kürzere folgten. Ein Alarmzeichen von
Axel. Sofort verließen die beiden Knickerbocker das Zimmer wieder und liefen die Treppe hinun-
ter.
Aufgeregt zappelte Axel in dem engen Vorraum herum. Er deutete zum Wohnzimmer und
winkte seinen Freunden, schnell zu ihm zu kommen.
„Es ist ein Mann gekommen, riesiger Kerl, der nach Carl Hofbauer gefragt hat. Er redet jetzt ge -
rade mit dem Mädchen von der Rezeption.“
„Das sind die Nichten und Neffen von Mrs. Hofbauer!“, hörten die Knickerbocker das Mäd -
chen hinter ihnen sagen. Sie drehten sich hastig um und blickten zu einem Hünen auf, der sich
den Hut vor das Gesicht hielt.
„Ihr seid Nichten und Neffen von Carl?“, fragte er sie mit tiefer, brummiger Stimme.
Dominik öffnete schon den Mund, um zu protestieren, aber Lieselotte stieß ihm den Ellbogen in
die Seite und sagte schnell: „Ja, so ist es. Und wer sind Sie?“
„Hat euch Carl nie von mir erzählt?“
„Nicht direkt“, sagte Lilo ausweichend.
„Und ihr seid jetzt also mit eurer Tante da?“
Die Knickerbocker nickten zögernd.
„Und wo ist eure Tante?“
„Wissen wir leider nicht. Sie ist aufgebrochen, als wir noch geschlafen haben“, antwortete Do-
minik.
„Wieso ist sie mit euch überhaupt nach New Orleans gekommen?“ Die Stimme und der Blick
des Mannes wurden immer bohrender.
„Nur so ... Spaß, Ferien.“ Axel versuchte möglichst locker zu klingen.
„Ich bin ein guter Freund eures Onkels“, erklärte der Mann. „Ein sehr guter sogar, und ich bin
sehr überrascht und enttäuscht, dass er nicht selbst gekommen ist, obwohl er mir das ange-
kündigt hat.“
Die vier Knickerbocker machten sehr verwunderte Gesichter. Sie konnten sich im Augenblick
keinen Reim auf das machen, was sie da erfuhren.
„Wollte ... Onkel Carl ... Sie aus einem bestimmten Grund treffen?“, fragte Lilo vorsichtig.
Der Mann nickte. „Ja, das wollte er. Und ich kann mir denken, welcher Grund das ist. Aber ich
habe etwas, das ihr ihm mitbringen solltet. Ihr müsstet es euch nur holen. Ich könnte euch
mitnehmen, euch das Päckchen geben und euch dann wieder zurückbringen. Wenn ihr einver-
standen seid ...“
Die vier sahen einander fragend an und nickten schließlich langsam. „In Ordnung!“
Es war die einzige Möglichkeit, mehr herauszubekommen. Den Junior-Detektiven war klar,
dass ihnen Eugen Stinger nicht nur Wahrheiten gesagt hatte, und in ihnen war das Nachfor -
schungsfieber erwacht.
Der Mann bat das Mädchen vom Empfang um einen Briefbogen und einen Umschlag. Er setzte
sich an einen Tisch im Wohnzimmer und schrieb ein paar Zeilen, faltete das Papier, steckte es in
den Umschlag und klebte ihn zu. Er schrieb einen Namen darauf und reichte ihn dem Mädchen,
ohne dabei auch nur ein einziges Mal zu lächeln.
Als er sich nun den Hut aufsetzte, sahen die Knickerbocker seine flache Nase im bleichen Ge-
sicht. Schnell blickten sie woanders hin, da sie den Mann nicht so anstarren und vielleicht in
Verlegenheit bringen wollten.
Auf der Straße stand ein alter Pick-up. „Zwei können vorn bei mir sitzen, zwei müssen nach
hinten“, sagte der Mann.
Die Jungen machten eine einladende Handbewegung und überließen Poppi und Lilo die be-
quemeren Plätze. Sie selbst kletterten auf die Ladefläche und ließen sich auf einen Stapel stin-
kender, leerer Jutesäcke fallen. Der Motor des Wagens tuckerte wie ein Dampfschiff, als der
Mann ihn anließ. Eine flotte Fahrt begann, bei der den Knickerbockern immer mulmiger wurde.
Der Mann fuhr auch bei Rot über die Ampeln und schien andere Fahrzeuge überhaupt nicht zu
beachten. Er verließ die Stadt und nahm bald eine Abfahrt von der Autobahn. Links und rechts
erstreckte sich Sumpfland mit ganzen Wäldern von abgestorbenen, schwarzen, kahlen Bäumen.
Völlig überraschend riss der Mann plötzlich das Steuer herum und lenkte den Pick-up von der
Straße in den Sumpf.
Es war drei Uhr, als Marion Nero ins Hotel zurückkam. Das Mädchen am Empfang überreichte
ihr den Brief, der für sie bestimmt war. Marion öffnete den Umschlag, überflog die wenigen
Zeilen, schnappte nach Luft und stürzte nach oben.
Ihre Finger zitterten, als sie die Zahlenschlösser auf die richtige Kombination einstellte und den
Deckel des Koffers öffnete. Hastig zog sie ein Handy heraus, schaltete es ein und wählte eine
lange Nummer.
„Ich bin es“, meldete sie sich keuchend, als endlich abgehoben wurde. „Er hat die Kinder
entführt und droht, ihnen etwas anzutun, wenn ich nicht sofort die Stadt verlasse.“
„Das bedeutet, du hast einen Volltreffer gelandet“, lobte sie der Mann am anderen Ende der
Leitung. „Er weiß also etwas, das er vor dir unter allen Umständen geheim halten möchte, und
deshalb hat er diese Aktion gesetzt.“
„Was tue ich jetzt?“ Marions Stimme überschlug sich fast.
„Erstens, schrei nicht so, die Wände haben überall Ohren. Zweitens: Finde den Kerl und
quetsch ihn aus. Drittens: Denk dir ein hübsches Märchen für die Kinder aus. Die dürfen
natürlich nicht erfahren, was los ist.“
„Du hast Nerven“, fauchte Marion.
„Ja, und dir scheinen sie zu fehlen. Wie kann man wegen einer solchen Kleinigkeit so den Kopf
verlieren?“, fuhr sie der andere an.
„Was erzählen wir den Eltern, wenn einem der Kinder etwas zustößt?“
„Nichts, weil sie uns nie wieder sehen werden, und jetzt mach dich an die Arbeit!“
Ohne sich zu verabschieden, legte Eugen Stinger auf. Marion starrte auf das Handy in ihrer
Hand und schimpfte: „Mistkerl!“
Nachdem sie es wieder verstaut hatte, machte sie sich sofort auf die Suche nach Ken Tailor.
Eugen Stinger befand sich zur Zeit des Telefonates in einem alten, romantischen Häuschen an
der Donau, das früher einmal einem Weinbauern gehört hatte. Die Räume waren alle sehr
niedrig und weiß ausgemalt, die Mauern dick und der Boden gewellt.
Das Haus bestand aus einem Wohnraum mit wuchtigen Ledersesseln, einer großen Küche und
anderen Räumen, die voll gestopft waren mit Büchern und Kisten, gefüllt mit Fotos, Zeitungsarti-
keln, Landkarten, Aufzeichnungen und Berichten. Auf einem Schreibtisch standen mehrere
Computer, an denen ein dünner, junger Bursche saß und angestrengt nachzudenken schien.
„Was ist, Damian, hast du endlich die Codes geknackt?“, wollte Herr Stinger wissen.
„Zwei schon, aber die Codes der restlichen drei Computer schaffe ich nicht.“
„Dafür bezahle ich dich nicht!“, schnauzte ihn Stinger an.
„Ich brauche noch ein bisschen, Chef. Das geht nicht so einfach“, versuchte ihn der compu-
terbesessene Damian zu beruhigen. „Aber ich lasse mir gerade neue Programme kommen, mit
denen man Codes herausfinden kann. Vielleicht klappt es dann.“
„Das will ich dir geraten haben!“, drohte Herr Stinger. Die Hände tief in die Hosentasche
gebohrt, stapfte er in die Küche und goss sich ein Glas Orangensaft ein. In einem Zug stürzte er
es hinunter.
Die Schatzsuche verlief ganz und gar nicht so, wie er das gehofft hatte. Vor allem waren ihm
Zweifel gekommen, ob das Hinzuziehen dieser Kinder-Detektive eine gute Idee gewesen war. Er
beschloss, die Dinge noch eine Weile zu beobachten und notfalls die vier schnellstens wieder
loszuwerden.
NEUNTES KAPITEL

Wege, wo gar keine sind,


ein Riesengesicht
und eine Schlange als Mahlzeit

Ken Tailor kannte den Sumpf wie kein anderer. Obwohl es ausgesehen hatte, als müsste sein
Wagen im nächsten Augenblick im dunkelbraunen, nassen Morast versinken, fanden die Reifen
festen Boden. Sicher steuerte Tailor den Wagen zwischen umgebrochenen Baumstämmen hin-
durch. Links und rechts spritzte das schmutzige Wasser auf.
Axel und Dominik versuchten verzweifelt, sich irgendwie zu orientieren, doch es gelang ihnen
nicht. Rund um sie sah der Sumpf überall gleich aus. Viel zu spät kamen sie auf die Idee, den
Weg zu markieren und Jutesäcke abzuwerfen. Sie wussten, dass sie allein kaum lebend aus dieser
Wildnis herausfinden würden.
Straße und Autobahn waren bald nicht mehr zu entdecken. Dafür ergriff ein mindestens zwei
Meter langer Alligator die Flucht, als er den Wagen dröhnen hörte. Axel und Dominik erkannten
die Nasenlöcher und seine kleinen Augen, die noch aus dem Wasser ragten und ihnen nach -
starrten.
„Es war absolut hirnrissig von uns, in diesen Wagen zu steigen“, schimpfte Dominik.
„Gib mir keine Schuld, du warst auch einverstanden“, protestierte Axel. Er hatte Mühe, den
Krach des Motors und des Auspuffs zu übertönen. „Aber unser Superhirn scheint auch einen
Knoten in den Hirnwindungen zu haben.“
Lieselotte machte sich bereits schwere Vorwürfe. Sie ahnte, dass der Mann sie nicht mitge-
nommen hatte, um ihnen etwas zu übergeben, und wusste, dass es nicht nur leichtsinnig gewe-
sen war, mit ihm mitzufahren. Doch die Neugier war zu groß gewesen. Sie wollte unbedingt he-
rausfinden, wer dieser Carl Hofbauer sein sollte. Dabei war sie einfach zu unvorsichtig gewesen.
Die Einsicht kam zu spät.
Da sie aber nicht nur dasitzen und abwarten wollte, rief sie durch den Motorenlärm: „He,
wohin fahren Sie eigentlich? Wir ... wir müssen bald zurück sein.“
Ken Tailor tat so, als würde er sie gar nicht hören. Er starrte auf die dunkle, wässrige Oberflä-
che des Sumpfes, unter der er wie mit Röntgenblick einen Weg erkennen konnte. Ohne mit den
Rädern des Wagen auch nur ein einziges Mal stecken zu bleiben oder einzusinken, steuerte er
einen kleinen Wald an, in dem Bäume mit dicken, zerfurchten Stämmen und wild verdrehten,
knorrigen Ästen wuchsen. Von oben wucherten aus den Zweigen graubraune Luftwurzeln, die
bis zum Boden reichten und an einigen Stellen wie Gardinen aussahen.
Am Rumpeln des Wagens war zu spüren, dass der Boden fester wurde. Lilo und Poppi sahen
vor sich zwei ausgefahrene Rinnen, in die Mister Tailor das Auto lenkte. Da der Motor nun
ruhiger lief, unternahm Lieselotte einen weiteren Versuch, mit dem Mann zu reden. „Hören Sie ...
wir ... wir müssen zurück. Und zwar bald, sonst ... sonst wird Marion bestimmt zur Polizei
gehen.“
Völlig überraschend sprang der Mann auf die Bremse. Durch den Ruck wurden die Jungen hef -
tig gegen das Fahrerhäuschen geschleudert und protestierten lautstark.
Tailor zog ein Handy und einen Zettel aus der Tasche, auf den er mit Bleistift eine Nummer no-
tiert hatte. Er tippte sie ein und wartete.
„Mrs. Hofbauer, aber schnell!“, hörten ihn die Mädchen sagen. Er wollte also mit Marion spre-
chen und bekam sie auch tatsächlich an den Apparat. „Wenn Carl Sie geschickt hat, weil er noch
immer denkt, ich wäre ihm etwas schuldig, so richten Sie ihm aus, er kann das vergessen. Ich
habe Ihre Kinder hier, und ich werde sie an die Alligatoren verfüttern, wenn Sie mir nicht garan-
tieren, noch heute zu verschwinden.“
Marion redete so laut, dass Poppi und Lilo ihre Stimme als hohes Zwitschern hören konnten.
„Ich will aber nicht mit Ihnen reden, verstanden?“, polterte Ken Tailor. „Hauen Sie ab. Ich
bringe Ihnen die Kinder zum Flugplatz. Ich melde mich demnächst wieder, und wenn Sie dann
noch nicht am Abflugschalter stehen, hetze ich als Erste die Kleine in den Sumpf hinaus. Hier
wimmelt es nur so von Giftschlangen und Alligatoren.“
Er drückte die Taste, mit der das Gespräch beendet wurde, und ließ das Handy wieder in der
Brusttasche seiner Lederjacke verschwinden. Lilo und Poppi starrten ihn mit offenem Mund und
weit aufgerissenen Augen an. Tailor bemerkte den erschrockenen Blick und fuhr sie an: „Hört auf
damit, das nützt euch gar nichts! Es liegt an eurer Tante, wie es mit euch weitergeht. Carl, dieser
besessene Wahnsinnige, hätte nicht auf der ganzen Welt Lügen über mich herumerzählen und
mich schlecht machen sollen.“
Die Fahrt ging weiter und endete auf einer kleinen Lichtung, wo die Bäume eine hohe Kuppel
bildeten, die nur in der Mitte ein Loch hatte, durch das blauer Himmel zu sehen war. Auf der
Lichtung standen ein heruntergekommenes Blockhaus und eine notdürftig zusammengenagelte
Scheune.
Nachdem er den Motor abgestellt hatte, bedeutete Ken Tailor den Knickerbockern aus- und
abzusteigen. Er scheuchte sie vor sich her in das Blockhaus und schloss krachend die dicke Holz-
tür hinter ihnen. Ein Riegel wurde außen vorgeschoben und ein Vorhängeschloss klickte.
Wütend trommelte Axel von innen gegen die Tür. „Was soll das? Lassen Sie uns raus!“
Doch Tailor lachte nur trocken und spöttisch und ging weg.
Die Luft in der Hütte war abgestanden, muffig und feucht. Es stank nach nassen Fellen, altem
Leder und modrigem Holz. Nachdem sich ihre Augen an die Düsternis gewöhnt hatten, konnten
die vier Knickerbocker langsam einiges erkennen. Sie befanden sich in einem Vorraum, von dem
mehrere Türen wegführten. Hinter einer lag ein Schlafzimmer mit einem Bett aus Baumstämmen
und einer Felldecke, daneben befand sich ein „Badezimmer“ mit einem Holzbottich und einem
zerbeulten Blechkrug voll Wasser. Die Küche bestand aus einer offenen Feuerstelle und einer
langen Stange an der Decke, von der getrocknetes Fleisch und getrockneter Fisch herabhingen.
Der größte Raum, der die andere Hälfte des Hauses einnahm, war versperrt. In der Bretterwand
fanden die Knickerbocker aber mehrere
Astlöcher. Durch einige leuchteten sie mit den Taschenlampen, durch andere spähten sie neu-
gierig.
Poppi stieß einen erschrockenen Schrei aus und wich zurück. Eine grell geschminkte, lang
gezogene Fratze mit blitzenden Augen hatte ihr entgegengestarrt. Das Gesicht war mannshoch,
sehr schmal und sehr dämonisch.
„Reg dich ab“, brummte Dominik, „das ist nur eine Statue. Aus Holz. Wahrscheinlich aus
Südamerika.“
Das gespenstische Gesicht war aber nicht die einzige Statue in dem Raum nebenan. Die Kni-
ckerbocker entdeckten goldene chinesische Löwen, schlanke Katzen, die wahrscheinlich aus
ägyptischen Gräbern stammten, und sogar ein himmelblaues Nilpferd, das Dominik bekannt
vorkam. Ein ähnliches hatte er schon einmal in einem Museum gesehen. Der Wert war mit meh-
reren Millionen angegeben gewesen.
„Das ist wohl ein Lager von Kunstschätzen, die der gute Mann ... hm ... gesammelt hat“, ver -
mutete Axel.
„Glaubst du, er hat die Sachen gestohlen?“, fragte Dominik leise.
„Ganz sauber ist der Mann jedenfalls nicht“, meinte Lilo. „Es hat seinen Grund, warum er sich
hier draußen in den Sumpf zurückgezogen hat.
Kein anderer außer ihm findet den Weg. Er und seine Sammlung sind also ziemlich sicher
hier.“
„Und wenn es sich bei ihm auch um einen Schatzsucher handelt?“, fiel Axel ein. „Er könnte die
Dinge irgendwo aufgestöbert haben. Ich habe keine Ahnung, ob man alles behalten darf, was
man findet, oder ob man es in den Ländern lassen muss, in denen die Sachen aufgetaucht sind.“
„Auf jeden Fall kennt der Typ diesen Carl Hofbauer und könnte uns mehr über ihn sagen. Wir
müssen ihn nur irgendwie zum Reden bringen!“ Lilo knetete ihre Nasenspitze, jedoch ohne
Erfolg.
„Ich kann nur hoffen, dass Marion tut, was der Mann von ihr verlangt“, seufzte Dominik.
Durch das kleine, vergitterte Fenster der Küche sahen sie, wie Mister Tailor draußen ein pel-
ziges Tier häutete. Auf dem Boden neben ihm lag eine tote Schlange. Als er die Blicke der Bande
spürte, drehte er sich um und grinste sie mit seinen dunklen Zähnen an. „Na, habt ihr Appetit
bekommen?“
„Das ist... eine Beutelratte ... ein Opossum“, sagte Poppi mit erstickter Stimme.
„Solltet ihr öfter essen. Gibt Kraft. Und das Fleisch der Schlange macht euch geschmeidig.“
Die vier Knickerbocker spürten ein Würgen im Hals und drehten sich weg. Obwohl sie ein
bisschen Hunger verspürt hatten, fühlten sie sich auf einmal satt wie nach einem Hamburger-
Wettessen.
„Wir ... wir würden gern mit Ihnen reden“, rief Lieselotte dem Mann zu.
„Aber ich nicht mit euch“, lautete die mürrische Antwort. Danach biss Mister Tailor ein Stück
rohes Schlangenfleisch ab und verzehrte es mit lautem Schmatzen.
„Wo sind wir da reingeraten?“, seufzte Dominik und tupfte sich mit einem Stofftaschentuch
den Schweiß von der Stirn.
„Feiner Pinkel“, machte sich Axel über diese Aktion lustig. „Hast du vielleicht auch ein
Riechfläschchen dabei, mit einem angenehmen Duft, damit dein edles Näschen nicht allzu
beleidigt wird?“
„Habe ich nicht, aber danke für den Tipp, ich werde mir eines besorgen“, gab Dominik schlag-
fertig zurück.
„Könnten die Herren ihre Diskussion beenden und statt dessen ausnahmsweise einmal das
Hirn einschalten und überlegen, wie wir von hier fortkommen? Wir können nicht darauf warten,
dass Marion jetzt tut, was der Typ von ihr verlangt oder nicht?“
„Hirn an!“, meldete Axel. „Überlegungen laufen auf Hochtouren.“
Keiner der vier sprach es aus, aber jeder hatte schreckliche Angst. Ken Tailor war unberechen-
bar, und sie mussten jederzeit mit dem Schlimmsten rechnen.
ZEHNTES KAPITEL

Jede Menge spitze Zähne


bedrohen die Knickerbocker-Bande

Die Minuten krochen dahin.


Ken Tailer rumorte vor dem Haus. Er redete unverständliches Zeug mit sich selbst, lachte im-
mer wieder laut und höhnisch auf, schrie in Richtung der Bäume, als wollte er dort jemanden
vertreiben, und warf mit Holzstücken.
Grübelnd lief Lieselotte in der Diele auf und ab. Sie knetete nicht nur die Nasenspitze, sondern
zupfte auch an den Ohrläppchen, in der Hoffnung, auf diese Weise schneller eine Lösung zu
finden.
Doch ihr kam keine Idee. Im Augenblick schien es weder einen Weg aus dem Haus noch einen
aus dem Sumpf zu geben.
Axel und Dominik hatten in der Küche eine Packung Toastbrot gefunden und sich hungrig
darüber hergemacht. Poppi und Lieselotte knabberten jede nur eine Scheibe, während die Jungen
sich gleich mehrere in den Mund stopften und mit Wasser aus Plastikflaschen hinunterspülten.
Auf einmal tippte Poppi den beiden auf die Schulter und bedeutete ihnen mit dem Finger, ihr
zu folgen. Sie führte sie in Tailors Schlafzimmer, wo sie unter dem Bett einen abgewetzten Leder -
koffer hervorzog. Er ließ sich problemlos öffnen und enthielt einen modernen Laptop.
„Der Typ steht auf raue Natur und Hightech“, stellte Dominik flüsternd fest.
Poppi bekam die Aufgabe darauf zu achten, ob Tailor vielleicht ins Haus zurückkam. Die
Jungen klappten den tragbaren Computer auf und schalteten ihn ein. Dabei presste Dominik
seine Handflächen auf die kleinen Lautsprecher, um alle möglichen Laute zu dämpfen.
Das Gerät lief an, und zu ihrer Überraschung stellten die beiden Knickerbocker fest, dass die
Daten nicht einmal durch einen Zugriffscode oder ein Passwort gesichert waren. Mister Tailor
schien grenzenloses Vertrauen in sein Versteck im Sumpf zu haben.
„Er hat auch einen Internetzugang und E-Mail“, stellte Axel fest.
Lilo war neugierig zu den beiden gekommen und blickte ihnen über die Schulter.
„Telefon gibt es hier in der Wildnis wohl kaum“, sagte sie leise. „Er benutzt wahrscheinlich sein
Handy, um ins Internet zu kommen.“
„Pech für uns, denn wir können dann keinen Hilferuf losschicken“, seufzte Dominik.
Axel hatte die Tabelle geöffnet, in die alle elektronischen Nachrichten eingetragen waren, die
der Besitzer des Computers in den vergangenen Tagen empfangen hatte. Es waren nicht sehr
viele.
„Der Typ heißt Ken Tailor“, erfuhr Axel, als er eine E-Mail anklickte und öffnete.
Aufgeregt deutete Lilo mit dem Finger auf eine Eintragung. Carl Hofbauer hatte vor genau
zwei Wochen eine E-Mail geschickt. Axel ließ den Text auf dem Bildschirm erscheinen, und die
Knickerbocker überflogen neugierig und aufmerksam die kurze Mitteilung.

