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Martin Schneider
Rebecca Gutwald
Hrsg.
Resilienz
Interdisziplinäre Perspektiven zu Wandel
und Transformation
Resilienz
Maria Karidi · Martin Schneider
Rebecca Gutwald
(Hrsg.)
Resilienz
Interdisziplinäre Perspektiven zu Wandel
und Transformation
Herausgeber
Maria Karidi Rebecca Gutwald
München, Deutschland München, Deutschland
Martin Schneider
München, Deutschland
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detail-
lierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX
Reflexive Resilienz: Der Beitrag des Bayerischen
Forschungsverbundes ForChange zum Resilienzdiskurs
Michael Meyen und Markus Vogt
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1
Vom multidisziplinären Vergleich von Resilienzkonzepten
zu interdisziplinären Lernprozessen
Maria Karidi, Martin Schneider und Rebecca Gutwald
V
VI Inhaltsverzeichnis
Resilienz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141
Ein schädlicher Begriff für den Umgang mit Stress am Arbeitsplatz?
Jörn Hurtienne und Katharina Koch
IX
X Michael Meyen und Markus Vogt
in Vogt und Schneider 2016). Dieser Beitrag zur Begriffsdiskussion lässt sich auf eine For-
mel bringen: ForChange setzt einen Kontrapunkt zur konservativen Ausrichtung von Re-
silienz und regt neben einer Wertedebatte Reflexivität an. In einer Formulierung des Poli-
tikwissenschaftlers Christoph Weller (2016): „Das positiv besetzte Modewort ‚Resilienz‘
vermittelt Hoffnungen und Versprechen auf unbestreitbar gute Phänomene und Systeme,
verschleiert damit aber normative Unsicherheiten und potenzielle Umstrittenheit, lenkt ab
von ethischen Dilemmata und gehört mit seinen Scheinlösungen und Stabilisierungsper-
spektiven zu einem postmodernen Konservatismus, dessen verheißungsvoller Schönheit
wir (selbst-)kritisch begegnen sollten“.
Die Forderung nach theoretischer und normativer Reflexion wurzelt unter anderem in
der Kritik eines Resilienzdiskurses, der die Verantwortung auch im Kontext gesellschaft-
licher Bedrohungen von kollektiven oder korporativen Akteuren (Staat, Parteien, Kirchen,
Unternehmen) einseitig auf Individuen verlagert. Durch eine solche individualistische
„Resilienz-Brille“ lassen sich Anpassungen oder Eingriffe aller Art rechtfertigen, wenn
sie denn dem Überleben dienen. Und: Wenn Resilienz als für jeden erstrebenswert und
erreichbar proklamiert wird, dann geraten die unter Druck, bei denen sich dieser Zustand
partout nicht einstellen will. Resilienz lenkt die Fehlerdiskussion so von sozialen und
strukturellen Ursachen auf persönliche Entscheidungen und suggeriert, dass es aller Kom-
plexität, Vernetzung und Ungewissheit zum Trotz Handlungsempfehlungen geben kann
(vgl. exemplarisch Berndt 2013; Zolly und Healy 2013; Rodin 2015).
ForChange setzt einen anderen Impuls: In einer Zeit, in der politische und religiöse
Ideen zumindest in der westlichen Welt an Anziehungskraft verloren haben, liefert Resi-
lienz nicht nur Sinn, sondern regt auch zur Wertediskussion und damit zur Gestaltung des
Wandels an: Was wollen wir erhalten, wie wollen wir leben, wie lässt sich persönliches
Glück erreichen? Um es noch deutlicher zu sagen: Eine solche Wertedebatte ist notwen-
diger Bestandteil des Resilienzverständnisses, das der Forschungsverbund entwickelt hat.
Dazu gehört, Entscheider in Wirtschaft und Politik nicht aus ihrer Verantwortung zu ent-
lassen.
Neben der Wertedebatte schließt das Resilienzverständnis des Forschungsverbunds ei-
nen Impuls zur Reflexivität ein, der sich auf das Wissenschaftssystem selbst sowie auf die
Verwendung von wissenschaftlichen Konzepten in öffentlichen Debatten bezieht. Auch
hier wieder auf eine Formel verdichtet: Wer Begriffe wie Nachhaltigkeit, Transformation,
Transition, Modernisierung, Autopoiesis, Versatilität, Fragilität, Metamorphose, Risiko
oder eben Resilienz verwendet, um den sozialen Wandel zu beschreiben, zu analysieren
und möglicherweise auch zu gestalten, sollte sich stets nicht nur Entstehungskontext und
Begriffsgeschichte vor Augen führen, sondern auch die jeweiligen Implikationen reflek-
tieren und offen legen sowie sich darüber im Klaren sein, dass Differenzierungen schwie-
riger werden, wenn die Arena der Öffentlichkeit größer, weniger spezialisiert und stärker
interessengeleitet wird.
Zur Reflexivität gehört, nach den Interessen zu fragen, die eine bestimmte Perspektive
auf Gesellschaft und sozialen Wandel bedient – auch weil die Verwendung dieser Perspek-
tive andere Perspektiven ausschließt oder zumindest in den Hintergrund rückt (Perspek-
Vorwort XI
tiven mit anderen Schwerpunkten und anderen Implikationen). Was passiert zum Beispiel
mit der Norm Nachhaltigkeit, wenn Resilienz tatsächlich (wie vom bayerischen Wissen-
schaftsministerium 2012 vorausgesagt) „immer stärker an Bedeutung“ gewinnt? Was ist
überhaupt von der Idee geblieben, den Ist-Zustand bewahren zu wollen und nicht mehr
zu verbrauchen als nachwächst oder wieder bereitgestellt werden kann (die ursprüngliche
Bedeutung von Nachhaltigkeit, vgl. Grunwald und Kopfmüller 2006)? Der Impuls zur
Reflexivität, der von der Arbeit des Forschungsverbundes ausgeht, zielt auf drei Ebenen:
• auf die Konkurrenz von Konzepten und Theorien in der Wissenschaft selbst sowie auf
die Folgen für Untersuchungsdesigns und Ergebnisse (etwa: Resilienz vs. Nachhaltig-
keit vs. Transformation vs. Risiko),
• auf die Implikationen, die die Adelung wissenschaftlicher Begriffe zu Leitsternen der
politischen Debatte hat (schlagwortartig: Was leisten die Begriffe und was leisten sie
nicht, welche Fragen rücken sie in den Vorder- und welche in den Hintergrund, wem
nutzen sie folglich und wem schaden sie?), und
• auf die allgemeine Wertedebatte, die untrennbar mit dem Resilienzbegriff verbunden
ist.
Wird Resilienz zum politischen Leitbegriff, dann ist in einer solchen Debatte zu klären,
was als Bedrohung anerkannt wird und was als schützenswert (und was jeweils nicht).
Beide Fragen schließen zwingend Normativität ein. Auf den Punkt gebracht: Ein soziales
System ist nicht an sich resilient, sondern immer nur mit Blick auf bestimmte Funktionen,
die es zum Beispiel für die Gesellschaft erfüllt – Funktionen, über die gestritten werden
muss und die transparent zu sein haben, wenn von Resilienz gesprochen wird. Aus einer
demokratietheoretischen Perspektive (das ist hier wichtig) macht es beispielsweise über-
haupt keinen Sinn, einem Staat wie Nordkorea oder einer Regierung wie der des syrischen
Präsidenten Assad Resilienz zu attestieren, nur weil beide offenbar selbst schwersten äu-
ßeren (Nordkorea) und inneren (Assad) Bedrohungen trotzen. Persistenz, Resistenz und
Anpassung sind nicht mit einem Resilienzbegriff zu verwechseln, der Wertedebatten und
Reflexivität einschließt.
Wie vom Geldgeber gewünscht, hat der Forschungsverbund neben diesem Beitrag zur
Begriffsdiskussion Handlungsempfehlungen erarbeitet – zum Teil sehr konkret mit Blick
auf die Gegenstände der Teilprojekte. Dabei lassen sich zwei Resilienzfaktoren nennen,
die unabhängig von der Größe und dem Zuschnitt des sozialen Systems gelten, das jeweils
untersucht wurde: Kommunikation und Transparenz. Die Normativität und der Impuls zur
Reflexivität, die mit dem Begriffsverständnis von ForChange verbunden sind, werden hier
greifbar. Resilienz kann Organisationen, Institutionen, sozialen Funktionssystemen und
Gesellschaften nur dann attestiert werden, wenn sie Debatten über Werte, über ihre Iden-
tität und über ihre Ziele ermöglichen und stimulieren. Dazu gehört, entsprechende Foren
und Kommunikationskanäle einzurichten, zu fördern (etwa über Personal oder finanzielle
Anreize) und so zu institutionalisieren. Wenn über Werte, Identität und Ziele diskutiert
XII Michael Meyen und Markus Vogt
wird, geht es tatsächlich um existenzielle Fragen: Wer sind wir? Was ist uns wichtig und
was macht uns aus? Wo wollen wir hin?
Eng mit der Forderung nach Austausch, Kommunikation und Selbstverständigung ver-
bunden ist der Resilienzfaktor Transparenz. Wer Bedrohungen nicht kennt und diskutiert
oder wer vielleicht nicht einmal dafür sensibilisiert ist, dass es Bedrohungen geben könn-
te, dem mangelt es genauso an Resilienz wie denjenigen, die interne und externe Kon-
flikte und Bruchstellen verschleiern oder bagatellisieren. Umgekehrt und damit positiv
formuliert: Resilienz verlangt, Wissen zur Verfügung zu stellen und die Normen offenzu-
legen, die Strukturen und Entscheidungen legitimieren. Damit reiht sich der Forschungs-
verbund in die Phalanx der Projekte und Initiativen ein, die Wissenschaft in den Rang
eines „Resilienzgenerators“ erheben (Sommer und Welzer 2014, S. 116). Transparenz lässt
sich zwar auch als Aufgabe von Führungskräften verstehen, die für das entsprechende
Bewusstsein sowie für die nötigen Regeln und Ressourcen sorgen können und müssen,
zugleich verlangt dieser Resilienzfaktor aber vieles von dem, was die genuine Aufgabe
wissenschaftlichen Arbeitens ist: Selbstverständlichkeiten zu hinterfragen, quer zu den-
ken und dabei auch Schwächen zu thematisieren sowie vor allem (in der Terminologie von
Anthony Giddens) Wissen von der Ebene des praktischen Bewusstseins auf die Ebene
des diskursiven Bewusstseins zu heben. Ohne die nötigen Begriffe, entsprechende Daten
sowie theoretisch hergeleitete und empirisch geprüfte Ursache-Wirkungs-Vermutungen
ist auch der Resilienzfaktor Kommunikation nicht vorstellbar. Und: Ohne Strukturen, die
systematisch Wissen über Bedrohungen, unsichtbare Bedingungen des eigenen Handelns
und nichtintendierte Folgen dieses Handelns generieren, ist der Resilienzfaktor Transpa-
renz nicht zu haben.
Es versteht sich nach dem bisher Gesagten fast von selbst, dass Transparenz genau wie
Kommunikation Ressourcen erfordert: Zeit, Geld und oft auch Personal, das sich in den
Bilanzen von Unternehmen, Behörden und anderen Einrichtungen schon deshalb nicht
sofort zwingend positiv niederschlägt, weil die Aufgaben langfristig angelegt sind und der
Beitrag zum Erfolg höchstens indirekt und möglicherweise auch gar nicht zu messen ist.
Wenn diese Befunde richtig sind, dann stellt ForChange das Ideal der Effektivität und der
Gewinnmaximierung auf den Prüfstand, das keineswegs nur das wirtschaftliche Handeln
der Gegenwart bestimmt, sondern längst auch den Alltag vieler Menschen in den westli-
chen Gesellschaften. Das heißt: Die „Fähigkeit zur Resilienz, zur Wandlungs- und Anpas-
sungsfähigkeit einer Gesellschaft“ (Ausschreibungstext von 2012) verlangt insgesamt ein
Umdenken. Die Untersuchungen in den Teilprojekten, die sich mit sozialen Systemen von
sehr unterschiedlicher Größe beschäftigt haben, zeigen dabei, dass wir für diesen Wandel
keineswegs auf einen Impuls von oben warten müssen – vor allem dann nicht, wenn wir in
irgendeiner Weise Verantwortung für Menschen und Ressourcen tragen.
Vorwort XIII
Literatur
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http://resilienz.hypotheses.org/1964. Zugegriffen: 16. Juni 2017.
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Paperbacks.
Einleitung
Vom multidisziplinären Vergleich von Resilienzkonzepten
zu interdisziplinären Lernprozessen
In Zeiten radikalen gesellschaftlichen Wandels ist der Begriff der Resilienz Fluch und
Segen zugleich. Je nach Kontext und Definition kann sich hinter diesem Konzept sowohl
ein Versprechen als auch eine selbsterfüllende Prophezeiung verbergen. Ob Klimawandel,
Flüchtlingsbewegungen, Armut, Ressourcenknappheit, Urbanisierung oder Stress am Ar-
beitsplatz – Resilienz ist das Modewort der 2010er Jahre. Längst hat sich der Begriff von
seinem ingenieur- und materialwissenschaftlichen Ursprung losgelöst und vermag Natur-
und Gesellschaftswissenschaften zusammenzubringen (Walker 2013). Angefangen mit
der vielzitierten Kauai-Studie (Werner 1999) sowie daran anschließenden (entwicklungs-)
psychologischen Resilienzansätzen – und spätestens seit Crawford Stanley Holling zu Be-
ginn der 1970er Jahre mit dem Resilienzkonzept soziale Ökosysteme erforschte, findet der
Begriff heute in diversen Forschungsrichtungen und Teildisziplinen der Sozial- und Geis-
teswissenschaften Anwendung (Endreß und Maurer 2015; Wink 2016). Ob im Bereich
der zivilen Sicherheit (hier ursprünglich als Programm zum Umgang mit Naturkatastro-
phen, Kaufmann 2015), in der Raumforschung und Regionalentwicklung (Christmann et
al. 2011; Schneider 2015), in den Wirtschaftswissenschaften (Carmeli et al. 2013; Mitchell
2013), in der philosophischen und soziologischen Armutsforschung (Gutwald 2015; Prom-
berger et al. 2015), in der Ökologie (Bennett et al. 2014) oder in der Psychologie (David-
son 2000; Norris et al. 2008): Resilienz wird als ein Konzept gehandelt, das erfolgver-
sprechende Antworten auf unterschiedliche Herausforderungen und Krisen in sich birgt.
Diese Multidisziplinarität ist vor allem deshalb möglich, weil der Terminus sowohl eine
deskriptive als auch eine normative Dimension besitzt (Brand und Jax 2007; Gutwald und
Nida-Rümelin 2016; Schneider und Vogt 2017). Außerdem hat Resilienz das Potenzial,
1
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2018
M. Karidi et al. (Hrsg.), Resilienz,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-19222-8_1
2 Maria Karidi, Martin Schneider und Rebecca Gutwald
Interdisziplinärer Lernprozess
Für die Realisierung dieses Ziels haben wir einen unkonventionellen, innovativen Zu-
gang gewählt. Die Idee dazu ist in Arbeitstreffen von drei Teilprojekten des vom Bayeri-
schen Staatsministeriums für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst geförderten
Forschungsverbunds ForChange entstanden, der sich in den letzten vier Jahren der Frage
gewidmet hat, ob und wie in existenziellen und komplexen Veränderungssituationen re-
silient gehandelt werden kann bzw. gehandelt werden soll. In 13 Teilprojekten aus den
Sozial- und Geisteswissenschaften wurde der Resilienzbegriff einer Prüfung unterzogen,
indem er kritisch beleuchtet (Meyen 2016; Weller 2016), konzeptionell erweitert (Gutwald
und Nida-Rümelin 2016; Schneider 2016; Vogt 2016) und auf neue Forschungsfelder an-
gewandt wurde (De Vries 2014; Blum et al. 2015; Karidi und Meyen 2016; Schneider und
Vogt 2016). Um den interdisziplinären Diskurs und die wissenschaftliche Debatte weiter
zu befördern, wurde der vorliegende Sammelband zunächst auf dem wissenschaftlichen
Blog des Forschungsverbunds vorbereitet (http://resilienz.hypotheses.org). Nachdem der
Call geschrieben war, wurden die Abstracts dort veröffentlicht und zur Diskussion ge-
stellt. Damit ist für die Autor*innen die Möglichkeit geschaffen worden, ein Feedback
auf ihre Einreichungen zu bekommen, das über die üblichen Herausgeber-Kommentare
hinausgeht. Neben einer besseren Qualitätskontrolle sind damit insbesondere gewinn-
bringende Rückmeldungen, Ideen, konstruktive Kritik und Anregungen für die einzelnen
Einleitung 3
Beiträge erzielt worden. Zusätzlich zu den Möglichkeiten des World Wide Web wurden
die vollständigen Einreichungen einem doppelten Review-Verfahren unterzogen, das in
der Regel mehrere Überarbeitungsschleifen beinhaltete. Der intensive interdisziplinäre
Prozess war nur möglich, weil sich die meisten Beteiligten bereits aus Workshops des
Forschungsverbundes und Beiträgen im Resilienzblog kannten und sich daher auf die di-
versen Positionen einlassen konnten. Somit kann dieser Sammelband auch als ein Produkt
gelungener wissenschaftlicher Kooperation und „Co-Creation“ angesehen werden.1 Dabei
waren Entbehrungen ein wichtiger Bestandteil des interdisziplinären Lernprozesses. Den
Mut zu haben, die eigenen, Sicherheit spendenden Disziplingrenzen zu überschreiten und
sich auf „fremde“ Methoden und Denkansätze einzulassen, ist zwar anstrengend, aber
auch ein zentraler Faktor für die Resilienz des Wissenschaftsbetriebs.
1 Neben den Autor*innen gilt insbesondere den Reviewern unser großer Dank, sich auf den
aufwendigen Prozess eingelassen zu haben. Gedankt sei an dieser Stelle auch Janina Schier, die
sich gewissenhaft um die Redaktion dieses Bandes gekümmert hat, sowie dem Forschungsverbund
ForChange für das entgegengebrachte Vertrauen in dieses Projekt.
4 Maria Karidi, Martin Schneider und Rebecca Gutwald
sungs- und Widerstandsfähigkeit verkürzt, ohne die Team- und Organisationsebene in den
Blick zu nehmen. Als Lösungskonzept wird ein ganzheitlicher Ansatz vorgeschlagen, der
in der Tradition der Arbeitspsychologie auf die Verpflichtung der Arbeitgeber*innen hin-
weist, die Beschäftigten vor Gesundheitsschäden auch auf psychischer Ebene zu schützen.
Der Beitrag von Carolin Blum und Rebecca Gutwald folgt dieser kritischen Richtung
und schärft den Befund der Überindividualisierung von Resilienz in der Literatur, die
sich auf den Arbeitskontext bezieht. Auf der Basis von Untersuchungen der psychischen
Belastungen von Wissensarbeiter*innen konstatieren sie, dass der derzeitig dominante Re-
silienzbegriff umfassendes menschliches Wohlergehen ungenügend reflektiert. Für die-
se Diagnose ziehen sie eine normative Bewertungsgrundlage heran, die vom Capability
Ansatz inspiriert ist und auf einen Begriff von echter, nachhaltiger Resilienz zielt. Der
Beitrag von Carolin Braun, Verena Maria Gralke und Gerhild Nieding kommt zu dem
Schluss, dass das Potential von Resilienz nicht allein in Bezug auf die Individualebene,
sondern auch in Bezug auf die Gesellschaft betrachtet werden sollte. In einer empirischen
Studie mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen wurde von ihnen unter Rückgriff auf
den computerbasierten „Würzburger Medienkompetenztest“ der Zusammenhang von Me-
dienkompetenz und bereits bestätigten Resilienzfaktoren untersucht. Es zeigt sich, dass
Medienkompetenz als Resilienzfaktor großen Einfluss auf leistungsbezogene Fähigkeiten
(z. B. Lese- und Schreibkompetenz) und Interessen der Jugendlichen (z. B. an Politik) hat
und somit als Schlüsselfaktor für gesellschaftliche und persönliche Entwicklung angese-
hen werden kann. In seinem Beitrag zur Rolle von Resilienz in der Bildungsarbeit ent-
wickelt Manfred Riegger das Konzept einer resilienzsensiblen Bildung. Er versteht die
Stärkung von Menschen und Systemen in der Auseinandersetzung mit Inhalten als eine
Response-Strategie. Anhand der Methode der professionellen Simulation stellt er dies ex-
emplarisch dar.
Der letzte und dritte Teil des Bandes konzentriert sich auf die Auseinandersetzung mit
Resilienz auf System-Ebene, auf der sowohl Strukturen als auch Prozesse unterschiedli-
cher Entitäten in den Blick genommen werden. So geht Sue Claire Berning in ihrem Bei-
trag der Frage nach, was indische und chinesische Firmen resilient macht und analysiert
dazu in einer großangelegten Literaturstudie (1994–2016), welche Bedingungen die Aus-
bildung von Wettbewerbsvorteilen indischer und chinesischer Firmen begünstigen. Sie
kommt zu dem Schluss, dass der Erfolg dieser Unternehmen vor allem einem kontinuier-
lichen Umbau sowie der Umwandlung von Nachteilen in Vorteile zugeschrieben werden
kann. Außerdem identifiziert sie die Entwicklung nicht-traditioneller Wettbewerbsstärken
als Resilienzfaktor. Ebenfalls mit dem Ziel, Strukturen aufzudecken, untersuchen Bir-
git Kemmerling und Amra Bobar die Nutzbarkeit und Nützlichkeit von Resilienz in ent-
wicklungspolitischen Programmen. Mithilfe einer kritischen Analyse zeigen die Auto-
rinnen auf, dass der Resilienzbegriff in Dokumenten der Europäischen Union sowie des
deutschen Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung im
Sinne neoliberaler entwicklungspolitischer Leitlinien verwendet wird, zweifeln jedoch an
dessen Nützlichkeit für derzeitige Krisen und deren Wahrnehmung. Darüber hinaus be-
inhaltet dieser Teil des Bandes zwei Aufsätze, die sich mit der Resilienz in Transitionen
6 Maria Karidi, Martin Schneider und Rebecca Gutwald
von Energiesystemen beschäftigen. Zum einen stellen Michael Jedelhauser und Anne von
Streit eine Fallstudie zu regionalen Energiewendeprozessen im bayerischen Allgäu vor,
in der es um die Gestaltung von Wandel mittels sozialer Praktiken in sozio-technischen
Systemen geht. Die Ergebnisse der Untersuchung zeigen, wie die Akteure seit den 1990er
Jahren institutionellen Wandel in Richtung eines dezentralen regionalen Energiesystems
gestalten und unterschiedlich auf Störungen reagieren. Zum anderen schlagen Susan
Mühlemeier, Romano Wyss und Claudia R. Binder einen indikatorengestützten Ansatz
zur Konzeptualisierung und Operationalisierung von Resilienz regionaler Energiesysteme
in Transition vor und liefern damit nicht nur einen theoriegeleiteten Ansatz zur Analyse
von Resilienz, sondern auch Anwendungsmöglichkeiten für die Forschungspraxis. Der
Sammelband schließt mit Jochen Ostheimers Beitrag, der diskutiert, weshalb Resilienz
im sozio-ökologischen Diskurs als Kulturaufgabe zu verstehen ist. Seine Argumentation
geht von dem Anthropozän als kulturellem Phänomen aus, rückt damit dessen naturwis-
senschaftliche Bedeutung in den Hintergrund und lässt den Sozial- und Geisteswissen-
schaften eine größere Bedeutung zukommen. Denn, so seine Schlussfolgerung, nicht die
Veränderungen der Erde als solche sind beunruhigend, sondern die Konsequenzen, die sie
für die Gesellschaft haben.
1. Die zunehmende Beliebtheit des Resilienzbegriffs kann mit einer veränderten Wahr-
nehmung von Unsicherheit, Krisen und Risiken erklärt werden (Rungius et al.). Davon
ausgehend kann Resilienz mit der Idee der Response-Strategie verknüpft werden. Re-
silienz zielt somit auf eine Basiskompetenz, um mit Unvorhergesehenem, Störungen,
Krisen und Strukturbrüchen fertig zu werden. Diese Besonderheit von Resilienz kann
auch der Ausgangspunkt für normative Überlegungen sein, um aufzuzeigen, welche
Strategien für das Individuum und die Gesellschaft förderlich sind, um Wandel pro-
duktiv zu bewältigen (Schneider und Vogt).
2. Ein Ausgangspunkt für eine Kritik der Resilienz ist die starke normative Aufladung,
die unter der Hand mit dem Verweis auf die Resilienz von Individuen und Systemen
eingeführt wird. Demgegenüber kann Resilienz aber auch als ein funktionales Konzept
begriffen werden, das keinen Selbstwert darstellt. Der Status von Resilienz sollte damit
weder über- noch unterschätzt werden. Eine kritische Auseinandersetzung mit dem
Resilienzbegriff regt zur Formulierung von ethischen Fragen an, deren Beantwortung
wichtig ist, um neue Perspektiven auf zukünftige Veränderungen zu erhalten: Was wol-
len wir erhalten? Wer oder was soll gegenüber wem oder was resilient sein? Wie wollen
wir (über-)leben? Eine normative Debatte ist damit notwendiger Bestandteil eines jeden
Resilienzverständnisses.
Einleitung 7
3. Nicht ohne Grund trägt dieser Band den Untertitel „Interdisziplinäre Perspektiven zu
Wandel und Transformation“. Alle Beiträge setzen einen Kontrapunkt zur konserva-
tiven Ausrichtung und Auslegung von Resilienz. Resilienz, so der Tenor, darf nicht
auf die Kompetenz beschränkt werden, akute Gefahren abzuwehren. Denn Resilienz
beinhaltet auch die Fähigkeit von Menschen und Systemen, bestehende Strukturen zu
hinterfragen und alternative Wege in den Blick zu nehmen. Entsprechend ist es nötig,
auf der Ebene der Anwendung darüber nachzudenken, wie zum einen Menschen durch
passende Rahmenbedingungen darin unterstützt werden können, etwa in der Bildung
(Riegger) oder im Bezug auf den Umgang mit Medien (Braun et al.), und wie zum
anderen bei Systemen Transformationen möglich sind, die über Persistenz- und Adap-
tionstrategien hinausgehen (Jedelhauser und von Streit; Mühlemeier et al.; Ostheimer).
4. Was genau unter Transformation verstanden wird, wird aber meist nicht explizit erörtert.
Es ist nicht immer ganz klar, ob darunter eine selbstorganisatorische Entwicklung oder
ein rapider Bruch mit Pfadabhängigkeiten verstanden wird. Zwei Perspektiven werden
aber eröffnet, die den Resilienzdiskurs befruchten können: zum einen die transforma-
torische Dimension von Resilienz als einen Prozess zu verstehen, und zwar als einen
Lernprozess (Braun et al.; Riegger; Sautermeister; Schneider und Vogt); zum anderen
in den von systemischen Ansätzen dominierten Resilienzdiskurs handlungsorientier-
te Modelle einzubeziehen (Jedelhauser und von Streit). Auf diesem Weg könnte auch
die berechtigte Kritik, dass ein rein auf Selbstorganisationsmodellen beruhendes Re-
silienzverständnis mit der Entpolitisierung der gesellschaftlichen Zukunftsgestaltung
und –bewältigung einhergeht (Rungius et al.), wenigstens teilweise entkräftet werden.
5. Die sowohl in der Öffentlichkeit als auch in Institutionen und Organisationen dominan-
te Lesart von Resilienz bedingt eine Verantwortungsverlagerung – und zwar in mehr-
facher Hinsicht: (a) von der Gesellschaft auf den Einzelnen, hervorgerufen durch einen
Resilienzdiskurs, der die Krisenwahrnehmung stärkt (Rungius et al.); (b) von Organi-
sationen auf Individuen, wodurch eher Symptome bekämpft werden, anstatt sich mit
den strukturellen Ursachen auseinanderzusetzen (Blum und Gutwald; Hurtienne und
Koch; Sautermeister); (c) auf die Zivilgesellschaft, wodurch Aufgaben und Verantwor-
tung an Individuen abgegeben werden, die einst im Verantwortungsbereich von Staaten
lagen (Kemmerling und Bobar). Dies kann zum einen als eine Aufmerksamkeitsver-
schiebung im Umgang mit Gestaltungs- und Zukunftsdebatten gedeutet und zum an-
deren als eine neoliberal aufgeladene Überforderung des Einzelnen entlarvt werden.
6. Mit Blick auf unterschiedliche Aspekte einzelner Systeme und Strukturen fällt das
Fazit ähnlich kritisch aus – zumindest dort, wo eine normative Auseinandersetzung
mit dem Begriff der Resilienz stattfindet. Kritisiert werden etwa die Verwendung des
Begriffs in der Tradition neoliberaler politischer Leitlinien, die die Brauchbarkeit des
Konzepts vor allem für eine kritische Auseinandersetzung mit aktuellen Krisen ein-
schränkt (Kemmerling und Bobar). An anderer Stelle wird das Resilienzkonzept in die
Anthropozändebatte eingeordnet und eingefordert, Resilienz im Rahmen des sozio-
ökologischen Diskurses als Kulturaufgabe zu verstehen (Ostheimer). Damit einher geht
der Appell, dass sozialer Wandel kulturelle Praktiken berücksichtigen muss – wie auch
8 Maria Karidi, Martin Schneider und Rebecca Gutwald
institutioneller Wandel nach sozialen Praktiken verlangt. Resilienz muss damit auch
aus systemischer Perspektive kritisch geprüft werden.
7. Beiträge, die Resilienz empirisch erfassen wollen, stehen aus normativer Perspektive
vor dem Dilemma, dass der für Resilienz typische Fokus auf die Funktionserhaltung
immer auch zur Konsequenz hat, einen hohen Grad an Resilienz in einem bestimm-
ten Bereich als positiven Zustand zu interpretieren (Braun et al.; Berning). Von einem
normativen Zugang inspirierte Beiträge problematisieren gerade diesen Blickwinkel.
Methodologisch ergibt sich daraus die Forderung, nicht nur einen Zugang zu wählen,
der Resilienz als Stabilität oder als Rückkehr („bounce back“) zu einem „normalen“
Gleichgewichtszustand bzw. als Erholung versteht, sondern (Lern-)Prozesse sichtbar
zu machen, die die Erneuerung, Reorientierung und Transformation von Systemen und
Strukturen befördern (Jedelhauser und von Streit). Es gilt den interdisziplinären Dis-
kurs zwischen dem Empirischen und dem Normativen zu vertiefen. Im Forschungs-
verbund ForChange wurden hierzu wertvolle Vorarbeiten geleistet und Vorschläge für
umfassende und komplexe Resilienzstrategien generiert. Werden diese Ansätze für die
empirische Forschung operationalisiert, ergeben sich daraus neue Potentiale, um den
Zusammenhang zwischen Resilienz, Wandel und Transformation weiter zu erforschen.
Einleitung 9
Literatur
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wissenschaftstheoretischer Perspektive. Forschungsverbund ForChange Working Paper 7.
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10. Juli 2017.
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Teil I
Streitfrage Resilienz
Zwischen Kritik und Rekonstruktion
11
Resilienz als Trendkonzept
Über die Diffusion von Resilienz
in Gesellschaft und Wissenschaft
Zusammenfassung
Resilienz gilt als eines der Modeworte der heutigen Zeit. Es scheint, als würde die
Anwendung des Konzepts in verschiedenen Disziplinen und seine Diffusion in der
Gesellschaft insgesamt stetig steigen. Dabei stellen sich die Fragen, wann und wie die-
se explosionsartige Verbreitung des Resilienzkonzepts entstand, inwiefern fachspezi-
fische Unterschiede oder Bezüge zwischen den Fächern vorliegen und wie sich die
Diffusion des Konzepts in der Literatur im internationalen Vergleich entwickelt hat.
Um ein besseres Verständnis der genannten Punkte zu schaffen, hat dieser Beitrag
zum Ziel, die Geschichte und die Entwicklung der Literatur zu Resilienz im Diszipli-
nen übergreifenden, internationalen Vergleich näher zu beleuchten. Dabei wird sowohl
Bezug zum gesamten Literaturkorpus als Spiegelbild gesellschaftlicher Einstellungen
und Entwicklungen als auch zu wissenschaftlicher Literatur im Speziellen genommen.
1 Einleitung
Resilienz gilt als eines der Modeworte der heutigen Zeit. Es scheint als würde die An-
wendung des Konzepts in verschiedenen Disziplinen und seine Diffusion in der Gesell-
schaft insgesamt stetig steigen (Walker et al. 2006; Blum et al. 2016; King et al. 2016).
So ist es mittlerweile fast unmöglich, das vielfältige Angebot an Ratgeberliteratur, Semi-
naren und Weiterbildungen zum Thema Resilienz zu übersehen. Auch in Populärmedien
13
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2018
M. Karidi et al. (Hrsg.), Resilienz,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-19222-8_2
14 Matthias Weiß, Silja Hartmann und Martin Högl
Resilienz als Begriff lässt sich zunächst anhand seines Ursprungs aus dem Lateinischen
als „Zurückspringen“ beschreiben. Dahinter steckt der Kern des Konzepts, dass bestimm-
te Entitäten nach einer Störung in der Lage sind, in ihren Ausganszustand zurückzukehren
(Bhamra et al. 2011). Das Konzept wurde zu unterschiedlichen Zeitpunkten in sehr unter-
schiedlichen Kontexten aufgegriffen, eingeführt und weiterentwickelt, wie etwa der Mate-
rialwissenschaft (Material, das nach einer Verformung wieder in seinen Ausgangszustand
zurückkehrt, wie beispielsweise eine Feder (Timoshenko und Goodier 1970)), der Ökolo-
gie (Ökosysteme, die nach Veränderungen der Umweltbedingungen durch Selbstregene-
ration ihre grundlegende Organisation erhalten können (Folke et al. 2004)), der Sozial-
wissenschaften (beispielsweise in Bezug auf Gesellschaften, die nach externen Störungen
wie Krieg ihre integrale Identität bewahren können (Norris et al. 2008)), der Ingenieurs-
wissenschaften (technische Systeme, die bei Störungen ihre Funktionsfähigkeit erhalten
oder wiedererlangen (Cimellaro et al. 2010)) der klinischen Psychologie (Personen, die
trotz traumatischen Erlebnissen keine psychischen Krankheiten entwickeln (Richardson
2002)) oder der Wirtschaftswissenschaften (z. B. Unternehmen, die trotz des Auftretens
von Schocks ihre Existenz aufrechterhalten und zu einem Wachstumspfad zurückkehren
(Sheffi und Rice 2005)).
Trotz diverser Unterschiede in der Verwendung und exakten Spezifizierung des Resi-
lienzkonzepts, zum Beispiel hinsichtlich der genauen definitorischen Rahmenparameter,
hat das Resilienzkonzept in all diesen Kontexten gemeinsam, dass es sich mit der Fähig-
keit von Entitäten befasst, nach einer Störung aus eigener Kraft in einen identitätsbewah-
renden oder identitätsschaffenden (Ausgangs-)Zustand zu gelangen, in dem die Entität
einen Gleichgewichtszustand einnimmt. Dies erklärt wohl auch den aktuell zunehmenden
Anschein der gesellschaftlichen Diffusion dieses Konstrukts, da Resilienz einen klaren
Bezug zur weitverbreiteten Wahrnehmung aufweist, dass die Geschwindigkeit und der
Umfang des Wandels in allen Lebensbereichen (und damit die Häufigkeit und Intensität
von Störungen) stetig zunehmen. Resilienz als Konzept bietet hier einen Ansatz, wie an-
gesichts dieses als omnipräsent wahrgenommenen Wandels, die Funktionstüchtigkeit und
Lebensfähigkeit von Entitäten bewahrt werden kann und ist daher in all den genannten
Kontexten grundsätzlich von Bedeutung.
Gesellschaftliche Diffusion beschreibt den Grad, zu dem ein bestimmtes Konzept, in
unserem Fall das der Resilienz, in einer Gesellschaft bekannt und salient ist (Lima et al.
2005). Im Zuge von kulturellen, gesellschaftlichen und technologischen Veränderungen
wandelt sich auch die Relevanz und Popularität von bestimmten Konzepten im Laufe der
Zeit. Als Konsequenz dessen ergeben sich auch Veränderungen in der gesellschaftlichen
Diffusion von Konzepten. Anschauliche Beispiele dazu lassen sich vor allem aus dem
Bereich der Technologie finden (Michel et al. 2011). Zum Beispiel wies das Konzept der
Dampfmaschine zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts eine umfassende Diffusion in
der Gesellschaft auf, während es in heutigen Zeiten nur noch eine marginale Salienz in
der Gesellschaft hat. Aber auch abseits von technologischen Konzepten lassen sich solche
16 Matthias Weiß, Silja Hartmann und Martin Högl
Trends in der Diffusion von Konzepten nachweisen. Zum Beispiel zeigt sich, dass das
Konzept der Teamarbeit in den vergangenen drei Jahrzehnten eine deutliche Steigerung
der gesellschaftlichen Diffusion erlebt hat, während die Entwicklung in der Zeit davor
durch einen volatilen Trend geprägt war und vor allem in Kriegszeiten zunahm (Weiss
und Hoegl 2015). Analog zur Bestimmung von gesellschaftlicher Diffusion kann wissen-
schaftliche Diffusion als Salienz von Konzepten im wissenschaftlichen Diskurs gesehen
werden (Foucault 1981).
Es besteht der Eindruck, dass die gesellschaftliche und wissenschaftliche Diffusion des
Resilienzkonzepts in den vergangenen beiden Jahrzehnten einen deutlichen Antrieb erlebt
hat. Ob dies tatsächlich der Fall ist, ob hierbei die Diffusion in der Gesellschaft ein Treiber
der Diffusion in der Wissenschaft war oder umgekehrt und ob diesbezüglich Unterschiede
im interkulturellen Vergleich bestehen ist jedoch unklar. Daher werden im Folgenden die
Ergebnisse einer Studie berichtet, die diese Trends in der gesellschaftlichen und wissen-
schaftlichen Diffusion des Resilienzkonzepts beleuchtet.
3 Methoden
3.1 Culturomics
Culturomics stellt einen inhaltsanalytischen Ansatz dar, der auf einem Korpus mehrerer
Millionen Bücher aus Universitätsbibliotheken und öffentlichen Büchereien basiert, die
Resilienz als Trendkonzept 17
von Google digitalisiert wurden (Michel et al. 2011). Wie inhaltsanalytische Ansätze ge-
nerell (Krippendorff 2004), so ist auch Culturomics ein Verfahren, implizite Bedeutungen
in Kommunikationsprozessen zu identifizieren. In diesem Sinne fußt Culturomics darauf,
jedes einzelne Wort und jede Wortkombination in den Millionen digitalisierter Bücher zu
zählen, um durch die relative Häufigkeit von Wörtern auf die Salienz und damit die gesell-
schaftliche Diffusion, der dahinterstehenden Konzepte zu schließen (Michel et al. 2011).
Die Grundannahme dieses Ansatzes ist dementsprechend, dass je häufiger ein Konzept in
einem bestimmten Zeitraum in Büchern erwähnt wird, desto größer war die gesellschaft-
liche Diffusion des Konzepts in diesem Zeitraum in der betrachteten Gesellschaft. Die zur
Verfügung stehenden Daten erlauben hierdurch eine quantitative Untersuchung der gesell-
schaftlichen Diffusion von Konzepten über einen Zeitraum von über einem Jahrhundert.
Nähere Informationen zur Methodik von Culturomics und die zur Analyse zur Verfügung
stehenden Daten findet sich bei Michel et al. (2011) und Lin et al. (2012).
Für die Analysen in diesem Beitrag wurde der von Google bereitgestellte n-gram Vie-
wer (http://books.google.com/ngrams) verwendet, eine frei zugängliche Online-Applika-
tion, die den Abruf der relativen Häufigkeit von Begriffen in auszuwählenden Sprachen
und Zeiträumen ermöglicht. Die analysierten Sprachen umfassen Chinesisch, Englisch,
Französisch, Deutsch, Italienisch, Russisch und Spanisch, wobei der spanische und der
französische Korpus grundsätzlich Bücher aus Spanien und Frankreich umfassen. Der
englische Korpus wird weiter differenziert in britisches und amerikanisches Englisch. Für
die Übersetzung von Resilienz in die anderen Sprachen wurden Personen mit der jewei-
ligen Sprache als Muttersprache konsultiert. Unsere Culturomics-Analysen beziehen sich
auf den Zeitraum von 1900 bis 2008. 2008 ist das Ende der Untersuchungsperiode, da bis
zu diesem Jahr Culturomics-Daten zur Verfügung stehen (Michel et al. 2011). Die Ana-
lysen selbst basieren auf der Untersuchung von Trendlinien, die den Verlauf der relativen
Häufigkeit (d. h., die Anzahl der Nennungen eines Begriffs innerhalb eines Jahres dividiert
durch die Gesamtzahl der Wörter innerhalb desselben Jahres) des Resilienzkonzepts dar-
stellen. In Übereinstimmung mit gängiger Praxis in dieser Hinsicht, glätten wir die Werte
in den Trendlinien über Perioden von drei Jahren (Robins et al. 1999; Oishi et al. 2013).
3.2 Artikelzählungen
3.3 Zitationsanalyse
In den anderen westlichen Ländern zeigt sich analog zum deutschen Fall ein drastischer
Anstieg in der gesellschaftlichen Diffusion des Resilienzkonzepts ausgangs des vergan-
genen Jahrtausends, mit nur leichtem zeitlichem Versatz zwischen Frankreich, Spanien
und Italien. Im Vergleich zu der englischsprachigen Literatur fällt auf, dass diese be-
schleunigte Diffusion in den angelsächsischen Ländern früher einsetzte (ungefähr Ende
der 1980er Jahre) und nicht die extremen Steigerungsraten der anderen westlichen Länder
(einschließlich Deutschland) zeigt. Ansonsten zeigen sich verschiedene Eigenheiten der
einzelnen Trendlinien. So weisen nur Italien und Frankreich einen zwischenzeitlich deut-
lichen Rückgang der gesellschaftlichen Diffusion von Resilienz auf, der in beiden Ländern
in den 1970er Jahren begann, von einer Phase des Verharrens auf geringem Niveau gefolgt
wurde und wo erst mit dem drastischen Anstieg in 1990er Jahren wieder eine deutliche,
sich ins positive verkehrende, Trendwende sichtbar ist. Eine weitere Besonderheit ist der in
Italien während der Zeit des Faschismus bis zu Beginn des Zweiten Weltkriegs markante
Anstieg der gesellschaftlichen Diffusion von Resilienz. Ein ähnlicher früher Anstieg der
gesellschaftlichen Diffusion, wenn auch weniger markant, ist in Frankreich während der
1910er Jahre erkennbar.
Resilienz als Trendkonzept 21
In Bezug auf die östlichen Länder ließe eine Vielzahl an Gründen eine deutliche Ab-
weichung zu den bisher betrachteten westlichen Kontexten erwarten. Nicht nur, dass
zwischen östlichen und westlichen Ländern generelle kulturelle Unterschiede bestehen,
auch folgten die hier untersuchten Länder Russland (bzw. der Vorgänger Sowjetunion)
und China ganz anderen politischen und wirtschaftlichen Entwicklungspfaden als die
westlichen Länder. Während auch diese östlichen Länder stark vom Zweiten Weltkrieg
betroffen waren, kam es im russischen Kontext mit dem Ende der Sowjetunion zu tief-
greifenden politischen Umwälzungen, in China war dies mit der Kulturrevolution und der
Umorientierung auf eine sozialistische Marktwirtschaft der Fall. Insbesondere letztere
Entwicklung hatte zur Folge, dass China im Betrachtungszeitraum ein nicht gekanntes
wirtschaftliches Wachstum an den Tag legte, das wie eingangs beschrieben, anders ge-
artete Probleme als in westlichen Ländern und Russland in den Vordergrund treten ließ.
Diese drehen sich darum, wie gesellschaftliche und ökonomische Prozesse verstetigt und
Auswüchse begrenzt werden können.
Bei Ansicht der Trendlinien der beiden östlichen Länder zeigt sich allerdings, dass nur
Russland eine grundlegend andere Entwicklung der gesellschaftlichen Diffusion von Re-
silienz aufweist und die chinesische Trendlinie große Ähnlichkeiten mit denen der ande-
ren Länder besitzt. So ist im chinesischen Fall ein rapider Anstieg der gesellschaftlichen
Diffusion um die Jahrtausendwende sichtbar, nachdem das Konzept der Resilienz dort erst
Ende der 1970er Jahre merklichen Eingang in die Gesellschaft gefunden hat. Interessan-
terweise fällt dieser Eingang zeitlich recht genau auf die Zeit des Ablebens von Mao Ze-
dong und der damit verbundenen Öffnung des Landes zusammen. Diese hatte einerseits
einen grundlegenden Wandel des politischen und wirtschaftlichen Systems zur Folge und
stellte die staatlichen Unternehmen vor die Herausforderung, den Anforderungen eines
globalen Marktes Stand zu halten (Luthans et al. 2005). Andererseits führte die Öffnung
aber auch zu einem Wandel der, zumeist kollektivistisch geprägten, Denkstrukturen der
Bevölkerung (Ralston et al. 1999). So begannen jüngere Generationen, immer stärker in-
dividualistisch zu agieren, was eine drastische Abkehr von der bisherigen Kultur darstellte
und grundlegende Werte zum Teil in Frage stellte (Leung 2008). Diese Entwicklungen
bieten einen möglichen Erklärungsansatz für die ansteigende Diffusion des Resilienz-
konzepts.
Im Gegensatz dazu und auch zu allen anderen Ländern ist in Russland kein rapider An-
stieg der gesellschaftlichen Diffusion von Resilienz in den vergangenen beiden Dekaden
zu sehen, in dieser Periode ist sogar ein eher abnehmender Trend sichtbar. Dafür ist eine
deutliche Zunahme im Zeitraum von 1960 bis Mitte der 1980er Jahre zu erkennen, in einer
eigentlich durch politische Stabilität, aber auch durch den kalten Krieg geprägten Periode.
Zuvor gab es dort bereits zwei Phasen ausgeprägten Wachstums der gesellschaftlichen
Diffusion von Resilienz, jeweils in den Jahren direkt vor und nach dem Zweiten Weltkrieg.
Als Fazit aus der Untersuchung der Trendlinien der gesellschaftlichen Diffusion des
Resilienzkonzepts in verschiedenen Kontexten lässt sich festhalten, dass Resilienz in den
meisten Kontexten ein Konzept darstellt, das erst spät zu seiner heutigen Bedeutung ge-
funden hat. Eine Entwicklung, die insbesondere in der Zeit um die Jahrtausendwende
ihren Ausgang nahm, auch wenn Russland hier eine deutliche Ausnahme darstellt. Gene-
rell lässt sich weiterhin erkennen, dass, unabhängig von der Entwicklung der Trendlinien,
der Grad der Diffusion des Resilienzkonzepts in den westlichen Ländern generell höher
ist als in den östlichen Ländern.
Betrachtet man zunächst das absolute Niveau der Häufigkeit an Fachartikeln mit Resilienz
zum Thema, treten deutliche Unterschiede zutage, die allerdings auch disziplinspezifi-
schen Unterschieden in der Publikationstätigkeit an sich und der unterschiedlichen Zahl
an Forschern in den jeweiligen Disziplinen geschuldet sind. Dennoch ist dies ein Indikator
für den absoluten Umfang der Beschäftigung mit Resilienz. So wird ersichtlich, dass mit
Abstand das größte Volumen an Resilienz-bezogenen Publikationen in der medizinischen
Forschung erzeugt wird. Darauf folgen die Sozialwissenschaften und die Biologie, die
einen ähnlichen Umfang an Publikationstätigkeit zu Resilienz zeigen. Als dritte Grup-
pen folgen die Ökologie, Ingenieurswissenschaften, die Psychologie und die Wirtschafts-
wissenschaften als relativ homogene Gruppe, was die Generierung von Fachartikeln zu
Resilienz anbelangt. Der geringste Output in dieser Hinsicht wird von den Geowissen-
schaften, den Materialwissenschaften und den Geisteswissenschaften erzeugt, die jeweils
die Schwelle von 100 Veröffentlichungen in Fachzeitschriften pro Jahr nicht überspringen.
Betrachtet man die relative Entwicklung der Publikationstätigkeit zum Thema Resili-
enz in den verschiedenen Disziplinen, so zeigt sich über alle Disziplinen hinweg ein deut-
lich ansteigender Trend in den vergangenen zehn Jahren, was für eine deutliche Zunahme
der wissenschaftlichen Diffusion des Resilienzkonzepts spricht. Auch zeigt sich, dass eine
substantielle Publikationstätigkeit zu Resilienz-bezogenen Themen in allen untersuchten
Disziplinen erst recht spät eingesetzt hat. Mit Ausnahme der Ingenieurswissenschaften,
Geowissenschaften und Materialwissenschaften, bei denen diese Entwicklung schon ab
den 1970er Jahren zu beobachten war, ist dies in den übrigen Disziplinen erst im Laufe
der 1990er Jahre der Fall gewesen. Die Ingenieurswissenschaften und Materialwissen-
schaften unterscheiden sich von den übrigen Disziplinen auch dadurch, dass sie vor der
Jahrtausendwende eine volatile Trendlinie aufweisen, die somit auch zwischenzeitliche
Rückgänge in der Publikationstätigkeit zu Resilienz impliziert, während bei allen anderen
Disziplinen eine annähernd stetige Zunahme der Publikationstätigkeit zu beobachten war.
Grundsätzlich sind hinsichtlich des Bezugs zwischen der gesellschaftlichen und wissen-
schaftlichen Diffusion von Konzepten zwei Beziehungen denkbar (abgesehen von einer
eher unrealistischen Annahme vollständiger Unabhängigkeit). Eine Möglichkeit beinhal-
tet gewissermaßen einen Schub der gesellschaftlichen Diffusion eines Konzepts durch
wissenschaftliche Ergebnisse, die auf die Bedeutung dieses Konzepts hindeuten und so-
mit die gesellschaftliche Aufmerksamkeit verstärkt auf dieses Konzept lenken. Dieses
Szenario wäre im Falle der Resilienz insbesondere für die Disziplinen der Ökologie und
der Geowissenschaften plausibel, da die dort gewonnenen Erkenntnisse über die Folgen
der menschlichen Aktivität für Ökosysteme und klimatische Prozesse und die dadurch
bedingte Bedeutung von Resilienzforschung in diesen Disziplinen auch eine verstärkte
Aufmerksamkeit in der Gesellschaft auf Aspekte der Resilienz nach sich ziehen sollte.
Die andere generelle Möglichkeit zur Beziehung zwischen wissenschaftlicher und ge-
Resilienz als Trendkonzept 25
Tabelle 1 (Fortsetzung)
# Jahr Autoren Fachzeitschrift LCS GCS
26 2002 Folke C, Carpenter S, Elmqvist T, Ambio 300 547
Gunderson L, Holling CS, et al.
27 2008 Cutter SL, Barnes L, Berry M, Global Environmental Change - 295 464
Burton C, Evans E, et al. Human & Policy Dimensions
28 2004 Olsson P, Folke C, Berkes F Environmental Management 287 587
29 1998 Peterson G, Allen CR, Holling CS Ecosystems 286 591
30 1996 Block J, Kremen AM Journal of Personality & Social 279 429
Psychology
31 2004 Tugade MM, Fredrickson BL Journal of Personality & Social 271 673
Psychology
32 2000 Luthar SS, Cicchetti D Development & Psychopathology 269 402
33 2005 Fergus S, Zimmerman MA Annual Review of Public Health 254 431
34 1996 Holling CS, Meffe GK Conservation Biology 240 692
35 2002 Richardson GE Journal of Clinical Psychology 231 316
36 2005 Hughes TP, Bellwood DR, Folke Trends In Ecology & Evolution 228 461
C, Steneck RS, Wilson J
37 2003 Fredrickson BL, Tugade MM, Journal of Personality & Social 221 602
Waugh CE, Larkin GR Psychology
38 2003 Dietz T, Ostrom E, Stern PC Science 219 1139
39 2007 Hughes TP, Rodrigues MJ, Bell- Current Biology 214 496
wood DR, Ceccarelli D, et al.
40 1993 Egeland B, Carlson E, Sroufe LA Development & Psychopathology 209 315
41 1991 Garmezy N American Behavioral Scientist 205 370
42 1999 Masten AS, Hubbard JJ, Gest SD, Development & Psychopathology 205 382
Tellegen A, Garmezy N, et al.
43 1991 Luthar SS Child Development 202 350
44 1991 Luthar SS, Zigler E American Journal of 201 318
Orthopsychiatry
45 2006 Rutter M Resilience In Children 195 290
46 2004 Charney DS American Journal of Psychiatry 191 580
47 2002 Norris FH, Friedman MJ, Watson Psychiatry - Interpersonal 183 997
PJ, Byrne CM, Diaz E, et al. & Biological Processes
48 2009 Feder A, Nestler EJ, Charney DS Nature Reviews Neuroscience 183 374
49 1993 Garmezy N Psychiatry - Interpersonal 179 282
& Biological Processes
50 2009 Rockstrom J, Steffen W, Noone K, Nature 175 1962
Persson A, Chapin FS, et al.
LCS = Local Citation Score; GCS = Gobal Citation Score
In der Kartierung werden diese Publikationen als Knotenpunkte dargestellt, deren Größe
von ihrem LCS abhängt (das heißt, je größer der Knotenpunkt, desto größer der Ein-
28 Matthias Weiß, Silja Hartmann und Martin Högl
fluss auf die Forschung zum Resilienzkonzept). Die Linien zwischen den Knotenpunkten
zeigen Querverbindungen zwischen diesen Publikationen durch Zitation an. Betrachtet
man nun die mit Hilfe von HistCiteTM erstellte Kartierung der 50 einflussreichsten Resi-
lienz-bezogenen Publikationen in Fachzeitschriften und ihren Querbezügen in Abbildung
5, so fällt schnell auf, dass sich diese Publikationen in zwei größere Inhaltsfelder aufspal-
ten. Das erste Inhaltsfeld beinhaltet Forschung zu psychologischen Aspekten der Resilienz
und Forschung in der Psychiatrie, während das zweite Inhaltsfeld Resilienz-bezogene Pu-
blikationen zu Themen von Umweltwissenschaften wie der Ökologie oder Geographie
umfasst. Deutlich wird auch, dass zwischen den Knotenpunkten der beiden Inhaltsfelder
kaum Querbezüge bestehen. Daraus lässt sich ableiten, dass die Forschung in diesen In-
haltsfeldern weitgehend isoliert voneinander abläuft. Eine auffällige Ausnahme stellt hier
die Arbeit von Norris et al. (2008) dar, die als einziger integrativer Knotenpunkt den Be-
zug zu beiden Inhaltsfeldern herstellt. Es ist äußerst wahrscheinlich, dass hier bislang eine
wertvolle Gelegenheit verpasst wurde, durch Integration dieser Inhaltsfelder Synergien in
der Resilienzforschung zu nutzen. Zukünftige interdisziplinäre Forschung könnte daher
durch bessere Integration von Erkenntnissen aus den beiden Hauptströmungen in der Re-
silienzforschung von diesem bislang noch weitgehend ungenutzten Potential profitieren.
5 Limitationen
An dieser Stelle soll auf Limitationen der in diesem Beitrag berichteten Untersuchun-
gen und Ergebnisse hingewiesen werden. Die Methode Culturomics eröffnet zwar die
Möglichkeit, durch die relative Häufigkeit von Begriffen auf die Diffusion in der Gesell-
Resilienz als Trendkonzept 29
schaft von hinter diesen Begriffen stehenden Konzepten zu schließen. Allerdings stellt
dies natürlich nur einen indirekten Indikator dar, der die gesellschaftliche Diffusion von
Konzepten nicht zwangsweise exakt abbilden kann. Insbesondere besteht die Möglichkeit,
dass das Medium Buch Besonderheiten aufweist, die es von anderen Populärmedien wie
Fernsehen oder Radio unterscheidet und somit eine gewisse Verzerrung zur Folge haben
könnte. Da für letztgenannte Medien allerdings noch keine äquivalenten Daten zu einer
solchen Untersuchung zur Verfügung stehen, konzentrierte sich die Analyse in diesem
Beitrag auf Bücher.
Darüber hinaus impliziert der internationale Vergleich der Diffusion von Konzepten
immer auch die Notwendigkeit von äquivalenten Übersetzungen der für die Suche ver-
wendeten Begriffe (Brislin 1980). Auch wenn wir uns bei der Übersetzung von Resilienz
in andere Sprachen durch Konsultation bei Muttersprachlern der jeweiligen Sprache über
die Angemessenheit der verwendeten Begriffe rückversichert haben, so schließt dies dar-
aus entstehende Ungenauigkeiten oder Verzerrungen nicht vollständig aus.
Schließlich basieren unsere Untersuchungen zur wissenschaftlichen Diffusion und in-
terdisziplinären Bezügen und Entwicklungen lediglich auf in Fachzeitschriften publizier-
ten Artikeln. Da wissenschaftliche Erkenntnisse allerdings auch in Form von Büchern
veröffentlicht werden, konnte hier keine vollständige Erfassung der Forschungstätigkeit
zum Konzept der Resilienz erfolgen. Die Fokussierung auf begutachtete Fachartikel hatte
hierbei sowohl methodische Gründe als auch das Ziel, ein Mindestmaß an Qualität der
untersuchten Publikationen zu gewährleisten. Dass hierbei relevante Publikationen von
hinreichender Qualität von der Untersuchung ausgeschlossen wurde, musste daher leider
in Kauf genommen werden. Allerdings ist insbesondere angesichts der enormen Fallzah-
len dennoch von einer Repräsentativität der Befunde auszugehen.
In diesem Beitrag wurde die Entwicklung der Diffusion des Resilienzkonzepts aus ver-
schiedenen Perspektiven dargestellt. Dafür wurde auf Methoden der Bibliometrie und der
Zitationsanalyse zurückgegriffen. Unsere Ergebnisse in Bezug auf die gesellschaftliche
Diffusion des Resilienzbegriffs legen nahe, dass sozial-politische Rahmenbedingungen,
wie beispielsweise die Veränderung politischer Systeme, einen Einfluss auf die gesell-
schaftliche Rolle spezifischer Konzepte nehmen können. Im betrachteten Fall des Resili-
enzkonzepts ist dies insofern interessant, als dass die gesellschaftliche Nachfrage die wis-
senschaftliche Publikationstätigkeit zu treiben scheint und die wissenschaftliche Tätigkeit
damit auch mit sozial-politischen Bedingungen in Zusammenhang zu stehen scheint.
Die Verwendung der Culturomics-Methode erlaubt auf Basis von Worthäufigkei-
ten aufzuzeigen, welche Themen in Gesellschaften thematisiert und priorisiert werden
(Greenfield 2013). In methodischer Hinsicht eröffnet die Verwendung dieser Methode im
Zusammenspiel mit Artikelzählungen und Zitationsanalysen eine neue Perspektive auf
30 Matthias Weiß, Silja Hartmann und Martin Högl
die Diffusion des Resilienzbegriffs und ermöglicht so ein präziseres Verständnis dieser
Diffusion.
Anhand der Ergebnisse unserer Untersuchungen kann man den Rückschluss ziehen,
dass das Konzept der Resilienz im letzten Jahrhundert weniger verbreitet war, das Inter-
esse an dem Konzept und seine Salienz jedoch mit Ende des letzten Jahrhunderts massiv
zugenommen hat, sowohl in der Wissenschaft als auch in der Gesellschaft generell. Dieses
grundlegende Muster der gesellschaftlichen Diffusion gleicht sich in den betrachteten Län-
dern. Lediglich der Zeitpunkt der Zunahme des Interesses an Resilienz variiert zwischen
den verschiedenen Ländern. In Bezug auf einen internationalen Vergleich lässt sich zudem
festhalten, dass das Konzept in englischsprachigen Ländern mittlerweile am stärksten ver-
breitet ist und grundsätzlich in westlichen Ländern mehr Aufmerksamkeit genießt als in
den östlichen Ländern China und Russland. Weiterhin zeigt sich, dass die wissenschaft-
liche Publikationstätigkeit der gesellschaftlichen Diffusion tendenziell nachgelaufen ist
und die Wissenschaft somit auf implizite oder explizite gesellschaftliche Nachfrage nach
Erkenntnissen zum Thema Resilienz geantwortet hat. Die Ergebnisse der vorliegenden
Studie zeigen insofern, dass das Konzept der Resilienz erst in den letzten Dekaden zu sei-
ner heutigen Popularität gefunden hat, sich aber mit Beginn des 21. Jahrhunderts als Kon-
zept in Gesellschaft und Wissenschaft etabliert hat. Die Ergebnisse zeigen aber auch, dass
eine Integration der Forschungstätigkeit zu Resilienz über direkt benachbarte Disziplinen
hinaus bislang noch kaum erfolgte, was interessante Gelegenheiten zur interdisziplinären
Resilienzforschung in der Zukunft offen lässt.
Resilienz als Trendkonzept 31
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Resilienz – Macht – Hoffnung
Der Resilienzbegriff als diskursive Verarbeitung
einer verunsichernden Moderne
Zusammenfassung
Der Beitrag formuliert die These, dass die Beliebtheit des Resilienzbegriffs trotz sei-
ner definitorischen Unschärfe mit einer veränderten Wahrnehmung von Unsicherheit,
Krisen und Risiken zu erklären ist. Seine Popularität steht in Verbindung zu dem do-
minanten Selbstbeschreibungsmodus der Reflexiven Moderne – der Krise –, die sich
in einer auf Dauer gestellten Unsicherheitswahrnehmung niederschlägt. Auf diese Ver-
unsicherung scheint Resilienz eine hoffnungsvolle Antwort geben zu können, weshalb
der Begriff in unterschiedlichen Anwendungskontexten, von der individuellen Stress-
bewältigung bis hin zu sicherheitspolitischen Legitimationsstrategien, als der vielver-
sprechende Versuch gepriesen wird, unvorhersehbare, krisenhafte Ereignisse aller Art,
zunehmend aber auch gesellschaftliche Steuerungsprobleme auf eine ganz neue Weise
handhabbar zu machen. Allerdings kann der Resilienzbegriff dieser Hoffnung nicht
entsprechen. Hingegen wird mit dessen Einsatz einerseits über die Begründungsbe-
dürftigkeit bestehender gesellschaftlicher Institutionen und Systeme hinweggetäuscht.
Dabei werden kritische Auseinandersetzungen umgangen. Einhergehend mit dieser
Form der Entpolitisierung der gesellschaftlichen Zukunftsgestaltung und -bewältigung
besteht andererseits die Gefahr der Überlastung jeder/s Einzelnen. Letztendlich steht
der Resilienzbegriff dem gesellschaftlichen Wandel im Weg.
33
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2018
M. Karidi et al. (Hrsg.), Resilienz,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-19222-8_3
34 Charlotte Rungius, Elke Schneider und Christoph Weller
1 Einleitung
Resilienz ist ‚in‘ und zwar Disziplinen übergreifend. Der Begriff hat in den letzten Jahren
eine erstaunliche Karriere erfahren und genießt derzeit große Popularität in den unter-
schiedlichsten Lebens- und Wissenschaftsbereichen. Beispielsweise ist seit 1997 die Häu-
figkeit der Verwendung des Begriffs Resilienz von beinahe null auf 30 000 Einträge in
der Zitationsdatenbank „Web of Science“ geradezu explodiert (Lovell et al. 2016, S. 5). In
Google-Suchen ist das relative Interesse am Begriff Resilienz zwischen 2004 und 2015
um mehr als 40 % gestiegen (ebd.). Angesichts dieser Beliebtheit bzw. „Schönheit“ (vgl.
Rungius und Weller 2016) mag die eine oder der andere dem Begriff Resilienz skeptisch
gegenüberstehen. Dem Anspruch auf Modernität und Innovation, der Resilienz anzuhän-
gen scheint, steht das Misstrauen gegenüber einem möglicherweise oberflächlichen Zeit-
geist-Begriff entgegen. Man mag geneigt sein, diesen Begriff als reine Modeerscheinun-
gen abzutun, der gerade aufgrund seiner Beliebtheit und seines fast grenzenlos vielseitigen
Einsatzes Gefahr läuft, sich in Beliebigkeit zu verlieren (vgl. u. a. Hagmann 2012, S. 16;
Thoma 2014, S. 53) und zu einem ‚leeren Signifikanten‘ (Laclau 1994, 1996) zu werden.
Andererseits bietet die erstaunliche Karriere dieses Begriffs die Möglichkeit, ihn im
Lichte derjenigen gesellschaftlichen Leitvorstellungen, Wahrnehmungen und Bedürfnisse
zu verstehen, die ihn letztlich erst hervorgebracht, bzw. für die offenkundige Resonanz
gesorgt haben. Entsprechend betrachten wir die Popularität des Resilienzbegriffs in einem
engen Zusammenhang zu den aktuell vorrangigen gesellschaftlichen Denkstrukturen und
Wahrnehmungen. Über die Untersuchung der Verwendungsweisen des Resilienzbegriffs
lässt sich einerseits etwas über vorherrschende Ängste und Hoffnungen erfahren, anderer-
seits aber auch beleuchten, welche spezifischen Sichtweisen dadurch verstärkt werden.
Unsere Ausgangsthese ist, dass die wachsende Beliebtheit des Resilienzbegriffs in
einem engen Zusammenhang mit einer veränderten Wahrnehmung von Unsicherheit,
Krisen und Risiken zu verstehen ist. Insbesondere folgt unser Beitrag der Überlegung,
dass die Verbreitung und Popularität des Resilienzbegriffs mit dem dominanten Selbst-
beschreibungsmodus der Reflexiven Moderne in Verbindung steht – der Krise –, die sich
in einer auf Dauer gestellten Unsicherheitswahrnehmung niederschlägt. Auf diese Ver-
unsicherung scheint Resilienz eine hoffnungsvolle Antwort geben zu können, weshalb der
Resilienzbegriff sowohl in privaten, als auch in gesellschaftlichen Anwendungskontexten
bis hin zu sicherheitspolitischen Legitimationsstrategien als der vielversprechende Ver-
such gepriesen wird, Unsicherheit und unvorhersehbare, krisenhafte Ereignisse auf eine
ganz neue Art und Weise handhabbar zu machen. Mit diesem hoffnungsvollen Verspre-
chen bildet der Resilienzbegriff allerdings zugleich den Kern machtvoller Diskurse und
ist in der Lage, über unsere Art zu Denken und zu Handeln mitzuentscheiden. Deshalb
erscheint es uns notwendig, uns kritisch mit den zugrundeliegenden, häufig unreflektierten
Annahmen des Resilienzbegriffs auseinanderzusetzen.
Zunächst werfen wir ein kurzes Streiflicht auf die allgemein gebräuchliche Verwen-
dung des Resilienzbegriffs, um den spezifischen Verwendungskontext herauszustellen, der
stets eine Belastung, Krise bzw. Bedrohung mitdenkt (Abschnitt 2). Diesen setzen wir in
Resilienz – Macht – Hoffnung 35
einen Zusammenhang zur Gesellschaftsanalyse der Reflexiven Moderne und legen eine
‚Ontologie der Unsicherheit‘ als Grundannahme des Resilienzbegriffs frei, auf deren Ba-
sis der Resilienzbegriff gleichsam als hoffnungsvolle Rettung inszeniert wird (Abschnitt
3). Allerdings täuscht der auf diese Weise mit positiven Assoziationen aufgeladene Resi-
lienzbegriff zuweilen darüber hinweg, dass der Begriff sich auf sehr unterschiedliche Phä-
nomene bezieht, die es zunächst genauer zu unterscheiden gilt (Abschnitt 4). In Abschnitt
5 zeigen wir, inwiefern der Resilienzbegriff dabei gerade auf einer gesellschaftsanalyti-
schen Ebene die konzeptionelle Hoffnung transportiert, die Komplexitätssteigerung und
Entgrenzung greifbar zu machen, mit denen die Governance-Forschung befasst war. Un-
sere theoretische Auseinandersetzung mündet zuletzt in einer Problematisierung des Re-
silienzbegriffs, insbesondere, wenn er in gesellschaftspolitischen Kontexten Verwendung
findet, wie dies etwa in aktuellen sicherheitspolitischen Dokumenten der Bundesregierung
der Fall ist (Abschnitt 6).1
1 Für hilfreiche Kommentare zu früheren Versionen dieses Beitrags danken wir Lisa Maichle sowie
Michael Meyen und Martin Schneider.
2 Dieser Befund geht aus einer systematischen Internetrecherche hervor, für die wir die erstgelisteten
60 Ergebnisse einer Google-Suche mit dem Begriff „Resilienz“ (16.06.2015) offen kodiert und aus-
gewertet haben (Schneider 2017).
36 Charlotte Rungius, Elke Schneider und Christoph Weller
Die Theorie der Reflexiven Modernisierung beschreibt Unsicherheit im Sinne einer kate-
gorischen Unbestimmbarkeit und Unkontrollierbarkeit, als eine zwar unbeabsichtigte, je-
doch wesentliche und unvermeidliche Folgeerscheinung des Rationalisierungs-, Wissens-
und Fortschrittswillens der Moderne (Beck et al. 1996): Durch das enorm gewachsene und
ausdifferenzierte Wissen, wie es sich beispielsweise in Form des technischen Fortschritts
Resilienz – Macht – Hoffnung 37
Dieser Zusammenhang gilt auch für andere Wissensbereiche als nur den des technischen
Fortschritts und er gilt in der Perspektive der Theorie Reflexiver Modernisierung nicht
nur auf einer praktischen, sondern vielmehr auch auf einer theoretischen Ebene. Mit dem
Zuwachs an Wissen wächst auch das Bewusstsein dafür, was wir nicht wissen („gewusstes
Nichtwissen“) und damit steigt der fundamentale Eindruck der Verunsicherung auf der
kognitiven Ebene. Ebenfalls sind durch das erweiterte Wissensangebot auch die Mög-
lichkeiten gewachsen, vormals feststehende Grundbegriffe, Institutionen und Handlungs-
zusammenhänge in neuem Licht zu betrachten, neu zu beschreiben und zu hinterfragen.
Dadurch erscheinen bisher als selbstverständlich hingenommene Unterscheidungen auf
einmal brüchig und vorläufig: So kommt es in der Reflexiven Moderne beispielsweise zu
einer Diffusion der legitimen Wissensproduktion, wenn „die Wissenschaft“ ihre Monar-
chinnenposition als einzige legitime Wissensproduzentin verliert und an ihre Stelle in der
Reflexiven Moderne eine dezentralisierte, polyzentrische Wissensproduktion tritt, in der
neben wissenschaftlichem Wissen auch andere Wissensformen, wie Erfahrungswissen,
mit anderen Geltungskriterien um Deutungshoheit konkurrieren (Lau und Böschen 2003,
S. 227f.). Sowohl das Bewusstsein für die Vorläufigkeit von Wissen und Nichtwissen als
auch dieser Zusammenbruch von Selbstverständlichkeiten tragen zur Verunsicherung in
der Reflexiven Moderne bei.
Reflexion ist in dieser Perspektive keine bewusste Entscheidung, sondern ein sich selbst
aufdrängender, geradezu zwingender Denk- und Handlungsmodus unter den Bedingungen
der fortschreitenden Moderne. Der Wandel von modernem zu reflexiv-modernem Denken
zeigt sich beispielsweise in Form eines Wandels von linearem zu nicht-linearem Denken,
wobei lineares Denken auf Gewissheiten und Vorhersehbarkeit aufbaut und nicht-lineares
„chaostheoretisch“ auf Unsicherheiten vorbereitet (Kaufmann und Blum 2013, S. 97f.).
Während in der Moderne der Umgang mit Unsicherheiten reaktiv und von dem Ziel „der
restlosen Transformation von Ungewißheit in Gewißheit, Unordnung in Ordnung und Un-
eindeutigkeit in Eindeutigkeit“ geprägt war, wird in der Reflexiven Moderne dieser Fort-
schrittsglaube abgelegt und in eine „aktive […] Unsicherheitsorientierung“ umgekehrt
(Bonß 1995, S. 25). Diese löst die „Perfektionierung der Sicherheit“ in der Moderne ab
38 Charlotte Rungius, Elke Schneider und Christoph Weller
(ebd.). Die Theorie der Reflexiven Moderne beschreibt die mit den Prozessen der Objekti-
vierung von Unsicherheit zur Normalität gewordene, beständige Hinterfragung, Reflexion
und Auflösung herkömmlicher gesellschaftlicher Leitunterscheidungen. Die Realität prä-
sentiert sich damit als unberechenbar, entgrenzt und kontingent. Die resultierende Einsicht
in die Unentscheidbarkeit und Vorläufigkeit von Wissensmöglichkeiten mündet in einer
Objektivierung von „Vernetzung, Komplexität und Ungewissheit“ als geradezu „festste-
hende […] Kausalkette“ (Kaufmann und Blum 2013, S. 93f.).
Dies führt auch zu einer Verunsicherung des Handelns. Für Entscheidungen, ob nun
praktischer oder theoretischer Art, kann keine sichere Grundlage hergestellt werden
(Beck 1996b, S. 302). Um aber Handlungsfähigkeit wenigstens vorläufig wiederherzustel-
len, findet eine „Normalisierung jener Unsicherheit, die als ein konstitutiver Bestandteil
der Moderne anerkannt werden muß“, statt (Bonß 1995, S. 25). Teil dieser Normalisierung
ist die Karriere des Resilienzbegriffs, welche als Symptom dieser Normalisierung verstan-
den werden kann (s. Abschnitt 3.2). Resilienz wird nun als Antwort auf die fundamentale
Verunsicherung in Anschlag gebracht.
Die Folge der Normalisierung von Unsicherheit sowohl auf kognitiver Ebene als auch
auf der des Handelns ist, dass wir uns in „einer Zeit rapider Veränderungen“ (Voss 2010,
S. 67) oder in einem „‘Zeitalter der Transformation‘“ (Kaufmann und Blum 2013, S. 95,
Hervorh. i. Orig.) wahrnehmen, das von Problemwahrnehmungen, Nichtwissen und Unge-
wissheiten vollkommen durchsetzt zu sein scheint. Damit ist das Narrativ der Reflexiven
Moderne geprägt von umfassenden Unsicherheiten und einer potenziell stets bevorstehen-
den Krise, wodurch die Gegenwart selbst als ständig krisenhaft verstanden werden muss.
Resilienz erscheint hier gleichsam als mögliche Bewältigungsressource sowie als Stütze
der Unsicherheitswahrnehmung, schließlich kann die eigene Resilienz unendlich weiter
gesteigert werden.
„Die Antizipation der Katastrophe verändert die Welt“ (Beck 2008, S. 13) – und verhilft
dem Resilienzbegriff zu seiner Karriere. Die Resonanz, die der Resilienzbegriff trans-
disziplinär und außerwissenschaftlich erreicht, verstehen wir somit sowohl als Symptom
einer gesellschaftlichen Verunsicherung, wie sie von der Theorie der Reflexiven Moderne
diagnostiziert wird (Beck 1996a, S. 19f.), als auch als Hinweis auf die fortgeschrittene
Normalisierung der Allgegenwärtigkeit von Unsicherheitswahrnehmung und -empfinden.
Denn der Erfolg eines so breit rezipierten Begriffs wie Resilienz hängt von dessen
Anschlussfähigkeit an die vorherrschenden Leitvorstellungen und Denkmuster ab (Kauf-
mann und Blum 2013, S. 92). Beispielhaft für die Normalisierung von Unsicherheitswahr-
nehmung kann ein Ausschnitt von der Internetpräsenz der Beraterin und „Resilienztrai-
nerin“ Prof. Dr. Jutta Heller herangezogen werden: Auf ihrer Website beschreibt sie die
Welt als „VUKA. Volatil: ständige, schnelle Veränderungen. Unsicher: kein eindeutiges
Resilienz – Macht – Hoffnung 39
Zweifelsohne hat der Resilienz-Begriff eine „enorme […] Popularisierung“ (Fooken 2016,
S. 28) und kaum gebremste Übertragung in die unterschiedlichsten Zusammenhänge er-
lebt (Pospisil 2013, S. 26). Jedoch wird bei den Beobachtungen der fast schon als Resi-
lienzeuphorie zu beschreibenden Inflation der Begriffsverwendung (vgl. Pospisil 2013,
S. 26ff.) nur selten geprüft, inwieweit die theoretischen Voraussetzungen überhaupt gege-
ben sind, die Systemeigenschaft der Resilienz von der einen in eine andere Wissenschafts-
disziplin zu übertragen. Dies ist besonders voraussetzungsreich, wenn es sich dabei um
technische oder ökologische Systeme handelt, deren Resilienz wir beobachten und gerne
auf unsere persönlichen oder gesellschaftspolitischen Herausforderungen übertragen wür-
den. Doch dabei ist Vorsicht geboten, denn mit „Resilienz“ werden mindestens drei ganz
unterschiedliche Vorstellungen angesprochen: Zum einen beobachten wir biologische
oder technische Systeme, die regelmäßig existenziellen Bedrohungen ausgesetzt sind, die-
se ohne jegliche Einschränkungen ihrer Funktionsweise überleben und deshalb als extrem
resilient bezeichnet werden. Zum anderen erwecken ökologische Systeme unsere Auf-
merksamkeit, die durch massive menschliche Eingriffe bedroht werden und sich diesen
durch geschickte Anpassungsprozesse entziehen. Sie faszinieren uns, insofern sie damit
offensichtlich in der Lage sind, der Bedrohung durch Menschen zu trotzen. Diese Formen
beobachteter Resilienz unterscheiden sich nun aber grundlegend von der Resilienz, die
bestimmten sozialen Systemen zugeschrieben wird, weil diese entweder auf politischer
Macht basiert oder eine normative Erwartung widerspiegelt, dass ein bestimmtes soziales
System mehr Berechtigung besitzt, im gesellschaftlichen Wandel bestehen zu bleiben als
andere Systeme. Auf jedes dieser drei Resilienzverständnisse wird in den folgenden Ab-
schnitten eingegangen.
4.1 Resilienzbeobachtungen
Als Kinder der Reflexiven Moderne betrachten wir staunend und vielleicht sogar neidisch
bestimmte Pflanzen in der Wüste, die in der Lage sind, bei Regen rasend schnell auf-
zublühen und sich dann wieder in einen Zustand zurück zu verwandeln, der ihnen das
Überleben über eine lange, völlige Trockenheit erlaubt (vgl. Vogt 2015, S. 9). Oder uns fas-
zinieren Materialien oder technische Einrichtungen – wie etwa ein Prellbock –, die äußere
Einwirkungen problemlos wegstecken können, unmittelbar in ihren Ausgangszustand zu-
rückkehren und dadurch ihre Funktion uneingeschränkt weiter erfüllen können. In diesen
Fällen beobachten wir die Resilienz vorhandener Systeme und der Resilienzbegriff steht
hier also für Funktionieren und Überleben angesichts existenzieller Bedrohungen, was
uns für Individuen wie auch für bestimmte gesellschaftliche Systeme äußerst wünschens-
wert erscheint (vgl. u. a. Thoma 2014, S. 62).
In großer Ähnlichkeit zu dieser beobachtenden Begriffsverwendung können auch die
frühen psychologischen Studien von Werner und Smith (1982) betrachtet werden: Aus-
Resilienz – Macht – Hoffnung 41
Eine andere Epistemologie des Begriffs ist nun jedoch in der sozialökologischen For-
schung vorherrschend, die den Begriff seit den 1970er Jahren adaptiert hat: Hier stehen
zunächst ökologische Systeme und deren Anpassungsfähigkeiten im Mittelpunkt des In-
teresses, aber auch die Herausforderungen, die das menschliche Eingreifen in ökologische
Systeme für diese mit sich bringt. Besonders resiliente ökologische Systeme sind dann
jene, die sich vom menschlichen Handeln nicht tangieren lassen oder aber auch solche,
die ihre Funktionsfähigkeit durch Anpassung an die durch den Menschen veränderten
Lebensbedingungen aufrechterhalten.
Der Resilienzbegriff in der sozialökologischen Forschung wird also dafür verwendet,
die Frage nach resilienzförderlichem oder -behinderndem menschlichem Handeln zu stel-
len: Durch welche Nutzung – oder Einschränkung menschlicher Eingriffe – bleibt die
natürliche Resilienz eines ökologischen Systems aufrechterhalten? Ausgangspunkt bleibt
eine existierende und beobachtete Resilienz eines Systems, dessen Daseinsberechtigung
in aller Regel nicht in Frage gestellt wird, weil sie unsere lebensnotwendige natürliche
Umwelt betrifft. Damit aber lassen sich unter Hinweis auf eine potenziell bedrohte Resi-
lienz natürlicher Systeme politische Forderungen legitimieren: Anpassungsfähigkeit soll
nicht überfordert, legitime Resilienz nicht unnötig bedroht werden. Käme die Bedrohung
vonseiten eines anderen ökologischen Systems – wenn etwa Marienkäfer die Läuse auf
unserem Rosenstock vernichten –, wäre mit Verweis auf Resilienz keine Forderung zu
begründen; gegen menschliche Eingriffe – etwa Läusevernichtungsspray – ist Resilienz
dagegen ein erkennbar moralisches Argument, dessen Tragfähigkeit aber auf fraglichen
Voraussetzungen basiert. Dies zeigt sich in den sich mehrenden Versuchen der soziologi-
schen Theoretisierung des Resilienzbegriffs (vgl. Endreß und Rampp 2014).
