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Maria Karidi

Martin Schneider
Rebecca Gutwald
Hrsg.

Resilienz
Interdisziplinäre Perspektiven zu Wandel
und Transformation
Resilienz
Maria Karidi · Martin Schneider
Rebecca Gutwald
(Hrsg.)

Resilienz
Interdisziplinäre Perspektiven zu Wandel
und Transformation
Herausgeber
Maria Karidi Rebecca Gutwald
München, Deutschland München, Deutschland

Martin Schneider
München, Deutschland

ISBN 978-3-658-19221-1 ISBN 978-3-658-19222-8  (eBook)


https://doi.org/10.1007/978-3-658-19222-8

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX
Reflexive Resilienz: Der Beitrag des Bayerischen
Forschungsverbundes ForChange zum Resilienzdiskurs
Michael Meyen und Markus Vogt

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1
Vom multidisziplinären Vergleich von Resilienzkonzepten
zu interdisziplinären Lernprozessen
Maria Karidi, Martin Schneider und Rebecca Gutwald

Teil I Streitfrage Resilienz


Zwischen Kritik und Rekonstruktion

Resilienz als Trendkonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13


Über die Diffusion von Resilienz
in Gesellschaft und Wissenschaft
Matthias Weiß, Silja Hartmann und Martin Högl

Resilienz – Macht – Hoffnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33


Der Resilienzbegriff als diskursive Verarbeitung
einer verunsichernden Moderne
Charlotte Rungius, Elke Schneider und Christoph Weller

Kritische Resilienzforschung als Beobachtung


eines gegenwärtigen Rechtsformenwandels? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61
Aspekte einer erforderlichen Systematisierung
Roman Thurn, Stefan May und Stefan Böschen

V
VI Inhaltsverzeichnis

Der Begriff der Resilienz in der Humangeographie . . . . . . . . . . . . . . . . 83


Amra Bobar und Gordon Winder

Selbsterhaltung, Kontrolle, Lernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103


Zu den normativen Dimensionen von Resilienz
Martin Schneider und Markus Vogt

Teil II Kompetenzen und Ressourcen


Zwischen Selbstoptimierung und Persönlichkeitsentwicklung

Selbstgestaltung und Sinnsuche


unter fragilen Bedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127
Moralpsychologische und ethische Anmerkungen
zum Verhältnis von Resilienz und Identität
Jochen Sautermeister

Resilienz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141
Ein schädlicher Begriff für den Umgang mit Stress am Arbeitsplatz?
Jörn Hurtienne und Katharina Koch

Gute Arbeit, resiliente Arbeiter? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159


Psychische Belastungen im Arbeitskontext
aus Sicht des Capability Ansatzes
Carolin Blum und Rebecca Gutwald

Medien und gesellschaftlicher Wandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177


Eine empirische Studie zu der Frage, ob Medienkompetenz
im Jugend- und frühen Erwachsenenalter einen Resilienzfaktor darstellt
Carolin Braun, Verena Maria Gralke und Gerhild Nieding

Resilienzsensible Bildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203


Resilienz als Response-Strategie durch
Professionelle Simulation (ProfiS) entwickeln
Manfred Riegger
Inhaltsverzeichnis VII

Teil III Systeme und Strukturen


Zwischen Pfadabhängigkeit und Transformation

Bamboo and Lotos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229


What Makes Indian and Chinese Firms Resilient?
Sue Claire Berning

Viele Krisen, eine Antwort? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245


Zur Nutzbarkeit und Nützlichkeit von Resilienz
in entwicklungspolitischen Programmen
Birgit Kemmerling und Amra Bobar

Resilienz in regionalen Energietransitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267


Versuch einer Konzeptualisierung
aus institutionentheoretischer Perspektive
Michael Jedelhauser und Anne von Streit

Ein indikatorengestützter Ansatz zur Resilienzanalyse


von Energiesystemen in Transition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293
Theoretische Konzeptualisierung und empirische Anwendung
im bayerischen Allgäu
Susan Mühlemeier, Romano Wyss und Claudia R. Binder

Die resiliente Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327


Überlegungen zu einer Kulturaufgabe im Zeitalter des Menschen
Jochen Ostheimer

Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347


Vorwort
Reflexive Resilienz: Der Beitrag des Bayerischen Forschungs-
verbundes ForChange zum Resilienzdiskurs

Michael Meyen und Markus Vogt

Das bayerische Wissenschaftsministerium hat dem Forschungsverbund ForChange einen


klaren Auftrag gegeben: „Vor dem Hintergrund tiefgreifender systemischer Veränderun-
gen“ sollten „diejenigen Kompetenzen und Verhaltensweisen“ identifiziert und analysiert
werden, „die Individuen, soziale Gruppen und Institutionen befähigen, diese Transfor-
mationen zu verstehen und sich adäquat anzupassen“. Der Ausschreibungstext von 2012
hat dabei die unreflektierte Verwendung von Schlagwörtern wie „Wandel“ und „Trans-
formation“ kritisiert und den „Begriff der Resilienz“ in das Zentrum gerückt. Es wurde
vorhergesagt, dass dieser Begriff „immer stärker an Bedeutung gewinnen“ werde, und die
Frage aufgeworfen, wie ein System (eine Person, eine Organisation, eine Institution) allen
„Störungen“ und allem „Anpassungs- und Innovationsdruck“ zum Trotz „seine Stabilität
bewahren kann“. Wandel akzeptieren und vollziehen, „ohne den inneren Frieden und die
Lebensqualität zu beeinträchtigen“: Auf diese Formel lässt sich die Idee verdichten, die
zur Einrichtung von ForChange geführt hat, finanziert durch das Bayerische Staatsminis-
terium für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst.
Fünf Jahre später dokumentiert dieser Sammelband, wie die 13 Teilprojekte den Schlüs-
selbegriff konzeptionell weiterentwickelt und präzisiert haben. Die Zusammensetzung des
Verbunds und hier vor allem die sehr unterschiedliche Verankerung des Resilienzkon-
zepts in den beteiligten Fächern haben erlaubt, den Begriff auf den Prüfstand zu stellen
und dabei nicht nur über die Verwendung in seinen drei Herkunftsdisziplinen Ökologie,
Psychologie und Werkstoffphysik hinauszugehen, sondern auch den Resilienzdiskurs ins-
gesamt und damit ganz allgemein die Verwendung von gesellschaftlichen Leitbegriffen
(etwa: Nachhaltigkeit und Transformation) zu hinterfragen (vgl. exemplarisch die Beiträge

IX
X Michael Meyen und Markus Vogt

in Vogt und Schneider 2016). Dieser Beitrag zur Begriffsdiskussion lässt sich auf eine For-
mel bringen: ForChange setzt einen Kontrapunkt zur konservativen Ausrichtung von Re-
silienz und regt neben einer Wertedebatte Reflexivität an. In einer Formulierung des Poli-
tikwissenschaftlers Christoph Weller (2016): „Das positiv besetzte Modewort ‚Resilienz‘
vermittelt Hoffnungen und Versprechen auf unbestreitbar gute Phänomene und Systeme,
verschleiert damit aber normative Unsicherheiten und potenzielle Umstrittenheit, lenkt ab
von ethischen Dilemmata und gehört mit seinen Scheinlösungen und Stabilisierungsper-
spektiven zu einem postmodernen Konservatismus, dessen verheißungsvoller Schönheit
wir (selbst-)kritisch begegnen sollten“.
Die Forderung nach theoretischer und normativer Reflexion wurzelt unter anderem in
der Kritik eines Resilienzdiskurses, der die Verantwortung auch im Kontext gesellschaft-
licher Bedrohungen von kollektiven oder korporativen Akteuren (Staat, Parteien, Kirchen,
Unternehmen) einseitig auf Individuen verlagert. Durch eine solche individualistische
„Resilienz-Brille“ lassen sich Anpassungen oder Eingriffe aller Art rechtfertigen, wenn
sie denn dem Überleben dienen. Und: Wenn Resilienz als für jeden erstrebenswert und
erreichbar proklamiert wird, dann geraten die unter Druck, bei denen sich dieser Zustand
partout nicht einstellen will. Resilienz lenkt die Fehlerdiskussion so von sozialen und
strukturellen Ursachen auf persönliche Entscheidungen und suggeriert, dass es aller Kom-
plexität, Vernetzung und Ungewissheit zum Trotz Handlungsempfehlungen geben kann
(vgl. exemplarisch Berndt 2013; Zolly und Healy 2013; Rodin 2015).
ForChange setzt einen anderen Impuls: In einer Zeit, in der politische und religiöse
Ideen zumindest in der westlichen Welt an Anziehungskraft verloren haben, liefert Resi-
lienz nicht nur Sinn, sondern regt auch zur Wertediskussion und damit zur Gestaltung des
Wandels an: Was wollen wir erhalten, wie wollen wir leben, wie lässt sich persönliches
Glück erreichen? Um es noch deutlicher zu sagen: Eine solche Wertedebatte ist notwen-
diger Bestandteil des Resilienzverständnisses, das der Forschungsverbund entwickelt hat.
Dazu gehört, Entscheider in Wirtschaft und Politik nicht aus ihrer Verantwortung zu ent-
lassen.
Neben der Wertedebatte schließt das Resilienzverständnis des Forschungsverbunds ei-
nen Impuls zur Reflexivität ein, der sich auf das Wissenschaftssystem selbst sowie auf die
Verwendung von wissenschaftlichen Konzepten in öffentlichen Debatten bezieht. Auch
hier wieder auf eine Formel verdichtet: Wer Begriffe wie Nachhaltigkeit, Transformation,
Transition, Modernisierung, Autopoiesis, Versatilität, Fragilität, Metamorphose, Risiko
oder eben Resilienz verwendet, um den sozialen Wandel zu beschreiben, zu analysieren
und möglicherweise auch zu gestalten, sollte sich stets nicht nur Entstehungskontext und
Begriffsgeschichte vor Augen führen, sondern auch die jeweiligen Implikationen reflek-
tieren und offen legen sowie sich darüber im Klaren sein, dass Differenzierungen schwie-
riger werden, wenn die Arena der Öffentlichkeit größer, weniger spezialisiert und stärker
interessengeleitet wird.
Zur Reflexivität gehört, nach den Interessen zu fragen, die eine bestimmte Perspektive
auf Gesellschaft und sozialen Wandel bedient – auch weil die Verwendung dieser Perspek-
tive andere Perspektiven ausschließt oder zumindest in den Hintergrund rückt (Perspek-
Vorwort XI

tiven mit anderen Schwerpunkten und anderen Implikationen). Was passiert zum Beispiel
mit der Norm Nachhaltigkeit, wenn Resilienz tatsächlich (wie vom bayerischen Wissen-
schaftsministerium 2012 vorausgesagt) „immer stärker an Bedeutung“ gewinnt? Was ist
überhaupt von der Idee geblieben, den Ist-Zustand bewahren zu wollen und nicht mehr
zu verbrauchen als nachwächst oder wieder bereitgestellt werden kann (die ursprüngliche
Bedeutung von Nachhaltigkeit, vgl. Grunwald und Kopfmüller 2006)? Der Impuls zur
Reflexivität, der von der Arbeit des Forschungsverbundes ausgeht, zielt auf drei Ebenen:

• auf die Konkurrenz von Konzepten und Theorien in der Wissenschaft selbst sowie auf
die Folgen für Untersuchungsdesigns und Ergebnisse (etwa: Resilienz vs. Nachhaltig-
keit vs. Transformation vs. Risiko),
• auf die Implikationen, die die Adelung wissenschaftlicher Begriffe zu Leitsternen der
politischen Debatte hat (schlagwortartig: Was leisten die Begriffe und was leisten sie
nicht, welche Fragen rücken sie in den Vorder- und welche in den Hintergrund, wem
nutzen sie folglich und wem schaden sie?), und
• auf die allgemeine Wertedebatte, die untrennbar mit dem Resilienzbegriff verbunden
ist.

Wird Resilienz zum politischen Leitbegriff, dann ist in einer solchen Debatte zu klären,
was als Bedrohung anerkannt wird und was als schützenswert (und was jeweils nicht).
Beide Fragen schließen zwingend Normativität ein. Auf den Punkt gebracht: Ein soziales
System ist nicht an sich resilient, sondern immer nur mit Blick auf bestimmte Funktionen,
die es zum Beispiel für die Gesellschaft erfüllt – Funktionen, über die gestritten werden
muss und die transparent zu sein haben, wenn von Resilienz gesprochen wird. Aus einer
demokratietheoretischen Perspektive (das ist hier wichtig) macht es beispielsweise über-
haupt keinen Sinn, einem Staat wie Nordkorea oder einer Regierung wie der des syrischen
Präsidenten Assad Resilienz zu attestieren, nur weil beide offenbar selbst schwersten äu-
ßeren (Nordkorea) und inneren (Assad) Bedrohungen trotzen. Persistenz, Resistenz und
Anpassung sind nicht mit einem Resilienzbegriff zu verwechseln, der Wertedebatten und
Reflexivität einschließt.
Wie vom Geldgeber gewünscht, hat der Forschungsverbund neben diesem Beitrag zur
Begriffsdiskussion Handlungsempfehlungen erarbeitet – zum Teil sehr konkret mit Blick
auf die Gegenstände der Teilprojekte. Dabei lassen sich zwei Resilienzfaktoren nennen,
die unabhängig von der Größe und dem Zuschnitt des sozialen Systems gelten, das jeweils
untersucht wurde: Kommunikation und Transparenz. Die Normativität und der Impuls zur
Reflexivität, die mit dem Begriffsverständnis von ForChange verbunden sind, werden hier
greifbar. Resilienz kann Organisationen, Institutionen, sozialen Funktionssystemen und
Gesellschaften nur dann attestiert werden, wenn sie Debatten über Werte, über ihre Iden-
tität und über ihre Ziele ermöglichen und stimulieren. Dazu gehört, entsprechende Foren
und Kommunikationskanäle einzurichten, zu fördern (etwa über Personal oder finanzielle
Anreize) und so zu institutionalisieren. Wenn über Werte, Identität und Ziele diskutiert
XII Michael Meyen und Markus Vogt

wird, geht es tatsächlich um existenzielle Fragen: Wer sind wir? Was ist uns wichtig und
was macht uns aus? Wo wollen wir hin?
Eng mit der Forderung nach Austausch, Kommunikation und Selbstverständigung ver-
bunden ist der Resilienzfaktor Transparenz. Wer Bedrohungen nicht kennt und diskutiert
oder wer vielleicht nicht einmal dafür sensibilisiert ist, dass es Bedrohungen geben könn-
te, dem mangelt es genauso an Resilienz wie denjenigen, die interne und externe Kon-
flikte und Bruchstellen verschleiern oder bagatellisieren. Umgekehrt und damit positiv
formuliert: Resilienz verlangt, Wissen zur Verfügung zu stellen und die Normen offenzu-
legen, die Strukturen und Entscheidungen legitimieren. Damit reiht sich der Forschungs-
verbund in die Phalanx der Projekte und Initiativen ein, die Wissenschaft in den Rang
eines „Resilienzgenerators“ erheben (Sommer und Welzer 2014, S. 116). Transparenz lässt
sich zwar auch als Aufgabe von Führungskräften verstehen, die für das entsprechende
Bewusstsein sowie für die nötigen Regeln und Ressourcen sorgen können und müssen,
zugleich verlangt dieser Resilienzfaktor aber vieles von dem, was die genuine Aufgabe
wissenschaftlichen Arbeitens ist: Selbstverständlichkeiten zu hinterfragen, quer zu den-
ken und dabei auch Schwächen zu thematisieren sowie vor allem (in der Terminologie von
Anthony Giddens) Wissen von der Ebene des praktischen Bewusstseins auf die Ebene
des diskursiven Bewusstseins zu heben. Ohne die nötigen Begriffe, entsprechende Daten
sowie theoretisch hergeleitete und empirisch geprüfte Ursache-Wirkungs-Vermutungen
ist auch der Resilienzfaktor Kommunikation nicht vorstellbar. Und: Ohne Strukturen, die
systematisch Wissen über Bedrohungen, unsichtbare Bedingungen des eigenen Handelns
und nichtintendierte Folgen dieses Handelns generieren, ist der Resilienzfaktor Transpa-
renz nicht zu haben.
Es versteht sich nach dem bisher Gesagten fast von selbst, dass Transparenz genau wie
Kommunikation Ressourcen erfordert: Zeit, Geld und oft auch Personal, das sich in den
Bilanzen von Unternehmen, Behörden und anderen Einrichtungen schon deshalb nicht
sofort zwingend positiv niederschlägt, weil die Aufgaben langfristig angelegt sind und der
Beitrag zum Erfolg höchstens indirekt und möglicherweise auch gar nicht zu messen ist.
Wenn diese Befunde richtig sind, dann stellt ForChange das Ideal der Effektivität und der
Gewinnmaximierung auf den Prüfstand, das keineswegs nur das wirtschaftliche Handeln
der Gegenwart bestimmt, sondern längst auch den Alltag vieler Menschen in den westli-
chen Gesellschaften. Das heißt: Die „Fähigkeit zur Resilienz, zur Wandlungs- und Anpas-
sungsfähigkeit einer Gesellschaft“ (Ausschreibungstext von 2012) verlangt insgesamt ein
Umdenken. Die Untersuchungen in den Teilprojekten, die sich mit sozialen Systemen von
sehr unterschiedlicher Größe beschäftigt haben, zeigen dabei, dass wir für diesen Wandel
keineswegs auf einen Impuls von oben warten müssen – vor allem dann nicht, wenn wir in
irgendeiner Weise Verantwortung für Menschen und Ressourcen tragen.
Vorwort XIII

Literatur

Berndt, C. (2013). Resilienz: Das Geheimnis der psychischen Widerstandskraft. München: Deut-
scher Taschenbuch Verlag.
Grunwald, A., & Kopfmüller, J. (2006). Nachhaltigkeit. Frankfurt/Main: Campus.
Rodin, J. (2015). The resilience dividend. Managing disruption, avoiding disasters, and growing
stronger in an unpredictable world. London: Profile Books.
Sommer, B., & Welzer, H. (2014). Transformationsdesign. Wege in eine zukunftsfähige Moderne.
München: Oekom.
Vogt, M., & Schneider, M. (Hrsg.). (2016). Theologische und ethische Dimensionen von Resilienz.
Münchener Theologische Zeitschrift 67(3).
Weller, C. (2017). Im Resilienztunnel – Bitte nehmen Sie mal die Brille ab! Resilienz (online).
http://resilienz.hypotheses.org/1964. Zugegriffen: 16. Juni 2017.
Zolli, A., & Healy, A. M. (2013). Resilience: Why things bounce back. New York: Simon & Schuster
Paperbacks.
Einleitung
Vom multidisziplinären Vergleich von Resilienzkonzepten
zu interdisziplinären Lernprozessen

Maria Karidi, Martin Schneider und Rebecca Gutwald

In Zeiten radikalen gesellschaftlichen Wandels ist der Begriff der Resilienz Fluch und
Segen zugleich. Je nach Kontext und Definition kann sich hinter diesem Konzept sowohl
ein Versprechen als auch eine selbsterfüllende Prophezeiung verbergen. Ob Klimawandel,
Flüchtlingsbewegungen, Armut, Ressourcenknappheit, Urbanisierung oder Stress am Ar-
beitsplatz – Resilienz ist das Modewort der 2010er Jahre. Längst hat sich der Begriff von
seinem ingenieur- und materialwissenschaftlichen Ursprung losgelöst und vermag Natur-
und Gesellschaftswissenschaften zusammenzubringen (Walker 2013). Angefangen mit
der vielzitierten Kauai-Studie (Werner 1999) sowie daran anschließenden (entwicklungs-)
psychologischen Resilienzansätzen – und spätestens seit Crawford Stanley Holling zu Be-
ginn der 1970er Jahre mit dem Resilienzkonzept soziale Ökosysteme erforschte, findet der
Begriff heute in diversen Forschungsrichtungen und Teildisziplinen der Sozial- und Geis-
teswissenschaften Anwendung (Endreß und Maurer 2015; Wink 2016). Ob im Bereich
der zivilen Sicherheit (hier ursprünglich als Programm zum Umgang mit Naturkatastro-
phen, Kaufmann 2015), in der Raumforschung und Regionalentwicklung (Christmann et
al. 2011; Schneider 2015), in den Wirtschaftswissenschaften (Carmeli et al. 2013; Mitchell
2013), in der philosophischen und soziologischen Armutsforschung (Gutwald 2015; Prom-
berger et al. 2015), in der Ökologie (Bennett et al. 2014) oder in der Psychologie (David-
son 2000; Norris et al. 2008): Resilienz wird als ein Konzept gehandelt, das erfolgver-
sprechende Antworten auf unterschiedliche Herausforderungen und Krisen in sich birgt.
Diese Multidisziplinarität ist vor allem deshalb möglich, weil der Terminus sowohl eine
deskriptive als auch eine normative Dimension besitzt (Brand und Jax 2007; Gutwald und
Nida-Rümelin 2016; Schneider und Vogt 2017). Außerdem hat Resilienz das Potenzial,

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M. Karidi et al. (Hrsg.), Resilienz,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-19222-8_1
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an schillernde Begriffe wie etwa „Vulnerabilität“ oder „Nachhaltigkeit“ anzuschließen


(Imbusch 2015; Meyen 2015; Vogt und Schneider 2016) und bietet zudem Anknüpfungs-
punkte zu einer Reihe verwandter Ansätze wie Salutogenese, Robustheit, Adaptabilität,
Transformabilität oder Anti-Fragilität (Anderies et al. 2013).
Da Resilienz in unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen (sowie außerhalb der
Wissenschaftswelt) zu einem Leitbegriff geworden ist, gibt es diverse Herangehensweisen,
um sich diesem Terminus mit multi- bzw. interdisziplinärem Anspruch zu nähern. Zum ei-
nen können die Versprechungen aus der Ratgeberliteratur, die „das Geheimnis der psychi-
schen Widerstandskraft“ zu entschlüsseln (Berndt 2015) oder „7 Schlüssel für mehr innere
Stärke“ (Heller 2013) zu finden suchen, gesellschaftskritisch eingeordnet und machtkri-
tisch entlarvt werden. Zum anderen liegt es nahe, sich auf den wissenschaftlichen Diskurs
zu konzentrieren und nachzuzeichnen, was unter Resilienz in verschiedenen Disziplinen
verstanden wird (Wink 2016). Die Fragestellung lautet dann: Welchen Zugang gibt es
in der Psychologie, in der Ökologie, in der Geographie, in den Ingenieurwissenschaften,
in der Pädagogik, in der Risiko- und Katastrophenforschung, in den Stadt- und Regio-
nalwissenschaften, in der Theologie, Philosophie und Soziologie? Die multidisziplinären
Perspektiven erweisen sich als vielfältig und werden, wie zu erwarten ist, nebeneinander
gestellt. Wählt man diesen Weg, findet der eigentliche Vergleich bzw. die Transferleistung
erst in einem nächsten, ausgelagerten Schritt statt. Mit dem vorliegenden Sammelband
verfolgen wir dieses Ziel. Unser Anspruch ist es, die unterschiedlichen Resilienzverständ-
nisse nicht nur vorzustellen, sondern im Rahmen eines interdisziplinären Gesprächs auf-
einander zu beziehen und den Resilienzbegriff auf diese Weise weiterzuentwickeln.

Interdisziplinärer Lernprozess
Für die Realisierung dieses Ziels haben wir einen unkonventionellen, innovativen Zu-
gang gewählt. Die Idee dazu ist in Arbeitstreffen von drei Teilprojekten des vom Bayeri-
schen Staatsministeriums für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst geförderten
Forschungsverbunds ForChange entstanden, der sich in den letzten vier Jahren der Frage
gewidmet hat, ob und wie in existenziellen und komplexen Veränderungssituationen re-
silient gehandelt werden kann bzw. gehandelt werden soll. In 13 Teilprojekten aus den
Sozial- und Geisteswissenschaften wurde der Resilienzbegriff einer Prüfung unterzogen,
indem er kritisch beleuchtet (Meyen 2016; Weller 2016), konzeptionell erweitert (Gutwald
und Nida-Rümelin 2016; Schneider 2016; Vogt 2016) und auf neue Forschungsfelder an-
gewandt wurde (De Vries 2014; Blum et al. 2015; Karidi und Meyen 2016; Schneider und
Vogt 2016). Um den interdisziplinären Diskurs und die wissenschaftliche Debatte weiter
zu befördern, wurde der vorliegende Sammelband zunächst auf dem wissenschaftlichen
Blog des Forschungsverbunds vorbereitet (http://resilienz.hypotheses.org). Nachdem der
Call geschrieben war, wurden die Abstracts dort veröffentlicht und zur Diskussion ge-
stellt. Damit ist für die Autor*innen die Möglichkeit geschaffen worden, ein Feedback
auf ihre Einreichungen zu bekommen, das über die üblichen Herausgeber-Kommentare
hinausgeht. Neben einer besseren Qualitätskontrolle sind damit insbesondere gewinn-
bringende Rückmeldungen, Ideen, konstruktive Kritik und Anregungen für die einzelnen
Einleitung 3

Beiträge erzielt worden. Zusätzlich zu den Möglichkeiten des World Wide Web wurden
die vollständigen Einreichungen einem doppelten Review-Verfahren unterzogen, das in
der Regel mehrere Überarbeitungsschleifen beinhaltete. Der intensive interdisziplinäre
Prozess war nur möglich, weil sich die meisten Beteiligten bereits aus Workshops des
Forschungsverbundes und Beiträgen im Resilienzblog kannten und sich daher auf die di-
versen Positionen einlassen konnten. Somit kann dieser Sammelband auch als ein Produkt
gelungener wissenschaftlicher Kooperation und „Co-Creation“ angesehen werden.1 Dabei
waren Entbehrungen ein wichtiger Bestandteil des interdisziplinären Lernprozesses. Den
Mut zu haben, die eigenen, Sicherheit spendenden Disziplingrenzen zu überschreiten und
sich auf „fremde“ Methoden und Denkansätze einzulassen, ist zwar anstrengend, aber
auch ein zentraler Faktor für die Resilienz des Wissenschaftsbetriebs.

Aufbau und Inhalte des Sammelbandes


Das Ergebnis des oben beschriebenen interdisziplinären Austausches ist ein Band, der
den Anspruch hat, einen umfassenden Überblick über konzeptionelle Untersuchungen,
kritische Reflexionen und neue Tendenzen im Resilienzdiskurs zu geben, sowohl aus theo-
retischer als auch aus anwendungsorientierter Sicht. Dabei setzt der Band Schwerpunkte
in drei unterschiedlichen Teilen:
Der erste Teil mit dem Titel „Streitfrage Resilienz: Zwischen Kritik und Rekonstruk-
tion“ bündelt eine Reihe von Beiträgen, die dem Konzept der Resilienz auf einer Meta-
Ebene begegnen und dessen Kontexte, Definitionen und Grenzen aus unterschiedlichen
Disziplinen heraus beleuchten (vertreten sind hier etwa die Wirtschaftswissenschaften,
die Soziologie, die Politikwissenschaften, die Humangeographie und die Sozialethik). Wie
viele andere aktuelle Resilienzbeiträge beginnen auch in diesem Teil des Bandes die Tex-
te fast immer mit der Wahrnehmung, dass die Beliebtheit des Resilienzbegriffs in einer
Vielzahl von Kontexten und Disziplinen stark zunimmt. Matthias Weiß, Silja Hartmann
und Martin Högl liefern hierfür eine wichtige empirische Basis. Ihr Beitrag „Resilienz
als Trendkonzept – Über die Diffusion von Resilienz in Gesellschaft und Wissenschaft“
betrachtet die Geschichte und die Entwicklung der Literatur zu Resilienz mit Hilfe eines
disziplinübergreifenden, internationalen Vergleichs. Dabei wird sowohl Bezug genommen
auf den gesamten Literaturkorpus (als Spiegelbild gesellschaftlicher Einstellungen und
Entwicklungen) als auch auf wissenschaftliche Literatur. Charlotte Rungius, Elke Schnei-
der und Christoph Weller stellen die steigende Beliebtheit des Resilienzbegriffs in einen
zeitdiagnostischen und sozialwissenschaftlichen Kontext. Der Resilienzbegriff, so ihre
Ausgangsthese, ist deshalb zu einem Modewort geworden, weil er in unterschiedlichen
Anwendungskontexten die Hoffnung stärkt, unvorhersehbare, krisenhafte Ereignisse al-
ler Art handhabbar machen zu können. Ihre Ausführungen münden in eine Kritik der
Resilienz, weil ihrer Ansicht nach mit diesem Begriff die Begründungsbedürftigkeit be-

1 Neben den Autor*innen gilt insbesondere den Reviewern unser großer Dank, sich auf den
aufwendigen Prozess eingelassen zu haben. Gedankt sei an dieser Stelle auch Janina Schier, die
sich gewissenhaft um die Redaktion dieses Bandes gekümmert hat, sowie dem Forschungsverbund
ForChange für das entgegengebrachte Vertrauen in dieses Projekt.
4 Maria Karidi, Martin Schneider und Rebecca Gutwald

stehender gesellschaftlicher Institutionen und Systeme ausgeblendet, kritische Auseinan-


dersetzungen umgangen, eine Entpolitisierung der gesellschaftlichen Zukunftsgestaltung
und – bewältigung forciert und der Einzelne überfordert wird. Roman Thurn, Stefan May
und Stefan Böschen nähern sich dem Begriff der Resilienz aus einer rechtssoziologischen
Perspektive. Ausgehend von der These, dass das Recht dann als resilient gilt, wenn es
durch einen hohen Grad von Unbestimmtheit ad hoc-Entscheidungen ermöglicht, unter-
scheiden sie verschiedene Formen der Operationalisierung von Unbestimmtheit, die eine
Transformation des Rechts befördern. Diese besteht, so ihre Schlussfolgerung, darin, dass
einerseits durch bestimmte Formen der Selbstbindung Erwartungen stabilisiert und an-
dererseits in entsprechenden Verfahren die Austragung von Konflikten ermöglicht wird.
Amra Bobar und Gordon Winder zeichnen in ihrem Beitrag die Verschiebung eines in
der Ökologie verankerten Resilienzkonzepts in die sozial- und wirtschaftsorientierte For-
schung nach und stellen damit einhergehende Bedeutungs – und Perspektivverschiebun-
gen dar. Diese zu verstehen und voneinander abzugrenzen, ist ihrer Ansicht nach wichtig,
um potentiellen Kommunikationsproblemen zwischen den verschiedenen Forschungs-
feldern, aber auch zwischen Forschung und Politik vorzubeugen. Martin Schneider und
Markus Vogt gehen in ihrem Beitrag von der Kritik der Resilienz aus, sind aber von dem
konzeptionellen Gehalt des Begriffs überzeugt. Ihr Ziel ist es, den Resilienzdiskurs aus
ethischer Perspektive zu erschließen und zu bereichern. Zu diesem Zweck schlagen sie
vor, den bekannten deskriptiven Resilienzdimensionen Persistenz, Adaptation und Trans-
formation die normativen Leitbilder Selbsterhaltung, Kontrolle und Lernen gegenüber-
zustellen. Eine wichtige Scharnierfunktion nimmt in ihren Überlegungen die Response-
Fähigkeit als zentrales Merkmal von Resilienz ein.
Der zweite Teil des vorliegenden Sammelbandes fokussiert auf Kompetenzen und Res-
sourcen von Resilienz, die vornehmlich auf der gesellschaftlichen Mikro- und Meso-Ebe-
ne zu verorten sind. Es überrascht vielleicht nicht, dass hier psychologische bzw. moral-
psychologische Ansätze überwiegen. Auf letztere geht bereits der erste Beitrag von Jochen
Sautermeister ein. Auf Basis eines Streifzugs durch die psychologisch-pädagogische Resi-
lienzdebatte reflektiert er das Verhältnis von Resilienz und personaler Identität. Dabei ent-
wickelt er ein differenziertes Verständnis von Resilienz, das eine vulnerabilitätsbewusste
und krisensensible Perspektive auf Identitätsbildung erlaubt. Sautermeisters Beitrag eröff-
net eine kritische Debatte, welche in den folgenden Beiträgen fortgeführt wird, nämlich,
inwiefern das Individuum von Anforderungen, die Resilienz bzw. Resilienzmaßnahmen
voraussetzen, überfordert ist. Im Hintergrund steht dabei die Problematik, dass zum einen
der Resilienzbegriff nicht komplex genug ist und zum anderen Resilienz zu stark auf das
Individuum und nicht auf die es umgebenden Bedingungen – also die Meso-Ebene – be-
zogen wird. Die beiden folgenden Beiträge thematisieren dieses Thema im Kontext des
Wandels von Arbeit aus zwei Perspektiven: Jörn Hurtienne und Katharina Koch nehmen
Maßnahmen des Arbeitsschutzes zum Ausgangspunkt, um aufzuzeigen, dass deren Ein-
satz zur Bewältigung psychischer Belastungen in der Wissensarbeit Probleme aufwirft,
wenn sie auf das gegenwärtig vorherrschende Verständnis von Resilienz aufgebaut sind.
So wird Resilienz in der Praxis häufig einseitig auf die Stärkung von individueller Anpas-
Einleitung 5

sungs- und Widerstandsfähigkeit verkürzt, ohne die Team- und Organisationsebene in den
Blick zu nehmen. Als Lösungskonzept wird ein ganzheitlicher Ansatz vorgeschlagen, der
in der Tradition der Arbeitspsychologie auf die Verpflichtung der Arbeitgeber*innen hin-
weist, die Beschäftigten vor Gesundheitsschäden auch auf psychischer Ebene zu schützen.
Der Beitrag von Carolin Blum und Rebecca Gutwald folgt dieser kritischen Richtung
und schärft den Befund der Überindividualisierung von Resilienz in der Literatur, die
sich auf den Arbeitskontext bezieht. Auf der Basis von Untersuchungen der psychischen
Belastungen von Wissensarbeiter*innen konstatieren sie, dass der derzeitig dominante Re-
silienzbegriff umfassendes menschliches Wohlergehen ungenügend reflektiert. Für die-
se Diagnose ziehen sie eine normative Bewertungsgrundlage heran, die vom Capability
Ansatz inspiriert ist und auf einen Begriff von echter, nachhaltiger Resilienz zielt. Der
Beitrag von Carolin Braun, Verena Maria Gralke und Gerhild Nieding kommt zu dem
Schluss, dass das Potential von Resilienz nicht allein in Bezug auf die Individualebene,
sondern auch in Bezug auf die Gesellschaft betrachtet werden sollte. In einer empirischen
Studie mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen wurde von ihnen unter Rückgriff auf
den computerbasierten „Würzburger Medienkompetenztest“ der Zusammenhang von Me-
dienkompetenz und bereits bestätigten Resilienzfaktoren untersucht. Es zeigt sich, dass
Medienkompetenz als Resilienzfaktor großen Einfluss auf leistungsbezogene Fähigkeiten
(z. B. Lese- und Schreibkompetenz) und Interessen der Jugendlichen (z. B. an Politik) hat
und somit als Schlüsselfaktor für gesellschaftliche und persönliche Entwicklung angese-
hen werden kann. In seinem Beitrag zur Rolle von Resilienz in der Bildungsarbeit ent-
wickelt Manfred Riegger das Konzept einer resilienzsensiblen Bildung. Er versteht die
Stärkung von Menschen und Systemen in der Auseinandersetzung mit Inhalten als eine
Response-Strategie. Anhand der Methode der professionellen Simulation stellt er dies ex-
emplarisch dar.
Der letzte und dritte Teil des Bandes konzentriert sich auf die Auseinandersetzung mit
Resilienz auf System-Ebene, auf der sowohl Strukturen als auch Prozesse unterschiedli-
cher Entitäten in den Blick genommen werden. So geht Sue Claire Berning in ihrem Bei-
trag der Frage nach, was indische und chinesische Firmen resilient macht und analysiert
dazu in einer großangelegten Literaturstudie (1994–2016), welche Bedingungen die Aus-
bildung von Wettbewerbsvorteilen indischer und chinesischer Firmen begünstigen. Sie
kommt zu dem Schluss, dass der Erfolg dieser Unternehmen vor allem einem kontinuier-
lichen Umbau sowie der Umwandlung von Nachteilen in Vorteile zugeschrieben werden
kann. Außerdem identifiziert sie die Entwicklung nicht-traditioneller Wettbewerbsstärken
als Resilienzfaktor. Ebenfalls mit dem Ziel, Strukturen aufzudecken, untersuchen Bir-
git Kemmerling und Amra Bobar die Nutzbarkeit und Nützlichkeit von Resilienz in ent-
wicklungspolitischen Programmen. Mithilfe einer kritischen Analyse zeigen die Auto-
rinnen auf, dass der Resilienzbegriff in Dokumenten der Europäischen Union sowie des
deutschen Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung im
Sinne neoliberaler entwicklungspolitischer Leitlinien verwendet wird, zweifeln jedoch an
dessen Nützlichkeit für derzeitige Krisen und deren Wahrnehmung. Darüber hinaus be-
inhaltet dieser Teil des Bandes zwei Aufsätze, die sich mit der Resilienz in Transitionen
6 Maria Karidi, Martin Schneider und Rebecca Gutwald

von Energiesystemen beschäftigen. Zum einen stellen Michael Jedelhauser und Anne von
Streit eine Fallstudie zu regionalen Energiewendeprozessen im bayerischen Allgäu vor,
in der es um die Gestaltung von Wandel mittels sozialer Praktiken in sozio-technischen
Systemen geht. Die Ergebnisse der Untersuchung zeigen, wie die Akteure seit den 1990er
Jahren institutionellen Wandel in Richtung eines dezentralen regionalen Energiesystems
gestalten und unterschiedlich auf Störungen reagieren. Zum anderen schlagen Susan
Mühlemeier, Romano Wyss und Claudia R. Binder einen indikatorengestützten Ansatz
zur Konzeptualisierung und Operationalisierung von Resilienz regionaler Energiesysteme
in Transition vor und liefern damit nicht nur einen theoriegeleiteten Ansatz zur Analyse
von Resilienz, sondern auch Anwendungsmöglichkeiten für die Forschungspraxis. Der
Sammelband schließt mit Jochen Ostheimers Beitrag, der diskutiert, weshalb Resilienz
im sozio-ökologischen Diskurs als Kulturaufgabe zu verstehen ist. Seine Argumentation
geht von dem Anthropozän als kulturellem Phänomen aus, rückt damit dessen naturwis-
senschaftliche Bedeutung in den Hintergrund und lässt den Sozial- und Geisteswissen-
schaften eine größere Bedeutung zukommen. Denn, so seine Schlussfolgerung, nicht die
Veränderungen der Erde als solche sind beunruhigend, sondern die Konsequenzen, die sie
für die Gesellschaft haben.

Interdisziplinäre Perspektiven zu Wandel und Transformation


Damit sind sowohl der Ausgangspunkt, das Vorgehen und der Aufbau dieses Sammelban-
des skizziert. Um die Beiträge darüber hinaus aufeinander in Bezug zu setzen, schließen
wir mit sieben Thesen zu den durchlaufenden und offenen Perspektiven, welche die inter-
disziplinäre Auseinandersetzung im Band prägen:

1. Die zunehmende Beliebtheit des Resilienzbegriffs kann mit einer veränderten Wahr-
nehmung von Unsicherheit, Krisen und Risiken erklärt werden (Rungius et al.). Davon
ausgehend kann Resilienz mit der Idee der Response-Strategie verknüpft werden. Re-
silienz zielt somit auf eine Basiskompetenz, um mit Unvorhergesehenem, Störungen,
Krisen und Strukturbrüchen fertig zu werden. Diese Besonderheit von Resilienz kann
auch der Ausgangspunkt für normative Überlegungen sein, um aufzuzeigen, welche
Strategien für das Individuum und die Gesellschaft förderlich sind, um Wandel pro-
duktiv zu bewältigen (Schneider und Vogt).
2. Ein Ausgangspunkt für eine Kritik der Resilienz ist die starke normative Aufladung,
die unter der Hand mit dem Verweis auf die Resilienz von Individuen und Systemen
eingeführt wird. Demgegenüber kann Resilienz aber auch als ein funktionales Konzept
begriffen werden, das keinen Selbstwert darstellt. Der Status von Resilienz sollte damit
weder über- noch unterschätzt werden. Eine kritische Auseinandersetzung mit dem
Resilienzbegriff regt zur Formulierung von ethischen Fragen an, deren Beantwortung
wichtig ist, um neue Perspektiven auf zukünftige Veränderungen zu erhalten: Was wol-
len wir erhalten? Wer oder was soll gegenüber wem oder was resilient sein? Wie wollen
wir (über-)leben? Eine normative Debatte ist damit notwendiger Bestandteil eines jeden
Resilienzverständnisses.
Einleitung 7

3. Nicht ohne Grund trägt dieser Band den Untertitel „Interdisziplinäre Perspektiven zu
Wandel und Transformation“. Alle Beiträge setzen einen Kontrapunkt zur konserva-
tiven Ausrichtung und Auslegung von Resilienz. Resilienz, so der Tenor, darf nicht
auf die Kompetenz beschränkt werden, akute Gefahren abzuwehren. Denn Resilienz
beinhaltet auch die Fähigkeit von Menschen und Systemen, bestehende Strukturen zu
hinterfragen und alternative Wege in den Blick zu nehmen. Entsprechend ist es nötig,
auf der Ebene der Anwendung darüber nachzudenken, wie zum einen Menschen durch
passende Rahmenbedingungen darin unterstützt werden können, etwa in der Bildung
(Riegger) oder im Bezug auf den Umgang mit Medien (Braun et al.), und wie zum
anderen bei Systemen Transformationen möglich sind, die über Persistenz- und Adap-
tionstrategien hinausgehen (Jedelhauser und von Streit; Mühlemeier et al.; Ostheimer).
4. Was genau unter Transformation verstanden wird, wird aber meist nicht explizit erörtert.
Es ist nicht immer ganz klar, ob darunter eine selbstorganisatorische Entwicklung oder
ein rapider Bruch mit Pfadabhängigkeiten verstanden wird. Zwei Perspektiven werden
aber eröffnet, die den Resilienzdiskurs befruchten können: zum einen die transforma-
torische Dimension von Resilienz als einen Prozess zu verstehen, und zwar als einen
Lernprozess (Braun et al.; Riegger; Sautermeister; Schneider und Vogt); zum anderen
in den von systemischen Ansätzen dominierten Resilienzdiskurs handlungsorientier-
te Modelle einzubeziehen (Jedelhauser und von Streit). Auf diesem Weg könnte auch
die berechtigte Kritik, dass ein rein auf Selbstorganisationsmodellen beruhendes Re-
silienzverständnis mit der Entpolitisierung der gesellschaftlichen Zukunftsgestaltung
und –bewältigung einhergeht (Rungius et al.), wenigstens teilweise entkräftet werden.
5. Die sowohl in der Öffentlichkeit als auch in Institutionen und Organisationen dominan-
te Lesart von Resilienz bedingt eine Verantwortungsverlagerung – und zwar in mehr-
facher Hinsicht: (a) von der Gesellschaft auf den Einzelnen, hervorgerufen durch einen
Resilienzdiskurs, der die Krisenwahrnehmung stärkt (Rungius et al.); (b) von Organi-
sationen auf Individuen, wodurch eher Symptome bekämpft werden, anstatt sich mit
den strukturellen Ursachen auseinanderzusetzen (Blum und Gutwald; Hurtienne und
Koch; Sautermeister); (c) auf die Zivilgesellschaft, wodurch Aufgaben und Verantwor-
tung an Individuen abgegeben werden, die einst im Verantwortungsbereich von Staaten
lagen (Kemmerling und Bobar). Dies kann zum einen als eine Aufmerksamkeitsver-
schiebung im Umgang mit Gestaltungs- und Zukunftsdebatten gedeutet und zum an-
deren als eine neoliberal aufgeladene Überforderung des Einzelnen entlarvt werden.
6. Mit Blick auf unterschiedliche Aspekte einzelner Systeme und Strukturen fällt das
Fazit ähnlich kritisch aus – zumindest dort, wo eine normative Auseinandersetzung
mit dem Begriff der Resilienz stattfindet. Kritisiert werden etwa die Verwendung des
Begriffs in der Tradition neoliberaler politischer Leitlinien, die die Brauchbarkeit des
Konzepts vor allem für eine kritische Auseinandersetzung mit aktuellen Krisen ein-
schränkt (Kemmerling und Bobar). An anderer Stelle wird das Resilienzkonzept in die
Anthropozändebatte eingeordnet und eingefordert, Resilienz im Rahmen des sozio-
ökologischen Diskurses als Kulturaufgabe zu verstehen (Ostheimer). Damit einher geht
der Appell, dass sozialer Wandel kulturelle Praktiken berücksichtigen muss – wie auch
8 Maria Karidi, Martin Schneider und Rebecca Gutwald

institutioneller Wandel nach sozialen Praktiken verlangt. Resilienz muss damit auch
aus systemischer Perspektive kritisch geprüft werden.
7. Beiträge, die Resilienz empirisch erfassen wollen, stehen aus normativer Perspektive
vor dem Dilemma, dass der für Resilienz typische Fokus auf die Funktionserhaltung
immer auch zur Konsequenz hat, einen hohen Grad an Resilienz in einem bestimm-
ten Bereich als positiven Zustand zu interpretieren (Braun et al.; Berning). Von einem
normativen Zugang inspirierte Beiträge problematisieren gerade diesen Blickwinkel.
Methodologisch ergibt sich daraus die Forderung, nicht nur einen Zugang zu wählen,
der Resilienz als Stabilität oder als Rückkehr („bounce back“) zu einem „normalen“
Gleichgewichtszustand bzw. als Erholung versteht, sondern (Lern-)Prozesse sichtbar
zu machen, die die Erneuerung, Reorientierung und Transformation von Systemen und
Strukturen befördern (Jedelhauser und von Streit). Es gilt den interdisziplinären Dis-
kurs zwischen dem Empirischen und dem Normativen zu vertiefen. Im Forschungs-
verbund ForChange wurden hierzu wertvolle Vorarbeiten geleistet und Vorschläge für
umfassende und komplexe Resilienzstrategien generiert. Werden diese Ansätze für die
empirische Forschung operationalisiert, ergeben sich daraus neue Potentiale, um den
Zusammenhang zwischen Resilienz, Wandel und Transformation weiter zu erforschen.
Einleitung 9

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Teil I
Streitfrage Resilienz
Zwischen Kritik und Rekonstruktion

11
Resilienz als Trendkonzept
Über die Diffusion von Resilienz
in Gesellschaft und Wissenschaft

Matthias Weiß, Silja Hartmann und Martin Högl

Zusammenfassung

Resilienz gilt als eines der Modeworte der heutigen Zeit. Es scheint, als würde die
Anwendung des Konzepts in verschiedenen Disziplinen und seine Diffusion in der
Gesellschaft insgesamt stetig steigen. Dabei stellen sich die Fragen, wann und wie die-
se explosionsartige Verbreitung des Resilienzkonzepts entstand, inwiefern fachspezi-
fische Unterschiede oder Bezüge zwischen den Fächern vorliegen und wie sich die
Diffusion des Konzepts in der Literatur im internationalen Vergleich entwickelt hat.
Um ein besseres Verständnis der genannten Punkte zu schaffen, hat dieser Beitrag
zum Ziel, die Geschichte und die Entwicklung der Literatur zu Resilienz im Diszipli-
nen übergreifenden, internationalen Vergleich näher zu beleuchten. Dabei wird sowohl
Bezug zum gesamten Literaturkorpus als Spiegelbild gesellschaftlicher Einstellungen
und Entwicklungen als auch zu wissenschaftlicher Literatur im Speziellen genommen.

1 Einleitung

Resilienz gilt als eines der Modeworte der heutigen Zeit. Es scheint als würde die An-
wendung des Konzepts in verschiedenen Disziplinen und seine Diffusion in der Gesell-
schaft insgesamt stetig steigen (Walker et al. 2006; Blum et al. 2016; King et al. 2016).
So ist es mittlerweile fast unmöglich, das vielfältige Angebot an Ratgeberliteratur, Semi-
naren und Weiterbildungen zum Thema Resilienz zu übersehen. Auch in Populärmedien

13
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2018
M. Karidi et al. (Hrsg.), Resilienz,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-19222-8_2
14 Matthias Weiß, Silja Hartmann und Martin Högl

verschiedenster Richtung ist Resilienz zu einem festen Bestandteil der Berichterstattung


geworden. Dabei stellt sich zum einen die Frage, wann und wie diese explosionsartige Ver-
breitung des Resilienzkonzepts entstand. Insbesondere fällt in dieser Hinsicht die Breite
der Begriffsverwendung auf. Resilienz spielt in verschiedenen (wissenschaftlichen) Fach-
bereichen eine zentrale Rolle, weswegen nicht nur von Interesse ist, wie die Diffusion ins-
gesamt verlief, sondern auch inwiefern diesbezüglich fachspezifische Unterschiede oder
Bezüge zwischen den Fächern vorliegen. Eine strukturierte Reflektion und Dokumentati-
on dieses Entwicklungsprozesses steht bis dato aus. Zum anderen weist eine Vielzahl an
Forschern darauf hin, dass die Verwendung des Begriffs auch durch den historischen und
soziokulturellen Kontext bedingt wird (Fletcher und Sarkar 2013). Ein kulturell differen-
ziertes Verständnis von Resilienz ist somit wichtig, um das Konzept in seiner Vielfalt zu
erfassen (Ungar 2011). Es scheint, dass die Diskussion über Resilienz bisher vor allem in
westlichen Gesellschaften geführt und von diesen Gesellschaften geformt wurde (Ungar
2008). Dies kann so erklärt werden, dass individuelle, institutionelle und gesellschaftliche
Probleme und Krisen in den letzten Jahren – glaubt man der entsprechenden Literatur – in
westlichen Gesellschaften stark zugenommen haben. Entsprechend wird in Resilienz ein
Konzept gesehen, dass dazu beitragen soll, individuelle und systemische Krisen besser zu
überstehen (Luthar et al. 2000; Sutcliffe und Vogus 2003; Folke 2006; Welter-Enderlin
und Hildenbrand 2006; Hollnagel et al. 2007). Nun kann man einerseits mutmaßen, dass
die Begriffsdiffusion in anderen Ländern, wie beispielsweise China und Indien, deutlich
anders sein müsste, da diese Länder in den vergangenen Jahren weniger Krisen als einen
beispiellosen ökonomischen und sozialen Aufstieg erlebt haben (Nölke et al. 2014). Auf
der anderen Seite argumentieren Meinungsführer, wie die Zeitschrift The Economist, dass
der wirtschaftliche Aufschwung auch eine Kehrseite habe. So kämpfe China beispielswei-
se mit großen sozialen Herausforderungen, welche die globale Wirtschaftsöffnung und der
schnelle Wandel der Sozialstrukturen mit sich bringe (Luthans et al. 2005). Vor diesem
Hintergrund ist es daher von Interesse, aufzuzeigen, wie sich die Diffusion des Konzepts
in der Literatur im internationalen Vergleich entwickelt hat und ob sich die Entwicklung
in der Struktur unterscheidet oder lediglich zeitversetzt stattfindet.
Um ein besseres Verständnis der genannten Punkte zu schaffen, hat dieser Beitrag
zum Ziel, die Geschichte und die Entwicklung der Literatur zu Resilienz im Disziplinen
übergreifenden, internationalen Vergleich näher zu beleuchten. Dabei wird sowohl Bezug
zum gesamten Literaturkorpus als Spiegelbild gesellschaftlicher Einstellungen und Ent-
wicklungen als auch zu wissenschaftlicher Literatur im Speziellen genommen. Konkret
beschäftigt sich dieser Beitrag daher schwerpunktmäßig mit folgenden Fragestellungen:
1. Wie verlief die gesellschaftliche Diffusion des Resilienzbegriffs und handelte es sich
hierbei um einen kontinuierlichen oder um einen volatilen Prozess? 2. Wie verlief die
zeitliche Entwicklung des Resilienzkonzepts im internationalen Vergleich und lassen sich
hierbei wesentliche Unterschiede feststellen? 3. Welche Entwicklung nahm der Begriff
in der wissenschaftlichen Literatur und welche Bezüge bestehen zwischen verschiedenen
Disziplinen?
Resilienz als Trendkonzept 15

2 Gesellschaftliche und wissenschaftliche Diffusion von Resilienz

Resilienz als Begriff lässt sich zunächst anhand seines Ursprungs aus dem Lateinischen
als „Zurückspringen“ beschreiben. Dahinter steckt der Kern des Konzepts, dass bestimm-
te Entitäten nach einer Störung in der Lage sind, in ihren Ausganszustand zurückzukehren
(Bhamra et al. 2011). Das Konzept wurde zu unterschiedlichen Zeitpunkten in sehr unter-
schiedlichen Kontexten aufgegriffen, eingeführt und weiterentwickelt, wie etwa der Mate-
rialwissenschaft (Material, das nach einer Verformung wieder in seinen Ausgangszustand
zurückkehrt, wie beispielsweise eine Feder (Timoshenko und Goodier 1970)), der Ökolo-
gie (Ökosysteme, die nach Veränderungen der Umweltbedingungen durch Selbstregene-
ration ihre grundlegende Organisation erhalten können (Folke et al. 2004)), der Sozial-
wissenschaften (beispielsweise in Bezug auf Gesellschaften, die nach externen Störungen
wie Krieg ihre integrale Identität bewahren können (Norris et al. 2008)), der Ingenieurs-
wissenschaften (technische Systeme, die bei Störungen ihre Funktionsfähigkeit erhalten
oder wiedererlangen (Cimellaro et al. 2010)) der klinischen Psychologie (Personen, die
trotz traumatischen Erlebnissen keine psychischen Krankheiten entwickeln (Richardson
2002)) oder der Wirtschaftswissenschaften (z. B. Unternehmen, die trotz des Auftretens
von Schocks ihre Existenz aufrechterhalten und zu einem Wachstumspfad zurückkehren
(Sheffi und Rice 2005)).
Trotz diverser Unterschiede in der Verwendung und exakten Spezifizierung des Resi-
lienzkonzepts, zum Beispiel hinsichtlich der genauen definitorischen Rahmenparameter,
hat das Resilienzkonzept in all diesen Kontexten gemeinsam, dass es sich mit der Fähig-
keit von Entitäten befasst, nach einer Störung aus eigener Kraft in einen identitätsbewah-
renden oder identitätsschaffenden (Ausgangs-)Zustand zu gelangen, in dem die Entität
einen Gleichgewichtszustand einnimmt. Dies erklärt wohl auch den aktuell zunehmenden
Anschein der gesellschaftlichen Diffusion dieses Konstrukts, da Resilienz einen klaren
Bezug zur weitverbreiteten Wahrnehmung aufweist, dass die Geschwindigkeit und der
Umfang des Wandels in allen Lebensbereichen (und damit die Häufigkeit und Intensität
von Störungen) stetig zunehmen. Resilienz als Konzept bietet hier einen Ansatz, wie an-
gesichts dieses als omnipräsent wahrgenommenen Wandels, die Funktionstüchtigkeit und
Lebensfähigkeit von Entitäten bewahrt werden kann und ist daher in all den genannten
Kontexten grundsätzlich von Bedeutung.
Gesellschaftliche Diffusion beschreibt den Grad, zu dem ein bestimmtes Konzept, in
unserem Fall das der Resilienz, in einer Gesellschaft bekannt und salient ist (Lima et al.
2005). Im Zuge von kulturellen, gesellschaftlichen und technologischen Veränderungen
wandelt sich auch die Relevanz und Popularität von bestimmten Konzepten im Laufe der
Zeit. Als Konsequenz dessen ergeben sich auch Veränderungen in der gesellschaftlichen
Diffusion von Konzepten. Anschauliche Beispiele dazu lassen sich vor allem aus dem
Bereich der Technologie finden (Michel et al. 2011). Zum Beispiel wies das Konzept der
Dampfmaschine zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts eine umfassende Diffusion in
der Gesellschaft auf, während es in heutigen Zeiten nur noch eine marginale Salienz in
der Gesellschaft hat. Aber auch abseits von technologischen Konzepten lassen sich solche
16 Matthias Weiß, Silja Hartmann und Martin Högl

Trends in der Diffusion von Konzepten nachweisen. Zum Beispiel zeigt sich, dass das
Konzept der Teamarbeit in den vergangenen drei Jahrzehnten eine deutliche Steigerung
der gesellschaftlichen Diffusion erlebt hat, während die Entwicklung in der Zeit davor
durch einen volatilen Trend geprägt war und vor allem in Kriegszeiten zunahm (Weiss
und Hoegl 2015). Analog zur Bestimmung von gesellschaftlicher Diffusion kann wissen-
schaftliche Diffusion als Salienz von Konzepten im wissenschaftlichen Diskurs gesehen
werden (Foucault 1981).
Es besteht der Eindruck, dass die gesellschaftliche und wissenschaftliche Diffusion des
Resilienzkonzepts in den vergangenen beiden Jahrzehnten einen deutlichen Antrieb erlebt
hat. Ob dies tatsächlich der Fall ist, ob hierbei die Diffusion in der Gesellschaft ein Treiber
der Diffusion in der Wissenschaft war oder umgekehrt und ob diesbezüglich Unterschiede
im interkulturellen Vergleich bestehen ist jedoch unklar. Daher werden im Folgenden die
Ergebnisse einer Studie berichtet, die diese Trends in der gesellschaftlichen und wissen-
schaftlichen Diffusion des Resilienzkonzepts beleuchtet.

3 Methoden

Um die eingangs vorgestellten Fragestellungen zu bearbeiten, greifen wir in diesem Bei-


trag auf verschiedene Instrumente der Bibliometrie und der Zitationsanalyse zurück. Die
Untersuchungen basieren dabei auf zwei Datenquellen und damit zusammenhängenden
bibliometrischen Forschungsmethoden. Einerseits basiert unsere Untersuchung auf um-
fangreichen Stichproben des gesamten in Büchern veröffentlichten Literaturkorpus ausge-
wählter Länder. In diesen Daten wird die relative Häufigkeit von Schlüsselworten berech-
net – eine Methode, die von ihren Entwicklern „Culturomics“ genannt wurde (Michel et
al. 2011). Dies ermöglicht eine Abbildung der gesellschaftlichen Diffusion des Resilienz-
konzepts im internationalen Vergleich.
Andererseits greift die Studie auf den gesamten Korpus der internationalen und dis-
ziplinübergreifenden Fachliteratur zu Resilienz zurück. Durch Artikelzählungen können
zeitliche Trends hinsichtlich der Diffusion des Resilienzkonzepts in der Wissenschaft und
der hierbei behandelten Themen abgeleitet werden (Robins et al. 1999; Michel et al. 2011;
Greenfield 2013; Weiss und Hoegl 2015; Zupic und Čater 2015). Durch Zitations- und
Ko-Zitationsanalysen lässt sich zudem die intellektuelle Struktur des Literaturfelds zu
Resilienz untersuchen (Nerur et al. 2008; Zupic und Čater 2015), was auch die Darstel-
lung der Bezüge zwischen Disziplinen ermöglicht, indem gegenseitige Referenzierungen
untersucht werden.

3.1 Culturomics

Culturomics stellt einen inhaltsanalytischen Ansatz dar, der auf einem Korpus mehrerer
Millionen Bücher aus Universitätsbibliotheken und öffentlichen Büchereien basiert, die
Resilienz als Trendkonzept 17

von Google digitalisiert wurden (Michel et al. 2011). Wie inhaltsanalytische Ansätze ge-
nerell (Krippendorff 2004), so ist auch Culturomics ein Verfahren, implizite Bedeutungen
in Kommunikationsprozessen zu identifizieren. In diesem Sinne fußt Culturomics darauf,
jedes einzelne Wort und jede Wortkombination in den Millionen digitalisierter Bücher zu
zählen, um durch die relative Häufigkeit von Wörtern auf die Salienz und damit die gesell-
schaftliche Diffusion, der dahinterstehenden Konzepte zu schließen (Michel et al. 2011).
Die Grundannahme dieses Ansatzes ist dementsprechend, dass je häufiger ein Konzept in
einem bestimmten Zeitraum in Büchern erwähnt wird, desto größer war die gesellschaft-
liche Diffusion des Konzepts in diesem Zeitraum in der betrachteten Gesellschaft. Die zur
Verfügung stehenden Daten erlauben hierdurch eine quantitative Untersuchung der gesell-
schaftlichen Diffusion von Konzepten über einen Zeitraum von über einem Jahrhundert.
Nähere Informationen zur Methodik von Culturomics und die zur Analyse zur Verfügung
stehenden Daten findet sich bei Michel et al. (2011) und Lin et al. (2012).
Für die Analysen in diesem Beitrag wurde der von Google bereitgestellte n-gram Vie-
wer (http://books.google.com/ngrams) verwendet, eine frei zugängliche Online-Applika-
tion, die den Abruf der relativen Häufigkeit von Begriffen in auszuwählenden Sprachen
und Zeiträumen ermöglicht. Die analysierten Sprachen umfassen Chinesisch, Englisch,
Französisch, Deutsch, Italienisch, Russisch und Spanisch, wobei der spanische und der
französische Korpus grundsätzlich Bücher aus Spanien und Frankreich umfassen. Der
englische Korpus wird weiter differenziert in britisches und amerikanisches Englisch. Für
die Übersetzung von Resilienz in die anderen Sprachen wurden Personen mit der jewei-
ligen Sprache als Muttersprache konsultiert. Unsere Culturomics-Analysen beziehen sich
auf den Zeitraum von 1900 bis 2008. 2008 ist das Ende der Untersuchungsperiode, da bis
zu diesem Jahr Culturomics-Daten zur Verfügung stehen (Michel et al. 2011). Die Ana-
lysen selbst basieren auf der Untersuchung von Trendlinien, die den Verlauf der relativen
Häufigkeit (d. h., die Anzahl der Nennungen eines Begriffs innerhalb eines Jahres dividiert
durch die Gesamtzahl der Wörter innerhalb desselben Jahres) des Resilienzkonzepts dar-
stellen. In Übereinstimmung mit gängiger Praxis in dieser Hinsicht, glätten wir die Werte
in den Trendlinien über Perioden von drei Jahren (Robins et al. 1999; Oishi et al. 2013).

3.2 Artikelzählungen

In unserem Vorgehen zur Untersuchung der wissenschaftlichen Diffusion des Resilienz-


konzepts durch Artikelzählungen lehnen wir uns an die bisherige Forschung unter Ver-
wendung dieser Methodik an (Robins et al. 1999; Stojanowski und Buikstra 2005). Die
Identifikation der Artikel erfolgt anhand einer Schlüsselwortsuche in akademischen Da-
tenbanken. Konkret durchsuchten wir Titel, Abstracts und Schlüsselwörter von Artikeln
auf den Begriff Resilienz und dessen Derivate (durch Trunkierung und daraus folgender
Verwendung des Suchbegriffs resilien*). Bei den durchsuchten Datenbanken handelt es
sich um die disziplinübergreifende Datenbanken Web of Science und Scopus, die alle wis-
senschaftlichen Disziplinen abdecken und mehr als 11.500 (Web of Science) bzw. 16.000
18 Matthias Weiß, Silja Hartmann und Martin Högl

(Scopus) Fachzeitschriften mit Peer-Review Verfahren umfassen, um die gesamte Breite


der akademischen Forschung zu Resilienz, die gängigen Mindeststandards genügt, ab-
bilden zu können. Diese Suche resultierte in absoluten Häufigkeiten von Artikeln, die
in akademischen Fachzeitschriften zum Thema Resilienz veröffentlicht wurden. Diese
Häufigkeiten dienen als Indikator des Umfangs der Resilienz-bezogenen Forschung in
verschiedenen Disziplinen. Die Disziplinzuordnung der Artikel erfolgte über die Fach-
zeitschriften, in denen die Publikation erfolgte. In Einklang mit unserem Vorgehen zur
Untersuchung von gesellschaftlicher Diffusion, berechneten wir Trendlinien für die Ar-
tikelhäufigkeiten in den jeweiligen Disziplinen mit einer Glättung über Perioden von drei
Jahren.

3.3 Zitationsanalyse

Bibliometrische Methoden wie die Zitationsanalyse erlauben die quantitative Untersu-


chung des Einflusses von Publikationen sowie Identifikation und Darstellung von Querbe-
zügen zwischen Publikationen. Aufbauend auf diesen Methoden kann eine bibliographi-
sche Kartierung eines Forschungsfelds bzw. Forschungsgegenstands durchgeführt werden
(Börner et al. 2003), was in diesem Artikel für das Resilienzkonzept erfolgt. Ziel dieser
Methode ist die grafische Darstellung der Forschung zu Resilienz mit dem Fokus auf ein-
flussreiche Fachartikel, um deren Entwicklungsgeschichte zu rekonstruieren. Im vorlie-
genden Fall von Resilienz kann somit auch die Struktur der wissenschaftlichen Forschung
zu Resilienz dahingehend aufgezeigt werden, welche wissenschaftlichen Disziplinen
bzw. Perspektiven verstärkt zur Resilienz tätig waren sowie ob und welche Querbezüge
zwischen diesen Disziplinen/Perspektiven bestehen. In der Durchführung dieser Unter-
suchungen orientierten wir uns an den Empfehlungen und Beschreibungen von Janssen,
Schoon, Ke und Börner (2006). Zur Anwendung kam dabei die Software HistCitetm, wel-
che die grafische Darstellung von bibliographischen Karten erlaubt (Garfield 2009). Die
der Zitationsanalyse zu Grunde liegende Datenbasis besteht aus allen Fachartikeln, die in
der disziplinübergreifende Datenbank Web of Science zu Resilienz identifiziert wurden.
Es wurde die gleiche Schlüsselwortsuche durchgeführt wie im Abschnitt zur Methode der
Artikelzählungen erläutert wurde. Für diese Analysen konnte allerdings nur auf Web of
Science zurückgegriffen werden (und nicht wie oben zusätzlich auf Scopus), da HistCitetm
mit anderen Datenbanken nicht kompatibel ist. Diese Suche lieferte insgesamt 44.880 in
Fachzeitschriften publizierte Artikel mit Bezug zu Resilienz aus dem Zeitraum von 1909
bis 2017. Die bibliographischen Informationen zu diesen Artikeln wurden dann in Hist-
Citetm importiert.
Resilienz als Trendkonzept 19

4 Ergebnisse und Diskussion

4.1 Gesellschaftliche Diffusion des Resilienzbegriffs

4.1.1 Situation in Deutschland

In Abbildung 1 ist die Trendlinie der Culturomics-Daten für Resilienz im deutschspra-


chigen Raum dargestellt. Hier zeigt sich deutlich, dass Resilienz als Konzept über den
Großteil des Betrachtungszeitraums von 1900 bis 2008 kaum eine bedeutende Rolle ge-
spielt hat. Lediglich in den Nachkriegsjahren zeigt sich in der ersten Hälfte des Betrach-
tungszeitraums ein spürbarer Anstieg der gesellschaftlichen Diffusion von Resilienz, die
aber zu Beginn der 1950er Jahre wieder zurückging. Eine drastische Trendwende setzte
Mitte der 1970er Jahre ein. Ein zunächst langsamer Anstieg der gesellschaftlichen Diffu-
sion von Resilienz verstärkte sich, nach einer Phase der Stagnation in den 1980er Jahren,
deutlich, um dann Ende der 1990er Jahren in eine rapide ansteigende gesellschaftliche
Diffusion des Resilienzkonzepts zu münden. Dieser Anstieg hielt bis zum Ende des Be-
trachtungszeitraums 2008 an. Um das Ausmaß dieser Steigerung zu quantifizieren: Die
relative Häufigkeit von Resilienz im deutschen Literaturkorpus verzehnfachte sich annä-
hernd in den letzten zehn Jahren des Betrachtungszeitraums. Dementsprechend bestätigt
dieses Ergebnis den Eindruck einer deutlichen Zunahme der gesellschaftlichen Diffusion
des Resilienzkonzepts im deutschsprachigen Raum.

Abbildung 1 Trendlinie der gesellschaftlichen Diffusion von Resilienz in Deutschland 1900–


2008 (angezeigt durch die relative Häufigkeit des Begriffs Resilienz in Büchern
des jeweiligen Jahres)

4.1.2 Internationaler Vergleich

Der internationale Vergleich der gesellschaftlichen Diffusion des Resilienzkonzepts zeigt


sowohl einige deutliche Übereinstimmungen mit der deutschsprachigen Trendlinie als
auch spürbare Abweichungen in bestimmten Punkten. Abbildung 2 zeigt hierzu die Trend-
linie in weiteren westlichen Ländern (Großbritannien, USA, Frankreich, Spanien, Italien),
20 Matthias Weiß, Silja Hartmann und Martin Högl

Abbildung 3 die Entwicklung der gesellschaftlichen Diffusion in zwei östlichen Ländern


(China, Russland).

Abbildung 2 Internationaler Vergleich der gesellschaftlichen Diffusion von Resilienz in west-


lichen Ländern 1900–2008 (angezeigt durch die relative Häufigkeit des Begriffs
Resilienz in Büchern des jeweiligen Jahres)

In den anderen westlichen Ländern zeigt sich analog zum deutschen Fall ein drastischer
Anstieg in der gesellschaftlichen Diffusion des Resilienzkonzepts ausgangs des vergan-
genen Jahrtausends, mit nur leichtem zeitlichem Versatz zwischen Frankreich, Spanien
und Italien. Im Vergleich zu der englischsprachigen Literatur fällt auf, dass diese be-
schleunigte Diffusion in den angelsächsischen Ländern früher einsetzte (ungefähr Ende
der 1980er Jahre) und nicht die extremen Steigerungsraten der anderen westlichen Länder
(einschließlich Deutschland) zeigt. Ansonsten zeigen sich verschiedene Eigenheiten der
einzelnen Trendlinien. So weisen nur Italien und Frankreich einen zwischenzeitlich deut-
lichen Rückgang der gesellschaftlichen Diffusion von Resilienz auf, der in beiden Ländern
in den 1970er Jahren begann, von einer Phase des Verharrens auf geringem Niveau gefolgt
wurde und wo erst mit dem drastischen Anstieg in 1990er Jahren wieder eine deutliche,
sich ins positive verkehrende, Trendwende sichtbar ist. Eine weitere Besonderheit ist der in
Italien während der Zeit des Faschismus bis zu Beginn des Zweiten Weltkriegs markante
Anstieg der gesellschaftlichen Diffusion von Resilienz. Ein ähnlicher früher Anstieg der
gesellschaftlichen Diffusion, wenn auch weniger markant, ist in Frankreich während der
1910er Jahre erkennbar.
Resilienz als Trendkonzept 21

In Bezug auf die östlichen Länder ließe eine Vielzahl an Gründen eine deutliche Ab-
weichung zu den bisher betrachteten westlichen Kontexten erwarten. Nicht nur, dass
zwischen östlichen und westlichen Ländern generelle kulturelle Unterschiede bestehen,
auch folgten die hier untersuchten Länder Russland (bzw. der Vorgänger Sowjetunion)
und China ganz anderen politischen und wirtschaftlichen Entwicklungspfaden als die
westlichen Länder. Während auch diese östlichen Länder stark vom Zweiten Weltkrieg
betroffen waren, kam es im russischen Kontext mit dem Ende der Sowjetunion zu tief-
greifenden politischen Umwälzungen, in China war dies mit der Kulturrevolution und der
Umorientierung auf eine sozialistische Marktwirtschaft der Fall. Insbesondere letztere
Entwicklung hatte zur Folge, dass China im Betrachtungszeitraum ein nicht gekanntes
wirtschaftliches Wachstum an den Tag legte, das wie eingangs beschrieben, anders ge-
artete Probleme als in westlichen Ländern und Russland in den Vordergrund treten ließ.
Diese drehen sich darum, wie gesellschaftliche und ökonomische Prozesse verstetigt und
Auswüchse begrenzt werden können.

Abbildung 3 Internationaler Vergleich der gesellschaftlichen Diffusion von Resilienz in öst-


lichen Ländern 1900–2008 (angezeigt durch die relative Häufigkeit des Begriffs
Resilienz in Büchern des jeweiligen Jahres)
22 Matthias Weiß, Silja Hartmann und Martin Högl

Bei Ansicht der Trendlinien der beiden östlichen Länder zeigt sich allerdings, dass nur
Russland eine grundlegend andere Entwicklung der gesellschaftlichen Diffusion von Re-
silienz aufweist und die chinesische Trendlinie große Ähnlichkeiten mit denen der ande-
ren Länder besitzt. So ist im chinesischen Fall ein rapider Anstieg der gesellschaftlichen
Diffusion um die Jahrtausendwende sichtbar, nachdem das Konzept der Resilienz dort erst
Ende der 1970er Jahre merklichen Eingang in die Gesellschaft gefunden hat. Interessan-
terweise fällt dieser Eingang zeitlich recht genau auf die Zeit des Ablebens von Mao Ze-
dong und der damit verbundenen Öffnung des Landes zusammen. Diese hatte einerseits
einen grundlegenden Wandel des politischen und wirtschaftlichen Systems zur Folge und
stellte die staatlichen Unternehmen vor die Herausforderung, den Anforderungen eines
globalen Marktes Stand zu halten (Luthans et al. 2005). Andererseits führte die Öffnung
aber auch zu einem Wandel der, zumeist kollektivistisch geprägten, Denkstrukturen der
Bevölkerung (Ralston et al. 1999). So begannen jüngere Generationen, immer stärker in-
dividualistisch zu agieren, was eine drastische Abkehr von der bisherigen Kultur darstellte
und grundlegende Werte zum Teil in Frage stellte (Leung 2008). Diese Entwicklungen
bieten einen möglichen Erklärungsansatz für die ansteigende Diffusion des Resilienz-
konzepts.
Im Gegensatz dazu und auch zu allen anderen Ländern ist in Russland kein rapider An-
stieg der gesellschaftlichen Diffusion von Resilienz in den vergangenen beiden Dekaden
zu sehen, in dieser Periode ist sogar ein eher abnehmender Trend sichtbar. Dafür ist eine
deutliche Zunahme im Zeitraum von 1960 bis Mitte der 1980er Jahre zu erkennen, in einer
eigentlich durch politische Stabilität, aber auch durch den kalten Krieg geprägten Periode.
Zuvor gab es dort bereits zwei Phasen ausgeprägten Wachstums der gesellschaftlichen
Diffusion von Resilienz, jeweils in den Jahren direkt vor und nach dem Zweiten Weltkrieg.
Als Fazit aus der Untersuchung der Trendlinien der gesellschaftlichen Diffusion des
Resilienzkonzepts in verschiedenen Kontexten lässt sich festhalten, dass Resilienz in den
meisten Kontexten ein Konzept darstellt, das erst spät zu seiner heutigen Bedeutung ge-
funden hat. Eine Entwicklung, die insbesondere in der Zeit um die Jahrtausendwende
ihren Ausgang nahm, auch wenn Russland hier eine deutliche Ausnahme darstellt. Gene-
rell lässt sich weiterhin erkennen, dass, unabhängig von der Entwicklung der Trendlinien,
der Grad der Diffusion des Resilienzkonzepts in den westlichen Ländern generell höher
ist als in den östlichen Ländern.

