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Das Phänomen Hans-Peter Martin


30.05.2009 | 18:21 | von Wolfgang Böhm (Die Presse)

Ein Ausnahmepolitiker punktet auch in diesem EU-Wahlkampf. Der ehemalige


SPÖ-Spitzenkandidat Martin hat sich eine zweifelhafte Strategie zwischen Populismus und
linksintellektueller Fundamentalkritik zurechtgelegt.

Das weiße Sakko trägt er gerne. Es ist zum Symbol der Sauberkeit geworden, für die er so gerne
stehen möchte. Hans-Peter Martin ist vielleicht einer der bekanntesten, sicher aber der
umstrittenste österreichische Abgeordnete im Europaparlament. Er wird von EU-Kritikern hofiert,
von Abgeordnetenkollegen gehasst und ob seiner umstrittenen Methoden und emotionalen
Ausbrüche geächtet. Er hat Mitarbeiter das Fürchten gelehrt, Autotüren zertrümmert, ist Kollegen
mit seiner Knopfkamera hinterhergejagt. Und er ist bei Wahlen und Buchverkäufen erfolgreich.

Es gibt europaweit kaum einen vergleichbaren Politiker: Mit Ausnahme des italienischen
Medienzars Silvio Berlusconi hat keiner so viel Rückhalt durch ein einzelnes Medium wie
Hans-Peter Martin durch die „Kronen Zeitung“. Und es gibt auch keinen, der über ideologische
Grenzen hinweg derart viele Anhänger rekrutieren kann. HPM, wie er gerne genannt wird, mag
ein Querulant sein, er hat sich aber eine einzigartige strategische Öffentlichkeitsarbeit aufgebaut.
Er arbeitet mit linksintellektueller Fundamentalkritik genauso wie mit seichten Themen, die bei
der Volksseele gut ankommen. Bei der anstehenden Europawahl könnte Martin deshalb mit seiner
Liste erneut – wie bereits 2004 – den dritten Platz erringen. Fraglich ist lediglich, ob ihn die FPÖ
diesmal überholt.

Für den Politikwissenschaftler Helmut Kramer ist Martins Erfolg eine Doppelstrategie: „Er
verbindet sozialkritische Elemente mit einer Dreckschleuder gegen die EU.“ So kann er bei linken
Globalisierungskritikern ebenso punkten wie bei jenen, die sonst mit Rechtspopulisten
sympathisieren. Martin kommt deshalb immer öfter in Konflikt mit den Freiheitlichen. Auch die
FPÖ will das Potenzial an EU-Skeptikern ausreizen. Dem FPÖ-Spitzenkandidaten Andreas Mölzer
ist Martin ein Dorn im Auge. „Natürlich wird er uns auch Stimmen kosten“, sagt er. Mölzer
vermutet sogar, dass hinter Martins Kandidatur und der massiven Unterstützung durch die
„Kronen Zeitung“ die Strategen von ÖVP und SPÖ stehen. HPM solle die wachsende Zahl an
EU-Skeptiker im Land spalten. Martin selbst sieht die Reduzierung der FPÖ-Stimmen hingegen als
sein persönliches Ziel. „Ja hoffentlich. Das ist ein Grund für meine Kandidatur.“

Empörungspolitiker. Was aber macht Martins Erfolg aus? „Er ist ein Empörungspolitiker“,
analysiert der Meinungsforscher Harald Pitters von Karmasin-Marktforschung. Er bindet einen Teil
des Protestpotenzials an sich. „Wenn die FPÖ mit radikalen Aussagen über das Ziel schießt, wird
Martin umso mehr Stimmen erhalten.“ Es gehe um Menschen, die mit „denen da oben
fundamental unzufrieden sind“.

Martin bedient diese Menschen mit immer neuen Geschichten: von den hohen Reisespesen der
EU-Abgeordneten über den millionenschweren Umbau eines Fitnesscenters der EU-Institutionen in
Brüssel bis zur Geldverschwendung bei den zahlreichen ausgelagerten EU-Agenturen. Er ist gegen
den Lissabon-Vertrag und gegen jede Erweiterung der Union. Dennoch bezeichnet er sich als
„glühender Europäer“ – und meint damit nicht seinen Kampf für den Erhalt von Glühbirnen. Dass
er es auch konstruktiv kann, bewies er mit seinem Buch „Die Europafalle“, in dem er neben
harscher Kritik auch Zukunftsbilder einer demokratischeren Union zeichnet. Für seine Arbeit als
Aufdecker bekommt er Applaus von einem prominenten journalistischen Kollegen, Günter
Wallraff. „Martin zeigt respektable Beharrlichkeit und Mut.“ Wallraff gefällt, wie Martin die
Probleme in den EU-Institutionen aufzeigt. „Seine parteipolitischen Ambitionen sind mir hingegen
eher suspekt.“

Unverträglich. So respektlos und verbissen Martin bei seiner täglichen Arbeit im Europaparlament

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vorgeht, so konstruktiv und gewandt zeigt er sich bei seinen Medienauftritten. „Wer ihn nicht
kennt, muss glauben, dass es hier um einen seriösen Politiker geht“, sagt ein langjähriger
Abgeordnetenkollege. Viele, die ihn kennen, haben hingegen bald mit ihm den Kontakt
abgebrochen. So wie ehemalige SPÖ-Mitarbeiter, die von lautstarken, aggressiven Konflikten
berichten. Martin trat 1999 als SPÖ-Spitzenkandidat bei der Europawahl an, zerkrachte sich aber
bald mit der gesamten sozialdemokratischen Delegation. „Ich bin gemobbt worden“, behauptet er
heute. 2004 versuchte Martin es mit einer eigenen Liste und mit Karin Resetarits als Partnerin.
Doch kurz später kam es auch mit der ehemaligen ORF-Journalistin zum Bruch. Die Mitstreiterin
wechselte zu den Liberalen und ist heute von Martin völlig geläutert: „Er ist ein ausgezeichneter
Analytiker, Stratege, aber menschlich unverträglich. Er ist eine Mischung aus Selbstüberschätzung
und Wahnsinn.“ Seinen Charme habe er gleich nach der Wahl verloren. Denn auf Menschen in
seiner Nähe übe er einen unheimlichen Druck aus, treibe sogar manchen Mitarbeiter in den
Nervenzusammenbruch.

Martin selbst erinnert sich anders: „Es ging um eine Mitarbeiterin mit einer rekordverdächtigen
Zahl an Krankenständen.“ Die gemeinsame Kandidatur mit Resetarits bezeichnet er selbst als
„einen Fehler“.

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