42 Charlotte Rungius, Elke Schneider und Christoph Weller
Der Governance-Begriff ist selbst als Reaktion auf die Wahrnehmung einer gewachsenen
Komplexität von Steuerungs- und Regelungsmechanismen zu verstehen, indem er sich
gegen die Vorstellung einfacher, unidirektionaler Top-down-Regierungsstrukturen und
moderner Planungseuphorien wendet und damit gegen zu eng gefasste und nicht mehr
zeitgemäß erscheinende Politikverständnisse (vgl. Schuppert und Zürn 2008). Innerhalb
des Governance-Verständnisses wird Regieren nicht mehr nur eine Frage der Durchset-
zung von Entscheidungen, deren Zustandekommen entlang der institutionalisierten Ent-
scheidungsprozesse klar und einfach nachvollziehbar ist (Mayntz 2008). Als sozialwis-
senschaftliches Konzept scheint der Resilienzbegriff ebenfalls auf eine wahrgenommene
Komplexitätssteigerung von (welt-)gesellschaftlichen Zusammenhängen zu reagieren und
dabei den Governance-Begriff weiter, bzw. radikal zu Ende denken zu wollen.
David Chandler (2014) hat das in der Resilienzbeliebtheit ebenfalls zum Ausdruck ge-
langende Bedürfnis nach Komplexitätsanerkennung auf die sich verändernden Wissens-
begriffe bzw. Ontologien zurückgeführt. Seiner These zufolge geht die Beliebtheit des
Resilienzbegriffs in einem sozialen bzw. gesellschaftlichen Anwendungskontext darauf
zurück, dass dieser die aktuell als gültig empfundene Ontologie der Post-Moderne am
angemessensten zu reflektieren vermag (Chandler 2014). Während die älteren, liberal-
universalistischen Ansätze der Regierungs- und Steuerungstheorie auf einem modernen,
linearen Wissensverständnis aufbauten, das sich vor allem auf bekannte Ursache-Wir-
kungszusammenhänge („known-knowns“) bezieht, spiegelt der Governance-Gedanke
seiner Meinung nach bereits „einfache und deterministische Ontologien der Komplexität“
(übersetzt nach Chandler 2014, S. 62) in der frühen Postmoderne wider.
44 Charlotte Rungius, Elke Schneider und Christoph Weller
Hierbei wird das Bewusstsein für das Unbekannte, bzw. für benennbares Unwissen
(„known unknowns“) wesentlich in das geltende Wissensverständnis integriert. Für das
Verständnis von Regelungs- und Steuerungsmechanismen bedeutet dies, die erahnbaren,
aber nicht mehr abzubildenden – eben die als unbekannt erkannten – und in diesem Sinne
komplexen Gestaltungszusammenhänge im Verständnis von „Governance“ aufgehen zu
lassen.
Ein zentrales Anliegen des Governance-Ansatzes ist die Abbildung von gesellschaft-
lichen Entgrenzungsprozessen in mindestens zweifacher Hinsicht. Einerseits versucht das
Governance-Konzept die wahrgenommenen, vielfältigen Wechselwirkungen und Abhän-
gigkeiten von Akteuren und Regelungsstrukturen auf unterschiedlichen Ebenen einzu-
fangen, indem es z. B. herkömmliche Leitunterscheidungen wie die analytische Größe des
Nationalstaates in Frage stellt. Andererseits versucht Governance gleichsam die undeutlich
gewordenen Grenzen zwischen formal legitimierten Entscheider*innen und Betroffenen,
zwischen staatlichen Stellen, gesellschaftlichen Interessengruppen, Expert*innen und der
Öffentlichkeit und damit die gewachsene Komplexität von veränderten Steuerungsmecha-
nismen abzubilden. Der zweite Entgrenzungsprozess, den Governance darzustellen ver-
sucht, bezieht sich also auf die Unterscheidung zwischen Entscheidungsträger*innen und
Betroffenen.
Der Resilienzbegriff kann also auch als Versuch gedeutet werden, die Komplexität und
Entgrenzung von Gestaltungszusammenhängen in einem Konzept greifbar zu machen.
Die darin enthaltene Unschärfe und Unsicherheit wird dabei zu einer zu akzeptierenden
Bedingung von Wissen über diese Gesellschaft. Sie wird nicht mehr als zu überwindende
vorübergehende Lücke verstanden. Hingegen bleibt das Governance-Verständnis nach wie
vor hinter einer Ontologie der fundamentalen Unsicherheit („unknown unknowns“), als
einer Ontologie, die Unsicherheit als Kerngröße ihres Wissensbegriffs akzeptiert, zurück
(Chandler 2014, S. 63). Dem Resilienzbegriff kann also durchaus zugutegehalten werden,
dass er der „entgrenzten“ Gesellschaft konzeptionell ein Maximum an Komplexität und
Unsteuerbarkeit zugesteht. Es zeigt sich, dass der auf soziale Systeme bezogene Resilienz-
begriff auf einer konzeptionellen Ebene so angelegt ist, dass er nicht nur den veränderten
Wissensbedingungen der Reflexiven Moderne, sondern auch post-modernen (Nicht-)Re-
gierungskonzepten zu entsprechen verspricht. Andererseits werden mit dem Resilienzbe-
griff im gesellschaftlichen Kontext große Hoffnungen darauf gesetzt, dass dadurch auch
ein besserer Umgang mit den neuen Herausforderungen aktueller Steuerungs- und Re-
gelungsproblematiken angestrebt werden kann (vgl. Dunn Cavelty 2013; Gebauer 2016,
S. 170).
Resilienz – Macht – Hoffnung 45
„In rejecting simple complexity understandings which maintained the subject–object divide
between governance and the object to be governed, and the deterministic understandings of
causality concomitant with this ontology, resilience-thinking asserts that governance is only
possible in non-instrumental ways: in ways which do not assume an external subject position
and therefore reject the hubristic assumptions involved in using market and state levers to
work on social processes to attain policy-goals”
(Chandler 2014, S. 63).
Im Zuge der Verwirklichung der Vorstellung eines reflexiven, responsiven und in diesem
Sinne resilienten Gesellschaftsgefüges wird die Unterscheidung zwischen Entscheidenden
und Betroffenen, zwischen Entscheidung und Wirkung kategorisch aufgelöst. In erstaunli-
cher Weise entwertet der Resilienzgedanke dabei die politische Funktion des Entscheidens
(die im Governance-Ansatz noch als solche erkennbar war). Ein solches gesellschaftsbe-
zogenes Resilienzverständnis bietet keinen Raum mehr für die Unterscheidung zwischen
46 Charlotte Rungius, Elke Schneider und Christoph Weller
not assume an external subject position and therefore reject the hubristic assumptions
involved in using market and state levers to work on social processes to attain policy-
goals” (Chandler 2014, S. 63). Ein in seinem Sinne konsequent (ontologisch post-modern)
gedachter Resilienzbegriff müsste sich also der überzogenen Steuerungsphantasie durch
politische oder wirtschaftliche Mechanismen konsequent widersetzen. Dies steht in einem
konzeptionellen Widerspruch zu der Verwendungsweise des Resilienzbegriffs als ab-
sichtsvolle politische Strategie, die auf den Umgang mit einer äußeren Bedrohung gerich-
tet ist, bspw. in staatlichen Sicherheitskonzepten.
3 Beispielsweise steht der Begriff Resilienz als Konzept und Zielgröße weit oben in internationalen
Konventionen und Rahmenvereinbarungen im Bereich Nachhaltigkeit, Klimawandel, Entwicklung
und Armutsbekämpfung: „Resilience was a prominent theme across the three major internatio-
nal frameworks agreed in 2015 – the Sendai Framework for Disaster Risk Reduction 2015–2030
(SFDRR), the Sustainable Development Goals (SDGs), and the COP21 Paris Agreement on climate
change (Figure 11). Its inclusion demonstrates the importance of resilience to development finance,
policy and practice, making it a priority for governments, policymakers and practitioners alike“
(Tanner et al. 2016, S. 14).
48 Charlotte Rungius, Elke Schneider und Christoph Weller
dies doch gemacht, ist das Ergebnis eine umso größere Hybris, bzw. eine Unverletzlich-
keits- und Allmachtsphantasie.
Diese Hoffnung auf gesellschaftliche Resilienz und systemische Eigenstärkungspoten-
ziale lässt sich durchaus auch als nachvollziehbare Reaktion auf die Desillusionierung
des Steuerungsoptimismus verstehen. Die Handlungs- und Zukunftssicherungspotenzia-
le des Staates erscheinen in der Tat zunehmend fraglich, insbesondere hinsichtlich der
beschränkten staatlichen Steuerungsmöglichkeiten im internationalen Raum. Wenn die
Möglichkeit der politischen Steuerung aber in Frage steht, erscheint die Fokussierung auf
die systemische Selbststeuerung ein attraktiver Ausweg zu sein. In diesem Sinne trägt
der Resilienzbegriff allerdings zu einer fundamentalen Aufmerksamkeitsverschiebung im
Umgang mit Gestaltungs- und Zukunftsdebatten bei, die wegführt von der Frage nach
dem politischen Willen aufgrund bestimmter gesellschaftlicher Ziele und hin zur opera-
tiv orientierten Suche danach, was vorhandene Systeme überleben lässt. Insbesondere er-
schwert bis verunmöglicht der Resilienzbegriff die Zuweisung von Verantwortlichkeiten
für die Formulierung politischer Zielsetzungen (6.3) und bewirkt letztlich eine geräusch-
lose Verlagerung von Verantwortung auf das Individuum (6.2).
Im Bereich der Sicherheitsforschung lässt sich eine Verschiebung von Verantwortung auf
das Individuum beispielhaft nachzeichnen (vgl. Pospisil 2013, S. 31). Einer der zentralen
Ansätze im Umgang mit der ausgewiesenen gesellschaftlichen Verwundbarkeit beinhaltet
die Dezentralisierung von Entscheidungs- und Verantwortungsstrukturen bis hin zur Ver-
lagerung von Entscheidungsverantwortung auf die individuellen Gesellschaftsmitglieder:
Des Weiteren ist insbesondere Charlie Edwards mit seinem 2009 erschienenen Konzept
der „Resilient Nation“ zu nennen, in dem er die individuelle Rolle des Bürgers und der
Bürgerin gegenüber den herkömmlichen staatlichen Top-down-Steuerungsmechanismen
betont (Edwards 2009).
Noch deutlicher zeigt sich diese Verantwortungsverschiebung dort, wo Resilienz als
wünschenswerte Persönlichkeitseigenschaft verstanden und verwendet wird. So wird Re-
silienz immer häufiger als das „Immunsystem der Seele“ beschrieben.4 Mit dem Verweis
auf die Erlernbarkeit eines resilienten Umgangs mit Herausforderungen wird dabei zu-
dem betont, dass das Zurechtkommen mit Krisen und in diesem Zusammenhang auch das
Ausbilden einer persönlichen Resilienz insbesondere in der individuellen bzw. privaten
Verantwortung liegen (vgl. Pospisil 2013). „Als resilient werden in der Psychologie Men-
schen bezeichnet, die seelisch in der Lage sind, Lebenskrisen ohne anhaltende Beein-
trächtigung durchzustehen und schon in kurzer Zeit wieder zur Hochform aufzulaufen“
(Mai k.A., Hervorh. i. Orig.). Zuweilen wird in der Krise sogar noch ein Schritt nach vorne
erwartet: „Resilient zu sein bedeutet die Fähigkeit, uns durch eigenes Engagement sogar
in Zeiten von Krisen, finanziellen Einschnitten und Unsicherheit positiv zu verändern und
Fortschritt zu machen“ (Bürgel 2014). Dem Individuum wird die Verantwortung für die
individuelle Förderung der eigenen Resilienz übertragen, indem sie nicht als Charakter-
eigenschaft, sondern als „erlernbare Fähigkeit, weniger als ein Problem der Emotion als
eines der Kognition“ konzipiert wird (Kaufmann und Blum 2013, S. 114).
Bei genauerer Betrachtung handelt es sich dabei also weniger um ein Versprechen,
als um die (potenziell überfordernde) Forderung, die individuelle Kontroll- und Steue-
rungsmöglichkeit durch Resilienz selbst wiederherzustellen. Beispielhaft für dieses Dis-
kursphänomen steht der Titel des Buches „Mit mehr Selbst zum stabilen ICH! Resilienz
als Basis der Persönlichkeitsentwicklung“, in dem der Autor nahelegt, dass Resilienz im
Sinne der Ausbildung „guter Selbst-Sorger“ und „engagierter Um-Sorger“ unerlässlich
sei, sonst „wird unsere Gesellschaft bald kollabieren“ (Wunsch 2013, S. VI-VII).5 Die
verbreitete Handlungsmaxime dieses „Eigenverantwortlichkeits-Mainstreaming“ besteht
darin, Durchhaltevermögen und die stete Unerschütterlichkeit angesichts persönlicher
Rückschläge zu fordern, was zuweilen geradezu wundersame Blüten treibt. Die Verant-
wortung für den individuellen Lebenserfolg wird dabei voll und ganz auf das Individuum
verschoben. Auf einer Internetseite einer Buch-Autorin zum Thema Resilienz mit dem
Titel „Stehaufmenschen“ fanden wir folgendes Resilienzverständnis:
„Ein besonders auffälliger Befund der Studien [gemeint sind die Hawaii-Studien von Emmy
Werner, Anm. d. Verf.] war, dass sich die meisten der problembehafteten Jugendlichen
bis zum Erreichen des mittleren Lebensalters stabilisiert hatten. Zwar lag die Mortalitäts-
rate im Alter von 40 Jahren bei der [sic!] ‚ehemals Gefährdeten‘ leicht über der der resi-
lienten Altersgenossen (4,4 %) und weniger gefährdeten Vergleichspersonen derselben [sic!]
Geburtsjahrganges (2,8 %) – vorwiegend verursacht durch Unfälle und Aidserkrankungen –,
aber der Großteil der noch lebenden Personen hatte mittlerweile gelernt, Probleme zu be-
wältigen“
(Endriss k.A., Hervorh. i. Orig.).
Dabei wird behauptet, dass der Grund für den Lebenserfolg derjenigen Kinder, die sich
aus den ursprünglichen misslichen Umständen ihres Aufwachsens befreien konnten, in
der vermeintlich erlernbaren Kompetenz bestünde, „Probleme“ zu bewältigen – oder in
der Formulierung eines anderen Resilienzratgebers: „Resiliente Menschen […] bleiben
5 Die zwingende Referenz auf ein ergreifendes Bedrohungsszenario ist gleichfalls offensichtlich.
50 Charlotte Rungius, Elke Schneider und Christoph Weller
aktiv: Sie suchen nach Auswegen und bekommen so die Kontrolle über ihr Leben zurück“
(Mai k.A.).
Im Sinne von Becks „Präventivwirkungen“, d. h. der Wirkungen, die durch die bestän-
dige Antizipation von Nichtwissen, Ungewissheit und einer Bedrohungskonstruktion aus-
gelöst werden, ist im Rahmen des Resilienzdiskurses zu beobachten, dass sich ein Ver-
haltenskodex entwickelt und vermittelt hat, der einen spezifisch-eigenverantwortlichen
Umgang mit Krisen und Herausforderungen vorgibt.
Es drängt sich dabei allerdings der Eindruck auf, dass Resilienz nicht mehr als „der
euphemistische Titel für den halbierten Aktivismus der Unterlegenen ist“ (Slaby 2016,
S. 288). Denn die Notwendigkeit zur Resilienz ergibt sich stets aus einer Situation des
Ausgeliefertseins. Handlung ergibt sich in diesem Begriffshorizont immer erst in Reak-
tion auf etwas, meist auf widrige Umstände. Resilientes Handeln bedeutet immer zuerst
Hinnahme. Die eigene Initiative ist nicht originär und aktiv, sondern sie ist Reaktion und
damit passiv. Resilienz verkommt damit zu einer „Figur der Fügsamkeit“ (ebd. S. 290).
In diesem Sinne spricht Slaby davon, dass das resiliente Subjekt ein halbiertes Subjekt
ist (ebd, S. 287): „Die viel beschworene Widerstandskraft der Resilienten ist nicht mehr
als eine reaktive Zähigkeit, Virtuosität und Dehnbarkeit des Anpassungsvermögens –
weit entfernt von Widerstand im politischen Sinn. […] Widerstehen ja, echter Widerstand
nein.“ (ebd., S. 290). Oder kurz: „Resilienz privilegiert eindeutig das nackte gegenüber
dem tätigen Leben“ (ebd., S. 289).
als durch die Aufrechterhaltung dieses gewünscht resilienten Systems gewonnen wird?
Denn die Herausforderungen für die meisten sozialen Systeme fallen ja nicht vom Himmel
oder basieren auf naturgegebenen Prozessen, sondern werden von Menschen hervorge-
bracht, weil ihnen die Strukturen als kritikwürdig erscheinen und sie Veränderungen –
statt Reproduktion – in Gang setzen wollen. Sie wollen die Machtverhältnisse, die den
herrschenden sozialen Strukturen entsprechen, verändern, weil sie mit der Verwirklichung
bestimmter normativer Ziele unvereinbar erscheinen. Den Bedrohungen für bestimmte
soziale Systeme liegen zumeist begründbare politische Zielsetzungen, Widerstand gegen
ungerechte, unfriedliche oder aus anderen Gründen zu verändernde Strukturen zugrun-
de. Wird dagegen auf die Resilienz existenter Systeme und Strukturen abgehoben, soll
die Widerstandsfähigkeit der herrschenden Machtstrukturen noch weiter gestärkt werden
(„Resilienz und Macht und Hoffnung“, s.o.).
Denn es ist ja ein nicht gerade seltener Fall, dass sich Sozialwissenschaftler*innen mit
sozialen Strukturen, Regeln oder Systemen beschäftigen, die kritikwürdig sind, die der
Verwirklichung anerkannter Normen und Werte wie etwa den grundlegenden Menschen-
rechten oder sozialer Gerechtigkeit entgegenstehen. Diktatorische, auf ständiger Gewalt-
anwendung basierende politische Systeme sind nur ein besonders anschauliches Beispiel
hierfür, denn es könnte sich bei diesen Strukturen etwa auch um die Benachteiligung von
Kindern bestimmter sozialer Herkunft im bundesdeutschen Schulsystem handeln. Auch
in solchen Zusammenhängen könnte die Analyse von Resilienz bedeutsam sein, wenn
sie entweder die Funktions- und Überlebensbedingungen des kritisierten Systems dafür
offenlegt, es schneller, einfacher und effizienter zu transformieren bzw. beseitigen zu kön-
nen oder aber dabei nach der Resilienz des Widerstands gegen diese abzuschaffenden
Systeme gefragt wird, die offenbar bisher nicht ausreicht, akzeptable Erfolge vorweisen
zu können. Doch damit verließe die Resilienzforschung ihren Hoffnungs-Pfad („Resilienz
macht Hoffnung“, s.o.) und verlangte nach Machtanalysen, um jene Strukturen verstehen
zu können, die dem einen sozialen System das Überleben sichern (Diktatur) und dem an-
deren nicht (demokratische Widerstandsgruppen).
Wird in diese gesellschaftspolitischen Diskurse von Seiten der Sozialwissenschaften
der Resilienzbegriff eingeführt, nimmt er – teilweise zugleich und nur schwer unterscheid-
bar – die folgenden vier Funktionen ein, taucht also in ganz unterschiedlichen Modi auf:
• Resilienz wird für alles scheinbar Gute, Wahre, Schöne gefordert und damit anhand
eines derzeit modernen und positiv besetzten Begriffs eine normative Theorie in den
Diskurs eingebracht, ohne die zugrundeliegenden Werte und normativen Argumenta-
tionen offenlegen zu müssen (Modus 3).6
• Resilienz wird nicht mehr als Eigenschaft eines bestimmten sozialen Systems betrach-
tet, sondern selbst zum gesellschaftlichen Wert erhoben. In diesem Modus wird dann
seine Steigerung, Stärkung und Mehrung gefordert, um die normativen Dilemmata un-
sichtbar zu machen und pauschale politische Legitimation zu generieren (Modus 4).
Wie sehr inzwischen auch der unmittelbar politische Diskurs der „Schönheit der Resi-
lienz“ (Rungius und Weller 2016) erlegen ist und „Resilienz“ zum politischen Wert er-
hebt, zeigt das jüngste Weißbuch zur Sicherheitspolitik der Bundesregierung. Hier werden
nicht etwa, was zu erwarten gewesen wäre, die staatlichen Institutionen, welche für die
Gewährleistung nationaler Sicherheit zuständig sind, angesichts veränderter Bedrohun-
gen auf ihre Resilienz hin befragt. Ihnen wird auch nicht, was wenig überraschend ge-
wesen wäre, mangelhafte Resilienz attestiert, um eine erweiterte Legitimationsgrundlage
zu schaffen, die verschiedensten Sicherheitssysteme auszubauen. Im aktuellen Weißbuch
zur Sicherheitspolitik der Bundesregierung dient der Resilienzbegriff auch nicht primär
der Versicherheitlichung, indem auf diese Weise eine normative Theorie der Sicherheit
6 „Das Konzept der Resilienz scheint sich offenbar gut dafür zu eignen, metaphorisch besetzt zu wer-
den und unspezifisch für Kraftvolles, Widerständiges, Gutes, Gedeihendes, Gesundes, sich Durch-
setzendes etc. zu stehen“ (Fooken 2016, S. 26).
Resilienz – Macht – Hoffnung 53
in den politischen Diskurs eingebracht würde, ohne begründen zu müssen, welchen nor-
mativen Zielen die Sicherheit einzelner Systeme dienen solle und bei welchen anderen
Normen (Freiheit, Selbstbestimmung, Gleichheit) dafür Abstriche in Kauf genommen
werden müssten. Vielmehr wird die Sicherheitspolitik zum politischen Feld „für den Auf-
bau gesamtgesellschaftlicher Resilienz“ (BMVg 2016, S. 59) erklärt. Die Autor*innen des
Weißbuchs machen den Resilienzbegriff zum Synonym für „Sicherheit“: wie Sicherheit
scheint Resilienz einen unbezweifelbaren Wert zu besitzen, der nicht begründet oder be-
legt werden muss. Schon im Vorwort verweist die Bundeskanzlerin auf „Krisen und Kon-
flikte“ und kann dann formulieren:
Für Rezipient*innen des Weißbuches, die mit dem Resilienzbegriff noch nicht so vertraut
sind wie die Leser*innen dieses Sammelbandes, liefert das Bundesverteidigungsminis-
terium eine graphisch hervorgehobene Extra-Erläuterung zum Thema „Resilienz“ und
seiner Bedeutung angesichts aktueller Herausforderungen:
„Gefährdungen für Staat und Gesellschaft sind unter den Bedingungen des aktuellen und
künftigen Sicherheitsumfelds nur eingeschränkt vorhersehbar. […] Auch künftig werden
sich Herausforderungen kontinuierlich verändern und Angreifer gezielt nach Verwundbar-
keiten in unserem offenen System suchen. Dabei nutzen sie zudem die Möglichkeiten des
technischen Fortschritts, um unerkannt zu bleiben. Vor dem Hintergrund des dynamischen
Sicherheitsumfelds und dieser Attributionsproblematik gewinnt der Aufbau von Resilienz
zunehmend an Bedeutung. Neben einem wirkungsvollen Beitrag zur Abschreckung strebt
Resilienz auch den Ausbau der Widerstands- und Adaptionsfähigkeit von Staat und Gesell-
schaft gegenüber Störungen, etwa durch Umweltkatastrophen, schwerwiegende Systemfeh-
ler und gezielte Angriffe, an. Ziel ist es, Schadensereignisse absorbieren zu können, ohne
dass die Funktionsfähigkeit von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft nachhaltig beeinträchtigt
wird. Der Ausbau der Gesamtresilienz ist dabei das Produkt der fortschreitenden Resilienz-
bildung in den genannten Bereichen“
(BMVg 2016, S. 49, Hervorh. d. Verf.).
Das Überleben des Staates – heute „der Ausbau der Gesamtresilienz“ – wird nicht mehr
durch angemessene Reaktionen auf die unterschiedlichen Gefährdungen gewährleistet,
sondern ist „das Produkt der fortschreitenden Resilienzbildung in den genannten Berei-
chen“. Die vorhandenen Strukturen in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft sollen offenbar
unverändert aufrechterhalten und gegen Infragestellung oder Wandel gestärkt werden:
„Staat, Wirtschaft und Gesellschaft müssen ihre Widerstands- und Resilienzfähigkeit er-
höhen, um Deutschlands Handlungsfreiheit zu erhalten und sich robust gegen Gefähr-
dungen zur Wehr zu setzen“ (BMVg 2016, S. 56). Indem vermieden wird anzugeben,
welche Werte von den genannten Systemen verteidigt werden sollen oder müssen, wird
54 Charlotte Rungius, Elke Schneider und Christoph Weller
7 Fazit
In diesem Beitrag haben wir zu zeigen versucht, dass weder die Karriere des Resilienzbe-
griffs lediglich als Modeerscheinung abgewiesen werden sollte, noch das Konzept selbst
die Versprechen zu erfüllen vermag, mit denen es allzu häufig verknüpft wird. Stattdessen
Resilienz – Macht – Hoffnung 55
zeigten wir mit Hilfe der Perspektive der Reflexiven Modernisierung, in der Unsicher-
heit als unauflösbares Element von Wissen gesellschaftliche Wahrnehmungen prägt, auf,
dass die Karriere des Resilienzbegriffs als typisches Produkt der Reflexiven Moderne zu
verstehen ist. Die Theorie der Reflexiven Moderne beschreibt die mit den Prozessen der
Objektivierung von Unsicherheit zur Normalität gewordene, beständige Hinterfragung,
Reflexion und Auflösung herkömmlicher gesellschaftlicher Leitunterscheidungen. Wäh-
rend in der Moderne der Umgang mit Unsicherheiten reaktiv und von dem Ziel „der rest-
losen Transformation von Ungewißheit in Gewißheit“ (Bonß 1995, S. 25) gekennzeichnet
war, wird in der Reflexiven Moderne dieser Fortschrittsglaube abgelegt. Die Realität prä-
sentiert sich damit als unberechenbar, entgrenzt und kontingent. Dies führt auch zu einer
fundamentalen Verunsicherung des Handelns.
Der Resilienzbegriff gibt vor, diese Allgegenwart von Unsicherheiten zu akzeptieren
und scheinbar neue Wege im Umgang mit ihnen aufzeigen zu können. In diesem Sinne ha-
ben wir die Karriere des Resilienzbegriffs als Reaktion auf diese Verunsicherung erklärt
und dabei sowohl die daraus folgenden Konsequenzen auf einer individualpsychologi-
schen als auch auf einer gesellschaftspolitischen Ebene darzustellen versucht. Uns drängt
sich der Eindruck auf, dass der Begriff gerade in seinem operativen, wissenschaftlichen
Anspruch vor allem ein leeres Versprechen ist, mit der unhintergehbaren Komplexität von
sozialen Untersuchungsgegenständen umzugehen.
Im alltäglichen bzw. persönlichen Anwendungshorizont läuft der Resilienzbegriff Ge-
fahr, die Verantwortung für den eigenen Lebenserfolg zu personalisieren und damit den
Erfolgsdruck gerade in schwierigen Lebensphasen erheblich zu erhöhen. Auf einer ge-
sellschaftspolitischen Ebene kann der Resilienzbegriff in Fortsetzung des Governance-
Diskurses als der gesellschaftsanalytische Versuch verstanden werden, die Komplexitäts-
steigerung von gesellschaftlichen Handlungszusammenhängen greifbar zu machen. Dabei
kann der Resilienzbegriff der Verflochtenheit und Entgrenztheit der gesellschaftlichen
Handlungszusammenhänge gerade in seiner Fokussierung auf Systeme kaum gerecht wer-
den. Auf dieser Ebene neigt der Resilienzbegriff einerseits zu einer Überschätzung der tat-
sächlichen Risiken aufgrund der in ihm zum Ausdruck gelangenden Krisenfixierung und
Unsicherheitsobjektivierung (die Welt sei „an sich“ oder „essenziell“ krisenhaft). Dadurch
vermuten wir, dass er konservative gesellschaftliche Handlungslogiken und deren prob-
lematische Konsequenzen eher fortschreibt, anstatt Kontingenz anzuerkennen und mutig
neue, experimentelle Wege im Umgang damit auszutesten.
Wo es dem Resilienzdiskurs gelingt, die Resilienz sozialer Systeme in den Mittelpunkt
zu stellen und darüber einzelne Systeme scheinbar zu stärken, verbietet sich zwangsläufig
die Frage nach einem Systemwechsel. Die Verwendung des Resilienzbegriffs verhindert
die Frage, ob das betrachtete System überhaupt erwünscht ist und beschneidet damit Ver-
änderungspotenziale. Die Ontologisierung der Systemeigenschaften führt teilweise sogar
zu einem unreflektierten Konservatismus und dem Verzicht auf die notwendigen norma-
tiven Diskurse.
Mit diesem Gedanken lässt sich ein Bogen zu unserer Ausgangsthese herstellen, nach
der die Resonanz, die ein Begriff erzeugt, einerseits Rückschlüsse auf gesellschaftlich
56 Charlotte Rungius, Elke Schneider und Christoph Weller
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Kritische Resilienzforschung als Beobachtung
eines gegenwärtigen Rechtsformenwandels?
Aspekte einer erforderlichen Systematisierung
Zusammenfassung
Die Autoren nähern sich dem Begriff der Resilienz aus einer rechtssoziologischen Per-
spektive. Gemeinhin gilt das Recht dann als resilient, wenn es durch einen hohen Grad
von Unbestimmtheit ad hoc-Entscheidungen ermöglicht, um damit gegenwärtigen oder
zukünftigen Risiken zu begegnen. Hierbei können drei verschiedene Formen der Ope-
rationalisierung von Unbestimmtheit im Recht heuristisch unterschieden werden: Die
Informalisierung, die Ethisierung bzw. Verwissenschaftlichung sowie Prozeduralisie-
rung des Rechts. Diese Transformation des Rechts droht jedoch, dessen spezifische
Funktionsweise zu unterminieren, nämlich einerseits durch bestimmte Formen der
Selbstbindung Erwartungen zu stabilisieren und andererseits in entsprechenden Ver-
fahren die Austragung von Konflikten zu ermöglichen.
1 Einleitung
In den Sozialwissenschaften gewinnt der Begriff der Resilienz für die Erforschung so-
zialer Institutionen und ihres Umgangs mit Nichtwissen zusehends an Relevanz. Unbeab-
sichtigte Nebenfolgen, neuartige Formen der Kontingenz sowie eine Vielzahl von bislang
unbekannten Risiken bedingten eine „komplexitätstheoretische Wende“ (Blum et al. 2016,
S. 159) verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen, welche den Erfolgszug des Begriffs
begünstigten. In der Gegenwart scheinen Wandlungsprozesse und Transformationen nicht
61
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2018
M. Karidi et al. (Hrsg.), Resilienz,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-19222-8_4
62 Roman Thurn, Stefan May und Stefan Böschen
nur rascher vonstatten zu gehen, vielmehr werden sie auch intentional gefordert (WBGU
2011). Häufig wird hierbei auf das Schlagwort der Resilienz rekurriert, welche aktiv ge-
fördert werden müsse, um etwaigen, womöglich irreversiblen ökologischen und sozialen
Schäden vorzubeugen (vgl. UN 2012; UNESCAP 2013).
Ungeachtet dessen, ob diese Beschreibungen nun realiter zutreffend sind oder nicht,
ist entscheidend, dass die Annahme unhintergehbarer Risiken, wie sie zeitdiagnostisch
unter dem Stichwort der reflexiven Moderne beobachtet wurden, diskursiv wirkmächtig
ist. Sie rahmt Transformationsprozesse semantisch und bringt sie zugleich hervor. Vor
diesem Hintergrund muss die Konjunktur des Resilienzkonzepts unseres Erachtens ver-
standen werden: Es beschreibt die Verallgemeinerung einer Antizipationslogik, in welcher
Risiken und Gefahren nicht lediglich als zu verhindernde Störfälle, sondern als integraler
Bestandteil moderner Gesellschaften begriffen werden, mit welchem gerechnet werden
muss.1 Soziale Tatbestände sollen danach jedoch nicht lediglich zum Status Quo zurück-
kehren, sondern vielmehr transformiert und daher gestärkt aus ihnen hervorgehen. Un-
gewissheit und Nichtwissen erlangen hierbei eine systemische Relevanz, da Gefahren und
Katastrophen jederzeit eintreten könnten. Diese „‘Ontologie des Notfalls‘“ (Kaufmann
2015, S. 272) provoziert eine Verschiebung der Zurechnung und Erwartung von Entschei-
dungen von der Ebene der Strukturen auf die Ebene der Akteure. Die Beispiele reichen
von der „Resilienz am Arbeitsplatz“ bis hin zur Militarisierung der Resilienz, wenn etwa
lokale Akteure mit der Bekämpfung von Aufständen und Gangs in fragilen Staaten beauf-
tragt werden (vgl. Moe und Müller 2015).
Auch auf dem Gebiet des Rechts lassen sich damit verwandte Entwicklungen beobach-
ten: Um ad hoc auf Gefahren reagieren zu können, ist das Recht vielerorts gefordert, die
Perspektiven je einzelner Akteure stärker zu berücksichtigen und ihnen situationsspezi-
fische Handlungsspielräume zu eröffnen. Unsere Hypothese lautet, dass das Recht jedoch
nur dann seine eigentümliche Operations- und Funktionsweise, nämlich einerseits nor-
mative Verhaltenserwartungen zu stabilisieren und andererseits Dissens zu ermöglichen,
zu erhalten in der Lage ist, wenn die Einspeisung außerrechtlicher Selektionen in eine
positivierte Rahmengesetzgebung übersetzt werden, um schließlich auch für die Rechts-
dogmatik rezipierbar zu werden. Indem nämlich eine solche Übersetzung Zusammenhän-
ge zwischen Begriffen und Normen nicht nur herstellt, sondern auch andere ausschließt,
erhöht sie Wahlfreiheiten und Entscheidungsmöglichkeiten (Luhmann 1999b, S. 253).
Dies lässt sich als Ermöglichung von Handlungschancen gerade durch Selbstbindung
beschreiben. Die kontraintuitive Logik von Selbstbindungslogiken liegt darin, gerade
durch bestimmte Schließungen neue Möglichkeiten zu eröffnen.2 Dies gilt umso mehr, als
1 Zu den Differenzen zwischen Risiko- und Resilienzdiskurs, welche hier nicht unterschlagen werden
sollen (vgl. Kaufmann 2015). Es scheint uns jedoch sinnvoll, die Resilienztheorien als Radikalisie-
rungen der Risikotheorie zu begreifen.
2 Hierbei handelt es sich um eine spieltheoretische Überlegung. Um dies an einem einfachen Beispiel
zu illustrieren: Eine zivilrechtliche Schadensersatzklage kann ich nach einem Verbrechen erst dann
in Erwägung ziehen, wenn – von Rechts wegen – die Blutrache als dominantem Straf- und Ent-
schädigungsmodus von vorneherein ausgeschlossen (i.e. verboten) ist. Oder indem Eingriffe in per-
Kritische Resilienzforschung als Beobachtung … 63
legitime Institutionen, die den Dissens auf Dauer stellen könnten, gegenüber individua-
lisierten Rechtsansprüchen und daraus resultierenden Abwägungsgeboten in den Hinter-
grund zu rücken drohen: Sobald Einzelne als Experten ihrer selbst auftreten können, und
kraft ihres Status, überspitzt formuliert: Recht zu setzen und damit Interessen durchzu-
setzen in der Lage sind, werden Konflikte unmittelbar virulent, statt dass sie in transsub-
jektiven Verfahren gelöst würden.
Darüber hinaus muss, um eine Aussage über die Stabilität des Systems treffen zu kön-
nen, der Zeitbezug von Rechtsoperationen berücksichtigt werden. Das Recht ist durch eine
stete Rückbeziehung auf Vergangenheit gekennzeichnet. Es erhält seine Funktionalität
erst aus der Anwendung erlernter Inhalte (i.e. positivierter Rechtssätze) auf die Gegenwart
(vgl. Hiller 1999, S. 61f.). Das Recht als solches ist als a-teleologisches Konditionalpro-
gramm nicht auf die Zukunft, sondern die Vergangenheit bezogen – anders als der legis-
lative, mithin: politische Prozess der Rechtsetzung. Während zwar die Rechtsprinzipien
(Dworkin 1984, S. 82ff.; vgl. Habermas 1992, S. 258ff.) kraft ihrer relativen Unbestimmt-
heit ein gewisses Bewältigungspotential besitzen, sind doch die aus ihnen deduzierten
Normen wie Entscheidungen durch eine relative Bestimmtheit gekennzeichnet (vgl. etwa
GG Art. 103 Abs. 2). Es verhält sich also gerade umgekehrt, als es von ihm verlangt wird:
Es prozessiert Vergangenes und orientiert sich dabei an Vergangenem, statt in der Zukunft
liegende Eventualitäten zu antizipieren.
Daher werden wir im weiteren Verlauf des Textes zunächst die Rezeption des Resilienz-
begriffs in der juristischen Diskussion darstellen (Kapitel 2). Daraufhin sollen vier heuris-
tisch voneinander zu trennende Operationalisierungen von Unbestimmtheit im Recht er-
läutert werden, welche unseres Erachtens nach Antworten auf die skizzierte Anfrage nach
Resilienz sind (Kapitel 3). Hier können wir eine Korrespondenz zwischen dem Diskurs
der Resilienz und der Transformation des Rechts feststellen. Unserer Ansicht nach weisen
beide eine strukturelle Analogie hinsichtlich der Verschiebung von Erwartungen und Ad-
ressierungen von der Strukturebene hin auf die Ebene der Akteure auf (Kapitel 4). Dabei
droht die Resilienz des Rechts jedoch in ihr Gegenteil umzuschlagen. Diese Entwicklung
werden wir mitunter am empirischen Beispiel der biomedizinischen Ethikkommissionen
illustrieren. Der Text schließt mit dem Verweis darauf, dass die Lernfähigkeit des Rechts
weniger durch die Integration von Unbestimmtheit als vielmehr durch die Insistenz auf
der rechtsbildenden kollektiven Selbstbeschränkung der Akteure gewährleistet werden
kann (Kapitel 5).
sönliche, politische, ökonomische und soziale Freiheitsrechte (nicht nur) dem Staat untersagt sind,
können Versammlungen abgehalten, Zeitungen und Parteien und Unternehmen gegründet oder an
(geheimen) Wahlen teilgenommen werden.
64 Roman Thurn, Stefan May und Stefan Böschen
Der Begriff der Resilienz wurde in den 1970er Jahren sowohl in der Ökologie als auch
in der Psychologie unabhängig voneinander entwickelt. Die Extrapolation des Resilienz-
begriffs aus diesen Disziplinen sah und sieht sich einer Reihe von Einwänden ausgesetzt,
welche insbesondere die Adaptionen der sozialökologischen Theorie C. S. Hollings tref-
fen. Der gravierendste unter ihnen ist nicht einmal der gegen die implizite normative
Affirmativität des Begriffs.3 Vielmehr stellt sich ganz allgemein die Frage, wodurch es
gerechtfertigt sei, eine evolutionistische ökologische Theorie auf soziale Phänomene zu
übertragen. Dieser kritischen Nachfrage sah sich bereits die systemtheoretische (Rechts-)
Soziologie Niklas Luhmanns ausgesetzt: „Wie gelingt der Rechtstheorie der spontan kühn
anmutende Bogenschlag von einer biologischen Informationstheorie zur Abwägungsprob-
lematik des § 1 VI BBauG?“ (Nocke 1986, S. 365). Während zwar das Resilienzkonzept,
wie es Gunderson und Holling entwerfen, durchaus Raum für Planung und Eingriffe in
ökologische wie soziale Systeme lässt (Gunderson und Holling 2002, S. 42) und sich des-
halb weniger radikal ausnimmt wie die Systemtheorie in den 1970er und 80er Jahren,
bleibt die problematische Analogisierung von sozialen und ökologischen Phänomenen be-
stehen.
Die Entsprechung scheint jedoch nicht von Ungefähr zu kommen: Bereits Georg Lu-
kács versuchte etwa das Problem der Verdinglichung durch den Begriff der zweiten Na-
tur zu illustrieren (Lukács 1971, S. 53ff.). Für Lukács behielt der Naturbegriff jedoch
einen polemischen Charakter: Das Soziale erschien lediglich als naturhaft gegeben, war
aber doch menschengemacht. Evolutionstheoretische Modelle, die Einzug in die Sozial-
wissenschaften halten, blenden dies jedoch weitgehend aus. Kurz gesagt: In der Analogie
artikuliert sich ein Problembezug, der sich in der Konjunktur des Resilienzbegriffs re-
flektiert. Dieser Problembezug ist nicht nur von sachlicher und sozialer, sondern auch von
zeitlicher Art (s. Kapitel 3.3; vgl. Koselleck 1979, S. 300ff.). Es trifft zweifelsfrei zu, dass
sozialtechnologische Paradigmen, die von einer bewussten funktionalen Steuerung sozia-
ler Phänomene im Allgemeinen und Kontrolle von Krisen sowie ihrer (Neben-)Folgen im
Besonderen ausgingen, von Modellen überholt werden bzw. worden sind, die dem freien
Spiel der Kräfte einen höheren Stellenwert einräumen. Hier soll jedoch weder ein rechts-
theoretischer noch ein soziologischer Evolutionismus vertreten werden, der Kausalität
durch Kontingenz und Steuerung durch Selbstreferenz ersetzt. Stattdessen soll das Recht
als kontingente Form kollektiver Selbstbindung begriffen werden, welche gerade durch
ihre operationale Geschlossenheit Erwartbarkeiten stabilisiert und damit zweckrational
planendes Handeln auf der Ebene der Akteure ermöglicht.
In rechtstheoretischen sowie rechtssoziologischen Kontexten ist der Begriff der Resili-
enz bislang wenig prominent. Findet er jedoch Verwendung, wird unter ihm die Persistenz
bzw. die Kontinuität rechtlich codierter Kommunikation (Isensee 2016; Kähler 2016) oder
3 Das Kriminologische Journal etwa widmete dieser Frage eine ganze Ausgabe (Heft 4/2015; 47.
Jahrgang).
Kritische Resilienzforschung als Beobachtung … 65
präventiver Schutz bzw. Gefahrenabwehr verstanden (Unger und John-Koch 2016; Stei-
ner 2016). Beiträge, die das Transformationspotential als Prädikat des Resilienzbegriffs
betonen, sind demgegenüber in der Unterzahl (wie etwa Korff 2016). Ihnen allen schei-
nen jedoch gemeinsame Beobachtungen oder normative Forderungen zugrunde zu liegen:
dass als präventive Reaktion auf reelle oder vermeintliche Risiken Adressierungen und
Zurechnungen von Verantwortlichkeit zunehmend von der Struktur- auf die Akteursebene
verlagert werden (sollten). So sei etwa die „Schaffung von Möglichkeiten der Selbstorga-
nisation ein zentraler Aspekt der Steigerung von Resilienz“ (Korff 2016, S. 31; Hervorh.
d. Verf.). Die Rechtsordnung wiederum müsse zur „Anerkennung eines übergesetzlichen
legitimen Notrechts des Staates“ (Isensee 2016, S. 53) schreiten, um die „notwendigen Be-
fugnisse zur Abwehr“ (ebd., S. 52) von Gefahren bereitstellen zu können. Schließlich soll-
ten unbestimmte Generalklauseln einen ausreichenden Platz zur Artikulation der Wün-
sche der Parteien bieten (Kähler 2016, S. 76f.): Die Struktur des Rechts soll den einzelnen
Akteuren größeren Spielraum gewähren. Eine Zunahme an Entscheidungsmöglichkeiten
destabilisiert jedoch Erwartungen. Die Problemdiagnose, die Niklas Luhmann infolge
einer risikopolitischen Zukunftsorientierung des Rechts für den Gerichtsprozess stellte,
wird hier also als Problemlösung präsentiert: „Die wachsende Entscheidungslast wird auf
die Parteien rücküberwälzt werden, die zugleich weniger Vertrauen in die Urteilsgrund-
lagen mitbringen“ (Luhmann 1999b, S. 48).
Das bedeutet, dass im Recht zunehmend auf Expertenwissen und Einzelfallentschei-
dungen zurückgegriffen wird, weshalb es sich gegenüber seiner Umwelt stärker öffnen
muss. Infolgedessen droht jedoch die Forderung nach Resilienz der Akteure die operative
Eigenlogik des Rechts – Entscheidungsräume gerade durch den Ausschluss anderer Mög-
lichkeiten zu eröffnen – zu unterminieren. Ein resilientes Recht, also ein Recht, welches
durch die Bewältigung von Störungen lernt statt an ihnen zu kollabieren, müsste dem-
gegenüber in der Lage sein die paradoxale Aufgabe zu bewältigen, unbekannte Risiken zu
prozessieren ohne dabei das Mindestmaß an eigener Unbestimmtheit zu überschreiten.4
Daher stellt sich hieran anschließend die Frage, inwiefern eine auf den Begriff der Re-
silienz abstellende Theorie geeignet ist kurrente Phänomene eines Rechtsformenwandels
adäquat zu beschreiben. Das Recht verliert in der Krise des Interventionsstaates zuse-
hends seine Kontrollfunktion (May 2004, S. 199). Dieser zeichnete sich durch steuernde
Eingriffe aus: Vermittels materialem Recht sollten Risiken abgemindert und Krisen ver-
mieden oder wenigstens behoben werden. Die Nebenfolgen, also nicht intendierten Fol-
gen technischer, ökonomischer und politischer Entwicklungen, können jedoch gegenwär-
tig nicht mehr unter dem Gesichtspunkt positivierten Rechts, das im emphatischen Sinn
vor- oder festschreibt wie in Konfliktsituationen zu entscheiden wäre, prozessiert oder gar
kontrolliert werden. Dies gilt besonders, da der individuelle Rechtsgüterschutz zum einen
vor staatlichen Eingriffen in das Private schützen sollte (und damit eine realiter über-
kommene top-down-Perspektive innehatte) und zum anderen die (Neben-)Folgen oben ge-
4 Gegenwärtig wird diese Frage auch von Sven Opitz bearbeitet; allerdings ohne dabei Bezug auf den
Resilienzdiskurs zu nehmen (Opitz 2012, 2013).
66 Roman Thurn, Stefan May und Stefan Böschen
5 Diese gingen von einer hierarchisch-deduktiven Interpretation der idealiter transhistorisch gelten-
den Normen aus, stellten die Geltung des Rechtssatzes als einer qua demokratischer Verfahren
zustande gekommener eineindeutiger Norm ins Zentrum und postulierten eine Einheit und Abge-
schlossenheit des Rechtssystems (vgl. Maus 1986, S. 210; Wieacker 1967, S. 267, 430ff.)
Kritische Resilienzforschung als Beobachtung … 67
Die World Health Organisation (WHO) etwa arbeitet derzeit an einer Neudefinition von
Unfruchtbarkeit: So könnten demnächst auch Menschen als unfruchtbar gelten, die keinen
geeigneten Partner zur Zeugung von Kindern finden (Bodkin 2016). Die WHO instituiert
als transnationales Regime Normen, welche in der Kollision mit nationalstaatlichen Rege-
lungen neue Konstitutionalisierungsprozesse anstoßen. Daraus folgt, dass die heterogenen
Akteure versuchen ihre je eigenen Selektionen in das Rechtssystem einzuschreiben. Die
spezifischen Eigenlogiken und Unterscheidungen ökonomischer, wissenschaftlicher oder
moralischer Art sind allerdings nicht umstandslos ineinander übersetzbar. Die ans Recht
gestellten Anforderungen zum Schutz von Wissenschaft, Unternehmen und Privatperso-
nen können nicht durch Übersetzung in ein Recht behoben werden, welches zuvorderst,
laut liberalen Grundrechtstheorien, die vertikalen Beziehungen – den Schutz vor staat-
lichen Eingriffen (Maus 1992, S. 321f.) – regelt: Grundrechte lassen sich aufgrund ihres
kollektiv-institutionellen Charakters nicht einfach in den privatrechtlichen Kontext trans-
ferieren.
Stattdessen lassen sich verschiedene institutionalisierte Praxen beobachten, welchen
der Versuch zugrunde liegt, die verschiedenen Rechtsgüter respektive Grundrechte „‘vor
Ort‘ durch sorgfältige und sensible Kontextualisierung“ (Hensler und Teubner 2014,
S. 165) miteinander zu vermitteln. Solche Verfahren erweisen sich mitunter insofern als
resilient, als dass sie die Auseinandersetzung um Grundrechte in institutionelle Verfahren
überführen, statt sie einer autoritativen Entscheidung durch Experten oder die Exekutive
auszuliefern – und damit sowohl Erwartung(serwartung)en stabilisieren als auch Dissens
ermöglichen. Bei den medizinischen Ethikkommissionen handelt es sich um institutiona-
lisierte Verfahren, um nicht nur inkommensurable differenzierte Rationalitäten, sondern
auch Grundrechte wie die Forschungsfreiheit, das Recht auf körperliche Unversehrtheit
und die Gewerbefreiheit gegeneinander abzuwägen. Auf eine Prüfung der wissenschaft-
lichen Validität der Prämissen von geplanten medizinischen Forschungsprojekten folgt
daher etwa die Abschätzung der Risiken für den jeweiligen Patienten und deren Vertret-
barkeit für den je Einzelnen, ob und inwiefern für diesen gegen etwaige Risiken eine
Versicherung abgeschlossen werden könne und wie es schließlich um die Einhaltung der
Bestimmungen des Datenschutzes gestellt ist. Darüber hinaus haben die Ethikkommissio-
nen diese Punkte schließlich innerhalb einer bestimmten Zeit zu bearbeiten, sodass auch
die ökonomische Rationalität berücksichtigt wird.
In gerichtlichen Auseinandersetzungen dieser Art kommt es hingegen vermehrt zur
Abwägung von Grundrechten gegeneinander. Der Begriff der Abwägung, nämlich zwi-
schen verschiedenen grundrechtlich verbrieften Ansprüchen, ist allerdings trügerisch: Es
liegt kein gemeinsames Maß vor, anhand dessen die Rechtsgüter miteinander verglichen
oder gegeneinander abgewogen werden könnten. Die Menschenwürde lässt sich nicht in
Kilogramm bemessen (vgl. Fischer-Lescano und Christensen 2007, S. 357). Die Frage
danach, welchem Gut nun der Vorrang gewährt werden soll, ist insofern kaum zu beant-
worten, als sie von (medial vermittelten) Konjunkturen in der Fokussierung auf bestimmte
Problemfelder sowie politischen und sozialen Konfliktlagen abhängig ist. Weder Ethik
noch Wissenschaft noch ein Rechtsholismus, der seinen Ausgang von der Menschenwürde
68 Roman Thurn, Stefan May und Stefan Böschen
nimmt, kommt dem in praktikabler Weise bei. Ethikkommissionen und ähnlich gelagerte
Verfahren und Institutionen (wie etwa die oben genannte WHO) verarbeiten Nichtwissen
daher auf zwei Ebenen, nämlich hinsichtlich der nicht absehbaren Risiken auf verschie-
dene Rechtsgüter und welchem Rechtsgut unter Berücksichtigung dieser Risiken letzten
Endes der Vorrang gewährt werden soll. Dabei lassen sich zwei Idealtypen im Umgang
mit Nichtwissen differenzieren: Eine auf Input von Wissen in das Rechtssystem hin orien-
tierte Vermittlung von Grundrechten (1) unterscheidet sich von einer situativen Abwägung
derselben durch eine mit legalen Befugnissen ausgestatteten Institution (2).
Durch die unterschiedlichen systemischen Anforderungen von Moral und Ethik, Öko-
nomie, Politik, Wissenschaft etc. liefe die fallspezifische Abwägung in der Risikogesell-
schaft auf eine „begrifflich nicht kontrollierbare Kasuistik“ (Hensel und Teubner 2014,
S. 156) heraus. Permanente Einzelfallprüfungen wären nicht nur aufgrund des organisa-
torischen Aufwands und der daraus folgenden Überlastung juristischer Institutionen dys-
funktional: Sie würden auch keine Programmierung des Rechts als solchem nach sich
ziehen. Dadurch würde Unbestimmtheit nicht gebunden und die dem Recht spezifische
Produktion von Erwartungssicherheit würde unterminiert. Das heißt also, dass die Grund-
rechte, sollen sie ihre vertikale Schutzwirkung behalten, nicht einer situativen Abwägung
weder der Verfassungs- oder Verwaltungsgerichtsbarkeit noch einer ins Recht integrierten
Ethikkommission ausgeliefert werden sollten (vgl. Maus 1992, S. 314ff.).
Akzeptiert man den Befund, dass die Moderne in ihren technischen Möglichkeiten sowie
sozialen Entwicklungen unbeabsichtigte Nebenfolgen respektive unkalkulierbare Risiken
in sich birgt, wird verständlich, weshalb damit eine „Neubestimmung sozialer Zeitper-
spektiven“ (Hiller 1999, S. 29) einhergeht: Gegenwärtiges Entscheiden verweist auf zu-
künftige Zeithorizonte und damit möglicherweise negativ bewertete Entscheidungsfolgen
(ebd.).
Nimmt man eine Ontologie des Notfalls an, müssen Entscheidungen unter anderen
Imperativen getroffen werden als unter politischen, oder, genauer: demokratietheoreti-
schen. Während letztere, um die kollektive Bindung zu gewährleisten, eine Vielzahl von
prüfenden Verfahren vorsehen, verlangen erstere gemeinhin schneller und zeitnaher Ent-
scheidungen. Die Theorien der Resilienz nähern sich in diesem Aspekt der ökonomischen
Rationalität an.6 Auch die ökonomische Effizienz strebt nach der Nullzeit: „Zeit ist Geld“
(Benjamin Franklin). Dieser Bezug auf die Jetztzeit ist es, welcher auch eine spezifische
Differenz zwischen Resilienz und Risikomodellen markiert. Während letztere versuchen,
ex ante, also im Voraus Unsicherheiten zu bearbeiten, versuchen erstere eine Transforma-
6 Eine generelle und strukturelle Nähe des ökologischen Konzepts der Resilienz zum Neoliberalis-
mus wurde etwa von Walker und Cooper gesehen (2011); wenngleich es in diesem Zusammenhang
richtiger wäre vom Ordoliberalismus zu sprechen.
Kritische Resilienzforschung als Beobachtung … 69
tionsleistung ex post facto zu verlangen. Unter diesem Gesichtspunkt ist jedoch das Vor-
sorgeprinzip zur Genese von Wissen darüber, ob und inwiefern bestimmte Chemikalien
kollektive Grundrechte affizieren oder nicht, nicht praktikabel (Scheringer 2004, S. 75f.):
Langzeitstudien tragen ihre Untauglichkeit bereits im Begriff. Eine Grundrechtskontrolle
jedoch, die erst erfolgt, wenn bestimmte Grundrechtsverletzungen geschehen oder gar ir-
reversibel sind, verfehlt ihren Zweck (May und Preuß 2016, S. 15).
Auf der Seite der Umwelt des Rechts können nach dem bereits Dargelegten drei Dimen-
sionen von Unbestimmbarkeiten unterschieden werden, auf die das Recht reagiert: eine
zeitliche, eine sachliche und eine soziale. Risiken liegen per definitionem in der Zukunft
(Zeitdimension): Unerwartete Nebenfolgen, disruptive Ereignisse oder systembedrohende
Krisen werden als Möglichkeiten, als noch-nicht-Eingetretenes aus der Perspektive des
Rechts in den Blick genommen. Diese werden vor bestimmten Wissens- oder vielmehr
Nichtwissensbeständen diagnostiziert (Sachdimension). Dabei unterscheiden sich diese
(Nicht-)Wissensbestände je nach ihrer Situierung in unterschiedlichen, bisweilen mitein-
ander in Konflikt tretenden sozialen Sphären, Institutionen oder Organisationen (Sozial-
dimension).
Um also Möglichkeiten offen zu halten, wird Unbestimmtheit selbst in die Normen
integriert. Dabei handelt es sich tendenziell um einen Umbau des Rechts von einem ver-
gangenheitsbezogenen Konditionalprogramm zu einem zukunftsbezogenen Zweckpro-
gramm. Das Gelingen rechtlicher Kommunikation bemisst sich im letzteren Fall im Ge-
gensatz zum ersteren nicht an der formal richtigen Anwendung einer Rechtsnorm, sondern
in der Bewältigung respektive der Abwehr möglicher Krisenerscheinungen. Dabei können
vier Aspekte des Formwandels idealtypisch bestimmt werden.
3.3.1 Informalisierung
Formales Recht zeichnet sich in der Regel durch folgende Merkmale aus: Es liegt materi-
aliter, in schriftlicher Form positiviert vor. Darin definiert es hinreichend die Merkmale
eines unter das Recht zu subsumierenden Tatbestandes. Im Rechtsprozess finden schließ-
lich primär die eindeutigen generellen Tatbestandsmerkmale Betrachtung (Weber 1972,
S. 396). Gegenläufige Tendenzen werden demgegenüber als Informalisierung charakteri-
siert. Von einer solchen Informalisierung kann gesprochen werden, wenn sich der Spiel-
raum des Ermessens und der Entscheidung der Akteure bezüglich der Auslegung sowohl
des Inhalts einer Norm als auch ihrer Verbindlichkeit vergrößert (May und Preuß 2016,
S. 10). Freilich können nicht alle Facetten eines singulären empirischen Tatbestandes nor-
miert werden. Erst durch einen Grad an begrifflicher Abstraktion ist es am Anfang mög-
lich, eine Vielzahl von Fällen unter eine Norm zu subsumieren. Das heißt aber zugleich,
dass ein Umfang an Unbestimmtheit notwendig in das Recht eingelassen ist. Was wir also
70 Roman Thurn, Stefan May und Stefan Böschen
als Informalisierung beschreiben wollen, ist nicht der Einbau von Unbestimmtheit ins
Recht sowie dessen Verfahren per se, sondern eine vermehrte Tendenz zur Integration
von Unbestimmtheit als eines Ermessens- und Entscheidungsspielraums in Reaktion auf
soziale und technische Risiken.
Das Risikohandeln ist „vielfach für sich genommen ethisch neutral und wird gerade nur
durch die Kumulation mehrerer Handlungen auch zu einem moralischen Problem. Ein
Auto zu fahren, ist eben unschädlich“ (Ladeur 1991, S. 245). Die Bipolarität des Rechts-
verhältnisses zwischen dem Einzelnen und dem Staat weicht entsprechend multipolaren,
mithin ethisch konnotierten Verpflichtungen der Einzelnen gegenüber möglichen Drittbe-
troffenen (Frankenberg 2008, S. 121f.). Um dies zu bewältigen, werden vielfach ethische
und moralische Begriffe in das Recht integriert. Die Gerechtigkeit als moralische Kate-
gorie besitzt einen absoluten Geltungsanspruch: Sie soll überall und für jeden verwirklicht
werden (vgl. Kelsen 2008, S. 13f.). Eine räumlich oder zeitlich limitierte Moral ist nicht
vorstellbar – es sei denn, diese Limitierung selbst begründet sich durch absolut geltende
moralische Sätze. Recht und Moral sind also in dieser Hinsicht homolog. Aufgrund ihres
kollektiv bindenden Geltungscharakters scheint die Übersetzung moralischer in rechtli-
che Normen unproblematisch zu sein. Dies zeigt sich bspw. in der Selbstverständlichkeit,
mit welcher das Bundesverfassungsgericht in bestimmten Entscheidungen auf die freiheit-
lich demokratische Grundordnung (FDGO) Bezug nimmt (vgl. BVerfGE 39, S. 334, 366).
Hierbei wird auf eine Verfassungssubstanz rekurriert, für die eine „existentielle Wertent-
scheidung“ (Preuß 1973, S. 23) getroffen wird. Begründungen dieser Art sind insofern
durch eine Unbestimmtheit gekennzeichnet, als sie sich nicht auf explizite Verfahren der
Rechtsetzung zurückführen lassen, sondern sich durch dezidierte Werturteile legitimie-
ren. Dabei sind die moralischen Normen, im Gegensatz zu formal rechtlichen, tendenziell
unterdeterminiert und eröffnen so einen weit größeren Entscheidungsspielraum (nicht nur)
für die Judikative (vgl. ebd., S. 17ff.).
Insofern als sich die Moral auf zu erwerbende oder realisierende Güter richtet, eignet
ihnen ein teleologischer Geltungsanspruch – im Gegensatz zum deontologischen Gel-
tungsanspruch des Rechts. Ob und inwiefern Handlungen moralisch legitim sind oder
nicht, entscheidet sich hinsichtlich ihrer Zielsetzungen, ihrer Folgen und Nebenfolgen.7
Sie sind damit zukunftsbezogen und unterscheiden sich damit grundsätzlich vom Kon-
ditionalprogramm des Rechts. Daher ist die Ethik, auch als Profession nicht in der Lage
eineindeutige Antworten auf Zweifelsfragen oder gar dilemmatische Problemstellungen
moralischer Art zu geben (Poscher 2013, S. 437). Eine wissenschaftlich fundierte Privi-
legierung der einen oder anderen Position kann von der Ethik nicht geleistet werden. Sie
7 Da für unsere Zwecke sichtbare Handlungen entscheidend sind, geben wir hier aus theoriestrategi-
schen Gründen utilitaristischen Paradigmen der Moralphilosophie den eindeutigen Vorzug gegen-
über solchen, die psychische Motivationslagen in Betracht ziehen.
Kritische Resilienzforschung als Beobachtung … 71
bietet allenfalls Kriterien, nach denen die Vertretbarkeit – nicht aber die Richtigkeit – von
Positionen beurteilt werden kann. Auch prozeduralisierte Ethiken können einen normati-
ven Dissens nicht hinreichend lösen, ohne sich dabei der Gefahr eines infiniten Regresses
auszusetzen (Hinsch 2013, S. 38).
Eine ähnliche Anfrage wird vonseiten des Gesetzgebers an die Wissenschaft gestellt.
Während ihr bislang die Produktion von Wissen anhand experimenteller Hypothesen-
prüfung zugerechnet wurde, ist diese nun zunehmend gezwungen, einen produktiven Um-
gang mit Nichtwissen finden zu müssen. So heißt es bisweilen in den entsprechenden Ge-
setzen, dass nach Stand von Wissenschaft und Technik zu entscheiden sei:8 Wissenschaft
und Technik setzen also den Maßstab, nach welchem eine bestimmte Praxis legal bzw. ein
bestimmtes Risiko Einzelnen oder der Allgemeinheit zumutbar sei. Die Generalklausel
suggeriert, dass die Folgen und Nebenfolgen wenn nicht eineindeutig bestimmbar, so doch
wenigstens durch die Wissenschaft abschätzbar seien. Die Annahme einer auf hartem
Faktenwissen basierenden Wissenschaft, deren Ergebnisse zuverlässige Prognosen ermög-
lichen, ist allerdings problematisch. Die Geltung von Hypothesen respektive ihrer Basis-
sätze beruhte weit weniger auf einer experimentellen Verifikation als auf einer vorläufigen
praktischen Bewährung; einer noch nicht erfolgten Falsifikation (Popper 1969, S. 105f.).
Dabei zeichnet sie sich durch Typus von Rationalität aus, der versucht hinsichtlich der
Abstraktion dem Ideal der Mathematik möglichst nahe zu kommen. Die sinnlich-körper-
liche Erfahrung, welche Geltungsgrundlage auch abstrakt rationaler Wissensformen ist
(vgl. grundlegend Merleau-Ponty 1974; Husserl 2012), wird dabei jedoch verdrängt (Böhle
et al. 2001). Das bedeutet praktisch, dass die Prüfung von Hypothesen möglichst unter
Ausschluss sozialer (vermeintlicher) Störfaktoren, nämlich im Labor, vorgenommen wird.
Dabei ist höchst fraglich, ob und inwiefern diese Bereinigung der Wissenschaften im All-
gemeinen und der Naturwissenschaften im Besonderen nicht nur zweckdienlich, sondern
überhaupt möglich ist (Knorr-Cetina 1988). Als Ziel naturwissenschaftlicher Forschung
kann somit, allerdings mit einiger Vorsicht, viel eher eine schrittweise Erweiterung von
„Wissensinseln“ (Scheringer 2004, S. 73) postuliert werden, als die Annäherung an ein
lückenloses mathematisches Ideal, innerhalb dessen Sätze lückenlos aneinander anschlie-
ßen. Selbst wenn jedoch die (Natur-)Wissenschaften in der Lage wären, eindeutige und
treffsichere Gefahrenprognosen zu erstellen, läge im Falle der Wissenschaft eine Ver-
wechslung von Sein und Sollen vor: Welche Risiken die Gesellschaft tragen möchte und
welchen sie präventiv durch Verbote vorkommen möchte, ist kontingent und deshalb eine
Frage politischer Aushandlungen und Entscheidungen.9
8 Vgl. bspw. AMG § 40 Abs. 2a.: „Die klinische Prüfung eines Arzneimittels darf bei Menschen
nur durchgeführt werden, wenn und solange nach dem Stand der Wissenschaft im Verhältnis zum
Zweck der klinischen Prüfung eines Arzneimittels, […] unvertretbare schädliche Auswirkungen auf
a) die Gesundheit Dritter und b) die Umwelt nicht zu erwarten sind“.
9 In Bayern zeigte sich dies vor wenigen Jahren recht anschaulich in der Debatte über das Rauchver-
bot in Bars und Gaststätten. Unzählige Debatten wie die über die Legalisierung von Marihuana, das
Tempolimit auf Autobahnen oder Sicherheitsverwahrung von potentiellen Straftätern können hier
ebenfalls angeführt werden.
72 Roman Thurn, Stefan May und Stefan Böschen
3.3.3 Prozeduralisierung
Die bisher angestellten Überlegungen zum Formwandel des Rechts sollten zeigen, dass
dieses durch die Integration von Unbestimmtheit seine grundlegende Funktionsweise
verändert: Indem vergangenheitsorientierte Konditionalprogramme durch zukunftsorien-
tierte Zweckprogramme ersetzt werden, wird einzelnen Akteuren ein zunächst größerer
Handlungsspielraum auf Kosten der Stabilität von Erwartungen eröffnet. Wir sind der
Ansicht, dass diese Entwicklungen mit den deskriptiven und normativen Befunden der
Resilienzforschung korrespondieren.
10 Der Umstand, dass Expertengremien auf einen Parlamentsbeschluss hin zustande kommen, scheint
uns keine hinreichende Übersetzung parlamentarischer Legitimität zu sein. Wäre dem so, könnte
das Parlament beliebig Kompetenzen auf andere Institutionen verlagern und outsourcen; sich also
selbst abschaffen.
74 Roman Thurn, Stefan May und Stefan Böschen
Soziale Institutionen wie die Wissenschaft, das Recht, die Ökonomie ebenso wie Ein-
zelpersonen sind angesichts eines Risikodiskurses gezwungen, sich vom Paradigma der
Kontrolle sowie einer top-down-Steuerung bzw. -Programmierung zu lösen. Im sozial-
wissenschaftlichen Kontext ist der Begriff der Resilienz eine Reaktion auf diese paradig-
matische Transformation. Unter ihm wird dabei die Widerständigkeit sozialer Tatbestände
gegenüber disruptiven Ereignissen verstanden; also gegenüber allen Irritationen sozialer
Tatbestände, welche die autopoietische Reproduktion sozialer Eigenlogiken unterbrechen.
„Es geht also um Nebenfolgen zweiter Ordnung, die gesellschaftliche Institutionen von
innen her in Frage stellen“ (Beck et al. 2001, S. 32, Hervorh. d. Verf.). Insofern als Risiken
und Risikofolgen nicht ohne weiteres abschätzbar sind, sind jene Institutionen vermehrt
auf einen produktiven Umgang mit Nichtwissen angewiesen. Resiliente Systeme wären
demnach solche, die eine Krise nicht nur überstehen, sondern durch eine Anpassung oder
Transformation ihre eigene Funktionslogik stärken. Wir wollen dies gegen den Resilienz-
diskurs, jedoch mit dessen eigener Begrifflichkeit darstellen.
Resilienz meint weniger ein Nicht-affiziert-Werden der jeweiligen Institutionen von dis-
ruptiven Ereignissen. Vielmehr soll darunter eine bisweilen spontane Reorganisation der
Elemente sozialer Tatsachen verstanden werden, die nicht durch externe Kontrolle oder
Steuerung, sondern aus einer systemimmanenten Dynamik heraus angeleitet wird. Im
Diskurs der Resilienz wird davon ausgegangen, dass Unsicherheit und Ungewissheit nicht
zu eliminierende Faktoren sind. Daher wird in der theoretischen Reflexion die Idee von
einer kontrollierbaren Umwelt ebenso wie einer externen Steuerung sozialer Systeme ver-
abschiedet – was im Einzelnen, wie eingangs erwähnt, bis hin zu einer Ontologisierung
sozial produzierter Problemlagen gehen kann. Statt der Kontrolle des Unerwarteten ist
also die preparedness, das Vorbereitet-Sein oder Gewappnet-Sein, von zentralem Stellen-
wert.
Innerhalb dieser preparedness werden gemeinhin vonseiten der Resilienztheorien drei
verschiedene Umgangsweisen mit katastrophischen, disruptiven Ereignissen differenziert
und heuristisch getrennt: Erstens werden Bewältigungspotentiale (coping capacities)
identifiziert, welche kurzfristig auf Irritationen zu reagieren in der Lage sind, ohne dass
darauf eine Strukturanpassung oder -veränderung erfolgen würde. Demgegenüber wer-
den unter Anpassungspotentialen (adaptive capacities) Möglichkeiten bzw. Praxen ver-
standen, unter welchen die Strukturen an neue Umweltbedingungen angepasst werden.
Dies vollzieht sich jedoch innerhalb eines bestimmten Rahmens, bei welchem wesentliche
Strukturmerkmale erhalten bleiben. Daher ist der Übergang zur dritten Form resilienter
Potentiale, den Transformationspotentialen (transformative capacities) fließend. Diese
bezeichnen langfristige Veränderungen wesentlicher Operationsweisen des betrachteten
Gegenstands in Reaktion auf Umweltirritationen, sodass dessen Einheit und operative Ge-
schlossenheit trotz dessen erhalten bleiben (vgl. Blum et al. 2016, S. 170).
Kritische Resilienzforschung als Beobachtung … 75
Die Transformation sozialer Systeme lässt sich damit als ein adaptiver Zyklus (adaptive
cycle) beschreiben (Gunderson und Holling 2002, S. 5ff.). Dieser Zyklus setzt sich we-
sentlich aus zwei Bewegungen zusammen: Zunächst akkumuliert ein System Kapital und
Ressourcen, über welche es sich reproduziert. Im Recht besteht dieses Kapital etwa in Prä-
judizien, Gesetzesnormen oder – kommentaren. Indem dieses Kapital konserviert wird,
vergrößert sich die systemimmanente Komplexität: Innerhalb desselben differenzieren
sich verschachtelte Hierarchien (nested hierarchies) aus. So können auf niedrigerer Ebe-
ne Transformationsleistungen vollzogen werden, ohne dass diese die systemische Einheit
affizieren würden. Hierarchien lassen sich hinsichtlich ihrer Arbeitsgeschwindigkeit und
ihrer Möglichkeiten, Operations – und Handlungsweisen zu strukturieren unterscheiden.
Während das Recht die operativen Anschlüsse zunächst limitiert (und damit gleichzeitig
neue Anschlussmöglichkeiten eröffnet), irritieren die einzelnen Handlungen beispielswei-
se von Verwaltungsbeamten das Baurecht in geringerem Maß. Während die Entschei-
dungsträger jedoch wesentlich schneller, eben ad hoc in der Lage sind Entscheidungen
zu treffen, bedarf es im Recht erst eines Durchlaufens bestimmter Verfahren, ehe eine
Transformation stattfindet.
Die zweite Bewegung des Zyklus setzt hingegen mit einem disruptiven Ereignis ein.
Dieses (zer)stört die Organisation eines resilienten Systems allerdings nicht in toto, sodass
es in der Lage ist, sich unter neuen Voraussetzungen bzw. mithilfe veränderter Zusam-
mensetzungen zu reproduzieren. Eine solche Transformation beobachten wir im Recht an
der Integration verschiedener Momente von Unbestimmtheit in die juristische Praxis: Die
Anwendung materialen Rechts weicht zugunsten risikopolitischer Entscheidungen.
Die Wissenschaft beispielsweise, auf welche das Gesetz mitunter baut, operiert im
Rahmen von Annäherungen und vorläufigem Wissen. Sie ist daher keineswegs in der Lage
diese Lücke vollständig zu schließen. Auch können Grundrechtskollisionen in einem wis-
senschaftlichen Setting nicht abschließend bewertet oder entschieden werden. Die Prob-
lemlagen sind so geartet, dass sich aus ihnen selbst mit Expertenwissen keine eindeutigen
Handlungsaufträge mehr ableiten lassen: Der Mediziner muss selbst bisweilen als ‚Pri-
vatmann in Weiß‘ agieren (Bogner 2005, S. 167) und damit auf informelle, persönliche
Wissensbestände zurückgreifen. Auch wenn die Wissenschaft, ebenso wie die Ethik, Ent-
scheidungskriterien bereitstellen können, bedürfen sie einer Letztbegründung.
Das Recht gefährdet seine eigene Rationalität, wenn Wissenschaft und Ethik zur allei-
nigen Grundlage juristischer Entscheidungen gemacht und diesen Genehmigungsfunktio-
nen und Entscheidungsbefugnisse übertragen werden: Zunächst wird die Öffentlichkeit
des Verfahrens als Quelle von Erwartungssicherheit umgangen. Indem des Weiteren Ent-
scheidungsprozesse als Einzelfallentscheidungen prozessiert werden, die in deliberativen
Verfahren zustande kommen, entziehen sich diese einer Positivierung durch den Gesetz-
geber. Damit verliert das Recht zusehends seine Fähigkeit, bereits getroffene Entschei-
dungen zu archivieren und als zukünftiges Handeln limitierendes Wissen zu positivieren:
Einzelfallentscheidungen unterlaufen per se den transsubjektiven Charakter des Rechts,
indem sie weitere Anschlüsse von vornherein ausschließen. Was als Transformationspo-
tential des Rechts erscheint, lässt sich also unter risikopolitischen Gesichtspunkten als ein
Selbstdestruktionspotential dechiffrieren.
Demgegenüber wäre der limitierende Faktor des Rechts stark zu machen: Erst vor dem
Hintergrund eines hohen Grades an Bestimmtheit von Normen erschließen sich neue
Handlungsoptionen, die die Operationslogiken differenzierter sozialer Sphären je berück-
sichtigen. Das Recht muss damit als eine „textlich koordinierte Praxis des Urteilens“ (La-
deur 2016, S. 284) begriffen werden, um dessen Doppelcharakter als Limitierung sowie
Multiplikator von Handlungsoptionen gerecht zu werden. Erst durch Selektion und damit
Limitierung von legalen Praxen eröffnen sich neue Handlungsoptionen bzw. steigert sich
Komplexität (Hiller 1993, S. 37).
Die Unbestimmtheit von Normen und Regeln eröffnet den jeweiligen Verwaltungen
einen exekutiven Handlungsspielraum, was deren Anwendung auf konkrete Fälle be-
trifft. Dieser Spielraum ist jedoch seinerseits limitiert durch die Kontrolle der Legislative
und Judikative sowie rechtlicher (Sekundär-)Normen: Normen höherer Stufe ebenso wie
Rechtsprinzipien schreiben dabei vor, wie aus ihnen abgeleitete Normen je anzuwenden
seien. Es handelt sich dabei also um einen je zu füllenden Rahmen (Kelsen 2008, S. 90f.).
Die Rahmen können ihrerseits nur durch öffentliche und politisch deliberative Verfah-
ren bestimmt werden, sofern sie nicht der Gefahr eines Legitimitätsdefizits unter demo-
kratietheoretischen Gesichtspunkten ausgesetzt sein sollen. Zugleich wird durch diesen
Kritische Resilienzforschung als Beobachtung … 77
ein Ermächtigungsspielraum geschaffen, innerhalb dessen die Behörden ‚nach Stand von
Wissenschaft‘ und Technik zu entscheiden in der Lage sind. Je enger der Rahmen gefasst
wird, desto weniger stehen diese Verfahren mit demokratischen Verfahren zur Erzeugung
von Legitimität in Konflikt oder Widerspruch. Ein zu eng gefasster Rahmen, das heißt
eine rechtliche Überdeterminierung von Ethik und Wissenschaft würde jedoch die Mög-
lichkeiten eines Lernens freilich unterlaufen. Eine zu weite oder gar maximale Öffnung
jedoch, vermittels Generalklauseln oder Abwägungsgeboten, verhindert ebenso eine re-
organisation von Wissen im Sinne eines adaptiven Zyklus.
Um also auf der einen Seite die Lernfähigkeit des Rechts und als dessen Bedingung die
Selbstständigkeit juridischer Selektionsleistungen zu gewährleisten, und auf der anderen
Seite einen Input von Seiten der Wissenschaft oder der Moral in das Recht zu ermög-
lichen, bedarf es einer Öffnung rechtlicher Institutionen. Wissenssoziologische Studien
konnten dies am Beispiel der (Natur-)Wissenschaften zeigen (Böschen et al. 2004, S. 110):
Diese bedürfen einer hinreichenden Öffnung für Irritationen. Erst durch eine Öffnung
wissenschaftlicher Institutionen kann eine Auseinandersetzung über, mitunter einander
widersprechende Wissensperspektiven, geführt werden. Durch die wechselseitige Beob-
achtung risikopolitisch relevanter Akteure in einer institutionalisierten Form erlangen die
deliberativen Verfahren ihrerseits eine demokratische Legitimität, da riskante Inhalte in
der Horizontalen – und nicht top-down – evaluiert werden. Ein Beispiel hierfür liefert
etwa die trial registration11 im Bereich der klinischen Studien (Hensel und Teubner 2014,
S. 166f.). Durch die Institutionalisierung dieses öffentlichen Verfahrens im Bereich der
Medizin wird die Eigenständigkeit der Selektionsmechanismen gewährleistet: Durch die
gegenseitige Beobachtung der risikopolitisch relevanten Akteure und die Offenheit wi-
derstreitender Positionen werden nicht nur die Bereiche des geteilten Wissensbestandes,
sondern auch des Nichtwissens offengelegt, während politische oder ökonomische Irrita-
tionen der Wissenschaft unwahrscheinlicher werden.
Nichtwissen lässt sich auch für das Recht produktiv prozessieren, indem wissenschaft-
liche Institutionen innerhalb eines demokratisch legitimierten Rahmens vermittels delibe-
rativer Verfahren das Rechtssystem mit risikopolitisch relevantem Wissen füttern. Dies gilt
etwa für die European Chemicals Agency (ECHA). Die Verwaltung der Wissensprozess-
ordnung wird dabei vermittels registration sheets mit Wissen versorgt. Diese stellen die
Unternehmen der Agentur der Europäischen Union zur Verfügung, ohne dass diese pri-
vaten und wissenschaftlichen Organisationen dabei auch Entscheidungsbefugnisse haben
(vgl. Führ 2014; Böschen 2014). Am Recht läge es also, derartige Verfahren zu rahmen und
damit zu schützen, ohne dass damit wissenschaftliche oder ethische Codes rechtliche Bin-
dungskraft entfalten würden. Dadurch lässt sich das Nichtwissen juridischer Institutionen
für die Beurteilung empirischer Sachverhalte kompensieren. Da es sich jedoch bei wissen-
schaftlichem Wissen stets um ein vorläufiges – unter dem Vorbehalt potentieller Falsifika-
tion stehendes Wissen handelt, ist dieses seinerseits prekär: Langfristige Folgen technischer
Entwicklungen lassen sich oft nur abschätzen, jedoch nicht hinreichend bestimmen.
11 Hierbei handelt es sich um die Eintragung klinischer Studien zu Medikamenten in einem öffentlich
zugänglichen Klinischen Versuchsregister, samt positiver wie negativer Ergebnisse.