4.2 Wissenschaftliche Diffusion des Resilienzbegriffs

Die Entwicklung der Diffusion des Resilienzkonzepts in zehn ausgewählten wissenschaft-


lichen Disziplinen ist in Abbildung 4 illustriert. Hierbei ist anzumerken, dass das Dia-
gramm beginnend mit dem Jahr 1960 abgebildet ist, da vor dieser Zeit nur vereinzelte
Publikationen zu Resilienz lediglich in Fachzeitschriften der Ingenieurswissenschaften,
der Materialwissenschaft sowie in sehr geringem Maße in der Medizin nachweisbar sind.
Resilienz als Trendkonzept 23

Abbildung 4 Disziplinspezifischer Vergleich der wissenschaftlichen Diffusion von Resilienz


1960–2016 (veranschaulicht an der Anzahl der publizierten Artikel pro Jahr)
24 Matthias Weiß, Silja Hartmann und Martin Högl

Betrachtet man zunächst das absolute Niveau der Häufigkeit an Fachartikeln mit Resilienz
zum Thema, treten deutliche Unterschiede zutage, die allerdings auch disziplinspezifi-
schen Unterschieden in der Publikationstätigkeit an sich und der unterschiedlichen Zahl
an Forschern in den jeweiligen Disziplinen geschuldet sind. Dennoch ist dies ein Indikator
für den absoluten Umfang der Beschäftigung mit Resilienz. So wird ersichtlich, dass mit
Abstand das größte Volumen an Resilienz-bezogenen Publikationen in der medizinischen
Forschung erzeugt wird. Darauf folgen die Sozialwissenschaften und die Biologie, die
einen ähnlichen Umfang an Publikationstätigkeit zu Resilienz zeigen. Als dritte Grup-
pen folgen die Ökologie, Ingenieurswissenschaften, die Psychologie und die Wirtschafts-
wissenschaften als relativ homogene Gruppe, was die Generierung von Fachartikeln zu
Resilienz anbelangt. Der geringste Output in dieser Hinsicht wird von den Geowissen-
schaften, den Materialwissenschaften und den Geisteswissenschaften erzeugt, die jeweils
die Schwelle von 100 Veröffentlichungen in Fachzeitschriften pro Jahr nicht überspringen.
Betrachtet man die relative Entwicklung der Publikationstätigkeit zum Thema Resili-
enz in den verschiedenen Disziplinen, so zeigt sich über alle Disziplinen hinweg ein deut-
lich ansteigender Trend in den vergangenen zehn Jahren, was für eine deutliche Zunahme
der wissenschaftlichen Diffusion des Resilienzkonzepts spricht. Auch zeigt sich, dass eine
substantielle Publikationstätigkeit zu Resilienz-bezogenen Themen in allen untersuchten
Disziplinen erst recht spät eingesetzt hat. Mit Ausnahme der Ingenieurswissenschaften,
Geowissenschaften und Materialwissenschaften, bei denen diese Entwicklung schon ab
den 1970er Jahren zu beobachten war, ist dies in den übrigen Disziplinen erst im Laufe
der 1990er Jahre der Fall gewesen. Die Ingenieurswissenschaften und Materialwissen-
schaften unterscheiden sich von den übrigen Disziplinen auch dadurch, dass sie vor der
Jahrtausendwende eine volatile Trendlinie aufweisen, die somit auch zwischenzeitliche
Rückgänge in der Publikationstätigkeit zu Resilienz impliziert, während bei allen anderen
Disziplinen eine annähernd stetige Zunahme der Publikationstätigkeit zu beobachten war.

4.3 Gesellschaftliche und wissenschaftliche Diffusion im Vergleich

Grundsätzlich sind hinsichtlich des Bezugs zwischen der gesellschaftlichen und wissen-
schaftlichen Diffusion von Konzepten zwei Beziehungen denkbar (abgesehen von einer
eher unrealistischen Annahme vollständiger Unabhängigkeit). Eine Möglichkeit beinhal-
tet gewissermaßen einen Schub der gesellschaftlichen Diffusion eines Konzepts durch
wissenschaftliche Ergebnisse, die auf die Bedeutung dieses Konzepts hindeuten und so-
mit die gesellschaftliche Aufmerksamkeit verstärkt auf dieses Konzept lenken. Dieses
Szenario wäre im Falle der Resilienz insbesondere für die Disziplinen der Ökologie und
der Geowissenschaften plausibel, da die dort gewonnenen Erkenntnisse über die Folgen
der menschlichen Aktivität für Ökosysteme und klimatische Prozesse und die dadurch
bedingte Bedeutung von Resilienzforschung in diesen Disziplinen auch eine verstärkte
Aufmerksamkeit in der Gesellschaft auf Aspekte der Resilienz nach sich ziehen sollte.
Die andere generelle Möglichkeit zur Beziehung zwischen wissenschaftlicher und ge-
Resilienz als Trendkonzept 25

sellschaftlicher Diffusion besteht in einer Wissensnachfrage zu gesellschaftlich salienten


Themen, in denen die verstärkte gesellschaftliche Diffusion eines Konzepts eine verstärk-
te wissenschaftliche Forschungs- und Publikationstätigkeit auslöst. Im Falle der Resilienz
ist dieses Szenario insbesondere für Disziplinen wie die Psychologie, die Ingenieurswis-
senschaften sowie die Geistes-, Sozial- und Wirtschaftswissenschaften denkbar, da diese
Disziplinen ihre Forschungsschwerpunkte tendenziell eher aus aktuellen Bedürfnissen
und Entwicklungen in der Gesellschaft ableiten.
Vergleicht man nun den tatsächlichen Verlauf der gesellschaftlichen Diffusion von
Resilienz mit dem Verlauf der wissenschaftlichen Diffusion der zehn betrachteten Dis-
ziplinen, so zeigt sich, dass die wissenschaftliche Publikationstätigkeit der gesellschaft-
lichen Diffusion tendenziell eher nachläuft. Während die deutliche Beschleunigung der
gesellschaftlichen Diffusion des Resilienzkonzepts bereits in den 1990er Jahren erfolgte
(wobei für den hier getätigten Vergleich insbesondere die Situation in angelsächsischen
Ländern von Bedeutung ist, angesichts des großen Anteils dieser Länder an der Generie-
rung von Fachartikeln in internationalen Fachzeitschriften), so setzte diese Entwicklung
in den meisten Disziplinen erst nach der Jahrtausendwende ein. Selbst die Disziplinen,
in denen die Resilienzforschung schon früher deutlich an Dynamik gewann, konkret die
Ökologie und Psychologie, zeigen diese Entwicklung erst Mitte der 1990er Jahre. Da-
mit ist der zeitliche Versatz zur gesellschaftlichen Diffusion zu groß, um etwa über die
Verzögerung zwischen Forschungstätigkeit und Publikation von Ergebnissen daraus den-
noch einen Wissensschub zum Thema Resilienz aus der Wissenschaft in die Gesellschaft
hinein anzunehmen. Vielmehr scheint es wahrscheinlich, dass die Zunahme der gesell-
schaftlichen Diffusion von Resilienz (als Antwort auf die spezifischen ökologischen und
persönlichen Problemstellungen unserer Zeit wie Klimawandel, beschleunigter Wandel
in allen Lebensbereichen durch Digitalisierung und Vernetzung) primär nicht durch wis-
senschaftliche Erkenntnisse zur Resilienz ausgelöst wurde, sondern ihren maßgeblichen
Ursprung in anderen Bereichen der Gesellschaft hat. Die Wissenschaft ist diesem Trend
dann augenscheinlich eher gefolgt, um die implizite oder explizite Nachfrage nach Er-
kenntnissen zum Thema Resilienz zu befriedigen.

4.4 Disziplin-übergreifende Beziehungen

Die bibliographische Kartierung wurde für die 50 einflussreichsten Publikationen in


Fachzeitschriften mit Bezug zum Resilienzkonzept vorgenommen (siehe Tabelle 1). Die-
ser Einfluss lässt sich anhand der Zitationshäufigkeit einer Publikation in anderen Publi-
kationen mit Bezug zu Resilienz berechnen (der sogenannte Local Citation Score – LCS).
Dementsprechend müssen diese Publikationen nicht zwingenderweise zu den insgesamt
meistzitierten Publikationen (was dem Global Citation Score – GCS – entsprechen wür-
de) in unserem Datensatz gehören. Die Spannbreite des LCS unter den 50 kartierten Pu-
blikationen reicht von einem Minimum von 175 bis zu einem Maximum von 1.116. Die
bibliographischen Angaben zu diesen 50 Publikationen finden sich in Tabelle 1.
26 Matthias Weiß, Silja Hartmann und Martin Högl

Tabelle 1 Die 50 einflussreichsten Fachartikel zu Resilienz


# Jahr Autoren Fachzeitschrift LCS GCS
1 2000 Luthar SS, Cicchetti D, Becker B Child Development 1116 1729
2 2001 Masten AS American Psychologist 896 1493
3 2006 Folke C Global Environmental Change - 884 1324
Human & Policy Dimensions
4 1987 Rutter M American Journal of Orthopsy- 746 1472
chiatry
5 2004 Bonanno GA American Psychologist 720 1258
6 2001 Carpenter S, Walker B, Anderies Nature 657 2567
JM, Abel N
7 2003 Connor KM, Davidson JRT Depression & Anxiety 650 822
8 2001 Carpenter S, Walker B, Ecosystems 576 761
Anderies JM, Abel N
9 2004 Folke C, Carpenter S, Walker B, Annual Review of Ecology 540 1175
Scheffer M, Elmqvist T, et al. Evolution & Systematics
10 1985 Rutter M British Journal of Psychiatry 504 1074
11 2000 Adger WN Progress In Human Geography 488 722
12 2005 Folke C, Hahn T, Olsson P, Annual Review of Environment 487 1329
Norberg J & Resources
13 2000 Gunderson LH Annual Review of Ecology 438 668
& Systematics
14 2003 Hughes TP, Baird AH, Bellwood Science 427 1637
DR, Card M, Connolly SR, et al.
15 2006 Adger WN Global Environmental Change - 413 1059
Human & Policy Dimensions
16 2004 Bellwood DR, Hughes TP, Nature 395 1297
Folke C, Nystrom M
17 2008 Norris FH, Stevens SP, American Journal of Community 395 595
Pfefferbaum B, Wyche KF, Psychology
Pfefferbaum RL
18 1998 Masten AS, Coatsworth JD American Psychologist 354 950
19 2001 Holling CS Ecosystems 345 901
20 2005 Adger WN, Hughes TP, Folke C, Science 323 549
Carpenter SR, Rockstrom J
21 2003 Elmqvist T, Folke C, Nystrom M, Frontiers In Ecology & The 320 582
Peterson G, Bengtsson J, et al. Environment
22 2006 Gallopin GC Global Environmental Change - 317 509
Human & Policy Dimensions
23 2003 Turner BL, Kasperson RE, Matson Proceedings of The National 316 997
PA, McCarthy JJ, Corell RW, et al. Academy of Sciences of The USA
24 2007 Nelson DR, Adger WN, Brown K Annual Review of Environment 314 491
& Resources
25 2003 Bruneau M, Chang SE, Eguchi RT, Earthquake Spectra 307 437
Lee GC, O‘Rourke TD, et al.
Resilienz als Trendkonzept 27

Tabelle 1 (Fortsetzung)
# Jahr Autoren Fachzeitschrift LCS GCS
26 2002 Folke C, Carpenter S, Elmqvist T, Ambio 300 547
Gunderson L, Holling CS, et al.
27 2008 Cutter SL, Barnes L, Berry M, Global Environmental Change - 295 464
Burton C, Evans E, et al. Human & Policy Dimensions
28 2004 Olsson P, Folke C, Berkes F Environmental Management 287 587
29 1998 Peterson G, Allen CR, Holling CS Ecosystems 286 591
30 1996 Block J, Kremen AM Journal of Personality & Social 279 429
Psychology
31 2004 Tugade MM, Fredrickson BL Journal of Personality & Social 271 673
Psychology
32 2000 Luthar SS, Cicchetti D Development & Psychopathology 269 402
33 2005 Fergus S, Zimmerman MA Annual Review of Public Health 254 431
34 1996 Holling CS, Meffe GK Conservation Biology 240 692
35 2002 Richardson GE Journal of Clinical Psychology 231 316
36 2005 Hughes TP, Bellwood DR, Folke Trends In Ecology & Evolution 228 461
C, Steneck RS, Wilson J
37 2003 Fredrickson BL, Tugade MM, Journal of Personality & Social 221 602
Waugh CE, Larkin GR Psychology
38 2003 Dietz T, Ostrom E, Stern PC Science 219 1139
39 2007 Hughes TP, Rodrigues MJ, Bell- Current Biology 214 496
wood DR, Ceccarelli D, et al.
40 1993 Egeland B, Carlson E, Sroufe LA Development & Psychopathology 209 315
41 1991 Garmezy N American Behavioral Scientist 205 370
42 1999 Masten AS, Hubbard JJ, Gest SD, Development & Psychopathology 205 382
Tellegen A, Garmezy N, et al.
43 1991 Luthar SS Child Development 202 350
44 1991 Luthar SS, Zigler E American Journal of 201 318
Orthopsychiatry
45 2006 Rutter M Resilience In Children 195 290
46 2004 Charney DS American Journal of Psychiatry 191 580
47 2002 Norris FH, Friedman MJ, Watson Psychiatry - Interpersonal 183 997
PJ, Byrne CM, Diaz E, et al. & Biological Processes
48 2009 Feder A, Nestler EJ, Charney DS Nature Reviews Neuroscience 183 374
49 1993 Garmezy N Psychiatry - Interpersonal 179 282
& Biological Processes
50 2009 Rockstrom J, Steffen W, Noone K, Nature 175 1962
Persson A, Chapin FS, et al.
LCS = Local Citation Score; GCS = Gobal Citation Score

In der Kartierung werden diese Publikationen als Knotenpunkte dargestellt, deren Größe
von ihrem LCS abhängt (das heißt, je größer der Knotenpunkt, desto größer der Ein-
28 Matthias Weiß, Silja Hartmann und Martin Högl

fluss auf die Forschung zum Resilienzkonzept). Die Linien zwischen den Knotenpunkten
zeigen Querverbindungen zwischen diesen Publikationen durch Zitation an. Betrachtet
man nun die mit Hilfe von HistCiteTM erstellte Kartierung der 50 einflussreichsten Resi-
lienz-bezogenen Publikationen in Fachzeitschriften und ihren Querbezügen in Abbildung
5, so fällt schnell auf, dass sich diese Publikationen in zwei größere Inhaltsfelder aufspal-
ten. Das erste Inhaltsfeld beinhaltet Forschung zu psychologischen Aspekten der Resilienz
und Forschung in der Psychiatrie, während das zweite Inhaltsfeld Resilienz-bezogene Pu-
blikationen zu Themen von Umweltwissenschaften wie der Ökologie oder Geographie
umfasst. Deutlich wird auch, dass zwischen den Knotenpunkten der beiden Inhaltsfelder
kaum Querbezüge bestehen. Daraus lässt sich ableiten, dass die Forschung in diesen In-
haltsfeldern weitgehend isoliert voneinander abläuft. Eine auffällige Ausnahme stellt hier
die Arbeit von Norris et al. (2008) dar, die als einziger integrativer Knotenpunkt den Be-
zug zu beiden Inhaltsfeldern herstellt. Es ist äußerst wahrscheinlich, dass hier bislang eine
wertvolle Gelegenheit verpasst wurde, durch Integration dieser Inhaltsfelder Synergien in
der Resilienzforschung zu nutzen. Zukünftige interdisziplinäre Forschung könnte daher
durch bessere Integration von Erkenntnissen aus den beiden Hauptströmungen in der Re-
silienzforschung von diesem bislang noch weitgehend ungenutzten Potential profitieren.

Abbildung 5 Kartierung der einflussreichsten Fachartikel zu Resilienz

5 Limitationen

An dieser Stelle soll auf Limitationen der in diesem Beitrag berichteten Untersuchun-
gen und Ergebnisse hingewiesen werden. Die Methode Culturomics eröffnet zwar die
Möglichkeit, durch die relative Häufigkeit von Begriffen auf die Diffusion in der Gesell-
Resilienz als Trendkonzept 29

schaft von hinter diesen Begriffen stehenden Konzepten zu schließen. Allerdings stellt
dies natürlich nur einen indirekten Indikator dar, der die gesellschaftliche Diffusion von
Konzepten nicht zwangsweise exakt abbilden kann. Insbesondere besteht die Möglichkeit,
dass das Medium Buch Besonderheiten aufweist, die es von anderen Populärmedien wie
Fernsehen oder Radio unterscheidet und somit eine gewisse Verzerrung zur Folge haben
könnte. Da für letztgenannte Medien allerdings noch keine äquivalenten Daten zu einer
solchen Untersuchung zur Verfügung stehen, konzentrierte sich die Analyse in diesem
Beitrag auf Bücher.
Darüber hinaus impliziert der internationale Vergleich der Diffusion von Konzepten
immer auch die Notwendigkeit von äquivalenten Übersetzungen der für die Suche ver-
wendeten Begriffe (Brislin 1980). Auch wenn wir uns bei der Übersetzung von Resilienz
in andere Sprachen durch Konsultation bei Muttersprachlern der jeweiligen Sprache über
die Angemessenheit der verwendeten Begriffe rückversichert haben, so schließt dies dar-
aus entstehende Ungenauigkeiten oder Verzerrungen nicht vollständig aus.
Schließlich basieren unsere Untersuchungen zur wissenschaftlichen Diffusion und in-
terdisziplinären Bezügen und Entwicklungen lediglich auf in Fachzeitschriften publizier-
ten Artikeln. Da wissenschaftliche Erkenntnisse allerdings auch in Form von Büchern
veröffentlicht werden, konnte hier keine vollständige Erfassung der Forschungstätigkeit
zum Konzept der Resilienz erfolgen. Die Fokussierung auf begutachtete Fachartikel hatte
hierbei sowohl methodische Gründe als auch das Ziel, ein Mindestmaß an Qualität der
untersuchten Publikationen zu gewährleisten. Dass hierbei relevante Publikationen von
hinreichender Qualität von der Untersuchung ausgeschlossen wurde, musste daher leider
in Kauf genommen werden. Allerdings ist insbesondere angesichts der enormen Fallzah-
len dennoch von einer Repräsentativität der Befunde auszugehen.

6 Implikationen und Fazit

In diesem Beitrag wurde die Entwicklung der Diffusion des Resilienzkonzepts aus ver-
schiedenen Perspektiven dargestellt. Dafür wurde auf Methoden der Bibliometrie und der
Zitationsanalyse zurückgegriffen. Unsere Ergebnisse in Bezug auf die gesellschaftliche
Diffusion des Resilienzbegriffs legen nahe, dass sozial-politische Rahmenbedingungen,
wie beispielsweise die Veränderung politischer Systeme, einen Einfluss auf die gesell-
schaftliche Rolle spezifischer Konzepte nehmen können. Im betrachteten Fall des Resili-
enzkonzepts ist dies insofern interessant, als dass die gesellschaftliche Nachfrage die wis-
senschaftliche Publikationstätigkeit zu treiben scheint und die wissenschaftliche Tätigkeit
damit auch mit sozial-politischen Bedingungen in Zusammenhang zu stehen scheint.
Die Verwendung der Culturomics-Methode erlaubt auf Basis von Worthäufigkei-
ten aufzuzeigen, welche Themen in Gesellschaften thematisiert und priorisiert werden
(Greenfield 2013). In methodischer Hinsicht eröffnet die Verwendung dieser Methode im
Zusammenspiel mit Artikelzählungen und Zitationsanalysen eine neue Perspektive auf
30 Matthias Weiß, Silja Hartmann und Martin Högl

die Diffusion des Resilienzbegriffs und ermöglicht so ein präziseres Verständnis dieser
Diffusion.
Anhand der Ergebnisse unserer Untersuchungen kann man den Rückschluss ziehen,
dass das Konzept der Resilienz im letzten Jahrhundert weniger verbreitet war, das Inter-
esse an dem Konzept und seine Salienz jedoch mit Ende des letzten Jahrhunderts massiv
zugenommen hat, sowohl in der Wissenschaft als auch in der Gesellschaft generell. Dieses
grundlegende Muster der gesellschaftlichen Diffusion gleicht sich in den betrachteten Län-
dern. Lediglich der Zeitpunkt der Zunahme des Interesses an Resilienz variiert zwischen
den verschiedenen Ländern. In Bezug auf einen internationalen Vergleich lässt sich zudem
festhalten, dass das Konzept in englischsprachigen Ländern mittlerweile am stärksten ver-
breitet ist und grundsätzlich in westlichen Ländern mehr Aufmerksamkeit genießt als in
den östlichen Ländern China und Russland. Weiterhin zeigt sich, dass die wissenschaft-
liche Publikationstätigkeit der gesellschaftlichen Diffusion tendenziell nachgelaufen ist
und die Wissenschaft somit auf implizite oder explizite gesellschaftliche Nachfrage nach
Erkenntnissen zum Thema Resilienz geantwortet hat. Die Ergebnisse der vorliegenden
Studie zeigen insofern, dass das Konzept der Resilienz erst in den letzten Dekaden zu sei-
ner heutigen Popularität gefunden hat, sich aber mit Beginn des 21. Jahrhunderts als Kon-
zept in Gesellschaft und Wissenschaft etabliert hat. Die Ergebnisse zeigen aber auch, dass
eine Integration der Forschungstätigkeit zu Resilienz über direkt benachbarte Disziplinen
hinaus bislang noch kaum erfolgte, was interessante Gelegenheiten zur interdisziplinären
Resilienzforschung in der Zukunft offen lässt.
Resilienz als Trendkonzept 31

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Resilienz – Macht – Hoffnung
Der Resilienzbegriff als diskursive Verarbeitung
einer verunsichernden Moderne

Charlotte Rungius, Elke Schneider und Christoph Weller

Zusammenfassung

Der Beitrag formuliert die These, dass die Beliebtheit des Resilienzbegriffs trotz sei-
ner definitorischen Unschärfe mit einer veränderten Wahrnehmung von Unsicherheit,
Krisen und Risiken zu erklären ist. Seine Popularität steht in Verbindung zu dem do-
minanten Selbstbeschreibungsmodus der Reflexiven Moderne – der Krise –, die sich
in einer auf Dauer gestellten Unsicherheitswahrnehmung niederschlägt. Auf diese Ver-
unsicherung scheint Resilienz eine hoffnungsvolle Antwort geben zu können, weshalb
der Begriff in unterschiedlichen Anwendungskontexten, von der individuellen Stress-
bewältigung bis hin zu sicherheitspolitischen Legitimationsstrategien, als der vielver-
sprechende Versuch gepriesen wird, unvorhersehbare, krisenhafte Ereignisse aller Art,
zunehmend aber auch gesellschaftliche Steuerungsprobleme auf eine ganz neue Weise
handhabbar zu machen. Allerdings kann der Resilienzbegriff dieser Hoffnung nicht
entsprechen. Hingegen wird mit dessen Einsatz einerseits über die Begründungsbe-
dürftigkeit bestehender gesellschaftlicher Institutionen und Systeme hinweggetäuscht.
Dabei werden kritische Auseinandersetzungen umgangen. Einhergehend mit dieser
Form der Entpolitisierung der gesellschaftlichen Zukunftsgestaltung und -bewältigung
besteht andererseits die Gefahr der Überlastung jeder/s Einzelnen. Letztendlich steht
der Resilienzbegriff dem gesellschaftlichen Wandel im Weg.

33
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2018
M. Karidi et al. (Hrsg.), Resilienz,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-19222-8_3
34 Charlotte Rungius, Elke Schneider und Christoph Weller

1 Einleitung

Resilienz ist ‚in‘ und zwar Disziplinen übergreifend. Der Begriff hat in den letzten Jahren
eine erstaunliche Karriere erfahren und genießt derzeit große Popularität in den unter-
schiedlichsten Lebens- und Wissenschaftsbereichen. Beispielsweise ist seit 1997 die Häu-
figkeit der Verwendung des Begriffs Resilienz von beinahe null auf 30 000 Einträge in
der Zitationsdatenbank „Web of Science“ geradezu explodiert (Lovell et al. 2016, S. 5). In
Google-Suchen ist das relative Interesse am Begriff Resilienz zwischen 2004 und 2015
um mehr als 40 % gestiegen (ebd.). Angesichts dieser Beliebtheit bzw. „Schönheit“ (vgl.
Rungius und Weller 2016) mag die eine oder der andere dem Begriff Resilienz skeptisch
gegenüberstehen. Dem Anspruch auf Modernität und Innovation, der Resilienz anzuhän-
gen scheint, steht das Misstrauen gegenüber einem möglicherweise oberflächlichen Zeit-
geist-Begriff entgegen. Man mag geneigt sein, diesen Begriff als reine Modeerscheinun-
gen abzutun, der gerade aufgrund seiner Beliebtheit und seines fast grenzenlos vielseitigen
Einsatzes Gefahr läuft, sich in Beliebigkeit zu verlieren (vgl. u. a. Hagmann 2012, S. 16;
Thoma 2014, S. 53) und zu einem ‚leeren Signifikanten‘ (Laclau 1994, 1996) zu werden.
Andererseits bietet die erstaunliche Karriere dieses Begriffs die Möglichkeit, ihn im
Lichte derjenigen gesellschaftlichen Leitvorstellungen, Wahrnehmungen und Bedürfnisse
zu verstehen, die ihn letztlich erst hervorgebracht, bzw. für die offenkundige Resonanz
gesorgt haben. Entsprechend betrachten wir die Popularität des Resilienzbegriffs in einem
engen Zusammenhang zu den aktuell vorrangigen gesellschaftlichen Denkstrukturen und
Wahrnehmungen. Über die Untersuchung der Verwendungsweisen des Resilienzbegriffs
lässt sich einerseits etwas über vorherrschende Ängste und Hoffnungen erfahren, anderer-
seits aber auch beleuchten, welche spezifischen Sichtweisen dadurch verstärkt werden.
Unsere Ausgangsthese ist, dass die wachsende Beliebtheit des Resilienzbegriffs in
einem engen Zusammenhang mit einer veränderten Wahrnehmung von Unsicherheit,
Krisen und Risiken zu verstehen ist. Insbesondere folgt unser Beitrag der Überlegung,
dass die Verbreitung und Popularität des Resilienzbegriffs mit dem dominanten Selbst-
beschreibungsmodus der Reflexiven Moderne in Verbindung steht – der Krise –, die sich
in einer auf Dauer gestellten Unsicherheitswahrnehmung niederschlägt. Auf diese Ver-
unsicherung scheint Resilienz eine hoffnungsvolle Antwort geben zu können, weshalb der
Resilienzbegriff sowohl in privaten, als auch in gesellschaftlichen Anwendungskontexten
bis hin zu sicherheitspolitischen Legitimationsstrategien als der vielversprechende Ver-
such gepriesen wird, Unsicherheit und unvorhersehbare, krisenhafte Ereignisse auf eine
ganz neue Art und Weise handhabbar zu machen. Mit diesem hoffnungsvollen Verspre-
chen bildet der Resilienzbegriff allerdings zugleich den Kern machtvoller Diskurse und
ist in der Lage, über unsere Art zu Denken und zu Handeln mitzuentscheiden. Deshalb
erscheint es uns notwendig, uns kritisch mit den zugrundeliegenden, häufig unreflektierten
Annahmen des Resilienzbegriffs auseinanderzusetzen.
Zunächst werfen wir ein kurzes Streiflicht auf die allgemein gebräuchliche Verwen-
dung des Resilienzbegriffs, um den spezifischen Verwendungskontext herauszustellen, der
stets eine Belastung, Krise bzw. Bedrohung mitdenkt (Abschnitt 2). Diesen setzen wir in
Resilienz – Macht – Hoffnung 35

einen Zusammenhang zur Gesellschaftsanalyse der Reflexiven Moderne und legen eine
‚Ontologie der Unsicherheit‘ als Grundannahme des Resilienzbegriffs frei, auf deren Ba-
sis der Resilienzbegriff gleichsam als hoffnungsvolle Rettung inszeniert wird (Abschnitt
3). Allerdings täuscht der auf diese Weise mit positiven Assoziationen aufgeladene Resi-
lienzbegriff zuweilen darüber hinweg, dass der Begriff sich auf sehr unterschiedliche Phä-
nomene bezieht, die es zunächst genauer zu unterscheiden gilt (Abschnitt 4). In Abschnitt
5 zeigen wir, inwiefern der Resilienzbegriff dabei gerade auf einer gesellschaftsanalyti-
schen Ebene die konzeptionelle Hoffnung transportiert, die Komplexitätssteigerung und
Entgrenzung greifbar zu machen, mit denen die Governance-Forschung befasst war. Un-
sere theoretische Auseinandersetzung mündet zuletzt in einer Problematisierung des Re-
silienzbegriffs, insbesondere, wenn er in gesellschaftspolitischen Kontexten Verwendung
findet, wie dies etwa in aktuellen sicherheitspolitischen Dokumenten der Bundesregierung
der Fall ist (Abschnitt 6).1

2 Der Resilienzbegriff braucht die Krise

Im Alltagsgebrauch erlebt der Resilienzbegriff vor allem als wünschenswertes Persön-


lichkeitsmerkmal derzeit Hochkonjunktur (z. B. Ratgeberliteratur).2 Die Beliebtheit des
Resilienzbegriffs scheint dabei insbesondere auf ein allgemein gestiegenes Belastungs-
empfinden sowohl im privaten als auch beruflichen Alltag anzusprechen. Hier äußert sich
Resilienz als ‚Versprechen‘, auf persönliche Krisen aller Art eine Antwort zu haben. Um-
gekehrt wird die wahrgenommene Zunahme an krisenhaften Situationen, mit denen Men-
schen in ihrem Alltag persönlich konfrontiert werden, als Begründungskontext für die
steigende Notwendigkeit der Entwicklung einer individuellen Resilienz konstruiert (Zolli
und Healy 2013).
Dabei wird deutlich, dass die Verwendung des Resilienzbegriffs stets in einem Zusam-
menhang zu wahrgenommenen Bedrohungen steht, bzw. das potenzielle Eintreten eines
krisenhaften Ereignisses – ob von innen oder außen – notwendigerweise voraussetzt. In
einem der bekanntesten populärwissenschaftlichen Bücher zum Thema wird Resilienz
definiert als „die Fähigkeit eines Systems, eines Unternehmens oder eines Menschen, sich
an dramatisch veränderte äußere Bedingungen anzupassen und dabei funktionsfähig zu
bleiben“ (Zolli und Healy 2013, S. 16, Hervorh. d. Verf.). Dort heißt es weiter: „Diese
Desaster brechen in unregelmäßigen Abständen über uns herein, meist aus einer völlig
unerwarteten Richtung, und sind notorisch unvorhersehbar“ (ebd. 12). Jan Slaby bringt es
treffsicher auf den Punkt: „Resilienz ist nicht zu trennen vom Imperativ einer Gewöhnung
an ein Leben in auf Dauer gestellten Gefährdungslagen. Unsicherheit, Fragilität, Verletz-

1 Für hilfreiche Kommentare zu früheren Versionen dieses Beitrags danken wir Lisa Maichle sowie
Michael Meyen und Martin Schneider.
2 Dieser Befund geht aus einer systematischen Internetrecherche hervor, für die wir die erstgelisteten
60 Ergebnisse einer Google-Suche mit dem Begriff „Resilienz“ (16.06.2015) offen kodiert und aus-
gewertet haben (Schneider 2017).
36 Charlotte Rungius, Elke Schneider und Christoph Weller

lichkeit sind die Grundbedingungen allen Seins im Vorstellungshorizont der Resilienz“


(Slaby 2016, S. 292). Der spezifische Begriffskontext von Resilienz beinhaltet also ein
immanent ungewisses und damit bedrohliches Szenario (Endreß und Rampp 2014, S. 76;
Slaby 2016, S. 274; Bürkner 2010, S. 7).
Dabei spielt es keine Rolle, ob Resilienz auf einzelne Personen bezogen wird, oder
wie zuletzt zunehmend der Fall, auf soziale Systeme und mitunter ganze Gesellschaften.
Stets geht es darum, dass die betreffende Entität in ihrer (globalen) Umwelt als besonders
verletzlich und verwundbar beschrieben wird. Es überrascht daher kaum, dass Resilienz
vor allem im Zusammenhang mit den Begriffen „Vulnerabilität“ und „Risiko“ auftaucht
(Bürkner 2010, S. 5). Die Thematisierung von Verwundbarkeit scheint sich insbesonde-
re aus einer wahrgenommenen Komplexitätssteigerung und Verunsicherung zu ergeben,
die u. a. in engem Zusammenhang zu Prozessen der Globalisierung, Urbanisierung und
digitalen Vernetzung und den damit einhergehenden Interdependenzen steht (Thoma et
al. 2012, S. 321; Brückner 2010, S. 5). Beispielhaft beschreibt dies der Vizepräsident des
Bundeskriminalamtes im Zusammenhang zum Thema Resilienz:

„Die Gesellschaften befinden sich in tief greifenden Veränderungsprozessen. Wir erleben


den Beginn des ersten wirklich globalen Jahrhunderts. Es bringt in allen Lebensbereichen
weit reichende, in Teilen dramatische, unumkehrbare Veränderungen für unsere Gesell-
schaften mit sich. Mit atemberaubender Geschwindigkeit werden immer mehr Regionen der
Erde in eine weltumspannende Wirtschaftsordnung integriert. […] Weltweite Vernetzung
schafft weltweite Abhängigkeiten und Verletzbarkeiten“
(Stock 2012, S. 31).

Globale Interdependenzen und Abhängigkeiten werden als unbeeinflussbare Entwicklun-


gen beschrieben, als Ausdruck „der unfassbaren Komplexität, Verwobenheit und Unbe-
ständigkeit der modernen Welt“ (Zolli und Healy 2013, S. 13). Der rasante Wandel scheint
kaum Zeit zu lassen für planvolle Reaktionen. Die Bedrohungen sind diffus und komplex
und nicht mehr auf konkrete, klar identifizierbare Ursachen zurückzuführen. Es wirkt
dabei so, als sei man von den Folgen und Errungenschaften der Industrialisierung und
technologischen Entwicklung geradezu überwältigt und als wandelten sich diese Erfolge
zu einer unkontrollierbaren Eigendynamik, auf die nun Resilienz die ersehnte Antwort
sei. Diese Dynamik entspricht in erheblichem Maße den Beobachtungen im Rahmen der
Theorie der Reflexiven Modernisierung (vgl. hierzu auch Blum et al. 2016).

3 Der Resilienzbegriff als Symptom einer Reflexiven Moderne

Die Theorie der Reflexiven Modernisierung beschreibt Unsicherheit im Sinne einer kate-
gorischen Unbestimmbarkeit und Unkontrollierbarkeit, als eine zwar unbeabsichtigte, je-
doch wesentliche und unvermeidliche Folgeerscheinung des Rationalisierungs-, Wissens-
und Fortschrittswillens der Moderne (Beck et al. 1996): Durch das enorm gewachsene und
ausdifferenzierte Wissen, wie es sich beispielsweise in Form des technischen Fortschritts
Resilienz – Macht – Hoffnung 37

niederschlägt, sind gleichzeitig auch ungeahnte neue Handlungsmöglichkeiten, aber auch


unvermutete Wirkungszusammenhänge und Gefahren entstanden. Beispielsweise ist die
Gewinnung von Atomenergie einerseits eine technisch höchst voraussetzungsreiche Errun-
genschaft, ein Musterbeispiel für den unbedingten Rationalisierungs- und Kontrollwillen
der Moderne. Damit sind gleichsam aber auch ungeahnte und unkontrollierbare Gefahren
entstanden. In dem Maße also, in dem sich die Moderne unter anderem die Natur zunutze
und zu eigen macht, sind die Reichweite und Wirkung der Nebenfolgen ebenfalls gestie-
gen. In diesem Sinn bringt der moderne Fortschritt eine fundamentale Verunsicherung mit
sich, ja wird Unsicherheit zu einem prägenden Bestandteil von sozialer Wirklichkeit.

3.1 Die verunsichernde Moderne

Dieser Zusammenhang gilt auch für andere Wissensbereiche als nur den des technischen
Fortschritts und er gilt in der Perspektive der Theorie Reflexiver Modernisierung nicht
nur auf einer praktischen, sondern vielmehr auch auf einer theoretischen Ebene. Mit dem
Zuwachs an Wissen wächst auch das Bewusstsein dafür, was wir nicht wissen („gewusstes
Nichtwissen“) und damit steigt der fundamentale Eindruck der Verunsicherung auf der
kognitiven Ebene. Ebenfalls sind durch das erweiterte Wissensangebot auch die Mög-
lichkeiten gewachsen, vormals feststehende Grundbegriffe, Institutionen und Handlungs-
zusammenhänge in neuem Licht zu betrachten, neu zu beschreiben und zu hinterfragen.
Dadurch erscheinen bisher als selbstverständlich hingenommene Unterscheidungen auf
einmal brüchig und vorläufig: So kommt es in der Reflexiven Moderne beispielsweise zu
einer Diffusion der legitimen Wissensproduktion, wenn „die Wissenschaft“ ihre Monar-
chinnenposition als einzige legitime Wissensproduzentin verliert und an ihre Stelle in der
Reflexiven Moderne eine dezentralisierte, polyzentrische Wissensproduktion tritt, in der
neben wissenschaftlichem Wissen auch andere Wissensformen, wie Erfahrungswissen,
mit anderen Geltungskriterien um Deutungshoheit konkurrieren (Lau und Böschen 2003,
S. 227f.). Sowohl das Bewusstsein für die Vorläufigkeit von Wissen und Nichtwissen als
auch dieser Zusammenbruch von Selbstverständlichkeiten tragen zur Verunsicherung in
der Reflexiven Moderne bei.
Reflexion ist in dieser Perspektive keine bewusste Entscheidung, sondern ein sich selbst
aufdrängender, geradezu zwingender Denk- und Handlungsmodus unter den Bedingungen
der fortschreitenden Moderne. Der Wandel von modernem zu reflexiv-modernem Denken
zeigt sich beispielsweise in Form eines Wandels von linearem zu nicht-linearem Denken,
wobei lineares Denken auf Gewissheiten und Vorhersehbarkeit aufbaut und nicht-lineares
„chaostheoretisch“ auf Unsicherheiten vorbereitet (Kaufmann und Blum 2013, S. 97f.).
Während in der Moderne der Umgang mit Unsicherheiten reaktiv und von dem Ziel „der
restlosen Transformation von Ungewißheit in Gewißheit, Unordnung in Ordnung und Un-
eindeutigkeit in Eindeutigkeit“ geprägt war, wird in der Reflexiven Moderne dieser Fort-
schrittsglaube abgelegt und in eine „aktive […] Unsicherheitsorientierung“ umgekehrt
(Bonß 1995, S. 25). Diese löst die „Perfektionierung der Sicherheit“ in der Moderne ab
38 Charlotte Rungius, Elke Schneider und Christoph Weller

(ebd.). Die Theorie der Reflexiven Moderne beschreibt die mit den Prozessen der Objekti-
vierung von Unsicherheit zur Normalität gewordene, beständige Hinterfragung, Reflexion
und Auflösung herkömmlicher gesellschaftlicher Leitunterscheidungen. Die Realität prä-
sentiert sich damit als unberechenbar, entgrenzt und kontingent. Die resultierende Einsicht
in die Unentscheidbarkeit und Vorläufigkeit von Wissensmöglichkeiten mündet in einer
Objektivierung von „Vernetzung, Komplexität und Ungewissheit“ als geradezu „festste-
hende […] Kausalkette“ (Kaufmann und Blum 2013, S. 93f.).
Dies führt auch zu einer Verunsicherung des Handelns. Für Entscheidungen, ob nun
praktischer oder theoretischer Art, kann keine sichere Grundlage hergestellt werden
(Beck 1996b, S. 302). Um aber Handlungsfähigkeit wenigstens vorläufig wiederherzustel-
len, findet eine „Normalisierung jener Unsicherheit, die als ein konstitutiver Bestandteil
der Moderne anerkannt werden muß“, statt (Bonß 1995, S. 25). Teil dieser Normalisierung
ist die Karriere des Resilienzbegriffs, welche als Symptom dieser Normalisierung verstan-
den werden kann (s. Abschnitt 3.2). Resilienz wird nun als Antwort auf die fundamentale
Verunsicherung in Anschlag gebracht.
Die Folge der Normalisierung von Unsicherheit sowohl auf kognitiver Ebene als auch
auf der des Handelns ist, dass wir uns in „einer Zeit rapider Veränderungen“ (Voss 2010,
S. 67) oder in einem „‘Zeitalter der Transformation‘“ (Kaufmann und Blum 2013, S. 95,
Hervorh. i. Orig.) wahrnehmen, das von Problemwahrnehmungen, Nichtwissen und Unge-
wissheiten vollkommen durchsetzt zu sein scheint. Damit ist das Narrativ der Reflexiven
Moderne geprägt von umfassenden Unsicherheiten und einer potenziell stets bevorstehen-
den Krise, wodurch die Gegenwart selbst als ständig krisenhaft verstanden werden muss.
Resilienz erscheint hier gleichsam als mögliche Bewältigungsressource sowie als Stütze
der Unsicherheitswahrnehmung, schließlich kann die eigene Resilienz unendlich weiter
gesteigert werden.

3.2 Der Resilienzbegriff als Reaktion auf die objektivierte Ver-


unsicherung und eine auf Dauer gestellte Krisenhaftigkeit

„Die Antizipation der Katastrophe verändert die Welt“ (Beck 2008, S. 13) – und verhilft
dem Resilienzbegriff zu seiner Karriere. Die Resonanz, die der Resilienzbegriff trans-
disziplinär und außerwissenschaftlich erreicht, verstehen wir somit sowohl als Symptom
einer gesellschaftlichen Verunsicherung, wie sie von der Theorie der Reflexiven Moderne
diagnostiziert wird (Beck 1996a, S. 19f.), als auch als Hinweis auf die fortgeschrittene
Normalisierung der Allgegenwärtigkeit von Unsicherheitswahrnehmung und -empfinden.
Denn der Erfolg eines so breit rezipierten Begriffs wie Resilienz hängt von dessen
Anschlussfähigkeit an die vorherrschenden Leitvorstellungen und Denkmuster ab (Kauf-
mann und Blum 2013, S. 92). Beispielhaft für die Normalisierung von Unsicherheitswahr-
nehmung kann ein Ausschnitt von der Internetpräsenz der Beraterin und „Resilienztrai-
nerin“ Prof. Dr. Jutta Heller herangezogen werden: Auf ihrer Website beschreibt sie die
Welt als „VUKA. Volatil: ständige, schnelle Veränderungen. Unsicher: kein eindeutiges
Resilienz – Macht – Hoffnung 39

‚Richtig‘ oder ‚Falsch‘. Komplex: Zusammenhänge und Interaktionen werden komplexer.


Ambivalent: Mehrdeutig und widersprüchlich ist die Realität“ (Heller k.A., Hervorh. i.
Orig.) und reagiert damit auf ein offenbar anknüpfbares Unsicherheitsempfinden, auf wel-
ches sie mit ihrem Angebot für Resilienztrainings antwortet.
In diesem spezifischen, aber auch im allgemeineren Rahmen der Perspektive der Re-
flexiven Modernisierung scheint das Konzept der Resilienz Halt und Hoffnung darauf zu
versprechen, dass durch eine Resilienzsteigerung Kontrolle (zurück-)erlangt oder zumin-
dest die Krise weitgehend unbeschadet durchlebt werden könnte. Resilienz tritt dabei als
„Makrostrategie im Umgang mit Ungewissheit“ (Kaufmann und Blum 2013, S. 103), als
„umfassender Modus, auf (Un)Sicherheit zu reagieren“ auf (ebd., S. 107). Aktuelle Resi-
lienzdiskurse heben im Rahmen der Idee der omnipräsenten Möglichkeit des Eintretens
unvorhersehbarer, aber auch unvermeidlicher Krisen dabei vor allem auf Widerstandsfä-
higkeit angesichts schwer einschätzbarer Herausforderungen ab. Der Resilienzbegriff ist
dabei insofern eine besonders willkommene Antwort, bzw. erweist sich als passgenaues
Puzzlestück im beschriebenen Unsicherheitsdiskurs, weil dem Begriff per Definition die
Krise, bzw. die Bedrohung zu eigen ist. Resilienz wird ja gerade erst gegenüber einem
bedrohlichen Ereignis notwendig und damit sinnhaft. Sie ist ohne die Vorstellung einer
potenziellen Bedrohung nicht denkbar (vgl. Abschnitt 2).
Der Resilienzbegriff reagiert damit einerseits auf die gesellschaftliche Wahrnehmung
einer vielfältigen, häufig unbestimmbaren Unsicherheit (vgl. Pospisil 2013, S. 25), passt
sich andererseits aber darüber hinaus in besonderer Weise an die sehr spezifischen An-
forderungen des Unsicherheitsdiskurses an, indem er der Einsicht gerecht wird, dass Un-
sicherheiten nicht mehr in Sicherheit umgewandelt werden können: Anstatt Unsicherheit
also aus der Welt schaffen zu wollen, denkt der Resilienzbegriff im Sinne von Wider-
stands- und/oder Anpassungsfähigkeit ganz konsequent die Möglichkeit des Umgangs
mit Unsicherheit (nicht gegen sie) mit. In diesem Zusammenhang wird auch verständ-
lich, warum es bisher unmöglich war, die eine resiliente Strategie zu definieren, sondern
weshalb wie dargestellt die Vorschläge das ganze Spektrum zwischen den Gegensätzen
„Anpassung“ und „Beständigkeit“ umfassen. Welche Reaktion unsichere Ereignisse im
Einzelnen erforderlich machen, kann schließlich nicht im Vorfeld festgelegt werden.
Der Resilienzbegriff gibt also vor, die Allgegenwart von Unsicherheiten zu akzeptieren
und scheinbar neue Wege im Umgang mit ihnen aufzeigen zu können. Insofern lebt der
Resilienzdiskurs von den Unsicherheiten der Reflexiven Moderne. Neben dem Versuch
des Handhabbarmachens von Unsicherheit und damit des Aufrechterhaltens von Hand-
lungsfähigkeiten tritt allerdings gleichzeitig der paradoxe Effekt der Bestärkung von Un-
sicherheiten auf, denn „wer von Resilienz spricht, hat […] eine Bedrohung im Sinn (die
von außen kommen kann, von innen oder aus beiden Richtungen zugleich)“ (Meyen 2016).
Der Resilienzdiskurs stärkt also auch die Krisenwahrnehmungen, indem er sie reprodu-
ziert. Letztlich ist der Zusammenhang zwischen Resilienz und Krise bzw. Verunsicherung
damit ein zweifacher: Einerseits reagiert der Resilienzbegriff auf Bedrohungs- und Un-
sicherheitswahrnehmung, andererseits reproduziert er sie. Die Karriere des Resilienzbe-
griffs ist ein typisches Produkt der Reflexiven Moderne.
40 Charlotte Rungius, Elke Schneider und Christoph Weller

4 Die verschiedenen Vorstellungen hinter dem Resilienzbegriff

Zweifelsohne hat der Resilienz-Begriff eine „enorme […] Popularisierung“ (Fooken 2016,
S. 28) und kaum gebremste Übertragung in die unterschiedlichsten Zusammenhänge er-
lebt (Pospisil 2013, S. 26). Jedoch wird bei den Beobachtungen der fast schon als Resi-
lienzeuphorie zu beschreibenden Inflation der Begriffsverwendung (vgl. Pospisil 2013,
S. 26ff.) nur selten geprüft, inwieweit die theoretischen Voraussetzungen überhaupt gege-
ben sind, die Systemeigenschaft der Resilienz von der einen in eine andere Wissenschafts-
disziplin zu übertragen. Dies ist besonders voraussetzungsreich, wenn es sich dabei um
technische oder ökologische Systeme handelt, deren Resilienz wir beobachten und gerne
auf unsere persönlichen oder gesellschaftspolitischen Herausforderungen übertragen wür-
den. Doch dabei ist Vorsicht geboten, denn mit „Resilienz“ werden mindestens drei ganz
unterschiedliche Vorstellungen angesprochen: Zum einen beobachten wir biologische
oder technische Systeme, die regelmäßig existenziellen Bedrohungen ausgesetzt sind, die-
se ohne jegliche Einschränkungen ihrer Funktionsweise überleben und deshalb als extrem
resilient bezeichnet werden. Zum anderen erwecken ökologische Systeme unsere Auf-
merksamkeit, die durch massive menschliche Eingriffe bedroht werden und sich diesen
durch geschickte Anpassungsprozesse entziehen. Sie faszinieren uns, insofern sie damit
offensichtlich in der Lage sind, der Bedrohung durch Menschen zu trotzen. Diese Formen
beobachteter Resilienz unterscheiden sich nun aber grundlegend von der Resilienz, die
bestimmten sozialen Systemen zugeschrieben wird, weil diese entweder auf politischer
Macht basiert oder eine normative Erwartung widerspiegelt, dass ein bestimmtes soziales
System mehr Berechtigung besitzt, im gesellschaftlichen Wandel bestehen zu bleiben als
andere Systeme. Auf jedes dieser drei Resilienzverständnisse wird in den folgenden Ab-
schnitten eingegangen.

4.1 Resilienzbeobachtungen

Als Kinder der Reflexiven Moderne betrachten wir staunend und vielleicht sogar neidisch
bestimmte Pflanzen in der Wüste, die in der Lage sind, bei Regen rasend schnell auf-
zublühen und sich dann wieder in einen Zustand zurück zu verwandeln, der ihnen das
Überleben über eine lange, völlige Trockenheit erlaubt (vgl. Vogt 2015, S. 9). Oder uns fas-
zinieren Materialien oder technische Einrichtungen – wie etwa ein Prellbock –, die äußere
Einwirkungen problemlos wegstecken können, unmittelbar in ihren Ausgangszustand zu-
rückkehren und dadurch ihre Funktion uneingeschränkt weiter erfüllen können. In diesen
Fällen beobachten wir die Resilienz vorhandener Systeme und der Resilienzbegriff steht
hier also für Funktionieren und Überleben angesichts existenzieller Bedrohungen, was
uns für Individuen wie auch für bestimmte gesellschaftliche Systeme äußerst wünschens-
wert erscheint (vgl. u. a. Thoma 2014, S. 62).
In großer Ähnlichkeit zu dieser beobachtenden Begriffsverwendung können auch die
frühen psychologischen Studien von Werner und Smith (1982) betrachtet werden: Aus-
Resilienz – Macht – Hoffnung 41

gangspunkt ihrer langfristig angelegten Längsschnittstudien war die kontraintuitive Be-


obachtung, dass der Lebenserfolg von Menschen nicht durch die sozialen Rahmenbedin-
gungen in der Kindheit determiniert wird. Dies erforderte eine differenzierte Theorie
über die Bedingungen von Lebenserfolg, die in den Persönlichkeits-Eigenschaften des
einzelnen Menschen angesiedelt sein könnten. „Resilienz“ wurde dafür als Bezeichnung
verwendet, weil einige Menschen offenbar besser als andere in der Lage sind, sich auf
schwierige soziale Rahmenbedingungen einzustellen und ihr Leben – gemessen an äuße-
ren Maßstäben – erfolgreich zu gestalten. Was im Einzelnen diese Persönlichkeitseigen-
schaften sein könnten, hat diese psychologische Resilienzforschung nicht herausgefunden
und auch nicht zum Ziel ihrer Forschung gemacht. Insofern ist die Epistemologie ihres Re-
silienzbegriffs ähnlich der einer Sozialwissenschaftlerin, die einen Prellbock beobachtet:
fasziniert, dass in diese Systeme – hier Mensch, dort Prellbock – etwas eingebaut zu sein
scheint, was sie resilient gegen herausfordernde Einwirkungen von außen macht.

4.2 Resilienz als Anpassungsfähigkeit

Eine andere Epistemologie des Begriffs ist nun jedoch in der sozialökologischen For-
schung vorherrschend, die den Begriff seit den 1970er Jahren adaptiert hat: Hier stehen
zunächst ökologische Systeme und deren Anpassungsfähigkeiten im Mittelpunkt des In-
teresses, aber auch die Herausforderungen, die das menschliche Eingreifen in ökologische
Systeme für diese mit sich bringt. Besonders resiliente ökologische Systeme sind dann
jene, die sich vom menschlichen Handeln nicht tangieren lassen oder aber auch solche,
die ihre Funktionsfähigkeit durch Anpassung an die durch den Menschen veränderten
Lebensbedingungen aufrechterhalten.
Der Resilienzbegriff in der sozialökologischen Forschung wird also dafür verwendet,
die Frage nach resilienzförderlichem oder -behinderndem menschlichem Handeln zu stel-
len: Durch welche Nutzung – oder Einschränkung menschlicher Eingriffe – bleibt die
natürliche Resilienz eines ökologischen Systems aufrechterhalten? Ausgangspunkt bleibt
eine existierende und beobachtete Resilienz eines Systems, dessen Daseinsberechtigung
in aller Regel nicht in Frage gestellt wird, weil sie unsere lebensnotwendige natürliche
Umwelt betrifft. Damit aber lassen sich unter Hinweis auf eine potenziell bedrohte Resi-
lienz natürlicher Systeme politische Forderungen legitimieren: Anpassungsfähigkeit soll
nicht überfordert, legitime Resilienz nicht unnötig bedroht werden. Käme die Bedrohung
vonseiten eines anderen ökologischen Systems – wenn etwa Marienkäfer die Läuse auf
unserem Rosenstock vernichten –, wäre mit Verweis auf Resilienz keine Forderung zu
begründen; gegen menschliche Eingriffe – etwa Läusevernichtungsspray – ist Resilienz
dagegen ein erkennbar moralisches Argument, dessen Tragfähigkeit aber auf fraglichen
Voraussetzungen basiert. Dies zeigt sich in den sich mehrenden Versuchen der soziologi-
schen Theoretisierung des Resilienzbegriffs (vgl. Endreß und Rampp 2014).
42 Charlotte Rungius, Elke Schneider und Christoph Weller

4.3 Die problematische Übertragung des Resilienzbegriffs


in sozialwissenschaftliche Disziplinen

Die Anziehungskraft beobachteter Resilienz und der Wunsch, Bewahrenswertes möge


sich trotz menschlicher Eingriffe als anpassungsfähig für sein Überleben erweisen, füh-
ren fast zwangsläufig zur „Resilienz sozialer Systeme“. Nur fehlt diesen Systemen letzt-
lich alles, was Resilienz in den zwei bisher beschriebenen Perspektiven ausmacht: Zum
einen ist das Überleben eines sozialen Systems, sei es die Monarchie, der Rassismus, das
Berufsbeamtentum oder eine staatliche Ausbildungsförderung, nicht von einer ihm inne-
wohnenden Resilienz, sondern allein von den politischen Machtverhältnissen abhängig.
Und zum anderen ist deshalb logischerweise auch die Daseinsberechtigung jedes sozia-
len Systems – gerade in einer sozialwissenschaftlichen Betrachtungsweise – fraglich und
muss sich in der jeweils historischen Umstrittenheit rechtfertigen (können). Sozialwissen-
schaftliche Resilienzdiskurse neigen aber gerade dazu, sich dieser notwendigen Aufgabe
der Rechtfertigung des Bewahrenswerten durch die Beschäftigung mit seiner möglicher-
weise gefährdeten Resilienz zu entziehen (vgl. Rungius und Weller 2016).
Seit der breit verständlichen soziologischen Aufklärung über die gesellschaftliche
Konstruktion der Wirklichkeit (Berger und Luckmann 1966) hat sich ja die Einsicht po-
pularisiert, dass uns alle sozialen Strukturen, Regeln und Systeme als Wirklichkeit er-
scheinen, solange sie durch menschliches Handeln reproduziert werden. Die auf diesem
Wege hervorgebrachte Stabilität einzelner sozialer Strukturen und Systeme mag dann
als deren „Resilienz“ erscheinen oder bezeichnet werden, spiegelt aber zunächst nur de-
ren gesellschaftliche Akzeptanz oder machtvolle Aufrechterhaltung wider. Gute Gründe
könnten also dafürsprechen, die gesellschaftliche Akzeptanz zu hinterfragen und einer
machtvollen Resilienz entgegenzutreten. Denn ob die Strukturen – Ausbildungsförderung
oder Rassismus – zu rechtfertigen sind, lässt sich weder anhand beobachteter noch zuge-
schriebener Resilienz erkennen oder entscheiden. Deshalb ist die sozialwissenschaftliche
Resilienzbetrachtung darauf angewiesen, dass die Weiterexistenz des ausgewählten so-
zialen Systems auch zu rechtfertigen ist; mehr noch: es wäre zu erwarten, dass sozialwis-
senschaftliche Resilienzanalysen erst dann einsetzen, wenn begründet wurde, warum ein
soziales System resilient sein sollte. Anderenfalls geraten Resilienzanalysen in die Gefahr,
auf Kosten der mit jeder sozialwissenschaftlichen Untersuchung einhergehenden politi-
schen Verantwortlichkeit unkritisch die existierenden Zustände zu stabilisieren. Nur wenn
begründet werden kann und offengelegt wird, welchem legitimierbaren Ziel die Resilienz
des jeweils betrachteten Systems dient bzw. dienen soll, macht es Sinn, die Anpassungs-
fähigkeit dieses Systems an aktuelle oder zukünftige Herausforderungen zu untersuchen
und möglicherweise daraus auch Handlungsempfehlungen abzuleiten, was zur Verbesse-
rung der Resilienz dieses Systems unternommen werden könnte.
Resilienz – Macht – Hoffnung 43

5 Resilienz als Fortsetzung der Governance mit anderen Mitteln

Angesichts dieser Übertragungsschwierigkeiten des Resilienzbegriffs auf soziale Zusam-


menhänge stellt sich die Frage, weshalb der Resilienz-Begriff hier dennoch beliebt ist und
Anwendung findet (vgl. Endreß und Maurer 2015). Entsprechend gilt es zu fragen, welche
Probleme er zu lösen verspricht und welche Hoffnungen er weckt. Wir erklären dies da-
mit, dass der soziologisierte Resilienzbegriff gegenüber anderen gesellschaftlichen Theo-
rieentwürfen die Möglichkeit verspricht, die Ontologie der Unsicherheit und Unbestimm-
barkeit in ein gesellschaftsanalytisches Konzept zu übersetzen. Dass der Begriff auch im
gesellschaftspolitischen Anwendungskontext auf die wahrgenommene Verunsicherung,
Entgrenzung und Komplexitätssteigerung zu reagieren scheint, wird besonders deutlich,
wenn man ihn als Weiterentwicklung des Governance-Begriffs begreift.

5.1 Der Governance- und der Resilienzbegriff als Reaktion


auf Entgrenzungsprozesse

Der Governance-Begriff ist selbst als Reaktion auf die Wahrnehmung einer gewachsenen
Komplexität von Steuerungs- und Regelungsmechanismen zu verstehen, indem er sich
gegen die Vorstellung einfacher, unidirektionaler Top-down-Regierungsstrukturen und
moderner Planungseuphorien wendet und damit gegen zu eng gefasste und nicht mehr
zeitgemäß erscheinende Politikverständnisse (vgl. Schuppert und Zürn 2008). Innerhalb
des Governance-Verständnisses wird Regieren nicht mehr nur eine Frage der Durchset-
zung von Entscheidungen, deren Zustandekommen entlang der institutionalisierten Ent-
scheidungsprozesse klar und einfach nachvollziehbar ist (Mayntz 2008). Als sozialwis-
senschaftliches Konzept scheint der Resilienzbegriff ebenfalls auf eine wahrgenommene
Komplexitätssteigerung von (welt-)gesellschaftlichen Zusammenhängen zu reagieren und
dabei den Governance-Begriff weiter, bzw. radikal zu Ende denken zu wollen.
David Chandler (2014) hat das in der Resilienzbeliebtheit ebenfalls zum Ausdruck ge-
langende Bedürfnis nach Komplexitätsanerkennung auf die sich verändernden Wissens-
begriffe bzw. Ontologien zurückgeführt. Seiner These zufolge geht die Beliebtheit des
Resilienzbegriffs in einem sozialen bzw. gesellschaftlichen Anwendungskontext darauf
zurück, dass dieser die aktuell als gültig empfundene Ontologie der Post-Moderne am
angemessensten zu reflektieren vermag (Chandler 2014). Während die älteren, liberal-
universalistischen Ansätze der Regierungs- und Steuerungstheorie auf einem modernen,
linearen Wissensverständnis aufbauten, das sich vor allem auf bekannte Ursache-Wir-
kungszusammenhänge („known-knowns“) bezieht, spiegelt der Governance-Gedanke
seiner Meinung nach bereits „einfache und deterministische Ontologien der Komplexität“
(übersetzt nach Chandler 2014, S. 62) in der frühen Postmoderne wider.
44 Charlotte Rungius, Elke Schneider und Christoph Weller

„Resilience-thinking therefore transforms complex life: which is no longer an external


boundary limit to liberal forms of knowing and of governing and instead becomes internal-
ised as an ontological truth enabling governance to become self-aware and self-reflexive”
(Chandler 2014, S. 63).

Hierbei wird das Bewusstsein für das Unbekannte, bzw. für benennbares Unwissen
(„known unknowns“) wesentlich in das geltende Wissensverständnis integriert. Für das
Verständnis von Regelungs- und Steuerungsmechanismen bedeutet dies, die erahnbaren,
aber nicht mehr abzubildenden – eben die als unbekannt erkannten – und in diesem Sinne
komplexen Gestaltungszusammenhänge im Verständnis von „Governance“ aufgehen zu
lassen.
Ein zentrales Anliegen des Governance-Ansatzes ist die Abbildung von gesellschaft-
lichen Entgrenzungsprozessen in mindestens zweifacher Hinsicht. Einerseits versucht das
Governance-Konzept die wahrgenommenen, vielfältigen Wechselwirkungen und Abhän-
gigkeiten von Akteuren und Regelungsstrukturen auf unterschiedlichen Ebenen einzu-
fangen, indem es z. B. herkömmliche Leitunterscheidungen wie die analytische Größe des
Nationalstaates in Frage stellt. Andererseits versucht Governance gleichsam die undeutlich
gewordenen Grenzen zwischen formal legitimierten Entscheider*innen und Betroffenen,
zwischen staatlichen Stellen, gesellschaftlichen Interessengruppen, Expert*innen und der
Öffentlichkeit und damit die gewachsene Komplexität von veränderten Steuerungsmecha-
nismen abzubilden. Der zweite Entgrenzungsprozess, den Governance darzustellen ver-
sucht, bezieht sich also auf die Unterscheidung zwischen Entscheidungsträger*innen und
Betroffenen.
Der Resilienzbegriff kann also auch als Versuch gedeutet werden, die Komplexität und
Entgrenzung von Gestaltungszusammenhängen in einem Konzept greifbar zu machen.
Die darin enthaltene Unschärfe und Unsicherheit wird dabei zu einer zu akzeptierenden
Bedingung von Wissen über diese Gesellschaft. Sie wird nicht mehr als zu überwindende
vorübergehende Lücke verstanden. Hingegen bleibt das Governance-Verständnis nach wie
vor hinter einer Ontologie der fundamentalen Unsicherheit („unknown unknowns“), als
einer Ontologie, die Unsicherheit als Kerngröße ihres Wissensbegriffs akzeptiert, zurück
(Chandler 2014, S. 63). Dem Resilienzbegriff kann also durchaus zugutegehalten werden,
dass er der „entgrenzten“ Gesellschaft konzeptionell ein Maximum an Komplexität und
Unsteuerbarkeit zugesteht. Es zeigt sich, dass der auf soziale Systeme bezogene Resilienz-
begriff auf einer konzeptionellen Ebene so angelegt ist, dass er nicht nur den veränderten
Wissensbedingungen der Reflexiven Moderne, sondern auch post-modernen (Nicht-)Re-
gierungskonzepten zu entsprechen verspricht. Andererseits werden mit dem Resilienzbe-
griff im gesellschaftlichen Kontext große Hoffnungen darauf gesetzt, dass dadurch auch
ein besserer Umgang mit den neuen Herausforderungen aktueller Steuerungs- und Re-
gelungsproblematiken angestrebt werden kann (vgl. Dunn Cavelty 2013; Gebauer 2016,
S. 170).
Resilienz – Macht – Hoffnung 45

5.2 Sozialwissenschaftliche Resilienz und die vollständige


Entgrenzung von Entscheidung und Wirkung

Während der Governance-Ansatz die analytische Trennung zwischen formal berufenen


Entscheider*innen bzw. formalen Entscheidungsstrukturen und Regelungs-Betroffenen
aufhebt, um dies in einem Verständnis der komplexen Regelungsbeteiligung unterschied-
licher Statusgruppen und Akteure aufgehen zu lassen, scheint der Resilienzbegriff die
Trennung zwischen Entscheidung und Wirkung, zwischen intentionalen Handlungszu-
sammenhängen und sonstigen Wirkungszusammenhängen in der Vorstellung von der
Gesellschaft als eines einzigen responsiven Gesamtorganismus aufgehen zu lassen. Mit
dem Resilienzbegriff scheint diese Komplexitätssteigerung von Steuerungs- und Rege-
lungsmechanismen insofern noch einen Schritt weitergedacht werden zu wollen. Die Neu-
artigkeit eines solchen gesellschaftlichen Resilienzverständnisses besteht darin, dass es
auch die letzten Überbleibsel eines instrumentellen Politikverständnisses und damit die
letzten Reste des als nicht mehr glaubwürdig erachteten Steuerungsoptimismus, wie sie
im Governance-Verständnis noch restweise aufzuspüren waren, vollständig aufzulösen
vermag. Im Gegensatz zum Governance-Konzept wird dabei die Frage nach den Steue-
rungs- und Regelungsmechanismen um den noch umfassenderen Begriff der komplexen,
gesellschaftlichen Wirkungszusammenhänge erheblich erweitert und damit potenziell un-
kenntlich gemacht. Im Rahmen sozialer Resilienz wird ‚Gesellschaft‘ samt aller internen
Wirkungszusammenhänge als Ganzes, als ein selbstregulatives System begriffen – die
Beobachtung der Komplexität bezieht sich damit nicht mehr nur auf Governance-Struk-
turen, sondern möchte diese in einem den diagnostizierten Komplexitäten vermeintlich
angemesseneren, organischen Systemgedanken auflösen.
Zunächst ist diese Entgrenzung eine folgerichtige theoretische Maßnahme, offenbart
aber bei genauerer Betrachtung die tiefgreifende Konsequenz, dass damit letztlich auch
der Anspruch verbunden ist, die Unterscheidung zwischen Regelungs-Subjekt und -Objekt
aufzugeben:

„In rejecting simple complexity understandings which maintained the subject–object divide
between governance and the object to be governed, and the deterministic understandings of
causality concomitant with this ontology, resilience-thinking asserts that governance is only
possible in non-instrumental ways: in ways which do not assume an external subject position
and therefore reject the hubristic assumptions involved in using market and state levers to
work on social processes to attain policy-goals”
(Chandler 2014, S. 63).

Im Zuge der Verwirklichung der Vorstellung eines reflexiven, responsiven und in diesem
Sinne resilienten Gesellschaftsgefüges wird die Unterscheidung zwischen Entscheidenden
und Betroffenen, zwischen Entscheidung und Wirkung kategorisch aufgelöst. In erstaunli-
cher Weise entwertet der Resilienzgedanke dabei die politische Funktion des Entscheidens
(die im Governance-Ansatz noch als solche erkennbar war). Ein solches gesellschaftsbe-
zogenes Resilienzverständnis bietet keinen Raum mehr für die Unterscheidung zwischen
46 Charlotte Rungius, Elke Schneider und Christoph Weller

politischen Verantwortlichkeiten, Steuerungs- und Regelungsmechanismen auf der einen


Seite und allgemeineren gesellschaftlichen Handlungszusammenhängen auf der anderen
Seite.
Hieraus ergeben sich weitreichende Konsequenzen: Denn wenn die funktionale Dif-
ferenzierung zwischen politischen Entscheider*innen/politischer Steuerung und Steue-
rungsbetroffenen wie im Rahmen des skizzierten Resilienzkonzepts fast gänzlich auf-
gelöst wird, wenn gesellschaftliche Zusammenhänge nur noch als vollständig komplexe
Systeme betrachtet werden, so gerät damit auch der dezidiert politische Raum aus dem
Blickfeld. Er verschwindet, weil hierfür kein Unterscheidungsangebot mehr zur Verfü-
gung steht. Oder anders ausgedrückt: Das Politische wird im Rahmen des gesellschaftsbe-
zogenen Resilienzverständnisses in einen vermeintlich umfassenderen systemischen Be-
trachtungshorizont hineindiffundiert und damit potenziell negiert. Entsprechend fordert
ein solcher sozialwissenschaftlicher Resilienzbegriff nicht mehr „regulation“, sondern
„adaptation“. Damit aber wird – im Sinne einer Depolitisierung – unsichtbar gemacht, wer
wo darüber entschieden hat, woran sich die Einzelnen anpassen sollen.

6 Zur Kritik des Resilienzbegriffs

Während wir zuvor u. a. darzustellen versuchten, inwiefern sich der sozialwissenschaftliche


Resilienzbegriff durchaus sinnvoll als eine Weiterentwicklung des Governancebegriffs und
der dabei angestrebten Konzeptualisierung von gesellschaftlicher Entgrenzung durchaus
nachvollziehbar erklären lässt, wollen wir nun deutlich machen, worin die konzeptionellen
und leider unauflösbaren Ungereimtheiten bestehen. Der Resilienzbegriff löst damit meist
keine der (konzeptionellen) Schwierigkeiten, die er zu bearbeiten angetreten ist, sondern
bietet lediglich nur eine resonierende Beschreibungsoberfläche für die wahrgenommenen
Komplexitäten und entstandenen Ängste. Die Verwendung des Resilienzbegriffs wider-
spricht schon dort den oben dargelegten theoretischen Kriterien, wo er in Abgrenzung zur
stets mitgedachten Bedrohung zwangsläufig eine „resiliente Entität“ als eigenständige Sub-
jektposition produziert. Denn mit der Möglichkeit der Bedrohung, die der Resilienzbegriff
zwangsläufig mitdenkt (vgl. Abschnitt 2), wird gleichzeitig ein bedrohtes Innen und ein
bedrohendes Außen konstruiert und damit tritt durch die Hintertür doch wieder eine „ex-
ternal subject position“ hinzu, der mit Hilfe der Resilienz entgegengesteuert werden soll.
Wird Resilienz in einem außen- bzw. sicherheitspolitischen Kontext verwendet, dann wird
das bedrohte Innen meist in Form einer Gemeinschaft oder einer nationalstaatlich orga-
nisierten Gesellschaft gedacht (z. B. die „National Strategy for Homeland Security“ der
USA). Dabei wird die jeweilige Gesellschaft durch ein diffuses, hoch-komplexes Außen
potenziell gefährdet, wie es sich unter anderem auch aus dem regierungsamtlichen Sprech
der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik rekonstruieren lässt (vgl. den Review-Ab-
schlussbericht, AA 2015, S. 10 und das Weißbuch, BMVg 2016 sowie unten, Abschnitt 6.4).
Auf einer konzeptionellen Ebene passiert letztendlich also genau das Gegenteil dessen,
was Chandler für das Resilienzverständnis als so wertvoll erachtet: „in ways which do
Resilienz – Macht – Hoffnung 47

not assume an external subject position and therefore reject the hubristic assumptions
involved in using market and state levers to work on social processes to attain policy-
goals” (Chandler 2014, S. 63). Ein in seinem Sinne konsequent (ontologisch post-modern)
gedachter Resilienzbegriff müsste sich also der überzogenen Steuerungsphantasie durch
politische oder wirtschaftliche Mechanismen konsequent widersetzen. Dies steht in einem
konzeptionellen Widerspruch zu der Verwendungsweise des Resilienzbegriffs als ab-
sichtsvolle politische Strategie, die auf den Umgang mit einer äußeren Bedrohung gerich-
tet ist, bspw. in staatlichen Sicherheitskonzepten.