Von: Hofbauer, Carl


An: Tailor, Ken
Ich muss dringend mit dir reden. Es geht um viel. Versuche nicht mir auszuweichen, ich finde
dich trotzdem. Spar dir deine üblichen faulen Tricks. Ich komme mit anderen Absichten, als du
denkst.
Carl

„Na ja“, seufzte Lilo. „Viel schlauer bin ich jetzt auch nicht.“
„Ken Tailor scheint ein schlechtes Gewissen zu haben. Offenbar hat er mit diesem Carl Hof-
bauer Streit wegen irgendetwas gehabt. Er fürchtet, Hofbauer will etwas von ihm, das Tailor aber
nicht hergeben möchte. Daher auch seine Aktion mit unserer Entführung.“
„Aber Hofbauer schreibt, es ginge um etwas ganz anderes, was auch immer damit gemeint sein
kann!“, setzte Dominik fort.
„Der 100-Milliarden-Dollar-Schatz!“, flüsterte Axel. „Um den geht es, ganz sicher!“
„Vielleicht heißt Eugen Stinger in Wirklichkeit Carl Hofbauer“, fiel Dominik ein.
Lilo nickte heftig. „Na klar, das ist die Erklärung. Bleibt die Frage, warum er sich bei uns mit
falschem Namen vorgestellt hat.“
Draußen telefonierte Ken Tailor lautstark.
„Aber ich will nicht mit Ihnen reden, Lady!“, brüllte er in sein Handy. „Und wenn Sie nicht auf
der Stelle die Stadt verlassen, bekommen Sie heute Abend noch einen abgebissenen Arm zuge-
schickt!“
Poppi kam zu ihren Freunden und atmete schwer.
„Der Typ ist nicht zu unterschätzen“, murmelte Lilo. „Und die einzige Möglichkeit wegzu-
kommen ist...“ Leise schilderte sie den anderen ihren Plan.
„He, wo ist die Toilette?“, rief Axel durch ein offenes Fenster Tailor zu.
„Nehmt den Eimer“, lautete die brummige Antwort.
„Ich hab die Tür auf“, kam aus dem Hintergrund Lieselottes Stimme. „Irre, was hier alles für
Zeug herumsteht.“
Aus dem Haus drang heftiges Poltern.
Ken Tailor schrie auf wie ein verletztes Tier und stürzte an die Tür. Hektisch öffnete er das
Schloss und riss den Riegel zur Seite. Als er in den Flur platzte, stolperte er über Dominiks ausge-
strecktes Bein und landete der Länge nach auf dem Boden. Sofort drängten sich hinter ihm die
beiden Mädchen und die Jungen ins Freie, schlugen die Tür zu und verriegelten sie. Das laute
Klicken des Schlosses klang in ihren Ohren wie eine Triumphfanfare.
Von drinnen trommelte Tailor mit den Fäusten gegen die Tür. Er hatte sein Haus wirklich sehr
sicher gebaut und saß jetzt in der eigenen Falle. Genau wie den Knickerbockern würde es ihm
kaum gelingen zu entkommen.
„Und jetzt? Wie kommen wir weg?“, wollte Poppi wissen.
Die Sonne näherte sich bereits dem Horizont. Spätestens in zwei Stunden würde sie
untergehen.
Lieselotte entdeckte Tailors Handy. Es lag auf einem Hackstock neben dem Haus. Schnell
wählte sie dreimal die Neun, die amerikanische Notrufnummer. Eine Frau meldete sich, und Lilo
schilderte ihr die Lage, in der sich die Bande befand. Mehrere Male musste Lieselotte ihr be-
schreiben, wo sie sich ungefähr befanden, doch sie war nicht sicher, ob die Frau sie auch richtig
verstanden hatte. Auf jeden Fall versprach sie, sofort die Polizei zu schicken.
Aus dem Haus drangen Tailors wütende Schreie. Er hatte mitbekommen, was Lilo tat, und war
darüber außer sich vor Wut. Ken Tailor war jähzornig und unbeherrscht und außerdem ein
Einzelgänger, der andere Menschen um sich nicht gewohnt war.
„Ich habe damals die Höhle entdeckt!“, tobte er. „Nicht euer Onkel. Der war nur zufällig in der
Nähe. Deshalb stehen alle Funde mir zu und ihm nichts. Gar nichts.“
„Dachte ich mir doch, dass es um so etwas geht“, murmelte Lieselotte.
Axel zog sie am Ärmel. „Wir müssen weg von hier. Dort, zum Rand des Waldes. Dort zünden
wir ein Feuer an, das stark qualmt, damit uns die Suchtrupps leichter finden können.“
Lilo war sofort einverstanden. Bevor sie losliefen, schnappte jeder ein paar herumliegende
Holzstücke und vertrocknete Blätter.
Es war nicht schwierig, den Weg aus dem Wald zu finden. Sie mussten nur den tiefen Fahr -
rinnen folgen, die Tailor mit seinem Pick-up in den Boden gegraben hatte. Links und rechts wu -
cherte Gestrüpp mit olivgrünen Blättern. Äste und Ranken, die über den Weg gewachsen waren,
hatte Tailor einfach geknickt oder weggerissen und auf den Boden geworfen.
Die Knickerbocker-Bande war ungefähr hundert Meter weit gelaufen, als es auf beiden Seiten
zu rascheln begann. Jemand schien sich ihnen mit großer Geschwindigkeit durch das Unterholz
zu nähern.
Wie erstarrt standen die vier da und starrten auf die Spitzen der Büsche, die in heftige Bewe -
gung geraten waren und anzeigten, wo sich die Verfolger befanden.
„Riecht ihr das?“, fragte Dominik leise.
„Es stinkt nach Aas, nach verwestem Fleisch“, antwortete Lilo gepresst.
Stumm deutete Dominik auf eine Stelle, ein Stück weiter, wo mehrere Klumpen blutiges Fleisch
lagen.
„Rückzug, so leise wie möglich!“, riet Poppi ihren Freunden.
Bevor sie noch nach dem Grund fragen konnten, brach es auch schon aus dem Dickicht. Es
waren zwei Alligatoren, beide mindestens eineinhalb Meter lang. Sie kamen mit eckigen
Schritten direkt auf die Bande zugelaufen und gaben dabei zischende Laute von sich.
Lilo, Axel und Dominik rangen nach Luft.
Ohne die Tiere auch nur eine Sekunde aus den Augen zu lassen, bewegten sie sich nach hinten.
Zuerst nur Schritt für Schritt, dann aber begannen sie zu laufen, so gut und so schnell es ging.
Auch die Alligatoren erhöhten ihr Tempo. Ihre Schwänze schlugen heftig hin und her. Trafen
sie einen vertrockneten Erdklumpen, wurde er in einem hohen Bogen zur Seite geschleudert.
Dominik schrie auf und drängte sich an Lilo. Sie stolperte über ihn und stürzte nach hinten.
Dominik landete hart, Lilo etwas weicher auf ihm.
„Schlangen!“, keuchte er.
Links von ihnen waren zwei dicke Schlangen mit gewürfeltem Muster aus einem Kunststoff-
rohr direkt auf den Weg gefallen. Es sah aus, als handle es sich um eine Art Falle, die uner -
wünschte Besucher abhalten sollte.
Die Alligatoren beeindruckten die Schlangen wenig. Sie schienen nur an den drei Knickerbockern
interessiert.
„Poppi?“, rief Axel, der ungefähr zehn Meter hinter Lilo und Dominik stand und ratlos um-
hersah. Was sollte er jetzt tun? Und wie hatte es Poppi geschafft, an den Alligatoren vorbei wei-
terzulaufen?
Der Abstand zwischen den drei Freunden und den angreifenden Alligatoren war auf wenige
Meter geschrumpft und verkleinerte sich jede Sekunde. Noch immer lagen Lilo und Dominik auf
dem Boden und fixierten die Schlangen, die etwas ratlos über den Boden krochen.
„He, ihr zwei!“, brüllte Poppi aus Leibeskräften und kam hinter den Alligatoren hergerannt. Sie
schien sie zu verfolgen. War sie völlig übergeschnappt?
„Hau ab, weg!“, schrie ihr Axel zu.
Doch Poppi hörte nicht auf ihn. Sie hielt etwas in der Hand, schleuderte es wie einen Hammer
beim Hammerwurf, ließ es los und beobachtete, wie der rote Klumpen in die Richtung der
Alligatoren segelte und hinter ihnen auf den Boden fiel.
Die Tiere bemerkten es gar nicht, sondern stapften weiter auf Lilo und Dominik zu. Erschreckt
durch die stampfenden Schritte und die schlagenden Schwänze ergriffen die Schlangen die
Flucht. Die beiden Knickerbocker versuchten aufzustehen, was ihnen aber nicht gelang. Ihre
Arme und Beine versagten den Dienst und sie konnten nur kriechend versuchen, das Weite zu
suchen.
Schon unternahm Poppi einen neuerlichen Versuch. Wieder warf sie einen roten Klumpen, und
diesmal hatte sie mehr Glück. Er landete ein paar Schritte vor den Alligatoren, die stutzten und
sich dann gleichzeitig darüber hermachten.
Ihre langen Kiefer mit den spitzen Zähnen verbissen sich ineinander, im Kampf um das Futter.
Die Knickerbocker nützten diesen Augenblick und liefen in einem großen Bogen um die Tiere
herum in Poppis Richtung. Das Mädchen schleuderte den Alligatoren noch zwei weitere Fleisch-
brocken vor den Rachen.
„Die müssen uns für Tailor gehalten haben. Wahrscheinlich kriegen sie immer etwas, wenn er
kommt“, erklärte sie überraschend ruhig. „Die Fleischbrocken sind übrigens von oben aus einem
Gitterkäfig gefallen. Sie sind dazu da, die Alligatoren anzulocken, wenn jemand vorbeigeht.
Augenscheinlich wird dabei ein Mechanismus ausgelöst.“
„Los, weiter ... weg!“, kommandierte Lieselotte. Sie klopfte Poppi anerkennend auf den Rücken:
„Übrigens echt gut gemacht, Poppi!“
Lilo breitete die Arme aus, um ihre Freunde weiterzuschieben, doch die drei blieben wie fest -
gewachsen stehen. Ihre Blicke gingen in dieselbe Richtung zur selben Stelle.
Mindestens sechs oder sieben Alligatoren hockten auf dem Weg und starrten die vier an. Als
sich der erste in Bewegung setzte, folgten ihm die anderen sofort. Sie wollten ihr Futter, und da
Poppi es weggenommen hatte, musste jetzt eben etwas anderes ihren Hunger stillen.
ELFTES KAPITEL

Die Bande erfährt, wie es möglich ist,


dass ein toter Onkel zu Besuch kommt.

„Ins Gebüsch“, schlug Axel vor.


Doch keiner folgte ihm, als er eine Bewegung zur Seite machte.
„Die Schlangen“, keuchte Lilo. „Davon gibt es hier bestimmt mehr.“
Die Knickerbocker-Bande saß in der Falle: Sie konnten weder vor noch zurück noch nach links
oder rechts.
Hinter ihnen zischte etwas durch die Luft und knallte laut. Mit lautem Gebrüll kam Mister Tai-
lor, schwang eine lange Peitsche und vertrieb damit die streitenden Alligatoren. Er stürmte an
der Bande vorbei und ging peitschenknallend auf die anderen Alligatoren los, die schnellstens
das Weite suchten. Während er die lange Peitschenschnur lässig um die Hand wickelte, ging er
breitbeinig zurück zu den vier Knickerbockern. Um seinen Mund zuckte ein spöttisches,
triumphierendes, fast teuflisches Grinsen.
„Dachtet, ihr könntet mich austricksen“, höhnte er. „Müsst ihr früher aufstehen!“
„Wir können nichts dafür, dass Sie und Carl Hofbauer Streit oder sonst etwas hatten. Wir sind
unschuldig, warum machen Sie uns Angst? Warum bedrohen Sie uns? Lassen Sie uns bitte
gehen!“
Tailor senkte den Kopf und starrte die Knickerbocker mit zusammengekniffenen Augen an.
„Mitkommen!“, befahl er und fuchtelte drohend mit der aufgerollten Peitsche. Er scheuchte die
vier zurück zu seinem Wagen und ließ die Mädchen wieder auf den Beifahrersitz und die Jungen
auf die Ladefläche steigen. Mit großer Geschwindigkeit pflügte er abermals durch das
Sumpfland. Dominik und Axel wurden von Kopf bis Fuß mit Schlammwasser voll gespritzt.
Vorn lief unermüdlich der Scheibenwischer, da Ken Tailor sonst nicht genug gesehen hätte.
Als sie über die Autobahn fuhren, sahen sie aus der entgegensetzten Richtung mehrere Poli-
zeiwagen mit Sirene und Blaulicht kommen. Wahrscheinlich waren sie auf der Suche nach der
Bande.
„Ich habe die Idee gehabt. Ich, nicht er!“, bellte Tailor plötzlich los. „Euer Onkel Carl ist ein
Dieb, einer, der nur abkupfert und anderen die Ideen klaut, weil ihm selbst nichts einfällt.“
Lilo beschloss, die Bombe platzen zu lassen: „Er ist nicht unser Onkel. Wir ... wir sind gebeten
worden, auf die Frau aufzupassen, die aber angeblich ganz anders heißt und einen Schatz suchen
soll. Einen sehr wertvollen.“
Den wahren Wert verschwieg sie lieber.
Ken Tailor bremste und bog auf den Parkplatz einer Tankstelle ein. Fragend musterte er das
Mädchen. Er schien im Augenblick etwas verwirrt.
„Sag das noch einmal!“
Langsam wiederholte Lieselotte, was sie gerade gesagt hatte, und Ken Tailor strich sich mit der
Hand immer wieder über das stachelige Kinn. Dabei erzeugte er ein schabendes Geräusch.
„Aber... wieso wollte er kommen? Und warum ist er dann nicht gekommen?“, wollte Tailor
wissen.
Lilo zuckte mit den Schultern und Poppi folgte ihrem Beispiel.
Der riesige, bullige Mann lehnte sich zurück. Neugierig pressten die Jungen ihre Gesichter an
das kleine Fenster im Fahrerhaus. Das Glas fehlte und so konnten sie hören, was gesprochen
wurde.
„Es war mein bester Einfall damals, als das Hochwasser kam. Der Mississippi ist gestiegen und
gestiegen und damit das Grundwasser von New Orleans. Die Stadt liegt unter dem Wasser-
spiegel, und ein Grundwasseranstieg hat zur Folge, dass alles aus dem Boden geschwemmt
wird.“ Tailor lachte trocken, als ihm eine schaurige Begebenheit aus der Vergangenheit einfiel.
„Früher kamen bei Hochwasser sogar die Särge wieder aus der Erde und schwammen wie Boote
durch die Hinterhöfe. Die Leute sagten dann: Gestern hatte ich Besuch von meinem verstorbenen
Onkel.“
Gespannt hörten die Knickerbocker zu.
„Es gab da diesen knausrigen kleinen Mann in New Orleans. Er wohnte in einem winzigen
Haus im French Quarter und besaß einen riesigen Garten. Als er starb, gab es keine Erben,
allerdings war außer dem Grundbesitz auch nichts da, was man hätte erben können. Dabei
wussten viele von der Sammelleidenschaft des Mannes. Kunstschätze aus aller Welt hatte er zu-
sammengetragen, doch sie schienen verschwunden. Aber das waren sie nicht. Ich habe das Haus
gemietet. Euer Onkel hat die Idee wohl aus mir rausgeholt, als ich ein paar Drinks zu viel hatte.
Ich kannte ihn von anderen Schatzsuchen, die wir gemeinsam unternommen hatten. Er hat das
Nachbarhaus gemietet. Und als das Hochwasser kam, ist es tatsächlich geschehen: Aus dem Bo-
den sind Kisten aufgetaucht, in denen Statuen aus der ganzen Welt lagen. Es ist mir gelungen,
alle an mich und in mein Versteck im Sumpf zu bringen. Das hat mir Carl nie verziehen, doch es
kümmert mich nicht. Ich ... hatte die Idee. Nur ich, ich, ich. Klar?“ Er bohrte den Zeigefinger wie
ein Schwert in Lilos Richtung.
Das Superhirn hob abwehrend die Hände. „Jajaja, alles klar.“
Von hinten meldete sich Axel. „Carl Hofbauer, wie sieht der aus?“
„Er ist ... alt ... älter als ich ... mindestens sechzig Jahre. Als ich ihn das letzte Mal gesehen habe,
hatte er ziemlich langes weißes Haar. Seine Haut ist wie Leder und er hat eine große Nase.“ Um
die schien ihn Ken zu beneiden.
Die Knickerbocker-Bande schwieg betroffen. Eugen Stinger und Carl Hofbauer waren also nicht
dieselbe Person. Stinger war viel jünger.
„Aber wozu erzähle ich euch das alles?“, brauste Ken auf einmal auf. Er startete den Motor,
und sein Gesicht bekam wieder einen wilden, unberechenbaren und Furcht einflößenden Aus-
druck.
„Raus!“, schrie Lieselotte.
Bevor Tailor sie fassen konnte, waren die Mädchen schon aus dem Fahrerhäuschen und die
Jungen von der Ladefläche gesprungen. An der Ausfahrt der Tankstelle sahen sie eine weiße,
lang gestreckte Limousine mit dunklen Scheiben. Lilo rannte darauf zu, riss die hintere Tür auf
und hechtete hinein. Die anderen hinterher. Als Tailor sie einholte, zog Axel gerade die Tür
wieder zu.
Der riesige Innenraum, in dem es nicht nur eine Rückbank, sondern auch zwei lange Seiten-
bänke, Kristalllampen und einen Kühlschrank gab, war leer. Der Fahrer hatte sich umgedreht
und starrte die vier streng an.
„Fahren Sie, schnell!“, schrie Dominik. „Wir können auch bezahlen.“
Diese Worte wirkten.
Draußen rüttelte Tailor an den Türgriffen, aber Dominik hatte innen die Verriegelung gedrückt.
Die Limousine setzte sich in Bewegung, und Tailor lief noch ein Stück nebenher. Dann aber
musste er loslassen, und der weiße Wagen reihte sich in den Verkehr auf der Autobahn ein.
Eine Weile brachte keiner der vier ein Wort heraus.
„Zeigt mir das Geld!“, verlangte der Fahrer.
Dominik kramte ein paar Dollarscheine aus seiner Tasche und reichte sie nach vorn.
„Wohin?“, lautete die nächste Frage.
Sie nannten den Namen des Hotels, weil sie hofften, Marion dort zu treffen.
„Leute, was tun wir jetzt weiter?“, stellte Axel eine Frage, die auch den anderen auf der Zunge
brannte.
„Kennt ihr euch eigentlich noch aus?“, wollte Lilo wissen.
„Diesen Carl Hofbauer gibt es, aber wieso ist er nicht selbst unterwegs, sondern Marion?“,
überlegte Lilo laut.
Axel nahm aus dem eingebauten Kühlschrank vier Dosen Cola und verteilte sie an seine
Freunde.
„Hört zu, wir tun so, als wüssten wir überhaupt nichts“, sagte Lieselotte. „Wir wiegen Marion
in Sicherheit. Das ist die beste Möglichkeit herauszufinden, was hier wirklich gespielt wird.“
Die anderen waren einverstanden.
Vor dem Hotel legten die vier ihr ganzes Geld zusammen und bezahlten den Fahrer. Als sie aus
der Limousine ausstiegen, stockte ihnen der Atem.
Neben der Eingangstür lehnte Ken Tailor, die Arme lässig vor der Brust verschränkt.
ZWÖLFTES KAPITEL

Jede Menge Leute


werden ziemlich wütend

„Sehr schlau“, schleuderte er ihnen entgegen. „Aber damit kommt ihr nicht davon, ihr widerli-
che Bande.“
Der weiße Wagen war abgefahren und die Straße im Augenblick menschenleer. Poppi öffnete
die Lippen, „Hilfe!“ zu rufen, aber Tailor stürzte sofort auf sie zu und hielt ihr den Mund zu.
„Wagt es nicht...“, drohte er den anderen und ließ keinen Zweifel, dass er Poppi etwas antun
würde, wenn sie schrien.
Die Tür wurde aufgerissen und ein junger Farbiger trat heraus. Mit einem Blick erfasste er die
Lage, sprang auf Ken Tailor zu und drehte ihm blitzschnell den freien Arm auf den Rücken.
Überrascht und mit schmerzverzerrtem Gesicht ließ Tailor Poppi los, die sofort zu ihren Freun-
den flüchtete.
„Mistkerl“, schimpfte der Mann, der niemand anderer als Abraham war, der Totenkopfmann
von letzter Nacht. „Was haben dir diese Kinder getan? Außerdem will ich endlich mein Geld!“
Marion kam nun ebenfalls aus dem Hotel, eilte auf die Bande zu und schlang ihre kräftigen
Arme um die vier. „Habt ihr mir einen Schrecken eingejagt“, jammerte sie.
„Wir? Wohl eher der da!“ Lilo deutete auf Tailor.
Mit einem Wutschrei schaffte es der Schatzsucher, sich aus dem Griff zu befreien. Er holte einen
Geldschein aus der Tasche und schleuderte ihn Abraham zu. „Da, und jetzt lasst mich alle in
Frieden!“, brüllte er, bevor er davonlief.
„Er... er hat uns entführt...“, stammelte Axel erklärend.
Marion sah dem Mann kurz nach und kaute an ihrer Unterlippe. Sie schien über etwas nach-
zudenken.
„Wir... wir fliegen noch heute weiter“, beschloss sie.
Abraham entschuldigte sich bei der Bande für den Schrecken, den er den vieren in der Nacht
einjagt hatte, und ging. Die Bande holte ihr Gepäck, während Marion die Rechnung beglich. Eine
halbe Stunde später saßen sie bereits in einem Taxi-Kleinbus, der sie zum Flugplatz brachte.
„Warum wolltest du eigentlich hierher?“, fragte Poppi und lächelte Marion unschuldig an.
„Warum? Weil ... vielleicht hätte er etwas gewusst“, antwortete Marion ganz automatisch, da sie
völlig in Gedanken versunken war. Dann aber fiel ihr auf, was sie gesagt hatte, und sie fügte
schnell hinzu: „Vergiss es... es ist ganz anders. Nicht wichtig. Hat er euch auch wirklich nichts
getan?“
„Wir sind noch ganz!“, kam es aus Axels Richtung lässig.
„Aber wir trauen dir keinen Millimeter über den Weg“, fügte Lilo in Gedanken hinzu.
„Wohin fliegen wir eigentlich?“, wollte Dominik gähnend wissen. Die Müdigkeit und Er-
schöpfung übermannte ihn langsam.
„Hawaii“, lautete Marions Antwort.

In dem Winzerhäuschen an der Donau herrschte eine sehr angespannte Stimmung. Obwohl
seine Augen schon brannten und die Buchstaben und Zahlen auf dem Computerbildschirm
manchmal zu tanzen schienen, arbeitete Damian noch immer.
In der Sonne war er schon lange nicht gewesen, und deshalb war seine Haut auch blass. Da er
während der Arbeit am Computer oft zu essen vergaß, schlotterten Jeans und T-Shirts an ihm.
Eugen Stinger trat hinter ihn und fragte brummig: „Und? Bist du endlich drinnen?“
„Nein, Chef, der Code ist nicht zu knacken. Es muss sich um ein selbst gestricktes Fabrikat han-
deln, das irgendeinen Kniff hat, den ich noch nicht durchschaut habe. Aber ... ich schaffe das,
verlassen Sie sich auf mich.“
„Ich werde jemand anderen holen“, drohte Stinger.
„Nein, das ist nicht nötig!“, versuchte ihn Damian sofort zu beruhigen. Noch ein Experte würde
bedeuten, er müsste sein Honorar teilen, und das konnte er nicht zulassen. Er brauchte das Geld,
und zwar dringend! Damian hatte sich als Hacker in den Computer einer Großfirma einge-
schaltet und war erwischt worden. Das hatte ihm nicht nur eine Verurteilung vor Gericht,
sondern auch eine Geldstrafe eingebracht, die er schnellstens bezahlen musste.
Stinger starrte missmutig durch eines der kleinen Fenster hinaus in die Nacht. Der Mond spie-
gelte sich im Fluss, der träge wie flüssiges Blei dahinfloss.
„Ich muss kurz weg, aber ich komme wieder“, sagte er und verließ das Haus. Damian war froh
darüber. Er brauchte dringend eine Pause.
Eine halbe Stunde später kroch Stinger auf allen vieren durch den Gang, der zum vergessenen
Verlies führte. Er leuchtete dem Gefangenen ins Gesicht und schrie aufgebracht: „Du ver-
dammter Schwachkopf, rück endlich damit raus, wo der Schatz versteckt ist. Sonst ... sonst lasse
ich dich hier unten verrecken.“
„Mein Name ist Carl Hofbauer, nicht Verdammter Schwachkopf'„, korrigierte ihn der Mann mit
ruhiger Stimme. „Und wenn Sie mich nicht gut pflegen, werde ich mein Geheimnis mit ins Grab
nehmen, und der Schatz wird für immer unauffindbar bleiben.“
„Ich bekomme es raus!“, tobte Stinger und rang nach Luft. Er fuhr sich mit dem Finger zwi-
schen Hals und Kragen und riss den obersten Knopf einfach weg. „Ich lasse gerade dein Haus
zerlegen, deine Computer filzen, und außerdem knöpfen wir uns alle deine Kollegen vor, die du
besuchen wolltest. Ich krieg es raus, verlass dich drauf.“
„Wenn es so ist, könnten Sie mich doch wirklich gehen lassen“, schlug Carl Hofbauer vor.
„Einen Dreck werde ich!“, fluchte Stinger. „Und ich werde dich auch noch zum Reden brin gen,
da kannst du Gift drauf nehmen, du Ratte.“
Mit diesen Worten schob er sich nach hinten durch den Gang. Er ertrug den Gestank in der
Zelle nicht. Außerdem hatte er das Gefühl, sein Kopf könnte demnächst zerplatzen.
Mit einem Knall fiel die Haustür zu, als er in das Winzerhaus zurückkehrte, das Carl Hofbauer
bis vor kurzem bewohnt hatte. Bis zu dem Tag nämlich, an dem ihn Stinger überwältigt und in
das Verlies verschleppt hatte.
Damian, der sich gemütlich zurückgelehnt und die Beine lässig auf den Tisch gelegt hatte,
schreckte auf und tat sofort wieder so, als wäre er die ganze Zeit ohne Unterbrechung an der Ar -
beit gewesen.
Um seiner Wut Luft zu machen, schleuderte Stinger ein paar wertvolle chinesische Vasen zu
Boden, die der Schatzsucher vor einigen Jahren aus einem versunkenen Schiff geholt hatte. Wie
ein tobender Stier trampelte er in den Scherben herum und kickte sie mit der Schuhspitze nach
allen Seiten.
Auf einmal fiel sein Blick auf ein gerahmtes Foto an der Wand. Es zeigte einen jungen Carl
Hofbauer mit einer jungen Frau und zwei Kindern. Sie waren bei einem Motorbootunfall ums
Leben gekommen.
„Das könnte dein wunder Punkt sein, da kriege ich dich“, knurrte Eugen Stinger.
Aus dem Arbeitszimmer kam ein aufgeregter Ruf: „Schnell, kommen Sie, Chef! Ich ... ich bin
drin.“
Damian war vor Aufregung vom Stuhl aufgesprungen und klatschte begeistert in die Hände.
Die Daten des einen Computers waren durch eine lange Kombination aus Buchstaben und
Zahlen geschützt gewesen, doch ein spezielles Programm hatte unermüdlich und mit unfassbar
hoher Geschwindigkeit alle Möglichkeiten durchprobiert, bis es schließlich die richtige gefunden
hatte.
Mit gierigen Fingern stürzte sich Eugen auf den Computer und fasste nach der Maus. Er fand
schnell einen Ordner mit der Beschriftung „Projekte“. Seine Augen leuchteten auf, als er dort ein
Dokument mit Namen „100 Milliarden“ entdeckte. Zitternd vor Erwartung und Freude klickte er
es an.
Bevor das so lang gesuchte Dokument jedoch geöffnet werden konnte, wurde der Bildschirm
wieder schwarz.
„Was ist das?“, schrie Stinger.
Damian stöhnte auf. „Ein Schutzmechanismus. Die Daten sind wieder gesperrt. Wahrscheinlich
muss man noch weitere Codes eingeben.“
Er versuchte sofort, die Kombination einzutippen, die er herausgefunden hatte, doch das
Ergebnis war niederschmetternd. Der Bildschirm blieb bis auf eine weiße Zeile dunkel. Das
Schutzprogramm hatte mit Hilfe eines Zufallsgenerators bereits einen neuen Code erfunden, und
es würde abermals Stunden dauern, bis er geknackt war.
Stinger wurde klar, dass er auf diese Weise wahrscheinlich nicht weiterkam. Vielleicht gelang
es ihm aber doch, Carl Hofbauer aus der Ruhe zu bringen und ihm das Geheimnis des 100-
Milliarden-Dollar-Schatzes zu entlocken.
DREIZEHNTES KAPITEL

Ankunft auf einer Trauminsel, wo allerdings


eine Albtraum-Mitteilung wartet und Dominik
von einem Hai gebissen wird, der gar kein Hai
ist. Die Bande fasst einen wichtigen Entschluss.