78 Roman Thurn, Stefan May und Stefan Böschen
6 Fazit
Damit das Recht also auf die gesteigerten Risiken im Sinne eines Adaptions- oder Trans-
formationspotentials adäquat reagieren kann, ist eine sich an Prinzipien orientierende,
durch politische Verfahren hindurch prozessierte möglichst bestimmte Normsetzung er-
forderlich. Um eine solche in Hinblick auf technische, ökonomische und privative kollek-
tiv-institutionelle Grundrechte praktikabel zu halten, bedarf diese Normsetzung ihrerseits
eines Inputs aus der Umwelt – etwa aus der Wissenschaft, Ethikkommissionen oder öf-
fentlichen Debatten.
Eine im Bereich des Rechts sich vollziehende Abwägung von Grundrechten nach dem
Prinzip der Konkordanz ebenso wie ein reflexives Lernen (Böschen et al. 2004) der Insti-
tutionen können dadurch eher gesichert werden, als durch eine Abgabe von Entscheidungs-
befugnissen an nicht-öffentliche Institutionen. Die darauf folgende Normsetzung dient
im weiteren Verlauf als Rahmen (nicht-)wissensbasierter Entscheidungen. Vermittels des
rechtlichen Rahmens wird einerseits die Verwaltung von zu hoher Komplexität entlastet,
während gleichzeitig die Limitierung des Entscheidungsspielraums Erwartungssicherheit
generiert und damit neue Handlungsoptionen erschließt (Elster 1972; Brodocz 2009).12
Es handelt sich hierbei also um eine doppelte Selbstbeschränkung: einerseits hinsicht-
lich der für die Verwaltung relevanten und zu beobachtenden Ereignisse und andererseits
hinsichtlich der Möglichkeiten auf diese zu reagieren. Statt einer staatlichen Gestaltungs-
verantwortung instituiert sich durch die Rückbindung an die Öffentlichkeit eine durch
horizontale strukturelle Kopplungen gesteuerte Selbststeuerung. Juridische Erwartungen
stabilisieren sich nicht (allein) durch das Gewaltmonopol des Staates, sondern dadurch,
dass die Normen hinlänglich bekannt sind und, insbesondere qua lebensweltlicher Veran-
kerung, als legitim erscheinen. So kann ich als Einzelner erwarten, dass andere sich an be-
stimmte Normen halten und dies umgekehrt auch von mir erwarten. Die Implementierung
selektiver Steuerungen aus je anderen sozialen Sphären, oder gar das freie Flottieren mo-
ralisch konnotierter leerer Signifikanten in deliberativen Verfahren können kollektiv-insti-
tutionelle Grundrechtsgüter weit weniger effizient schützen. Solange ein Input aus rechts-
fremden Systemen gewährleistet ist, bestehen größere Chancen, dass der Rigiditätsfalle
(Gunderson und Holling 2002) ausgewichen wird. Im Sinne eines adaptive cycle können
Informationen akkumuliert und im Recht prozessiert werden, ohne dass dabei bestehen-
de Hierarchisierungen der Medien (Wahrheit in der Wissenschaft, Legalität im Recht)
unterminiert würden. Ginge es also um eine Beschreibung von Resilienzpotentialen im
Recht, so müsste diese auf die nested hierarchies und die funktionale Differenzierung des
Rechts abstellen. Diese Potentiale sind denjenigen Transformationsleistungen diametral
entgegengesetzt, die innerhalb des Resilienzdiskurses angefragt werden.
12 Analog wäre die Funktion von Verfassungen zu bestimmen. Diese erschöpfen sich nicht in der Be-
schränkung des souveränen Zugriffs auf die Bürger und deren Eigentum vermittels des Zugeständ-
nisses von Grundrechten als Abwehrrechte, sondern eröffnen dadurch neue Optionen und höhere
Stufen von Komplexität.
Kritische Resilienzforschung als Beobachtung … 79
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Der Begriff der Resilienz in der Humangeographie1
Zusammenfassung
Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich mit den verschiedenen Verwendungen von
Resilienz in der Humangeographie. Es finden sich hierbei Bezüge zur sozial-ökolo-
gischen, sozialen sowie ökonomischen Resilienz, wobei jede Konzeptualisierung auf
unterschiedlichen theoretisch-konzeptionellen Überlegungen, methodischen Ansätzen
und Erkenntniszielen beruht. Wir rücken in diesem Beitrag das Konzept der sozialen
Resilienz, welches in der Geographischen Entwicklungsforschung ganz neu behan-
delt wird, sowie das in der Wirtschaftsgeographie neu verhandelte Konzept der re-
gionalen (ökonomischen) Resilienz in den Mittelpunkt. Interessant sind diese beiden
Forschungsfelder und die hierin verorteten Konzeptualisierungen von Resilienz inso-
fern, als dass sie exemplarisch für die Verschiebung eines in der Ökologie verankerten
Konzepts in die sozial- und wirtschaftsorientierte Forschung stehen. Die damit einher-
gehenden Bedeutungs- und Perspektivverschiebungen werden in diesem Beitrag dar-
gestellt. Diese zu verstehen und voneinander abzugrenzen ist wichtig, um potentiellen
Kommunikationsproblemen zwischen den verschiedenen Forschungsfeldern, aber auch
zwischen Forschung und Politik vorzubeugen.
1 Danksagung Wir danken Anne von Streit, Maria Karidi und Birgit Kemmerling für hilfreiche Hin-
weise und Kommentare.
83
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2018
M. Karidi et al. (Hrsg.), Resilienz,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-19222-8_5
84 Amra Bobar und Gordon Winder
1 Einleitung
2 Die Beziehung von Vulnerabilität und Resilienz wird in der Literatur verschieden diskutiert (vgl.
Weichselgartner und Kelman 2014). Vulnerabilität ist ein etabliertes Konzept in der Humangeogra-
phie. Vulnerabilität oder Verwundbarkeit bezeichnet das Ausmaß der Anfälligkeit von Menschen,
Einrichtungen oder Systemen gegenüber störenden Einwirkungen (Müller-Mahn und Verne 2014,
S. 98). Wir werden im nachfolgenden Unterkapitel noch darauf eingehen.
Der Begriff der Resilienz in der Humangeographie 85
mentalen Kritik, versuchen die entsprechenden Beiträge sich diesen Defiziten anzunähern
und Auswege zu skizzieren. In diesem Beitrag geht es um die akademische Verwendung
des Resilienzbegriffs sowie die bestehenden Konzeptualisierungen innerhalb der Human-
geographie. Wir wollen verstehen, wie sich die Verwendungen unterscheiden und welche
Probleme sich potentiell durch die Verwendung von Resilienz, eines in der Ökologie ver-
ankerten Konzepts, in der wirtschafts- und sozialorientierten Forschung ergeben. Dies
ist insofern interessant, als dass jede Disziplin – so auch die Humangeographie – durch
das eigene bestehende Instrumentarium an Ansätzen und Methoden unterschiedlich mit
fachfremden Konzepten umgeht und an diese herantritt und damit in der Forschung vor
spezifischen Herausforderungen steht. Unabhängig davon argumentieren wir, dass das
akademische Interesse am Resilienzkonzept in Zusammenhang mit dem politischen Resi-
lienzdiskurs gesehen werden muss: Öffentliche Forschungsgelder3 signalisieren das poli-
tische Interesse am Resilienzkonzept; gleichzeitig ist sozial- und wirtschaftsorientierte
Forschung häufig politikrelevant. Vor diesem Hintergrund ist es aber wichtig zu unter-
scheiden, zu was und aus welcher Perspektive sowie welchem Ansatz geforscht wird. Je
nach Forschungsfeld unterscheiden sich Verständnis und Anwendung von Resilienz, aber
auch Untersuchungsgegenstand und -maßstabsebene und somit auch potentielle Stärken
und Schwächen des Konzepts. Turner schreibt zum Vergleich und zur Abgrenzung der
beiden Forschungsfelder political ecology4 und resilience thinking (im Sinne der Ökologie
und sozial-ökologischer Forschung): „For resilience thinkers, the organizational scale of
inquiry is the system” (2014, S. 619). Für die Politische Ökologie ist jedoch das Politische
wichtig: Jede politisch-ökologische Analyse ist eine Mehrebenen-Analyse, die Akteure
und deren Interessen und sich ergebende Wechselwirkungen in den Fokus rückt. Wichtig
ist es dann aber bei der vielfachen Verwendung von Resilienz zu berücksichtigen, dass
trotz einer gemeinsamen Untersuchungsmaßstabsebene wie der des Systems auch das Ver-
ständnis von System sehr variieren kann. Das heißt, nicht nur Maßstab und Zeitlichkeit
sind wichtige Aspekte im Hinblick auf Resilienz, sondern auch die Unterschiedlichkeit
von Systemen, also differente Systemarten mit diversen Akteuren und Beziehungsgefü-
gen, die leicht zu Kommunikationsproblemen zwischen verschiedenen Verwendungsbe-
reichen von Resilienz führen können.
3 Das Bundesministerium für Bildung und Forschung – BMBF (2015) bezieht sich in seinem „Förder-
konzept für eine gesellschaftsbezogene Nachhaltigkeitsforschung 2015–2020“ auf die sozial-öko-
logische Forschung und benennt Resilienz als ein zentrales Konzept. Das BMBF (2013) hat aber
auch im Rahmen der Forschung für zivile Sicherheit bereits Projekte mit Hinblick auf Resilienz
gefördert.
4 Die Politische Ökologie ist ein Forschungsfeld an der Schnittstelle von Geographie, Ethnologie
und Politikwissenschaft und beschäftigt sich mit Umweltveränderungen im Kontext politischer, ge-
sellschaftlicher und historischer Prozesse und Faktoren. „Durch die Perspektive der Politischen
Ökologie rücken Fragen nach den strukturellen Rahmenbedingungen, der Rolle von Akteuren auf
verschiedenen Handlungsebenen, nach Macht und Handlungsspielräumen, Armut und Verwund-
barkeit im Kontext einer politisierten Umwelt in den Mittelpunkt des Interesses.“ (Mattissek und
Sakdapolrak 2016, S. 20).
86 Amra Bobar und Gordon Winder
Der vorliegende Beitrag widmet sich der Verwendung von Resilienz in verschiedenen
Forschungsfeldern der Humangeographie und geht der Frage nach, wie Resilienz verstan-
den und wie es in Anlehnung an bestehende Ansätze angepasst wird. Hierfür wird ins-
besondere Literatur aus der geographischen Entwicklungsforschung und der Wirtschafts-
geographie ausgewertet. Innerhalb letzterer wird Resilienz erst in jüngster Zeit und noch
sehr reserviert behandelt, im Gegensatz zur geographischen Entwicklungsforschung, wo
der Begriff der Resilienz als vermeintlicher Gegenpart von Verwundbarkeit/Vulnerabili-
tät bereits bekannt ist. Darüber hinaus wurde Resilienz in den letzten Jahren zunehmend
als eigenständiges Konzept in die geographische Entwicklungsforschung aufgenommen
und kritisch debattiert. Hierbei wird das Konzept der sozialen Resilienz ganz neu be-
handelt; einer etablierten Definition nähert man sich noch an (Gebhardt et al. 2011; Keck
und Sakdapolrak 2013). Interessant sind diese beiden Forschungsfelder insofern, als dass
sie exemplarisch für die Verschiebung eines in der Ökologie verankerten Konzepts in die
wirtschafts- und sozialorientierte Forschung stehen und eben auch mit damit zusammen-
hängenden Problemen.
Ziel der Arbeit ist es somit aufzuzeigen, dass das Rezipieren des Konzepts der ökolo-
gischen bzw. der sozial-ökologischen Resilienz in der wirtschafts- und sozialorientierten
geographischen Forschung aufgrund bestehender Forschungsfragen und Untersuchungs-
perspektiven zu veränderten Konzeptionen von Resilienz geführt hat, die gleichzeitig mit
Bedeutungs- und Perspektivverschiebungen einhergehen. Diese Verschiebungen deuten
auf potentielle Kommunikationsprobleme zwischen einzelnen Forschungsfeldern (auf-
grund verschiedener Konzeptualisierungen) sowie zwischen Forschung und Politik (auf-
grund divergierender Resilienzverständnisse). Uns interessiert insbesondere, wie das
Konzept der Resilienz in zwei Teilbereichen der Humangeographie, nämlich der Geo-
graphischen Entwicklungsforschung und der Wirtschaftsgeographie, rezipiert wird und in
welchem Kontext dies geschieht. Es scheint, zumindest lässt das der sowohl im Akademi-
schen als auch im Politischen erfolgreiche Resilienzdiskurs vermuten, dass der Begriff der
Resilienz und die ihm zugrundeliegende konzeptionelle Unschärfe einen Zugang zu poli-
tischen Arenen und Agenden zulässt, die vor allem (wirtschafts-)entwicklungspolitische
Themen, Klimawandelanpassung, Katastrophenvermeidung, Risiko und Nachhaltigkeit
abdecken. Dies sind Themen, mit denen sich die Humangeographie aus unterschiedlichen
theoretisch-konzeptionellen Perspektiven beschäftigt, und die sowohl gesellschaftspoliti-
sche Prozesse widerspiegeln als auch den Anspruch der Humangeographie, diese mitzu-
gestalten.
In der Humangeographie findet man Resilienz als einen Ansatz mittlerer Reichweite in der
Gesellschaft-Umwelt-Forschung, der sich nicht aus der Disziplin der Geographie heraus
entwickelte, sondern aus der Nachbardisziplin der Ökologie übernommen wurde (Freytag
Der Begriff der Resilienz in der Humangeographie 87
et al. 2016). Vor allem in der globalen Umweltforschung und der Hazardforschung5 wird
Resilienz als ein zentraler Ansatz gehandelt, der mögliche Antworten auf die Frage geben
kann, wie Menschen und Gesellschaften in sozial-ökologischen Systemen auf tiefgrei-
fende Veränderungen reagieren und im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung gestaltend
handeln/eingreifen können (vgl. Berkes et al. 2003). Dieses Verständnis von Resilienz als
Widerstands- und Anpassungsfähigkeit von gekoppelten Mensch-Umwelt-Systemen ist
eine Erweiterung des von Holling bereits in den 1970er Jahren erarbeiteten Resilienzkon-
zepts, welches die Persistenz von Ökosystemen und deren Fähigkeit, Veränderungen zu
absorbieren, betont (Holling 1973). Innerhalb der Humangeographie wurde dieser Ansatz
vor allem in der geographischen Entwicklungsforschung weiterentwickelt. Der Ansatz der
Resilienz wird – wie andere Ansätze auch – nicht exklusiv für die Analyse von Mensch-
Umwelt-Beziehungen genutzt, sondern auch in anderen Teilbereichen der wirtschafts- und
sozialorientierten Forschung. Das Verständnis von Resilienz sowie die eingenommene
Perspektive unterscheiden sich jedoch in diesen Subdisziplinen der Geographie. So wird
vor allem im Hinblick auf regionale ökonomische Entwicklung Resilienz als Konzept
in jüngster Zeit innerhalb der (regionalen) Wirtschaftsgeographie thematisiert (für einen
Überblick vgl. Strambach und Klement 2016). In der sozialwissenschaftlich orientierten
Geographischen Entwicklungsforschung ist es dagegen soziale Resilienz, die als Konzept
neu behandelt wird. Im Folgenden wird auf diese beiden Teildisziplinen und das jeweils
hierin verortete Verständnis von Resilienz eingegangen. Dabei wird aufgezeigt, dass sich
nicht nur das Verständnis von Resilienz, sondern insbesondere auch die betrachteten Sys-
teme bzw. die eingenommene Perspektive sowie die Beziehung von Resilienz und Nach-
haltigkeit unterscheiden.
5 Die Hazardforschung beschäftigt sich mit Naturgefahren und Naturrisiken und den speziellen
Wechselwirkungen im Mensch-Umwelt-System.
88 Amra Bobar und Gordon Winder
durch Arbeiten ergänzt, die sich „durch ihre kritische Distanz zu entwicklungspolitischen
Maßnahmen“ auszeichnen (ebd., S. 99). Andere wiederum plädieren für eine „geographi-
sche Forschung im Globalen Süden jenseits von Entwicklungsforschung“ (ebd., S. 102).
Obwohl es also „keine einheitliche GEF“ gibt (Deffner und Haferburg 2014, S. 8), orien-
tieren sich sowohl konzeptionelle als auch empirische Beiträge an aktuellen sozialwis-
senschaftlichen Trends und Theorien (Deffner et al. 2014). Resilienz scheint ein solcher
Trend zu sein. Obwohl sich der Begriff im deutschen Sprachgebrauch vor allem in der Ent-
wicklungspsychologie durchgesetzt hat (Bohle 2008), ist Resilienz heute auch vermehrt
in sozialwissenschaftlichen Arbeiten zu finden (siehe hierzu Endreß und Maurer 2015;
Wink 2016). In der Geographischen Entwicklungsforschung schließt sich das Konzept der
Resilienz an das Konzept der Verwundbarkeit an. Verwundbarkeit (oder Vulnerabilität)
bezeichnet das Ausmaß der Anfälligkeit von Menschen, Einrichtungen oder Systemen
gegenüber störenden Einwirkungen (Müller-Mahn und Verne 2014, S. 98). Vulnerabili-
tät ist ein etabliertes Konzept in der Entwicklungsforschung und rückt gesellschaftliche
Beziehungen und Prozesse als Einflussfaktoren in den Fokus. „Das neuere Konzept der
Resilienz betont zudem die Fähigkeit von Menschen, Gruppen oder sozial-ökologischen
Systemen, die Folgen externer Störungen zu bewältigen und danach weiter zu funktionie-
ren“ (ebd.). Obwohl die beiden Konzepte eine gewisse Ähnlichkeit aufweisen, beruhen
sie dennoch auf unterschiedlichen Annahmen. Wir widmen uns daher im Nachfolgenden
kurz der Beziehung von Resilienz und Verwundbarkeit und gehen dann auf das Kon-
zept der sozialen Resilienz ein, welches ganz neu in der geographischen Entwicklungs-
forschung behandelt wird. Soziale Resilienz ist ein akteursorientiertes Konzept, das die
unterschiedlichen Handlungsfähigkeiten verschiedener Akteure im Kontext von Politik
und Macht betrachtet. Diese Konzeptualisierung von Resilienz unterscheidet sich deut-
lich vom sozial-ökologischen Resilienzkonzept mit seinem Fokus auf Systementwicklung
und verdeutlicht die Bedeutungs- und Perspektivverschiebung durch die Rezeption in der
sozialwissenschaftlich orientierten Forschung.
In der wissenschaftlichen Literatur gibt es eine kritische Diskussion darüber, wie das Kon-
zept der Resilienz und das der Verwundbarkeit zueinanderstehen und ob es sich bei Ver-
wundbarkeit und Resilienz um zwei Seiten einer Medaille handelt (Gallopín 2006). Eine
gewisse Ähnlichkeit der beiden Konzepte darf aber nicht dazu führen, Vulnerabilität und
Resilienz zwangsläufig als Gegensatzpaar einzustufen. Dies verleitet zu einer Betrachtung
im Waage-Verhältnis, wo beispielsweise ein Mehr an Resilienz zu einem Weniger an Ver-
wundbarkeit führt, wie das in einigen Strategiepapieren aus dem Bereich der Entwick-
lungszusammenarbeit bzw. Armutsbekämpfung anklingt (Béné et al. 2012) oder teilweise
in der Literatur vorkommt (für Beispiele vgl. Weichselgartner und Kelman 2014, S. 252).
Im Vergleich zur sozialen Verwundbarkeit betont das Resilienzkonzept die Kopplung und
Interdependenz von sozialer und ökologischer Sphäre, die zusammenhängen und nicht un-
abhängig voneinander betrachtet werden können (Mattissek und Sakdapolrak 2016, S. 24).
Der Begriff der Resilienz in der Humangeographie 89
Soziale Verwundbarkeit fokussiert vor allem auf Mängel und Defizite, während die Resi-
lienzforschung die Stärkung von verwundbaren Akteuren und deren Kapazitäten in den
Mittelpunkt stellt. Béne und Kollegen (2012) widmen sich in einem IDS Working Paper
Resilienz aus der Perspektive eines Entwicklungs- und Armutsbekämpfungskontextes,
in welchem Akteuren und deren Handlungsmöglichkeiten eine zentrale Rolle zukommt.
Die Autoren erörtern neben den Schwächen und Stärken des Resilienzkonzepts auch die
Verbindung von Verwundbarkeit und Resilienz: die Bezeichnung „geschwisterlich“ mag
hier intuitiv aufkommen, deutet aber bereits Verbindungen und Unterschiede an (Béné
et al. 2012, S. 15). Die Autoren argumentieren, dass die Verbindung von Vulnerabilität
und Resilienz der Entwicklungspolitik und – praxis helfen kann, da beide nützliche (und
möglicherweise sich ergänzende) Konzepte und Techniken zu bieten haben und daher
die Verbindung bestenfalls als eine Art Bewegungsprozess – „to move from a state of
vulnerability to one of resilience“ – verstanden werden sollte, wobei dies nicht als Waage-
Verhältnis zu missverstehen ist (Béné et al. 2012, S. 15). Damit betonen die Autoren, dass
ein Konzept nicht zu Gunsten des anderen ignoriert werden sollte und dass Vulnerabilität
in jeglichem resilience Paradigma im Vordergrund stehen sollte (ebd.). So wäre einerseits
das Einbeziehen gesellschaftlicher Beziehungen und Prozesse wie beispielsweise Macht-
verhältnisse oder Partizipationschancen als Einflussfaktoren gesichert und würde anderer-
seits ergänzt durch die der Resilienz immanenten Systemperspektive und damit gegebener
Aspekte wie Rückkopplung, Kreuzkopplung oder Verbundenheit einzelner Systemkom-
ponenten. In dieser Hinsicht ist Resilienz eine zusätzliche Perspektive, mit der man mehr
Einflussfaktoren und Wechselwirkungen in Betracht ziehen kann. Da Béné et al. (2012)
aus einem Armutsbekämpfungs – und Sozialentwicklungskontext argumentieren, wo der
Mensch und die sozialen Verhältnisse im Vordergrund stehen, ist hier die soziale Resi-
lienz vordergründig.
Die Vorstellung von sozialer Resilienz ist für die Geographische Entwicklungsforschung
ein ganz neues Forschungsfeld, bei dem die adaptiven Kapazitäten von gesellschaftlichen
Akteuren auf allen Ebenen und die Bewältigung von Risiken bedingt durch tiefgreifende
Veränderungsprozesse im Mittelpunkt stehen (Bohle 2011, S. 759). Hier geht es folglich
nicht primär um ein System und dessen Evolution, sondern um Akteure, deren Interaktio-
nen sowie Handlungs- und Wirkmöglichkeiten. Als Beispiele für entsprechende Arbeiten
seien an dieser Stelle Keck et al. (2008) sowie Sakdapolrak (2011) genannt, die sich mit
Nahrungssystemen in Dhaka/Bangladesch bzw. mit Gesundheitssystemen in Chennai/
Indien beschäftigen. Da das Konzept der Resilienz auf einer Systemperspektive beruht,
bedarf es bei entsprechenden Untersuchungen eines Systems als Referenzpunkt. Obwohl
die beiden Arbeiten ein lokales Nahrungs- bzw. Gesundheitssystem abgrenzen und diesen
Referenzpunkt anführen, arbeiten sie dennoch mit dem Konzept der sozialen Resilienz,
bei der es vor allem um die Anpassungs- aber auch Transformationskapazitäten gesell-
schaftlicher Akteure auf allen Ebenen geht. Obrist et al. (2010, S. 283) beispielsweise
90 Amra Bobar und Gordon Winder
ten erfolgreich zu begegnen. Deutlich wird aber auch, dass jetzt Resilienz nicht mehr nur
beobachtet, sondern auch aufgebaut werden kann (Felli 2016). Diese Unterscheidung zeigt
darüber hinaus auch, dass Evaluierungen einzelner Praxisbeispiele oder auch Politiken
selten nach einem bestimmten Schema vollzogen werden können, da es wichtig sein wird,
genau zu untersuchen, welche und wessen Fähigkeiten oder Interventionen zu welchen
Auswirkungen auf wen führen können.
Analytisch, insbesondere im Hinblick auf Aspekte von Macht und Agency, macht es
einen deutlichen Unterschied, ob Resilienz nach einem Ereignis konstatiert und untersucht
wird, oder ob es im Vorfeld aufgebaut wird oder werden soll. Es macht einen Unterschied,
ob es ein selbst- oder fremdzugeschriebenes Ziel, eine Fähigkeit oder eine Voraussetzung
innerhalb bestimmter Einstellungen, Maßnahmen und Praktiken ist. In der Literatur wird
betont, dass soziale Resilienz nicht nur aus einer der drei genannten Kapazitäten bestehen
wird, sondern dass im Grunde alle drei Dimensionen in wahrscheinlich unterschiedlicher
Ausprägung vorzufinden sind, dessen Verhältnis zueinander ebenfalls untersucht werden
sollte, also ob es Synergien gibt, ob sie sich verstärken oder evtl. sogar behindern (Béné
et al. 2012; Keck und Sakdapolrak 2013). Das gleiche gilt für die von Keck und Sakdapol-
rak angeführten Beispiel-Schlüsseldeterminanten sozialer Resilienz: soziale Beziehungen
und Netzwerkstrukturen, Institutionen und Machtbeziehungen, und Wissen und Diskurse
(2013, S. 11f.). Soziale Beziehungen und Netzwerke beispielsweise werden in der Regel als
förderlich im Sinne von sozialer Resilienz verstanden, können aber auch in manchem Fall
das Gegenteil sein (vgl. ebd., S. 12). Eine solche duale Natur kann jede eigentlich positiv
gemeinte Aktion in sozialen Netzwerken haben: während Maßnahmen im Sinne einer
Resilienzstärkung z. B. einer Gruppe helfen können, können sie einer anderen schaden.
Interventionen im Sinne von Resilienz sind daher nie neutrale Prozesse. Es gibt „gute“
und „schlechte“ Resilienz (Béné et al. 2012) und diese Einordnung variiert je nach Ge-
sichtspunkt und Perspektive und betroffener Person, Gruppe, Organisation.
An dieser Stelle lohnt es einen Blick auf die Beziehung von Resilienz und nachhal-
tiger Entwicklung zu werfen. Allgemein besagt nachhaltige Entwicklung, dass es sich
um eine Entwicklung handelt, die die Bedürfnisse der heutigen Generation deckt und
dabei die Möglichkeiten der zukünftigen Generationen nicht beeinträchtigt. Es ist auch
als Leitmotiv für persönliches und gesellschaftliches Handeln zu verstehen. Resilienz,
vor allem im Sinne eines sozial-ökologischen Verständnisses, stellt dagegen ein neues
Paradigma für das Leben mit Unsicherheiten, für das „Leben mit Risiko“ (Bohle 2008)
dar. Es ist ein Konzept, dass die Wirkungsfähigkeit von Akteuren und deren Teilhabe
an Transformationsprozessen, die im Rahmen dieses Paradigmas stattfinden, hervorhebt.
Wie genau das Verhältnis von Resilienz und nachhaltiger Entwicklung zu verstehen ist,
hängt letztlich davon ab, wie Resilienz verstanden wird. Obrist et al. (2010) beispielsweise
argumentieren, dass die Nachhaltigkeitsforschung eine Re-Orientierung bzgl. des Unter-
suchungsfokus bräuchte und plädieren für einen multi-layered social resilience Analyse-
rahmen. Im Fokus stehen hier verschiedene Akteure, deren Handlungsmöglichkeiten und
Wechselwirkungen. Der Analyserahmen betont die Interaktionen zwischen fördernden
Faktoren und Kapazitäten, die auf verschiedenen Ebenen von Umwelt und Gesellschaft
92 Amra Bobar und Gordon Winder
Insgesamt lässt sich feststellen, dass es insbesondere innerhalb der Geographischen Ent-
wicklungsforschung durch den Fokus auf das Konzept der sozialen Resilienz eine Ver-
schiebung von der Systemperspektive hin zur Mensch-orientierten Perspektive gibt, die
nach Bohle et al. (2009) als Resilience as Agency auf den Punkt gebracht werden kann. Mit
ihrem Fallbeispiel zu Dhakas Nahrungssystem zeigen die Autoren, dass es mehrere Ant-
worten gäbe auf die Frage, wie resilient dieses System sei, je nachdem, welche Perspektive
man einnehme: erstens, ob man system- oder mensch-orientiert herangeht, zweitens, ob
Resilienz mit Robustheit und Stabilität gemessen wird oder durch die Selbstorganisation
des sozialen Systems, und drittens, ob man die Fähigkeiten und Möglichkeiten der sozia-
len Akteure als Schlüsseldeterminanten von Resilienz annimmt (ebd., S. 12). Die Autoren
plädieren für einen akteursorientierten, Agency-basierten Untersuchungsrahmen, mit dem
Resilienz hinsichtlich der Kapazitäten und Möglichkeiten von Menschen definiert wird.
Die Mechanismen der Resilienzstärkung basieren dabei vor allem auf der Ermächtigung
(empowerment) der „Vulnerabelsten“, diejenigen Optionen zu verfolgen, die das stärken,
was die Betroffenen selbst als soziale Quellen von Resilienz betrachten (ebd.). Der letzte
Punkt ist dabei wichtig, denn hierbei gesteht man denjenigen, deren Resilienz gestärkt
werden soll, zu, dass sie selbst bestimmen, was resilienzstärkend wirkt oder wirken könn-
te. Man gesteht ihnen auch zu, dass sie selbstbestimmt über ihre Situation entscheiden
sowie handeln können und daher eben auch selbst entscheiden, ob ihre Resilienz gestärkt
werden sollte. Der Aspekt Fremd- oder Selbstzuschreibung der Kategorie „resilient“ (ana-
log gilt das auch für „vulnerabel“) ist ein wichtiger Moment der politics of resilience, die
sich zudem auch bei der Suche nach neuen Wegen der Resilienzstärkung manifestieren,
die niemals nur eine technische Frage, sondern immer auch eine umstrittene politische ist
(Keck und Sakdapolrak 2013, S. 14).
Der Begriff der Resilienz in der Humangeographie 93
Wie bereits an früherer Stelle in diesem Beitrag erwähnt, ist das Verhältnis von Re-
silienz und Vulnerabilität nicht eindeutig und nicht spezifiziert und es wäre gerade für
die Geographische Entwicklungsforschung, die mittlerweile beide Konzepte benutzt, hilf-
reich, sich der Beziehung dieser beiden Untersuchungsrahmen zu widmen und zu klären,
wie genau beide Konzepte zueinanderstehen. Dabei wäre auch zu klären, welche Perspek-
tive eingenommen wird, denn eine Systemperspektive auf Resilienz unterscheidet sich
durch den Fokus der Systemevolution eben grundsätzlich von einer akteursorientierten
und Agency-basierten Perspektive. Systembezogene Untersuchungen werden auf ande-
re Weise mit Erkenntnissen aus der Vulnerabilitätsforschung zusammengebracht werden
müssen, als das mit Arbeiten zu sozialer Resilienz, die aus einer akteurs- und Agency-
basierten Perspektive vorgenommen werden, getan werden kann. Auch wenn hierbei die
Perspektive eine ähnliche ist und der Untersuchungsreferenzpunkt der Menschen ist, so
ist dennoch genau zu klären, wie die Konzepte von sozialer Vulnerabilität und sozia-
ler Resilienz zueinanderstehen. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob das Konzept der
sozialen Resilienz, welches auf einer akteurs- und Agency-basierten Perspektive beruht,
überhaupt noch systembezogen und systemrelevant ist und welche Implikationen das für
die Resilienzforschung hat. Keck und Sakdapolrak gehen auf dieses Problem ein, indem
sie u. a. vorschlagen, dass das Zusammenbringen von sozialer und ökologischer Sphäre im
Konzept der sozialen Resilienz gegeben sein muss (2013, S. 14). Dieser Aspekt verweist
auf das Potenzial von Resilienz als Brückenkonzept zwischen den Natur- und Sozialwis-
senschaften (Brand und Jax 2007; Davoudi et al. 2012), welches eine seit jüngster Zeit
lösungsorientierte und auf Probleme von Nachhaltigkeit bedachte Global Change For-
schung brauchen könnte. In der Konsequenz wäre somit Resilienz ein Konzept für den
Bereich der Mensch-Umwelt-Beziehungen und man könnte argumentieren, es mache nur
Sinn dieses Konzept zu verwenden, wenn die Analyse von Mensch-Umwelt-Beziehungen
im Fokus der Untersuchung steht. Soziale Resilienz hat jedoch allem voran den Fokus auf
Akteur, Agency und politics of resilience und betrachtet im Untersuchungskontext des
Globalen Südens auch weiterhin die dem Konzept der Vulnerabilität zugrundeliegenden
politics of development. Die ökologische Sphäre wird hier oftmals vernachlässigt, somit
auch der hybride Charakter der Mensch-Umwelt-Beziehungen (Keck und Sakdapolrak
2013). Allerdings kann mit dem Konzept der sozialen Resilienz durchaus berücksichtigt
werden, dass soziale Akteure in ihre ökologischen, sozialen und institutionellen Umwelten
eingebettet sind (ebd.). Es ist insofern nachvollziehbar, dass Keck und Sakdapolrak (2013)
vorschlagen, dass der Aspekt des Zusammenbringens von sozialer und ökologischer Sphä-
re in die Analyse von sozialer Resilienz einfließen sollte. Jedoch bleibt hierbei die Heraus-
forderung bestehen, wie man das genau macht und wie viel ökologische Sphäre letztlich in
die Untersuchung einfließen kann. Vermutlich wird man Ergebnisse aus Untersuchungen,
die auf unterschiedlichen Ansätzen beruhen, zusammengebringen müssen. Turner (2014)
beispielsweise schlägt die Landnutzungsökologie als ein mögliches gemeinsames For-
schungsfeld für die Politische Ökologie und die resilienzorientierte Ökologie vor. Seiner
Meinung nach sind Vertreterinnen und Vertreter der Politischen Ökologie die passendsten
Sozialwissenschaftler*innen, um an Projekten mitzuwirken, die auf das Verständnis kom-
94 Amra Bobar und Gordon Winder
Aus Sicht der evolutionären Wirtschaftsgeographie, welche durch die Betonung von Wan-
del insbesondere offen für das Konzept der regionalen ökonomischen Resilienz ist (Bailey
und Turok 2016), ist dieser Funktionserhalt keineswegs gleichzusetzen mit einem Struk-
turerhalt, sondern damit, die Struktur an geänderte Umfeldbedingungen anzupassen. Der
Fokus der evolutionären Perspektive liegt daher auf der Re-Orientierung und Erneuerung
der Entwicklungspfade von Systemen und führt somit zu einem historisch-evolutionä-
ren prozessualen Resilienzverständnis, welches von Vertretern einer evolutionären Wirt-
schaftsgeographie gefordert wird (vgl. Boschma 2015; Martin und Sunley 2015). Wäh-
rend beim Konzept der sozialen Resilienz eine Perspektivverschiebung vom System zum
Mensch und dessen Fähigkeiten und Möglichkeiten festgestellt werden kann, ist durch
das historisch-evolutionäre prozessuale Resilienzverständnis eine andere Perspektivver-
schiebung zu erkennen: Obgleich eine Systemperspektive durch den Fokus auf regionale
oder lokale Ökonomien eingenommen wird, so stehen nicht diese komplexen und offenen
„Systeme“ im Vordergrund, sondern deren ökonomische Entwicklung und bestehende
und mögliche Entwicklungspfade. Somit steht das evolutionäre prozessuale Resilienzver-
ständnis für eine Wirtschaftsentwicklungsperspektive oder Entwicklungspfad-orientierte
Perspektive.
Martin und Sunley widmen sich in ihrem 2015 veröffentlichten Artikel dem Begriff
der regionalen ökonomischen Resilienz und dessen Bedeutung und Erklärung sowie dem
Aufzeigen von Richtungen entsprechender Forschung. Ihres Erachtens nach ist die Re-
silienz regionaler und lokaler Ökonomien ein valides Forschungsfeld, auch wegen der
potenziellen Wichtigkeit der Unterrichtung von politischen Entscheidungsträgern, aller-
dings – so betonen sie – braucht es noch Arbeit, den Begriff zu verstehen bevor Resilienz
als Grundlage politischen Handelns herangezogen werden kann (ebd., S. 35). Sie geben
einen Überblick der kritischen Aspekte von Resilienz bzw. der Diskussion zu Resilienz
innerhalb der Wirtschafts- bzw. Humangeographie und verweisen unter anderem darauf,
dass Resilienz keinesfalls eine Entweder/Oder-Eigenschaft oder -Ergebnis ist, sondern
ein komplexer Prozess, der mehrere mögliche Kombinationen von Wandel und Konti-
nuität zulässt (ebd., S. 10). Ebenfalls komplex sind regionale und städtische Ökonomien,
die keineswegs einfach als System abzugrenzen sind. Nichtsdestotrotz definieren auch sie
regionale ökonomische Resilienz als Kapazität einer regionalen oder lokalen Ökonomie,
Schocks standzuhalten oder sich von ihnen zu erholen, wobei ihre Definition umfassend
ist und wie folgt lautet: „the capacity of a regional or local economy to withstand or recov-
er from market, competitive and environmental shocks to its developmental growth path,
if necessary by undergoing adaptive changes to its economic structures and its social and
institutional arrangements, so as to maintain or restore previous developmental path, or
transit to a new sustainable path characterized by a fuller and more productive use of its
physical, human and environmental resources” (ebd., S. 13). Der Fokus liegt demnach auf
wirtschaftlichen Entwicklungspfaden regionaler Ökonomien und Schocks, die ihrer Mei-
nung nach plötzlich und unvorhersehbar auftreten, wie z. B. Rezessionen und Finanzkrisen
96 Amra Bobar und Gordon Winder
als klassische ökonomische Schocks oder aber auch Naturkatastrophen, die Störungen in
lokalen oder regionalen Ökonomien auslösen. Diese Beispiele von Schocks unterscheiden
sich interessanterweise von den sonst als klassisch betrachteten Störungen in der Wirt-
schaftsgeographie, nämlich Restrukturierung und De-Industrialisierung, die aber auch
weiterhin in Untersuchungen betrachtet werden. Hier spiegelt sich die erweiterte Band-
breite an möglichen Störungen sowie die Betonung von Plötzlichkeit bei Schocks wider.
Den zentralen Beitrag, den die Idee von Resilienz leistet, sehen Martin und Sunley somit
in der Lenkung von Aufmerksamkeit auf die Wirkungen von Schocks und deren Rolle in
der Verlaufsgestaltung von regionalem Wachstum und Entwicklung (2015, S. 11). In dieser
Hinsicht ist der Vorteil von Resilienz der, dass hierbei Schocks oder allgemein auch Kri-
sen und deren Auswirkungen ins Zentrum der Untersuchung rücken, dabei Resilienz aber
als ein dynamischer und komplexer Prozess verstanden wird, der Reaktionen auf Schocks
und Krisen beeinflusst, aber auch selbst von diesen beeinflusst wird (ebd., S. 14). Dies
zeigt eine gewisse Parallele zur Diskussion der sozialen Resilienz, welche ebenfalls als
ein dynamischer Prozess verstanden wird und eben nicht als Zustand oder Entitätseigen-
schaft (Keck und Sakdapolrak 2013). Insgesamt lässt sich die weiter oben bereits erwähnte
Bedeutungsverschiebung des Resilienzkonzepts (vom anfänglichem Fokus auf Persistenz
hin zur Re-Orientierung auf gesellschaftliche Transformation) auch an dieser Stelle fest-
stellen. Während bei der sozialen Resilienz jedoch die Akteure und deren Agency im
Mittelpunkt der Betrachtung stehen, sind es bei der regionalen ökonomischen Resilienz
regionale oder lokale Ökonomien oder deren Entwicklungspfade. Interessanterweise gibt
es auch innerhalb der Wirtschaftsgeographie den Aufruf zu einer Agency-Perspektive in
Bezug auf regionale ökonomische Resilienz, und zwar in dem Sinne, dass die Rolle des
Menschen bei der Theoretisierung und Konzeptualisierung von regionaler ökonomischer
Resilienz nicht vernachlässigt werden sollte (Bristow und Healy 2014). Diesen Autoren
nach ist Resilienz sodann eine multidimensionale Eigenschaft („property“), die mindes-
tens drei Dimensionen umfasst: Resilienz als Adaptionskapazität („adaptive capacity“ –
the capacity of a region and its constituent agents to adapt in relation to shocks and thrive
accordingly“), als „prepardness“ und „outcome“ (oder Performanz), und als Reflexion
von bestimmten Agenden (ebd., S. 932). Letzterer Punkt verweist auf die politics of resi-
lience, wonach Resilienz immer auch eine umstrittene, politische Frage ist. Obwohl das
Verständnis von regionaler ökonomischer Resilienz sowohl bei Martin und Sunley (2015),
als auch bei Bristow und Healy (2014) auf der Theorie komplexer adaptiver Systeme be-
ruht, unterscheiden sich ihre Überlegungen und Ausführungen insofern, als dass die einen
Resilienz nicht nur als Kapazität einer regionalen Ökonomie verstehen, sondern darüber
hinaus auch als historisch-evolutionären Prozess, während die anderen zusätzlich und be-
tonend auf die normative und politische Dimension hinweisen. Somit wird deutlich, dass
das Verständnis von Resilienz zum einen davon abhängt, auf welchen Ansätzen es beruht
Der Begriff der Resilienz in der Humangeographie 97
und zum anderen davon, was in den Fokus gerückt werden soll. Das heißt, die Frage, wel-
ches Ziel mit einer auf dem Konzept der Resilienz beruhenden Untersuchung verknüpft
wird, formt schließlich auch das Verständnis eines solchen.
Eine weitere zentrale Frage ist die, wessen Resilienz untersucht wird. Diese Frage ist
unabhängig vom Forschungsbereich und muss in jeder Resilienzbetrachtung beantwortet
werden. Schließlich gibt die Beantwortung den Ausgangspunkt vor, von dem die Unter-
suchung aus startet. Da dieser Referenzpunkt sowohl Akteure als auch Entwicklungspfade
sein können, wird zum einen die Dringlichkeit der präzisen Definition für jede einzelne
Untersuchung aber auch ein mögliches Loslösen der Systemperspektive eindeutig. Es stellt
sich jedoch erneut die Frage, ob noch von Resilienz zu sprechen ist, wenn die Systemper-
spektive nicht besteht, oder in welcher Form die Systemperspektive noch einfließen muss,
um von Resilienz zu sprechen. Unabhängig davon soll an dieser Stelle darauf verwiesen
werden, dass eine Untersuchung von Resilienz immer eine vierteilige Frage – nämlich
die der „resilience of what, to what, by what means, and with what outcome?“ (Martin
und Sunley 2015, S. 12) – nach sich zieht, die eine möglicherweise nur in Ansätzen gel-
tende Vergleichbarkeit von Untersuchungen zulassen könnte. Dafür könnte man mit einer
kontext-entsprechenden expliziten Definition und Untersuchung von Resilienz (Weichsel-
gartner und Kelman 2014) spezifische Erkenntnisse gerade auch in Bezug auf Mensch-
Umwelt-Aspekte generieren, die in der Wirtschaftsgeographie eher vernachlässigt werden
und deren Dringlichkeit verstärkt in der Forderung einer Environmental Economic Geo-
graphy widerhallt (vgl. Hayter 2008; Soyez und Schulz 2008). Möglicherweise bietet die
evolutionäre prozessuale Resilienzperspektive die Möglichkeit, sozioökonomisch-öko-
logische Verflechtungen innerhalb eines regionalen Kontextes besser zu verstehen und
damit Richtungen für nachhaltige Entwicklungen aufzuzeigen. Strambach und Klement
verweisen zumindest auf das Potenzial durch die Auseinandersetzung mit dem Resili-
enzbegriff, den Blick für Anpassungs- und Erneuerungsprozesse zu schärfen, die einen
Übergang in eine nachhaltige, grüne Ökonomie auf regionaler Ebene unterstützen können
(2016, S. 277).
4 Fazit
Themen und Notwendigkeiten. Allerdings führt diese auch zu Uneindeutigkeit und Ver-
wirrung, denn Resilienz kann hier keineswegs das gleiche sein wie im sozial-ökologischen
Systemdenken. Mehr noch steht die Nutzung des Resilienzkonzepts in beiden Fällen nicht
für das Einnehmen einer vollständigen Systemperspektive, vielmehr wird eine solche ab-
gelehnt oder nur behelfsmäßig und zusätzlich eingenommen. Das heißt, dass keinesfalls
ein systemtheoretischer Ansatz wie er im ökosystemaren Denken verankert ist, angewen-
det wird, was wiederum darauf hindeutet, dass es auch weiterhin zu Kommunikations-
problemen zwischen den verschiedenen Forschungsperspektiven kommen wird. Diese
Kommunikationsprobleme zu überwinden ist angesichts der dringenden globalen Heraus-
forderungen und dem damit zusammenhängenden Forschungsbedarf mehr als notwendig,
es kann aber bereits helfen, die jeweiligen eingenommenen Perspektiven klar voneinander
abzugrenzen und zu verstehen sowie als gleichermaßen berechtigt anzunehmen.
100 Amra Bobar und Gordon Winder
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Selbsterhaltung, Kontrolle, Lernen
Zu den normativen Dimensionen von Resilienz
Zusammenfassung
1 Einleitung
Der vor kurzem noch weitgehend unbekannte Terminus Resilienz ist in den letzten Jah-
ren zu einem Leitbegriff wissenschaftlicher und populärwissenschaftlicher Publikationen
aufgestiegen. Längst hat er sich von seinem ingenieur- und materialwissenschaftlichen
Ursprung losgelöst und wird in ganz unterschiedlichen Disziplinen und Kontexten ver-
103
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2018
M. Karidi et al. (Hrsg.), Resilienz,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-19222-8_6
104 Martin Schneider und Markus Vogt
wendet (Endreß und Maurer 2015; Vogt und Schneider 2016; Wink 2016). Auffällig ist
aber, dass sogar in interdisziplinär ausgerichteten Sammelbänden theologische, ethische
und philosophische Beiträge fehlen. Das hat auch damit zu tun, dass Theologie, Philo-
sophie und Ethik gerade erst beginnen, die Resilienzforschung wahrzunehmen und nach
einer eigenen Positionierung zu fragen.1 Weil bei der Resilienz die Reaktion (Antwort) auf
Umbrüche und Probleme im Mittelpunkt steht, haben wir vorgeschlagen, die Response-
Fähigkeit als Ausgangspunkt zu nehmen, um auf rekonstruktivem Wege normative Facet-
ten von Resilienz herauszuarbeiten (Schneider und Vogt 2016; Vogt und Schneider 2016;
Schneider 2017; Schneider und Vogt 2017). In diesem Beitrag wollen wir unsere Überle-
gungen in drei Schritten vertiefen und erweitern. Zunächst nehmen wir die Wahrnehmung
eines Nachholbedarfs an gesellschaftstheoretischer Reflexion des Resilienzbegriffs zum
Anlass, um den zentralen Fokus von Resilienz, die Funktionserhaltung, mit den Begriffen
Schutz und Nachhaltigkeit sozial- und umweltethisch zu reflektieren. Auf die politische
Dimension dieses Zugangs verweist die Querverbindung zum „Liberalismus der Furcht“.
Darauf aufbauend schlagen wir vor, den bekannten deskriptiven Resilienz-Dimensionen
Persistenz, Adaptation und Transformation die normativen Leitbilder Selbsterhaltung,
Kontrolle und Lernen gegenüberzustellen. Unsere Überlegungen knüpfen an empirische
Erkenntnisse und lebensweltliche Erfahrungen an und rekonstruieren auf diesem Weg die
Relevanz des Resilienzbegriffs für ethisch-politische Diskurse. Methodisch gehen wir da-
bei von einem pragmatistischen Ansatz aus (Dewey 2007 (1925); Festl 2015; Schneider
2017).
Gerade weil wir Resilienz als einen ethisch gehaltvollen Begriff betrachten, ist es in
unserer Sicht aber auch berechtigt und notwendig, kritisch auf seine Ambivalenz und Klä-
rungsbedürftigkeit zu schauen. Durch eine solche „Kritik der Resilienz“ können Ethiker
und Philosophen wesentlich zur Präzisierung des Begriffs sowie zu einem konstruktiven
Dialog zwischen seinen unterschiedlichen Verwendungsweisen und Kontexten beitragen.
Welche Aspekte dies sind und warum wir trotzdem den Begriff der Resilienz aufgreifen,
sind die zwei Themen, auf die wir zu Beginn unseres Beitrags eingehen.
In vielen praktischen, professionellen und politischen Feldern ist Resilienz zu einer kaum
hinterfragten normativen Orientierung avanciert. Gerade gesellschaftswissenschaftliche
Beiträge sehen das kritisch. Sie steigen zwar nicht selten damit ein, den Ursachen für
den Siegeszug des Resilienz-Begriffs nachzugehen, kritisieren dann aber vor allem die
„starke normative Aufladung“, die unter der Hand mit dem Verweis auf die Resilienz
1 Beispiele sind Sedmak und Bogaczyk-Vormayr 2012, Sedmak 2013 sowie das Themenheft „Re-
silienz – Problemanzeige und Sehnsuchtsbegriff“ der Zeitschrift Praktische Theologie (2016/2),
das Themenheft „Theologische und ethische Dimensionen von Resilienz“ der Münchner Theolo-
gischen Zeitschrift (2016/3) und der von Cornelia Richter herausgegebene Sammelband Ohnmacht
und Angst aushalten. Kritik der Resilienz in Theologie und Philosophie (Richter 2017).
Selbsterhaltung, Kontrolle, Lernen 105
von Individuen und Systemen eingeführt werde (Meyen 2016; Rungius und Weller 2016;
Richter 2017; Rungius et al. 2018). Es werde immer vorausgesetzt, dass jemand oder etwas
erhaltenswert ist bzw. überleben soll. Vor allem folgende drei Punkte werden in diesem
Zusammenhang genannt: Zum einen wird kritisiert, dass kaum explizit reflektiert wird,
für welche Individuen oder Systeme die oben genannte Annahme gelten soll und für wel-
che nicht. Um dies tun zu können, das heißt um die Resilienz bestimmter Systeme als
wünschenswert beurteilen zu können, braucht man Maßstäbe, die sich nicht aus der Resi-
lienz ableiten lassen (zum Beispiel Leitwerte wie Freiheit, Menschenwürde, Gerechtigkeit
und Nachhaltigkeit). Diese Anfrage weist zurecht darauf hin, dass Resilienz lediglich ein
funktionales Konzept ist, das keinen Selbstwert darstellt. Dass sich gerade totalitäre Herr-
schaftssysteme als resilient erweisen (zum Beispiel Nordkorea), ist aus normativer Sicht
natürlich höchst problematisch. Komplexer wird die „Kritik der Resilienz“, wenn darauf
verwiesen wird, dass aus der Resilienz für sich alleine kein Schutz von besonders ver-
wundbaren und „schwächeren“ Lebewesen begründet werden kann. Der Erfolg oder das
nackte Überleben liefern nicht die Kriterien, die darüber entscheiden, ob eine Entwick-
lung die gelungene Überwindung einer in die Krise geratenen Formation ist. Ein solcher
Schluss vom faktischen Evolutions- oder Geschichtsverlauf auf eine moralische Qualität
verfällt dem naturalistischen Fehlschluss und unterscheidet sich strukturell nicht von dem
sozialdarwinistischen Konzept des „survival of the fittest“ (Vogt 1997, S. 79ff.).
Ein zweiter Grund, der Resilienzkonzepte aus gesellschaftswissenschaftlicher und
ethischer Sicht zumindest klärungsbedürftig erscheinen lässt, bezieht sich auf das Ziel der
Bestandserhaltung. Weil „nur“ die Reaktion auf externe Transformationen im Mittelpunkt
stehe, werde jeglicher aktive Transformationsanspruch aufgegeben (Steinhilber 2016), so
eine vielfach vorgetragene Kritik. Hinweisen darauf, dass sich Resilienz von „Resistenz“
oder einfacher Robustheit grundlegend unterscheide und genau aus diesem Grund zwi-
schen unterschiedlichen Resilienzdimensionen, nämlich zwischen „persistence“, „adapta-
bility“ und „transformability“ differenziert werde (Walker et al. 2004; Folke et al. 2010),
wird damit gekontert, dass es „Beständigkeit und Wandel“ zur gleichen Zeit nicht geben
könne (Rungius und Weller 2016). Diese Anfrage verweist auf ein nur schwer auflösbares
Spannungsverhältnis. Denn jede Beschreibung von Veränderung setzt etwas voraus, das
mit sich identisch bleibt. Aber oft fehlen klare Kriterien, um zu beurteilen, ob etwas, das
sich transformiert, noch „es selbst“ oder „etwas Anderes“ ist (Nida-Rümelin und Gut-
wald 2016, S. 259f.). Auch die Unterscheidung zwischen dem, was noch Adaption ist, und
dem, was schon als Transformation bezeichnet werden kann, fällt nicht immer leicht. Man
kommt aus dem paradoxen Verhältnis von Wandel und Bewahrung nicht hinaus. Irgend-
etwas bleibt konstant, anderes muss sich verändern. Bisweilen kann gerade die Fähigkeit,
sich zu wandeln, das besonders Erhaltenswerte sein.
Ein dritter Anlass für die normative Klärungsbedürftigkeit sind Ratgeber, die unter Ver-
weis auf Resilienz „Das Geheimnis der psychischen Widerstandskraft“, „Die 5 Geheim-
nisse der Überlebenskünstler“ und „Die Strategie der Stehauf-Menschen“ (Berndt 2013;
Zolli und Hearly 2013; Gruhl 2008) lüften wollen. Kritische Beiträge problematisieren
die damit verbundene Verantwortungsübertragung auf die Subjekte. Wenn zum Beispiel
106 Martin Schneider und Markus Vogt
Auch wir sehen uns dem kritischen Vorgehen verpflichtet. Und doch sind wir der An-
sicht, dass die Ethik nicht bei der „Kritik der Resilienz“ stehen bleiben sollte. In unseren
Augen ist es auch wichtig (und berechtigt), das ernst zu nehmen, was durch Resilienz-
diskurse besser gesehen – und nicht nur auf das zu verweisen, was durch sie alles aus-
geblendet wird. Es ist nicht grundlos, so unsere Annahme, dass der Resilienzbegriff in
unterschiedlichen Kontexten verwendet wird und eine breite Faszination auslöst. Aus der
Beschreibung gelungener Resilienzpraktiken ergeben sich Hinweise auf ethische Heraus-
forderungen und Gehalte. In diesem Sinne verweisen wir nicht nur auf externe Kriterien,
um normative Dimensionen ins Spiel zu bringen, sondern rekonstruieren die Normativität
aus den Resilienzkonzepten und –praktiken selbst (Schneider 2017; Schneider und Vogt
Selbsterhaltung, Kontrolle, Lernen 107
2017). Auf diesem Weg wollen wir dann auch zeigen, dass Resilienz nicht nur funktionale,
sondern auch normative Anteile hat.
Ähnlich wie Michael Meyen gehen wir also in unserem Beitrag von der Frage aus: „Was
sieht man durch die Resilienz-Brille besser“ (Meyen 2016)? Meyen gibt die Antwort: „Wer
von Resilienz spricht, hat erstens eine Bedrohung im Sinn (die von außen kommen kann,
von innen oder aus beiden Richtungen zugleich), muss zweitens die Funktionen bestim-
men, die (zum Beispiel) ein soziales Funktionssystem für die Gesellschaft hat, und dann
nach Schwachstellen und Stärken dieses Systems suchen, und konzentriert sich folgerichtig
drittens auf Systemerhalt, auf Überleben und auf Verbesserung. Selbst Katastrophen sieht
man durch die Brille Resilienz nicht mehr schwarz, sondern als Gelegenheit zum Lernen“
(ebd.; vgl. Meyen 2015). In Kurzfassung: „Wer von Resilienz spricht, hat erstens immer
eine Bedrohung im Sinn, auf die zweitens erfolgreich reagiert werden kann“ (Vogt und
Schneider 2016, S. 181). Durch die Resilienz-Brille wird also der Blick für Bedrohungen,
Krisen und Umbrüche geschärft. Daher ist es auch kein Zufall, dass Resilienzdiskurse vor
allem in Krisenzeiten Konjunktur haben. Der besondere Charme des Resilienzbegriffs
liegt aber im zweiten Aspekt, nämlich darin, dass sich Resilienzkonzepte mit Potentialen
der Problemlösung beschäftigen. Von Interesse ist nicht mehr (vorrangig) der Mangel an
etwas. Der Blick bleibt nicht haften bei angstauslösenden Katastrophen und Defiziten,
sondern wendet sich auf die oft verborgenen Potentiale und Ressourcen, die hilfreich sind,
um gegen Störungen weniger anfällig zu sein und radikalen Wandel zu meistern.
Weniger anfällig zu sein, von Schocks und disruptiven Ereignissen nicht vollkommen aus
der Bahn geworfen zu werden und anpassungs- und wandlungsfähig zu sein – all das sind
Aspekte von Resilienz. Welche Dimension auch hervorgehoben wird, im Endeffekt geht
es immer um die Funktionserhaltung von Systemen (und auch Menschen). So beschreibt
Crawford Stanley Holling in einer klassisch gewordenen Definition Resilienz als „a meas-
ure of the persistence of systems and of their ability to absorb change and disturbance
and still maintain the same relationships between populations or state variables“ (Holling
1973, S. 14). Hinter der von Holling hervorgehobenen Fähigkeit, auf Krisen und Umbrü-
che anpassungsfähig zu reagieren, steht das Ziel, zu überleben. In normativer Hinsicht ist
das Überleben-Wollen auf den ersten Blick nicht gerade anspruchsvoll. Der Selbsterhal-
tungstrieb ist angeboren und damit keine spezifisch moralische Leistung. Auf der anderen
Seite verweist die Tatsache, dass wir den Selbstschutz und den Schutz von Anderen als ein
moralisches Gebot ansehen, auf die normative Dimension des Überleben-Wollens. Zum
einen sind wir gefordert, uns um das eigene Überleben zu sorgen, zum anderen fühlen
wir uns für das Überleben von Anderen verantwortlich. Der Mensch, und zwar jede und
jeder, ist des Schutzes bedürftig und infolge seiner Würde des Schutzes wert (Witschen
2014). Das gilt für uns selbst als auch für Andere. Dadurch, dass wir allen Menschen Wür-
de zusprechen, wird die jeweilige Selbsterhaltung transzendiert und der Schutzanspruch
108 Martin Schneider und Markus Vogt
universalisiert. Aristoteles drückt diese Spannung so aus, dass der Staat zwar um des
Überlebens willen entstehe, aber um des guten Lebens willen bestehe (Aristoteles, Politeia
1252 b 29f.).
Das Nachhaltigkeitsprinzip kann in diesem Zusammenhang als die Forderung verstan-
den werden, den Schutzanspruch auf alles Lebendige bzw. auf den gesamten oikos, die
Erde, zu übertragen (Vogt 2013, S. 110ff.). Wir setzen uns für Nachhaltigkeit ein, weil wir
die Lebensgrundlagen erhalten wollen. Auf diese Perspektive weist schon der Wortstamm
von Nachhaltigkeit hin. Keine Nachhaltigkeit ohne Halt bzw. Erhaltung. Die Frage ist
dann nur, was erhalten werden soll. Hans Jonas hat hierfür in seinem Werk Das Prinzip
Verantwortung eine entscheidende Maxime formuliert. Dass die Reihe der Generationen
überhaupt weitergehen soll, ist seiner Ansicht nach angesichts der Destruktionspotentiale
moderner Technologien eine vorrangige ethische Frage. „Handle so, dass die Wirkungen
deiner Handlung verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf
Erden“ (Jonas 1984, S. 36). Jonas fordert hier so etwas wie eine zeitlich und räumlich
entgrenzte Resilienzperspektive ein. Es soll nicht nur eine bestimmte Entität, sondern die
Menschheit als Ganzes erhalten werden2; und dies nicht nur im Hinblick auf die aktuell
Lebenden, sondern auch für die zukünftigen Generationen. Damit diese überhaupt leben
können, mahnt Jonas zu einer „Heuristik der Furcht“ (ebd., S. 63f.), mit der vermieden
werden soll, dass Entwicklungspfade beschritten werden, die die Lebensgrundlagen und
das „Dasein“ zukünftiger Generationen gefährden.
An der von Jonas ins Spiel gebrachten „Heuristik der Furcht“ kann kritisiert werden,
dass sie eine zu defensive Strategie ist, die möglicherweise Handlungspotentiale lähmt
(Hasted 1991, S. 172; Vogt 2013, S. 369ff.). Faszinierend daran ist aber, dass der anspruchs-
volle Auftrag, die eigene Perspektive in räumlicher und zeitlicher Hinsicht zu entgrenzen,
mit dem basalen Bedürfnis nach Selbsterhaltung verknüpft wird. Basal ist dieses Bedürf-
nis, weil es auf dem Gefühl der Furcht aufbaut. „Für die Furcht gilt ohne Wenn und Aber,
dass sie so allgemein wie physiologisch ist. Sie ist eine sowohl geistige als auch körper-
liche Reaktion und sie befällt Tiere nicht weniger als Menschen. Am Leben zu sein heißt
Furcht zu haben, und das nicht selten zu unserem Vorteil, denn das Erschrecken schützt
uns oft vor Gefahren“ (Shklar 2013, S. 44f.). In diesem Sinne kann dann die von Jonas ins
Spiel gebrachte „Heuristik der Furcht“ als „Heuristik der Vorsicht“ interpretiert werden.
Gerade weil die menschliche Entdeckerlust und Neugier selbstzerstörerische Auswirkun-
gen haben kann, ist es um der Selbsterhaltung willen notwendig, vorsichtig zu sein und
über die Folgen nachzudenken. Die „Heuristik der Furcht“ hat in diesem Zusammenhang
die Funktion, vor Überforderung und unkontrollierbaren Entwicklungen zu schützen. Sie
ist nicht notwendig mit einer defensiven Haltung gegenüber Innovationen verbunden, son-
dern lässt sich auch offensiv im Sinne einer „Risikomündigkeit“ interpretieren (Vogt 2013,
S. 369ff.).
2 Dies ist ein reichlich interpretationsbedürftiges Ziel. In normativer Hinsicht schließt sich daran zum
Beispiel die Frage an: Wie viele Menschen darf man für die Erhaltung „der Menschheit“ opfern?
Selbsterhaltung, Kontrolle, Lernen 109
In den Augen von Judith Shklar muss auch eine politische Theorie auf die anthropo-
logische Grundkonstante der Furcht zugeschnitten sein. Ein Vorteil daran sei, dass man
möglichst wenig voraussetzen und „vollkommen nicht-utopisch“ (Shklar 2013, S. 37)
ansetzen kann. Man muss nicht, so Shklar, von natürlichen Rechten ausgehen oder die
Selbstverwirklichung eines inneren Wesens an die oberste Stelle setzen (ebd., S. 37ff.). Es
reicht aus, sich an die anthropologische Grundannahme zu halten, dass der Mensch sich
fürchtet und verletzbar ist.3 Shklar entwickelt aus dieser Intuition einen „Liberalismus der
Furcht“, in dem die Sicherung des Überlebens („recipe of survival“) und die Erwartungen
nach Schutz legitime Erwartungen und vordringliche Aufgaben staatlichen Handelns sind.
Wir haben Jonas‘ und Shklars Ansatz als Bezugspunkt gewählt, um zu zeigen, dass
der Fokus auf die Selbsterhaltung und das Überleben nicht einfach nur anspruchslos oder
intellektuell bescheiden ist. Wenn dieses Bedürfnis mit moralpsychologischen Überlegun-
gen zur Bedeutung der Furcht verknüpft wird, könnte daraus ein zwar minimalistischer,
aber trotzdem radikaler, weil an der Wurzel menschlicher Befindlichkeiten andockender
ethischer Ansatz entwickelt werden. Wie Shklar kritisiert auch Hans Jonas in seiner Über-
lebensethik der intergenerationellen Verantwortung den „anthropologischen Irrtums der
Utopie“ (Jonas 1984, S. 385) und postuliert eine Revision des Verhältnisses von Furcht,
Hoffnung und Verantwortung (ebd., S. 390ff.). Von den auf Funktions- und Selbsterhaltung
zielenden Resilienzkonzepten könnte in diesem Sinne gelernt werden, nicht auf „utopi-
sche“ Ziele zu setzen, sondern auf die „wirklichen“ und vorrangigen Probleme zu schauen
und sich auf die Aspekte zu konzentrieren, die das Überleben und den Schutz der Men-
schen sichern. Dabei ist die „Heuristik der Furcht“ und die berechtigte Sorge um mögliche
Gefahren und Katstrophen psychologisch, ethisch und theologisch zu unterscheiden von
einer Haltung der Angst, die lähmt und nur auf sich selbst fixiert ist. Letztere bezeichnet
Kierkegaard als Ursprung aller Sünde (Kierkegaard 1984 (1844), S. 26ff.). Sorge um das
Überleben dagegen befähigt zu nüchterner Prioritätensetzung und zum Handeln. Wenn
das Überleben nicht gesichert ist, werden auch alle weitergehenden Ziele unerreichbar.
Mit diesem Blick-Wechsel verlagert sich auch das Erkenntnisinteresse. Nicht mehr die Be-
gründung von Prinzipien steht dann im Fokus, sondern die Problemlösungspraxis.
Bedrohungen, Krisen und Umbrüche wahrzunehmen und Indizien dafür nicht zu verdrän-
gen ist ein wesentlicher Faktor von Resilienz. Das Gefühl der Furcht kann dafür hilfreich
sein, wobei mit Resilienz die Haltung verknüpft ist, nicht in lähmende Angst zu verfallen,
sondern Response-Fähigkeiten zu entwickeln. Dabei sollte die Response nicht im Sinne
eines Reiz-Reaktions-Mechanismus verstanden werden, wie dies lange Zeit in der Psy-
chologie und Verhaltensforschung verbreitet war. Nicht zuletzt im Deutschen drängt sich
3 Hier kann auch auf Martha Nussbaum verwiesen werden, die die „vulnerability premise“ in den
Debatten um Menschenrechte und Menschenwürde hervorhebt (Nussbaum 2014, S. 63ff., 2010).
110 Martin Schneider und Markus Vogt
dieses Missverständnis auf, wenn Response mit „Reaktion“ und nicht mit „Antwort“ über-
setzt wird (Waldenfels 2007, S. 319ff.). Das heißt: Wer resilient ist, verhält sich responsiv,
er antwortet auf etwas, auf einen anderen Menschen, auf eine Situation oder auf eine
Entwicklung. Genau das ist aber auch ein zentraler Aspekt einer responsiven Ethik, wie
Bernhard Waldenfels sie entwickelt hat (2006, 2010). Responsivität ist für Waldenfels ein
„Grundzug, der unser gesamtes Verhalten zur Welt, zu uns selbst und zu Anderen prägt“
(2007, 2010, S. 71). Eine responsive Ethik geht von der Responsivität aus und nimmt ernst,
dass das Spezifische einer Response darin besteht, auf fremde Ansprüche einzugehen.
Das Antworten zeichnet sich „dadurch aus, dass es anderswo beginnt. Es beginnt damit,
dass uns etwas oder jemand anreizt, verlockt, bedroht, herausfordert oder anspricht, be-
vor wir uns selber Ziele setzen oder allgemeine Normen anwenden“ (Waldenfels 2010,
S. 72). Wenn wir auf Ereignisse und Herausforderungen antworten, dann stehen sie uns
nicht beziehungslos und kalt gegenüber, wir lassen uns durch ihre Valenz (und manchmal
auch Ambivalenz) herausfordern und verwandeln sie in kooperative Faktoren. Nicht die
Wirkungen sind dann das Entscheidende, sondern die Wechselwirkungen. Eine wichtige
Rolle in diesem Response-Prozess spielen Emotionen. Wir sprechen nicht ohne Grund
von Gefühlsreaktionen. Mit Gefühlen reagieren wir auf etwas und auf andere Menschen.
Wir nennen dies deswegen auch Affekte und unterscheiden davon Emotionen (Rosa 2016,
S. 279f.). Die Furcht ist eine Gefühlsreaktion auf konkrete Gefahren (ebd., S. 201). Von der
Resilienzforschung können wir in diesem Kontext lernen, dass es wichtig ist, Affekte zu
regulieren bzw. zu beherrschen. Wir sprechen deshalb von Beherrschung, wenn wir von
uns oder von anderen erwarten, Gefühlen nicht einfach freien Lauf zu lassen.
Die Frage von Beherrschung und Kontrolle spielt auch für die Response auf politi-
sche und gesellschaftliche Entwicklungen eine wichtige Rolle. So weist Judith Shklar in
ihren phänomenologischen und historischen Analysen immer wieder darauf hin, dass sich
Menschen vor allem davor fürchten, Entwicklungen, Machthabern etc. hilflos ausgeliefert
zu sein und keine Kontrolle mehr zu haben. In der Resilienzforschung spielen in diesem
Kontext die Begriffe „mastery“ (Beherrschbarkeit) und „agency“ (Handlungsfähigkeit)
eine wichtige Rolle (Boss 2008, S. 136). Damit ist gemeint, dass Menschen umso resi-
lienter sind, je weniger sie sich in der Rolle von Opfern sehen, je handhabbarer sie die
Situation wahrnehmen (je beherrschbarer sie also ist) und je mehr Handlungsspielräu-
me sich eröffnen. Resilient ist, wer von seiner Umwelt, von Veränderungen, Krisen und
Schocks nicht einfach überrollt wird, also nicht die Kontrolle verliert und die Situation
beherrscht. Laut Leonard Pearlin hat Beherrschbarkeit aus zwei Gründen eine positive
Funktion: „Zum einen verringert das Gefühl der Kontrolle von sich aus schon das Gefühl,
von bedrohlichen Bedingungen verletzt zu werden, wodurch auch die Angst vor bedroh-
lichen Bedingungen verringert wird. Zum anderen kann Beherrschbarkeit die Funktion
einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung haben. Das heißt: Wenn ein Mensch das Gefühl
hat, eine Bedrohung kontrollieren zu können, verhält er sich tendenziell entsprechend und
kann so diese Bedrohung vielleicht tatsächlich erfolgreich abwehren“ (Pearlin 2005; Boss
2008, S. 138). In der psychologischen Literatur wird in diesem Zusammenhang vielfach
Selbsterhaltung, Kontrolle, Lernen 111
täten zwischen präreflexiven und reflexiven Lebewesen rekonstruiert werden, ohne die
Unterschiede und Entwicklungsschritte zu nivellieren. Das Gemeinsame bzw. Kontinu-
ierliche ist, dass sich alles Lebendige, Menschen wie auch ‚niedere‘ Organismen, immer
und unvermeidlich mit ihrer Umwelt auseinandersetzen. Dieser Prozess beruht wiede-
rum auf der Voraussetzung, Entwicklungen nicht einfach ausgeliefert zu sein, sondern
darauf antworten, ja sie ‚beherrschen‘ und ‚kontrollieren‘ zu können. Diese Kontrolle ist
umso besser möglich, wenn ein Organismus nicht einem Entwicklungspfad ausgeliefert ist
und eine Vielfalt von Responses möglich ist. Die Kontrolle der Umwelt und die Möglich-
keit von Handlungsalternativen sind auch Merkmale für eine reflexive Response. Bei-
des erreicht beim Menschen eine weitergehende Entwicklungsstufe. Für den Menschen
ist eigentümlich, dass er nicht nur reagiert (antwortet) und sich entwickelt, sondern dass
er Reaktionsweisen und Entwicklungsprozesse überprüfen und Alternativen in den Blick
nehmen kann. Einem Menschen steht eine Handlungsalternative nicht einfach nur offen,
der Mensch kann Handlungsalternativen ‚produzieren‘.4
Die Resilienzforschung ermöglicht zugleich einen differenzierenden Blick auf das Ide-
al der Kontrolle: Paradoxerweise bewirkt zu viel Kontrolle nicht selten einen Kontrollver-
lust. Ein Kontrollwahn, der alle Unsicherheit ausschalten will, der alles im Griff behalten
und überwachen möchte, lähmt. Um der „Ambiguität und Ungewissheit resilient begegnen
zu können, müssen wir unser Bedürfnis nach Beherrschbarkeit mäßigen“ (Boss 2008,
S. 136). Ohnmacht und Angst müssen ausgehalten werden, ansonsten befällt uns eine un-
bestimmte, lähmende Angst. Handlungsmächtigkeit ist auch darauf angewiesen, dass man
seinen Wunsch nach Beherrschbarkeit relativiert. „Wenn Menschen so sozialisiert und
darauf konditioniert sind, dass sie die Beherrschbarkeit zum Dogma erheben, ohne jemals
davon abzurücken, dann können sie schlecht ihre Resilienz bewahren, wenn die Dinge
sich anders als erwünscht entwickeln – oder wenn Probleme keine Lösungen haben“ (Boss
2008, S. 137). Bernhard Waldenfels hebt in diesem Zusammenhang den Wert des Pathos
hervor (2006, S. 35; 2010, S. 72). Responsiv zu sein bedeutet zunächst passiv zu sein und
sich von fremden Ansprüchen betreffen zu lassen – und in diesem Sinne betroffen zu
sein. Damit verknüpft ist, die Bedeutung von Intentionalität zu relativieren, ohne sie ganz
aufzugeben (Waldenfelds 2006, S. 39f.). Es gibt Situationen, die sich nicht kontrollieren
lassen und in denen eine ethisch und human angemessene Reaktion eher darin besteht,
den Konflikt auszuhalten, vielleicht sogar das damit verbundene Leid bewusst um Ande-
rer willen auf sich zu nehmen. Hildegard Keul unterscheidet hier zwischen „victim“ and
„sacrifice“ (Keul 2016, S. 227ff.).
Die Relativierung der Kontrolldimension ist in besonderer Weise relevant für den Um-
gang mit nicht vorhersehbaren Herausforderungen und Problemen zweiter Ordnung. Für
diese ist das angemessene Reaktionsmuster nicht das Streben nach Kontrolle im Sinne
einer vollständigen Situationsbeherrschung nach einem vorausgehenden Plan, sondern
4 Hier kann auch auf Arbeiten von Amartya Sen und Martha Nussbaum zum Capability-Ansatz
verwiesen werden. Denn dieser kreist ja genau darum, dass es echte Möglichkeiten zum Handeln
braucht. (Sen 2010; Nussbaum 2010; Gutwald 2015).
Selbsterhaltung, Kontrolle, Lernen 113
tiven eröffnen. Für die Ethik bedeutet dies, dass das Gesollte nicht primär in der Form
eines abstrakten und allgemeinen Regelwissens gefasst werden kann, sondern sich erst
aus der Erfahrung erschließt. Methodisch folgt daraus, dass die Ethik „pragmatistisch“
aus der gelebten Praxis heraus rekonstruiert werden muss und von Aspekten wie Reali-
tätsnähe, Problembewusstsein und Prozessorientierung geprägt ist. Diese Perspektive ist
eine Denkhaltung, die den Resilienzdiskurs und den Pragmatismus eint (Schneider 2017).5
John Deweys Vorstellung von „Wachstum“ kann zudem genutzt werden, um normative
Bedingungen für gelingende Lernprozesse herauszuarbeiten. Bei ihm sind zwar auch
das Funktionieren und die Selbsterhaltung Kriterien für eine erfolgreiche Problemlösung
(Jaeggi 2014, S. 404). Daneben bezieht sich Dewey aber auf ein weiteres Kriterium, auf ein
„Metakriterium“: nämlich ob die Funktionserhaltung als Lern- und Erfahrungsprozess
gelingt (Jaeggi 2014, S. 405). Genau hierfür verwendet Dewey den Begriff des Wachs-
tums. Wie nun ein gelungener Lernprozess aussieht, hat er zwar weder ausgearbeitet noch
systematisiert, Hinweise lassen sich aber seiner Theorie der Erziehung und des Lernens
entnehmen. Darin beschreibt er Lernprozesse als gelungen, wenn weder gegenwärtige
noch zukünftige Erfahrungen blockiert sind, wenn also Lernblockaden beseitigt werden
sowie Wege und Möglichkeiten offenstehen für „Beziehungen und Zusammenhänge der
Tätigkeiten, in die wir verwickelt sind“ (Dewey 2011 (1916), S. 108). Wachstum vollzieht
sich in seinen Augen dann, wenn durch In-Kontakt-Treten von zunächst isolierten Einzel-
dingen vorhandene Potentiale freigesetzt und realisiert werden (Honneth 2015, S. 97f.;
Särkelä 2015, S. 1120f.). Möglich ist dies, weil sich „assoziatives“ Verhalten auf allen
Stufen des Gegebenen findet. Es reicht vom Physischen über das Organische hinauf bis
zum Mentalen. Die höchste Stufe nimmt für Dewey dann allerdings das „Soziale“ ein,
weil hier durch „spezifisch menschliche Formen der Gruppierung“ (Dewey 2003 (1928),
S. 81) die Freisetzung von Potentialen und die Möglichkeit von „Wachstum“ noch einmal
gesteigert wird; das „Soziale“ bildet die „umfassende philosophische Idee“ in dem Sinn,
dass in ihm die vorherigen Grade der Realität zu ihrer vollsten Verwirklichung kommen.
Für die höchste Stufe der Wirklichkeit gilt aber nach Dewey kein anderer Maßstab als für
die anderen Stufen: Die Response-Prozesse führen umso mehr zu „Verbesserungen“ und
zu „Wachstum“, je mehr Lernblockaden beseitigt werden und je ungehinderter die einzel-
nen Elemente miteinander interagieren können.
Die bei Dewey im Fokus stehenden Kriterien für gelingende Lern- und Wachstumsprozes-
se sind auch wichtige Faktoren für die Resilienz von Individuen und Systemen. Realitäts-
nähe und Prozessorientierung sind wichtige Resilienzressourcen. Wer von Ambiguitäten
5 Das ethische Plädoyer für „Realismus“ kann auch dem Verantwortungsbegriff zugeordnet werden,
wie ihn Max Weber als Gegenbegriff zur „Gesinnungsethik“ eingeführt und Willhelm Korff als
Methode der nüchternen Abwägung in nicht auflösbaren Dilemma-Situationen operationalisiert hat
(Weber 1992 (1919); Korff 2001).
Selbsterhaltung, Kontrolle, Lernen 115
nicht aus der Bahn geworfen wird, wer Problemen nicht ausweicht und offen ist für neue
Erfahrungen und Erkenntnisse, ist resilient (Boss 2008). Wie wir gesehen haben ist zwar
das Ziel, die Funktions- und Selbsterhaltung zu sichern, ein wichtiger Bezugspunkt von
Resilienz. Das heißt aber nicht, dass die Abschottungspraxis der Weisheit letzter Schluss
ist. Das Gegenteil ist der Fall. Interessant sind in diesem Zusammenhang die „paradoxe[n]
Zusammenhänge“ (Fooken 2016, S. 16) zwischen Vulnerabilität und Resilienz, auf die die
psychologische Resilienzforschung hinweist. Verwundbarkeiten zu verringern, ist nur ein
Ziel von Resilienz. Denn es gilt auch: Verwundbarkeit führt nicht automatisch zum Ab-
sinken von Resilienz (Keul 2016; Schneider und Vogt 2016, S. 201). Der Unverwundbare
ist vielleicht der Stärkere. Stark zu werden setzt aber Verwundbarkeit voraus. Wer offen
für Anderes und Andere ist, macht sich damit auch verletzlich. Durch Offenheit kann
Schwäche in Stärke transformiert werden, weil durch Offenheit Reifungsprozesse ermög-
licht werden. Wenn es gelingt, das eigene Leben als Lernprozess zu sehen, dann kann man
Veränderungen offener wahr- und annehmen und mit Unvorhergesehenem umgehen. Be-
stätigt werden diese Zusammenhänge durch die psychologische Persönlichkeitsforschung.
Offenheit ist eine jener fünf Eigenschaften, die in vielen Studien als grundlegende Di-
mensionen der menschlichen Persönlichkeit identifiziert werden (Glück 2016, S. 39ff.).6
Wer offen ist, so eine Erkenntnis, ist „mehr am Lernen interessiert … als an der eigenen
Sicherheit“ (ebd., S. 51). Offene Menschen „haben gelernt, dass sich alles im Leben ver-
ändern kann, dass diese Veränderungen aber keine Katastrophen sind, auch wenn sie sich
kurzfristig so anfühlen, sondern das Potenzial für Wachstum und Entwicklung in sich
bergen“ (ebd., S. 63).
Für soziale Systeme, Kulturen und Lebensformen gilt ein ähnlicher Zusammenhang:
Nicht zu stagnieren und auf den Status quo zu beharren, sich auf Neues ein- und so-
ziale Lernprozesse zulassen zu können, ist eine Bedingung für Zukunftsfähigkeit und
Resilienz. Wesentliche Einsichten zu den Voraussetzungen gesellschaftlicher Lernpro-
zesse können ex negativo aus der Analyse des Zusammenbruchs von sozialen Systemen
entnommen werden (Diamond 2005; Sedmak 2016, S. 245). Ein wesentlicher Faktor ist
die Unfähigkeit eines Systems, auf (Umwelt-)Veränderungen zu reagieren. Eine Ursache
dafür ist die fehlende Offenheit: „Abgeschlossene“ Kulturen sind nicht lernfähig, und
wenn sie nicht lernfähig sind, drohen sie zu stagnieren und nicht selten auch „unterzuge-
hen“ (Jaeggi 2014, S. 332ff.). Ihr Kollaps wird nicht zuletzt dadurch verursacht, dass trotz
offensichtlicher oder latenter Probleme so weiter gelebt wird wie bisher, und man sich
nicht an die veränderten Bedingungen anpasst bzw. fehlerhaft anpasst („maladapation“).