6.1 Die widersinnige Forderung nach einer resilienten Gesellschaft

In der von uns beobachteten Verwendung des Resilienzbegriffs im gesellschaftspoliti-


schen Raum wird Resilienz gerade als eine intentional umzusetzende und gesellschaft-
lich anzustrebende Zielgröße ausgegeben.3 Die Idee einer Steuerungsabsicht wird gerade
nicht aufgehoben, sondern nur verdeckt. Dabei tritt das Resilienzkonzept im gesellschaft-
lichen Verwendungskontext sogar noch hinter den theoretischen Entwicklungsgrad des
Governance-Ansatzes zurück: Die angestrebten Abwehr- und Selbststärkungsmechanis-
men („policy goals“) sollen nun nicht mehr über spezifizierbare gesellschaftliche Akteure
und Subsysteme adressiert werden, sondern werden unspezifizierbaren „communities“
und „individuals“ überlassen. Nicht die Anerkennung und Bejahung der fundamentalen
Unsicherheit, sondern die Hoffnung, mit einem Allheilmittel auf eine fundamentale Ver-
unsicherung reagieren zu können, scheinen die Wahl des Mittels Resilienz in den überwie-
gend präskriptiven wissenschaftlichen Veröffentlichungen zu resilienten Gesellschaften
zu erklären (vgl. auch Kaufmann 2012).
Es zeigt sich, dass ein konsequent post-modern gedachter Resilienzbegriff in den aller-
meisten tatsächlichen Verwendungsweisen und -absichten nicht wiederzufinden ist. Und
dies kann insofern auch gar nicht der Fall sein, solange Resilienz eben nicht als reflexive,
nicht-instrumentelle Selbstregulierung von Gesellschaften verstanden wird, die entweder
einfach vorhanden ist oder eben nicht, sondern – ganz im Gegenteil – als anzustrebende,
langersehnte Zauberwaffe im Umgang mit den als neu empfundenen realen Unsicherhei-
ten. Würde man Chandlers Argumentation folgen, wäre es völlig widersinnig, Resilienz
zu fordern. Das entlang des epistemischen Unsicherheitsverständnisses entwickelte Resi-
lienzkonzept kann qua Definition eigentlich nicht als politische Zielgröße fungieren. Wird

3 Beispielsweise steht der Begriff Resilienz als Konzept und Zielgröße weit oben in internationalen
Konventionen und Rahmenvereinbarungen im Bereich Nachhaltigkeit, Klimawandel, Entwicklung
und Armutsbekämpfung: „Resilience was a prominent theme across the three major internatio-
nal frameworks agreed in 2015 – the Sendai Framework for Disaster Risk Reduction 2015–2030
(SFDRR), the Sustainable Development Goals (SDGs), and the COP21 Paris Agreement on climate
change (Figure 11). Its inclusion demonstrates the importance of resilience to development finance,
policy and practice, making it a priority for governments, policymakers and practitioners alike“
(Tanner et al. 2016, S. 14).
48 Charlotte Rungius, Elke Schneider und Christoph Weller

dies doch gemacht, ist das Ergebnis eine umso größere Hybris, bzw. eine Unverletzlich-
keits- und Allmachtsphantasie.
Diese Hoffnung auf gesellschaftliche Resilienz und systemische Eigenstärkungspoten-
ziale lässt sich durchaus auch als nachvollziehbare Reaktion auf die Desillusionierung
des Steuerungsoptimismus verstehen. Die Handlungs- und Zukunftssicherungspotenzia-
le des Staates erscheinen in der Tat zunehmend fraglich, insbesondere hinsichtlich der
beschränkten staatlichen Steuerungsmöglichkeiten im internationalen Raum. Wenn die
Möglichkeit der politischen Steuerung aber in Frage steht, erscheint die Fokussierung auf
die systemische Selbststeuerung ein attraktiver Ausweg zu sein. In diesem Sinne trägt
der Resilienzbegriff allerdings zu einer fundamentalen Aufmerksamkeitsverschiebung im
Umgang mit Gestaltungs- und Zukunftsdebatten bei, die wegführt von der Frage nach
dem politischen Willen aufgrund bestimmter gesellschaftlicher Ziele und hin zur opera-
tiv orientierten Suche danach, was vorhandene Systeme überleben lässt. Insbesondere er-
schwert bis verunmöglicht der Resilienzbegriff die Zuweisung von Verantwortlichkeiten
für die Formulierung politischer Zielsetzungen (6.3) und bewirkt letztlich eine geräusch-
lose Verlagerung von Verantwortung auf das Individuum (6.2).

6.2 Die Verlagerung von Verantwortung auf das Individuum

Im Bereich der Sicherheitsforschung lässt sich eine Verschiebung von Verantwortung auf
das Individuum beispielhaft nachzeichnen (vgl. Pospisil 2013, S. 31). Einer der zentralen
Ansätze im Umgang mit der ausgewiesenen gesellschaftlichen Verwundbarkeit beinhaltet
die Dezentralisierung von Entscheidungs- und Verantwortungsstrukturen bis hin zur Ver-
lagerung von Entscheidungsverantwortung auf die individuellen Gesellschaftsmitglieder:

„‘Widerstandsfähige Gesellschaft‘ (oder – um den international gebräuchlichen Terminus


zu verwenden – ‚resiliente‘ Gesellschaft) bedeutet, dass die Bürger nicht ausschließlich auf
einen übermächtigen Staat vertrauen, der alles richten soll, sondern ihr Schicksal auch in die
eigenen Hände nehmen, sich so organisieren, dass Anschläge und Unglücke weniger Scha-
den anrichten können, bei Bedarf Zivilcourage beweisen und sich nicht zu Panikreaktionen
provozieren lassen“
(Perron 2012, S. 19f.).

Des Weiteren ist insbesondere Charlie Edwards mit seinem 2009 erschienenen Konzept
der „Resilient Nation“ zu nennen, in dem er die individuelle Rolle des Bürgers und der
Bürgerin gegenüber den herkömmlichen staatlichen Top-down-Steuerungsmechanismen
betont (Edwards 2009).
Noch deutlicher zeigt sich diese Verantwortungsverschiebung dort, wo Resilienz als
wünschenswerte Persönlichkeitseigenschaft verstanden und verwendet wird. So wird Re-
silienz immer häufiger als das „Immunsystem der Seele“ beschrieben.4 Mit dem Verweis

4 Vgl. beispielsweise Merkle (k.A.)


Resilienz – Macht – Hoffnung 49

auf die Erlernbarkeit eines resilienten Umgangs mit Herausforderungen wird dabei zu-
dem betont, dass das Zurechtkommen mit Krisen und in diesem Zusammenhang auch das
Ausbilden einer persönlichen Resilienz insbesondere in der individuellen bzw. privaten
Verantwortung liegen (vgl. Pospisil 2013). „Als resilient werden in der Psychologie Men-
schen bezeichnet, die seelisch in der Lage sind, Lebenskrisen ohne anhaltende Beein-
trächtigung durchzustehen und schon in kurzer Zeit wieder zur Hochform aufzulaufen“
(Mai k.A., Hervorh. i. Orig.). Zuweilen wird in der Krise sogar noch ein Schritt nach vorne
erwartet: „Resilient zu sein bedeutet die Fähigkeit, uns durch eigenes Engagement sogar
in Zeiten von Krisen, finanziellen Einschnitten und Unsicherheit positiv zu verändern und
Fortschritt zu machen“ (Bürgel 2014). Dem Individuum wird die Verantwortung für die
individuelle Förderung der eigenen Resilienz übertragen, indem sie nicht als Charakter-
eigenschaft, sondern als „erlernbare Fähigkeit, weniger als ein Problem der Emotion als
eines der Kognition“ konzipiert wird (Kaufmann und Blum 2013, S. 114).
Bei genauerer Betrachtung handelt es sich dabei also weniger um ein Versprechen,
als um die (potenziell überfordernde) Forderung, die individuelle Kontroll- und Steue-
rungsmöglichkeit durch Resilienz selbst wiederherzustellen. Beispielhaft für dieses Dis-
kursphänomen steht der Titel des Buches „Mit mehr Selbst zum stabilen ICH! Resilienz
als Basis der Persönlichkeitsentwicklung“, in dem der Autor nahelegt, dass Resilienz im
Sinne der Ausbildung „guter Selbst-Sorger“ und „engagierter Um-Sorger“ unerlässlich
sei, sonst „wird unsere Gesellschaft bald kollabieren“ (Wunsch 2013, S. VI-VII).5 Die
verbreitete Handlungsmaxime dieses „Eigenverantwortlichkeits-Mainstreaming“ besteht
darin, Durchhaltevermögen und die stete Unerschütterlichkeit angesichts persönlicher
Rückschläge zu fordern, was zuweilen geradezu wundersame Blüten treibt. Die Verant-
wortung für den individuellen Lebenserfolg wird dabei voll und ganz auf das Individuum
verschoben. Auf einer Internetseite einer Buch-Autorin zum Thema Resilienz mit dem
Titel „Stehaufmenschen“ fanden wir folgendes Resilienzverständnis:

„Ein besonders auffälliger Befund der Studien [gemeint sind die Hawaii-Studien von Emmy
Werner, Anm. d. Verf.] war, dass sich die meisten der problembehafteten Jugendlichen
bis zum Erreichen des mittleren Lebensalters stabilisiert hatten. Zwar lag die Mortalitäts-
rate im Alter von 40 Jahren bei der [sic!] ‚ehemals Gefährdeten‘ leicht über der der resi-
lienten Altersgenossen (4,4 %) und weniger gefährdeten Vergleichspersonen derselben [sic!]
Geburtsjahrganges (2,8 %) – vorwiegend verursacht durch Unfälle und Aidserkrankungen –,
aber der Großteil der noch lebenden Personen hatte mittlerweile gelernt, Probleme zu be-
wältigen“
(Endriss k.A., Hervorh. i. Orig.).

Dabei wird behauptet, dass der Grund für den Lebenserfolg derjenigen Kinder, die sich
aus den ursprünglichen misslichen Umständen ihres Aufwachsens befreien konnten, in
der vermeintlich erlernbaren Kompetenz bestünde, „Probleme“ zu bewältigen – oder in
der Formulierung eines anderen Resilienzratgebers: „Resiliente Menschen […] bleiben

5 Die zwingende Referenz auf ein ergreifendes Bedrohungsszenario ist gleichfalls offensichtlich.
50 Charlotte Rungius, Elke Schneider und Christoph Weller

aktiv: Sie suchen nach Auswegen und bekommen so die Kontrolle über ihr Leben zurück“
(Mai k.A.).
Im Sinne von Becks „Präventivwirkungen“, d. h. der Wirkungen, die durch die bestän-
dige Antizipation von Nichtwissen, Ungewissheit und einer Bedrohungskonstruktion aus-
gelöst werden, ist im Rahmen des Resilienzdiskurses zu beobachten, dass sich ein Ver-
haltenskodex entwickelt und vermittelt hat, der einen spezifisch-eigenverantwortlichen
Umgang mit Krisen und Herausforderungen vorgibt.
Es drängt sich dabei allerdings der Eindruck auf, dass Resilienz nicht mehr als „der
euphemistische Titel für den halbierten Aktivismus der Unterlegenen ist“ (Slaby 2016,
S. 288). Denn die Notwendigkeit zur Resilienz ergibt sich stets aus einer Situation des
Ausgeliefertseins. Handlung ergibt sich in diesem Begriffshorizont immer erst in Reak-
tion auf etwas, meist auf widrige Umstände. Resilientes Handeln bedeutet immer zuerst
Hinnahme. Die eigene Initiative ist nicht originär und aktiv, sondern sie ist Reaktion und
damit passiv. Resilienz verkommt damit zu einer „Figur der Fügsamkeit“ (ebd. S. 290).
In diesem Sinne spricht Slaby davon, dass das resiliente Subjekt ein halbiertes Subjekt
ist (ebd, S. 287): „Die viel beschworene Widerstandskraft der Resilienten ist nicht mehr
als eine reaktive Zähigkeit, Virtuosität und Dehnbarkeit des Anpassungsvermögens –
weit entfernt von Widerstand im politischen Sinn. […] Widerstehen ja, echter Widerstand
nein.“ (ebd., S. 290). Oder kurz: „Resilienz privilegiert eindeutig das nackte gegenüber
dem tätigen Leben“ (ebd., S. 289).

6.3 Resiliente Gesellschaft und die Verschleierung des Normativen

Angesichts der verunsichernden Gewissheit von fortwährender Veränderung, Vergäng-


lichkeit und Kontingenz spiegelt sich in der Idee einer ausreichend resilienten Gesellschaft
der abstrakte Wunsch nach Beständigkeit in Zeiten grundlegenden Wandels wider. Es ist
der Wunsch nach der Möglichkeit des Erhalts von Eigenheiten und Werten in einer unge-
wiss und unkontrollierbar erscheinenden Zukunft. Die Anwendung des Resilienzbegriffs
auf etablierte und aktuell möglicherweise bedrohte oder in einer Krise befindliche soziale
Systeme (Sicherheit, etc.) verzichtet nicht nur auf die Erörterung der zugrundeliegenden
normativen Annahmen hinsichtlich der Existenzberechtigung des der Resilienzanalyse
unterzogenen Systems und die Berechtigung der Infragestellung des Systems, sondern
trägt auch noch zu seiner Legitimation bei: Die Prüfung der Überlebens- und Funktions-
bedingungen eines sozialen Systems erkennt seine Existenz an, sichert seine Stabilität
und ist damit per se ein konservierend-konservativer Beitrag zum gesellschaftspolitischen
Diskurs (vgl. Rungius und Weller 2016).
Eine solche sozialwissenschaftliche Resilienzforschung steht aber noch vor einer weite-
ren, noch größeren Herausforderung: Verstehen die Sozialwissenschaften die Zusammen-
hänge zwischen den unterschiedlichen sozialen Systemen ausreichend, um beurteilen zu
können, dass die Resilienz und Funktionssicherung des einen Systems keine unbeabsich-
tigten Nebenfolgen hat, die an anderer Stelle mehr gesellschaftlichen Schaden anrichten,
Resilienz – Macht – Hoffnung 51

als durch die Aufrechterhaltung dieses gewünscht resilienten Systems gewonnen wird?
Denn die Herausforderungen für die meisten sozialen Systeme fallen ja nicht vom Himmel
oder basieren auf naturgegebenen Prozessen, sondern werden von Menschen hervorge-
bracht, weil ihnen die Strukturen als kritikwürdig erscheinen und sie Veränderungen –
statt Reproduktion – in Gang setzen wollen. Sie wollen die Machtverhältnisse, die den
herrschenden sozialen Strukturen entsprechen, verändern, weil sie mit der Verwirklichung
bestimmter normativer Ziele unvereinbar erscheinen. Den Bedrohungen für bestimmte
soziale Systeme liegen zumeist begründbare politische Zielsetzungen, Widerstand gegen
ungerechte, unfriedliche oder aus anderen Gründen zu verändernde Strukturen zugrun-
de. Wird dagegen auf die Resilienz existenter Systeme und Strukturen abgehoben, soll
die Widerstandsfähigkeit der herrschenden Machtstrukturen noch weiter gestärkt werden
(„Resilienz und Macht und Hoffnung“, s.o.).
Denn es ist ja ein nicht gerade seltener Fall, dass sich Sozialwissenschaftler*innen mit
sozialen Strukturen, Regeln oder Systemen beschäftigen, die kritikwürdig sind, die der
Verwirklichung anerkannter Normen und Werte wie etwa den grundlegenden Menschen-
rechten oder sozialer Gerechtigkeit entgegenstehen. Diktatorische, auf ständiger Gewalt-
anwendung basierende politische Systeme sind nur ein besonders anschauliches Beispiel
hierfür, denn es könnte sich bei diesen Strukturen etwa auch um die Benachteiligung von
Kindern bestimmter sozialer Herkunft im bundesdeutschen Schulsystem handeln. Auch
in solchen Zusammenhängen könnte die Analyse von Resilienz bedeutsam sein, wenn
sie entweder die Funktions- und Überlebensbedingungen des kritisierten Systems dafür
offenlegt, es schneller, einfacher und effizienter zu transformieren bzw. beseitigen zu kön-
nen oder aber dabei nach der Resilienz des Widerstands gegen diese abzuschaffenden
Systeme gefragt wird, die offenbar bisher nicht ausreicht, akzeptable Erfolge vorweisen
zu können. Doch damit verließe die Resilienzforschung ihren Hoffnungs-Pfad („Resilienz
macht Hoffnung“, s.o.) und verlangte nach Machtanalysen, um jene Strukturen verstehen
zu können, die dem einen sozialen System das Überleben sichern (Diktatur) und dem an-
deren nicht (demokratische Widerstandsgruppen).
Wird in diese gesellschaftspolitischen Diskurse von Seiten der Sozialwissenschaften
der Resilienzbegriff eingeführt, nimmt er – teilweise zugleich und nur schwer unterscheid-
bar – die folgenden vier Funktionen ein, taucht also in ganz unterschiedlichen Modi auf:

• Ein bestimmtes gesellschaftliches Teilsystem erweist sich als überraschend krisenfest


und wird daraufhin untersucht, durch welche innere Stärke oder Anpassungsprozesse
es in der Lage ist, sich in der Krise zu behaupten (Modus 1: beobachtete Resilienz).
• Ein bestimmtes Teilsystem der Gesellschaft, das in den zurückliegenden Machtverhält-
nissen hervorgebracht wurde, soll angesichts aktueller Krisen und Herausforderungen
aufrechterhalten und gesichert werden. Hierfür wird ihm mangelhafte Resilienz attes-
tiert, um Aktivitäten zu initiieren, die das System so verändern (sollen), dass es den vor-
handenen Widerständen und erwarteten Herausforderungen standhalten kann (Modus
2: konstruierter Resilienzmangel).
52 Charlotte Rungius, Elke Schneider und Christoph Weller

• Resilienz wird für alles scheinbar Gute, Wahre, Schöne gefordert und damit anhand
eines derzeit modernen und positiv besetzten Begriffs eine normative Theorie in den
Diskurs eingebracht, ohne die zugrundeliegenden Werte und normativen Argumenta-
tionen offenlegen zu müssen (Modus 3).6
• Resilienz wird nicht mehr als Eigenschaft eines bestimmten sozialen Systems betrach-
tet, sondern selbst zum gesellschaftlichen Wert erhoben. In diesem Modus wird dann
seine Steigerung, Stärkung und Mehrung gefordert, um die normativen Dilemmata un-
sichtbar zu machen und pauschale politische Legitimation zu generieren (Modus 4).

Während in den naturwissenschaftlichen Analysen der Anspruch einer „Resilienzbe-


obachtung, bzw. -erfassung“ dominiert, womit unser Verständnis für die Stabilität auch
sozial-ökologischer Systeme verbessert werden soll, enden sozialwissenschaftliche Re-
silienz-Analysen in aller Regel in einer gesellschaftspolitischen Handlungsempfehlung.
Dies setzt einen Krisen-Diskurs voraus, der es erlaubt, „Resilienz“ überhaupt thematisie-
ren zu können. Lässt sich darin die Bedrohung erwünschter Systeme plausibilisieren, wird
ihnen mangelhafte Resilienz zugeschrieben. Diese Zuschreibung macht gesellschafts-
politisch nur Sinn bezogen auf soziale Systeme, weil der Mensch in diese Systeme – und
damit möglicherweise auch in ihre Resilienz – eingreifen kann bzw. glaubt eingreifen zu
können. Der Resilienzdiskurs wird über weite Strecken dominiert von der Zuschreibung
mangelhafter Resilienz und sie wird genau den Systemen zugeschrieben, deren Stärkung
die Autor*innen der Resilienz-Analysen gerne sehen würde: Die Krise als Legitimations-
Chance, um etablierte Strukturen, denen vermehrter Widerstand entgegen gebracht wird,
mithilfe eines modischen Begriffs in sozialwissenschaftlichen Analysen zu festigen.

6.4 Resilienz in der Sicherheitspolitik:


Die Strategie der Entpolitisierung

Wie sehr inzwischen auch der unmittelbar politische Diskurs der „Schönheit der Resi-
lienz“ (Rungius und Weller 2016) erlegen ist und „Resilienz“ zum politischen Wert er-
hebt, zeigt das jüngste Weißbuch zur Sicherheitspolitik der Bundesregierung. Hier werden
nicht etwa, was zu erwarten gewesen wäre, die staatlichen Institutionen, welche für die
Gewährleistung nationaler Sicherheit zuständig sind, angesichts veränderter Bedrohun-
gen auf ihre Resilienz hin befragt. Ihnen wird auch nicht, was wenig überraschend ge-
wesen wäre, mangelhafte Resilienz attestiert, um eine erweiterte Legitimationsgrundlage
zu schaffen, die verschiedensten Sicherheitssysteme auszubauen. Im aktuellen Weißbuch
zur Sicherheitspolitik der Bundesregierung dient der Resilienzbegriff auch nicht primär
der Versicherheitlichung, indem auf diese Weise eine normative Theorie der Sicherheit

6 „Das Konzept der Resilienz scheint sich offenbar gut dafür zu eignen, metaphorisch besetzt zu wer-
den und unspezifisch für Kraftvolles, Widerständiges, Gutes, Gedeihendes, Gesundes, sich Durch-
setzendes etc. zu stehen“ (Fooken 2016, S. 26).
Resilienz – Macht – Hoffnung 53

in den politischen Diskurs eingebracht würde, ohne begründen zu müssen, welchen nor-
mativen Zielen die Sicherheit einzelner Systeme dienen solle und bei welchen anderen
Normen (Freiheit, Selbstbestimmung, Gleichheit) dafür Abstriche in Kauf genommen
werden müssten. Vielmehr wird die Sicherheitspolitik zum politischen Feld „für den Auf-
bau gesamtgesellschaftlicher Resilienz“ (BMVg 2016, S. 59) erklärt. Die Autor*innen des
Weißbuchs machen den Resilienzbegriff zum Synonym für „Sicherheit“: wie Sicherheit
scheint Resilienz einen unbezweifelbaren Wert zu besitzen, der nicht begründet oder be-
legt werden muss. Schon im Vorwort verweist die Bundeskanzlerin auf „Krisen und Kon-
flikte“ und kann dann formulieren:

„Darüber hinaus müssen wir die gesamtstaatliche und gesamtgesellschaftliche Resilienz in


Deutschland und innerhalb der Europäischen Union stärken. Nur so bewahren wir unsere
offene Gesellschaft und schützen unsere freiheitliche Art zu leben“
(BMVg 2016, S. 7).

Für Rezipient*innen des Weißbuches, die mit dem Resilienzbegriff noch nicht so vertraut
sind wie die Leser*innen dieses Sammelbandes, liefert das Bundesverteidigungsminis-
terium eine graphisch hervorgehobene Extra-Erläuterung zum Thema „Resilienz“ und
seiner Bedeutung angesichts aktueller Herausforderungen:

„Gefährdungen für Staat und Gesellschaft sind unter den Bedingungen des aktuellen und
künftigen Sicherheitsumfelds nur eingeschränkt vorhersehbar. […] Auch künftig werden
sich Herausforderungen kontinuierlich verändern und Angreifer gezielt nach Verwundbar-
keiten in unserem offenen System suchen. Dabei nutzen sie zudem die Möglichkeiten des
technischen Fortschritts, um unerkannt zu bleiben. Vor dem Hintergrund des dynamischen
Sicherheitsumfelds und dieser Attributionsproblematik gewinnt der Aufbau von Resilienz
zunehmend an Bedeutung. Neben einem wirkungsvollen Beitrag zur Abschreckung strebt
Resilienz auch den Ausbau der Widerstands- und Adaptionsfähigkeit von Staat und Gesell-
schaft gegenüber Störungen, etwa durch Umweltkatastrophen, schwerwiegende Systemfeh-
ler und gezielte Angriffe, an. Ziel ist es, Schadensereignisse absorbieren zu können, ohne
dass die Funktionsfähigkeit von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft nachhaltig beeinträchtigt
wird. Der Ausbau der Gesamtresilienz ist dabei das Produkt der fortschreitenden Resilienz-
bildung in den genannten Bereichen“
(BMVg 2016, S. 49, Hervorh. d. Verf.).

Das Überleben des Staates – heute „der Ausbau der Gesamtresilienz“ – wird nicht mehr
durch angemessene Reaktionen auf die unterschiedlichen Gefährdungen gewährleistet,
sondern ist „das Produkt der fortschreitenden Resilienzbildung in den genannten Berei-
chen“. Die vorhandenen Strukturen in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft sollen offenbar
unverändert aufrechterhalten und gegen Infragestellung oder Wandel gestärkt werden:
„Staat, Wirtschaft und Gesellschaft müssen ihre Widerstands- und Resilienzfähigkeit er-
höhen, um Deutschlands Handlungsfreiheit zu erhalten und sich robust gegen Gefähr-
dungen zur Wehr zu setzen“ (BMVg 2016, S. 56). Indem vermieden wird anzugeben,
welche Werte von den genannten Systemen verteidigt werden sollen oder müssen, wird
54 Charlotte Rungius, Elke Schneider und Christoph Weller

„Resilienz“ zur Legitimationsressource umfassender Handlungsfreiheit (Modus 4, s.o.).


Mehr noch: die Resilienz wird auch noch zum Akteur erhoben („… strebt Resilienz auch
den Ausbau … an“), um darauf verzichten zu können, die Handelnden dieser Art von
„Widerstands- und Adaptionsfähigkeit von Staat und Gesellschaft“ benennen zu müssen.
Die Verwendung des Resilienzbegriffs im Weißbuch der Bundesregierung verzichtet
zudem darauf, aus Krisen Herausforderungen für bestimmte Systeme abzuleiten, um ih-
nen dann mangelhafte Resilienz zuzuschreiben und darüber Handlungslegitimation im
Sinne der Sicherung des Vorhandenen zu erzeugen (Modus 2, s.o.). Stattdessen wird das
Gesamtsystem von Staat und Gesellschaft als gefährdet dargestellt und der „Resilienzauf-
bau“ (BMVg 2016, S. 60) angekündigt und die „nachhaltige Resilienzbildung“ zur „ge-
samtgesellschaftlichen Aufgabe“ (ebd.) erklärt. So liegt auch der Auftrag der Bundeswehr
nicht mehr in der Landesverteidigung, sondern darin, „zur Resilienz von Staat und Gesell-
schaft gegen äußere Bedrohungen beizutragen“ (ebd.).
In dieser Art der Verwendung des Resilienzbegriffs kann das Weißbuch zur Sicher-
heitspolitik für sich in Anspruch nehmen, mit seinen Forderungen nach Resilienzbildung
ganz konsequent die Entpolitisierung durch Resilienzthematisierung voranzutreiben. So
werden die normativen Dilemmata der Sicherheitspolitik ebenso verschleiert wie die Wi-
derstände gegen die Fortsetzung dieser Politik. Vor allem aber leistet der Resilienzbe-
griff seinen Beitrag zur „Identitätsbewahrung trotz Wandel“ (Rungius und Weller 2016)
in „Form eines postmodernen Konservatismus, der sich der Begründungen seiner Werte
unsicher geworden ist“ (ebd.).
Die Resilienz sozialer Systeme basiert primär auf (politischer) Macht, mit deren Hilfe
die etablierten Strukturen trotz ihrer gesellschaftlichen Umstrittenheit aufrechterhalten
werden können. Nur den Mächtigen macht Resilienz Hoffnung, während die Ohnmäch-
tigen Resilienzseminare besuchen, um die individuelle Überlebensfähigkeit angesichts
ständiger Ohnmachtserfahrungen (scheinbar) zu verbessern (siehe oben 6.2). So lassen sich
wohl zugleich die etablierten Machtverhältnisse besser ertragen, um nicht auf die Idee zu
kommen, politischen Widerstand zu organisieren. Mit dieser Zuspitzung soll die wahrlich
begrenzte Einsicht solcher Resilienzanalysen hinsichtlich sozialer Systeme verdeutlicht
werden. Soziale Systeme werden von Menschen gemacht und sind deshalb gesellschaftlich
umstritten. Besitzen sie Resilienz, ist diese vor allem von den aktuellen Machtverhältnis-
sen abhängig (Modus 1: beobachtete Resilienz). Wer die Resilienz bestimmter Systeme
propagiert (Modus 3), ihre Resilienzsteigerung fordert, ohne gute Gründe für die Weiter-
existenz dieser Systeme angeben zu können, stützt blind die herrschenden Machtverhält-
nisse mithilfe eines wissenschaftlich anspruchsvoll klingenden Begriffs.

7 Fazit

In diesem Beitrag haben wir zu zeigen versucht, dass weder die Karriere des Resilienzbe-
griffs lediglich als Modeerscheinung abgewiesen werden sollte, noch das Konzept selbst
die Versprechen zu erfüllen vermag, mit denen es allzu häufig verknüpft wird. Stattdessen
Resilienz – Macht – Hoffnung 55

zeigten wir mit Hilfe der Perspektive der Reflexiven Modernisierung, in der Unsicher-
heit als unauflösbares Element von Wissen gesellschaftliche Wahrnehmungen prägt, auf,
dass die Karriere des Resilienzbegriffs als typisches Produkt der Reflexiven Moderne zu
verstehen ist. Die Theorie der Reflexiven Moderne beschreibt die mit den Prozessen der
Objektivierung von Unsicherheit zur Normalität gewordene, beständige Hinterfragung,
Reflexion und Auflösung herkömmlicher gesellschaftlicher Leitunterscheidungen. Wäh-
rend in der Moderne der Umgang mit Unsicherheiten reaktiv und von dem Ziel „der rest-
losen Transformation von Ungewißheit in Gewißheit“ (Bonß 1995, S. 25) gekennzeichnet
war, wird in der Reflexiven Moderne dieser Fortschrittsglaube abgelegt. Die Realität prä-
sentiert sich damit als unberechenbar, entgrenzt und kontingent. Dies führt auch zu einer
fundamentalen Verunsicherung des Handelns.
Der Resilienzbegriff gibt vor, diese Allgegenwart von Unsicherheiten zu akzeptieren
und scheinbar neue Wege im Umgang mit ihnen aufzeigen zu können. In diesem Sinne ha-
ben wir die Karriere des Resilienzbegriffs als Reaktion auf diese Verunsicherung erklärt
und dabei sowohl die daraus folgenden Konsequenzen auf einer individualpsychologi-
schen als auch auf einer gesellschaftspolitischen Ebene darzustellen versucht. Uns drängt
sich der Eindruck auf, dass der Begriff gerade in seinem operativen, wissenschaftlichen
Anspruch vor allem ein leeres Versprechen ist, mit der unhintergehbaren Komplexität von
sozialen Untersuchungsgegenständen umzugehen.
Im alltäglichen bzw. persönlichen Anwendungshorizont läuft der Resilienzbegriff Ge-
fahr, die Verantwortung für den eigenen Lebenserfolg zu personalisieren und damit den
Erfolgsdruck gerade in schwierigen Lebensphasen erheblich zu erhöhen. Auf einer ge-
sellschaftspolitischen Ebene kann der Resilienzbegriff in Fortsetzung des Governance-
Diskurses als der gesellschaftsanalytische Versuch verstanden werden, die Komplexitäts-
steigerung von gesellschaftlichen Handlungszusammenhängen greifbar zu machen. Dabei
kann der Resilienzbegriff der Verflochtenheit und Entgrenztheit der gesellschaftlichen
Handlungszusammenhänge gerade in seiner Fokussierung auf Systeme kaum gerecht wer-
den. Auf dieser Ebene neigt der Resilienzbegriff einerseits zu einer Überschätzung der tat-
sächlichen Risiken aufgrund der in ihm zum Ausdruck gelangenden Krisenfixierung und
Unsicherheitsobjektivierung (die Welt sei „an sich“ oder „essenziell“ krisenhaft). Dadurch
vermuten wir, dass er konservative gesellschaftliche Handlungslogiken und deren prob-
lematische Konsequenzen eher fortschreibt, anstatt Kontingenz anzuerkennen und mutig
neue, experimentelle Wege im Umgang damit auszutesten.
Wo es dem Resilienzdiskurs gelingt, die Resilienz sozialer Systeme in den Mittelpunkt
zu stellen und darüber einzelne Systeme scheinbar zu stärken, verbietet sich zwangsläufig
die Frage nach einem Systemwechsel. Die Verwendung des Resilienzbegriffs verhindert
die Frage, ob das betrachtete System überhaupt erwünscht ist und beschneidet damit Ver-
änderungspotenziale. Die Ontologisierung der Systemeigenschaften führt teilweise sogar
zu einem unreflektierten Konservatismus und dem Verzicht auf die notwendigen norma-
tiven Diskurse.
Mit diesem Gedanken lässt sich ein Bogen zu unserer Ausgangsthese herstellen, nach
der die Resonanz, die ein Begriff erzeugt, einerseits Rückschlüsse auf gesellschaftlich
56 Charlotte Rungius, Elke Schneider und Christoph Weller

vorherrschende Denkstrukturen, Ängste und Hoffnungen zulässt, andererseits aber auch


aufzeigt, welche spezifischen Sichtweisen durch diese Popularität verstärkt werden. Aus
der Perspektive einer Reflexiven Moderne und auf Basis empirischer Beispiele sowohl
individualpsychologischer als auch gesellschaftspolitischer Fokussierung interpretieren
wir die Karriere des Resilienzbegriffs demnach als Symptom einer tiefgreifenden gesell-
schaftlichen Verunsicherung von Denken und Handeln aufgrund einer diffusen, allgegen-
wärtigen Risiko- und Krisenwahrnehmung. Gleichzeitig verstärkt der Resilienzdiskurs
aber genau jene Unsicherheitswahrnehmung und kann der Begriff zur Legitimierung von
bestehenden Institutionen und Systemen ohne grundlegend kritische Debatte eingesetzt
werden.
Resilienz macht Hoffnung, aber ein Resilienzdiskurs, der die Unsicherheiten und Ängs-
te, auf die er reagiert, mit kaum erfüllbaren Versprechungen zudeckt, wird im Zusammen-
hang mit den gesellschaftlichen Zukunftsfragen kaum zu Veränderungen, insbesondere
kaum zu systemischem Wandel beitragen können, sondern stärkt vielmehr bestehende
Unsicherheitswahrnehmungen und Machtverhältnisse.
Resilienz – Macht – Hoffnung 57

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Kritische Resilienzforschung als Beobachtung
eines gegenwärtigen Rechtsformenwandels?
Aspekte einer erforderlichen Systematisierung

Roman Thurn, Stefan May und Stefan Böschen

Zusammenfassung

Die Autoren nähern sich dem Begriff der Resilienz aus einer rechtssoziologischen Per-
spektive. Gemeinhin gilt das Recht dann als resilient, wenn es durch einen hohen Grad
von Unbestimmtheit ad hoc-Entscheidungen ermöglicht, um damit gegenwärtigen oder
zukünftigen Risiken zu begegnen. Hierbei können drei verschiedene Formen der Ope-
rationalisierung von Unbestimmtheit im Recht heuristisch unterschieden werden: Die
Informalisierung, die Ethisierung bzw. Verwissenschaftlichung sowie Prozeduralisie-
rung des Rechts. Diese Transformation des Rechts droht jedoch, dessen spezifische
Funktionsweise zu unterminieren, nämlich einerseits durch bestimmte Formen der
Selbstbindung Erwartungen zu stabilisieren und andererseits in entsprechenden Ver-
fahren die Austragung von Konflikten zu ermöglichen.

1 Einleitung

In den Sozialwissenschaften gewinnt der Begriff der Resilienz für die Erforschung so-
zialer Institutionen und ihres Umgangs mit Nichtwissen zusehends an Relevanz. Unbeab-
sichtigte Nebenfolgen, neuartige Formen der Kontingenz sowie eine Vielzahl von bislang
unbekannten Risiken bedingten eine „komplexitätstheoretische Wende“ (Blum et al. 2016,
S. 159) verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen, welche den Erfolgszug des Begriffs
begünstigten. In der Gegenwart scheinen Wandlungsprozesse und Transformationen nicht

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© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2018
M. Karidi et al. (Hrsg.), Resilienz,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-19222-8_4
62 Roman Thurn, Stefan May und Stefan Böschen

nur rascher vonstatten zu gehen, vielmehr werden sie auch intentional gefordert (WBGU
2011). Häufig wird hierbei auf das Schlagwort der Resilienz rekurriert, welche aktiv ge-
fördert werden müsse, um etwaigen, womöglich irreversiblen ökologischen und sozialen
Schäden vorzubeugen (vgl. UN 2012; UNESCAP 2013).
Ungeachtet dessen, ob diese Beschreibungen nun realiter zutreffend sind oder nicht,
ist entscheidend, dass die Annahme unhintergehbarer Risiken, wie sie zeitdiagnostisch
unter dem Stichwort der reflexiven Moderne beobachtet wurden, diskursiv wirkmächtig
ist. Sie rahmt Transformationsprozesse semantisch und bringt sie zugleich hervor. Vor
diesem Hintergrund muss die Konjunktur des Resilienzkonzepts unseres Erachtens ver-
standen werden: Es beschreibt die Verallgemeinerung einer Antizipationslogik, in welcher
Risiken und Gefahren nicht lediglich als zu verhindernde Störfälle, sondern als integraler
Bestandteil moderner Gesellschaften begriffen werden, mit welchem gerechnet werden
muss.1 Soziale Tatbestände sollen danach jedoch nicht lediglich zum Status Quo zurück-
kehren, sondern vielmehr transformiert und daher gestärkt aus ihnen hervorgehen. Un-
gewissheit und Nichtwissen erlangen hierbei eine systemische Relevanz, da Gefahren und
Katastrophen jederzeit eintreten könnten. Diese „‘Ontologie des Notfalls‘“ (Kaufmann
2015, S. 272) provoziert eine Verschiebung der Zurechnung und Erwartung von Entschei-
dungen von der Ebene der Strukturen auf die Ebene der Akteure. Die Beispiele reichen
von der „Resilienz am Arbeitsplatz“ bis hin zur Militarisierung der Resilienz, wenn etwa
lokale Akteure mit der Bekämpfung von Aufständen und Gangs in fragilen Staaten beauf-
tragt werden (vgl. Moe und Müller 2015).
Auch auf dem Gebiet des Rechts lassen sich damit verwandte Entwicklungen beobach-
ten: Um ad hoc auf Gefahren reagieren zu können, ist das Recht vielerorts gefordert, die
Perspektiven je einzelner Akteure stärker zu berücksichtigen und ihnen situationsspezi-
fische Handlungsspielräume zu eröffnen. Unsere Hypothese lautet, dass das Recht jedoch
nur dann seine eigentümliche Operations- und Funktionsweise, nämlich einerseits nor-
mative Verhaltenserwartungen zu stabilisieren und andererseits Dissens zu ermöglichen,
zu erhalten in der Lage ist, wenn die Einspeisung außerrechtlicher Selektionen in eine
positivierte Rahmengesetzgebung übersetzt werden, um schließlich auch für die Rechts-
dogmatik rezipierbar zu werden. Indem nämlich eine solche Übersetzung Zusammenhän-
ge zwischen Begriffen und Normen nicht nur herstellt, sondern auch andere ausschließt,
erhöht sie Wahlfreiheiten und Entscheidungsmöglichkeiten (Luhmann 1999b, S. 253).
Dies lässt sich als Ermöglichung von Handlungschancen gerade durch Selbstbindung
beschreiben. Die kontraintuitive Logik von Selbstbindungslogiken liegt darin, gerade
durch bestimmte Schließungen neue Möglichkeiten zu eröffnen.2 Dies gilt umso mehr, als

1 Zu den Differenzen zwischen Risiko- und Resilienzdiskurs, welche hier nicht unterschlagen werden
sollen (vgl. Kaufmann 2015). Es scheint uns jedoch sinnvoll, die Resilienztheorien als Radikalisie-
rungen der Risikotheorie zu begreifen.
2 Hierbei handelt es sich um eine spieltheoretische Überlegung. Um dies an einem einfachen Beispiel
zu illustrieren: Eine zivilrechtliche Schadensersatzklage kann ich nach einem Verbrechen erst dann
in Erwägung ziehen, wenn – von Rechts wegen – die Blutrache als dominantem Straf- und Ent-
schädigungsmodus von vorneherein ausgeschlossen (i.e. verboten) ist. Oder indem Eingriffe in per-
Kritische Resilienzforschung als Beobachtung … 63

legitime Institutionen, die den Dissens auf Dauer stellen könnten, gegenüber individua-
lisierten Rechtsansprüchen und daraus resultierenden Abwägungsgeboten in den Hinter-
grund zu rücken drohen: Sobald Einzelne als Experten ihrer selbst auftreten können, und
kraft ihres Status, überspitzt formuliert: Recht zu setzen und damit Interessen durchzu-
setzen in der Lage sind, werden Konflikte unmittelbar virulent, statt dass sie in transsub-
jektiven Verfahren gelöst würden.
Darüber hinaus muss, um eine Aussage über die Stabilität des Systems treffen zu kön-
nen, der Zeitbezug von Rechtsoperationen berücksichtigt werden. Das Recht ist durch eine
stete Rückbeziehung auf Vergangenheit gekennzeichnet. Es erhält seine Funktionalität
erst aus der Anwendung erlernter Inhalte (i.e. positivierter Rechtssätze) auf die Gegenwart
(vgl. Hiller 1999, S. 61f.). Das Recht als solches ist als a-teleologisches Konditionalpro-
gramm nicht auf die Zukunft, sondern die Vergangenheit bezogen – anders als der legis-
lative, mithin: politische Prozess der Rechtsetzung. Während zwar die Rechtsprinzipien
(Dworkin 1984, S. 82ff.; vgl. Habermas 1992, S. 258ff.) kraft ihrer relativen Unbestimmt-
heit ein gewisses Bewältigungspotential besitzen, sind doch die aus ihnen deduzierten
Normen wie Entscheidungen durch eine relative Bestimmtheit gekennzeichnet (vgl. etwa
GG Art. 103 Abs. 2). Es verhält sich also gerade umgekehrt, als es von ihm verlangt wird:
Es prozessiert Vergangenes und orientiert sich dabei an Vergangenem, statt in der Zukunft
liegende Eventualitäten zu antizipieren.
Daher werden wir im weiteren Verlauf des Textes zunächst die Rezeption des Resilienz-
begriffs in der juristischen Diskussion darstellen (Kapitel 2). Daraufhin sollen vier heuris-
tisch voneinander zu trennende Operationalisierungen von Unbestimmtheit im Recht er-
läutert werden, welche unseres Erachtens nach Antworten auf die skizzierte Anfrage nach
Resilienz sind (Kapitel 3). Hier können wir eine Korrespondenz zwischen dem Diskurs
der Resilienz und der Transformation des Rechts feststellen. Unserer Ansicht nach weisen
beide eine strukturelle Analogie hinsichtlich der Verschiebung von Erwartungen und Ad-
ressierungen von der Strukturebene hin auf die Ebene der Akteure auf (Kapitel 4). Dabei
droht die Resilienz des Rechts jedoch in ihr Gegenteil umzuschlagen. Diese Entwicklung
werden wir mitunter am empirischen Beispiel der biomedizinischen Ethikkommissionen
illustrieren. Der Text schließt mit dem Verweis darauf, dass die Lernfähigkeit des Rechts
weniger durch die Integration von Unbestimmtheit als vielmehr durch die Insistenz auf
der rechtsbildenden kollektiven Selbstbeschränkung der Akteure gewährleistet werden
kann (Kapitel 5).

sönliche, politische, ökonomische und soziale Freiheitsrechte (nicht nur) dem Staat untersagt sind,
können Versammlungen abgehalten, Zeitungen und Parteien und Unternehmen gegründet oder an
(geheimen) Wahlen teilgenommen werden.
64 Roman Thurn, Stefan May und Stefan Böschen

2 Der Resilienzbegriff in der rechtssoziologischen Diskussion

Der Begriff der Resilienz wurde in den 1970er Jahren sowohl in der Ökologie als auch
in der Psychologie unabhängig voneinander entwickelt. Die Extrapolation des Resilienz-
begriffs aus diesen Disziplinen sah und sieht sich einer Reihe von Einwänden ausgesetzt,
welche insbesondere die Adaptionen der sozialökologischen Theorie C. S. Hollings tref-
fen. Der gravierendste unter ihnen ist nicht einmal der gegen die implizite normative
Affirmativität des Begriffs.3 Vielmehr stellt sich ganz allgemein die Frage, wodurch es
gerechtfertigt sei, eine evolutionistische ökologische Theorie auf soziale Phänomene zu
übertragen. Dieser kritischen Nachfrage sah sich bereits die systemtheoretische (Rechts-)
Soziologie Niklas Luhmanns ausgesetzt: „Wie gelingt der Rechtstheorie der spontan kühn
anmutende Bogenschlag von einer biologischen Informationstheorie zur Abwägungsprob-
lematik des § 1 VI BBauG?“ (Nocke 1986, S. 365). Während zwar das Resilienzkonzept,
wie es Gunderson und Holling entwerfen, durchaus Raum für Planung und Eingriffe in
ökologische wie soziale Systeme lässt (Gunderson und Holling 2002, S. 42) und sich des-
halb weniger radikal ausnimmt wie die Systemtheorie in den 1970er und 80er Jahren,
bleibt die problematische Analogisierung von sozialen und ökologischen Phänomenen be-
stehen.
Die Entsprechung scheint jedoch nicht von Ungefähr zu kommen: Bereits Georg Lu-
kács versuchte etwa das Problem der Verdinglichung durch den Begriff der zweiten Na-
tur zu illustrieren (Lukács 1971, S. 53ff.). Für Lukács behielt der Naturbegriff jedoch
einen polemischen Charakter: Das Soziale erschien lediglich als naturhaft gegeben, war
aber doch menschengemacht. Evolutionstheoretische Modelle, die Einzug in die Sozial-
wissenschaften halten, blenden dies jedoch weitgehend aus. Kurz gesagt: In der Analogie
artikuliert sich ein Problembezug, der sich in der Konjunktur des Resilienzbegriffs re-
flektiert. Dieser Problembezug ist nicht nur von sachlicher und sozialer, sondern auch von
zeitlicher Art (s. Kapitel 3.3; vgl. Koselleck 1979, S. 300ff.). Es trifft zweifelsfrei zu, dass
sozialtechnologische Paradigmen, die von einer bewussten funktionalen Steuerung sozia-
ler Phänomene im Allgemeinen und Kontrolle von Krisen sowie ihrer (Neben-)Folgen im
Besonderen ausgingen, von Modellen überholt werden bzw. worden sind, die dem freien
Spiel der Kräfte einen höheren Stellenwert einräumen. Hier soll jedoch weder ein rechts-
theoretischer noch ein soziologischer Evolutionismus vertreten werden, der Kausalität
durch Kontingenz und Steuerung durch Selbstreferenz ersetzt. Stattdessen soll das Recht
als kontingente Form kollektiver Selbstbindung begriffen werden, welche gerade durch
ihre operationale Geschlossenheit Erwartbarkeiten stabilisiert und damit zweckrational
planendes Handeln auf der Ebene der Akteure ermöglicht.
In rechtstheoretischen sowie rechtssoziologischen Kontexten ist der Begriff der Resili-
enz bislang wenig prominent. Findet er jedoch Verwendung, wird unter ihm die Persistenz
bzw. die Kontinuität rechtlich codierter Kommunikation (Isensee 2016; Kähler 2016) oder

3 Das Kriminologische Journal etwa widmete dieser Frage eine ganze Ausgabe (Heft 4/2015; 47.
Jahrgang).
Kritische Resilienzforschung als Beobachtung … 65

präventiver Schutz bzw. Gefahrenabwehr verstanden (Unger und John-Koch 2016; Stei-
ner 2016). Beiträge, die das Transformationspotential als Prädikat des Resilienzbegriffs
betonen, sind demgegenüber in der Unterzahl (wie etwa Korff 2016). Ihnen allen schei-
nen jedoch gemeinsame Beobachtungen oder normative Forderungen zugrunde zu liegen:
dass als präventive Reaktion auf reelle oder vermeintliche Risiken Adressierungen und
Zurechnungen von Verantwortlichkeit zunehmend von der Struktur- auf die Akteursebene
verlagert werden (sollten). So sei etwa die „Schaffung von Möglichkeiten der Selbstorga-
nisation ein zentraler Aspekt der Steigerung von Resilienz“ (Korff 2016, S. 31; Hervorh.
d. Verf.). Die Rechtsordnung wiederum müsse zur „Anerkennung eines übergesetzlichen
legitimen Notrechts des Staates“ (Isensee 2016, S. 53) schreiten, um die „notwendigen Be-
fugnisse zur Abwehr“ (ebd., S. 52) von Gefahren bereitstellen zu können. Schließlich soll-
ten unbestimmte Generalklauseln einen ausreichenden Platz zur Artikulation der Wün-
sche der Parteien bieten (Kähler 2016, S. 76f.): Die Struktur des Rechts soll den einzelnen
Akteuren größeren Spielraum gewähren. Eine Zunahme an Entscheidungsmöglichkeiten
destabilisiert jedoch Erwartungen. Die Problemdiagnose, die Niklas Luhmann infolge
einer risikopolitischen Zukunftsorientierung des Rechts für den Gerichtsprozess stellte,
wird hier also als Problemlösung präsentiert: „Die wachsende Entscheidungslast wird auf
die Parteien rücküberwälzt werden, die zugleich weniger Vertrauen in die Urteilsgrund-
lagen mitbringen“ (Luhmann 1999b, S. 48).
Das bedeutet, dass im Recht zunehmend auf Expertenwissen und Einzelfallentschei-
dungen zurückgegriffen wird, weshalb es sich gegenüber seiner Umwelt stärker öffnen
muss. Infolgedessen droht jedoch die Forderung nach Resilienz der Akteure die operative
Eigenlogik des Rechts – Entscheidungsräume gerade durch den Ausschluss anderer Mög-
lichkeiten zu eröffnen – zu unterminieren. Ein resilientes Recht, also ein Recht, welches
durch die Bewältigung von Störungen lernt statt an ihnen zu kollabieren, müsste dem-
gegenüber in der Lage sein die paradoxale Aufgabe zu bewältigen, unbekannte Risiken zu
prozessieren ohne dabei das Mindestmaß an eigener Unbestimmtheit zu überschreiten.4
Daher stellt sich hieran anschließend die Frage, inwiefern eine auf den Begriff der Re-
silienz abstellende Theorie geeignet ist kurrente Phänomene eines Rechtsformenwandels
adäquat zu beschreiben. Das Recht verliert in der Krise des Interventionsstaates zuse-
hends seine Kontrollfunktion (May 2004, S. 199). Dieser zeichnete sich durch steuernde
Eingriffe aus: Vermittels materialem Recht sollten Risiken abgemindert und Krisen ver-
mieden oder wenigstens behoben werden. Die Nebenfolgen, also nicht intendierten Fol-
gen technischer, ökonomischer und politischer Entwicklungen, können jedoch gegenwär-
tig nicht mehr unter dem Gesichtspunkt positivierten Rechts, das im emphatischen Sinn
vor- oder festschreibt wie in Konfliktsituationen zu entscheiden wäre, prozessiert oder gar
kontrolliert werden. Dies gilt besonders, da der individuelle Rechtsgüterschutz zum einen
vor staatlichen Eingriffen in das Private schützen sollte (und damit eine realiter über-
kommene top-down-Perspektive innehatte) und zum anderen die (Neben-)Folgen oben ge-

4 Gegenwärtig wird diese Frage auch von Sven Opitz bearbeitet; allerdings ohne dabei Bezug auf den
Resilienzdiskurs zu nehmen (Opitz 2012, 2013).
66 Roman Thurn, Stefan May und Stefan Böschen

nannter Entwicklungen den individuellen Rechtsgüterschutz systematisch überschreiten:


Die Grundrechte erschöpfen sich nicht nur in ihrer Funktion als Abwehrrechte gegenüber
staatlichen Eingriffen, sondern Risikoabwehr und Schutz vor den Eingriffen Dritter rü-
cken verstärkt in ihr Zentrum. Das Recht auf körperliche Unversehrtheit beispielsweise
kann etwa mit dem Recht auf Forschungsfreiheit kollidieren, wenn etwa experimentel-
le medizinische Versuchsanordnungen risikoreiche Eingriffe beim Patienten erfordern
würden. Daher „führt die gerichtliche Operationalisierung von staatlichen Schutzpflich-
ten zu grundrechtlich vermittelten Dreipoligkeiten“ (Fischer-Lescano und Christensen
2007, S. 310): Zwischen dem Staat, dem Bürger und einem weiteren Bürger oder Akteur.
Dadurch werden rechtspositivistische Positionen5 zusehends obsolet. Das Recht erschien
demnach als in sich geschlossen, die einzelnen Normen wurden als aus je höheren Nor-
men ableitbar vorgestellt, und sollte innerhalb der überzeitlich gelten sollenden Rechts-
ordnung sich etwas ändern, dann nur vermittels demokratisch legitimierter Institutionen.
Ein solches Rechtsverständnis erfasst diese Dreipoligkeiten jedoch nicht adäquat. Mit dem
Abdanken dieser, hier gewiss polemisch zugespitzten Vorstellung vom Recht beginnt es
jedoch seine ihm eigene Rationalität zu unterminieren.

3 Aspekte eines Formwandels des Rechts

3.1 Transformation der Grundrechte

Durch die kollektiv-institutionelle Dimension von dreipoligen Grundrechten (Hensel und


Teubner 1994, S. 156f.) überschreitet der Rechtsgüterschutz die Begrenzung auf indivi-
dualisiert zurechenbare Güter und/oder Interessen (May 2004, S. 197). Es streiten daher
nicht (nur) Individuen um die Definition des ‚guten Lebens‘. Vielmehr handelt es sich
bei den Akteuren um eine heterogene Vielzahl sozialer Formationen, die darüber hinaus
verschiedene sowohl Identitäts- als auch Autonomieverständnisse versuchen geltend zu
machen; nicht nur hinsichtlich etwa der ‚Menschenwürde‘, sondern hinsichtlich ihrer eige-
nen Systemrationalitäten. Karl-Heinz Ladeur spricht allgemein von einer heterarchischen
Struktur des Rechts, also von faktischen Normierungen vonseiten sozialer Institutionen,
die formell zwar nicht der Sphäre des Rechts zuzurechnen sind, dabei aber transformativ
auf juridische Strukturen einwirken und diese instituieren (Ladeur 2016, S. 300ff.). Eine
individualistische Konzeption des Rechtsgüterschutzes, welche ihn allein auf die Schutz-
pflicht gegenüber staatlichen Eingriffen reduzierte, würde die Rolle unterschätzen, welche
transsubjektive soziale Institutionen in der Generierung von Normen spielen (vgl. ebd.,
S. 305; Ladeur 2012, S. 105).

5 Diese gingen von einer hierarchisch-deduktiven Interpretation der idealiter transhistorisch gelten-
den Normen aus, stellten die Geltung des Rechtssatzes als einer qua demokratischer Verfahren
zustande gekommener eineindeutiger Norm ins Zentrum und postulierten eine Einheit und Abge-
schlossenheit des Rechtssystems (vgl. Maus 1986, S. 210; Wieacker 1967, S. 267, 430ff.)
Kritische Resilienzforschung als Beobachtung … 67

Die World Health Organisation (WHO) etwa arbeitet derzeit an einer Neudefinition von
Unfruchtbarkeit: So könnten demnächst auch Menschen als unfruchtbar gelten, die keinen
geeigneten Partner zur Zeugung von Kindern finden (Bodkin 2016). Die WHO instituiert
als transnationales Regime Normen, welche in der Kollision mit nationalstaatlichen Rege-
lungen neue Konstitutionalisierungsprozesse anstoßen. Daraus folgt, dass die heterogenen
Akteure versuchen ihre je eigenen Selektionen in das Rechtssystem einzuschreiben. Die
spezifischen Eigenlogiken und Unterscheidungen ökonomischer, wissenschaftlicher oder
moralischer Art sind allerdings nicht umstandslos ineinander übersetzbar. Die ans Recht
gestellten Anforderungen zum Schutz von Wissenschaft, Unternehmen und Privatperso-
nen können nicht durch Übersetzung in ein Recht behoben werden, welches zuvorderst,
laut liberalen Grundrechtstheorien, die vertikalen Beziehungen – den Schutz vor staat-
lichen Eingriffen (Maus 1992, S. 321f.) – regelt: Grundrechte lassen sich aufgrund ihres
kollektiv-institutionellen Charakters nicht einfach in den privatrechtlichen Kontext trans-
ferieren.
Stattdessen lassen sich verschiedene institutionalisierte Praxen beobachten, welchen
der Versuch zugrunde liegt, die verschiedenen Rechtsgüter respektive Grundrechte „‘vor
Ort‘ durch sorgfältige und sensible Kontextualisierung“ (Hensler und Teubner 2014,
S. 165) miteinander zu vermitteln. Solche Verfahren erweisen sich mitunter insofern als
resilient, als dass sie die Auseinandersetzung um Grundrechte in institutionelle Verfahren
überführen, statt sie einer autoritativen Entscheidung durch Experten oder die Exekutive
auszuliefern – und damit sowohl Erwartung(serwartung)en stabilisieren als auch Dissens
ermöglichen. Bei den medizinischen Ethikkommissionen handelt es sich um institutiona-
lisierte Verfahren, um nicht nur inkommensurable differenzierte Rationalitäten, sondern
auch Grundrechte wie die Forschungsfreiheit, das Recht auf körperliche Unversehrtheit
und die Gewerbefreiheit gegeneinander abzuwägen. Auf eine Prüfung der wissenschaft-
lichen Validität der Prämissen von geplanten medizinischen Forschungsprojekten folgt
daher etwa die Abschätzung der Risiken für den jeweiligen Patienten und deren Vertret-
barkeit für den je Einzelnen, ob und inwiefern für diesen gegen etwaige Risiken eine
Versicherung abgeschlossen werden könne und wie es schließlich um die Einhaltung der
Bestimmungen des Datenschutzes gestellt ist. Darüber hinaus haben die Ethikkommissio-
nen diese Punkte schließlich innerhalb einer bestimmten Zeit zu bearbeiten, sodass auch
die ökonomische Rationalität berücksichtigt wird.
In gerichtlichen Auseinandersetzungen dieser Art kommt es hingegen vermehrt zur
Abwägung von Grundrechten gegeneinander. Der Begriff der Abwägung, nämlich zwi-
schen verschiedenen grundrechtlich verbrieften Ansprüchen, ist allerdings trügerisch: Es
liegt kein gemeinsames Maß vor, anhand dessen die Rechtsgüter miteinander verglichen
oder gegeneinander abgewogen werden könnten. Die Menschenwürde lässt sich nicht in
Kilogramm bemessen (vgl. Fischer-Lescano und Christensen 2007, S. 357). Die Frage
danach, welchem Gut nun der Vorrang gewährt werden soll, ist insofern kaum zu beant-
worten, als sie von (medial vermittelten) Konjunkturen in der Fokussierung auf bestimmte
Problemfelder sowie politischen und sozialen Konfliktlagen abhängig ist. Weder Ethik
noch Wissenschaft noch ein Rechtsholismus, der seinen Ausgang von der Menschenwürde
68 Roman Thurn, Stefan May und Stefan Böschen

nimmt, kommt dem in praktikabler Weise bei. Ethikkommissionen und ähnlich gelagerte
Verfahren und Institutionen (wie etwa die oben genannte WHO) verarbeiten Nichtwissen
daher auf zwei Ebenen, nämlich hinsichtlich der nicht absehbaren Risiken auf verschie-
dene Rechtsgüter und welchem Rechtsgut unter Berücksichtigung dieser Risiken letzten
Endes der Vorrang gewährt werden soll. Dabei lassen sich zwei Idealtypen im Umgang
mit Nichtwissen differenzieren: Eine auf Input von Wissen in das Rechtssystem hin orien-
tierte Vermittlung von Grundrechten (1) unterscheidet sich von einer situativen Abwägung
derselben durch eine mit legalen Befugnissen ausgestatteten Institution (2).
Durch die unterschiedlichen systemischen Anforderungen von Moral und Ethik, Öko-
nomie, Politik, Wissenschaft etc. liefe die fallspezifische Abwägung in der Risikogesell-
schaft auf eine „begrifflich nicht kontrollierbare Kasuistik“ (Hensel und Teubner 2014,
S. 156) heraus. Permanente Einzelfallprüfungen wären nicht nur aufgrund des organisa-
torischen Aufwands und der daraus folgenden Überlastung juristischer Institutionen dys-
funktional: Sie würden auch keine Programmierung des Rechts als solchem nach sich
ziehen. Dadurch würde Unbestimmtheit nicht gebunden und die dem Recht spezifische
Produktion von Erwartungssicherheit würde unterminiert. Das heißt also, dass die Grund-
rechte, sollen sie ihre vertikale Schutzwirkung behalten, nicht einer situativen Abwägung
weder der Verfassungs- oder Verwaltungsgerichtsbarkeit noch einer ins Recht integrierten
Ethikkommission ausgeliefert werden sollten (vgl. Maus 1992, S. 314ff.).

3.2 Umstellung des Rechts auf eine unbestimmte Zukunft

Akzeptiert man den Befund, dass die Moderne in ihren technischen Möglichkeiten sowie
sozialen Entwicklungen unbeabsichtigte Nebenfolgen respektive unkalkulierbare Risiken
in sich birgt, wird verständlich, weshalb damit eine „Neubestimmung sozialer Zeitper-
spektiven“ (Hiller 1999, S. 29) einhergeht: Gegenwärtiges Entscheiden verweist auf zu-
künftige Zeithorizonte und damit möglicherweise negativ bewertete Entscheidungsfolgen
(ebd.).
Nimmt man eine Ontologie des Notfalls an, müssen Entscheidungen unter anderen
Imperativen getroffen werden als unter politischen, oder, genauer: demokratietheoreti-
schen. Während letztere, um die kollektive Bindung zu gewährleisten, eine Vielzahl von
prüfenden Verfahren vorsehen, verlangen erstere gemeinhin schneller und zeitnaher Ent-
scheidungen. Die Theorien der Resilienz nähern sich in diesem Aspekt der ökonomischen
Rationalität an.6 Auch die ökonomische Effizienz strebt nach der Nullzeit: „Zeit ist Geld“
(Benjamin Franklin). Dieser Bezug auf die Jetztzeit ist es, welcher auch eine spezifische
Differenz zwischen Resilienz und Risikomodellen markiert. Während letztere versuchen,
ex ante, also im Voraus Unsicherheiten zu bearbeiten, versuchen erstere eine Transforma-

6 Eine generelle und strukturelle Nähe des ökologischen Konzepts der Resilienz zum Neoliberalis-
mus wurde etwa von Walker und Cooper gesehen (2011); wenngleich es in diesem Zusammenhang
richtiger wäre vom Ordoliberalismus zu sprechen.
Kritische Resilienzforschung als Beobachtung … 69

tionsleistung ex post facto zu verlangen. Unter diesem Gesichtspunkt ist jedoch das Vor-
sorgeprinzip zur Genese von Wissen darüber, ob und inwiefern bestimmte Chemikalien
kollektive Grundrechte affizieren oder nicht, nicht praktikabel (Scheringer 2004, S. 75f.):
Langzeitstudien tragen ihre Untauglichkeit bereits im Begriff. Eine Grundrechtskontrolle
jedoch, die erst erfolgt, wenn bestimmte Grundrechtsverletzungen geschehen oder gar ir-
reversibel sind, verfehlt ihren Zweck (May und Preuß 2016, S. 15).

3.3 Operationalisierung von Unbestimmtheit

Auf der Seite der Umwelt des Rechts können nach dem bereits Dargelegten drei Dimen-
sionen von Unbestimmbarkeiten unterschieden werden, auf die das Recht reagiert: eine
zeitliche, eine sachliche und eine soziale. Risiken liegen per definitionem in der Zukunft
(Zeitdimension): Unerwartete Nebenfolgen, disruptive Ereignisse oder systembedrohende
Krisen werden als Möglichkeiten, als noch-nicht-Eingetretenes aus der Perspektive des
Rechts in den Blick genommen. Diese werden vor bestimmten Wissens- oder vielmehr
Nichtwissensbeständen diagnostiziert (Sachdimension). Dabei unterscheiden sich diese
(Nicht-)Wissensbestände je nach ihrer Situierung in unterschiedlichen, bisweilen mitein-
ander in Konflikt tretenden sozialen Sphären, Institutionen oder Organisationen (Sozial-
dimension).
Um also Möglichkeiten offen zu halten, wird Unbestimmtheit selbst in die Normen
integriert. Dabei handelt es sich tendenziell um einen Umbau des Rechts von einem ver-
gangenheitsbezogenen Konditionalprogramm zu einem zukunftsbezogenen Zweckpro-
gramm. Das Gelingen rechtlicher Kommunikation bemisst sich im letzteren Fall im Ge-
gensatz zum ersteren nicht an der formal richtigen Anwendung einer Rechtsnorm, sondern
in der Bewältigung respektive der Abwehr möglicher Krisenerscheinungen. Dabei können
vier Aspekte des Formwandels idealtypisch bestimmt werden.

3.3.1 Informalisierung

Formales Recht zeichnet sich in der Regel durch folgende Merkmale aus: Es liegt materi-
aliter, in schriftlicher Form positiviert vor. Darin definiert es hinreichend die Merkmale
eines unter das Recht zu subsumierenden Tatbestandes. Im Rechtsprozess finden schließ-
lich primär die eindeutigen generellen Tatbestandsmerkmale Betrachtung (Weber 1972,
S. 396). Gegenläufige Tendenzen werden demgegenüber als Informalisierung charakteri-
siert. Von einer solchen Informalisierung kann gesprochen werden, wenn sich der Spiel-
raum des Ermessens und der Entscheidung der Akteure bezüglich der Auslegung sowohl
des Inhalts einer Norm als auch ihrer Verbindlichkeit vergrößert (May und Preuß 2016,
S. 10). Freilich können nicht alle Facetten eines singulären empirischen Tatbestandes nor-
miert werden. Erst durch einen Grad an begrifflicher Abstraktion ist es am Anfang mög-
lich, eine Vielzahl von Fällen unter eine Norm zu subsumieren. Das heißt aber zugleich,
dass ein Umfang an Unbestimmtheit notwendig in das Recht eingelassen ist. Was wir also
70 Roman Thurn, Stefan May und Stefan Böschen

als Informalisierung beschreiben wollen, ist nicht der Einbau von Unbestimmtheit ins
Recht sowie dessen Verfahren per se, sondern eine vermehrte Tendenz zur Integration
von Unbestimmtheit als eines Ermessens- und Entscheidungsspielraums in Reaktion auf
soziale und technische Risiken.

3.3.2 Ethisierung und Verwissenschaftlichung

Das Risikohandeln ist „vielfach für sich genommen ethisch neutral und wird gerade nur
durch die Kumulation mehrerer Handlungen auch zu einem moralischen Problem. Ein
Auto zu fahren, ist eben unschädlich“ (Ladeur 1991, S. 245). Die Bipolarität des Rechts-
verhältnisses zwischen dem Einzelnen und dem Staat weicht entsprechend multipolaren,
mithin ethisch konnotierten Verpflichtungen der Einzelnen gegenüber möglichen Drittbe-
troffenen (Frankenberg 2008, S. 121f.). Um dies zu bewältigen, werden vielfach ethische
und moralische Begriffe in das Recht integriert. Die Gerechtigkeit als moralische Kate-
gorie besitzt einen absoluten Geltungsanspruch: Sie soll überall und für jeden verwirklicht
werden (vgl. Kelsen 2008, S. 13f.). Eine räumlich oder zeitlich limitierte Moral ist nicht
vorstellbar – es sei denn, diese Limitierung selbst begründet sich durch absolut geltende
moralische Sätze. Recht und Moral sind also in dieser Hinsicht homolog. Aufgrund ihres
kollektiv bindenden Geltungscharakters scheint die Übersetzung moralischer in rechtli-
che Normen unproblematisch zu sein. Dies zeigt sich bspw. in der Selbstverständlichkeit,
mit welcher das Bundesverfassungsgericht in bestimmten Entscheidungen auf die freiheit-
lich demokratische Grundordnung (FDGO) Bezug nimmt (vgl. BVerfGE 39, S. 334, 366).
Hierbei wird auf eine Verfassungssubstanz rekurriert, für die eine „existentielle Wertent-
scheidung“ (Preuß 1973, S. 23) getroffen wird. Begründungen dieser Art sind insofern
durch eine Unbestimmtheit gekennzeichnet, als sie sich nicht auf explizite Verfahren der
Rechtsetzung zurückführen lassen, sondern sich durch dezidierte Werturteile legitimie-
ren. Dabei sind die moralischen Normen, im Gegensatz zu formal rechtlichen, tendenziell
unterdeterminiert und eröffnen so einen weit größeren Entscheidungsspielraum (nicht nur)
für die Judikative (vgl. ebd., S. 17ff.).
Insofern als sich die Moral auf zu erwerbende oder realisierende Güter richtet, eignet
ihnen ein teleologischer Geltungsanspruch – im Gegensatz zum deontologischen Gel-
tungsanspruch des Rechts. Ob und inwiefern Handlungen moralisch legitim sind oder
nicht, entscheidet sich hinsichtlich ihrer Zielsetzungen, ihrer Folgen und Nebenfolgen.7
Sie sind damit zukunftsbezogen und unterscheiden sich damit grundsätzlich vom Kon-
ditionalprogramm des Rechts. Daher ist die Ethik, auch als Profession nicht in der Lage
eineindeutige Antworten auf Zweifelsfragen oder gar dilemmatische Problemstellungen
moralischer Art zu geben (Poscher 2013, S. 437). Eine wissenschaftlich fundierte Privi-
legierung der einen oder anderen Position kann von der Ethik nicht geleistet werden. Sie

7 Da für unsere Zwecke sichtbare Handlungen entscheidend sind, geben wir hier aus theoriestrategi-
schen Gründen utilitaristischen Paradigmen der Moralphilosophie den eindeutigen Vorzug gegen-
über solchen, die psychische Motivationslagen in Betracht ziehen.
Kritische Resilienzforschung als Beobachtung … 71

bietet allenfalls Kriterien, nach denen die Vertretbarkeit – nicht aber die Richtigkeit – von
Positionen beurteilt werden kann. Auch prozeduralisierte Ethiken können einen normati-
ven Dissens nicht hinreichend lösen, ohne sich dabei der Gefahr eines infiniten Regresses
auszusetzen (Hinsch 2013, S. 38).
Eine ähnliche Anfrage wird vonseiten des Gesetzgebers an die Wissenschaft gestellt.
Während ihr bislang die Produktion von Wissen anhand experimenteller Hypothesen-
prüfung zugerechnet wurde, ist diese nun zunehmend gezwungen, einen produktiven Um-
gang mit Nichtwissen finden zu müssen. So heißt es bisweilen in den entsprechenden Ge-
setzen, dass nach Stand von Wissenschaft und Technik zu entscheiden sei:8 Wissenschaft
und Technik setzen also den Maßstab, nach welchem eine bestimmte Praxis legal bzw. ein
bestimmtes Risiko Einzelnen oder der Allgemeinheit zumutbar sei. Die Generalklausel
suggeriert, dass die Folgen und Nebenfolgen wenn nicht eineindeutig bestimmbar, so doch
wenigstens durch die Wissenschaft abschätzbar seien. Die Annahme einer auf hartem
Faktenwissen basierenden Wissenschaft, deren Ergebnisse zuverlässige Prognosen ermög-
lichen, ist allerdings problematisch. Die Geltung von Hypothesen respektive ihrer Basis-
sätze beruhte weit weniger auf einer experimentellen Verifikation als auf einer vorläufigen
praktischen Bewährung; einer noch nicht erfolgten Falsifikation (Popper 1969, S. 105f.).
Dabei zeichnet sie sich durch Typus von Rationalität aus, der versucht hinsichtlich der
Abstraktion dem Ideal der Mathematik möglichst nahe zu kommen. Die sinnlich-körper-
liche Erfahrung, welche Geltungsgrundlage auch abstrakt rationaler Wissensformen ist
(vgl. grundlegend Merleau-Ponty 1974; Husserl 2012), wird dabei jedoch verdrängt (Böhle
et al. 2001). Das bedeutet praktisch, dass die Prüfung von Hypothesen möglichst unter
Ausschluss sozialer (vermeintlicher) Störfaktoren, nämlich im Labor, vorgenommen wird.
Dabei ist höchst fraglich, ob und inwiefern diese Bereinigung der Wissenschaften im All-
gemeinen und der Naturwissenschaften im Besonderen nicht nur zweckdienlich, sondern
überhaupt möglich ist (Knorr-Cetina 1988). Als Ziel naturwissenschaftlicher Forschung
kann somit, allerdings mit einiger Vorsicht, viel eher eine schrittweise Erweiterung von
„Wissensinseln“ (Scheringer 2004, S. 73) postuliert werden, als die Annäherung an ein
lückenloses mathematisches Ideal, innerhalb dessen Sätze lückenlos aneinander anschlie-
ßen. Selbst wenn jedoch die (Natur-)Wissenschaften in der Lage wären, eindeutige und
treffsichere Gefahrenprognosen zu erstellen, läge im Falle der Wissenschaft eine Ver-
wechslung von Sein und Sollen vor: Welche Risiken die Gesellschaft tragen möchte und
welchen sie präventiv durch Verbote vorkommen möchte, ist kontingent und deshalb eine
Frage politischer Aushandlungen und Entscheidungen.9

8 Vgl. bspw. AMG § 40 Abs. 2a.: „Die klinische Prüfung eines Arzneimittels darf bei Menschen
nur durchgeführt werden, wenn und solange nach dem Stand der Wissenschaft im Verhältnis zum
Zweck der klinischen Prüfung eines Arzneimittels, […] unvertretbare schädliche Auswirkungen auf
a) die Gesundheit Dritter und b) die Umwelt nicht zu erwarten sind“.
9 In Bayern zeigte sich dies vor wenigen Jahren recht anschaulich in der Debatte über das Rauchver-
bot in Bars und Gaststätten. Unzählige Debatten wie die über die Legalisierung von Marihuana, das
Tempolimit auf Autobahnen oder Sicherheitsverwahrung von potentiellen Straftätern können hier
ebenfalls angeführt werden.
72 Roman Thurn, Stefan May und Stefan Böschen

3.3.3 Prozeduralisierung

Eine weitere Möglichkeit der Operationalisierung von Unbestimmtheit im Recht besteht


in der Externalisierung von Spielräumen des Entscheidens an außerrechtliche Institutio-
nen. Nicht nur soll die Legitimität der Entscheidungen auf die Expertise der jeweiligen
Institutionen zurückgebunden werden – während zuvor der Gesetzgeber bzw. die legis-
lativen Verfahren jene verbürgten. Auch soll somit die Lücke des Nichtwissens, die zwi-
schen der Erkenntnis eines Problems und dessen Lösung besteht, geschlossen werden.
Medizinische Ethikkommissionen leisten dies beispielsweise auf zweierlei Weisen: Zum
einen versuchen Statistiker und Mediziner in den Kommissionen, die möglichen Folgen
und Nebenfolgen in ökonomischer wie auch in medizinischer Hinsicht für Betroffene so
gering wie möglich zu halten, indem sie die Prämissen medizinischer Forschungsdesigns
prüfen bevor Versuchspersonen für diese gewonnen werden. Zum anderen ist es mitunter
die Aufgabe der Kommissionsmitglieder dafür zu sorgen, dass die an die Probanden wei-
tergereichten Informationsbögen so klar wie möglich und nur so lang wie nötig gehalten
sind, um die Versuchsteilnehmer mit Informationen zu versorgen (statt sie mit diesen zu
erschlagen). Der Code von Wissen und Nichtwissen wird also in einem zweiten Schritt
ergänzt durch jenen von Transparenz und Intransparenz: Wo etwas nicht mit Sicherheit
gewusst werden kann, soll zumindest transparent werden, was und warum es nicht ge-
wusst wird.
Entscheidungen finden stets vor dem Hintergrund des Nichtwissens statt. Erst wo kei-
ne positivierten Handlungsanweisungen durch gesetzte Normen vorliegen, wo mehrere
Handlungsoptionen für sich plausibel scheinen und möglich sind, muss eine Entscheidung
gefällt werden. Dies gilt umso mehr, als jede Norm, wie bereits erwähnt, ein gewisses
Maß an Unbestimmtheit enthält: Kein empirischer Sachverhalt wird zur Gänze durch eine
gesetzliche Norm abgebildet. Prozeduralisiertes Recht zeichnet sich daher durch eine stra-
tegische und opportunistische Ausrichtung auf riskantes Entscheiden hin aus (Hiller 1999,
S. 32). Das Präimplantationsdiagnostikgesetz, das Arzneimittelgesetz, das Transfusions-
gesetz oder das Medizinproduktegesetz können für ein derart prozeduralisiertes Recht
stehen, in welchem Ethikkommissionen mit eigener Entscheidungsgewalt ausgestattet
werden (Poscher 2013, S. 434f.).
Deliberativ legislative Verfahren jenseits des Parlaments, welche die politischen über-
lagern oder ersetzen, ermangeln jedoch häufig eines öffentlichen Charakters (vgl. May
2004, S. 201f.). Demokratietheoretisch ist dieses Legitimitätsdefizit durch den Verweis
auf den Expertenstatus der jeweiligen Institutionen nicht hinreichend gelöst. Während die
Entpolitisierung durch Verrechtlichung anfangs noch eine Schutzwirkung des Einzelnen
vor staatlichen Eingriffen versprach, droht diese nun zum einen den politischen Prozess
der Rechtsetzung zu privatisieren; an nicht-öffentliche Institutionen outzusourcen. Diese
verfügen jedoch nicht über dieselbe demokratische Legitimität wie das Parlament, wes-
halb die von diesen Institutionen ausgehenden Normierungen in dieser Hinsicht prekär
bleiben – zumal sich die Frage stellt, wie im Falle eines Rechts- oder Vertragsbruches an-
schließend zu entscheiden wäre. Man kann hier also von einer Umbuchung der Legitimität
Kritische Resilienzforschung als Beobachtung … 73

sprechen: Um sich von Wertkonflikten zu entlasten, delegiert die Politik Entscheidungen


an Institutionen mit einer (vermeintlichen) Sachkompetenz. Diese legitimieren sich nun
nicht mehr primär demokratisch, also als Vertretung der Öffentlichkeit, sondern durch
ihre Expertise und ihre Kompetenz. Statt also einer öffentlich allgemeinen Wahl10 oder
transparenter Verfahren liegt nurmehr eine output-Legitimität vor. Die Richtigkeit des
outputs ist allerdings präskriptiv: Sie wird bereits vor dem Zusammentreten der Experten
praktisch angenommen, insofern als eine öffentliche Verhandlung über den Ausgang des
Verfahrens nicht im Raum steht.
Des Weiteren besteht hier die Gefahr, dass der Machtfaktor unter Ausschluss der Öf-
fentlichkeit stärker ins Gewicht fällt. Dies wiegt umso schwerer, als die Gefahr besteht,
dass durch die Externalisierung von Entscheidungsprozessen in grundrechtlich sensiblen
Fragen der Parlamentsvorbehalt umgangen werden könnte (Poscher 2013, S. 434). Zu-
dem verfügen etwa Ethikkommissionen weder über eine Verfahrensordnung, die der des
Rechts in ihrer Komplexität vergleichbar wäre (ebd., S. 439), noch ist die Unabhängigkeit
ihrer Mitglieder in derselben Art gewährleistet, wie dies etwa bei Richtern der Fall ist.
Daher müssen rechtsexterne Institutionen hinsichtlich ihrer Funktion unterschieden
werden: Beratende Ethikkommissionen etwa, die dem Gesetzgeber lediglich ein Ex-
pertenwissen zur Verfügung stellen aber ansonsten über keinerlei Entscheidungs- oder
Sanktionsmöglichkeiten verfügen, stellen noch keine Form der Entdifferenzierung von
Recht und Wissenschaft oder Moral/Ethik dar. Die oben genannten Gefahren fielen hier
weniger stark ins Gewicht; wenngleich diese sehr wohl hinsichtlich der Transparenz, ihrer
Verfahrensordnung und ihrer Zusammensetzung Defizite aufweisen können (vgl. Siep
2013, S. 430). Sobald allerdings ad hoc Genehmigungsfunktionen übernommen werden,
wird die konditionale Programmierung des Rechts, d. h. dessen eigentliche Lernfähigkeit,
durch ein zweckorientiertes Entscheidungsverfahren ersetzt.