Der Flug nach Hawaii dauerte sehr lange. Wieder musste die Bande einmal umsteigen, und
Marion hatte größte Mühe, die vier wach zu bekommen.
Es war Vormittag, als sie auf Oahu, der Hauptinsel von Hawaii, ankamen. Doch noch immer
war die Reise nicht zu Ende. In einem kleinen Flieger, der nur Platz für zehn Passagiere hatte,
ging es weiter auf eine Insel namens Lanaii.
Im Landeanflug konnten die Knickerbocker eine lange Küste sehen. Häuser entdeckten sie
nicht.
„Die Insel ist nicht klein, aber trotzdem leben hier nur zweitausend Menschen“, erfuhren sie
vom Piloten, der Nick hieß. „Früher wurden hier die berühmten Hawaii-Ananas angebaut, aber
das ist schon lange her. Heute gibt es zwei große und ein kleines Hotel und riesige Golfplätze.
Aus aller Welt kommen Leute, um hier zu spielen.“
„Und wieso fliegen wir hierher?“, fragte sich Lilo.
Nach der Landung betraten sie ein kleines, aber feines Flughafengebäude, wo sie schon von
zwei strahlenden Hawaiianern erwartet wurden. Diese hängten jedem der Neuankömmlinge
einen üppigen Blütenkranz um den Hals und begrüßten sie herzlich. In einem Bus wurden sie an
die Küste zu einem prachtvollen Hotel gebracht. Gleich vom Eingang aus sahen sie durch riesige
Bogenfenster auf einen blitzblauen Pool und dahinter auf das glitzernde Meer.
„Ich komme mir hier wie in einem Märchenpalast vor“, stellte Poppi fest.
An den Wänden gab es riesige Gemälde, die Hawaiianer bei den traditionellen Hula-Tänzen
zeigten.
Axel hörte, wie Marion mit einem jungen Mann in einem weiten, geblümten Hemd diskutierte.
Er hatte sich ihren Pass angesehen und fragte sie nun, wieso ihre Zimmer auf einen anderen
Namen bestellt waren. Marion deckte ihn mit einem Wortschwall zu, und schließlich schien er zu
resignieren.
Durch einen Garten, in dem ein Wasserfall rauschte und dicke Riesengoldfische in einem
künstlichen Teich ihre Runden drehten, wurde die Knickerbocker-Bande zu ihrer Unterkunft ge-
führt. Sie bestand aus zwei Schlafräumen, die durch eine Tür verbunden waren, und hatte einen
Balkon, der direkt hinaus auf das Meer ging.
Die Luft war sehr warm und erfüllt vom Duft der blühenden Bäume und Blumen. In der nahen
Bucht sah Poppi Delfine springen. Es war wie im Paradies.
Marion wollte sich ein wenig frisch machen und danach mit den Knickerbocker-Freunden essen
gehen.
Die vier holten als Erstes ihren Computer aus der Tasche und schlossen ihn ans Telefon an.
Aufgeregt überprüften sie, ob sie eine neue Nachricht per E-Mail erhalten hatten.
Es waren zwei eingetroffen: Eine stammte von Eugen Stinger und enthielt nur belangloses
Zeug. Er bat die vier, ihm ein paar Worte aufzunehmen und zu beschreiben, wo sie gerade waren
und was Marion unternahm. Ausdrücklich wünschte er sich eine Sprachaufnahme, die mit dem
Computer möglich war und sogar per Internet verschickt werden konnte.
Die Bande erfüllte ihm den Wunsch sofort. Alle vier sagten ein paar Sätze und schilderten das
Erlebnis in New Orleans mit Ken Tailor und den Alligatoren.
„Und auch hier auf Lanaii lassen wir Marion keine Sekunde aus den Augen!“, versprach Axel
lässig. Er zwinkerte den anderen zu.
Nach Beendigung der Aufnahme verschickte Lieselotte sie per E-Mail.
„Einfach irre, was man da heute alles machen kann“, stellte sie staunend fest.
„He, was ist mit der zweiten Mail?“, wollte Dominik wissen.
Lilo klickte es an. Trotz der Wärme von Hawaii jagte der Inhalt Axel, Lilo, Poppi und Dominik
eine Gänsehaut über den Rücken.

Von: Anonym
An: knickerbocker@thomasbrezina.com
Sehr schnell könnte es für euch zu spät sein. Mit euch wird ein böses Spiel getrieben. Wenn ihr
nicht mehr gebraucht werdet, könnte euch ein Unglücksfall ereilen,

„Wir fliegen zurück, sofort!“, entschied Lieselotte. „Wir können nicht unser Leben aufs Spiel
setzen.“
„He, bleib cool“, meinte Axel lässig. „Vielleicht will uns auch jemand nur verrückt machen,
damit wir aufgeben. Es fällt möglicherweise auf, dass wir nicht nur Marion auf die Finger
schauen.“
Das sah Lilo anders. „Mister Super-cool, hast du eine Garantie dafür?“
Die hatte Axel nicht, und deshalb schwieg er einfach nur.
Beschwichtigend hob Dominik die Hände.
„Bitte senkt euren Blutdruck“, flehte er, und es hörte sich an, als wollte jemand sein Meer-
schweinchen kahl rasieren.
„Quatsch nicht so kariert“, schnauzte ihn Axel an.
„Und du rede nicht mit mir wie ein Oberlehrer!“, feuerte Dominik zurück.
Im Nu war ein heftiger Streit entbrannt. Poppi war die Erste, die zu einem Kissen griff und es in
Richtung der Jungen schleuderte. Bald tobte eine wilde Kissenschlacht, die erst endete, als das
erste Kissen aufplatzte und es im Zimmer aussah, als würde es schneien.
„Leute, wir brauchen wohl eine Abkühlung“, stellte Lieselotte keuchend fest. Die anderen wa-
ren sofort einverstanden, schlüpften in die Badesachen und tobten schreiend hinunter zum
Strand. Ohne lange zu zögern, stürzten sie sich in das azurblaue Meer und tauchten unter den
heranrollenden Wellen hindurch. Prustend, schnaufend, spuckend und lachend tauchten sie
wieder auf und spritzten einander an. Nur Dominik hatte noch immer trockene Haare und
schwamm wie ein vertrocknetes Fräulein aus dem vorigen Jahrhundert. Axel konnte nicht
widerstehen, tauchte zu seinem Kumpel und biss ihn ins Bein.
„Ein Hai, Hilfe!“, kreischte Dominik und fuchtelte mit den Armen.
Lachend tauchte Axel neben ihm auf und spritzte ihn nass. Mit einem Wutschrei wollte sich
Dominik auf ihn stürzen, griff aber ins Leere und ging unter. Als er wieder auftauchte, schüttelte
er sich wie ein nasser Hund und sah sich suchend nach seinen Freunden um, die aber schon viel
weiter draußen schwammen und ihm spöttisch zuwinkten.
„Ich krieg euch alle“, schnaubte Dominik und kraulte los.
Nachdem sie sich genug ausgetobt hatten, schwammen die vier zum Strand zurück, holten sich
Handtücher aus einem Badehäuschen und ließen sich im warmen Sand nieder.
„So, und jetzt noch einmal von vorn“, sagte Lieselotte, „wie gehen wir weiter vor?“
„Echte Knickerbocker lassen niemals locker“, erinnerte sie Axel an ihr Motto.
„Das stimmt, allerdings handelt es sich hier um einen Fall, wie wir ihn noch nie gehabt haben:
Tausende Kilometer fort von daheim, unterwegs mit einer Frau, die uns wohl einiges ver-
heimlicht, angeheuert von einem Mann, der zweifellos falsch spielt, und verfolgt von Warnungen
eines Unbekannten.“
„Glaubt ihr, es gibt diesen 100-Milliarden-Dollar-Schatz wirklich?“, fragte Dominik seine
Freunde.
Lilo, Axel und Poppi waren fest davon überzeugt. „Sonst würden doch dieser Eugen Stinger
und diese Marion Nero nicht all diese Mühen und Kosten auf sich nehmen. Allein die Flugti-
ckets, die wir bisher verbraucht haben, kosten mehr als ein ganzes Auto.“
„Und in einem Punkt hat Stinger wohl die Wahrheit gesagt“, meldete sich Axel zu Wort. „Wir
sollen tatsächlich auf Marion aufpassen. Er hat Angst, sie könnte den Schlüssel zu diesem Schatz
herausfinden und ihn dann im Alleingang heben, ... falls er überhaupt zu heben ist.“
„Wieso ist sie eigentlich hier auf diese Insel gekommen? Was ist der Grund?“, fragte Dominik.
„Das finden wir raus. Zwei von uns beschatten sie ab jetzt Tag und Nacht!“, beschloss Lilo.
„Und die anderen zwei?“, wollte Poppi wissen.
„Die behalten ihr Zimmer im Auge. Vielleicht taucht wieder ein Totenkopfmann auf.“
Marion erwartete die Bande am Swimmingpool in der so genannten Pool-Bar. Sie nahmen an
einem kleinen bunt gedeckten Tisch Platz und bestellten Hamburger und einen Drink aus Ana-
nassaft und Kokosmilch.
„Ich muss am Nachmittag jemanden treffen“, sagte Marion ganz beiläufig. „Ihr vergnügt euch
am Pool, einverstanden?“
„Super!“, sagte Axel mit vollen Backen und spielte den Begeisterten. Als Marion nicht hersah,
zwinkerte er Lilo verschwörerisch zu.
Bevor Marion das Hotel verließ, winkte sie den Knickerbockern noch einmal zu, die faul auf
Luftmatratzen im Pool lagen und müde je eine Hand hoben. Kaum war Marion aber durch die
hohe Glastür verschwunden, sprangen Axel und Poppi an Land, schlüpften in ihre Kakishorts
und T-Shirts und liefen nach oben, wo sich der Ausgang des Hotels befand.
Zwischen den Bäumen der Zufahrt sahen sie gerade noch einen grünen Geländewagen ver-
schwinden.
„War dort eine Frau drin? Mit langen, blonden Zöpfen?“, erkundigte sich Axel bei einem der
Männer, die sich um das Gepäck der ankommenden und abreisenden Gäste kümmerten.
„Ja, ja, sie hat den Wagen gemietet“, lautete die Antwort.
„Kriegen wir hier irgendwo Fahrräder? Wir müssen ihr nach. Sie hat... äh ... etwas Wichtiges
vergessen!“
„Mit Fahrrädern schafft ihr das kaum. Ihr müsst doch die steile Serpentinenstraße hochfahren!“,
meinte der Mann. Hilfsbereit bot er an: „Aber wenn es so wichtig ist, dann steigt in den kleinen
Bus. Ich fahre euch.“
Die beiden Knickerbocker nahmen das Angebot gerne an. Ihr Fahrer hieß David und hielt sich
wohl für einen verkannten Formel-l-Piloten. Er raste durch die Kurven, dass Axel und Poppi
ganz übel wurde. An manchen Stellen ging es senkrecht zum Meer hinunter, und der Wagen
schlitterte so knapp an die Kante heran, dass Axel die schäumende Gischt sehen konnte.
„Zum Glück gibt es hier nicht viele Straßen“, erklärte David grinsend. „Eure Mum kann also
nur zum Flugplatz oder in die Stadt gefahren sein.“
„Bestimmt ist sie in die Stadt unterwegs“, waren die Knickerbocker sich einig.
Die „Stadt“ bestand aus einer Hauptstraße, die von riesigen, uralten Palmen und Pinien ge-
säumt wurde, und zwanzig Nebengassen, die wie mit dem Lineal gezogen angeordnet waren. Sie
trugen keine Namen wie andere Straßen, sondern waren nummeriert.
Dank Davids rasanten Fahrkünsten konnten die Junior-Detektive beobachten, wie Marion mit
dem grünen Jeep in die zwölfte Straße einbog.
„Wir steigen hier aus und gehen den Rest!“, entschied Axel und bedankte sich bei David.
„Ich kann auch auf euch warten, wenn ihr zum Hotel zurückwollt“, bot er an.
„In Ordnung, super, danke!“, riefen die beiden Knickerbocker über die Schultern und hasteten
die Nebengasse hinauf.
Auf beiden Seiten standen flache Holzhäuser, die alle in verschiedenen Farben gestrichen wa-
ren. Die meisten hatten große Veranden aus Fliegengitter, wo man auch am Abend geschützt vor
lästigen Stechmücken sitzen konnte.
Mit einem Zettel in der Hand lief Marion suchend von Haus zu Haus. Sie bog in eine weitere
Seitengasse und schien die richtige Adresse gefunden zu haben.
Poppi und Axel blieben an der Straßenecke stehen und versteckten sich hinter der Ecke eines
Holzzaunes. Neugierig streckten sie die Köpfe vor, um zu sehen, wen Marion besuchen wollte.
Ihre Spannung war groß.
VIERZEHNTES KAPITEL

Lilo und Dominik brechen ein


und Poppi beweist, was alles in ihr steckt.

Marion bewohnte ein Zimmer mit einer kleinen Terrasse im Gartengeschoss. Lilo und Dominik
taten so, als würden sie ihre Tante suchen und gingen rufend auf die Terrassentür zu.
„He, ist offen“, stellte Dominik überrascht fest.
„Hallo, Tante Marion, wir sind es!“, rief Lilo und betrat das Zimmer. Wieder schien es so, als
hätte Marion nichts ausgepackt.
„He, ihr Computer!“ Dominik deutete auf das gleiche Modell eines Laptops, wie die Bande ihn
von Eugen bekommen hatte. Er stand aufgeklappt da, der Bildschirm war dunkel.
Lieselotte zog den Rand ihres T-Shirts ganz nach unten und wickelte ihn wie einen Fäustling
um ihre Finger. Sie drückte die ON-Taste des Computers und traute ihren Ohren nicht, als ein
Pling-Ton den Start anzeigte.
Auf dem Bildschirm erschien eine Akte. Es handelte sich um eine Art Steckbrief eines röt-
blonden Mannes, der einen Ring im Nasenflügel trug und abgebrochene Vorderzähne hatte. Sein
Name lautete Roger Winkler, sein Alter war 48 Jahre und seine Adresse ein Haus in Lanaii-City.
Unter Tätigkeit stand: Sucht vor allem nach versunkenen Schätzen, größter Fund bisher eine La-
dung Gold- und Silbermünzen aus einer spanischen Galeere, die im 17. Jahrhundert in der Ka-
ribik gesunken war.
Lilo klickte auf einen Pfeil neben dem Steckbrief, worauf ein anderer geöffnet wurde, der Ken
Tailor zeigte. Mit Hilfe des Pfeils in die andere Richtung konnte Lieselotte noch weitere
Steckbriefe von Schatzsuchern in aller Welt finden.
„Marion ist also zu diesen Leuten unterwegs“, sagte Dominik leise.
„Allerdings sollten sie eigentlich Besuch von Carl Hofbauer erhalten“, fügte Lilo hinzu.
Dominik strich sich über das Kinn. „Was wollte er von ihnen?“
„Vielleicht Unterstützung bei der Suche des 100-Milliarden-Dollar-Schatzes!“
„Und wieso ist er nicht selbst gekommen? Warum fährt Marion statt seiner?“
Diese Frage konnte Lilo nicht beantworten.
Dominik deutete auf ein kleines Briefsymbol an der Oberkante des Bildschirms. Lieselotte
führte den Mauszeiger hin und konnte eine Übersicht über alle empfangenen E-Mails öffnen. Sie
kamen von einer Adresse, die keinen Namen hatte, sondern nur aus Ziffern bestand. Die Texte
waren für die Knickerbocker sehr informativ:

Von: 34S57...
An: mn@..._
Hofbauer hat bestimmt einem seiner Kollegen Andeutungen gemacht. Die musst du aus ihnen
rausbekommen. Dann kommen wir weiter.

Oder eine Nachricht, die sich noch auf New Orleans bezog:

Von: 34857...
An: mn@..._
Lass Ken Tailor sausen und konzentriere dich auf Hawaii.

„Und was haben sie mit diesem Carl Hofbauer getan?“, fragte Dominik leise.
Lilo schluckte. Sie hatte einen schrecklichen Verdacht, den sie aber nicht wahrhaben wollte.
Auf einmal blitzte etwas in ihren Augen auf. Sie schnalzte mit der Zunge, vergaß alle Vorsicht
und griff mit bloßen Händen nach dem Computer. Dominik sah ihr über die Schulter, als sie fol-
gende Nachricht tippte:
Von: 34857...
An: mn@...__
Gespräche auf Hawaii nicht sehr ergiebig bis jetzt. Wie sieht es bei dir aus? Was tut sich in
Sachen Hofbauer?
mn

Als Adresse gab das Superhirn die Zahlenkombination ein, von der Marion die Nachrichten er-
halten hatte.
„Ich wette, dahinter versteckt sich Eugen. So eine Adresse ist natürlich praktisch, da sie keinen
Hinweis enthält, wer der Besitzer sein könnte.“
Die Uhr des Computers zeigte noch die Zeit von daheim an. Dort war es jetzt ein Uhr früh.
Lieselotte konnte nur hoffen, dass der Empfänger der E-Mails sie sofort öffnete. Sie schloss den
Computer ans Telefon an und schickte es ab.
Nun hieß es warten.
Draußen rauschte das Meer. Regelmäßig rollten Wellen gegen die Felsen der Küste.
Immer wieder fragte Lilo den Computer per Tastendruck, ob schon eine Antwort eingetroffen
war. Die Antwort lautete aber immer „Keine neuen Nachrichten“.
Wann würde Marion wohl zurückkehren? Wie lange konnten sie noch warten?
Axel und Poppi beobachteten Marion, die unruhig vor einem lindgrünen Holzhaus mit beigen
Fensterläden auf und ab lief. Sie hatte bereits mehrmals geklopft, aber niemand hatte geöffnet.
Nun schien sie darauf zu warten, dass die Besitzer zurückkehrten.
Poppi stieß Axel mit dem Ellbogen an und deutete mit dem Kinn auf eine Seite des Hauses, die
nur sie sehen konnten. Verdeckt von einem blühenden Strauch stand dort eine junge Frau in
einem losen Kleid aus gekrepptem Stoff. Ihr langes Haar hielt sie mit einer Hand, damit es im
Wind, der sich erhoben hatte, nicht flatterte. Sie schien um die Ecke zu spähen und Marion zu be-
obachten.
„Die versteckt sich wohl und tut so, als wäre keiner daheim, damit Marion wieder geht“, flüs-
terte Axel. „Ich hätte eine Idee, die aber nur du ausführen kannst.“
„Was?“ Poppi sah ihn fragend an. Er beugte sich zu ihr und erklärte seinen Plan leise.
„Ich versuch's!“, war Poppi sofort bereit.
Sie lief die Gasse, in der sich die beiden Knickerbocker versteckten, noch ein Stück hinauf bis
zur nächsten Abzweigung. Dort schlich sie bis zur Rückseite des Grundstückes und kletterte über
den Zaun.
Noch immer stand die Frau hinter der Hauskante und beobachtete Marion. Mit einem tiefen
Seufzen drehte sie sich um und schlich auf Zehenspitzen zur Terrassentür.
„Hallo!“, sagte Poppi leise.
Nur mit Mühe unterdrückte die Frau einen Aufschrei. Die Hand auf den Mund gepresst drehte
sie sich um und starrte Poppi mit weit aufgerissenen Augen an.
„Ich bin nicht gefährlich!“, versicherte ihr das Mädchen schnell. „Ehrlich! „Um ihre Worte zu
unterstreichen, hob sie zwei Finger wie zu einem Schwur.
„Gehörst du ... zu der?“ Die Frau deutete mit dem Kopf in Richtung Gartentor. „Nicht
wirklich!“
„Oder ... oder haben sie dich geschickt?“
Poppi verstand nicht, was diese Frage zu bedeuten hatte. „Sie? Wen meinen Sie?“
„Was hast du hier zu suchen?“, fragte die Frau mit heiserer Stimme. Ihre Augen waren stark ge-
rötet, als hätte sie viel geweint, ihr Gesicht verschwollen.
„Ich kann Ihnen das alles erklären, am besten im Haus, okay?“
Nachdem sie kurz überlegt hatte, nickte die Frau und gab den Weg frei. So lautlos wie mög lich
schloss sie zuerst die Tür mit dem Fliegengitter und dann eine Glastür. Sie zog Gardinen vor und
ließ sich in einen tiefen Polstersessel sinken. Darin sah sie richtig klein aus.
„Äh ... wieso verstecken Sie sich?“, wollte Poppi wissen.
„Die Drohungen ... Roger nimmt sie nicht ernst... ich habe Tag und Nacht Angst... aber er lacht
nur darüber“, schluchzte die Frau.
„Ich heiße übrigens Poppi, und Sie?“
„Louisa. Louisa Winkler.“
„Ist Ihr Mann ... Schatzsucher?“
„Ja, aber wieso weißt du das?“ Louisa war auf einmal misstrauisch geworden.
„Es dauert ziemlich lange, wenn ich Ihnen alles erkläre, aber wissen Sie, ob Ihr Mann Besuch
von einem Carl Hofbauer erwartet?“
„Ja ... davon hat Roger gesprochen. Aber schon vor ein paar Wochen. Er mag diesen Carl. Er hat
sogar mit ihm telefoniert, und erst gestern hat er gefragt, ob er sich schon gemeldet hat.“
„Interessant!“ Poppi kaute aufgeregt an ihrer Unterlippe. Sie wollte alle Fragen stellen, die jetzt
wichtig waren. Genau wie Lieselotte. Nichts durfte sie vergessen, gar nichts.
„Haben Sie eine Ahnung, was Carl Hofbauer von Ihrem Mann wollte?“
Louisa schnäuzte sich und schüttelte den Kopf. „Nein ... aber ... bestimmt geht es wieder um
einen Schatz. Roger ist besessen von der Schatzsuche. Und jedes Mal, wenn er etwas Wertvolles
findet, steckt er das ganze Geld in die nächste Schatzsuche. Uns bleibt kaum etwas. Es ist wie
eine Sucht. Er muss suchen, suchen, suchen, immer nach noch größeren Schätzen.“
Poppi tat die Frau Leid, aber trotzdem musste sie weiterfragen. „Wo ist Ihr Mann jetzt?“
„In der Schiffswrack-Bucht, an der Westküste der Insel. Dort arbeitet er schon seit mehreren
Wochen. Jeden Tag kommt er missmutig heim, weil er wohl nicht findet, wonach er sucht.“
„Und was sucht er diesmal? Schiffswrack-Bucht, das klingt nach versunkenen Schiffen.“
Louisa zuckte mit den Schultern.
„Ist er mit einem Schiff unterwegs?“, wollte Poppi wissen.
„Ja ... mit seiner ,Doriana', wie immer.“
Da Poppi keine weitere Frage einfiel, verabschiedete sie sich mit einem verlegenen Lächeln.
„Äh ... alles Gute ... vielen Dank für die Auskunft, und machen Sie dieser Frau draußen nicht auf!
Irgendwann geht sie bestimmt.“
Ein bisschen verwirrt sah ihr Louisa nach. „Aber... wer ...?“
Schon war Poppi aus dem Haus, hastete geduckt durch den Garten, kletterte über den Zaun
und lief zu Axel zurück. In Stichworten erstattete sie ihm Bericht.
„Vielleicht bringt uns David gleich in die Schiffswrack-Bucht“, sagte Axel.
Die beiden Knickerbocker liefen zu dem wartenden Kleinbus.
„He, übrigens gut gemacht“, lobte Axel Poppi, die stolz lächelte. Sie bewies gern, dass mehr in
ihr steckte, als die anderen vermuteten.
Völlig verzweifelt war Louisa im Haus zurückgeblieben. Poppis Auftauchen war ihr wie ein
kurzer Spuk erschienen. Nun aber überkam sie wieder die Angst, die sie schon seit mehreren
Tagen quälte. Seit dem Augenblick, als der erste Anruf gekommen war.
Das Telefon schrillte und Louisa sprang in die Höhe. Mit großen Augen starrte sie es an, als
wäre es eine tickende Zeitbombe, die jede Sekunde explodieren könnte. Ihre Hände zitterten
heftig und waren schweißnass, als sie nach dem Gerät griff, die Antenne auszog und den Emp -
fangsknopf drückte.
„Ha ... hallo?“ Sie brachte fast keinen Ton heraus, ihre Stimme war nicht einmal ein Flüstern.
Aus dem Hörer kam die Stimme, vor der sie am meisten Angst hatte. Sie war elektronisch ver-
zerrt und klang quakend. Ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelte, war nicht zu er -
kennen.
„Hast du ihm gesagt, was ich dir aufgetragen habe?“
Louisa nickte, weil sie keinen Ton herausbrachte.
„Hast du oder nicht?“, schrie die Quakstimme. „Ja.“ „Und?“
„Er ... er sagt ... er lässt sich nicht erpressen. Er verkauft an denjenigen ... der das meiste bietet.“
„Das hätte er nicht tun sollen. Es war die letzte Warnung“, zischte der unbekannte Anrufer und
legte auf.
Louisa ließ den Hörer auf das Sofa fallen und sich daneben sinken. Wütend trommelte sie auf
die Lederkissen ein. Wieso war ihr Mann nur so stur? Warum hörte er nicht auf sie? Und weshalb
kümmerte es ihn nicht, dass sie vor Angst fast umkam?
„Es geht immer nur um seine Schätze! Mir reicht's ... ich ... ich werde ihn verlassen!“, beschloss
sie.
FÜNFZEHNTES KAPITEL

Wer ist schlauer als er aussieht?