Realitätsverweigerung, Wahrnehmungsblockaden und Identitätsfixierung (im Gegensatz
zu Prozessorientierung) sind auch wesentliche Kennzeichen des aktuellen postdemokrati-
schen Populismus (Müller 2016, S. 25ff.). Populismus verspricht einfache Lösungen statt
der unbequemen Mehrdeutigkeit komplexer Sachverhalte und Konflikte Rechnung zu tra-
6 Das „Big-Five“-Modell der Persönlichkeitspsychologie, das eine Synthese aus einer Vielzahl von
Studien und Ansätzen bildet, unterscheidet fünf grundlegende, empirisch messbare Dimensionen
der Persönlichkeit: Neurotizismus, Introversion und Extraversion, Offenheit, Verträglichkeit, Ge-
wissenhaftigkeit (John 2008).
116 Martin Schneider und Markus Vogt
gen. Im Unterschied hierzu besteht die Stärke der Demokratie genau darin, dass sie durch
die Institutionalisierung nicht abschließbarer Diskussionsprozesse auf Lernfähigkeit und
damit auf Resilienz ausgerichtet ist (Kolers 2016). Demokratie zeichnet sich infolge der
Institutionalisierung von Opposition durch die Offenheit für Irritationen und die zeitliche
wie parlamentarisch-diskursive Begrenzung der Macht aus (vgl. Müller 2016, S. 91ff.).
Dies scheint in kritischen Auseinandersetzungen eine Schwäche zu sein, erweist sich aber
auf Dauer als Voraussetzung für Lernprozesse und damit als Stärke.
Der Hinweis auf die Demokratie führt zu einem weiteren zentralen Aspekt, auf den auch
Dewey verweist. Neben Realitätsnähe und Prozessorientierung werden Lernprozesse in
seinen Augen dadurch ermöglicht, dass Assoziationsblockaden beseitigt werden und die
einzelnen Elemente ungehinderter miteinander interagieren können. Die Bedeutung von
relationalen Wechselwirkungen wird auch in der Resilienzforschung gesehen. Dies fängt
damit an, dass, wie bereits angesprochen, bei der Response-Fähigkeit die relational-dia-
logische Bedeutungsebene hervorgehoben wird. Auf Ereignisse und Herausforderungen
zu antworten bedeutet, sich auf sie zu beziehen. Resilient ist demnach, wer in relationalen
Wechselwirkungen mit seiner Umwelt steht. Darüber hinaus geht die Vorstellung, dass der
relationale Bezug auf die Wirklichkeit (Ich-Es-Relation) von einer Ich-Du-Es-Relation
getragen wird. Für Clemens Sedmak ist aus diesem Grund Konnektivität ein Resilienz-
faktor (Sedmak 2016, S. 241ff.). Er versteht darunter „auf der Ebene von Personen […] die
Verbindung von einzelnen Personen“ und „auf systemischer Ebene die Verbundenheit des
sozialen Systems mit anderen Systemen, vor allem dem ökologischen System, aber auch
anderen sozialen Systemen“ (ebd., S. 242). Auch Konnektivität hat Offenheit zur Voraus-
setzung. In sich verschlossene Individuen und abgeschlossene Systeme ruhen in sich selbst,
sind sich selbst genug. Offenheit führt zu Selbsttranszendenz und Entgrenzung. Auch das
bereits angesprochene Wechselverhältnis von Verwundbarkeit und Resilienz basiert dar-
auf, dass die Grenzen des eigenen Ichs durchlässig werden – durchlässig für den Anderen,
für sein Leid, seine Hoffnungen und seine Sorgen. Wer verwundbar ist, lässt sich anrühren
von der Situation des Anderen. Es entsteht Konnektivität oder wenn man die emotionale
Komponente hervorhebt: Resonanz (Rosa 2016). Der Soziologe Hartmut Rosa versteht
darunter, dass „das Andere da draußen mit mir so in Beziehung tritt, dass ich durch diese
Beziehung selbst verändert werde, dass ich mich dabei und darin verwandle“ (Rosa 2015,
zitiert nach Knapp 2016, S. 173). Dies ist unserer Ansicht nach auch der springende Punkt,
warum und in welcher Hinsicht Konnektivität ein resilienzfördernder Faktor ist. Konnek-
tivität trägt dazu bei, sich aus blockierten Weltbeziehungen zu befreien und konstituiert
ein dialogisches, von Responsivität und Resonanz geprägtes Weltverhältnis. Dies gilt auch
für systemische und ökologische Zusammenhänge: Die angemessene Wahrnehmung und
nachhaltige Gestaltung der vielschichtigen sozialen Vernetzungszusammenhänge und
der sie tragenden Netzwerke der ökologischen Systeme ist einer der zentralen Imperative,
Selbsterhaltung, Kontrolle, Lernen 117
5 Fazit
Ein Ziel dieses Beitrages war, den bekannten deskriptiven Resilienzdimensionen Persis-
tenz, Adaptation und Transformation die normativen Leitbilder Selbsterhaltung, Kont-
rolle und Lernen gegenüberzustellen. Dabei zeigte sich, dass alle drei Begriffe auf der
einen Seite eine wesentliche, auch normative rekonstruierbare Dimension von Resilienz
zum Ausdruck bringen, dass sie auf der anderen Seite aber immer auch relativiert werden
müssen. Wenn der Anspruch des Lernens eindimensional als Prozess ständiger Selbstop-
timierung verstanden wird, mündet er in eine Selbstüberforderung. Auch die Akzeptanz
von Grenzen und Vulnerabilitäten sind unabdingbare Elemente einer ethisch qualifizier-
ten Resilienz. Analoges gilt für die Dimension der Kontrolle: Statt einseitig auf geplante
Steuerung und Beherrschbarkeit zu setzen, sind Elemente der Überraschung und des ge-
118 Martin Schneider und Markus Vogt
ausreichen. Ihrer Ansicht nach „ist damit […] nur die sehr unbestimmte Richtung eines
Fortschreitens bezeichnet, die wenig belastbare Kriterien dafür enthält, dass die erreichte
Situation angemessene Ressourcen für aktuelle und weitere Problemlösungen bereitstellt“
(Jaeggi 2014, S. 409f.). Damit habe man nur den „einfache[n] Adaptionsvorgang“ (ebd.,
S. 410) vor Augen, in dem man sich Neuerungen anpasst und neue Möglichkeiten nutzt. Je
nach Situation sei aber auch eine Befreiung nötig, um von einem Lernprozess sprechen zu
können. Diese Perspektive ist ihrer Ansicht nach wichtig, weil Einstellungen, Verhaltens-
weisen und Lebensformen in „Formen der kollektiven Selbsttäuschung oder Ideologie“
(ebd.) gefangen sein können. Sich daraus zu befreien, kennzeichne die wahre Reflexivität
von Lernprozessen. Nicht zuletzt für die Explikation der transformativen Dimension von
Resilienz ist der von Jaeggi angesprochene Aspekt von Bedeutung. Transformation kann
im Sinne von natürlichen Selbstheilungskräften und Entwicklungen (z. B. Transformation
einer Raupe zum Schmetterling) gedeutet werden. Sie kann aber auch als Befreiung aus
Pfadabhängigkeiten verstanden werden. Eben das meint der Wissenschaftliche Beirat der
Bundesregierung Globale Umweltveränderungen, wenn er von einer „Großen Transfor-
mation“ (WBGU 2011) spricht und für einen Wandel des jetzt dominanten Wirtschafts-,
Gesellschafts- und Kulturmodells eintritt. In diesem Kontext muss dann Resilienz als ein
Prozess verstanden werden, der einer Verdrängung von Problemen entgegenwirkt, die Au-
gen für deren Ursachen öffnet und auf diesem Weg die Befreiung aus „Pfadabhängigkei-
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120 Martin Schneider und Markus Vogt
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125
Selbstgestaltung und Sinnsuche
unter fragilen Bedingungen
Moralpsychologische und ethische Anmerkungen
zum Verhältnis von Resilienz und Identität
Jochen Sautermeister
Zusammenfassung
127
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2018
M. Karidi et al. (Hrsg.), Resilienz,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-19222-8_7
128 Jochen Sautermeister
1 Einleitung
Die menschliche Existenz steht unter dem Vorzeichen ihrer Endlichkeit. Diese rückt nicht
erst dann in das Bewusstsein, wenn schwere Krankheit, Sterben oder Tod im Leben von
Menschen Wirklichkeit werden. Vielmehr kann sie auch in all den Erfahrungen von Ent-
scheiden-Müssen und Versprechen-Geben, von Isolation und Streit, von Abschied und
Neuanfang, von Verletzung und Kränkung, von Traumatisierung und Krise, von Scheitern
und Schuld, von Begrenztheit und Ohnmacht zum Vorschein kommen. Generell wird End-
lichkeit überall dort erfahrbar, wo der Mensch in seiner Freiheit die Erfahrung machen
muss, sein Geschick nicht selbstmächtig in der Hand zu haben, sondern abhängig und auf
Andere und Anderes angewiesen zu sein. Wenn nun Erfahrungen der Verletzbarkeit und
Zerbrechlichkeit nicht nur in der abstrakten, kühlen Reflexion bedacht werden, sondern
zugleich auch im persönlichen Erleben mit existenzieller Ahnung bis hin zu existenzieller
Wucht subjektiv bedeutsam werden, vermögen solche Endlichkeitserfahrungen für den
Menschen auf der Suche nach seiner Identität ethische Relevanz gewinnen.
Gesundheit und Wohlergehen, persönliches Wachstum und Identität lassen sich ange-
sichts dieser anthropologischen Lage daher nicht gegen leibseelische Beeinträchtigungen
und Begrenztheit, sondern nur unter dem Vorzeichen der Vulnerabilität angemessen er-
schließen und lebenspraktisch anstreben. Sowohl existenzielles Nachdenken, Übungen der
Lebenskunst also auch Erkenntnisse der Humanwissenschaften können Menschen helfen,
auf der Grundlage einer realistischen Einschätzung der Lebenswirklichkeit die eigenen
Lebensmöglichkeiten unter den gegeben soziokulturellen Bedingungen zu verwirklichen.
„Was immer den Menschen sowohl in seiner individuellen Verfasstheit als auch in seinen
gesellschaftlichen Strukturen zurückbleiben oder sich selbst überschätzen lässt, kann ihm
so erst zur Erfahrung verfehlter Freiheit“ (Hunold 1993, S. 93f.) angesichts seiner Verletz-
barkeit und Endlichkeit werden. Oder anders gesagt: Auch wenn die human- und sozial-
wissenschaftlichen Erkenntnisse zunächst die empirischen Begrenztheiten, Bedingtheiten
und Determinismen der menschlichen Handlungswirklichkeit sichtbar machen, haben sie
eine freiheitsförderliche Funktion in dem Sinne, dass sie die Erwartungen an eine ver-
antwortliche Lebensweise, die diese Bedingtheiten berücksichtigt und sich bewusst dazu
verhält, forcieren. Dies gilt sowohl hinsichtlich äußerer Strukturen als auch hinsichtlich
der inneren, psychosozialen Möglichkeiten des Menschen. Damit einher geht ein durchaus
unterschiedlich motivierter – und auch vor der Gefahr der ökonomischen Instrumentali-
sierung nicht gefeiter – Imperativ zur Stärkung der Selbstmanagementkompetenzen wie
auch der Stressbewältigungs- und Copingmöglichkeiten. Thematisiert wird dies als ein
spezifischer Aspekt neben den sozialen Gesichtspunkten unter dem Stichwort „Resilienz“.
Die Rede von Resilienz impliziert immer Störungen, Stressoren oder Krisen, die zu
bewältigen sind (vgl. Bonß 2015, S.16; Wink 2016). Der Resilienzdiskurs wird deshalb
auch als Krisenphänomen bezeichnet, weil er „auf Krisen angewiesen“ (Graefe 2016,
S. 47, Hervorh. i. Orig.) ist. Sieht man von den technischen, naturwissenschaftlichen und
ökologisch-geophysikalischen Resilienzverständnissen ab (vgl. Vogt 2015) und fokussiert
sich gemäß einer moralpsychologisch-ethischen Perspektive auf Menschen als Hand-
Selbstgestaltung und Sinnsuche unter fragilen Bedingungen 129
lungssubjekte, dann beinhaltet der Resilienzdiskurs überdies die Annahme, dass Men-
schen grundsätzlich Möglichkeiten besitzen, sich zu potenziellen oder aktuellen Krisen
oder traumatischen Ereignissen verhalten zu können. Dies kann so geschehen, dass sie
durch Anpassungs-, Wiederherstellungs- oder Transformationsleistungen in den für sie
relevanten Bereichen in unterschiedlichem Ausmaß handlungs- bzw. funktionsfähig blei-
ben oder wieder werden können oder sogar daraus Wachstums- und Entwicklungsimpulse
gewinnen können. Im Unterschied zu einem philosophisch-normativen Zugang zum Resi-
lienzbegriff, der mit der Kategorie der Autorschaft operiert (Nida-Rümelin und Gutwald
2016), geht es bei einem moralpsychologisch-ethischen Zugang darum, unter besonderer
Berücksichtigung der empirischen Bedingungszusammenhänge den Menschen als bio-
grafisch individuiertes Handlungssubjekt zu erfassen.
sönliche und sozial vermittelte Ressourcen zu meistern und als Anlass für Entwicklung
zu nutzen“ (Welter-Enderlin 2012, S. 13).1 Dies schließt auch eine positive Erholungsfä-
higkeit bei traumatischen Ereignissen und Belastungen ein. Im Rahmen der empirischen
Resilienzforschung geht es daher um die Frage nach den begünstigenden und beeinträch-
tigenden Faktoren von Resilienz. Als variable und dynamische Prozessgröße ist Resi-
lienz vieldimensional und abhängig von situationsspezifischen und biografischen Fakto-
ren. Aufgrund der Wechselwirkungen von Vulnerabilitäts,- Risiko- und Schutzfaktoren
ist eine lineare Ableitung von Resilienz nicht möglich; vielmehr existieren verschiedene
Resilienzmodelle nebeneinander.2 Der pädagogisch-psychologische Fokus auf Resilienz-
faktoren richtet sich vornehmlich auf personale Ressourcen und präventive Maßnahmen,
er zielt darauf ab, Menschen in ihrer seelischen Widerstandskraft zu stärken. Diese per-
sonalen Ressourcen bzw. Schutzfaktoren dürfen jedoch nicht als individualistisch engge-
führt gelten, da sie intersubjektiv-biografisch gebildet sind und von sozialen, kulturellen,
politischen und materiellen Faktoren beeinflusst werden. Insbesondere werden folgende
personale Ressourcen, die zusammenhängen und interagieren, bestimmt, die die Resilienz
einer Person unterstützen können (vgl. Antonovsky 1997; Welter-Enderlin und Hilden-
brand 2012; Fröhlich-Gildhoff und Rönnau-Böse 2014; Fooken 2016):
1 Die nachfolgenden Überlegungen finden sich zum Teil bereits bei Sautermeister (2016).
2 S. hierzu den Überblick bei Fröhlich-Gildhoff und Rönnau-Böse (2014, S. 19ff.).
132 Jochen Sautermeister
Diese psychischen Ressourcen konvergieren, wie im Folgenden erläutert wird, mit jenen
zentralen Faktoren, die für eine gelingende Identitätsarbeit und Identitätsbildung erforder-
lich sind. Ein solcher Zugang, der die relevanten empirischen Bedingungszusammenhän-
ge für ethische Fragestellungen theoretisch berücksichtigt und für praktisch-normative
Themen zur Geltung bringt, lässt sich als moralpsychologisch bezeichnen (vgl. Sauter-
meister 2017).
Gemäß dem integrativen Identitätsmodell, das der Psychologe Karl Haußer entwickelt hat,
steht Identität für die „Einheit aus Selbstkonzept, Selbstwertgefühl und Kontrollüberzeu-
gung eines Menschen, die er aus subjektiv bedeutsamen und betroffen machenden Er-
fahrungen über Selbstwahrnehmung, Selbstbewertung und personale Kontrolle entwickelt
und fortentwickelt und die ihn zur Verwirklichung von Selbstansprüchen, zur Realitäts-
prüfung und zur Selbstwertherstellung im Verhalten motivieren“ (Haußer 1983, S. 103;
vgl. auch Haußer 1995). Identität ist demnach kein Zustand, sondern eine Prozessgröße.
Sie bildet sich durch Interaktionsprozesse dynamisch aus, bedarf deshalb der Gestaltung
und ist zu keiner Zeit im Laufe des Lebens abgeschlossen. Identitätsarbeit meint dabei
jene Leistung und jene Prozesse, bei denen es um die Herstellung einer Passung von Innen
und Außen, von eigenen Bedürfnissen, Interessen und Wertvorstellungen einerseits und
den sozialen Erwartungen und Anforderungen im soziokulturellen, sozioökonomischen
und ökologischen Raum andererseits geht, wobei biografisch erworbene Interpretations-,
Bewertungs- und Verhaltensmuster eine nicht unerhebliche Bedeutung für die Wahrneh-
mung und Gestaltung von Authentizität und sozialer Anerkennung haben (vgl. Sauter-
meister 2013, S. 216ff.). Dies lässt sich vor allem mit Rekurs auf die reflexive Sozialpsy-
chologie weiter explizieren:
Aus der Perspektive reflexiver Sozialpsychologie werden die Lebensformen von Indivi-
duen in komplexen pluralisierten, fragmentarisierten und individualisierten Gesellschaf-
ten untersucht (vgl. Keupp 1993, S. 236), die sich als ambivalent für den Einzelnen und
seine Lebensführung erweisen. Dabei geht es um die Frage: „Welche psychische Grund-
ausstattung benötigen Subjekte, um ambivalente Erfahrungen positiv verarbeiten zu kön-
nen, ohne dem Zwang zu ihrer Homogenisierung und Vereinheitlichung zu unterliegen?“
(Keupp 1993, S. 245) Ferner sind die dazu erforderlichen materiellen und soziokulturellen
Selbstgestaltung und Sinnsuche unter fragilen Bedingungen 133
Ressourcen auszumachen. Diese Fragen zeigen, dass die soziologisch diagnostizierte Frei-
setzung des Einzelnen aus gesellschaftlichen Normalitätsmustern nicht per se Autonomie-
gewinne für das Individuum bedeutet, sondern lediglich einen Möglichkeitsraum eröffnet,
für dessen Realisierung es bestimmter Bedingungen, näherhin bestimmter Ressourcen
und Fähigkeiten, bedarf. Nur wenn diese gegeben sind, kann der Einzelne sich als hand-
lungsfähig und autonom erleben. Zugleich wird darin aber auch deutlich, dass die Frage
nach der Persönlichkeit eines Menschen sich nur angemessen im Kontext jener biografi-
schen und sozialen Bedingungs- und Anerkennungsverhältnisse thematisieren lässt, inner-
halb derer ein Mensch in seinem Bemühen um Identität steht. Ein solcher Ansatz erschöpft
sich nicht in einer theoretischen Kritik, sondern intendiert darüber hinaus, „Vorschläge
und Erläuterungen dafür zu liefern, wie Subjekte oder gesellschaftliche Gruppen sich ihre
soziale Welt so bilden können, dass sie sich in dieser Welt handlungsfähig fühlen“ (Keupp
et al. 2006, S. 272). So lassen sich die gewonnenen Erkenntnisse auch für den Resilienzdis-
kurs fruchtbar machen, insofern es auch bei ihm um Handlungsfähigkeit geht.
Das emanzipatorische Potenzial des identitätstheoretischen Zugangs erschöpft sich da-
mit eben nicht in der Qualifizierung von Identität als ausschließlich sozialer Konstruktion,
die grenzenlose Gestaltungsräume impliziert.3 Denn Identität ist zugleich auf ein empi-
risches bzw. „materialistisches Fundament“ (Keupp 1993, S. 267) angewiesen, das seine
Verwirklichung der Beliebigkeit entzieht und somit auch überdehnte Ansprüche zurück-
zuweisen vermag. Die Einseitigkeit eines Naturalismus wird ebenso vermieden wie die
Einseitigkeit eines sozialen Konstruktivismus. Aus dieser identitätstheoretischen Perspek-
tive werden die empirischen Realisierungsbedingungen alltäglicher und außerordentlicher
Identitätsarbeit erforscht, ohne dabei das kritische Anliegen dieses Ansatzes preisgeben
zu müssen.
Das kritische Potenzial des identitätstheoretischen Ansatzes resultiert folglich nicht aus
einem abstrakten Personenbegriff oder aus einem normativen Begriff gelungener Identi-
tätsbildung, der sich aus einem objektiven normativen Identitätskonzept ableiten ließe,
das Identitätsbildung an einem Zuwachs an Autonomie und Mündigkeit ausrichten und
bemessen könnte. Vielmehr basiert es auf der empirischen Befundlage, „was aus der Sicht
der Subjekte gelingende oder misslingende Identitätsgewinnung darstellt“ (Keupp 1997,
S. 32) und was sinnvolle Perspektiven der Lebensführung sind. Ein solches Kriterium
folgt aus einem sozialpsychologischen Verständnis von Identität, wonach diese „als ein
subjektiver Konstruktionsprozess zu begreifen ist, in dem Individuen eine Passung von
innerer und äußerer Welt suchen“ (Keupp et al. 2006, S. 7). Mit Heiner Keupp lässt sich
Identitätsarbeit daher als „Passungsarbeit“ (Keupp et al. 2006, S. 276) deuten, deren Ge-
3 Als heuristische Metapher wurde der Begriff der „Patchwork-Identität“ gewählt, um sich von der
Vorstellung einer einheitlichen Substanzidentität zu distanzieren, die „als ‚Akkumulation innerer
Besitzstände‘ zu charakterisieren wäre“ (Keupp 1996, S. 380). Um dem Missverständnis der Will-
kürlichkeit und Beliebigkeit von Identitätsentwürfen entgegenzutreten, soll der Verweis auf die
Bedingungen für die Identitätsarbeit und deren empirische Erforschung verdeutlichen, dass Identi-
tätsarbeit der subjektiven Beliebigkeit entzogen bleibt, wenn sie auf die Erzeugung eines Identitäts-
gefühls abzielt (vgl. Keupp 1996, S. 402f.).
134 Jochen Sautermeister
lingen oder Misslingen sich an der jeweiligen „Einpassung des Subjekts mit all seinen oft
widerstreitenden Anteilen in eine ebenfalls ambivalente, dynamische und komplexe Welt“
(Keupp et al. 2006, S. 276) bemisst. Gelingende Identität lässt sich damit als temporär
qualifizieren und ist prozessual zu begreifen.
Es wäre jedoch ein Missverständnis, wollte man dieses Kriterium der Passung als ein
rein subjektives betrachten. Denn für das Gelingen der Passungsarbeit bedarf es spezi-
fischer materieller, kultureller und sozialer Ressourcen und Fähigkeiten, die sich als ob-
jektive oder intersubjektive Faktoren einem bloßen Subjektivismus entziehen. Sie sind der
Gegenstand allgemeiner identitätstheoretischer Betrachtung und bilden eine wichtige Ba-
sis für die je konkrete Bestimmung dessen, was gelingende Identität und verantwortliche
Selbstbildung im Rahmen individueller Biografien in einem bestimmten soziokulturellen
Kontext bedeutet.
Identitätsbildung geschieht stets interaktionell; sie ist ferner durch soziokulturell ver-
mittelte Identitäts- und Beziehungsbilder geprägt, durch nicht bewusste psychische Dy-
namiken beeinflusst und von sozialer Anerkennung abhängig. Neben der konstitutiven
Verwiesenheit auf Andere ist der Mensch auch auf kulturelle, materielle und ökologische
Ressourcen und Güter für die eigene Lebensgestaltung angewiesen, um ein gelingendes
und gutes Leben führen und eine gelingende Identität ausbilden zu können. Aus ethischer
Sicht ist die Frage zu stellen, wie ein sinnvolles, Lebenschancen eröffnendes, gutes Leben
unter den Vorzeichen von Vulnerabilität und Zerbrechlichkeit ermöglicht werden kann
und welche Bedeutung dies für die Bildung der eigenen Identität und der Persönlichkeit
hat.
Durch die Bezugnahme auf eine sozialpsychologisch fundierte Identitätskategorie wird
also der Versuch unternommen, den ethisch zentralen Personenbegriff durch empirische
Bedingungsmomente der Identitätsarbeit von Menschen dichter zu bestimmen. Es eröffnet
sich damit die Möglichkeit, unter Berücksichtigung biografischer, psychosozialer und so-
ziokultureller Bedingungen nach Voraussetzungen und Erfordernissen zu fragen, die eine
gelingende Identität im gestaltenden Umgang mit sich selbst, auch im pädagogisch-thera-
peutischen Sinne, zu fördern vermögen – aber auch zu eruieren, wo die Grenzen eines schä-
digenden Verhaltens sind und ungerechte Bedingungen herrschen bzw. noch weiter forciert
werden. Denn die mit der grundsätzlichen Anerkennung der Personalität einhergehende
Aufgabe zur Befähigung zu personaler Autonomie und zur Bildung einer Persönlichkeit
lässt sich vor dem Hintergrund des hier skizzierten Ansatzes als Fähigkeit zur Identitäts-
arbeit reformulieren. Identität und Biografie stellen konzeptionelle Rahmenkategorien dar,
die für ein praktisch-normatives Verständnis von Resilienz unhintergehbar sein.
lich von Resilienz lässt sich damit Folgendes festhalten: Die je konkreten individuellen
Möglichkeiten von Resilienz sind bedingt durch die Determinanten und Konditionierun-
gen ihrer je individuell-situativen Realisierung in der Lebensgeschichte einer Person, die
im Verfolgen ihres Gelingens auf die Erfahrung von Authentizität und Anerkennung an-
gewiesen ist.
In interdisziplinärer Kooperation mit den Human- und Sozialwissenschaften ließe sich
nun weiter eruieren, was dies für Resilienzerwartungen und ihre Angemessenheit bzw.
Berechtigung in konkreten Situationen bedeutet. Mit einem solchen Vorgehen könnte das
ethische Anliegen eingeholt werden, den Menschen in seinem Bemühen um gelingende
Identität einerseits als Person und als Verantwortungsträger anzuerkennen und ihn ande-
rerseits dem nicht-entfremdenden Zugriff durch die relevanten empirischen Disziplinen
zugänglich zu machen.
Vor dem skizzierten Hintergrund zum Verhältnis von Resilienz und Identität lässt sich
systematisch ein Ansatzpunkt für eine anerkennungstheoretisch fundierte Persönlich-
keitsethik – auch im Kontext des Resilienzdiskurses – verorten, in der die Anerkennung
und Förderung fremder wie auch eigener Identität verbindlich wird. Die Verbindlichkeit
der Festlegung unantastbarer Bedingungen für die Lebensführung und die Identitätsbil-
dung gründet demnach eben nicht in einer begrifflichen Generalisierung und Explikation
eines spezifischen Menschenbildes, sondern in der immer wieder zu aktualisierenden Er-
fahrung konkreter Anerkennung bzw. verweigerter Anerkennung und deren Bedeutung
für das Gelingen bzw. Misslingen der Identitätsarbeit von Menschen unter den Bedingun-
gen von Vulnerabilität und Endlichkeit.
Dabei wird deutlich, wie das Bemühen um gelingende Identität grundsätzlich auf An-
dere und Anderes verwiesen und unabgeschlossen ist und die Möglichkeiten der Identi-
tätsarbeit bis zum Tod niemals ausgeschöpft sind, so dass man auch von einer bleibend
fragmentarischen Identität sprechen könnte. Damit kommt der kritische Impuls des Per-
sonenbegriffes als Kritik an einer intendierten und abgeschlossenen Identitätstotalität
und Selbstmächtigkeit zur Geltung, insofern die Gedanken der qualitativen Individualität
des Handlungssubjekts, der Relationalität und der Würde als ethische Kriterien gerade
überfordernde, verabsolutierend-selbstmächtige, identifizierende, entfremdende und ge-
walttätige Totalitätsvorstellungen von Identität zurückweisen. Die im Identitätsbemühen
liegende unabschließbare Selbstsuche und Selbstgestaltung des Menschen angesichts sei-
ner konstitutionellen Verletzlichkeit und Zerbrechlichkeit lässt sich daher im Rahmen des
Resilienzdiskurses folgendermaßen zusammenfassen:
Die Konvergenz von zentralen empirischen Dimensionen gelingender Identitätsbil-
dung und verantwortlicher Identitätsarbeit mit personalen Ressourcen für Resilienz lässt
sich dahingehend deuten, dass Resilienz eine vulnerabilitätsbewusste und krisensensi-
Selbstgestaltung und Sinnsuche unter fragilen Bedingungen 137
tives Identitätsideal würde ferner die Möglichkeit humaner Identitätsbildung insofern be-
einträchtigen, als es die Resilienzlast ganz auf das Individuum richten würde.
Eine moralpsychologisch ausgerichtete ethische Reflexion von Resilienz hat daher auch
identitätsformende Prozesse der Selbstsorge, des Einübens und der Bildung, des existen-
ziellen, moralischen und spirituellen Lernens und der Habitualisierung von entsprechen-
den Verhaltensweisen, Einstellungen und Lebensstilen zu berücksichtigen. Denn in ihnen
macht der Mensch in seinem Ringen um Selbstgestaltung und Sinn ernst. Darin gewinnt
die realistische salutogenetische Hoffnung in Krankheit, Verletzung, Leid, Scheitern,
Schuld und Ungerechtigkeit ihre biografische Gestalt, so dass man auch sagen könnte:
„Resilienz – Gedeihen trotz widriger Umstände“ (Welter-Enderlin und Hildenbrand 2012).
Selbstgestaltung und Sinnsuche unter fragilen Bedingungen 139
Literatur
Zusammenfassung
Bei der Frage nach dem Umgang mit psychischen Belastungen im Wandel der Arbeit
wird zunehmend häufiger mit dem Konzept „Resilienz“ geantwortet. Für die Bewältigung
psychischer Belastungen in der Wissensarbeit erweist sich das geläufige Verständnis von
Resilienz aber in mehrfacher Weise als problematisch. Resilienz wird in der Praxis häufig
auf die Stärkung der individuellen Anpassungs- und Widerstandskraft der Beschäftigten
verkürzt. Ein ganzheitlicher Ansatz zielt jedoch darauf ab, psychische Belastungen glei-
chermaßen auf individueller Ebene, Team-Ebene und organisationaler Ebene anzugehen.
In der Tradition der Arbeitspsychologie plädiert der Beitrag für „Verhältnisprävention vor
Verhaltensprävention“, die über personale Resilienz hinausweist, betont die Pflicht der
Arbeitgeber*innen die Beschäftigten vor Gesundheitsbeeinträchtigungen zu schützen und
zeigt betriebliche Handlungsmöglichkeiten im Bereich der Wissensarbeit auf.
1 Einleitung
Resilienz am Arbeitsplatz wird oft als psychische Widerstandskraft definiert, als Fähig-
keit, schwierige Lebenssituationen ohne anhaltende Beeinträchtigung zu überstehen (vgl.
Tedeschi und Calhoun 2004). Resilienz kann nicht nur passive Widerstandskraft bezeich-
nen, auch aktive Anpassung an veränderte Situationen kann gemeint sein (vgl. Luthar et
al. 2000, S. 543). Den meisten Definitionen ist gemein, dass es um schwerwiegende Not-
141
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2018
M. Karidi et al. (Hrsg.), Resilienz,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-19222-8_8
142 Jörn Hurtienne und Katharina Koch
situationen geht, die mit enormem Stress einhergehen, mindestens aber mit „bedeutsamem
Wandel“ und dass die Betrachtungsebene das (arbeitende) Individuum ist (für eine Über-
sicht von Definitionen s. Blum et al. 2015). Die Verwendung des Begriffs hat sich seit 1980
nahezu verdreifacht (Google Books Ngram Viewer, eigene Auswertung) und wird auch im
Arbeitsschutz als neues Thema für das Betriebliche Gesundheitsmanagement diskutiert
(z. B. Grabley et al. 2015).
Anhand der zwei Definitionsdimensionen Widerstand und Adaptation wird im Fol-
genden die Nützlichkeit des Begriffs für die Diskussion um psychische Belastungen am
Arbeitsplatz untersucht. Obwohl Resilienz oft mit psychischen Belastungen und Stress
in Zusammenhang gebracht wird, widerspricht der Resilienzansatz in mehrfacher Hin-
sicht einem ganzheitlichen Verständnis von Arbeitsschutz, ja kann ihm sogar schädlich
werden. Im Folgenden wird zunächst am Beispiel Lärm das Vorgehen des Arbeitsschutzes
beschrieben. Dann wird auf neue Konstellationen psychischer Belastungen im Wandel der
Arbeit am Beispiel Wissensarbeit eingegangen. In der Folge wird der Begriff bzw. das im
Arbeitskontext vorherrschende Verständnis von Resilienz bewertet und unser Vorgehen zu
Strategien der Bewältigung psychischer Belastungen im Wandel der Arbeit1 vorgestellt.
Stellen Sie sich vor, Sie wären Sicherheitsfachkraft in einem Industriebetrieb. Unten in der
Halle steht eine Maschine, die zu viel Lärm macht. Der Betriebsarzt oder die Betriebs-
ärztin ordnet Hörüberprüfungen an und mahnt an, etwas gegen den Lärm zu tun. Sonst
drohten Leistungseinbußen und arbeitsbedingte Schwerhörigkeit. Als Arbeitsschützer*in
verfügen Sie über Tabellen und Diagramme, aus denen Sie ablesen können, nach welcher
Zeit bei welchem Schalldruck (gemessen in Dezibel) die allgemeine Leistungsgrenze und
die Schädigungsgrenze erreicht sind. Achtzig Dezibel (dB) Lärm entsprechen zum Bei-
spiel Straßenlärm oder dem Lärm, den Staubsauger oder Rasenmäher von sich geben.
Schon nach 17 Minuten Arbeit bei 80 dB ist die Leistungsgrenze überschritten, d. h. die
Arbeitsleistung verschlechtert sich. Nach acht bis neun Stunden bei 80 dB ist die Schädi-
gungsgrenze erreicht, d. h. das Gehör kann irreversible Schäden erleiden. Resilienztheo-
retisch betrachtet, wäre Lärm also eine beeinträchtigende Belastung und die Leistungs-
und Schädigungsgrenzen würden das Limit der Widerstandskräfte der Leistung und der
Gesundheit markieren. Da es dem Arbeitsschutz um die Verhütung von arbeitsbedingten
Gesundheitsgefahren geht, sollte zumindest die Schädigungsgrenze nicht erreicht werden.
In der Lärm- und Vibrations-Arbeitsschutzverordnung (LärmVibrationsArbSchV 2016)
z. B. gilt ein Schalldruckpegel von 85 dB als oberste Grenze, ab der Lärmschutzmaß-
nahmen verpflichtend sind. Da aber die Leistungsgrenzen wesentlich früher auftreten,
sollten entsprechend bereits früher Schutzmaßnahmen getroffen werden. Für konzentrier-
te geistige Arbeit gilt bereits ein Höchstwert von 55 dB (Lange und Windel 2013). Im
Schichtplans) effektiver sind, als das Verhalten der Beschäftigten ändern zu wollen (Tra-
gen eines persönlichen Gehörschutzes). Könnte man also die Resilienz der Beschäftigten
gegen Lärm überhaupt beeinflussen, wäre es im klassischen Arbeitsschutz eher eine nach-
rangige Maßnahme zur Verhütung arbeitsbedingter Gesundheitsgefahren.
3.1 Fallbeispiel
Wir verlassen nun die Arbeiter*innen an der Maschine und begeben uns zu den Ange-
stellten im Verwaltungsgebäude. Die Entwicklungsabteilung klagt über Stress. Seit im
Zuge der letzten Restrukturierung Teile der Entwicklung ins Ausland verlagert wurden,
sind die Arbeitstage länger geworden. Um rund um die Uhr entwickeln zu können und
damit schneller als die Konkurrenz zu sein, arbeiten weitere Teams in Shanghai und San
Francisco. Für die deutschen Beschäftigten bedeutet das oft zusätzliche Meetings mor-
gens vor und abends nach der eigentlichen Arbeitszeit zur Übernahme und Übergabe von
Arbeitspaketen. Zugleich findet Wettbewerb zwischen den Teams statt: Die Beschäftigten
in China erledigen die gleiche Arbeit für die Hälfte der Kosten. Bei Personalengpässen,
holt das Management Leiharbeiter*innen an Bord. Manche von ihnen gehen wieder nach-
dem das Projekt vorbei ist, andere bleiben über mehrere Projekte hinweg und hoffen vom
Unternehmen übernommen zu werden. Nur dann nämlich gelten auch für sie die gleichen
Bedingungen: Bezahlung nach Tarif, bessere arbeitsorganisatorische Eingliederung, volle
Verantwortung des Unternehmens für ihre Arbeitsschutzbelange. Als Aktiengesellschaft
muss die Firma ihren Aktionär*innen Profit versprechen, was in einem hart umkämpften
Markt zu wiederholten Anpassungen der Strategien führt. Restrukturierungen sind häufig,
die Vorgesetzten wechseln alle zwei Jahre. Auch die Kund*innen sind anspruchsvoller
geworden. Sie erwarten maßgeschneiderte Produkte in immer kürzeren Entwicklungs-
zeiträumen und drohen zur Konkurrenz abzuwandern. Da sich die Entwicklungszeiten
dem Druck anpassen, kommen neue Funktionalitäten oft unausgereift auf den Markt. Die
Kund*innen beschweren sich, die Hotline läuft heiß. Statt ihre Zeit in die Weiterentwick-
lung der Produkte zu investieren, betreiben die Entwickler*innen infolgedessen Trouble-
shooting, obwohl die Produktqualität das Alleinstellungsmerkmal der Firma am Markt ist.
Die Firma hat schon vor Langem Vertrauensarbeitszeit eingeführt und ist zu einer er-
gebnisorientierten Steuerung übergegangen. Die zu erreichenden Ziele speisen sich aus
den (oft unrealistischen) Projektplänen, die das Management mit den Kund*innen ver-
einbart hat, wodurch bestimmte Termine, Preise und Funktionsumfänge vorgegeben wer-
den. Mit den verfügbaren Ressourcen sind diese oftmals nicht realisierbar. Die Leiharbei-
ter*innen, die eigentlich zur Entlastung eingestellt werden, kosten ihrerseits Zeit, müssen
sie doch erst eingearbeitet werden. Jede/r Mitarbeiter*in muss 90 % ihrer/seiner Zeit auf
Kundenprojekten verbuchen können. Da überdies viel interne Arbeiten zur Dokumenta-
Resilienz 145
tion und Koordination zu verrichten sind, die auf kein Projekt der Kund*innen gebucht
werden können, bleibt wenig Zeit zum Durchschnaufen, Zurückschauen und Planen.
Der technische Wandel stellt den Beschäftigten immer neue Werkzeuge zur Verfügung,
die die Entwicklung vereinfachen sollen. Neue technische Standards kommen auf den
Markt und müssen eingehalten werden. Für entsprechende Schulungen ist jedoch keine
Zeit. Die Entwickler*innen bilden sich privat und am Wochenende fort, wollen sie doch
ihre Werkzeuge beherrschen und gute Arbeit leisten. Durch den technischen Wandel wird
zunehmend mobil gearbeitet. Jede/r Entwickler*in hat einen Laptop, mit dem sie/er auch
sonntags bereits von zu Hause ihre/seine E-Mails lesen kann, und dies auch tut, um vor-
bereitet in die Woche zu gehen. Offiziell ist Heimarbeit möglich, wird aber kaum genutzt.
Anwesenheit in der Firma zählt.
Insgesamt erleben die Beschäftigten diese Arbeitsbedingungen als sehr stressig. Eine
interne Mitarbeiter*innen-Befragung zum Stresserleben ergibt alarmierende Werte. Der
Krankenstand in der Abteilung ist hoch. Von einigen Beschäftigten wird behauptet ihre
Diagnose laute Burnout. Auch hier ist es Aufgabe des Arbeitsschutzes einzugreifen.
Die Beschreibung der obigen Situation in der Entwicklungsabteilung ist fiktiv, aber den-
noch realistisch. Sie ist aus unseren Erfahrungen im Feld gewonnen und stimmt mit der
empirischen Literatur, die psychische Belastungen im Wandel der Arbeit untersucht, über-
ein (z. B. Gerlmaier und Latniak 2010; Dunkel und Kratzer 2016; Handrich et al. 2016).
Der Wandel der Arbeit, der auch in den höherqualifizierten Tätigkeiten seit der Jahrtau-
sendwende stattfindet, lässt sich unter den Stichworten Wettbewerb, Beschleunigung, Sub-
jektivierung und Digitalisierung beschreiben (Hurtienne et al. 2014).
Die Globalisierung hat den Wettbewerbsdruck erhöht, kann doch vieles billiger anders-
wo in der Welt hergestellt werden. Auch innerhalb eines Unternehmens kann Wettbewerb
zwischen den internationalen Standorten bestehen. Zudem stehen verschiedene Beschäf-
tigungsgruppen miteinander in Konkurrenz: Leiharbeiter*innen, die übernommen wer-
den wollen und Arbeitnehmer*innen im Normalarbeitsverhältnis, denen nun in stärkerem
Maße bewusst wird, dass man auch absteigen kann.
Aufgrund der Beschleunigung von Technik und Kommunikation sind die Beschäftig-
ten mit erhöhten Lern-, Flexibilitäts- und Mobilitätsanforderungen konfrontiert. Unter-
nehmen reorganisieren sich in Permanenz (z. B. Dunkel et al. 2010; Köper 2012), um mit
aktuellen Entwicklungen Schritt halten zu können. Arbeitnehmer*innen finden sich in
neuen Teams und Arbeitszusammenhängen und haben neue Aufgabenstellungen, für die
sie ihr vorhandenes Erfahrungswissen immer weniger einsetzen können, weil es schnell
veraltet ist. Beschäftigte, die Restrukturierungsprozesse erlebt haben, geben in Befragun-
gen deutlich häufiger psycho-vegetative Beschwerden, wie Niedergeschlagenheit, Nervosi-
tät, Reizbarkeit, allgemeine Müdigkeit, Erschöpfung und Schlafstörungen, an als Beschäf-
tigte, die keine Restrukturierungsmaßnahmen erlebten (s. Rothe und Beermann 2014).
146 Jörn Hurtienne und Katharina Koch
Der Begriff Subjektivierung beschreibt neue Steuerungsformen, die den Zugriff auf
den ganzen Menschen erfordern (z. B. Minssen 2012; Lohr 2013). Den Mitarbeiter*innen
werden größere Spielräume eingeräumt, die Steuerung erfolgt nicht mehr nach Kosten,
sondern fokussiert das Ergebnis. Wichtig in diesem Zusammenhang sind Zielvereinbarun-
gen („Management by Objectives“). Um die gesetzten Ziele zu erreichen, bringen die Be-
schäftigten auch ihre Fähigkeiten zur (Selbst-)Organisation und Koordination mit anderen
ein. Viele Unternehmen sind dazu übergegangen, den Marktdruck direkt an die Beschäf-
tigten in Form von Zielkennzahlen weiter zu reichen. Da die Erfüllung der Kennzahlen
direkt an das Gehalt gekoppelt wird und auch für Personalbeurteilungsprozesse heran-
gezogen werden kann, erzeugt dies nicht zu vernachlässigenden Druck auf die Beschäf-
tigten. Dabei sind die Vorgaben – ähnlich wie der Markt – unvorhersehbar und instabil.
Die Ausrichtung auf quantitative Ziele (z. B. Umsatzziele) kann mit dem Anspruch „gute
Arbeit“ abzuliefern, den eigenen professionellen Standards zu genügen, den Kund*innen
zu dienen oder die eigene Gesundheit zu schützen, in Konflikt stehen (Kratzer und Dunkel
2011). Die Widersprüche zwischen quantitativen Zielvorgaben, Qualitätsansprüchen und
Deadlines tragen die Beschäftigten mit sich selbst aus, indem sie mehr Zeit aufwenden,
um allen Ansprüchen gerecht zu werden oder indem sie von bestimmten Ansprüchen Ab-
stand nehmen (z. B. gute Qualität zu liefern).
Die Effekte der Digitalisierung auf die Flexibilisierung von Arbeitszeit und Arbeitsort
und das hiermit einhergehende Verschwimmen der Grenzen zwischen Arbeit und Frei-
zeit wurden im Fallbeispiel bereits angesprochen. Ebenso wird die Beschleunigung der
Arbeits- und Kommunikationsprozesse durch die Digitalisierung erhöht. Leistungskenn-
zahlen und ihr Erreichen werden mittels Software verwaltet; die Gefahr einer verdeckten
Überwachung zur Leistungs- und Verhaltenskontrolle der Beschäftigten wächst. Neue
Kommunikationsmedien senken die Barrieren Arbeitsaufträge zu generieren. Im Zusam-
menhang mit der Digitalisierung werden des Weiteren Informationsüberlastung, steigen-
de Anforderungen durch erweiterte Dokumentationspflichten, häufige Unterbrechungen
und Multitasking sowie Technostress durch schlechte Usability diskutiert (Hurtienne und
Prümper 2003; Brinks 2005; Tarafdar et al. 2011). Eine weitere Gefahr der Digitalisierung
besteht darin, dass sie vormals gewährte Handlungsspielräume durch schleichende Stan-
dardisierung wieder einschränkt. So wird Unternehmenssoftware selten an die Belange
der spezifischen Arbeit der Beschäftigten angepasst und oft als eine „one-size-fits-all“-
Lösung eingeführt (Hurtienne et al. 2009). Aus der sich hierin andeutenden Entfremdung
der Handlungsabläufe vom eigentlichen Arbeitskontext und der Einschränkung der Wahl-
möglichkeiten kann eine gefährliche Mischung aus steigenden Anforderungen und sin-
kenden Spielräumen werden (Menz et al. 2011).
Dass diese Veränderungen der Arbeitswelt Auswirkungen auf psychische Belastungen
und Beanspruchungen haben, dürfte deutlich geworden sein. Der vorherrschende Zeit- und
Leistungsdruck wird daran deutlich, dass über die Hälfte bis drei Viertel der Erwerbstäti-
gen in repräsentativen Umfragen angeben, häufig unter starkem Zeit- und Leistungsdruck
zu arbeiten (Lohmann-Haislah 2012; Hurtienne et al. 2014; Institut DGB-Index Gute Ar-
beit 2015). Je höher die Qualifikation, desto häufiger sind Zeit- und Leistungsdruck Teil
Resilienz 147
des Arbeitsalltags. Davon sind praktisch alle wissensintensiven Tätigkeiten betroffen. Der
Anteil derjenigen Beschäftigten, die nach der Arbeit abschalten können, sinkt – z. B. im
IT-Bereich von 51 % (2001) auf 29 % (2009). Der Anteil derjenigen, die angeben, ihre
Arbeit auf Dauer durchhalten zu können, sank im gleichen Zeitraum von 57 % auf 37 %
(Gerlmaier et al. 2010). Insgesamt stiegen zwischen 1996 und 2011 die Arbeitsunfähig-
keitstage wegen psychischen Erkrankungen um 80 % an. Mehr als zwei Fünftel der Neu-
anträge zur Erwerbsunfähigkeitsrente werden aufgrund psychischer Erkrankungen ge-
stellt (Lohmann-Haislah 2012). Dies erzeugt nicht nur enorme Kosten für den Einzelnen
und die Unternehmen, sondern auch für die Gesellschaft, so dass psychische Belastungen
2012 erstmalig ein Schwerpunkt des Arbeitsprogrammes der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie geworden sind, einer von Bund, Ländern und Unfallversicherungs-
trägern gemeinsam getragenen Initiative zur Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit.
Was können Sie als Sicherheitsfachkraft nun in der oben geschilderten Situation tun? Psy-
chische Belastungen lassen sich nicht so einfach mit einem Messgerät bestimmen wie
der Lärm einer Maschine. Gängige Methoden der Gefährdungsbeurteilung psychischer
Belastungen sind die Dokumentenanalyse, Befragung der Beschäftigten oder die Durch-
führung von Beobachtungsinterviews und Begehungen am Arbeitsplatz. Dabei werden
die Arbeitsaufgaben, die Arbeitsinhalte, die Arbeitsorganisation, die sozialen Beziehun-
gen sowie die Arbeitsumgebung betrachtet (Ulich 2005; GDA 2016). Daraufhin werden
Gestaltungsbereiche definiert und geeignete Maßnahmen, meist in Workshops mit den
Beschäftigten, entwickelt.
Doch woran erkennt man, wann Handlungsbedarf besteht? Grundsätzlich ist es viel
schwieriger Leistungs- und Schädigungsgrenzen von psychischen Belastungen festzu-
legen als z. B. bei Lärm. Verfahren zur Gefährdungsbeurteilung versuchen objektive
Schwellen zu definieren, ab denen Arbeitsbedingungen als gestaltungsbedürftig gelten
(z. B. das RHIA/VERA-Verfahren von Leitner et al. 1993 oder das Tätigkeitsbewertungs-
system von Richter und Hacker 2003). Arbeitsbedingungen, die diese Schwellen psychi-
scher Belastung übersteigen, gilt es zu verändern. Diese Verfahren sind einigermaßen
aufwändig durchzuführen bzw. benötigen arbeitspsychologische Expert*innen (oder zu-
mindest geschulte Fachkräfte) zur Durchführung. Hinzu kommt, dass für neue Arbeits-
formen häufig keine geeigneten Verfahren zur Verfügung stehen. So würde das erwähnte
Tätigkeitsbewertungssystem für klassische Wissensarbeit kaum einen Gestaltungsbedarf
ermitteln – gilt sie doch als mit vielseitigen Arbeitsanforderungen und hohem Handlungs-
spielraum ausgestattet. Die typischen Probleme, die für Wissensarbeiter*innen aus den
Widersprüchen zwischen Arbeitsmenge, Qualität und der zur Verfügung stehenden Zeit
resultieren, werden in den vorliegenden Verfahren kaum berücksichtigt. Zusätzlich stellt
sich heraus, dass es auch ein Zuviel an Anforderungsvielfalt, zu viel Spielraum bei der
Wahl der Ausführungsweise oder zu viel soziale Unterstützung geben kann – allesamt
148 Jörn Hurtienne und Katharina Koch
Kriterien, bei denen in der Arbeitswissenschaft bisher ein „mehr ist besser“ galt (vgl.
Hacker et al. 2015; Sachse und Strasser 2015). Verfahren zur Gefährdungsbeurteilung, die
auch eine Orientierung für neue Arbeitsformen ermöglichen, befinden sich noch in der
Initialphase (Hacker et al. 2015).
Um aufwändige Expert*innen-Verfahren zur Gefährdungsbeurteilung zu umgehen,
werden oft Mitarbeiter*innen-Befragungen eingesetzt. Diese sind allerdings mit dem
Nachteil verbunden, dass sie Arbeitsbedingungen und Stresssymptome von Personen mit-
einander vermischen. Verlässt man jedoch die Ebene objektiver Bedingungen und erfragt
nur noch das Stresserleben, ist schwer nachzuweisen, wie sehr der Stress arbeitsbedingt
ist. So kann die Situation im Privaten das arbeitsbedingte Stresserleben sowohl verstärken
(z. B. durch innerfamiliäre Konflikte) als auch verringern (z. B. durch Sport und Erholung).
Ebenso ist zu reflektieren, dass Stresserleben subjektiv unterschiedlich empfunden wird,
d. h. die gleichen Arbeitsbedingungen können von verschiedenen Personen sehr unter-
schiedlich belastend erlebt werden.
Weiterhin bestehen nicht nur Wechselwirkungen zwischen Arbeitsbedingungen und
Person, sondern auch zwischen Arbeitsbedingungen untereinander. Die Messung von ein-
zelnen Kriterien der psychischen Belastung reicht nicht aus, vielmehr muss die Interak-
tion zwischen den verschiedenen Variablen berücksichtigt werden. So ist z. B. seit langem
bekannt, dass erhöhte Arbeitsanforderungen durch einen hohen Handlungsspielraum und
hohe soziale Unterstützung gepuffert werden können, sodass hoher Zeitdruck allein nicht
unbedingt zu gesundheitlichen Beschwerden führen muss. Nur bei geringem Handlungs-
spielraum und geringer sozialer Unterstützung wirkt hoher Zeitdruck schädlich (Karasek
und Theorell 1992). Ebenso können gesundheitliche Beeinträchtigungen infolge hoher
Arbeitsbelastung abgefedert werden, indem die hohe Verausgabung angemessen in Form
von Anerkennung, Karrierechancen oder Gehalt belohnt wird (Siegrist 1996).
Fassen wir zusammen: Generell gilt auch bei der Messung der psychischen Belastungen,
wie bei Lärm, der bedingungsbezogene Ansatz: Man will etwas über die Arbeitsbedin-
gungen herausfinden und einschätzen, ob daran etwas zu ändern ist, wenn bestimmte aus
Stresstheorien und der durch Empirie ermittelte Grenzwerte überschritten werden. In der
Praxis steht dem oft entgegen, dass die Verfahren entweder zu expertenorientiert oder
kaum relevant für die Beurteilung neuer Arbeitsformen sind. Angewandt werden häufig
subjektive Verfahren, die nicht nach objektiven Arbeitsbedingungen fragen, sondern nach
subjektiven Beanspruchungen. Zwischen den Arbeitsbedingungen gibt es gegenseitige
Wechselwirkungen, so dass Grenzwerte nicht für eine Bedingung unabhängig festgelegt
werden können. Vor diesem Hintergrund lässt sich nun spekulieren, warum das Thema
Resilienz bei psychischen Belastungen in Betrieben so erfolgreich werden konnte.
Zum Ersten sind Sicherheitsfachkräfte, die auch für psychische Belastungen zuständig
sind, von Haus aus oft Ingenieure. Lärmmessung und – bekämpfung mit technischen Mit-
Resilienz 149
teln beispielsweise liegen ihnen daher eher als der Umgang mit komplexen psychosozialen
Konstellationen, die auch die Betroffenen oft selbst nicht durchschauen können. Anders
als bei der, im obigen Beispiel dargestellten, Lärmbelastung, sind Ursache-Wirkungsbe-
ziehungen und einfache Lösungen viel schwerer zu ermitteln. Gerade bei Wissensarbei-
ter*innen erscheint der Stress oft selbstgemacht; die strukturellen Ursachen, die eine ver-
hältnisorientierte Prävention angehen müsste, sind dabei schwerer zu definieren und zu
verhandeln. Die entsprechenden betriebspolitischen Konsequenzen müssten dann von den
Sicherheitsfachkräften moderiert werden, wozu sie wahrscheinlich wenig motiviert sind.
Hinzu kommt, dass Stress – und Burnout-Themen für (wahrscheinlich stärker psycho-
logisch geschulte) Personalabteilungen sind, die darauf mit ihren Standard-Instrumenten,
den Mitarbeiter*innen-Befragungen und Mitarbeiter*innenschulungen, reagieren können.
Resilienz passt sich gut an die Interessenslage und methodischen Zugänge der Personal-
abteilungen ein. Da diese in der bedingungsbezogenen Analyse von Arbeitsbedingungen
weniger erfahren sind als in der Durchführung von Personalentwicklungsmaßnahmen,
erscheint es naheliegend, Resilienztrainings anzubieten.
Den Aufwind, den der Resilienzbegriff gerade erfährt, kann man, zum Zweiten, auch
als systematisches Phänomen einer zunehmenden Verantwortungsverlagerung von Orga-
nisationen auf Individuen verstehen (vgl. Rungius et al. 2018). Der Fokus auf Resilienz
passt gut zu dem obigen Trend einer Subjektivierung des Arbeitslebens, also des immer
stärkeren Einbezugs des ganzen Menschen (mit seinen kognitiven, sozialen und motiva-
tionalen Fähigkeiten) in die Erbringung der Arbeitsleistung. Es fügt sich in die Trends
der Vermarktlichung und Quantifizierung ein, in denen Marktzwänge des Unternehmens
(z. B. einen bestimmten Umsatz erzielen zu müssen) per Zielvereinbarung und Kennzah-
len direkt an die Mitarbeiter*innen durchgereicht werden. Mit der Forderung des Ma-
nagements nach der Resilienz der Beschäftigten kommt zur individuellen Verantwortung
der Beschäftigten für die Zielerreichung nun überdies die Verantwortung für die eigene
Leistungsfähigkeit und Gesundheit hinzu, die meist unwidersprochen bleibt.
Zum Dritten könnte Resilienz eine Lücke füllen, die derzeit in der Praxis bei der Ge-
fährdungsbeurteilung psychischer Belastungen besteht. Gefährdungsbeurteilungen psy-
chischer Belastungen, obwohl gesetzlich geboten (§5 ArbSchG), werden gegenwärtig
überhaupt nur von etwa einem Fünftel der Betriebe durchgeführt (Beck et al. 2012). Ei-
nige Schwierigkeiten der Gefährdungsbeurteilung wurden oben bereits aufgezeigt. Die
Betriebe nennen uneinheitliche Begriffe, ein unübersichtliches Angebot an Analyseinst-
rumenten und die mangelnde thematische Qualifikation der betrieblichen Akteure, aber
auch der Aufsichtsdienste als Ursache für nicht durchgeführte Gefährdungsbeurteilungen.
Auch ist das Thema psychische Belastungen am Arbeitsplatz dazu geeignet, bestehende
Konfliktlinien zwischen Management und Belegschaft aufzureißen, geht es doch um die
(mitunter brisante) Bewertung von Arbeitsbedingungen, Arbeitsaufgaben, Arbeitsverhält-
nissen, Anerkennungsprozessen, Leistungsvorgaben und ähnlichem. Es kommt hinzu,
dass Gesundheitsthemen keine Priorität im Tagesgeschäft zugeschrieben wird bzw. über
die gesetzliche Verpflichtung hinaus kaum eine Notwendigkeit gesehen wird, das Thema
anzugehen (ebd.). Das Konzept der Resilienz kommt angesichts dessen sehr gelegen, ver-
150 Jörn Hurtienne und Katharina Koch
Zum Vierten berücksichtigt Resilienz als personenzentrierter Ansatz nicht die Ver-
flechtungen der individuellen Ebene mit den Ebenen des Teams und der Organisation.
In Resilienztrainings werden z. B. Optimismus, Akzeptanz, Verlassen der Opferrolle und
Übernahme von Verantwortung vermittelt (s. Wellensiek 2011). Aber wenn die Beschäf-
tigten dann im Berufsalltag ihre Opferrolle verlassen und Verantwortung übernehmen
wollen, sind sie nicht allein: der Erfolg ihrer Strategien hängt von denen der Kolleg*innen,
Vorgesetzten und Organisationen ab. Wenn die Unternehmenspolitik verlangt, jederzeit
für die Kund*innen erreichbar zu sein, kann man das Telefon nicht einen Vormittag lang
stummschalten, um Liegengebliebenes abzuarbeiten.
Zum Fünften könnte man die Begeisterung der Arbeitgeber*innen für Resilienz auch
als Kapitulationserklärung lesen. Die Firmen gehen offensichtlich nicht mehr davon aus,
den Marktdruck (wie in der Vergangenheit) abfedern zu können (oder zu wollen), son-
dern geben ihn direkt an die Beschäftigten weiter – als bliebe ihnen nichts anderes übrig.
Unternehmensexterne Realitäten gestalten unternehmensinterne Realitäten und Arbeit-
geber*innen können dem nichts entgegensetzen? Sollte dies wirklich so sein, wäre der
Arbeitsschutz nicht mehr handlungsfähig. Aber der Blick auf klassische Gefährdungs-
potenziale zeigt, dass Arbeitgeber*innen durchaus handlungsfähig sind. Nur bei dem un-
bequemen Thema psychische Belastungen sollen ihnen die Hände gebunden sein? Das
macht die Argumentation unglaubwürdig.
Resilienz hat sicher einen Platz, wenn es um den Umgang mit wirklich disruptiven
Ereignissen geht wie Arbeitsplatzverlust, Projektabbruch oder Versetzung (s. Weiß et al.
2018). Für den Umgang mit alltäglichen Stressoren ist Resilienz, wenn sie als alleinige Lö-
sung propagiert wird, der falsche Ansatz. In neueren Beiträgen wird inzwischen versucht,
das Thema Resilienz auszuweiten und Interventionsmaßnahmen auf verschiedenen Ebe-
nen (Organisation, Führungskräfte, Beschäftigte) anzusiedeln (z. B. Gunkel et al. 2014;
Souczek et al. 2016; Blum und Gutwald 2018). Es ist jedoch fraglich, ob diese Vermengung
zielführend ist, oder man nicht die sinnvolle Trennung zwischen bedingungsbezogenen
und verhaltensbezogenen Maßnahmen beibehalten sollte. Bedingungsbezogenheit durch
die Resilienz-Hintertür einzuführen, trübt gewonnene theoretische aber auch politisch-
praktische Klarheiten wieder ein.
Nimmt man den Trend zur Subjektivierung von Arbeit ernst, könnte man nun einwenden,
dass es gerade bei Wissensarbeit mit ihren großen Handlungsspielräumen, dem hohen
Grad an Selbstorganisation und der hohen Fachkompetenz gar nicht möglich ist, traditio-
nellen bedingungsbezogenen Arbeitsschutz zu betreiben. Beim Lärmbeispiel haben wir
gesehen: Die Arbeitsschutzexpert*innen machen eine Begehung, machen Messungen, die
objektive Daten liefern, vergleichen diese mit Grenzwerten und leiten daraus Handlungs-
erfordernisse und Handlungsmöglichkeiten ab, die in Abstimmung mit der Geschäftslei-
tung und den vorhandenen Mitteln umgesetzt werden können.
152 Jörn Hurtienne und Katharina Koch
Um die Verteilung von möglichen Maßnahmen auf die Ebenen Individuum, Team und
Organisation zu verdeutlichen und um Anregungen für Veränderungen zu bieten, besteht
der zweite Teil des Workshops aus einem Kartenspiel. Jede Karte präsentiert eine Bewäl-
tigungsstrategie, das Belastungsproblem auf das sie reagiert sowie Tipps zur Umsetzung
der Strategie. Durch mehrmaliges Sortieren der Karten in verschiedene Stapel reflektieren
die Teilnehmer*innen, welche Strategien ihnen in der Vergangenheit geholfen haben und
welche nicht, aber auch welche sie interessant finden und gerne ausprobieren möchten. Die
Teilnehmer*innen erhalten auf diese Weise einen Überblick über mögliche Strategien der
Belastungsbewältigung und können diese jeweils für sich und ihre Arbeitssituation be-
werten. Zum Schluss wählen sie einige wenige Karten aus, die sie zur Umsetzung in den
nächsten Wochen mitnehmen. Strategien auf der Teamebene werden im Team besprochen
und noch im Workshop mit Verantwortlichkeiten sowie Terminen zur Umsetzung festge-
legt. Vom Team für sinnvoll erachtete Strategien auf der Ebene der Organisation werden
ebenfalls besprochen und priorisiert, so dass sie der Geschäftsführung zur Bearbeitung
übergeben werden können. Für uns besonders interessant sind Strategien, die bisher nicht
im Kartenspiel auftauchen, die aber von Einzelnen, der Gruppe oder der Organisation be-
reits angewandt werden oder ausprobiert werden möchten. Diese werden auf Blankokarten
erfasst und in das Spiel aufgenommen.
Neben der Bearbeitung aktueller psychischer Belastungen verfolgen diese Work-
shops auch Forschungsziele. Wichtig ist zu erfahren, welche Maßnahmen in der Orga-
nisation, im Team bzw. vom einzelnen Beschäftigten wie oft verwendet wurden und für
wie nützlich sie eingeschätzt werden. Die Vielfalt der Teams und Organisationen über
die verschiedenen Workshops hinweg soll es uns ermöglichen, abzuschätzen unter wel-
chen Bedingungen, welche Strategien aus Sicht der Betroffenen sinnvoll erscheinen. In
einem Follow-up erfassen wir, welche der von den Teilnehmer*innen ausgewählten und
beschlossenen Interventionen erfolgreich umgesetzt werden konnten, aber auch welche
nicht und auf welche Gründe dies zurückzuführen ist. Auch dabei gilt es zu untersuchen,
welche Kontextvariablen (Verhältnisse oder Verhalten) der Umsetzung und dem Erfolg
der Strategien entgegenstehen bzw. welche diese fördern. Einige Strategien (z. B. Mento-
ring auf der Ebene der Organisation) werden von vielen Wissensarbeiter*innen als sehr
wünschenswert eingestuft, können aber ohne klare Strukturen in den Unternehmen nicht
nachhaltig implementiert werden.
Das Thema Resilienz wird in diesen Workshops von uns gar nicht angesprochen, ob-
wohl sich einzelne Bewältigungsstrategien durchaus unter diesem Label führen ließen.
Häufig wird dies aber von Seiten der Teilnehmer*innen in der Diskussion eingebracht,
woraufhin dem Thema seine entsprechende Position im theoretischen Rahmen zugewie-
sen wird als individuelle Strategie, die hauptsächlich auf mentalem Stressmanagement
beruht.
154 Jörn Hurtienne und Katharina Koch
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Gute Arbeit, resiliente Arbeiter?
Psychische Belastungen im Arbeitskontext
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Zusammenfassung
159
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https://doi.org/10.1007/978-3-658-19222-8_9
160 Carolin Blum und Rebecca Gutwald
1 Einleitung
Arbeit ist für Menschen seit der Moderne weit mehr als Broterwerb. Für viele Arbeit-
nehmer*innen stiftet sie nicht nur Sinn und Identität, sondern macht eine zentrale Quel-
le unserer sozialen Anerkennung aus. Außerdem nimmt sie schlicht einen großen Teil
unserer Lebenszeit ein. Unstrittig ist also, dass Arbeit das Leben eines Menschen positiv
oder negativ beeinflussen kann, entweder durch ihre An- oder Abwesenheit, durch ihre
Vergütung, durch ihre Sicherheit oder durch ihre Ausgestaltung. In diesem Beitrag soll es
um den letztgenannten Aspekt gehen, nämlich die Problematik, wie Arbeitsbedingungen
strukturiert werden müssen, um positiv auf das Wohlergehen eines Menschen zu wirken.
Ein wichtiger Aspekt, den wir dabei diskutieren, sind die psychischen Belastungen von
Arbeitnehmer*innen und die Frage, inwiefern sie durch die Arbeitsbedingungen (oder
trotz dieser) fähig sind, mit diesen Belastungen umzugehen. Daran schließt sich für die
Arbeitsumgebung die normative Frage an, wie diese gestaltet werden soll. Diese Fragen
sollen im Folgenden unter der derzeit viel beschworenen Perspektive der Resilienz be-
trachtet werden.
Resilienz ist im Arbeitskontext zu einem Trendkonzept geworden, in das gerade in Be-
zug auf den Umgang mit Stress und prekäre Arbeitsbedingungen große Hoffnung gesetzt
wird. Kaum ein Monat vergeht, in dem nicht ein Artikel in einer Zeitschrift Tipps gibt,
wie man widerstandsfähiger gegen Stress am Arbeitsplatz wird. Auf den Beststellerlisten
finden sich ebenso Ratgeber, die darum kreisen, wie man sein Leben so optimieren kann,
dass man den wachsenden Anforderungen der Arbeitswelt besser gerecht wird. So wird
das Thema, wie damit positiv umgegangen kann, immer wichtiger, um sich selbst bes-
ser zu managen und weiter produktiv zu bleiben und ein Burn-Out oder gar dauerhafte
Arbeitsunfähigkeit zu vermeiden (Wellensiek 2011; Horn und Seth 2013; Heller 2015).
Der Fokus wird dabei in der Regel auf die individuellen Kompetenzen und Fähigkeiten
von Arbeitnehmern gelegt, die es auszubilden und zu trainieren gilt, um die Belastungen
besser auszuhalten. In diesem Sinne beschäftigen sich Berufsverbände, soziale Einrich-
tungen und wissenschaftliche Projekte mit dem Begriff der Resilienz im Arbeitskontext,
um herauszufinden wie man die Idee der Resilienz nutzbar machen kann, insbesondere
in sog. „Resilienztrainings“ und entsprechenden Coachings (ebd.). Im Resilienzbegriff
steckt also die Verheißung, einem Ideal der Unverwundbarkeit und dem Bild eines Super-
helden näher zu kommen, der in allen Kontexten Herausforderungen meistert und auch
den schlimmsten Krisen standhält. Arbeitsbedingungen und Arbeitsschutzmaßnahmen
werden dagegen kaum thematisiert – weniger noch aus kritischer Perspektive.
Ziel unseres Beitrags ist es zu zeigen, dass das Superhelden-Ideal verfehlt ist. Sogar
Helden haben ihre Verwundbarkeiten, wie etwa der antike Held Achilles seine Ferse hatte.
Viel wichtiger ist es aus unserer Sicht, den Fokus auf die das Individuum umgebenden Ar-
beitsbedingungen und seine Beziehungen am Arbeitsplatz zu legen. Der Resilienzdiskurs,
wie er seit Jahren in der Psychologie und einem überwiegenden Teil der Ratgeberliteratur
geführt wird, löst das Individuum fälschlicherweise aus seinem sozialen Kontext heraus
und betrachtet es atomistisch: Das Individuum wird als Lokus der Erfahrung, der Hand-
Gute Arbeit, resiliente Arbeiter? 161
lungsfähigkeit und des Umgangs mit Problemen begriffen. Hinter dem Resilienzkonzept
steckt also mehr als eine bloß oberflächliche Fehleinschätzung, ob bei der Bekämpfung
von Stress am Arbeitsplatz, an den Arbeitsbedingungen oder am individuellen Verhalten
angesetzt wird. Letztlich führt sie uns zu Grundfragen der praktischen Philosophie, näm-
lich, wer oder was im Fokus evaluativer Betrachtungen stehen sollte, wenn es um die Be-
wertung und Verbesserung von menschlichem Wohlergehen geht. Der moderne politische
Liberalismus, der die praktische Philosophie und Politik an vielen Stellen durchdringt,
stellt das Individuum in den Mittel- und Vordergrund und negiert damit seine soziale Ein-
bettung (MacIntyre 1984; Taylor 1992). Was er damit ausschließt, ist, diese Beziehungen
als elementare Bestandteile eines menschlichen Lebens zu betrachten, welche ein solches
fundamental konstituieren. Mit anderen Worten: Kein Mensch ist ein reines Einzelwesen,
das ohne soziale Stützung und Beziehungen (über-)leben kann. Wie diese Beziehungen
gestaltet sind, hat eine wesentliche Bedeutung für das menschliche Leben an sich – also
auch, wie man Krisen übersteht, und, viel grundsätzlicher, was als Belastung gilt und
wann es gilt, sie zu lösen. Der derzeitige Resilienzdiskurs scheint im Wesentlichen eine
Fortführung der Vorstellung des neo-liberalen Bildes vom Menschen als abgetrenntes
Einzelwesen, das „widerstehen“ muss und sich gegen die Bedingungen zur Wehr setzen
muss – anstatt, dass an diesen Bedingungen selbst viel geändert wird. Diesen Ansatz hal-
ten wir für verfehlt, wie wir am Beispiel von Wissenarbeiter*innen, die entwickeln, for-
schen und konstruieren, zeigen wollen.
Wir schließen uns damit der kritischen Richtung an, die der Beitrag von Jörn Hurtienne
und Katharina Koch (Hurtienne und Koch 2018) bereits einschlägt: Resilienz und insbe-
sondere Maßnahmen zur Resilienzförderung im Arbeitskontext sind aus normativ-ethi-
scher Perspektive höchst kritisch zu sehen, wie wir anhand philosophischer Überlegungen
auf Basis des Capability Ansatzes zeigen. In unserem Beitrag untersuchen wir die Frage
nach Resilienz und dem Umgang mit psychischen Belastungen also aus zwei disziplinären
Blickwinkeln: zum einen auf Basis von Befunden, welche im Rahmen des Forschungs-
projekts „Strategien der Belastungsbewältigung in der Wissensarbeit“ (im Bayerischen
Forschungsverbund ForChange) ermittelt wurden. Das Projekt untersucht den Umgang
mit psychischen Belastungen auf den Ebenen des Individuums, des Teams und der Or-
ganisationen, in denen Wissensarbeit stattfindet. Dabei steht der Aspekt der Arbeitsge-
staltung auf diesen drei Ebenen im Mittelpunkt. Wie gehen Individuen, Teams und Or-
ganisationen mit psychischen Belastungen in der Wissensarbeit um? Um die große und
schwierig abzugrenzende Gruppe der Wissenarbeiter*innen (die im Folgenden noch näher
definiert wird) zu spezifizieren und einer Analyse besser zugänglich zu machen, hat sich
das Forschungsprojekt auf eine Subgruppe konzentriert, die entwickelt, forscht und kons-
truiert. Dies schließt Wissenschaftler*innen und Ingenieur*innen ein, die z. B. innerhalb
von Universitäten und außeruniversitären Forschungseinrichtungen tätig sind, aber auch
Ingenieur*innen, Designer*innen und Entwickler*innen, die in der freien Wirtschaft und
der Industrie arbeiten. Im vorliegenden Text beziehen sich die Begriffe „Wissensarbeit“
und „Wissenarbeiter*innen“ auf diese analysierte Subgruppe. Wichtig ist, an dieser Stel-
le kurz zu erläutern, was im Projekt unter „Belastungen“ verstanden wird: Gemäß DIN
162 Carolin Blum und Rebecca Gutwald
10075 werden psychische Belastungen als Einflüsse verstanden, die von außen auf den
Menschen wirken. Zum Beispiel ist die Informationsflut, die am Arbeitsplatz täglich auf
einen Beschäftigten trifft, eine psychische Belastung. Oder auch die vielen Präsentationen
und Diskussionen, die in Meetings stattfinden und die ein hohes Maß an Konzentration
erfordern. Menschen brauchen ein gewisses Maß an psychischer Belastung, um sich wei-
ter zu entwickeln. Es handelt sich dabei um Prozesse, die im Menschen ablaufen und die
anregend oder auch beeinträchtigend wirken können. Daher sind psychische Belastungen
grundsätzlich neutral und können sich sowohl positiv als auch negativ auf das menschliche
Wohlergehen auswirken. Die Auswirkung psychischer Belastung ist psychische Bean-
spruchung. Psychische Beanspruchung ist die „unmittelbare Auswirkung der psychischen
Belastung im Individuum in Abhängigkeit von seinen jeweiligen überdauernden und au-
genblicklichen Voraussetzungen, einschließlich der individuellen Bewältigungsstrategien“
(DIN 10075). Langfristig können sich psychische Beanspruchungen aber negativ auf das
Wohlergehen eines Menschen auswirken. Dies wird unter anderem beeinflusst von Merk-
malen, Eigenschaften, Verhaltensweisen oder Strategien und hängt ab vom Umgang mit
diesen psychischen Belastungen. Das genannte Forschungsprojekt fokussiert auf diesen
Umgang und will herausfinden, wie in der Wissensarbeit (auf individueller Ebene, Team-
ebene und organisationaler Ebene) mit psychischen Belastungen umgegangen wird, um
negative, beeinträchtigende Beanspruchungen und Beanspruchungsfolgen zu vermeiden
und um das Wohlergehen von Wissenarbeiter*innen langfristig aufrecht zu halten. Welche
Strategien bestehen diesbezüglich auf den drei genannten Ebenen?
Zum anderen führen wir eine normative Dimension ein, um die Frage danach, was
Resilienz in dem betrachteten Arbeitskontext von Wissensarbeit ausmacht, zu evaluieren.
Wir betrachten die Ergebnisse des genannten Projekts gemäß dem von Amartya Sen und
Martha Nussbaum entwickelten Capability Ansatz (im Folgenden mit „CA“ abgekürzt),
der eine evaluative Perspektive anbietet, um das Wohlergehen von Menschen zu betrach-
ten. Diese Perspektive wird nun auf Wissenarbeiter*innen angewendet.
Vor diesem Hintergrund werden wir im Folgenden zwei Thesen näher untersuchen und,
nach entsprechender Qualifizierung, verteidigen.
1. Dem CA zufolge hängt Wohlergehen und damit Resilienz vor allem vom Ausmaß und
der Art der Mitbestimmung und des Handlungsspielraums ab, den eine beschäftigte
Person besitzt.
2. Mitbestimmung und Handlungsspielräume schaffen, darf nicht bedeuten, dass alle
Verantwortung und Problemlösung dem beschäftigen Individuum aufgebürdet wird.
Auch zu viel an Gestaltungsfreiheit des Einzelnen kann für diesen belastend werden,
da damit mehr Verantwortung und Druck einhergehen kann. Also geht es um die Aus-
gestaltung von bestimmten, signifikanten (d. h. nicht rein banalen) Handlungsspielräu-
men für die beschäftigte Person in ihrer Umgebung, deren Wohlergehen von dieser
Arbeitsumgebung wesentlich beeinflusst wird. Somit kann die Arbeitsgestaltung auf
Team- und Organisationsebene als ausschlaggebend angesehen werden. Nur ein Zu-
sammenspiel zwischen Organisations- und Individualebene führt zu nachhaltiger Resi-
lienz, welche normativ wertvoll ist.
Gute Arbeit, resiliente Arbeiter? 163
Wir gehen in vier Schritten vor. In den ersten beiden Punkten wird der Kontext dieses Bei-
trags detaillierter umrissen, indem der Bereich der Wissensarbeit und dessen spezifische
Belastungen sowie die normative Perspektive des CAs ausgeführt werden. In Punkt drei
wird dargelegt, wie der CA Belastungen von Wissenarbeiter*innen evaluiert und welche
Analyse er in Bezug auf Wohlergehen bietet. Damit soll u. a. gezeigt werden, warum be-
stimmte Belastungen, wie etwa ein zu weiter Handlungsspielraum, für das Wohlergehen
problematisch sind und inwiefern der CA als Grundlage zur Bewertung dieser Problema-
tik dienen kann, insbesondere für die Deutung der nachhaltigen Resilienz von Beschäftig-
ten. Im vierten Punkt werden die Grenzen und Probleme für eine normative Einschätzung
von Arbeitsbelastung und Resilienz auf Basis des CA diskutiert. Es zeigt sich, dass der
CA vielversprechendes Potential besitzt, um ein angemesseneres Resilienzverständnis zu
erreichen, jedoch in Bezug auf die Arbeitsgestaltung und ähnliche Fragen selbst noch wei-
terentwickelt werden muss. Speziell muss auch die im CA selbst angelegte Betonung der
sozialen Einbettung des Individuums und den Einfluss von Beziehungen auf Menschen
bzw. Beschäftigte noch stärker in den Fokus der Forschung gerückt werden. Unser Fazit
ist damit, dass der CA bzgl. des Resilienzdiskurses im Arbeitskontext wichtige Anstöße
zum Weiterdenken liefert und damit hilfreich ist, um Fragen zur zukünftigen Arbeitsge-
staltung von Wissenarbeiter*innen zu lösen.
Im Zuge des Wandels der Arbeitswelt steigt die Nachfrage nach Wissenarbeiter*innen
an (d. h. Wissenarbeiter*innen im Allgemeinen, nicht nur Subgruppe der Studie, die im
vorherigen Abschnitt erläutert wurde). Nach Dostal (1998) ist – neben dem landwirtschaft-
lichen, dem industriellen und dem Dienstleistungssektor – ein Informationssektor ent-
standen, in dem mittlerweile über 55 % aller Erwerbstätigen beschäftigt sind. Der Wandel
der Arbeitswelt lässt nicht nur die Relevanz von Wissensarbeit wachsen, sondern auch
die psychischen Belastungen dieser Beschäftigtengruppe. Ihr Zeit- und Leistungsdruck
steigt unter anderem aufgrund der Zunahme der Arbeitsmenge, der Beschleunigung von
Arbeitsprozessen, der Digitalisierung und des steigenden Wettbewerbs, der wiederum mit
Rationalisierungsmaßnahmen einhergeht.