4 Anfrage an das Konzept der Resilienz aus Perspektive


eines Rechtsformenwandels

Die bisher angestellten Überlegungen zum Formwandel des Rechts sollten zeigen, dass
dieses durch die Integration von Unbestimmtheit seine grundlegende Funktionsweise
verändert: Indem vergangenheitsorientierte Konditionalprogramme durch zukunftsorien-
tierte Zweckprogramme ersetzt werden, wird einzelnen Akteuren ein zunächst größerer
Handlungsspielraum auf Kosten der Stabilität von Erwartungen eröffnet. Wir sind der
Ansicht, dass diese Entwicklungen mit den deskriptiven und normativen Befunden der
Resilienzforschung korrespondieren.

10 Der Umstand, dass Expertengremien auf einen Parlamentsbeschluss hin zustande kommen, scheint
uns keine hinreichende Übersetzung parlamentarischer Legitimität zu sein. Wäre dem so, könnte
das Parlament beliebig Kompetenzen auf andere Institutionen verlagern und outsourcen; sich also
selbst abschaffen.
74 Roman Thurn, Stefan May und Stefan Böschen

Soziale Institutionen wie die Wissenschaft, das Recht, die Ökonomie ebenso wie Ein-
zelpersonen sind angesichts eines Risikodiskurses gezwungen, sich vom Paradigma der
Kontrolle sowie einer top-down-Steuerung bzw. -Programmierung zu lösen. Im sozial-
wissenschaftlichen Kontext ist der Begriff der Resilienz eine Reaktion auf diese paradig-
matische Transformation. Unter ihm wird dabei die Widerständigkeit sozialer Tatbestände
gegenüber disruptiven Ereignissen verstanden; also gegenüber allen Irritationen sozialer
Tatbestände, welche die autopoietische Reproduktion sozialer Eigenlogiken unterbrechen.
„Es geht also um Nebenfolgen zweiter Ordnung, die gesellschaftliche Institutionen von
innen her in Frage stellen“ (Beck et al. 2001, S. 32, Hervorh. d. Verf.). Insofern als Risiken
und Risikofolgen nicht ohne weiteres abschätzbar sind, sind jene Institutionen vermehrt
auf einen produktiven Umgang mit Nichtwissen angewiesen. Resiliente Systeme wären
demnach solche, die eine Krise nicht nur überstehen, sondern durch eine Anpassung oder
Transformation ihre eigene Funktionslogik stärken. Wir wollen dies gegen den Resilienz-
diskurs, jedoch mit dessen eigener Begrifflichkeit darstellen.

4.1 Formen der Resilienz

Resilienz meint weniger ein Nicht-affiziert-Werden der jeweiligen Institutionen von dis-
ruptiven Ereignissen. Vielmehr soll darunter eine bisweilen spontane Reorganisation der
Elemente sozialer Tatsachen verstanden werden, die nicht durch externe Kontrolle oder
Steuerung, sondern aus einer systemimmanenten Dynamik heraus angeleitet wird. Im
Diskurs der Resilienz wird davon ausgegangen, dass Unsicherheit und Ungewissheit nicht
zu eliminierende Faktoren sind. Daher wird in der theoretischen Reflexion die Idee von
einer kontrollierbaren Umwelt ebenso wie einer externen Steuerung sozialer Systeme ver-
abschiedet – was im Einzelnen, wie eingangs erwähnt, bis hin zu einer Ontologisierung
sozial produzierter Problemlagen gehen kann. Statt der Kontrolle des Unerwarteten ist
also die preparedness, das Vorbereitet-Sein oder Gewappnet-Sein, von zentralem Stellen-
wert.
Innerhalb dieser preparedness werden gemeinhin vonseiten der Resilienztheorien drei
verschiedene Umgangsweisen mit katastrophischen, disruptiven Ereignissen differenziert
und heuristisch getrennt: Erstens werden Bewältigungspotentiale (coping capacities)
identifiziert, welche kurzfristig auf Irritationen zu reagieren in der Lage sind, ohne dass
darauf eine Strukturanpassung oder -veränderung erfolgen würde. Demgegenüber wer-
den unter Anpassungspotentialen (adaptive capacities) Möglichkeiten bzw. Praxen ver-
standen, unter welchen die Strukturen an neue Umweltbedingungen angepasst werden.
Dies vollzieht sich jedoch innerhalb eines bestimmten Rahmens, bei welchem wesentliche
Strukturmerkmale erhalten bleiben. Daher ist der Übergang zur dritten Form resilienter
Potentiale, den Transformationspotentialen (transformative capacities) fließend. Diese
bezeichnen langfristige Veränderungen wesentlicher Operationsweisen des betrachteten
Gegenstands in Reaktion auf Umweltirritationen, sodass dessen Einheit und operative Ge-
schlossenheit trotz dessen erhalten bleiben (vgl. Blum et al. 2016, S. 170).
Kritische Resilienzforschung als Beobachtung … 75

4.2 Adaptive Zyklen

Die Transformation sozialer Systeme lässt sich damit als ein adaptiver Zyklus (adaptive
cycle) beschreiben (Gunderson und Holling 2002, S. 5ff.). Dieser Zyklus setzt sich we-
sentlich aus zwei Bewegungen zusammen: Zunächst akkumuliert ein System Kapital und
Ressourcen, über welche es sich reproduziert. Im Recht besteht dieses Kapital etwa in Prä-
judizien, Gesetzesnormen oder – kommentaren. Indem dieses Kapital konserviert wird,
vergrößert sich die systemimmanente Komplexität: Innerhalb desselben differenzieren
sich verschachtelte Hierarchien (nested hierarchies) aus. So können auf niedrigerer Ebe-
ne Transformationsleistungen vollzogen werden, ohne dass diese die systemische Einheit
affizieren würden. Hierarchien lassen sich hinsichtlich ihrer Arbeitsgeschwindigkeit und
ihrer Möglichkeiten, Operations – und Handlungsweisen zu strukturieren unterscheiden.
Während das Recht die operativen Anschlüsse zunächst limitiert (und damit gleichzeitig
neue Anschlussmöglichkeiten eröffnet), irritieren die einzelnen Handlungen beispielswei-
se von Verwaltungsbeamten das Baurecht in geringerem Maß. Während die Entschei-
dungsträger jedoch wesentlich schneller, eben ad hoc in der Lage sind Entscheidungen
zu treffen, bedarf es im Recht erst eines Durchlaufens bestimmter Verfahren, ehe eine
Transformation stattfindet.
Die zweite Bewegung des Zyklus setzt hingegen mit einem disruptiven Ereignis ein.
Dieses (zer)stört die Organisation eines resilienten Systems allerdings nicht in toto, sodass
es in der Lage ist, sich unter neuen Voraussetzungen bzw. mithilfe veränderter Zusam-
mensetzungen zu reproduzieren. Eine solche Transformation beobachten wir im Recht an
der Integration verschiedener Momente von Unbestimmtheit in die juristische Praxis: Die
Anwendung materialen Rechts weicht zugunsten risikopolitischer Entscheidungen.

4.3 Transformative Capacity:


Operationalisierung von Unbestimmtheit

Um auf spontan auftretende disruptive Ereignisse adäquat reagieren zu können, werden


verschiedene Formen der Operationalisierung von Unbestimmtheit in legitimitätsgenerie-
rende rechtsetzende wie – anwendende Verfahren transformiert (siehe Kapitel 3.3). Die
Rückbindung des Rechts an außerrechtliche Institutionen sowie die Integration extraju-
ridischer Selektionsmechanismen ermöglichen eine gegenstandsgemäße Reaktionswei-
se des Rechts auf Akteursebene, die sich zugleich durch den Expertenstatus legitimiert.
Auch wird der Bezug auf die Zukunft damit offengehalten. Durch die Institutionalisierung
von wissens – oder vielmehr nichtwissensbasierter Entscheidungsräume in der Sphäre des
Rechts wird jedoch die Lücke zwischen Erkenntnis und Lösung des Problems nicht hin-
reichend geschlossen: Sie wird dagegen in außerrechtliche Bereiche verlagert, wenn die
Verfahren selbst nicht die Möglichkeit des Dissenses offenhalten, sondern dieser durch
einen Rekurs auf Experten und Sachverständige unterlaufen wird.
76 Roman Thurn, Stefan May und Stefan Böschen

Die Wissenschaft beispielsweise, auf welche das Gesetz mitunter baut, operiert im
Rahmen von Annäherungen und vorläufigem Wissen. Sie ist daher keineswegs in der Lage
diese Lücke vollständig zu schließen. Auch können Grundrechtskollisionen in einem wis-
senschaftlichen Setting nicht abschließend bewertet oder entschieden werden. Die Prob-
lemlagen sind so geartet, dass sich aus ihnen selbst mit Expertenwissen keine eindeutigen
Handlungsaufträge mehr ableiten lassen: Der Mediziner muss selbst bisweilen als ‚Pri-
vatmann in Weiß‘ agieren (Bogner 2005, S. 167) und damit auf informelle, persönliche
Wissensbestände zurückgreifen. Auch wenn die Wissenschaft, ebenso wie die Ethik, Ent-
scheidungskriterien bereitstellen können, bedürfen sie einer Letztbegründung.
Das Recht gefährdet seine eigene Rationalität, wenn Wissenschaft und Ethik zur allei-
nigen Grundlage juristischer Entscheidungen gemacht und diesen Genehmigungsfunktio-
nen und Entscheidungsbefugnisse übertragen werden: Zunächst wird die Öffentlichkeit
des Verfahrens als Quelle von Erwartungssicherheit umgangen. Indem des Weiteren Ent-
scheidungsprozesse als Einzelfallentscheidungen prozessiert werden, die in deliberativen
Verfahren zustande kommen, entziehen sich diese einer Positivierung durch den Gesetz-
geber. Damit verliert das Recht zusehends seine Fähigkeit, bereits getroffene Entschei-
dungen zu archivieren und als zukünftiges Handeln limitierendes Wissen zu positivieren:
Einzelfallentscheidungen unterlaufen per se den transsubjektiven Charakter des Rechts,
indem sie weitere Anschlüsse von vornherein ausschließen. Was als Transformationspo-
tential des Rechts erscheint, lässt sich also unter risikopolitischen Gesichtspunkten als ein
Selbstdestruktionspotential dechiffrieren.

5 Selbstbindung durch Selbstverpflichtung?

Demgegenüber wäre der limitierende Faktor des Rechts stark zu machen: Erst vor dem
Hintergrund eines hohen Grades an Bestimmtheit von Normen erschließen sich neue
Handlungsoptionen, die die Operationslogiken differenzierter sozialer Sphären je berück-
sichtigen. Das Recht muss damit als eine „textlich koordinierte Praxis des Urteilens“ (La-
deur 2016, S. 284) begriffen werden, um dessen Doppelcharakter als Limitierung sowie
Multiplikator von Handlungsoptionen gerecht zu werden. Erst durch Selektion und damit
Limitierung von legalen Praxen eröffnen sich neue Handlungsoptionen bzw. steigert sich
Komplexität (Hiller 1993, S. 37).
Die Unbestimmtheit von Normen und Regeln eröffnet den jeweiligen Verwaltungen
einen exekutiven Handlungsspielraum, was deren Anwendung auf konkrete Fälle be-
trifft. Dieser Spielraum ist jedoch seinerseits limitiert durch die Kontrolle der Legislative
und Judikative sowie rechtlicher (Sekundär-)Normen: Normen höherer Stufe ebenso wie
Rechtsprinzipien schreiben dabei vor, wie aus ihnen abgeleitete Normen je anzuwenden
seien. Es handelt sich dabei also um einen je zu füllenden Rahmen (Kelsen 2008, S. 90f.).
Die Rahmen können ihrerseits nur durch öffentliche und politisch deliberative Verfah-
ren bestimmt werden, sofern sie nicht der Gefahr eines Legitimitätsdefizits unter demo-
kratietheoretischen Gesichtspunkten ausgesetzt sein sollen. Zugleich wird durch diesen
Kritische Resilienzforschung als Beobachtung … 77

ein Ermächtigungsspielraum geschaffen, innerhalb dessen die Behörden ‚nach Stand von
Wissenschaft‘ und Technik zu entscheiden in der Lage sind. Je enger der Rahmen gefasst
wird, desto weniger stehen diese Verfahren mit demokratischen Verfahren zur Erzeugung
von Legitimität in Konflikt oder Widerspruch. Ein zu eng gefasster Rahmen, das heißt
eine rechtliche Überdeterminierung von Ethik und Wissenschaft würde jedoch die Mög-
lichkeiten eines Lernens freilich unterlaufen. Eine zu weite oder gar maximale Öffnung
jedoch, vermittels Generalklauseln oder Abwägungsgeboten, verhindert ebenso eine re-
organisation von Wissen im Sinne eines adaptiven Zyklus.
Um also auf der einen Seite die Lernfähigkeit des Rechts und als dessen Bedingung die
Selbstständigkeit juridischer Selektionsleistungen zu gewährleisten, und auf der anderen
Seite einen Input von Seiten der Wissenschaft oder der Moral in das Recht zu ermög-
lichen, bedarf es einer Öffnung rechtlicher Institutionen. Wissenssoziologische Studien
konnten dies am Beispiel der (Natur-)Wissenschaften zeigen (Böschen et al. 2004, S. 110):
Diese bedürfen einer hinreichenden Öffnung für Irritationen. Erst durch eine Öffnung
wissenschaftlicher Institutionen kann eine Auseinandersetzung über, mitunter einander
widersprechende Wissensperspektiven, geführt werden. Durch die wechselseitige Beob-
achtung risikopolitisch relevanter Akteure in einer institutionalisierten Form erlangen die
deliberativen Verfahren ihrerseits eine demokratische Legitimität, da riskante Inhalte in
der Horizontalen – und nicht top-down – evaluiert werden. Ein Beispiel hierfür liefert
etwa die trial registration11 im Bereich der klinischen Studien (Hensel und Teubner 2014,
S. 166f.). Durch die Institutionalisierung dieses öffentlichen Verfahrens im Bereich der
Medizin wird die Eigenständigkeit der Selektionsmechanismen gewährleistet: Durch die
gegenseitige Beobachtung der risikopolitisch relevanten Akteure und die Offenheit wi-
derstreitender Positionen werden nicht nur die Bereiche des geteilten Wissensbestandes,
sondern auch des Nichtwissens offengelegt, während politische oder ökonomische Irrita-
tionen der Wissenschaft unwahrscheinlicher werden.
Nichtwissen lässt sich auch für das Recht produktiv prozessieren, indem wissenschaft-
liche Institutionen innerhalb eines demokratisch legitimierten Rahmens vermittels delibe-
rativer Verfahren das Rechtssystem mit risikopolitisch relevantem Wissen füttern. Dies gilt
etwa für die European Chemicals Agency (ECHA). Die Verwaltung der Wissensprozess-
ordnung wird dabei vermittels registration sheets mit Wissen versorgt. Diese stellen die
Unternehmen der Agentur der Europäischen Union zur Verfügung, ohne dass diese pri-
vaten und wissenschaftlichen Organisationen dabei auch Entscheidungsbefugnisse haben
(vgl. Führ 2014; Böschen 2014). Am Recht läge es also, derartige Verfahren zu rahmen und
damit zu schützen, ohne dass damit wissenschaftliche oder ethische Codes rechtliche Bin-
dungskraft entfalten würden. Dadurch lässt sich das Nichtwissen juridischer Institutionen
für die Beurteilung empirischer Sachverhalte kompensieren. Da es sich jedoch bei wissen-
schaftlichem Wissen stets um ein vorläufiges – unter dem Vorbehalt potentieller Falsifika-
tion stehendes Wissen handelt, ist dieses seinerseits prekär: Langfristige Folgen technischer
Entwicklungen lassen sich oft nur abschätzen, jedoch nicht hinreichend bestimmen.

11 Hierbei handelt es sich um die Eintragung klinischer Studien zu Medikamenten in einem öffentlich
zugänglichen Klinischen Versuchsregister, samt positiver wie negativer Ergebnisse.
78 Roman Thurn, Stefan May und Stefan Böschen

6 Fazit

Damit das Recht also auf die gesteigerten Risiken im Sinne eines Adaptions- oder Trans-
formationspotentials adäquat reagieren kann, ist eine sich an Prinzipien orientierende,
durch politische Verfahren hindurch prozessierte möglichst bestimmte Normsetzung er-
forderlich. Um eine solche in Hinblick auf technische, ökonomische und privative kollek-
tiv-institutionelle Grundrechte praktikabel zu halten, bedarf diese Normsetzung ihrerseits
eines Inputs aus der Umwelt – etwa aus der Wissenschaft, Ethikkommissionen oder öf-
fentlichen Debatten.
Eine im Bereich des Rechts sich vollziehende Abwägung von Grundrechten nach dem
Prinzip der Konkordanz ebenso wie ein reflexives Lernen (Böschen et al. 2004) der Insti-
tutionen können dadurch eher gesichert werden, als durch eine Abgabe von Entscheidungs-
befugnissen an nicht-öffentliche Institutionen. Die darauf folgende Normsetzung dient
im weiteren Verlauf als Rahmen (nicht-)wissensbasierter Entscheidungen. Vermittels des
rechtlichen Rahmens wird einerseits die Verwaltung von zu hoher Komplexität entlastet,
während gleichzeitig die Limitierung des Entscheidungsspielraums Erwartungssicherheit
generiert und damit neue Handlungsoptionen erschließt (Elster 1972; Brodocz 2009).12
Es handelt sich hierbei also um eine doppelte Selbstbeschränkung: einerseits hinsicht-
lich der für die Verwaltung relevanten und zu beobachtenden Ereignisse und andererseits
hinsichtlich der Möglichkeiten auf diese zu reagieren. Statt einer staatlichen Gestaltungs-
verantwortung instituiert sich durch die Rückbindung an die Öffentlichkeit eine durch
horizontale strukturelle Kopplungen gesteuerte Selbststeuerung. Juridische Erwartungen
stabilisieren sich nicht (allein) durch das Gewaltmonopol des Staates, sondern dadurch,
dass die Normen hinlänglich bekannt sind und, insbesondere qua lebensweltlicher Veran-
kerung, als legitim erscheinen. So kann ich als Einzelner erwarten, dass andere sich an be-
stimmte Normen halten und dies umgekehrt auch von mir erwarten. Die Implementierung
selektiver Steuerungen aus je anderen sozialen Sphären, oder gar das freie Flottieren mo-
ralisch konnotierter leerer Signifikanten in deliberativen Verfahren können kollektiv-insti-
tutionelle Grundrechtsgüter weit weniger effizient schützen. Solange ein Input aus rechts-
fremden Systemen gewährleistet ist, bestehen größere Chancen, dass der Rigiditätsfalle
(Gunderson und Holling 2002) ausgewichen wird. Im Sinne eines adaptive cycle können
Informationen akkumuliert und im Recht prozessiert werden, ohne dass dabei bestehen-
de Hierarchisierungen der Medien (Wahrheit in der Wissenschaft, Legalität im Recht)
unterminiert würden. Ginge es also um eine Beschreibung von Resilienzpotentialen im
Recht, so müsste diese auf die nested hierarchies und die funktionale Differenzierung des
Rechts abstellen. Diese Potentiale sind denjenigen Transformationsleistungen diametral
entgegengesetzt, die innerhalb des Resilienzdiskurses angefragt werden.

12 Analog wäre die Funktion von Verfassungen zu bestimmen. Diese erschöpfen sich nicht in der Be-
schränkung des souveränen Zugriffs auf die Bürger und deren Eigentum vermittels des Zugeständ-
nisses von Grundrechten als Abwehrrechte, sondern eröffnen dadurch neue Optionen und höhere
Stufen von Komplexität.
Kritische Resilienzforschung als Beobachtung … 79

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Sustainability. “Resilient People. Resilient Planet. A Future Worth Choosing”. http://uscib.org/
docs/GSPReportOverview_A4%20size.pdf. Zugegriffen: 23. November 2016.
UNESCAP (2013). Building Resilience to Natural Disasters and Major Economic Crises. http://
www.unescap.org/sites/default/files/ThemeStudy2013-full2.pdf. Zugegriffen: 24. November 2016.
Walker, J., & Cooper, M. (2011). Genealogies of resilience: From Systems Ecology to the Political
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Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) (2011).
Hauptgutachten. Welt im Wandel. Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation. Berlin:
WBGU.
Der Begriff der Resilienz in der Humangeographie1

Amra Bobar und Gordon Winder

Zusammenfassung

Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich mit den verschiedenen Verwendungen von
Resilienz in der Humangeographie. Es finden sich hierbei Bezüge zur sozial-ökolo-
gischen, sozialen sowie ökonomischen Resilienz, wobei jede Konzeptualisierung auf
unterschiedlichen theoretisch-konzeptionellen Überlegungen, methodischen Ansätzen
und Erkenntniszielen beruht. Wir rücken in diesem Beitrag das Konzept der sozialen
Resilienz, welches in der Geographischen Entwicklungsforschung ganz neu behan-
delt wird, sowie das in der Wirtschaftsgeographie neu verhandelte Konzept der re-
gionalen (ökonomischen) Resilienz in den Mittelpunkt. Interessant sind diese beiden
Forschungsfelder und die hierin verorteten Konzeptualisierungen von Resilienz inso-
fern, als dass sie exemplarisch für die Verschiebung eines in der Ökologie verankerten
Konzepts in die sozial- und wirtschaftsorientierte Forschung stehen. Die damit einher-
gehenden Bedeutungs- und Perspektivverschiebungen werden in diesem Beitrag dar-
gestellt. Diese zu verstehen und voneinander abzugrenzen ist wichtig, um potentiellen
Kommunikationsproblemen zwischen den verschiedenen Forschungsfeldern, aber auch
zwischen Forschung und Politik vorzubeugen.

1 Danksagung Wir danken Anne von Streit, Maria Karidi und Birgit Kemmerling für hilfreiche Hin-
weise und Kommentare.

83
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2018
M. Karidi et al. (Hrsg.), Resilienz,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-19222-8_5
84 Amra Bobar und Gordon Winder

1 Einleitung

Resilienz wird in verschiedenen akademischen Disziplinen sowie diversen politischen Be-


reichen zunehmend verwendet. Angesichts der Phänomene des globalen Wandels und der
Frage nach Handlungsmöglichkeiten ist es nicht verwunderlich, dass Resilienz auf ein
breites Interesse stößt, zumal der Begriff durch die überwiegend von der Psychologie be-
einflusste Populärliteratur im Bereich Lebensratgeber positiv besetzt ist. Der Geograph
Marc Welsh nennt Resilienz einen universellen Begriff, der von unterschiedlichen er-
kenntnistheoretischen Seiten als ein Mittel zum Verständnis und Umgang mit „komplexen
Systemen“ und den darauf einwirkenden Veränderungsprozessen eingesetzt wird (2014,
S. 16). In der Humangeographie gibt es mehrere verschiedene Verwendungen des Be-
griffs: erstens bezüglich gekoppelter sozial-ökologischer Systeme, zweitens im Hinblick
auf soziale Systeme sowie drittens im Kontext ökonomischer Systeme. Resilienz scheint
damit ein universell einsetzbarer Begriff zu sein, dessen vielfache Verwendung in unter-
schiedlichen Systemen oder Kontexten jedoch zu Kommunikationsherausforderungen
zwischen den einzelnen Verwendungen führen kann, da jeder Verwendung spezifische
Konzeptualisierungen und Ansätze zugrunde liegen. Der vielfache Gebrauch von Resi-
lienz führt zwar zu einer konzeptionellen Vielfalt, aber auch Unschärfe. Der scheinbar
universell einsetzbare Begriff wird auch im politischen Bereich zunehmend verwendet,
was in der sozialwissenschaftlich orientierten Forschung kritisch diskutiert wird. So sieht
Welsh (2014) die Verwendung des Resilienzbegriffs problematisch, insbesondere im Kon-
text politischer Diskurse und im Hinblick auf eine mögliche Verschiebung von Verant-
wortungszuschreibungen – beispielsweise von staatlicher Ebene auf Bevölkerungen. Wie
auch andere Forscherinnen und Forscher, die sich kritisch mit den Effekten des Resilienz-
diskurses auseinandersetzen, argumentiert Welsh hier aus einer Gouvernementalitätsper-
spektive (vertiefend hierzu siehe den Beitrag von Kemmerling und Bobar 2018). Dieser
Ansatz rückt das „wie wird regiert?“ und die damit verbundene Verhaltenssteuerung von
Individuen und Kollektiven in den Fokus. Das Problem der Kontrollausübung wird eben-
falls mit Diskursen und Konzepten zu Vulnerabilität2 zusammengebracht (vgl. Donovan
2017). Dies ist bemerkenswert, da es eine gewisse Ähnlichkeit der Konzepte unterstreicht,
aber auch, weil es hervorhebt, dass beide Diskurse und Konzepte Annahmen darüber ent-
halten, was im Sozialen wünschenswert sei (vgl. Donovan 2017, S. 46 mit Bezug auf u. a.
Davoudi 2012; Amin 2013).
Kritik innerhalb der Geographie findet man aber nicht nur an den Effekten des politi-
schen Resilienzdiskurses, sondern auch am Konzept selbst, vor allem bezüglich einer feh-
lenden einheitlichen Definition, Theorie und Methodologie (MacKinnon und Derrickson
2013; Weichselgartner und Kelman 2014; Martin und Sunley 2015). Trotz dieser funda-

2 Die Beziehung von Vulnerabilität und Resilienz wird in der Literatur verschieden diskutiert (vgl.
Weichselgartner und Kelman 2014). Vulnerabilität ist ein etabliertes Konzept in der Humangeogra-
phie. Vulnerabilität oder Verwundbarkeit bezeichnet das Ausmaß der Anfälligkeit von Menschen,
Einrichtungen oder Systemen gegenüber störenden Einwirkungen (Müller-Mahn und Verne 2014,
S. 98). Wir werden im nachfolgenden Unterkapitel noch darauf eingehen.
Der Begriff der Resilienz in der Humangeographie 85

mentalen Kritik, versuchen die entsprechenden Beiträge sich diesen Defiziten anzunähern
und Auswege zu skizzieren. In diesem Beitrag geht es um die akademische Verwendung
des Resilienzbegriffs sowie die bestehenden Konzeptualisierungen innerhalb der Human-
geographie. Wir wollen verstehen, wie sich die Verwendungen unterscheiden und welche
Probleme sich potentiell durch die Verwendung von Resilienz, eines in der Ökologie ver-
ankerten Konzepts, in der wirtschafts- und sozialorientierten Forschung ergeben. Dies
ist insofern interessant, als dass jede Disziplin – so auch die Humangeographie – durch
das eigene bestehende Instrumentarium an Ansätzen und Methoden unterschiedlich mit
fachfremden Konzepten umgeht und an diese herantritt und damit in der Forschung vor
spezifischen Herausforderungen steht. Unabhängig davon argumentieren wir, dass das
akademische Interesse am Resilienzkonzept in Zusammenhang mit dem politischen Resi-
lienzdiskurs gesehen werden muss: Öffentliche Forschungsgelder3 signalisieren das poli-
tische Interesse am Resilienzkonzept; gleichzeitig ist sozial- und wirtschaftsorientierte
Forschung häufig politikrelevant. Vor diesem Hintergrund ist es aber wichtig zu unter-
scheiden, zu was und aus welcher Perspektive sowie welchem Ansatz geforscht wird. Je
nach Forschungsfeld unterscheiden sich Verständnis und Anwendung von Resilienz, aber
auch Untersuchungsgegenstand und -maßstabsebene und somit auch potentielle Stärken
und Schwächen des Konzepts. Turner schreibt zum Vergleich und zur Abgrenzung der
beiden Forschungsfelder political ecology4 und resilience thinking (im Sinne der Ökologie
und sozial-ökologischer Forschung): „For resilience thinkers, the organizational scale of
inquiry is the system” (2014, S. 619). Für die Politische Ökologie ist jedoch das Politische
wichtig: Jede politisch-ökologische Analyse ist eine Mehrebenen-Analyse, die Akteure
und deren Interessen und sich ergebende Wechselwirkungen in den Fokus rückt. Wichtig
ist es dann aber bei der vielfachen Verwendung von Resilienz zu berücksichtigen, dass
trotz einer gemeinsamen Untersuchungsmaßstabsebene wie der des Systems auch das Ver-
ständnis von System sehr variieren kann. Das heißt, nicht nur Maßstab und Zeitlichkeit
sind wichtige Aspekte im Hinblick auf Resilienz, sondern auch die Unterschiedlichkeit
von Systemen, also differente Systemarten mit diversen Akteuren und Beziehungsgefü-
gen, die leicht zu Kommunikationsproblemen zwischen verschiedenen Verwendungsbe-
reichen von Resilienz führen können.

3 Das Bundesministerium für Bildung und Forschung – BMBF (2015) bezieht sich in seinem „Förder-
konzept für eine gesellschaftsbezogene Nachhaltigkeitsforschung 2015–2020“ auf die sozial-öko-
logische Forschung und benennt Resilienz als ein zentrales Konzept. Das BMBF (2013) hat aber
auch im Rahmen der Forschung für zivile Sicherheit bereits Projekte mit Hinblick auf Resilienz
gefördert.
4 Die Politische Ökologie ist ein Forschungsfeld an der Schnittstelle von Geographie, Ethnologie
und Politikwissenschaft und beschäftigt sich mit Umweltveränderungen im Kontext politischer, ge-
sellschaftlicher und historischer Prozesse und Faktoren. „Durch die Perspektive der Politischen
Ökologie rücken Fragen nach den strukturellen Rahmenbedingungen, der Rolle von Akteuren auf
verschiedenen Handlungsebenen, nach Macht und Handlungsspielräumen, Armut und Verwund-
barkeit im Kontext einer politisierten Umwelt in den Mittelpunkt des Interesses.“ (Mattissek und
Sakdapolrak 2016, S. 20).
86 Amra Bobar und Gordon Winder

Der vorliegende Beitrag widmet sich der Verwendung von Resilienz in verschiedenen
Forschungsfeldern der Humangeographie und geht der Frage nach, wie Resilienz verstan-
den und wie es in Anlehnung an bestehende Ansätze angepasst wird. Hierfür wird ins-
besondere Literatur aus der geographischen Entwicklungsforschung und der Wirtschafts-
geographie ausgewertet. Innerhalb letzterer wird Resilienz erst in jüngster Zeit und noch
sehr reserviert behandelt, im Gegensatz zur geographischen Entwicklungsforschung, wo
der Begriff der Resilienz als vermeintlicher Gegenpart von Verwundbarkeit/Vulnerabili-
tät bereits bekannt ist. Darüber hinaus wurde Resilienz in den letzten Jahren zunehmend
als eigenständiges Konzept in die geographische Entwicklungsforschung aufgenommen
und kritisch debattiert. Hierbei wird das Konzept der sozialen Resilienz ganz neu be-
handelt; einer etablierten Definition nähert man sich noch an (Gebhardt et al. 2011; Keck
und Sakdapolrak 2013). Interessant sind diese beiden Forschungsfelder insofern, als dass
sie exemplarisch für die Verschiebung eines in der Ökologie verankerten Konzepts in die
wirtschafts- und sozialorientierte Forschung stehen und eben auch mit damit zusammen-
hängenden Problemen.
Ziel der Arbeit ist es somit aufzuzeigen, dass das Rezipieren des Konzepts der ökolo-
gischen bzw. der sozial-ökologischen Resilienz in der wirtschafts- und sozialorientierten
geographischen Forschung aufgrund bestehender Forschungsfragen und Untersuchungs-
perspektiven zu veränderten Konzeptionen von Resilienz geführt hat, die gleichzeitig mit
Bedeutungs- und Perspektivverschiebungen einhergehen. Diese Verschiebungen deuten
auf potentielle Kommunikationsprobleme zwischen einzelnen Forschungsfeldern (auf-
grund verschiedener Konzeptualisierungen) sowie zwischen Forschung und Politik (auf-
grund divergierender Resilienzverständnisse). Uns interessiert insbesondere, wie das
Konzept der Resilienz in zwei Teilbereichen der Humangeographie, nämlich der Geo-
graphischen Entwicklungsforschung und der Wirtschaftsgeographie, rezipiert wird und in
welchem Kontext dies geschieht. Es scheint, zumindest lässt das der sowohl im Akademi-
schen als auch im Politischen erfolgreiche Resilienzdiskurs vermuten, dass der Begriff der
Resilienz und die ihm zugrundeliegende konzeptionelle Unschärfe einen Zugang zu poli-
tischen Arenen und Agenden zulässt, die vor allem (wirtschafts-)entwicklungspolitische
Themen, Klimawandelanpassung, Katastrophenvermeidung, Risiko und Nachhaltigkeit
abdecken. Dies sind Themen, mit denen sich die Humangeographie aus unterschiedlichen
theoretisch-konzeptionellen Perspektiven beschäftigt, und die sowohl gesellschaftspoliti-
sche Prozesse widerspiegeln als auch den Anspruch der Humangeographie, diese mitzu-
gestalten.

2 Resilienz in der Humangeographie

In der Humangeographie findet man Resilienz als einen Ansatz mittlerer Reichweite in der
Gesellschaft-Umwelt-Forschung, der sich nicht aus der Disziplin der Geographie heraus
entwickelte, sondern aus der Nachbardisziplin der Ökologie übernommen wurde (Freytag
Der Begriff der Resilienz in der Humangeographie 87

et al. 2016). Vor allem in der globalen Umweltforschung und der Hazardforschung5 wird
Resilienz als ein zentraler Ansatz gehandelt, der mögliche Antworten auf die Frage geben
kann, wie Menschen und Gesellschaften in sozial-ökologischen Systemen auf tiefgrei-
fende Veränderungen reagieren und im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung gestaltend
handeln/eingreifen können (vgl. Berkes et al. 2003). Dieses Verständnis von Resilienz als
Widerstands- und Anpassungsfähigkeit von gekoppelten Mensch-Umwelt-Systemen ist
eine Erweiterung des von Holling bereits in den 1970er Jahren erarbeiteten Resilienzkon-
zepts, welches die Persistenz von Ökosystemen und deren Fähigkeit, Veränderungen zu
absorbieren, betont (Holling 1973). Innerhalb der Humangeographie wurde dieser Ansatz
vor allem in der geographischen Entwicklungsforschung weiterentwickelt. Der Ansatz der
Resilienz wird – wie andere Ansätze auch – nicht exklusiv für die Analyse von Mensch-
Umwelt-Beziehungen genutzt, sondern auch in anderen Teilbereichen der wirtschafts- und
sozialorientierten Forschung. Das Verständnis von Resilienz sowie die eingenommene
Perspektive unterscheiden sich jedoch in diesen Subdisziplinen der Geographie. So wird
vor allem im Hinblick auf regionale ökonomische Entwicklung Resilienz als Konzept
in jüngster Zeit innerhalb der (regionalen) Wirtschaftsgeographie thematisiert (für einen
Überblick vgl. Strambach und Klement 2016). In der sozialwissenschaftlich orientierten
Geographischen Entwicklungsforschung ist es dagegen soziale Resilienz, die als Konzept
neu behandelt wird. Im Folgenden wird auf diese beiden Teildisziplinen und das jeweils
hierin verortete Verständnis von Resilienz eingegangen. Dabei wird aufgezeigt, dass sich
nicht nur das Verständnis von Resilienz, sondern insbesondere auch die betrachteten Sys-
teme bzw. die eingenommene Perspektive sowie die Beziehung von Resilienz und Nach-
haltigkeit unterscheiden.

2.1 Geographische Entwicklungsforschung und soziale Resilienz

Die Geographische Entwicklungsforschung (GEF) beschäftigt sich unter Berücksichti-


gung der räumlichen Dimension mit dem Aufkommen und den Folgen von gesellschaft-
licher Entwicklung und sozialer Ungleichheit im Kontext der Globalisierung (Deffner et
al. 2014). „Sie untersucht, wie Menschen unter benachteiligten Bedingungen leben, wie ihr
Handeln in politische und ökonomische Kontexte auf unterschiedlichen Maßstabsebenen
eingebunden ist und über welche Möglichkeiten und Kapazitäten sie verfügen“ (Müller-
Mahn und Verne 2014, S. 94). Durch ihre Praxis- und Politiknähe hat sich die Geogra-
phische Entwicklungsforschung lange Zeit an den Ausrichtungen der Entwicklungszu-
sammenarbeit orientiert und somit Arbeiten zu Themen wie Armutsbekämpfung und
Reduzierung von Vulnerabilität (Bohle 2001), Konfliktregulierung (Coy 2001) oder Kli-
mawandelanpassung (Bohle und O’Brien 2006) hervorgebracht (Müller-Mahn und Verne
2014, S. 98). Die heute teils immer noch bestehende politiknahe Forschungsarbeit wird

5 Die Hazardforschung beschäftigt sich mit Naturgefahren und Naturrisiken und den speziellen
Wechselwirkungen im Mensch-Umwelt-System.
88 Amra Bobar und Gordon Winder

durch Arbeiten ergänzt, die sich „durch ihre kritische Distanz zu entwicklungspolitischen
Maßnahmen“ auszeichnen (ebd., S. 99). Andere wiederum plädieren für eine „geographi-
sche Forschung im Globalen Süden jenseits von Entwicklungsforschung“ (ebd., S. 102).
Obwohl es also „keine einheitliche GEF“ gibt (Deffner und Haferburg 2014, S. 8), orien-
tieren sich sowohl konzeptionelle als auch empirische Beiträge an aktuellen sozialwis-
senschaftlichen Trends und Theorien (Deffner et al. 2014). Resilienz scheint ein solcher
Trend zu sein. Obwohl sich der Begriff im deutschen Sprachgebrauch vor allem in der Ent-
wicklungspsychologie durchgesetzt hat (Bohle 2008), ist Resilienz heute auch vermehrt
in sozialwissenschaftlichen Arbeiten zu finden (siehe hierzu Endreß und Maurer 2015;
Wink 2016). In der Geographischen Entwicklungsforschung schließt sich das Konzept der
Resilienz an das Konzept der Verwundbarkeit an. Verwundbarkeit (oder Vulnerabilität)
bezeichnet das Ausmaß der Anfälligkeit von Menschen, Einrichtungen oder Systemen
gegenüber störenden Einwirkungen (Müller-Mahn und Verne 2014, S. 98). Vulnerabili-
tät ist ein etabliertes Konzept in der Entwicklungsforschung und rückt gesellschaftliche
Beziehungen und Prozesse als Einflussfaktoren in den Fokus. „Das neuere Konzept der
Resilienz betont zudem die Fähigkeit von Menschen, Gruppen oder sozial-ökologischen
Systemen, die Folgen externer Störungen zu bewältigen und danach weiter zu funktionie-
ren“ (ebd.). Obwohl die beiden Konzepte eine gewisse Ähnlichkeit aufweisen, beruhen
sie dennoch auf unterschiedlichen Annahmen. Wir widmen uns daher im Nachfolgenden
kurz der Beziehung von Resilienz und Verwundbarkeit und gehen dann auf das Kon-
zept der sozialen Resilienz ein, welches ganz neu in der geographischen Entwicklungs-
forschung behandelt wird. Soziale Resilienz ist ein akteursorientiertes Konzept, das die
unterschiedlichen Handlungsfähigkeiten verschiedener Akteure im Kontext von Politik
und Macht betrachtet. Diese Konzeptualisierung von Resilienz unterscheidet sich deut-
lich vom sozial-ökologischen Resilienzkonzept mit seinem Fokus auf Systementwicklung
und verdeutlicht die Bedeutungs- und Perspektivverschiebung durch die Rezeption in der
sozialwissenschaftlich orientierten Forschung.

2.1.1 Resilienz und Verwundbarkeit

In der wissenschaftlichen Literatur gibt es eine kritische Diskussion darüber, wie das Kon-
zept der Resilienz und das der Verwundbarkeit zueinanderstehen und ob es sich bei Ver-
wundbarkeit und Resilienz um zwei Seiten einer Medaille handelt (Gallopín 2006). Eine
gewisse Ähnlichkeit der beiden Konzepte darf aber nicht dazu führen, Vulnerabilität und
Resilienz zwangsläufig als Gegensatzpaar einzustufen. Dies verleitet zu einer Betrachtung
im Waage-Verhältnis, wo beispielsweise ein Mehr an Resilienz zu einem Weniger an Ver-
wundbarkeit führt, wie das in einigen Strategiepapieren aus dem Bereich der Entwick-
lungszusammenarbeit bzw. Armutsbekämpfung anklingt (Béné et al. 2012) oder teilweise
in der Literatur vorkommt (für Beispiele vgl. Weichselgartner und Kelman 2014, S. 252).
Im Vergleich zur sozialen Verwundbarkeit betont das Resilienzkonzept die Kopplung und
Interdependenz von sozialer und ökologischer Sphäre, die zusammenhängen und nicht un-
abhängig voneinander betrachtet werden können (Mattissek und Sakdapolrak 2016, S. 24).
Der Begriff der Resilienz in der Humangeographie 89

Soziale Verwundbarkeit fokussiert vor allem auf Mängel und Defizite, während die Resi-
lienzforschung die Stärkung von verwundbaren Akteuren und deren Kapazitäten in den
Mittelpunkt stellt. Béne und Kollegen (2012) widmen sich in einem IDS Working Paper
Resilienz aus der Perspektive eines Entwicklungs- und Armutsbekämpfungskontextes,
in welchem Akteuren und deren Handlungsmöglichkeiten eine zentrale Rolle zukommt.
Die Autoren erörtern neben den Schwächen und Stärken des Resilienzkonzepts auch die
Verbindung von Verwundbarkeit und Resilienz: die Bezeichnung „geschwisterlich“ mag
hier intuitiv aufkommen, deutet aber bereits Verbindungen und Unterschiede an (Béné
et al. 2012, S. 15). Die Autoren argumentieren, dass die Verbindung von Vulnerabilität
und Resilienz der Entwicklungspolitik und – praxis helfen kann, da beide nützliche (und
möglicherweise sich ergänzende) Konzepte und Techniken zu bieten haben und daher
die Verbindung bestenfalls als eine Art Bewegungsprozess – „to move from a state of
vulnerability to one of resilience“ – verstanden werden sollte, wobei dies nicht als Waage-
Verhältnis zu missverstehen ist (Béné et al. 2012, S. 15). Damit betonen die Autoren, dass
ein Konzept nicht zu Gunsten des anderen ignoriert werden sollte und dass Vulnerabilität
in jeglichem resilience Paradigma im Vordergrund stehen sollte (ebd.). So wäre einerseits
das Einbeziehen gesellschaftlicher Beziehungen und Prozesse wie beispielsweise Macht-
verhältnisse oder Partizipationschancen als Einflussfaktoren gesichert und würde anderer-
seits ergänzt durch die der Resilienz immanenten Systemperspektive und damit gegebener
Aspekte wie Rückkopplung, Kreuzkopplung oder Verbundenheit einzelner Systemkom-
ponenten. In dieser Hinsicht ist Resilienz eine zusätzliche Perspektive, mit der man mehr
Einflussfaktoren und Wechselwirkungen in Betracht ziehen kann. Da Béné et al. (2012)
aus einem Armutsbekämpfungs – und Sozialentwicklungskontext argumentieren, wo der
Mensch und die sozialen Verhältnisse im Vordergrund stehen, ist hier die soziale Resi-
lienz vordergründig.

2.1.2 Soziale Resilienz

Die Vorstellung von sozialer Resilienz ist für die Geographische Entwicklungsforschung
ein ganz neues Forschungsfeld, bei dem die adaptiven Kapazitäten von gesellschaftlichen
Akteuren auf allen Ebenen und die Bewältigung von Risiken bedingt durch tiefgreifende
Veränderungsprozesse im Mittelpunkt stehen (Bohle 2011, S. 759). Hier geht es folglich
nicht primär um ein System und dessen Evolution, sondern um Akteure, deren Interaktio-
nen sowie Handlungs- und Wirkmöglichkeiten. Als Beispiele für entsprechende Arbeiten
seien an dieser Stelle Keck et al. (2008) sowie Sakdapolrak (2011) genannt, die sich mit
Nahrungssystemen in Dhaka/Bangladesch bzw. mit Gesundheitssystemen in Chennai/
Indien beschäftigen. Da das Konzept der Resilienz auf einer Systemperspektive beruht,
bedarf es bei entsprechenden Untersuchungen eines Systems als Referenzpunkt. Obwohl
die beiden Arbeiten ein lokales Nahrungs- bzw. Gesundheitssystem abgrenzen und diesen
Referenzpunkt anführen, arbeiten sie dennoch mit dem Konzept der sozialen Resilienz,
bei der es vor allem um die Anpassungs- aber auch Transformationskapazitäten gesell-
schaftlicher Akteure auf allen Ebenen geht. Obrist et al. (2010, S. 283) beispielsweise
90 Amra Bobar und Gordon Winder

plädieren für einen „multi-layered social resilience“-Ansatz, der die Wechselbeziehungen


von verschiedenen begünstigenden Faktoren und Kapazitäten, die auf unterschiedlichen
gesellschaftlichen Ebenen wirken, hervorhebt. Ihrer Meinung nach ist die zentrale Frage
bei Resilienz, was die befähigenden Kapazitäten von Individuen, Gruppen und Organi-
sationen fördert (ebd., S. 291). Soziale Resilienz ist somit letztlich ein akteursorientiertes
Konzept. Die Systemebene spielt hier, wenn man so will, nur eine behelfsmäßige Unter-
suchungsebene, um den Kontext, in dem bestimmte Akteure und eine Krise oder eine
Bedrohung zu verorten sind, zu erweitern.
So gehen Keck und Sakdapolrak (2013) mit einem Review-Artikel auf die Bedeutungs-
verschiebung des Resilienzkonzepts einerseits und auf die Rolle des Konzepts von sozialer
Resilienz andererseits ein. Sie zeichnen hier eine Entwicklung des Resilienzkonzepts von
einem anfänglichen Fokus auf Persistenz über die Betonung von Anpassung hin zu der
gegenwärtig dominierenden Re-Orientierung auf gesellschaftliche Transformation nach
und wenden sich verstärkt den Definitionen sowie Dimensionen von sozialer Resilienz
zu (ebd.). Dabei ist soziale Resilienz ihrer Meinung nach ein Konzept „in the making“,
also erst noch im Werden begriffen (ebd., S. 13, Hervorh. i. Orig.). Ähnlich der schritt-
weisen Bedeutungserweiterung des in der Ökologie verankerten Resilienzkonzepts, hat
sich auch die Idee von sozialer Resilienz entwickelt. Eine anerkannte Definition besteht
noch nicht, aber die anfängliche Bedeutung von der einfachen Reaktionsfähigkeit/-kapa-
zität gesellschaftlicher Akteure wurde zunächst um die Aspekte Lern- und Anpassungs-
fähigkeit erweitert und mündete schließlich in der heutigen Auffassung, dass das Konzept
auch die Kapazität, an Governance-Prozessen zu partizipieren und selbst gesellschaftli-
che Strukturen zu transformieren beinhaltet (ebd.). Dabei können drei Komponenten von
sozialer Resilienz bzw. drei verschiedene Kapazitätstypen für die Analyse von sozialer
Resilienz unterschieden werden: (absorptive) Bewältigungskapazitäten, Anpassungskapa-
zitäten sowie Transformationskapazitäten (Obrist et al. 2010; Béné et al. 2012; Keck und
Sakdapolrak 2013). Während sich Bewältigungskapazitäten eher auf taktische Handlungs-
fähigkeit kurzzeitiger Ausprägung mit dem Ziel der Zustandserhaltung beziehen, sind An-
passungsfähigkeiten als „pro-active“ (Obrist et al. 2010) und Transformationskapazitäten
als „participative“ (Voss 2008; Lorenz 2010) Haltungen und Handlungsfähigkeiten gegen-
über möglichen Bedrohungen zu verstehen, denen eine langfristige Perspektive zugrunde
liegt (Keck und Sakdapolrak 2013, S. 10f.). Es macht an dieser Stelle Sinn, zu betonen,
dass sich diese drei Kapazitätstypen nicht nur in der zeitlichen Dimension des Handelns
und des Ergebnisses des Handelns unterscheiden, sondern auch in der Ausgangslage, auf
welches Ereignis bzw. auf welche Erwartung eines Ereignisses bezogen Handlung statt-
findet bzw. die Kapazität dafür besteht. Die Unterscheidung dieser drei Dimensionen von
sozialer Resilienz wird anhand von vier analytischen Kriterien „response to risk“ (Inter-
aktion mit Risiko), „temporal scope“ (zeitlicher Horizont), „degree of change“ (Verände-
rungsgrad) und „outcome“ (Wirkung) vollzogen; dies ist notwendig, um den Begriff der
sozialen Resilienz in Gänze zu verstehen (ebd., S. 10, Hervorh. i. Orig.). Anpassungs- und
Transformationskapazitäten beispielsweise beziehen sich auf die Interaktion mit einem er-
warteten Risiko; sie stehen für antizipatorische Fähigkeiten, um zukünftigen Unsicherhei-
Der Begriff der Resilienz in der Humangeographie 91

ten erfolgreich zu begegnen. Deutlich wird aber auch, dass jetzt Resilienz nicht mehr nur
beobachtet, sondern auch aufgebaut werden kann (Felli 2016). Diese Unterscheidung zeigt
darüber hinaus auch, dass Evaluierungen einzelner Praxisbeispiele oder auch Politiken
selten nach einem bestimmten Schema vollzogen werden können, da es wichtig sein wird,
genau zu untersuchen, welche und wessen Fähigkeiten oder Interventionen zu welchen
Auswirkungen auf wen führen können.
Analytisch, insbesondere im Hinblick auf Aspekte von Macht und Agency, macht es
einen deutlichen Unterschied, ob Resilienz nach einem Ereignis konstatiert und untersucht
wird, oder ob es im Vorfeld aufgebaut wird oder werden soll. Es macht einen Unterschied,
ob es ein selbst- oder fremdzugeschriebenes Ziel, eine Fähigkeit oder eine Voraussetzung
innerhalb bestimmter Einstellungen, Maßnahmen und Praktiken ist. In der Literatur wird
betont, dass soziale Resilienz nicht nur aus einer der drei genannten Kapazitäten bestehen
wird, sondern dass im Grunde alle drei Dimensionen in wahrscheinlich unterschiedlicher
Ausprägung vorzufinden sind, dessen Verhältnis zueinander ebenfalls untersucht werden
sollte, also ob es Synergien gibt, ob sie sich verstärken oder evtl. sogar behindern (Béné
et al. 2012; Keck und Sakdapolrak 2013). Das gleiche gilt für die von Keck und Sakdapol-
rak angeführten Beispiel-Schlüsseldeterminanten sozialer Resilienz: soziale Beziehungen
und Netzwerkstrukturen, Institutionen und Machtbeziehungen, und Wissen und Diskurse
(2013, S. 11f.). Soziale Beziehungen und Netzwerke beispielsweise werden in der Regel als
förderlich im Sinne von sozialer Resilienz verstanden, können aber auch in manchem Fall
das Gegenteil sein (vgl. ebd., S. 12). Eine solche duale Natur kann jede eigentlich positiv
gemeinte Aktion in sozialen Netzwerken haben: während Maßnahmen im Sinne einer
Resilienzstärkung z. B. einer Gruppe helfen können, können sie einer anderen schaden.
Interventionen im Sinne von Resilienz sind daher nie neutrale Prozesse. Es gibt „gute“
und „schlechte“ Resilienz (Béné et al. 2012) und diese Einordnung variiert je nach Ge-
sichtspunkt und Perspektive und betroffener Person, Gruppe, Organisation.
An dieser Stelle lohnt es einen Blick auf die Beziehung von Resilienz und nachhal-
tiger Entwicklung zu werfen. Allgemein besagt nachhaltige Entwicklung, dass es sich
um eine Entwicklung handelt, die die Bedürfnisse der heutigen Generation deckt und
dabei die Möglichkeiten der zukünftigen Generationen nicht beeinträchtigt. Es ist auch
als Leitmotiv für persönliches und gesellschaftliches Handeln zu verstehen. Resilienz,
vor allem im Sinne eines sozial-ökologischen Verständnisses, stellt dagegen ein neues
Paradigma für das Leben mit Unsicherheiten, für das „Leben mit Risiko“ (Bohle 2008)
dar. Es ist ein Konzept, dass die Wirkungsfähigkeit von Akteuren und deren Teilhabe
an Transformationsprozessen, die im Rahmen dieses Paradigmas stattfinden, hervorhebt.
Wie genau das Verhältnis von Resilienz und nachhaltiger Entwicklung zu verstehen ist,
hängt letztlich davon ab, wie Resilienz verstanden wird. Obrist et al. (2010) beispielsweise
argumentieren, dass die Nachhaltigkeitsforschung eine Re-Orientierung bzgl. des Unter-
suchungsfokus bräuchte und plädieren für einen multi-layered social resilience Analyse-
rahmen. Im Fokus stehen hier verschiedene Akteure, deren Handlungsmöglichkeiten und
Wechselwirkungen. Der Analyserahmen betont die Interaktionen zwischen fördernden
Faktoren und Kapazitäten, die auf verschiedenen Ebenen von Umwelt und Gesellschaft
92 Amra Bobar und Gordon Winder

wirken, sodass sich Aufmerksamkeit vom Risikomanagement hin zur Resilienzstärkung


verschiebt. Letzteres wäre ihrer Meinung nach eine Vorbedingung nachhaltiger Entwick-
lung. Ein weiteres Verständnis von Resilienz in Bezug auf Nachhaltigkeit findet sich bei
Leach et al. (2010), die Resilienz als eine von vier dynamischen Eigenschaften von Nach-
haltigkeit darstellen, die jeweils für eine bestimmte politische Strategie zur Förderung
von Nachhaltigkeit stehen. Dieses Verständnis ist deutlich konkreter und beruht nicht auf
dem Versuch eine präzise Definition von Resilienz anzuführen, sondern rückt politische
Reaktionen und Interventionen in den Fokus der Betrachtung. Analytisch wird zwischen
der Temporalität von Wandel (Werden Veränderungen als kurzfristige Schocks oder lang-
fristiger Stress gesehen?) und der Art der (Re-)Aktion (Ist es Ziel, Wandel zu kontrollieren
oder darauf einzugehen?) unterschieden (Leach et al. 2010, S. 373). Resilienz ist hierbei
eine Version von politischer Aktion/Intervention, die in Antwort zu schockartigen Verän-
derungen nicht kontrollierend, sondern gestaltend im Sinne progressiver Nachhaltigkeits-
politik in den Fokus einer neuen Governance-Agenda rückt (ebd.).

2.1.3 Vom System zum Akteur

Insgesamt lässt sich feststellen, dass es insbesondere innerhalb der Geographischen Ent-
wicklungsforschung durch den Fokus auf das Konzept der sozialen Resilienz eine Ver-
schiebung von der Systemperspektive hin zur Mensch-orientierten Perspektive gibt, die
nach Bohle et al. (2009) als Resilience as Agency auf den Punkt gebracht werden kann. Mit
ihrem Fallbeispiel zu Dhakas Nahrungssystem zeigen die Autoren, dass es mehrere Ant-
worten gäbe auf die Frage, wie resilient dieses System sei, je nachdem, welche Perspektive
man einnehme: erstens, ob man system- oder mensch-orientiert herangeht, zweitens, ob
Resilienz mit Robustheit und Stabilität gemessen wird oder durch die Selbstorganisation
des sozialen Systems, und drittens, ob man die Fähigkeiten und Möglichkeiten der sozia-
len Akteure als Schlüsseldeterminanten von Resilienz annimmt (ebd., S. 12). Die Autoren
plädieren für einen akteursorientierten, Agency-basierten Untersuchungsrahmen, mit dem
Resilienz hinsichtlich der Kapazitäten und Möglichkeiten von Menschen definiert wird.
Die Mechanismen der Resilienzstärkung basieren dabei vor allem auf der Ermächtigung
(empowerment) der „Vulnerabelsten“, diejenigen Optionen zu verfolgen, die das stärken,
was die Betroffenen selbst als soziale Quellen von Resilienz betrachten (ebd.). Der letzte
Punkt ist dabei wichtig, denn hierbei gesteht man denjenigen, deren Resilienz gestärkt
werden soll, zu, dass sie selbst bestimmen, was resilienzstärkend wirkt oder wirken könn-
te. Man gesteht ihnen auch zu, dass sie selbstbestimmt über ihre Situation entscheiden
sowie handeln können und daher eben auch selbst entscheiden, ob ihre Resilienz gestärkt
werden sollte. Der Aspekt Fremd- oder Selbstzuschreibung der Kategorie „resilient“ (ana-
log gilt das auch für „vulnerabel“) ist ein wichtiger Moment der politics of resilience, die
sich zudem auch bei der Suche nach neuen Wegen der Resilienzstärkung manifestieren,
die niemals nur eine technische Frage, sondern immer auch eine umstrittene politische ist
(Keck und Sakdapolrak 2013, S. 14).
Der Begriff der Resilienz in der Humangeographie 93

Wie bereits an früherer Stelle in diesem Beitrag erwähnt, ist das Verhältnis von Re-
silienz und Vulnerabilität nicht eindeutig und nicht spezifiziert und es wäre gerade für
die Geographische Entwicklungsforschung, die mittlerweile beide Konzepte benutzt, hilf-
reich, sich der Beziehung dieser beiden Untersuchungsrahmen zu widmen und zu klären,
wie genau beide Konzepte zueinanderstehen. Dabei wäre auch zu klären, welche Perspek-
tive eingenommen wird, denn eine Systemperspektive auf Resilienz unterscheidet sich
durch den Fokus der Systemevolution eben grundsätzlich von einer akteursorientierten
und Agency-basierten Perspektive. Systembezogene Untersuchungen werden auf ande-
re Weise mit Erkenntnissen aus der Vulnerabilitätsforschung zusammengebracht werden
müssen, als das mit Arbeiten zu sozialer Resilienz, die aus einer akteurs- und Agency-
basierten Perspektive vorgenommen werden, getan werden kann. Auch wenn hierbei die
Perspektive eine ähnliche ist und der Untersuchungsreferenzpunkt der Menschen ist, so
ist dennoch genau zu klären, wie die Konzepte von sozialer Vulnerabilität und sozia-
ler Resilienz zueinanderstehen. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob das Konzept der
sozialen Resilienz, welches auf einer akteurs- und Agency-basierten Perspektive beruht,
überhaupt noch systembezogen und systemrelevant ist und welche Implikationen das für
die Resilienzforschung hat. Keck und Sakdapolrak gehen auf dieses Problem ein, indem
sie u. a. vorschlagen, dass das Zusammenbringen von sozialer und ökologischer Sphäre im
Konzept der sozialen Resilienz gegeben sein muss (2013, S. 14). Dieser Aspekt verweist
auf das Potenzial von Resilienz als Brückenkonzept zwischen den Natur- und Sozialwis-
senschaften (Brand und Jax 2007; Davoudi et al. 2012), welches eine seit jüngster Zeit
lösungsorientierte und auf Probleme von Nachhaltigkeit bedachte Global Change For-
schung brauchen könnte. In der Konsequenz wäre somit Resilienz ein Konzept für den
Bereich der Mensch-Umwelt-Beziehungen und man könnte argumentieren, es mache nur
Sinn dieses Konzept zu verwenden, wenn die Analyse von Mensch-Umwelt-Beziehungen
im Fokus der Untersuchung steht. Soziale Resilienz hat jedoch allem voran den Fokus auf
Akteur, Agency und politics of resilience und betrachtet im Untersuchungskontext des
Globalen Südens auch weiterhin die dem Konzept der Vulnerabilität zugrundeliegenden
politics of development. Die ökologische Sphäre wird hier oftmals vernachlässigt, somit
auch der hybride Charakter der Mensch-Umwelt-Beziehungen (Keck und Sakdapolrak
2013). Allerdings kann mit dem Konzept der sozialen Resilienz durchaus berücksichtigt
werden, dass soziale Akteure in ihre ökologischen, sozialen und institutionellen Umwelten
eingebettet sind (ebd.). Es ist insofern nachvollziehbar, dass Keck und Sakdapolrak (2013)
vorschlagen, dass der Aspekt des Zusammenbringens von sozialer und ökologischer Sphä-
re in die Analyse von sozialer Resilienz einfließen sollte. Jedoch bleibt hierbei die Heraus-
forderung bestehen, wie man das genau macht und wie viel ökologische Sphäre letztlich in
die Untersuchung einfließen kann. Vermutlich wird man Ergebnisse aus Untersuchungen,
die auf unterschiedlichen Ansätzen beruhen, zusammengebringen müssen. Turner (2014)
beispielsweise schlägt die Landnutzungsökologie als ein mögliches gemeinsames For-
schungsfeld für die Politische Ökologie und die resilienzorientierte Ökologie vor. Seiner
Meinung nach sind Vertreterinnen und Vertreter der Politischen Ökologie die passendsten
Sozialwissenschaftler*innen, um an Projekten mitzuwirken, die auf das Verständnis kom-
94 Amra Bobar und Gordon Winder

plexer historischer Interaktionen, livelihood-Praktiken sowie ortspezifischer ökologischer


Antworten ausgerichtet sind. Sein Vorschlag zeigt jedoch, dass auch weiterhin Forscherin-
nen und Forscher mit unterschiedlichen Ansätzen werden kommunizieren müssen.
Abschließend bleibt festzuhalten, dass zum einen das Resilienzkonzept, wie es ins-
besondere in Form der akteursorientierten sozialen Resilienz in der Geographischen Ent-
wicklungsforschung rezipiert und diskutiert wird, angepasst wurde an die ebenfalls ak-
teursorientierten Vulnerabilitäts-Ansätze und sich damit die sog. bottom-up-Perspektive
(im Gegensatz zu einer Systemperspektive) im Grunde nicht verändert hat. Der Unter-
schied zum Vulnerabilitäts-Konzept liegt primär darin, dass die Betonung nun nicht auf
Defiziten, sondern den Handlungsmöglichkeiten und Fähigkeiten der Akteure liegt. Zum
anderen kann geschlussfolgert werden, dass soziale Resilienz als Antwort oder in Re-
aktion auf Klimawandelanpassung und andere Transformationsprozesse konzeptualisiert
wird und nicht unbedingt von diesen festgelegt und bestimmt wird. Es ist daher eher eine
Antwort auf als eine Folge von diesen Prozessen.

2.2 Wirtschaftsgeographie und regionale (ökonomische) Resilienz

Die Wirtschaftsgeographie beschäftigt sich mit der räumlichen Dimension wirtschaft-


licher Prozesse und Aktivitäten und hat als zentralen Forschungsgegenstand den Wirt-
schaftsraum in seinen verschiedenen Maßstabsebenen bzw. wirtschaftliche Aktivitäten
von Akteuren in räumlicher Perspektive (Haas und Neumair 2008). Die Erklärung von
räumlich ungleicher wirtschaftlicher Entwicklung von Raumeinheiten kann laut Stram-
bach und Klement (2016) allgemein als ein zentrales Anliegen der Wirtschaftsgeographie
verstanden werden. Die unterschiedlichen Reaktionsfähigkeiten von Regionen in Bezug
auf Störungen, Krisen oder Schock-Ereignisse können dabei auch Grund für ungleiche
Entwicklung sein (ebd.). In diesem Zusammenhang und vor dem Hintergrund der 2007
ausgelösten globalen Finanzkrise erscheint eine Zuwendung zu dem Konzept der Resi-
lienz, welches u. a. als Paradigma für ein Leben mit Unsicherheiten zu verstehen ist, auch
innerhalb der Wirtschaftsgeographie plausibel. Allerdings wird das Konzept in der Wirt-
schaftsgeographie noch kritisch diskutiert und ist laut Strambach und Klement, die mit
ihrem Beitrag einen Überblick über die theoretische Diskussion zum Resilienzbegriff in
der Wirtschaftsgeographie und dessen methodische Umsetzung geben, noch weit entfernt
von einer theoretischen und methodischen Integration in diese Disziplin (ebd.). Sie stellen
darüber hinaus aber fest, dass Funktionalität und Wandel der Umfeldbedingungen zen-
trale gemeinsame Begriffe der existierenden Definitionen sind und definieren auf Basis
dieser Gemeinsamkeiten Resilienz „als die Fähigkeit einer regionalen Ökonomie, ihre
Funktionalität für die in ihr befindlichen Akteure trotz wandelnder, widriger Umfeldbe-
dingungen mindestens zu erhalten“ (ebd., S. 265). Wie dieser Funktionserhalt erfolgt, wird
in dieser Definition ganz bewusst ausgespart (ebd.).
Der Begriff der Resilienz in der Humangeographie 95

2.2.1 Historisch-evolutionäres Resilienzverständnis

Aus Sicht der evolutionären Wirtschaftsgeographie, welche durch die Betonung von Wan-
del insbesondere offen für das Konzept der regionalen ökonomischen Resilienz ist (Bailey
und Turok 2016), ist dieser Funktionserhalt keineswegs gleichzusetzen mit einem Struk-
turerhalt, sondern damit, die Struktur an geänderte Umfeldbedingungen anzupassen. Der
Fokus der evolutionären Perspektive liegt daher auf der Re-Orientierung und Erneuerung
der Entwicklungspfade von Systemen und führt somit zu einem historisch-evolutionä-
ren prozessualen Resilienzverständnis, welches von Vertretern einer evolutionären Wirt-
schaftsgeographie gefordert wird (vgl. Boschma 2015; Martin und Sunley 2015). Wäh-
rend beim Konzept der sozialen Resilienz eine Perspektivverschiebung vom System zum
Mensch und dessen Fähigkeiten und Möglichkeiten festgestellt werden kann, ist durch
das historisch-evolutionäre prozessuale Resilienzverständnis eine andere Perspektivver-
schiebung zu erkennen: Obgleich eine Systemperspektive durch den Fokus auf regionale
oder lokale Ökonomien eingenommen wird, so stehen nicht diese komplexen und offenen
„Systeme“ im Vordergrund, sondern deren ökonomische Entwicklung und bestehende
und mögliche Entwicklungspfade. Somit steht das evolutionäre prozessuale Resilienzver-
ständnis für eine Wirtschaftsentwicklungsperspektive oder Entwicklungspfad-orientierte
Perspektive.
Martin und Sunley widmen sich in ihrem 2015 veröffentlichten Artikel dem Begriff
der regionalen ökonomischen Resilienz und dessen Bedeutung und Erklärung sowie dem
Aufzeigen von Richtungen entsprechender Forschung. Ihres Erachtens nach ist die Re-
silienz regionaler und lokaler Ökonomien ein valides Forschungsfeld, auch wegen der
potenziellen Wichtigkeit der Unterrichtung von politischen Entscheidungsträgern, aller-
dings – so betonen sie – braucht es noch Arbeit, den Begriff zu verstehen bevor Resilienz
als Grundlage politischen Handelns herangezogen werden kann (ebd., S. 35). Sie geben
einen Überblick der kritischen Aspekte von Resilienz bzw. der Diskussion zu Resilienz
innerhalb der Wirtschafts- bzw. Humangeographie und verweisen unter anderem darauf,
dass Resilienz keinesfalls eine Entweder/Oder-Eigenschaft oder -Ergebnis ist, sondern
ein komplexer Prozess, der mehrere mögliche Kombinationen von Wandel und Konti-
nuität zulässt (ebd., S. 10). Ebenfalls komplex sind regionale und städtische Ökonomien,
die keineswegs einfach als System abzugrenzen sind. Nichtsdestotrotz definieren auch sie
regionale ökonomische Resilienz als Kapazität einer regionalen oder lokalen Ökonomie,
Schocks standzuhalten oder sich von ihnen zu erholen, wobei ihre Definition umfassend
ist und wie folgt lautet: „the capacity of a regional or local economy to withstand or recov-
er from market, competitive and environmental shocks to its developmental growth path,
if necessary by undergoing adaptive changes to its economic structures and its social and
institutional arrangements, so as to maintain or restore previous developmental path, or
transit to a new sustainable path characterized by a fuller and more productive use of its
physical, human and environmental resources” (ebd., S. 13). Der Fokus liegt demnach auf
wirtschaftlichen Entwicklungspfaden regionaler Ökonomien und Schocks, die ihrer Mei-
nung nach plötzlich und unvorhersehbar auftreten, wie z. B. Rezessionen und Finanzkrisen
96 Amra Bobar und Gordon Winder

als klassische ökonomische Schocks oder aber auch Naturkatastrophen, die Störungen in
lokalen oder regionalen Ökonomien auslösen. Diese Beispiele von Schocks unterscheiden
sich interessanterweise von den sonst als klassisch betrachteten Störungen in der Wirt-
schaftsgeographie, nämlich Restrukturierung und De-Industrialisierung, die aber auch
weiterhin in Untersuchungen betrachtet werden. Hier spiegelt sich die erweiterte Band-
breite an möglichen Störungen sowie die Betonung von Plötzlichkeit bei Schocks wider.