Wer ist YpsilonZet?
Und was geschah vor 30 Jahren im Geisterdorf?

Wie ein eingesperrter Panter lief Eugen Stinger vor seinem tragbaren Computer auf und ab. Er
hatte das Gerät in der Küche des Winzerhauses aufgestellt und vor mehr als einer halben Stunde
die E-Mail von Marion erhalten.
„Diese kleinen Schnüffler“, schimpfte er immer wieder vor sich hin. „Diese widerlichen, kleinen
Schnüffler! Stecken ihre Rotznasen überall hinein, auch wenn sie das alles nichts angeht!“
Eugen hatte sofort erkannt, dass die Nachricht nicht von Marion kam. Marion hätte Hofbauer
niemals beim Namen genannt, sondern vom „Alten“ oder dem „Sturkopf“ gesprochen.
„Was mache ich mit diesen Biestern nur?“, murmelte er vor sich hin. „Was tu ich diesen Un -
geheuern an?“
Tatsächlich hatte er sie mit Marion mitgeschickt, damit die vier Knickerbocker seiner Komplizin
auf die Finger sahen. Er traute ihr keine Sekunde. Außerdem hatte er insgeheim gehofft, die
Knickerbocker-Bande würde auf eigene Faust Nachforschungen in Sachen 100-Milliarden-Dollar-
Schatz anstellen und ihm davon berichten. Doch sein Plan war schief gelaufen, der Schuss in die
falsche Richtung gegangen. Die Bande schnüffelte nun in seinen eigenen Angelegenheiten
herum, und es würde nicht mehr lange dauern, bis sie ihm auf die Spur kamen. Das musste er
verhindern. Nur wie? Wie? Wie?
Endlich hatte er eine Idee. Er ließ sich auf den Holzstuhl fallen, der gequält krachte, und begann
in die Tasten zu hauen. Als er fertig war, überflog er seine Antwort auf die falsche Mail noch
einmal und drückte dann die Sende-Taste.
Zufrieden grinsend verließ er die Küche, da er dringend auf die Toilette musste. So bemerkte er
nicht, wie sich jemand anderer an seinem Computer zu schaffen machte.
„Na endlich!“, jubelte Lilo ein paar Minuten später, als die E-Mail in Marions Computer eintraf.
Sie öffnete sie und las:
Von: 34857...
An: mn@..._
Mach weiter. Hofbauer hat uns eine Menge Geld gezahlt, damit wir die ganze Reise für ihn
machen. Er will bald Ergebnisse sehen. Die Kinder können dir sicher helfen. Sie sind schlauer,
als sie aussehen. Spann sie ein.

Dominik schnaubte empört. „Schlauer, als sie aussehen! Damit kann er nicht mich gemeint
haben!“
Lilo grinste spöttisch. „Wie kann man nur so eitel sein?“
„Na ja, regt dich das nicht auf? Hör dir an, wie der Typ von uns spricht! Er hält uns wohl für
ein paar dumme, kleine Wichtigtuer, die dämlich aussehen. Oder? Ist doch so!“
„Reg dich ab, Domilein“, riet ihm Lieselotte. „Eugen Stinger ist ein Quatschkopf. Was mich
allerdings überrascht, ist, dass Hofbauer ihr Auftraggeber ist.“
Dominik fand nichts dabei. „Was überrascht dich daran so? Sie suchen in seinem Auftrag nach
dem 100-Milliarden-Dollar-Schatz. Und nenn mich nicht mehr ,Domilein'! Du weißt, ich kann das
nicht ausstehen!“
„Darum tu ich es doch“, kicherte Lilo. Sie löschte die E-Mail, damit Marion nichts bemerkte,
und stellte den Computer an den Platz, von dem sie ihn genommen hatte.
„Viel mehr wissen wir jetzt auch nicht“, beschwerte sich Dominik.
„Ein bisschen etwas ist besser als nichts“, erklärte ihm Lilo. Über die Schulter rief sie: „Ich
verstehe nicht, wo Marion steckt. Vielleicht unten am Strand. Komm!“
Für jeden Beobachter sah es aus, als hätten zwei Kinder nach ihrer Mutter oder ihrer Tante
gesucht und sie nicht im Zimmer gefunden. Niemand schöpfte Verdacht.
Die beiden Knickerbocker kehrten in ihr eigenes Zimmer zurück, wo Lieselotte sofort den
Computer herausholte und nachsah, ob es neue Meldungen von Eugen an sie gab.
Herr Stinger hatte nicht geschrieben, dafür aber wieder der Unbekannte.

Von: Anonym
An: Knickerbocker_
Er weiß, dass ihr was wisst, Verschwindet endlich. Falls ihr Hilfe braucht, schickt eine Mail an
diese Adresse: YpsilonZet®... Seid vorsichtig, ihr seid in Gefahr.

Dominik und Lilo wurde abwechselnd heiß und kalt. Beide hatten das Gefühl, jemand hätte
ihnen gerade mit der Faust in den Bauch geschlagen.
„Er weiß, dass wir was wissen. Mit ,er' kann nur Stinger gemeint sein“, murmelte Lilo.
„Ob er auch weiß, dass die E-Mail vorhin von uns war?“, wollte Dominik leise wissen.
Seine Knickerbocker-Freundin nickte. „Das ... das glaube ich schon. Und das bedeutet, was er
über Hofbauer geschrieben hat, stimmt wahrscheinlich gar nicht. Ich werde den Verdacht nicht
los, sie haben den Mann ... umgebracht und wollen jetzt den Schatz finden, dem eigentlich
Hofbauer auf der Spur war.“
Dominiks Knie versagten den Dienst. Er sank auf das breite Bett und sagte mit zittriger Stimme:
„Lilo ... wir ... wir sind in den Händen von ... Killern.“
Das Superhirn der Bande widersprach ihm nicht. Fieberhaft überlegte sie, was sie nun tun
sollten. Sie hatten nicht genug Geld, um sich Rückflugtickets zu besorgen. Was sollten sie der
Polizei erzählen? Beweise gab es nicht.
„Komm, wir müssen noch einmal in Marions Zimmer“, beschloss Lieselotte.
„Was tun?“
Dominik bekam keine Antwort. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als hinter Lilo herzulaufen
wie ein Hund. Er konnte das überhaupt nicht ausstehen, allerdings war er zu geschockt, um zu
protestieren oder sich aufzuregen.

Der kleine Bus wurde heftig durchgeschüttelt, als David ihn über eine holprige Straße mit tiefen
Löchern Richtung Strand lenkte. Hoch über den Köpfen der beiden Knickerbocker zog sich ein
mächtiger Bergrücken über die Insel, der dicht bewaldet war.
„Das ist ein echter kleiner Regenwald“, erklärte David. „Vor 150 Jahren kam ein Mann auf diese
Insel. Damals wuchs hier kaum etwas. Der Mann hat säckeweise Samen für Bäume kommen
lassen, ist losgeritten und hat sie ausgestreut. Und das ist daraus geworden.“
Poppi und Axel beobachteten vor allem die Wolken, die der grüne Bergrücken wie ein Mag net
anzuziehen schien.
„Regnet es dort oben?“, wollten sie wissen.
„Ja, sehr oft. Und für heute Nachmittag ist Regen auf der ganzen Insel angesagt.“
„Gibt es hier am Schiffswrack-Strand wirklich so viele versunkene Schiffe?“, fragte Axel weiter.
„Versunkene Schiffe? Nur eines, und von dem sieht man noch einen Großteil“, erklärte David.
„Es ist vor vielen Jahren während eines Sturmes auf ein Riff aufgelaufen und gekippt, und seither
rostet es langsam vor sich hin.“
Er hielt den Wagen an, sodass er mit Blick auf das Meer zu stehen kam, und deutete auf das
Gebilde, das ein paar hundert Meter vor der Küste aus dem Wasser ragte. „Das ist der Bug des
Schiffes. Dahinter befindet sich noch ein Großteil des Decks.“
„Gibt es in dem Wrack einen Schatz?“, wollte Poppi wissen.
David lachte laut auf und schüttelte heftig den Kopf. „Bestimmt nicht. Ich bin hier auf Lanaii
aufgewachsen, und wir haben oft beim „Wrack gespielt, obwohl es unsere Eltern streng verboten
hatten. Nicht einmal eine einzige Münze haben wir dort gefunden.“
„Was war das für ein Schiff?“ Axel ließ mit seinen Fragen nicht locker.
„Ihr wollt wirklich alles ganz genau wissen“, stellte David fest. Nach kurzem Nachdenken
antwortete er: „Ich glaube, es handelt sich um ein Schiff der Kriegsmarine. Einmal wurde
behauptet, es hätten sich gefährliche Minen an Bord gefunden, die jetzt auf dem Meeresgrund
liegen, aber dafür gibt es keine Bestätigung.“
Der Weg, direkt am Wasser, bestand nur aus fest gepresstem Sand und mächtigen Bodenwel-
len. Bereits nach ein paar Metern Fahrt saß der Bus fest und die Knickerbocker mussten ausstei-
gen. Schimpfend besah sich David das Problem und rief per Funk Kollegen zu Hilfe, die ihn her-
ausziehen sollten.
Poppi und Axel liefen zu Fuß weiter, vorbei an verlassenen und verfallenen Holzhütten.
Fensterläden hingen schief in den Angeln, Türen schwenkten in der leichten Brise, die vom Meer
kam, knarrend hin und her. Die Hütten wirkten gespenstisch, fast wie ein Geisterdorf.
„Sieht aus, als hätten hier alle fluchtartig ihre Häuser verlassen“, stellte Axel fest. Weil sie auch
darüber mehr wissen wollten, kehrten sie zu David zurück, der ihnen tatsächlich etwas zu erzäh-
len hatte: „Früher haben hier Fischer gewohnt. Sie haben nicht nur gefischt, sondern auch ge -
taucht. Es war vor ungefähr dreißig Jahren, da sind alle Taucher am selben Tag schwer erkrankt.
Nur ein paar Tage später sind sie gestorben. Ihre Frauen und Kinder sind fort von hier, die
meisten haben sogar die Insel verlassen. Sie haben behauptet, das Wasser hier am Schiffswrack-
Strand sei von bösen Geistern heimgesucht worden.“
„Klingt höchst rätselhaft“, stellte Axel fest.
Da es noch ziemlich lange dauern würde, bis Hilfe kam, strolchte er mit Poppi weiter am Strand
entlang.
„Dort ist ein Schiff ... ein größerer Kutter“, machte Poppi ihren Freund aufmerksam. Axel kniff
die Augen zusammen und versuchte zu erkennen, ob es sich vielleicht um die „Doriana“
handelte, das Schiff des Schatzsuchers.
Fröhliches Lachen ertönte hinter einer Düne. Die Knickerbocker stießen auf eine Familie mit
zwei kleinen Kindern, die übermütig durch das seichte Wässer tollten. Neben der Decke, die sie
am Strand ausgebreitet hatten, lag ein großes Schlauchboot mit Rudern.
„Wir fahren zu dem Schiff raus“, beschloss Axel. Es gelang ihm, die Eltern der Kinder zu
überreden, ihnen das Boot zu borgen. Mit Poppis Hilfe trug er es zum Wasser und nachdem sie
eingestiegen war, stieß er sich fest ab und kletterte hinterher. Er musste sich kräftig in die Riemen
legen, um gegen die Strömung anzukämpfen. Langsam näherten sie sich dem Kutter, der sogar
einen hohen Segelmast besaß. Am Heck erkannten sie einen kleinen Kran, mit dem Lasten aus
dem Wasser gehoben werden konnten.
„Das ist die ,Doriana', ich trau mich zu wetten“, keuchte Axel angestrengt.
„Ja, ich kann den Namen am Bug lesen“, meldete Poppi.
„Dann sind wir richtig“, stellte ihr Knickerbocker-Kumpel zufrieden fest. Als er an der Boots-
wand anstieß, rief er: „Hallo! Ist da jemand?“
SECHZEHNTES KAPITEL

Langsam wird es für


die Knickerbocker-Bande heiß,
sehr heiß sogar.

Axel bekam keine Antwort. Er rief noch mehrere Male, allerdings ohne Erfolg. An Bord der
„Doriana“ schien niemand zu sein.
Poppi starrte mit gerunzelter Stirn auf die Oberfläche des Wassers.
„Du ... da waren Luftblasen ... wie von einem Taucher, der ein Pressluftgerät verwendet“, mel -
dete sie Axel.
„Sicher?“
„Na klar, sonst würde ich es doch nicht sagen!“ Poppi verdreht genervt die Augen.
Axel kam zu ihr und versuchte, in der Tiefe etwas zu erkennen. Außer dem Blau des Wassers
und dem grellen Glitzern an den Stellen, an denen sich die Sonne auf den Kämmen der Wellen
spiegelte, sah er aber nichts.
Dann ging alles sehr schnell. Auf einmal setzte sich das Schlauchboot mit einem Ruck in Bewe-
gung. Es schien von jemandem unter Wässer gezogen zu werden und pflügte mit großer Ge-
schwindigkeit durch die Wellen, immer weiter von der „Doriana“ fort.
Die beiden Knickerbocker, die vorhin noch am Schlauchbootrand gekniet hatten, waren nach
hinten geschleudert worden und kämpften sich mühsam in die Höhe.
„Was ist das?“, schrie Poppi entsetzt.
Axel, der nicht weniger erschrocken war als sie, deutete nach vorn auf die Leine, mit der das
Boot angebunden werden konnte. Die Leine war gespannt und führte ins Wasser. Jemand schien
sie gepackt zu haben und das Schlauchboot daran zu ziehen.
Aus dem Wasser tauchte vor den Knickerbockern ein Gerät auf, das wie ein Torpedo aussah
und von einem kräftigen Motor angetrieben wurde.
Am hinteren Ende war ein Griff befestigt, den ein Taucher in schwarzem Taucheranzug mit
Kopfschutz und Brille fest umklammert hielt. Er war es auch, der das Seil gepackt hatte. Aus sei-
nem Schnorchel kam ein Wasserschwall. Gleich darauf nahm er eine Hand vom Griff und löste
die Riemen seiner Pressluftflaschen. Mit einem lauten Klatschen fielen sie von seinem Rücken ins
Wasser und versanken.
Das Unterwasser-Zuggerät reagierte auf die Erleichterung sofort, der Motor heulte auf und die
Geschwindigkeit steigerte sich.
„Wer ist das?“, schrie Poppi, die sich mit beiden Händen links und rechts fest krallte, weil sie
Angst hatte, sonst über Bord zu gehen.
Axel, der ebenfalls alle Mühe hatte, das ständige Auf und Ab des Schlauchbootes heil zu
überstehen, brüllte: „Keine Ahnung!“
Immer weiter entfernten sie sich von der „Doriana“. Der Verdacht lag nahe, dass sich der
Schatzsucher höchst persönlich der lästigen Besucher entledigte. Waren sie hier auf etwas gesto-
ßen, das niemand sehen sollte? Hatten sie ihn bei etwas Verbotenem gestört?
Dem Knall folgte ein glühender Feuerball. Als sich die beiden Knickerbocker entsetzt und er -
schrocken umdrehten, wurden sie von einer heißen Druckwelle erfasst und auf den Boden des
Bootes gedrückt. Gleich darauf folgten hohe Wellen, die das kleine Schlauchboot zum Kentern
brachten. Über den beiden Freunden schlug das Wasser zusammen. Sie wussten nicht mehr, wo
oben und unten war, paddelten verzweifelt mit Armen und Beinen und spürten, wie ihnen die
Luft ausging.
Der Schock war zu groß und hatte sie völlig verwirrt. Nässe, kalte Dunkelheit hüllte sie ein.

Lieselotte fiel ein Stein vom Herzen, als sie im Kleiderschrank in Marions Zimmer die Safetür
offen vorfand. Im Safe lag also nichts. Lilo war
darüber sehr erleichtert, da es praktisch unmöglich gewesen wäre, die richtige Kombination
rauszufinden.
„Wonach suchst du eigentlich?“, wollte Dominik ungeduldig wissen.
„Nach den Flugtickets natürlich“, brummte Lilo und wühlte in den Vorder- und Nebentaschen
der Hülle des Computers. Ohne Erfolg.
„Der Koffer“, fiel ihr ein. Unter dem Bett fand sie den silbernen Metallkoffer mit den Zah-
lenschlössern. Lilo drückte sie zur Seite und die Klappen sprangen klickend in die Höhe.
„Ja!“, stieß Lieselotte triumphierend aus. Sie hatte die Flugtickets auf den ersten Griff gefunden
und schwenkte sie wie einen Siegespokal. „Und jetzt raus!“
Von Dominik kam weder Lob noch sonst eine Reaktion. Als sie sich zu ihm drehte, sah sie den
Grund. Ohne ein Geräusch zu machen, war Marion eingetreten. Sie hatte Dominik hart am Arm
gepackt und funkelte Lieselotte wütend an.
„Was habt ihr hier zu suchen?“, fauchte sie.
Lilo spürte, dass Marion es sehr, sehr ernst meinte und keine Ausrede akzeptieren würde.
Fieberhaft überlegte das Superhirn, was sie nun tun sollten.
Dominik warf ihr hilfeheischende Blicke zu.
Marion ließ die freie Hand in die große Tasche ihrer kurzen Kakihose wandern und zog eine
Pistole heraus. Sofort hob Lieselotte die Hände.

In ihrer Verzweiflung schlugen Poppi und Axel noch wilder um sich. Beide zwangen sich zu
Schwimmbewegungen mit den Beinen, rissen die Augen weit auf, ertrugen das Brennen des Salz-
wassers und versuchten einen Lichtschimmer zu erkennen, der ihnen anzeigte, welche Richtung
die richtige war.
Fast gleichzeitig steckten sie prustend die Köpfe aus dem Wasser.
„Tauch ab!“, keuchte Axel. Poppi schnappte gierig nach Luft und verschwand sofort wieder
unter der Wasseroberfläche.
Von oben regnete es Trümmer der „Doriana“, die explodiert und in tausende Teile zerstört
worden war. Ein schwarzer Rauchpilz quoll zum blitzblauen Himmel hoch.
Da ihnen die Luft ausging, mussten die beiden Knickerbocker wieder auftauchen. Rund um sie
war das Meer von zerfetzten, ausgefransten Metallteilen und zertrümmerten Holzstücken
übersät. Wo noch vor Minuten die „Doriana“ geschwommen war, schlugen jetzt meterhohe
Flammen in die Höhe, weil der ausgelaufene Treibstoff verbrannte.
Wie durch ein Wunder hatte das Schlauchboot die Explosion überstanden. Mit dem Boden nach
oben trieb es nur wenige Meter entfernt auf den Wellen. Axel kraulte darauf zu, drehte es um
und schwang sich hinein. Danach zog er Poppi hinauf.
Triefend nass, völlig verdreckt und schwer atmend hockten die beiden da und starrten auf das
Wasser.
Der Taucher mit dem motorgetriebenen Schwimmgerät war verschwunden. Er hatte ihnen das
Leben gerettet.
„Und wenn der Schatzsucher an Bord war? Vielleicht hat ihn jemand bewusstlos geschlagen?“,
fiel Poppi ein.
Axel wollte nicht daran denken.
„Du ... seine Frau ... sie hat von Drohungen gesprochen. Ich ... ich habe das ganz vergessen.“
„Oh nein“, stöhnte Axel auf.
Wie ein Seeungeheuer schoss direkt neben dem Schlauchboot eine schwarze Gestalt aus den
Wellen, krallte sich am Rand fest und brachte das Boot zum Kentern. Wieder landeten die beiden
Knickerbocker im Wasser, wo ein zweiter Taucher auf sie losging.
SIEBZEHNTES KAPITEL