„Wissenarbeiter*innen“ sind in der Literatur nicht einheitlich definiert. Übereinstim-
mend wird ihr zentrales Merkmal darin gesehen, dass sie mit ihrem Wissen einen Beitrag
zur Wertschöpfung leisten. Wissensarbeit beruht auf kognitiven Fähigkeiten und stellt
eine immaterielle Leistung dar. Wissenarbeiter*innen setzen sich mit Informationen aus-
einander, übernehmen Führungsaufgaben, organisieren, managen, forschen, entwickeln,
betreuen und beraten (u. a. North 2008). Sie bearbeiten komplexe Problemstellungen und
entwickeln Innovationen. Ihre Arbeitsabläufe sind oft schwer vorhersehbar und fordern
geistige Flexibilität. Dynamische und häufig wechselnde Arbeitsanforderungen gehen mit
hohen psychischen Belastungen einher. Aufgrund ihres Expertenwissens gibt es auch oft-
mals keine Instanz, die Wissenarbeiter*innen Vorgehensweisen vorgibt. So müssen diese
164 Carolin Blum und Rebecca Gutwald
sich häufig selbst führen und managen, wodurch ein hohes Maß an Handlungsfreiheit vor-
liegt (Davenport 2013), und ihr Wissen stetig selbst erweitern und sich weiterbilden (Hube
2005). Ihre Arbeitsorte und Arbeitsmodelle wählen sie oftmals selbst, worin sich eben-
falls ihre Handlungs- und Entscheidungsfreiheit ausdrückt (Moosbrugger 2012). Anderer-
seits erfordert dies eine weitere Leistungserbringung, nämlich die Grenzziehung zwischen
Arbeit und Privatleben und idealerweise das Zustandebringen der viel gerühmtem „work-
life-balance“.
Typische Eigenschaften von Wissensarbeit, wie Freiheit und Selbstbestimmung, wer-
den üblicherweise positiv gewertet, indem ihnen zugeschrieben wird, die negativen Effek-
te, wie Zeit- und Leistungsdruck, auszugleichen und somit zu Wohlbefinden beizutragen
(Karasek 1979). Wie aktuelle Zahlen über psychische Krankheiten bei Wissenarbeiter*in-
nen jedoch zeigen, lässt sich eine verbreitete, negative Beeinträchtigung ihrer Gesund-
heit und ihres Wohlergehens feststellen. Demnach können die meisten keine ausreichend
positiven Effekte aus der Arbeit ziehen, um dadurch ihr eigenes Wohlergehen zu sichern.
Anders ausgedrückt: Da viele Wissenarbeiter*innen psychische Belastungen am Arbeits-
platz nicht bewältigen können, kommt es zu einem Anstieg negativer Auswirkungen auf
das individuelle Wohlergehen.
Die normative Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellt, ist, welche evaluative
Konzeption von Wohlergehen diesen Einschätzungen zugrunde gelegt wird, und wie sich
die eben angesprochenen Befunde auf Basis von ethisch-philosophischen Überlegungen
zum menschlichen Wohlergehen deuten lassen – mit dem Ziel, weitere Erkenntnisse für
die positive Arbeitsgestaltung und für eine nachhaltige Resilienzförderung zu gewinnen.
Bei der Bewertung von psychischer Belastung am Arbeitsplatz und insbesondere bei
der Förderung von Resilienz hängt viel davon ab, wie Wohlergehen begriffen wird, da
damit ein normativer Standard vorgegeben wird, an dem Aspekte von Resilienz kritisch
gemessen werden können. Aus zwei Gründen ist es wichtig, die evaluative Perspektive auf
Wohlergehen konkreter zu klären.
a) Krisen und Belastungen aus dem Arbeitskontext, welche Resilienz erfordern, können
als Störungen des menschlichen Wohlergehens begriffen werden. Diese Bestimmung
können wir aber nur vornehmen, wenn wir wissen, was das menschliche Wohlergehen
beinhaltet, welche Dimensionen es enthält und bis zu welchem Grad diese Dimensio-
nen erfüllt sein müssen, um von einem ausreichenden Maß an Wohlergehen zu spre-
chen. Eine Belastung wird damit als Defizit in einem bestimmten Grad innerhalb der
Dimensionen des Wohlergehens begriffen.
b) Anhand einer evaluativen Perspektive auf Wohlergehen können Resilienz und Resi-
lienzfördermaßnahmen bewertet werden. So sollte dauerhaftes Wohlergehen die Ziel-
vorgabe für Resilienzförderung sein. Ebenso zeigen Überlegungen dazu auf, dass man
Resilienz auf verschiedene Arten betrachten kann, von denen nicht jede als positiv
bewertet werden kann. Wie wir unten noch detaillierter darlegen werden, muss insbe-
sondere zwischen kurzfristiger, unechter Resilienz und nachhaltiger, echter Resilienz
unterschieden werden.
Gute Arbeit, resiliente Arbeiter? 165
Der in der Diskussion um psychische Belastung in der Wissensarbeit oft nur implizit zu-
grunde gelegte Begriff des Wohlergehens erfüllt diese Bedinungen nur ungenügend, und
das nicht nur, weil er oft zu ungenau ist. Wie bereits dargelegt, legen wir den Fokus auf
psychische Belastung im Zuge des Wandels der Arbeitswelt. In der heutigen Arbeitswelt
scheint das Wohlergehen am Arbeitsplatz zusätzlich an die Idee von einem erfolgreichen,
im Sinne von gesundheitsschonenden, Umgang mit Zeit- und Leistungsdruck geknüpft.
Das stellt, wie oben erwähnt, den Wissenarbeiter*innen vor die zusätzliche Herausfor-
derung, diese Art von Selbstsorge zu betreiben, was wiederum den psychischen Druck
erhöhen kann.
Wohlergehen wird in der Diskussion um psychische Belastung häufig mit Gesundheit
gleichgesetzt. Dementsprechend wird es oft verstanden als das Ergebnis eines Umgangs
mit psychischen Belastungen am Arbeitsplatz, der die Gesundheit nicht negativ beein-
flusst. Es liegt bei Wissenarbeiter*innen demnach vor, wenn die Arbeit trotz Zeit- und
Leistungsdruck keine beeinträchtigenden gesundheitlichen Effekte hervorruft. Typische
langfristige, gesundheitliche Auswirkungen, die auf einen zu hohen Zeit- und Leistungs-
druck zurückgeführt werden, sind psychische Krankheiten, wie Depressionen (u. a. Mad-
sen et al. 2010; Madsen 2011), Burnout (Maslach 1982, 1998, 2003; Koch und Broich
2012) oder physiologische Erkrankungen, wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen (Tennant
2000; Hüther 2013).
Wohlergehen wird Wissenarbeiter*innen also attestiert, wenn sie mit psychischen Be-
lastung so umgehen, dass ihre Gesundheit keine negativen Beanspruchungsfolgen zeigt.
Resilienzförderung zielt in diesem Bild darauf ab, die Arbeitnehmer für eine solche Um-
gangsweise „fit zu machen“. Wohlergehen wird damit negativ, d. h. als Abwesenheit von
Störungen, angesehen. Hier zeigt sich eine auffällige Parallele zur klassischen und weit
verbreiteten Definition von Gesundheit: Gesundheit wird als Abwesenheit von Krank-
heit begriffen, d. h. als Abweichung von der statistisch normalen Funktionsfähigkeit des
menschlichen Organismus (Gutwald 2015, S. 161). Für die Resilienzdiskussion ist das aber
zu wenig bzw. die falsche Perspektive. Resilienz ist nicht rein defizit-orientiert, sondern
bezieht sich auf die Stärken und Potentiale, welche die Widerstandsfähigkeit eines Men-
schen erhöhen sollen. Diese ressourcenorientierte, präventive und damit letztlich positive
Sicht war für viele Vertreter des Resilienzansatzes der Reiz desselben (Werner et. al. 1972;
Holling 1973). Damit steht also Resilienz nicht dem o.g. klassischen Gesundheitsbegriff
nahe, sondern vielmehr dem ihm entgegen gesetzten Begriff der Salutogenese, den Aaron
Antonovsky und Alexa Franke (Antonovsky und Franke 1997) entwickelten. Antonovsky
und Franke haben diesen Begriff geprägt, um Gesundheit nicht nur als defizitären Zustand
zu verstehen, sondern den Blick darauf zu lenken, welche „generalisierten Widerstands-
ressourcen“ der Mensch hat, um „Stressoren“ zu bewältigen (ebd.). Sie beziehen sich also,
ähnlich wie Vertreter des Resilienzdiskurses, auf das dynamische Potential eines Men-
schen, mit Störungen produktiv umzugehen, was auch der Struktur des Resilienzbegriffs
entspricht. Es lässt sich also eine konzeptuelle Verwandtschaft zwischen beiden Konzep-
ten ausmachen (Gutwald und Nida-Rümelin 2016).
166 Carolin Blum und Rebecca Gutwald
Aus unserer Sicht bietet der umfassende Begriff des Wohlergehens, wie er von Ver-
tretern des CA gezeichnet wird, einen plausiblen normativen Ausgangspunkt, weil er eine
ähnliche potential- bzw. ressourcenorientierte Perspektive einnimmt wie der Resilienz-
diskurs und der Salutogenesebegriff. So beruhen sowohl CA als auch Resilienzdebatte (in
der Psychologie) auf derselben normativen Grundidee, nämlich, dass es „primäre Aufga-
be einer humanen Gesellschaft sei, allen Mitgliedern jene materiellen und immateriellen
Ressourcen zur Verfügung zu stellen, die sie benötigen, um die ihnen innewohnenden
Potentiale und Fähigkeiten entfalten und ihr Leben ‚glücklich‘ oder – wie manche es apos-
trophieren – ‚erfolgreich‘ meistern zu können.“ (Zander 2013, S. 201)
Unter Rückgriff auf den CA soll im Folgenden diese normative Perspektive auf die
Frage geworfen werden, wie dazu beigetragen werden kann, dass das Wohlergehen von
Wissenarbeiter*innen richtig evaluiert und gefördert wird.
ist und tut – die sog. functionings. Sen bezeichnet functionings auch als „valuable doings
und beings“ (Sen 1999) und Nussbaum baut, wie sie sagt, ihre Theorie ebenso auf dieser
Idee auf (Nussbaum 2001). Functionings können also – zunächst einmal ohne weitere
Qualifizierung – alle denkbaren Arten sein, etwas zu sein oder zu tun, z. B. mobil sein,
arbeiten, krank sein, wohlgenährt und gesund. Ausschlaggebend für die Bewertung des
Wohlergehens ist, was ein Mensch gegeben seiner aktuellen functionings tatsächlich zu
tun und zu sein in der Lage ist: die capabilities. Mit anderen Worten: capabilities sind
alternative Arten etwas zu tun und zu sein, die einer Person realiter offenstehen.
Diese Gedanken lassen sich an den beiden folgenden Beispielen verdeutlichen: Stellen
wir uns zunächst zwei Menschen vor, von denen jeder ein Fahrrad besitzt. Beide sind in
dieser Hinsicht aufgrund ihres Besitzes als wohlhabend zu bezeichnen, weil sie eine wert-
volle Ressource besitzen. Nun fährt die/der eine damit zur Arbeit, treibt Sport, nutzt es,
um Geld für die öffentlichen Verkehrsmittel zu sparen etc. Die/der andere aber kann nicht
Fahrrad fahren, weil er gehbehindert ist. Obwohl es beiden materiell gleich gut geht, hat
die/der Zweite keine Möglichkeit, ihre/seine Ressource zu nutzen. Es besteht also ein deut-
licher Unterschied im Wohlergehen zwischen beiden, den man aber nur evaluativ einfan-
gen kann, wenn man die Perspektive der capabilities zugrunde legt. Denken wir uns nun
in einem zweiten Beispiel, ein Mensch muss hungern und sich daher für einen längeren
Zeitraum auf eine tägliche Kalorienaufnahme von nur 1,800 Kalorien pro Tag beschrän-
ken. Ein Supermodel, das für seine Arbeit mager bleiben will, mag sich aufgrund einer
radikalen Diät für eine solch niedrige Kalorienaufnahme entscheiden. Beide haben aktuell
die gleiche functionings in Bezug auf Nahrungsaufnahme. Aber es besteht ein entschei-
dender Unterschied in der Situation der Beiden, der nicht aufgespürt werden kann, wenn
man sich z. B. rein auf die Messung von objektiven Faktoren wie etwa Kalorienaufnahme
oder Körpergewicht fokussiert. Was laut Nussbaum und Sen in beiden Fällen den entschei-
denden Unterschied macht, sind die Freiheitsräume, die jemand hat, also jene capabilities,
zu denen ein Mensch fähig ist bzw., die er aktuell zur Verfügung hat und aus denen er eine
für sich selbst wählen kann.
In diesem Zusammenhang möchten wir auf eine Differenzierung zurückkommen, die
Martha Nussbaum einführt. Nussbaum (2001) unterscheidet zwischen drei Arten von ca-
pabilities, die aufeinander aufbauen: Erstens, identifiziert sie die „basic“ (ebenda. S. 84),
d. h. grundlegenden, capabilities, welche die inneren Voraussetzungen für die Ausbildung
von weiteren Fähigkeiten darstellen, z. B. für das Hören, Denken oder Sprechen. Die „in-
ternal capabilities“ (ebenda) sind die internen Möglichkeiten eines Individuums, im Rah-
men derer sich die grundlegenden capabilities unter günstigen Bedingungen entwickeln,
z. B. die Fähigkeit, die eigene Landessprache zu sprechen, gläubig zu sein oder, um das
obige Beispiel aufzugreifen, Fahrradfahren zu lernen. Diese können sich nur mit Unter-
stützung der unmittelbaren Umwelt entwickeln, oder eben durch diese Umwelt vereitelt
werden. Capabilities im vollen Sinne sind die „combined capabilities“ (ebd.), also kombi-
nierten capabilities: Sie sind internal capabilties, welche mit den entsprechenden äußeren
Bedingungen kombiniert die Ausübung einer functioning erst ermöglichen. Ein Mädchen,
das beispielsweise körperlich zum Fahrrad fahren in der Lage ist (grundlegend) und dies
168 Carolin Blum und Rebecca Gutwald
auch erlernt hat (intern), kann trotzdem durch äußere Umstände, wie etwa ein Verbot des
Fahrradfahrens für weibliche Bürgerinnen in Saudi-Arabien, daran gehindert sein. Ihr
fehlt damit die kombinierte capability. Eine wichtige Implikation dieser Unterscheidung
Nussbaums liegt aus unserer Sicht darin, dass Ausbildung und Ausübung von capabilities
wesentlich von den äußeren Umständen und der Gestaltung der Bedingungen für Wohl-
ergehen abhängt. Die Sorge für das eigene Wohlergehen wird also nicht dem Individuum
allein überantwortet. Vielmehr argumentiert Nussbaum, wie auch Sen, dass ein Mensch
nur dann echte capabilities besitzt, wenn die äußeren Umstände ihm diese zur Verfügung
stellen. Diesen Gedanken halten wir für die Betrachtung von Resilienz im Arbeitskontext
für entscheidend, wie wir unten detaillierter darlegen.
Für den Kontext unseres Beitrages sind noch zwei weitere Implikationen des CA für
die Evaluation des Wohlergehens von Wissenarbeiter*innenn besonders wichtig. Der erste
zeigt die Stärke des CA auf, wenn es darum geht, psychische Belastungen als problema-
tisch für das Wohlergehen eines Menschen auszuzeichnen und zugleich zu analysieren,
auf welcher Ebene und in welcher Weise diese problematisch werden können. Damit lässt
sich mit Hilfe des CA gleichzeitig aufzeigen, wo man bei Lösungen zur Bewältigung von
Krisen ansetzen muss, d. h. in welchen Bereichen des menschlichen Lebens und Arbei-
tens man Resilienzförderung betreiben sollte. Zweitens, lässt sich damit darlegen, dass die
Interpretation des CA häufig zu individualistisch ist bzw. der sozialen Komponente von
capabilities nicht genug Gewicht beigemessen wird. Wir plädieren daher für eine soziale-
re, neo-kommunitäre Deutung des CA, wie sie vereinzelt in der Literatur zu finden ist (vor
allem in Deneulin 2006). So argumentieren wir, dass der normative Fokus des CA auf der
Freiheit des Individuums und den Voraussetzungen für Handlungsfähigkeit liegen sollte,
die von Staat, Umwelt und ihm selbst geschaffen werden müssen. Der Mensch wird vom
CA in unserem Verständnis als aktives Wesen angesehen, der in die Lage gebracht werden
soll, sein Leben selbst zu bestimmen. Wie jedoch bereits angedeutet, kann ein Zuviel ein
Handlungsspielraum als belastend empfunden werden. Kann der CA mit diesem Befund
umgehen oder zeigt dies wiederum eine Problematik für den CA auf? Mit diesen beiden
Punkten befassen wir uns im Folgenden. Wir beginnen mit dem CA als Analyseinstru-
ment für Belastungen am Arbeitsplatz von Wissenarbeiter*innen.
Wenn man die Perspektive des CA auf den o.g. Umgang mit psychischen Belastungen
und die daraus hervorgehenden Beanspruchungsfolgen anwendet, lässt sich bereits nach
einem flüchtigen Blick feststellen, dass diese mit Hilfe des CA differenzierter eingeordnet
werden oder sogar erst als solche erkannt werden können. Herz-Kreislauf-Erkrankungen
aufgrund von Stress sind als schwerwiegende Beanspruchungsfolgen einzustufen, weil
sie bereits „innate capabilties“ beeinträchtigen. Eine Beeinträchtigung der work-life-ba-
lance kann dazu führen, dass der Mensch in seiner Beziehungsführung belastet ist und
daher in diesem Bereich weniger wertvolle (combined) capabilities besitzt. Beides sind
Gute Arbeit, resiliente Arbeiter? 169
sehr unterschiedliche Beanspruchungsfolgen, können aber mit Hilfe des CA als schwer-
wiegend für das Wohlergehen eingeordnet werden – sogar wenn dem Betreffenden dies
gar nicht bewusst ist. So werden viele Beanspruchungen von vielen Menschen häufig erst
als schwerwiegend eingestuft, wenn sie bereits fortgeschritten sind; beispielsweise, wenn
der Herzinfarkt geschehen ist oder unmittelbar droht. Mit einem umfassenden, sozialen
und hinreichend objektiven Begriff des Wohlergehens, wie ihn der CA skizziert, lassen
sich auch unabhängig von der subjektiven Einschätzung des Beschäftigten, die durch ver-
schiedene Faktoren getrübt sein kann, Beanspruchungen als problematisch einschätzen.
Die von Nussbaum dargelegte Dreiteilung von capabilities hilft uns weiter, psychische
Beanspruchungen noch stärker zu differenzieren und in Richtung Resilienzförderung zu
denken. Zur Erinnerung: Psychische Beanspruchung wird verstanden als „unmittelbare
Auswirkung der psychischen Belastung im Individuum in Abhängigkeit von seinen jewei-
ligen überdauernden und augenblicklichen Voraussetzungen“ (BAuA 2010). Die grund-
legenden capabilities umfassen diese Voraussetzungen, z. B. körperliche Eigenschaften
wie Größe oder Gewicht einer Person. Bei den internen capabilities geht es um erworbe-
ne Kenntnisse und Fähigkeiten. Diese Kenntnisse und Fähigkeiten sind im vorliegenden
Kontext der Wissensarbeit stark relevant (wie unten noch detaillierter dargelegt wird).
Die sozialen Faktoren, die für die Betrachtung der Gestaltung von Wissensarbeit eben-
falls wichtig sind, umfassen Normen und Institutionen. Sie bilden einen großen Teil der
kombinierten capabilities. Sie sollten besonders berücksichtigt werden, da davon aus-
gegangen wird, dass auf dieser sozialen Ebene Strukturen handlungsleitend werden, an
denen sich Wissenarbeiter*innen orientieren. Konkreter ausgedrückt geht es hierbei um
Institutionen und Normen, die in Form von Erwartungen und Handlungsregeln den Wiss-
enarbeiter*innen gegenüberstehen, wenn diese ihre Arbeit ausführen. Da diese Erwartun-
gen und Regeln das Handeln leiten, beeinflussen sie auch maßgeblich ihren Umgang mit
psychischen Belastungen am Arbeitsplatz. Die Entstehung dieser Institutionen und Nor-
men wird im CA auf einer allgemeinen, gesellschaftlichen Ebene verortet (Volkert 2014).
Im Forschungszusammenhang, den wir hier diskutieren, werden die Teamebene sowie die
organisationale Ebene als entsprechende Orte dieser Institutionalisierungsprozesse gese-
hen. Demnach wird davon ausgegangen, dass innerhalb von Teams, in die Wissenarbei-
ter*innen eingebettet sind, sowie innerhalb von Organisationen, in denen sie beschäftigt
sind, handlungsleitende Erwartungen und Regeln etabliert sind, die die Art und Weise
beeinflussen, wie mit psychischen Belastungen umgegangen wird. So zeigen die Daten
beispielsweise, dass innerhalb eines Teams die Regel gilt, über Stress und Überlastungen
nicht zu sprechen. Als Grund hierfür wird von den Teammitgliedern angegeben, es gäbe
gar keine Möglichkeit, den Stress zu reduzieren, da zu wenig Beschäftigte zu viele Projek-
te in zu knapp kalkulierter Zeit bearbeiten müssten. Folglich bringe es auch nichts, über
Stress und Überlastungen zu klagen. Welche Rolle die Wissenarbeiter*innen in diesem
Kontext einnehmen, ob es ihrerseits Einflussmöglichkeiten auf solche Institutionen und
Normen gibt, ist eine Frage, die für die Einschätzung von Belastungen und der Ausbildung
von Resilienz aus unserer Sicht eine tragende Rolle spielt.
170 Carolin Blum und Rebecca Gutwald
Wie bereits angedeutet, können mithilfe der genannten, ausgewählten normativen As-
pekte des CA die Ergebnisse und Annahmen des eingangs genannten empirischen Pro-
jekts zur Erforschung der Bewältigung psychischer Belastungen bei Wissenarbeiter*innen
besser beleuchtet werden. Leitende Fragen sind dabei vor allem: Auf welcher Ebene kann
man die psychischen Belastungen, die Wissenarbeiter*innen monieren, verorten? Wer
kann auf Einfluss auf die capabilities von Beschäftigten nehmen und inwiefern spielen
welche Elemente von capabilities (interne wie externe) dabei eine Rolle? Und letztlich:
Wie kann auf Basis dieser Analyse eine Konzeption für Resilienz und Resilienzförderung
entwickelt werden?
In einem ersten Schritt plädieren wir dafür, die drei genannten Ebenen (Individuum,
Team und Organisation) zu berücksichtigen. Es interessiert, erstens, wie auf individueller
Ebene, also von den Beschäftigten selbst, ein Beitrag zu ihrem Wohlergehen geleistet wird
und werden kann. Die (internen) Kenntnisse und Fähigkeiten, die der CA nennt, sind dabei
zentral. Zweitens ist der soziale Kontext essentiell, in den die Beschäftigten eingebettet
sind, also die kombinierten capabilities. Als sozialer Kontext können die Organisationen
angesehen werden, in denen die Arbeit ausgeübt wird, sowie die Teams, in denen die Be-
schäftigten arbeiten.
Auf dieser Basis kann zunächst festgestellt werden, dass es dank der Differenzierung
in eine individuelle und eine soziale Ebene, die der CA vornimmt, möglich ist, die Ebenen
Individuum und Team bzw. Organisation zu unterscheiden und separat hinsichtlich ihrer
Einflussnahmen auf die individuellen capabilities zu untersuchen. Bezogen auf das hier
diskutierte Forschungsprojekt kann den Individuen zugeschrieben werden, Einfluss auf
ihre (grundlegenden und z.T. kombinierten) capabilities zu nehmen und ihr Wohlergehen
am Arbeitsplatz positiv zu beeinflussen. Dies zeigt sich anhand der zahlreichen Strate-
gien, die Wissenarbeiter*innen anwenden, um psychische Belastungen am Arbeitsplatz zu
bewältigen und dadurch ihre Gesundheit zu schützen. Zu nennen sind diesbezüglich vor
allem Strategien, die die eigene Arbeitsorganisation oder das eigene Zeitmanagement be-
treffen (beispielsweise To-Do-Listen führen oder Aufgaben, die ähnliche Anforderungen
stellen, wie E-Mails beantworten, im Block zu bearbeiten). Eine positive Beeinflussung
des individuellen Wohlergehens gelingt den Wissenarbeiter*innen – den vorliegenden
Ergebnissen zufolge – dadurch jedoch nur bedingt. Zwar können sie sich selbst und ihr
Verhalten am Arbeitsplatz optimieren und dadurch effizienter arbeiten, aber ihre eigene
Einschätzung ihres Wohlergehens wird davon nicht zwingend positiv beeinflusst. Denn
trotz aller Optimierungsversuche fühlen sich die untersuchten Wissenarbeiter*innen, wie
bereits ausgeführt, gesundheitlich von den psychischen Beanspruchungen ihrer Arbeit
beeinträchtigt und klagen über allgemeine psychosomatische Erkrankungen wie Kopf-
schmerzen. Gründe hierfür sehen sie insbesondere in der großen Arbeitsmenge und in der
zu geringen Zeit, die ihnen zur Bearbeitung zur Verfügung steht.
Den sozialen Kontext genauer betrachtend fällt auf, dass die sozialen Bedingungen, die
das Wohlergehen der Wissenarbeiter*innen am Arbeitsplatz in der Form von Ausbildung
kombinierter capabilities tatsächlich fördern, eher gering ausfallen. Das heißt, auf der so-
zialen Ebene (Organisation und Team) sind Mechanismen, die entlastend wirken, weniger
Gute Arbeit, resiliente Arbeiter? 171
vorhanden und verbreitet, als auf der individuellen Ebene. Was hingegen auf der sozialen
Ebene verbreitet und institutionalisiert ist – und daher als Norm angesehen werden kann –
sind Erwartungen, die beinhalten, dass die Wissenarbeiter*innen einen Beitrag für ihr
Wohlergehen leisten indem sie selbst in der Lage sind, im Sinne ihrer Gesundheit mit psy-
chischen Belastungen umzugehen. Es bestehen demnach Diskrepanzen hinsichtlich des
Verständnisses von Wohlergehen und vor allem für die Verantwortlichkeit, dieses zu er-
reichen. Ein typisches Beispiel für ein solches Missverhältnis ist das Angebot von Zeitma-
nagement-Seminaren oder Entspannungs-Trainings, welche auch häufig unter dem Stich-
wort „Resilienztraining“ angeboten werden (Hurtienne und Koch 2018). Hierbei handelt
es sich trotz äußerer Unterstützung durch das Seminarangebot letztlich nicht um eine volle
kombinierte capability: Die Wissenarbeiter*innen bekommen zwar externe Hilfe bei der
Ausbildung seiner Zeitmanagement-Fertigkeiten. Ob diese die Fertigkeiten jedoch ein-
setzen, wie sie dies tun etc. hängt nicht allein von ihnen ab. Sie müssen auch die äußeren
Bedingungen dazu vorfinden, z. B. Aufgaben, die sich zeitlich aufteilen lassen, realistisch
kalkulierte Deadlines oder die (institutionalisierte) Möglichkeit, Aufgaben an Kollegen
abzugeben. Sind solche Bedingungen, die den Zeitdruck abfedern, nicht gegeben, sind
die Wissenarbeiter*innen in ihren capabilities beeinträchtigt, obwohl es so aussieht, als
würden sie Unterstützung erfahren, indem ihre Resilienz trainiert wird, indem ihnen bei-
gebracht wird, wie sie mit der Belastung des Zeitdrucks fertig werden selbst sollen.
Dabei wird, das möchten wir hier betonen, der Umgang mit psychischer Belastung
falsch verortet. Ähnliches geschieht bei der Diskussion rund um den Resilienzbegriff in
der (Ratgeber-)Literatur. Wie Hurtienne und Koch (2018) ausführlich darlegen, wird Re-
silienz häufig als eine rein individualistische Angelegenheit verstanden: Das Individuum
wird widerstandsfähiger gemacht, d. h. es wird mit Voraussetzungen ausgestattet, etwa im
Form der genannten Maßnahmen, damit sich die psychische Belastung am Arbeitsplatz
nicht beeinträchtigend auf seine Gesundheit auswirkt. Dabei wird jedoch ausgeblendet,
was der Anteil des sozialen Kontextes – hier: der Organisation – ist und was sie gegen
diese tun könnte. Mit Hilfe des CA lässt sich aufzeigen, was daran aus normativer Sicht
problematisch ist. Die Resilienz von Arbeitnehmern kann sich nur dann wirklich entwi-
ckeln, wenn die organisationalen Rahmenbedingungen entsprechend gestaltet sind. Das
heißt, dass Organisationen vor Beanspruchungsfolgen schützen, indem sie psychische Be-
lastungen, die sich negativ auswirken, begrenzen. Ein Blick in die Daten verdeutlicht dies:
Wissenarbeiter*innen wünschen sich, statt Seminaren zur Verbesserung ihrer Effizienz,
wodurch die Verantwortung, mit der großen Arbeitsmenge fertig zu werden in ihre Hände
gelegt wird, eine Begrenzung der Anzahl von Projekten, die der Einzelne zu bearbeiten
hat. Die Organisation wäre für die Gestaltung dieser Bedingung verantwortlich.
Hier sprechen wir von echter, weil nachhaltiger Resilienz, welche sich darin zeigt, dass
ihr die Förderung von kombinierten capabilities zugrunde liegt (Gutwald 2016; Gutwald
und Nida-Rümelin 2016). Nur eine Resilienz, welche zu umfassenden Wohlergehen, wie
der CA es definiert, führt, kann letztlich als Widerstandsfähigkeit aufgefasst werden, die
dem Individuum (und letztlich der Organisation) wirklich nützt, um psychische Belastun-
gen zu bewältigen.
172 Carolin Blum und Rebecca Gutwald
Negativ bzw. unecht wird Resilienz hingegen dann, wenn die organisationalen Bedin-
gungen beeinträchtigende Beanspruchungsfolgen entstehen lassen oder fördern und von
Arbeitnehmern erwartet wird und sie dahingehend trainiert werden, sich an diese Bedin-
gungen anzupassen. Die Resilienz von Arbeitnehmern besteht in diesem Sinne dann da-
rin, sich soweit es geht mit den beeinträchtigenden Beanspruchungen zu arrangieren und
diese solange wie möglich zu ertragen. Negativ verstärkend wirkt hier, dass diese unechte
Resilienz für den Mitarbeiter schlecht ist. Aber aus Sicht des Unternehmens ist sie, zu-
mindest kurzfristig, zunächst einmal positiv: der Arbeitnehmer kann mehr leisten und mit
mehr Arbeit belastet werden. Langfristig besteht aber auch für die Organisation ein Nach-
teil: beispielsweise kann sich das Risiko für höhere Krankheits- oder Kündigungsraten er-
höhen. Dies zeigt die Notwendigkeit auf, dass die Gestaltung von Arbeitsbedingungen und
die Entscheidungsmacht darüber nicht allein bei der Organisation liegen sollte, sondern
von außen, etwa durch den Gesetzgeber oder durch externe Institutionen (wie Gewerk-
schaften), aktiviert werden sollte.
Eine weitere Frage bleibt jedoch noch offen: wie oben dargelegt, rückt der der CA letzt-
lich die Freiheit des Individuums in den Mittelpunkt der normativen Einschätzung. Dem-
entsprechend scheinen Freiheitsräume als positiv für das Wohlergehen. Wie passt diese
Implikation zu dem gewonnenen Befund, dass viele Wissenarbeiter*innen sich oft gerade
durch diesen Spielraum belastet fühlen? Kann der CA diesem Umstand Rechnung tragen
oder findet er darin seine Grenzen?
Zwei der oben diskutierten Aspekte zeigen Lücken in der Anwendung des CA auf die
Frage nach Resilienz und den Umgang mit psychischer Belastung am Arbeitsplatz auf, in-
dem sie den CA als Ansatz für die Beurteilung von Wohlergehen betreffen. So lässt sich,
erstens, nochmals auf die bisherige Unterbeleuchtung der Arbeitsthematik innerhalb des
CA verweisen. Forschungsarbeiten des CA thematisieren beispielsweise den Arbeitsver-
lust und die Arbeitslosigkeit (Sen 1975; Schokkaert und van Ootegem 1990; Burchardt und
Le Grand 2002), informelle Arbeit (Lugo 2007) sowie die Grenze bzw. die Entgrenzung
zwischen Arbeit und Privatleben (Robeyns 2010). Große Lücken bestehen noch im Hin-
blick auf Forschungserkenntnisse, die sich explizit auf die Frage beziehen, wie Arbeit
gestaltet sein sollte, damit sich Wohlergehen einstellt. In diesem Beitrag können wir das
Potential des CA nur abstecken. Wir sehen in dem Ansatz einige positive Anstöße zu ei-
nem nötigen Perspektivenwechsel in Bezug auf die gegenwärtige Diskussion um Resilienz
am Arbeitsplatz. Es bedarf aber noch einiges an philosophischer und empirischer Arbeit,
um plausibel beurteilen zu können, ob der CA eine tragfähige Basis zur Beurteilung von
Arbeitsgestaltung sein kann oder ob er seinen eigenen Grenzen erliegt.
Zudem muss eine grundlegende Spannung thematisiert werden, die sich trotz allen
Potentials zeigt, wenn der CA auf die oben beschriebenen Ebenen im Arbeitskontext
angewendet wird. Wie ausgeführt, fußt die Grundidee des Ansatzes vor allem auf dem
Gute Arbeit, resiliente Arbeiter? 173
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Medien und gesellschaftlicher Wandel
Eine empirische Studie zu der Frage, ob Medienkompetenz
im Jugend- und frühen Erwachsenenalter einen
Resilienzfaktor darstellt
Zusammenfassung
In einer empirischen Studie mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen (N = 101) wur-
de der Zusammenhang von Medienkompetenz mit bereits empirisch bestätigten Resi-
lienzfaktoren aus dem kognitiven, leistungsbezogenen und gesellschaftlichen Bereich
untersucht. Dazu wurde der computerbasierte Test „Würzburger Medienkompetenz-
test“ (WMK) entwickelt, der die Leistung in fünf verschiedenen Fähigkeitsbereichen
von Medienkompetenz überprüft. Zusätzlich wurden Intelligenz, Lese- und mathe-
matische Kompetenzen, Schulnoten sowie politisches Interesse und Selbstkonzept,
Offenheit und Perspektivenübernahme erfasst. Die Ergebnisse von Regressions- und
Pfadanalysen zeigten, dass Medienkompetenz den fast durchweg stärksten Einfluss auf
die leistungsbezogenen Fähigkeiten ausübte – noch vor der Intelligenz. Ebenso wirk-
te sich Medienkompetenz bedeutsam auf das Politikinteresse aus und wies einen Zu-
sammenhang zur Perspektivenübernahme auf. Somit birgt Medienkompetenz für das
Jugend- und frühe Erwachsenalter ein großes Potential als Resilienzfaktor, auch über
die Individualebene hinaus für die Gesellschaft.
177
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2018
M. Karidi et al. (Hrsg.), Resilienz,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-19222-8_10
178 Carolin Braun, Verena Maria Gralke und Gerhild Nieding
1 Einleitung
Wir befinden uns in einem Prozess des beschleunigten gesellschaftlichen Wandels, der
die psychischen, kulturellen, ökonomischen und politischen Subsysteme der globalisierten
Gesellschaft umfasst und durch deren dynamisches Wechselspiel gekennzeichnet ist.
Medien gelten dabei zunehmend als der Hauptvermittler zwischen den Ebenen in die-
sem Wechselspiel: Indem sie in Prozesse des permanenten dynamischen Wandels unter-
schiedlicher Gesellschaftsbereiche genuin eingebunden sind und diese oft mitbedingen
und entscheidend akzentuieren, wird es zu einer notwendigen Fähigkeit von Individuen,
sich kompetent mit Medien auseinandersetzen zu können. Nur das gewährleistet, dass
Individuen diese Wandlungsprozesse verstehen und sich kompetent darin einbringen und
so auch mitgestalten zu vermögen. Damit wird der kontinuierliche Erwerb von Medien-
kompetenz vor allem im Jugend- und frühen Erwachsenenalter zu einer notwendigen Be-
dingung der Partizipation an Kultur, Politik und Gesellschaft.
Der vorliegende Beitrag beginnt mit der psychologischen Verortung der Begriffe Resi-
lienz und Medienkompetenz. Anhand von zwei umfassenden Fragestellungen wird dann
geklärt, ob Medienkompetenz einen Resilienzfaktor darstellt. Dazu werden deren Metho-
den und empirischen Ergebnisse dargelegt. Abschließend kann das Potential von Medien-
kompetenz als Resilienzfaktor auf individueller Ebene hinsichtlich kognitiver und bil-
dungsbezogener Kompetenzen als auch auf gesellschaftlicher Ebene hinsichtlich sozialer
und politischer Kompetenzen, bestätigt werden.
Um das Potenzial von Individuen zur Anpassung an sich ändernde und vornehmlich schä-
digende Bedingungen zu beschreiben, hat die Entwicklungspsychologin Emmy Werner
(1971) den Begriff der Resilienz propagiert. In ihrer berühmten Längsschnittstudie über
40 Jahre mit ca. 700 Kindern konnte sie zeigen, dass sich ein Drittel von über 200 Ri-
sikokindern erstaunlich positiv entwickelte. Diese resilienten Kinder konnten sich trotz
schädigender Ausgangsbedingungen in allen erhobenen Dimensionen erfolgreich in ihre
Gemeinschaft integrieren. Resilienz beschreibt eine durch verschiedene Resilienzfakto-
ren, oder Schutzfaktoren, gespeiste Widerstandsfähigkeit (Fingerle 2007). Aus entwick-
lungspsychologischer Sicht ist ein Schutzfaktor ein messbares Merkmal von Personen
oder deren Umfeldbedingungen, das einen günstigen Entwicklungsverlauf vorhersagt
(Noeker und Petermann 2008). Diese Faktoren sorgen trotz möglicher Risiken und Ge-
fahren des Umfelds für eine gesunde und erfolgreiche Entwicklung (O’Dougherty Wright
und Masten 2006). Solche Schutzfaktoren zu identifizieren, ist das Hauptanliegen der Re-
silienzforschung. Empirisch konnten bereits gute akademische Fähigkeiten (Lese- und
Rechtschreibfähigkeiten, mathematische Kompetenzen), Intelligenz, Sozialkompetenz,
Integration in – beispielsweise politische – Gruppen und ein positives Selbstkonzept als
Schutzfaktoren bestätigt werden (Petermann und Schmidt 2006).
Medien und gesellschaftlicher Wandel 179
Zur Begriffsklärung von Medien folgen wir Nieding und Ohler (2008) und verstehen dar-
unter durch Zeichensysteme binnenorganisierte externale Repräsentationssysteme. In
Anlehnung an Scaife und Rogers (1996) sind sie symbolische Darstellungen unter Zuhil-
fenahme unterschiedlicher Materialien, wie Fotografien, Bücher oder Landkarten. Dem-
nach gibt es eine Kompetenz, die sich auf die individuelle Fähigkeit bezieht, mit diesen
Materialen zielführend umzugehen, welche allgemein als Medienkompetenz bezeichnet
wird. Trotz Fehlen einer einheitlichen Definition besteht Übereinstimmung darin, dass
es sich bei Medienkompetenz um ein Konstrukt handelt, welches sich kontinuierlich ver-
ändert und aus mehreren Teilfähigkeiten besteht, die eine kritische Betrachtung und Ver-
wendung von Medien ermöglichen (z. B. Hobbs 1997).
Hobbs (1997) sieht die mediale Zeichenkompetenz und die Fähigkeiten zur Verwen-
dung, Analyse, Evaluation und Kommunikation unterschiedlicher medialer Nachrichten
als die zentralen Fähigkeiten an, welche die Medienkompetenz ausmachen. Potter (1998)
nimmt darüber hinaus an, dass Medienkompetenz mehrere Aspekte wie soziale, emotio-
nale, kognitive und ästhetische Fertigkeiten, beinhaltet. Er betrachtet jede Dimension als
Kontinuum, auf welchem eine Person zu jedem Zeitpunkt ihrer Entwicklung eine spezi-
fische Position innehat. Im Verlauf des Lebens findet eine kontinuierliche Anpassung an
die sich stetig verändernde Medien- und Technologieumwelt statt. Während der Kindheit
bilden sich die sogenannten rudimentären Fähigkeiten aus, die zum Beispiel die ange-
messene Medienselektion, das Erkennen von symbolischen Mustern und deren Bedeu-
tungszuweisung beinhalten. Diese Fähigkeit wird nach Nieding et al. (2016) als mediale
Zeichenkompetenz (MZK) bezeichnet und stellt die wohl wichtigste Teilkomponente der
Medienkompetenz im Kleinkindalter dar. Ohne das Beherrschen der zugrunde liegen-
den Zeichensysteme können Medien nicht verstanden werden. In der Adoleszenz bilden
sich die erweiterten Fähigkeiten heraus, welche die Verwendung höherer Fähigkeiten und
die aktive Entwicklung elaborierter Wissensstrukturen des Nutzers erfordern (vgl. Potter
2013). Dazu gehören experimentelles Explorieren als Suche neuer Formen von Inhalten,
180 Carolin Braun, Verena Maria Gralke und Gerhild Nieding
und nimmt zwischen dem Alter von 4 und 10 Jahren eine entscheidende Entwicklung (vgl.
Munk et al. 2012a; Munk et al. 2012b).
Computerkompetenz
Wie beim Fernsehen kommen heutige Kinder schon sehr früh in Kontakt mit Computern
und Tablets. Relevant wird dies ab einem Alter von 3 Jahren (Iene Miene Media 2012,
zitiert nach Bus et al. 2015), wobei vor allem Touchscreens sehr beliebt sind (Neumann
und Neumann 2014). Generell scheint auch dieser Kompetenzbereich einer (lebens-)lan-
gen Entwicklung zu unterliegen – so erreicht der Großteil Jugendlicher in internationalen
Vergleichen der Computer- und Informationskompetenz (ICILS) keine hohen Werte (Bos
et al. 2014).
Videospiele
Trotz häufiger Fokussierung auf ihren negativen Einfluss, scheinen Videospiele auch Nut-
zen zu bringen (siehe z. B. Granic et al. 2014; Nieding et al. 2016): Ein Beispiel ist das bes-
sere Abschneiden von jugendlichen Gamern in Aufgaben zur visuell-räumlichen Wahr-
nehmung und Aufmerksamkeit (Green und Bavelier 2003, 2006, 2007; Ferguson 2007;
Ventura et al. 2012). Grundlegend für den kompetenten Umgang mit Computerspielen
von Kleinkindern scheint das Verständnis der auf den Benutzeroberflächen verwendeten
Metaphern – wie die Identifikation des Symbols der Hilfefunktion – zu sein (Nieding et
al. 2016).
Geographische Karten
In vielen der zuvor genannten Medien stellt das Verständnis geographischer Karten eine
wichtige Teilkomponente dar. Einfache Karten können bereits mit 3 oder 4 Jahren ver-
standen werden (Huttenlocher et al. 1999; Shusterman et al. 2008). Erwachsene sind meist
kompetent darin mittels Karten zu navigieren, zumindest wenn diese mit deren eigener
räumlicher Orientierung übereinstimmen (May et al. 1995).
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass eine Vielzahl an Studien zur Entwicklung
medienbezogener Kompetenzen im Kindesalter existieren, ab Eintritt in die Adoleszenz
jedoch wenig Forschung besteht. Erste Hinweise dafür, dass Medienkompetenz schützen-
de Auswirkungen auf Individuen hat, liefern aber zumindest vorhandene Trainingsstudien
(z. B.; Hobbs und Frost 2003; Jeong et al. 2012; Walther et al. 2014), in denen Teilkompo-
nenten von Medienkompetenz, wie Realitäts-Fiktionsunterscheidung und Kritikfähigkeit
gezielt gefördert wurden.
182 Carolin Braun, Verena Maria Gralke und Gerhild Nieding
Zur Überprüfung von Medienkompetenz als Resilienzfaktor entwickelten wir den com-
puterbasierten Online-Test Würzburger Medienkompetenztest (WMK) zur Leistungsmes-
sung bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen (Gralke, Braun und Nieding 2015).
Er überprüft folgende fünf Kompetenzbereiche: Verständnis medialer Zeichensysteme
(MZK), Realitäts-Fiktionsunterscheidung (RFU), Medienrecht (MR), Produktionsfähig-
keit (PF) und Medienwirkungswissen (MWW).
Die im Kleinkindalter beginnende MZK (vgl. Kap. 1.3) wird vermutlich im Jugend-
und Erwachsenenalter starke Zuwächse erfahren. Eigene Vorarbeiten dienen als Basis für
die empirische Herleitung der MZK (vgl. Nieding et al. 2016).
Nach Potter (2013) gilt auch die (gehobene) RFU als notwendig, wobei er im Jugend-
alter die Stufe der kritischen Wertschätzung für die Differenzierung der Qualität verschie-
dener Informationsquellen und deren Einschätzung hervorhebt (vgl. Kap. 1.3).
Das Wissen zum MR bezieht sich auf die Stufen des kritischen Urteils und der sozialen
Verantwortung in Potters Modell (ebd.). Hierbei ist es wichtig, die Auswirkungen von
medialen Botschaften auf die Gesellschaft richtig einzuschätzen und den Zusammenhang
zwischen eigenem Medienverhalten und diesen Effekten zu erkennen.
Der Bereich der PF entspricht der Fähigkeit der sozialen Verantwortung (Potter 1998,
2013). Zur aktiven Teilhabe an der heutigen Mediengesellschaft ist die Fähigkeit zur Pro-
duktion medialer Inhalte eine wichtige Voraussetzung.
Abschließend erfasst das MWW die Stufe des kritischen Urteils (ebd.): Beurteilungen
von Medienbotschaften sollten in Bezug zu ihrem Kontext und unter Abwägung ihrer Be-
einflussungsabsicht vorgenommen werden.
Der WMK diente der Überprüfung des Zusammenhangs zwischen Medienkompetenz
und kognitiven (Teilfragestellung 1) sowie personenbezogenen differentiellen Variablen
wie Offenheit und politisches Interesse (Teilfragestellung 2).
Die erste Teilfragestellung bezieht sich auf den Zusammenhang der Medienkompetenz
mit kognitiven bzw. akademischen Variablen, wie Intelligenz, Lese- und Mathematik-
fähigkeiten sowie Schulnoten. Eigene Arbeiten stellten die MZK als Vorläuferfähigkeiten
der Medienkompetenz bereits als Resilienzfaktor im Vor- und Grundschulalter heraus
(Nieding et al. 2016). Die Ergebnisse dazu zeigten, dass MZK einen bedeutsameren Ef-
fekt auf Vorläuferfähigkeiten für den Lese- und Rechtschreiberwerb und mathematische
Kompetenzen im fortgeschrittenen Vorschulalter hat als die parallel dazu gemessene In-
telligenz. Dies setzt sich im Grundschulalter fort. Damit wurde der Nachweis erbracht,
dass MZK den späteren Erwerb bildungsrelevanter Fertigkeiten vorherzusagen erlaubt.
Medien und gesellschaftlicher Wandel 183
Weitere eigene Studien zeigten, dass Kinder mit hoher MZK Lernmedien z. B. Hypertexte
und Lehrfilme effizienter nutzen (Diergarten et al. 2017).
Zur Frage, ob sich die im Kindesalter gefundenen Zusammenhänge auch im Jugend-
und jungen Erwachsenenalter fortsetzen, lagen bislang unserer Kenntnis nach keine Stu-
dien vor.
Allerdings existieren Forschungsergebnisse bezogen auf die Mediennutzung im Zu-
sammenhang mit kognitiven und akademischen Fähigkeiten. So konnte gezeigt werden,
dass häufiges Surfen im Internet mit höheren Lesefähigkeiten in Zusammenhang steht
(Jackson et al. 2011). Mathematische Fähigkeiten können durch Computerspiele verbes-
sert werden (Kebritchi et al. 2010). Im Hinblick auf die Schulnoten ist die Forschungslage
nicht eindeutig: Einerseits konnten negative Zusammenhänge zwischen Schulleistungen
und dem Spielen von Videospielen nachgewiesen werden (Jackson et al. 2011), was auch
auf die Nutzung des Mobiltelefons aufgrund seines großen Ablenkungspotentials zutrifft
(Sánchez-Martínez und Otero 2009; Lepp et al. 2014). Andererseits wurde auch ein positi-
ver Einfluss von Gaming auf die Schulnoten gefunden (Ventura et al. 2012).
Zusammengefasst liefert die vorliegende Befundlage Evidenz für die Annahme, dass
die gezielte Nutzung von Medien sich auch positiv auf akademische Fähigkeiten auswir-
ken kann. Ungeklärt ist, ob hierbei der Medienkompetenz eine moderierende Rolle zu-
kommt.
Basierend auf den o.g. Befunden zum Einfluss der MZK bei Kindern und der Medien-
nutzung bei Jugendlichen und Erwachsenen nahmen wir an, dass Medienkompetenz ab
dem Jugendalter positiv mit den Resilienzfaktoren Lese- und Mathematik kompetenz zu-
sammenhängt. Angesichts der unklaren Befundlage zu Schulnoten, wurde untersucht, ob
sich dies auch für diese relevante Variable bestätigen lässt. Nieding et al. (2016) zeigten
bedeutsame Zuwächse der MZK im Kindesalter. Daher überprüften wir auch, ob sich
die Entwicklung der Medienkompetenz weiter über die Ontogenese erstreckt (vgl. Potter
1998). Somit sollte die Stichprobe der Erwachsenen eine höhere Medienkompetenz auf-
weisen als die der Jugendlichen. Ähnlich dem positiven Zusammenhang zwischen Intel-
ligenz und der MZK im Kindesalter (vgl. Nieding et al. 2016), erwarteten wir diese Rela-
tion auch im Jugend- und Erwachsenenalter und erfassten dazu Intelligenz als separaten
Prädiktor.
Eine weitere Teilfrage unserer Untersuchung betraf den Einfluss von Medienkompetenz
auf gesamtgesellschaftliche Zusammenhänge.
Interesse an politischen Fragestellungen gilt in der Forschungsliteratur als hoch rele-
vant, da es dem Einzelnen (Schuessler 2000) sowie der gesamten Gesellschaft nutzt (z. B.
Mansbridge 1999). Hinzu kommt, dass Interesse an politischen Fragen mit politischer
184 Carolin Braun, Verena Maria Gralke und Gerhild Nieding
Teilhabe korrespondiert (Verba et al. 1995) und entscheidend für eine gut funktionie-
rende Demokratie ist (Lupia und Philpot 2005). In vielen Ländern zeigt sich eine steti-
ge Abnahme des Interesses an Politik und der politischen Teilhabe v.a. bei Jugendlichen
(Putnam 2001; Soule 2001). Von einigen Autoren wird nun das Internet als Heilmittel
angesehen, da Gruppen, wie junge Erwachsene, erreicht werden können (z. B. Best und
Krueger 2005). Empirisch zeigte sich, dass eine größere Diversität und Anzahl politischer
Informationen aus dem Internet das Interesse und die Teilnahme an Online-Diskussionen
erhöht (Smith und Tolbert 2004). Fördert aber das Medium selbst das Interesse an Politik?
Boulianne (2009) fand in ihrer Meta-Analyse heraus, dass das Internet in Abhängigkeit
von der Nutzungsweise positive Effekte auf das politische Interesse und Verhalten haben
kann. Im Längsschnitt zeigten Teilnehmer, welche Online-Nachrichten konsumierten,
eine Steigerung des Interesses, wohingegen Zeitungsleser über eine Abnahme berichteten
(Mossberger et al. 2008). Auch scheint das Internet das Interesse bei typischerweise unin-
teressierten Gruppen zu wecken (ebd.) und Personen, welche im Internet nach politischen
Informationen suchen, zeigen mehr zivile und politische Einbindung (Gibson und Levine
2003).
Die genannte Forschung fokussierte bisher nahezu ausschließlich das Medium Internet
und vernachlässigt damit die Vielzahl weiterer Informationskanäle. Auch werden ledig-
lich Nutzungsdauer bzw. Nutzungsart erfasst, ohne deren Qualität zu reflektieren. Durch
die Einbindung von Medienkompetenz und damit einhergehend der medienübergreifen-
den Untersuchung der Nutzungsgüte begegnen wir diesen Defiziten.
So ist es bei der Informationssuche relevant, dass ein Nutzer die Qualität einer Nach-
richt adäquat bewerten kann.
Unsere Studie sollte daher überprüfen, ob ein höheres Ausmaß an Medienkompetenz
mit einem gesteigerten Interesse an politischen Themen korrespondiert.
Zur Beantwortung, ob sich medienkompetentere Personen auch eher an politischen
Entscheidungsprozessen beteiligen, haben wir auch das politische Selbstkonzept erfasst
(vgl. 3.2), da es anscheinend der Mittler zwischen Politikinteresse und politischer Partizi-
pation ist (Wang 2007).
Eine weitere Forschungsfrage lautete: Zeichnet sich eine medienkompetente, politisch
interessierte Person durch spezifische Persönlichkeitseigenschaften aus? Mittels des Inter-
nets und der voranschreitenden Globalisierung nähern sich die Kulturen und ihre Wahr-
nehmungssysteme sowie Einstellungen an. Zum Verständnis einer fremden Kultur gehört
die immanente Motivation zur Auseinandersetzung mit einem anderen Denksystem. Hier-
zu bedarf es einerseits der Persönlichkeitseigenschaft Offenheit für Erfahrungen, also
offen für Neues zu sein und Abwechslung wertzuschätzen (McCrae und Costa 1989), so-
wie der Fähigkeit, die Perspektive eines anderen zu übernehmen (Paulus 2011). Mittels
Internet kommen Nutzer, sofern sie Offenheit aufweisen, mit einer größeren Bandbreite
an Weltanschauungen und Perspektiven in Kontakt (Smith und Tolbert 2004), was wie-
derum die Fähigkeit der Perspektivenübernahme und politische Toleranz fördert (Mutz
2006) und gleichzeitig die Ablehnung gegenüber Personen der vermeintlichen outgroup
Medien und gesellschaftlicher Wandel 185
schwächt (Williams 2007). Wir nahmen daher an, dass medienkompetente Personen auch
eine höhere Perspektivenübernahmefähigkeit und mehr Offenheit zeigen.
Als Kontrollvariablen wurden Geschlecht, sozioökonomischer Status, Alter und Bil-
dungsabschluss und als mögliche Ausschlusskriterien eine bestehende Internet- oder
Computersucht erfasst
3 Methode
3.1 Stichprobe
Der WMK wurde mit 101 Jugendlichen (n = 50; M Alter = 13;1 Jahre, SDAlter = 1;9 Jahre)
und jungen Erwachsenen (n = 51; MAlter = 19;1 Jahre, SDAlter = 1;5 Jahre) durchgeführt.
Der weibliche Anteil überwiegt (59 %) mit 44 % jugendlichen und 71 % erwachsenen Teil-
nehmerinnen. 78 % der Jugendlichen besuchte das Gymnasium, die restlichen 22 % die
Realschule. 94 % der Erwachsenen erwarb das Abitur und nahm ein Studium auf. Die
restlichen 4 % besaßen den mittleren Schulabschluss und 2 % den Hauptschulabschluss.
3.2 Testmaterial
WMK
Für die fünf Dimensionen des WMK wurden 136 Items entwickelt, um Medienkompe-
tenz medienübergreifend zu messen. Einzelne Aufgaben wurden dabei auf das Alter der
Probanden abgestimmt. Jede richtige Antwort wird mit einem Punkt bewertet. Im Folgen-
den werden die einzelnen Subskalen näher erläutert.
Der Subtest MZK erstreckt sich von Computerbildung über Internetkompetenzen und
mobile Medien bis hin zum Lesen von Landkarten, Arbeiten mit Diagrammen, der Kennt-
nis von Montagetechniken und Videospielen. Die Computerbildung wurde mitunter durch
einen modifizierten Teil des Computer Literacy Inventory (INCOBI-R; Naumann et al.
2001; Richter et al. 2010) erhoben.
Zum Internet wurden Fragen zu Social Media gestellt und der Umgang mit Hypertex-
ten erfasst. Multiple Choice und Zuordnungsaufgaben prüfen den Wissenstand zu mobilen
Geräten, sowie Landkarten. Auch wurde das Wissen über Diagramme, Montagetechniken
und zu Videospielen erfasst.
Die praktische Teilkomponente PF erforderte den zweckdienlichen Umgang mit Soft-
ware-Anwendungen wie Textverarbeitungs- und Präsentationsprogrammen. Weiterhin
galt es Fotos zu bearbeiten oder einen Dropbox-Ordner zugänglich zu machen. Diese Pro-
blemlöseaufgaben beziehen sich wie der MZK-Subtest auf zwei Betriebssysteme.
Der Leistungsbereich RFU fordert dazu auf, versteckte Werbung in unterschiedlichen
Medien zu identifizieren. Weiterhin sollten die Probanden zwischen dokumentarischen
und inszenierten, sog. Scripted Reality-Formaten unterscheiden können.
186 Carolin Braun, Verena Maria Gralke und Gerhild Nieding
MR prüft den Kenntnisstand zum allgemeinen Urheberrecht bei Musik, Filmen und
Streams sowie dem gesetzmäßigen Verhalten im Internet.
Beim Subtest zum MWW werden Schilderungen von Medieneffekten dargeboten, die
entweder wissenschaftlich abgesichert oder widerlegt sind, was die Probanden beurteilen
mussten. Medienübergreifende Fragen bezogen sich auf Wirkungen u. a. von Gewaltdar-
stellungen, Werbung oder die Wissensvermittlung.
Die interne Konsistenz, berechnet durch Cronbach‘s Alpha, beträgt für das Gesamt-
instrument .91.
Intelligenz
Die nonverbale Intelligenz wurde mithilfe der beiden Skalen Klassifikationen und Matri-
zen des CFT-20R (Weiß 2008) gemessen.
Lesefähigkeit
Der Lesegeschwindigkeits- und -verständnistest für die Klassen 6–12 (LGVT; Schneider
et al. 2007) wurde zur Messung der Lesefähigkeit der Jugendlichen und Erwachsenen
eingesetzt.
Mathematikfähigkeit
Die Mathematikfähigkeit der Jugendlichen wurde mittels einer Zusammenstellung von
15 Aufgaben, die sich am Lehrplan orientieren (Behörde für Bildung und Sport Hamburg
2006), gemessen. Für die Erwachsenen erfolgte die Messung über eine gekürzte Version
des Mathematiktests für die Personalauswahl (M-PA; Jasper und Wagener 2013).
Medien und gesellschaftlicher Wandel 187
Perspektivenübernahme
Die Fähigkeit zur Perspektivenübernahme wurde mittels einer Subskala des Saarbrücker
Persönlichkeitsfragebogens (SPF; Paulus 2011) erfasst.
3.3 Vorgehen
Die Probanden wurden über verschiedene Wege (z. B. Elternbriefe, Zeitungs- und Inter-
netannoncen) rekrutiert. Die Erhebung fand in den Laborräumen des Instituts für Psycho-
logie statt und dauerte insgesamt 2,5 Stunden.
Die Reihenfolge der Messinstrumente wurde dabei systematisch festgelegt und die Stu-
die jeweils in Kleingruppen von bis zu fünf Probanden durchgeführt.
4 Ergebnisse
Aufgrund der beiden Altersgruppen bezogen wir zur Kontrolle das Alter als Drittvariable
in unsere statistischen Analysen mit ein. Da sich bereits im Kindesalter (vgl. Nieding et
al. 2016) ein positiver Zusammenhang zwischen Intelligenz und den akademischen Leis-
tungsvariablen sowie zu MZK zeigte, erwarteten wir, dass Intelligenz und Medienkom-
petenz im Jugend- und Erwachsenenalter ebenfalls positiv korrelieren und kontrollierten
Intelligenz als separaten Prädiktor in unseren Berechnungen. Es sollte vorrangig berech-
net werden, welcher Anteil an den akademischen Leistungen und der politischen Anteil-
nahme, dem Intelligenzquotient und welcher Anteil der Medienkompetenz zuzuschreiben
ist, was wir anhand von Pfadanalysen ermittelten.
Es wurden keine Probanden aufgrund einer bestehenden Suchtproblematik von der
Auswertung ausgeschlossen. In Bezug auf die Computerspielsuchtneigung zeigte sich so-
gar eine hochsignifikante, moderate negative Korrelation mit der Medienkompetenz (r =
188 Carolin Braun, Verena Maria Gralke und Gerhild Nieding
-.32, p < .01) und deutete damit auf die protektive Wirkung von Medienkompetenz gegen-
über potentieller Risikofaktoren hin.
Die 19-Jährigen übertrafen im Gesamtwert sowie in allen Subskalen der Medienkom-
petenz die 13-Jährigen (siehe Abbildung 1).
Wie Tabelle 1 zu entnehmen ist, ließen sich zwischen allen untersuchten Variablen außer
den Lesekompetenzen signifikante Zusammenhänge feststellen. Medienkompetenz und
Intelligenz korrelierten beide signifikant mit den Lesefähigkeiten Geschwindigkeit und
Verständnis, der Mathematikfähigkeit, der Schulnote, der Medienbreite und dem Alter.
Mathematikfähigkeit, Schulnoten und Medienbreite wiesen untereinander sowie zu den
restlichen Variablen signifikante Korrelationen auf. Die Lesegeschwindigkeit korrelierte
dahingegen nicht signifikant mit Schulnoten, Medienbreite und Alter. Dies traf auch auf
das Leseverständnis zu, das auch keinen Zusammenhang zur Mathematikfähigkeit auf-
wies. Medienkompetenz war zusätzlich signifikant mit der Intelligenz verbunden.
Alle Subskalen des WMK korrelierten signifikant mit dem Gesamttest, der Intelligenz,
den Lese- und Mathematikfähigkeiten, der Schulnote sowie mit der Medienbreite. Unter-
einander wiesen sie mäßige bis mittlere Zusammenhänge auf, was trotz der Heterogenität
des Konstrukts auf strukturelle Konsistenz des Tests hindeutet. Zusammenfassend bestäti-
gen die korrelativen Ergebnisse unsere Annahmen, wonach Medienkompetenz positiv mit
den Resilienzfaktoren Lesefähigkeit und mathematischer Kompetenz zusammenhängt.
Dies ließ sich auch für Schulnoten bestätigen.
Medien und gesellschaftlicher Wandel 189
Die bisherigen Analysen zeigen deutlich die positiven Zusammenhänge zwischen Me-
dienkompetenz und den kognitiven Variablen. Aufgrund der Interdependenzen zwischen
den Prädiktorvariablen Medienkompetenz, Intelligenz und Alter wurden mittels Pfadana-
lysen theoretisch hergeleitete Modelle kausaler Zusammenhänge überprüft.
Abbildung 2 zeigt das Ergebnis der Pfadanalyse zum Einfluss von Medienkompetenz
und Intelligenz auf die Lesefähigkeiten. Medienkompetenz erwies sich dabei als einziger
einflussreicher Faktor auf Leseverständnis und -geschwindigkeit und bestätigte somit das
Ergebnis der Regressionsanalyse. Wenig überraschend blieb die Intelligenz unverbunden
mit diesen akademischen Kompetenzen. Der Fit beider Modelle ist hervorragend.
Medien und gesellschaftlicher Wandel 191
Abbildung 2 Einfluss der Medienkompetenz und Intelligenz jeweilig einmal auf das Lesever-
ständnis und einmal auf die Lesegeschwindigkeit
Abbildung 3 Einfluss der Medienkompetenz und Intelligenz auf die Mathematikfähigkeit bei
jungen Erwachsenen
Erwartungsgemäß übt Medienkompetenz neben Intelligenz den größten Einfluss auf den
Durchschnitt der aktuellen Schulnoten aus. Der Modellfit ist erneut hervorragend (Ab-
bildung 4).
192 Carolin Braun, Verena Maria Gralke und Gerhild Nieding
Abbildung 4 Einfluss der Medienkompetenz, der Intelligenz und des Alters auf die akademi-
sche Leistung
Welchen Einfluss hat die Medienbreite? Die Ergebnisse einer weiteren Pfadanalyse zeich-
nen sie als signifikanten Prädiktor für die Medienkompetenz aus, nicht jedoch für die
Intelligenz (vgl. Abbildung 5). Der Modellfit ist wieder tadellos. Dies zeigt, dass sich eine
breite Mediennutzung positiv auf den kompetenten Umgang mit Medien auswirkt und
dadurch akademische und schulische Leistungen zu fördern vermag. Personen, die vie-
le verschiedene Arten von Medien nutzen, anstatt beispielsweise nur fernzusehen, haben
eine höhere Medienkompetenz, die ihrerseits kognitive Fähigkeiten fördert.
Abbildung 5 Einfluss der Medienbreite und des Alters als Prädiktoren auf die Medienkompe-
tenz und die Intelligenz
Medien und gesellschaftlicher Wandel 193
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Jugendliche und Erwachsene mit hoher Me-
dienkompetenz bezüglich der Lesefähigkeit besser abschnitten und bessere Schulnoten
erzielten. Zudem besaßen medienkompetentere Erwachsene ebenfalls eine höhere Ma-
thematikfähigkeit. Die Nutzung möglichst vieler verschiedener Medien kann zudem, ver-
mittelt über die Medienkompetenz, Auswirkungen auf den Schul- und Berufserfolg haben.
Während Intelligenz bedeutsam mit Medienkompetenz korrelierte, erwies sie sich bei den
Mathematikkompetenzen und der Schulnote als ein weiterer bedeutsamer Prädiktor, die
Lesekompetenzen profitierten hingegen nur von der Medienkompetenz.
Für ein Gesamtbild des Zusammenhangs der Variablen wurde eine Pfadanalyse durchge-
führt (vgl. Abbildung 6). Wieder war Interesse an Politik das Kriterium sowie die Prädik-
toren Alter, Offenheit, Perspektivenübernahme, Medienbreite und Medienkompetenz. Da
Intelligenz in der Regression keinen signifikanten Beitrag leistete, wurde sie nicht mitein-
bezogen. Medienkompetenz hat den größten Einfluss, gefolgt von Offenheit. Die anderen
Variablen zeigen keinen signifikanten Effekt auf das Politikinteresse. Letzteres hat star-
ken Einfluss auf das Selbstkonzept der Kompetenz in politischen Themen. Überrascht hat
vor allem, dass das Alter keinen signifikanten Beitrag am Politikinteresse zeitigte.
Im Folgenden werden die Studie und die erzielten Ergebnisse einer kritischen Reflektion
unterzogen. Es waren wesentlich mehr hoch ausgebildete Personen zur Teilnahme bereit.
Zudem konnte die Korrelation zwischen der Medienkompetenz und der Mathematikfä-
higkeit nur für die Erwachsenen bestätigt werden. Ein Grund könnte darin liegen, dass die
196 Carolin Braun, Verena Maria Gralke und Gerhild Nieding
sie mit Intelligenz teilt, was darauf hindeutet, dass die Förderung von Medienkompetenz
lohnenswert ist.
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Resilienzsensible Bildung
Resilienz als Response-Strategie durch
Professionelle Simulation (ProfiS) entwickeln
Manfred Riegger
Zusammenfassung
Dieser Beitrag baut sich folgendermaßen auf: Nachdem an zwei Fallbeispielen resilienz-
sensible Bildung konkretisiert wird, erfolgt im zweiten Kapitel eine systematische Ver-
schränkung von Bildung und Resilienz im interdisziplinären Diskurs, um die spezifische
Anschlussfähigkeit aufzuzeigen. Diese Ergebnisse werden im dritten Kapitel weiterent-
wickelt, indem Resilienz als Response-Strategie entfaltet und im methodischen Vorgehen
der Professionellen Simulation verdeutlicht wird. Abschließend wird das Potential resi-
lienzsensibler Bildung aufgewiesen.
Resilienz wird im Bild häufig in Szene gesetzt als karge, lebensfeindliche Landschaft,
in der einsam ein kleines Pflänzchen wächst, gelegentlich mit Blüte. Meint Resilienz also
203
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2018
M. Karidi et al. (Hrsg.), Resilienz,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-19222-8_11
204 Manfred Riegger
wenig und schnell, da das keinen Spaß macht.‘ S2: ‚Wenn ich aufstehe, sitzen meine Eltern
vor dem Fernseher. Oft frühstücke ich dann gar nicht, weil mich das nervt und ich schnell
weg möchte.‘ S3: ‚Ich frühstücke nichts, weil ich immer zu spät aufstehe und keiner mehr
zuhause ist. Ich kaufe manchmal etwas unterwegs beim Bäcker oder esse gar nichts.‘ S4:
‚Ich frühstücke zusammen mit meinem Bruder, der muss auch in die Schule‘“ (ebd.). Mit
folgender Aufforderung wird die Simulation beendet: „‚Jetzt dürft Ihr entscheiden, ob
Ihr euer Bild behalten möchtet oder ob Ihr es dalassen möchtet.‘ Alle Schüler nehmen
Ihr Bild und sortieren es in den Ethik-Hefter ein“ (ebd.) (=Beendigung der Simulation).
In der anschließenden Reflexion über die Erlebnisse redet man darüber, wie schön es ist
zusammen zu frühstücken, welche gesunden Nahrungsmittel schmecken könnten. „Ent-
sprechende Nahrungsmittel, wie Vollkornbrötchen und Bioprodukte (Butter, Marmelade,
Wurst, Käse), sind vorhanden, welche nun die Grundlage für das gemeinsame Frühstück
darstellen. Zusammen wird der Tisch gedeckt. Es herrscht eine absolut friedliche, fast
schon familiäre Atmosphäre. Die Schüler erzählen von ihren Ferienerlebnissen, bemerken
aber nebenbei, dass Bioprodukte besser schmecken, als das, was sie normalerweise essen.
Ihr Interesse an einem gesunden Frühstück steigt, sodass die Lehrkraft anbietet, für die
nächste Stunde ein Haferflockenmüsli mit Obst vorzubereiten. Ein Schüler ist immer noch
sehr skeptisch: ‚Ob das wohl schmeckt?‘“ (ebd.).
Das zweite Beispiel einer Professionellen Simulation entstammt der Lehrerbildung an
der Universität Augsburg (vgl. Riegger und Heil 2017b, S. 135ff.), in welcher Unterrichts-
störungen simulierend thematisiert wurden. Globale Bildungsziele werden in Bezug auf
folgende Intention bzw. Kompetenzerwartung konkretisiert: Die schulische Konfliktsitu-
ation: „Eine Schülerin verweigert im Religionsunterricht die Mitarbeit“ wird mittels Pro-
fessioneller Simulation wahrgenommen und gezielt gestaltet. Im vorbereitenden Gespräch
werden Informationen über den zu simulierenden Konfliktfall im Unterricht gesammelt
und gebündelt. Danach wird im Seminarraum der Universität ein Tisch aufgestellt. Da-
hinter nimmt die eingeladene Lehrkraft Platz. Sie simuliert Mareike (alle Namen wurden
geändert), eine Schülerin aus ihrer Klasse. Ein Buch und ein Blatt liegen vor ihr. Im Halb-
kreis gegenüber sitzen die Studierenden (=Szenendesign). Die Leitung beginnt: „Wir sind
im Zimmer der 8. Klasse an einer Mittelschule (= Hauptschule mit der Möglichkeit eines
Mittleren Schulabschlusses) in Bayern. Der Unterricht ist in vollem Gange. Die Schüle-
rinnen und Schüler lesen im Religionsbuch. Der Lehrer, Herr Meier, ruft die einzelnen
Schüler auf. Mareike ist an der Reihe“ (=Einstimmung durch die Leitung). Zu den Studie-
renden gewandt sagt dann die Simulations- und Seminarleitung: „Sie können nun die Rol-
le von Herrn Meier übernehmen. Sie entscheiden selbst, wann Sie in die Szene treten und
beginnen selbstständig“ (=Impuls der Leitung). Der Simulationsprozess (=Handlungen
durchführen) beginnt: Ein Studierender steht auf und übernimmt die Lehrerrolle. Mareike
schaut aus dem Fenster. Herr Meier zögert und sagt: „Mareike, liest du bitte den Text!“.
„Herr Meier, ich will nicht!“, bekommt er zur Antwort. Nach kurzer Zeit fragt er: „Marei-
ke, warum willst du nicht lesen?“. „Ich habe keine Lust!“, ist zu vernehmen und der Lehrer
entgegnet: „Das kann ich verstehen, dass man manchmal keine Lust hat. Willst du etwas
anderes tun?“. „Ja, rausgehen“, und schon ist Mareike auf dem Weg zur Tür. Daraufhin
206 Manfred Riegger
bricht der Student die Simulation ab. Nach weiteren Simulationen lässt man die Szenerie
noch aufgebaut, setzt sich aber im Stuhlkreis zusammen und reflektiert über die Simula-
tionen der Reihe nach. Zunächst erzählt der simulierende Studierende 1 (=Kommunika-
tion über eigene Erlebnisse): „Ich wollte Mareike Verständnis entgegenbringen und hoffte,
dass sie dann liest“. Die Lehrkraft in der Schülerinnenrolle erzählt: „Ich dachte: ‚Toll, jetzt
kann ich machen, was ich will!‘“. Daraufhin ergänzen die Beobachtenden (=Perspekti-
venwechsel): „Ich als Mareike empfand ein Gefühl des Sieges“. „Als Herr Meier ging es
mir schlecht, weil ich dachte, dass ich für immer die Autorität vor den anderen Schülern
verloren habe“. Konnten sich alle äußern, beendet die Leitung die Simulation, indem die
Szenerie abgebaut und die gewohnte Sitzordnung eingenommen wird (=Beendigung der
Simulation). Die habitusbezogene Reflexion erfolgt mindestens in zwei Varianten: Zuerst
bindet die Lehrperson die Simulation an ihren Habitus zurück, indem sie über ähnliche
Anforderungssituationen aus ihrem Schulalltag spricht und die Studierenden knüpfen an
ihren Habitus an, indem sie auf den Punkt bringen, was sie handlungspraktisch gelernt
haben (=pragmatisch-reflexive Reflexion). Sodann werden gemeinsam Bezüge zu unter-
schiedlichen wissenschaftlichen Theorien erörtert und wissenschaftlich begründete Deu-
tungen von Konflikten und Konfliktregelungen erarbeitet (=reflexiv-wissenschaftliche Re-
flexion). Abschließend werden die Wirkungen der Simulation eruiert (=Evaluation). Eine
Studierende antwortete dabei: „Eigentlich war es doch nur ein Spiel, aber ich fühlte mich
wie in der Schule. Ich dachte nicht nur theoretisch über Unterrichtsstörungen nach, son-
dern probierte unterschiedliche Handlungsmöglichkeiten aus. Das war ungewohnt, aber
auch sehr hilfreich.“
Diese beiden Fallbeispiele aus dem schulischen und hochschulischen Alltag vermitteln
zunächst einen ersten Eindruck von resilienzsensibler Bildungspraxis, die im Folgenden
wissenschaftlich eingeholt wird.
Zuvor aber noch zur Weiterentwicklung der beiden Bilder: Resilienzsensible Bildung
zielt im ersten Fallbeispiel durch das Entdecken und Anbieten von Frühstücksalternativen
darauf ab, dass die Lernenden sich gegen die „Frühstücksöde“ (Bild 1) zuhause durch-
setzen und damit quasi neu und vielfältigt erblühen. Vom zweiten Fallbeispiel her ist das
zweite Bild zu ergänzen: Die Lehramtsstudierenden sind nicht auf einen Standpunkt bei
Unterrichtsstörungen festgelegt, sondern können – wie ein Boxer – tänzeln. Noch besser:
Sie können auch aus dem Kampf, aus dem Ring und dem ganzen Bild des Kampfes aus-
steigen und neue Wege gehen. Das Suchen und Finden alternativer Wege stehen bei resi-
lienzsensibler Bildung im Mittelpunkt.
Auf der Grundlage einer Standortbestimmung von Religionspädagogik (vgl. Kapitel 2.1)
werden mögliche wissenschaftliche Zugänge im Blick auf Resilienz eröffnet (vgl. Kapitel
2.2), um innerhalb bildungstheoretischer Überlegungen (vgl. Kapitel 2.3) Resilienz in spe-
Resilienzsensible Bildung 207
Empirische Untersuchungen (vgl. Gennerich und Riegel 2015) zu Resilienz erheben Re-
silienz fördernde Faktoren. Geklärt werden soll, wie ein hohes Maß an Resilienz erreicht
werden kann und welche Faktoren entscheidend sind: psychische, soziale, institutionelle,
ökonomische, ökologische, politische oder gesellschaftliche, religiös-spirituelle u.v.a.m.
Verwendet werden unterschiedlichste Erhebungsmethoden: Resilienz als psychische
Widerstandsfähigkeit wird beispielsweise mit der deutschsprachigen Version der auf G.
M. Wagnild und H. M. Young (1993) zurückgehenden Resilienzskala (RS-25 und RS-
208 Manfred Riegger
11) ebenso gemessen (vgl. Schumacher et. al. 2005; Leppert et. al. 2008), wie mit der
Connor-Davidson Resilience Scale (CD-RISC) (vgl. Sarubin et. al. 2015). Letztere ver-
wenden Nguyen u. a. (2015) und verbinden sie mit einer Skala zum Gottesbild. Die RS-
11 verwendet E. Stangl und trianguliert sie mit qualitativen Leitfadeninterviews (2016,
S. 229ff.). Insgesamt sind neben quantitativen Erhebungen auch qualitative auszumachen,
wie die Pionierstudien zu Beginn der Resilienzforschung von Emmy E. Werner et. al. (vgl.
1971, 1982), die auch religiöse Überzeugungen einschlossen. Die qualitativen Vorgehens-
weisen untersuchen nicht selten vornehmlich personale bzw. individuelle Resilienz (vgl.
z. B. Göppel und Zander 2017). Diese individuelle Sicht ist sicher mit einer sozialen zu
verschränken (Sedmak 2016, S. 242), wozu auch sozioökonomische Aspekte zählen und
ggf. geophysische ergänzt werden müssen (vgl. Vogt und Schneider 2016b, S. 184ff.). Fest-
zuhalten ist: Die Diskurse über individuelle und soziale Resilienz werden ähnlich geführt,
nämlich mit einem Interesse an Schutz- und Risikofaktoren (vgl. Sedmak 2016, S. 238),
weshalb nachfolgend normative Ansprüche thematisiert werden müssen. Da Bildungspro-
zesse von Subjekten her thematisiert werden, kann mit allgemein vorgegebenen Faktoren
nicht gearbeitet werden.
Thematisiert man Resilienz, so thematisiert man immer – mehr oder weniger explizit –
auch das, was sein oder nicht sein soll. Diese Aussagen sind normative Setzungen (vgl.
z. B. Nida-Rümelin und Gutmann 2016, S. 257) und können nicht durch Beobachtungen
als wahr oder falsch eingestuft werden.
Wer von Resilienz spricht, verspricht – mehr oder weniger deutlich – „robust und fle-
xibel auf die Umbrüche reagieren zu können“ (Vogt und Schneider 2016b, S. 180). Selbst
wenn diese positive Erwartung mit religiösen Überzeugungen umgedeutet wird, indem
selbst einem Opfer etwas Positives abgewonnen werden kann (vgl. die Bedeutungsunter-
schiede von victim und sacrifice) und die Schwäche zur Stärke wird (vgl. Vogt 2009),
bleibt Normativität leitend, nur unter verändertem Vorzeichen. Die skizzierten religiösen
Überzeugungen (vgl. Schneider und Vogt 2016) scheinen neben profanen, rein innerwelt-
lichen Überzeugungen für Resilienz nicht unwesentlich zu sein. Festzuhalten ist: Ein rein
empirischer Diskurs über Resilienz ist nicht möglich und Bildungsintentionen bzw. Kom-
petenzen müssen begründet werden.
Für den religionspädagogischen Bildungsbegriff konstitutiv sind drei Prinzipien, die pä-
dagogisch und theologisch begründet sind, innerhalb derer Resilienz verortet sein muss:
210 Manfred Riegger
Mit Resilienz ist eine menschliche Fähigkeit angesprochen, die es schon immer gegeben
haben mag, deren wissenschaftliche Erforschung aber gemeinhin mit dem Zwischenbe-
richt der Kauai-Studie von Emmy Werner und Ruth Smith in Verbindung gebracht wird
(vgl. Werner et. al. 1971; Werner und Smith 1982).
Seit über dreißig Jahren liegt das Hauptaugenmerk der bildungsrelevanten Resilienz-
forschung auf Kindern und Jugendlichen (vgl. Werner 2011; Zander 2011; Fröhlich-Gild-
hoff et. al. 2016; Wustmann Seiler und Fthenakis 2016). Dieser Schwerpunkt der For-
schung erweitert sich zunehmend, beispielsweise in Richtung Erwachsene (vgl. Leipold
2015), sodass der ganze Lebenslauf in den Blick kommt (vgl. Rönnau-Böse 2015; Fröh-
lich-Gildhoff Höfler 2016; Wink 2016). Ebenso wird Resilienz nicht nur in Beratung und
Therapie (vgl. Welter-Enderlin und Hildenbrand 2016), sondern auch in unterschiedlichen
Disziplinen und Kontexten des Sozialen untersucht (vgl. Endres und Maurer 2015) und
mittlerweile zunehmend in der Theologie (vgl. Pohl-Patalong 2016; Richter 2016; Richter
212 Manfred Riegger
und Blank 2016; Richter 2017), wobei sich neben Moraltheologie sowie Sozialethik (vgl.
z. B. Sedmak 2013; Sautermeister 2016; Vogt und Schneider 2016a), Pastoralpsychologie
(z. B. Stangl 2016), Seelsorge bzw. Diakonie (vgl. Hauschildt 2016) sowie Exegese (vgl.
z. B. Gärtner 2016) und zurückhaltend die Religionsdidaktik (vgl. z. B. Oser 2013) an der
Debatte beteiligen.