2.2.2 Regionale ökonomische Resilienz als dynamischer Prozess


und politisches Ziel

Den zentralen Beitrag, den die Idee von Resilienz leistet, sehen Martin und Sunley somit
in der Lenkung von Aufmerksamkeit auf die Wirkungen von Schocks und deren Rolle in
der Verlaufsgestaltung von regionalem Wachstum und Entwicklung (2015, S. 11). In dieser
Hinsicht ist der Vorteil von Resilienz der, dass hierbei Schocks oder allgemein auch Kri-
sen und deren Auswirkungen ins Zentrum der Untersuchung rücken, dabei Resilienz aber
als ein dynamischer und komplexer Prozess verstanden wird, der Reaktionen auf Schocks
und Krisen beeinflusst, aber auch selbst von diesen beeinflusst wird (ebd., S. 14). Dies
zeigt eine gewisse Parallele zur Diskussion der sozialen Resilienz, welche ebenfalls als
ein dynamischer Prozess verstanden wird und eben nicht als Zustand oder Entitätseigen-
schaft (Keck und Sakdapolrak 2013). Insgesamt lässt sich die weiter oben bereits erwähnte
Bedeutungsverschiebung des Resilienzkonzepts (vom anfänglichem Fokus auf Persistenz
hin zur Re-Orientierung auf gesellschaftliche Transformation) auch an dieser Stelle fest-
stellen. Während bei der sozialen Resilienz jedoch die Akteure und deren Agency im
Mittelpunkt der Betrachtung stehen, sind es bei der regionalen ökonomischen Resilienz
regionale oder lokale Ökonomien oder deren Entwicklungspfade. Interessanterweise gibt
es auch innerhalb der Wirtschaftsgeographie den Aufruf zu einer Agency-Perspektive in
Bezug auf regionale ökonomische Resilienz, und zwar in dem Sinne, dass die Rolle des
Menschen bei der Theoretisierung und Konzeptualisierung von regionaler ökonomischer
Resilienz nicht vernachlässigt werden sollte (Bristow und Healy 2014). Diesen Autoren
nach ist Resilienz sodann eine multidimensionale Eigenschaft („property“), die mindes-
tens drei Dimensionen umfasst: Resilienz als Adaptionskapazität („adaptive capacity“ –
the capacity of a region and its constituent agents to adapt in relation to shocks and thrive
accordingly“), als „prepardness“ und „outcome“ (oder Performanz), und als Reflexion
von bestimmten Agenden (ebd., S. 932). Letzterer Punkt verweist auf die politics of resi-
lience, wonach Resilienz immer auch eine umstrittene, politische Frage ist. Obwohl das
Verständnis von regionaler ökonomischer Resilienz sowohl bei Martin und Sunley (2015),
als auch bei Bristow und Healy (2014) auf der Theorie komplexer adaptiver Systeme be-
ruht, unterscheiden sich ihre Überlegungen und Ausführungen insofern, als dass die einen
Resilienz nicht nur als Kapazität einer regionalen Ökonomie verstehen, sondern darüber
hinaus auch als historisch-evolutionären Prozess, während die anderen zusätzlich und be-
tonend auf die normative und politische Dimension hinweisen. Somit wird deutlich, dass
das Verständnis von Resilienz zum einen davon abhängt, auf welchen Ansätzen es beruht
Der Begriff der Resilienz in der Humangeographie 97

und zum anderen davon, was in den Fokus gerückt werden soll. Das heißt, die Frage, wel-
ches Ziel mit einer auf dem Konzept der Resilienz beruhenden Untersuchung verknüpft
wird, formt schließlich auch das Verständnis eines solchen.
Eine weitere zentrale Frage ist die, wessen Resilienz untersucht wird. Diese Frage ist
unabhängig vom Forschungsbereich und muss in jeder Resilienzbetrachtung beantwortet
werden. Schließlich gibt die Beantwortung den Ausgangspunkt vor, von dem die Unter-
suchung aus startet. Da dieser Referenzpunkt sowohl Akteure als auch Entwicklungspfade
sein können, wird zum einen die Dringlichkeit der präzisen Definition für jede einzelne
Untersuchung aber auch ein mögliches Loslösen der Systemperspektive eindeutig. Es stellt
sich jedoch erneut die Frage, ob noch von Resilienz zu sprechen ist, wenn die Systemper-
spektive nicht besteht, oder in welcher Form die Systemperspektive noch einfließen muss,
um von Resilienz zu sprechen. Unabhängig davon soll an dieser Stelle darauf verwiesen
werden, dass eine Untersuchung von Resilienz immer eine vierteilige Frage – nämlich
die der „resilience of what, to what, by what means, and with what outcome?“ (Martin
und Sunley 2015, S. 12) – nach sich zieht, die eine möglicherweise nur in Ansätzen gel-
tende Vergleichbarkeit von Untersuchungen zulassen könnte. Dafür könnte man mit einer
kontext-entsprechenden expliziten Definition und Untersuchung von Resilienz (Weichsel-
gartner und Kelman 2014) spezifische Erkenntnisse gerade auch in Bezug auf Mensch-
Umwelt-Aspekte generieren, die in der Wirtschaftsgeographie eher vernachlässigt werden
und deren Dringlichkeit verstärkt in der Forderung einer Environmental Economic Geo-
graphy widerhallt (vgl. Hayter 2008; Soyez und Schulz 2008). Möglicherweise bietet die
evolutionäre prozessuale Resilienzperspektive die Möglichkeit, sozioökonomisch-öko-
logische Verflechtungen innerhalb eines regionalen Kontextes besser zu verstehen und
damit Richtungen für nachhaltige Entwicklungen aufzuzeigen. Strambach und Klement
verweisen zumindest auf das Potenzial durch die Auseinandersetzung mit dem Resili-
enzbegriff, den Blick für Anpassungs- und Erneuerungsprozesse zu schärfen, die einen
Übergang in eine nachhaltige, grüne Ökonomie auf regionaler Ebene unterstützen können
(2016, S. 277).

3 Die Ambiguität der Resilienzrezeption


in der Humangeographie

Die Auseinandersetzung mit Resilienz sowohl in der Geographischen Entwicklungsfor-


schung als auch in der Wirtschaftsgeographie zeigt zum einen die Verschiebung eines in
der Ökologie verankerten Konzepts in die wirtschafts- und sozialorientierte Forschung
und zum anderen die damit verbundene Bedeutungsverschiebung des Resilienzkonzepts
von einem anfänglichen Fokus auf Persistenz hin zur gegenwärtig dominierenden Re-
Orientierung auf gesellschaftliche Transformationsprozesse. Welche gesellschaftlichen
Transformationsprozesse bzw. ganz allgemein welcher Wandel unter Rückbezug auf das
Konzept von Resilienz betrachtet wird, hängt ganz klar von dem jeweiligen Forschungs-
feld, aber auch dessen angewandter Perspektive ab. So ist die Geographische Entwick-
98 Amra Bobar und Gordon Winder

lungsforschung daran interessiert, soziale Ungleichheit und gesellschaftliche Entwicklung


unter Berücksichtigung der darauf einwirkenden Einflussfaktoren sowie der räumlichen
Dimension zu analysieren, während die Wirtschaftsgeographie räumlich ungleiche wirt-
schaftliche Entwicklung erklären möchte. Interessanterweise setzen sich beide Subdiszi-
plinen der Humangeographie mit dem Konzept der Resilienz auseinander und bauen es in
das jeweils bestehende Inventarium an konzeptionellen Ansätzen ein.
Die Auseinandersetzung und schließlich der Einbezug des Resilienzkonzepts sind je-
doch von einer gewissen Mehrdeutigkeit begleitet, die sich vor allem darin äußert, dass
das Konzept zwar angenommen, aber dennoch stark kritisiert wird und letztlich in einer
Anpassung an bestehende Ansätze mündet. Bei der Geographischen Entwicklungsfor-
schung zeigt sich das vor allem durch das Konzept der sozialen Resilienz, das auf einer
akteursorientierten und Agency-basierten Perspektive von Resilienz beruht und somit ein
Loslösen von der dem Resilienzkonzept immanenten Systemperspektive bedeutet. Inwie-
weit man zusätzlich eine Systemperspektive einnehmen kann und wie das genau gesche-
hen kann, bleibt dabei eine noch zu klärende Frage. Zumindest sieht man in einer solchen
„Ergänzung“ das Potenzial, die sozialen und ökologischen Sphären zu verbinden und
Wechselwirkungsaspekte und Kopplungseffekte einzelner Systemkomponenten zu identi-
fizieren. In der Wirtschaftsgeographie wiederum zeigt sich die Anpassung des Resilienz-
konzepts an bestehende Ansätze durch das Konzept der regionalen ökonomischen Resi-
lienz, welches sich insbesondere durch eine Wirtschaftsentwicklungspfad-orientierte oder
evolutionäre Perspektive auszeichnet. Es sind vor allem Vertreter*innen der evolutionären
Wirtschaftsgeographie, die sich dem Konzept der Resilienz gewidmet haben. Zudem lässt
sich eine gewisse Affirmität vor allem durch den Rückbezug auf Theorien komplexer ad-
aptiver Systeme nachvollziehen, wobei aber auch hier eine kritische Haltung gegenüber
dem Konzept eingenommen wird. Trotz der vermeintlichen Systemperspektive durch den
Fokus auf regionale oder lokale Ökonomien, sind es nicht diese offenen, komplexen Sys-
teme, die im Vordergrund stehen, sondern deren Entwicklung und Entwicklungspfade.
Resilienz wird demnach als historisch-evolutionärer Prozess verstanden. Möglicherweise
kann dieses Verständnis dabei helfen, Anpassungs- und Erneuerungsprozesse besser zu
verstehen, die in nachhaltige, grüne Ökonomien auf regionaler Ebene führen könnten.

4 Fazit

Insgesamt bleibt festzustellen, dass sowohl in der Geographischen Entwicklungsforschung


als auch in der Wirtschaftsgeographie das Konzept der Resilienz in die jeweils bestehen-
den Perspektiven eingeführt wurde, diese aber weitestgehend unverändert geblieben sind.
Während beide Forschungsfelder politikrelevant sind, ist zu erwarten, dass die Ergänzung
der bestehenden konzeptionellen Ansätze um Resilienz diese Relevanz noch verstärken
wird. Dies kann demnach auch als eine Motivation für die Auseinandersetzung mit dem
Konzept gesehen werden. Schließlich signalisiert in beiden Fällen diese Auseinander-
setzung eine verstärkte Aufmerksamkeit innerhalb der Geographie für neue politische
Der Begriff der Resilienz in der Humangeographie 99

Themen und Notwendigkeiten. Allerdings führt diese auch zu Uneindeutigkeit und Ver-
wirrung, denn Resilienz kann hier keineswegs das gleiche sein wie im sozial-ökologischen
Systemdenken. Mehr noch steht die Nutzung des Resilienzkonzepts in beiden Fällen nicht
für das Einnehmen einer vollständigen Systemperspektive, vielmehr wird eine solche ab-
gelehnt oder nur behelfsmäßig und zusätzlich eingenommen. Das heißt, dass keinesfalls
ein systemtheoretischer Ansatz wie er im ökosystemaren Denken verankert ist, angewen-
det wird, was wiederum darauf hindeutet, dass es auch weiterhin zu Kommunikations-
problemen zwischen den verschiedenen Forschungsperspektiven kommen wird. Diese
Kommunikationsprobleme zu überwinden ist angesichts der dringenden globalen Heraus-
forderungen und dem damit zusammenhängenden Forschungsbedarf mehr als notwendig,
es kann aber bereits helfen, die jeweiligen eingenommenen Perspektiven klar voneinander
abzugrenzen und zu verstehen sowie als gleichermaßen berechtigt anzunehmen.
100 Amra Bobar und Gordon Winder

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Selbsterhaltung, Kontrolle, Lernen
Zu den normativen Dimensionen von Resilienz

Martin Schneider und Markus Vogt

Zusammenfassung

In vielen praktischen, professionellen und politischen Feldern ist Resilienz zu einer


kaum hinterfragten normativen Orientierung avanciert. Um den Resilienzdiskurs in
ethischer Perspektive zu erschließen und zu bereichern, gehen wir in drei Schritten
vor. Zunächst nehmen wir die Wahrnehmung eines Nachholbedarfs an gesellschafts-
theoretischer Reflexion des Resilienzbegriffs zum Anlass, um einen zentralen Fokus
von Resilienz, die Funktionserhaltung, mit den Begriffen Schutz und Nachhaltigkeit
sozial- und umweltethisch zu reflektieren. Darauf aufbauend schlagen wir vor, den be-
kannten deskriptiven Resilienzdimensionen Persistenz, Adaptation und Transforma-
tion die normativen Leitbilder Selbsterhaltung, Kontrolle und Lernen gegenüberzu-
stellen. Unsere Überlegungen knüpfen an empirische Erkenntnisse und lebensweltliche
Erfahrungen an und rekonstruieren auf diesem Weg die Relevanz des Resilienzbegriffs
für ethisch-politische Diskurse. Eine wichtige Scharnierfunktion nehmen unsere Über-
legungen zur Response-Fähigkeit als zentralem Merkmal von Resilienz ein.

1 Einleitung

Der vor kurzem noch weitgehend unbekannte Terminus Resilienz ist in den letzten Jah-
ren zu einem Leitbegriff wissenschaftlicher und populärwissenschaftlicher Publikationen
aufgestiegen. Längst hat er sich von seinem ingenieur- und materialwissenschaftlichen
Ursprung losgelöst und wird in ganz unterschiedlichen Disziplinen und Kontexten ver-

103
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2018
M. Karidi et al. (Hrsg.), Resilienz,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-19222-8_6
104 Martin Schneider und Markus Vogt

wendet (Endreß und Maurer 2015; Vogt und Schneider 2016; Wink 2016). Auffällig ist
aber, dass sogar in interdisziplinär ausgerichteten Sammelbänden theologische, ethische
und philosophische Beiträge fehlen. Das hat auch damit zu tun, dass Theologie, Philo-
sophie und Ethik gerade erst beginnen, die Resilienzforschung wahrzunehmen und nach
einer eigenen Positionierung zu fragen.1 Weil bei der Resilienz die Reaktion (Antwort) auf
Umbrüche und Probleme im Mittelpunkt steht, haben wir vorgeschlagen, die Response-
Fähigkeit als Ausgangspunkt zu nehmen, um auf rekonstruktivem Wege normative Facet-
ten von Resilienz herauszuarbeiten (Schneider und Vogt 2016; Vogt und Schneider 2016;
Schneider 2017; Schneider und Vogt 2017). In diesem Beitrag wollen wir unsere Überle-
gungen in drei Schritten vertiefen und erweitern. Zunächst nehmen wir die Wahrnehmung
eines Nachholbedarfs an gesellschaftstheoretischer Reflexion des Resilienzbegriffs zum
Anlass, um den zentralen Fokus von Resilienz, die Funktionserhaltung, mit den Begriffen
Schutz und Nachhaltigkeit sozial- und umweltethisch zu reflektieren. Auf die politische
Dimension dieses Zugangs verweist die Querverbindung zum „Liberalismus der Furcht“.
Darauf aufbauend schlagen wir vor, den bekannten deskriptiven Resilienz-Dimensionen
Persistenz, Adaptation und Transformation die normativen Leitbilder Selbsterhaltung,
Kontrolle und Lernen gegenüberzustellen. Unsere Überlegungen knüpfen an empirische
Erkenntnisse und lebensweltliche Erfahrungen an und rekonstruieren auf diesem Weg die
Relevanz des Resilienzbegriffs für ethisch-politische Diskurse. Methodisch gehen wir da-
bei von einem pragmatistischen Ansatz aus (Dewey 2007 (1925); Festl 2015; Schneider
2017).
Gerade weil wir Resilienz als einen ethisch gehaltvollen Begriff betrachten, ist es in
unserer Sicht aber auch berechtigt und notwendig, kritisch auf seine Ambivalenz und Klä-
rungsbedürftigkeit zu schauen. Durch eine solche „Kritik der Resilienz“ können Ethiker
und Philosophen wesentlich zur Präzisierung des Begriffs sowie zu einem konstruktiven
Dialog zwischen seinen unterschiedlichen Verwendungsweisen und Kontexten beitragen.
Welche Aspekte dies sind und warum wir trotzdem den Begriff der Resilienz aufgreifen,
sind die zwei Themen, auf die wir zu Beginn unseres Beitrags eingehen.

1.1 Kritik der Resilienz

In vielen praktischen, professionellen und politischen Feldern ist Resilienz zu einer kaum
hinterfragten normativen Orientierung avanciert. Gerade gesellschaftswissenschaftliche
Beiträge sehen das kritisch. Sie steigen zwar nicht selten damit ein, den Ursachen für
den Siegeszug des Resilienz-Begriffs nachzugehen, kritisieren dann aber vor allem die
„starke normative Aufladung“, die unter der Hand mit dem Verweis auf die Resilienz

1 Beispiele sind Sedmak und Bogaczyk-Vormayr 2012, Sedmak 2013 sowie das Themenheft „Re-
silienz – Problemanzeige und Sehnsuchtsbegriff“ der Zeitschrift Praktische Theologie (2016/2),
das Themenheft „Theologische und ethische Dimensionen von Resilienz“ der Münchner Theolo-
gischen Zeitschrift (2016/3) und der von Cornelia Richter herausgegebene Sammelband Ohnmacht
und Angst aushalten. Kritik der Resilienz in Theologie und Philosophie (Richter 2017).
Selbsterhaltung, Kontrolle, Lernen 105

von Individuen und Systemen eingeführt werde (Meyen 2016; Rungius und Weller 2016;
Richter 2017; Rungius et al. 2018). Es werde immer vorausgesetzt, dass jemand oder etwas
erhaltenswert ist bzw. überleben soll. Vor allem folgende drei Punkte werden in diesem
Zusammenhang genannt: Zum einen wird kritisiert, dass kaum explizit reflektiert wird,
für welche Individuen oder Systeme die oben genannte Annahme gelten soll und für wel-
che nicht. Um dies tun zu können, das heißt um die Resilienz bestimmter Systeme als
wünschenswert beurteilen zu können, braucht man Maßstäbe, die sich nicht aus der Resi-
lienz ableiten lassen (zum Beispiel Leitwerte wie Freiheit, Menschenwürde, Gerechtigkeit
und Nachhaltigkeit). Diese Anfrage weist zurecht darauf hin, dass Resilienz lediglich ein
funktionales Konzept ist, das keinen Selbstwert darstellt. Dass sich gerade totalitäre Herr-
schaftssysteme als resilient erweisen (zum Beispiel Nordkorea), ist aus normativer Sicht
natürlich höchst problematisch. Komplexer wird die „Kritik der Resilienz“, wenn darauf
verwiesen wird, dass aus der Resilienz für sich alleine kein Schutz von besonders ver-
wundbaren und „schwächeren“ Lebewesen begründet werden kann. Der Erfolg oder das
nackte Überleben liefern nicht die Kriterien, die darüber entscheiden, ob eine Entwick-
lung die gelungene Überwindung einer in die Krise geratenen Formation ist. Ein solcher
Schluss vom faktischen Evolutions- oder Geschichtsverlauf auf eine moralische Qualität
verfällt dem naturalistischen Fehlschluss und unterscheidet sich strukturell nicht von dem
sozialdarwinistischen Konzept des „survival of the fittest“ (Vogt 1997, S. 79ff.).
Ein zweiter Grund, der Resilienzkonzepte aus gesellschaftswissenschaftlicher und
ethischer Sicht zumindest klärungsbedürftig erscheinen lässt, bezieht sich auf das Ziel der
Bestandserhaltung. Weil „nur“ die Reaktion auf externe Transformationen im Mittelpunkt
stehe, werde jeglicher aktive Transformationsanspruch aufgegeben (Steinhilber 2016), so
eine vielfach vorgetragene Kritik. Hinweisen darauf, dass sich Resilienz von „Resistenz“
oder einfacher Robustheit grundlegend unterscheide und genau aus diesem Grund zwi-
schen unterschiedlichen Resilienzdimensionen, nämlich zwischen „persistence“, „adapta-
bility“ und „transformability“ differenziert werde (Walker et al. 2004; Folke et al. 2010),
wird damit gekontert, dass es „Beständigkeit und Wandel“ zur gleichen Zeit nicht geben
könne (Rungius und Weller 2016). Diese Anfrage verweist auf ein nur schwer auflösbares
Spannungsverhältnis. Denn jede Beschreibung von Veränderung setzt etwas voraus, das
mit sich identisch bleibt. Aber oft fehlen klare Kriterien, um zu beurteilen, ob etwas, das
sich transformiert, noch „es selbst“ oder „etwas Anderes“ ist (Nida-Rümelin und Gut-
wald 2016, S. 259f.). Auch die Unterscheidung zwischen dem, was noch Adaption ist, und
dem, was schon als Transformation bezeichnet werden kann, fällt nicht immer leicht. Man
kommt aus dem paradoxen Verhältnis von Wandel und Bewahrung nicht hinaus. Irgend-
etwas bleibt konstant, anderes muss sich verändern. Bisweilen kann gerade die Fähigkeit,
sich zu wandeln, das besonders Erhaltenswerte sein.
Ein dritter Anlass für die normative Klärungsbedürftigkeit sind Ratgeber, die unter Ver-
weis auf Resilienz „Das Geheimnis der psychischen Widerstandskraft“, „Die 5 Geheim-
nisse der Überlebenskünstler“ und „Die Strategie der Stehauf-Menschen“ (Berndt 2013;
Zolli und Hearly 2013; Gruhl 2008) lüften wollen. Kritische Beiträge problematisieren
die damit verbundene Verantwortungsübertragung auf die Subjekte. Wenn zum Beispiel
106 Martin Schneider und Markus Vogt

Mitarbeiter*innen einer Firma in Stressbewältigung und Resilienz geschult werden, damit


sie die zunehmenden Arbeitsbelastungen besser aushalten, anstatt etwas an den Arbeits-
bedingungen zu ändern, dann, so die Kritik, werden eher Symptome bekämpft, als dass
man sich mit den strukturellen Ursachen auseinandersetzt. In Beiträgen, die Foucaults
Gouvernementalitäts-Ansatz nahestehen (Kemmerling und Bobar 2018), wird Resilienz
als Ausdruck eines dezidiert neoliberalen „Regimes“ verstanden, in dem Verantwortun-
gen, die vormals bei staatlichen Institutionen lagen, auf Individuen oder die Bevölkerung
übertragen werden. Der Einzelne habe um der erfolgreichen Arbeitskraft willen für die
Aufrechterhaltung und Verbesserung der dafür notwendigen Bedingungen zu sorgen. Das
„unternehmerische Selbst“ (Bröckling 2007) werde zum bestimmenden Leitbild, Eigen-
verantwortung „zu einer Vokabel sozialer Disziplinierung“ (Nachtwey 2016, S. 97) – und
der Verweis auf die Resilienz sei ein Teil davon (Hurtienne 2016; Meyen 2017; Hurtienne
und Koch 2018).
Wenn Gesellschafts- und Geisteswissenschaftler die Schwächen von Resilienzkonzep-
ten zu einer „Kritik der Resilienz“ verdichten, dann machen sie genau das, was sie in-
nerhalb des wissenschaftlichen Diskurses auszeichnet (Meyen 2016; Schneider und Vogt
2017). Ihre Aufgabe ist es, darauf hinzuweisen, dass jegliches Analysieren, Verstehen und
Interpretieren an bestimmte Vorbedingungen geknüpft ist, das heißt an Vorwissen und
Vorannahmen, an ausgewählte Fragestellungen und spezifische Begriffsschemata, an die
mit Messmethoden verbundene Fokussierung der Wahrnehmung sowie an Wertannah-
men und Interessen. Sobald man diese Perspektive einnimmt, folgt man dem sozialkons-
truktivistischen Pfad. Das wiederum bedeutet: Es gibt nicht die Resilienz, sondern nur
das, „was als Resilienzstrategie und Resilienzressource im jeweiligen soziohistorischen
Kontext gedeutet und codiert wird“ (Endreß und Rampp 2015, S. 45). Dieses Vorgehen
führt folgerichtig zu macht- und herrschaftstheoretischen Fragen und zur „Entlarvung“
der Prozesse, die für die Hegemonie von bestimmten Wahrnehmungen, Deutungen und
Wissensbeständen in den jeweiligen Resilienz-Diskursen verantwortlich sind.

1.2 Blickwechsel: Von der Krise zur Chance

Auch wir sehen uns dem kritischen Vorgehen verpflichtet. Und doch sind wir der An-
sicht, dass die Ethik nicht bei der „Kritik der Resilienz“ stehen bleiben sollte. In unseren
Augen ist es auch wichtig (und berechtigt), das ernst zu nehmen, was durch Resilienz-
diskurse besser gesehen – und nicht nur auf das zu verweisen, was durch sie alles aus-
geblendet wird. Es ist nicht grundlos, so unsere Annahme, dass der Resilienzbegriff in
unterschiedlichen Kontexten verwendet wird und eine breite Faszination auslöst. Aus der
Beschreibung gelungener Resilienzpraktiken ergeben sich Hinweise auf ethische Heraus-
forderungen und Gehalte. In diesem Sinne verweisen wir nicht nur auf externe Kriterien,
um normative Dimensionen ins Spiel zu bringen, sondern rekonstruieren die Normativität
aus den Resilienzkonzepten und –praktiken selbst (Schneider 2017; Schneider und Vogt
Selbsterhaltung, Kontrolle, Lernen 107

2017). Auf diesem Weg wollen wir dann auch zeigen, dass Resilienz nicht nur funktionale,
sondern auch normative Anteile hat.
Ähnlich wie Michael Meyen gehen wir also in unserem Beitrag von der Frage aus: „Was
sieht man durch die Resilienz-Brille besser“ (Meyen 2016)? Meyen gibt die Antwort: „Wer
von Resilienz spricht, hat erstens eine Bedrohung im Sinn (die von außen kommen kann,
von innen oder aus beiden Richtungen zugleich), muss zweitens die Funktionen bestim-
men, die (zum Beispiel) ein soziales Funktionssystem für die Gesellschaft hat, und dann
nach Schwachstellen und Stärken dieses Systems suchen, und konzentriert sich folgerichtig
drittens auf Systemerhalt, auf Überleben und auf Verbesserung. Selbst Katastrophen sieht
man durch die Brille Resilienz nicht mehr schwarz, sondern als Gelegenheit zum Lernen“
(ebd.; vgl. Meyen 2015). In Kurzfassung: „Wer von Resilienz spricht, hat erstens immer
eine Bedrohung im Sinn, auf die zweitens erfolgreich reagiert werden kann“ (Vogt und
Schneider 2016, S. 181). Durch die Resilienz-Brille wird also der Blick für Bedrohungen,
Krisen und Umbrüche geschärft. Daher ist es auch kein Zufall, dass Resilienzdiskurse vor
allem in Krisenzeiten Konjunktur haben. Der besondere Charme des Resilienzbegriffs
liegt aber im zweiten Aspekt, nämlich darin, dass sich Resilienzkonzepte mit Potentialen
der Problemlösung beschäftigen. Von Interesse ist nicht mehr (vorrangig) der Mangel an
etwas. Der Blick bleibt nicht haften bei angstauslösenden Katastrophen und Defiziten,
sondern wendet sich auf die oft verborgenen Potentiale und Ressourcen, die hilfreich sind,
um gegen Störungen weniger anfällig zu sein und radikalen Wandel zu meistern.

2 Selbsterhaltung und Schutz

Weniger anfällig zu sein, von Schocks und disruptiven Ereignissen nicht vollkommen aus
der Bahn geworfen zu werden und anpassungs- und wandlungsfähig zu sein – all das sind
Aspekte von Resilienz. Welche Dimension auch hervorgehoben wird, im Endeffekt geht
es immer um die Funktionserhaltung von Systemen (und auch Menschen). So beschreibt
Crawford Stanley Holling in einer klassisch gewordenen Definition Resilienz als „a meas-
ure of the persistence of systems and of their ability to absorb change and disturbance
and still maintain the same relationships between populations or state variables“ (Holling
1973, S. 14). Hinter der von Holling hervorgehobenen Fähigkeit, auf Krisen und Umbrü-
che anpassungsfähig zu reagieren, steht das Ziel, zu überleben. In normativer Hinsicht ist
das Überleben-Wollen auf den ersten Blick nicht gerade anspruchsvoll. Der Selbsterhal-
tungstrieb ist angeboren und damit keine spezifisch moralische Leistung. Auf der anderen
Seite verweist die Tatsache, dass wir den Selbstschutz und den Schutz von Anderen als ein
moralisches Gebot ansehen, auf die normative Dimension des Überleben-Wollens. Zum
einen sind wir gefordert, uns um das eigene Überleben zu sorgen, zum anderen fühlen
wir uns für das Überleben von Anderen verantwortlich. Der Mensch, und zwar jede und
jeder, ist des Schutzes bedürftig und infolge seiner Würde des Schutzes wert (Witschen
2014). Das gilt für uns selbst als auch für Andere. Dadurch, dass wir allen Menschen Wür-
de zusprechen, wird die jeweilige Selbsterhaltung transzendiert und der Schutzanspruch
108 Martin Schneider und Markus Vogt

universalisiert. Aristoteles drückt diese Spannung so aus, dass der Staat zwar um des
Überlebens willen entstehe, aber um des guten Lebens willen bestehe (Aristoteles, Politeia
1252 b 29f.).
Das Nachhaltigkeitsprinzip kann in diesem Zusammenhang als die Forderung verstan-
den werden, den Schutzanspruch auf alles Lebendige bzw. auf den gesamten oikos, die
Erde, zu übertragen (Vogt 2013, S. 110ff.). Wir setzen uns für Nachhaltigkeit ein, weil wir
die Lebensgrundlagen erhalten wollen. Auf diese Perspektive weist schon der Wortstamm
von Nachhaltigkeit hin. Keine Nachhaltigkeit ohne Halt bzw. Erhaltung. Die Frage ist
dann nur, was erhalten werden soll. Hans Jonas hat hierfür in seinem Werk Das Prinzip
Verantwortung eine entscheidende Maxime formuliert. Dass die Reihe der Generationen
überhaupt weitergehen soll, ist seiner Ansicht nach angesichts der Destruktionspotentiale
moderner Technologien eine vorrangige ethische Frage. „Handle so, dass die Wirkungen
deiner Handlung verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf
Erden“ (Jonas 1984, S. 36). Jonas fordert hier so etwas wie eine zeitlich und räumlich
entgrenzte Resilienzperspektive ein. Es soll nicht nur eine bestimmte Entität, sondern die
Menschheit als Ganzes erhalten werden2; und dies nicht nur im Hinblick auf die aktuell
Lebenden, sondern auch für die zukünftigen Generationen. Damit diese überhaupt leben
können, mahnt Jonas zu einer „Heuristik der Furcht“ (ebd., S. 63f.), mit der vermieden
werden soll, dass Entwicklungspfade beschritten werden, die die Lebensgrundlagen und
das „Dasein“ zukünftiger Generationen gefährden.
An der von Jonas ins Spiel gebrachten „Heuristik der Furcht“ kann kritisiert werden,
dass sie eine zu defensive Strategie ist, die möglicherweise Handlungspotentiale lähmt
(Hasted 1991, S. 172; Vogt 2013, S. 369ff.). Faszinierend daran ist aber, dass der anspruchs-
volle Auftrag, die eigene Perspektive in räumlicher und zeitlicher Hinsicht zu entgrenzen,
mit dem basalen Bedürfnis nach Selbsterhaltung verknüpft wird. Basal ist dieses Bedürf-
nis, weil es auf dem Gefühl der Furcht aufbaut. „Für die Furcht gilt ohne Wenn und Aber,
dass sie so allgemein wie physiologisch ist. Sie ist eine sowohl geistige als auch körper-
liche Reaktion und sie befällt Tiere nicht weniger als Menschen. Am Leben zu sein heißt
Furcht zu haben, und das nicht selten zu unserem Vorteil, denn das Erschrecken schützt
uns oft vor Gefahren“ (Shklar 2013, S. 44f.). In diesem Sinne kann dann die von Jonas ins
Spiel gebrachte „Heuristik der Furcht“ als „Heuristik der Vorsicht“ interpretiert werden.
Gerade weil die menschliche Entdeckerlust und Neugier selbstzerstörerische Auswirkun-
gen haben kann, ist es um der Selbsterhaltung willen notwendig, vorsichtig zu sein und
über die Folgen nachzudenken. Die „Heuristik der Furcht“ hat in diesem Zusammenhang
die Funktion, vor Überforderung und unkontrollierbaren Entwicklungen zu schützen. Sie
ist nicht notwendig mit einer defensiven Haltung gegenüber Innovationen verbunden, son-
dern lässt sich auch offensiv im Sinne einer „Risikomündigkeit“ interpretieren (Vogt 2013,
S. 369ff.).

2 Dies ist ein reichlich interpretationsbedürftiges Ziel. In normativer Hinsicht schließt sich daran zum
Beispiel die Frage an: Wie viele Menschen darf man für die Erhaltung „der Menschheit“ opfern?
Selbsterhaltung, Kontrolle, Lernen 109

In den Augen von Judith Shklar muss auch eine politische Theorie auf die anthropo-
logische Grundkonstante der Furcht zugeschnitten sein. Ein Vorteil daran sei, dass man
möglichst wenig voraussetzen und „vollkommen nicht-utopisch“ (Shklar 2013, S. 37)
ansetzen kann. Man muss nicht, so Shklar, von natürlichen Rechten ausgehen oder die
Selbstverwirklichung eines inneren Wesens an die oberste Stelle setzen (ebd., S. 37ff.). Es
reicht aus, sich an die anthropologische Grundannahme zu halten, dass der Mensch sich
fürchtet und verletzbar ist.3 Shklar entwickelt aus dieser Intuition einen „Liberalismus der
Furcht“, in dem die Sicherung des Überlebens („recipe of survival“) und die Erwartungen
nach Schutz legitime Erwartungen und vordringliche Aufgaben staatlichen Handelns sind.
Wir haben Jonas‘ und Shklars Ansatz als Bezugspunkt gewählt, um zu zeigen, dass
der Fokus auf die Selbsterhaltung und das Überleben nicht einfach nur anspruchslos oder
intellektuell bescheiden ist. Wenn dieses Bedürfnis mit moralpsychologischen Überlegun-
gen zur Bedeutung der Furcht verknüpft wird, könnte daraus ein zwar minimalistischer,
aber trotzdem radikaler, weil an der Wurzel menschlicher Befindlichkeiten andockender
ethischer Ansatz entwickelt werden. Wie Shklar kritisiert auch Hans Jonas in seiner Über-
lebensethik der intergenerationellen Verantwortung den „anthropologischen Irrtums der
Utopie“ (Jonas 1984, S. 385) und postuliert eine Revision des Verhältnisses von Furcht,
Hoffnung und Verantwortung (ebd., S. 390ff.). Von den auf Funktions- und Selbsterhaltung
zielenden Resilienzkonzepten könnte in diesem Sinne gelernt werden, nicht auf „utopi-
sche“ Ziele zu setzen, sondern auf die „wirklichen“ und vorrangigen Probleme zu schauen
und sich auf die Aspekte zu konzentrieren, die das Überleben und den Schutz der Men-
schen sichern. Dabei ist die „Heuristik der Furcht“ und die berechtigte Sorge um mögliche
Gefahren und Katstrophen psychologisch, ethisch und theologisch zu unterscheiden von
einer Haltung der Angst, die lähmt und nur auf sich selbst fixiert ist. Letztere bezeichnet
Kierkegaard als Ursprung aller Sünde (Kierkegaard 1984 (1844), S. 26ff.). Sorge um das
Überleben dagegen befähigt zu nüchterner Prioritätensetzung und zum Handeln. Wenn
das Überleben nicht gesichert ist, werden auch alle weitergehenden Ziele unerreichbar.
Mit diesem Blick-Wechsel verlagert sich auch das Erkenntnisinteresse. Nicht mehr die Be-
gründung von Prinzipien steht dann im Fokus, sondern die Problemlösungspraxis.

3 Kontrolle und Autorschaft

Bedrohungen, Krisen und Umbrüche wahrzunehmen und Indizien dafür nicht zu verdrän-
gen ist ein wesentlicher Faktor von Resilienz. Das Gefühl der Furcht kann dafür hilfreich
sein, wobei mit Resilienz die Haltung verknüpft ist, nicht in lähmende Angst zu verfallen,
sondern Response-Fähigkeiten zu entwickeln. Dabei sollte die Response nicht im Sinne
eines Reiz-Reaktions-Mechanismus verstanden werden, wie dies lange Zeit in der Psy-
chologie und Verhaltensforschung verbreitet war. Nicht zuletzt im Deutschen drängt sich

3 Hier kann auch auf Martha Nussbaum verwiesen werden, die die „vulnerability premise“ in den
Debatten um Menschenrechte und Menschenwürde hervorhebt (Nussbaum 2014, S. 63ff., 2010).
110 Martin Schneider und Markus Vogt

dieses Missverständnis auf, wenn Response mit „Reaktion“ und nicht mit „Antwort“ über-
setzt wird (Waldenfels 2007, S. 319ff.). Das heißt: Wer resilient ist, verhält sich responsiv,
er antwortet auf etwas, auf einen anderen Menschen, auf eine Situation oder auf eine
Entwicklung. Genau das ist aber auch ein zentraler Aspekt einer responsiven Ethik, wie
Bernhard Waldenfels sie entwickelt hat (2006, 2010). Responsivität ist für Waldenfels ein
„Grundzug, der unser gesamtes Verhalten zur Welt, zu uns selbst und zu Anderen prägt“
(2007, 2010, S. 71). Eine responsive Ethik geht von der Responsivität aus und nimmt ernst,
dass das Spezifische einer Response darin besteht, auf fremde Ansprüche einzugehen.
Das Antworten zeichnet sich „dadurch aus, dass es anderswo beginnt. Es beginnt damit,
dass uns etwas oder jemand anreizt, verlockt, bedroht, herausfordert oder anspricht, be-
vor wir uns selber Ziele setzen oder allgemeine Normen anwenden“ (Waldenfels 2010,
S. 72). Wenn wir auf Ereignisse und Herausforderungen antworten, dann stehen sie uns
nicht beziehungslos und kalt gegenüber, wir lassen uns durch ihre Valenz (und manchmal
auch Ambivalenz) herausfordern und verwandeln sie in kooperative Faktoren. Nicht die
Wirkungen sind dann das Entscheidende, sondern die Wechselwirkungen. Eine wichtige
Rolle in diesem Response-Prozess spielen Emotionen. Wir sprechen nicht ohne Grund
von Gefühlsreaktionen. Mit Gefühlen reagieren wir auf etwas und auf andere Menschen.
Wir nennen dies deswegen auch Affekte und unterscheiden davon Emotionen (Rosa 2016,
S. 279f.). Die Furcht ist eine Gefühlsreaktion auf konkrete Gefahren (ebd., S. 201). Von der
Resilienzforschung können wir in diesem Kontext lernen, dass es wichtig ist, Affekte zu
regulieren bzw. zu beherrschen. Wir sprechen deshalb von Beherrschung, wenn wir von
uns oder von anderen erwarten, Gefühlen nicht einfach freien Lauf zu lassen.
Die Frage von Beherrschung und Kontrolle spielt auch für die Response auf politi-
sche und gesellschaftliche Entwicklungen eine wichtige Rolle. So weist Judith Shklar in
ihren phänomenologischen und historischen Analysen immer wieder darauf hin, dass sich
Menschen vor allem davor fürchten, Entwicklungen, Machthabern etc. hilflos ausgeliefert
zu sein und keine Kontrolle mehr zu haben. In der Resilienzforschung spielen in diesem
Kontext die Begriffe „mastery“ (Beherrschbarkeit) und „agency“ (Handlungsfähigkeit)
eine wichtige Rolle (Boss 2008, S. 136). Damit ist gemeint, dass Menschen umso resi-
lienter sind, je weniger sie sich in der Rolle von Opfern sehen, je handhabbarer sie die
Situation wahrnehmen (je beherrschbarer sie also ist) und je mehr Handlungsspielräu-
me sich eröffnen. Resilient ist, wer von seiner Umwelt, von Veränderungen, Krisen und
Schocks nicht einfach überrollt wird, also nicht die Kontrolle verliert und die Situation
beherrscht. Laut Leonard Pearlin hat Beherrschbarkeit aus zwei Gründen eine positive
Funktion: „Zum einen verringert das Gefühl der Kontrolle von sich aus schon das Gefühl,
von bedrohlichen Bedingungen verletzt zu werden, wodurch auch die Angst vor bedroh-
lichen Bedingungen verringert wird. Zum anderen kann Beherrschbarkeit die Funktion
einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung haben. Das heißt: Wenn ein Mensch das Gefühl
hat, eine Bedrohung kontrollieren zu können, verhält er sich tendenziell entsprechend und
kann so diese Bedrohung vielleicht tatsächlich erfolgreich abwehren“ (Pearlin 2005; Boss
2008, S. 138). In der psychologischen Literatur wird in diesem Zusammenhang vielfach
Selbsterhaltung, Kontrolle, Lernen 111

auf Selbstwirksamkeitserfahrungen verwiesen, d. h. auf die Überzeugung eine Wirkung


in der Welt zu haben und diese auch kontrollieren zu können (Bandura 1977, 1982, 1993).
Dabei ergibt sich allerdings die Gefahr einer ideologisierenden Verantwortungsüber-
tragung auf den Einzelnen, als brauche er nur mehr Gestaltungswillen und Kraft zu ha-
ben, um Bedrohungen zu bewältigen. Von Shklars „Liberalismus der Furcht“ kann gera-
de gelernt werden, dass der Schutz vor Verletzung, Grausamkeit und Erniedrigung zum
Kernbestand eines liberalen Staates zählt. Um die Furcht zu verringern und die Kont-
rolldimension zu stärken, bedarf es Rahmenbedingungen und rechtlicher Garantien. Ein
Beispiel hierfür ist die Finanzkrise von 2008. An deren Folgen hatten vor allem Arme
zu leiden – und hier wieder vor allem Arme in den unterentwickelten Regionen der Welt
(Emunds und Reichert 2013). Besonders getroffen wurden sie, weil Sicherungsmechanis-
men fehlten. Ohne diese waren sie den „Schockwellen“ ungeschützt ausgeliefert. Dass
fehlende Sicherungsmechanismen oder ihr Abbau auch in Industrienationen zu steigender
sozialer Verwundbarkeit führen, zeigen die Forschungen zur Prekarisierung der Arbeits-
welt. Beschrieben wird damit der Prozess der Verunsicherung und Verwundbarkeit, der
mit der Flexibilisierung des Arbeitsalltags und der Globalisierung der Wirtschaft einher-
geht (Schneider 2011). Robert Castel spricht auch von einer „Zone der Verwundbarkeit“,
die weit in die Mitte der Arbeitnehmerschaft hineinreicht (2008) und „in hohem Maße
der Schwächung und Auflösung der schützenden Strukturen geschuldet ist“ (2009, S. 27).
Die genannten Beispiele haben ein Charakteristikum gemeinsam: Die Bewältigung von
Veränderungen, Krisen und Schocks hängt mit dem Vorhandensein von (sozialen) Siche-
rungs- bzw. Versicherungsmechanismen zusammen (Hurtienne und Koch 2018). Fehlen
jene, öffnet sich das Fenster der Verwundbarkeit. Demgegenüber trägt die – auch sozial
und institutionell ermöglichte – Resilienz dazu bei, den „Wellen“ sich rasch wandelnder
Rahmenbedingungen und kaum steuerbarer Trends nicht schutzlos ausgeliefert zu sein.
Sicherungen und Schutzmaßnahmen stärken die Kontrolle.
Die Kontrolldimension ist auch das grundlegende Kennzeichen von Autorschaft, auf
das sich Julian Nida-Rümelin und Rebecca Gutwald in ihrer Philosophie der Resilienz
beziehen (Nida-Rümelin und Gutwald 2016). Nida-Rümelin versteht unter Autorschaft,
dass Individuen Gründe angeben können, warum sie so und nicht anders gehandelt ha-
ben, und die Möglichkeit haben, zwischen verschiedenen Handlungsoptionen abzuwägen
(2016, S. 379ff.). Für die Verknüpfung von Autorschaft und Resilienz spricht vieles, al-
lerdings sollte man sich nicht dazu verleiten lassen, zu stark die Rolle der Vernunft und
der Reflexionsfähigkeit hervorzuheben. Dies zu tun, würde zur Konsequenz haben, von
einem rapiden Bruch zwischen der Resilienz von menschlichen und nichtmenschlichen
Organismen ausgehen zu müssen. Die Resilienzforschung gibt uns aber vielfältige Hin-
weise, nicht den Bruch in den Vordergrund zu stellen, sondern die Übergänge. Deswegen
schlagen wir vor, bei der normativen Rekonstruktion des Resilienzbegriffs bescheidener
anzusetzen, als dies Nida-Rümelin und Gutwald mit dem Leitbild der Autorschaft tun,
und von der Response-Fähigkeit auszugehen. Die Unterschiede zwischen menschlichen
und nichtmenschlichen Organismen können dann als verschiedenartige „modes of re-
sponse“ beschrieben werden. Auf diese Weise, so unsere Hoffnung, können die Kontinui-
112 Martin Schneider und Markus Vogt

täten zwischen präreflexiven und reflexiven Lebewesen rekonstruiert werden, ohne die
Unterschiede und Entwicklungsschritte zu nivellieren. Das Gemeinsame bzw. Kontinu-
ierliche ist, dass sich alles Lebendige, Menschen wie auch ‚niedere‘ Organismen, immer
und unvermeidlich mit ihrer Umwelt auseinandersetzen. Dieser Prozess beruht wiede-
rum auf der Voraussetzung, Entwicklungen nicht einfach ausgeliefert zu sein, sondern
darauf antworten, ja sie ‚beherrschen‘ und ‚kontrollieren‘ zu können. Diese Kontrolle ist
umso besser möglich, wenn ein Organismus nicht einem Entwicklungspfad ausgeliefert ist
und eine Vielfalt von Responses möglich ist. Die Kontrolle der Umwelt und die Möglich-
keit von Handlungsalternativen sind auch Merkmale für eine reflexive Response. Bei-
des erreicht beim Menschen eine weitergehende Entwicklungsstufe. Für den Menschen
ist eigentümlich, dass er nicht nur reagiert (antwortet) und sich entwickelt, sondern dass
er Reaktionsweisen und Entwicklungsprozesse überprüfen und Alternativen in den Blick
nehmen kann. Einem Menschen steht eine Handlungsalternative nicht einfach nur offen,
der Mensch kann Handlungsalternativen ‚produzieren‘.4
Die Resilienzforschung ermöglicht zugleich einen differenzierenden Blick auf das Ide-
al der Kontrolle: Paradoxerweise bewirkt zu viel Kontrolle nicht selten einen Kontrollver-
lust. Ein Kontrollwahn, der alle Unsicherheit ausschalten will, der alles im Griff behalten
und überwachen möchte, lähmt. Um der „Ambiguität und Ungewissheit resilient begegnen
zu können, müssen wir unser Bedürfnis nach Beherrschbarkeit mäßigen“ (Boss 2008,
S. 136). Ohnmacht und Angst müssen ausgehalten werden, ansonsten befällt uns eine un-
bestimmte, lähmende Angst. Handlungsmächtigkeit ist auch darauf angewiesen, dass man
seinen Wunsch nach Beherrschbarkeit relativiert. „Wenn Menschen so sozialisiert und
darauf konditioniert sind, dass sie die Beherrschbarkeit zum Dogma erheben, ohne jemals
davon abzurücken, dann können sie schlecht ihre Resilienz bewahren, wenn die Dinge
sich anders als erwünscht entwickeln – oder wenn Probleme keine Lösungen haben“ (Boss
2008, S. 137). Bernhard Waldenfels hebt in diesem Zusammenhang den Wert des Pathos
hervor (2006, S. 35; 2010, S. 72). Responsiv zu sein bedeutet zunächst passiv zu sein und
sich von fremden Ansprüchen betreffen zu lassen – und in diesem Sinne betroffen zu
sein. Damit verknüpft ist, die Bedeutung von Intentionalität zu relativieren, ohne sie ganz
aufzugeben (Waldenfelds 2006, S. 39f.). Es gibt Situationen, die sich nicht kontrollieren
lassen und in denen eine ethisch und human angemessene Reaktion eher darin besteht,
den Konflikt auszuhalten, vielleicht sogar das damit verbundene Leid bewusst um Ande-
rer willen auf sich zu nehmen. Hildegard Keul unterscheidet hier zwischen „victim“ and
„sacrifice“ (Keul 2016, S. 227ff.).
Die Relativierung der Kontrolldimension ist in besonderer Weise relevant für den Um-
gang mit nicht vorhersehbaren Herausforderungen und Problemen zweiter Ordnung. Für
diese ist das angemessene Reaktionsmuster nicht das Streben nach Kontrolle im Sinne
einer vollständigen Situationsbeherrschung nach einem vorausgehenden Plan, sondern

4 Hier kann auch auf Arbeiten von Amartya Sen und Martha Nussbaum zum Capability-Ansatz
verwiesen werden. Denn dieser kreist ja genau darum, dass es echte Möglichkeiten zum Handeln
braucht. (Sen 2010; Nussbaum 2010; Gutwald 2015).
Selbsterhaltung, Kontrolle, Lernen 113

eine differenzierte Wahrnehmung und die Fähigkeit, die eigenen Handlungsmuster zu


überdenken und gegebenenfalls zu wandeln. Bei komplexen Risiken und unübersichtli-
chen Situationen ist Handeln trotz Nichtwissen gefordert (Böschen et al. 2004; Vogt 2013,
S. 369ff.). Dieses sollte einhergehen mit der Bereitschaft, eingeschlagene Wege wieder zu
ändern. Daher mündet die Relativierung des Ideals der Kontrolle in ein Resilienzkonzept,
in dem Rahmenbedingungen für individuelle und institutionelle Lernprozesse einen zen-
tralen Stellenwert einnehmen.

4 Lernen und Reifen

Sowohl in der systemischen als auch in der psychologischen Resilienzforschung wird


davon ausgegangen, dass Resilienz keine wie auch immer vorhandene Eigenschaft ist,
sondern sich in Form eines Entwicklungs- und Lernprozesses herausbildet. So wie im
Rahmen des Konzeptes einer evolutionary adaptive resilience Unsicherheiten, Krisen und
Umbrüche als Herausforderungen angesehen werden, durch die natürliche oder soziale
Systeme wachsen können, so geht man im psychologischen Kontext davon aus, dass das
„psychische Immunsystem“ durch die komplexen Wechselwirkungen von Gefahren, Ver-
änderungen und Regenerationen gestärkt wird. Sehr eindrücklich zeigt sich dies, wenn
„Personen … nach einem traumatischen Ereignis in der Lage [sind, Verf.], Handlungs-
weisen oder zentrale Kognitionen zu verändern. Dies wird in der Fachliteratur als ‚Post-
traumatische Reifung‘ beschrieben“ (Joseph 2015; Fröschl 2016, S. 320). Bei dieser Di-
mension von Resilienz ist nicht mehr (nur) der Schutz vor Gefahren und Bedrohungen im
Blick, sondern das „Lernen“, mit Veränderungen besser zurechtzukommen bzw. gestärkt
aus Situationen radikalen Wandels hervorzugehen. Welche normativen Bedingungen da-
für gelten und welche auch ethisch relevanten Faktoren Lernprozesse fördern, steht im
Mittelpunkt der folgenden Überlegungen.

4.1 Bedingungen für gelingende Lernprozesse

Entwicklungs-, Reifungs- und Wachstumsprozesse sind höchst anspruchsvoll. In der orga-


nischen Natur mag noch das „Überdauern“ in Dürreperioden ein Charakteristikum einer
resilienten Pflanze sein. Dort erfolgen Entwicklungsprozesse durch die natürliche Selek-
tion begünstigter bzw. resilienter Variationen. Beim Menschen kommt hinzu, dass er das
Wachstum selbst reflektieren und steuernd eingreifen kann. Daraus folgt: Beim Menschen
ist nicht nur die faktische Problemüberwindung der Maßstab für Erfolg, sondern auch die
Problemlösungsdynamik (Jaeggi 2014, S. 405f.). Für den Menschen stellt sich stets die
Frage, wie beschaffen die Prozesse sind, mit denen Probleme bewältigt und Wachstum
gefördert wird. Die Prozesse selbst reflektieren zu können, ist seine spezifische Fähigkeit.
Zur Dynamik des psychischen, geistigen und sozialen Wachstums gehört wesentlich
ein Zuwachs an Reflexivität, durch die sich neue Möglichkeiten und Handlungsalterna-
114 Martin Schneider und Markus Vogt

tiven eröffnen. Für die Ethik bedeutet dies, dass das Gesollte nicht primär in der Form
eines abstrakten und allgemeinen Regelwissens gefasst werden kann, sondern sich erst
aus der Erfahrung erschließt. Methodisch folgt daraus, dass die Ethik „pragmatistisch“
aus der gelebten Praxis heraus rekonstruiert werden muss und von Aspekten wie Reali-
tätsnähe, Problembewusstsein und Prozessorientierung geprägt ist. Diese Perspektive ist
eine Denkhaltung, die den Resilienzdiskurs und den Pragmatismus eint (Schneider 2017).5
John Deweys Vorstellung von „Wachstum“ kann zudem genutzt werden, um normative
Bedingungen für gelingende Lernprozesse herauszuarbeiten. Bei ihm sind zwar auch
das Funktionieren und die Selbsterhaltung Kriterien für eine erfolgreiche Problemlösung
(Jaeggi 2014, S. 404). Daneben bezieht sich Dewey aber auf ein weiteres Kriterium, auf ein
„Metakriterium“: nämlich ob die Funktionserhaltung als Lern- und Erfahrungsprozess
gelingt (Jaeggi 2014, S. 405). Genau hierfür verwendet Dewey den Begriff des Wachs-
tums. Wie nun ein gelungener Lernprozess aussieht, hat er zwar weder ausgearbeitet noch
systematisiert, Hinweise lassen sich aber seiner Theorie der Erziehung und des Lernens
entnehmen. Darin beschreibt er Lernprozesse als gelungen, wenn weder gegenwärtige
noch zukünftige Erfahrungen blockiert sind, wenn also Lernblockaden beseitigt werden
sowie Wege und Möglichkeiten offenstehen für „Beziehungen und Zusammenhänge der
Tätigkeiten, in die wir verwickelt sind“ (Dewey 2011 (1916), S. 108). Wachstum vollzieht
sich in seinen Augen dann, wenn durch In-Kontakt-Treten von zunächst isolierten Einzel-
dingen vorhandene Potentiale freigesetzt und realisiert werden (Honneth 2015, S. 97f.;
Särkelä 2015, S. 1120f.). Möglich ist dies, weil sich „assoziatives“ Verhalten auf allen
Stufen des Gegebenen findet. Es reicht vom Physischen über das Organische hinauf bis
zum Mentalen. Die höchste Stufe nimmt für Dewey dann allerdings das „Soziale“ ein,
weil hier durch „spezifisch menschliche Formen der Gruppierung“ (Dewey 2003 (1928),
S. 81) die Freisetzung von Potentialen und die Möglichkeit von „Wachstum“ noch einmal
gesteigert wird; das „Soziale“ bildet die „umfassende philosophische Idee“ in dem Sinn,
dass in ihm die vorherigen Grade der Realität zu ihrer vollsten Verwirklichung kommen.
Für die höchste Stufe der Wirklichkeit gilt aber nach Dewey kein anderer Maßstab als für
die anderen Stufen: Die Response-Prozesse führen umso mehr zu „Verbesserungen“ und
zu „Wachstum“, je mehr Lernblockaden beseitigt werden und je ungehinderter die einzel-
nen Elemente miteinander interagieren können.

4.2 Offenheit und Verwundbarkeit

Die bei Dewey im Fokus stehenden Kriterien für gelingende Lern- und Wachstumsprozes-
se sind auch wichtige Faktoren für die Resilienz von Individuen und Systemen. Realitäts-
nähe und Prozessorientierung sind wichtige Resilienzressourcen. Wer von Ambiguitäten

5 Das ethische Plädoyer für „Realismus“ kann auch dem Verantwortungsbegriff zugeordnet werden,
wie ihn Max Weber als Gegenbegriff zur „Gesinnungsethik“ eingeführt und Willhelm Korff als
Methode der nüchternen Abwägung in nicht auflösbaren Dilemma-Situationen operationalisiert hat
(Weber 1992 (1919); Korff 2001).
Selbsterhaltung, Kontrolle, Lernen 115

nicht aus der Bahn geworfen wird, wer Problemen nicht ausweicht und offen ist für neue
Erfahrungen und Erkenntnisse, ist resilient (Boss 2008). Wie wir gesehen haben ist zwar
das Ziel, die Funktions- und Selbsterhaltung zu sichern, ein wichtiger Bezugspunkt von
Resilienz. Das heißt aber nicht, dass die Abschottungspraxis der Weisheit letzter Schluss
ist. Das Gegenteil ist der Fall. Interessant sind in diesem Zusammenhang die „paradoxe[n]
Zusammenhänge“ (Fooken 2016, S. 16) zwischen Vulnerabilität und Resilienz, auf die die
psychologische Resilienzforschung hinweist. Verwundbarkeiten zu verringern, ist nur ein
Ziel von Resilienz. Denn es gilt auch: Verwundbarkeit führt nicht automatisch zum Ab-
sinken von Resilienz (Keul 2016; Schneider und Vogt 2016, S. 201). Der Unverwundbare
ist vielleicht der Stärkere. Stark zu werden setzt aber Verwundbarkeit voraus. Wer offen
für Anderes und Andere ist, macht sich damit auch verletzlich. Durch Offenheit kann
Schwäche in Stärke transformiert werden, weil durch Offenheit Reifungsprozesse ermög-
licht werden. Wenn es gelingt, das eigene Leben als Lernprozess zu sehen, dann kann man
Veränderungen offener wahr- und annehmen und mit Unvorhergesehenem umgehen. Be-
stätigt werden diese Zusammenhänge durch die psychologische Persönlichkeitsforschung.
Offenheit ist eine jener fünf Eigenschaften, die in vielen Studien als grundlegende Di-
mensionen der menschlichen Persönlichkeit identifiziert werden (Glück 2016, S. 39ff.).6
Wer offen ist, so eine Erkenntnis, ist „mehr am Lernen interessiert … als an der eigenen
Sicherheit“ (ebd., S. 51). Offene Menschen „haben gelernt, dass sich alles im Leben ver-
ändern kann, dass diese Veränderungen aber keine Katastrophen sind, auch wenn sie sich
kurzfristig so anfühlen, sondern das Potenzial für Wachstum und Entwicklung in sich
bergen“ (ebd., S. 63).
Für soziale Systeme, Kulturen und Lebensformen gilt ein ähnlicher Zusammenhang:
Nicht zu stagnieren und auf den Status quo zu beharren, sich auf Neues ein- und so-
ziale Lernprozesse zulassen zu können, ist eine Bedingung für Zukunftsfähigkeit und
Resilienz. Wesentliche Einsichten zu den Voraussetzungen gesellschaftlicher Lernpro-
zesse können ex negativo aus der Analyse des Zusammenbruchs von sozialen Systemen
entnommen werden (Diamond 2005; Sedmak 2016, S. 245). Ein wesentlicher Faktor ist
die Unfähigkeit eines Systems, auf (Umwelt-)Veränderungen zu reagieren. Eine Ursache
dafür ist die fehlende Offenheit: „Abgeschlossene“ Kulturen sind nicht lernfähig, und
wenn sie nicht lernfähig sind, drohen sie zu stagnieren und nicht selten auch „unterzuge-
hen“ (Jaeggi 2014, S. 332ff.). Ihr Kollaps wird nicht zuletzt dadurch verursacht, dass trotz
offensichtlicher oder latenter Probleme so weiter gelebt wird wie bisher, und man sich
nicht an die veränderten Bedingungen anpasst bzw. fehlerhaft anpasst („maladapation“).
Realitätsverweigerung, Wahrnehmungsblockaden und Identitätsfixierung (im Gegensatz
zu Prozessorientierung) sind auch wesentliche Kennzeichen des aktuellen postdemokrati-
schen Populismus (Müller 2016, S. 25ff.). Populismus verspricht einfache Lösungen statt
der unbequemen Mehrdeutigkeit komplexer Sachverhalte und Konflikte Rechnung zu tra-

6 Das „Big-Five“-Modell der Persönlichkeitspsychologie, das eine Synthese aus einer Vielzahl von
Studien und Ansätzen bildet, unterscheidet fünf grundlegende, empirisch messbare Dimensionen
der Persönlichkeit: Neurotizismus, Introversion und Extraversion, Offenheit, Verträglichkeit, Ge-
wissenhaftigkeit (John 2008).
116 Martin Schneider und Markus Vogt

gen. Im Unterschied hierzu besteht die Stärke der Demokratie genau darin, dass sie durch
die Institutionalisierung nicht abschließbarer Diskussionsprozesse auf Lernfähigkeit und
damit auf Resilienz ausgerichtet ist (Kolers 2016). Demokratie zeichnet sich infolge der
Institutionalisierung von Opposition durch die Offenheit für Irritationen und die zeitliche
wie parlamentarisch-diskursive Begrenzung der Macht aus (vgl. Müller 2016, S. 91ff.).
Dies scheint in kritischen Auseinandersetzungen eine Schwäche zu sein, erweist sich aber
auf Dauer als Voraussetzung für Lernprozesse und damit als Stärke.

4.3 Relationalität und Retinität

Der Hinweis auf die Demokratie führt zu einem weiteren zentralen Aspekt, auf den auch
Dewey verweist. Neben Realitätsnähe und Prozessorientierung werden Lernprozesse in
seinen Augen dadurch ermöglicht, dass Assoziationsblockaden beseitigt werden und die
einzelnen Elemente ungehinderter miteinander interagieren können. Die Bedeutung von
relationalen Wechselwirkungen wird auch in der Resilienzforschung gesehen. Dies fängt
damit an, dass, wie bereits angesprochen, bei der Response-Fähigkeit die relational-dia-
logische Bedeutungsebene hervorgehoben wird. Auf Ereignisse und Herausforderungen
zu antworten bedeutet, sich auf sie zu beziehen. Resilient ist demnach, wer in relationalen
Wechselwirkungen mit seiner Umwelt steht. Darüber hinaus geht die Vorstellung, dass der
relationale Bezug auf die Wirklichkeit (Ich-Es-Relation) von einer Ich-Du-Es-Relation
getragen wird. Für Clemens Sedmak ist aus diesem Grund Konnektivität ein Resilienz-
faktor (Sedmak 2016, S. 241ff.). Er versteht darunter „auf der Ebene von Personen […] die
Verbindung von einzelnen Personen“ und „auf systemischer Ebene die Verbundenheit des
sozialen Systems mit anderen Systemen, vor allem dem ökologischen System, aber auch
anderen sozialen Systemen“ (ebd., S. 242). Auch Konnektivität hat Offenheit zur Voraus-
setzung. In sich verschlossene Individuen und abgeschlossene Systeme ruhen in sich selbst,
sind sich selbst genug. Offenheit führt zu Selbsttranszendenz und Entgrenzung. Auch das
bereits angesprochene Wechselverhältnis von Verwundbarkeit und Resilienz basiert dar-
auf, dass die Grenzen des eigenen Ichs durchlässig werden – durchlässig für den Anderen,
für sein Leid, seine Hoffnungen und seine Sorgen. Wer verwundbar ist, lässt sich anrühren
von der Situation des Anderen. Es entsteht Konnektivität oder wenn man die emotionale
Komponente hervorhebt: Resonanz (Rosa 2016). Der Soziologe Hartmut Rosa versteht
darunter, dass „das Andere da draußen mit mir so in Beziehung tritt, dass ich durch diese
Beziehung selbst verändert werde, dass ich mich dabei und darin verwandle“ (Rosa 2015,
zitiert nach Knapp 2016, S. 173). Dies ist unserer Ansicht nach auch der springende Punkt,
warum und in welcher Hinsicht Konnektivität ein resilienzfördernder Faktor ist. Konnek-
tivität trägt dazu bei, sich aus blockierten Weltbeziehungen zu befreien und konstituiert
ein dialogisches, von Responsivität und Resonanz geprägtes Weltverhältnis. Dies gilt auch
für systemische und ökologische Zusammenhänge: Die angemessene Wahrnehmung und
nachhaltige Gestaltung der vielschichtigen sozialen Vernetzungszusammenhänge und
der sie tragenden Netzwerke der ökologischen Systeme ist einer der zentralen Imperative,
Selbsterhaltung, Kontrolle, Lernen 117

um die Überlebensfähigkeit der modernen Zivilisation zu sichern. In der Umweltethik


wird diese Herausforderung mit dem Begriff der „Retinität“ umschrieben (Vogt 2013,
S. 347ff.). Eine analytische und systemtheoretische Weiterentwicklung von einem der-
artigen Konzept ist vom Stockholm Resilience Center unter dem Dachbegriff „planetary
boundaries“ vorgenommen worden (Rockström et al. 2009; Steffen et al. 2015). Anhand
kritischer Parameter wie CO2 und Klimawandel, Nitrateintrag in Gewässer, Bodenerosion,
Biodiversität, Versauerung von Meeren etc. werden Schwellen definiert, jenseits derer die
Systemdynamik instabil wird. In diesem Kontext dient der Resilienzbegriff als Brücke
zwischen systemtheoretischen und normativen Zugängen. Der systemische Blick auf die
Resilienz des Planeten drängt zu der normativen Einsicht, so zu leben, zu wirtschaften und
zu konsumieren, dass die planetarischen Grenzen nicht überfordert werden. Dieser Appell
wird verknüpft mit der Forderung, auf die Resilienz der systemischen Wechselwirkungen
zu achten. In diesem Sinn ist auch Konnektivität einerseits ein empirisch wahrnehmbares
Prinzip unseres gesamten Wirklichkeitsverständnisses, andererseits aber auch ein nor-
mativer Begriff: „Es ist gesollt, dass ein soziales System die Eigenschaft der Konnektivi-
tät aufweist“ (Sedmak 2016, S. 246). Zudem enthält Konnektivität den moralischen An-
spruch, das eigene Überleben in Bezug zu setzen zum Überleben von anderen Menschen
und Systemen. Dies erfordert Selbsttranszendenz und Perspektivenwechsel. Wir haben
hierfür vorgeschlagen, von einer „responsible resilience“ zu sprechen (Schneider und Vogt
2017). Der Anspruch dabei ist, das Schützen, Bewahren und Erhalten zugleich ernst zu
nehmen und zu relativieren. Ernst genommen werden müssen diese Dimensionen, weil
ansonsten auf der persönlichen und auf der systemischen Ebene das Überleben gefährdet
wird. Nicht zu offen zu sein, gegenüber unkontrollierbaren Entwicklungen vorsichtig zu
sein, Grenzen zu setzen, um sich zu schützen, ist unter bestimmten Umständen eine ad-
äquate Resilienzstrategie. Relativiert werden muss die Praxis des Schützens, weil sie nicht
identisch sein darf mit einer Abschottungspraxis bzw. nicht dabei enden darf, sondern auf
Relationen und dynamische Wechselwirkungen bezogen werden muss – was auch ent-
scheidende Kriterien für gelingende Lernprozesse sind.

5 Fazit

Ein Ziel dieses Beitrages war, den bekannten deskriptiven Resilienzdimensionen Persis-
tenz, Adaptation und Transformation die normativen Leitbilder Selbsterhaltung, Kont-
rolle und Lernen gegenüberzustellen. Dabei zeigte sich, dass alle drei Begriffe auf der
einen Seite eine wesentliche, auch normative rekonstruierbare Dimension von Resilienz
zum Ausdruck bringen, dass sie auf der anderen Seite aber immer auch relativiert werden
müssen. Wenn der Anspruch des Lernens eindimensional als Prozess ständiger Selbstop-
timierung verstanden wird, mündet er in eine Selbstüberforderung. Auch die Akzeptanz
von Grenzen und Vulnerabilitäten sind unabdingbare Elemente einer ethisch qualifizier-
ten Resilienz. Analoges gilt für die Dimension der Kontrolle: Statt einseitig auf geplante
Steuerung und Beherrschbarkeit zu setzen, sind Elemente der Überraschung und des ge-
118 Martin Schneider und Markus Vogt

wussten Nichtwissens in komplexen Wechselwirkungsprozessen zu beachten (Böschen et


al. 2004; Vogt 2013, S. 169ff.). Eine ethische Grenze von Selbsterhaltung ist, dass diese
stets mit Ansprüchen Anderer sowie den verschiedenen Ebenen des Gesamtsystems ab-
geglichen werden muss, um normativ als gut gelten zu können. Eines haben alle Resi-
lienzdimensionen und ihre Relativierungen aber gemeinsam: die Stärkung einer situati-
onsadäquaten Wahrnehmungsfähigkeit und Problemlösungskompetenz. Wir nennen dies
Response-Fähigkeit: „Die Aufforderung, die in einer Situation ergeht, wird beantwortet“
(Waldenfels 1994, S. 75). Eben dieser Zugang ist es, der auf Parallelen zwischen einer re-
sponsiven Ethik und einer Ethik der Resilienz verweist. Ein erstes Charakteristikum von
dieser ist, dass konkrete soziale, kulturelle, biographische, gesellschaftliche und ökologi-
sche Situationen Ausgangspunkt von ethischen Fragestellungen und Gestaltungsprozessen
sind. Ein solcher kontextueller Ansatz folgt u. a. der Annahme des Pragmatismus, dass
die Praxis nicht nachträgliche Anwendung von Theoriekonzepten ist, sondern Ort ethi-
schen Lernens. Mit der Aufwertung der Situation und Praxis wandelt sich zweitens auch
das Erkenntnisinteresse. Nicht mehr die Erforschung von Zielen und absolut geltenden
Normen steht im Fokus, sondern die Problemlösungspraxis. Damit verknüpft ist drittens
ein Prozessualismus. Der Blick wird auf den Prozess der Problemlösung gerichtet, auf
einen Prozess, in dem praktische Hypothesen revidiert und perfektioniert werden. Verall-
gemeinert man diese Perspektive, so kommt man, wie Michael G. Festl, zu einem Modell
von Gerechtigkeit als historischer Experimentalismus (Festl 2015). Dazu zählt auch, den
„Wert“ von Fehlschlägen, Scheitern und Leiden zu erkennen – weil sie den Lernprozess
antreiben. Einstellungen, Verhaltensweisen, Lebensformen und Regeln können in diesem
Kontext als „Experimente“ verstanden werden, deren Gelingen oder Misslingen sich nicht
abstrakt am Reißbrett, sondern in der realen Praxis zeigt. Der spezifische Beitrag der
Resilienzforschung kann in diesem Kontext sein, deren Lebenstauglichkeit zu überprüfen.
Dies kann nicht deren Begründung und Legitimation ersetzen, wohl aber kann auf em-
pirische, aus Erfahrungen gewonnene Erkenntnisse verwiesen werden, die dabei helfen,
angemessen auf Krisen, Veränderungen und Herausforderungen zu antworten. Je mehr
seitens der Ethik Erkenntnisse aus der Resilienzforschung rezipiert werden, desto mehr
rücken Bewährungs- und Problemlösungsprozesse in den Fokus, in denen sich die Ein-
stellungen, Verhaltensweisen, Lebensformen und Regeln konstituieren, die individuell und
gruppenbezogen das Überleben und die Lebensqualität fördern. Aber auch die Resilienz-
forschung kann von der Ethik lernen: Moralsysteme entstehen wesentlich aus der indi-
viduellen und kollektiven Erfahrung, haben aber auch ihrerseits eine heuristische Funk-
tion für die Erschließung von Modellen des „robusten“ und gelungenen Lebens (Zelinka
1994). Ein Ansatzpunkt wäre zum Beispiel, normativ zu reflektieren und zu prüfen, ob es
übergeordnete Kriterien für das braucht, was wir in diesem Beitrag Lernen und Reifen
genannt haben. Hier gäbe es vielfältige Bezüge, angefangen von Konzepten intergene-
rationeller Gerechtigkeit über den Begriff der Nachhaltigkeit bis hin zu einer Ethik der
Erinnerung. Wir haben zwar unter Bezug auf Dewey Bedingungen für gelingende Lern-
prozesse – und damit verknüpft den Abbau von Lernblockaden – normativ ausgezeichnet.
Es ist aber Rahel Jaeggi zuzustimmen, dass „Wachstum“ und „Reifung“ als Kriterien nicht
Selbsterhaltung, Kontrolle, Lernen 119

ausreichen. Ihrer Ansicht nach „ist damit […] nur die sehr unbestimmte Richtung eines
Fortschreitens bezeichnet, die wenig belastbare Kriterien dafür enthält, dass die erreichte
Situation angemessene Ressourcen für aktuelle und weitere Problemlösungen bereitstellt“
(Jaeggi 2014, S. 409f.). Damit habe man nur den „einfache[n] Adaptionsvorgang“ (ebd.,
S. 410) vor Augen, in dem man sich Neuerungen anpasst und neue Möglichkeiten nutzt. Je
nach Situation sei aber auch eine Befreiung nötig, um von einem Lernprozess sprechen zu
können. Diese Perspektive ist ihrer Ansicht nach wichtig, weil Einstellungen, Verhaltens-
weisen und Lebensformen in „Formen der kollektiven Selbsttäuschung oder Ideologie“
(ebd.) gefangen sein können. Sich daraus zu befreien, kennzeichne die wahre Reflexivität
von Lernprozessen. Nicht zuletzt für die Explikation der transformativen Dimension von
Resilienz ist der von Jaeggi angesprochene Aspekt von Bedeutung. Transformation kann
im Sinne von natürlichen Selbstheilungskräften und Entwicklungen (z. B. Transformation
einer Raupe zum Schmetterling) gedeutet werden. Sie kann aber auch als Befreiung aus
Pfadabhängigkeiten verstanden werden. Eben das meint der Wissenschaftliche Beirat der
Bundesregierung Globale Umweltveränderungen, wenn er von einer „Großen Transfor-
mation“ (WBGU 2011) spricht und für einen Wandel des jetzt dominanten Wirtschafts-,
Gesellschafts- und Kulturmodells eintritt. In diesem Kontext muss dann Resilienz als ein
Prozess verstanden werden, der einer Verdrängung von Problemen entgegenwirkt, die Au-
gen für deren Ursachen öffnet und auf diesem Weg die Befreiung aus „Pfadabhängigkei-
ten“ fördert.
120 Martin Schneider und Markus Vogt

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Teil II
Kompetenzen und Ressourcen
Zwischen Selbstoptimierung und Persönlichkeitsentwicklung

125
Selbstgestaltung und Sinnsuche
unter fragilen Bedingungen
Moralpsychologische und ethische Anmerkungen
zum Verhältnis von Resilienz und Identität

Jochen Sautermeister

Zusammenfassung

Aus einer moralpsychologisch perspektivierten ethischen Sicht reflektiert der Beitrag


das Verhältnis von Resilienz und Identität. Auf der Grundlage von psychologisch-pä-
dagogischen Resilienzkonzepten wird ein Verständnis von Resilienz entwickelt, das
eine vulberabilitätsbewusste und krisensensible Perspektive für Identitätsbildung und
Identitätsarbeit angesichts bestehender sozialer, kultureller, psychischer und materiel-
ler Ressourcen erlaubt und damit einen kriteriellen Rahmen zur Verfügung stellen
kann, um funktionale von dysfunktionalen bzw. – in ethischer Sicht – gerechtfertigte
von ungerechtfertigten Resilienzanforderungen und damit verbundenen Praktiken zu
unterscheiden. Resilienzerwartungen, Resilienzdiskurse und Resilienzpraktiken mit
verkürzten oder einseitigen Subjektimplikationen einerseits und einer Systemblindheit
andererseits können vor diesem Hintergrund dahingehend problematisiert werden, dass
sie die konstitutionelle Verwundbarkeit, Begrenztheit, Relationalität und Endlichkeit
des Menschen und seiner Gestaltungsmöglichkeiten theoretisch wie auch praktisch
nicht angemessen zur Geltung bringen können.