Ein Biss in Bitterwurzeln,


ein Sprung in eine Limousine
und ein Kampf unter Wasser

Marion schien selbst nicht genau zu wissen, was sie weiter tun sollte.
„Los ... dorthin“, befahl sie Lilo und deutete mit dem Lauf der kleinen Pistole auf das Bade-
zimmer. Offensichtlich wollte sie die beiden Knickerbocker dort einsperren.
Langsam, Schritt für Schritt, bewegte sich Lieselotte mit erhobenen Händen in Richtung Bad.
Keine Sekunde ließ sie Marion, die Dominik noch immer am Arm gepackt hatte und mitzog,
dabei aus den Augen.
Lilo beobachtete, wie seine Augen auf einmal groß und vor Überraschung ganz weit wurden.
Im nächsten Augenblick sauste sein Kopf vor und er biss Marion mit aller Kraft in den Arm. Mit
einem lauten Schmerzensschrei ließ sie die Waffe fallen.
Sofort stürzte sich Lilo darauf und riss sie an sich. Durch einen Tritt gegen Marions Schienbein
schaffte es Dominik, dass sie ihn losließ. Die beiden Knickerbocker hechteten über das breite Bett
direkt auf die offene Terrassentür zu und hinaus ins Freie. Sie stürzten zum Schwimmbad, wo
sich noch immer viele Urlauber in der Sonne aalten. Hier fühlten sie sich halbwegs sicher, da
Marion bestimmt nicht vor so vielen Zeugen über sie herfallen würde.
„Sie kommt uns nicht einmal nach“, stellte Lilo schnaufend fest.
Dominik spuckte mehrfach aus und wischte sich den Mund ab. „Igitt, die Frau schmeckt wie
Bitterwurzeln.“
„Woher kennst du Bitterwurzeln?“, wollte Lieselotte wissen.
„Ich kenne sie nicht“, sagte Dominik achselzuckend, „aber ich stelle mir vor, dass sie so
schmecken.“
Ein Kellner ging mit einem Tablett an ihnen vorbei, das mit Bechern voll Eiswasser beladen
war. Lächelnd schnappte Dominik einen davon und leerte ihn in einem Zug.
„Jetzt geht's mir besser“, stellte er grinsend fest.
„Wir müssen abhauen“, beschloss Lieselotte. „Komm, wir schnappen unsere Sachen und dann
nichts wie fort.“
„Und wohin?“
Statt einer Antwort winkte Lieselotte mit den Flugtickets, die sie noch immer in der Hand hielt.
„He, wieso hast du die Pistole auf einmal so angestarrt und dann zugebissen?“, wollte sie wissen.
„Weil ich die Aufschrift ,Schreckschuss' entdeckt habe“, erklärte ihr Kumpel.
Die beiden Knickerbocker holten nicht nur ihre, sondern auch die Taschen von Axel und Poppi.
Beim Verlassen des Hotels mieden sie die großen Treppen, wo sie Marion vermuteten.
Wahrscheinlich hatte sie sich von Stinger Anweisungen geholt, was sie tun sollte, und machte
jetzt bereits Jagd auf die beiden Knickerbocker.
Ein Stück vom Haupteingang entfernt parkte eine dunkle Limousine. Dagegen gelehnt stand
ein Fahrer in weißen Hosen und weißem Hemd, der die Schlüssel an seinem Finger kreisen ließ.
Als er die beiden Knickerbocker kommen sah, riss er den Kofferraum auf und nahm ihnen so fort
das Gepäck ab. Danach öffnete er ihnen die hinteren Türen, wartete, bis sie eingestiegen wa ren,
und schloss sie dann für sie.
Nachdem er abgefahren war, tauchte ein Ehepaar auf, für die der Wägen eigentlich bestimmt
war. Mit offenem Mund starrten sie ihm nach.
„Zum Flugplatz“, vergewisserte sich der Fahrer.
Lilo und Dominik sahen einander entsetzt an. Sie konnten nicht einfach fort. Sie mussten zuerst
ihre Freunde finden. Aber wo waren die zwei?
„Sie dürfen auf keinen Fall zurück ins Hotel, sonst laufen sie Marion in die Arme, und dann hat
sie uns alle in der Hand“, erklärte Lilo aufgeregt. Diesmal nützte nicht einmal das Nasezwirbeln
etwas. Ihr fiel nichts ein.
Wild und wütend zerrte der Taucher Axel und Poppi unter Wasser. Sein Griff war eisern wie
ein Schraubstock, und er schien wild entschlossen, die zwei fertig zu machen.
Poppi bekam kurz den Kopf über Wasser, konnte Luft schnappen, wurde dann aber schon
wieder in die Tiefe gezerrt, schluckte Salzwasser, musste husten und hatte das Gefühl zu
ersticken. Panik erfasste sie.
Die Angst hatte Axel zuerst gelähmt, verlieh ihm jetzt aber ungeahnte Kräfte. Er boxte und trat
auf den Taucher ein und griff schließlich nach der Taucherbrille. Mit einem Ruck riss er sie dem
Unbekannten vom Gesicht. Seine Finger bekamen den Schlauch der Pressluft zu fassen, und
gleich darauf trieb das Mundstück unter heftigem Geblubbere der ausströmenden Atemluft im
Wasser. Verzweifelt versuchte der Taucher, es wieder einzufangen, musste dazu aber beide Kni -
ckerbocker loslassen.
Prustend und nach Luft ringend steckten die zwei die Köpfe aus dem Wasser. Axel winkte der
Familie am Strand zu, die noch immer fassungslos in die Richtung der explodierten „Doriana“
starrte.
„Hilfe! Help! SOS!“, schrie er, so laut er konnte.
Hinter den beiden tauchte nun auch ihr Widersacher auf. Er wurde von einem heftigen
Hustenanfall geschüttelt.
„Komm weg!“ Axel riss Poppi am Arm.
Der Taucher hatte sich schnell wieder beruhigt und kraulte auf sie zu. Da er Flossen trug, sauste
er wie ein Pfeil durch das Wasser. Verzweifelt versuchten die Knickerbocker, ihm zu
entkommen, aber er hatte sie schnell eingeholt und erneut nach ihnen gegriffen.
„Wer ... wer seid ihr?“, schnaubte er.
„Loslassen! Hilfe!“, brüllten die zwei.
Der Mann nahm die Hände von ihnen, schien aber auf einmal sehr verändert. Er wirkte ver -
wirrt und fast verlegen. Erst jetzt hatten die beiden Knickerbocker Gelegenheit, ihn genauer an-
zusehen. Er hatte ein sommersprossiges Gesicht, rotblondes Haar, das nass am Kopf klebte, und
einen Ring im Nasenflügel. Seine Vorderzähne waren abgebrochen.
„Kommt, wir schwimmen zum Strand“, sagte er fast sanft.
Poppi nickte, spürte aber, wie wenig Kraft ihr geblieben war. Arme und Beine fühlten sich auf
einmal schwer an, als wären sie mit Blei gefüllt. Der Mann erkannte, was mit ihr los war, und
deutete auf seine Schulter, wo sie sich fest halten konnte.
Auf allen vieren kroch Axel aus dem Wasser. Er war die ganze Strecke gekrault und war nun
zum Umfallen erschöpft. David kam ihm entgegen, kniete sich neben ihn in den Sand und fragte
ihn besorgt: „Bist du verletzt? Ist dir etwas geschehen?“
Stumm schüttelte Axel den Kopf.
Hinter ihm kamen nun Poppi und der Mann, der sich kaum auf den Beinen halten konnte.
„Mami, die haben unser Schlauchboot nicht zurückgebracht“, beschwerte sich eines der beiden
Kinder der Familie.
Keuchend lagen die Knickerbocker im Sand. Schwer atmend hockte der Mann neben ihnen. Die
vier Mitglieder der Familie und David bildeten einen Kreis um die drei und starrten sie fas-
sungslos an. Keiner verstand, wieso das Boot auf einmal in die Luft geflogen war. Niemand hatte
eine Erklärung, warum das Schlauchboot mit den beiden Freunden plötzlich mit so hoher Ge-
schwindigkeit durch das Wasser hatte pflügen können. Alle hielten es aber für ein Wunder, dass
Axel und Poppi nicht ernsthaft verletzt waren.
„Ich ... hole die Polizei“, beschloss David.
Der Mann hielt ihn am Knöchel fest. „Ich ... ich komme mit. Die Kinder bringen wir zum Arzt.“
Da Axel und Poppi vor Erschöpfung nicht mehr selbst gehen konnten, wurden sie von David
und dem Vater der Familie zum Kleinbus getragen. Der Mann torkelte hinterher.
Im Bus brach er auf einmal in Tränen aus. Den Kopf in die Hände gestützt schluchzte er: „Und
ich ... habe ihr nicht geglaubt. Sie hat mich gewarnt und von Drohanrufen erzählt, aber ich habe
gedacht, sie will mich nur von der Suche abhalten.“
„Suche? Dann sind Sie der Schatzsucher ... der Mann von Louisa“, kombinierte Axel.
Mit verweinten Augen sah der Mann ihn misstrauisch an. „Wieso ... woher kennst du meine
Frau?“
„Was suchen Sie überhaupt hier?“, fragte Axel zurück.
David sah von einem zum anderen. „Alles in Ordnung?“, erkundigte er sich.
„Äh ... ja, ja ...“, versicherten ihm die beiden.
„Fahren Sie mich zuerst bitte nach Hause!“, verlangte der Mann und nannte die Adresse, die
die beiden Knickerbocker schon kannten.
Louisa fiel ihrem Mann um den Hals und küsste ihn heftig. „Ich ... ich habe solche Angst um
dich gehabt“, flüsterte sie ihm ins Ohr.
„Wir ... wir bleiben nicht hier“, entschied Roger Winkler. „Pack ein paar Sachen, wir gehen zu
den Livingstons in der 2. Straße.“
„Mister Winkler?“, fragte eine unbekannte Mädchenstimme von der Straße. Überrascht drehte
sich der Schatzsucher um und stand Lieselotte und Dominik gegenüber. Ein Stück entfernt
parkte die dunkle Limousine. David unterhielt sich bereits aufgeregt mit dem Fahrer.
Von innen wurde gegen die Fenster des Busses geklopft. Die Schiebetür wurde aufgezogen und
Poppi und Axel taumelten heraus. Erleichtert, einander halbwegs wohlauf wieder zu sehen, fie-
len sich die vier in die Arme. Jeder spürte, dass sich beim anderen schreckliche Dinge zugetragen
haben mussten.
„Mister Winkler... wir müssen mit Ihnen reden“, sagte Lilo, die ihren Arm fest um Poppis
Schulter geschlungen hatte, weil ihre Freundin so wackelig auf den Beinen war.
Axel sah sich ängstlich um. „Wir sollten aber wirklich fort von hier. Kommt!“
Der Schatzsucher winkte die beiden Fahrer zu sich und redete mit ihnen. Von seiner Frau holte
er sich ein paar Geldscheine, die er dem Chauffeur der Limousine zusteckte. David verlud die
Knickerbocker-Bande und die beiden Winklers in seinen Bus und fuhr sie zu einer Stelle der
Insel, die ihm der Schatzsucher beschrieb. Es war eine Landzunge, weit von Lanaii-City entfernt.
Die Zufahrtsstraße war sehr schlecht, und wer die Abzweigung nicht kannte, fand sie nicht, da
sie hinter einigen roten Felsen versteckt lag.
„Sie dürfen wirklich niemandem sagen, dass wir uns hier aufhalten“, schärfte der Schatzsucher
David ein.
Der Fahrer tippte sich an die Stirn. „Hier ist Hirn dahinter. Ich weiß, was ich mache. Außerdem
würde ich niemals zulassen, dass diesen Kindern etwas zustößt.“ Er verabschiedete sich von
ihnen und hängte Poppi eine Lei um, eine Kette aus dunklen, polierten Nüssen, die er die ganze
Zeit selbst getragen hatte.
„Wir flechten nicht nur Leis aus Blumen, sondern auch aus diesen Kukui-Nüssen. Der Lei soll
dir Glück bringen, dich beschützen und dir Kraft geben. Er zeigt hier auf Hawaii allen an, dass
du ein stolzes Mädchen bist.“
Poppi lächelte dankbar und winkte David, als er mit dem Bus wieder zurück zum Hotel fuhr.
Das Haus war sehr modern aus Holz und Glas gebaut und innen urgemütlich. Die Besitzer wa -
ren für längere Zeit verreist und hatten die Schlüssel Mister Winkler gegeben.
Als Axel die weiche Sitzlandschaft im Wohnzimmer sah, ließ er sich sofort hineinsinken. Ein
paar Minuten später schlief er bereits. Poppi ging es nicht anders. Louisa brachte Decken und
legte sie über die beiden.
Die Sonne ging langsam unter und ließ die roten Felsen aussehen, als würden sie glühen. Von
einem Balkon sah man in der Nähe eine weitere Landzunge, auf der lauter kleine Türme standen.
„Das ist der Garten der Götter“, erklärte Mister Winkler. „Die Leute fahren dorthin und bauen
für die Götter Pyramiden aus Steinen. Sie bitten sie, ihre Wünsche in Erfüllung gehen zu lassen.
Ich habe mir gewünscht, hier vor Lanaii den größten Schatz meines Lebens zu heben, aber mein
Wunsch ist nicht in Erfüllung gegangen.“
Lilo stand neben ihm und sah ihn von der Seite fragend an: „Wonach haben sie überhaupt ge-
sucht?“
Roger Winkler war bereit, es ihr zu erzählen. Allerdings hatte er auch eine Menge Fragen.
ACHTZEHNTES KAPITEL

Ein eiskalter Plan wird durchgeführt


und eine Entdeckung der unfassbaren Art
gemacht

Im Winzerhaus an der Donau war es fast Mittag, als das Telefon pausenlos klingelte. Damian
hockte wie jeden Tag vor dem Computer und arbeitete unermüdlich. Der Zugriffscode schien
eine Sicherung eingebaut zu haben, die ein zweites Knacken praktisch unmöglich machte. Nach-
dem sich Damian aber eine fast einstündige Beschimpfung von Eugen Stinger angehört hatte und
um sein Geld fürchtete, arbeitete er wie besessen.
Das Klingeln des Telefons verstummte. Allerdings nur für ein paar Minuten, dann ging es wie-
der los. Genervt stand Damian mit einem lauten Schnauben auf und beschloss abzunehmen, ob-
wohl Herr Stinger es ihm verboten hatte.
„Hallo?“, meldete er sich.
„Eugen, aber schnell!“, kam es knapp aus dem Hörer.
„Er ist fort.“
„Wann kommt er wieder?“ „Hat er nicht gesagt.“
Kurze Pause. „Sagen Sie ihm, Marion hat angerufen. Er erreicht mich im Hotel. Ich warte
dringend auf seinen Anruf!“
Die Stimme der Frau klang gehetzt und sehr aufgebracht. Nachdem Damian wieder aufgelegt
hatte, beschloss er, Stinger nichts zu sagen. Bestimmt würde er sich damit nur neuen Ärger ein-
handeln.
Immer wieder musste Damian an die Kinder denken. Er wusste, dass sie mit Stingers Partnerin
unterwegs waren, und er hatte alles unternommen, um sie zu warnen. Doch sie schienen seine E-
Mails nicht ernst genommen zu haben, die er ihnen geschickt hatte. In der letzten hatte er sogar
angeboten, ihre Eltern zu verständigen, doch die Kinder hatten sich nicht gemeldet.
„Mann, wo bist du da reingeraten?“, fragte er sich selbst.

Eugen Stinger war am Vormittag erst einmal ausgiebig essen gegangen. In einem kleinen Land-
gasthaus hatte er sich mehrere Paar Würste, Toast, Suppe und Bier bestellt. Seit mindestens zwei
Tagen hatte er nichts Richtiges mehr zu sich genommen und war deshalb schon etwas ge-
schwächt gewesen.
Nach dem Essen fuhr er ein Stück, stellt seinen Wagen an einem Platz ab, wo er nicht so leicht
entdeckt werden konnte, holte seinen tragbaren Computer aus dem Kofferraum und betrat den
Tunnel, der zum vergessenen Verlies führte.
„He, Hofbauer, ich habe Ihnen etwas mitgebracht“, rief er dem Gefangenen zu, als er noch ein
gutes Stück vom Zugang zum Verlies entfernt war.
„Ich hoffe, man kann es essen“, sagte Carl Hofbauer, der heute sehr schwach und zermürbt
klang.
Ohne viele Worte setzte sich Stinger auf den kalten Boden der Zelle, lehnte sich gegen die
Wand, öffnete den Computer, drückte ein paar Tasten und grinste den Gefangenen an.
Aus dem Lautsprecher kamen die Stimmen der Knickerbocker. „Also, wir sind hier auf Hawaii
und natürlich Marion auf den Fersen. Falls sie den Schatz findet, werden wir sie nicht damit
verschwinden lassen ...“
Carl Hofbauer war von seiner Gefangenschaft sehr gezeichnet. Jetzt aber wich die letzte Farbe
aus seinem schmutzigen Gesicht.
„Kinder? Sie haben ... Kinder eingeschaltet!“ Seine Empörung und Aufregung kannte keine
Grenzen. „Was sind Sie für ein Monster?“
„Es gibt nun zwei Möglichkeiten: Sie sagen mir den Zugriffscode, dann geschieht den Kindern
nichts. Oder Sie schweigen weiter, dann gebe ich den Auftrag, die vier auf der Stelle ... in einen
kleinen Unfall zu verwickeln. Sie verstehen, was ich meine ...“
Carl Hofbauer sprang auf und wollte sich auf Stinger stürzen, doch die Kette an seinem Bein
riss ihn zurück. Er stolperte und fiel hart. Stinger saß so weit entfernt, dass Hofbauer ihn nicht er-
reichen konnte.
„Sie sind das Letzte!“, schleuderte ihm der weißhaarige Mann ins Gesicht.
„Mag sein, aber das kümmert mich wenig. Ich will nur endlich haben, was Sie mir nicht geben
wollen. Das Schicksal der Kinder liegt in Ihrer Hand!“
Mit einem tiefen Seufzer nannte ihm Hofbauer den Zugriffscode. Danach sank er zusammen,
als hätte ihm jemand die Luft rausgelassen.
„Danke“, sagte Stinger kalt, „zu Ihrer Information: Die Kinder lasse ich trotzdem ver-
schwinden, und Sie werden diesen Ort nie verlassen. Wir sehen uns nie wieder. Ich wünsche eine
schöne Restzeit.“
Er kroch durch den Gang davon. Sein höhnisches Gelächter schallte gespenstisch durch den
Tunnel. Carl Hofbauer hatte das Gefühl, als hätte eine eisige Hand nach seinem Herzen gegriffen.
Schreiend riss er an der Kette. Er musste sich befreien, er musste diesen Wahnsinnigen aufhalten,
er musste die Kinder retten.
Doch die Kette rasselte nur und die Fußfessel schnitt sich noch tiefer in sein wund gescheuertes
Bein. Der Schmerz war kaum zu ertragen.
„Nein!“, brüllte Carl Hofbauer. Seine Stimme kam als Echo von den Wänden des Verlieses zu -
rück, gehört wurde er aber nicht. Von wem auch?

Aus dem Zimmer mit den Computern kam ein hohes Pling. Damians Herz machte fast einen
Sprung. Der Ton zeigte an, dass der Code erneut geknackt worden war, und diesmal würde er
verhindern, dass sich eine weitere Sicherung einschaltete und wieder nicht auf die Daten zuge-
griffen werden konnte. Damian stürzte an den Computer und begann wie verrückt, in die Tasten
zu hauen. Seine Finger flogen über die Tastatur, und er hielt den Blick die ganze Zeit auf den
Bildschirm gerichtet.
Einige Minuten später klebte sein Hemd nass an seinem Rücken. Auch von der Stirn tropften
ihm die Schweißperlen. Mit einem zufriedenen Laut lehnte er sich zurück. Er hatte es geschafft:
Der Computer war nicht länger geschützt.
Während er auf die Rückkehr seines Auftraggebers wartete, starrte er auf die verschiedenen
Symbole, die am Bildschirmrand aufgereiht waren. Damian erinnerte sich, wie gierig Stinger
einen Ordner geöffnet hatte. Trug er nicht die Aufschrift „Projekte“?
Nur aus Neugier klickte ihn Damian an. Sofort fiel sein Blick auf das Dokument „100 Milli-
arden“. Das klang höchst interessant. Und da ihm langweilig war und Eugen noch immer nicht
auftauchte, klickte er erneut auf die Maus. Das Dokument öffnete sich und gab sein Geheimnis
preis. Damian begann zu lesen. Zuerst langsam, dann immer schneller. Er hielt vor Aufregung
die Luft an. Was er da entdeckt hatte, das war tatsächlich ein Schatz. Ein Schatz, der gut und gern
100 Milliarden wert war.
NEUNZEHNTES KAPITEL

Von höchst giftigen


und gefährlichen Schätzen

Kurz nach Mittag kehrte Eugen Stinger in das Winzerhaus zurück. Vergnügt pfiff er vor sich
hin. Als Erstes wollte er jetzt Damian feuern, am besten ohne Honorar. Das hatte sich dieser oh -
nehin nicht verdient, schließlich war es ihm nicht gelungen, den Auftrag zu erfüllen und den
Code zu knacken.
„Damian!“, schrie Stinger im Befehlston, als er das Haus betrat.
Doch Damian meldete sich nicht.
Mit großen Schritten lief Eugen Stinger in das Zimmer mit den Computern, doch auch dort war
Damian nicht. Er suchte das ganze Haus nach ihm ab, ohne ihn zu finden.
„Scheint das Handtuch geworfen zu haben, nachdem ich ihn heute Morgen zur Schnecke ge-
macht habe“, stellte Stinger zufrieden fest. Erwartungsvoll rieb er sich die Hände, als er sich vor
den Computer setzte. Die Kombination aus Zahlen und Buchstaben hatte er nicht nur mit Hilfe
des tragbaren Computers aufgenommen, sondern im Wagen auch gleich zu Papier gebracht.
Sicher war sicher. Nun tippte er sie genüsslich ein. Der Code war sehr lang, und je mehr er sich
dem Ende näherte, desto schneller wurde Stinger.
Der Bildschirm erhellte sich. Hastig klickte er PROJEKTE an und dann das Dokument 100
MILLIARDEN.
Der Schrei, der danach durch das Winzerhaus gellte, war so laut, dass ein paar Vögel, die sich
auf dem Dach niedergelassen hatten, erschrocken aufflatterten.
Das Dokument war leer.
LEER!
Es enthielt nicht einen einzigen Buchstaben. Entweder war es nur zur Täuschung angelegt
worden, oder aber ...
„Damian!“, zischte Stinger. „Die kleine Ratte hat den Code doch geknackt und mir alles ge-
stohlen.“
Aber weit konnte der Bursche nicht sein. Er musste ihn finden! Stinger sprang so heftig zurück,
dass der Stuhl zu Boden krachte. Als er die Tür zuknallte, bekam die Wand daneben zwei neue,
lange Risse.
Erst am nächsten Vormittag kamen Axel und Poppi wieder zu sich. Der Arzt war in der Nacht
bei ihnen gewesen und hatte sie untersucht. Die beiden Knickerbocker hatten es aber gar nicht
richtig mitbekommen, so tief war ihr Schlaf.
Gähnend traten sie ins grelle Sonnenlicht auf den Balkon. Die Winklers, Lilo und Axel saßen
schon um einen runden Tisch, auf dem Tee, Kaffee, Toast und gebratene Eier standen. Außerdem
gab es frische Ananas.
„Ich könnte einen halben Bären essen“, verkündete Axel.
„Bevor du das tust, solltest du dich vielleicht anziehen“, riet ihm Lilo.
Erst jetzt bemerkte Axel, dass er nur seine Boxer-Shorts trug. Er wurde rot bis zu den Haar-
wurzeln und verschwand schnell wieder im Haus.
Zur Feier des Tages ließ er sogar Wasser an sein Gesicht heran und kam frisiert zurück. Poppi
folgte ein bisschen später. Gierig machten sich die beiden über alles Essbare her.
„Ich muss mich bei euch wirklich entschuldigen“, sagte Roger Winkler verlegen. „Aber ich war
gerade auf einem Tauchgang, und als ich hochkam, habe ich nur noch Trümmer von meinem
Schiff und euch in diesem Schlauchboot gesehen. Ich dachte, ihr steckt dahinter.“
„Wer war es wirklich?“, fragte Axel mit vollen Backen.
Roger schnaubte wie ein Pferd. „Ich kann es mir denken, aber mir fehlen die Beweise. Trotzdem
werde ich wohl zur Polizei gehen. Vielleicht finde ich jemanden, der mir glaubt.“
„Wem wolltest du etwas nicht verkaufen?“, fragte seine Frau.
„Also es ist so: Vor etwa 30 Jahren hat ein japanischer Forscher festgestellt, dass hier im Wasser
vor der Küste von Lanaii eine ganz bestimmte See-Anemonen-Art gut gedeiht. Es handelt sich
um eine besonders seltene und ganz besonders wertvolle Art. Die dünnen Arme sind zur Hälfte
dottergelb, zur anderen Hälfte weiß-schwarz gestreift.“
„Vor 30 Jahren sind auch die Fischer und Taucher ums Leben gekommen“, warf Axel ein.
Roger Winkler nickte. „Richtig. Ich bin sicher, sie haben sich alle an der See-Anemone vergiftet.
Schon die leichteste Berührung kann tödlich sein. Der Mann, der diese Tiere gezüchtet hat, ist
selbst an ihrem Gift gestorben. Ich habe die Unterlagen seiner Arbeit durch Zufall in einer
Bibliothek entdeckt und mich auf die Suche nach diesen See-Anemonen gemacht.“
„Wozu? Was ist daran so wertvoll?“, wollte Lieselotte wissen.
„Das Gift kann in der Medizin als Heilmittel eingesetzt werden. Natürlich muss es dazu richtig
dosiert und zuvor auch bearbeitet werden“, erklärte Mister Winkler. „Die See-Anemone - sie
heißt übrigens Lin, nach der Frau des Züchters, ist nirgendwo sonst auf der Welt zu finden. Also
habe ich mich hier vor der Küste auf die Suche gemacht, aber bis heute habe ich sie noch nicht
gefunden.“
„Und irgendjemand will, dass Sie ihm diese See-Anemone unbedingt verkaufen, wenn Sie sie
finden“, kombinierte Dominik.
Winkler nickte. „So ist es. Aber ich habe den Verdacht, dass es sich nicht um jemanden han delt,
der Arzneimittel herstellt, sondern Waffen. Und an so jemanden verkaufe ich nicht. Deshalb
sollte ich eingeschüchtert werden.“
Louisa sah ihren Mann streng an. „Ich hoffe, du glaubst mir in Zukunft.“
Er nahm ihre Hand und hob die andere zum Schwur. „Bei meiner Taucherausrüstung, ich
schwöre es!“
„Hätte nie gedacht, dass auch eine See-Anemone ein Schatz sein könnte“, sagte Axel und nahm
sich noch ein paar Scheiben Ananas auf den Teller. Sein Hunger schien unstillbar zu sein.
„Aber jetzt, bitte, schildert mir noch einmal, was ihr von Carl wisst!“, verlangte Mister Winkler.
Während Axel schmatzte und auch Dominik und Poppi noch einmal Zugriffen, berichtete Lilo
alles, was sie während der letzten Tage herausgefunden hatten.
„Er wollte doch auch zu Ihnen, aber warum?“, schloss sie ihren Bericht und sah den
Schatzsucher erwartungsvoll an.
Roger Winkler nahm einen großen Schluck Kaffee, bevor er zu reden begann. „Carl und ich
kennen uns schon sehr lange. Wir haben auch sehr erfolgreich einige Male zusammengearbeitet.
Vor ungefähr zehn Jahren hat sich dann dieser schreckliche Unfall ereignet, bei dem seine Frau
und seine Söhne ums Leben gekommen sind. Seit damals war Carl verändert. Noch immer ein
prachtvoller Kumpel, aber irgendwie anders. Ich hatte manchmal das Gefühl, in ihm steckte eine
böse Seite. Ein Carl, der aus Wut über den schrecklichen Verlust seiner Familie der Menschheit
etwas antun wollte. Er ist einfach nicht darüber hinweggekommen.“
„Aber wieso hat er sich an Sie und die anderen Schatzsucher gewandt?“, wollte Lilo wissen.
„Ich habe ihn angerufen, nachdem er mir seinen Besuch angekündigt hatte. Er hat nicht viel
verraten, aber angedeutet, es ginge um ein wirklich großes Ding. Einen Schatz, der zwar zuerst
einmal eine schöne Stange Geld kosten, dann aber Milliarden einbringen würde. Carl rechnete
mit mehr als 100 Milliarden Dollar.“
„Aber wo liegt so ein Schatz versteckt?“, riefen alle vier Knickerbocker.
„Da hat Carl auch ganz eigenartig herumgeredet.“ Roger kratzte sich am stoppelbärtigen Kinn.
„Er sagte etwas von ... Virus.“
Jedes der vier Bandenmitglieder schnappte tief nach Luft. „Virus? Ein Krankheitserreger? Wie
wollte er mit einem Krankheitserreger 100 Milliarden Dollar machen?“, redeten sie durcheinan-
der.
Roger Winkler hob ratlos die Hände. „Keine Ahnung, meine Lieben. Mehr war nicht aus ihm
herauszubekommen. Er hat nur angekündigt, alles Weitere mit mir direkt, Auge in Auge, zu be -
sprechen. Vor allem aber wollte er mich bewegen, Geld in das Unternehmen zu stecken. Er
sprach von mehreren Millionen Dollar, die er benötigte.“
„Ist das viel für eine Schatzsuche?“, fragte Dominik.
„Nein, so viel Geld war immer notwendig, wenn es um die Bergung von wirklich großen
Schätzen ging.“
Lieselotte nahm einen Zettel heraus, auf dem sie sich etwas notiert hatte. „In Marions Computer
stand, dass sie als Nächstes einen Mann mit Vornamen Aaron in London aufsuchen wollte.“
„Aaron Spendid, kenne ich“, sagte Roger.
„Auch er ist ein Schatzsucher, spezialisiert auf Schätze in Südamerika und sehr erfolgreich.“
„Unsere Flugtickets sind für London ausgestellt“, verkündete Lieselotte. „Wir könnten also
nach London fliegen! Aber wie kommen wir von hier fort, ohne dass Marion es bemerkt?“
„Sie wird uns bestimmt verfolgen!“, befürchtete Poppi.
„Na ja, ich habe auch ihr Flugticket mitgenommen. Daher wird eine Verfolgung nicht einfach“,
erklärte Lilo lachend. „Aber ich fürchte, sie lauert am Flugplatz.“
„Hört zu, diese ganze Sache ist wirklich nichts für Kinder“, mischte sich Roger Winkler ein. „Es
reicht, dass ihr fast mit meinem Schiff in die Luft geflogen seid. Es grenzt an ein Wunder, dass
der Taucher, der die Bombe befestigt hat, so viel Anstand besaß, euch wegzuziehen. Also Finger
weg! Louisa wird euch begleiten und bei euren Eltern abliefern. Ich selbst komme auch mit und
suche nach Carl. So wie ihr das schildert, könnte es sich um einen Fall für die Polizei handeln. Ich
bin es ihm schuldig, etwas zu unternehmen.“
„Aber ...“
„Kein aber!“, sagte Mister Winkler streng.
Mit einem beleidigten Stöhnen ließen sich die vier Knickerbocker zurücksinken. Missmutig
maulten sie vor sich hin.
„Aber wie kommen wir von der Insel fort, ohne den Flugplatz zu betreten?“ fragte Lilo
herausfordernd.
„Mit der Fähre auf die Insel Maui“, antwortete Louisa lächelnd. „Sie legt alle zwei Stunden ab.“
Lieselotte sah zu Axel, dann zu Poppi und schließlich zu Dominik. Alle drei zwinkerten ihr zu.
So schnell gab die Knickerbocker-Bande nicht auf. Der Fall 100-Milliarden-Dollar-Schatz stand
kurz vor der Lösung, das fühlten sie genau. Und echte Knickerbocker ließen nicht locker und
würden das Geheimnis dieses Schatzes auf jeden Fall lüften.
ZWANZIGSTES KAPITEL