Darüber hinaus wird Resilienz zu Nachbardiskursen in Beziehung gesetzt und von ähn-
lichen Konstrukten wie Empowerment (vgl. Bucher und Domsgen 2016) abzugrenzen ver-
sucht. Beispielhaft seien hier genannt: Vulnerabilität bzw. Invulnerabilität und Robustheit
(Hardiness) (vgl. Keul 2016), Salutogenese, die zentral mit dem Kohärenzgefühl arbeitet
(vgl. Fröschl 2015; Nida-Rümelin und Gutmann 2016, S. 253f.), Coping (vgl. Stangl 2016,
S. 100ff.) und (Mit-)Leidensfähigkeit als Empathie und Compassion (vgl. ebd. S. 115f.).
Viele der angeführten Untersuchungen lassen zwar mehr oder weniger Bezüge zu bil-
dungsrelevanten Aspekten erkennen, beschäftigen sich aber kaum mit der Planung und
Gestaltung von Bildungsprozessen im engeren Sinne oder mit Resilienz als Response-
Strategie. Diese beiden Aspekte werden im folgenden Kapitel bearbeitet.
Zunächst wird das Verständnis von Resilienz in und für Bildungsprozesse als Response-
Strategie präzisiert, um es anschließend mit Professioneller Simulation zu operationali-
sieren.
3.1.1 Grundbedeutung
Der bereits angeführte Kernbegriff von Resilienz, nämlich die Fähigkeiten und Prozesse
von Personen und Systemen, erfolgreich mit belastenden und bedrohenden Umständen
umzugehen (vgl. 2.), beinhaltet ein personales und ein soziales Verständnis von Resilienz.
„Soziale Resilienz“ ist die „Fähigkeit von Gruppen und Gemeinschaften äußeren Stress
und Beeinträchtigungen als Ergebnis von Veränderungen des Sozialen, Politischen und
der Umwelt zu bewältigen“ (Adger 2000, S. 347, Übers. d. Verf.).
Resilienz ist ein „dynamischer Prozess“ (Vogt und Schneider 2016b, S. 191) von An-
passung und Entwicklung (vgl. Rönnau-Böse und Fröhlich-Gildhoff 2015, S. 16), der sich
in Interaktion zwischen Individuum und Umwelt (vgl. ebd.) bzw. im Spannungsfeld von
Beharrung und Veränderung (vgl. Vogt und Schneider 2016b, S. 191) ereignet.
Resilienz ist eine „variable Größe“ (Rönnau-Böse und Fröhlich-Gildhoff 2015, S. 16),
die sich im Laufe der Zeit verändert. Es ist ein „nicht klar steuerbarer, durch Unsicherheit
Resilienzsensible Bildung 213
wie erst noch zu gewinnendes Wissen gekennzeichneter Prozess“ (Endreß und Rampp
2015, S. 38).
Nicht zuletzt ist Resilienz „situationsspezifisch und multidimensional“ (ebd.) und
damit kein allgemeingültiges und universales Phänomen, sondern „bereichsspezifisch“
(ebd.), d. h. sie kann sich in verschiedenen Bereichen unterscheiden.
Die inhaltliche Variabilität und Dynamik des Resilienzverständnisses konvergiert mit
der inhaltlichen Variabilität und Dynamik der Methode der Professionellen Simulation.
Zudem implizieren Methode wie Inhalte die Mündigkeit von Subjekten intentional, weil
Subjekte sich sowohl gegen Stärkungen entscheiden, als auch gesellschaftliche Transfor-
mationen anstoßen können. Diese globalen Begründungen im Sinne des Implikationszu-
sammenhangs sind zu konkretisieren, indem auch einige der angesprochenen Aspekte im
Folgenden für den Bildungsbereich zu spezifizieren sind, bevor Resilienz operationalisiert
wird.
Bildend kann Resilienz nur innerhalb unterschiedlicher Bereiche der Praxis thematisch
werden. Benner unterscheidet hier sechs bildungsrelevante Praxisbereiche: „Politik“,
„Kunst“, „Religion“, „Arbeit“, „Ethik“ und „Pädagogik“ (2014, S. 17). Diesen Bereichen
entsprechend, kann Resilienz nur in bereichsspezifischen Handlungen und Urteilen grund-
gelegt werden, beispielsweise in personalen, sozialen und politischen, religiös-spirituellen
und kulturellen, ökonomischen und ökologischen Bereichen. Die Handlungsfelder zeich-
nen sich durch unterschiedliche Handlungslogiken aus, stehen aber untereinander in Be-
ziehung (vgl. ebd.). Treten Konflikte zwischen unterschiedlichen, resilienzaffinen Hand-
lungslogiken auf, so sind sie bildend zu bearbeiten, indem Antworten, die einer einzigen
Handlungslogik folgen, problematisiert, Kollisionen zwischen den Eigenlogiken nicht ge-
leugnet und Bildungs- und Erfahrungsräume geschaffen werden, in denen ihr Widerstreit
im Rahmen einer jeden Praxis ausgetragen und offen sowie öffentlich thematisiert werden
kann (vgl. ebd., S. 31).
prozessen sind damit prinzipiell auch als normative Zielperspektiven drei Modi relevant:
a) Abwehr von Gefahren, Risiken usw.; b) Anpassung an die sich ändernden Verhältnisse
und c) Transformation von gesellschaftlichen u. a. Systemen und Strukturen.
X Habitus ist die grundgelegte und grundlegende, bewegliche Haltung (vgl. die Aristote-
lische Hexis), die den Zusammenhang der eigenen Lebensführung mit dem Repertoire an
gesellschaftlich akzeptierten Haltungen ebenso hervorbringt, wie des eigenen Verhaltens
in der Zeit (vgl. Wüschner 2016, S. 111; Riegger und Heil 2017a).
Berücksichtigt man, dass nicht nur dort Resilienz gelernt wird, wo explizit Lernpro-
zesse angestrebt werden, sind mindestens intentionale und nichtintentionale Prozesse an
folgenden Lern- bzw. Bildungsorten zu unterscheiden: Familie, Kindergarten bzw. Kin-
dertagesstätte mit Peers, Schule mit entsprechenden Unterrichtsfächern, die auch außer-
schulische Lern- bzw. Bildungsorte umfassen können (analog Hochschulen), Kommunen,
überkommunale Bildungsarbeit, Medien und Öffentlichkeit. Die beiden eingangs skiz-
zierten Fälle beziehen sich beispielhaft auf Schule und Hochschule.
3.1.6 Strukturelemente
zu‘, ‚Mich hat etwas getroffen‘“ (ebd., S. 22, Hervorh. i. Orig.), „worauf“ (ebd.) ich antwor-
te. Im Waldenfelsschen Sinne heißt „Antworten […] vom Fremden her sprechen. Damit
verwandle ich mich vom Patienten in einen Respondenten, der auf das antwortet, was ihm
widerfährt“ (ebd., Hervorh. i. Orig.). Jeder Mensch muss antworten, weil er „nicht nicht
antworten“ (ebd., Hervorh. i. Orig.) kann. Doch im „Antworten verwandelt sich das Wo-
rauf des Antwortens in das Was einer Antwort“ (ebd.). Ähnlich wie im Bildungsprozess
sind bei Waldenfels der Akt des Subjektes (Waldenfels würde von Selbst sprechen) und
die Sache zutiefst aufeinander verwiesen, wobei das Subjekt als Subjekt im Akt als grund-
legend erachtet wird. Im Unterschied zu einem weitgehend outputorientierten Lernver-
ständnis strebt Waldenfels eine klare Gewichtsverlagerung bzw. Umorientierung an (vgl.
Waldenfels 2015a, S. 58): weg vom Antworten als reines Füllen von Wissenslücken, also
ein reines Lernen von auswendig gewussten Inhalten als wiederholbares Antworten (ans-
wer) hin zu Responsivität. Auch das Was einer Antwort auf ein Widerfahrnis ist respon-
siv und damit immer kreativ, erfinderisch (vgl. Waldenfels 2015b, S. 23). Im Antworten
entsteht aus der Subjektperspektive etwas Neues. Dieser schöpferische Prozess, der auch
stocken oder misslingen kann, entwickelt sich aufgrund der Differenz „zwischen dem,
worauf wir antworten und dem, was wir antworten“ (Waldenfels 2015a, S. 58), was als
„responsive Differenz“ (ebd.) bezeichnet wird.
Responsivität ohne Intentionalität ist nach Waldenfels undenkbar. Intentionalität meint
zunächst, „dass sich etwas als etwas zeigt, dass etwas in einem bestimmten Sinn und
in einer bestimmten Weise gemeint, gegeben, gedeutet, verstanden oder behandelt wird,
nämlich als frisches Grün“ (Waldenfels 2015a, S. 34) usw. Gemeint ist, dass „etwas (Wirk-
liches, Mögliches oder auch Unmögliches) mit etwas (einem Sinn, einer Bedeutung) ver-
bunden und zugleich von ihm geschieden ist“ (ebd., S. 34f.). In diesem anfänglichen Sinne
erweist sich Intention als „Bedeutungsintention“ (Waldenfels 2002, S. 25). Doch ist etwas
als etwas deuten nicht die ganze Sache, denn im „Bedeuten“ ist das „Begehren“ enthalten
(vgl. Waldenfels 2002, S. 380). Begehren meint, „dass etwas, das fehlt oder abwesend
ist, ‚in etwas‘ erstrebt wird“ (ebd.). Das erste Etwas ist nach Waldenfels das Woraufhin
des Strebens oder das Gesamtstreben des Lebens (z. B. das Glücksstreben), während das
zweite Etwas (in „in etwas“) die konkreten Sachen sind, die als Gegenstände der Begierde
gedeutet werden. „Dieses appetitive In gehört ebenso wie das signifikative Als zu den
Angelpunkten, um die sich die Erfahrung dreht“ (ebd. S. 380). Damit ist Intentionalität
hauptsächlich durch das Ineinander der beiden Grundmechanismen Bedeuten (etwas als
etwas: Sinn) und Begehren (etwas in etwas: Ziel) gekennzeichnet. Eine solche Intentionali-
tät wird „durch die Responsivität nicht ersetzt, wohl aber überboten. Responsivität steht
für eine ‚Antwortlichkeit‘, die der Verantwortung für das, was wir tun und sagen, unwider-
ruflich vorauseilt“ (Waldenfels 2015a, S. 57) und damit lebensstärkend ist.
Resilienz nicht nur als kognitives Wissen angestrebt werden, sondern wirklich wirksam
an Bedeutung gewinnen können, so sind zweitens in resilienzsensiblen Bildungsprozessen
nicht nur abfragbare Kompetenzziele, sondern auf das Leben der Bildungsteilnehmenden
bezogene Intentionen zu berücksichtigen, die im Bildungsprozess notwendig überboten
werden.
Wenn Bildung die Menschen stärkt, indem sie ‚die Sachen klärt‘ (vgl. Kapitel 2), kon-
vergieren Bildung und Resilienz offensichtlich. Eine resilienzsensible Bildung gründet
nicht nur auf den individuellen Prinzipien Bildsamkeit des Menschen und Aufforderung
zur Selbsttätigkeit, sondern berücksichtigt auch Transformationen im gesellschaftlichen
Bereich, sodass Resilienz in Bildungsprozessen nicht einseitig auf Personen und Persön-
lichkeitsbildung bezogen werden darf (vgl. Kapitel 2).
Wenn Bildung zudem nicht nur dort wirksam werden kann, wo resilienzsensible Bil-
dungsprozesse ziel- bzw. kompetenzorientiert geplant und durchgeführt werden, sondern
auf das Leben beziehbarer Sinn mitberücksichtigt werden muss, so ist auch dies noch
keine Gewähr dafür, dass Resilienz tatsächlich bildend relevant wird, da Resilienz als Re-
sponse-Strategie Intentionalität immer auch überbietet. In der pädagogisch-didaktischen
Begründung der Planung von Bildungsprozessen ist damit auch das Unplanbare einzu-
planen.
Simulation ist ein Begriff, der in der Alltagssprache und im Wissenschaftskontext vor-
kommt. In der Alltagssprache ist er mit (Vor-)Täuschung zumeist negativ, aber in den Me-
dien auch neutral konnotiert. Im Wissenschaftskontext wird Simulation mit spezifischen
Bedeutungen verwendet. Simulation meint hier die Modellierung hochkomplexer, realer
Systeme, um das Verhalten von Systemen und deren zugrundeliegende Ursachen besser
verstehen und abschätzen zu können (vgl. Heil und Riegger 2017, S. 86). Es wird sowohl
ein wirklichkeitsähnliches und komplexitätsreduziertes Modell der Wirklichkeit herge-
stellt, wie in der Anwendung mögliche Szenarien als Simulationsergebnisse produziert
werden (ebd., S. 88).
Im Bildungsbereich können Simulationen auf wirklichkeitsähnliche und komplexitäts-
reduzierte Nachahmung und Vorwegnahme offensichtlich widerständiger, wirklicher Si-
tuationen zielen (ebd., S. 93) (vgl. das zweite, eingangs skizzierte Fallbeispiel). Darüber
hinaus können sich aber Simulationen auch auf mehr oder weniger alltägliche Wider-
fahrnisse beziehen. Erst in der bildenden Bearbeitung dieser Situationen können das Le-
ben stärkende Aspekte entdeckt werden. Resilienz kann dann in der Auseinandersetzung
218 Manfred Riegger
mit den zuvor von den Teilnehmenden modellierten Situationen thematisch werden. Ein
Unterschied zum pädagogischen Rollenspiel ist dabei der habituelle Bezug, der nicht nur
zu Beginn, sondern durchgängig vorliegt, um habituell verankerte Kompetenzen, hier Re-
silienzkompetenzen, für einen bestimmten Bereich zu entwickeln.
Um die Struktur des Vorgehens herauszuarbeiten, das hinter den beiden eingangs skiz-
zierten Fällen steht, erläutere ich – ohne weitere Reflexion des Bildungsprozesses – die er-
wähnten Phasen und bringe sie mit dem Responseverständnis in Verbindung (vgl. Kapitel
3.2.4).
Szenendesign
Die Szene, welche den Ausgangspunkt der Simulation bildet, ist – der Wirklichkeit mög-
lichst ähnlich nachgebildet – zu modellieren. Der Aufbau dieser Szene ist zentral, da der
Aussagewert der Simulation wesentlich von den in dieser Ausgangsszene erfassten Aus-
gangsbedingungen abhängig ist.
Handlungen durchführen
Nun wird die eigentliche Simulation durchgeführt. Simuliert werden beispielsweise ver-
gangene Erlebnisse beim Frühstück oder unterschiedliche Handlungsalternativen für den
Fall Mareike.
Resilienzsensible Bildung 219
Perspektivenwechsel
Die Kommunikation über die Erlebnisse anderer ist hier leitend. Um Grenzüberschreitun-
gen zu vermeiden, können vorher geklärte Feedbackregeln hilfreich sein. Die Beobachten-
den bringen sich ein, indem sie ihre Perspektive aus ihrer Rolle heraus darstellen.
Habitusreflexion
In der Reflexion werden explizite Bewertungen des simulierten Erlebens angestellt. Die
Reflexion erfolgt in mindestens zweifacher Entfaltung: Reflexionen bezogen auf den prag-
matisch-reflexiven Habitus ebenso wie auf den reflexiv-wissenschaftlichen. Ggf. erfolgt
eine Reflexion in Bezug auf den professionsbiografisch-reflexiven Habitus.
Evaluation
Abschließend ist der Wirkung der Simulation nachzugehen.
beziehen, aber ProfiS überlässt es den Teilnehmenden, ob sie für sich resilienzförderliche
Antworten finden und diese außerhalb des Bildungsprozesses anwenden.
4.1 Relevanz
Da Resilienz sich durch ein umfassendes Verständnis auszeichnet, das inhaltlich meist
offen und dennoch stark subjekt- bzw. situationsbezogen ist, fallen viele inhaltlich stark
vorstrukturierende Lehr-Lernmethoden aus. Neben Simulation sind sicher weitere Metho-
den im Blick auf Resilienzsensibilität zu untersuchen. Diese Methoden müssen nicht nur
dem dynamischen Verständnis von Resilienz Rechnung tragen, sondern auch über rein
kognitive Wissensvermittlung hinaus den ganzen Menschen berühren können. Die obigen
Ausführungen legen nahe, dass Professionelle Simulation einen Weg darstellt, resilienz-
förderlich und habitusbildend zu wirken.
4.2 Aktivierung
Wenn Lehren und Lernen innerhalb von Bildungsprozessen zuweilen als einseitig kognitiv
und aktivierungsschwach wahrgenommen wird, wird dem mit resilienzsensibler Bildung
entgegengewirkt. Denn in solchen Bildungsprozessen werden Eigen- und Selbsttätigkeit
angeregt, nicht nur kognitiv, sondern auch habituell, und damit auch auf die Wirklichkeit
außerhalb von Bildungsprozessen bezogen. Dem damit angesprochenen Zusammenhang
von sogenannter Praxis und Theorie ist weiter nachzugehen.
4.3 Wirklichkeitsbezug
4.4 Bildsamkeit
Nur einem bildsamen Menschen wird Resilienz zu Teil. Diese Aussage unterstreicht, dass
der Mensch keine ihm von Natur aus vorgegebene Bestimmung und Resilienz hat. Viel-
mehr verweist die Bildsamkeit des Menschen auf die immer schon gegebene Notwendig-
keit, sich in Bildungsprozessen im Wechselbezug zu sich, zu anderen und der Welt zu
bilden. So bringt der Mensch seine Bestimmung und damit verbunden auch Resilienz
selbst hervor. Für Gläubige ist dieser Prozess von Gott umfangen und zuinnerst getragen.
Der skizzierte Bildungsvorgang verschärft sich sicher aufgrund neuer, gesellschaftlicher,
kultureller sowie religiöser und anderer Herausforderungen. Deshalb bedürfen resilienz-
sensible Bildungsprozesse einer umfassenden Reflexion, um normativen Vorstellungen
nicht unbewusst zu erliegen. Weil Bildungsprozesse beim Subjekt einsetzen, sind gesell-
schaftliche Transformationen zu berücksichtigen, und zwar so, dass Resilienz nicht nur
in Bezug auf einzelne Menschen, sondern auch im Hinblick auf Systeme reflektiert und
bewertet wird.
Die dargestellten Fallbeispiele bezogen sich aufs Frühstück von Schülerinnen und Schü-
lern sowie den Umgang mit Unterrichtsstörungen im Rahmen der Lehrerbildung. Der er-
lebte Widerstand im Klassenzimmer und die Reflexion möglicher Bewältigungsmuster
sind offensichtlich auf Resilienzförderung bezogen. Mit dem ersten Fallbeispiel wurde
deutlich, dass Resilienz als Response-Strategie auch auf Themen beziehbar ist, die erst
auf den zweiten Blick resilienzförderlich sind. Denn es scheint unbestritten, dass ein ge-
meinsames und gesundes Frühstück nicht nur die Lebensqualität der Schülerinnen und
Schüler hebt, sondern insgesamt lebensstärkend sein kann. Deshalb sind weitere Themen
resilienzsensibler Bildung auszuarbeiten.
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Teil III
Systeme und Strukturen
Zwischen Pfadabhängigkeit und Transformation
227
Bamboo and Lotos
What Makes Indian and Chinese Firms Resilient?
Abstract
The purpose of this study is to critically analyze the resources and determinants of capa-
bilities and attributes which enable Indian and Chinese firms to respond to changes in a
resilient way. In particular, it is investigated under which conditions Indian and Chinese
firms are capable of building competitive strengths which drive their success.
A systematic and comprehensive literature review of 59 studies published between
1994 and 2016 with focus on Indian and Chinese firms was conducted to examine the
nature and contextual conditions of their resilience and competitiveness as well as the
research methods and underlying theories.
Continuous alteration, and reversion of disadvantages into advantages are the most out-
standing findings. Moreover, the majority of the examined studies concludes that Indian
and Chinese firms built non-traditional competitive strengths.
Due to the unconventional concept of resilience and competitiveness of Indian and
Chinese firms, existing theoretical perspectives and research settings need revisions and
extensions.
Unlike most extant research on Indian and Chinese firms which has investigated coun-
try- or industry-level variables using aggregate data, this paper reveals distinct patterns,
and similarities and differences of firm-level characteristics. In addition, by exclusively
focusing on Indian and Chinese firms’ resilience and competitiveness conclusions about
their uniqueness and generalizability can be drawn.
229
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2018
M. Karidi et al. (Hrsg.), Resilienz,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-19222-8_12
230 Sue Claire Berning
1 Introduction
India and China experienced tremendous and far-reaching transformations over the past
three decades as they opened up to foreign capital, technology and talent. One clearly
visible consequence of their fundamentally changed economic and business environment
is the increase of highly successful firms from these two Asian countries. Prominent ex-
amples are Tata, Dr. Reddy’s, Lenovo and Geely that all provoked international alertness
through spectacular mergers and acquisitions of developed market firms (Jaguar, Beta-
pharm, IBM and Volvo). In addition to these globally known enterprises, the number of
Indian and Chinese firms competing in domestic as well as international markets is con-
stantly growing. These latecomers are often ascribed to possess non-traditional features
leading to competitive advantages (Morck et al. 2008; Goldstein and Pusterla 2010). Taken
together, the pattern of that fast emergence and international expansion of Indian and Chi-
nese firms constitutes an unprecedented, puzzling phenomenon.
The remarkable rise of Indian and Chinese firms’ importance on a global scale is ac-
companied by a rise of literature on Indian and Chinese firms. Numerous studies exist
which emphasize that Indian and Chinese firms exhibit unique traits, like specific man-
agement cultures (e.g. Deshpande and Farley 1999; Yiu 2010; Leung 2012; Holtbrügge
and Garg 2016), special institutions (e.g. Elango and Pattniak 2007; Yang and Stoltenberg
2013), or peculiar investment behavior (e.g. Luo and Tung 2007; Gubbi et al. 2010; Alon et
al. 2011) which enable them to become successful. However, studies investigating which
firm capabilities and attributes are required by Indian and Chinese firms to respond to
changes in a resilient way and to develop competitive advantages are largely missing.
Further, most research focuses on country- or industry-level variables by using aggregate
data, and thus does not contain statements about firm-level characteristics.
Against this background, the aim of this study is to critically examine the capacities
and qualities which allow Indian and Chinese firms to compete and survive, and whether
these concepts can be classified as traditional, as widely known from Western firms, or
as non-traditional. In addition, it is analyzed under which conditions Indian and Chinese
firms are able to build competitive strengths. Hence, this paper seeks to contribute to the
understanding of antecedents, relationships, and impacts of Indian and Chinese firm-level
characteristics related to resilience, primarily encompassing their competitiveness.
In order to address the research question “Is there an Asian concept of resilience?”, a
systematic and comprehensive literature review analysis was conducted. In total, 59 stud-
ies which were published in international peer-reviewed journals between 1994 and 2016
with focus on Indian and Chinese firms were analyzed regarding the nature, resources,
determinants, and contextual conditions of resilience and competitiveness as well as re-
garding their research methods and underlying theories. Distinct patterns, and similarities
and differences between Indian and Chinese firms on the one side and Western firms on
the other side are revealed and put into relation to country- and firm-specifics.
Continuous alteration, and reversion of disadvantages into advantages are the most out-
standing findings of this paper which reflect the scholarly debate about the necessity to
Bamboo and Lotos 231
re-assess the applicability of traditional management theories to Indian and Chinese and
other emerging market firms (e.g. Li 2003; Rugman and Oh 2008; Sauvant 2011). By
critically examining the properties, conditions, and theoretical perspectives of Indian and
Chinese firms’ resilience, conclusions about their uniqueness and generalizability can be
drawn.
This paper is structured as follows. After outlining the research methodology, the find-
ings regarding Indian and Chinese firms’ resilience and competitiveness are presented.
The concluding section contains contributions, limitations, and future research directions.
2 Methodology
In order to critically examine whether the traditional concept of resilience, which was
developed in the setting of mature markets in the West, is relevant and capable of ex-
plaining Indian and Chinese firms’ competitiveness, a comprehensive search for studies
in economics, management, business, and finance journals was conducted. As the number
of articles focusing on the resilience and competitiveness of Indian and Chinese firms is
far from being as large as that of developed markets, no restriction on journals and years
of publication was applied.
The EBSCO Host and JSTOR databases were chosen as search engines, as the first one
is the world’s most-used reference resource with more than 350 full text and secondary da-
tabases available, and the second one encompasses over 1,000 leading academic journals
(David and Han 2004). The search was performed by entering the following keywords
(in titles and abstracts): resilience, competitiveness, competitive advantage, firm-specific
advantage, multinational enterprise, multinational corporation, internationalization, in
combination with India, China, emerging market, and developing country. In addition,
seven methodological keywords were used to identify studies about the theoretical discus-
sion regarding Indian and Chinese firms: asian management research, Indian manage-
ment research, Chinese management research, multinational corporation theory, theory
development, international business research, and strategy research. This search resulted
in 261 articles.
In order to meet a high level of methodological and conceptual rigor, only published
articles were considered. While this might be seen as a limitation (see e.g. Stanley et al.
2010), the criterion to focus on published articles was chosen for the following reasons.
They have gone through a double-blind peer-review process reflecting certain conditions
for quality and high standards which are not given in the case of most conference or
working papers and book chapters. Moreover, as Cooper (1989) argued that relying on
published studies is appropriate when the published research contains several dozen or
hundred relevant works because it is likely that the published research correctly identi-
fies the relation direction, the (possibly negligible) bias caused by sampling only from
232 Sue Claire Berning
published studies was of no concern. The sample contained 107 unpublished and 154
published articles.
A further criterion for retaining was that a study had to focus on both India and China.
As the goal of this paper is to analyze the properties and conditions of both Indian and
Chinese firms’ resilience spanning the broadest extent possible regarding the research
disciplines, this criterion allows the capture of similarities and differences of and between
them best. There were 88 articles which examined both Indian and Chinese firms.
Finally, the abstracts of these 88 articles were read and the articles were only retained if
two criteria were met. First, there had to be an indication of theoretical analysis, such as a
mention of management research, international business research, or competitiveness the-
ories. Second, an abstract had to use Indian and Chinese firms in the substantive context
of core resilience and competitiveness. Both criteria, indication of theory and substantive
relevance, were applied very conservatively, so that any doubt led to an article’s exclusion.
Overall, 59 studies were identified and included in the literature review (Table 1).
The final sample of 59 studies compares favorably to recent literature reviews on recent
phenomenon in international management journals. For example, Holtbrügge and Dögl
(2012) examined 47, Schroll and Mild (2012) investigated 30 or Lebedev and colleagues
(2014) reviewed 51 articles. The systematic and transparent generation of a relatively large
sample is representative of the body of research and goes well beyond the rare previous
reviews of Indian and Chinese firms’ competitiveness, e.g. Williamson (2015) who ana-
lyzed 12 studies.
After reading the selected 59 studies in their entirety, several categories for classification
were developed. The aim was to break down the identified studies to the essential aspects
to get a meaningful and robust insight into the status quo of research on Indian and Chi-
nese firms. In particular, the intention was to understand the nature, resources and condi-
tions of their resilience and competitiveness.
To reach that goal, ten evaluation and categorization criteria were established which
provide a systematic framework to classify the articles accordingly. First, the studies were
coded by their definition and use of resilience and competitiveness, as this indicates the
extent of congruency with the traditional understanding. Then the contextual conditions
as determining factors of building competitive strengths were examined. Next, it was cod-
ed if the articles explored the relationship between resilience and firm performance, and
if the resilient firm characteristics were regarded as being unique for emerging market
firms. Then, five evaluation criteria were set to grasp the research settings. The underlying
theory, research method, source of data (primary or secondary), key variables, as well as
examined industries were categorized. In addition, the academic journal, year of publica-
tion and the (first) author’s nationality (Asian or Western) was discerned.
alteration, and their ability to turn disadvantages into advantages (Table 2). Despite the
often-mentioned statement that Indian and Chinese firms lack competitive and firm-spe-
cific advantages, one definite finding of this literature review is that a more precise differ-
entiation is required. Indian and Chinese firms hold advantages, but their nature differs
from that of Western firms. As India and China both provide different antecedents than
developed markets, their indigenous firms develop competitive advantages that are also
different in kind.
The most important determinant for Indian and Chinese firms to develop resilience and
competitiveness is continuous alteration. There are five different aspects that account for
this finding.
First, steady change and development is not only the biggest characteristic of Indian
and Chinese firms’ environment, but also one of their most important set goals. Since
the initiation of economic reforms and trade liberalization which took place in India in
1991/1992 and in China in 1979, the gradually installed market mechanisms are con-
stantly changing their business environment (Singh et al. 2010). This fundamental change
of economic systems is comprehensive and thoroughly characterized by experimentation
(Hennart 2012). This results in highly dynamic and volatile circumstances (Guillen and
Garcia-Canal 2009) which require Indian and Chinese firms to develop capabilities that
allow them to cope with fast changes easily, especially of and in their institutional en-
vironment (Haley and Hale 1998; Contractor 2007; Gaur et al. 2014). For instance, the
Indian and Chinese governments are continuously attempting to come up against their im-
perfect capital and labor markets (Bardhan 2006; Jain et al. 2013), and their institutional
voids (Wright et al. 2005; Hoskisson et al. 2012). Moreover, both Indian and Chinese firms
have the goal to quickly catch-up and move-up the global value-chain ladder (Yamakawa
et al. 2008; Zhang et al. 2012), and therefore want to constantly improve and change them-
selves in terms of quality (Fortanier and van Tulder 2009; Meyer and Thaijongrak 2013).
Second, in order to survive in this constantly changing environment, Indian and Chi-
nese firms have to develop strategic adaptability (Mathews 2006; Lattemann et al. 2009).
Paired with the capability to anticipate the worst (Wu 2013; Rottig 2016) and to adjust
to the current conditions (Yiu et al. 2007; Ndubisi 2011), they are able to respond ade-
quately and fast. This strategic thinking results very often in innovative approaches, like
the springboard perspective (Luo and Tung 2007), or the unconventional usage of coun-
try-of-origin effects (Ille and Chailan 2011) which allows them to circumvent barriers and
market imperfections (Li et al. 2014; Lebedev et al. 2014).
Very closely related herewith is the third aspect, constant flexibility. Given the inex-
perienced and experimentation-driven background in terms of market-economy mecha-
nisms, it became a strong attribute of Indian and Chinese firms to be consistently flexible
(Perez-Batres and Eden 2008; Contractor 2013). This flexibility is highly facilitated and
also strongly demanded by an equally varying institutional context of their home-coun-
tries (Ramamurti 2004; Stucchi 2012).
Fourth, due to unstable and steadily moving circumstances, Indian and Chinese firms
have carved out specific reactive strengths. Based on the necessity to respond to various
Bamboo and Lotos 235
alterations in the business conditions at any given time, they found ways of very produc-
tive, dynamic replies (Saxenian 2002; Li et al. 2012; Cui et al. 2014) which are marked by
a permanent observation-attention-alertness (Ghauri and Santangelo 2012; Wu 2013). This
quality of quick reaction, integration and optimization is the most widely applied tactics
of Indian and Chinese firms (Amighini et al. 2015) to upgrade their competitive strengths.
These strategic capabilities are not unique for Indian and Chinese firms, but utilized and
capitalized upon, often in a combined manner, in an unprecedented way.
Fifth and finally, Indian and Chinese firms produced compensation strategies to meet
the distinct unfavorable conditions which come along with continuous alterations, among
which network-building and usage of inward internationalization are the most often used
ones. One dominant commonality of Indian and Chinese firms is their heavy reliance on
network building in terms of business activities (Saxenian 2002; Fortanier and van Tulder
2009). This allows them to utilize network relations as important resources (Guillen 2000;
Yiu et al. 2007), business facilitators (Mathews 2006; Hoskisson et al. 2012), or informal
substitutes (Guillen 2000; Contractor 2007). Special characteristics of Indian and Chinese
firms in this context are the outstanding role of the Indian and Chinese diaspora in various
foreign countries (Ramamurti 2004; Zhang et al. 2012) and of Indian and Chinese busi-
ness groups which very often serve as internal markets (Haley and Haley 1998; Guillen
and Garcia-Canal 2009; Hennart 2012).
As globalization led to the existence of numerous active foreign firms in India and
China, many Indian and Chinese firms could gain business experiences through trade
and exchanges with these firms in their domestic markets (Makino et al. 2002; Li 2003;
Li et al. 2012). These learning opportunities facilitated Indian and Chinese firms’ busi-
ness activities enormously due to accumulated knowledge (Ghauri and Santangelo 2012;
Meyer and Thaijongrak 2013; Lebedev et al. 2014), and knowledge spillovers (Mathews
2006; Chen et al. 2012). The advances Indian and Chinese firms made regarding the de-
velopment of the required absorptive capacity are acknowledged in numerous studies (e.g.
Oviatt and McDougall 1997; Wright et al. 2005; Cui et al. 2014) which led to accelerated
firm growth and success.
The second overarching finding that explains Indian and Chinese firms’ resilience and
competitiveness is their ability of reversion of disadvantages into advantages. This is char-
acterized by four factors.
236 Sue Claire Berning
First, resource cross-utilization is one of the most prominent skills of Indian and Chi-
nese firms (Madhok and Keyhani 2012; Amighini et al. 2015). In particular, cross-utili-
zation of cheap production-factors, like low-cost labor (Bruche 2009; Thite et al. 2012),
and inexpensive natural resources which exist in abundance (Sun et al. 2010; Holtbrügge
and Kreppel 2012) served Indian and Chinese firms well in developing home-country
strengths (Luo and Tung 2007; Andreff and Balcet 2013). This formed the basis for their
business success and international expansion (Sheth 2011; Amendolagine et al. 2015), al-
beit they contradict the traditional understanding of competitive strengths – they are nei-
ther superior, inimitable, non-substitutable, durable, nor appropriable.
Second, re-configuration and re-combination of the limited available resources (Wright
et al. 2005; Sun et al. 2010) induced specific Indian and Chinese firm advantages. These
re-arrangements led to a specialization particularly in low-end segments (Milleli et al.
2010).This focusing however, resulted in special strengths regarding a high local respon-
siveness in other developing markets (Yeung 1994; Yiu et al. 2007) and in niche markets
(Oviatt and McDougall 1997; Luo and Tung 2007; Gaur et al. 2014).
Third, fast learning is another remarkable property of Indian and Chinese firms which
supports the turning of disadvantages into advantages tremendously (Cuervo-Cazurra and
Genc 2008). In this context, absorptive capacity (Guillen 2000; Li et al. 2012; Contrac-
tor 2015), and dynamic capabilities (Li 2003; Chen et al. 2012; Ghauri and Santangelo
2012) are the most distinguished qualities which follow from imitation (Makino et al.
2002; Thite et al. 2012), and learning agility (Bruche 2009; Wang et al. 2012). The role of
learning and knowledge-acquisition for Indian and Chinese firms’ success is absolutely
crucial. For example, as being among the most-often found investment motive, strategic
asset-seeking of knowledge and technology is pursued by Indian and Chinese firms (par-
ticularly) by outward foreign direct investment in developed countries (Frew et al. 2008;
Niosi and Tschang 2009; Yong and Hong 2012).
Fourth, the necessity to deal with fast changing and weak conditions allowed Indian
and Chinese firms to build the ability of opportunity detection (Gammeltoft et al. 2010;
Jain et al. 2013). Knowledge about the rules of the game, and the capability of cultivating
contacts to relevant governmental authorities resulted in strong political skills (Wright et
al. 2005; Duanmu and Guney 2009), but also in recognizing possibilities (Rasiah et al.
2010). In order to avoid discrimination and disadvantages, Indian and Chinese firms de-
veloped sophisticated skills in benefitting from preferential treatment and subsidies (Sheth
2011; Wang et al. 2012; Lebedev et al. 2014).
As for the research about Indian and Chinese firms’ relationship between resilience and
firm performance, only a minority of the included studies have analyzed this. Firm perfor-
mance was measured financially as cash holdings (Paskelian et al. 2010) or strategic-op-
erationally as goal achievement (e.g. Guillen 2000; Ndubisi 2011; Chen et al. 2012). This
Bamboo and Lotos 237
finding fits well into the current state of research on Indian and Chinese firms (Garg 2014)
and might be seen against the background that new phenomena are often first examined in
term of their most prominent features and aspects, while research about their impacts and
effects follows at a later stage (Meyer and Taijongrak 2013; Yang and Stoltenberg 2013).
In summary, the literature review reveals the following results. While only few of the
examined studies state that Indian and Chinese firms’ resilience and competitiveness is
congruent with the traditional Western understanding, the big majority concludes that it is
not. Only two articles find that their competitive advantages might be temporary, but more
time has to pass before a definite statement can be made.
Another interesting finding is that most patterns of unconventional resilience and com-
petitive advantages are characteristic for both Indian and Chinese firms. The few dif-
ferences between them refer to the degree of government involvement, but not the kind
(Paskelian et al. 2010), the extent of technological asset-seeking (Yong and Hong 2012),
the level of moderating cultural influences (Bardhan 2006; Ndubisi 2011), and the speed
of international expansion (Duanmu and Guney 2009; Niosi and Tschang 2009; Singh et
al. 2010). The vast majority of examined studies emphasize that Indian and Chinese firms
possess unique qualities and resources for competitive strength building which are not
adequately addressed yet by traditional theories.
Regarding the research methods of the 59 investigated studies, six further results could
be found. First, there was an almost equal distribution of empirical (47%) and conceptu-
al (53%) studies which indicates the importance scholars pay towards the topicality and
theoretical relevance of the resilience and competitiveness of Indian and Chinese firms.
Second, 34 % use quantitative and 29 % apply qualitative research methods. The rel-
atively high use of qualitative, mostly case-study based approaches was often combined
with the development of theoretical concepts, such as liability of emergingness (Contrac-
tor 2013), new typology of emerging economies (Hoskisson et al. 2012), three-level-de-
terminants framework (Holtbrügge and Kreppel 2012), springboard perspective (Luo and
Tung 2007), and LLL-framework (Mathews 2006).
Third, as to the source of analyzed data, only 9 % relied on primary data, 10 % used
both primary and secondary data, and the vast majority of 81 % resorted to secondary
data. This reflects well the general methodological concern about Indian and Chinese
firms’ research. Due to problems regarding data access and quality issues, most studies
have to rely on publicly available secondary data (for a detailed overview on flaws of data
comparability and comprehensiveness see Schüler-Zhou and Schüller 2009; Deaton 2013).
238 Sue Claire Berning
Fourth, 88 % of the investigated studies are cross-industry, and only 12 % analyze pe-
culiar industries (IT industry, manufacturing, electronics, biotechnology, or banking).
Hence, the question if industry-specifics regarding Indian and Chinese firms’ resilience
and competitiveness exist and with which possible consequences or impacts is largely
unexplored.
Fifth, 59 % of the examined articles have a first Western author, and 41 % have a first
Indian/Chinese author. This finding points to the growing awareness that the etic, outsid-
er-based perspective can be well complemented by the emic, insider-based approach in
order to provide a more holistic view on current international business related phenomena
(Leun 2012), and to help advance theoretical as well as methodological discussions (Zhu
and Hildebrandt 2013; Buckley et al. 2014).
Sixth, the examined articles cover the time span from 1994 until 2016, and thus all
years when India and China had opened up their economies (Goldstein and Pusterl 2010).
Similar to the rise of Indian and Chinese economic strength over time, the number of
analyzed studies increased likewise, with a peak in 2012.
The finding of the non-traditional concept of Indian and Chinese firms’ resilience and
competitiveness was independent from all six research methods-related categories.
4 Conclusions
Based on the systematic literature review, the key research question of this paper of wheth-
er the Western concept of resilience and competitiveness can capture the Indian and Chi-
nese understanding can clearly be denied. The Indian and Chinese concept of resilience
and competitiveness differs in nature due to different resources and determinants as well
as different capabilities and qualities. The ability to turn disadvantages into advantages
is supported by continuous alteration and accompanied by strategic flexibility, absorptive
capacity and dynamic stability. These competitive strengths evolved under high volatile
institutional conditions.
This literature review contributes to the theoretical and managerial knowledge in sever-
al ways. By extending the research focus from aggregated country- and industry-level var-
iables to firm-level variables, attributes accounting for their resilience and competitiveness
could be identified. It was also shown how, to what extent and for what reason they differ
from developed market firms’ resilience. Therefore, by providing a detailed overview of
the resources and determinants of Indian and Chinese firms’ resilience and competitive-
ness, this paper is not only relevant for policy makers, but also for managers of firms which
might cooperate or compete with Indian and Chinese firms.
Like any research, this study has some limitations. There was a restriction on articles
written in English. The inclusion of articles written in Chinese and Hindi may lead to
further findings given the fact that articles of this literature review which were elaborat-
ed by Asian authors were particularly skeptical about the applicability of the traditional
competitiveness concept. Moreover, this paper is limited to India and China. It would be
interesting to explore firms from other emerging markets, such as Vietnam, Indonesia,
Turkey or Brazil to look for commonalities, or other Asian countries, like Korea or Japan
which started their business activities and internationalization much earlier and reconcile
their development over time.
240 Sue Claire Berning
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Viele Krisen, eine Antwort? 245
Zusammenfassung
1 Danksagung Für wertvolle Hinweise und Kommentare bedanken wir uns bei Sarah Wessel, Martin
Schneider, Christoph Weller und Sarah Ruth Sippel.
1 Einleitung
In der akademischen Debatte lässt sich der Resilienzbegriff im Allgemeinen auf zwei
Konzeptionalisierungen zurückführen: zum einen die psycho-soziale Resilienz, wie sie
sich innerhalb der Psychologie entwickelte, zum anderen der Begriff der ökologischen Re-
silienz, der in den 1970er Jahren vor dem Hintergrund einer sich verschlechternden Wirt-
schaftslage in Europa, der Ölkrise, post-kolonialer Kriegsherde, zunehmender politischer
Instabilitäten, und den aufkommenden sozialen und Umweltbewegungen aufkam (Welsh
2014). In diesem Kontext legte Crawford S. Holling 1973 seinen bahnbrechenden Artikel
zur Resilienz und Stabilität in ökologischen Systemen vor, dessen These zu komplexen
Systemen einen Gegenentwurf zu den seit der Nachkriegszeit vorherrschenden Vorstel-
lungen stabiler Ökosysteme darstellte. Holling entwarf das Konzept der ‚ökologischen
Resilienz’, wonach Ökosysteme durch komplexe Interaktionen in der Lage sind, sich an
Einbrüche und Veränderungen im System anzupassen ohne sich in ihren grundlegenden
Eigenschaften zu verändern. Damit wandte Holling sich gegen Eingriffe in Ökosysteme,
z. B. durch intensive Landwirtschaft und die Gewinnung natürlicher Ressourcen nach dem
Prinzip des maximum sustained yield, da diese die komplexen Interaktionen ökologischer
Systeme missachteten und so langfristig deren Resilienz gefährdeten. Stattdessen müsse
248 Birgit Kemmerling und Amra Bobar
ein Management-Ansatz verfolgt werden, der die Komplexität von Ökosystemen anerken-
ne, unberechenbare Faktoren wie zukünftige Ereignisse in die Planung mit einbeziehe und
den Fokus auf eine Anpassung an veränderte Situationen lege (Watts 2011; Walker und
Cooper 2011; Evans und Reid 2013; Zebrowski 2013).
In den folgenden Jahren kam es zu einer Verbreitung des Resilienzbegriffs über die
Ökologie hinaus hin zu einer sozial-ökologischen Resilienzforschung, die 1999 in die
Gründung der Resilience Alliance mündete, einem internationalen Forschungsnetz-
werk, das die hauseigene und begutachtete Zeitschrift Ecology and Society herausgibt
und regelmäßig internationale Konferenzen organisiert. Sozial-ökologische Arbeiten zur
Resilienz fokussieren sich dabei vor allem auf die Erforschung der Interaktionen zwischen
Ökosystemen und sozialen Systemen und umfassen interdisziplinäre Studien, beispiels-
weise zur Klimawandelanpassung (Keck und Sakdapolrak 2013). Mit dieser Öffnung in
die Erforschung sozialer Systeme wurde das Konzept der Resilienz schrittweise auf an-
dere Forschungsbereiche in den Sozialwissenschaften ausgeweitet, und erhielt Einzug in
Arbeiten zu sozialem Wandel und Entwicklung. Damit richtete sich der Begriff nicht mehr
ausschließlich an Ökosysteme oder sozial-ökologische Systeme, sondern dezidiert an so-
ziale Systeme. So definiert Adger in seinem vielbeachteten Artikel ‚soziale Resilienz’ als
„the ability of groups or communities to cope with external stresses and disturbances as a
result of social, political and environmental change” (Adger 2000, S. 347). In diesem Zuge
kamen ebenfalls Fragen zur Rolle sozialer Institutionen und komplexen Machtbeziehun-
gen auf. Keck und Sakdapolrak (2013) konstatieren damit einen Bedeutungswandel des
Resilienzbegriffs von einem anfänglichen Fokus auf der Persistenz ökologischer Systeme
über die Adaption sozialökologischer Systeme hin zur sozialen Transformation vor dem
Hintergrund globalen Wandels.
Das Wandern des Resilienzkonzepts von den Natur- zu den Sozialwissenschaften hat
eine lebhafte und andauernde Debatte hervorgerufen. Während einerseits Forscher*innen
Resilienz als wichtige Brücke zwischen den unterschiedlichen Disziplinen und als Berei-
cherung für die Erforschung von sozialem Wandel und Verwundbarkeit betrachten (Adger
2000; Keck und Sakdapolrak 2013), stehen andererseits drei Kritikpunkte im Vorder-
grund: Erstens wird angemerkt, dass soziale Systeme nicht mit ökologischen Systemen
gleichgesetzt werden können. Dies betreffe vor allem Fragen zu den sozialen Machtbe-
ziehungen, die innerhalb der sozialwissenschaftlichen Forschung im Fokus stehen, aber
ebenfalls zu den unterschiedlichen Methoden und Formen der Wissensproduktion in den
Natur- und Sozialwissenschaften (vgl. Cote und Nightingale 2012; Brown 2014). Aller-
dings wird diesen Befürchtungen entgegengesetzt, dass der Resilienzbegriff erlaube, ver-
schiedene Aspekte (z. B. soziale Institutionen, Machtbeziehungen) in eine interdisziplinä-
re Systemanalyse mit einzubeziehen (Keck und Sakdapolrak 2013). Zweitens werden die
den Konzepten inhärente Vorstellungen von Skalen problematisiert. Während ökologische
Resilienz auf der Systemebene operiert, sind in der sozial-ökologischen und sozialen Re-
silienz Verschiebungen erkennbar, die auch Individuen in die Analyse mit einbeziehen.
Häufig wird jedoch eine Kategorisierung in lokale, nationale und globale Ebenen vorge-
nommen, die im Gegensatz zu multiskalaren Ansätzen steht, welche die Verflechtungen
Viele Krisen, eine Antwort? 249
2 Siehe hierzu auch den Blog-Eintrag von Charlotte Rungius und Christoph Weller (2016)
250 Birgit Kemmerling und Amra Bobar
empirischen Studie zur Resilienz als neues EU-Leitmotiv fest, dass die Abstraktion des
Begriffs einerseits und die normative positive Assoziation andererseits eine Verknüpfung
mit anderen Konzepten wie Nachhaltigkeit und gute Regierungsführung ermöglichten.
Gleichzeitig bedeute die Anwendung von Resilienz jedoch eine Abkehr von ambitionier-
ten Entwicklungszielen hin zu einem pragmatischen Ansatz, der den „intervention fati-
gue“ in Europa reflektiere (Wagner und Anholt 2016, S. 424).
3 (vgl. Lentzos und Rose 2009; Anderson und Adey 2011; Coaffee 2013; Coaffee und Fussey 2015).
4 „Ecological resiliency is the calculative metric for a brave new world of turbulent capitalism and the
global economic order, and a new ecology of rule. […] Africa, once again, is the testing ground for
a vision of security and care in which life is nothing more than permanent readiness and flexible
adaptiveness” (Watts 2011, S. 88).
252 Birgit Kemmerling und Amra Bobar
Dieser Blick auf Differenzierungen ist der Ausgangspunkt unserer Analyse: Dafür un-
tersuchen wir Dokumente der Europäischen Union und des deutschen Bundesministeri-
ums für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit. Aus der Perspektive der Gou-
vernementalität interessiert uns, in welchen größeren Zusammenhang gesellschaftlicher
Prozesse die Nutzung des Resilienzbegriffs innerhalb der europäischen und deutschen
Entwicklungszusammenarbeit und Katastrophenvorsorge interpretiert werden kann. Im
Zentrum steht somit nicht die Frage, was Resilienz ist, sondern wie, über wen und mit
welchem Ziel mittels Resilienz regiert wird. Wir richten zunächst das Augenmerk auf
die entwicklungspolitischen Rationalitäten, in die der Resilienzbegriff eingebettet ist; d. h.
welche Bedeutung kommt dem Resilienzbegriff in entwicklungspolitischen Strategien
zu; wie wird er genutzt? Wir argumentieren, dass der Resilienzbegriff im Zusammen-
hang mit spezifischen Risikowahrnehmungen gesetzt wird, die in entwicklungspolitischen
Programmen vor allem einer neoliberalen Rationalität folgen. Obwohl Resilienz nicht
zwangsläufig Teil dieser Rationalität ist, begünstigt gerade die konzeptionelle Unschärfe
und normativ aufgeladene positive Assoziation des Begriffs seine Nutzung als Antwort
auf diese Risikowahrnehmungen. In einem zweiten Schritt fragen wir, welche Techni-
ken des Regierens und des Sich-Selbst-Regierens in der Entwicklungszusammenarbeit
und Katastrophenrisikominimierung mit dem Resilienzbegriff verbunden werden, also
die Frage nach den Mechanismen, durch die Resilienz praktisch hergestellt und resiliente
Individuen, Bevölkerungsgruppen und Staaten konstituiert werden sollen. Wir argumen-
tieren, dass diese Praktiken des resilient-Werdens an marktwirtschaftliche Reformen aus-
gerichtet sind, ohne kontextspezifische Risikowahrnehmungen und Handlungsoptionen zu
berücksichtigen. Abschließend richten wir unser Augenmerk auf das größere Machtgefüge
entwicklungspolitischer Institutionen, innerhalb dessen der Resilienzbegriff sich bewegt
und fragen nach den Strategien, die mit seiner Nutzung einhergehen. Wir argumentieren,
dass es diese Institutionen selbst sind, die unter dem Druck stehen, sich zunehmend einer
marktwirtschaftlichen Logik zu unterwerfen.
Dagegen wurde Resilienz innerhalb der Europäischen Union erst in den letzten Jahren
verstärkt genutzt. Während in der 2016 veröffentlichten globalen Strategie zur Außen- und
Sicherheitspolitik der Europäischen Union Resilienz 40 mal genannt wurde, kam es in der
Strategie aus dem Jahr 2003 noch gar nicht vor (Wagner und Anholt 2016). Auch Doku-
mente, die sich explizit auf entwicklungspolitische und humanitäre Maßnahmen beziehen,
greifen vergleichsweise spät auf den Resilienzbegriff zurück; sie stammen aus den Jahren
2012, 2013 und 2014:
• The EU Approach to Resilience: Learning from Food Security Crises aus dem Jahr
2012, basierend auf Erfahrungen im Sahel und am Horn von Afrika (hiernach: Resi-
lienzansatz)
• EU Action Plan for Resilience in Crisis Prone Countries 2013–2020 aus dem Jahr
2013 (hiernach: Aktionsplan)
• EU Resilience Marker aus dem Jahr 2014, durch die analysiert wird, inwieweit sich hu-
manitäre Programme, die von der Europäischen Union finanziert sind, an dem Konzept
der Resilienz ausrichten.
Inwieweit spiegelt sich die Nutzung des Resilienzbegriffs dieser EU-Dokumente in ent-
wicklungspolitischen Strategien einzelner Mitgliedstaaten wider? Dazu schauen wir uns
die deutsche Bundesregierung an, die nicht nur einen wichtigen Beitrag zu den Hilfsgel-
dern der Europäischen Union leistet, sondern weltweit zu den größten Gebern sowohl in
der Entwicklungszusammenarbeit als auch in der humanitären Hilfe gehört. Allerdings hat
auch das deutsche Bundesministerium für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammen-
arbeit (BMZ) den Resilienzbegriff erst in den letzten Jahren als entwicklungspolitischen
Ansatz aufgenommen. Insbesondere zwei Dokumente sind Zeugnisse dieses Wandels:
Die fünf genannten Dokumente werden aufgrund ihres dezidierten Bezugs zur Resilienz
und Ausrichtung auf die Entwicklungszusammenarbeit und humanitären Hilfe für diese
Analyse herangezogen. Dazu haben wir zunächst Textstellen hinsichtlich ihres Vorkom-
mens von „resilien-“ herausgefiltert und diese anhand eines kodierenden Verfahrens ana-
lysiert. Die Kodierungen erfolgten sowohl deduktiv als auch induktiv (Glasze, Husseini
und Mose 2009); so wurden Kategorien entlang des Gouvernementalitätsansatzes gebil-
det; dazu gehören Rationalitäten, also Textstellen, die Aufschluss darüber geben, wie über
Resilienz gedacht wird und die Praktiken bzw. Techniken durch die Resilienz produziert
werden soll. Weitere Kategorien, bspw. Akteure und Strategien ergaben sich während der
Kodierung.
254 Birgit Kemmerling und Amra Bobar
Zunächst interessiert uns, welches Verständnis von Krisen die Grundlage für die Nutzung
des Resilienzbegriffs bildet, d. h. in welche Rationalitäten er eingebettet ist bzw. in wel-
chen Kontexten und mit welchem Ziel er genutzt wird. Daran schließt sich umgekehrt die
Frage an, welches Verständnis von Resilienz wiederum seine Nutzung legitimiert.
„The effects of economic shocks, rising and fluctuating food prices, demographic pressure,
climate change, desertification, environmental degradation, pressure on natural resources,
inappropriate land tenure systems, insufficient investment in agriculture, have, in many parts
of the world, resulted in greater exposure to risk, notably from natural hazards. The impact of
these global trends is manifested in the increasing number and intensity of natural disasters
and crises“
(European Commission 2012, S. 2).
Ähnlich äußert sich das BMZ in der ESÜH-Strategie; demnach „hat sich die Anzahl und
Komplexität der Krisen, Katastrophen und gewaltsame Konflikte in einigen Partnerlän-
dern der Entwicklungszusammenarbeit deutlich erhöht“, (BMZ 2013, S. 5). Diese Ent-
wicklungen werden auf unterschiedliche „Risikofaktoren“ (BMZ 2015a, S. 9) zurückge-
führt, die sich in den untersuchten Dokumenten weitestgehend gleichen: dazu gehören
neben Wirtschaftseinbrüchen und Preisschwankungen ebenfalls Bevölkerungswachstum
und Urbanisierung, Armut, Klimawandel, Land- und Ökosystemdegradierung, Ressour-
cenknappheit, aber auch politische Krisen und Konflikte (European Commission 2013).
Diese Risikofaktoren werden in keinen größeren gesellschaftspolitischen Zusammenhang
gesetzt, sondern dienen vornehmlich als Hintergrundinformation für mögliche Katastro-
phenszenarien, denn aus diesen Risikofaktoren wird dem BMZ zufolge erst dann ein „Ka-
tastrophenrisiko“, wenn eine Gesellschaft „nicht über ausreichend Fähigkeiten oder Res-
sourcen verfügt, sich vor deren Auswirkungen zu schützen“ (BMZ 2015a, S. 14). Es liegt
an der entwicklungspolitischen Ausrichtung der Dokumente, dass damit Gesellschaften
im globalen Süden gemeint sind. Im ersten Abschnitt des Aktionsplans der Europäischen
Union wird jedoch weiter spezifiziert: „The increasing frequency and intensity of disasters
and humanitarian crises results in great suffering and loss of life, posing a major threat
to long-term development, growth and poverty reduction, in particular for the poorest
and most vulnerable people in developing countries” (European Commission 2013, S. 2).
An anderer Stelle verweist der Aktionsplan auf die Verwundbarkeit insbesondere von
Frauen, Kindern, und älteren Menschen. So werden Individuen oder bestimmte Bevölke-
Viele Krisen, eine Antwort? 255
Welches Verständnis vom Resilienzbegriff liegt seiner Nutzung in den untersuchten Do-
kumenten zugrunde? Die Europäische Union und das deutsche BMZ weisen ein ähnliches
Verständnis von Resilienz auf, die Bewältigungsstrategien und Anpassungsfähigkeit so-
wohl von Individuen und Bevölkerungsgruppen als auch von Staaten in den Vordergrund
rücken (s. Definitionen 1). Das deutsche Bundesministerium erwähnt dabei explizit, dass
die Definition an die des DFID und der EU angelehnt ist (BMZ 2013).
„Resilienz ist die Fähigkeit von Menschen und Institutionen – seien es Individuen,
Haushalte, Gemeinden oder Staaten –, akute Schocks oder chronische Belastungen
(Stress) aufgrund von fragilen Situationen, Krisen, gewaltsamen Konflikten und extre-
men Naturereignissen zu bewältigen, sich anzupassen und sich rasch zu erholen, ohne
mittel- und längerfristige Lebensperspektiven zu gefährden“ (BMZ 2013, S. 7).
nerable populations to build their resilience is also a fundamental part of poverty reduc-
tion which is the ultimate aim of EU development policy” (European Commission 2012,
S. 2). Auf ähnliche Weise äußert sich das BMZ in der ESÜH-Strategie: „Übergeordnetes
Ziel […] ist es, die Resilienz von Menschen und Institutionen gegenüber den Auswir-
kungen und Folgen von Krisen, gewaltsamen Konflikten und extremen Naturereignissen
zu stärken und Perspektiven für eine nachhaltige Entwicklung zu schaffen“ (BMZ 2013,
S. 7). Das Verständnis von Resilienz in der EU und dem BMZ orientiert sich damit an
einer Zielhierarchie: Während Bewältigungs- und Anpassungsstrategien an humanitäre
Katastrophen im Vordergrund stehen, trägt das Konzept der Resilienz gleichzeitig zur
Armutsreduktion und nachhaltigen Entwicklung bei.
Die Bedeutung des Resilienzkonzepts in der entwicklungspolitischen Debatte5 lässt
sich somit vor dem Hintergrund spezifischer Risikowahrnehmungen und Subjektforma-
tionen verstehen, die einer neoliberalen Rationalität folgen, in der Risiken unabänderlicher
Teil oder ‚natürlicher’ Nebeneffekt eines Systems sind, dessen Ressourcen endlich sind.
So fehlen Themen wie soziale Ungleichheit bzw. die ungleiche Verteilung oder Zugänge
zu Ressourcen; stattdessen wird auf die Risiken einer zunehmenden physischen – und
damit entpolitisierten – Ressourcenknappheit verwiesen (Wagner und Anholt 2016). Das
Risiko als negatives Bedrohungspotential wird kalkuliert und legitimiert ein Eingreifen
bzw. Regulieren (‚regieren’) auf die Verhaltensweisen der betroffenen Individuen und Be-
völkerungsgruppen, in diesem Fall die Ärmsten der Armen in den Ländern des globalen
Südens. Der Resilienzbegriff, theoretisch-konzeptionell unscharf, aber normativ positiv
aufgeladen, bietet sich sodann als Antwort auf diese Krisen an.
Wie soll gemäß der von uns untersuchten entwicklungspolitischen Programme Resilienz
für die identifizierten Zielgruppen bzw. Zielländer hergestellt werden? Dafür werden laut
der Europäischen Union zunächst bestimmte Methoden notwendig, um ‚Beweisgrund-
lagen’ für Resilienz-basierte Programme zu schaffen. So wird im EU Aktionsplan argu-
mentiert:
„The Action Plan is designed to reinforce the momentum of the resilience agenda, to deliver
early results and to allow further development of a body of evidence on what constitutes
effective resilience focused interventions. It takes into account […] that a series of tools and
approaches have to be further developed to support resilience in differing contexts, building
on existing evidence and further nurturing it through constant lessons learning“
(European Commission 2013, S. 2).
5 Hier sei darauf hingewiesen, dass auch innerhalb internationaler Organisationen das Aufkommen
des Resilienzbegriffs kritisch debattiert wird. Für eine vielschichtige Auseinandersetzung mit dem
Begriff sei auf das Dossier Resilienz von medico international hingewiesen (Medico international)
Viele Krisen, eine Antwort? 257
In einem ersten Schritt werden wir somit darstellen, auf welche Methoden der Kalkulation
zurückgegriffen wird, um Maßnahmen zur Resilienzstärkung in konkreten Projekten und
Programmen zu legitimieren und gleichzeitig Resilienz im Projektmanagementzyklus zu
etablieren. Daraus gehen in einem nächsten Schritt konkrete Maßnahmen oder Techno-
logien hervor, die zu einer Stärkung von Resilienz für die betroffenen Zielgruppen bzw.
Zielländer beitragen sollen.
tung vor. Auffallend ist, dass es gar nicht die Möglichkeit gibt die Fragen zu verneinen.
Organisationen können sich lediglich auf dem Weg befinden, Resilienz in das Programm
mit einzubeziehen. Eine ‚negative’ Eigenbewertung diene laut Aussage von ECHO jedoch
nicht als Ausschlusskriterium für eine Förderung; allerdings werde erwartet, dass Projek-
te Resilienz immer dort einbeziehen, wo es der Kontext erlaube: “Only in very rare cir-
cumstances will the Marker not be applicable. This includes some projects that do not deal
directly with affected populations such as, for example, a technical training programme
for international staff. Only in cases such as this will the overall Resilience Mark be ‘not
applicable’” (ebd., S. 5). So werden internationale Entwicklungs- und Hilfsorganisationen
aufgefordert, zunehmend eine Resilienz-Perspektive auf diese Aktivitäten einzunehmen.
Definitionen 2
„Die Initiative hat das ambitionierte Ziel, die Zahl der direkt und indirekt Versicherten bis
2020 von rund 100 auf etwa 500 Millionen Personen zu erhöhen. Um dies zu erreichen,
setzt die Initiative auf einen umfassenden Ansatz der die nötigen Rahmenbedingungen für
Versicherungsmärkte in stark betroffenen Regionen und Ländern schafft“ (BMZ 2015a,
S. 18).
Resilienz wird sozusagen zu einer Anleitung zur Selbst-Regulierung, durch die natio-
nale Regierungen und die Bevölkerungen mehr Eigenverantwortung in ihrem Risikoma-
nagement übernehmen sollen, um eine effiziente Anpassung an zukünftige Krisen und
Katastrophen zu erreichen. Dies soll wiederum durch die Stärkung privatwirtschaftlicher
und zivilgesellschaftlicher Akteure in den Zielländern geschehen. Geber wie die Europä-
ische Union, die Bundesrepublik Deutschland oder auch internationale Organisationen
und Finanzinstitutionen werden gleichzeitig zu Initiatoren und Kontrolleuren von Re-
formen, beispielsweise durch ein konstantes Monitoring und der Evaluierung von Pro-
grammen. Problematisch sind damit nicht nur die bereits herausgestellten entpolitisierten
Risikowahrnehmungen und Resilienzkonzeptionen, sondern die sich daran anschließen-
den neoliberalen Praktiken zur Resilienzstärkung. So argumentiert Grove (2012) anhand
seiner Analyse der Caribbean Catastrophic Risk Insurance Facility (CCRIF), dass die
Risikoversicherungen nationaler Regierungen eine Finanzialisierung des Katastrophen-
managements begünstigten, wodurch ungewisse Zukünfte für die internationale Versi-
cherungs- und Finanzindustrie profitabel werden. Dagegen bedeuten diese Risikoversi-
cherungen oftmals nur eine begrenzte Linderung des Leids für die von einer Katastrophe
betroffene Bevölkerung (vgl. Grove 2012; siehe auch Collier 2014; Lobo-Guerrero 2014).
Eine Untersuchung der Dokumente gibt ebenso einen Hinweis darauf, dass die Geberlän-
der bzw. – Institutionen nicht nur Resilienz als effiziente Managementtechnik von Emp-
fängerstaaten und -organisationen einfordern, sondern selbst unter Reformdruck stehen.
Wagner und Anholt (2016) vermuten, dass Resilienz als Rechtfertigung dafür dienen kön-
ne, die bisherige finanzielle Unterstützung für die sogenannten Partnerländer zu reduzie-
ren: „The concurrence of the rapid rise of resilience and Europe’s financial and budgetary
crises may just be a coincidence. Nevertheless, from a finance ministry’s point of view,
there may be no better concept for the EU’s external relations than resilience because
budget cuts can easily be justified by more humble aims and by the prime responsibility
of the addressee” (Wagner und Anholt 2016, S. 425). Tatsächlich betont die Europäische
Kommission an mehreren Stellen sowohl in ihrem Resilienzansatz als auch in dem Ak-
tionsplan, dass die globalen Kosten der multiplen Risiken und Krisen die Möglichkeiten
der internationalen Entwicklungszusammenarbeit und Humanitären Hilfe weit überstei-
gen: „The costs of disasters are rising and become increasingly unaffordable” (European
Commission 2013, S. 2) und: „Over recent years the demands for […] assistance have
increased substantially – far outstripping the resources available” (European Commission
Viele Krisen, eine Antwort? 261
2012, S. 2). In beiden Dokumenten wird auf den zunehmenden Druck seitens der Finanz –
und Wirtschaftskrise hingewiesen, Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe
möglichst kosteneffizient zu gestalten: „In times of economic crisis it is more important
than ever to ensure that EU aid is effective, efficient and is focused on results” (Euro-
pean Commission 2013, S. 3) oder: “When the world is experiencing an economic and
budgetary downturn, the budgets of both partner countries and donors are coming under
increased pressure to show that they deliver the maximum impact for the funds that are
made available” (European Commission 2012, S. 3). Auch das BMZ rückt eine effiziente
Mittelverwendung in den Mittelpunkt seiner Strategie (vgl. BMZ 2013, S. 10).
Dabei geht es nicht nur um mehr benötigte Mittel, sondern auch um weniger verfügbare
Mittel als geplant. So sind die von der Europäischen Union und deren Mitgliedsstaaten
verausgabten Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit hinter dem vereinbarten Ziel
zurückgeblieben, bis zum Jahr 2015 ihre Ausgaben für die Entwicklungszusammenar-
beit auf 0,7 % des Bruttonationaleinkommens (BNE) zu erhöhen. Zwar haben sich die
Ausgaben6 der 28 Mitgliedsstaaten bis zum Jahr 2015 in absoluten Zahlen auf über 62
Mrd. Euro erhöht; dies entspricht jedoch lediglich 0,44 % des BNE (CONCORD 2016).
Kürzungen wurden vor allem von den am stärksten durch die Euro-Krise betroffenen
Ländern vorgenommen: Griechenland, Spanien, Portugal, und Irland. Allerdings kürzten
auch andere Staaten ihre Beiträge, mit Verweis auf ihre Wirtschaftslage oder aufgrund po-
litischer Prioritätenverschiebungen; dazu gehörten Österreich, Belgien, Finnland, Frank-
reich, Deutschland, und die Niederlande (CONCORD 2013). Zwar kündigte das BMZ
2015 auf seiner Homepage unter der Überschrift „Höchste Steigerung und höchster Etat
in der Geschichte des Entwicklungsministeriums“ an (BMZ 2015b), dass bis zum Jahr
2019 8,3 Mrd. Euro zusätzlich bereit gestellt werden; diese Zusage wurde jedoch von
einer Neuberechnung begleitet, wonach vermehrt Kosten für Flüchtlingshilfen innerhalb
Deutschlands aus diesem Instrument bezahlt werden können (CONCORD 2016).
Diese Kürzungen oder das Stagnieren von Geldern für Entwicklung und Humanitäre
Hilfe betrafen sowohl bilaterale Hilfen der einzelnen Mitgliedstaaten an die Partnerländer
als auch die bereitgestellten Mittel durch die Europäische Kommission. Als in den Jahren
2013 und 2014 Mitgliedsstaaten nicht die Hilfsgelder zahlten, zu denen sie sich zuvor
verpflichtet hatten, führte dies zu einer Finanzierungslücke von 400 Millionen Euro im
Bereich der humanitären Hilfe und Katastrophenschutz, durch die humanitäre Hilfslei-
stungen verzögert wurden (Neslen 2014). Auch Schulden der EU in 2014 und vorausge-
sagte Kürzungen für das Budget 2015 betrafen sowohl Programme der humanitären Hilfe
als auch Entwicklungszusammenarbeit (Barbière 2014). Vor diesem Hintergrund kommt
der Kosteneffektivität von Resilienz, wie sie bereits im Resilienzansatz der Europäischen
Union im Jahr 2012 betont wurde, eine wichtige Bedeutung zu: „Investing in resilience is
cost effective. Addressing the root causes7 of recurrent crises is not only better, especially
for the people concerned, than only responding to the consequences of crises, it is also
much cheaper” (European Commission 2012, S. 3). Resilienz bietet demnach nicht nur
eine Antwort auf diverse Risiken und Krisen in den Ländern des globalen Südens, son-
dern auch auf die Finanzkrise und den Reformdruck innerhalb einiger Geberländer und
-institutionen selbst.
8 Fazit
Dieser Beitrag nimmt, unter Rückgriff auf Foucaults Konzept der Gouvernementalität,
eine kritische Perspektive auf die Nutzung des Resilienzbegriffs in entwicklungspoliti-
schen Programmen der Europäischen Union und des BMZ ein. Wir haben herausgestellt,
dass die konzeptionelle Unschärfe, aber positive Assoziation des Resilienzbegriffs, seine
Nutzung im Sinne einer neoliberalen Rationalität begünstigt, welche auf spezifischen Ri-
sikowahrnehmungen beruht. Resilienz dient damit als Antwort darauf, die identifizierten
und kalkulierten Bedrohungsszenarien ungewisser Zukünfte durch marktwirtschaftliche
Reformen in den Ländern des globalen Südens zu regieren. Damit einher geht jedoch
ebenfalls die Tendenz zur Rationalisierung der Finanzierungen innerhalb der Geberländer
und -institutionen selbst. Warum ist solch eine Perspektive relevant? Wir argumentieren,
dass mit dem Ansatz der Gouvernementalität nicht im Vordergrund steht, was Resilienz
ist oder sein könnte, sondern wie es genutzt wird – in welche spezifischen Rationalitäten es
eingebettet ist und welche konkreten Praktiken oder Techniken damit einhergehen. Dabei
wird deutlich, dass gerade die vielfältige Nutzbarkeit des Resilienzbegriffs seine begrenz-
te Nützlichkeit offenbart: Jenseits der Potentiale, die Resilienz als lösungsorientierter An-
satz bergen könnte, stellt sich die Frage, wer Resilienz wie und für welchen Zweck nutzbar
macht und welche Praktiken dadurch legitimiert werden. Resilienz als Konzept kann ver-
schiedene, sogar kontroverse Funktionen erfüllen, erweist sich unseres Erachtens jedoch
nicht als innovativer Rahmen, um entwicklungspolitische Fragen, beispielsweise zur Ar-
mutsbekämpfung, Ernährungssicherung und Friedenssicherung neu anzugehen.
7 An dieser Stelle wird nicht weiter spezifiziert, was laut der Europäischen Union die Ursachen der
zuvor identifizierten Risiken und Krisen sind.
Viele Krisen, eine Antwort? 263
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264 Birgit Kemmerling und Amra Bobar
Zusammenfassung
267
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M. Karidi et al. (Hrsg.), Resilienz,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-19222-8_14
268 Michael Jedelhauser und Anne von Streit
1 Einleitung
Gesellschaftlicher Wandel erfolgt in der Regel nicht linear, teleologisch oder gar deter-
ministisch, sondern wird durch soziale Praktiken gestaltet und ist durch ein dynamisches
und kontingentes Wechselspiel von Wachstums-, Stagnations-, Rückgangs- und Konsoli-
dierungsphasen gekennzeichnet (Geels et al. 2016).
Ein gegenwärtig intensiv diskutiertes Beispiel eines sozio-technischen Wandlungspro-
zesses ist die als Energiewende bezeichnete Transition1 des deutschen Energiesystems.
Neben dem vollständigen Ausstieg aus der Kernenergie bis zum Jahr 2022 sollen laut
Beschluss der Bundesregierung bis zum Jahr 2050 mindestens 60 % des Bruttoendener-
gieverbrauchs und 80 % der Stromversorgung durch erneuerbare Energien gedeckt werden
(BMWi 2016). Diese grundlegende Umstrukturierung des Energiesystems erfordert nicht
nur die Entwicklung und Implementierung technologischer Innovationen, sondern auch
soziale Transitionsprozesse, z. B. in Governance-, Produktions-, Konsum- und Mobilitäts-
mustern (Truffer 2013). Aufgrund seiner Neuartigkeit und seines Ausmaßes ist dieser so-
zio-technische Wandlungsprozess mit vielen Unsicherheiten behaftet, die sich sowohl auf
die Frage nach der Struktur des zukünftigen Energiesystems hinsichtlich seines Grades
an Dezentralität und Zentralität2 als auch auf die Frage, mit welchen Mitteln der Prozess
gesteuert werden kann und soll, beziehen. Einen allumfassenden Masterplan kann es hier-
für nicht geben, sondern es sind Such- und Experimentierprozesse notwendig, die immer
wieder mit den sich wandelnden sozio-politischen Rahmenbedingungen sowie technolo-
gischen Entwicklungen in Einklang gebracht werden müssen (Beermann und Tews 2015).
Ein wichtiges Experimentierfeld für die Transition des deutschen Energiesystems ist
die regionale Ebene, von der innovative Impulse für eine dezentrale Gestaltung der Ener-
giewende ausgehen (Kunze 2013; Gailing und Röhring 2016). Aufgrund des größeren
Flächenangebots findet der Ausbau erneuerbarer Energien bislang vorwiegend im länd-
lichen Raum statt und geht mit einer Dezentralisierung der Erzeugungsstruktur, einer Di-
versifikation der Eigentümerstruktur sowie Veränderungen in der Akteurslandschaft im
Energiesystem einher (Becker et al. 2012; Klagge und Brocke 2012). Stadt- und Gemein-
dewerke, regionale Energieversorgungsunternehmen und Kommunen werden verstärkt
1 Da sich der vorliegende Beitrag auf Ansätze aus der sozio-technischen Transitionsforschung be-
zieht, wird zur Beschreibung fundamentaler systemischer Veränderungen durchgehend der Begriff
der Transition herangezogen. Auf den in diesem Kontext ebenfalls häufig verwendeten Begriff der
Transformation wird aus Gründen der Einheitlichkeit verzichtet.
2 Es gibt grundsätzlich zwei Ausbaupfade: Die zentrale Ausbaustrategie setzt vornehmlich auf eine
Stromerzeugung durch Großanlagen (wie Offshore-Windkraftparks) und ist mit dem Ausbau des
Übertragungsnetzes über lange Distanzen verbunden. Argumente hierfür sind Versorgungssicher-
heit und eine stärkere europäische Vernetzung des Strommarktes (EU) zur effizienteren Nutzung
erneuerbarer Energien. Die dezentrale Strategie setzt auf eher kleinteilige Anlagen, Verbraucher-
nähe und eine Diversifizierung der Eigentümerverhältnisse. Hierfür sprechen Aspekte der regio-
nalen Wertschöpfung (Arbeitsplätze im Energiesektor, Gewerbesteuereinnahmen) sowie der öko-
nomischen und politischen Teilhabe von Kommunen und Bürger*innen an Energiewendeprozessen
(Baasch 2016).
Resilienz in regionalen Energietransitionen 269
als potentielle Treiber der Energiewende wahrgenommen (Graf et al. 2013; Klagge und
Brocke 2013). Bürger*innen nehmen als Prosumenten, d. h. als Energieproduzenten und
-konsumenten (Aretz et al. 2016) sowie über Beteiligungsmodelle wie Energiegenossen-
schaften eine neue Rolle ein (Yildiz et al. 2015). Im Zeitraum von 2008 bis 2013 wurden
über 600 Energiegenossenschaften in Deutschland neu gegründet (Klagge et al. 2016).
Gegenwärtig sehen sich die regionalen Initiativen und Akteure mit verschiedenen
Hemmnissen konfrontiert, die den dezentralen Ausbau erneuerbarer Energien verlang-
samen. Auf Bundesebene wurde die Einspeisevergütung durch die mehrfachen Novellie-
rungen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) für erneuerbare Energien schrittweise
reduziert, was zu einem Rückgang der Ausbauraten, insbesondere von Photovoltaik (PV)-
und Biogasanlagen, führte. Mit der Novellierung des EEG 2017 werden die inzwischen
festgeschriebenen jährlichen Zubaukapazitäten erneuerbarer Energien in Form eines Aus-
schreibungsverfahrens an die kostengünstigsten Bewerber vergeben. Dies kann zu einer
Benachteiligung kleiner dezentraler Initiativen und Akteure, wie z. B. Genossenschaften,
Kommunen oder Einzelpersonen, gegenüber finanzstarken, überregional tätigen Akteuren
führen (Ohlhorst 2016) und den aufgrund der reduzierten Einspeisevergütung ohnehin
bereits erfolgten Rückgang von Bürgerbeteiligungsmodellen weiter manifestieren (Klagge
et al. 2016). Auf Landesebene schränkt die seit 2014 geltende bayerische 10H-Regelung,
wonach neue Windkraftanlagen „einen Mindestabstand vom 10-fachen ihrer Höhe zu
Wohngebäuden […] einhalten“ (Freistaat Bayern 2015) müssen, den Ausbau der Wind-
kraft erheblich ein.
Angesichts dieser Entwicklungen stellt sich die Frage, wie resilient der Prozess einer
dezentralen Transition des Energiesystems gegenüber den hemmenden Rahmenbedingun-
gen ist. Kommt der Transitionsprozess zum Erliegen oder finden die Akteure Strategien,
um mit den derzeitigen Hemmnissen umzugehen? Die These des vorliegenden Beitrags
ist, dass die Resilienz regionaler Energiewendeprozesse davon abhängt, ob es den Akteu-
ren vor Ort gelingt, den Transitionsprozess in institutionalisierte Strukturen zu überführen
und diese an sich verändernde Rahmenbedingungen anzupassen. Im Rahmen einer empi-
rischen Fallstudie wird am Beispiel dezentraler Energiewendeprozesse in der Region des
bayerischen Allgäus diese These überprüft. Die Ziele des Beitrags sind, (i) die Dynamiken
der regionalen Energietransition im Allgäu aus Akteursperspektive nachzuvollziehen, (ii)
die institutionellen Praktiken, die Akteure in den einzelnen Transitionsphasen einsetzten,
zu identifizieren und (iii) zu untersuchen, wie sich diese Praktiken auf die Resilienz des
Transitionsprozesses auswirken. Für die Untersuchung werden systemwissenschaftliche
Ansätze aus der sozio-technischen Transitionsforschung und der Resilienzforschung mit
dem praxisorientierten Konzept der institutionellen Arbeit aus der Neo-Institutionentheo-
rie kombiniert.
270 Michael Jedelhauser und Anne von Streit
Die Transitionsforschung geht davon aus, dass angesichts tiefgreifender globaler ökologi-
scher, ökonomischer und sozialer Herausforderungen inkrementelle Veränderungen und
Anpassungen nicht ausreichen, um nachhaltige sozio-technische Systeme zu entwickeln.
Es bedarf daher Nachhaltigkeitstransitionen, die Markard et al. (2012, S. 956) als “long-
term, multi-dimensional, and fundamental transformation processes through which es-
tablished socio-technical systems shift to more sustainable modes of production and con-
sumption” beschreiben. Sozio-technische Systeme bestehen aus sozialen und materiellen
Elementen, die sich im Laufe der Zeit zu stabilen Konfigurationen entwickelt haben, die
gesellschaftliche Bedürfnisse befriedigen (Fuenfschilling und Truffer 2014). Das sozio-
technische System Energie beispielsweise erfüllt seine Funktion, die Gesellschaft mit
Energie zu versorgen, durch das multi-skalare Zusammenspiel von u. a. Politiken, Tech-
nologien, Kulturen und Märkten. Die Basis dieses Forschungszweigs ist das Verständnis
von Transitionen als sozio-technischen Wandel, d. h. paralleler, sich in gegenseitiger Ab-
hängigkeit entwickelnder sozialer und technologischer Veränderungen. Kernelement der
Transitionsforschung ist die Unterscheidung in Regime und Nischen, deren jeweilige Ent-
wicklung und interdependentes Zusammenspiel den Verlauf einer Transition bestimmen
(Kemp et al. 1998; Geels 2002; Smith und Raven 2012). Regime stellen die dominierende
Funktionsweise eines sozio-technischen Systems dar. Sie bilden den Status Quo institu-
tionalisierter und sozial eingebetteter Systemstrukturen und entwickeln sich vorrangig
inkrementell entlang etablierter Entwicklungspfade. Das Regime besteht aus einer Reihe
semi-kohärenter Regeln, die das Handeln von Akteuren leiten, wie z. B. kognitive Rou-
tinen, geteilte Ansichten, Nutzerpraktiken und legal bindende Regelwerke (Geels 2011).