127
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2018
M. Karidi et al. (Hrsg.), Resilienz,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-19222-8_7
128 Jochen Sautermeister

1 Einleitung

Die menschliche Existenz steht unter dem Vorzeichen ihrer Endlichkeit. Diese rückt nicht
erst dann in das Bewusstsein, wenn schwere Krankheit, Sterben oder Tod im Leben von
Menschen Wirklichkeit werden. Vielmehr kann sie auch in all den Erfahrungen von Ent-
scheiden-Müssen und Versprechen-Geben, von Isolation und Streit, von Abschied und
Neuanfang, von Verletzung und Kränkung, von Traumatisierung und Krise, von Scheitern
und Schuld, von Begrenztheit und Ohnmacht zum Vorschein kommen. Generell wird End-
lichkeit überall dort erfahrbar, wo der Mensch in seiner Freiheit die Erfahrung machen
muss, sein Geschick nicht selbstmächtig in der Hand zu haben, sondern abhängig und auf
Andere und Anderes angewiesen zu sein. Wenn nun Erfahrungen der Verletzbarkeit und
Zerbrechlichkeit nicht nur in der abstrakten, kühlen Reflexion bedacht werden, sondern
zugleich auch im persönlichen Erleben mit existenzieller Ahnung bis hin zu existenzieller
Wucht subjektiv bedeutsam werden, vermögen solche Endlichkeitserfahrungen für den
Menschen auf der Suche nach seiner Identität ethische Relevanz gewinnen.
Gesundheit und Wohlergehen, persönliches Wachstum und Identität lassen sich ange-
sichts dieser anthropologischen Lage daher nicht gegen leibseelische Beeinträchtigungen
und Begrenztheit, sondern nur unter dem Vorzeichen der Vulnerabilität angemessen er-
schließen und lebenspraktisch anstreben. Sowohl existenzielles Nachdenken, Übungen der
Lebenskunst also auch Erkenntnisse der Humanwissenschaften können Menschen helfen,
auf der Grundlage einer realistischen Einschätzung der Lebenswirklichkeit die eigenen
Lebensmöglichkeiten unter den gegeben soziokulturellen Bedingungen zu verwirklichen.
„Was immer den Menschen sowohl in seiner individuellen Verfasstheit als auch in seinen
gesellschaftlichen Strukturen zurückbleiben oder sich selbst überschätzen lässt, kann ihm
so erst zur Erfahrung verfehlter Freiheit“ (Hunold 1993, S. 93f.) angesichts seiner Verletz-
barkeit und Endlichkeit werden. Oder anders gesagt: Auch wenn die human- und sozial-
wissenschaftlichen Erkenntnisse zunächst die empirischen Begrenztheiten, Bedingtheiten
und Determinismen der menschlichen Handlungswirklichkeit sichtbar machen, haben sie
eine freiheitsförderliche Funktion in dem Sinne, dass sie die Erwartungen an eine ver-
antwortliche Lebensweise, die diese Bedingtheiten berücksichtigt und sich bewusst dazu
verhält, forcieren. Dies gilt sowohl hinsichtlich äußerer Strukturen als auch hinsichtlich
der inneren, psychosozialen Möglichkeiten des Menschen. Damit einher geht ein durchaus
unterschiedlich motivierter – und auch vor der Gefahr der ökonomischen Instrumentali-
sierung nicht gefeiter – Imperativ zur Stärkung der Selbstmanagementkompetenzen wie
auch der Stressbewältigungs- und Copingmöglichkeiten. Thematisiert wird dies als ein
spezifischer Aspekt neben den sozialen Gesichtspunkten unter dem Stichwort „Resilienz“.
Die Rede von Resilienz impliziert immer Störungen, Stressoren oder Krisen, die zu
bewältigen sind (vgl. Bonß 2015, S.16; Wink 2016). Der Resilienzdiskurs wird deshalb
auch als Krisenphänomen bezeichnet, weil er „auf Krisen angewiesen“ (Graefe 2016,
S. 47, Hervorh. i. Orig.) ist. Sieht man von den technischen, naturwissenschaftlichen und
ökologisch-geophysikalischen Resilienzverständnissen ab (vgl. Vogt 2015) und fokussiert
sich gemäß einer moralpsychologisch-ethischen Perspektive auf Menschen als Hand-
Selbstgestaltung und Sinnsuche unter fragilen Bedingungen 129

lungssubjekte, dann beinhaltet der Resilienzdiskurs überdies die Annahme, dass Men-
schen grundsätzlich Möglichkeiten besitzen, sich zu potenziellen oder aktuellen Krisen
oder traumatischen Ereignissen verhalten zu können. Dies kann so geschehen, dass sie
durch Anpassungs-, Wiederherstellungs- oder Transformationsleistungen in den für sie
relevanten Bereichen in unterschiedlichem Ausmaß handlungs- bzw. funktionsfähig blei-
ben oder wieder werden können oder sogar daraus Wachstums- und Entwicklungsimpulse
gewinnen können. Im Unterschied zu einem philosophisch-normativen Zugang zum Resi-
lienzbegriff, der mit der Kategorie der Autorschaft operiert (Nida-Rümelin und Gutwald
2016), geht es bei einem moralpsychologisch-ethischen Zugang darum, unter besonderer
Berücksichtigung der empirischen Bedingungszusammenhänge den Menschen als bio-
grafisch individuiertes Handlungssubjekt zu erfassen.

2 Resilienzdiskurse und Resilienzpraktiken als theoretische und


praktische Reaktionen auf die konstitutionelle Verletzbarkeit
und Verwundbarkeit des Menschen

Die Resilienzdiskurse wie auch die psychologischen, pädagogischen und therapeutischen


Resilienzpraktiken lassen sich vor dem einleitend skizzierten Hintergrund als theoreti-
sche und praktische Reaktionen auf relevante Belastungen durch die Realität angesichts
der konstitutionellen Verletzbarkeit und Zerbrechlichkeit des Menschen verstehen. Der
Bezugnahme auf Resilienz wohnt eine motivierende und handlungsorientierende Dimen-
sion inne. Denn entsprechende Diskurse und Praktiken zielen zum einen präventiv auf
die psychische Stabilisierung von Menschen angesichts potenzieller Belastungen, die im
Zuge üblicher Entwicklungen und Anforderungen im Lebenslauf zu erwarten sind oder
aufgrund von unvorhersehbaren einmaligen oder wiederkehrenden Stressoren auftreten
können. Zum anderen geht es ihnen um die psychosoziale bzw. therapeutische Stärkung
der leibseelischen Widerstandskraft oder Re-Stabilisierung von Menschen nach traumati-
schen Ereignissen (vgl. Fröhlich-Gildhoff und Rönnau-Böse 2014, S. 9ff.).
Lebensweltlich betrachtet lassen sich daher weder Resilienzdiskurse noch Resilienz-
praktiken ohne die Kategorien der Fragilität und Vulnerabilität begreifen. Aber auch
Hoffnung spielt eine entscheidende Rolle, weil ohne zumindest implizite Hoffnung auf
Besserung oder Bewältigung keine wirksame Widerstandskraft oder Veränderungsbereit-
schaft vorliegen kann (vgl. Short und Weinsprach 2010; Fröschl 2016). Damit erhält die
Rede von Resilienz eine Prozessdynamik, die sie als prinzipiell unabgeschlossen ausweist;
unabgeschlossen insofern, als Vulnerabilität und Fragilität zur Grundverfasstheit des
Menschen zwar dazugehören, aber die Bewältigungsmöglichkeiten und seelischen Wider-
standskräfte im Rahmen der je gegebenen biografischen Rahmenbedingungen formbar
und gestaltungsoffen sind; unabgeschlossen aber auch insofern, als die konkreten Belas-
tungen, denen Menschen ausgesetzt sein können – abgesehen etwa vom Faktum des Ster-
ben-Müssens –, nicht völlig vorhersehbar sind und sich auch zukünftig noch ganz neue,
bislang ungeahnte Risiken einstellen können.
130 Jochen Sautermeister

Resilienzpraktiken können nun darauf abzielen, bei gegebenen äußeren Bedingungen


vor allem die Subjektseite zu stabilisieren und die Fähigkeit zur Identitätsarbeit aufrecht
zu erhalten, zu fördern oder wiederherzustellen. Resilienz ist dann im Kontext von Sub-
jektivierungspraktiken und personalisierter Verantwortungszuschreibung zu betrachten.
Dagegen kann aber auch der Fokus auf die Kontrollierbarkeit und Steuerbarkeit der äu-
ßeren Bedingungen gelegt werden, um konkrete Stressoren möglichst zu minimieren
oder beherrschbar zu machen. Spätestens mit der fundamentalen Kritik an linearen Fort-
schrittsparadigmen, wie sie im Nachhaltigkeitsdiskurs (vgl. Vogt 2009), in der radikalen
Kritik am Fortschrittsdenken oder in der Gesellschafts- und Ökonomiekritik am Wachs-
tumsparadigma artikuliert wird, lässt sich eine Beherrschung oder Kontrolle der äußeren
Bedingungen jedoch nicht (mehr) ausschließlich durch eine Steigerungslogik erreichen,
wonach mit verstärkten Wachstums- und Fortschrittsbemühungen die Probleme hinrei-
chend in den Griff zu bekommen seien.
Diese wenigen Bemerkungen deuten bereits an, dass der faktische Rekurs auf Resilienz
als Strategie zur Subjektstabilisierung ambivalent ist. Denn als ein rein funktionaler ist der
Begriff der Resilienz selbst nicht normativ hinreichend bestimmt, um aus ethischer und
moralpsychologischer Sicht sein kritisches, motivierendes und orientierendes Potenzial
entfalten zu können. Dies ist jedoch insofern erforderlich, als der faktische Rekurs auf Re-
silienz auch gegen seine humane Intention einer Subjektstabilisierung und -förderung zu
einer Überforderung oder Instrumentalisierung des Menschen herangezogen werden kann
und so einer ethischen Kritik zu unterziehen wäre (vgl. Richter und Blank 2016, S. 70f.).
Das Risiko einer Verkürzung oder Überdehnung von Resilienzdiskursen und Resilienzan-
forderungen ließe sich etwa an verschiedenen problematischen Selbstoptimierungsstrate-
gien als Schattenseiten der Resilienz illustrieren, die den faktischen Rekurs auf Resilienz
als ambivalent ausweisen (vgl. Richter 2015; Sautermeister 2016).
Mit der Resilienz-Kategorie verbundene Subjektstabilisierungsstrategien stehen dann
in der Gefahr, den humanen und lebensdienlichen Charakter von Resilienz zu verstellen,
wenn man unangemessen auf die Selbstoptimierung des Subjekts setzt und dabei die leib-
seelischen, psychosozialen und systemischen Bedingungen außer Acht lässt. Oder anders
gesagt: Das ethische Potenzial der Resilienz-Kategorie kann erst dort erschlossen werden,
wo es mit der Frage nach den Bedingungen gelingender Identitätsbildung im sozioöko-
nomischen und ökologischen Raum in Verbindung gebracht wird.

3 Resilienz als vulnerabilitätsbewusste und krisensensible


Perspektive auf Identitätsbildung und Identitätsarbeit

3.1 Resilienz-begünstigende Faktoren


aus pädagogisch-psychologischer Sicht

In Anlehnung an eine pädagogisch-psychologische Perspektive lässt sich Resilienz als die


Fähigkeit von Menschen verstehen, „Krisen im Lebenszyklus unter Rückgriff auf per-
Selbstgestaltung und Sinnsuche unter fragilen Bedingungen 131

sönliche und sozial vermittelte Ressourcen zu meistern und als Anlass für Entwicklung
zu nutzen“ (Welter-Enderlin 2012, S. 13).1 Dies schließt auch eine positive Erholungsfä-
higkeit bei traumatischen Ereignissen und Belastungen ein. Im Rahmen der empirischen
Resilienzforschung geht es daher um die Frage nach den begünstigenden und beeinträch-
tigenden Faktoren von Resilienz. Als variable und dynamische Prozessgröße ist Resi-
lienz vieldimensional und abhängig von situationsspezifischen und biografischen Fakto-
ren. Aufgrund der Wechselwirkungen von Vulnerabilitäts,- Risiko- und Schutzfaktoren
ist eine lineare Ableitung von Resilienz nicht möglich; vielmehr existieren verschiedene
Resilienzmodelle nebeneinander.2 Der pädagogisch-psychologische Fokus auf Resilienz-
faktoren richtet sich vornehmlich auf personale Ressourcen und präventive Maßnahmen,
er zielt darauf ab, Menschen in ihrer seelischen Widerstandskraft zu stärken. Diese per-
sonalen Ressourcen bzw. Schutzfaktoren dürfen jedoch nicht als individualistisch engge-
führt gelten, da sie intersubjektiv-biografisch gebildet sind und von sozialen, kulturellen,
politischen und materiellen Faktoren beeinflusst werden. Insbesondere werden folgende
personale Ressourcen, die zusammenhängen und interagieren, bestimmt, die die Resilienz
einer Person unterstützen können (vgl. Antonovsky 1997; Welter-Enderlin und Hilden-
brand 2012; Fröhlich-Gildhoff und Rönnau-Böse 2014; Fooken 2016):

• Selbstwahrnehmung im Sinne einer ganzheitlichen und adäquat symbolisierten Wahr-


nehmung der eigenen Gefühle, Emotionen und Affekte sowie der Kognitionen über
sich selbst, verbunden mit der Fähigkeit zur Metakognition, also der Fähigkeit, darüber
reflektieren und sich in ein Verhältnis dazu setzen zu können. Dies beinhaltet die Fä-
higkeit zur angemessenen Fremdwahrnehmung.
• Selbstvertrauen im Sinne des psychologischen Konstrukts der Selbstwirksamkeit bzw.
der Kontrollüberzeugung, worunter die subjektive Überzeugung verstanden wird, kom-
petent bestimmte Anforderungen bewältigen zu können.
• Selbstwert als Resultat einer Vielzahl von Eigenschaften, die eine Person sich selbst
zuschreibt und die Einfluss auf das Selbstkonzept haben, also die Gesamtheit der
kognitiven Repräsentationen, die jemand von sich hat (Selbstkonzept), sowie die Selbst-
akzeptanz im Sinne der Annahme seiner selbst mit seinen positiven und negativen
Eigenschaften.
• Selbststeuerung im Sinne der Fähigkeit, angesichts verschiedener Stress- und Belas-
tungssituationen emotional und kognitiv flexibel reagieren zu können, was auch die
Fähigkeit zur Emotions- und Erregungsregulation einschließt.
• Soziale Kompetenz im Sinne eines Repertoires an relevanten und zielführenden Ver-
haltensweisen und der Fähigkeit, diese adäquat anwenden zu können, um in konkreten
Handlungssituationen unter achtsamer Berücksichtigung der sozialen Umwelt und der
Gesellschaft effektiv handeln zu können.

1 Die nachfolgenden Überlegungen finden sich zum Teil bereits bei Sautermeister (2016).
2 S. hierzu den Überblick bei Fröhlich-Gildhoff und Rönnau-Böse (2014, S. 19ff.).
132 Jochen Sautermeister

• Kohärenzgefühl im Sinne der Salutogeneseforschung. Dieses setzt sich zusammen aus


einem Gefühl der Verstehbarkeit („sense of comprehensibility“) von Situationen und
Ereignissen, aus einem Gefühl der Bewältigbarkeit bzw. Handhabbarkeit („sense of
manageability“) von schwierigen Situationen und aus dem Gefühl der Sinnhaftigkeit
(„sense of meaningfulness“); mit dem Kohärenzgefühl verbindet sich also die Annah-
me, dass sich die Anstrengungen und das Engagement lohnen.

Diese psychischen Ressourcen konvergieren, wie im Folgenden erläutert wird, mit jenen
zentralen Faktoren, die für eine gelingende Identitätsarbeit und Identitätsbildung erforder-
lich sind. Ein solcher Zugang, der die relevanten empirischen Bedingungszusammenhän-
ge für ethische Fragestellungen theoretisch berücksichtigt und für praktisch-normative
Themen zur Geltung bringt, lässt sich als moralpsychologisch bezeichnen (vgl. Sauter-
meister 2017).

3.2 Identitätsbildung und Identitätsarbeit


aus moralpsychologischer Sicht

Gemäß dem integrativen Identitätsmodell, das der Psychologe Karl Haußer entwickelt hat,
steht Identität für die „Einheit aus Selbstkonzept, Selbstwertgefühl und Kontrollüberzeu-
gung eines Menschen, die er aus subjektiv bedeutsamen und betroffen machenden Er-
fahrungen über Selbstwahrnehmung, Selbstbewertung und personale Kontrolle entwickelt
und fortentwickelt und die ihn zur Verwirklichung von Selbstansprüchen, zur Realitäts-
prüfung und zur Selbstwertherstellung im Verhalten motivieren“ (Haußer 1983, S. 103;
vgl. auch Haußer 1995). Identität ist demnach kein Zustand, sondern eine Prozessgröße.
Sie bildet sich durch Interaktionsprozesse dynamisch aus, bedarf deshalb der Gestaltung
und ist zu keiner Zeit im Laufe des Lebens abgeschlossen. Identitätsarbeit meint dabei
jene Leistung und jene Prozesse, bei denen es um die Herstellung einer Passung von Innen
und Außen, von eigenen Bedürfnissen, Interessen und Wertvorstellungen einerseits und
den sozialen Erwartungen und Anforderungen im soziokulturellen, sozioökonomischen
und ökologischen Raum andererseits geht, wobei biografisch erworbene Interpretations-,
Bewertungs- und Verhaltensmuster eine nicht unerhebliche Bedeutung für die Wahrneh-
mung und Gestaltung von Authentizität und sozialer Anerkennung haben (vgl. Sauter-
meister 2013, S. 216ff.). Dies lässt sich vor allem mit Rekurs auf die reflexive Sozialpsy-
chologie weiter explizieren:
Aus der Perspektive reflexiver Sozialpsychologie werden die Lebensformen von Indivi-
duen in komplexen pluralisierten, fragmentarisierten und individualisierten Gesellschaf-
ten untersucht (vgl. Keupp 1993, S. 236), die sich als ambivalent für den Einzelnen und
seine Lebensführung erweisen. Dabei geht es um die Frage: „Welche psychische Grund-
ausstattung benötigen Subjekte, um ambivalente Erfahrungen positiv verarbeiten zu kön-
nen, ohne dem Zwang zu ihrer Homogenisierung und Vereinheitlichung zu unterliegen?“
(Keupp 1993, S. 245) Ferner sind die dazu erforderlichen materiellen und soziokulturellen
Selbstgestaltung und Sinnsuche unter fragilen Bedingungen 133

Ressourcen auszumachen. Diese Fragen zeigen, dass die soziologisch diagnostizierte Frei-
setzung des Einzelnen aus gesellschaftlichen Normalitätsmustern nicht per se Autonomie-
gewinne für das Individuum bedeutet, sondern lediglich einen Möglichkeitsraum eröffnet,
für dessen Realisierung es bestimmter Bedingungen, näherhin bestimmter Ressourcen
und Fähigkeiten, bedarf. Nur wenn diese gegeben sind, kann der Einzelne sich als hand-
lungsfähig und autonom erleben. Zugleich wird darin aber auch deutlich, dass die Frage
nach der Persönlichkeit eines Menschen sich nur angemessen im Kontext jener biografi-
schen und sozialen Bedingungs- und Anerkennungsverhältnisse thematisieren lässt, inner-
halb derer ein Mensch in seinem Bemühen um Identität steht. Ein solcher Ansatz erschöpft
sich nicht in einer theoretischen Kritik, sondern intendiert darüber hinaus, „Vorschläge
und Erläuterungen dafür zu liefern, wie Subjekte oder gesellschaftliche Gruppen sich ihre
soziale Welt so bilden können, dass sie sich in dieser Welt handlungsfähig fühlen“ (Keupp
et al. 2006, S. 272). So lassen sich die gewonnenen Erkenntnisse auch für den Resilienzdis-
kurs fruchtbar machen, insofern es auch bei ihm um Handlungsfähigkeit geht.
Das emanzipatorische Potenzial des identitätstheoretischen Zugangs erschöpft sich da-
mit eben nicht in der Qualifizierung von Identität als ausschließlich sozialer Konstruktion,
die grenzenlose Gestaltungsräume impliziert.3 Denn Identität ist zugleich auf ein empi-
risches bzw. „materialistisches Fundament“ (Keupp 1993, S. 267) angewiesen, das seine
Verwirklichung der Beliebigkeit entzieht und somit auch überdehnte Ansprüche zurück-
zuweisen vermag. Die Einseitigkeit eines Naturalismus wird ebenso vermieden wie die
Einseitigkeit eines sozialen Konstruktivismus. Aus dieser identitätstheoretischen Perspek-
tive werden die empirischen Realisierungsbedingungen alltäglicher und außerordentlicher
Identitätsarbeit erforscht, ohne dabei das kritische Anliegen dieses Ansatzes preisgeben
zu müssen.
Das kritische Potenzial des identitätstheoretischen Ansatzes resultiert folglich nicht aus
einem abstrakten Personenbegriff oder aus einem normativen Begriff gelungener Identi-
tätsbildung, der sich aus einem objektiven normativen Identitätskonzept ableiten ließe,
das Identitätsbildung an einem Zuwachs an Autonomie und Mündigkeit ausrichten und
bemessen könnte. Vielmehr basiert es auf der empirischen Befundlage, „was aus der Sicht
der Subjekte gelingende oder misslingende Identitätsgewinnung darstellt“ (Keupp 1997,
S. 32) und was sinnvolle Perspektiven der Lebensführung sind. Ein solches Kriterium
folgt aus einem sozialpsychologischen Verständnis von Identität, wonach diese „als ein
subjektiver Konstruktionsprozess zu begreifen ist, in dem Individuen eine Passung von
innerer und äußerer Welt suchen“ (Keupp et al. 2006, S. 7). Mit Heiner Keupp lässt sich
Identitätsarbeit daher als „Passungsarbeit“ (Keupp et al. 2006, S. 276) deuten, deren Ge-

3 Als heuristische Metapher wurde der Begriff der „Patchwork-Identität“ gewählt, um sich von der
Vorstellung einer einheitlichen Substanzidentität zu distanzieren, die „als ‚Akkumulation innerer
Besitzstände‘ zu charakterisieren wäre“ (Keupp 1996, S. 380). Um dem Missverständnis der Will-
kürlichkeit und Beliebigkeit von Identitätsentwürfen entgegenzutreten, soll der Verweis auf die
Bedingungen für die Identitätsarbeit und deren empirische Erforschung verdeutlichen, dass Identi-
tätsarbeit der subjektiven Beliebigkeit entzogen bleibt, wenn sie auf die Erzeugung eines Identitäts-
gefühls abzielt (vgl. Keupp 1996, S. 402f.).
134 Jochen Sautermeister

lingen oder Misslingen sich an der jeweiligen „Einpassung des Subjekts mit all seinen oft
widerstreitenden Anteilen in eine ebenfalls ambivalente, dynamische und komplexe Welt“
(Keupp et al. 2006, S. 276) bemisst. Gelingende Identität lässt sich damit als temporär
qualifizieren und ist prozessual zu begreifen.
Es wäre jedoch ein Missverständnis, wollte man dieses Kriterium der Passung als ein
rein subjektives betrachten. Denn für das Gelingen der Passungsarbeit bedarf es spezi-
fischer materieller, kultureller und sozialer Ressourcen und Fähigkeiten, die sich als ob-
jektive oder intersubjektive Faktoren einem bloßen Subjektivismus entziehen. Sie sind der
Gegenstand allgemeiner identitätstheoretischer Betrachtung und bilden eine wichtige Ba-
sis für die je konkrete Bestimmung dessen, was gelingende Identität und verantwortliche
Selbstbildung im Rahmen individueller Biografien in einem bestimmten soziokulturellen
Kontext bedeutet.
Identitätsbildung geschieht stets interaktionell; sie ist ferner durch soziokulturell ver-
mittelte Identitäts- und Beziehungsbilder geprägt, durch nicht bewusste psychische Dy-
namiken beeinflusst und von sozialer Anerkennung abhängig. Neben der konstitutiven
Verwiesenheit auf Andere ist der Mensch auch auf kulturelle, materielle und ökologische
Ressourcen und Güter für die eigene Lebensgestaltung angewiesen, um ein gelingendes
und gutes Leben führen und eine gelingende Identität ausbilden zu können. Aus ethischer
Sicht ist die Frage zu stellen, wie ein sinnvolles, Lebenschancen eröffnendes, gutes Leben
unter den Vorzeichen von Vulnerabilität und Zerbrechlichkeit ermöglicht werden kann
und welche Bedeutung dies für die Bildung der eigenen Identität und der Persönlichkeit
hat.
Durch die Bezugnahme auf eine sozialpsychologisch fundierte Identitätskategorie wird
also der Versuch unternommen, den ethisch zentralen Personenbegriff durch empirische
Bedingungsmomente der Identitätsarbeit von Menschen dichter zu bestimmen. Es eröffnet
sich damit die Möglichkeit, unter Berücksichtigung biografischer, psychosozialer und so-
ziokultureller Bedingungen nach Voraussetzungen und Erfordernissen zu fragen, die eine
gelingende Identität im gestaltenden Umgang mit sich selbst, auch im pädagogisch-thera-
peutischen Sinne, zu fördern vermögen – aber auch zu eruieren, wo die Grenzen eines schä-
digenden Verhaltens sind und ungerechte Bedingungen herrschen bzw. noch weiter forciert
werden. Denn die mit der grundsätzlichen Anerkennung der Personalität einhergehende
Aufgabe zur Befähigung zu personaler Autonomie und zur Bildung einer Persönlichkeit
lässt sich vor dem Hintergrund des hier skizzierten Ansatzes als Fähigkeit zur Identitäts-
arbeit reformulieren. Identität und Biografie stellen konzeptionelle Rahmenkategorien dar,
die für ein praktisch-normatives Verständnis von Resilienz unhintergehbar sein.

3.3 Resilienz im Kontext von Identität und Biografie

Die identitätsbezogenen Strukturen biografischer Unbeliebigkeit präfigurieren den je indi-


viduellen Spielraum dessen, was eine Person als authentisch, als stimmig-sinnvoll erleben
oder als stimmig-sinnvoll im Rahmen alltäglicher, reflexiver oder therapeutischer Identi-
Selbstgestaltung und Sinnsuche unter fragilen Bedingungen 135

tätsarbeit und Identitätsbildung authentifizieren kann, auch hinsichtlich ihres Umgangs


mit Krisen, Begrenzung, Verletzung und Endlichkeit.
Entsprechend einer empirisch-rekonstruktiven Analyse handelt es sich bei der struk-
turellen Entfaltung der biografischen Unbeliebigkeit zum einen um die beiden formalen
Strukturmomente der Kohärenz und Kontinuität und zum anderen um das formale sinn-
tragende Moment der Bedeutung beziehungsweise der Bedeutsamkeit. Diese drei Mo-
mente bilden in ihrem Zusammenspiel jenen formalen Rahmen biografischer Unbeliebig-
keit, in dem die Identitätsentwicklung, die Identitätsbildung und die Identitätsarbeit einer
Person geschieht, welche sich nur angemessen als intersubjektiv-mitkonstituiert begreifen
lassen. Sie disponieren die individuellen Spielräume möglicher leibseelischer Integrati-
onsleistungen, das Selbsterleben als Selbstwahrnehmung und Selbstaufmerksamkeit, die
Selbstbewertung, die Selbstreflexion und die Selbstwirksamkeit einer Person sowie ihre
Fähigkeit zur Fremdwahrnehmung und Empathie in all den unterschiedlichen Handlungs-
konstellationen, Interaktionen und sozial-ökologischen Bezügen (vgl. Sautermeister 2013).
Gelingende Formen von Identität zeichnen sich, wie bereits gesagt, durch die Erfahrung
von Authentizität und sozialer Anerkennung als intersubjektive Voraussetzung für die ba-
sale subjektive Erfahrung von Würde, als intersubjektive Bedingung für die personale
Entwicklung und Bildung von Handlungsfähigkeit, Identität und Integrität und schließ-
lich als handlungssphärendifferenzierte Wertungsmodi, um für Menschen in unterschied-
lichen funktional ausdifferenzierten Systemen Grundbedingungen des guten Lebens zu
formulieren, (vgl. Honneth 2003; Meireis 2016) aus. Authentizität und Anerkennung gel-
ten dabei nicht nur hinsichtlich der konstruktiven Ausformung der beiden formalen Struk-
turmomente der Kohärenz und der Kontinuität, sondern auch hinsichtlich der identitäts-
mäßigen Bestimmungen des sinntragenden Moments der Bedeutung beziehungsweise der
Bedeutsamkeit. Sie sind also auch dafür relevant, was im Laufe der Identitätsbildung einer
Person als inhaltliche Erfahrungen über sich selbst, über Andere und über die Welt, über
Projekte und Perspektiven sowie über evaluative und normative Standards abgelagert und
repräsentiert ist. Sie prädisponieren damit den Spielraum möglicher subjektiver Bedeut-
samkeit, Akzeptabilität und interpretativer Verstehbarkeit von Widerfahrnissen, Ereignis-
sen, Handlungen, Personen, Normen, Erwartungen, Idealen und Werten usw. Über diese
sinntragende Dimension der Bedeutung beziehungsweise der Bedeutsamkeit realisiert und
modelliert sich zum einen inhaltlich die synthetische Funktionsleistung von Identität im
Zusammenspiel von Integration und Selektion; zum anderen gründet in ihr jene funda-
mentale Möglichkeit der Wertbezogenheit, wie sie für eine bewusste, selbstbestimmte und
verantwortliche Lebensführung sowie für die moralische Identität einer Person erforder-
lich ist (vgl. Taylor 1996, S. 7ff.).
Die biografische Unbeliebigkeitslogik lässt sich damit über die normativ disponieren-
den biografischen Unbeliebigkeitsstrukturen von Identität näher bestimmen. Die Trias
Kohärenz, Kontinuität und Bedeutung bzw. Bedeutsamkeit lässt sich in ihrer formalen
Gestalt als für die menschliche Identitätsbildung invariant begreifen, wobei sie in ihrer
biografischen Ausgestaltung einer biopsychischen, psychosozialen und soziokulturellen
Pluralität folgt. Für die konkrete Identitätsarbeitsfähigkeit von Individuen auch hinsicht-
136 Jochen Sautermeister

lich von Resilienz lässt sich damit Folgendes festhalten: Die je konkreten individuellen
Möglichkeiten von Resilienz sind bedingt durch die Determinanten und Konditionierun-
gen ihrer je individuell-situativen Realisierung in der Lebensgeschichte einer Person, die
im Verfolgen ihres Gelingens auf die Erfahrung von Authentizität und Anerkennung an-
gewiesen ist.
In interdisziplinärer Kooperation mit den Human- und Sozialwissenschaften ließe sich
nun weiter eruieren, was dies für Resilienzerwartungen und ihre Angemessenheit bzw.
Berechtigung in konkreten Situationen bedeutet. Mit einem solchen Vorgehen könnte das
ethische Anliegen eingeholt werden, den Menschen in seinem Bemühen um gelingende
Identität einerseits als Person und als Verantwortungsträger anzuerkennen und ihn ande-
rerseits dem nicht-entfremdenden Zugriff durch die relevanten empirischen Disziplinen
zugänglich zu machen.

4 Fazit: Resilienz als normative Kategorie –


Konturen einer praktisch-ethischen Kriteriologie

Vor dem skizzierten Hintergrund zum Verhältnis von Resilienz und Identität lässt sich
systematisch ein Ansatzpunkt für eine anerkennungstheoretisch fundierte Persönlich-
keitsethik – auch im Kontext des Resilienzdiskurses – verorten, in der die Anerkennung
und Förderung fremder wie auch eigener Identität verbindlich wird. Die Verbindlichkeit
der Festlegung unantastbarer Bedingungen für die Lebensführung und die Identitätsbil-
dung gründet demnach eben nicht in einer begrifflichen Generalisierung und Explikation
eines spezifischen Menschenbildes, sondern in der immer wieder zu aktualisierenden Er-
fahrung konkreter Anerkennung bzw. verweigerter Anerkennung und deren Bedeutung
für das Gelingen bzw. Misslingen der Identitätsarbeit von Menschen unter den Bedingun-
gen von Vulnerabilität und Endlichkeit.
Dabei wird deutlich, wie das Bemühen um gelingende Identität grundsätzlich auf An-
dere und Anderes verwiesen und unabgeschlossen ist und die Möglichkeiten der Identi-
tätsarbeit bis zum Tod niemals ausgeschöpft sind, so dass man auch von einer bleibend
fragmentarischen Identität sprechen könnte. Damit kommt der kritische Impuls des Per-
sonenbegriffes als Kritik an einer intendierten und abgeschlossenen Identitätstotalität
und Selbstmächtigkeit zur Geltung, insofern die Gedanken der qualitativen Individualität
des Handlungssubjekts, der Relationalität und der Würde als ethische Kriterien gerade
überfordernde, verabsolutierend-selbstmächtige, identifizierende, entfremdende und ge-
walttätige Totalitätsvorstellungen von Identität zurückweisen. Die im Identitätsbemühen
liegende unabschließbare Selbstsuche und Selbstgestaltung des Menschen angesichts sei-
ner konstitutionellen Verletzlichkeit und Zerbrechlichkeit lässt sich daher im Rahmen des
Resilienzdiskurses folgendermaßen zusammenfassen:
Die Konvergenz von zentralen empirischen Dimensionen gelingender Identitätsbil-
dung und verantwortlicher Identitätsarbeit mit personalen Ressourcen für Resilienz lässt
sich dahingehend deuten, dass Resilienz eine vulnerabilitätsbewusste und krisensensi-
Selbstgestaltung und Sinnsuche unter fragilen Bedingungen 137

ble Perspektive für Identitätsbildung und Identitätsarbeitsfähigkeit darstellt. Resilienz-


erwartungen, Resilienzdiskurse und Resilienzpraktiken mit verkürzten oder einseitigen
Subjektimplikationen einerseits und einer Systemblindheit andererseits sind vor dem Hin-
tergrund des skizzierten Identitätsverständnisses aus ethischer Sicht zu problematisieren,
weil sie die konstitutionelle Verwundbarkeit, Begrenztheit, Relationalität und Endlichkeit
des Menschen und seiner Gestaltungsmöglichkeiten theoretisch wie auch praktisch nicht
zur Geltung bringen.
Die Identität eines Menschen, seine konkrete Biografie in ihrer gewordenen, aber auf
Zukunft offenen Unbeliebigkeit wird damit zur kriteriellen Richtgröße konkreter Resi-
lienzansprüche. Denn die biografischen Unbeliebigkeitsstrukturen von Identität zeichnen
vor und begrenzen den Rahmen des human Stimmigen in konkreten Entscheidungs- und
Handlungssituationen, in denen sich Personen in ihrem Bemühen um seelische Wider-
standskraft und Lebensmöglichkeiten von Freiheit erfahren. Identität bildet denjenigen
Rahmen, innerhalb dessen sich auch normative Ansprüche pädagogisch-therapeutischer
Art an eine Person als berechtigt erweisen können müssen, wenn deren personale Einlö-
sung überhaupt möglich sein und moralische Qualität annehmen können soll.
So verstanden begrenzen Identität und Biografie den Spielraum möglicher Urteile und
Handlungen, die von einer Person „als gut, richtig, sinnvoll, angemessen, zumutbar, not-
wendig empfunden werden können“ (Korff 1985, S. 107), und damit auch den Spielraum
möglicher personal-individueller normativer Ansprüche, die aus der Selbstverpflichtung
auf das im Rahmen einer rationalen Lebensführung vor dem Hintergrund subjektiv an-
erkannter Prinzipien erfasste konkrete Gute beziehungsweise Böse resultieren und sich
nicht angemessen sozialmoralisch legitimieren lassen. Die Strukturmomente disponieren
also zum einen grundsätzlich den personal-individuellen Möglichkeitsraum und Stimmig-
keitshorizont der je faktischen Entscheidungs- und Handlungsfreiheit, der moralisch rele-
vanten Selbstbestimmungsfähigkeit und Zurechenbarkeit und folglich der Moralfähigkeit
einer Person, wie sie für die Frage nach der Moralität einer Person sowie ihrer Urteile und
Handlungen unabdingbar sind. Zum anderen disponieren diese biografischen Unbeliebig-
keitsfaktoren von Identität in individualethischer Perspektive jenes ethisch legitime An-
spruchsfeld, das den Selbstumgang, die Selbstbildung, die Selbstsorge und insgesamt die
individualbezogene Lebensführung betrifft; nur innerhalb dieses Rahmens vermag der
Einzelne sein Leben als human und stimmig zu erfahren und zu gestalten. Gegenüber dem
normativen Ideal einer selbstoptimierten absoluten Selbstmächtigkeit ist also die anthro-
pologische Einsicht in die konstitutionelle Verletzbarkeit, Zerbrechlichkeit, Relationalität
und Endlichkeit des Menschen auch im Resilienzdiskurs wie bei Resilienzpraktiken in
Anschlag zu bringen (vgl. Schneider und Vogt 2016). Menschliche Existenz ist bleibend
fragil und fragmentarisch (vgl. Luther 1992).
Resilienzanforderungen, die den Gedanken fragiler und fragmentarischer Identität ig-
norieren, müssten dagegen Nichtrealisiertes und Abhängigkeiten verleugnen, Ohnmacht,
Angst und Verzweiflung abspalten oder bekämpfen, Ambivalentes vereindeutigen, auf die
praktische Hoffnung auf eine offene Zukunft verzichten und die Selbstakzeptanz wie auch
die Empathie für den Anderen als Anderen unterdrücken. Ein unkritisch systemaffirma-
138 Jochen Sautermeister

tives Identitätsideal würde ferner die Möglichkeit humaner Identitätsbildung insofern be-
einträchtigen, als es die Resilienzlast ganz auf das Individuum richten würde.
Eine moralpsychologisch ausgerichtete ethische Reflexion von Resilienz hat daher auch
identitätsformende Prozesse der Selbstsorge, des Einübens und der Bildung, des existen-
ziellen, moralischen und spirituellen Lernens und der Habitualisierung von entsprechen-
den Verhaltensweisen, Einstellungen und Lebensstilen zu berücksichtigen. Denn in ihnen
macht der Mensch in seinem Ringen um Selbstgestaltung und Sinn ernst. Darin gewinnt
die realistische salutogenetische Hoffnung in Krankheit, Verletzung, Leid, Scheitern,
Schuld und Ungerechtigkeit ihre biografische Gestalt, so dass man auch sagen könnte:
„Resilienz – Gedeihen trotz widriger Umstände“ (Welter-Enderlin und Hildenbrand 2012).
Selbstgestaltung und Sinnsuche unter fragilen Bedingungen 139

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Resilienz
Ein schädlicher Begriff für den Umgang
mit Stress am Arbeitsplatz?

Jörn Hurtienne und Katharina Koch

Zusammenfassung

Bei der Frage nach dem Umgang mit psychischen Belastungen im Wandel der Arbeit
wird zunehmend häufiger mit dem Konzept „Resilienz“ geantwortet. Für die Bewältigung
psychischer Belastungen in der Wissensarbeit erweist sich das geläufige Verständnis von
Resilienz aber in mehrfacher Weise als problematisch. Resilienz wird in der Praxis häufig
auf die Stärkung der individuellen Anpassungs- und Widerstandskraft der Beschäftigten
verkürzt. Ein ganzheitlicher Ansatz zielt jedoch darauf ab, psychische Belastungen glei-
chermaßen auf individueller Ebene, Team-Ebene und organisationaler Ebene anzugehen.
In der Tradition der Arbeitspsychologie plädiert der Beitrag für „Verhältnisprävention vor
Verhaltensprävention“, die über personale Resilienz hinausweist, betont die Pflicht der
Arbeitgeber*innen die Beschäftigten vor Gesundheitsbeeinträchtigungen zu schützen und
zeigt betriebliche Handlungsmöglichkeiten im Bereich der Wissensarbeit auf.

1 Einleitung

Resilienz am Arbeitsplatz wird oft als psychische Widerstandskraft definiert, als Fähig-
keit, schwierige Lebenssituationen ohne anhaltende Beeinträchtigung zu überstehen (vgl.
Tedeschi und Calhoun 2004). Resilienz kann nicht nur passive Widerstandskraft bezeich-
nen, auch aktive Anpassung an veränderte Situationen kann gemeint sein (vgl. Luthar et
al. 2000, S. 543). Den meisten Definitionen ist gemein, dass es um schwerwiegende Not-
141
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2018
M. Karidi et al. (Hrsg.), Resilienz,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-19222-8_8
142 Jörn Hurtienne und Katharina Koch

situationen geht, die mit enormem Stress einhergehen, mindestens aber mit „bedeutsamem
Wandel“ und dass die Betrachtungsebene das (arbeitende) Individuum ist (für eine Über-
sicht von Definitionen s. Blum et al. 2015). Die Verwendung des Begriffs hat sich seit 1980
nahezu verdreifacht (Google Books Ngram Viewer, eigene Auswertung) und wird auch im
Arbeitsschutz als neues Thema für das Betriebliche Gesundheitsmanagement diskutiert
(z. B. Grabley et al. 2015).
Anhand der zwei Definitionsdimensionen Widerstand und Adaptation wird im Fol-
genden die Nützlichkeit des Begriffs für die Diskussion um psychische Belastungen am
Arbeitsplatz untersucht. Obwohl Resilienz oft mit psychischen Belastungen und Stress
in Zusammenhang gebracht wird, widerspricht der Resilienzansatz in mehrfacher Hin-
sicht einem ganzheitlichen Verständnis von Arbeitsschutz, ja kann ihm sogar schädlich
werden. Im Folgenden wird zunächst am Beispiel Lärm das Vorgehen des Arbeitsschutzes
beschrieben. Dann wird auf neue Konstellationen psychischer Belastungen im Wandel der
Arbeit am Beispiel Wissensarbeit eingegangen. In der Folge wird der Begriff bzw. das im
Arbeitskontext vorherrschende Verständnis von Resilienz bewertet und unser Vorgehen zu
Strategien der Bewältigung psychischer Belastungen im Wandel der Arbeit1 vorgestellt.

2 Traditioneller Arbeitsschutz am Beispiel Lärm

Stellen Sie sich vor, Sie wären Sicherheitsfachkraft in einem Industriebetrieb. Unten in der
Halle steht eine Maschine, die zu viel Lärm macht. Der Betriebsarzt oder die Betriebs-
ärztin ordnet Hörüberprüfungen an und mahnt an, etwas gegen den Lärm zu tun. Sonst
drohten Leistungseinbußen und arbeitsbedingte Schwerhörigkeit. Als Arbeitsschützer*in
verfügen Sie über Tabellen und Diagramme, aus denen Sie ablesen können, nach welcher
Zeit bei welchem Schalldruck (gemessen in Dezibel) die allgemeine Leistungsgrenze und
die Schädigungsgrenze erreicht sind. Achtzig Dezibel (dB) Lärm entsprechen zum Bei-
spiel Straßenlärm oder dem Lärm, den Staubsauger oder Rasenmäher von sich geben.
Schon nach 17 Minuten Arbeit bei 80 dB ist die Leistungsgrenze überschritten, d. h. die
Arbeitsleistung verschlechtert sich. Nach acht bis neun Stunden bei 80 dB ist die Schädi-
gungsgrenze erreicht, d. h. das Gehör kann irreversible Schäden erleiden. Resilienztheo-
retisch betrachtet, wäre Lärm also eine beeinträchtigende Belastung und die Leistungs-
und Schädigungsgrenzen würden das Limit der Widerstandskräfte der Leistung und der
Gesundheit markieren. Da es dem Arbeitsschutz um die Verhütung von arbeitsbedingten
Gesundheitsgefahren geht, sollte zumindest die Schädigungsgrenze nicht erreicht werden.
In der Lärm- und Vibrations-Arbeitsschutzverordnung (LärmVibrationsArbSchV 2016)
z. B. gilt ein Schalldruckpegel von 85 dB als oberste Grenze, ab der Lärmschutzmaß-
nahmen verpflichtend sind. Da aber die Leistungsgrenzen wesentlich früher auftreten,
sollten entsprechend bereits früher Schutzmaßnahmen getroffen werden. Für konzentrier-
te geistige Arbeit gilt bereits ein Höchstwert von 55 dB (Lange und Windel 2013). Im

1 So der Name unseres Forschungsprojekts im Forschungsverbund ForChange: forchange.de


Resilienz 143

Allgemeinen werden 40 dB als normale Arbeitslautstärke empfohlen (entspricht einem


leisen Gespräch).
Abseits von diesen passiven Grenzen zeigt das menschliche Gehör seine Resilienz da-
durch, dass es sich anpassen und „zurückfedern“ kann. Jede/r, der/die einmal bei einem
lauten Techno- oder Rockkonzert war, erinnert sich an das Taubheitsgefühl auf den Oh-
ren, das nach 12 bis 14 Stunden Ruhe wieder verschwindet. Hier hat sich die Hörschwelle
zeitlich begrenzt verschoben, ein physiologischer Effekt, der auch mit der englischen Ab-
kürzung TTS (Temporary Threshold Shift) bezeichnet wird (Casali 2012). Wenn nach der
Lärmeinwirkung ausreichende Ruhezeiten nicht eingehalten werden, kann es zu Schwer-
hörigkeit kommen (PTS, Permanent Threshold Shift) (Schlick et al. 2010). Insgesamt muss
also nicht nur auf die Intensität und die Zeitdauer der Lärmeinwirkung geachtet werden,
sondern auch auf ausreichende Erholungszeiten. Der Arbeitsschutz versucht dabei zu ver-
meiden, die Grenzen des Widerstandes und der Adaptation (also der Resilienz des Ge-
hörs) zu überschreiten und damit die Resilienz des Gehörs überhaupt in Anspruch nehmen
zu müssen. Auch ein Training der Lärmresilienz für das Gehör anzubieten, wäre dem
Arbeitsschutz fremd (und wohl physiologisch auch unsinnig).
Nehmen wir nun an, die Maschine exponiert die daran beschäftigten Arbeiter*innen
einem Lärm von 105 dB, also weit über die empfohlene Grenze hinaus. Welche Möglich-
keiten sehen Sie zur Vermeidung von Gesundheitsschäden? Angenommen, Sie kauften
Gehörschützer und schulen die Beschäftigten an der Maschine. Eine Stunde lang unter-
weisen Sie sie in den physiologischen Hintergründen und in der Notwendigkeit, den Ge-
hörschutz zu tragen. Ist damit das Problem erledigt? Nein. Bei einer Begehung des Be-
reichs stellen Sie fest, dass höchstens zwei Drittel der Beschäftigten den Gehörschutz
regelmäßig trägt (auch deutlich weniger ist möglich, siehe Griffin et al. 2009). Die anderen
haben gute Begründungen, ihn gerade jetzt nicht tragen zu können. Mit Gehörschutz höre
man Geräusche nicht mehr, die auf Fehler im Lauf der Maschine hinweisen. Auch arbeits-
bedingte Gespräche mit den Kolleg*innen seien erschwert, da man mit dem Gehörschutz
auf den Ohren kaum etwas verstehe. Andere haben ihren Gehörschutz im Umkleideraum
aufbewahrt, nicht dort wo sie ihn brauchen, und finden es zu umständlich ihn zu holen.
Außerdem sehe man mit dem Ding auf den Ohren nicht sonderlich intelligent aus.
Kurzum, Maßnahmen, die an das Verhalten der Beschäftigten appellieren, hängen
stark von deren Motivation und der lokalen Durchsetzungsmacht der Arbeitsschutzver-
antwortlichen ab. Vielversprechender ist es, das Problem an der Wurzel anzugehen und an
den Bedingungen anzusetzen, unter denen gearbeitet wird: Die alte Maschine wird durch
eine leisere ersetzt. Oder sie wird mit einem dämmenden Gehäuse versehen. Eine weitere
Maßnahme wäre organisatorischer Art: Sie verringern die Expositionszeit der einzelnen
Arbeiter*innen an der Maschine.
Generell gilt aus der Perspektive des Arbeitsschutzes der Grundsatz „Verhältnispräven-
tion vor Verhaltensprävention“. Das bedeutet, dass Maßnahmen, die bedingungsbezogen
durchgeführt werden, mittel- bis langfristig deutlich effektiver sind als personenbezogene
Maßnahmen (Ulich 2005). Für unser Beispiel heißt das, dass Lärmschutzmaßnahmen auf
der technischen und organisatorischen Ebene (Kapselung der Maschine, Änderung des
144 Jörn Hurtienne und Katharina Koch

Schichtplans) effektiver sind, als das Verhalten der Beschäftigten ändern zu wollen (Tra-
gen eines persönlichen Gehörschutzes). Könnte man also die Resilienz der Beschäftigten
gegen Lärm überhaupt beeinflussen, wäre es im klassischen Arbeitsschutz eher eine nach-
rangige Maßnahme zur Verhütung arbeitsbedingter Gesundheitsgefahren.

3 Psychische Belastungen bei Wissensarbeiter*innen


im Wandel der Arbeit

3.1 Fallbeispiel

Wir verlassen nun die Arbeiter*innen an der Maschine und begeben uns zu den Ange-
stellten im Verwaltungsgebäude. Die Entwicklungsabteilung klagt über Stress. Seit im
Zuge der letzten Restrukturierung Teile der Entwicklung ins Ausland verlagert wurden,
sind die Arbeitstage länger geworden. Um rund um die Uhr entwickeln zu können und
damit schneller als die Konkurrenz zu sein, arbeiten weitere Teams in Shanghai und San
Francisco. Für die deutschen Beschäftigten bedeutet das oft zusätzliche Meetings mor-
gens vor und abends nach der eigentlichen Arbeitszeit zur Übernahme und Übergabe von
Arbeitspaketen. Zugleich findet Wettbewerb zwischen den Teams statt: Die Beschäftigten
in China erledigen die gleiche Arbeit für die Hälfte der Kosten. Bei Personalengpässen,
holt das Management Leiharbeiter*innen an Bord. Manche von ihnen gehen wieder nach-
dem das Projekt vorbei ist, andere bleiben über mehrere Projekte hinweg und hoffen vom
Unternehmen übernommen zu werden. Nur dann nämlich gelten auch für sie die gleichen
Bedingungen: Bezahlung nach Tarif, bessere arbeitsorganisatorische Eingliederung, volle
Verantwortung des Unternehmens für ihre Arbeitsschutzbelange. Als Aktiengesellschaft
muss die Firma ihren Aktionär*innen Profit versprechen, was in einem hart umkämpften
Markt zu wiederholten Anpassungen der Strategien führt. Restrukturierungen sind häufig,
die Vorgesetzten wechseln alle zwei Jahre. Auch die Kund*innen sind anspruchsvoller
geworden. Sie erwarten maßgeschneiderte Produkte in immer kürzeren Entwicklungs-
zeiträumen und drohen zur Konkurrenz abzuwandern. Da sich die Entwicklungszeiten
dem Druck anpassen, kommen neue Funktionalitäten oft unausgereift auf den Markt. Die
Kund*innen beschweren sich, die Hotline läuft heiß. Statt ihre Zeit in die Weiterentwick-
lung der Produkte zu investieren, betreiben die Entwickler*innen infolgedessen Trouble-
shooting, obwohl die Produktqualität das Alleinstellungsmerkmal der Firma am Markt ist.
Die Firma hat schon vor Langem Vertrauensarbeitszeit eingeführt und ist zu einer er-
gebnisorientierten Steuerung übergegangen. Die zu erreichenden Ziele speisen sich aus
den (oft unrealistischen) Projektplänen, die das Management mit den Kund*innen ver-
einbart hat, wodurch bestimmte Termine, Preise und Funktionsumfänge vorgegeben wer-
den. Mit den verfügbaren Ressourcen sind diese oftmals nicht realisierbar. Die Leiharbei-
ter*innen, die eigentlich zur Entlastung eingestellt werden, kosten ihrerseits Zeit, müssen
sie doch erst eingearbeitet werden. Jede/r Mitarbeiter*in muss 90 % ihrer/seiner Zeit auf
Kundenprojekten verbuchen können. Da überdies viel interne Arbeiten zur Dokumenta-
Resilienz 145

tion und Koordination zu verrichten sind, die auf kein Projekt der Kund*innen gebucht
werden können, bleibt wenig Zeit zum Durchschnaufen, Zurückschauen und Planen.
Der technische Wandel stellt den Beschäftigten immer neue Werkzeuge zur Verfügung,
die die Entwicklung vereinfachen sollen. Neue technische Standards kommen auf den
Markt und müssen eingehalten werden. Für entsprechende Schulungen ist jedoch keine
Zeit. Die Entwickler*innen bilden sich privat und am Wochenende fort, wollen sie doch
ihre Werkzeuge beherrschen und gute Arbeit leisten. Durch den technischen Wandel wird
zunehmend mobil gearbeitet. Jede/r Entwickler*in hat einen Laptop, mit dem sie/er auch
sonntags bereits von zu Hause ihre/seine E-Mails lesen kann, und dies auch tut, um vor-
bereitet in die Woche zu gehen. Offiziell ist Heimarbeit möglich, wird aber kaum genutzt.
Anwesenheit in der Firma zählt.
Insgesamt erleben die Beschäftigten diese Arbeitsbedingungen als sehr stressig. Eine
interne Mitarbeiter*innen-Befragung zum Stresserleben ergibt alarmierende Werte. Der
Krankenstand in der Abteilung ist hoch. Von einigen Beschäftigten wird behauptet ihre
Diagnose laute Burnout. Auch hier ist es Aufgabe des Arbeitsschutzes einzugreifen.

3.2 Psychische Belastungen im Wandel der Arbeit

Die Beschreibung der obigen Situation in der Entwicklungsabteilung ist fiktiv, aber den-
noch realistisch. Sie ist aus unseren Erfahrungen im Feld gewonnen und stimmt mit der
empirischen Literatur, die psychische Belastungen im Wandel der Arbeit untersucht, über-
ein (z. B. Gerlmaier und Latniak 2010; Dunkel und Kratzer 2016; Handrich et al. 2016).
Der Wandel der Arbeit, der auch in den höherqualifizierten Tätigkeiten seit der Jahrtau-
sendwende stattfindet, lässt sich unter den Stichworten Wettbewerb, Beschleunigung, Sub-
jektivierung und Digitalisierung beschreiben (Hurtienne et al. 2014).
Die Globalisierung hat den Wettbewerbsdruck erhöht, kann doch vieles billiger anders-
wo in der Welt hergestellt werden. Auch innerhalb eines Unternehmens kann Wettbewerb
zwischen den internationalen Standorten bestehen. Zudem stehen verschiedene Beschäf-
tigungsgruppen miteinander in Konkurrenz: Leiharbeiter*innen, die übernommen wer-
den wollen und Arbeitnehmer*innen im Normalarbeitsverhältnis, denen nun in stärkerem
Maße bewusst wird, dass man auch absteigen kann.
Aufgrund der Beschleunigung von Technik und Kommunikation sind die Beschäftig-
ten mit erhöhten Lern-, Flexibilitäts- und Mobilitätsanforderungen konfrontiert. Unter-
nehmen reorganisieren sich in Permanenz (z. B. Dunkel et al. 2010; Köper 2012), um mit
aktuellen Entwicklungen Schritt halten zu können. Arbeitnehmer*innen finden sich in
neuen Teams und Arbeitszusammenhängen und haben neue Aufgabenstellungen, für die
sie ihr vorhandenes Erfahrungswissen immer weniger einsetzen können, weil es schnell
veraltet ist. Beschäftigte, die Restrukturierungsprozesse erlebt haben, geben in Befragun-
gen deutlich häufiger psycho-vegetative Beschwerden, wie Niedergeschlagenheit, Nervosi-
tät, Reizbarkeit, allgemeine Müdigkeit, Erschöpfung und Schlafstörungen, an als Beschäf-
tigte, die keine Restrukturierungsmaßnahmen erlebten (s. Rothe und Beermann 2014).
146 Jörn Hurtienne und Katharina Koch

Der Begriff Subjektivierung beschreibt neue Steuerungsformen, die den Zugriff auf
den ganzen Menschen erfordern (z. B. Minssen 2012; Lohr 2013). Den Mitarbeiter*innen
werden größere Spielräume eingeräumt, die Steuerung erfolgt nicht mehr nach Kosten,
sondern fokussiert das Ergebnis. Wichtig in diesem Zusammenhang sind Zielvereinbarun-
gen („Management by Objectives“). Um die gesetzten Ziele zu erreichen, bringen die Be-
schäftigten auch ihre Fähigkeiten zur (Selbst-)Organisation und Koordination mit anderen
ein. Viele Unternehmen sind dazu übergegangen, den Marktdruck direkt an die Beschäf-
tigten in Form von Zielkennzahlen weiter zu reichen. Da die Erfüllung der Kennzahlen
direkt an das Gehalt gekoppelt wird und auch für Personalbeurteilungsprozesse heran-
gezogen werden kann, erzeugt dies nicht zu vernachlässigenden Druck auf die Beschäf-
tigten. Dabei sind die Vorgaben – ähnlich wie der Markt – unvorhersehbar und instabil.
Die Ausrichtung auf quantitative Ziele (z. B. Umsatzziele) kann mit dem Anspruch „gute
Arbeit“ abzuliefern, den eigenen professionellen Standards zu genügen, den Kund*innen
zu dienen oder die eigene Gesundheit zu schützen, in Konflikt stehen (Kratzer und Dunkel
2011). Die Widersprüche zwischen quantitativen Zielvorgaben, Qualitätsansprüchen und
Deadlines tragen die Beschäftigten mit sich selbst aus, indem sie mehr Zeit aufwenden,
um allen Ansprüchen gerecht zu werden oder indem sie von bestimmten Ansprüchen Ab-
stand nehmen (z. B. gute Qualität zu liefern).
Die Effekte der Digitalisierung auf die Flexibilisierung von Arbeitszeit und Arbeitsort
und das hiermit einhergehende Verschwimmen der Grenzen zwischen Arbeit und Frei-
zeit wurden im Fallbeispiel bereits angesprochen. Ebenso wird die Beschleunigung der
Arbeits- und Kommunikationsprozesse durch die Digitalisierung erhöht. Leistungskenn-
zahlen und ihr Erreichen werden mittels Software verwaltet; die Gefahr einer verdeckten
Überwachung zur Leistungs- und Verhaltenskontrolle der Beschäftigten wächst. Neue
Kommunikationsmedien senken die Barrieren Arbeitsaufträge zu generieren. Im Zusam-
menhang mit der Digitalisierung werden des Weiteren Informationsüberlastung, steigen-
de Anforderungen durch erweiterte Dokumentationspflichten, häufige Unterbrechungen
und Multitasking sowie Technostress durch schlechte Usability diskutiert (Hurtienne und
Prümper 2003; Brinks 2005; Tarafdar et al. 2011). Eine weitere Gefahr der Digitalisierung
besteht darin, dass sie vormals gewährte Handlungsspielräume durch schleichende Stan-
dardisierung wieder einschränkt. So wird Unternehmenssoftware selten an die Belange
der spezifischen Arbeit der Beschäftigten angepasst und oft als eine „one-size-fits-all“-
Lösung eingeführt (Hurtienne et al. 2009). Aus der sich hierin andeutenden Entfremdung
der Handlungsabläufe vom eigentlichen Arbeitskontext und der Einschränkung der Wahl-
möglichkeiten kann eine gefährliche Mischung aus steigenden Anforderungen und sin-
kenden Spielräumen werden (Menz et al. 2011).
Dass diese Veränderungen der Arbeitswelt Auswirkungen auf psychische Belastungen
und Beanspruchungen haben, dürfte deutlich geworden sein. Der vorherrschende Zeit- und
Leistungsdruck wird daran deutlich, dass über die Hälfte bis drei Viertel der Erwerbstäti-
gen in repräsentativen Umfragen angeben, häufig unter starkem Zeit- und Leistungsdruck
zu arbeiten (Lohmann-Haislah 2012; Hurtienne et al. 2014; Institut DGB-Index Gute Ar-
beit 2015). Je höher die Qualifikation, desto häufiger sind Zeit- und Leistungsdruck Teil
Resilienz 147

des Arbeitsalltags. Davon sind praktisch alle wissensintensiven Tätigkeiten betroffen. Der
Anteil derjenigen Beschäftigten, die nach der Arbeit abschalten können, sinkt – z. B. im
IT-Bereich von 51 % (2001) auf 29 % (2009). Der Anteil derjenigen, die angeben, ihre
Arbeit auf Dauer durchhalten zu können, sank im gleichen Zeitraum von 57 % auf 37 %
(Gerlmaier et al. 2010). Insgesamt stiegen zwischen 1996 und 2011 die Arbeitsunfähig-
keitstage wegen psychischen Erkrankungen um 80 % an. Mehr als zwei Fünftel der Neu-
anträge zur Erwerbsunfähigkeitsrente werden aufgrund psychischer Erkrankungen ge-
stellt (Lohmann-Haislah 2012). Dies erzeugt nicht nur enorme Kosten für den Einzelnen
und die Unternehmen, sondern auch für die Gesellschaft, so dass psychische Belastungen
2012 erstmalig ein Schwerpunkt des Arbeitsprogrammes der Gemeinsamen Deutschen
Arbeitsschutzstrategie geworden sind, einer von Bund, Ländern und Unfallversicherungs-
trägern gemeinsam getragenen Initiative zur Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit.

3.3 Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung

Was können Sie als Sicherheitsfachkraft nun in der oben geschilderten Situation tun? Psy-
chische Belastungen lassen sich nicht so einfach mit einem Messgerät bestimmen wie
der Lärm einer Maschine. Gängige Methoden der Gefährdungsbeurteilung psychischer
Belastungen sind die Dokumentenanalyse, Befragung der Beschäftigten oder die Durch-
führung von Beobachtungsinterviews und Begehungen am Arbeitsplatz. Dabei werden
die Arbeitsaufgaben, die Arbeitsinhalte, die Arbeitsorganisation, die sozialen Beziehun-
gen sowie die Arbeitsumgebung betrachtet (Ulich 2005; GDA 2016). Daraufhin werden
Gestaltungsbereiche definiert und geeignete Maßnahmen, meist in Workshops mit den
Beschäftigten, entwickelt.
Doch woran erkennt man, wann Handlungsbedarf besteht? Grundsätzlich ist es viel
schwieriger Leistungs- und Schädigungsgrenzen von psychischen Belastungen festzu-
legen als z. B. bei Lärm. Verfahren zur Gefährdungsbeurteilung versuchen objektive
Schwellen zu definieren, ab denen Arbeitsbedingungen als gestaltungsbedürftig gelten
(z. B. das RHIA/VERA-Verfahren von Leitner et al. 1993 oder das Tätigkeitsbewertungs-
system von Richter und Hacker 2003). Arbeitsbedingungen, die diese Schwellen psychi-
scher Belastung übersteigen, gilt es zu verändern. Diese Verfahren sind einigermaßen
aufwändig durchzuführen bzw. benötigen arbeitspsychologische Expert*innen (oder zu-
mindest geschulte Fachkräfte) zur Durchführung. Hinzu kommt, dass für neue Arbeits-
formen häufig keine geeigneten Verfahren zur Verfügung stehen. So würde das erwähnte
Tätigkeitsbewertungssystem für klassische Wissensarbeit kaum einen Gestaltungsbedarf
ermitteln – gilt sie doch als mit vielseitigen Arbeitsanforderungen und hohem Handlungs-
spielraum ausgestattet. Die typischen Probleme, die für Wissensarbeiter*innen aus den
Widersprüchen zwischen Arbeitsmenge, Qualität und der zur Verfügung stehenden Zeit
resultieren, werden in den vorliegenden Verfahren kaum berücksichtigt. Zusätzlich stellt
sich heraus, dass es auch ein Zuviel an Anforderungsvielfalt, zu viel Spielraum bei der
Wahl der Ausführungsweise oder zu viel soziale Unterstützung geben kann – allesamt
148 Jörn Hurtienne und Katharina Koch

Kriterien, bei denen in der Arbeitswissenschaft bisher ein „mehr ist besser“ galt (vgl.
Hacker et al. 2015; Sachse und Strasser 2015). Verfahren zur Gefährdungsbeurteilung, die
auch eine Orientierung für neue Arbeitsformen ermöglichen, befinden sich noch in der
Initialphase (Hacker et al. 2015).
Um aufwändige Expert*innen-Verfahren zur Gefährdungsbeurteilung zu umgehen,
werden oft Mitarbeiter*innen-Befragungen eingesetzt. Diese sind allerdings mit dem
Nachteil verbunden, dass sie Arbeitsbedingungen und Stresssymptome von Personen mit-
einander vermischen. Verlässt man jedoch die Ebene objektiver Bedingungen und erfragt
nur noch das Stresserleben, ist schwer nachzuweisen, wie sehr der Stress arbeitsbedingt
ist. So kann die Situation im Privaten das arbeitsbedingte Stresserleben sowohl verstärken
(z. B. durch innerfamiliäre Konflikte) als auch verringern (z. B. durch Sport und Erholung).
Ebenso ist zu reflektieren, dass Stresserleben subjektiv unterschiedlich empfunden wird,
d. h. die gleichen Arbeitsbedingungen können von verschiedenen Personen sehr unter-
schiedlich belastend erlebt werden.
Weiterhin bestehen nicht nur Wechselwirkungen zwischen Arbeitsbedingungen und
Person, sondern auch zwischen Arbeitsbedingungen untereinander. Die Messung von ein-
zelnen Kriterien der psychischen Belastung reicht nicht aus, vielmehr muss die Interak-
tion zwischen den verschiedenen Variablen berücksichtigt werden. So ist z. B. seit langem
bekannt, dass erhöhte Arbeitsanforderungen durch einen hohen Handlungsspielraum und
hohe soziale Unterstützung gepuffert werden können, sodass hoher Zeitdruck allein nicht
unbedingt zu gesundheitlichen Beschwerden führen muss. Nur bei geringem Handlungs-
spielraum und geringer sozialer Unterstützung wirkt hoher Zeitdruck schädlich (Karasek
und Theorell 1992). Ebenso können gesundheitliche Beeinträchtigungen infolge hoher
Arbeitsbelastung abgefedert werden, indem die hohe Verausgabung angemessen in Form
von Anerkennung, Karrierechancen oder Gehalt belohnt wird (Siegrist 1996).