Es fliegen die Kissen


und eine Tür wird zertrümmert

„Du bist eine hirnverbrannte, blöde Kuh!“, tobte Eugen Stinger. Er schrie so laut in sein Handy,
dass sich im Wagen, der neben ihm an der Kreuzung stand, die Leute zu ihm drehten und das
Gesicht verzogen. Dabei hatte er alle Fenster und auch das Schiebedach geschlossen.
Im Hotel auf der Insel Lanaii saß Marion mit angezogenen Beinen auf dem Bett und zitterte, als
wäre ihr schrecklich kalt. Dabei hatte es draußen 30 Grad.
„Sie waren auf einmal fort ... samt Flugtickets ... und ... und sie waren auch an meinem
Computer“, gestand sie. Ihre Stimme wurde von Satz zu Satz leiser.
„Als die Intelligenz und das Hirn verteilt wurden, hast du wohl gefehlt!“, zischte Stinger.
Marion schnappte empört nach Luft. „Du hast mindestens so viel Schuld wie ich. Wer hatte
denn die Idee, mir diese Kinder auf den Hals zu hetzen? Du! Und warum? Weil du mir miss -
traust.“
Am anderen Ende der Leitung herrschte Stille.
Eugen Stinger wusste nicht, was er sagen sollte: Marion hatte den Nagel auf den Kopf getroffen,
aber das wollte er nicht zugeben.
„Und du hast wirklich nach den vieren gesucht?“, fragte er und klang dabei schon etwas
sanfter.
„Nein, ich hatte ein paar nette Stunden am Pool, habe ein paar Cocktails geschlürft, mich
dreimal mit Sonnenmilch eingecremt und in der Sonne braten lassen. Drei Stunden vorn und drei
Stunden hinten!“, feuerte Marion giftig zurück.
„Äh ...“ Eugen Stinger wusste nicht, was er darauf sagen sollte.
„Ich habe die ganze Insel abgekämmt, dieses Kuhdorf von Stadt abgesucht, ich war beim Haus
der Winklers, die aber abgereist sind, ich war in den anderen beiden Hotels, wo keiner die vier
Kinder gesehen haben will. Sie sind fort. Verschwunden!“
„Hast du am Flugplatz nachgefragt?“
„Natürlich, auch dort sind sie nicht aufgetaucht.“
„Kann man die Insel auf andere Weise verlassen?“
„Glaube ich nicht!“, sagte Marion, war aber nicht ganz sicher. „Hast du endlich den Computer
des Alten knacken können?“
Eugen Stinger schluckte heftig. Sollte er ihr die Wahrheit sagen? „Äh ... nicht ganz“, sagte er
ausweichend. „Aber... ich ... ich ... weiß entscheidend mehr.“
Marion wurde aus diesem Gestotter nicht schlau. „Und, was soll ich weiter tun?“
„Dein Auftrag ist beendet. Ich zahle dir nur die Hälfte des vereinbarten Honorars“, sagte
Stinger kalt.
„Du bist wirklich so mies“, brauste Marion auf.
„Du hast Recht“, stimmte ihr Stinger zu, „deshalb zahle ich dir gar nichts. Sieh doch zu, wie du
nach Hause kommst. Übrigens habe ich noch eine kleine Überraschung in deinem Computer für
dich. Gib das Codewort ,Niete' ein.“
„Wozu?“
„Na ja, ganz so daneben bin ich auch nicht“, meinte Stinger versöhnlich, „und mit diesem
Codewort öffnest du eine Datei, die dir helfen wird. Mach's gut, Schätzchen.“
Mit diesen Worten legte er auf. Ein teuflisches Grinsen zuckte um seine Mundwinkel.
Marion sprang vom Bett und setzte sich an den Tisch, auf dem ihr Computer stand. Er war
eingeschaltet und die Datei mit den Steckbriefen der Schatzsucher und anderen wichtigen Infor-
mationen, Adressen und Namen geöffnet. Am Ende der Aufzeichnungen fand sie ein Kästchen,
in das ein weiteres Codewort eingetragen werden musste. Sie tippte „Niete“ und drückte die Ein -
gabetaste.
Das Ergebnis löste bei ihr einen Tobsuchtsanfall aus. Wutentbrannt schleuderte sie Kissen ge-
gen die Wand und trat gegen die Möbel, die wirklich nichts dafür konnten. Das Codewort hatte
alle Unterlagen, die sie über den 100-Milliarden-Dollar-Schatz von Stinger bekommen hatte, ge-
löscht. Alle! Weder konnte sie die Suche allein fortsetzen, noch hatte sie einen Beweis für die
Machenschaften Stingers in Händen.
„Du bist wirklich eine ganz schön dämliche Ziege“, beschimpfte sie sich selbst. Sie zog aus dem
ledernen Brustbeutel, den sie immer um den Hals trug, ein Bündel Dollarnoten und zählte sie
durch. Viel war es nicht, aber für ein Rückflugticket würde es reichen.
Marion hatte noch nie zuvor eine so schlimme Niederlage erlitten. Bisher hatte sie mit mäßigem
Erfolg als Privatdetektivin gearbeitet, Leute beschattet oder bewacht. Verdient hatte sie mit dieser
Arbeit wenig. Vor einem Jahr lernte sie dann Eugen Stinger kennen, der immer auf der Jagd nach
dem großen Geld war. Er steckte sie mit seiner Geldgier an, und schließlich stießen sie durch
einen Zufall auf Carl Hofbauer. Nachdem dieser etwas zu viel über den Durst getrunken hatte,
erzählte er ihnen von dem 100-Milliarden-Dollar-Schatz. Stinger versuchte zuerst heimlich, mehr
darüber herauszufinden. Am nächsten Morgen, als er wieder nüchtern war, schwieg Hofbauer
nämlich nur noch wie ein Grab.
Schließlich entführten sie Hofbauer, der allein lebte und keine Verwandten mehr hatte, und
brachten ihn in das vergessene Verlies. Sie hofften, er würde irgendwann sein Geheimnis preis-
geben. Gleichzeitig begann Stinger, Hofbauers Computer zu bearbeiten. Sie fanden aber nur die
Reise zu den Schatzsuchern heraus, die Marion nun an seiner Stelle unternahm.
Im Badezimmerspiegel betrachtete Marion ihr Gesicht. Sie hatte tiefe, dunkle Ringe unter den
Augen und Furchen in den Wangen.
„Diese Niederlage überlebe ich nicht“, seufzte sie. Aber dann erwachte ihr Kampfgeist neu. Vor
allem war ihr eine Idee gekommen. Eine ganz einfache Idee, die sie bestimmt ohne Probleme in
die Tat umsetzen konnte. Und vielleicht war es am Ende sie, die lachte, und nicht Stinger.
Freudig klatschte sie mit der rechten Hand auf die Hand ihres Spiegelbildes.
„Dieser miese Kerl soll mich kennen lernen!“
Der „miese Kerl“ war in der nächtlichen Stadt unterwegs zu einer Kneipe namens „Dreistein“.
Die Bar war ein beliebter Studententreffpunkt, und Stinger hatte dort Damian gefunden und
angeheuert. Er hoffte sehr, den Burschen wieder zu treffen. In der Jackentasche trug Stinger eine
geladene Pistole. Damian würde bestimmt nicht freiwillig herausrücken, was er zweifellos
gestohlen hatte. Bestimmt musste Stinger ein bisschen nachhelfen.
Als er die Tür zum Dreistein öffnete, wehte ihm eine stinkende Rauchwolke entgegen. Aus
vielen Lautsprechern dröhnte Musik. Wie sich die Leute dabei in der Kneipe unterhielten, war
Stinger ein Rätsel.
Wie jeden Abend standen Burschen und Mädchen dicht gedrängt, wippten ein bisschen zur
Musik, schrien sich immer wieder ein paar Worte ins Ohr und gönnten sich einen Drink nach
dem anderen.
Hinter der Theke stand ein dickbäuchiger Mann mit knallrotem Gesicht und schenkte Bier aus.
Eugen Stinger kämpfte sich zu ihm durch und zeigte ihm ein Foto von Damian, das er heimlich
geknipst hatte. Sicher war sicher, und wie sich herausstellte, konnte er es jetzt gut gebrauchen.
„Ich suche diesen Mann“, brüllte er dem Dickbauch zu.
Der Barkeeper nahm ihm das Foto aus der
Hand, starrte es an, als müsste er es hypnotisieren und blickte dann zu Stinger. „Und wieso?“
„Geschäftlich“, antwortete Stinger ausweichend.
„Nie gesehen.“
Wütend schlug Stinger mit der Faust auf den Tresen. „Der Typ war Stammgast hier. Unmög-
lich, dass Sie ihn nie gesehen haben.“
Doch der Mann hinter der Theke schwieg beharrlich. Hastig holte Stinger einen Geldschein aus
der Tasche und schob ihn ihm zu. „Wirklich nie gesehen?“
„Schon seit ein paar Wochen nicht!“, lautete die nun etwas genauere Antwort.
„Wo könnte er sein? Wissen Sie, wo er wohnt?“
Erst als er noch einen Geldschein bekam, redete der Wirt weiter. „Er wohnt mit ein paar Kol-
legen in einer Wohnung, zwei Straßen von hier. Die Wohngemeinschaft nennt sich ‚Schlafsaal’.“
Stinger nickte kurz und kämpfte sich durch die Menschen wieder nach draußen. Damian war
also ganz in der Nähe, und er würde ihn in die Finger kriegen.
Der Wirt stopfte die Geldscheine in die Tasche seiner grünen Schürze und bekam auf einmal
Gewissensbisse. Sehr Vertrauen erweckend hatte der Fremde nicht ausgesehen. Damian und
seine Mitbewohner hatten einmal ihre Telefonnummer im „Dreistein“ gelassen. In einer Lade
fand der Wirt den Zettel, ging nach hinten und wählte sie.
Das Telefon in der großen, alten Wohnung klingelte und klingelte. Endlich öffnete sich eine
Zimmertür und ein junger Mann im Bademantel und mit verstrubbelten Haaren torkelte in die
Diele. Er hob ab und grunzte: „Ja, hallo?“
„Hier ist Erwin aus dem ,Dreistein', ich will Damian sprechen.“
„Am Apparat! Was gibt's? Falls wieder ein Mädchen behauptet, mit mir verabredet zu sein,
richte ihr aus, ich habe geheiratet oder so.“
„Ein Typ war da, mit einem Foto. Hat ausgesehen wie ein Detektiv. Schwarze Haare, nach
hinten frisiert, ziemlich aufgebracht.“
Mit einem Schlag war Damian hellwach.
„Es hat hier jemand gequatscht und verraten, wo du wohnst.“
Ohne sich zu bedanken, knallte Damian den Hörer auf. Er war an diesem Abend zeitig schlafen
gegangen, da er völlig erschöpft war und am nächsten Tag einiges vorhatte. Wie von der Tarantel
gestochen raste er in sein Zimmer und stopfte ein paar Klamotten in eine Tasche. Dazu kam sein
Laptop, sein Pass und einige Unterlagen. Er riss die Türen seiner Mitbewohner auf, von denen
aber nur zwei daheim waren. Beide trugen Kopfhörer und hörten in voller Lautstärke Musik.
Damian riss ihnen die Hörer vom Kopf und rief: „Falls jemand nach mir fragt, ich bin weg. War
seit Wochen nicht hier. Du hast keine Ahnung, wo ich stecken könnte. Kapiert?“
Die beiden Burschen nickten verwirrt.
In der Küche gab es einen kleinen Balkon und gleich daneben ein Holzgitter an der Wand, auf
dem eine Kletterrose wuchs. Damian schulterte die Tasche und kletterte über das Gitter in die
Tiefe. Als er noch ungefähr drei Meter über dem Boden war, riss die Verankerung aus der Mauer
und er stürzte ab. Ein stechender Schmerz bohrte sich durch seinen linken Knöchel.
„Zähne zusammenbeißen“, trug er sich selbst auf und humpelte davon. Schnell hatte ihn die
Dunkelheit verschluckt.
Stinger brauchte nicht lange, bis er neben einem Haustor einen Klingelknopf mit der Be-
schriftung „Schlafsaal“ fand. Das Haustor war nicht abgesperrt, und daher ging er gleich nach
oben in den dritten Stock bis zur Wohnung. Dort läutete er Sturm.
Einer der beiden Mitbewohner öffnete. Er trug ein schwarzes Gewand, das ihn wie einen
Mönch aussehen ließ.
„Ich komme zu Damian!“, sagte Stinger und gab sich alle Mühe, ruhig zu klingen.
„Der ist nicht da!“ Mit diesen Worten wollte der Bursche die Tür wieder schließen, aber Stin ger
hatte den Fuß dazwischen gestellt. „He, lassen Sie das!“, protestierte Damians Mitbewohner. Er
trat Stinger mit aller Kraft auf die Zehen, worauf dieser den Fuß mit einem Schmerzensschrei
zurückzog.
Die Tür knallte zu.
Nein, so ließ sich ein Eugen Stinger nicht behandeln. Ohne an seine Zehen zu denken, trat er
gegen das alte, etwas brüchige Holz der Tür. Sein Schuh bohrte sich durch, und ein riesiges Loch
entstand. Stinger trat ein zweites Mal gegen die Platte neben der Klinke und schaffte es, auch
diese zu zertrümmern. Die Schmerzen in seinen Zehen beachtete er nicht.
Der Bursche in der Wohnung griff nach dem Telefon und wählte die Nummer der Polizei.
Stinger schob seine Hand durch das Loch, löste die Türsperre und drückte die Klinke nieder. Er
stürzte sich auf den telefonierenden Burschen und riss das Kabel des Apparates aus der Wand.
„Wo ist sein Zimmer?“, zischte er ihm ins Gesicht.
Stumm deutete der Bursche auf die Tür. Stinger war mit wenigen Schritten dort, riss sie auf und
erkannte mit einem Blick, dass Damian getürmt war. Schnaubend und schimpfend durchwühlte
er alle Unterlagen auf dem Schreibtisch und fetzte Bücher aus dem Regal. Er stöberte im Schrank
und hätte vor Freude am liebsten einen Jubelschrei ausgestoßen, als er eine Rechnung fand. Es
war die Rechnung eines Reisebüros über ein Flugticket nach London.
„Ich krieg dich, aber danke, dass du zuerst einmal die Drecksarbeit für mich machst!“, mur-
melte er und verließ eilig die Wohnung. Er hörte nämlich schon die Polizeisirene. Als zwei Strei-
fenwagen eintrafen, war er schon fort.
EINUNDZWANZIGSTES KAPITEL

Die Jagd auf den Koffer


und Glück im Unglück

Der Mann rannte um sein Leben. Das heißt, es ging nicht um sein Leben, sondern um einen
Metallkoffer, den er wie ein Baby an seine Brust drückte. Seine Schuhe peitschten über den As-
phalt.
„Dort ist er!“, schrie Axel in das Mikrofon des Helms, den er beim Einsteigen in den Helikopter
hatte aufsetzen müssen. Im Helm waren auch Kopfhörer eingebaut, über die er die Stimme des
Piloten hören konnte. Im Knattern des Rotors war eine normale Unterhaltung nämlich nicht
möglich.
Der Pilot riss am Steuerknüppel und lenkte den Helikopter auf den flüchtenden Mann.
Der Rest der Bande saß im Jeep, der ebenfalls hinter dem Mann her war. Es war der Koffer, den
sie bekommen mussten. In ihm steckte nämlich die Schatzkarte, die zum 100-Milliarden-Dollar-
Schatz führen würde.
Mehr durch Zufall hatte die Knickerbocker-Bande das erfahren. Sie waren doch noch einmal ins
Hotel zurückgekehrt und hatten dort einen
Hinweis vorgefunden. Er hatte keine Unterschrift getragen, aber das machte nichts.
Hauptsache, sie hatten den Mann aufgestöbert, und auf jeden Fall würde es gelingen, ihm den
Koffer abzunehmen und das Geheimnis des gigantischen Schatzes zu lüften.
Auf einmal tauchte jemand auf einem Motorrad auf. Wie aus dem Nichts war er da, überholte
den Jeep und heftete sich an die Fersen des Mannes. Im Nu hatte er ihn eingeholt und ihm den
Koffer entrissen.
Die drei Knickerbocker im Jeep schrien auf.
Der Motorradfahrer achtete nicht auf den Weg, übersah eine Absperrung und raste über eine
Bergkante hinaus. Im freien Fall ging es hundert Meter in die Tiefe. Der Koffer entglitt seiner
Hand und landete kurz nach ihm im Meer.
Wie durch ein Wunder hatte der Motorradfahrer überlebt. Er tauchte zwischen den Wellen auf
und riss sich den Helm vom Kopf.
Der Koffer schaukelte auf dem Wasser.
„Gehen Sie tiefer!“, rief Axel dem Piloten zu.
Der Helikopter flog beinahe senkrecht nach unten. Axel öffnete die Tür und der Wind, den der
Rotor erzeugte, zerrte ihn fast ins Freie. Der Knickerbocker beugte sich weit hinaus und ver-
suchte, den Koffer aus dem Wasser zu fischen.
Endlich schaffte er es, den Griff in die Finger zu bekommen. Axel riss den Koffer mit einem
Ruck in die Höhe. In diesem Augenblick öffneten sich aber die Schlösser, der Deckel flog auf und
eine schwarze Masse, die wie flüssiger Gummi aussah, ergoss sich ins Meer, wo sie sich laut zi-
schend in eine mächtige Dampfwolke verwandelte.
Die anderen drei Knickerbocker, die von der Klippe aus alles beobachtet hatten, schrien ent-
täuscht auf und schlugen die Hände vor ihre Gesichter. Poppi machte einen ungeschickten
Schritt, verlor das Gleichgewicht und rutschte nach vorne weg. Lilo packte sie an der Schulter,
konnte sie aber nicht halten.
Poppi brüllte vor Verzweiflung auf.
„Aufwachen, he ... was ist denn?“
Poppi zog sich die weiche, dunkle Schlafbrille von den Augen, die sie zu Beginn des Fluges be-
kommen hatte. In der Flugzeugkabine war es strahlend hell und durch die ovalen Fenster blen-
dete die Sonne. Sie spürte Louisas Hand auf ihrer Schulter.
„Wir landen in einer Stunde!“, kam eine freundliche Stimme wie aus weiter Ferne.
Nachdem sie sich ausgiebig gestreckt und heftig gegähnt hatte, seufzte Poppi: „Ein Albtraum ...
ganz schlimm ... Ich bin ... total k.o. ... Wie spät ist es eigentlich?“
„In London, wo wir in Kürze landen, ist es vier Uhr nachmittags“, antwortete Louisa, die neben
ihr saß. „In Los Angeles, von wo wir weggeflogen sind, ist es sieben Uhr früh, und auf Hawaii ist
es fünf Uhr früh.“
„Ich bin total durcheinander“, gestand Poppi. „Meine innere Uhr tickt nicht ganz richtig im
Augenblick.“
„Wer tickt nicht richtig? Du?“
Über sich sah Poppi Axels Kopf. Ihr Freund, der eine Reihe hinter ihr saß, war aufgestanden
und hatte sich auf ihre Kopfstütze gelehnt. Er grinste breit, sah aber auch noch sehr verschlafen
aus.
„Wann fliegen wir eigentlich weiter?“, wollte er von Louisa wissen.
„Um sechs Uhr abends, also schon bald! Wir haben keine lange Aufenthaltszeit.“
Mittlerweile waren auch die anderen Knickerbocker erwacht. Lilo saß neben Axel, Dominik
eine Reihe weiter vorn neben Mister Winkler.
Die Stewardess brachte jedem ein Tablett mit Frühstück, über das sich die Bande hungrig her-
machte.
Axel beugte sich zu Lieselotte und raunte ihr zu: „Aus unseren Nachforschungen in London
wird wohl nichts. In einer Stunde fliegen wir schon heim.“
Lilo seufzte. Louisa und Roger Winkler waren wirklich sehr nett und sehr besorgt um die Kni-
ckerbocker-Bande. Selbst wenn sie länger in London blieben, gäbe es keine Möglichkeit, ihnen zu
entkommen.
Aber es war schon in Ordnung so! Die vier Knickerbocker hatten ohnedies kein Geld und ei -
gentlich auch keine Lust, sich völlig allein in London durchzuschlagen.
„Na ja, wir ... wir könnten doch dort weitersuchen, wo wir begonnen haben: Auf dem alten
Schiff an der Donau und in der Stadt und dem Weinkeller“, sagte Lilo schwach. „Bestimmt sto-
ßen wir auch dort auf heiße Spuren und so ...“
Unter ihnen war London aufgetaucht. Die Knickerbocker pressten die Nasen an den Fenstern
platt und blickte nach unten, wo die berühmten Sehenswürdigkeiten der Stadt wie auf einer
riesigen Landkarte zu sehen waren.
„Die Tower Bridge, die sich in der Mitte öffnet, wenn ein großes Schiff kommt“, rief Poppi.
„Ich sehe Big Ben, den Uhrturm“, meldete Axel.
„Und der Platz mit den vielen Neonreklamen ... das ist Piccadilly Circus“, sagte Lilo.
Der riesige Flieger, mit dem die vier Freunde nun fast zwölf Stunden in der Luft gewesen wa-
ren, begann über der Stadt Runden zu drehen.
Über Lautsprecher meldete sich der Pilot: „Meine Damen und Herren, auf Grund akuter
Luftraumüberlastung wird sich unsere Landung um mindestens 45 Minuten verzögern. Ich ersu-
che Sie um Verständnis und werde Sie sofort benachrichtigen, wenn ich neue Informationen
habe.“
Louisa Winkler stöhnte auf. „Das wird knapp mit unserem Anschlussflug.“
Axel drehte an seiner Uhr herum und schüttelte den Kopf. „Irgendwie verrückt. Wir sind jetzt
mehr als 24 Stunden geflogen, und durch den Zeitunterschied sind sogar 36 Stunden vergangen.
Mir erscheint es wie eine halbe Ewigkeit, seit wir Lanaii verlassen haben.“
„Wir waren insgesamt acht Tage unterwegs“, stellte Lilo seufzend fest. „Und ich wäre gern
noch etwas länger von daheim fort.“
Mit eineinhalb Stunden Verspätung landete der Jumbojet. Die Winklers trieben die Knicker-
bocker-Bande an, sich zu beeilen, und stürzten zum ersten Informationsschalter. Dort erhielten
sie eine Auskunft, die sie hart traf: Ihr Anschlussflug hatte nicht warten können, und die nächste
Maschine war voll. Da an diesem Tag kein weiterer Flug auf dem Programm stand, mussten sie
übernachten. Die Fluglinie würde sogar das Hotel bezahlen.
Die Winklers seufzten tief und genervt. Die Knickerbocker-Freunde aber schlugen vor Freude
die Hände in der Luft zusammen. Genauso hatten sie es sich gewünscht.
„Leider sind auch die beiden Flüge am Vormittag bereits ausgebucht. Sie können frühstens den
Abendflug nehmen“, sagte die freundliche Dame am Informationsschalter.
Eine Stunde später bestiegen die vier eines der berühmten schwarzen Londoner Taxis, in dem
sich vier Leute gegenüber sitzen konnten, so geräumig waren sie. Die Winklers mussten ein
zweites Taxi nehmen. Die Fluglinie hatte sie in einem Hotel in der Innenstadt untergebracht.
Big Bens berühmter Uhrschlag ertönte, als die Bande und Mister und Misses Winkler in einem
Hamburger-Restaurant Platz nahmen, das türkis und weiß gekachelt war, knallrote Sitze hatte,
und wo die Kellner beim Servieren des Essens zu Rock-'n'-Roll-Musik tanzten.
„Echt cool“, stellte Axel zufrieden fest.
Nachdem er, Lilo und Dominik einen Hamburger und eine große Portion Pommes, Poppi einen
Gemüseburger und Zwiebelringe verdrückt hatten, sahen sie die Winklers erwartungsvoll an.
Durch die Zeitumstellung waren die vier hellwach und wollten unbedingt etwas unternehmen.
„Na ja ... wir machen am besten noch einen großen Spaziergang und es gibt Eis, einverstan -
den?“ Roger sah die vier erwartungsvoll an.
Vier Köpfe wurden geschüttelt.
„Für Kino und Theater ist es zu spät und für Diskos seid ihr zu jung“, meinte Louisa Winkler.
„Bitte!“, sagte Lilo nur.
Die Winklers verstanden zuerst nicht, was sie meinte.
„Nein“, sagte Roger dann aber schnell, als er verstand, was Lieselotte wollte. „Nein, wir werden
nicht zu Aaron Spendid gehen.“
„Wieso? Ist er ein Menschenfresser, spezialisiert auf Youngsters wie uns?“, fragte Dominik
herausfordernd.
„Das nicht, aber ich möchte nicht, dass ihr weiter in diese Sache verwickelt seid.“ Roger hatte
den Finger wie ein strenger Oberlehrer erhoben.
„Du kannst uns nicht einsperren“, sagte Axel warnend.
Roger verstand. „Und deshalb soll ich mit euch hingehen.“
Vier Köpfe nickten im Takt.
„Nein!“ Während Roger das sagte, nickte er aber selbst. Schließlich warf er seufzend die Arme
in die Luft und willigte ein.
Auf der Straße ging er zu einer der berühmten roten Telefonzellen und erkundigte sich zuerst
bei der Auskunft nach Aaron Spendids Nummer. Nachdem er sie bekommen hatte, rief er den
Kollegen an. Axel, Lilo, Poppi und Dominik standen vor der Telefonzelle und versuchten, jedes
Wort mitzuhören. Neugierig beobachteten sie Roger durch die Glasscheiben.
„Ja... ich bin's... Roger Winkler, wie geht's ?“, hörten sie ihn sagen. Mister Spendid schien nicht
sehr redefreudig zu sein, denn Roger sprach nach einer ganz kurzen Pause weiter. „Der Grund,
warum ich in London bin, hat mit Carl Hofbauer zu tun.“ Wieder hörte er Spendid zu und hob
dabei die Augenbrauen immer höher. „Nein ... ich kann es dir am Telefon nicht genau sagen. Es
wäre besser, wir bereden alles persönlich ... Aha ... verstehe ... Morgen Mittag. In Ordnung.“
Als er die Telefonzelle verließ, sah Roger die Knickerbocker vorwurfsvoll an. „Hat man euch
nicht beigebracht, dass es unhöflich ist, die Telefonate anderer Leute zu belauschen?“
„Klar hat man uns das beigebracht. Wir sind wirklich gut erzogen“, versicherte Axel, „aber es
gibt einige Notfälle, bei denen wir diese Erziehung einfach vergessen müssen.“
„Fällt uns sehr schwer“, fügte Dominik hinzu und verzog das Gesicht zu einer gespielt gequäl-
ten Grimasse.
„Was hat er gesagt? Wie hat er reagiert?“, wollte Lilo wissen.
Roger Winkler überlegte kurz. „Er hat nach Luft geschnappt, als ich Carl Hofbauers Namen
nannte. Deutlich hörbar. Und dann sagte er: Ach was, du kommst wegen Carl. Interessant.“
„Hat er komisch geklungen?“, forschte Lilo weiter.
„Ehrlich gesagt, schon“, gab Roger zu. „Aber Aaron war schon immer etwas ... na ja ... seltsam.
Und morgen Mittag erfahre ich mehr. Natürlich werde ich euch alles haarklein berichten.“
Die vier Knickerbocker blickten ihn entsetzt an. „Heißt das, wir dürfen nicht mit?“
„Genau das heißt es“, erwiderte Roger. „Louisa wird mit euch in dieser Zeit den ,Kerker von
London' besuchen. Das ist eine Touristen-Attraktion der gruseligen Art, die euch bestimmt
gefällt. Es ist dort sogar eine Straße nachgebaut, in der Jack the Ripper sein Unwesen getrieben
haben soll.“
„Och, wir wollen mit zu Mister Spendid“, maulten die vier Freunde. Aber Roger blieb hart.
Die Knickerbocker-Bande bewohnte ein Vierbett-Zimmer und war darüber sehr froh. So konnten
sie sich noch beratschlagen, als sie schön in den Betten liegen mussten. An Schlaf war ohnehin
nicht wirklich zu denken. Durch die Zeit-Verschiebung waren sie hellwach, und die Gedanken
jagten durch ihre Köpfe.
„Ich will unbedingt wissen, was dieser Aaron Spendid zu erzählen hat“, brummte Axel.
Lilo ging es nicht anders. „Wir werden Louisa einfach austricksen und doch hingehen. Soll Ro-
ger mit uns schimpfen, das überleben wir.“
Erst sehr, sehr spät schliefen sie ein, waren aber gegen vier Uhr früh wieder wach, sahen ein
bisschen fern und schliefen dann weiter bis zehn Uhr vormittags.
Roger hatte ihnen am Vortag etwas verschwiegen: Aaron Spendid war am Telefon äußerst
seltsam gewesen. Er hatte misstrauisch, fast feindselig geklungen, als hätte Roger ihm etwas
angetan. Aus diesem Grund wollte Mister Winkler auch unter keinen Umständen, dass die Bande
mitkam.
Aber wann taten die Knickerbocker schon, was man von ihnen wollte?
ZWEIUNDZWANZIGSTES KAPITEL

Was das Bad in einem Käfig


alles bewirken soll...