Diese Regeln garantieren die Stabilität des Regimes. In Transitionen werden bestehende
Regime und deren Regeln durch neue sozio-technische Alternativen destabilisiert und ab-
gelöst. Nach dem Verständnis der Transitionsforschung entwickeln sich diese Alternativen
zunächst in Nischen, d. h. in vor dem Regime geschützten Räumen, und erlangen dort eine
ausreichende Reife, um sich schließlich mit bestehenden Regimen zu messen (Smith und
Raven 2012). Auch wenn dieser streng dichotomische Ansatz in jüngeren Beiträgen parti-
ell aufgelöst wurde (Geels et al. 2016), wurde er in verschiedenen Bereichen innerhalb der
Transitionsforschung aufgegriffen und weiterentwickelt.3
3 Vier Ansätze, die sich innerhalb der Transitionsforschung herausgebildet haben, sind zu nennen:
multi-level perspective (MLP) (Geels 2002), technological innovation systems (TIS) (Hekkert et
al. 2007), strategic niche management (SNM) (Kemp et al. 1998) und transition management (TM)
(Kern und Smith 2008). Während MLP und TIS vor allem historische oder gegenwärtig ablaufende
Transitionen untersuchen, um Verlaufsmuster, Erfolgsfaktoren, Treiber und Hindernisse von Tran-
sitionen zu identifizieren und Handlungsoptionen abzuleiten, orientieren sich SNM und TM stärker
an Governance-Fragen und befassen sich mit der Stimulierung und Steuerung von Transitionen.
Resilienz in regionalen Energietransitionen 271
Ein idealtypischer Transitionsverlauf lässt sich nach Rotmans et al. (2001) in vier Pha-
sen einteilen. In der Vorentwicklungsphase werden erste Nischenaktivitäten initiiert, die
sich jedoch noch nicht auf den Status Quo des Systems niederschlagen. Die Take-off-
Phase ist durch erste Veränderungsprozesse des Systemzustands gekennzeichnet, die sich
in der Beschleunigungsphase in einem sichtbaren strukturellen Wandel äußern. In der
Stabilisierungsphase verlangsamt sich der Transitionsprozess und das neue System festigt
sich. Die Transition des sozio-technischen Systems ist als kontingenter Prozess zu ver-
stehen, in dem sich die Geschwindigkeit und Dauer der einzelnen modellhaften Phasen
erheblich unterscheiden können. Während erste Nischenentwicklungen in geeigneten Ge-
legenheitsfenstern (windows of opportunity) zügig erfolgen können, sind deren Diffusion
und ein damit einhergehender fundamentaler Wandel etablierter sozio-technischer Re-
gimestrukturen als langwieriger und gradueller Prozess zu betrachten. Allerdings können
systemexterne Ereignisse oder Megatrends, wie z. B. die Katastrophen von Tschernobyl
oder Fukushima oder eine Ölkrise, die Transition maßgeblich beschleunigen.
Einerseits betonen Rotmans und Loorbach (2010) zwar, dass das Multi-Phasen-Modell
nicht deterministisch als Blaupause eines Transitionsverlaufs zu verstehen ist, sondern
dass dieser durch Lock-in-Effekte, Rückschläge und Krisen auch unvorhergesehene Wen-
dungen bis hin zum Scheitern der Transition einschlagen kann. Andererseits bietet die
Transitionsforschung keine explizite Konzeptualisierung des Zusammenspiels von Kri-
sen und Transitionen sozio-technischer Systeme. Um zu untersuchen, auf welche Weise
Systeme und Systementitäten auf interne und externe Störungen reagieren und dadurch
Transitionsverläufe gestaltet werden, wird im Folgenden die Transitionsforschung um re-
silienztheoretische Konzepte ergänzt.
2.2 Resilienzforschung
Auch die Resilienzforschung befasst sich mit gesellschaftlichem Wandel, rückt jedoch
nicht normative Systemtransitionen in Richtung Nachhaltigkeit in den Fokus, sondern
untersucht Wandel als eine mögliche Reaktion eines Systems auf Störungen (Wink 2016).
Da diese als unvermeidlich erachtet werden, behandelt die Resilienzforschung nicht de-
ren Verhinderung, sondern „das Lernen, gegen Störungen weniger anfällig zu sein und
mit Veränderungen besser zurechtzukommen“ (Schneider 2015, S. 121). Eine einheitliche
Definition des Resilienzbegriffes existiert aufgrund seiner Verwendung in einem weiten
Feld unterschiedlicher Forschungsdisziplinen nicht. Für die Untersuchung der regionalen
Energietransition im Allgäu erscheint die evolutionäre Resilienzperspektive (Simmie und
Martin 2010; Martin und Sunley 2014; Boschma 2015) aus zwei Gründen als geeignet.
Zum einen verfügt sie aufgrund ihres Ursprungs in der evolutionären Wirtschaftsgeo-
graphie über einen expliziten Raumbezug, der es erlaubt, die Resilienz regionaler Systeme
in den Fokus zu rücken. Die Untersuchungseinheit bisheriger empirischer Arbeiten der
evolutionären Resilienzforschung sind meist regionale Ökonomien, die dynamischen Rah-
menbedingungen, z. B. unerwarteten regionsexternen Schocks, unterliegen. Die Resilienz
272 Michael Jedelhauser und Anne von Streit
Sowohl die Transitions- als auch die Resilienzforschung liefern geeignete Ansätze zur
Analyse von Transitionsdynamiken. Allerdings werden beide Ansätze für ihre mangelnde
Konzeptualisierung von agency kritisiert (für die Transitionsforschung z. B. Smith et al.
2005; Genus und Coles 2008; Lawhon und Murphy 2012; Markard et al. 2012; für die Re-
silienzforschung z. B. Bristow und Healy 2014). Aus diesem Grund führen wir als dritten
konzeptuellen Baustein die Neo-Institutionentheorie und hierbei konkret den Ansatz der
institutionellen Arbeit ein. Dieses Komplement erkennt (institutionellen) Wandel als Er-
gebnis sozialer Praktiken an und bietet einen praxisorientierten Ansatz zur Untersuchung
der Rolle von agency in Wandlungsprozessen.
nativen aufgrund von Lock-ins und Pfadabhängigkeiten fortbestehen und dadurch (institu-
tionellen) Wandel behindern. Vor diesem Hintergrund weist Boschma (2015) auf die enge
Verbindung zwischen Institutionen und Resilienz hin. Demnach verfügen jene Regionen
über hohe Resilienz, deren institutionelle Strukturen einerseits als stabile Grundlage für
regionale Entwicklung fungieren und andererseits Veränderungen in Form von Anpassun-
gen oder radikalem Wandel erlauben.
Institutionen bzw. institutioneller Wandel sind reflexive, multi-skalare Phänomene, die
sowohl durch Abwärts-Kausalitäten, z. B. durch die Verabschiedung von Gesetzen auf
nationaler Ebene, als auch durch Aufwärts-Kausalitäten, z. B. mittels lokaler Pionierakti-
vitäten, erzeugt werden können (Bathelt und Glückler 2014). Institutioneller Wandel wird
durch soziale Praktiken bestimmt (North 1990) und ist demnach “the product (intentional
or otherwise) of purposive action” (Lawrence und Suddaby 2006, S. 216). Das Konzept
der institutionellen Arbeit greift dieses Verständnis explizit auf und bietet einen Ansatz,
um zu untersuchen, wie Akteure ihren institutionellen Kontext gestalten. Es hat seinen
Ursprung bei Lawrence und Suddaby (2006) und basiert sowohl auf neo-institutionen-
theoretischen Arbeiten (DiMaggio 1988; Oliver 1991, 1992) als auch auf Ansätzen aus
der Praxistheorie (u. a. Bourdieu 1977; Giddens 1984). In Abgrenzung zu konventionellen
Konzepten der Institutionentheorie, die sich vorrangig mit Phänomenen auf der Makro-
ebene auseinandersetzen, rückt die institutionelle Arbeit die Mikroebene in das Zentrum
des Untersuchungsinteresses und “describes the practices of individual and collective ac-
tors aimed at creating, maintaining, and disrupting institutions” (Lawrence et al. 2011,
S. 52). Dieser Ansatz ermöglicht die Analyse verschiedener Typen von Praktiken, mit
denen die Akteure Bedeutungen, Ansichten, Regeln oder Standards konstruieren und da-
durch die Dynamik von institutionellem Wandel beeinflussen.
Induktiv abgeleitet entwickelten Lawrence und Suddaby (2006) eine Kategorisierung
institutioneller Arbeit, die sich an den drei Säulen nach Scott (2001) orientiert und zahl-
reiche Unterkategorien aufweist. Tabelle 1 zeigt die insgesamt 16 Typen institutioneller
Arbeit mittels derer Institutionen erschaffen, erhalten und zerstört werden. Diese Kate-
gorisierung ist nicht normativ in dem Sinne zu verstehen, dass die Erhaltung bestehender
Institutionen ein per se anzustrebendes Ideal und die Zerstörung von Institutionen per se
negativ konnotiert wäre. Im Kontext institutionellen Wandels und konkret sozio-techni-
scher Nachhaltigkeitstransitionen ist vielmehr das Ersetzen bestehender, regimeerhalten-
der durch transitionsfördernde Institutionen eine Grundvoraussetzung für Wandel. Aber
auch ein ausgehend von neuen Institutionen eingeschlagener Transitionspfad muss durch
die Schaffung und Zerstörung von Institutionen auf einen sich stetig verändernden Tran-
sitionskontext reagieren.
Tabelle 1 Die Kategorien institutioneller Arbeit nach Lawrence & Suddaby (2006)
Säule Erschaffen von Institutionen Erhalten von Institutionen Zerstören von Institutionen
Regulativ- Mobilisieren Mobilisierung politischer und regulativer Ermög- Strukturierung von Praktiken Aushebeln Lösen der Anreiz- und
politisch Unterstützung (z. B. durch Lobbying, lichen von durch Regeln, die Routinen der Anreize Sanktionsmechanismen
Gerichtsverfahren, Werbung) Arbeit unterstützen und ergänzen und Sank- von Praktiken, Techno-
(z. B. Steuern, Autorität) tionen logien oder Regeln
Festschreiben Schaffung von Regelsystemen durch Rollen- Über- Einführung von Zwang-, Kon-
verteilung (z. B. Status, Mitgliedschaften, wachen troll-, Monitoring-, Anreiz-
Identität, Hierarchien, Verantwortlichkeiten) und Sanktionsmechanismen
Bevollmächtigen Schaffung von Regelsystemen, die Ver- Ab- Erzwingung der Einhaltung
fügungsrechte gewähren (z. B. Eigentums- schrecken von Institutionen durch
rechte) Machtausübung
Normativ Erschaffen von Definition der Beziehung zwischen einem Wert- Hervorhebung von Positiv- Lösen Entkopplung bestehen-
Identitäten Akteur und seinem (Arbeits-)Feld (z. B. schätzen und Negativbeispielen, um moralischer der moralischer Motive
Resilienz in regionalen Energietransitionen
durch Schaffung neuer oder Veränderung und moralisches Fundament der Fundier- von den zugehörigen
bestehender Zuständigkeiten und Profes- Schlecht- Institution zu stärken ungen Praktiken, Technologien
sionen) machen und Regeln
Verändern norma- Verknüpfung von Praktiken mit neuen Mytholo- Betonung der Geschichte von
tiver Assoziationen normativen Verständnissen gisieren Institutionen
Erschaffen norma- Konstruktion von verbindlichen interorgani-
tiver Netzwerke sationalen Beziehungen
Kulturell- Mimikry Verknüpfung neuer mit bestehenden, als Einbetten Einbettung des normativen Untergra- Senkung der Kosten, die
kognitiv selbstverständlich wahrgenommenen Insti- und Rou- Fundaments von Institutionen ben von mit neuen Praktiken,
tutionen, um Adaption zu erleichtern tinisieren in repetitive Praktiken und Annahmen Technologien oder Regeln
alltägliche Routinen und Über- verbunden werden mittels
zeugungen Innovationen oder gegen-
sätzlicher Praktiken
Theorisieren (Entwicklung einer Sprache zur) Vermitt-
lung von neuen Konzepten, Praktiken und
Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen
Bilden Vermittlung von Wissen und Fähigkeiten,
um neue Institutionen zu unterstützen
(z. B. Pilotprojekte, Fallstudien, Leitlinien)
275
276 Michael Jedelhauser und Anne von Streit
4 Empirische Fallanalyse:
Dynamiken der Energietransition im bayerischen Allgäu
Insgesamt lässt sich der Transitionsprozess im Allgäu in fünf Phasen gliedern (Tabelle
2). Die zeitliche Untergliederung der Transition ist nicht als trennscharfe Abgrenzung der
einzelnen Phasen zu sehen, da diese meist keinen exakten Anfangs- und Endzeitpunkt
aufwiesen, sondern fließend ineinander übergingen.
278
Die Pionierphase war maßgeblich vom idealistischen Engagement einzelner Akteure, ins-
besondere aus der Landwirtschaft, geprägt. Erneuerbare Energien fungierten in dieser
Zeit aufgrund hoher Investitionskosten und relativ niedriger Vergütungen über das Strom-
einspeisungsgesetz noch nicht als Einkommensquelle, sondern waren vielmehr Gegen-
stand von anwendungsorientierten Trial-and-error-Prozessen – beispielsweise auf einzel-
nen landwirtschaftlichen Betrieben. Dies führte schrittweise zu einer Optimierung der
technologischen Innovationen. Im Fokus standen zu dieser Zeit vorrangig Biogasanlagen
sowie erste Versuche im Bereich der Windkraft.
„[Die ersten Erneuerbare-Energien-Projekte waren] mehr so Liebhaberprojekte.
Hobby. Und also an wirtschaftlich kaum zu denken. Also wirklich ohne Pioniergeist,
ohne Idealismus wäre das nicht ins Laufen gekommen zur damaligen Zeit“(Vertreter*in
Unternehmen).
Auch wenn diese Projekte noch nicht signifikant zur Deckung des regionalen Energie-
bedarfs beitrugen, waren sie dennoch aus zwei Gründen bedeutend für die Institutionali-
sierung der regionalen Energietransition. Zum einen wurde Wissen in der Installation und
im Betrieb von Erneuerbare-Energie-Anlagen aufgebaut, welches später weitervermittelt
werden konnte (Bilden). Dies erweist sich bis heute als wertvolle Stütze der Energietran-
sition, da sich durch diese Lernprozesse regionsinterne individuelle und kollektive An-
sprechpartner etablieren konnten, denen lokale Akteure, wie z. B. Politik, Unternehmen
oder die lokale Bevölkerung, vertrauen. Zum anderen wirkten die Pionierprojekte als
Exempel, da sie aufzeigten, dass erneuerbare Energien sowohl technisch als auch ökono-
misch machbar waren und eine regionale und dezentrale Alternative zu nuklearer und fos-
siler Energieproduktion darstellten (Theorisieren; Verändern normativer Assoziationen).
Neben diesen ersten idealistisch motivierten Gehversuchen, begannen sich ab Mitte der
1990er Jahre Akteure aus Politik, Verwaltung und Wirtschaft verstärkt mit den Themen
Energieeffizienz und erneuerbare Energie zu befassen. Diese Initiativen sahen sich jedoch
nicht als Teil einer umfassenden Umgestaltung des regionalen Energiesystems, sondern
leiteten aus einzelfallspezifischen ressourcen- und energiebezogenen Herausforderungen
kreative Lösungen und Innovationen ab. „Also diese Energiewende, der Begriff, hat uns
eigentlich nie richtig interessiert. […] Uns haben eigentlich gewisse Problemstellungen
interessiert“ (Vertreter*in Unternehmen). Diese Projekte entstanden aus dem Engage-
ment von Einzelpersonen, wie z. B. Bürgermeister, Landräte und Unternehmensmitarbei-
Resilienz in regionalen Energietransitionen 281
ter, und waren von einem pragmatischen Umgang mit kommunalen oder betrieblichen
Fragestellungen geprägt.
Aus diesem individuellen Engagement entstanden erste größere Initiativen, die sowohl
in der Installation neuer Technologien, z. B. kommunale Holzheizkraftwerke, als auch in
der Schaffung von Organisationen mündete. Ein wesentlicher Meilenstein der Institutio-
nalisierung in dieser Phase war die insbesondere von der Kommunalpolitik im Oberallgäu
forcierte Gründung der regionalen Energieagentur. Aufgrund ihrer Gesellschafterstruk-
tur gewährleistete diese von Beginn an eine enge institutionelle Verzahnung von Politik,
Verwaltung und Unternehmen, insbesondere regionalen Energieversorgungsunternehmen
(Festschreiben; Erschaffen normativer Netzwerke). Ihre Gründung verfolgte in erster
Linie das Ziel, eine zentrale und neutrale Organisation zu etablieren, die stetig und flä-
chendeckend für das gesamte Allgäu Energieberatungsdienstleistungen anbot und einen
ressourcenschonenden Umgang mit Energie förderte.
Die Schaffung der Energieagentur stellte eine soziale Innovation dar, die den Über-
gang von einzelnen Pionieraktivitäten zu professionalisierten und gefestigten Strukturen
verkörperte. Ein wichtiger Faktor für diese Entwicklung und Grundlage für nachfolgen-
de Institutionalisierungsprozesse war die enge Vernetzung zwischen Pionieren, z. B. aus
der Land- und Forstwirtschaft, und Regimeakteuren aus Politik und Verwaltung, die ihre
Machtposition und Ressourcen für die Umgestaltung des Energiesystems im Allgäu nut-
zen konnten.
Während die Entwicklung der 1990er Jahre noch weitgehend unabhängig von regions-
externen Rahmenbedingungen ablief, wurde die Beschleunigungsphase im Allgäu maß-
geblich durch die bundesweite Einführung des EEG im Jahr 2000 ausgelöst (Ermöglichen
von Arbeit). Kennzeichnend für diese Phase war, dass das Wirtschaftlichkeitsdenken in
den Vordergrund der Handlungsmotivation der beteiligten Akteure rückte. Durch die ga-
rantierte Einspeisevergütung erlangten erneuerbare Energien zunehmend ökonomische
Bedeutung und wurden fortan als sichere Form der Einkommensgenerierung und Geld-
anlage wahrgenommen (Theorisieren).
„Die Energiewende wird von einem gewissen Geschäftsinteresse getragen, was es ei-
gentlich auch sein soll, und nur so kann sie erfolgreich sein. Mit Idealismus und Gerede
kriegen sie hier nichts grüne. Ich muss es wirklich mal so deutlich sagen“ (Vertreter*in
Energieagentur).
In der Beschleunigungsphase diffundierten Erneuerbare-Energie-Technologien in der
Region und drangen in unterschiedliche Gesellschaftsbereiche vor: Eigenheimbesitzer in-
stallierten PV-Anlagen auf ihren Dächern. Investoren initiierten Freiflächen-PV-Anlagen.
Windkraftprojekte wurden von einzelnen regionalen Akteuren, darunter auch Pioniere
282 Michael Jedelhauser und Anne von Streit
der 1990er Jahre, vorangetrieben. Bei der Diffusion von Biogas-und PV-Anlagen stellte
die Landwirtschaft einen zentralen Treiber dar. Die Beschleunigungsphase ging nicht nur
mit einem rapiden Ausbau erneuerbarer Energien, sondern auch mit der Etablierung neuer
Geschäftsmodelle und einer Diversifikation der Akteursstruktur einher. Energiegenos-
senschaften, von denen in den Jahren 2007 bis 2013 etwa zwanzig im Allgäu gegründet
wurden, boten Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit der Teilhabe an der dezentralen
Energietransition (Bevollmächtigen).
Die Möglichkeit der Einkommensgenerierung durch erneuerbare Energien führte dazu,
dass das Themenfeld der regionalen Energietransition in dieser Phase auf Offenheit und
Akzeptanz in der Bevölkerung stieß. Dies hatte auch Einfluss auf die regionalen Energie-
versorgungsunternehmen, die sich nun der Dynamik des Prozesses nicht mehr entziehen
konnten und zum Handeln „gezwungen“ wurden (Verändern normativer Assoziationen).
Aufgrund der positiven Konnotation des Themas stieg der Handlungsdruck für die Unter-
nehmen sich über die bestehende Wasserkraftnutzung hinaus im Bereich erneuerbarer
Energien zu engagieren: „[…] Das war für [das Energieversorgungsunternehmen], ich
sag jetzt mal, ein notwendiges Etikett, das man sich geben musste, weil man sich dem
Thema Photovoltaik nicht verschließen kann“ (Vertreter*in Unternehmen).
Das verstärkte Engagement der Energieversorgungsunternehmen in dieser Phase stellte
einen Meilenstein der Energietransition im Allgäu dar, da von nun an (Regime-)Akteure
mit den entsprechenden Ressourcen (Wissen, Kapital, Marktmacht) den Energiewende-
prozess mitgestalteten. Zwar unterschieden sich die thematischen Schwerpunkte und das
Ausmaß des Engagements zwischen den einzelnen Energieversorgungsunternehmen, auf-
grund ihrer Finanzstärke verfügten sie jedoch, verglichen mit beispielsweise zivilgesell-
schaftlichen Initiativen, über eine bedeutende Wirkmächtigkeit.
Trotz der Diversifizierung der Akteurslandschaft in der Beschleunigungsphase kam
es nicht zu einer Verdrängung der Akteure, Organisationen und Netzwerke der ersten
beiden Transitionsphasen. Vielmehr gingen die Pioniere der 1990er in großen Teilen die
Entwicklung hin zu einer Ökonomisierung erneuerbarer Energien mit, passten sich an die
neuen Rahmenbedingungen an und blieben weiterhin treibende Kräfte der Energietran-
sition „Also zuerst war es mal Hobby und Leidenschaft und Spaß. […] Dann ist es zum
Beruf geworden, zum alleinigen. Ja, kann man sagen. Bei mir auf jeden Fall. Also ich bin
Unternehmer geworden“ (Vertreter*in Unternehmen) (Erschaffen von Identitäten). Die
Pioniere der ersten Phase profitierten nun von dem in den 1990er Jahren angesammelten
regions- und themenspezifischen Wissen und führten die Professionalisierung und Institu-
tionalisierung weiter. Dies galt insbesondere für die regionale Energieagentur, die in den
Jahren nach ihrer Gründung ein rasches Wachstum verzeichnete und sich zu einem maß-
geblichen Akteur in der Region entwickelte. Ihr Tätigkeitsspektrum war hierbei vielfältig
und wies zahlreiche Praktiken institutioneller Arbeit auf. Mittels bis heute fortlaufender
professionalisierter Energieberatungssysteme ermöglichte die Energieagentur eine ener-
giebezogene Informationsvermittlung für Kommunen, Privathaushalte und Unternehmen
(Bilden). Durch die Schulung kommunaler Energieberater/innen wurde die Energiebe-
ratung in die Kommunen hineingetragen und in Form von regelmäßigen Energiebera-
Resilienz in regionalen Energietransitionen 283
Die Dynamik der Konsolidierungsphase ist maßgeblich von zwei Entwicklungen geprägt:
Erstens wurde die Institutionalisierung der regionalen Energietransition durch den fort-
laufenden Ausbau erneuerbarer Energien, die Professionalisierung von Energieberatungs-
und Energieeffizienzsystemen und durch die Verankerung in der Kommunalpolitik weiter
vorangetrieben und zweitens trug die nukleare Katastrophe in Fukushima im Jahr 2011 zu
einem Bewusstseinswandel in allen Gesellschaftsbereichen bei.
Als Folge des Reaktorunglücks war „plötzlich ein totaler Paradigmenwechsel wahr-
zunehmen, dem […] man sich […] nicht entziehen [konnte]“ (Vertreter*in Kommunal-
politik). Kommunalpolitik und Verwaltung intensivierten die Institutionalisierung der
Energietransition, was sich unter anderem im weiteren Ausbau kommunaler Energiebe-
ratungen für Bürger*innen (Einbetten und Routinisieren), der Entwicklung von Klima-
schutzkonzepten und Klimaschutzzielen (Ermöglichen von Arbeit; Überwachen) sowie
der Schaffung von Stellen für Klimaschutzmanager*innen und der Implementierung von
Energieteams (Erschaffen von Identitäten) äußerte.
Die Wirkung des Reaktorunglücks veränderte nicht nur das Bewusstsein für erneuer-
bare Energien in der Kommunalpolitik, sondern auch in der breiten Bevölkerung und in
Unternehmen. Zu dem ökonomischen Antrieb, erneuerbare Energien als Einkommens-
quelle zu nutzen, kam nun ein ethisch-ökologisches Motiv hinzu, da „alle auf einmal
festgestellt haben, […] ‚ich profitiere ökonomisch davon und tue noch was Gutes‘“
(Vertreter*in Energieversorgungsunternehmen) (Verändern normativer Assoziationen;
Theorisieren). Folglich kam es in der Konsolidierungsphase zeitweise zu einer Schaffung
werte- und normenbasierter Institutionen. Die EEG-bedingte enge Verknüpfung von er-
284 Michael Jedelhauser und Anne von Streit
Die Dynamiken der Stagnationsphase werden weniger von den regionalen Akteuren als
vielmehr von den veränderten politischen und gesetzlichen Rahmenbedingungen auf Bun-
des- und Landesebene bestimmt. Die Entwicklungen im Allgäu in dieser Phase zeigen,
wie die institutionelle Arbeit regionsexterner Akteure zu einer Zerstörung regionsinterner
Institutionen führte, das kreative und innovative Potenzial in der Region einschränkte und
sich der Transitionsprozess signifikant verlangsamte.
Durch die schrittweise Verringerung der garantierten Einspeisevergütung in Folge
der Novellierung des EEG 2014 wurde die Verknüpfung von erneuerbaren Energien und
Einkommensgenerierung in weiten Teilen aufgelöst, was zu einem deutlichen Rückgang
des Ausbaus von Biogas und PV, insbesondere Freiland-PV, und zur Insolvenz regionaler
Unternehmen, v.a. im PV-Bereich, führte (Aushebeln der Anreize). Der Ausbau der Wind-
kraft im Allgäu wird gegenwärtig vorrangig von zwei Faktoren beschränkt. Zur Einfüh-
rung der bayerischen 10H-Regelung kommt im Oberallgäu erschwerend hinzu, dass eine
Funkfeueranlage zur Flugsicherung bei Kempten einen Radius von 15 Kilometern um die
Anlage und somit den Großteil der von Seiten der Regionalplanung als Vorranggebiete
vorgesehenen Standorte von Windkraft ausschließt. Da darüber hinaus das Potential der
Wasserkraft in der Region als weitgehend ausgeschöpft erachtet wird, ist der Ausbau er-
neuerbarer Energien in der Region gegenwärtig größtenteils zum Erliegen gekommen.
Damit einhergehend ist auf zivilgesellschaftlicher Ebene ein rückläufiges Engagement
festzustellen. Die Gründungen von Energiegenossenschaften, die lange Zeit das Symbol
einer erfolgreichen dezentralen Energiewende darstellten, brachen komplett ein – seit 2014
ist keine Neugründung mehr erfolgt.
„Wir merken es […] in den Gemeinden, […] dass wir […] die Bürger total schwer
motiviert [bekommen], weil die halt alle das Gefühl haben: ‚Ja, was die da in Bonn und
in Berlin und in München machen, die wollen ja gar keine Energiewende, die wollen das
ja verzögern. Wieso soll ich mich da jetzt reinhängen?‘“ (Vertreter*in Energieagentur)
Auch auf kommunalpolitischer Ebene ist festzustellen, dass die Thematik in der jünge-
ren Vergangenheit zunehmend von anderen Themen überlagert wurde.
„Wenn ich beim Bürgermeister aufschlage und sage ‚Mensch, ich hätte da was für
dich‘, sagt er, ‚Mensch, ja, Klimaschutz, superwichtig, gleich nach Flüchtlingen, Breit-
bandausbau, neuem Feuerwehrauto und unserem Dorfplatz‘. […] Das heißt, ich kriege
keinen aktiven Gegenwind, aber bin halt einfach in der Wahrnehmung ein Thema unter
ganz vielen“ (Vertreter*in Klimaschutz).
Resilienz in regionalen Energietransitionen 285
Mit den bundes- und landespolitischen Entscheidungen wird das Konzept einer dezen-
tralen Energieerzeugung in Frage gestellt (Untergraben von Annahmen und Überzeugun-
gen). Dies führt zur Schwächung des in den ersten Phasen der Energietransition geschaf-
fenen innovativen Milieus, „weil wenn dieser Bottom-Up-Ansatz mal so richtig losläuft,
dass eine Region sich komplett […] auf den Weg macht und dann kommt von der großen
Politik […] der Hammer, das tut einem weh“ (Vertreter*in Unternehmen).
Angesichts dieser veränderten Rahmenbedingungen wählen die Akteure im Allgäu
unterschiedliche Anpassungsstrategien, um einerseits bestehende Institutionen zu erhal-
ten und andererseits neue zu schaffen. Den regionalen Energieversorgungsunternehmen
kommt in der gegenwärtigen Stagnationsphase eine wichtige Rolle zu. Aufgrund ihrer
Ressourcenausstattung verfügen sie über ein relativ großes Handlungspotential, wodurch
sie neue Entwicklungspfade identifizieren und initiieren können. Im Bereich technolo-
gischer Innovationen wird hierbei dem Ausbau von PV-Anlagen inklusive Speicher mit
Modellen der Eigenstromnutzung großes Potential zugewiesen. Aktuell ist zu beobachten,
„dass der Markt sich in diese Richtung entwickelt, dass immer mehr Kunden eben den
Strom dann auch zur Eigenerzeugung nutzen“ (Vertreter*in Energieversorgungsunter-
nehmen) und dass „die Leute im Zweifelsfall auch sagen, ‚ach, da guck ich jetzt gar nicht
so sehr auf den Cent‘, sondern das ist eine wahnsinnige Faszination, die Idee, ich kann
selber meinen Strom erzeugen und auch selbst verbrauchen. Und gerade auch im Allgäu
sicherlich, mit der ländlichen Region, viele Eigenheime, viele mit eigener PV-Erzeugung
auf dem Dach“ (Vertreter*in Energieversorgungsunternehmen). In diesem Kontext ist
auch mit einer verstärkten Bedeutung des Themas Sektorenkopplung zu rechnen, also
einer wechselseitigen Abstimmung der Bereiche Strom, Wärme und Mobilität. Regionale
Energieversorgungsunternehmen entwickeln hierfür neue Modelle der Energieerzeugung
und -nutzung und vermarkten diese (Theorisieren). Technologischer Fortschritt, z. B. in
Form von Power-to-heat, Power-to-gas, Wärmepumpen, Batteriespeichern oder intelligen-
ten Ladesystemen, stellt hierbei eine bedeutende Voraussetzung der Sektorenkopplung
dar. Darüber hinaus ist festzustellen, dass die Energieversorgungsunternehmen aufgrund
der regional spezifischen Hindernisse im Bereich Windkraft (10H-Regelung; Drehfunk-
feuer) ihr Investitionsverhalten räumlich neu ausrichten, z. B. nach Baden-Württemberg,
um dort Windanlagenstandorte zu prüfen und gegebenenfalls Anlagen zu errichten.
Als Reaktion auf die eingeschränkten Handlungsmöglichkeiten im Bereich des Aus-
baus erneuerbarer Energien wenden sich Akteure in Kommunen, Unternehmen und der
Energieberatung verstärkt den Themen Energieeffizienz und -einsparung zu. Gleichzeitig
sind jedoch auch eine partielle Abkehr von energiespezifischen Themen und eine Fokus-
sierung auf andere Tätigkeitsfelder wie z. B. Klimawandelanpassung oder Bildung festzu-
stellen.
Die Stagnationsphase verdeutlicht die Abhängigkeit der dezentralen Energietransition
von regionsexternen Strukturen. Die Entwicklungen auf höherer politisch-administrati-
ver Ebene führten zu einer Zerstörung von Institutionen (Abwärts-Kausalität) und einer
signifikanten Verlangsamung des Ausbaus erneuerbarer Energien. Bislang zeigt sich kein
einheitliches Muster im Umgang der Akteure mit den veränderten Rahmenbedingungen.
286 Michael Jedelhauser und Anne von Streit
Einerseits führen Akteure bestehende Praktiken fort und versuchen Institutionen und
Wachstumspfade der vergangenen Phasen zu erhalten und zu reproduzieren. Andererseits
werden Versuche unternommen, neue Pfade zu entwickeln, z. B. in Form neuer regionaler
Geschäftsmodelle, aber auch durch eine räumliche und thematische Umorientierung der
Modelle und Praktiken.
entspricht jedoch weniger einer Stabilisierung im Sinne Rotmans et al. (2001) als vielmehr
einer Stagnation der dezentralen Energietransition in Form eines gebremsten Ausbaus er-
neuerbarer Energien und rückläufigen kommunalpolitischen und zivilgesellschaftlichen
Engagements. Diese Entwicklungen verdeutlichen die Abhängigkeit regionaler Energie-
transitionen von Entscheidungen auf übergeordneten politisch-administrativen Ebenen
und von finanziellen Anreizen, die erneuerbare Energien mit der Möglichkeit der Einkom-
mensgenerierung verknüpfen. Die jüngste Phase zeigt, dass die Schaffung und Erhaltung
regulativ, normativ und kulturell-kognitiv basierter Institutionen nicht in gleichem Maße
und gleicher Geschwindigkeit erfolgten. Trotz des Booms der dezentralen Energieerzeu-
gung in der Beschleunigungsphase und des zwischenzeitlich gestiegenen Bewusstseins
in der Konsolidierungsphase ist es demnach nicht in ausreichendem Maße gelungen, den
Ausbau erneuerbarer Energien auf normativen und kulturell-kognitiven Säulen aufzubau-
en. Vielmehr stellt die Einkommensgenerierung mittels erneuerbarer Energien weiterhin
die wesentliche Bedingung für ein breites zivilgesellschaftliches Engagement dar. Diese
Entwicklungen deuten zum einen darauf hin, dass es für eine resiliente Transition einer
möglichst parallelen und synchronen Schaffung und Erhaltung regulativ, normativ und
kulturell-kognitiv basierter Institutionen bedarf. Zum anderen verdeutlicht die Einbettung
regionaler Energietransitionen und -systeme in multi-skalare Strukturen die Möglichkei-
ten, aber auch die Grenzen der Schaffung autonomer und souveräner kleinräumiger Pro-
zesse und Systeme, wie sie beispielsweise im regionalen Resilienzverständnis der Transit-
ion-Town-Bewegung angestrebt wird (Hopkins 2008).
Trotz der Stagnation in der fünften Phase wäre es jedoch verfrüht, der regionalen Ener-
gietransition im Allgäu per se eine (zu) geringe Resilienz zu unterstellen. Vielmehr ist auf
organisatorischer Ebene festzustellen, dass etablierte regionale Akteure, wie z. B. die re-
gionale Energieagentur, Energieversorgungsunternehmen oder Klimaschutzmanager, bis-
lang fortbestehen und ihre Aktivitäten im Rahmen der gegenwärtigen Möglichkeiten wei-
terführen. Aus diesen resistenten organisationalen Strukturen leitet sich auch zukünftig
Handlungspotenzial ab. Die Akteure im Allgäu sind daher gegenwärtig mit der Herausfor-
derung konfrontiert, einerseits bestehende Institutionen der dezentralen Energietransition
an die Rahmenbedingungen anzupassen und zu erhalten sowie andererseits neue Institu-
tionen zu schaffen, um die Gefahr institutioneller Hysterese zu vermeiden. Die Erneue-
rung von Institutionen und Praktiken stellt eine wichtige Voraussetzung für die Resilienz
der Transition dar, wobei hier unterschiedliche Strategien feststellbar sind. So versuchen
regionale Akteure durch die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle neue Wachstumspfade
zu erschließen. Angesichts voraussichtlich auch zukünftig weiter rückläufiger Einspei-
severgütungen werden Modelle entwickelt, die erneuerbare Energien förderunabhängig
am freien Markt etablieren können. Gegenwärtig diskutierte Technologien des Eigenver-
brauchs könnten eine Möglichkeit darstellen, die auf normativen und kulturell-kognitiven
Säulen aufbauenden Institutionen, wie z. B. die im Allgäu ausgeprägte regionale Identi-
tät, die Bedeutung regionaler Wertschöpfung und der Wunsch nach einer – zumindest
gefühlten – individuellen Energieautarkie, zu nutzen und darauf aufbauend den Ausbau
erneuerbarer Energien und die Sektorenkopplung zu forcieren. Gleichzeitig deuten Um-
288 Michael Jedelhauser und Anne von Streit
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Ein indikatorengestützter Ansatz zur Resilienz-
analyse von Energiesystemen in Transition1
Theoretische Konzeptualisierung und
empirische Anwendung im bayerischen Allgäu
Zusammenfassung
Die soziale und technische Transition unseres Energiesystems mit dem Ziel einer grö-
ßeren Nachhaltigkeit ist schon längst nicht mehr nur ein politisches Vorhaben, sondern
befindet sich mitten in der Umsetzung. Während traditionelle Energieversorger und
Energieproduktionstechnologien unter Druck geraten, treten neue Akteure auf den
Plan und es werden fortlaufend neue Gesetzgebungen, Geschäftsmodelle und Techno-
logien entwickelt. Mit diesen fundamentalen Umwälzungen stellt sich die Frage, wie
ein sich transformierendes regionales Energiesystem entlang eines vorgegebenen Tran-
sitionspfades resilient gestaltet werden kann. In diesem Kapitel schlagen wir einen in-
dikatorengestützten Ansatz zur Konzeptualisierung und Operationalisierung von Resi-
lienz regionaler Energiesysteme in Transition vor. Wir basieren diesen Ansatz auf zwei
Kernkonzepten der Resilienz – Diversität und Konnektivität – und zeigen in einem
ersten Schritt, wie diese sowohl für die technischen als auch die sozialen Aspekte eines
regionalen Energiesystems in jeweils drei Indikatoren ausdifferenziert werden kön-
nen. Als Diversitätsindikatoren werden Varietät, Balance und Disparität verwendet; als
1 Danksagung Wir danken dem Bayrischen Forschungsverbund ForChange und der Schweizer Mo-
biliar für die finanzielle Unterstützung dieser Studie sowie Bärbel Hinterberger für ihre intensive
Arbeit zur regionalen Energieflussanalyse und allen Interviewpartnern aus der Region für ihre
Zeit und ihre umfangreichen Auskünfte.
293
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2018
M. Karidi et al. (Hrsg.), Resilienz,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-19222-8_15
294 Susan Mühlemeier, Romano Wyss und Claudia R. Binder
1 Einleitung
Die bevorstehende Transition2 des Energiesystems hin zu größerer Nachhaltigkeit gilt als
eine der größten Herausforderungen des 21. Jahrhunderts (Leipprand et al. 2016). Aus
analytischer Perspektive kann der Energiewendeprozess dabei als eine Abfolge schock-
artiger Veränderungen und kleinschrittiger Anpassungsprozesse auf einem bestimmten
Transitionspfad verstanden werden (Rotmans et al. 2001). Während des gesamten Tran-
sitionsprozesses müssen Akteure sowohl bevorstehende Veränderungen antizipieren und
sich an diese Veränderung anpassen als auch aus völlig neuen Situationen lernen und
die ihnen zur Verfügung stehenden technischen Möglichkeiten möglichst erfolgreich nut-
zen (Martens und Rotmans 2005; Rotmans und Fischer-Kowalski 2009). Nach Grin et
al. (2010) sind Transitionsprozesse „tief in gesellschaftlichen Strukturen, Routinen und
Kultur verwurzelt“ (Grin et al. 2010, Übers. d. Verf.). Dies bedeutet, dass die Transition
des Energiesystems integriert analysiert werden muss, d. h. unter Berücksichtigung der
Koevolution technischer und gesellschaftlicher Faktoren (Minsch et al. 2012; Hodbod und
Adger 2014). Ein wichtiger Aspekt ist dabei, dass Akteure die Transition einerseits kon-
tinuierlich vorantreiben müssen, andererseits das technische System der Energieproduk-
tion und -verteilung während des gesamten Transitionsprozesses fehlerfrei funktionieren
muss. Dies ist nicht nur von ökonomischer Bedeutung, um eine konstante Energieversor-
gung zu gewährleisten, sondern auch von politischer Relevanz, um die gesellschaftliche
Unterstützung für die Transition zu garantieren und ungewollte Störungen zu verhindern
(Mühlemeier et al. 2017a).
Im wissenschaftlichen Diskurs zur Energiewende wird dezentralisierten Energiesyste-
men eine entscheidende Rolle zugesprochen, um einen höheren Anteil der erneuerbaren
Energien in der Energieversorgung und damit eine CO2-Reduktion und den Wandel hin
zu mehr Nachhaltigkeit zu erreichen (Johansson et al. 2016). Der Bedeutungszuwachs
der regionalen Ebene wurde auch von der Europäischen Union (EU) entsprechend be-
stätigt (Breidenich et al. 1998). Im weiteren Verlauf dieses Kapitels nehmen wir daher
2 Transition wird hier bewusst anstelle des im deutschen gebräuchlicheren Begriffes Transformation
verwendet, um die Einbettung des Kapitels in den Forschungsstrang der socio-technical transitions
towards sustainability zu verdeutlichen (Chappin und Ligtvoet 2014).
Ein indikatorengestützter Ansatz zur Resilienzanalyse … 295
auf regionale Energiesysteme Bezug und definieren Regionen als territoriale Einheiten,
die mehrere EU NUTS3 Regionen (Eurostat 2015) umfassen. In Deutschland entspricht
dies dem Zusammenschluss mehrerer Landkreise unterhalb des Regierungsbezirksebene.
Was in diesem Kontext bisher kaum berücksichtigt wurde, ist die Analyse der Resilienz
regionaler Energietransitionen gegenüber kurzfristigen Schocks und sich langfristig ver-
ändernden Rahmenbedingungen. Damit die Transition eines sozio-technischen Energie-
systems erfolgreich sein kann, muss sowohl das fehlerfreie Funktionieren des technischen
Teilsystems als auch die soziale Akzeptanz dieses Prozesses entlang des gesamten Tran-
sitionspfades gewährleistet sein (O’Brien und Hope 2010). Das Energiesystem muss daher
in seiner Funktion resilient gegenüber externen und internen Schocks sowie unvorher-
gesehenen Störungen bleiben (Gailing und Röhring 2015; Schilling 2016; Schilling et al.
2017), während es die unterschiedlichen Phasen des Transitionsprozesses durchläuft (vgl.
Abbildung 1). Um dies zu erreichen, müssen sowohl die technischen Komponenten des
Systems in Transition, als auch die Verbindungen zur sozialen Sphäre entlang des Transi-
tionsprozesses berücksichtigt werden.
Abbildung 1 Die vier Phasen sozio-technischer Transitionen (Rotmans et al. 2001, Übers. d. Verf.)
Binder, Mühlemeier und Wyss (2017a) schlagen vor, dass bei der Analyse der Resilienz
von Energietransitionen der Koevolution von technischen und sozialen Subsystemen be-
sondere Aufmerksamkeit gebührt. So ziehen neue Produktions- und Distributionstechno-
logien u. a. neue Institutionen und Akteurstypen nach sich, die zu einer grundlegenden
Änderung im regionalen Gouvernanzsystem führen können (Späth und Rohracher 2012;
Binder et al. 2014; Strunz 2014; Hecher et al. 2016; Sovacool 2016).
Um die Resilienz eines soziotechnischen Energiesystems während des Transitionspro-
zesses zu konzeptualisieren und die Resilienz des Prozesses zu messen, haben Binder
et al. (2017) ein Indikatorenset für die Analyse zweier Kernkonzepte der Resilienz ent-
296 Susan Mühlemeier, Romano Wyss und Claudia R. Binder
wickelt: Diversität und Konnektivität. Dieses Indikatorenset erlaubt die Analyse der Re-
silienz des regionalen Energiesystems während des Transitionsprozesses – sowohl von
technologischer als auch sozialer Perspektive.
Im Rahmen dieses Kapitels wenden wir das Indikatorenset für das Fallbeispiel bayeri-
sches Allgäu an und verfolgen dabei folgende Ziele: i) die Analyse der Resilienz der Ener-
giewende im Allgäu unter Berücksichtigung technischer und sozialer Aspekte; ii) eine
kritische Reflektion der Anwendbarkeit der Indikatoren zur Analyse der Resilienz von
Energiesystemen während des Transitionsprozesses sowie iii) das Herausarbeiten weiterer
Anwendungsmöglichkeiten des Indikatorensets für regionale Fallstudien.
Wir strukturieren dieses Kapitel dafür in folgende Abschnitte: In Abschnitt 2 erläu-
tern wir zunächst die theoriegeleitete Konzeptualisierung und Operationalisierung des
von Binder et al. (2017) vorgeschlagenen Indikatorensets für die Analyse der Resilienz
von sozio-technischen Energiesystemen in Transition. Anschließend wenden wir in Ab-
schnitt 3 diese Indikatoren auf das Fallbeispiel bayerisches Allgäu an und wir schließen
in Abschnitt 4 mit zusammenfassenden Erkenntnissen und Vorschlägen für weitere For-
schungsmöglichkeiten ab.
Die Resilienz eines Systems kann als seine Fähigkeit definiert werden “während eines
Veränderungsprozesses, Störungen zu absorbieren und sich dergestalt zu reorganisieren,
dass es dennoch die gleiche Funktion, Struktur, Identität und Feedbacks behält“ (Walker,
Holling, Carpenter und Kinzig 2004, Übers. d. Verf.). Der gleichen Denkrichtung folgend
beschreibt Folke (2006) die Resilienz als die Fähigkeit eines Systems und seiner Kompo-
nenten sowohl Schocks zu widerstehen (Stabilität des Systems) als sich auch an veränderte
Rahmenbedingungen anpassen zu können (Anpassungsfähigkeit des Systems). Systeme
können dabei als Ensemble qualitativ verschiedener Systemkomponenten (Entitäten) und
ihrer Verbindungen verstanden werden, z. B. Produktionsstätten, Verteilknoten und Kon-
sumenten, die durch Energie- und / oder Informationsflüsse verbunden sind. Basierend auf
diesem Systemverständnis kann Resilienz als eine Funktion der Diversität der System-
komponenten und der Konnektionsmuster zwischen den Komponenten verstanden werden
(Lietaer et al. 2010; Fath et al. 2015).
Die bisherige Forschung im Bereich der Ökologie weist zudem auf die sowohl stati-
schen als auch dynamischen Elemente der Resilienz hin, die einem System erlauben, in
einem dynamischen Gleichgewichtszustand zu bleiben (Foxon et al. 2009; Folke et al.
2010). Im weiteren Verlauf dieses Kapitels berücksichtigen wir die ökologischen Aspekte
des Energiesystems jedoch nur indirekt durch das Ressourcenfundament, das den ent-
sprechenden Technologien zu Grunde liegt und fokussieren uns auf ein sozio-technisches
Systemverständnis (Geels 2004).
Ein indikatorengestützter Ansatz zur Resilienzanalyse … 297
Wir erachten eine Transition als resilient, wenn das untersuchte System entlang des
gesamten Transitionspfades resilient ist (Gunderson 2001). Daher wird ein Energiesys-
tem während einer resilienten Transition verschiedene Phasen durchlaufen, stabilere und
adaptivere, die durch unterschiedliche Konfigurationen der sozialen und technischen Sub-
systeme charakterisiert sind. Das System darf jedoch insgesamt seine Resilienz nie ganz
verlieren.
Um unser Resilienzkonzept auf konkrete Fallbeispiele anwenden zu können, operatio-
nalisieren wir die sozialen Elemente eines sozio-technischen Energiesystems als soziale
Arenen und die technologischen als Technologiegruppen. Fortan wird daher zwischen
dem sozialen und dem technischen Teilsystem unterschieden. Ist das gesamte Energie-
system gemeint, wird vom sozio-technischen System gesprochen.
Soziale Arenen werden dabei als „gesellschaftliche ‘Teilsysteme’, ‘Sphären’ [… de-
finiert], die je nach ihrer Funktion durch unterschiedliche Rationalitäten bzw. ‚Codes‘
(nach Luhmann) geprägt sind“ (Späth et al. 2007). Gemeinhin werden diese Arenen durch
ihre charakteristische Struktur sowie ihre funktionalen Eigenschaften gekennzeichnet.
So kann beispielsweise zwischen der politischen, der unternehmerischen und der Bevöl-
kerungsarena unterschieden werden. Dieser Arenenansatz erlaubt es, die große Anzahl
und Vielfalt der Akteure eines Energiegouvernanzsystems sowie die Komplexität ihrer
Interaktionsmuster besser zu bewältigen (Späth et al. 2007; Späth und Rohracher 2010).
Bezüglich des technologischen Systems unterscheiden wir unterschiedliche Techno-
logiegruppen zur Produktion (erneuerbarer) Energien, wie es von Kost et al. (2013) bereits
angewandt wurde. Diese Unterscheidung erlaubt eine präzisere Analyse des Energiepro-
duktionsystems als die Gruppierung nach Energieressourcen (Wind, Wasser, Sonne etc.),
ist jedoch weniger detailliert als die Untersuchung jeder einzelnen Produktionstechno-
logie.
In den folgenden Unterkapiteln erläutern wir die von Binder et al. (2017) vorgeschla-
genen Indikatoren, anhand derer Diversität und Konnektivität eines Energiesystems in
Transition unter Berücksichtigung seiner sozialen und technologischen Elemente gemes-
sen werden können.
2.1 Diversität
Nach Stirling (2007) wird der Diversitätsbegriff über verschiedene Disziplinen und Sys-
temkontexte hinweg ähnlich definiert und gemessen. Diversität kann dabei auf Basis drei-
er grundlegender Eigenschaften konzeptualisiert werden: Varietät, Balance und Disparität
(vgl. Tabelle 1). Obwohl eine fortwährende Debatte darüber besteht, ob diese drei Indika-
toren ausreichend sind (Sokal und Sneath 1970; Stirling 1998; Stirling 2007, 2010; Rafols
und Meyer 2008), beschränken wir uns für die vorliegende Arbeit dennoch auf dieses drei.
Aus Tabelle 1 können Vorschläge zur Messung und Anwendung der Diversitätsindikato-
ren für das Energiesystem entnommen werden.
298 Susan Mühlemeier, Romano Wyss und Claudia R. Binder
2.1.1 Varietät
Für das soziale Teilsystem beschreibt die Varietät die Anzahl an sozialen Arenen, welche
im regionalen Energiegouvernanzsystem nachgewiesen werden können. Für das techni-
sche Teilsystem beschreibt die Varietät die Anzahl der Technologiegruppen, welche im
regionalen Energieproduktionssystem an der Energieproduktion beteiligt sind.
2.1.2 Balance
Für das soziale Teilsystem beschreibt die Balance die Anzahl der Akteure pro sozialer
Arena im Vergleich zur Gesamtanzahl der Akteure im regionalen Energiegouvernanz-
system. Für das technische Teilsystem beschreibt die Balance den Anteil der einzelnen
Technologiegruppe an der Gesamtenergieproduktion im regionalen Energieproduktions-
system.
Ein indikatorengestützter Ansatz zur Resilienzanalyse … 299
2.1.3 Disparität
Für das soziale Teilsystem beschreibt die Disparität die qualitativen Unterschiede zwi-
schen den sozialen Arenen des regionalen Energiesystems, die sich z. B. in unterschied-
licher Kommunikationsform, Koordinationsform, typischen Handlungsweisen, dem Zeit-
horizont oder der räumlichen Skalierung niederschlagen (Wyss et al. 2017a). Für das
technische Teilsystem beschreibt die Disparität die qualitativen Unterschiede zwischen
den Technologiegruppen des regionalen Energieproduktionssystems, die sich z. B. in
unterschiedlicher Energieeffizienz, Ressourcenbasis, CO2-Emission, Oberflächenbedarf,
Wetterabhängigkeit und Gestehungskosten äußern (ebd.).
2.2 Konnektivität
Die durchschnittliche Pfadlänge beschreibt auf das soziale Teilsystem angewandt die An-
zahl der Schritte, die man im Durchschnitt benötigt, um als Akteur einer Arena auf dem
kürzesten Weg die Akteure einer beliebigen (anderen) Arena im System zu erreichen.
Global betrachtet erlaubt eine kurze durchschnittliche Pfadlänge Informationen inner-
halb einer Systems schneller zirkulieren zu lassen (Wasserman und Faust 1994). Auf das
technische Teilsystem angewandt beschreibt die durchschnittliche Pfadlänge die Anzahl
an Knotenpunkten zwischen unterschiedlichen Produktionsstätten beziehungsweise zwi-
schen Produktions- und Konsumtionsstätten innerhalb des Systems (z. B. Umspannwerke,
Verteilstationen etc.).
stigen Perspektive, da angesichts eines drohenden Schocks eine effektive Zusammenarbeit zwi-
schen Akteuren erleichtert wird, und andererseits längerfristig, da die Anpassungsfähigkeit des
Gesamtsystems durch höhere Raten des Wissensaustauschs und der Kommunikation gestärkt
wird (Scott 2012; Wyss et al. 2015). Im technischen System kann sich eine höhere Pfadlänge in-
sofern resilienzfördernd auswirken, als dass die längere Übertragungszeit und die höhere Zahl
an Knoten entlang eines Verteilungspfades Interventionen bei gefährlichen Versorgungsstö-
rung im regionalen Energieverteilungsnetz erleichtert. Aus der Literatur ist bekannt, dass eine
höhere durchschnittliche Pfadlänge generell die Stabilität technischer Systeme erhöht, welche
anfällig auf Kaskadeneffekte sind (siehe z. B. Ash und Newth 2007).
2.2.2 Gradzentralität
Die Gradzentralität stellt neben der Nähe- und der Zwischenzentralität den zentralen In-
dikator zur Messung von Zentralität in Netzwerken dar (Weimann 1982). Für das soziale
Teilsystem beschreibt die Gradzentralität die Anzahl der Verbindung zwischen Akteuren
einer Arena und den Akteuren aller anderen Arenen im Vergleich zur Anzahl der ins-
gesamt theoretisch möglichen Verbindungen zwischen den Arenen. Die Gradzentralität
beschreibt entsprechend den Vernetzungsgrad eines Akteurs oder einer Arena im Gesamt-
system. Im technischen Teilsystem haben bestimmte Technologiegruppen (Flusslaufkraft-
werke, Kohlekraftwerke, Atomkraftwerke) je nach Region historisch eine unterschiedlich
hohe Zentralität entwickelt. Die Netzwerkstruktur des Energiesystems ist entsprechend
auf die Dominanz bestimmter Technologiegruppen ausgelegt.
2.2.3 Modularität
Im sozialen Teilsystem beschreibt die Modularität die Tendenz der Akteure, über die Are-
nengrenzen hinweg Untergruppen zu bilden, die unter sich besonders gut vernetzt und
vom restlichen Netzwerk teilweise losgelöst sind. Die Modularität im technischen Teil-
302 Susan Mühlemeier, Romano Wyss und Claudia R. Binder
system kann unterschiedlich definiert werden. Für das Stromsystem können (teil-)abkop-
pelbare Verteilungsnetze von Produzenten zu Konsumenten identifiziert werden (Micro-
Grids). Im Wärmenetz kann man die Modularität des Teilsystems als die (teil-)entkoppelte
Versorgungsstruktur von Versorgungspunkten (Gas, Erdöl, Fernwärme) zu Konsumenten
verstehen.
Allgemein können vier idealtypische Fälle unterschieden werden, die sich bezüglich der
jeweiligen Ausprägung der Diversität und Konnektivität unterscheiden (Binder et al. 2017):
regionale Energiesysteme mit hoher Diversität und hoher Konnektivität, welche ideale
Voraussetzungen für eine resiliente Transition mitbringen; regionale Energiesysteme mit
tiefer Diversität und tiefer Konnektivität, welche eine sehr eingeschränkte Resilienz der
Transition aufweisen und Mischformen mit unterschiedlicher Ausprägung der Diversität
und Konnektivität in den sozialen und technischen Teilsystemen.
Ein indikatorengestützter Ansatz zur Resilienzanalyse … 303
Im folgenden Abschnitt wenden wir das oben besprochene Indikatorenset zur Analyse der
Resilienz eines regionalen Energiesystems in Transition auf die Region des bayerischen
Allgäus an. Die Region umfasst die vier Landkreise Ost-, Ober- und Unterallgäu sowie
Lindau und die kreisfreien Städte Memmingen, Kaufbeuren und Kempten und liegt am
südwestlichen Alpenrand Bayerns (vgl. Abbildung 2). Das bayerische Allgäu kann als eine
der Vorreiterregionen in Deutschland hinsichtlich des Fortschritts der Energiewende ge-
sehen werden. Heute werden im bayerischen Allgäu ca. 39 % des Gesamtstromverbrauchs
aus erneuerbaren Energien produziert – der Landkreis Ostallgäu ist dabei mit 109 % Spit-
zenreiter in der Region (BStMWi 2016).
keine vollständige Darstellung der Konnektivität des sozialen Teilsystems in der Region
erlaubt, kann hiermit auch ohne Vollerhebung eine intersubjektive Aussagekraft erlangt
werden.
Hinsichtlich des technischen Teilsystems konnte auf die Daten einer Energieflussana-
lyse (Baccini und Bader 1996; Hendriks et al. 2000; Hug et al. 2004) zurückgegriffen
werden, die im Rahmen einer Masterarbeit des ForChange Forschungsprojekts „Transfor-
mationsprozesse zu einem nachhaltigeren Energiesystem“ entstand (www.forchange.de).
Hierzu wurden für die Region bayerisches Allgäu alle Energieflüsse (Produktion, Trans-
port und Konsumption von Elektrizität und Wärme) ermittelt, die aus öffentlichen Daten
für das Jahr 2011 berechnet werden konnten. Für die Elektrizitätsproduktion wurden das
EEG-Register der Übertragungsnetzbetreiber (Amprion 2017; TenneT 2017; TransnetBW
2017), EEG-Meldungen der Verteilnetzbetreiber (AllgäuNetz GmbH und Co. KG 2017;
Elektrizitätsgenossenschaft Rettenberg 2017; Elektrizitätswerk Hindelang eG 2017; LEW
Verteilnetz 2017; Stadtwerke Bad Wörishofen 2017; VWEW-energie 2017; Weißachta-
ler Kraftwerke 2017), Daten des Energieatlas Bayern (StMWi 2017) sowie Daten ein-
zelner Anlagenbetreiber verwendet. Nicht EEG-geförderte Anlagen mussten geschätzt
werden, PV und Windkraftanlagen konnten durch ihren geringen Anteil vernachlässigt
werden (beides unter Zuhilfenahme des lokalen Expertenwissens der eza!). Die Daten
für die Wärmeproduktion wurde ebenfalls dem Energieatlas Bayern, einem Bericht des
eza! (Böhm et al. k.A.) und Angaben einzelner Anlagenbetreiber entnommen. Visualisiert
wurde die Analyse mit STAN 2.5 (http://stan2web.net). Es wurde davon ausgegangen,
dass der Energieverbrauch im Bereich Mobilität auf fossilen Energieträgern basiert. Die-
ser Bereich wurde für den weiteren Verlauf der Analyse nicht berücksichtigt, da der Fokus
auf den Wandel in Richtung eines höheren Anteils erneuerbarer Energien gelegt wurde
und dieser im Mobilitätsbereich (noch) kaum spürbar ist.
Zur Analyse der Diversität haben wir die drei erwähnten Indikatoren wie folgt angewandt:
Varietät – wie viele soziale Arenen sind an der Transition des regionalen Energiesystems
beteiligt? Balance – Wie viele Akteure sind pro Arena beteiligt? Disparität – Wie unter-
schiedlich sind die beteiligten Arenen? 4
4 Für eine zusammenfassende, tabellarische Darstellung der Ergebnisse siehe auch Mühlemeier, Bin-
der und Wyss (2017b)
306 Susan Mühlemeier, Romano Wyss und Claudia R. Binder
4.1.1 Varietät
Folgende soziale Arenen konnten aus den Angaben der Befragten ermittelt werden:
Die Varietät des sozialen Teilsystems ist im bayerischen Allgäu hoch und kann daher für
die Resilienz der Transition des Energiesystems positiv bewertet werden, da verschiedene
Gesellschaftsbereiche mit ihren Interessen an der Steuerung und Entwicklung des Ener-
giesystems beteiligt sind.
4.1.2 Balance
Eine Berechnung der Balance – wie von Binder et al. (2017) vorgeschlagen – ist für diese
Arbeit aufgrund der qualitativ erhobenen Wahrnehmungen der Befragten nicht sinnvoll.
Es handelt sich um Einzelwahrnehmungen zu einem bestimmten Zeitpunkt, die keine
Ein indikatorengestützter Ansatz zur Resilienzanalyse … 307
Vollerhebung darstellen und die Balanceberechnung wäre darüber hinaus auch die Mehr-
fachbeteiligung der individuellen Akteure in verschiedenen Arenen (z. B. sowohl Inhaber
einer Firma als auch Vereinsvorstand und Kommunalpolitiker) oder der gleichen Arena
(z. B. in mehreren Vereinen) verzerrt.
Wir haben stattdessen aus den Experteninterviews deskriptiv abgeleitet, wie viele Or-
ganisationen von den Befragten in den jeweiligen Arenen genannt wurden (vgl. Abbildung
4), auch wenn dies ebenfalls nur ein Abbild einer einmalig erhobenen Wahrnehmung dar-
stellt.
Man kann aus dieser Erhebung ableiten, dass die meisten Organisationen im Bereich der
Arena Vereine genannt wurden, darauf folgend etwa ähnlich viele in Politik, Energie-
wirtschaft und Wirtschaft; deutlich weniger dagegen in der Arena Forschung und am
wenigsten in der Arena Medien. Die Balance des sozialen Systems ist daher insgesamt im
mittleren Bereich, da in der Wahrnehmung der Befragten zwar nicht alle Arenen gleich
stark vertreten sind, jedoch auch keine Arena das System allein dominiert. Politik, Ver-
eine, Wirtschaft und Energiewirtschaft sind an der Transition des regionalen Energiesys-
tems gleichermaßen beteiligt, was hinsichtlich der Resilienz des Prozesses positiv bewer-
tet werden kann. Sollte ein externer Schock eine der Arenen besonders stark treffen und
diese die Transition nicht weiter unterstützen, kann sie dennoch von den anderen Arenen
weitergetragen werden.
4.1.3 Disparität
Wie bereits im Abschnitt zur Varietät angedeutet, definieren sich die sozialen Arenen
durch ihre qualitativen Unterschiede, wobei der Unterschied zwischen der Energiewirt-
schaft und der sonstigen Wirtschaft besonders deutlich wird. Nach Wyss et al. (2017)
zeichnet sich die Arena Wirtschaft durch eine marktbasierte Koordination sowie produ-
zierende, handelnde oder servicebasierte Handlungsweisen aus und ist dabei lokal bis hin
308 Susan Mühlemeier, Romano Wyss und Claudia R. Binder
zu global orientiert. Die Arena Politik zeichnet sich dagegen durch eine hierarchische
Organisation, das Agieren durch Regulation oder Subventionen und ein Fokussieren auf
die lokale oder regionale Ebene aus. Die Teilarena Energiewirtschaft kann zwischen die-
sen beiden Archetypen angesiedelt werden, da z. B. Energieversorgungsunternehmen zwar
marktwirtschaftlich funktionieren, jedoch gleichzeitig einer Kommune unterstellt oder
rechenschaftspflichtig sein können. Die Arena der Vereine zeichnet sich schließlich durch
eine netzwerkartige Organisation sowie eine Langfristorientierung und ebenfalls regio-
nale Verankerung aus. Vernetzen, informieren und lobbyieren stellen ihre Hauptaktions-
formen dar.
Für den sozialen Teil des Energiesystems bedeutet dies, dass die Disparität hoch ist und
die Akteure in der Energiewende sowohl marktwirtschaftlichen als auch hierarchischen
Logiken folgen. Sie produzieren und vermarkten einerseits Produkte in der Region, an-
dererseits verwalten und vernetzen die Akteure des Energiesystems in der Region. Diese
enorme Vielfalt der Handlungslogiken der Akteure kann natürlich zu Spannungen und
Reibungsflächen führen und wird daher hinsichtlich der Resilienz der Transition sowohl
positiv als auch negativ bewertet. Können die Differenzen zwischen den beteiligten Ak-
teuren der verschiedenen Arenen nicht überwunden werden, wird die Transition ausge-
bremst. Findet sich aber ein Konsens zwischen den Arenen, kann auf unterschiedlichste
Wissensformen, Handlungs- und Organisationsformen zurückgegriffen werden, die im
Falle eines externen Schocks oder der Veränderung der Rahmenbedingungen die Anpas-
sungsfähigkeit des Systems enorm erhöht – und die Resilienz der Transition steigt. Dies
kann jedoch nur durch eine entsprechende Vernetzung der Akteure zwischen den Arenen
gelingen, was im folgenden Abschnitt untersucht wird.
Für die Konnektivität des sozialen Systems haben wir die drei von Binder et al. (2017) vor-
geschlagenen Indikatoren wie folgt angewandt: Durchschnittliche Pfadlänge – Wie direkt
sind die Akteure bzw. über die Akteure auch die Organisationen miteinander vernetzt?
Gradzentralität – gibt es einen Akteur, bzw. eine Organisation die besonders stark vernetzt
ist? Modularität – gibt es Teile des Netzwerks, die vergleichsweise stärker untereinander
vernetzt sind?
Auch für die von Binder et al. (2017) vorgeschlagene Berechnung der durchschnittlichen
Pfadlänge muss einschränkend festgehalten werden, dass die qualitativ erhobene Daten-
grundlage, die keine Vollerhebung der sozialen Netzwerke in der Region darstellt, keine
vergleichbare Pfadlängenberechnung erlaubt. Die hier angegebenen Zahlen sollen daher
lediglich als Anwendungsbeispiel des vorgeschlagenen Ansatzes dienen.
Ein indikatorengestützter Ansatz zur Resilienzanalyse … 309
4.2.2 Gradzentralität
Wendet man die von Binder et al. (2017) vorgeschlagene Formalisierung für die Messung
der Gradzentralität an, so ergibt sich für die eza! ein Zentralitätswert von 9,7 %. Sie ist da-
mit die zentralste Organisation des Netzwerkes (vgl. auch Mühlemeier und Knöpfle 2016).
Daraufhin folgen die vier zentralsten Akteure: ein Landrat, ein Verbandsvorsitzender und
zwei Akteure aus der Wirtschaft mit einer Gradzentralität von 4,7 % bis 3,4 % sowie vier
Organisationen aus der Energiewirtschaft und der Arena der Vereine (hier: zur Regio-
nalentwicklung) mit einer Gradzentralität von 3,4 % bis 3,2 %. Auch für die Berechnung
der Gradzentralität gilt die oben genannte Einschränkung und der Hinweis, dass es sich
hier um individuelle Wahrnehmungen handelt, die nicht gewichtet werden konnten und
lediglich der Veranschaulichung des theoretischen Ansatzes dienen. Trotzdem zeigt sich,
dass Akteure und Organisationen aus den Arenen Vereine, Politik, Wirtschaft und Ener-
giewirtschaft nicht nur am stärksten vertreten sind im Netzwerk (vgl. Balance), sondern
auch die zentralsten Positionen im Netzwerk einnehmen. Es wird wiederum deutlich, dass
abgesehen von der eza! keine Zentralität von Organisationen aus lediglich einer Arena
festzustellen ist. Das soziale Teilsystem wird von den Akteuren insgesamt als ausgewogen
wahrgenommen, mit einem klaren zentralsten Akteur, der eza! (vgl. Abbildung 5).
Für die Resilienz des Systems kann diese Struktur sowohl positiv wie auch negativ be-
wertet werden: Solange die eza! als zentraler Akteur die Transition unterstützt und weiter
vorantreibt und dabei von den Akteuren des Netzwerks unterstützt wird, wirkt sich dies
enorm förderlich auf den Transitionsprozess aus, da direkte Impulse von der eza! in das
gesamte Netzwerk ausgehen. Steht die eza! jedoch nicht mehr hinter der Transition oder
wird als Treiber der Energiewende nicht mehr unterstützt, fehlt dem Netzwerk der zentrale
Koordinationspunkt und die Transition gerät ins Stocken. Dies könnte eventuell durch
die zentralen Akteure und Organisationen, die der eza! in der Abstufung der Zentralität
folgen, abgefangen werden. Hier wirkt sich wiederum die Balance zwischen den Arenen
positiv aus, die ein weiteres Gelingen der Energiewende ermöglicht.
310 Susan Mühlemeier, Romano Wyss und Claudia R. Binder
Medien
Politik
Akteur
Wirtschaft
Energiewirtschaft
Verein
Forschung
Abbildung 5 Gradzentralität: die Größe der Punkte stellt ihre Zentralität dar; Organisationen
wurden nach ihrer Arenenzugehörigkeit anonymisiert
4.2.3 Modularität
Die Berechnung der Modularität basiert auf dem Louvain-Algorithmus (Blondel, Guil-
laume, Lambiotte und Lefebvre 2008). Dieser Algorithmus fasst diejenigen Akteure und
Organisationen zu einem gemeinsamen Modul zusammen, die eine stärkere Vernetzung
untereinander als zu anderen Akteuren oder Organisationen im Netzwerk aufweisen. Dabei
ergeben sich sieben Module innerhalb des Netzwerks (vgl. Abbildung 6), die jeweils wieder
Organisationen aus den unterschiedlichen Arenen beinhalten. Vier Module beinhalten so-
wohl mehrere Akteure und mehrere Organisationen, zwei lediglich einen Akteur und meh-
rere Organisationen und ein Modul besteht alleine aus Organisationen. Insgesamt zeigt es
sich, dass in vier der sieben Module die Akteure und Organisationen bedeutend stärker ver-
netzt sind als in den anderen drei. Bei diesen vier stärker vernetzten Modulen umfasst eines
alle Arenen, die anderen umfassen keine Organisation aus den Medien und jeweils ein
Modul hat keinen Politik- bzw. Energiewirtschaftsvertreter. Es zeigt sich, dass die Module
Ein indikatorengestützter Ansatz zur Resilienzanalyse … 311
sich nicht innerhalb der Arenen, sondern über Arenengrenzen hinweg bilden. Hinsichtlich
der Resilienz der Transition kann dies positiv bewertet werden, da innerhalb der Module
unterschiedliche Ansätze und Ideen zirkulieren können, diese aber dennoch von Vertretern
aus unterschiedlichen Arenen geteilt oder diskutiert werden. Die Energietransition, die von
dem hier untersuchten Akteursnetzwerk aus maßgeblich mit beeinflusst wird, ist aufgrund
der Modularität des Netzwerks und der Repräsentation mehrerer Arenen in den Modulen
für einen lock-in weniger gefährdet, was die Resilienz des Gesamtsystems steigert.
Medien
Politik
Akteur
Wirtschaft
Energiewirtschaft
Verein
Forschung
Für die Analyse der Diversität im technischen Teilsystem haben wir die vorgeschlagenen
Indikatoren wie folgt angewandt: Varietät – Wie viele Technologiegruppen sind an der
regionalen Strom- und Wärmeproduktion beteiligt? Balance – Welchen Anteil hat die
jeweilige Technologiegruppe am insgesamt produzierten Strom und Wärme? Disparität –
wie unterschiedlich sind die verschiedenen Technologiegruppen zur Strom- und Wärme-
produktion?
312 Susan Mühlemeier, Romano Wyss und Claudia R. Binder
4.3.1 Varietät
Aus der Energieflussanalyse für das Jahr 2011 ergab sich, dass zur Stromproduktion im
Allgäu
zum Einsatz (vgl. Abbildung 8). Darüber hinaus werden für die Stromversorgung große
Mengen des Stroms importiert, die aus dem durchschnittlichen nationalen Technologie-
mix entstehen. Für die Wärmeversorgung und Mobilitätsnutzung werden außerdem fossi-
le Brennstoffe importiert (vgl. Abbildung 8). Insgesamt ist die Diversität der in der Region
angesiedelten und über Importe genutzten Energieproduktionstechnologien daher sowohl
für die Strom- als auch für die Wärmeerzeugung hoch und kann hinsichtlich der Resilienz
der Energiewende positiv bewertet werden, da verschiedene Energieproduktionsquellen
die Versorgungssicherheit auch bei großen externen Schocks ermöglichen und der Wandel
des Energiesystems hin zu einem größeren Anteil an erneuerbaren Energien damit tech-
nisch nicht gefährdet ist.
4.3.2 Balance
Abbildung 8 Balance – Anteil der erneuerbaren Energien an der jährlichen Strom- und Wär-
meproduktion 2011
Betrachtet man die Balance innerhalb der regional produzierten erneuerbaren Energien,
dominieren für die Stromproduktion PV und Wasserkraft (38 % und 35 %), gefolgt von
Strom aus Biogasanlagen (22 %) und Windkraft (4%). Bei der regionalen Wärmeprodukti-
on dominiert die Abwärme aus KWK mit 43%, gefolgt von Wärme aus Biomasseheizwer-
ken (33 %), Solarthermie (13%) und Wärmepumpen (11 %). Berücksichtigt man jedoch den
Anteil der erneuerbaren Energien am Gesamtverbrauch, so fällt die Balance insgesamt
für Strom mittel (36 % Anteil) und für Wärme sehr niedrig (15 %) aus. Die Transition des
314 Susan Mühlemeier, Romano Wyss und Claudia R. Binder
Wärmesystems scheint daher – zumindest für die jüngere Vergangenheit – langsamer als
die des Stromsystems zu sein (siehe auch Brockmann 2017; Bundesregierung 2014) und
kann als weniger resilient angesehen werden.
4.3.3 Disparität
Für die Analyse der qualitativen Unterschiede beschreiben wir hier exemplarisch nur die
regional vorhandenen Produktionstechnologien aus erneuerbaren Energien zur Strompro-
duktion, da die Importe aus dem nationalen Strom-Mix für die Charakterisierung des re-
gionalen Produktionssystems wenig relevant sind. Es zeigt sich dabei eine hohe Disparität,
da i) vier sehr unterschiedliche Ressourcengrundlagen verwendet werden, ii) Wind- und
Wasserkraft deutlich effizienter sind als PV-Anlagen und Biomassekraftwerke zur Strom-
erzeugung und iii) die Wetterabhängigkeit von PV- und Windkraftanlagen deutlich höher
ist, als die der Wasserkraft und Biomasseanlagen. Die Gestehungskosten variieren eben-
falls, jedoch weniger stark: nach Kost et al. (2013) liegen sie für Onshore-Windkraft bei
5–11 Cent per kWh, für PV im Mittel bei 8–17 Cent (Kost et al. 2013) und für Wasserkraft
bei 5–10 Cent für Großanlagen und 10–20 Cent für Kleinanlagen (unter 10 MW) (Schü-
nemann 2011). Strom aus Biomasse (Biogas) mit 16–22 Cent per kWh ist dagegen teurer.
In der Zusammenschau bedeutet dies, dass das regionale Stromproduktionssystem sehr
dispers ist: Es vereint sowohl Grund- als auch Spitzenlasttechnologien, mehr oder weniger
wetterabhängige Technologien oder auch teurere und weniger teure Technologien. Dies
wirkt sich positiv auf die Stabilität des technischen Systems bzw. auf die Versorgungs-
sicherheit aus. Hinsichtlich der Resilienz der Transition ist die höhere Disparität ebenfalls
positiv zu werten, da sich die Technologien aufgrund ihrer Unterschiedlichkeit gegensei-
tig ergänzen und die Versorgungssicherheit auch bei höheren Anteilen der erneuerbaren
Energien gewährleistet wird. Zudem verringert die hohe Disparität die Vulnerabilität des
technischen Systems für technologiespezifische externe Schocks und erleichtert ein un-
unterbrochenes Fortschreiten der Transition, selbst wenn solche Schocks eintreten sollte.
Da zur Konnektivität des technischen Teilsystems in der Region keine direkt verwend-
baren Daten zur Verfügung stehen, kann hier lediglich ein Vorschlag zur empirischen
Anwendung der Indikatoren gemacht werden. Dieser wird dann exemplarisch mit Er-
kenntnissen aus dem Allgäu gespiegelt. Für die Analyse der Konnektivität im technischen
Teilsystem ist es ebenfalls sinnvoll Strom und Wärmenetze zu unterscheiden, da sie sehr
unterschiedliche Charakteristika aufweisen: für die Verteilung von Elektrizität steht nur
ein Netz zur Verfügung, das über seine verschiedenen Spannungsebenen (Höchst-, Hoch-,
Mittel- und Niederspannung) stark integriert ist. Es integriert alle Technologiearten zur
Stromproduktion in einer Netzstruktur. Im Bereich der Wärmeversorgung gibt es – je
nach Produktionstechnologie – mehrere Netzwerke, die sich durch ihre unterschiedliche
Ein indikatorengestützter Ansatz zur Resilienzanalyse … 315
Das Stromnetz verfügt auf der Höchstspannungsebene über eine geringe Pfadlänge zwi-
schen den Produktions- und Abnahmepunkten; dies um eine hohe Transportgeschwindig-
keit und geringe Verluste zu erreichen. Die tieferen Netzebenen haben eine höhere Pfad-
länge, da sie über mehrere Umspannungsprozesse den Strom in der Region verteilen und
andersherum auch fehlerhafte Knoten aus dem Netz isolieren können müssen, um eine
schnelle Fehlerverbreitung zu verhindern (Islanding) (vgl. Abbildung 9).
Für den Fall des Allgäus hieße das, dass z. B. PV, Wasserkraft und Windkraft über eine
kürzere Pfadlänge miteinander verbunden sind als z. B. mit der Stromproduktion aus Koh-
le oder Atomkraft. Die Mehrebenenstruktur des Stromnetzes mit den entsprechend unter-
schiedlichen Pfadlängen wirkt sich dabei sowohl positiv als auch negativ auf die Resilienz
des Energietransitionsprozesses aus: Einerseits können die dezentral auf Verteilnetzebene
zunehmenden Erneuerbaren über die langen Pfadlängen in den unteren Spannungsebe-
nen geregelt werden, sodass sich eventuelle Störungen nicht auf Hochspannungsebene
verbreiten. Die Versorgungssicherheit kann somit trotz Wandel garantiert werden und
die Transition kann fortschreiten. Auf der anderen Seite steht diese fixe Zusammenset-
zung aus unterschiedlichen Pfadlängen über die Spannungsebenen auch einer regionalen
Transition im Weg, da aufgrund fehlender Leitungen, Überkapazitäten nicht auf niederen
Spannungsebenen zwischen Regionen verteilt werden können, somit der weitere Ausbau
der Erneuerbaren immer die Gesamtnetzstabilität betrifft und die Transition entsprechend
beeinträchtigt ist.
Im Gegensatz zum Stromnetz in dem alle Produktionstechnologien in einem Netz inte-
griert sind, kann man im Wärmebereich nicht von einem Wärmenetz sprechen. Analysiert
man die einzelnen Netze der Produktionstechnologien im Allgäu getrennt, zeigt sich, dass
sich Nah- und Fernwärmenetze durch die geringste Pfadlänge auszeichnen, da die Wärme
direkt vom Produzenten zum Konsumenten transportiert wird und diese, um Transport-
verluste zu minimieren, weder transformiert noch über lange Strecken und über mehrere
Abnehmer hinweg verteilt wird (vgl. z. B. Fernwärme Marktoberdorf GmbH 2014; ZAK
Kempten 2017). Erd- bzw. Biogasnetze können deutlich höhere Pfadlängen aufweisen, da
die Wärme nicht direkt, sondern in Form von Gas transportiert wird und somit auch über
Dritte an den Konsumenten fließen kann. Da Gas aufgrund seiner Lagerfähigkeit auch
nicht-netzgebunden von Produzent zu Kunde gelangen kann, sind zudem Inselstrukturen
möglich (bestehend aus Tank und Abnehmer) (Erdgas Schwaben 2015; EKO Gas 2017).
Weitere nicht-netzgebundene Ressourcen, wie z. B. Erdöl, Kohle oder Holz, werden über
soziale Händlernetze vom Produzenten zum Kunden gebracht und können damit poten-
tiell die längsten Pfadlängen aufweisen (vgl. Abbildung 10) Im Allgäu ist das Holznetz
jedoch von sehr kurzen Pfadlängen geprägt, da es nicht nur lokal produziert, sondern
auch regional über eine gemeinschaftliche Vermarktungsplattform direkt zum Kunden
gebracht wird – im Gegensatz zur Erdölversorgung, die international über mehrere Zwi-
schenhändler erfolgt.