4 Resilienz und psychische Belastungen

Fassen wir zusammen: Generell gilt auch bei der Messung der psychischen Belastungen,
wie bei Lärm, der bedingungsbezogene Ansatz: Man will etwas über die Arbeitsbedin-
gungen herausfinden und einschätzen, ob daran etwas zu ändern ist, wenn bestimmte aus
Stresstheorien und der durch Empirie ermittelte Grenzwerte überschritten werden. In der
Praxis steht dem oft entgegen, dass die Verfahren entweder zu expertenorientiert oder
kaum relevant für die Beurteilung neuer Arbeitsformen sind. Angewandt werden häufig
subjektive Verfahren, die nicht nach objektiven Arbeitsbedingungen fragen, sondern nach
subjektiven Beanspruchungen. Zwischen den Arbeitsbedingungen gibt es gegenseitige
Wechselwirkungen, so dass Grenzwerte nicht für eine Bedingung unabhängig festgelegt
werden können. Vor diesem Hintergrund lässt sich nun spekulieren, warum das Thema
Resilienz bei psychischen Belastungen in Betrieben so erfolgreich werden konnte.
Zum Ersten sind Sicherheitsfachkräfte, die auch für psychische Belastungen zuständig
sind, von Haus aus oft Ingenieure. Lärmmessung und – bekämpfung mit technischen Mit-
Resilienz 149

teln beispielsweise liegen ihnen daher eher als der Umgang mit komplexen psychosozialen
Konstellationen, die auch die Betroffenen oft selbst nicht durchschauen können. Anders
als bei der, im obigen Beispiel dargestellten, Lärmbelastung, sind Ursache-Wirkungsbe-
ziehungen und einfache Lösungen viel schwerer zu ermitteln. Gerade bei Wissensarbei-
ter*innen erscheint der Stress oft selbstgemacht; die strukturellen Ursachen, die eine ver-
hältnisorientierte Prävention angehen müsste, sind dabei schwerer zu definieren und zu
verhandeln. Die entsprechenden betriebspolitischen Konsequenzen müssten dann von den
Sicherheitsfachkräften moderiert werden, wozu sie wahrscheinlich wenig motiviert sind.
Hinzu kommt, dass Stress – und Burnout-Themen für (wahrscheinlich stärker psycho-
logisch geschulte) Personalabteilungen sind, die darauf mit ihren Standard-Instrumenten,
den Mitarbeiter*innen-Befragungen und Mitarbeiter*innenschulungen, reagieren können.
Resilienz passt sich gut an die Interessenslage und methodischen Zugänge der Personal-
abteilungen ein. Da diese in der bedingungsbezogenen Analyse von Arbeitsbedingungen
weniger erfahren sind als in der Durchführung von Personalentwicklungsmaßnahmen,
erscheint es naheliegend, Resilienztrainings anzubieten.
Den Aufwind, den der Resilienzbegriff gerade erfährt, kann man, zum Zweiten, auch
als systematisches Phänomen einer zunehmenden Verantwortungsverlagerung von Orga-
nisationen auf Individuen verstehen (vgl. Rungius et al. 2018). Der Fokus auf Resilienz
passt gut zu dem obigen Trend einer Subjektivierung des Arbeitslebens, also des immer
stärkeren Einbezugs des ganzen Menschen (mit seinen kognitiven, sozialen und motiva-
tionalen Fähigkeiten) in die Erbringung der Arbeitsleistung. Es fügt sich in die Trends
der Vermarktlichung und Quantifizierung ein, in denen Marktzwänge des Unternehmens
(z. B. einen bestimmten Umsatz erzielen zu müssen) per Zielvereinbarung und Kennzah-
len direkt an die Mitarbeiter*innen durchgereicht werden. Mit der Forderung des Ma-
nagements nach der Resilienz der Beschäftigten kommt zur individuellen Verantwortung
der Beschäftigten für die Zielerreichung nun überdies die Verantwortung für die eigene
Leistungsfähigkeit und Gesundheit hinzu, die meist unwidersprochen bleibt.
Zum Dritten könnte Resilienz eine Lücke füllen, die derzeit in der Praxis bei der Ge-
fährdungsbeurteilung psychischer Belastungen besteht. Gefährdungsbeurteilungen psy-
chischer Belastungen, obwohl gesetzlich geboten (§5 ArbSchG), werden gegenwärtig
überhaupt nur von etwa einem Fünftel der Betriebe durchgeführt (Beck et al. 2012). Ei-
nige Schwierigkeiten der Gefährdungsbeurteilung wurden oben bereits aufgezeigt. Die
Betriebe nennen uneinheitliche Begriffe, ein unübersichtliches Angebot an Analyseinst-
rumenten und die mangelnde thematische Qualifikation der betrieblichen Akteure, aber
auch der Aufsichtsdienste als Ursache für nicht durchgeführte Gefährdungsbeurteilungen.
Auch ist das Thema psychische Belastungen am Arbeitsplatz dazu geeignet, bestehende
Konfliktlinien zwischen Management und Belegschaft aufzureißen, geht es doch um die
(mitunter brisante) Bewertung von Arbeitsbedingungen, Arbeitsaufgaben, Arbeitsverhält-
nissen, Anerkennungsprozessen, Leistungsvorgaben und ähnlichem. Es kommt hinzu,
dass Gesundheitsthemen keine Priorität im Tagesgeschäft zugeschrieben wird bzw. über
die gesetzliche Verpflichtung hinaus kaum eine Notwendigkeit gesehen wird, das Thema
anzugehen (ebd.). Das Konzept der Resilienz kommt angesichts dessen sehr gelegen, ver-
150 Jörn Hurtienne und Katharina Koch

spricht es doch, Mitarbeiter*innen gegen kommenden Wandel und Krisen widerstands-


fähig zu machen. Da die Beschäftigten durch das Training von Resilienz in die Lage ver-
setzt werden, jederzeit selbst auf jegliche, nicht näher spezifizierte Anforderungen in der
Zukunft reagieren zu können, erscheint es überflüssig, die konkreten Arbeitsbedingungen
und ihre komplexen Wechselwirkungen zu beurteilen. Die Beschäftigten erhalten einen
Immunschutz, der es nicht mehr erfordert, aufwändige und wenig verstandene Verfahren
zur Gefährdungsbeurteilung heranzuziehen und die daraus folgende mühsame Ermitt-
lung und Umsetzung von Maßnahmen durchzuführen. Zugleich bleibt der Hausfrieden
gewahrt. Die Geschäftsführung kann den Beschäftigten und ihren Vertreter*innen das
Gefühl geben, dass man sich um das Thema psychische Belastung kümmert, während
zugleich keine Veränderungen an den Beschäftigungsbedingungen und Strukturen vor-
genommen werden müssen. Ein Resilienztraining für die Beschäftigten reicht (scheinbar)
aus.
Damit wird das Konzept der Resilienz gleich fünffach gefährlich für einen gelingenden
Arbeitsschutz: Erstens, das haben wir bereits am Beispiel Lärm gesehen, fordert Resilienz
die Widerstands- und Adaptationsgrenzen des betreffenden Organismus heraus. Um über-
haupt von Resilienz sprechen zu können, braucht es einen signifikanten Stressor. Nach
den gängigen Resilienzdefinitionen ist dieser aber so stark, dass er auf Dauer nicht für
jeden aushaltbar wäre. Wenn also Resilienz gefordert ist, bewegt man sich wissentlich
bereits jenseits von Schädigungsgrenzen (von Leistungsgrenzen ganz abgesehen) im ge-
sundheitsgefährdenden Bereich. Dies ist mit dem Arbeitsschutz nicht vereinbar, der zuläs-
sige Höchstgrenzen für Stress gerade so setzen will, dass eine mögliche Schädigung des
Organismus ausgeschlossen ist (Resilienz also nicht getestet werden muss).
Zum Zweiten lenkt Resilienz(-förderung) von der Gestaltung der Arbeitsbedingungen
ab und fokussiert zu sehr auf personenzentrierte Interventionen. Das widerspricht dem
Grundsatz der „Verhältnisprävention vor Verhaltensprävention“, der auch bei psychischen
Belastungen gilt. Resilienz stellt nicht nur die Priorität der Maßnahmen auf den Kopf
(Iwanowa 2015), mit ihr als Leitsatz für den Arbeitsschutz droht vielmehr die (wirksame-
re) Verhältnisprävention ganz in Vergessenheit zu geraten.
Zum Dritten bürdet Resilienz die Verantwortung um ihre Gesundheit ausschließlich
den einzelnen Beschäftigten auf. Durch Resilienz werden arbeitsbedingte psychische
Überlastungssymptome als individuelle Anpassungsstörungen definiert und damit zum
individuellen Problem (Faller 2013). Dies passt zwar zum Trend der Subjektivierung von
Arbeit, bedeutet letztendlich aber eine Übertragung von Verantwortlichkeiten auf den
Arbeitnehmer, die das Arbeitsschutzgesetz klar bei den Arbeitgeber*innen verortet (vgl.
Podehl 2007). Jedoch ist die gegenwärtige Verschiebung der Verantwortung hin zu den
Arbeiternehmer*innen nicht aus dem Resilienzbegriff selbst abzuleiten. Vielmehr ergibt
sie sich aus dessen alltagspraktischen Verständnis. Resilienz betont hingegen durchaus
auch die Verantwortung der Unternehmen; ein Aspekt, der sich jedoch bislang nicht im
überwiegenden Teil der Unternehmenskommunikation und Ratgeberliteratur nieder-
schlägt (Meyen et al. 2017).
Resilienz 151

Zum Vierten berücksichtigt Resilienz als personenzentrierter Ansatz nicht die Ver-
flechtungen der individuellen Ebene mit den Ebenen des Teams und der Organisation.
In Resilienztrainings werden z. B. Optimismus, Akzeptanz, Verlassen der Opferrolle und
Übernahme von Verantwortung vermittelt (s. Wellensiek 2011). Aber wenn die Beschäf-
tigten dann im Berufsalltag ihre Opferrolle verlassen und Verantwortung übernehmen
wollen, sind sie nicht allein: der Erfolg ihrer Strategien hängt von denen der Kolleg*innen,
Vorgesetzten und Organisationen ab. Wenn die Unternehmenspolitik verlangt, jederzeit
für die Kund*innen erreichbar zu sein, kann man das Telefon nicht einen Vormittag lang
stummschalten, um Liegengebliebenes abzuarbeiten.
Zum Fünften könnte man die Begeisterung der Arbeitgeber*innen für Resilienz auch
als Kapitulationserklärung lesen. Die Firmen gehen offensichtlich nicht mehr davon aus,
den Marktdruck (wie in der Vergangenheit) abfedern zu können (oder zu wollen), son-
dern geben ihn direkt an die Beschäftigten weiter – als bliebe ihnen nichts anderes übrig.
Unternehmensexterne Realitäten gestalten unternehmensinterne Realitäten und Arbeit-
geber*innen können dem nichts entgegensetzen? Sollte dies wirklich so sein, wäre der
Arbeitsschutz nicht mehr handlungsfähig. Aber der Blick auf klassische Gefährdungs-
potenziale zeigt, dass Arbeitgeber*innen durchaus handlungsfähig sind. Nur bei dem un-
bequemen Thema psychische Belastungen sollen ihnen die Hände gebunden sein? Das
macht die Argumentation unglaubwürdig.
Resilienz hat sicher einen Platz, wenn es um den Umgang mit wirklich disruptiven
Ereignissen geht wie Arbeitsplatzverlust, Projektabbruch oder Versetzung (s. Weiß et al.
2018). Für den Umgang mit alltäglichen Stressoren ist Resilienz, wenn sie als alleinige Lö-
sung propagiert wird, der falsche Ansatz. In neueren Beiträgen wird inzwischen versucht,
das Thema Resilienz auszuweiten und Interventionsmaßnahmen auf verschiedenen Ebe-
nen (Organisation, Führungskräfte, Beschäftigte) anzusiedeln (z. B. Gunkel et al. 2014;
Souczek et al. 2016; Blum und Gutwald 2018). Es ist jedoch fraglich, ob diese Vermengung
zielführend ist, oder man nicht die sinnvolle Trennung zwischen bedingungsbezogenen
und verhaltensbezogenen Maßnahmen beibehalten sollte. Bedingungsbezogenheit durch
die Resilienz-Hintertür einzuführen, trübt gewonnene theoretische aber auch politisch-
praktische Klarheiten wieder ein.

5 Verhältnisprävention durch Verhaltensprävention?

Nimmt man den Trend zur Subjektivierung von Arbeit ernst, könnte man nun einwenden,
dass es gerade bei Wissensarbeit mit ihren großen Handlungsspielräumen, dem hohen
Grad an Selbstorganisation und der hohen Fachkompetenz gar nicht möglich ist, traditio-
nellen bedingungsbezogenen Arbeitsschutz zu betreiben. Beim Lärmbeispiel haben wir
gesehen: Die Arbeitsschutzexpert*innen machen eine Begehung, machen Messungen, die
objektive Daten liefern, vergleichen diese mit Grenzwerten und leiten daraus Handlungs-
erfordernisse und Handlungsmöglichkeiten ab, die in Abstimmung mit der Geschäftslei-
tung und den vorhandenen Mitteln umgesetzt werden können.
152 Jörn Hurtienne und Katharina Koch

Das bisherige Expert*innen-Verfahren mit objektiven Messungen wird bei psychischen


Belastungen in der Wissensarbeit nicht funktionieren. Weder sind psychische Belastun-
gen so einfach messbar, noch lassen sich Wissensarbeiter*innen in ihre Arbeit hineinre-
den. Wie kann man das Prinzip „Verhältnisprävention vor Verhaltensprävention“ dennoch
durchsetzen? Nur in Zusammenarbeit mit den Wissensarbeiter*innen. Gefährdungsana-
lysen und Ableitung von Maßnahmen zur Arbeitsgestaltung können nur mit ihrer maß-
geblichen Beteiligung gelingen. Aber, wenn die Gestaltung der Arbeitsbedingungen in
die Hände der Wissensarbeiter*innen gelegt wird, arbeiten wir doch wieder subjektiv-
personenzentriert, und damit verhaltens- statt verhältnisorientiert? Die Kunst dabei ist,
die Bedingungsbezogenheit der Analyse und Intervention aufrechtzuerhalten. Wir nennen
den Ansatz „Verhältnisprävention durch Verhaltensprävention“.
Konkret untersuchen wir dazu im Forschungsprojekt „Psychische Belastungen im
Wandel der Arbeit“ Strategien der Belastungsbewältigung von Wissensarbeiter*innen,
Teams und Organisationen. In einer ersten Phase haben wir dazu Wissensarbeiter*innen
interviewt und Stressoren und Bewältigungsstrategien identifiziert, die auf den Ebenen In-
dividuum, Team und der Organisation angesiedelt sind. Auf dieser Basis stellten wir eine
Sammlung empfehlenswerter Strategien zusammen und erarbeiteten ein Workshop-Kon-
zept für Teams von Wissensarbeiter*innen. Der Teamgedanke ist hier wichtig, denn nur
so können Wissensarbeiter*innen, die unter ähnlichen Bedingungen arbeiten, sehen, dass
ihre psychischen Belastungen und Beanspruchungen von anderen geteilt werden. Dies
öffnet den Weg von individueller Problemzuschreibung hin zur Erforschung strukturell
verursachter und damit kollektiv geteilter Ursachen für bestimmte Belastungskonstella-
tionen. Dieser Erkenntnisschritt führt dann auch zur Definition von Umgangsformen mit
psychischen Belastungen, die eher an der Wurzel der Probleme ansetzen können als rein
individuenzentrierte Maßnahmen. Großer Wert wird in den Workshops darauf gelegt, ver-
bindliche Teaminterventionen festzulegen sowie Gestaltungsempfehlungen an die Organi-
sation zu generieren (und zu priorisieren, um ihre tatsächliche Umsetzung zu erleichtern).
Die Idee der Workshops zielt darauf ab, aufzuzeigen, wo der Stress in einem Team
herkommt und statt einseitig auf individuelle Strategien des mentalen Stressmanagements
zu setzen, das Thema zurück auf Arbeitsbedingungen zu führen, die Verflechtung der
verschiedenen Ebenen der Individuum-Team-Organisation offen zu legen und den Stress
dahin zurückzugeben, wo er herkommt, anstatt Beschäftigten abzuverlangen, selbst damit
fertig werden zu müssen. Ob und wie das gelingt, werden wir am Ende des Projekts ge-
nauer einschätzen können.
Die Workshops folgen einem klar definierten Ablauf. Zunächst tragen wir zusammen,
was Stress für die einzelnen Beschäftigten bedeutet und wie sich dieser äußert. Danach
werden drei Kategorien des Stressmanagements eingeführt und an Beispielen aus dem
Arbeitsalltag des Teams diskutiert: instrumentelles Stressmanagement, das direkt an den
Stressoren ansetzt, mentales Stressmanagement, das an den individuellen Stressverstär-
kern ansetzt, sowie regeneratives Stressmanagement, das an den Stressreaktionen ansetzt
(Kaluza 2011).
Resilienz 153

Um die Verteilung von möglichen Maßnahmen auf die Ebenen Individuum, Team und
Organisation zu verdeutlichen und um Anregungen für Veränderungen zu bieten, besteht
der zweite Teil des Workshops aus einem Kartenspiel. Jede Karte präsentiert eine Bewäl-
tigungsstrategie, das Belastungsproblem auf das sie reagiert sowie Tipps zur Umsetzung
der Strategie. Durch mehrmaliges Sortieren der Karten in verschiedene Stapel reflektieren
die Teilnehmer*innen, welche Strategien ihnen in der Vergangenheit geholfen haben und
welche nicht, aber auch welche sie interessant finden und gerne ausprobieren möchten. Die
Teilnehmer*innen erhalten auf diese Weise einen Überblick über mögliche Strategien der
Belastungsbewältigung und können diese jeweils für sich und ihre Arbeitssituation be-
werten. Zum Schluss wählen sie einige wenige Karten aus, die sie zur Umsetzung in den
nächsten Wochen mitnehmen. Strategien auf der Teamebene werden im Team besprochen
und noch im Workshop mit Verantwortlichkeiten sowie Terminen zur Umsetzung festge-
legt. Vom Team für sinnvoll erachtete Strategien auf der Ebene der Organisation werden
ebenfalls besprochen und priorisiert, so dass sie der Geschäftsführung zur Bearbeitung
übergeben werden können. Für uns besonders interessant sind Strategien, die bisher nicht
im Kartenspiel auftauchen, die aber von Einzelnen, der Gruppe oder der Organisation be-
reits angewandt werden oder ausprobiert werden möchten. Diese werden auf Blankokarten
erfasst und in das Spiel aufgenommen.
Neben der Bearbeitung aktueller psychischer Belastungen verfolgen diese Work-
shops auch Forschungsziele. Wichtig ist zu erfahren, welche Maßnahmen in der Orga-
nisation, im Team bzw. vom einzelnen Beschäftigten wie oft verwendet wurden und für
wie nützlich sie eingeschätzt werden. Die Vielfalt der Teams und Organisationen über
die verschiedenen Workshops hinweg soll es uns ermöglichen, abzuschätzen unter wel-
chen Bedingungen, welche Strategien aus Sicht der Betroffenen sinnvoll erscheinen. In
einem Follow-up erfassen wir, welche der von den Teilnehmer*innen ausgewählten und
beschlossenen Interventionen erfolgreich umgesetzt werden konnten, aber auch welche
nicht und auf welche Gründe dies zurückzuführen ist. Auch dabei gilt es zu untersuchen,
welche Kontextvariablen (Verhältnisse oder Verhalten) der Umsetzung und dem Erfolg
der Strategien entgegenstehen bzw. welche diese fördern. Einige Strategien (z. B. Mento-
ring auf der Ebene der Organisation) werden von vielen Wissensarbeiter*innen als sehr
wünschenswert eingestuft, können aber ohne klare Strukturen in den Unternehmen nicht
nachhaltig implementiert werden.
Das Thema Resilienz wird in diesen Workshops von uns gar nicht angesprochen, ob-
wohl sich einzelne Bewältigungsstrategien durchaus unter diesem Label führen ließen.
Häufig wird dies aber von Seiten der Teilnehmer*innen in der Diskussion eingebracht,
woraufhin dem Thema seine entsprechende Position im theoretischen Rahmen zugewie-
sen wird als individuelle Strategie, die hauptsächlich auf mentalem Stressmanagement
beruht.
154 Jörn Hurtienne und Katharina Koch

6 Fazit: Resilienz als Absolutum schädlich, als Baustein nützlich

Es dürfte deutlich geworden sein, dass die gegenwärtige alltagspraktische Konzeption


von Resilienz und deren einseitige Fokussierung auf Individuen für einen ganzheitlichen
Arbeitsschutz zu kurz greifen. In diesem Kontext hebt der Resilienzbegriff die individu-
elle Verantwortung für den Umgang mit Stress hervor und verdeckt die Möglichkeit be-
dingungsbezogener Interventionen, die traditionell im Arbeitsschutz Vorrang haben und
die Arbeitgeber*innen nicht aus ihren Fürsorgepflichten entlassen. Resilienz mag denjeni-
gen Arbeitgeber*innen temporär als attraktiver Ausweg erscheinen, die von dem Thema
psychische Belastungen inhaltlich überfordert sind, es aus Brisanzgründen nicht angehen
oder nicht in ausreichendem Maße priorisieren wollen. Resilienz fügt sich in einen gene-
ralisierbaren Trend zur Subjektivierung von Arbeit ein, der ebenso die Gesunderhaltung
am Arbeitsplatz als Problem des Einzelnen sieht.
Die Crux dabei ist, dass es gerade die Bemühungen der Arbeitswissenschaft waren
(z. B. im Zuge der Humanisierung des Arbeitslebens), die mehr Handlungsspielräume,
mehr Selbstorganisation und Selbstkontrolle (z. B. Gruppen- statt Einzelarbeit am Fließ-
band) gefordert und geschaffen haben. Für die Wissensarbeit werden diese Bestrebungen
für neue Steuerungsformen instrumentalisiert, die doppeldeutige Effekte haben. Die Be-
schäftigten erleben auf der einen Seite tatsächlich mehr Sinnhaftigkeit und sind engagier-
ter bei der Arbeit. Auf der anderen Seite erzeugen die neuen Arbeitsformen aber auch
Stress (Mogensen et al. 2008; Widmer et al. 2012; Buch und Andersen 2013). Neue Inter-
ventionen müssen gefunden werden, um darauf zu reagieren. Erste Ansätze liefert unser
Projekt im bayerischen Forschungsverbund ForChange.
Resilienztrainings sind jedoch keineswegs zu verteufeln. In einem ganzheitlich ver-
standenen Arbeitsschutz können sie einen nützlichen Baustein möglicher Interventionen
und Präventionsmaßnahmen bilden. Zu warnen ist allerdings vor einem Absolut-Setzen
von personaler Resilienz als alleinigem Ziel bei der Analyse und Entwicklung von Maß-
nahmen des Arbeitsschutzes bei psychischen Belastungen. Zentral bleibt der Grundsatz
„Verhältnisprävention vor Verhaltensprävention“ sowie die Pflicht der Arbeitgeber*innen
zum Schutz der Beschäftigten vor Gesundheitsbeeinträchtigungen. Wo durch stressende
Arbeitsbedingungen bereits Resilienzgrenzen herausgefordert werden, ist Gefahr in Ver-
zug. Sinnvolle Prävention setzt bereits vorher an.
Resilienz 155

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Gute Arbeit, resiliente Arbeiter?
Psychische Belastungen im Arbeitskontext
aus Sicht des Capability Ansatzes

Carolin Blum und Rebecca Gutwald

Zusammenfassung

Das Trendkonzept der „Resilienz“ ist im Arbeitskontext aus normativ-ethischer Pers-


pektive kritisch zu bewerten, wie der vorliegende Beitrag argumentiert. Unser Befund
ist das Resultat einer interdisziplinären Reflexion. Die Ergebnisse einer empirischen
Untersuchung zu Arbeitsbelastungen von Wissenarbeiter*innen werden mit der norma-
tiven Perspektive der Capability Ansatzes verknüpft. Wir gehen in vier Schritten vor.
Zur Absteckung des Kontextes stellen wir zuerst den Bereich der Wissensarbeit mit den
für ihn typischen Belastungen dar, auf die im Folgenden die normative Perspektive des
Capability Ansatzes gerichtet wird, deren Grundannahmen zunächst herausgearbeitet
werden. Im Mittelpunkt steht eine vom Capability Ansatz gestützte Begriffsbestim-
mung des menschlichen Wohlergehens als sozial geprägte Freiheitsräume, welche wir
für geeignet halten, um einen Begriff von echter, nachhaltiger Resilienz zu definieren.
Auf dieser Basis schlagen wir in Teil drei vor, dass der normative Fokus von Resilienz-
förderung auf die Arbeitsbedingungen verschoben und damit die derzeit omnipräsen-
te Überforderung des Individuums abgefedert wird. Dies zeigt, so unser Fazit, einen
weiteren Forschungsbedarf in Bezug auf die normative Diskussion um Resilienz im
Arbeitskontext, aber auch für den Capability Ansatz selbst auf.

159
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2018
M. Karidi et al. (Hrsg.), Resilienz,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-19222-8_9
160 Carolin Blum und Rebecca Gutwald

1 Einleitung

Arbeit ist für Menschen seit der Moderne weit mehr als Broterwerb. Für viele Arbeit-
nehmer*innen stiftet sie nicht nur Sinn und Identität, sondern macht eine zentrale Quel-
le unserer sozialen Anerkennung aus. Außerdem nimmt sie schlicht einen großen Teil
unserer Lebenszeit ein. Unstrittig ist also, dass Arbeit das Leben eines Menschen positiv
oder negativ beeinflussen kann, entweder durch ihre An- oder Abwesenheit, durch ihre
Vergütung, durch ihre Sicherheit oder durch ihre Ausgestaltung. In diesem Beitrag soll es
um den letztgenannten Aspekt gehen, nämlich die Problematik, wie Arbeitsbedingungen
strukturiert werden müssen, um positiv auf das Wohlergehen eines Menschen zu wirken.
Ein wichtiger Aspekt, den wir dabei diskutieren, sind die psychischen Belastungen von
Arbeitnehmer*innen und die Frage, inwiefern sie durch die Arbeitsbedingungen (oder
trotz dieser) fähig sind, mit diesen Belastungen umzugehen. Daran schließt sich für die
Arbeitsumgebung die normative Frage an, wie diese gestaltet werden soll. Diese Fragen
sollen im Folgenden unter der derzeit viel beschworenen Perspektive der Resilienz be-
trachtet werden.
Resilienz ist im Arbeitskontext zu einem Trendkonzept geworden, in das gerade in Be-
zug auf den Umgang mit Stress und prekäre Arbeitsbedingungen große Hoffnung gesetzt
wird. Kaum ein Monat vergeht, in dem nicht ein Artikel in einer Zeitschrift Tipps gibt,
wie man widerstandsfähiger gegen Stress am Arbeitsplatz wird. Auf den Beststellerlisten
finden sich ebenso Ratgeber, die darum kreisen, wie man sein Leben so optimieren kann,
dass man den wachsenden Anforderungen der Arbeitswelt besser gerecht wird. So wird
das Thema, wie damit positiv umgegangen kann, immer wichtiger, um sich selbst bes-
ser zu managen und weiter produktiv zu bleiben und ein Burn-Out oder gar dauerhafte
Arbeitsunfähigkeit zu vermeiden (Wellensiek 2011; Horn und Seth 2013; Heller 2015).
Der Fokus wird dabei in der Regel auf die individuellen Kompetenzen und Fähigkeiten
von Arbeitnehmern gelegt, die es auszubilden und zu trainieren gilt, um die Belastungen
besser auszuhalten. In diesem Sinne beschäftigen sich Berufsverbände, soziale Einrich-
tungen und wissenschaftliche Projekte mit dem Begriff der Resilienz im Arbeitskontext,
um herauszufinden wie man die Idee der Resilienz nutzbar machen kann, insbesondere
in sog. „Resilienztrainings“ und entsprechenden Coachings (ebd.). Im Resilienzbegriff
steckt also die Verheißung, einem Ideal der Unverwundbarkeit und dem Bild eines Super-
helden näher zu kommen, der in allen Kontexten Herausforderungen meistert und auch
den schlimmsten Krisen standhält. Arbeitsbedingungen und Arbeitsschutzmaßnahmen
werden dagegen kaum thematisiert – weniger noch aus kritischer Perspektive.
Ziel unseres Beitrags ist es zu zeigen, dass das Superhelden-Ideal verfehlt ist. Sogar
Helden haben ihre Verwundbarkeiten, wie etwa der antike Held Achilles seine Ferse hatte.
Viel wichtiger ist es aus unserer Sicht, den Fokus auf die das Individuum umgebenden Ar-
beitsbedingungen und seine Beziehungen am Arbeitsplatz zu legen. Der Resilienzdiskurs,
wie er seit Jahren in der Psychologie und einem überwiegenden Teil der Ratgeberliteratur
geführt wird, löst das Individuum fälschlicherweise aus seinem sozialen Kontext heraus
und betrachtet es atomistisch: Das Individuum wird als Lokus der Erfahrung, der Hand-
Gute Arbeit, resiliente Arbeiter? 161

lungsfähigkeit und des Umgangs mit Problemen begriffen. Hinter dem Resilienzkonzept
steckt also mehr als eine bloß oberflächliche Fehleinschätzung, ob bei der Bekämpfung
von Stress am Arbeitsplatz, an den Arbeitsbedingungen oder am individuellen Verhalten
angesetzt wird. Letztlich führt sie uns zu Grundfragen der praktischen Philosophie, näm-
lich, wer oder was im Fokus evaluativer Betrachtungen stehen sollte, wenn es um die Be-
wertung und Verbesserung von menschlichem Wohlergehen geht. Der moderne politische
Liberalismus, der die praktische Philosophie und Politik an vielen Stellen durchdringt,
stellt das Individuum in den Mittel- und Vordergrund und negiert damit seine soziale Ein-
bettung (MacIntyre 1984; Taylor 1992). Was er damit ausschließt, ist, diese Beziehungen
als elementare Bestandteile eines menschlichen Lebens zu betrachten, welche ein solches
fundamental konstituieren. Mit anderen Worten: Kein Mensch ist ein reines Einzelwesen,
das ohne soziale Stützung und Beziehungen (über-)leben kann. Wie diese Beziehungen
gestaltet sind, hat eine wesentliche Bedeutung für das menschliche Leben an sich – also
auch, wie man Krisen übersteht, und, viel grundsätzlicher, was als Belastung gilt und
wann es gilt, sie zu lösen. Der derzeitige Resilienzdiskurs scheint im Wesentlichen eine
Fortführung der Vorstellung des neo-liberalen Bildes vom Menschen als abgetrenntes
Einzelwesen, das „widerstehen“ muss und sich gegen die Bedingungen zur Wehr setzen
muss – anstatt, dass an diesen Bedingungen selbst viel geändert wird. Diesen Ansatz hal-
ten wir für verfehlt, wie wir am Beispiel von Wissenarbeiter*innen, die entwickeln, for-
schen und konstruieren, zeigen wollen.
Wir schließen uns damit der kritischen Richtung an, die der Beitrag von Jörn Hurtienne
und Katharina Koch (Hurtienne und Koch 2018) bereits einschlägt: Resilienz und insbe-
sondere Maßnahmen zur Resilienzförderung im Arbeitskontext sind aus normativ-ethi-
scher Perspektive höchst kritisch zu sehen, wie wir anhand philosophischer Überlegungen
auf Basis des Capability Ansatzes zeigen. In unserem Beitrag untersuchen wir die Frage
nach Resilienz und dem Umgang mit psychischen Belastungen also aus zwei disziplinären
Blickwinkeln: zum einen auf Basis von Befunden, welche im Rahmen des Forschungs-
projekts „Strategien der Belastungsbewältigung in der Wissensarbeit“ (im Bayerischen
Forschungsverbund ForChange) ermittelt wurden. Das Projekt untersucht den Umgang
mit psychischen Belastungen auf den Ebenen des Individuums, des Teams und der Or-
ganisationen, in denen Wissensarbeit stattfindet. Dabei steht der Aspekt der Arbeitsge-
staltung auf diesen drei Ebenen im Mittelpunkt. Wie gehen Individuen, Teams und Or-
ganisationen mit psychischen Belastungen in der Wissensarbeit um? Um die große und
schwierig abzugrenzende Gruppe der Wissenarbeiter*innen (die im Folgenden noch näher
definiert wird) zu spezifizieren und einer Analyse besser zugänglich zu machen, hat sich
das Forschungsprojekt auf eine Subgruppe konzentriert, die entwickelt, forscht und kons-
truiert. Dies schließt Wissenschaftler*innen und Ingenieur*innen ein, die z. B. innerhalb
von Universitäten und außeruniversitären Forschungseinrichtungen tätig sind, aber auch
Ingenieur*innen, Designer*innen und Entwickler*innen, die in der freien Wirtschaft und
der Industrie arbeiten. Im vorliegenden Text beziehen sich die Begriffe „Wissensarbeit“
und „Wissenarbeiter*innen“ auf diese analysierte Subgruppe. Wichtig ist, an dieser Stel-
le kurz zu erläutern, was im Projekt unter „Belastungen“ verstanden wird: Gemäß DIN
162 Carolin Blum und Rebecca Gutwald

10075 werden psychische Belastungen als Einflüsse verstanden, die von außen auf den
Menschen wirken. Zum Beispiel ist die Informationsflut, die am Arbeitsplatz täglich auf
einen Beschäftigten trifft, eine psychische Belastung. Oder auch die vielen Präsentationen
und Diskussionen, die in Meetings stattfinden und die ein hohes Maß an Konzentration
erfordern. Menschen brauchen ein gewisses Maß an psychischer Belastung, um sich wei-
ter zu entwickeln. Es handelt sich dabei um Prozesse, die im Menschen ablaufen und die
anregend oder auch beeinträchtigend wirken können. Daher sind psychische Belastungen
grundsätzlich neutral und können sich sowohl positiv als auch negativ auf das menschliche
Wohlergehen auswirken. Die Auswirkung psychischer Belastung ist psychische Bean-
spruchung. Psychische Beanspruchung ist die „unmittelbare Auswirkung der psychischen
Belastung im Individuum in Abhängigkeit von seinen jeweiligen überdauernden und au-
genblicklichen Voraussetzungen, einschließlich der individuellen Bewältigungsstrategien“
(DIN 10075). Langfristig können sich psychische Beanspruchungen aber negativ auf das
Wohlergehen eines Menschen auswirken. Dies wird unter anderem beeinflusst von Merk-
malen, Eigenschaften, Verhaltensweisen oder Strategien und hängt ab vom Umgang mit
diesen psychischen Belastungen. Das genannte Forschungsprojekt fokussiert auf diesen
Umgang und will herausfinden, wie in der Wissensarbeit (auf individueller Ebene, Team-
ebene und organisationaler Ebene) mit psychischen Belastungen umgegangen wird, um
negative, beeinträchtigende Beanspruchungen und Beanspruchungsfolgen zu vermeiden
und um das Wohlergehen von Wissenarbeiter*innen langfristig aufrecht zu halten. Welche
Strategien bestehen diesbezüglich auf den drei genannten Ebenen?
Zum anderen führen wir eine normative Dimension ein, um die Frage danach, was
Resilienz in dem betrachteten Arbeitskontext von Wissensarbeit ausmacht, zu evaluieren.
Wir betrachten die Ergebnisse des genannten Projekts gemäß dem von Amartya Sen und
Martha Nussbaum entwickelten Capability Ansatz (im Folgenden mit „CA“ abgekürzt),
der eine evaluative Perspektive anbietet, um das Wohlergehen von Menschen zu betrach-
ten. Diese Perspektive wird nun auf Wissenarbeiter*innen angewendet.
Vor diesem Hintergrund werden wir im Folgenden zwei Thesen näher untersuchen und,
nach entsprechender Qualifizierung, verteidigen.

1. Dem CA zufolge hängt Wohlergehen und damit Resilienz vor allem vom Ausmaß und
der Art der Mitbestimmung und des Handlungsspielraums ab, den eine beschäftigte
Person besitzt.
2. Mitbestimmung und Handlungsspielräume schaffen, darf nicht bedeuten, dass alle
Verantwortung und Problemlösung dem beschäftigen Individuum aufgebürdet wird.
Auch zu viel an Gestaltungsfreiheit des Einzelnen kann für diesen belastend werden,
da damit mehr Verantwortung und Druck einhergehen kann. Also geht es um die Aus-
gestaltung von bestimmten, signifikanten (d. h. nicht rein banalen) Handlungsspielräu-
men für die beschäftigte Person in ihrer Umgebung, deren Wohlergehen von dieser
Arbeitsumgebung wesentlich beeinflusst wird. Somit kann die Arbeitsgestaltung auf
Team- und Organisationsebene als ausschlaggebend angesehen werden. Nur ein Zu-
sammenspiel zwischen Organisations- und Individualebene führt zu nachhaltiger Resi-
lienz, welche normativ wertvoll ist.
Gute Arbeit, resiliente Arbeiter? 163

Wir gehen in vier Schritten vor. In den ersten beiden Punkten wird der Kontext dieses Bei-
trags detaillierter umrissen, indem der Bereich der Wissensarbeit und dessen spezifische
Belastungen sowie die normative Perspektive des CAs ausgeführt werden. In Punkt drei
wird dargelegt, wie der CA Belastungen von Wissenarbeiter*innen evaluiert und welche
Analyse er in Bezug auf Wohlergehen bietet. Damit soll u. a. gezeigt werden, warum be-
stimmte Belastungen, wie etwa ein zu weiter Handlungsspielraum, für das Wohlergehen
problematisch sind und inwiefern der CA als Grundlage zur Bewertung dieser Problema-
tik dienen kann, insbesondere für die Deutung der nachhaltigen Resilienz von Beschäftig-
ten. Im vierten Punkt werden die Grenzen und Probleme für eine normative Einschätzung
von Arbeitsbelastung und Resilienz auf Basis des CA diskutiert. Es zeigt sich, dass der
CA vielversprechendes Potential besitzt, um ein angemesseneres Resilienzverständnis zu
erreichen, jedoch in Bezug auf die Arbeitsgestaltung und ähnliche Fragen selbst noch wei-
terentwickelt werden muss. Speziell muss auch die im CA selbst angelegte Betonung der
sozialen Einbettung des Individuums und den Einfluss von Beziehungen auf Menschen
bzw. Beschäftigte noch stärker in den Fokus der Forschung gerückt werden. Unser Fazit
ist damit, dass der CA bzgl. des Resilienzdiskurses im Arbeitskontext wichtige Anstöße
zum Weiterdenken liefert und damit hilfreich ist, um Fragen zur zukünftigen Arbeitsge-
staltung von Wissenarbeiter*innen zu lösen.

2 Wissenarbeiter*innen und psychische Belastung

Im Zuge des Wandels der Arbeitswelt steigt die Nachfrage nach Wissenarbeiter*innen
an (d. h. Wissenarbeiter*innen im Allgemeinen, nicht nur Subgruppe der Studie, die im
vorherigen Abschnitt erläutert wurde). Nach Dostal (1998) ist – neben dem landwirtschaft-
lichen, dem industriellen und dem Dienstleistungssektor – ein Informationssektor ent-
standen, in dem mittlerweile über 55 % aller Erwerbstätigen beschäftigt sind. Der Wandel
der Arbeitswelt lässt nicht nur die Relevanz von Wissensarbeit wachsen, sondern auch
die psychischen Belastungen dieser Beschäftigtengruppe. Ihr Zeit- und Leistungsdruck
steigt unter anderem aufgrund der Zunahme der Arbeitsmenge, der Beschleunigung von
Arbeitsprozessen, der Digitalisierung und des steigenden Wettbewerbs, der wiederum mit
Rationalisierungsmaßnahmen einhergeht.
„Wissenarbeiter*innen“ sind in der Literatur nicht einheitlich definiert. Übereinstim-
mend wird ihr zentrales Merkmal darin gesehen, dass sie mit ihrem Wissen einen Beitrag
zur Wertschöpfung leisten. Wissensarbeit beruht auf kognitiven Fähigkeiten und stellt
eine immaterielle Leistung dar. Wissenarbeiter*innen setzen sich mit Informationen aus-
einander, übernehmen Führungsaufgaben, organisieren, managen, forschen, entwickeln,
betreuen und beraten (u. a. North 2008). Sie bearbeiten komplexe Problemstellungen und
entwickeln Innovationen. Ihre Arbeitsabläufe sind oft schwer vorhersehbar und fordern
geistige Flexibilität. Dynamische und häufig wechselnde Arbeitsanforderungen gehen mit
hohen psychischen Belastungen einher. Aufgrund ihres Expertenwissens gibt es auch oft-
mals keine Instanz, die Wissenarbeiter*innen Vorgehensweisen vorgibt. So müssen diese
164 Carolin Blum und Rebecca Gutwald

sich häufig selbst führen und managen, wodurch ein hohes Maß an Handlungsfreiheit vor-
liegt (Davenport 2013), und ihr Wissen stetig selbst erweitern und sich weiterbilden (Hube
2005). Ihre Arbeitsorte und Arbeitsmodelle wählen sie oftmals selbst, worin sich eben-
falls ihre Handlungs- und Entscheidungsfreiheit ausdrückt (Moosbrugger 2012). Anderer-
seits erfordert dies eine weitere Leistungserbringung, nämlich die Grenzziehung zwischen
Arbeit und Privatleben und idealerweise das Zustandebringen der viel gerühmtem „work-
life-balance“.
Typische Eigenschaften von Wissensarbeit, wie Freiheit und Selbstbestimmung, wer-
den üblicherweise positiv gewertet, indem ihnen zugeschrieben wird, die negativen Effek-
te, wie Zeit- und Leistungsdruck, auszugleichen und somit zu Wohlbefinden beizutragen
(Karasek 1979). Wie aktuelle Zahlen über psychische Krankheiten bei Wissenarbeiter*in-
nen jedoch zeigen, lässt sich eine verbreitete, negative Beeinträchtigung ihrer Gesund-
heit und ihres Wohlergehens feststellen. Demnach können die meisten keine ausreichend
positiven Effekte aus der Arbeit ziehen, um dadurch ihr eigenes Wohlergehen zu sichern.
Anders ausgedrückt: Da viele Wissenarbeiter*innen psychische Belastungen am Arbeits-
platz nicht bewältigen können, kommt es zu einem Anstieg negativer Auswirkungen auf
das individuelle Wohlergehen.
Die normative Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellt, ist, welche evaluative
Konzeption von Wohlergehen diesen Einschätzungen zugrunde gelegt wird, und wie sich
die eben angesprochenen Befunde auf Basis von ethisch-philosophischen Überlegungen
zum menschlichen Wohlergehen deuten lassen – mit dem Ziel, weitere Erkenntnisse für
die positive Arbeitsgestaltung und für eine nachhaltige Resilienzförderung zu gewinnen.
Bei der Bewertung von psychischer Belastung am Arbeitsplatz und insbesondere bei
der Förderung von Resilienz hängt viel davon ab, wie Wohlergehen begriffen wird, da
damit ein normativer Standard vorgegeben wird, an dem Aspekte von Resilienz kritisch
gemessen werden können. Aus zwei Gründen ist es wichtig, die evaluative Perspektive auf
Wohlergehen konkreter zu klären.

a) Krisen und Belastungen aus dem Arbeitskontext, welche Resilienz erfordern, können
als Störungen des menschlichen Wohlergehens begriffen werden. Diese Bestimmung
können wir aber nur vornehmen, wenn wir wissen, was das menschliche Wohlergehen
beinhaltet, welche Dimensionen es enthält und bis zu welchem Grad diese Dimensio-
nen erfüllt sein müssen, um von einem ausreichenden Maß an Wohlergehen zu spre-
chen. Eine Belastung wird damit als Defizit in einem bestimmten Grad innerhalb der
Dimensionen des Wohlergehens begriffen.
b) Anhand einer evaluativen Perspektive auf Wohlergehen können Resilienz und Resi-
lienzfördermaßnahmen bewertet werden. So sollte dauerhaftes Wohlergehen die Ziel-
vorgabe für Resilienzförderung sein. Ebenso zeigen Überlegungen dazu auf, dass man
Resilienz auf verschiedene Arten betrachten kann, von denen nicht jede als positiv
bewertet werden kann. Wie wir unten noch detaillierter darlegen werden, muss insbe-
sondere zwischen kurzfristiger, unechter Resilienz und nachhaltiger, echter Resilienz
unterschieden werden.
Gute Arbeit, resiliente Arbeiter? 165

Der in der Diskussion um psychische Belastung in der Wissensarbeit oft nur implizit zu-
grunde gelegte Begriff des Wohlergehens erfüllt diese Bedinungen nur ungenügend, und
das nicht nur, weil er oft zu ungenau ist. Wie bereits dargelegt, legen wir den Fokus auf
psychische Belastung im Zuge des Wandels der Arbeitswelt. In der heutigen Arbeitswelt
scheint das Wohlergehen am Arbeitsplatz zusätzlich an die Idee von einem erfolgreichen,
im Sinne von gesundheitsschonenden, Umgang mit Zeit- und Leistungsdruck geknüpft.
Das stellt, wie oben erwähnt, den Wissenarbeiter*innen vor die zusätzliche Herausfor-
derung, diese Art von Selbstsorge zu betreiben, was wiederum den psychischen Druck
erhöhen kann.
Wohlergehen wird in der Diskussion um psychische Belastung häufig mit Gesundheit
gleichgesetzt. Dementsprechend wird es oft verstanden als das Ergebnis eines Umgangs
mit psychischen Belastungen am Arbeitsplatz, der die Gesundheit nicht negativ beein-
flusst. Es liegt bei Wissenarbeiter*innen demnach vor, wenn die Arbeit trotz Zeit- und
Leistungsdruck keine beeinträchtigenden gesundheitlichen Effekte hervorruft. Typische
langfristige, gesundheitliche Auswirkungen, die auf einen zu hohen Zeit- und Leistungs-
druck zurückgeführt werden, sind psychische Krankheiten, wie Depressionen (u. a. Mad-
sen et al. 2010; Madsen 2011), Burnout (Maslach 1982, 1998, 2003; Koch und Broich
2012) oder physiologische Erkrankungen, wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen (Tennant
2000; Hüther 2013).
Wohlergehen wird Wissenarbeiter*innen also attestiert, wenn sie mit psychischen Be-
lastung so umgehen, dass ihre Gesundheit keine negativen Beanspruchungsfolgen zeigt.
Resilienzförderung zielt in diesem Bild darauf ab, die Arbeitnehmer für eine solche Um-
gangsweise „fit zu machen“. Wohlergehen wird damit negativ, d. h. als Abwesenheit von
Störungen, angesehen. Hier zeigt sich eine auffällige Parallele zur klassischen und weit
verbreiteten Definition von Gesundheit: Gesundheit wird als Abwesenheit von Krank-
heit begriffen, d. h. als Abweichung von der statistisch normalen Funktionsfähigkeit des
menschlichen Organismus (Gutwald 2015, S. 161). Für die Resilienzdiskussion ist das aber
zu wenig bzw. die falsche Perspektive. Resilienz ist nicht rein defizit-orientiert, sondern
bezieht sich auf die Stärken und Potentiale, welche die Widerstandsfähigkeit eines Men-
schen erhöhen sollen. Diese ressourcenorientierte, präventive und damit letztlich positive
Sicht war für viele Vertreter des Resilienzansatzes der Reiz desselben (Werner et. al. 1972;
Holling 1973). Damit steht also Resilienz nicht dem o.g. klassischen Gesundheitsbegriff
nahe, sondern vielmehr dem ihm entgegen gesetzten Begriff der Salutogenese, den Aaron
Antonovsky und Alexa Franke (Antonovsky und Franke 1997) entwickelten. Antonovsky
und Franke haben diesen Begriff geprägt, um Gesundheit nicht nur als defizitären Zustand
zu verstehen, sondern den Blick darauf zu lenken, welche „generalisierten Widerstands-
ressourcen“ der Mensch hat, um „Stressoren“ zu bewältigen (ebd.). Sie beziehen sich also,
ähnlich wie Vertreter des Resilienzdiskurses, auf das dynamische Potential eines Men-
schen, mit Störungen produktiv umzugehen, was auch der Struktur des Resilienzbegriffs
entspricht. Es lässt sich also eine konzeptuelle Verwandtschaft zwischen beiden Konzep-
ten ausmachen (Gutwald und Nida-Rümelin 2016).
166 Carolin Blum und Rebecca Gutwald

Aus unserer Sicht bietet der umfassende Begriff des Wohlergehens, wie er von Ver-
tretern des CA gezeichnet wird, einen plausiblen normativen Ausgangspunkt, weil er eine
ähnliche potential- bzw. ressourcenorientierte Perspektive einnimmt wie der Resilienz-
diskurs und der Salutogenesebegriff. So beruhen sowohl CA als auch Resilienzdebatte (in
der Psychologie) auf derselben normativen Grundidee, nämlich, dass es „primäre Aufga-
be einer humanen Gesellschaft sei, allen Mitgliedern jene materiellen und immateriellen
Ressourcen zur Verfügung zu stellen, die sie benötigen, um die ihnen innewohnenden
Potentiale und Fähigkeiten entfalten und ihr Leben ‚glücklich‘ oder – wie manche es apos-
trophieren – ‚erfolgreich‘ meistern zu können.“ (Zander 2013, S. 201)
Unter Rückgriff auf den CA soll im Folgenden diese normative Perspektive auf die
Frage geworfen werden, wie dazu beigetragen werden kann, dass das Wohlergehen von
Wissenarbeiter*innen richtig evaluiert und gefördert wird.

3 Der Capability Ansatz als Perspektive auf Wohlergehen

Unsere Motivation, die Thematik der Arbeitsbelastung im Rahmen des CA zu diskutieren


rührt daher, dass der CA ein umfassendes und differenziertes normatives Instrumenta-
rium zur Beurteilung von Wohlergehen bietet, das menschlichen Handlungsspielräumen
eine zentrale Rolle zuweist. Auf dieser Basis lassen sich, vor allem in Nussbaums (2001,
2006) Interpretation des Ansatzes, normative Ansprüche an Institutionen und Organisa-
tionen ableiten. Was hier jedoch vorangeschickt werden muss, ist, dass das Thema Gestal-
tung von Arbeit in der CA-Literatur noch kaum explizit aufgegriffen wurde – und meist
nur als Mittel der Einkommenssicherung (eine Ausnahme bildet Leßmann 2014). Insofern
besteht ein Ziel des vorliegenden Beitrags darin, die allgemeinen Ideen des CA auf den
Arbeitskontext zu übertragen. Gleichzeitig ist die Auseinandersetzung mit der Thematik
der Arbeitsbelastung auch für die CA-Forschung von hohem Wert. So ist ein zentrales Er-
gebnis des genannten Projekts, dass auch ein zu viel an Freiheit und Handlungsspielraum
eine Belastung in der Arbeit darstellen kann, was von CA-Vertretern gerne übergangen
wird. Dies wird unten näher ausgeführt.
Im Folgenden werden wir uns schwerpunktmäßig auf die Version des CA von Martha
Nussbaum konzentrieren, die sie auf Basis von Amartya Sens Charakterisierung von ca-
pabilities entwickelt hat. Ein Grund dafür ist, dass Nussbaum Fokus noch mehr auf den
ethisch-normativen Forderungen des guten Lebens, d. h. des Wohlergehens, liegt, die aus
der Idee von menschlichen capabilities erwachsen als es im Ansatz von Amartya Sen der
Fall ist. Zudem greifen wir auf eine Unterscheidung verschiedener Stufen von capabilities
zurück, die wir für unseren Kontext nützlich finden. Dies wird im Folgenden erläutert.
Der CA formuliert ein evaluatives Framework für die Beurteilung dafür, wie gut es
einem Menschen geht bzw. ob er ein ausreichend gutes Leben in Würde führt (Nuss-
baum 2006). Die Grundidee besteht darin, dass die Beurteilung des Wohlergehens eines
Menschen nicht allein darauf abstellen soll, was dieser Mensch besitzt und welche Eigen-
schaften er aktuell aufweist. Es ist ebenso wichtig, zu betrachten, was der Mensch gerade
Gute Arbeit, resiliente Arbeiter? 167

ist und tut – die sog. functionings. Sen bezeichnet functionings auch als „valuable doings
und beings“ (Sen 1999) und Nussbaum baut, wie sie sagt, ihre Theorie ebenso auf dieser
Idee auf (Nussbaum 2001). Functionings können also – zunächst einmal ohne weitere
Qualifizierung – alle denkbaren Arten sein, etwas zu sein oder zu tun, z. B. mobil sein,
arbeiten, krank sein, wohlgenährt und gesund. Ausschlaggebend für die Bewertung des
Wohlergehens ist, was ein Mensch gegeben seiner aktuellen functionings tatsächlich zu
tun und zu sein in der Lage ist: die capabilities. Mit anderen Worten: capabilities sind
alternative Arten etwas zu tun und zu sein, die einer Person realiter offenstehen.
Diese Gedanken lassen sich an den beiden folgenden Beispielen verdeutlichen: Stellen
wir uns zunächst zwei Menschen vor, von denen jeder ein Fahrrad besitzt. Beide sind in
dieser Hinsicht aufgrund ihres Besitzes als wohlhabend zu bezeichnen, weil sie eine wert-
volle Ressource besitzen. Nun fährt die/der eine damit zur Arbeit, treibt Sport, nutzt es,
um Geld für die öffentlichen Verkehrsmittel zu sparen etc. Die/der andere aber kann nicht
Fahrrad fahren, weil er gehbehindert ist. Obwohl es beiden materiell gleich gut geht, hat
die/der Zweite keine Möglichkeit, ihre/seine Ressource zu nutzen. Es besteht also ein deut-
licher Unterschied im Wohlergehen zwischen beiden, den man aber nur evaluativ einfan-
gen kann, wenn man die Perspektive der capabilities zugrunde legt. Denken wir uns nun
in einem zweiten Beispiel, ein Mensch muss hungern und sich daher für einen längeren
Zeitraum auf eine tägliche Kalorienaufnahme von nur 1,800 Kalorien pro Tag beschrän-
ken. Ein Supermodel, das für seine Arbeit mager bleiben will, mag sich aufgrund einer
radikalen Diät für eine solch niedrige Kalorienaufnahme entscheiden. Beide haben aktuell
die gleiche functionings in Bezug auf Nahrungsaufnahme. Aber es besteht ein entschei-
dender Unterschied in der Situation der Beiden, der nicht aufgespürt werden kann, wenn
man sich z. B. rein auf die Messung von objektiven Faktoren wie etwa Kalorienaufnahme
oder Körpergewicht fokussiert. Was laut Nussbaum und Sen in beiden Fällen den entschei-
denden Unterschied macht, sind die Freiheitsräume, die jemand hat, also jene capabilities,
zu denen ein Mensch fähig ist bzw., die er aktuell zur Verfügung hat und aus denen er eine
für sich selbst wählen kann.
In diesem Zusammenhang möchten wir auf eine Differenzierung zurückkommen, die
Martha Nussbaum einführt. Nussbaum (2001) unterscheidet zwischen drei Arten von ca-
pabilities, die aufeinander aufbauen: Erstens, identifiziert sie die „basic“ (ebenda. S. 84),
d. h. grundlegenden, capabilities, welche die inneren Voraussetzungen für die Ausbildung
von weiteren Fähigkeiten darstellen, z. B. für das Hören, Denken oder Sprechen. Die „in-
ternal capabilities“ (ebenda) sind die internen Möglichkeiten eines Individuums, im Rah-
men derer sich die grundlegenden capabilities unter günstigen Bedingungen entwickeln,
z. B. die Fähigkeit, die eigene Landessprache zu sprechen, gläubig zu sein oder, um das
obige Beispiel aufzugreifen, Fahrradfahren zu lernen. Diese können sich nur mit Unter-
stützung der unmittelbaren Umwelt entwickeln, oder eben durch diese Umwelt vereitelt
werden. Capabilities im vollen Sinne sind die „combined capabilities“ (ebd.), also kombi-
nierten capabilities: Sie sind internal capabilties, welche mit den entsprechenden äußeren
Bedingungen kombiniert die Ausübung einer functioning erst ermöglichen. Ein Mädchen,
das beispielsweise körperlich zum Fahrrad fahren in der Lage ist (grundlegend) und dies
168 Carolin Blum und Rebecca Gutwald

auch erlernt hat (intern), kann trotzdem durch äußere Umstände, wie etwa ein Verbot des
Fahrradfahrens für weibliche Bürgerinnen in Saudi-Arabien, daran gehindert sein. Ihr
fehlt damit die kombinierte capability. Eine wichtige Implikation dieser Unterscheidung
Nussbaums liegt aus unserer Sicht darin, dass Ausbildung und Ausübung von capabilities
wesentlich von den äußeren Umständen und der Gestaltung der Bedingungen für Wohl-
ergehen abhängt. Die Sorge für das eigene Wohlergehen wird also nicht dem Individuum
allein überantwortet. Vielmehr argumentiert Nussbaum, wie auch Sen, dass ein Mensch
nur dann echte capabilities besitzt, wenn die äußeren Umstände ihm diese zur Verfügung
stellen. Diesen Gedanken halten wir für die Betrachtung von Resilienz im Arbeitskontext
für entscheidend, wie wir unten detaillierter darlegen.
Für den Kontext unseres Beitrages sind noch zwei weitere Implikationen des CA für
die Evaluation des Wohlergehens von Wissenarbeiter*innenn besonders wichtig. Der erste
zeigt die Stärke des CA auf, wenn es darum geht, psychische Belastungen als problema-
tisch für das Wohlergehen eines Menschen auszuzeichnen und zugleich zu analysieren,
auf welcher Ebene und in welcher Weise diese problematisch werden können. Damit lässt
sich mit Hilfe des CA gleichzeitig aufzeigen, wo man bei Lösungen zur Bewältigung von
Krisen ansetzen muss, d. h. in welchen Bereichen des menschlichen Lebens und Arbei-
tens man Resilienzförderung betreiben sollte. Zweitens, lässt sich damit darlegen, dass die
Interpretation des CA häufig zu individualistisch ist bzw. der sozialen Komponente von
capabilities nicht genug Gewicht beigemessen wird. Wir plädieren daher für eine soziale-
re, neo-kommunitäre Deutung des CA, wie sie vereinzelt in der Literatur zu finden ist (vor
allem in Deneulin 2006). So argumentieren wir, dass der normative Fokus des CA auf der
Freiheit des Individuums und den Voraussetzungen für Handlungsfähigkeit liegen sollte,
die von Staat, Umwelt und ihm selbst geschaffen werden müssen. Der Mensch wird vom
CA in unserem Verständnis als aktives Wesen angesehen, der in die Lage gebracht werden
soll, sein Leben selbst zu bestimmen. Wie jedoch bereits angedeutet, kann ein Zuviel ein
Handlungsspielraum als belastend empfunden werden. Kann der CA mit diesem Befund
umgehen oder zeigt dies wiederum eine Problematik für den CA auf? Mit diesen beiden
Punkten befassen wir uns im Folgenden. Wir beginnen mit dem CA als Analyseinstru-
ment für Belastungen am Arbeitsplatz von Wissenarbeiter*innen.

4 Der CA als Perspektive auf Arbeitsbelastung

Wenn man die Perspektive des CA auf den o.g. Umgang mit psychischen Belastungen
und die daraus hervorgehenden Beanspruchungsfolgen anwendet, lässt sich bereits nach
einem flüchtigen Blick feststellen, dass diese mit Hilfe des CA differenzierter eingeordnet
werden oder sogar erst als solche erkannt werden können. Herz-Kreislauf-Erkrankungen
aufgrund von Stress sind als schwerwiegende Beanspruchungsfolgen einzustufen, weil
sie bereits „innate capabilties“ beeinträchtigen. Eine Beeinträchtigung der work-life-ba-
lance kann dazu führen, dass der Mensch in seiner Beziehungsführung belastet ist und
daher in diesem Bereich weniger wertvolle (combined) capabilities besitzt. Beides sind
Gute Arbeit, resiliente Arbeiter? 169

sehr unterschiedliche Beanspruchungsfolgen, können aber mit Hilfe des CA als schwer-
wiegend für das Wohlergehen eingeordnet werden – sogar wenn dem Betreffenden dies
gar nicht bewusst ist. So werden viele Beanspruchungen von vielen Menschen häufig erst
als schwerwiegend eingestuft, wenn sie bereits fortgeschritten sind; beispielsweise, wenn
der Herzinfarkt geschehen ist oder unmittelbar droht. Mit einem umfassenden, sozialen
und hinreichend objektiven Begriff des Wohlergehens, wie ihn der CA skizziert, lassen
sich auch unabhängig von der subjektiven Einschätzung des Beschäftigten, die durch ver-
schiedene Faktoren getrübt sein kann, Beanspruchungen als problematisch einschätzen.
Die von Nussbaum dargelegte Dreiteilung von capabilities hilft uns weiter, psychische
Beanspruchungen noch stärker zu differenzieren und in Richtung Resilienzförderung zu
denken. Zur Erinnerung: Psychische Beanspruchung wird verstanden als „unmittelbare
Auswirkung der psychischen Belastung im Individuum in Abhängigkeit von seinen jewei-
ligen überdauernden und augenblicklichen Voraussetzungen“ (BAuA 2010). Die grund-
legenden capabilities umfassen diese Voraussetzungen, z. B. körperliche Eigenschaften
wie Größe oder Gewicht einer Person. Bei den internen capabilities geht es um erworbe-
ne Kenntnisse und Fähigkeiten. Diese Kenntnisse und Fähigkeiten sind im vorliegenden
Kontext der Wissensarbeit stark relevant (wie unten noch detaillierter dargelegt wird).
Die sozialen Faktoren, die für die Betrachtung der Gestaltung von Wissensarbeit eben-
falls wichtig sind, umfassen Normen und Institutionen. Sie bilden einen großen Teil der
kombinierten capabilities. Sie sollten besonders berücksichtigt werden, da davon aus-
gegangen wird, dass auf dieser sozialen Ebene Strukturen handlungsleitend werden, an
denen sich Wissenarbeiter*innen orientieren. Konkreter ausgedrückt geht es hierbei um
Institutionen und Normen, die in Form von Erwartungen und Handlungsregeln den Wiss-
enarbeiter*innen gegenüberstehen, wenn diese ihre Arbeit ausführen. Da diese Erwartun-
gen und Regeln das Handeln leiten, beeinflussen sie auch maßgeblich ihren Umgang mit
psychischen Belastungen am Arbeitsplatz. Die Entstehung dieser Institutionen und Nor-
men wird im CA auf einer allgemeinen, gesellschaftlichen Ebene verortet (Volkert 2014).
Im Forschungszusammenhang, den wir hier diskutieren, werden die Teamebene sowie die
organisationale Ebene als entsprechende Orte dieser Institutionalisierungsprozesse gese-
hen. Demnach wird davon ausgegangen, dass innerhalb von Teams, in die Wissenarbei-
ter*innen eingebettet sind, sowie innerhalb von Organisationen, in denen sie beschäftigt
sind, handlungsleitende Erwartungen und Regeln etabliert sind, die die Art und Weise
beeinflussen, wie mit psychischen Belastungen umgegangen wird. So zeigen die Daten
beispielsweise, dass innerhalb eines Teams die Regel gilt, über Stress und Überlastungen
nicht zu sprechen. Als Grund hierfür wird von den Teammitgliedern angegeben, es gäbe
gar keine Möglichkeit, den Stress zu reduzieren, da zu wenig Beschäftigte zu viele Projek-
te in zu knapp kalkulierter Zeit bearbeiten müssten. Folglich bringe es auch nichts, über
Stress und Überlastungen zu klagen. Welche Rolle die Wissenarbeiter*innen in diesem
Kontext einnehmen, ob es ihrerseits Einflussmöglichkeiten auf solche Institutionen und
Normen gibt, ist eine Frage, die für die Einschätzung von Belastungen und der Ausbildung
von Resilienz aus unserer Sicht eine tragende Rolle spielt.
170 Carolin Blum und Rebecca Gutwald

Wie bereits angedeutet, können mithilfe der genannten, ausgewählten normativen As-
pekte des CA die Ergebnisse und Annahmen des eingangs genannten empirischen Pro-
jekts zur Erforschung der Bewältigung psychischer Belastungen bei Wissenarbeiter*innen
besser beleuchtet werden. Leitende Fragen sind dabei vor allem: Auf welcher Ebene kann
man die psychischen Belastungen, die Wissenarbeiter*innen monieren, verorten? Wer
kann auf Einfluss auf die capabilities von Beschäftigten nehmen und inwiefern spielen
welche Elemente von capabilities (interne wie externe) dabei eine Rolle? Und letztlich:
Wie kann auf Basis dieser Analyse eine Konzeption für Resilienz und Resilienzförderung
entwickelt werden?
In einem ersten Schritt plädieren wir dafür, die drei genannten Ebenen (Individuum,
Team und Organisation) zu berücksichtigen. Es interessiert, erstens, wie auf individueller
Ebene, also von den Beschäftigten selbst, ein Beitrag zu ihrem Wohlergehen geleistet wird
und werden kann. Die (internen) Kenntnisse und Fähigkeiten, die der CA nennt, sind dabei
zentral. Zweitens ist der soziale Kontext essentiell, in den die Beschäftigten eingebettet
sind, also die kombinierten capabilities. Als sozialer Kontext können die Organisationen
angesehen werden, in denen die Arbeit ausgeübt wird, sowie die Teams, in denen die Be-
schäftigten arbeiten.
Auf dieser Basis kann zunächst festgestellt werden, dass es dank der Differenzierung
in eine individuelle und eine soziale Ebene, die der CA vornimmt, möglich ist, die Ebenen
Individuum und Team bzw. Organisation zu unterscheiden und separat hinsichtlich ihrer
Einflussnahmen auf die individuellen capabilities zu untersuchen. Bezogen auf das hier
diskutierte Forschungsprojekt kann den Individuen zugeschrieben werden, Einfluss auf
ihre (grundlegenden und z.T. kombinierten) capabilities zu nehmen und ihr Wohlergehen
am Arbeitsplatz positiv zu beeinflussen. Dies zeigt sich anhand der zahlreichen Strate-
gien, die Wissenarbeiter*innen anwenden, um psychische Belastungen am Arbeitsplatz zu
bewältigen und dadurch ihre Gesundheit zu schützen. Zu nennen sind diesbezüglich vor
allem Strategien, die die eigene Arbeitsorganisation oder das eigene Zeitmanagement be-
treffen (beispielsweise To-Do-Listen führen oder Aufgaben, die ähnliche Anforderungen
stellen, wie E-Mails beantworten, im Block zu bearbeiten). Eine positive Beeinflussung
des individuellen Wohlergehens gelingt den Wissenarbeiter*innen – den vorliegenden
Ergebnissen zufolge – dadurch jedoch nur bedingt. Zwar können sie sich selbst und ihr
Verhalten am Arbeitsplatz optimieren und dadurch effizienter arbeiten, aber ihre eigene
Einschätzung ihres Wohlergehens wird davon nicht zwingend positiv beeinflusst. Denn
trotz aller Optimierungsversuche fühlen sich die untersuchten Wissenarbeiter*innen, wie
bereits ausgeführt, gesundheitlich von den psychischen Beanspruchungen ihrer Arbeit
beeinträchtigt und klagen über allgemeine psychosomatische Erkrankungen wie Kopf-
schmerzen. Gründe hierfür sehen sie insbesondere in der großen Arbeitsmenge und in der
zu geringen Zeit, die ihnen zur Bearbeitung zur Verfügung steht.
Den sozialen Kontext genauer betrachtend fällt auf, dass die sozialen Bedingungen, die
das Wohlergehen der Wissenarbeiter*innen am Arbeitsplatz in der Form von Ausbildung
kombinierter capabilities tatsächlich fördern, eher gering ausfallen. Das heißt, auf der so-
zialen Ebene (Organisation und Team) sind Mechanismen, die entlastend wirken, weniger
Gute Arbeit, resiliente Arbeiter? 171

vorhanden und verbreitet, als auf der individuellen Ebene. Was hingegen auf der sozialen
Ebene verbreitet und institutionalisiert ist – und daher als Norm angesehen werden kann –
sind Erwartungen, die beinhalten, dass die Wissenarbeiter*innen einen Beitrag für ihr
Wohlergehen leisten indem sie selbst in der Lage sind, im Sinne ihrer Gesundheit mit psy-
chischen Belastungen umzugehen. Es bestehen demnach Diskrepanzen hinsichtlich des
Verständnisses von Wohlergehen und vor allem für die Verantwortlichkeit, dieses zu er-
reichen. Ein typisches Beispiel für ein solches Missverhältnis ist das Angebot von Zeitma-
nagement-Seminaren oder Entspannungs-Trainings, welche auch häufig unter dem Stich-
wort „Resilienztraining“ angeboten werden (Hurtienne und Koch 2018). Hierbei handelt
es sich trotz äußerer Unterstützung durch das Seminarangebot letztlich nicht um eine volle
kombinierte capability: Die Wissenarbeiter*innen bekommen zwar externe Hilfe bei der
Ausbildung seiner Zeitmanagement-Fertigkeiten. Ob diese die Fertigkeiten jedoch ein-
setzen, wie sie dies tun etc. hängt nicht allein von ihnen ab. Sie müssen auch die äußeren
Bedingungen dazu vorfinden, z. B. Aufgaben, die sich zeitlich aufteilen lassen, realistisch
kalkulierte Deadlines oder die (institutionalisierte) Möglichkeit, Aufgaben an Kollegen
abzugeben. Sind solche Bedingungen, die den Zeitdruck abfedern, nicht gegeben, sind
die Wissenarbeiter*innen in ihren capabilities beeinträchtigt, obwohl es so aussieht, als
würden sie Unterstützung erfahren, indem ihre Resilienz trainiert wird, indem ihnen bei-
gebracht wird, wie sie mit der Belastung des Zeitdrucks fertig werden selbst sollen.
Dabei wird, das möchten wir hier betonen, der Umgang mit psychischer Belastung
falsch verortet. Ähnliches geschieht bei der Diskussion rund um den Resilienzbegriff in
der (Ratgeber-)Literatur. Wie Hurtienne und Koch (2018) ausführlich darlegen, wird Re-
silienz häufig als eine rein individualistische Angelegenheit verstanden: Das Individuum
wird widerstandsfähiger gemacht, d. h. es wird mit Voraussetzungen ausgestattet, etwa im
Form der genannten Maßnahmen, damit sich die psychische Belastung am Arbeitsplatz
nicht beeinträchtigend auf seine Gesundheit auswirkt. Dabei wird jedoch ausgeblendet,
was der Anteil des sozialen Kontextes – hier: der Organisation – ist und was sie gegen
diese tun könnte. Mit Hilfe des CA lässt sich aufzeigen, was daran aus normativer Sicht
problematisch ist. Die Resilienz von Arbeitnehmern kann sich nur dann wirklich entwi-
ckeln, wenn die organisationalen Rahmenbedingungen entsprechend gestaltet sind. Das
heißt, dass Organisationen vor Beanspruchungsfolgen schützen, indem sie psychische Be-
lastungen, die sich negativ auswirken, begrenzen. Ein Blick in die Daten verdeutlicht dies:
Wissenarbeiter*innen wünschen sich, statt Seminaren zur Verbesserung ihrer Effizienz,
wodurch die Verantwortung, mit der großen Arbeitsmenge fertig zu werden in ihre Hände
gelegt wird, eine Begrenzung der Anzahl von Projekten, die der Einzelne zu bearbeiten
hat. Die Organisation wäre für die Gestaltung dieser Bedingung verantwortlich.
Hier sprechen wir von echter, weil nachhaltiger Resilienz, welche sich darin zeigt, dass
ihr die Förderung von kombinierten capabilities zugrunde liegt (Gutwald 2016; Gutwald
und Nida-Rümelin 2016). Nur eine Resilienz, welche zu umfassenden Wohlergehen, wie
der CA es definiert, führt, kann letztlich als Widerstandsfähigkeit aufgefasst werden, die
dem Individuum (und letztlich der Organisation) wirklich nützt, um psychische Belastun-
gen zu bewältigen.
172 Carolin Blum und Rebecca Gutwald

Negativ bzw. unecht wird Resilienz hingegen dann, wenn die organisationalen Bedin-
gungen beeinträchtigende Beanspruchungsfolgen entstehen lassen oder fördern und von
Arbeitnehmern erwartet wird und sie dahingehend trainiert werden, sich an diese Bedin-
gungen anzupassen. Die Resilienz von Arbeitnehmern besteht in diesem Sinne dann da-
rin, sich soweit es geht mit den beeinträchtigenden Beanspruchungen zu arrangieren und
diese solange wie möglich zu ertragen. Negativ verstärkend wirkt hier, dass diese unechte
Resilienz für den Mitarbeiter schlecht ist. Aber aus Sicht des Unternehmens ist sie, zu-
mindest kurzfristig, zunächst einmal positiv: der Arbeitnehmer kann mehr leisten und mit
mehr Arbeit belastet werden. Langfristig besteht aber auch für die Organisation ein Nach-
teil: beispielsweise kann sich das Risiko für höhere Krankheits- oder Kündigungsraten er-
höhen. Dies zeigt die Notwendigkeit auf, dass die Gestaltung von Arbeitsbedingungen und
die Entscheidungsmacht darüber nicht allein bei der Organisation liegen sollte, sondern
von außen, etwa durch den Gesetzgeber oder durch externe Institutionen (wie Gewerk-
schaften), aktiviert werden sollte.
Eine weitere Frage bleibt jedoch noch offen: wie oben dargelegt, rückt der der CA letzt-
lich die Freiheit des Individuums in den Mittelpunkt der normativen Einschätzung. Dem-
entsprechend scheinen Freiheitsräume als positiv für das Wohlergehen. Wie passt diese
Implikation zu dem gewonnenen Befund, dass viele Wissenarbeiter*innen sich oft gerade
durch diesen Spielraum belastet fühlen? Kann der CA diesem Umstand Rechnung tragen
oder findet er darin seine Grenzen?