Hinter den verrosteten Gittern ertönten verzweifelte Schreie. Neben Poppis Füßen quiekten
Ratten mit rot glühenden Augen. Während ein Mann, der ein paar Schritte vor Poppi ging, er -
schrocken zur Seite sprang, lächelte das Mädchen nur mitleidig. Von diesen Plüschfiguren ließ
sie sich wirklich nicht erschrecken.
„Vorn beginnt die Jack-the-Ripper-Gasse und dahinter kommt die Folterkammer“, kündigte
Louisa an.
„Toll“, sagten die Knickerbocker. Wer sie kannte, hörte, wie wenig sie sich für den künstlich
errichteten Kerker interessierten. In Gedanken waren sie schon bei Aaron Spendid. Roger wollte
ihn in einer halben Stunde treffen. Er hatte sich am Eingang zum Kerker von London verab-
schiedet und war in die U-Bahn gestiegen.
„Hast du die Adresse von diesem Aaron herausgefunden?“, flüsterte Lilo Dominik zu.
„Klar. Roger hat sie sich auf einem Zettel notiert, den er beim Frühstück auf dem Tisch liegen
hatte. Ich habe sie sofort auswendig gelernt.“
Lieselotte streckte den Daumen in die Höhe. Dominiks Gedächtnis erstaunte sie immer wieder.
Was er einmal las, merkte er sich sofort.
Poppi und Axel sahen erwartungsvoll zu Lilo. Wann gab sie das Startzeichen, um von hier zu
verschwinden?
„Echt unheimlich“, hörten sie Louisa schaudernd sagen, als sie zwischen den Häusern der
Gasse verschwand.
„Jetzt!“, zischte Lieselotte.
Die vier Knickerbocker drehten um und liefen zum Eingang zurück. Sie kletterten über das
Drehkreuz und Dominik hielt nach einem der Aufseher Ausschau. Er entdeckte ihn neben der
Kasse, trat auf ihn zu und überreichte ihm einen verschlossenen Umschlag.
„In den Gängen dieses Kerkers ist eine Frau in einem weißen Kleid unterwegs. Sie hat eine rote
Handtasche umhängen, die die Form eines Herzens hat. Bitte geben Sie ihr diesen Brief, es ist
sehr, sehr wichtig.“
Der Mann runzelte die Stirn. „Wieso?“
„Die Frau erlebt demnächst Schrecken, die schlimmer sind als alles, was Sie hier künstlich
erzeugen“, erklärte Dominik. „Okay?“
Der Mann nickte kurz und machte sich auf die Suche. Die Knickerbocker-Bande aber stürmte
aus dem Gebäude zum U-Bahn-Abgang.
Louisa hatte natürlich bemerkt, dass die vier Freunde nicht mehr hinter ihr waren. Suchend
ging sie die Räume ab, durch die sie gekommen waren.
„Madame, Verzeihung, das soll ich Ihnen geben!“ Der Wächter reichte ihr den Umschlag.
Louisa riss ihn mit einem Ruck auf und nahm einen Briefbogen mit dem Schriftzug des Hotels
heraus.
„Tut uns Leid, wir können nicht anders. Mach dir bitte keine Sorgen, wir passen sehr auf und
kommen so schnell wie möglich ins Hotel zurück!“, las sie. Darunter standen die Unterschriften
der vier Knickerbocker.
„Um Himmels willen“, flüsterte Louisa zutiefst erschrocken. Was sollte sie jetzt tun? In der
Nacht hatte ihr Roger von einem Verdacht erzählt, den er hatte. Wenn seine Vermutung stimmte,
begaben sich die vier Freunde gerade in allergrößte Gefahr.
Aaron Spendid wohnte im ehemaligen Hafen von London, dort, wo sich die großen alten
Lagerhäuser befanden. Einige standen leer und verfielen immer mehr. Die einst roten oder
graugelben Ziegelwände waren vom Ruß der Schiffsschornsteine fast schwarz geworden.
Andere Speicher hatte man zu Wohnhäusern, Büros und Läden umgebaut. Dort waren um
diese Tageszeit auch einige Leute unterwegs.
Unter der Adresse von Spendid fanden die Knickerbocker ein dreistöckiges Lagerhaus. Die
Fenster der ersten beiden Stockwerke waren zum Teil zugemauert, zum Teil mit Brettern
vernagelt. Nur im dritten Stockwerk war Glas eingesetzt.
Zur Straße hin gab es ein riesiges, schwarzes Schiebetor, das geschlossen und mit mehreren
Vorhängeschlössern abgesperrt war. An der Seite des Lagerhauses stieß die Bande auf zwei Ein -
gänge, die beide offen standen.
Lilo drehte sich zu den anderen um und schlug vor: „Je zwei gehen durch eine Tür. In
spätestens zehn Minuten treffen wir uns wieder hier draußen.“
Alle waren einverstanden. Diesmal aber wollte Poppi mit Lilo mitkommen, während die
Jungen das zweite Team bildeten. Die Mädchen traten durch die linke Tür, die ebenfalls schwarz
lackiert war, wie das Schiebetor. Die Jungen nahmen den rechten Eingang.
Lilo und Poppi durchquerten einen schmalen Gang und kamen in ein kahles Treppenhaus. Eine
sehr neu aussehende Betontreppe führte im Zickzack nach oben. Stufe für Stufe gingen die
beiden hinauf.
Im ersten und zweiten Stock gab es keine Türen. Durch kleine Fenster in der Mauer sahen sie
hinaus auf die Themse, den Fluss, der durch London fließt. Das Wasser war dunkelbraun und
schien sich sehr langsam zu bewegen.
Im dritten Stock standen sie dann vor einer Wohnungstür aus hellem Holz und Aluminium.
„Edel“, stellte Lieselotte staunend fest.
„Sollen wir klingeln?“, fragte Poppi.
Lilo tippte sich an die Stirn und presste das Ohr gegen das Holz. Zu ihrer Überraschung gab die
Tür nach und schwenkte nach innen auf.
Was hatte das zu bedeuten?
Durch den offenen Spalt sahen die beiden Mädchen in einen riesigen Raum. Die Vorder seite,
die der Themse zugewandt war, bestand nur aus Glasscheiben. Über die Decke zogen sich alte,
dunkle Holzbalken, die von zahlreichen Holzpfeilern gestützt wurden. Außer ein paar bunten
Teppichen bestand die Einrichtung aus einer hypermodernen Küche aus Aluminium, einem
knallroten Ledersofa und einem riesigen Tisch, um den zehn Stühle standen.
„Aaron, bitte, was soll das?“, hörten Lilo und Poppi Rogers Stimme. Er klang sehr aufgeregt,
fast schon ängstlich.
Lilo holte tief Luft und schlich auf Zehenspitzen in die Wohnung. Eine Garderobenwand, an
der mehrere Anzüge, Jacken und Mäntel hingen, gab ihr Deckung. Poppi folgte ihrer Freundin
und versteckte sich mit ihr zwischen den Kleidungsstücken.
Die Garderobe hatte Schlitze in der Holzwand, die die Rückseite bildete. Durch diese Öff-
nungen konnten die Mädchen in den hinteren Teil der Wohnung sehen.
Poppi schnappte hörbar nach Luft und bekam von Lieselotte dafür einen Ellbogenstoß.
Roger stand mit erhobenen Armen an der Wand. Vor ihm saß ein Mann mit weizenblondem
Haar und stark gebräuntem Gesicht in einem altmodischen Lehnstuhl. Er hielt eine Pistole auf
Roger gerichtet, den Finger am Abzug.
Die Beine hatte der Mann lässig übereinander geschlagen, als hätte er unendlich viel Zeit. Er
trug helle Leinenhosen und einen Kapuzensweater.
„Du willst mir also einreden, mit Carls Verschwinden nichts zu tun zu haben“, sagte der Mann
gefährlich ruhig. Seine Stimme klang wie das Zischen einer Kobra, bevor sie zubiss.
Roger nickte heftig. „Bis vor ein paar Tagen wusste ich nur, dass Carl mit mir reden wollte.
Mehr nicht.
Es ginge um irgendeinen Virus, hat er angedeutet. Aber bitte, Aaron, nimm endlich die Waffe
weg. Kapier doch, ich bin als Freund hier.“
Der Mann, der also Aaron Spendid persönlich war, lachte auf. „Du und ein Freund! Deine Gier
hat nie Grenzen gekannt. Du hättest deine Großmutter verkauft, wenn es dir einen Hinweis auf
einen versteckten Schatz gebracht hätte.“
„Das ist nicht wahr!“, wehrte sich Roger.
Lilo kaute heftig an ihrer Unterlippe. Was sollte sie nur unternehmen? Sie musste Roger doch
helfen.
„Carl wollte vor genau sieben Tagen hier sein!“, sagte Aaron. „So war es zwischen uns
vereinbart, denn wir hatten uns längst auf das Geschäft geeinigt, das er euch vorschlagen wollte.
Ich hatte meinen Teil auch bereits erfüllt, er sollte noch einige wichtige Teile bringen.“
„Wovon redest du?“
„Tu nicht so ahnungslos, das weißt du genau. Ich will endlich erfahren, was du mit Carl ge-
macht hast und wo sich die Teile befinden, auf die ich warte!“
„Tut mir Leid, ich komme nicht mit.“
„Gut, wenn du es nicht anders willst, dann werde ich an dir eine nette kleine Foltermethode
versuchen, die früher einmal hier in London sehr beliebt war. Unten im Erdgeschoss fließt die
Themse bis ins Haus. Früher konnten die Schiffe an dieser Stelle direkt in den Speicher fahren.
Ein ehemaliger Besitzer hat an dieser Stelle eine kleine Anlage errichtet, die aus einem langen He-
bel und einem Käfig besteht: Du kommst in den Käfig und ich tauche dich ins Wasser ein. Dort
bleibst du, solange es mir gefällt. Ein Druck auf den Hebel und du wirst wieder nach oben beför -
dert. Sagst du mir dann endlich, was ich wissen will, lasse ich dich frei, sonst aber geht es wieder
hinunter und du bleibst ein bisschen länger dort. Nach jedem Mal, bei dem du nicht mit der
Wahrheit rausrückst, wird dein Tauchgang länger. Bis ... ja, bis du vielleicht nur noch Fischfutter
bist.«
„Du bist verrückt!“, brauste Roger auf.
„Nein, ich habe nur keine Zeit!“, fuhr ihn Aaron an und sprang auf. Er presste Roger gegen die
Wand und drückte ihm den Arm gegen die Kehle. „Rede endlich!“
Hinter den beiden Mädchen knackte der Holzfußboden. Poppis Herz machte einen Sprung. Sie
biss sich auf die Unterlippe, um nicht aufzuschreien. Zwischen den Mänteln sah sie zur Tür,
durch die gerade Eugen Stinger getreten war. Auch er war bewaffnet. So leise wie möglich
schlich er um den Garderobenschrank.
„Lassen Sie die Waffe fallen, Spendid“, sagte er scharf. Aaron drehte sich um und schoss. Die
Kugel traf eine der Scheiben, die in tausend Splitter zerbarst. Im nächsten Augenblick war Roger
bei dem Mann und schlug ihm die Pistole aus der Hand. Als er sich danach bücken wollte, schrie
Eugen: „Beide Pfoten hoch, klar?“
Fast im Zeitlupentempo richtete sich Roger auf. Gehorsam hoben er und Aaron die Hände.
„Ich sehe, ich komme nicht zu spät“, stellte Stinger zufrieden fest. „So, und jetzt ist es soweit:
Ich will endlich alles haben, was ich zur Hebung dieses Milliarden-Schatzes brauche!“
Lilo und Poppi hielten die Luft an. Sie konnten nur hoffen, nicht entdeckt zu werden. Draußen
war es sehr warm. Spendid würde also kaum eine Jacke nehmen. Wenn aber doch ... dann waren
sie dran!
DREIUNDZWANZIGSTES KAPITEL

Es werden eine Tasche und ein Geheimnis


ausgepackt. Und eine Jacke an einem
Kleiderbügel wird zur Katastrophe.

Hinter der Tür, durch die Axel und Dominik gegangen waren, lag ein düsterer Raum, in dem es
faulig roch. Die beiden hatten sofort ihre Taschenlampen angeknipst und alles abgeleuchtet.
Nur wenige Schritte von ihrem Standort entfernt befand sich eine kniehohe, uralte Mauer,
gegen die das Wasser der Themse schlug und dabei gluckste und plätscherte. Einige Meter von
der Mauer entfernt war ein großes Tor, das auf Rollen lief und über dem Wasserspiegel hin und
her geschoben werden konnte.
In einer hinteren Ecke entdeckten die beiden Knickerbocker den Pfahl mit der dicken Stange,
die wie eine Wippe darauf befestigt war, und den engen Käfig aus dicken Metallbändern, der an
einem Ende hing.
„Altes Folterinstrument“, flüsterte Dominik Axel zu.
Die andere Hälfte des Raumes erinnerte an eine Müllkippe. Achtlos waren zerrissene Verpa-
ckungskartons hingeworfen worden und türmten sich bis fast unter die Decke. Dominik ging
näher und hob einige der Kartonteile auf, betrachtete sie von allen Seiten und legte sie zurück.
„Und?“ Axel sah ihn fragend an.
„Sieht aus, als wären Computer darin verpackt gewesen“, sagte Dominik leise. „Keine PCs, wie
wir sie haben, sondern so richtig starke Rechner, wie sie Profis und große Unternehmen
verwenden.“
„Vielleicht hat sie der Herr Schatzsucher wo ausgegraben“, scherzte Axel, erntete von Dominik
aber nur ein müdes Lächeln.
Mit dem Kopf deutete der Junge zu einer Holztreppe, die an dicken Metallseilen aufgehängt
war und in das nächste Stockwerk führte. Die beiden liefen nach oben und erreichten eine
Metalltür, die nicht nur neu, sondern auch stabil aussah. Sie war mit mehreren Schlössern gesi-
chert. Die Form der Schlüssellöcher deutete auf moderne Schlüssel mit Magnetstreifen und zahl-
reichen anderen Sicherheitssystemen hin.
„Abgeschlossen“, stellte Axel enttäuscht fest.
„Was hast du gedacht?“, fauchte Dominik. „Wer sich eine solche Tür einbauen lässt, der tut das
nicht, um sie dann offen zu lassen.“
„Sehr schlau, Herr Professor Großkopf“, schnaubte Axel, den Dominiks Besserwisserei auf die
Palme brachte. „Und wie kommen wir rein?“
Darauf wusste Dominik auch keine Antwort.
Die beiden gingen die Treppe wieder hinunter und wollten das Haus verlassen, um im Freien
auf die Mädchen zu warten. Von draußen kam aber ein Geräusch, das sie stutzig machte.
Jemand schlich langsam vor den Türen herum.
Axel packte Dominik am Arm und zog ihn zu dem Stapel aus Verpackungskartons. Zwischen
Stapel und Wand war es dunkel und es blieb genug Platz, um sich dort zu verstecken.
Im Lichtstreifen, der von draußen durch die halb offene Tür auf den Boden fiel, tauchte die
schlanke Gestalt eines Mannes auf. Als er ein paar Schritte weiter gemacht hatte, sahen die
Knickerbocker einen jungen, sehr hageren und sehr nervösen Burschen. Er zitterte am ganzen
Körper vor Aufregung. Immer wieder fuhr er sich durch die dünnen Haare, die nach allen Seiten
wegstanden.
„Oh du meine Güte“, seufzte er mehrmals.
Und dann kam er direkt auf das Versteck der Jungen zu. Die beiden drängten sich mit angehal -
tenem Atem noch weiter in die hinterste Ecke.
Hatte sie der Bursche gesehen?
Axel flehte, es möge zu dunkel sein, um sie auszumachen.
Es knirschte vor ihren Füßen. Der Mann hatte eine dunkle Sporttasche in den Spalt zwischen
Kartons und Wand geschoben. Mit dem Fuß kickte er die Tasche noch tiefer nach hinten, wo sie
gegen Dominiks Schuhe stieß.
Die Herzen der Jungen rasten. Das Pochen dröhnte in ihren Ohren.
Umso größer war ihre Erleichterung, als der Mann sich umdrehte und den Raum wieder ver-
ließ. Als sie sicher waren, dass er nicht mehr vor der Tür stand, wagten sich die zwei wieder aus
dem Versteck. Die Tasche nahmen sie natürlich mit. Sie war nicht schwer und auch nicht be-
sonders verschlossen.
„Sehen wir nach, was drinnen ist?“, flüsterte Axel Dominik zu.
Dominik nickte kurz.
Axel hockte sich nieder und begann vorsichtig und langsam den Reißverschluss zu öffnen.
Dominik leuchtete hinein, aber zuerst sahen die beiden nur achtlos hineingestopfte Kleidungsstü-
cke. Erst darunter stießen sie auf etwas, das sie überraschte.
Lilo und Poppi wagten kaum zu atmen. Eugen Stinger hatte Roger und Aaron mit Hilfe einer
Nylonschnur, die auf einem Tisch gelegen hatte, an den Lehnstuhl gefesselt. Er war dabei sehr
geschickt und gleichzeitig sehr gemein vorgegangen und hatte die bloßen Hand- und Fußgelenke
der beiden so an die Stuhlbeine gebunden, dass sie sich nicht bewegen konnten, ohne dem
anderen heftige Schmerzen zuzufügen. Außerdem war es unmöglich, samt Lehnstuhl
aufzustehen.
„Ich warte noch immer auf die Erklärung“, sagte er mit einer Stimme, die nicht drohend,
sondern schon Furcht einflößend war.
„Wer sind Sie?“, wollte Roger wissen.
„Das tut nichts zur Sache, aber ich habe nicht mehr viel Zeit. Also reden Sie besser, sonst...“ Er
machte eine Bewegung mit der Waffe, die keinen Zweifel daran offen ließ, dass er bereit war,
zum Äußersten zu schreiten.
Wieder knarrte der Boden hinter der Eingangstür. Lilo drehte ganz langsam den Kopf, damit
sich auch bestimmt kein Kleidungsstück bewegte und sie vielleicht verriet.
Ein junger Mann mit Brille und dünnem Haar schlich herein. Seine Kleidung sah aus, als hätte
er darin geschlafen, und er roch wie der Umkleideraum einer Turnhalle. Obwohl er auf Zehen-
spitzen schlich, knarrten die Dielenbretter.
Eugen Stinger reagierte blitzschnell. Er stürzte wie ein angriffslustiges Raubtier hinter dem Gar-
derobenschrank hervor und packte den überraschten Burschen am Pulli.
„Damian, wie nett, dich wieder zu sehen!“, rief er aufgesetzt.
Damian gab wimmernde Geräusche von sich und machte mit den Händen eine abwehrende
Bewegung. Sein Gesicht war zu einer angsterfüllten Grimasse verzogen. Stinger schleuderte den
Burschen brutal zu Boden und hielt ihn mit der Pistole in Schach.
„Nicht... nicht schießen“, flehte Damian.
Ein paar Minuten später war auch er so gefesselt, dass er sich von allein bestimmt nicht befreien
konnte.
„Wie gut, dass du gekommen bist. Die beiden Herren sind nämlich sehr schweigsam, aber du
kannst mir bestimmt sagen, wie ich an den 100-Milliarden-Dollar-Schatz rankomme, oder?“
Mit dem Lauf der Waffe kitzelte der kaltblütige Stinger den Studenten unter dem Kinn. Damian
war schneeweiß im Gesicht. Kalter Schweiß stand ihm auf der Stirn und aus seinen Armen und
Beinen war jede Kraft gewichen.
„Ich ... ich wollte das nicht“, stammelte er.
„Du wolltest mich nicht bestehlen, oder wie? Deine Finger haben sich selbstständig gemacht,
oder was?“, tobte Stinger. „Spar dir deine Lügen, rück endlich mit der Wahrheit raus! Was steht
in dem Dokument in Hofbauers Computer?“
Da er keinen Mut besaß und außerdem die Lage für hoffnungslos hielt, begann Damian zu
erzählen.
„Carl Hofbauer ... hat mit Aaron Spendid bereits einen Handel abgeschlossen. Mister Spendid
steckt sehr viel Geld in eine Sache, die bald schon 100 Milliarden Doller bringen soll. Spen did hat
das Geld, weil er ... weil er ...“ Damian traute sich nicht weiterzureden, weil Aaron be gann, wie
ein bissiger Hund zu knurren und an den Fesseln zu reißen.
„Red weiter!“, schnauzte ihn Stinger an.
„Er ... also ... die Kunstschätze aus Südamerika ... sie sind Verstecke für Rauschgift. Spendid hat
daher viel Geld, von dem natürlich niemand etwas wissen darf. Deshalb will er es in das
Unternehmen stecken!“
Aaron Spendid biss die Zähne zusammen und zischte: „Du verlässt dieses Haus nicht lebend,
Kleiner.“
Damian sank in sich zusammen und wollte nicht mehr weiterreden. Stinger pflanzte sich
drohend vor ihm auf, sodass ihm keine andere Möglichkeit blieb.
„Carl Hofbauer ... hat einen Plan entwickelt, der tatsächlich 100 Milliarden Dollar wert sein
kann. Dazu muss man aber verschiedene Dinge machen: Zuerst Aktien an der Börse kaufen. Sehr
viele Aktien. Dann muss man eine Firma gründen. Und schließlich muss man im Internet eine
riesige Lotterie veranstalten. Eine Lotterie, bei der jedes Los gratis ist, aber Gewinne in Milli-
onenhöhe winken. Diese Lotterie gibt es schon. Aaron Spendid hat Rechner gekauft und die Pro-
gramme installieren, also einrichten lassen. Die Internet-Lotterie soll in diesen Tagen in Betrieb
gehen. Es fehlt nur noch etwas. Ein kleines Geschenk, das mit jedem Los verschickt wird.“
Wieder machte Damian eine Pause. Der Schweiß tropfte ihm von der Stirn auf den Boden. Seine
Kehle war völlig ausgetrocknet, und er hatte größte Mühe weiterzureden.
„Was ist das für ein ,Geschenk'?“, polterte Stinger. „Bisher halte ich diesen Plan für völlig
hirnverbrannt. Was soll daran 100 Milliarden einbringen, hä?“
Noch immer rang Damian nach Luft. Er wollte etwas sagen, schaffte es aber nicht. Er brachte
keinen Ton mehr heraus.
„Wo sind die Computer?“, wollte Eugen Stinger von Spendid wissen. Dessen weißer Sweater
war mittlerweile auch durchgeschwitzt und sein Gesicht zu einer wütenden, grimmigen
Grimasse verzerrt. Als er keine Antwort gab, bückte sich Stinger und durchwühlte seine Taschen.
Er fand einen Schlüsselbund und grinste schief: „Wer so ein nettes Häuschen hat, kann einiges
hier verstecken.“
Mit diesen Worten verließ er die Wohnung.
Lilo und Poppi atmeten erleichtert auf. Dabei taumelte Poppi leicht und eine Jacke schwenkte
auf dem Kleiderbügel nach vorn.
Die Mädchen hatten nicht mitbekommen, dass Stinger in der Tür stehen geblieben war. Er sah
die Bewegung der Jacke, riss sie aus dem Schrank und fasste nach dem Arm dahinter. Mit einem
Ruck riss er Lieselotte raus.
„Wen haben wir denn da?“, schrie er außer sich. „Wie kommt ihr hierher, ihr neugierigen
Biester? Wo sind die anderen? Ihr tretet doch immer im Rudel auf!“
Lilo öffnete den Mund und stammelte: „Keiner außer mir da ... wollten nicht, die anderen.“
„Die waren schlauer als du!“, zischte Stinger.
VIERUNDZWANZIGSTES KAPITEL