Ein indikatorengestützter Ansatz zur Resilienzanalyse … 317
4.4.2 Gradzentralität
auf die Resilienz der Transition auswirken, da sie die zentralisierte Verteilstruktur und die
dezentralisierte Produktionsstruktur ausgleichen und zudem die regionale Abhängigkeit
von Stromimporten minimieren könnten.
Für die Wärmenetze müssen die verschiedenen Technologien erneut getrennt betrachtet
werden: Nah- und Fernwärmenetze zeichnen sich durch eine hohe Zentralität aus, da eine
Produktionseinheit mehrere Abnehmer versorgt. Im Gasnetz, wie auch in den Erdöl- oder
Holzversorgungsnetzen fällt die Zentralität oft geringer aus, da potentiell mehrere Pro-
duzenten oder Händler die Konsumenten versorgen können (vgl. Abbildung 10). Es ist
jedoch auch möglich, dass lediglich eine Produktionsstätte oder ein Händler im Netzwerk
alle Konsumenten versorgt (z. B. staatliche Betriebe, Kartelle). Wie auch bei der Pfadlänge
zeigt sich, dass die Vernetzungsstruktur hier kaum bis gar nicht von der Produktionstech-
nik selbst, sondern vielmehr von der Form der entsprechenden sozioökonomischen Pro-
duktions- und Händlerstrukturen abhängig ist. Die momentane Dominanz zentralisierter
Technologien zur Wärmeproduktion, insbesondere von Öl und Gas, ist hinsichtlich der
Resilienz des Systems und seiner Transition kritisch zu bewerten: Die Abhängigkeit von
häufig importierten Energieträgern kann sowohl die Vulnerabilität des Systems gegen-
über externen Schocks erhöhen (bspw. Preisexplosionen) als auch z. B. durch den aktuell
niedrigen Ölpreis die Resilienz der Transition des regionalen Energiesystems negativ be-
einflussen. Mit der stärkeren Nutzung der erneuerbaren Energien zur Wärmeproduktion
könnte die Abhängigkeit von zentral angelegten Energieimporten abgeschwächt werden
und Öl oder Gas durch Biogasanlagen, Biomasseheizwerke oder moderne Holzverbren-
nungsanlagen ersetzt werden, welche dezentral versorgt werden können.
4.4.3 Modularität
Das bisherige Stromnetz im Allgäu und in Deutschland ist kaum modular: Der Strom wird
von einer zentralen Verteilung auf Hochspannungsebene in die Regionen transferiert und
es gibt keine untergeordnete, abkoppelbare Verteilstruktur in der Region, die autonom,
ohne die Einbettung in die höheren Spannungsebenen, funktionieren könnte. Möglich ist
es lediglich, Teile des Netzes auf einer bestimmten Netzebene abzukoppeln, um so z. B.
die Störungsverbreitung im Netz zu verhindern (Islanding). „Das Wärmenetz“ ist dagegen
deutlich modularer strukturiert: nicht netzgebundene Technologien (Ölheizung, Holzhei-
zung) können dabei als Inseln betrachtet werden, Nah- und Fernwärme bilden bereits
kleine, lokale Module und Gasnetze sind oftmals regional integrierte Netze, so z. B. auch
im Allgäu. Hinsichtlich der Resilienz der Transition kann sich auch hier eine zunehmen-
de Modularität durch den Ausbau regionaler Fernwärme- oder Gasnetze, wie auch die
Etablierung lokaler Speicher oder aber die Vernetzung von Strom und Wärme über Pow-
er-to-Gas, positiv auf die Resilienz auswirken, da neben den zentralisierten Strukturen
regionale Versorgungsmodule etabliert werden können. Diese Module können im Fall ex-
terner Schocks autonom funktionieren und im Fall größerer Störungen als Back-Up zum
überregional integrierten System dienen.
Ein indikatorengestützter Ansatz zur Resilienzanalyse … 319
In dieser explorativen empirischen Anwendung des von Binder et al. (2017) vorgeschla-
genen indikatorengestützten Ansatzes zur Analyse der Resilienz von Energiesystemen in
Transition zeigt sich, dass das regionale Energiesystem im Allgäu durch eine hohe Diver-
sität im sozialen Teilsystem charakterisiert ist: Es werden Akteure und Organisationen aus
mehreren, qualitativ sehr unterschiedlichen sozialen Arenen als zentral für die regionale
Energiewende wahrgenommen, wobei die unterschiedlichen Arenen dabei ähnlich stark
vertreten sind (bis auf die Arena Medien). Die regionale Energiewende ist daher breit
über viele Gesellschaftsbereiche gleichmäßig gestützt, was hinsichtlich des Fortschritts
der Energiewende sehr positiv bewertet werden kann.
Im technischen Teilsystem ist die Diversität geringer ausgeprägt: Ein großer Teil des
regionalen Energiebedarfs wird über Importe abgedeckt. Mit Bezug auf die lokal produ-
zierte Energie zeichnet sich im Strombereich eine höhere Diversität mit eher ausgegliche-
nen Anteilen an der Gesamtproduktion und sehr unterschiedlichen Technologiegruppen
ab, während Wärme in erster Linie aus Abwärme von Kraft-Wärme-Koppelungsanlagen
und aus Biomasseheizwerken gewonnen wird. Die regionale Energieproduktion ist daher
zwar von höherer Varietät und Disparität geprägt, hat jedoch einen geringen Anteil an
der in der Region verbrauchten Energie. Hinsichtlich der Resilienz der Transition sind die
Vielfalt und Unterschiedlichkeit der regional eingesetzten Technologien positiv, die hohe
Abhängigkeit von Importen jedoch negativ zu bewerten, da auf die Transition der Quellen
der importierten Energie kein direkter Einfluss genommen werden kann.
Die Konnektivität des sozialen Teilsystems zeigt sich in folgenden Charakteristika: Die
Pfadlängen zwischen den Akteuren und Organisationen sind verhältnismäßig lang, das
Netzwerk wird von einer prägenden Organisation mit hohem Zentralitätswert dominiert
und es zeichnet sich eine Reihe von Modulen innerhalb des Netzwerkes ab. Spannend
ist, dass die sozialen Arenen im gesamten Netzwerk untereinander jedoch alle etwa ähn-
lich gut vernetzt sind (ausgenommen Forschung und Medien). Das regionale Energiegou-
vernanzsystem ist daher nicht nur von vielen Gesellschaftsbereichen getragen, sondern
auch gut aber nicht zu dicht zwischen diesen vernetzt. Hinsichtlich der Transition des
Systems ist dies unterschiedlich zu bewerten: einerseits positiv da eine zentrale Organi-
sation vorhanden ist, die die Transition steuern kann, sowie die höhere Modularität und
Pfadlänge einem lock-in der Entwicklung vorbeugen können. Negativ wendet sich diese
Vernetzungsstruktur jedoch, wenn z. B. der zentrale Steuerungsknoten entfällt und über
die längeren Pfadlängen, die Informationen nicht besonders schnell fließen.
Bei der Konnektivität im technischen Bereich wird deutlich, dass bei dieser Betrach-
tung zwischen Strom und Wärme unterschieden werden muss. Das Stromnetz ist über die
verschiedenen Spannungsebenen stark vernetzt, wobei alle drei Indikatoren – Pfadlänge,
Gradzentralität und Modularität – in Richtung Niederspannung zunehmen. Wärmenetze
sind dagegen je nach Technologie sehr unterschiedlich vernetzt und je nach Technologie-
gruppe in ihrer Vernetzung auch stärker von der sozioökonomischen Struktur abhängig.
Die Vernetzungsstruktur gestaltet sich daher sehr unterschiedlich zwischen Wärme und
320 Susan Mühlemeier, Romano Wyss und Claudia R. Binder
Strom, bezüglich der Resilienz der Transition sind beide jedoch eher kritisch zu sehen,
da die Vernetzungsstruktur für eine Einbindung höherer Anteile erneuerbarer Energien
grundlegend umgebaut werden muss und hohe Investitionskosten anfallen. Regionale
Speicher für den Strom sowie eine Nutzung der bestehenden Gasnetze für Biogas könnten
hier gute Alternativen darstellen.
Insgesamt zeichnet sich das Energiesystem im Allgäu in jüngster Vergangenheit so-
mit durch eine hohe Diversität im sozialen und eine mittlere Diversität im technischen
Teilsystem aus. Die Konnektivität des sozialen und des technischen Teilsystems ist mit-
telmäßig ausgeprägt – nimmt man Strom- und Wärmeproduktion zusammen (vgl. auch
Mühlemeier et al. 2017b). Zieht man die von Binder et al. (2017) entwickelten vier Fälle
zu möglichen Kombinationen aus hohen und niedrigen Ausprägungen der Konnektivität
und Diversität heran, so fällt das Allgäu zwischen Fall A (beide hoch ausgeprägt) und
Fall C (Konnektivität niedrig ausgeprägt). Binder et al. (2017) schätzen die Resilienz der
Transition im Fall A besonders hoch ein, für Fall C kann es sich um ein Zwischenstadium
auf dem Transitionspfad handeln, der ein bestimmtes Systemstadium auf dem Pfad einer
resilienten Transition darstellt. Aus dem Interviewergebnissen der Fallstudie ist jedoch
Fall C naheliegender, da mehrere Akteure betonten, sie sähen die Energiewende im Allgäu
momentan zwar im Stocken, dies stelle jedoch nur einen Zwischenschritt darstelle und sie
schätzten den weiteren Verlauf positiv ein.
Die hier gezeigte, empirische Anwendung des indikatorengestützten Ansatzes zur Ana-
lyse der Resilienz von Energiesystemen in Transition hat es ermöglicht, eine strukturierte
Analyse der technischen und sozialen Teilsysteme des regionalen Energiesystems vorzu-
nehmen. Mehrfach hat sich gezeigt, dass die gleichzeitige Anwendung der Indikatoren
auf die technischen und sozialen Teilsysteme besonders bereichernd ist. So zeigt sich em-
pirisch, wie soziale und technische Netzwerke zusammenhängen, beispielsweise wie die
Modularität der Wärmenetze von sozialen Strukturen abgeleitet werden kann. Insgesamt
erlaubt es dieser Ansatz auch, die Resilienz der verschiedenen sozialen und technischen
Netzwerkebenen zu analysieren, die übereinander gelagert ein regionales Energiesystem
ausmachen.
Darüber hinaus lassen sich anhand der präsentierten Resultate auch einige Politikemp-
fehlungen ableiten, die die Resilienz der weiteren Transition erhöhen können. Wie bereits
erwähnt, ist das soziale Subsystem hinsichtlich der Diversität resilient einzuschätzen, im
Bereich der Konnektivität besteht jedoch die Gefahr eines lock-ins. Dementsprechend
wäre bei der weiteren regionalen Entwicklung darauf zu achten, dass nicht nur die Diver-
sität der Akteure (weiterhin) gewährleistet ist, sondern auch die Zentralisierung reduziert
und das Einbinden weiterer Akteure in der Region angestrebt wird (ebd.). Im technischen
Subsystem kann die Diversität der Technologiegruppen z. B. durch eine diversifizierte För-
derstruktur noch weiter forciert werden. Vor allem in der Speichertechnik und Wärmepro-
duktion besteht hier noch ein enormes Potenzial, z. B. durch den Zubau von Wärmenetzen,
regionalen Speichern oder kombinierten Lösungen wie Power-to-Heat/Gas. Dies würde
zur allgemeinen Erhöhung der Konnektivität im technischen Subsystem beitragen und da-
mit den Fortschritt der Energiewende erleichtern: Die steigende Volatilität und Dezentrali-
Ein indikatorengestützter Ansatz zur Resilienzanalyse … 321
tät der erneuerbaren Energien kann durch erhöhte Vernetzung und damit einhergehender
Flexibilität kompensiert werden (ebd.).
Insgesamt muss jedoch einschränkend festgehalten werden, dass der vorgeschlagene
Ansatz eine sehr hohe Datenqualität voraussetzt. Im technischen Teilsystem sind entspre-
chende Daten oft nicht vorhanden, da die Daten regional nicht erhoben werden oder nicht
öffentlich zur Verfügung stehen. Im sozialen Teilsystem könnten entsprechende Daten
zwar generiert werden, würden aber eine umfangreiche Datenerhebung mit den damit
einhergehenden Ressourcen verlangen, bspw. durch eine Vollerhebung des sozialen Netz-
werks. Da dies im vorliegenden Fall nicht möglich war, wurde das soziale Netzwerk durch
ein snowball sampling ermittelt. Dieser Ansatz erlaubt es, Aussagen über die Struktur des
regionalen Netzwerks zu ziehen, die quantifizierten Ergebnisse können aber nicht direkt
auf das Energiegouvernanzsystem der gesamten Region übertragen werden. Für das tech-
nische Teilsystem konnten aufgrund der fehlenden Datengrundlage keine quantifizierten
Analysen zur Konnektivität durchgeführt werden, dies sollte in zukünftigen Verwendun-
gen des Ansatzes weiterverfolgt werden.
Die von Binder et al. (2017) vorgeschlagenen Metakonzepte der sozialen Arenen und
Technologiegruppen haben sich für die Resilienzanalyse des regionalen Energiesystems
zwar grundsätzlich bewährt, sie müssen jedoch für die empirische Arbeit weiter konkre-
tisiert werden. So sind es im sozialen Teilsystem die einzelnen Akteure und Organisatio-
nen welche als Referenzobjekte agieren und untereinander vernetzt sind, während es im
technischen System spezifisch hergestellte Energieeinheiten sind, welche zwischen Pro-
duzenten und Konsumenten ausgetauscht werden. Die Metakonzepte soziale Arena und
Technologiegruppe eignen sich daher eher als interpretative Konzepte, um die Ergebnisse,
gerade auch in Bezug zum gesamten Energiesystem, besser bewerten zu können.
Angesichts dieser Einschränkungen könnte es in Zukunft hilfreich sein, für die empi-
rische Analyse entweder eine kleinere räumliche Ebene zu wählen, z. B. eine Kommune
oder eine Stadt, oder auf Ebene des Regierungsbezirks, bzw. Bundeslandes zu arbeiten,
da hier die Daten zum technischen System gebündelt werden, aufbereitet vorliegen und
leichter zugänglich sind. Energieregionen, wie das Allgäu, liegen oftmals zwischen den
traditionellen administrativen Ebenen (z. B. Landkreis und Regierungsbezirk) und haben
daher meist nicht die Kapazitäten, umfassende Daten über die Region zu erheben. Für
eine Vollerhebung des sozialen Netzwerks wäre in diesem Kontext sowohl eine detaillier-
te, vergleichende Analyse mit Primärdaten auf kommunaler Ebene als auch eine grösser
angelegte, Sekundärdaten basierte Netzwerkanalyse auf Regierungsbezirks- bzw. Bundes-
landebene (z. B. auf Basis formeller Beziehungen wie Vereinsstrukturen) sehr interessant.
Weiterhin sollte versucht werden, die verschiedenen Phasen des Transitionspfades im Ver-
lauf der Zeit zu analysieren, um ein vollständigeres Bild der Resilienz des gesamten Pro-
zesses zu erlangen (Mühlemeier et al. 2017b).
Für weitere Überlegungen zur Konzeptualisierung von Resilienz in regionalen Energie-
systemen siehe auch den Beitrag von Jedelhauser und von Streit „Resilienz in regionalen
Energietransitionen – Versuch einer Konzeptualisierung aus institutionentheoretischer
Perspektive“ (Jedelhauser und von Streit 2018).
322 Susan Mühlemeier, Romano Wyss und Claudia R. Binder
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Die resiliente Gesellschaft
Überlegungen zu einer Kulturaufgabe
im Zeitalter des Menschen
Jochen Ostheimer
Zusammenfassung
Im sozioökologischen Diskurs ist mit „Resilienz“ ein neues Schlagwort aufgetaucht, das
schnell eine große Faszination entfaltet hat. Das Konzept der Resilienz als der Fähigkeit,
auf äußere Störungen kompetent zu reagieren, hat verschiedene Ursprünge und Anwen-
dungsbereiche; im Folgenden wird es allein mit Blick auf „sozioökologische Systeme“
diskutiert. Dabei wird die These vertreten, dass Resilienz umfassend als Kulturaufgabe
zu verstehen ist. Damit ist gemeint, dass Resilienz als Zielgröße der gesellschaftlichen
327
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2018
M. Karidi et al. (Hrsg.), Resilienz,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-19222-8_16
328 Jochen Ostheimer
Transformationen, die dazu dienen sollen, die Gesellschaft auf die bereits angebrochenen
gewaltigen Umweltveränderungen vorzubereiten, nur zu erreichen ist, wenn bei den vor-
zunehmenden Weichenstellungen die tief sitzenden kulturellen Praktiken, Gewohnheiten,
Denkweisen, Wahrnehmungsmuster und Machtkonstellationen umfassend berücksichtigt
werden. Den Rahmen dieses Essays bildet das Konzept des Anthropozäns, d. h. die Über-
legung, dass der Mensch inzwischen zu einem veritablen geologischen Faktor herange-
wachsen ist, der nun selbst wieder der Einhegung bedarf, weil das Zusammenspiel mit den
bisherigen geologischen Wirkkräften noch nicht eingeübt ist.
Um diese Gedanken zu fokussieren, wird das Verhältnis zwischen den drei zentralen
Konzepten im aktuellen sozioökologischen Diskurs näher beleuchtet. Neben Resilienz
sind dies das manchmal schon als altbacken abgetane Nachhaltigkeitskonzept sowie das
Konzept der Transformation, das mehr oder weniger zeitgleich mit den Überlegungen
zum Anthropozän und zu Resilienz aufgekommen ist. Dazu wird in vier Schritten vor-
gegangen: Zunächst wird im Rahmen eines kursorischen Überblicks über die Geschich-
te der Umweltbewegung und des Umweltdiskurses das Verhältnis zwischen diesen drei
Denkmodellen skizziert. Danach wird über die Stellung des Menschen im Anthropozän
und ihre Konzeptualisierung nachgedacht, um den Rahmen für weitere Überlegungen zu
den spezifischen Leistungen des Resilienzkonzepts abzustecken. Abschließend werden
das Nachhaltigkeits- und das Resilienzkonzept in ihrem präskriptiven Gehalt einander
gegenübergestellt.
In den 1960-er Jahren begann der Aufschwung der jüngeren Umweltbewegung. Zumin-
dest im deutschsprachigen Raum war die Umweltbewegung in ihren Anfängen stark von
einer gesellschaftskritischen Haltung geprägt und stand in Verbindung mit der Friedens-
bewegung, was nicht zuletzt durch die gemeinsame Ablehnung von Atomenergie in Kraft-
werks- wie in Raketenform getragen wurde. Doch schon bald, d. h. bereits in der ersten
Hochphase in den 1970-er Jahren, gesellten sich eine administrativ-politische und eine
technische Ausrichtung hinzu. Umweltministerien und -behörden wurden gegründet und
technische Maßnahmen zeitigten erste große Erfolge. Motoren wurden deutlich sparsa-
mer und Luft und Wasser wurden sauber. Im weiteren Verlauf erhielt der Umweltdiskurs
eine globale Facette. Manche Ereignisse und Phänomene wie etwa die AKW-Explosion
in Tschernobyl oder das Ozonloch ließen sich nicht an Landesgrenzen aufhalten. Ver-
stärkt wurde diese Erkenntnis durch den Blick von außen auf den blauen Planeten, den
die Raumfahrt und insbesondere die bemannte Raumfahrt, aber auch die Vermessung der
Erde durch Satelliten ermöglichten. Die dabei entstehende Form einer poetischen Astro-
Die resiliente Gesellschaft 329
nomie1 trug mit dazu bei, ein neues universales Einheitsbewusstsein heraufzubeschwören,
wie es dann beispielsweise in der Tiefenökologie oder in der Gaia-Hypothese formuliert
wurde.
In dieser Phase nahm der Nachhaltigkeitsdiskurs Fahrt auf. Seine Anstöße und An-
satzpunkte waren vielfältig. Doch spätestens mit dem Brundtland-Bericht 1987 und dem
Erdgipfel von Rio de Janeiro 1992 waren die wesentlichen Eckpunkte gesetzt: verantwort-
licher Umgang mit den natürlichen Ressourcen, vernetztes Denken, insbesondere unter
Einbeziehung der kommenden Generationen, und sozialer Ausgleich bzw. Entwicklungs-
möglichkeiten für die Ärmeren. Nachhaltigkeit machte schnell Karriere und wurde zu
einem Allerweltswort, sodass in den vergangenen Jahren nicht wenige zur Auffassung
gelangten, dass der Begriff mehr vor seinen Nutzern als vor seinen Kritikern geschützt
werden müsse.
Zeitgleich zum Aufstieg in der gesellschaftlichen Kommunikation verlagerte sich in
der Forschung der Schwerpunkt. Unter den zahllosen Nachhaltigkeitsproblemen setzte
sich in der öffentlichen Wahrnehmung und der wissenschaftlichen Forschung der Klima-
wandel als besonders drängendes Problem durch. Al Gores „unbequeme Wahrheiten“2
zeigen dies ebenso deutlich an wie die Prominenz des IPCC und ihm angeschlossener
Klimaforschungsinstitute. Somit wurde der Klimaschutz zum Leitthema des globalen
Umweltdiskurses – freilich nur, um im Schlepptau allmählich auch seinen großen kogniti-
ven und epistemologischen Rahmen ins Rampenlicht zu ziehen: die Erdsystemforschung.
Während die Weltpolitik über zwei Jahrzehnte um einen wirksamen und gerechten Welt-
klimavertrag rang und letztlich immer noch ringt, wurde im Konzept der „planetari-
schen Grenzen“ gezeigt, dass das Erdsystem an anderen Stellen noch viel stärker aus dem
Gleichgewicht geraten ist, so bei der Biodiversität oder bei den Stickstoff- und Phosphor-
kreisläufen (Rockström et al. 2009).
Es wurde der Blick auf das erdgeschichtliche große Ganze ausgeweitet und das Anthro-
pozän wurde ausgerufen (Crutzen 2002; Steffen et al. 2007; Steffen et al. 2011; Lewis und
Maslin 2015). Die Idee eines Menschenzeitalters korrespondiert mit dem planetarischen
Bewusstsein, das der Blick von außen ausgelöst hat. Als umfassendes Narrativ kann das
Anthropozänkonzept die verschiedenen Diskurse bündeln.
Die Vorstellung vom Menschen als geologischem Faktor ist eine konsequente Fortfüh-
rung mehrerer Impulse seit der Mitte des 20. Jahrhunderts. Zugleich hat sie Veränderun-
gen im Blickwinkel bewirkt. Der Nachhaltigkeitsdiskurs wird zwar nicht einfach abgelöst
oder ersetzt, aber er ist in den Hintergrund geraten. Die beiden aktuellen Leitbegriffe
lauten „Resilienz“ und „Transformation“. Dies ist naheliegend. Wenn sich die Welt im
Wandel befindet, wie der entsprechend benannte Wissenschaftliche Beirat der Bundes-
regierung Globale Umweltveränderungen in seinen Gutachten seit 1992 analysiert, dann
muss sich die Gesellschaft unweigerlich mitwandeln. Dann ist ein neuer Gesellschafts-
Fortschritts- und Wohlfahrtsvorstellungen, die indes ebenfalls vom Ziel einer Wohlstand
und Lebensqualität schaffenden Entwicklung getragen ist. Die Rede von Resilienz hinge-
gen findet sich oftmals in Zusammenhang mit Krisen und Katastrophen, ihr denkerischer
Ort ist die sog. VUCA-Welt.4 Resilienzkonzepte sind im Vergleich zu Nachhaltigkeitsüber-
legungen meist reaktiver und defensiver. Sie stehen in Verbindung mit Vulnerabilitätskon-
zepten5 und zielen auf die Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung von Handlungsfä-
higkeit und nicht so sehr auf die Gestaltung einer wirtschaftlichen Handlungsweise oder
einer gesellschaftlichen Praxis, wenngleich die Grenzen fließend sind. Allerdings lässt
sich auch eine Tendenz ausmachen, Nachhaltigkeit und Resilienz zusammenzuführen
(Walker und Salt 2006; United Nations Secretary-General’s High-level Panel on Global
Sustainability 2012). Darüber hinaus finden sich Verbindungen zwischen den Begriffen
der Resilienz und der Transformation. Verhandelt werden hier Veränderungen, die nicht
so sehr eine stimmige Fortführung des Gegebenen darstellen, sondern etwas verändern,
vielleicht sogar grundsätzlich und mit Brüchen.6 Allerdings können der Resilienz- und der
Transformationsdiskurs auch unabhängig voneinander geführt werden. Auch zwischen
dem Nachhaltigkeits- und dem Transformationsdiskurs zeigen sich Gemeinsamkeiten und
Übergänge, insbesondere im Fokus auf den Aspekt der Gestaltung sowie in einer multi-
faktoriellen und mittel- bis langfristigen Perspektive. Ein gewichtiger Unterschied besteht
darin, dass sich die Transformationsansätze nicht unbedingt auf das Verhältnis zwischen
Gesellschaft und natürlicher Umwelt beziehen. Dies ist zwar ebenfalls nicht immer der
Fall, wenn von Nachhaltigkeit gesprochen wird, doch dann handelt es sich um einen un-
eigentlichen Nachhaltigkeitsbegriff (Ostheimer 2013).
Ausgangspunkt für den aktuellen sozioökologischen Resilienzdiskurs ist die Klima-
bzw. in der erweiterten Form die Erdsystemforschung. Diese trägt naheliegenderweise
eine starke naturwissenschaftliche Perspektive in den Diskurs ein. Die Gestaltungsvor-
schläge sind dementsprechend vorherrschend technischer Art: Wind- statt Kohlekraft,
Elektromobilität statt Verbrennungsmotor oder gar die verschiedenen Formen des climate
engineering. Im Unterschied dazu wird hier die These vertreten, dass Resilienz als Kultur-
aufgabe zu begreifen und anzugehen ist.
4 Die von Volatility, Uncertainty, Complexity und Ambiguity geprägte Welt ist ein von der US-Armee
in den 1990-er Jahren entwickeltes Denkmodell.
5 Zu einem Vorschlag, das Verhältnis zwischen Resilienz und Vulnerabiltät in dem Sinn zu bestim-
men, dass Resilienz als Leitkonzept und Vulnerabilität als analytische Kategorie dient (vgl. Fichter
et al. 2010, S. 13ff.).
6 Beispiele und Analysen solcher Brüche finden sich bei Walker und Salt (2006).
332 Jochen Ostheimer
Um erklären zu können, warum Resilienz als Kulturaufgabe zu verstehen ist, muss zu-
nächst dargelegt werden, wie im Anthropozändiskurs die Welt vorgestellt wird. Dabei
zeigt sich ein doppelter Befund. Ein gängiges Vorstellungsmuster ist das der Sphäre. Die
Welt, in der die Menschen leben und in der sich die für das Wohlergehen der Menschen
gefährlichen Umweltveränderungen vollziehen, wird in Bereiche untergliedert. Die Be-
stimmung ihrer Wechselwirkungen ist eine zentrale Aufgabe der Anthropozänforschung.
Dabei, und dies ist das zweite Charakteristikum, wird meist vom Menschen im Singular
gesprochen. Dies hat zur Folge, dass die Vielfalt der Lagen, mit denen sich Individuen
orts- und zeitgemäß auseinandersetzen müssen, leicht aus dem Blick gerät. Zudem wird
die spezifische Ursachenkonstellation, nämlich der Komplex aus Moderne, Industrialisie-
rung und Wachstumswirtschaft, nicht ausreichend bestimmt.
Den meisten Konzepten der Erdsystem- und Klimaforschung liegt ein Sphärenmodell
zugrunde. Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltverände-
rungen (WBGU), um ein recht frühes und typisches Beispiel aufzugreifen, unterscheidet
in seinem Jahresgutachten von 1993 grundlegend zwischen der Natur- und der Anthropo-
sphäre. Erstere setzt sich wiederum aus der Atmo-, der Hydro-, der Litho-, der Pedo- und
der Biosphäre zusammen. Letztere besteht aus folgenden „Komponenten“: Bevölkerung
(womit neben physischen auch psychische Aspekte wie insbesondere Werte, Einstellun-
gen und Verhalten umfasst sind), sozialen Organisationen, Wissenssystemen (wie Wis-
senschaft, Technologie, Religion, Bildung oder Kunst), Wirtschaft und Verkehr (WBGU
1993, S. 12ff.). Der Übergang zur Natursphäre wird als „fließend“ bezeichnet und der
Raum der Übergänge ist die „Umwelt“. Das Bild ist anschaulich, es benennt die zentralen
Faktoren und betont die Wechselwirkungen. Die Art der Sphären, Komponenten und Re-
lationen bleibt aber offen und es ist offensichtlich, dass sie heterogen sind.
Charakteristisch für viele Sphärenmodelle in diesem Diskurs ist die Zweiteilung, die
altbekannte und seit alters problematisierte Unterscheidung zwischen Mensch und Natur.
Naturwissenschaftlich fundiert und differenziert werden natürliche Abläufe im Großen
wie im Kleinen untersucht, modelliert und in Szenarien eingefangen. Auch wenn unter-
schiedliche Stoffströme voneinander abgegrenzt oder planetarische Grenzen benannt
werden, bilden sie doch ein gemeinsames Ganzes, die Natur. Ungeachtet aller komplexi-
tätstheoretischen Weiterentwicklungen bleibt die grundlegende Annahme der Einheit und
Geschlossenheit der Natur. Den physischen Prozessen wird nun eine zweite Dimension
zur Seite oder zuweilen auch gegenübergestellt, und beide werden gerne als Sphären be-
zeichnet. Diese zweite Sphäre ist das Reich des Menschen. Damit stellt sich wieder die
grundlegende Frage nach der „Stellung des Menschen im Kosmos“ (Scheler 1962). Was ist
oder zumindest was kennzeichnet diese Sphäre des Menschen? Die klassische Sichtweise
verweist auf Vernunft und Freiheit als Gegenkräfte zur Naturnotwendigkeit. Und doch ist
Die resiliente Gesellschaft 333
auch der Mensch als Naturwesen zu sehen, der natürlich agiert und natürlich wirkt.7 In der
Erdsystemforschung wird allein der zweite Aspekt in den Blick genommen: die Wirkun-
gen des Menschen wie etwa die Ausrottung von Arten oder die zunehmende Versauerung
der Ozeane infolge der Freisetzung enormer Mengen an Kohlendioxid. Denn diese Effekte
gehören in die Sphäre der Natur und fallen also in den Zuständigkeitsbereich der Natur-
wissenschaften. Die schroffe Unterscheidung zwischen nomothetischen, erklärenden und
idiographischen, verstehenden Wissenschaften scheint unbemerkt die Folie der Erdsys-
temforschung zu bilden.
Auch bei ökonomischen Zugängen, deren Bedeutung in der Klimaforschung allmählich
wächst, findet sich oftmals eine ähnliche Dichotomie. Die vorherrschende Ausrichtung
der Wirtschaftswissenschaft teilt mit den naturwissenschaftlichen Forschungen die quan-
tifizierende Sicht auf die Welt. Nicht Einzelphänomene, sondern kumulative Effekte sind
von Belang, welche naturwissenschaftlich erfassbar sind. Von Intentionalität wird damit
systematisch abstrahiert. Die Stellung des Menschen kann folglich offengelassen werden.
Auf diese Weise gerät die Verbindung der menschlichen und der natürlichen Sphäre nicht
als methodisches Problem in den Blick. Dies liegt eben daran, dass die Anthroposphäre in
ihrem Aspekt des Menschlichen unterbestimmt bleibt.
Die philosophische und theologische Anthropologie ist über diese Zweiteilung der
Menschenwelt schon längst hinweg. Das diesbezüglich symbolträchtigste Konzept ist das
der exzentrischen Positionalität (Pleßner 1965, S. 288ff.). Damit lautet eine der entschei-
denden wissenschaftstheoretischen und forschungsstrategischen Fragen, wie sich diese
Theoriefigur in die Erdsystemforschung einschreiben lässt.
Einen Zugang bieten Stoffgeschichten (Soentgen und Reller 2009), denn das Spezi-
fische des Anthropozäns besteht darin, dass im Gegenstand der naturwissenschaftlichen
Untersuchungen Menschliches zu finden ist. Der insbesondere im Klimadiskurs vielfach
betonte anthropogene Charakter des globalen Wandels ist das Wesensmerkmal des An-
thropozäns. Daher lässt sich in der Erforschung, wie sich Stoffe aufgrund menschlicher
Aktivitäten ausbreiten und in dieser Verbreitung wieder auf den Menschen zurückwirken,
Entscheidendes über die Lage des Menschen erfahren.
Einen anderen, im anthropozänen Sphärendiskurs oftmals aufgegriffenen Anknüp-
fungspunkt bietet Teilhard de Chardins Konzept der Noosphäre (Teilhard de Chardin
1964).8 Da es sich in das Sphärenparadigma ausdrücklich einschreibt, scheint es an die
Erdsystemforschung gut anschlussfähig. Zudem zielt es darauf ab, den Menschen als sol-
chen in den Blick zu nehmen. Denn seit alters her wird der Mensch als Vernunftwesen
bestimmt. Insofern ist das Spezifische des Menschlichen die Sphäre der Vernunft. Doch
anders als etwa Kant, der die Auszeichnung des Menschen als Vernunftwesen mit einer
Zwei-Welten-Lehre erkauft, die das Noumenale und das Phänomenale nicht mehr zu ver-
7 Um dieses Wechselverhältnis drehen sich beispielsweise die Beiträge in Haber et al. (2016).
8 Das Konzept der Noosphäre spielt auch eine wichtige Rolle bei dem französischen Philosophen und
Mathematiker Le Roy (1928, S. 37ff.), der Henri Bergson am Collège de France nachfolgte, wie auch
bei dem russischen Geochemiker Vernadsky (1997, S. 147ff., S. 209ff., S. 239ff.). Auf Gemeinsam-
keiten, Unterschiede und Verbindungslinien wird hier nicht weiter eingegangen.
334 Jochen Ostheimer
Dauerzustand darstellen kann (Sieferle 1997, S. 160f.). Auch dies zeigt, dass die Annahme
der geologischen Wirkmächtigkeit des Menschen gesellschaftstheoretisch zu unterfüttern
ist.
Die Notwendigkeit von geistes-, sozial- und kulturwissenschaftlichen Ansätzen bei der
Diskussion von Sinn und Bedeutung eines Menschenzeitalters erklärt zumindest teilweise
den seit geraumer Zeit zu beobachtenden neuen „Streit der Fakultäten“ (Kant 1977) um
die Deutungshoheit im Anthropozän-Diskurs. Denn ähnlich wie schon bei der Bestim-
mung des Holozäns hat die Festlegung der Epochengrenze nicht nur eine konstative Be-
deutung. Als um die Mitte des 19. Jahrhunderts die Diskussion um das Holozän aufkam,
war diese unterschwellig auch von der religiösen und anthropologischen Absicht geprägt,
die Sonderstellung des Homo sapiens, dessen Dominanz mit dem Ende der letzten Eiszeit
in Verbindung gebracht wurde, deutlich zu machen (Lewis und Maslin 2015, S. 172f.).
Ähnlich hat die Rede vom Anthropozän einen perlokutionären Effekt. Das laute Nach-
denken darüber, dass allmählich die Erde im Ganzen zum Objekt der Sozialverhältnisse
geworden ist, will den Menschen in die Verantwortung nehmen. In diesem Sinn ist die
Gestaltung des Anthropozäns eine Kulturaufgabe. Dies ist geistes- und nicht natur- oder
technikwissenschaftlich zu diskutieren.
Im Folgenden wird der Fokus auf den präskriptiven Aspekt des sozioökologischen Dis-
kurses gerichtet. Dazu wird zunächst das Nachhaltigkeitskonzept analysiert, das als Hin-
tergrundfolie der weiteren Überlegungen dienen kann. Das Nachhaltigkeitskonzept ist
ein präskriptives Konzept. Es macht Vorgaben für die Art und Weise, wie der Mensch
als Einzelner und die (Welt-)Gesellschaft als Ganze die Natur nutzen sollen bzw. dürfen.
Dabei lassen sich drei präskriptive Dimensionen unterscheiden. Der ersten präskriptiven
Dimension nach sind kluge oder pragmatische Entscheidungen gefragt. Effizienz und
Substitution sind die Stichworte. Die erneuerbaren Ressourcen sind so zu nutzen, dass
die Verbrauchsrate die Erneuerungsrate nicht übersteigt. Bei nicht erneuerbaren Ressour-
cen wie etwa Böden darf die Nutzung die Substanz nicht gefährden, denn sonst drohen
langfristig Ertragsrückgänge. Die hier angesprochene Klugheit kann durchaus in einem
ökonomischen Sinn verstanden werden, freilich mit einer langfristigen und kollektiven
Ausrichtung, weil Ressourcen betroffen sind, die als „gemeinsames Erbe der Menschheit“
(Odendahl 1998, S. 251ff., S. 372ff.) zu betrachten sind.
Die zweite präskriptive Dimension bezieht sich auf das gelingende oder glückliche Le-
ben des Einzelnen und auf die Vorstellung einer guten Gesellschaft als Ganzes. So ist
beispielsweise bereits Carlowitz’ Rede von Nachhaltigkeit von der Leitidee des Gemein-
wohls bestimmt (Carlowitz 2013, S. 95, S. 98). Eine nachhaltige Entwicklung der zeitge-
nössischen westlichen Gesellschaft verlangt einen radikalen Wandel im Lebensstil. Dieses
Ziel tritt dem Individuum als Appell entgegen: „Du musst dein Leben ändern“ (Sloterdijk
2009). Denn die bisher dominierenden Lebensweisen sind viel zu ressourcenintensiv, um
336 Jochen Ostheimer
auch nur in der westlichen Hemisphäre dauerhaft für eine Mehrheit der Bevölkerung mög-
lich zu sein. Als nötig vorgeschlagen wird daher vielfach Suffizienz (Stengel 2011). Es
kommt wohl nicht von ungefähr, dass so häufig dieses lateinische Lehnwort gebraucht
wird. Denn als solches evoziert es keine Emotionen – keine negativen Emotionen, wie es
bei „Bescheidenheit“, „Mäßigung“ oder „Genügsamkeit“ wohl der Fall wäre. Die Umwelt-
bewegung hat immer wieder Verzicht gepredigt, zuletzt im Vorstoß der Partei Bündnis 90/
Die Grünen für einen mehr oder weniger verbindlichen vegetarischen Pflichttag für alle.
Dass Umweltschutz und Nachhaltigkeit mit einer Entscheidung zum Weniger einhergehen,
liegt auf der Hand, weil der gegenwärtige Lebensstil massiv zu Lasten der ärmeren und
der künftigen Menschen geht. Früh schon wurde allerdings, nicht zuletzt in der pädago-
gischen Reflexion des Programms „Bildung für eine nachhaltige Entwicklung“, erkannt,
dass es sinnvoll ist, die positiven, bereichernden Aspekte einer Kultur der Nachhaltigkeit
in den Vordergrund zu rücken. Die Ansätze dazu müssen in einer pluralistischen Gesell-
schaft freilich plural ausfallen. Dies hat zur Folge, dass ökologische Verhaltensmuster
sektoriell begrenzt sind. Jedes Milieu hat seinen eigenen nachhaltigen Lebensstil. Ob im
Ganzen dadurch ein gesellschaftlicher Entwicklungspfad beschritten wird, der nachhaltig
ist, wird kontrovers diskutiert (Hartmann 2009).
Auch wenn der nachhaltige Lebensstil zuweilen als Einschränkung wahrgenommen
wird, kann er doch gerade auch ein Weg zu einem gelingenden Leben sein. Er ist eine
Gestaltungsaufgabe, eine Kunst. Lebenskunst wird folglich nun auch mit einem ökologi-
schen Vorzeichen versehen. Die ökologisch-soziale Krise ist ein wirkmächtiger Anlass,
das bewusste Leben wieder stärker in den Vordergrund zu rücken. Die die Umweltbewe-
gung seit ihren Anfängen begleitende Konsumkritik gewinnt hier einen neuen Antrieb
(Scherhorn und Weber 2002; Busse 2006; Dauvergne 2008; Hansen und Schrader 2009;
Dietz et al. 2009; Heidbrink und Reidel 2011; Heidbrink et al. 2011; Rat für Nachhaltige
Entwicklung 2013).9 Denn in einer konsumorientierten Lebensweise droht allzu sehr die
Gefahr, sein eigenes Glück zu verfehlen. Wohlbefinden, Zufriedenheit, Gesundheit, innere
Ausgeglichenheit und Einklang mit der Natur auf der Basis reflektierter und verantwor-
tungsbewusster Askese im klassisch-griechischen Sinn – das sind die Glücksverheißungen
der ökologischen Lebenskunst (Schmid 2008).
Die dritte präskriptive Dimension des Nachhaltigkeitskonzepts umfasst die wechsel-
seitigen Verpflichtungen und kann unter dem Begriff der Gerechtigkeit subsumiert wer-
den.10 In der öffentlichen Rede eignet ihr eine besondere Prägnanz. Gerade der Aspekt der
intergenerationellen Gerechtigkeit gilt vielfach als Definitionsformel von Nachhaltigkeit
schlechthin. Die Kategorie der Gerechtigkeit macht – anders als die alternativ zu finden-
den Kategorien der Solidarität oder der Verantwortung – unmissverständlich klar, dass
Nachhaltigkeit eine Rechtspflicht, eine unbedingte Forderung ist, die daher gerade nicht
9 An diesem Punkt setzen gerne auch kirchliche Verlautbarungen und Empfehlungen an (vgl. Gard-
ner 2003, S. 310ff.).
10 Den immanenten moralischen Charakter von Nachhaltigkeit verkennt etwa O’Brien (2012), wenn
sie vom doppelten Kriterium „nachhaltig“ und „moralisch“ spricht.
Die resiliente Gesellschaft 337
als freiwillige Entscheidung oder als Luxusanliegen für bessere Zeiten abgetan werden
kann.
Die Gerechtigkeitsforderungen des Nachhaltigkeitsprinzips sind vielgestaltig. Die
intergenerationelle Seite der Gerechtigkeit ist nur eine von mehreren Facetten, was an-
gesichts der methodischen Grundidee von Nachhaltigkeit, der Retinität oder des vernetz-
ten Denkens, auch naheliegend ist. Der zeitlichen Ausrichtung werden meist noch eine
soziale oder globale Gerechtigkeit, manchmal eine partizipative und zuweilen noch eine
ökologische Gerechtigkeit zur Seite gestellt. Globale und soziale Gerechtigkeit sind nicht
gleichzusetzen. Gerechtigkeitsansprüche des pauschal so genannten globalen Südens und
solche innerhalb der wohlhabenden westlichen Gesellschaften besitzen jeweils eine ande-
re Grundlage wie auch einen anderen Inhalt. Die Idee der Beteiligungsgerechtigkeit baut
auf dem demokratischen Grundgedanken auf, dass die erforderlichen gesellschaftlichen
Veränderungen, weil sie alle betreffen, grundsätzlich auch von allen beschlossen werden
müssen. Der Begriff der Umwelt- oder ökologischen Gerechtigkeit schließlich kann zum
einen moralische Rechtsansprüche nichtmenschlicher Wesen, seien es Individuen oder
Gesamtheiten, zum Ausdruck bringen. Er sieht sich dann allerdings mit nicht zu unter-
schätzenden Theorieproblemen konfrontiert. Zum anderen können damit umweltbezoge-
ne Aspekte sozialer Gerechtigkeit gemeint sein, etwa die systematische und strukturelle
Koinzidenz von schlechten und gesundheitsgefährdenden Wohnsituationen und niedrigem
sozioökonomischem Status (Low und Gleeson 1998; Bolte und Mielck 2004; Maschew-
ski 2004; Hornberg und Pauli 2009; Elvers 2011; Hornberg et al. 2011; Bolte et al. 2012).
Darüber hinaus finden sich weitere Gerechtigkeitsbegriffe, etwa Ressourcen- oder Klima-
gerechtigkeit. In solchen Formulierungen ist jedoch nur eine Abkürzung zu sehen: die
Angabe des Themas, das unter einer Gerechtigkeitsperspektive verhandelt werden soll.
Damit ist die präskriptive Gestalt des Nachhaltigkeitskonzepts im Großen und Ganzen
umrissen. Der Resilienz- und Transformationsdiskurs weist im Vergleich dazu eine erheb-
liche Abweichung auf. Die dritte Dimension, der Gerechtigkeitsaspekt, fehlt weitgehend.
Dies bedeutet nicht, dass die gesellschaftliche Transformation mit dem Ziel der Resilienz-
steigerung nicht unter einer Gerechtigkeitsperspektive beurteilt werden kann, sondern
schlicht, dass eine Gerechtigkeitssemantik kaum auszumachen ist, obschon normative
Fragen sehr umfassend als solche thematisiert werden. Um dies näher zu klären, wird im
Folgenden der Resilienz- und Transformationsdiskurs näher beleuchtet.
Die Welt ist im Wandel, und diese Umwälzungen werden unweigerlich die Gesellschaften
mit sich reißen. Daher stellt sich für diese die lapidare Frage: „Transformation by desaster
oder by design?“ (Sommer und Welzer 2014, S. 26; Welzer 2013, S. 29) Das Kriterium, an
dem eine erfolgreiche gesellschaftliche Umgestaltung zu bemessen ist, ist nicht Resilienz,
sondern das von den modernen westlich-liberalen Staaten erreichte Zivilisationsniveau:
Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, hohe allgemeine Bildung, einmalig gute Gesundheitsver-
338 Jochen Ostheimer
sorgung, Wohlstand für alle und dergleichen mehr. Diese Güter sind in den anstehenden
gesellschaftlichen Veränderungen zu bewahren. Die Schwierigkeit liegt darin, dass diese
Errungenschaften materiell bislang von einer expansiven Wirtschaft getragen werden, von
einer Wirtschaft, die nicht nachhaltig ist und die dementsprechend die gesellschaftliche
Resilienz mittelfristig in einer doppelten Weise untergräbt. Zum einen betreibt sie Raub-
bau an der Umwelt der Gesellschaft und beeinträchtigt damit eine wesentliche Stabili-
tätsbedingung. Zum anderen verfestigt sie die bereits bestehende Pfadabhängigkeit und
erschwert damit jeden Wandel. Dieses Wirtschaft- und Gesellschaftsmodell gemäß der
Maxime „mehr desselben“ fortzuführen, obwohl sich die Rahmenbedingungen funda-
mental geändert haben, ist ein klarer Fall einer „Logik des Misslingens“ (Dörner 1992;
Diamond 2006; Ostheimer und Vogt 2008, S. 191ff.).
Dass sich die Welt im Wandel und damit in einer Situation großer Unbestimmtheit
oder gar Unsicherheit befindet, kennzeichnet einen bedeutsamen Unterschied zwischen
dem Nachhaltigkeits- und dem Resilienzdiskurs und zwar in zweierlei Hinsicht.11 Gewiss
waren Veränderungen und insbesondere Degradierungen immer schon Auslöser für Über-
legungen und Handlungen im Sinne des Nachhaltigkeitsprinzips. Dies zeigt sich schon
bei Carlowitz (2013), der infolge eines drohenden Holzmangels zu einer „sylvicultura oe-
conomica“ aufruft. Doch auch wenn Veränderungen in der Umwelt den Anlass bilden,
ist Wandel nicht unbedingt das zentrale Thema des Nachhaltigkeitskonzepts.12 Oft liegt
der Fokus auf der Weiterentwicklung und damit auf der Verbesserung des Bestehenden.
Effizienz und Optimierung sind dabei wichtige Zielgrößen, freilich nicht die einzigen.13
Darüber hinaus resultiert aus der Bedeutung des Wandels, wenngleich nicht zwangsläu-
fig, eine andere Fokussierung. Während das Resilienzkonzept angesichts eines drohenden
disruptiven Wandels das Augenmerk auf die erforderlichen Stabilitätsvoraussetzungen
richtet,14 ist das Anliegen des Nachhaltigkeitskonzepts anspruchsvoller als bloßes Katast-
11 Walker und Salt (2006, S. 9, S. 11, S. 14, S. 30 u.ö.) betonen den Aspekt des Wandels als eines we-
sentlichen Bestimmungselements des Resilienzdenkens sehr stark.
12 Dass der Aspekt des Wandels, gerade unter Berücksichtigung nichtlinearer Veränderungen in kom-
plexen adaptiven Systemen, für das Nachhaltigkeitskonzept dennoch von großer Bedeutung ist,
zeigt Vogt (2009, S. 310ff.).
13 Bei Walker und Salt (2006, S. 8f. u.ö.) wird Nachhaltigkeit schnell auf partielle Effizienzsteigerung
und Optimierung reduziert. Diese unterschwellige Abwertung von Nachhaltigkeit hat letztlich das
Ziel, Resilienz als das neuere und bessere Konzept zu präsentieren. Gewiss trifft diese Kritik auf
etliche Nachhaltigkeitspraktiken und -berichte zu. Doch dies macht nur deutlich, dass diese den
eigentlichen Nachhaltigkeitsanspruch verfehlen.
14 Vgl. etwa das Eingangsbeispiel im Vorwort von Walter Reid zu Walker und Salt (2006, S. X). An
dieser Stelle wäre eine längere Diskussion erforderlich. So finden sich Überlegungen, wonach das
Konzept der ecological resilience im Unterschied zu dem der engineering resilience gerade nicht
strukturkonservativ ausfalle, sondern die Dynamik betone (vgl. Fichter et al. 2010, S. 18f., S. 23ff.).
Ebenso kann aber in der Übertragung des naturwissenschaftlichen Resilienzkonzepts in den sozial-
wissenschaftlichen Diskurs auch die Tendenz ausgemacht werden, in strukturkonservativer Weise
günstige Bedingungen für den globalen Kapitalismus zu legitimieren; vgl. MacKinnon und Deri-
ckson (2013), deren Kritik sich beispielsweise auf den Bericht Roots of Resilience des World Re-
sources Institute von 2008 richten könnte.
Die resiliente Gesellschaft 339
15 Dieses Konzept wird von Folke et al. 2010 (Tabelle 1) folgendermaßen eingeführt: „Integrated sys-
tem of ecosystems and human society with reciprocal feedback and interdependence. The concept
emphasizes the humans-in-nature perspective“. Eine solche übergreifende Sichtweise ist sinnvoll,
der Systembegriff und die Art der Verbindung bleiben jedoch ungeklärt.
16 Die gleichzeitige Analyse mehrerer Ebenen gehört inzwischen zum Standarddenkmodell im sozio-
ökologischen Diskurs (vgl. Walker und Salt 2006, S. 32ff.; Westley et al. 2013). Im Nachhaltigkeits-
konzept ist dies ein Aspekt der Retinität.
340 Jochen Ostheimer
Ordnung besteht aus vielfältigen Praxen, den diese konstituierenden Regeln und Institutio-
nen, die sehr heterogen sein können und beispielsweise rechtliche und technische Normen,
kulturelle Gewohnheiten, Rollenmodelle oder eingespielte wirtschaftliche Beziehungen
einschließen, sowie dem materiellen Substrat, d. h. der Infrastruktur und Geräten aller Art.
Eine solche Ordnung ist stets in ein umfassenderes System eingebettet, die so genannte
soziotechnische Landschaft. Diese umfasst beispielsweise volkswirtschaftliche und politi-
sche Strukturen bzw. Entwicklungen sowie tief sitzende kulturelle Muster. Hinzu kommen
als drittes analytisches Element geschützte Räume oder Nischen, in denen technische,
kulturelle oder ökonomische Innovationen entstehen können.17 Mit diesem Konzept lassen
sich sowohl die gesellschaftlichen Praxen erfassen, die wie etwa das Verkehrswesen oder
Ernährung einzelne Dimensionen einer stabilen Umwelt gefährden, als auch entsprechen-
de Umweltschutzmaßnahmen.
Angesichts der komplexen Vernetzung von sozioökologischen Systemen ist es sinn-
voll, verschiedene Resilienzordnungen zu unterscheiden, etwa spezifische und allgemeine
Resilienz (Folke et al. 2010). Spezifische Resilienz ist die Fähigkeit eines Systems, beim
Eintritt einer spezifischen Störung angemessen zu handeln. Ein Blick von einer übergeord-
neten Ebene kann nun zeigen, dass das betreffende System Teil eines umfassenderen Sys-
tems ist und dass eine entsprechende teilsystemische Resilienz die Resilienz des Gesamt-
systems verringern und insbesondere die Fähigkeit beeinträchtigen kann, auf Ereignisse
zu reagieren, die unvorhersehbar sind oder weit außerhalb der Seh- und Denkroutinen
liegen. Dies ist bei Konzepten zum Management sozioökologischer Systeme zu berück-
sichtigen. Oftmals müssen Wandlungsprozesse auf unterer Ebene angestoßen werden, um
das Gesamtsystem stabil bzw. handlungsfähig zu halten. Eine andere Unterscheidung von
Resilienzordnungen ist die zwischen einfacher und reflexiver Resilienz, wobei die Über-
gänge hier ebenfalls fließend sind (Bonß 2015, S. 27ff.). Sie ist spezifisch soziologisch
und bezieht sich damit auf die soziale Komponente sozioökologischer Systeme. Einfa-
che Resilienz ist reaktiv, ist die Fähigkeit, sich bei einem eingetretenen Schaden adäquat
zu verhalten. Selbstverständlich setzt dies auch Planung und somit Reflexion voraus. Als
„einfach“ wird diese Form von Resilienz bezeichnet, weil sich derartige Konzepte auf
die unmittelbare Reaktion beziehen.18 Reflexive Konzepte hingegen verfahren proaktiv,
sie versuchen, durch vorgängige Maßnahmen und insbesondere durch das Anstoßen ge-
sellschaftlicher Lernprozesse mögliche Gefährdungen präventiv zu verhindern.19 Insofern
17 Welzer (2013, S. 185ff.) analysiert dies unter dem von Etienne Wenger übernommenen Begriff der
„communities of practice“.
18 Im Vorschlag von Wildavsky (1988), der der soziologischen Resilienzforschung einen bedeutsamen
Anstoß gab, zwei komplementäre gesellschaftliche Sicherheitsstrategien zu unterscheiden, nämlich
Antizipation, d. h. das Vorhersehen von grundsätzlich bekannten Gefahren, und Resilienz als Vor-
bereitung auf unvorhersehbare Ereignisse, ist das Verständnis von Resilienz ein klassisches Beispiel
für ein Konzept einfacher Resilienz.
19 In eben diesem Sinn sind solche Resilienzkonzepte nicht einfach rückwärtsgewandt, wie Olsson
et al. (2014, S. 3) zu Recht gegen eine entsprechende Kritik einwenden. Ihnen fehlt indes die hier
referierte Unterscheidung, um erklären zu können, unter welchen Bedingungen ein Ansatz eher pro-
oder reaktiv ausfällt.
Die resiliente Gesellschaft 341
20 Walker und Salt (2006, S. 9) übersehen dies, wenn sie den Schlüssel des Nachhaltigkeitskonzepts
in der Stärkung der Resilienz eines sozioökologischen Systems sehen. Resilienz ist die Mindestan-
forderung, aber das Nachhaltigkeitsprinzip geht darüber hinaus, auch wenn in der faktischen Praxis
wie z. B. bei Nachhaltigkeitszertifikaten eine grüne Optimierung einzelner Produkte vorgenommen
wird, die das Gesamtsystem im Ganzen schwächen kann.
342 Jochen Ostheimer
kussionen werden unter dem Begriff der Resilienz eher selten geführt, im Rahmen von
Transformationsdiskursen hingegen weitaus mehr (Welzer 2013, S. 150ff., S. 199ff. u.ö.).21
Nachhaltigkeit wie Resilienz sind Ausdruck eines (Er-)Schreckens. Sie entspringen einer
Krisenwahrnehmung. Das Nachhaltigkeitskonzept hat die Bühne aufgespannt, und zwar
scheinbar größtmöglich: die gesamte Erde – was nicht zuletzt in der Bezeichnung der
Rio-Konferenz als „Erd-“ oder „Weltgipfel“ zum Ausdruck kommt – in einer zeitlichen
Erstreckung über mehrere Generationen hinweg. Das Nachhaltigkeitsprinzip scheint da-
mit das passende Begleitkonzept der entwickelten Moderne. Trotz dieser Ausdehnung hat
das Nachhaltigkeitskonzept noch etwas Handhabbares. Dies nun verliert sich in der neuen
großen Erzählung des Anthropozäns. Im Menschenzeitalter erfährt und erkennt sich der
Mensch als eine Macht, die er selbst kaum zu beherrschen in der Lage ist. Der Mensch
ist seinem Mitmenschen nicht einfach nur ein Wolf und mit Wölfen umzugehen hat der
Mensch in den vergangenen Jahrtausenden gelernt. Der Mensch ist dem Menschen nun
vielmehr ein geologischer Faktor. Diese Größen zu beherrschen hat der Mensch erst ge-
rade zu lernen begonnen. Dabei stieß er sehr bald auf das Phänomen der Komplexität,
das jede lineare Steuerung rasch an ihre Grenzen stoßen lässt. Insofern steckt hinter der
Diagnose des Anthropozäns eine Selbstbetrachtung des Menschen, die ähnlich wie der
astronautische Blick auf den blauen Planeten ihren Menschenbildcharakter nur reflexiv
erkennen lässt. Über die längste Zeit der Menschheitsgeschichte hinweg war das Paradies
ein Geschenk, eine Gabe einer höheren Macht. Erst dem neuzeitlichen Fortschrittsopti-
mismus schien das Paradies als eine – durchaus machbare – Aufgabe (Bacon 1982). Das
Konzept des Anthropozäns ist demgegenüber fast vollständig ernüchtert. Nicht mehr den
Himmel auf Erden zu erreichen ist die anstehende Aufgabe, sondern zu verhindern, dass
der Himmel der Menschheit auf den Kopf fällt, weil er mit anthropogenem, ja mit Zivili-
sationsmüll angefüllt ist (Ostheimer 2015).
Auch diejenigen, die angesichts der anthopozänen Gefährdungen in Fortführung der
neuzeitlichen Machbarkeitsmaxime auf Technik setzen, tun dies in den meisten Fällen
zur Abwehr von Gefahren. Climate engineering ist dafür das beste Beispiel. Technik als
Mittel des Paradieses hat weitgehend seinen Glanz verloren und wird als solches allenfalls
noch in Form von Agrogentechnik oder bei transhumanistischen TED-Talks vorgestellt.
Der Anthropozändiskurs begann als ein naturwissenschaftlicher, so wie auch der Blick
auf den Planeten Erde von außen in der natur- und technikwissenschaftlichen Sphäre sei-
nen anfänglichen Ort hatte. Doch so wie jener kann auch dieser nicht umhin, zu einem
gesellschaftlichen Phänomen und damit zu einem Gegenstand von Geistes-, Sozial- und
21 Die besondere diskursive Bedeutung des Transformationsdenkens kann hier aus Platzgründen nicht
mehr ausgeführt werden. Daher soll die Andeutung genügen, dass einer seiner spezifischen Beiträge
darin liegt, die Machtfrage zu stellen.
Die resiliente Gesellschaft 343
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Autorinnen und Autoren
Binder, Claudia R., Prof. Dr., ist Universitätsprofessorin für Mensch-Umwelt Beziehun-
gen in Urbanen Systemen an der EPFL Lausanne, Schweiz. Sie ist in Montreal, Canada
geboren. Nach dem Studium der Naturwissenschaften (Schwerpunkt Biochemie) an der
ETH Zürich, promovierte sie in Umweltwissenschaften und habilitierte in Mensch-Um-
welt Systemen ebenfalls an der ETH Zürich. Von 1996 bis 1998 war sie als Post-Doc in
den Departments „Agricultural and Resource Economics“ and „Ecological Economics“
der University of Maryland tätig; von 1998 bis 2006 war sie Oberassistentin am Lehrstuhl
für Umweltnatur- und Umweltsozialwissenschaften der ETH Zürich. 2006 erhielt sie eine
SNF-Professur am Department für Geographie der Universität Zürich und wurde 2009
bis 2011 Universitätsprofessorin für Systemwissenschaften an der Universität Graz, Öster-
reich; von 2011 bis 2015 war sie Universitätsprofessorin für Mensch-Umwelt Beziehun-
gen, Department für Geographie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Ihre
Forschungsschwerpunkte ist die Analyse, Modellierung und Bewertung der Transforma-
tion urbaner Systeme Richtung Nachhaltigkeit. E-Mail-Adresse: claudia.binder@epfl.ch.
347
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2018
M. Karidi et al. (Hrsg.), Resilienz,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-19222-8
348 Autorinnen und Autoren
und forscht derzeit zum Thema „Umgang von Wissensarbeitern mit psychischen Belas-
tungen“ im Forschungsprojekt „Strategien der Belastungsbewältigung“. E-Mail-Adresse:
carolin.blum@uni-wuerzburg.de
Böschen, Stefan, Dr. habil., ist Senior Research Scientist am ITAS (Institut für Technik-
folgenabschätzung und Systemanalyse) am KIT (Karlsruher Institut für Technologie) als
Ko-Leiter des Forschungsbereichs „Wissensgesellschaft und Wissenspolitik“. Er studierte
Chemieingenieurwesen, Philosophie und Soziologie in Erlangen-Nürnberg, erlangte sein
Diplom als Chemie-Ingenieur, und promovierte und habilitierte im Fach Soziologie. Im
WiSe 2016/17 und im SoSe 2017 vertrat er die Professur „Technik und Gender“ an der
RWTH Aachen. Schwerpunkte seiner Forschung sind Wissenschafts-, Technik-, Um-
welt- und Risikoforschung, Institutionentheorie und die Theorie moderner Gesellschaf-
ten. Seine aktuellen Projekte sind „PartInno“ (BMBF), „ComplexEthics“ (BMBF) sowie
„Hochschulkommunikation organisieren“ (VW Stiftung). Aktuelle Veröffentlichung: Bö-
schen, S. (2016): Hybride Wissensregime. Skizze einer soziologischen Feldtheorie. Baden-
Baden: Nomos. E-Mail-Adresse: stefan.boeschen@kit.edu.
leszenz und war Mitveranstalterin der Tagung Psychosozialer Wandel durch neue Medien:
Entwicklung und Lernen, Arbeit, Ausbildung und Freizeit an der Universität Würzburg.
Zusätzlich ist sie an der Entwicklung des Edutainment-Spiels Lorem Ipsum beteiligt.
E-Mail-Adresse: carolin.braun1@uni-wuerzburg.de.
Högl, Martin, Prof. Dr., MBA, ist Vorstand des Instituts für Leadership und Organisa-
tion (ILO) der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU). Er promovierte an der
Universität Karlsruhe (TH) und habilitierte an der Technischen Universität Berlin. Vor
seinem Wechsel an die LMU lehrte Professor Högl an der Washington State University
(USA), der Università Bocconi (Mailand, Italien) und der WHU – Otto Beisheim School
of Management. Des Weiteren war er Gastprofessor an der Kellogg School of Manage-
ment (Northwestern Univ., USA) sowie an der National Sun Yat-Sen University (Taiwan)
und ist Affiliated Faculty Member des WHU Center for Responsible Leadership. Die
Schwerpunkte seiner Forschungstätigkeit liegen auf Kernbereichen der Führung, darunter
vor allem Organisationale Agilität und Transformation, Teamarbeit und die Förderung der
Innovationskraft von Mitarbeitern. Die Ergebnisse seiner Forschung wurden in führen-
den internationalen Zeitschriften publiziert, so u. a. im Academy of Management Journal,
Human Resource Management, Journal of International Business Studies, Journal of Ma-
nagement, Journal of Management Studies, Journal of Product Innovation Management,
MIT Sloan Management Review, Organization Science und Research Policy. Ferner ist er
Associate Editor von Human Resource Management und Mitglied des Editorial Boards
des Journal of Product Innovation Management, Journal of World Business und des
Journal of Engineering and Technology Management. E-Mail-Adresse: hoegl@lmu.de.
Hurtienne, Jörn, Prof. Dr., leitet den Lehrstuhl für Psychologische Ergonomie an der
Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Er studierte Psychologie mit dem Schwer-
punkt Arbeits- Betriebs- und Organisationspsychologie und promovierte in Ingeni-
eurwissenschaften. Nach wissenschaftlichen Tätigkeiten an der TU Berlin, der Uni-
versity of Cambridge und der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin
folgte er 2012 dem Ruf an die Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Seine For-
schungsschwerpunkte sind die Gestaltung von Wissensarbeit sowie die Gestaltung in-
tuitiver Benutzung von Technik. E-Mail-Adresse: joern.hurtienne@uni-wuerzburg.de.
Karidi, Maria, Dr., war von 2013 bis 2017 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Insti-
tut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der Ludwig-Maximilians-
Universität München, wo sie 2016 mit einer Dissertation zum Wandel der Medienlo-
gik promovierte. Es folgte eine Tätigkeit als Projektmitarbeiterin am Robert Schuman
Centre for Advanced Studies des European University Institute (EUI) in Florenz. Von
2005 bis 2011 studierte sie Kommunikationswissenschaft und Neogräzistik an der Freien
Universität Berlin und Politikwissenschaft an der Universitat Autònoma de Barcelona
(2009/10). Studienbegleitende Tätigkeiten am Institut für Griechische und Lateinische
Philologie und am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der FU
Berlin, sowie Praktika in der Presse- sowie Öffentlichkeitsarbeit, in der Marktforschung,
bei der Hellenic Foundation for European & Foreign Policy (ELIAMEP) in Athen und
der Europäischen Kommission in Brüssel. E-Mail-Adresse: maria.karidi@ifkw.lmu.de.
May, Stefan, Dr., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Soziologie der Lud-
wig-Maximilians-Universität München (LMU)/Lehrstuhl Prof. Dr. Armin Nassehi. Er
studierte Rechtswissenschaften und Philosophie in Berlin, München und Tübingen. Nach
dem ersten juristischen Staatsexamen und dem Abschluss des Zweitstudiums in Philoso-
phie an der Universität Tübingen promovierte er in Soziologie an der LMU bei Prof. Dr.
Ulrich Beck. Von 1999–2007 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der LMU im Son-
derforschungsbereich 536 „Theorie reflexiver Modernisierung“. Von 2007 bis 2012 war er
wissenschaftlicher Geschäftsführer des Münchner Centrums für Governance-Forschung
(MCG) an der LMU. Von 2012 bis 2013 war er Geschäftsführer des „Center for Life-
science and Law“ (CLL) an der Juristischen Fakultät der LMU. Seine Forschungsschwer-
punkte sind Wissenschafts- und Risikosoziologie, Politische Soziologie, Rechtssoziologie.
Wichtige Publikationen sind May, S., Böschen, S., & Kratzer, N. (Hrsg.). (2005). Neben-
folgen. Analysen zur Konstruktion und Transformation moderner Gesellschaften. Vel-
352 Autorinnen und Autoren
brück-Wissenschaft: Weilerswist; May, S., & Grande, E. (Hrsg.). (2009). Perspektiven der
Governance-Forschung. Band 1 der Schriften des Münchner Centrums für Governance-
Forschung. Baden-Baden: Nomos; May, S., Holzinger, M., & Pohler, W. (2010). Weltrisi-
kogesellschaft als Ausnahmezustand? Velbrück-Wissenschaft: Weilerswist. Diverse Auf-
sätze sind in verschiedenen Zeitschriften in den Themengebieten Politische Soziologie,
Rechtssoziologie erschienen. E-Mail-Adresse: stefan.may@soziologie.uni-muenchen.de.
Meyen, Michael, Prof. Dr., ist Professor für Allgemeine und Systematische Kommu-
nikationswissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Nach seinem
Studium der Journalistik an der Universität Leipzig war er von 1991 bis 1997 Journa-
list und Nachrichtenredakteur in der Tagespresse, beim Hörfunk und beim Teletext.
1995 promovierte er in Leipzig und habilitierte 2001 (Habilitationsstipendium der Deut-
schen Forschungsgemeinschaft). Michael Meyen war Lehrbeauftragter an den Univer-
sitäten Leipzig (1995 bis 2001) und Halle (2000/2001). Im Wintersemester 2001/2002
hatte er eine Gastprofessur an der TU Dresden inne. Seine Schwerpunkte in Forschung
und Lehre sind die Fach- und Theoriegeschichte der Kommunikationswissenschaft, Me-
diennutzung, DDR, Historische Rezeptionsforschung, Methoden und Journalismusfor-
schung. Michael Meyen ist seit Anfang 2016 Sprecher des Bayrischen Forschungsver-
bunds ForChange (www.forchange.de). E-Mail-Adresse: michael.meyen@ifkw.lmu.de.
Mühlemeier, Susan, M.A., ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin. Sie hat
ihre Promotion bei Prof. Claudia R. Binder zunächst in der „Lehr und Forschungseinheit
für Mensch-Umwelt Beziehungen“ an der Ludwig-Maximilians-Universität München be-
gonnen und diese anschließend mit Frau Prof. Binder in der Gruppe „Human-Environ-
ment Relations in Urban Systems“ an der Eidgenössisch Technischen Hochschule Lau-
sanne (Schweiz) fortgesetzt. Susan Mühlemeier studierte Lehramt für Gymnasien mit den
Fächern Deutsch und Geographie und machte anschließend einen Master in Bildung für
nachhaltige Entwicklung. Im Rahmen ihrer Promotion befasst sie sich mit theoretisch-
konzeptioneller Arbeit zur Resilienz von Energiesystem-Transitionen sowie der Kon-
zeptualisierung und Analyse der Rolle von Akteurshandeln für diese Transitionen. Ihre
Untersuchungsgebiete liegen in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Ihr aktueller
Schwerpunkt ist die Analyse der Rolle großer Stadtwerke in der Energiewende Deutsch-
lands und der Schweiz. E-Mail-Adresse: susan.muehlemeier@epfl.ch.
Riegger, Manfred, Prof. Dr., leitet den Lehrstuhl für Religionspädagogik und Didaktik
des Religionsunterrichts an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Ludwig-Maximi-
lians-Universität München (Lehrstuhlvertretung). Er studierte Katholische Theologie und
Sozialwesen in Tübingen, Berkeley/CA und Benediktbeuern. Manfred Riegger promo-
vierte und habilitierte an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Benediktbeuern.
Er publizierte zum Beispiel zur Habitusbildung mittels professioneller Simulation (zusam-
men mit Stefan Heil, Der religionspädagogische Habitus. Professionalität und Kompeten-
zen entwickeln – mit innovativen Konzepten für Studium, Seminar und Beruf, Würzburg:
Echter 2017), zur religiösen und kulturellen Bildung im Kontext der Flüchtlingsthematik
(gefördert im Rahmen der gemeinsamen Qualitätsoffensive von Bund und Ländern mit
Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung). Weitere Veröffentlichung
gab es in Zusammenarbeit mit Sabine Kern, Eva Riegger-Kuhn, Annette Webersberger
(Unterwegs mit dem Vaterunser. Mit Flüchtlingen und Einheimischen das Gebet spre-
chen und verstehen lernen, München: dkv 2016), zur „Diskurs-Arena“ (Nachhaltige Ent-
wicklung), zum Lernen durch Erfahrung und zur Theorie-Praxis-Relationierung. E-Mail-
Adresse: manfred.riegger@kaththeol.uni-muenchen.de.
Rungius, Charlotte, M.A., ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin an der
Universität Augsburg am Lehrstuhl für Politikwissenschaft mit Schwerpunkt Friedens- und
Konfliktforschung. Sie studierte Sozialwissenschaftliche Konfliktforschung, Internationa-
le Beziehungen und Volkswirtschaftslehre an den Universitäten Augsburg und Mannheim
sowie in Innsbruck, Washington, DC und Ankara. Ihr vorderstes Interesse gilt den me-
thodologischen und erkenntnistheoretischen Bedingungen politisch relevanter Forschung.
Derzeit untersucht sie wissenschaftliche Politikberatung in der deutschen Außenpolitik
aus der Perspektive einer post-kritischen Wissenschaftstheorie. Zuletzt publizierte sie
unter anderem in der Zeitschrift für Außen- und Sicherheitspolitik zusammen mit Ulrich
Roos eine Rekonstruktion der außenpolitischen Diskursoffensive „Neue Macht, Neue Ver-
antwortung“ in Deutschland. E-Mail-Adresse: charlotte.rungius@phil.uni-augsburg.de.
354 Autorinnen und Autoren
Sautermeister, Jochen, Prof. Dr. Dr., ist Inhaber des Lehrstuhls für Moraltheologie und
Direktor des Moraltheologischen Seminars an der Universität Bonn. Von 2014 bis 2017 war er
Inhaber der Stiftungsprofessur für Moraltheologie unter besonderer Berücksichtigung der
Moralpsychologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Er studierte Katho-
lische Theologie, Psychologie und Philosophie in Tübingen und Jerusalem. Zudem ist Jo-
chen Sautermeister psychologischer Ehe-, Familien- und Lebensberater. E-Mail-Adresse:
sautermeister@uni-bonn.de.
von Streit, Anne, Dr., ist Wirtschafts- und Sozialgeographin und arbeitet als wissen-
schaftliche Mitarbeiterin an der Lehr- und Forschungseinheit Mensch-Umwelt-Bezie-
hungen des Departments für Geographie der Ludwig-Maximilians-Universität Mün-
chen (LMU). Sie studierte Geographie und Englisch in München und Swansea, Wales
und promovierte zu den raumzeitlichen Alltagspraktiken von Wissensarbeitern an der
LMU. Ihre Forschungsinteressen liegen im Bereich von Nachhaltigkeitstransitionen, In-
novationsforschung, Governance und Transdisziplinärität. Sie verfügt über mehrjährige
Autorinnen und Autoren 355
Vogt, Markus, Prof. Dr., ist Professor für Christliche Sozialethik an der Ludwig-Maxi-
milians-Universität München. Er studierte Theologie und Philosophie in München, Jerusa-
lem und Luzern. Von 2009 bis 2015 war er Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Sozialethik
im deutschen Sprachraum; seit 2015 ist er Dekan der Katholisch-Theologischen Fakultät,
seit 2008 Mitglied und seit 2014 im Vorstand des Münchner Kompetenzzentrums Ethik
(MKE). 2011/12 hatte er eine Forschungsprofessur am Rachel Carson Center for Environ-
ment and Society inne. Seit 2016 ist er Sprecher des Sachverständigenrates Bioökonomie
der Bayerischen Staatsregierung und seit 1995 Berater der ökologischen Arbeitsgruppe
der Deutschen Bischofskonferenz. Publikationen u. a.: Prinzip Nachhaltigkeit (2009, 3.
Aufl. 2013, russisch 2016, 2017 mit dem „Economy and Society Award“ der päpstlichen
CAPP-Stiftung ausgezeichnet); Climate Justice (2010); Theologie der Sozialethik (2013,
Hrsg.); Umweltethik (2013, Hrsg.); Environmental Ethics. (2013, russisch); Europe after
Fukushima (2013); Die Moral der Energiewende (2014, Hrsg.); Gliederungssysteme an-
gewandter Ethik (2016, Hrsg.); Theologische und ethische Dimensionen der Resilienz
(= MThZ 3/2016, Hrsg. zus. mit M. Schneider); Die Welt im Anthropozän (2016, Hrsg.),
Religion in the Anthropocene (2017, Hrsg.). Markus Vogt ist Mitglied und stellvertre-
tender Sprecher im Bayerischen Forschungsverbund ForChange (www.forchange.de).
E-Mail-Adresse: m.vogt@kaththeol.uni-muenchen.de.
Weiß, Matthias, Dr., ist wissenschaftlicher Assistent und Habilitand am Institut für
Leadership und Organisation (ILO) der Ludwig-Maximilians-Universität München. Er
studierte an der Universität Hohenheim und promovierte an der WHU – Otto Beisheim
School of Management, wo er auch als Post-Doc tätig war. Während seiner Promotion
absolvierte er einen Gastaufenthalt an der Università Bocconi (Mailand, Italien). In der
Forschung beschäftigt er sich mit Ursachen und Konsequenzen von Stress und Stressoren
am Arbeitsplatz, Resilienz im organisationalen Kontext sowie mit den Voraussetzungen
von Kreativität und Innovation. Die Ergebnisse seiner Forschung erschienen unter an-
derem in Human Relations, Leadership Quarterly, Organizational Psychology Review,
R&D Management und im Journal of Product Innovation Management. E-Mail-Adresse:
weiss@bwl.lmu.de.
356 Autorinnen und Autoren
Weller, Christoph, Prof. Dr., leitet den Lehrstuhl für Politikwissenschaft, Friedens- und
Konfliktforschung der Universität Augsburg und ist seit ihrer Gründung 2010 Mither-
ausgeber der „Zeitschrift für Friedens- und Konfliktforschung“ (ZeFKo). Er studierte
Politikwissenschaft, Germanistik, Philosophie, Soziologie und Psychologie in Stuttgart,
Kassel und Tübingen. Nach seinem Staatsexamen war er wissenschaftlicher Mitarbei-
ter und Lehrbeauftragter an den Universitäten in Tübingen, Darmstadt, Bremen, Aachen,
Duisburg und Stuttgart, Redakteur der „Zeitschrift für Internationale Beziehungen“ und
Visiting Post-Graduate Fellow an der Yale University in New Haven, USA. Mit seiner
Arbeit zum Feindbild-Zerfall am Ende des Ost-West-Konflikts wurde er 1999 an der TU
Darmstadt promoviert und war dann u. a. Wissenschaftlicher Geschäftsführer des Insti-
tuts für Entwicklung und Frieden (INEF) an der Universität Duisburg-Essen und Profes-
sor für Friedens- und Konfliktforschung an der Philipps-Universität Marburg. Seine über
100 Veröffentlichungen erschienen in Sammelbänden und Zeitschriften wie Aus Politik
und Zeitgeschichte, Entwicklung und Zusammenarbeit, Interdisziplinäre Anthropologie,
International Peacekeeping, Internationale Politik und Gesellschaft, Law and State, Le-
viathan, Linguistische Berichte, Neue Politische Literatur, Politische Vierteljahresschrift,
WeltTrends, Wissenschaft und Frieden, Zeitschrift für Entwicklungspolitik, Zeitschrift
für Friedens- und Konfliktforschung, Zeitschrift für Genozidforschung sowie der Zeit-
schrift für Internationale Beziehungen. Zu seinen aktuellen Forschungsschwerpunkten
gehören die Geschichte der Friedens- und Konfliktforschung, Reflexive Politikberatung,
Konfliktanalysen, Gewaltforschung und Zivile Konfliktbearbeitung. E-Mail-Adresse:
weller@phil.uni-augsburg.de.
Winder, Gordon M., Prof. Dr., is Professor of Economic Geography and Sustainabili-
ty Research at the Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU), Germany. He re-
ceived his PhD from the University of Toronto, and was Senior Lecturer in Geography at
the University of Auckland before moving to Munich in 2008. He serves on the advisory
board of the doctoral program at the Rachel Carson Center for Environment and Society,
LMU, is an Honorary Research Fellow at the School of Environment, The University of
Auckland, and a member of the editorial board of the Journal of Historical Geography.
An economic and historical geographer, his research is focused on manufacturing net-
works, resource-based economies and sustainability. His book, The American Reaper:
Harvesting Networks and Technology (Ashgate Publishing, 2012), investigates the dy-
namics of manufacturing networks within an industry characterized by dispersed produc-
tion locations, technical constraints on the scale of production, and the use of licensing,
subcontracting and strategic alliances before 1890. His research focuses on resources and
sustainability and especially forest, agriculture and fisheries industries. He researches the
relationships between resources, governance, innovation, markets and environments with
sustainability as a driving concern. He is a member of the Research Alliance ForChange
of the Bavarian Ministry of Science, Culture and the Arts, in which he is responsible
for a project investigating innovation for sustainability in Bavaria’s wood use system. In
2016, with Prof. Andreas Dix (Bamberg) he published Trading Environments: Frontiers,
Autorinnen und Autoren 357
Wyss, Romano, Dr., arbeitet bei B,S,S. Volkswirtschaftliche Beratung in Basel. Er hat in
Fribourg (Schweiz) und Utrecht (Niederlande) Volkswirtschaft und Geographie studiert
und an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt (Deutschland) zu den Auswirkun-
gen des Klimawandels auf den Tourismus promoviert. Danach arbeitete er als Post-Doc
an der Ludwig-Maximilians-Universität München und der EPFL Lausanne (Schweiz). Er
ist besonders interessiert an den langfristigen Auswirkungen von Transformationsprozes-
sen auf Gouvernanznetzwerke in unterschiedlichen Sektoren. Studien von Romano Wyss
wurden in interdisziplinären Journalen sowohl auf Deutsch als auch auf Englisch publi-
ziert. Er spricht fließend Englisch, Deutsch, Französisch und Italienisch. E-Mail-Adresse:
romano.wyss@bss-basel.ch.