Silberne Scheiben und ein Schock


hinter der Ecke

Nachdenklich betrachteten Axel und Dominik die silbernen Scheiben, die sie in der Tasche
unter den Klamotten gefunden hatten. Es waren zehn Stück in neutralen Hüllen ohne Aufdruck.
Dabei lagen auch gefaltete Zettel, auf denen die beiden einen langen Text fanden, der auf einem
billigen Drucker ausgedruckt worden war.
Dominik studierte Zeile für Zeile. Der Text war nicht gerade einfach geschrieben, und der
Knickerbocker hatte Mühe, etwas zu verstehen.
„Und, um was geht es?“, wollte Axel wissen.
„Ach, etwas, das nur Großköpfe wie ich verstehen!“, knurrte Dominik, der noch immer ein
bisschen beleidigt war.
„Sorry, sorry, sorry, tut mir Leid wegen vorhin!“ Axel tat so, als würde er sich zur Entschul-
digung auf den Boden werfen.
„Das sind keine Musik-CDs, sondern Computer-CDs, die ganz spezielle Programme gespei-
chert haben. Hier steht, wie man diese Programme zum Laufen bringt.“
„Und was für Programme sind das?“
„Keine Ahnung!“
Von draußen kam eine Stimme, die die Jungen gut kannten. „Sie tun mir weh“, beschwerte sich
Lieselotte.
„Und das tut mir gar nicht Leid“, äffte sie jemand nach, den sie ebenfalls kannten.
Dominik schleuderte die CDs zurück, schloss die Tasche und sprang mit Axel in das Versteck
zurück.
Keine Sekunde zu früh. Stinger betrat den Raum und stieß Lilo vor sich her.
„Hol die Tasche“, befahl er ihr und deutete auf die Stelle, wo Damian sie versteckt hatte. Lie-
selotte befolgte seine Anordnung und kroch in den Spalt.
„Pssst“, zischte ihr Axel zu.
„Vorsicht“, hauchte Lilo zurück.
„Was ist?“, wollte Stinger wissen.
Mit der Tasche in der Hand kam Lilo zurück und warf noch einen flehenden Blick auf den Sta -
pel Kartons. Hoffentlich konnten die Jungen etwas unternehmen. Hoffentlich wurden sie nicht
auch entdeckt.
Eugen Stinger stieß sie vor sich her die Treppe hinauf und warf ihr die Schlüssel zu. Die Waffe
hatte er in der Jackentasche versteckt, aber einsatzbereit.
„Aufschließen!“
Lilo hatte größte Mühe, das zu schaffen, was ihr Vater, der Bergführer ist, ihr immer riet: ruhig
bleiben, ganz egal, was auch geschieht.
Ihre Hände zitterten, als sie die passenden Schlüssel für die Schlösser suchte. Endlich hatte sie
alle geöffnet und die Tür sprang mit einem dumpfen Schmatzen auf. Das kalte Licht von
Neonröhren fiel auf die beiden.
Stinger und Lilo verschwanden im Raum, die Tür blieb offen. Von drinnen kam das Rücken
von Stühlen und die bekannten Töne, die Computer von sich geben, wenn sie eingeschaltet wer-
den.
Axel wagte sich aus dem Versteck und schlich zur Treppe. Würde es Dominik gelingen, loszu-
gehen und die Polizei zu alarmieren?
Durch die offene Tür sah Axel einen Raum, in dem ein Computer neben dem anderen stand.
Bildschirme gab es weniger.
Der Raum war dicht gepolstert und eine Welle kalter Luft wehte ihm entgegen. Offensichtlich
arbeitete eine Klimaanlage auf Hochtouren, um die Geräte immer gut gekühlt zu halten.
Stinger hatte Lieselotte auf einen Stuhl gedrückt und ließ sie jetzt eine CD-ROM nach der
anderen in ein Gerät einlegen. Was auch immer auf den Scheiben gespeichert war, wurde in den
Computer geladen.
„Wenn das stimmt, was Damian gesagt hat, dann haben wir es hier tatsächlich mit einem 100-
Milliarden-Dollar-Schatz zu tun“, murmelte Axel vor sich hin.
Aus den Augenwinkeln sah er, wie Dominik das Versteck verließ. Sein Kumpel schien Axels
Gedanken gelesen zu haben.
„Installation erfolgreich“, las Stinger auf dem Bildschirm. „Los, Kleine, jetzt schick eine Mail
an ...“ Er trat an einen kleineren Computer, der auf einem etwas abseits stehenden Tisch stand
und nicht mit der Anlage verbunden war. Nachdem er ihn gestartet hatte, rief er das E-Mail-
Programm auf und diktierte Lilo die Adresse. „Los ... schick mir ein ,Los'!“
Lieselotte drückte die entsprechenden Tasten und nickte zur Bestätigung.
Einige Sekunden später meldete das Gerät vor Stinger, dass die Mail eingetroffen war. Stinger
musste es nur noch öffnen. Er tat es und runzelte überrascht die Stirn. „Ach ja“, krächzte er, „ich
muss noch die Zeit ein bisschen vordrehen.“
Wieder tippte er herum und manipulierte an der Uhr und dem Datum, das in den Computer
eingegeben war. Als er fertig war, rieb er sich freudig die Hände.
„In ein oder zwei Minuten müsste es so weit sein ...!“
Dominik hatte das Lagerhaus verlassen und lief die dunkle Straße hinunter. Links und rechts
erhoben sich düstere Speicher, die alle schon stark verfallen waren. Auf der Fahrbahn lag an
mehreren Stellen heruntergefallenes Mauerwerk.
Bis zur U-Bahn war es weit. Die Knickerbocker-Bande hatte sogar ein Taxi von der Station zum
Lagerhaus genommen. Und die nächste wirklich befahrene Straße war auch nicht in der Nähe.
Wie sollte Dominik die Polizei verständigen? Es würde lange dauern, und Lilo war doch in den
Händen dieses Verrückten.
Der Schreck hatte Dominiks Beine ganz steif gemacht, seine Schritte waren eckig.
Als er um die Ecke in eine andere Gasse einbog, prallte er um ein Haar in zwei Leute. Er wollte
ausweichen, aber eine Hand griff nach ihm. Eine andere legte sich sofort über seinen Mund.
„Was ist mit dem Jungen?“, wollte der zweite wissen.
FÜNFUNDZWANZIGSTES KAPITEL

Zentimeter für Zentimeter


sinkt ein Gitter nieder
und es gibt kein Entkommen.

Poppi stand wie versteinert in der Garderobe. Durch die Schlitze in der Wand beobachtete sie
die drei gefesselten Männer.
Spendid fluchte in einem fort und beschimpfte die beiden anderen auf das Schlimmste.
Roger werkte an den Fesseln herum, konnte sie aber nicht lösen. Immer tiefer schnitt sich die
Nylonschnur in seine Handgelenke.
Damians Unterkiefer zitterte. Immer wieder warf er Blicke nach beiden Seiten, wo die anderen
gefesselt waren. Seine Pupillen waren geweitet und seine Augen unnatürlich dunkel.
Sollte sie sich aus dem Versteck wagen und helfen? Poppi kämpfte mit sich selbst. Sie wusste
einfach nicht, was sie tun sollte.
Da traf sich ihr Blick mit Spendids Blick. Das Auge des Mädchens musste im einfallenden Licht
aufgeblitzt haben, jedenfalls sah Spendid sie und schnaubte: „Da ist noch jemand ... im Gardero-
benschrank. Kommen Sie raus, los!“
„Wer von euch das auch immer ist, rennt los und holt die Polizei!“, rief Roger.
„Halten Sie das Maul!“, fuhr ihn Spendid an.
Poppi holte tief Luft, zwängte sich zwischen den Jacken heraus und verließ die Wohnung. Er -
leichtert atmete Roger auf, als er ihre Schuhe die Treppe hinunterklappern hörte.
Axel konnte sich vom untersten Absatz nicht wegbewegen, obwohl er wusste, dass Stinger ihn
sofort entdecken würde, wenn er überraschend den Computerraum verließ.
„Gleich muss es so weit sein“, kündigte Stinger an. „Wenn Damian die Wahrheit gesagt hat.“
Damian hatte nämlich doch noch geredet, bevor Stinger mit Lilo in das Untergeschoss gegan-
gen war. Er hatte nicht nur verraten, wo seine Tasche versteckt war, sondern auch, welches Ge -
heimnis die CD-ROMs bargen.
„Es geht los“, meldete Stinger mit belegter Stimme. Er starrte auf den Computer, dessen
Bildschirm auf einmal wild zu blinken begann. Die ganze Fläche wurde abwechselnd hell und
dunkel. Gleichzeitig begannen alle Laufwerke zu rennen und gaben dabei schrille Töne von sich.
Der Spuk dauerte einige Sekunden und endete mit einem gequälten Laut, der sich anhörte, als
wären zwei Autos gegeneinander gefahren.
Als Stinger zur Seite trat, war der Bildschirm schwarz, und aus dem Computer stieg eine dünne
Rauchsäule. Probeweise klopfte Stinger auf die Tasten, doch es tat sich nichts mehr.
„Tot, völlig kaputt. Nur noch zum Wegwerfen!“, stellte er zufrieden fest. Dann begann er zu
lachen. Zuerst ganz normal, dann immer heftiger und lauter. „Ein Computervirus, der
Bildschirm, Festplatte, Diskettenlaufwerk, einfach alles zerstört. Einfach genial!“, jubelte er. „Das
Ding hier ist nicht einmal mehr als Schrott zu verkaufen. Wer es besitzt, muss sich ein neues
kaufen.“
Und dann geschah genau das, was Axel am meisten befürchtet hatte. Stinger drehte sich mit
einem Ruck in seine Richtung und sah ihn.
„Halt!“, schrie er. „Keine Bewegung, sonst passiert deiner Freundin ein Unglück!“
Axel blieb keine andere Wahl, als regungslos stehen zu bleiben.
Draußen stürzte Poppi aus der Tür und wollte weg. Stinger hörte ihre Schritte und befahl Axel:
„Zurückholen, wer immer das ist.“ Er riss Lieselotte an sich und hielt sie mit eisernem Griff an
der Schulter fest. Da er bewaffnet war, tat Axel widerspruchslos, was Stinger verlangte.
„Poppi!“, rief er seiner Freundin nach.
„Du hast mich angelogen“, zischte Stinger Lilo ins Ohr. „Das wirst du bereuen.“
Er stieß sie die Treppe hinunter und trat an die kniehohe Mauer. Prüfend sah er in das trübe
Themse-Wasser. An der Wand entdeckte er mehrere Räder mit Kurbeln.
„Los, drehen!“, kommandierte er.
Lilo folgte seinem Befehl. Sie musste allerdings ihre ganze Kraft aufbieten, um die Kurbel in
Bewegung zu setzen.
Dort, wo das Tor und der Wasserspiegel einander trafen, wurde ein Eisengitter vorgeschoben.
Doch damit nicht genug. Beim Drehen der nächsten Kurbel kam von oben ein Gitter herab, das
so groß wie die offene Wasserfläche war.
Axel kam mit Poppi zurück. Sie hielten sich wie zwei kleine Kinder an der Hand. Ihre Ver-
zweiflung war grenzenlos. Nur Dominik konnte sie jetzt noch retten. Entsetzt sahen sie, wie das
Gitter von oben langsam niedersank.
„Hilf deiner Freundin, damit es schneller geht!“, forderte Stinger Axel auf. „Und wo ist der
Vierte? Ich weiß, dass ihr immer nur als Rudel auftretet.“
„Dominik ist wirklich nicht da!“, versicherte Axel.
Stinger warf ihm einen verächtlichen Blick zu. Er packte Poppi und zerrte sie unsanft hinter
sich her. „Ich hole die anderen. Solltet ihr nicht mehr da sein, wenn ich zurückkomme, seht ihr
eure Freundin nie wieder.“
Poppi warf den beiden einen flehenden Blick zu, der bedeutete: Bitte, bitte, baut keinen Mist!
Lasst mich nicht im Stich!
„Keine Angst, Poppi, wir ... wir sind da!“, versicherte ihr Lieselotte.
Kaum war Stinger fort, begannen die Knickerbocker fieberhaft zu beraten, was sie tun sollten.
Hatten sie eine Chance? Wo steckte Dominik? Hatte er die Polizei alarmieren können?
„Wir müssen Zeit gewinnen!“, sagte Lilo. „Das ist das Wichtigste.“
Stinger kehrte mit den drei Männern und Poppi zurück. Die Männer hatten die Hände auf dem
Rücken gefesselt und Schnüre an den Knöcheln, damit sie nur kleine Schritte machen konnten.
Wie Schafe trieb Stinger sie zu der niederen Mauer, versetzte jedem einen Stoß und beförderte sie
ins Wasser. Poppi warf er hinterher und Lilo und Axel landeten ebenfalls im stinkenden
Themsewasser.
Mit einer Hand hielt Stinger sie in Schach, mit der anderen kurbelte er wie verrückt am Gitter,
das nur noch einen halben Meter über der Wasseroberfläche war und sich Zentimeter für Zenti-
meter senkte.
„Der will uns ertränken“, schnaubte Spendid. „Das Gitter kann man unter den Wasserspiegel
absenken. Der will uns hinunterdrücken.“
Die Maschen des Gitters waren zu eng, um den Kopf durchzustecken. Früher einmal hatte es
dazu gedient zu verhindern, dass irgendjemand auf dem Wasserweg in das Lagerhaus
eindringen konnte.
„Nicht!“, flehten die Knickerbocker. „Hören Sie auf.“
„Oh nein, der 100-Milliarden-Dollar-Schatz gehört mir. Aber wenn ihr mich verratet, ist er
wertlos und verloren. Das werde ich doch nicht zulassen!“
Schon drückte das schwere Metallgitter auf die Köpfe der Gefangenen. Immer weiter presste es
sie nach unten. Das Wasser stand ihnen schnell bis zum Mund, und sie mussten die Köpfe ganz
nach hinten legen und die Nasen in die Höhe strecken.
Stinger machte eine Pause.
„Damian, nur zum Wiederholen: Also jeder, der an der Lotterie teilnimmt, bekommt per E-Mail
sein Los und damit aber auch den Computervirus, der sein Gerät zu einem ganz bestimmten
Zeitpunkt zerstört. Wenn alles klappt, werden Millionen Menschen an der Lotterie teilnehmen
und damit Millionen Geräte zerstört werden. Die Computerhersteller werden ein großartiges
Geschäft machen, da sie Unmengen neuer Geräte verkaufen.“
„Ja ... ja, genau!“ Damian hatte Mühe, seinen Kopf über Wasser zu halten. Da seine Hände nach
hinten gefesselt waren, konnte er sich nicht einmal wie Axel, Lilo und Poppi an den Streben des
Gitters fest klammern und nach oben ziehen. Verzweifelt strampelte er mit den Beinen.
Gierig sogen die drei Knickerbocker die Luft ein, so lange sie noch konnten. Axel wollte, wenn
das Gitter ihre Gesichter tatsächlich unter das Wasser presste, zum Gitter am Tor tauchen und
versuchen, es zu öffnen. Leise flüsterte er den Mädchen seinen Plan zu, den diese aber in der
Aufregung nicht richtig verstanden.
„Der erste Gewinn, den man hat, ist der gewaltige Wertanstieg der Aktien“, setzte Stinger fort.
„Hat man genug gekauft, gewinnt man Milliarden. Aber das wirklich Wichtige ist das Anti-Viren
Programm, das gleichzeitig mit diesem Super-Virus entwickelt wurde. Nur dieses Programm
hilft gegen den Virus. Und dieses Programm wird über die neu gegründete Firma verkauft, die
bald Milliarden Dollar wert sein kann. Schließlich muss sich jeder vor der Virengefahr schützen,
und zwar auf der ganzen Welt, und das betrifft Milliarden von Geräten. Ein genialer Plan, den
sich der gute Carl Hofbauer ausgedacht hat. Und genial auch der Virus und das
Schutzprogramm, die er entwickeln ließ.“
„Rauslassen, machen Sie das Gitter hoch .., die Kinder“, keuchte Roger. „Das können Sie nicht
tun!“
„Ich kann doch!“, schrie Eugen, packte den Griff der Kurbel und drehte weiter. Unter lautem
Quietschen und Ächzen setzte das mächtige liegende Gitter seinen schrecklichen Weg fort und
drückte die Knickerbocker und die drei Männer langsam unter die Wasseroberfläche.
In Lilos Ohren gurgelte und blubberte es. Sie schnappte noch einmal nach Luft, bevor auch ihr
Gesicht ganz in der Themse war. Über sich sah sie durch die Wellen des Wasserspiegels den
lachenden Eugen Stinger. Schwarze Schmutzteilchen tanzten vor ihren Augen, und langsam
wurde alles so lehmig braunschwarz wie das Wasser. Lieselotte kämpfte nicht, da das noch
schneller ihren letzten Sauerstoffvorrat verbraucht hätte.
Axel setzte seinen Plan um und erreichte das Gitter unter dem Tor. Er versuchte, die Stangen
auseinander zu biegen, doch ohne Erfolg. Der Spalt zwischen Gitter und Tor war zu klein, um
durchzuschwimmen.
Poppi schaffte es, ihre Nase zwischen den Gitterrauten durchzustecken und Luft zu schnappen.
Aber schon drang Wasser in ihre Nasenlöcher.
Es war aus.
SECHSUNDZWANZIGSTES KAPITEL

Die Knickerbockerbande beschließt,


eine ganz besondere Ausbildung zu beginnen.

Das Wasser erzeugte in den Ohren der Knickerbocker schaurige Geräusche. Rund um sie schien
alles zu beben.
Plötzlich spürte Lilo Luft auf ihrem Gesicht. Sie war von ganz allein nach oben getrieben, wo
kein Gitter mehr war. Es schwebte eine Handbreit über ihr und bewegte sich wieder nach oben.
Hastig sah sich Lilo nach Axel und Poppi um. Poppi schwamm neben ihr, von Axel aber keine
Spur. Lilo drehte sich im Kreis, bemerkte einen Schatten am Tor und trat dagegen. Jemand fasste
nach ihrem Bein, und sie zog es kräftig nach oben.
Schnaubend und prustend steckte Axel den Kopf aus dem Wasser. Auch die drei gefesselten
Männer neben ihr sogen gierig die Luft ein.
An der Kurbel standen Dominik und Marion. Mit erhobenen Händen presste sich Stinger gegen
die Wand. Er blickte nun selbst in den Lauf einer Waffe, die ein Mann mit langen weißen Haaren
in den Händen hielt. Der Mann sah sehr mitgenommen aus. Auf seinem Gesicht lagen dunkle
Schatten.
„Du schreckst wohl vor nichts zurück“, sagte Carl Hofbauer kopfschüttelnd.
Dominik und Marion halfen den Gefangenen aus dem Wasser. Damian und Aaron ließen sie
aber sicherheitshalber gleich gefesselt.
„Die beiden ... ich bin in sie hineingerannt“, berichtete Dominik, der noch immer atemlos war.
Nur eine Minute später, und mit seinen Freunden wäre es vorbei gewesen.
Stinger starrte Carl Hofbauer wütend an. „Wie ... wie bist du freigekommen?“
Marion grinste breit und deutete auf sich. „Ich habe ihn rausgeholt. Ich, die dämliche Kuh. Er
wusste sofort, dass sich hier alle treffen würden.“
Mit Sirenengeheul trafen die Polizeiwagen ein. Die englischen Polizisten waren besonders
freundlich, aber auch reichlich verwirrt. Zur Sicherheit nahmen sie alle Anwesenden mit.
„Aber ... wer hat denn die Polizei alarmiert?“, wunderte sich Dominik. „Ich war es nicht.“
„Nein, das war ich!“ Aus einem der Wagen stieg Louisa. „Und mit euch habe ich ein Hühnchen
zu rupfen. Gegen eure Eskapaden sind die Schrecken des Kerkers von London ja ein Scherz.“
Aus dem Flug am Abend wurde nichts. Dafür saßen die Knickerbocker-Bande, Roger, Louisa
und Carl Hofbauer auf einer Terrasse mit Blick über die Themse und auf die beleuchtete Stadt.
„Marion wird morgen freigelassen, muss sich aber daheim vor einem Gericht verantworten“,
berichtete Roger. „Mit Aaron Spendid ist der Polizei ein sehr dicker Fisch ins Netz gegangen, und
dieser Damian bereut sehr, worauf er sich da eingelassen hat. Na ja, mit Stinger habe ich kein
Mitleid.“
Stumm schaufelte Carl Hofbauer Kartoffelbrei in sich hinein. Nach der langen Gefangenschaft
war es das Einzige, was er wirklich gut vertrug. Er wusste noch nicht, ob er sich freuen sollte
oder nicht.
„Ganz ehrlich, dieser 100-Milliarden-Dollar-Schatz ist wohl der erste Schatz, bei dem man sich
nur freuen kann, dass er nie wirklich gehoben worden ist. Die Idee ist genial, allerdings hätte sie
unter Umständen die halbe Welt lahm gelegt“, sagte Dominik.
Die anderen stimmten ihm zu.
„Carl, die Idee stammte von dir und die Vorbereitungen auch“, sagte Roger nachdenklich.
„Man kann mir nichts nachweisen“, bellte der alte Mann. „Gar nichts. Ich nehme nur die Ent-
wicklung des besten Anti-Viren-Programms der Welt auf meine Kappe.“ Carl Hofbauer legte den
Löffel zur Seite, lehnte sich zurück und wischte sich über die feuchten Augen. „Ach, wisst ihr ...
ich bin ein alter, einfältiger Mann, der verbittert und enttäuscht ist. Ich wollte es der Welt noch
einmal zeigen, nachdem ich meine geliebte Familie verloren hatte.“
„Und da ist Ihnen nichts Besseres eingefallen?“, fragte Lilo vorwurfsvoll. „Ich meine, dieses
Computerviren-Schutzprogramm ist genial. Auch ohne den Super-Virus. Oder?“
„Oh ja, das ist es!“, stimmte ihr Hofbauer zu.
„Warum verkaufen Sie dann nicht nur das Programm? Es ist vielleicht nicht 100 Milliarden,
aber trotzdem viel Geld wert“, meinte Dominik.
Der alte Schatzsucher seufzte und überlegte. „Du hast Recht, mein Junge. Darauf hätte ich ei-
gentlich auch kommen können.“ Er kicherte verschmitzt. „Natürlich, das Ding bringt viel Geld.“
„Und du bist reich!“, sagte Roger.
Carl machte eine wegwerfende Handbewegung. „Unsinn, ich brauche nichts. Ich habe mein
Häuschen, oder besser gesagt, was dieser Stinger davon übrig gelassen hat. Der hat ziemlich ge -
wütet. Das Geld ... was mache ich nur mit dem Geld ...?“
„Warum unternimmst du nicht neue Schatztouren?“, schlug Roger Winkler vor. „Das hat dir
dein Leben lang die größte Freude gemacht.“
Carl Hofbauer nickte. „Ich werde vor allem anderen Leuten mit dem Geld helfen. Mir fallen da
viele Menschen ein, die Hilfe nötig haben.“
„Tiere auch!“, warf Poppi ein.
„Tiere auch! Und außerdem werde ich jungen Schatzsuchern kräftig unter die Arme greifen“,
beschloss Carl Hofbauer, „auf dieser Welt liegen noch so viele kostbare Wunderwerke verborgen,
die gefunden und gehoben gehören.“
Die vier Knickerbocker erhoben sich. „Wir melden uns als Erste an. Wir tun das gern, und wie
Sie selbst gesehen haben, gar nicht schlecht.“
„Warum nicht!“, meinte der alte Schatzsucher.
Louisa hatte etwas dagegen: „Nein, nein, nein!“, rief sie. „Nicht so lange wir auf euch aufpassen
müssen!“
„Wieso, ihr könntet doch bei uns mitmachen!“, schlug Poppi vor. „Wir ernennen euch zu
Ehrenmitgliedern der Knickerbocker-Bande.“
Lilo lachte. „Klar, dann müsst ihr nämlich mitmachen. Denn ...“
„Echte Knickerbocker lassen niemals locker!“, riefen die vier im Chor. Und das würden Axel,
Lilo, Poppi und Dominik noch oft beweisen. Es warteten noch viele Fälle auf sie. Sehr viele ...

Übrigens: Der Name Knickerbocker-Bande entstand, als Axel, Lilo, Poppi und Dominik den
Zeichenwettbetverb einer Lederhosenfirma gewannen und einander bei der Preisverleihung kennen
lernten. Und außerdem: Du kannst mit der Knickerbocker-Bande direkt in Kontakt treten - über die E-
Mail-Adresse, die hier im Buch zu finden ist!

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