5 Fazit und Kritik: Zu viel Freiheit, zu viel „Resilienz“?

Zwei der oben diskutierten Aspekte zeigen Lücken in der Anwendung des CA auf die
Frage nach Resilienz und den Umgang mit psychischer Belastung am Arbeitsplatz auf, in-
dem sie den CA als Ansatz für die Beurteilung von Wohlergehen betreffen. So lässt sich,
erstens, nochmals auf die bisherige Unterbeleuchtung der Arbeitsthematik innerhalb des
CA verweisen. Forschungsarbeiten des CA thematisieren beispielsweise den Arbeitsver-
lust und die Arbeitslosigkeit (Sen 1975; Schokkaert und van Ootegem 1990; Burchardt und
Le Grand 2002), informelle Arbeit (Lugo 2007) sowie die Grenze bzw. die Entgrenzung
zwischen Arbeit und Privatleben (Robeyns 2010). Große Lücken bestehen noch im Hin-
blick auf Forschungserkenntnisse, die sich explizit auf die Frage beziehen, wie Arbeit
gestaltet sein sollte, damit sich Wohlergehen einstellt. In diesem Beitrag können wir das
Potential des CA nur abstecken. Wir sehen in dem Ansatz einige positive Anstöße zu ei-
nem nötigen Perspektivenwechsel in Bezug auf die gegenwärtige Diskussion um Resilienz
am Arbeitsplatz. Es bedarf aber noch einiges an philosophischer und empirischer Arbeit,
um plausibel beurteilen zu können, ob der CA eine tragfähige Basis zur Beurteilung von
Arbeitsgestaltung sein kann oder ob er seinen eigenen Grenzen erliegt.
Zudem muss eine grundlegende Spannung thematisiert werden, die sich trotz allen
Potentials zeigt, wenn der CA auf die oben beschriebenen Ebenen im Arbeitskontext
angewendet wird. Wie ausgeführt, fußt die Grundidee des Ansatzes vor allem auf dem
Gute Arbeit, resiliente Arbeiter? 173

Handlungs- und Entscheidungsspielraum von Menschen, welcher auch als ausschlagge-


bend für ihr individuelles Wohlergehen am Arbeitsplatz angesehen werden kann. Wird
das menschliche Grundbedürfnis nach Autonomie erfüllt, so die Annahme, stellt sich Zu-
friedenheit bei den Beschäftigten ein (Leßmann 2014). Dies führt dazu, dass weitere Fak-
toren, die ausschlaggebend für das Wohlergehen am Arbeitsplatz sein können, nicht expli-
zit berücksichtigt werden. Befragte Wissenarbeiter*innen schildern, wie bereits dargelegt,
dass es gerade an diesen Bedingungen oft mangelt und diese zugunsten von individueller
Freiheit vernachlässigt werden. Gerade Autonomie und ausgeprägte Handlungsspielräu-
me können aber den Zeit- und Leistungsdruck erhöhen. Ihre Freiheit, Selbstbestimmung
und Selbstverwirklichungsmöglichkeiten sind zu groß.
Um mit dieser Spannung besser umzugehen, besteht unser Vorschlag darin, wie oben
angedeutet, die soziale Dimension von Freiheit im CA stärker hervorzuheben. Sen er-
wähnt immerhin die Einflussnahme der sozialen Dimension auf die „individuellen Poten-
ziale“ (Volkert 2014, S. 13). Diese Potentiale werden damit als verantwortlich angesehen
für positive Effekte, die sich hinsichtlich des individuellen Wohlergehens einstellen. Es
bleibt aber bei einer Andeutung, denn offen ist nach wie vor, wie die soziale Dimension
die individuelle Ebene beeinflusst und auch inwiefern es Einwirkungen gibt, die in um-
gekehrter Richtung verlaufen. Vielversprechender, obwohl ebenso unterbestimmt, scheint
der von Nussbaum eingeschlagene Ansatz, dass alle zentralen capabilities letztlich im
Wesentlichen sozial und institutionell bestimmt sind. Wohlergehen wird demnach nicht
nur sozial beeinflusst, sondern entsteht sogar teils erst in gemeinsamen Strukturen.
Angewendet auf unsere Ausgangfrage legt dies zumindest nahe, bei der Sorge um das
Wohlergehen von Arbeitnehmer*innen die organisatorische Ebene als soziale Ebene ein-
zubeziehen. Ebenso gehört die capability, familiäre und soziale Beziehungen zu führen
laut Nussbaum zu einer der architektonischen capabilities, die für ein gutes Leben fun-
damental wichtig sind. (Nussbaum 2001, 2005). Der Mensch wird also, gemäß der aris-
totelischen Tradition, auf die sich Nussbaum nach wie vor beruft, als ein soziales Wesen
begriffen, das in einer Gemeinschaft lebt und von dieser stark bestimmt wird. Bedauer-
licherweise führt Nussbaum diesen Gedanken nicht weiter und es ist fraglich, ob sie daher
nicht auch letztlich weitgehend in der individualistischen Sicht verhaftet bleibt.
Formen einer echten sozialen und kollektivistischen Interpretation des CA finden sich
bei Severine Deneulin, die diese Perspektive auf die Entwicklungshilfeethik anwendet.
Sie beschreibt, dass man im CA auch Strukturen des Zusammenlebens berücksichtigen
muss, gerade, wenn man Entwicklungshilfe betreibt (Deneulin 2006). Solche Strukturen
sind sowohl für das Wohlergehen des Einzelnen konstitutiv als auch für das Gelingen
eines Entwicklungsprojekts ausschlaggebend. Diese Gedanken lassen sich freilich nicht
eins zu eins auf den untersuchten Arbeitskontext von Wissenarbeiter*innen übertragen, da
dieser ganz anderen Rahmenbedingungen unterliegt. Dennoch zeigen sie das Vermögen
des Ansatzes auf, die soziale Ebene stärker zu berücksichtigen, und daher auch für eine
Förderung der oben beschriebenen nachhaltigen Resilienz einzuleiten.
So lässt sich mithilfe des CA zeigen, dass Faktoren wie institutionalisierte Regelungen
in Organisationen, den Entscheidungsspielraum bedingen. Aber, und das ist entscheidend,
174 Carolin Blum und Rebecca Gutwald

es mangelt bisher an einer adäquaten Berücksichtigung des Zusammenspiels bzw. der


Interdependenz von persönlicher und sozialer Dimension sowie einer Berücksichtigung
von Machtverhältnissen im Zusammenhang mit der Ermöglichung von Wohlergehen. Wie
die Daten zeigen, können Wissenarbeiter*innen Wohlergehen nur dann erreichen, wenn
es von der Organisation tatsächlich ermöglicht wird, und nicht nur pro forma eingeräumt
wird. So können sie nur dann psychische Belastungen am Arbeitsplatz so bewältigen, dass
gesundheitliche Beeinträchtigungen ausbleiben, wenn von organisationaler Seite dafür ge-
sorgt wird, dass zum Beispiel ruhige Arbeitsphasen oder ein Ausgleich von Überstunden
möglich sind.
Solche Belastungen bzw. Lösungen können aber vom CA aus unserer Sicht nur richtig
verortet werden, wenn er sozialer interpretiert wird. Jedoch stellt diese soziale Interpreta-
tion bisher eine Minderheit dar und bedarf der weiteren Ausfüllung. Der Mainstream der
CA-Literatur läuft aufgrund seines individualistischen Fokus Gefahr, die von uns vorge-
stellten Befunde nicht differenziert genug einschätzen zu können. Da es an entsprechender
Literatur dazu mangelt, und wir den sozialen Ansatz nur andeuten können, lässt es sich in
unserem Beitrag nicht abschließend beantworten, wie weit das erwähnte Potential diese
Problematik vermeiden kann, wenn er sozialer interpretiert wird. Wir haben hier nur fest-
gestellt, dass er eine normative Basis bieten kann, die evtl. durch weitere Überlegungen,
z. B. zur Ethik der Organisation oder der guten Arbeit, ergänzt werden muss.
Abschließend kann daher festgehalten werden, dass der Capability-Ansatz zwar be-
rücksichtigt, dass es unterschiedliche Dimensionen von Wohlergehen im Arbeitskontext
gibt. Allerdings bleibt unterbestimmt, wie diese Dimensionen ineinandergreifen und wel-
chen Status der Individualismus hat. Im Kontext der Arbeitswelt kann aufgrund dessen
mithilfe des Ansatzes nur teilweise gezeigt werden, inwiefern die Institutionen und Nor-
men auf der sozialen Ebene die Kenntnisse und Fähigkeiten der Individuen beeinflussen
und umgekehrt. Betrachtet man den Handlungsspielraum der im Projekt untersuchten
Wissenarbeiter*innen per se als positiv, wie es die klassische Version des CA nahe legt,
bleibt zudem die Frage offen, wie es in diesem Tätigkeitsbereich, der sich durch ein großes
Maß an Handlungsspielraum auszeichnet, zu negativen Auswirkungen auf das Wohlerge-
hen kommen kann. Letztlich bleibt die Frage, an welcher Stelle angesetzt werden kann,
um entsprechende Änderungen vorzunehmen. Dabei kann aus Sicht des CA klargemacht
werden, dass zum einen Wohlergehen und Freiheit durchaus wichtige Bestandteile der
Resilienz von Wissenarbeiter*innen sein sollten, und zum anderen, dass erst der soziale
Kontext, also auch die Organisationsebene, in der Verschränkung mit internen Faktoren,
eine wesentliche Rolle bei der Resilienzförderung spielt. Kurz gesagt: Nachhaltige, echte
Resilienz kann sich nur in einer förderlichen sozialen Umgebung entwickeln.
Gute Arbeit, resiliente Arbeiter? 175

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Carolin Braun, Verena Maria Gralke und Gerhild Nieding

Zusammenfassung

In einer empirischen Studie mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen (N = 101) wur-
de der Zusammenhang von Medienkompetenz mit bereits empirisch bestätigten Resi-
lienzfaktoren aus dem kognitiven, leistungsbezogenen und gesellschaftlichen Bereich
untersucht. Dazu wurde der computerbasierte Test „Würzburger Medienkompetenz-
test“ (WMK) entwickelt, der die Leistung in fünf verschiedenen Fähigkeitsbereichen
von Medienkompetenz überprüft. Zusätzlich wurden Intelligenz, Lese- und mathe-
matische Kompetenzen, Schulnoten sowie politisches Interesse und Selbstkonzept,
Offenheit und Perspektivenübernahme erfasst. Die Ergebnisse von Regressions- und
Pfadanalysen zeigten, dass Medienkompetenz den fast durchweg stärksten Einfluss auf
die leistungsbezogenen Fähigkeiten ausübte – noch vor der Intelligenz. Ebenso wirk-
te sich Medienkompetenz bedeutsam auf das Politikinteresse aus und wies einen Zu-
sammenhang zur Perspektivenübernahme auf. Somit birgt Medienkompetenz für das
Jugend- und frühe Erwachsenalter ein großes Potential als Resilienzfaktor, auch über
die Individualebene hinaus für die Gesellschaft.

177
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2018
M. Karidi et al. (Hrsg.), Resilienz,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-19222-8_10
178 Carolin Braun, Verena Maria Gralke und Gerhild Nieding

1 Einleitung

Wir befinden uns in einem Prozess des beschleunigten gesellschaftlichen Wandels, der
die psychischen, kulturellen, ökonomischen und politischen Subsysteme der globalisierten
Gesellschaft umfasst und durch deren dynamisches Wechselspiel gekennzeichnet ist.
Medien gelten dabei zunehmend als der Hauptvermittler zwischen den Ebenen in die-
sem Wechselspiel: Indem sie in Prozesse des permanenten dynamischen Wandels unter-
schiedlicher Gesellschaftsbereiche genuin eingebunden sind und diese oft mitbedingen
und entscheidend akzentuieren, wird es zu einer notwendigen Fähigkeit von Individuen,
sich kompetent mit Medien auseinandersetzen zu können. Nur das gewährleistet, dass
Individuen diese Wandlungsprozesse verstehen und sich kompetent darin einbringen und
so auch mitgestalten zu vermögen. Damit wird der kontinuierliche Erwerb von Medien-
kompetenz vor allem im Jugend- und frühen Erwachsenenalter zu einer notwendigen Be-
dingung der Partizipation an Kultur, Politik und Gesellschaft.
Der vorliegende Beitrag beginnt mit der psychologischen Verortung der Begriffe Resi-
lienz und Medienkompetenz. Anhand von zwei umfassenden Fragestellungen wird dann
geklärt, ob Medienkompetenz einen Resilienzfaktor darstellt. Dazu werden deren Metho-
den und empirischen Ergebnisse dargelegt. Abschließend kann das Potential von Medien-
kompetenz als Resilienzfaktor auf individueller Ebene hinsichtlich kognitiver und bil-
dungsbezogener Kompetenzen als auch auf gesellschaftlicher Ebene hinsichtlich sozialer
und politischer Kompetenzen, bestätigt werden.

1.1 Resilienz in der Psychologie

Um das Potenzial von Individuen zur Anpassung an sich ändernde und vornehmlich schä-
digende Bedingungen zu beschreiben, hat die Entwicklungspsychologin Emmy Werner
(1971) den Begriff der Resilienz propagiert. In ihrer berühmten Längsschnittstudie über
40 Jahre mit ca. 700 Kindern konnte sie zeigen, dass sich ein Drittel von über 200 Ri-
sikokindern erstaunlich positiv entwickelte. Diese resilienten Kinder konnten sich trotz
schädigender Ausgangsbedingungen in allen erhobenen Dimensionen erfolgreich in ihre
Gemeinschaft integrieren. Resilienz beschreibt eine durch verschiedene Resilienzfakto-
ren, oder Schutzfaktoren, gespeiste Widerstandsfähigkeit (Fingerle 2007). Aus entwick-
lungspsychologischer Sicht ist ein Schutzfaktor ein messbares Merkmal von Personen
oder deren Umfeldbedingungen, das einen günstigen Entwicklungsverlauf vorhersagt
(Noeker und Petermann 2008). Diese Faktoren sorgen trotz möglicher Risiken und Ge-
fahren des Umfelds für eine gesunde und erfolgreiche Entwicklung (O’Dougherty Wright
und Masten 2006). Solche Schutzfaktoren zu identifizieren, ist das Hauptanliegen der Re-
silienzforschung. Empirisch konnten bereits gute akademische Fähigkeiten (Lese- und
Rechtschreibfähigkeiten, mathematische Kompetenzen), Intelligenz, Sozialkompetenz,
Integration in – beispielsweise politische – Gruppen und ein positives Selbstkonzept als
Schutzfaktoren bestätigt werden (Petermann und Schmidt 2006).
Medien und gesellschaftlicher Wandel 179

Um die bislang ungeklärte Frage empirisch zu beantworten, ob auch Resilienz gegen-


über den Anforderungen des Gesellschaftswandels durch Medienkompetenz erzeugt
werden kann, prüften wir, ob sie mit personenbezogenen Merkmalen von Jugendlichen
und jungen Erwachsenen in einem Zusammenhang steht, die empirisch ausgewiesene
Resilienzfaktoren sind. Dabei haben wir zum einen zentrale kognitive Variablen, wie
akademische Fähigkeiten und Intelligenz, betrachtet. Da die UNESCO (2010) und die
Kultusministerkonferenz (2012) betonen, dass Medienkompetenz zur verantwortungs-
vollen Partizipation an der Gesellschaft des 21. Jahrhunderts und damit zur politischen
Teilhabe befähigen soll, haben wir zum anderen auch soziale Variablen, wie Perspektiven-
übernahme als auch Persönlichkeitsfaktoren, wie Offenheit für neue Erfahrungen, Politik-
interesse und das Selbstkonzept der Kompetenz in politischen Fragestellungen, betrachtet.

1.2 Was ist Medienkompetenz?

Zur Begriffsklärung von Medien folgen wir Nieding und Ohler (2008) und verstehen dar-
unter durch Zeichensysteme binnenorganisierte externale Repräsentationssysteme. In
Anlehnung an Scaife und Rogers (1996) sind sie symbolische Darstellungen unter Zuhil-
fenahme unterschiedlicher Materialien, wie Fotografien, Bücher oder Landkarten. Dem-
nach gibt es eine Kompetenz, die sich auf die individuelle Fähigkeit bezieht, mit diesen
Materialen zielführend umzugehen, welche allgemein als Medienkompetenz bezeichnet
wird. Trotz Fehlen einer einheitlichen Definition besteht Übereinstimmung darin, dass
es sich bei Medienkompetenz um ein Konstrukt handelt, welches sich kontinuierlich ver-
ändert und aus mehreren Teilfähigkeiten besteht, die eine kritische Betrachtung und Ver-
wendung von Medien ermöglichen (z. B. Hobbs 1997).
Hobbs (1997) sieht die mediale Zeichenkompetenz und die Fähigkeiten zur Verwen-
dung, Analyse, Evaluation und Kommunikation unterschiedlicher medialer Nachrichten
als die zentralen Fähigkeiten an, welche die Medienkompetenz ausmachen. Potter (1998)
nimmt darüber hinaus an, dass Medienkompetenz mehrere Aspekte wie soziale, emotio-
nale, kognitive und ästhetische Fertigkeiten, beinhaltet. Er betrachtet jede Dimension als
Kontinuum, auf welchem eine Person zu jedem Zeitpunkt ihrer Entwicklung eine spezi-
fische Position innehat. Im Verlauf des Lebens findet eine kontinuierliche Anpassung an
die sich stetig verändernde Medien- und Technologieumwelt statt. Während der Kindheit
bilden sich die sogenannten rudimentären Fähigkeiten aus, die zum Beispiel die ange-
messene Medienselektion, das Erkennen von symbolischen Mustern und deren Bedeu-
tungszuweisung beinhalten. Diese Fähigkeit wird nach Nieding et al. (2016) als mediale
Zeichenkompetenz (MZK) bezeichnet und stellt die wohl wichtigste Teilkomponente der
Medienkompetenz im Kleinkindalter dar. Ohne das Beherrschen der zugrunde liegen-
den Zeichensysteme können Medien nicht verstanden werden. In der Adoleszenz bilden
sich die erweiterten Fähigkeiten heraus, welche die Verwendung höherer Fähigkeiten und
die aktive Entwicklung elaborierter Wissensstrukturen des Nutzers erfordern (vgl. Potter
2013). Dazu gehören experimentelles Explorieren als Suche neuer Formen von Inhalten,
180 Carolin Braun, Verena Maria Gralke und Gerhild Nieding

kritische Wertschätzung als Verständnis des Nachrichteninhaltes sowie dessen kritische


Beurteilung und die soziale Verantwortung den gesellschaftlichen Nutzen einer Nach-
richt einzuschätzen und den Einfluss eigener, auch marginalster Handlungen anzuerken-
nen (ebd.).

1.3 Die Entwicklung der Medienkompetenz

Die mediale Zeichenkompetenz


Für MZK als erste Teilkomponente der Medienkompetenz ist die Aneignung repräsen-
tationaler Einsicht ausschlaggebend (DeLoache 1995; DeLoache et al. 1998), d. h. das
Verständnis der Beziehung eines Referenten zu seinem Symbol, wonach das Symbol den
Referenten repräsentiert. Ausgehend von der Erkenntnis, dass ein Objekt, wie etwa ein
Bild, für mehr als nur sich selbst stehen kann, entwickelt sich das Verständnis externa-
ler Repräsentationssysteme. Da internationale Vergleichsstudien zeigen, dass sich Kinder
westlicher Kulturen die repräsentationale Einsicht früher aneignen als Kinder ohne Er-
fahrung mit Bildern, nimmt man an, dass es sich hierbei um keinen angeborenen Prozess
handelt (Walker et al. 2013).

Realitäts-Fiktionsunterscheidung (RFU) und die Unterscheidung unterschiedlicher Programm-


formate
Nach Potter (2010) ist ein weiterer wichtiger Schritt in der Kindheit die Aneignung einer
Unterscheidung zwischen Realität und Fiktion sowie die Unterscheidung unterschiedli-
cher Programmformate, was das Erkennen von Werbung beinhaltet (z. B. Diergarten et al.
2014). Bis zur Entwicklung einer reiferen Fähigkeit zur RFU dauert es etwa bis zum 12.
Lebensjahr. Für komplexere Urteile auf Basis von RFU bedarf es auch des Verständnisses
der Faktizität. Dies bedeutet die Fähigkeit zu beurteilen, ob eine dargestellte Szene eine
reine Inszenierung für das Fernsehen ist oder ob es entsprechende Ereignisse im realen
Leben gibt (Wright et al. 1994). In einer eigenen Studie (vgl. Nieding et al. 2015) fanden
wir beispielsweise heraus, dass nur 60 % der Faktizitätsurteile 8-Jähriger zutreffend sind.
Sogar vielen 12-Jährigen bereitet es noch Probleme zu verstehen, dass sogar Nachrichten-
sendungen eine mediale Inszenierung sind und sie haben Schwierigkeiten, die sogenann-
ten Reality Formate korrekt einzuordnen (van der Voort 1986). Inzwischen fällt es sogar
jungen Erwachsenen schwer, reale und fiktive Serien voneinander abzugrenzen (Feier-
abend et al. 2014). Dies wird wahrscheinlich durch das vermehrte Auftreten dramaturgi-
scher Mischformate, die die Grenzen zwischen Realität und Fiktion verwischen, bedingt.

Verständnis formaler Eigenschaften des Fernsehens


Junge Konsumenten müssen ebenso ein Verständnis der visuellen Produktions- und Edi-
tiertechniken erlangen, die dem Symbolsystem des Fernsehens angehören, um schließlich
den Inhalt zu verstehen. Diese Fähigkeit bildet den zentralen Aspekt der Filmkompetenz
Medien und gesellschaftlicher Wandel 181

und nimmt zwischen dem Alter von 4 und 10 Jahren eine entscheidende Entwicklung (vgl.
Munk et al. 2012a; Munk et al. 2012b).

Computerkompetenz
Wie beim Fernsehen kommen heutige Kinder schon sehr früh in Kontakt mit Computern
und Tablets. Relevant wird dies ab einem Alter von 3 Jahren (Iene Miene Media 2012,
zitiert nach Bus et al. 2015), wobei vor allem Touchscreens sehr beliebt sind (Neumann
und Neumann 2014). Generell scheint auch dieser Kompetenzbereich einer (lebens-)lan-
gen Entwicklung zu unterliegen – so erreicht der Großteil Jugendlicher in internationalen
Vergleichen der Computer- und Informationskompetenz (ICILS) keine hohen Werte (Bos
et al. 2014).

Videospiele
Trotz häufiger Fokussierung auf ihren negativen Einfluss, scheinen Videospiele auch Nut-
zen zu bringen (siehe z. B. Granic et al. 2014; Nieding et al. 2016): Ein Beispiel ist das bes-
sere Abschneiden von jugendlichen Gamern in Aufgaben zur visuell-räumlichen Wahr-
nehmung und Aufmerksamkeit (Green und Bavelier 2003, 2006, 2007; Ferguson 2007;
Ventura et al. 2012). Grundlegend für den kompetenten Umgang mit Computerspielen
von Kleinkindern scheint das Verständnis der auf den Benutzeroberflächen verwendeten
Metaphern – wie die Identifikation des Symbols der Hilfefunktion – zu sein (Nieding et
al. 2016).

Geographische Karten
In vielen der zuvor genannten Medien stellt das Verständnis geographischer Karten eine
wichtige Teilkomponente dar. Einfache Karten können bereits mit 3 oder 4 Jahren ver-
standen werden (Huttenlocher et al. 1999; Shusterman et al. 2008). Erwachsene sind meist
kompetent darin mittels Karten zu navigieren, zumindest wenn diese mit deren eigener
räumlicher Orientierung übereinstimmen (May et al. 1995).
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass eine Vielzahl an Studien zur Entwicklung
medienbezogener Kompetenzen im Kindesalter existieren, ab Eintritt in die Adoleszenz
jedoch wenig Forschung besteht. Erste Hinweise dafür, dass Medienkompetenz schützen-
de Auswirkungen auf Individuen hat, liefern aber zumindest vorhandene Trainingsstudien
(z. B.; Hobbs und Frost 2003; Jeong et al. 2012; Walther et al. 2014), in denen Teilkompo-
nenten von Medienkompetenz, wie Realitäts-Fiktionsunterscheidung und Kritikfähigkeit
gezielt gefördert wurden.
182 Carolin Braun, Verena Maria Gralke und Gerhild Nieding

2 Medienkompetenz als Resilienzfaktor:


Eine empirische Untersuchung

Zur Überprüfung von Medienkompetenz als Resilienzfaktor entwickelten wir den com-
puterbasierten Online-Test Würzburger Medienkompetenztest (WMK) zur Leistungsmes-
sung bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen (Gralke, Braun und Nieding 2015).
Er überprüft folgende fünf Kompetenzbereiche: Verständnis medialer Zeichensysteme
(MZK), Realitäts-Fiktionsunterscheidung (RFU), Medienrecht (MR), Produktionsfähig-
keit (PF) und Medienwirkungswissen (MWW).
Die im Kleinkindalter beginnende MZK (vgl. Kap. 1.3) wird vermutlich im Jugend-
und Erwachsenenalter starke Zuwächse erfahren. Eigene Vorarbeiten dienen als Basis für
die empirische Herleitung der MZK (vgl. Nieding et al. 2016).
Nach Potter (2013) gilt auch die (gehobene) RFU als notwendig, wobei er im Jugend-
alter die Stufe der kritischen Wertschätzung für die Differenzierung der Qualität verschie-
dener Informationsquellen und deren Einschätzung hervorhebt (vgl. Kap. 1.3).
Das Wissen zum MR bezieht sich auf die Stufen des kritischen Urteils und der sozialen
Verantwortung in Potters Modell (ebd.). Hierbei ist es wichtig, die Auswirkungen von
medialen Botschaften auf die Gesellschaft richtig einzuschätzen und den Zusammenhang
zwischen eigenem Medienverhalten und diesen Effekten zu erkennen.
Der Bereich der PF entspricht der Fähigkeit der sozialen Verantwortung (Potter 1998,
2013). Zur aktiven Teilhabe an der heutigen Mediengesellschaft ist die Fähigkeit zur Pro-
duktion medialer Inhalte eine wichtige Voraussetzung.
Abschließend erfasst das MWW die Stufe des kritischen Urteils (ebd.): Beurteilungen
von Medienbotschaften sollten in Bezug zu ihrem Kontext und unter Abwägung ihrer Be-
einflussungsabsicht vorgenommen werden.
Der WMK diente der Überprüfung des Zusammenhangs zwischen Medienkompetenz
und kognitiven (Teilfragestellung 1) sowie personenbezogenen differentiellen Variablen
wie Offenheit und politisches Interesse (Teilfragestellung 2).

2.1 Forschungsfragen und Annahmen zum Zusammenhang zwischen


Medienkompetenz mit kognitiven Variablen

Die erste Teilfragestellung bezieht sich auf den Zusammenhang der Medienkompetenz
mit kognitiven bzw. akademischen Variablen, wie Intelligenz, Lese- und Mathematik-
fähigkeiten sowie Schulnoten. Eigene Arbeiten stellten die MZK als Vorläuferfähigkeiten
der Medienkompetenz bereits als Resilienzfaktor im Vor- und Grundschulalter heraus
(Nieding et al. 2016). Die Ergebnisse dazu zeigten, dass MZK einen bedeutsameren Ef-
fekt auf Vorläuferfähigkeiten für den Lese- und Rechtschreiberwerb und mathematische
Kompetenzen im fortgeschrittenen Vorschulalter hat als die parallel dazu gemessene In-
telligenz. Dies setzt sich im Grundschulalter fort. Damit wurde der Nachweis erbracht,
dass MZK den späteren Erwerb bildungsrelevanter Fertigkeiten vorherzusagen erlaubt.
Medien und gesellschaftlicher Wandel 183

Weitere eigene Studien zeigten, dass Kinder mit hoher MZK Lernmedien z. B. Hypertexte
und Lehrfilme effizienter nutzen (Diergarten et al. 2017).
Zur Frage, ob sich die im Kindesalter gefundenen Zusammenhänge auch im Jugend-
und jungen Erwachsenenalter fortsetzen, lagen bislang unserer Kenntnis nach keine Stu-
dien vor.
Allerdings existieren Forschungsergebnisse bezogen auf die Mediennutzung im Zu-
sammenhang mit kognitiven und akademischen Fähigkeiten. So konnte gezeigt werden,
dass häufiges Surfen im Internet mit höheren Lesefähigkeiten in Zusammenhang steht
(Jackson et al. 2011). Mathematische Fähigkeiten können durch Computerspiele verbes-
sert werden (Kebritchi et al. 2010). Im Hinblick auf die Schulnoten ist die Forschungslage
nicht eindeutig: Einerseits konnten negative Zusammenhänge zwischen Schulleistungen
und dem Spielen von Videospielen nachgewiesen werden (Jackson et al. 2011), was auch
auf die Nutzung des Mobiltelefons aufgrund seines großen Ablenkungspotentials zutrifft
(Sánchez-Martínez und Otero 2009; Lepp et al. 2014). Andererseits wurde auch ein positi-
ver Einfluss von Gaming auf die Schulnoten gefunden (Ventura et al. 2012).
Zusammengefasst liefert die vorliegende Befundlage Evidenz für die Annahme, dass
die gezielte Nutzung von Medien sich auch positiv auf akademische Fähigkeiten auswir-
ken kann. Ungeklärt ist, ob hierbei der Medienkompetenz eine moderierende Rolle zu-
kommt.
Basierend auf den o.g. Befunden zum Einfluss der MZK bei Kindern und der Medien-
nutzung bei Jugendlichen und Erwachsenen nahmen wir an, dass Medienkompetenz ab
dem Jugendalter positiv mit den Resilienzfaktoren Lese- und Mathematik kompetenz zu-
sammenhängt. Angesichts der unklaren Befundlage zu Schulnoten, wurde untersucht, ob
sich dies auch für diese relevante Variable bestätigen lässt. Nieding et al. (2016) zeigten
bedeutsame Zuwächse der MZK im Kindesalter. Daher überprüften wir auch, ob sich
die Entwicklung der Medienkompetenz weiter über die Ontogenese erstreckt (vgl. Potter
1998). Somit sollte die Stichprobe der Erwachsenen eine höhere Medienkompetenz auf-
weisen als die der Jugendlichen. Ähnlich dem positiven Zusammenhang zwischen Intel-
ligenz und der MZK im Kindesalter (vgl. Nieding et al. 2016), erwarteten wir diese Rela-
tion auch im Jugend- und Erwachsenenalter und erfassten dazu Intelligenz als separaten
Prädiktor.

2.2 Forschungsfragen und Annahmen zum Zusammenhang zwischen


Medienkompetenz und politischem Interesse, Offenheit für neue
Erfahrungen und Perspektivenübernahme

Eine weitere Teilfrage unserer Untersuchung betraf den Einfluss von Medienkompetenz
auf gesamtgesellschaftliche Zusammenhänge.
Interesse an politischen Fragestellungen gilt in der Forschungsliteratur als hoch rele-
vant, da es dem Einzelnen (Schuessler 2000) sowie der gesamten Gesellschaft nutzt (z. B.
Mansbridge 1999). Hinzu kommt, dass Interesse an politischen Fragen mit politischer
184 Carolin Braun, Verena Maria Gralke und Gerhild Nieding

Teilhabe korrespondiert (Verba et al. 1995) und entscheidend für eine gut funktionie-
rende Demokratie ist (Lupia und Philpot 2005). In vielen Ländern zeigt sich eine steti-
ge Abnahme des Interesses an Politik und der politischen Teilhabe v.a. bei Jugendlichen
(Putnam 2001; Soule 2001). Von einigen Autoren wird nun das Internet als Heilmittel
angesehen, da Gruppen, wie junge Erwachsene, erreicht werden können (z. B. Best und
Krueger 2005). Empirisch zeigte sich, dass eine größere Diversität und Anzahl politischer
Informationen aus dem Internet das Interesse und die Teilnahme an Online-Diskussionen
erhöht (Smith und Tolbert 2004). Fördert aber das Medium selbst das Interesse an Politik?
Boulianne (2009) fand in ihrer Meta-Analyse heraus, dass das Internet in Abhängigkeit
von der Nutzungsweise positive Effekte auf das politische Interesse und Verhalten haben
kann. Im Längsschnitt zeigten Teilnehmer, welche Online-Nachrichten konsumierten,
eine Steigerung des Interesses, wohingegen Zeitungsleser über eine Abnahme berichteten
(Mossberger et al. 2008). Auch scheint das Internet das Interesse bei typischerweise unin-
teressierten Gruppen zu wecken (ebd.) und Personen, welche im Internet nach politischen
Informationen suchen, zeigen mehr zivile und politische Einbindung (Gibson und Levine
2003).
Die genannte Forschung fokussierte bisher nahezu ausschließlich das Medium Internet
und vernachlässigt damit die Vielzahl weiterer Informationskanäle. Auch werden ledig-
lich Nutzungsdauer bzw. Nutzungsart erfasst, ohne deren Qualität zu reflektieren. Durch
die Einbindung von Medienkompetenz und damit einhergehend der medienübergreifen-
den Untersuchung der Nutzungsgüte begegnen wir diesen Defiziten.
So ist es bei der Informationssuche relevant, dass ein Nutzer die Qualität einer Nach-
richt adäquat bewerten kann.
Unsere Studie sollte daher überprüfen, ob ein höheres Ausmaß an Medienkompetenz
mit einem gesteigerten Interesse an politischen Themen korrespondiert.
Zur Beantwortung, ob sich medienkompetentere Personen auch eher an politischen
Entscheidungsprozessen beteiligen, haben wir auch das politische Selbstkonzept erfasst
(vgl. 3.2), da es anscheinend der Mittler zwischen Politikinteresse und politischer Partizi-
pation ist (Wang 2007).
Eine weitere Forschungsfrage lautete: Zeichnet sich eine medienkompetente, politisch
interessierte Person durch spezifische Persönlichkeitseigenschaften aus? Mittels des Inter-
nets und der voranschreitenden Globalisierung nähern sich die Kulturen und ihre Wahr-
nehmungssysteme sowie Einstellungen an. Zum Verständnis einer fremden Kultur gehört
die immanente Motivation zur Auseinandersetzung mit einem anderen Denksystem. Hier-
zu bedarf es einerseits der Persönlichkeitseigenschaft Offenheit für Erfahrungen, also
offen für Neues zu sein und Abwechslung wertzuschätzen (McCrae und Costa 1989), so-
wie der Fähigkeit, die Perspektive eines anderen zu übernehmen (Paulus 2011). Mittels
Internet kommen Nutzer, sofern sie Offenheit aufweisen, mit einer größeren Bandbreite
an Weltanschauungen und Perspektiven in Kontakt (Smith und Tolbert 2004), was wie-
derum die Fähigkeit der Perspektivenübernahme und politische Toleranz fördert (Mutz
2006) und gleichzeitig die Ablehnung gegenüber Personen der vermeintlichen outgroup
Medien und gesellschaftlicher Wandel 185

schwächt (Williams 2007). Wir nahmen daher an, dass medienkompetente Personen auch
eine höhere Perspektivenübernahmefähigkeit und mehr Offenheit zeigen.
Als Kontrollvariablen wurden Geschlecht, sozioökonomischer Status, Alter und Bil-
dungsabschluss und als mögliche Ausschlusskriterien eine bestehende Internet- oder
Computersucht erfasst

3 Methode

3.1 Stichprobe

Der WMK wurde mit 101 Jugendlichen (n = 50; M Alter = 13;1 Jahre, SDAlter = 1;9 Jahre)
und jungen Erwachsenen (n = 51; MAlter = 19;1 Jahre, SDAlter = 1;5 Jahre) durchgeführt.
Der weibliche Anteil überwiegt (59 %) mit 44 % jugendlichen und 71 % erwachsenen Teil-
nehmerinnen. 78 % der Jugendlichen besuchte das Gymnasium, die restlichen 22 % die
Realschule. 94 % der Erwachsenen erwarb das Abitur und nahm ein Studium auf. Die
restlichen 4 % besaßen den mittleren Schulabschluss und 2 % den Hauptschulabschluss.

3.2 Testmaterial

WMK
Für die fünf Dimensionen des WMK wurden 136 Items entwickelt, um Medienkompe-
tenz medienübergreifend zu messen. Einzelne Aufgaben wurden dabei auf das Alter der
Probanden abgestimmt. Jede richtige Antwort wird mit einem Punkt bewertet. Im Folgen-
den werden die einzelnen Subskalen näher erläutert.
Der Subtest MZK erstreckt sich von Computerbildung über Internetkompetenzen und
mobile Medien bis hin zum Lesen von Landkarten, Arbeiten mit Diagrammen, der Kennt-
nis von Montagetechniken und Videospielen. Die Computerbildung wurde mitunter durch
einen modifizierten Teil des Computer Literacy Inventory (INCOBI-R; Naumann et al.
2001; Richter et al. 2010) erhoben.
Zum Internet wurden Fragen zu Social Media gestellt und der Umgang mit Hypertex-
ten erfasst. Multiple Choice und Zuordnungsaufgaben prüfen den Wissenstand zu mobilen
Geräten, sowie Landkarten. Auch wurde das Wissen über Diagramme, Montagetechniken
und zu Videospielen erfasst.
Die praktische Teilkomponente PF erforderte den zweckdienlichen Umgang mit Soft-
ware-Anwendungen wie Textverarbeitungs- und Präsentationsprogrammen. Weiterhin
galt es Fotos zu bearbeiten oder einen Dropbox-Ordner zugänglich zu machen. Diese Pro-
blemlöseaufgaben beziehen sich wie der MZK-Subtest auf zwei Betriebssysteme.
Der Leistungsbereich RFU fordert dazu auf, versteckte Werbung in unterschiedlichen
Medien zu identifizieren. Weiterhin sollten die Probanden zwischen dokumentarischen
und inszenierten, sog. Scripted Reality-Formaten unterscheiden können.
186 Carolin Braun, Verena Maria Gralke und Gerhild Nieding

MR prüft den Kenntnisstand zum allgemeinen Urheberrecht bei Musik, Filmen und
Streams sowie dem gesetzmäßigen Verhalten im Internet.
Beim Subtest zum MWW werden Schilderungen von Medieneffekten dargeboten, die
entweder wissenschaftlich abgesichert oder widerlegt sind, was die Probanden beurteilen
mussten. Medienübergreifende Fragen bezogen sich auf Wirkungen u. a. von Gewaltdar-
stellungen, Werbung oder die Wissensvermittlung.
Die interne Konsistenz, berechnet durch Cronbach‘s Alpha, beträgt für das Gesamt-
instrument .91.

Medienbreite, -besitz und -nutzung und Interesse an Politik


Zur Erhebung der Mediennutzung verwendeten wir eine Kurzversion des Fragebogens
von Ohler (vgl. Nieding et al. 2016). Er erfasst, welche Medien eine Person besitzt sowie
die Nutzungsdauer und –frequenz. Hieraus erstellten wir die Variable Medienbreite, in-
dem wir die Anzahl der verwendeten und besessenen Medien zählten. Eine Frage zielte
anhand einer 7-stufigen Skala von gar nicht bis sehr stark auf die Einschätzung des eige-
nen Politikinteresses ab. Hieraus wurde das Item Politikinteresse abgeleitet.

Soziodemographische Daten, SÖS und akademische Leistung


Mittels Selbstauskunft wurden soziodemographische Angaben (z. B. Alter, Geschlecht),
Schulform und Zeugnisnoten in Hauptfächern erfragt. Hieraus wurde der Notendurch-
schnitt gemittelt. Die Erwachsenen gaben den Grad ihres Bildungsabschlusses und ihre
Abschlussnote an.
Zur Erhebung des sozio-ökonomischen Status (SÖS) wurde der Beruf der Eltern er-
fragt und dieser dann in der sozialen Prestige Skala von Wegener (1985, 1988) eingeord-
net, da das Sozialprestige hoch mit dem tatsächlichen SÖS korreliert (Hadjar 2004).

Intelligenz
Die nonverbale Intelligenz wurde mithilfe der beiden Skalen Klassifikationen und Matri-
zen des CFT-20R (Weiß 2008) gemessen.

Lesefähigkeit
Der Lesegeschwindigkeits- und -verständnistest für die Klassen 6–12 (LGVT; Schneider
et al. 2007) wurde zur Messung der Lesefähigkeit der Jugendlichen und Erwachsenen
eingesetzt.

Mathematikfähigkeit
Die Mathematikfähigkeit der Jugendlichen wurde mittels einer Zusammenstellung von
15 Aufgaben, die sich am Lehrplan orientieren (Behörde für Bildung und Sport Hamburg
2006), gemessen. Für die Erwachsenen erfolgte die Messung über eine gekürzte Version
des Mathematiktests für die Personalauswahl (M-PA; Jasper und Wagener 2013).
Medien und gesellschaftlicher Wandel 187

Perspektivenübernahme
Die Fähigkeit zur Perspektivenübernahme wurde mittels einer Subskala des Saarbrücker
Persönlichkeitsfragebogens (SPF; Paulus 2011) erfasst.

Offenheit für neue Erfahrungen


Zur Erfassung wurde die Subskala Offenheit für Erfahrung der deutschen Fassung des
10-Item Big Five Inventory (Rammstedt 2007) verwendet.

Selbstkonzept der Kompetenz in politischen Fragestellungen


Dazu wurde die Unterskala zur Kompetenzwahrnehmung im politischen Bereich der
deutschen Adaption des Self-Description Questionnaires von Schwanzer et al. (2005) ein-
gesetzt.

Computer- und Internetsucht


Mittels der Computerspielabhängigkeitsskala II des kriminologischen Instituts von Nie-
dersachsen (Rehbein et al. 2009) erfassten wir eine potentielle Abhängigkeit und verwen-
deten die Internetsuchtskala von Hahn und Jerusalem (2010).

3.3 Vorgehen

Die Probanden wurden über verschiedene Wege (z. B. Elternbriefe, Zeitungs- und Inter-
netannoncen) rekrutiert. Die Erhebung fand in den Laborräumen des Instituts für Psycho-
logie statt und dauerte insgesamt 2,5 Stunden.
Die Reihenfolge der Messinstrumente wurde dabei systematisch festgelegt und die Stu-
die jeweils in Kleingruppen von bis zu fünf Probanden durchgeführt.

4 Ergebnisse

Aufgrund der beiden Altersgruppen bezogen wir zur Kontrolle das Alter als Drittvariable
in unsere statistischen Analysen mit ein. Da sich bereits im Kindesalter (vgl. Nieding et
al. 2016) ein positiver Zusammenhang zwischen Intelligenz und den akademischen Leis-
tungsvariablen sowie zu MZK zeigte, erwarteten wir, dass Intelligenz und Medienkom-
petenz im Jugend- und Erwachsenenalter ebenfalls positiv korrelieren und kontrollierten
Intelligenz als separaten Prädiktor in unseren Berechnungen. Es sollte vorrangig berech-
net werden, welcher Anteil an den akademischen Leistungen und der politischen Anteil-
nahme, dem Intelligenzquotient und welcher Anteil der Medienkompetenz zuzuschreiben
ist, was wir anhand von Pfadanalysen ermittelten.
Es wurden keine Probanden aufgrund einer bestehenden Suchtproblematik von der
Auswertung ausgeschlossen. In Bezug auf die Computerspielsuchtneigung zeigte sich so-
gar eine hochsignifikante, moderate negative Korrelation mit der Medienkompetenz (r =
188 Carolin Braun, Verena Maria Gralke und Gerhild Nieding

-.32, p < .01) und deutete damit auf die protektive Wirkung von Medienkompetenz gegen-
über potentieller Risikofaktoren hin.
Die 19-Jährigen übertrafen im Gesamtwert sowie in allen Subskalen der Medienkom-
petenz die 13-Jährigen (siehe Abbildung 1).

Abbildung 1 Unterschiede der Altersgruppen in der Medienkompetenz insgesamt und ihren


Subskalen
**p < .01.

4.1 Ergebnisse zum Zusammenhang zwischen Medienkompetenz


und kognitiven Variablen.

Wie Tabelle 1 zu entnehmen ist, ließen sich zwischen allen untersuchten Variablen außer
den Lesekompetenzen signifikante Zusammenhänge feststellen. Medienkompetenz und
Intelligenz korrelierten beide signifikant mit den Lesefähigkeiten Geschwindigkeit und
Verständnis, der Mathematikfähigkeit, der Schulnote, der Medienbreite und dem Alter.
Mathematikfähigkeit, Schulnoten und Medienbreite wiesen untereinander sowie zu den
restlichen Variablen signifikante Korrelationen auf. Die Lesegeschwindigkeit korrelierte
dahingegen nicht signifikant mit Schulnoten, Medienbreite und Alter. Dies traf auch auf
das Leseverständnis zu, das auch keinen Zusammenhang zur Mathematikfähigkeit auf-
wies. Medienkompetenz war zusätzlich signifikant mit der Intelligenz verbunden.
Alle Subskalen des WMK korrelierten signifikant mit dem Gesamttest, der Intelligenz,
den Lese- und Mathematikfähigkeiten, der Schulnote sowie mit der Medienbreite. Unter-
einander wiesen sie mäßige bis mittlere Zusammenhänge auf, was trotz der Heterogenität
des Konstrukts auf strukturelle Konsistenz des Tests hindeutet. Zusammenfassend bestäti-
gen die korrelativen Ergebnisse unsere Annahmen, wonach Medienkompetenz positiv mit
den Resilienzfaktoren Lesefähigkeit und mathematischer Kompetenz zusammenhängt.
Dies ließ sich auch für Schulnoten bestätigen.
Medien und gesellschaftlicher Wandel 189

Tabelle 1 Interkorrelationen zwischen Medienkompetenz und kognitiven Variablen


Medien- Intelli- Lesever- Lesege- Mathematik- Schul- Medien-
kompetenz genz ständnis schwindigkeit kompetenz note breite
Intelligenz .60**
Lesever- .33** .21*
ständnis
Lesege- .39** .22* .52**
schwindigkeit
Mathematik- .71** .56** .19 .20*
kompetenz
Schulnote -.55** -.50** -.14 -.17 -.53**
Medienbreite .58** .31** .17 .12 .52** -.30**
Alter .72** .45** .05 .15 .77** -.51** .67**
*p < .05; **p < .01.

Zur Analyse potentieller Kausalzusammenhänge wurden hierarchische Regressionen mit


Medienkompetenz, Intelligenz und dem Alter, sofern es korreliert war, als Prädiktoren
und den akademischen Fähigkeiten und den Schulnoten als Kriterien berechnet (vgl. Ta-
belle 2). Medienkompetenz war der einzige signifikante Prädiktor für das Leseverständnis
und erklärte 11 % der Varianz. Obwohl Intelligenz mit beiden Lesefähigkeiten korrelierte,
hatte sie, an zweiter Stelle in das Modell eingefügt, keinen Einfluss auf beide Variablen.
Medienkompetenz war folglich bei beiden Lesefähigkeiten der einzig signifikante Prä-
diktor.
Während sich das Alter und die Intelligenz bei der Mathematikfähigkeit als signifikan-
te Prädiktoren erwiesen, leistete Medienkompetenz keinen signifikanten Klärungsbeitrag.
Aufgrund des Einflusses des Alters wurden für die jeweiligen Altersgruppen einzelne
Regressionsmodelle berechnet. Für die Erwachsenen erwies sich Intelligenz als hochsi-
gnifikanter Prädiktor und klärte damit knapp ein Viertel der Varianz auf. Anschließend
beeinflusste Medienkompetenz die Mathematikkompetenz der Erwachsenen ebenfalls si-
gnifikant und trug mit 7 % bedeutsam zur Varianzaufklärung bei. Bei den Jugendlichen
verblieb lediglich Intelligenz als signifikanter Prädiktor, nachdem im zweiten Schritt Me-
dienkompetenz mitaufgenommen wurde.
Abschließend wurden in das Regressionsmodell zur Schulnote nacheinander Medien-
kompetenz, Intelligenz und Alter als Prädiktoren eingefügt, wobei Medienkompetenz und
Intelligenz am stärksten waren.
190 Carolin Braun, Verena Maria Gralke und Gerhild Nieding

Tabelle 2 Modellparameter für die hierarchische Regressionsanalyse


Variable B SE B β R2 ∆R2
Leseverständnis
Modell 1 Medienkompetenz .66 .13 .33** .11**
Modell 2 Medienkompetenz .61 .26 .30*
Intelligenz .09 .26 .05 .001
Lesegeschwindigkeit
Modell 1 Medienkompetenz .76 .20 .39*** .15***
Modell 2 Medienkompetenz .71 .25 .36**
Intelligenz .08 .24 .04 .001
Mathematikfähigkeit
Modell 1 Alter .07 .01 .77*** .59***
Modell2 Alter .05 .01 .54***
Medienkompetenz .75 .22 .32** .05**
Modell 3 Alter .05 .01 .53***
Medienkompetenz .38 .23 .17
Intelligenz .62 .18 .27** .05**
Mathematikfähigkeit der Erwachsenen
Modell 1 Intelligenz .83 .22 .50*** .25***
Modell 2 Intelligenz .66 .22 .40**
Medienkompetenz .61 .30 .28* .07*
Notendurchschnitt
Modell 1 Medienkompetenz -4.20 .73 -.55*** .31***
Modell 2 Medienkompetenz -2.95 .82 -.39**
Intelligenz -2.08 .72 -.32** .07**
Modell 3 Medienkompetenz -2.14 1.03 -.28*
Intelligenz -2.08 .71 -.31**
Alter - .04 .03 -.16 .02
*p < .05; **p < .01; ***p < .001.

Die bisherigen Analysen zeigen deutlich die positiven Zusammenhänge zwischen Me-
dienkompetenz und den kognitiven Variablen. Aufgrund der Interdependenzen zwischen
den Prädiktorvariablen Medienkompetenz, Intelligenz und Alter wurden mittels Pfadana-
lysen theoretisch hergeleitete Modelle kausaler Zusammenhänge überprüft.
Abbildung 2 zeigt das Ergebnis der Pfadanalyse zum Einfluss von Medienkompetenz
und Intelligenz auf die Lesefähigkeiten. Medienkompetenz erwies sich dabei als einziger
einflussreicher Faktor auf Leseverständnis und -geschwindigkeit und bestätigte somit das
Ergebnis der Regressionsanalyse. Wenig überraschend blieb die Intelligenz unverbunden
mit diesen akademischen Kompetenzen. Der Fit beider Modelle ist hervorragend.
Medien und gesellschaftlicher Wandel 191

RMSEA = .000 CFI = 1.00


SRMR = .000 TLI = 1.00
R2Leseverständnis = .11 (p = .090) R2Lesegeschwindigkeit = .14*

Abbildung 2 Einfluss der Medienkompetenz und Intelligenz jeweilig einmal auf das Lesever-
ständnis und einmal auf die Lesegeschwindigkeit

Dass Medienkompetenz nur bei Erwachsenen die Mathematikfähigkeit beeinflusst, konn-


te in einer Pfadanalyse mit dieser Altersgruppe bestätigt werden. Wie Abbildung 3 zu
entnehmen ist, übersteigt der Einfluss der Medienkompetenz den der Intelligenz deutlich.

RMSEA = .000 CFI = 1.00


SRMR = .000 TLI = 1.00
R2 = .25*

Abbildung 3 Einfluss der Medienkompetenz und Intelligenz auf die Mathematikfähigkeit bei
jungen Erwachsenen

Erwartungsgemäß übt Medienkompetenz neben Intelligenz den größten Einfluss auf den
Durchschnitt der aktuellen Schulnoten aus. Der Modellfit ist erneut hervorragend (Ab-
bildung 4).
192 Carolin Braun, Verena Maria Gralke und Gerhild Nieding

RMSEA = .000 CFI = 1.00


SRMR = .000 TLI = 1.00
R2 = .45***

Abbildung 4 Einfluss der Medienkompetenz, der Intelligenz und des Alters auf die akademi-
sche Leistung

Welchen Einfluss hat die Medienbreite? Die Ergebnisse einer weiteren Pfadanalyse zeich-
nen sie als signifikanten Prädiktor für die Medienkompetenz aus, nicht jedoch für die
Intelligenz (vgl. Abbildung 5). Der Modellfit ist wieder tadellos. Dies zeigt, dass sich eine
breite Mediennutzung positiv auf den kompetenten Umgang mit Medien auswirkt und
dadurch akademische und schulische Leistungen zu fördern vermag. Personen, die vie-
le verschiedene Arten von Medien nutzen, anstatt beispielsweise nur fernzusehen, haben
eine höhere Medienkompetenz, die ihrerseits kognitive Fähigkeiten fördert.

RMSEA = .000 CFI = 1.00


SRMR = .000 TLI = 1.00
R2Medienkompetenz = .54*** R2Intelligenz = .20**

Abbildung 5 Einfluss der Medienbreite und des Alters als Prädiktoren auf die Medienkompe-
tenz und die Intelligenz
Medien und gesellschaftlicher Wandel 193

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Jugendliche und Erwachsene mit hoher Me-
dienkompetenz bezüglich der Lesefähigkeit besser abschnitten und bessere Schulnoten
erzielten. Zudem besaßen medienkompetentere Erwachsene ebenfalls eine höhere Ma-
thematikfähigkeit. Die Nutzung möglichst vieler verschiedener Medien kann zudem, ver-
mittelt über die Medienkompetenz, Auswirkungen auf den Schul- und Berufserfolg haben.
Während Intelligenz bedeutsam mit Medienkompetenz korrelierte, erwies sie sich bei den
Mathematikkompetenzen und der Schulnote als ein weiterer bedeutsamer Prädiktor, die
Lesekompetenzen profitierten hingegen nur von der Medienkompetenz.

4.2 Ergebnisse zum Zusammenhang zwischen Medienkompetenz und


politischem Interesse, Offenheit und Perspektivenübernahme

Die Ergebnisse der Teilfragestellung zu dem Zusammenhang zwischen Medienkompe-


tenz, politischem Interesse und Selbstkonzept, sowie Perspektivenübernahme zeigten rein
korrelativ hoch signifikante Zusammenhänge von Medienkompetenz mit den genannten
Variablen, als auch untereinander und den Variablen SÖS des Vaters und Intelligenz. Al-
lerdings waren ebenfalls alle Variablen hoch mit Alter korreliert (vgl. Tabelle 3).

Tabelle 3 Korrelationen zwischen Medienkompetenz, Politikinteresse, Selbstkonzept der Kom-


petenz in politischen Fragestellungen, Alter, Intelligenz, Medienbreite, SÖS der Eltern,
Perspektivenübernahme sowie Offenheit
Medien- Interesse Selbstkonzept der Kompetenz
kompetenz an Politik in politischen Fragestellungen
Interesse an Politik .52**
Selbstkonzept der Kompetenz .41** .65**
in politischen Fragestellungen
Alter .72** .37** .25*
Intelligenz .60** .26** .11
Medienbreite .58** .42** .29**
SÖS Vater .30** .15 .04
SÖS Mutter .13 -.01 -.10
Perspektivenübernahme .36** .30** .18
Offenheit -.08 .18 -.04
*p < .05; **p <.01.

Um vermittelnde Effekte auszuschließen, wurden partielle Korrelationen mit Alter und


Intelligenz als Kontrollvariablen durchgeführt. Hierdurch verloren einige Zusammenhän-
ge den bedeutsamen Effekt, andere wurden vermindert. Medienkompetenz war weiterhin
signifikant mit Politikinteresse (.44), Selbstkonzept der Kompetenz in politischen Frage-
stellungen (.38), SÖS des Vaters (.28) und der Medienbreite (.26) korreliert. Um statis-
tisch den Effekt der einzelnen Variablen auf das Interesse an Politik und dem politischen
194 Carolin Braun, Verena Maria Gralke und Gerhild Nieding

Selbstkonzept zu klären, wurden hierarchische Regressionen berechnet. Als abhängige


Variable wurde zuerst Politikinteresse eingesetzt.
Als vermutete Prädiktoren wurden sowohl die Variablen eingefügt, die sich in der par-
tiellen Korrelationsmatrix als signifikant erwiesen hatten, als auch Offenheit integriert, da
es für unser theoretisches Modell bedeutsam ist.
Es wurden zuerst die Kontrollvariablen Intelligenz und Alter in das Modell eingefügt,
im zweiten Schritt Offenheit, Perspektivenübernahme, Medienbreite und Medienkompe-
tenz. Unter Einbezug aller Variablen konnte 36 % der Varianz erklärt werden, wobei Me-
dienkompetenz den größten Einfluss hatte und Intelligenz in keinem der Modelle einen
signifikanten Betrag leistete (vgl. Tabelle 4).
Für das Selbstkonzept der Kompetenz in politischen Fragestellungen folgt ebenfalls
eine hierarchische Regression: Als Prädiktoren wurden wieder zuerst die Kontrollvariab-
len eingefügt, danach die Variablen, welche sich in der partiellen Korrelation unter der Be-
rücksichtigung der Kontrollvariablen noch als signifikant erwiesen hatten: Medienbreite,
Interesse an Politik und Medienkompetenz. Interesse an Politik wurde auch deshalb be-
rücksichtigt, weil Hinweise zu seinem Einfluss auf das politische Selbstkonzept vorliegen
(s.v.). Sobald politisches Interesse in das Modell eingefügt würde, verloren alle anderen
Variablen ihren prädiktiven Wert. Das Gesamtmodell klärte 51 % der Varianz auf, mit ß2
= .63 für Politikinteresse (vgl. Tabelle 4).

Tabelle 4 Modellparameter für die hierarchische Regressionsanalyse


Variable B SE B ß p R R² Δ Verände-
rung in R ²
Interesse an Politik
Modell 1 Intelligenz 0.68 1. 73 0.05 = .697 .32 .10
Alter 0.18 0.07 0.30 = .012
Modell 2 Intelligenz - 2.00 1.71 - 0.13 = .250 .60 .36 .26***
Alter - 0.09 0.09 - 0.16 = .301
Offenheit 0.19 0.08 0.22 = .024
Perspektiven- 0.10 0.07 0.15 = .139
übernahme
Medienbreite 0.22 0.15 0.19 = .149
Medienkompetenz 8.26 2.34 0.54 = .001
Selbstkonzept der Kompetenz in
politischen Fragestellungen
Modell 1 Intelligenz - 0.91 3.07 - 0.04 = .768 .27 .08
Alter 0.30 0.12 0.29 = .017
Modell 2 Intelligenz - 3.28 2.64 – 0.13 = .217 .70 .50 .48***
Alter - 0.04 0.14 - 0.04 = .772
Interesse an Politik 1.10 0.17 0.63 < .001
Medienbreite 0.16 0.24 0.08 = .512
Medienkompetenz 3.76 3.81 0.14 = . 326
*** p < .001
Medien und gesellschaftlicher Wandel 195

Für ein Gesamtbild des Zusammenhangs der Variablen wurde eine Pfadanalyse durchge-
führt (vgl. Abbildung 6). Wieder war Interesse an Politik das Kriterium sowie die Prädik-
toren Alter, Offenheit, Perspektivenübernahme, Medienbreite und Medienkompetenz. Da
Intelligenz in der Regression keinen signifikanten Beitrag leistete, wurde sie nicht mitein-
bezogen. Medienkompetenz hat den größten Einfluss, gefolgt von Offenheit. Die anderen
Variablen zeigen keinen signifikanten Effekt auf das Politikinteresse. Letzteres hat star-
ken Einfluss auf das Selbstkonzept der Kompetenz in politischen Themen. Überrascht hat
vor allem, dass das Alter keinen signifikanten Beitrag am Politikinteresse zeitigte.

RMSEA = .000 CFI = 1.00


SRMR = .000 TLI = 1.00

Abbildung 6 Pfadanalyse der Zusammenhänge zwischen den Prädiktoren Medienkompetenz,


Alter, Perspektivenübernahme, Medienbreite und Offenheit auf Interesse an Politik
sowie dessen Einfluss auf das Selbstkonzept politischer Kompetenz

Die Ergebnisse der zweiten Teilfragestellung zeigten, dass Medienkompetenz im Mo-


dell einen entscheidenden Einfluss auf das Interesse an Politik hat, welches wiederum
das Selbstkonzept junger Rezipienten beeinflusst. Aufgrund des Zusammenhangs des
Selbstkonzepts mit tatsächlicher politischer Partizipation könnte Medienkompetenz ein
entscheidendes Glied am Anfang einer Kette an Einflussfaktoren sein, welche politische
Teilhabe bedingen.

5 Diskussion der empirischen Ergebnisse

Im Folgenden werden die Studie und die erzielten Ergebnisse einer kritischen Reflektion
unterzogen. Es waren wesentlich mehr hoch ausgebildete Personen zur Teilnahme bereit.
Zudem konnte die Korrelation zwischen der Medienkompetenz und der Mathematikfä-
higkeit nur für die Erwachsenen bestätigt werden. Ein Grund könnte darin liegen, dass die
196 Carolin Braun, Verena Maria Gralke und Gerhild Nieding

Jugendlichen weit unterdurchschnittlich abschnitten, weswegen die Eignung des Instru-


ments für diese Altersgruppe nochmals geprüft werden muss.
Eine weitere Einschränkung besteht darin, dass unsere Messung eine Querschnitterhe-
bung war, weshalb unsere Aussagen noch auf praktische Kausalität hin überprüft werden
müssen. Unsere Forschung diente vorerst der statistischen Überprüfung unserer theore-
tischen Annahmen zum Stellenwert der Medienkompetenz, die sich in vielen Bereichen
bestätigt haben. Der gefundene Zusammenhang zur Intelligenz lieferte Evidenz für die
konvergente Validität der hier durchgeführten Leistungsmessungen bzw. den WMK.
Die Ergebnisse zeigten konsistent mit den Ergebnissen mit Kindergartenkindern (vgl.
Nieding et al. 2016), dass Intelligenz und Medienkompetenz gemeinsame Varianz teilten,
was eine Überschneidung indiziert. Um einen Intelligenztest zu bearbeiten, ist somit auch
ein hoher Grad an Medienkompetenz notwendig und umgekehrt. So ist etwa MZK nötig,
um Schlussfolgerungen auf der Basis einer Sequenz figurativer Muster (wie beim Matri-
zentest im CFT) zu generieren, da hierfür das Verständnis dieser (symbolischen) Elemente
und ihrer generativen Regeln eine Voraussetzung darstellt.
Medienkompetenz hat bei Kontrolle der Intelligenz auch einen eigenständigen Beitrag,
der zumeist sogar höher ausfällt bzw. alleinigen Einfluss ausübt. Der physikalische Sym-
bolsystemansatz (Newell und Simon 1963) sieht menschliches Denken als eine Art Sym-
bolmanipulation. Kognitive Operationen werden als symbolische Operationen modelliert,
die auf internen Repräsentationen ausgeführt werden. Während das Konstrukt der Intelli-
genz auf interne Repräsentationen fokussiert, beinhaltet das Konstrukt der sog. externen
Kognition (Rogers 2004), einschließlich der Medienkompetenz, das Zusammenspiel von
internen und externen Repräsentationen in der Informationsverarbeitung. Aus dieser Er-
kenntnisperspektive ist es evident, dass die Verwendung von symbolischen externen Dar-
stellungen, die bei der Informationsverarbeitung vorhanden sind und internen Repräsen-
tationen entsprechen, zu einem positiven Zusammenspiel zwischen äußeren und inneren
Repräsentationen führen sollte. Aus dieser Sicht können Personen, die eine elaborierte
Interaktion von internen und externen Repräsentationen aktivieren können, ein hohes Maß
an Medienkompetenz entwickeln. Auf der anderen Seite sollten hoch medienkompetente
Personen auch fortgeschrittene Manipulatoren von internen Symbolsystemen sein, was die
Korrelationen zwischen Medienkompetenz und Intelligenzmaßen erklärt.
Auf der Grundlage dieser Perspektive ist es auch möglich, Korrelationen und Kau-
salzusammenhänge zwischen Medienkompetenz und den Resilienzfaktoren zu erklären,
da diese Fähigkeiten auch an ein Verständnis von Symbolsystemen gebunden sind, mehr
noch als die Intelligenz. So ist das Erfassen von Buchstaben, Worten, Ziffern und Zahlen
und die Operationen, die mit diesen Entitäten durchgeführt werden, immer in einen triadi-
schen Prozess der Interaktion zwischen kognitiven Begriffen, externen Referenten und ex-
ternen Repräsentationen eingebettet. Ein hohes Maß an Medienkompetenz spiegelt damit
die Fähigkeit wider, diese Interaktion auf einem hohen kognitiven Niveau durchzuführen.
Diese Fähigkeit, das Lernen zu fördern und akademische Aufgaben durchzuführen, ist
ein Aspekt der Medienkompetenz, der unabhängig von der gemeinsamen Varianz ist, die
Medien und gesellschaftlicher Wandel 197

sie mit Intelligenz teilt, was darauf hindeutet, dass die Förderung von Medienkompetenz
lohnenswert ist.

6 Zusammenfassung und Fazit

Grundsätzlich bestätigt diese erste Analyse Medienkompetenz als potentiellen Resilienz-


faktor: Sie ist positiv mit empirisch ausgewiesenen Resilienzindikatoren im akademi-
schen Leistungsbereich – Mathematik-, Lesefertigkeiten und Notenschnitt – als auch im
gesellschaftlichen Bereich, nämlich dem Interesse an Politik und dem Selbstkonzept der
Kompetenz in politischen Fragestellungen, verbunden. Darüber hinaus weist sie negati-
ve Bezüge zu potentiellen Risikofaktoren, wie der Computerspieleabhängigkeit oder dem
überhöhten Fernsehkonsum auf. In unseren Modellen erwies sich Medienkompetenz dabei
fast durchweg als bester Prädiktor – weit vor der Intelligenz. Da häufig die geringe Wahl-
beteiligung vor allem junger Kohorten problematisiert wird, sehen wir in der Steigerung
der Medienkompetenz somit großes Potential. Denn diese steigert das Interesse, welches
wiederum zu mehr Partizipation führt (vgl. z. B. Best und Krueger 2005). Hinzu kommt,
dass Medienkompetenz Korrelationen zu Offenheit für neue Erfahrungen und Perspekti-
venübernahme zeigt. Sie ist somit nicht nur auf Individualebene, sondern auch potentiell
auf Gesellschaftsebene ein Resilienzfaktor. Eine medienkompetentere Gesellschaft könn-
te sich somit auf die durch den rasanten technologischen Wandel bedingte Transformation
besser einstellen. Damit scheint es längst überfällig, dass Medienkompetenz bundesweit
verpflichtend in die Schulcurricula aufgenommen wird, um unsere Jugendlichen für die
Welt des 21. Jahrhunderts optimal vorzubereiten.
198 Carolin Braun, Verena Maria Gralke und Gerhild Nieding

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Resilienzsensible Bildung
Resilienz als Response-Strategie durch
Professionelle Simulation (ProfiS) entwickeln

Manfred Riegger

Zusammenfassung

Nach einleitenden Worten wird im zweiten Kapitel Resilienz in interdisziplinären Dis-


kursen gesichtet, um resilienzsensible Bildung als Stärkung von Menschen und Sys-
temen in der Auseinandersetzung mit Inhalten herauszuarbeiten. Das dritte Kapitel
ordnet und entfaltet resilienzsensible Bildung in der Vielfalt möglicher Verständnisse,
um Resilienz als Response-Strategie bildend und exemplarisch anhand der Methode
„Professionelle Simulation“ zu profilieren. Im vierten Kapitel wird der Ertrag gebün-
delt und das Potential resilienzsensibler Bildung aufgezeigt.

1 Einleitung: Bilder und Fälle

Dieser Beitrag baut sich folgendermaßen auf: Nachdem an zwei Fallbeispielen resilienz-
sensible Bildung konkretisiert wird, erfolgt im zweiten Kapitel eine systematische Ver-
schränkung von Bildung und Resilienz im interdisziplinären Diskurs, um die spezifische
Anschlussfähigkeit aufzuzeigen. Diese Ergebnisse werden im dritten Kapitel weiterent-
wickelt, indem Resilienz als Response-Strategie entfaltet und im methodischen Vorgehen
der Professionellen Simulation verdeutlicht wird. Abschließend wird das Potential resi-
lienzsensibler Bildung aufgewiesen.
Resilienz wird im Bild häufig in Szene gesetzt als karge, lebensfeindliche Landschaft,
in der einsam ein kleines Pflänzchen wächst, gelegentlich mit Blüte. Meint Resilienz also

203
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2018
M. Karidi et al. (Hrsg.), Resilienz,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-19222-8_11
204 Manfred Riegger

irgendein Leben gegen alle Wahrscheinlichkeit inmitten einer lebensfeindlichen Umge-


bung? Pflanzen mögen wachsen, aber sie handeln nicht, weshalb wohl auch das Bild des
„Stehaufmännchens“ zu finden ist. Ein solches Bild suggeriert einfach Nehmerqualitäten.
Doch meint Resilienz v.a. die Fähigkeit der Hinnahme und Bewältigung von dem, was
Menschen zustößt? Beide Bilder erscheinen im Blick auf Bildung stark unterkomplex,
weshalb ich zunächst zwei Fallbeispiele resilienzsensibler Bildung mittels einer Profes-
sionellen Simulation (vgl. Heil und Riegger 2017) skizzieren und die beiden Bilder an-
reichern werde. In Klammern sind die Phasen der Simulation angegeben (vgl. Riegger
und Heil 2017b, S. 126), anhand derer die Verlaufsstruktur resilienzsensibel gestalteter
Bildungsprozesse beschrieben wird (vgl. Kapitel 3.2.3):
Zunächst sind wir im Ethikunterricht einer bayerischen Förderschule. Anwesend sind
vier 14jährige Schüler (vgl. Kuhn 2013, S. 46): Die Gruppe sitzt mit der Lehrerin zu-
sammen im Stuhlkreis. In der Mitte liegen weiße DIN-A4-Blätter. Die Lehrperson be-
ginnt: „‚Auf diesen Blättern könnten Bilder zu sehen sein. Besondere Bilder. Es sind alles
Frühstücksbilder, auf denen auch Du zu sehen bist‘“ (ebd.) (=Szenendesign). Die Leitung
stimmt auf die Simulation ein: „‚Wir stellen uns ein Bild vor. Und zwar sieht sich jeder in
der Situation, in der er frühstückt‘“ (ebd.) (=Einstimmung). Zu den Schülern gewandt sagt
dann die Simulationsleitung: „‚Jeder nimmt sich nun ein Blatt und stellt diese Situation
dar. Ihr dürft malen oder schreiben‘“ (ebd.) (=Impuls der Leitung). „Die Schüler neh-
men ein Blatt und Stifte und gestalten, an einem frei gewählten Ort im Klassenzimmer,
ihr Frühstücks-Bild“ (ebd.) (=Handlungen durchführen). Zurück im Sitzkreis stellen alle
„nacheinander ihr Frühstückserlebnis vor. Hierbei wird zuerst das Bild beschrieben und
dann das dazugehörige Erlebnis erzählt. Die Schüler hören interessiert zu. […] Drei Schü-
ler schildern eine Frühstückssituation an einem großen, reichhaltig gedeckten Tisch, an
dem sie mit der ganzen Familie sitzen. Es gibt viele Leckereien, man hat Zeit, man unter-
hält sich. Verschiedene Nahrungsmittel werden aufgezählt, die auf gar keinen Fall fehlen
dürfen: Nutella, Cornflakes, Eier, Croissants, […] vor allem eher ungesundes Essen steht
auf dem Speiseplan. Ein Schüler erzählt, dass bei ihnen immer das Fernsehgerät laufe, was
völlig uncool sei, da man sich nicht richtig unterhalten könne und eigentlich jeder für sich
alleine frühstücke. Deshalb nähme er häufig seinen Teller und gehe zum Frühstücken in
sein Zimmer: ‚Da ist es leise. Da habe ich meine Ruhe.‘ Zuletzt beschreibt die Lehrkraft
ihre Frühstückssituation, welche im Rahmen der Familie stattfindet. Zu essen gibt es bei
ihr ein gesundes Frühstück, bestehend aus Haferflocken, Obst und Naturjoghurt“ (ebd.,
S. 46f.) (=Kommunikation über eigene Erlebnisse). Die Beschreibung der Lehrkraft bleibt
„nicht unkommentiert: ‚Boah, das ist ja voll gesund!‘ oder ‚Und das schmeckt?‘ und ‚Das
dauert ja voll lange, bis Sie das zubereitet haben. Wann stehen Sie denn morgens auf?‘“
(ebd., S. 47) (=Perspektivenwechsel). Auf all diese Fragen erhalten die Schüler zu einem
späteren Zeitpunkt eine Antwort, denn die Lehrkraft stellt fest, dass es sich bei allen vier
Schülererlebnissen „um Wochenend- bzw. Ferienerlebnisse handeln muss […]. Daher fragt
sie nach, ob dies so sei und ob sich das alltägliche Frühstückserlebnis von dem eben be-
schriebenen unterscheide. […] In einer zweiten Runde erzählen die Schüler, wie sie das
Frühstück im Alltag, morgens vor der Schule, erleben. […] S1: ‚Ich frühstücke alleine, esse
Resilienzsensible Bildung 205

wenig und schnell, da das keinen Spaß macht.‘ S2: ‚Wenn ich aufstehe, sitzen meine Eltern
vor dem Fernseher. Oft frühstücke ich dann gar nicht, weil mich das nervt und ich schnell
weg möchte.‘ S3: ‚Ich frühstücke nichts, weil ich immer zu spät aufstehe und keiner mehr
zuhause ist. Ich kaufe manchmal etwas unterwegs beim Bäcker oder esse gar nichts.‘ S4:
‚Ich frühstücke zusammen mit meinem Bruder, der muss auch in die Schule‘“ (ebd.). Mit
folgender Aufforderung wird die Simulation beendet: „‚Jetzt dürft Ihr entscheiden, ob
Ihr euer Bild behalten möchtet oder ob Ihr es dalassen möchtet.‘ Alle Schüler nehmen
Ihr Bild und sortieren es in den Ethik-Hefter ein“ (ebd.) (=Beendigung der Simulation).
In der anschließenden Reflexion über die Erlebnisse redet man darüber, wie schön es ist
zusammen zu frühstücken, welche gesunden Nahrungsmittel schmecken könnten. „Ent-
sprechende Nahrungsmittel, wie Vollkornbrötchen und Bioprodukte (Butter, Marmelade,
Wurst, Käse), sind vorhanden, welche nun die Grundlage für das gemeinsame Frühstück
darstellen. Zusammen wird der Tisch gedeckt. Es herrscht eine absolut friedliche, fast
schon familiäre Atmosphäre. Die Schüler erzählen von ihren Ferienerlebnissen, bemerken
aber nebenbei, dass Bioprodukte besser schmecken, als das, was sie normalerweise essen.
Ihr Interesse an einem gesunden Frühstück steigt, sodass die Lehrkraft anbietet, für die
nächste Stunde ein Haferflockenmüsli mit Obst vorzubereiten. Ein Schüler ist immer noch
sehr skeptisch: ‚Ob das wohl schmeckt?‘“ (ebd.).
Das zweite Beispiel einer Professionellen Simulation entstammt der Lehrerbildung an
der Universität Augsburg (vgl. Riegger und Heil 2017b, S. 135ff.), in welcher Unterrichts-
störungen simulierend thematisiert wurden. Globale Bildungsziele werden in Bezug auf
folgende Intention bzw. Kompetenzerwartung konkretisiert: Die schulische Konfliktsitu-
ation: „Eine Schülerin verweigert im Religionsunterricht die Mitarbeit“ wird mittels Pro-
fessioneller Simulation wahrgenommen und gezielt gestaltet. Im vorbereitenden Gespräch
werden Informationen über den zu simulierenden Konfliktfall im Unterricht gesammelt
und gebündelt. Danach wird im Seminarraum der Universität ein Tisch aufgestellt. Da-
hinter nimmt die eingeladene Lehrkraft Platz. Sie simuliert Mareike (alle Namen wurden
geändert), eine Schülerin aus ihrer Klasse. Ein Buch und ein Blatt liegen vor ihr. Im Halb-
kreis gegenüber sitzen die Studierenden (=Szenendesign). Die Leitung beginnt: „Wir sind
im Zimmer der 8. Klasse an einer Mittelschule (= Hauptschule mit der Möglichkeit eines
Mittleren Schulabschlusses) in Bayern. Der Unterricht ist in vollem Gange. Die Schüle-
rinnen und Schüler lesen im Religionsbuch. Der Lehrer, Herr Meier, ruft die einzelnen
Schüler auf. Mareike ist an der Reihe“ (=Einstimmung durch die Leitung). Zu den Studie-
renden gewandt sagt dann die Simulations- und Seminarleitung: „Sie können nun die Rol-
le von Herrn Meier übernehmen. Sie entscheiden selbst, wann Sie in die Szene treten und
beginnen selbstständig“ (=Impuls der Leitung). Der Simulationsprozess (=Handlungen
durchführen) beginnt: Ein Studierender steht auf und übernimmt die Lehrerrolle. Mareike
schaut aus dem Fenster. Herr Meier zögert und sagt: „Mareike, liest du bitte den Text!“.
„Herr Meier, ich will nicht!“, bekommt er zur Antwort. Nach kurzer Zeit fragt er: „Marei-
ke, warum willst du nicht lesen?“. „Ich habe keine Lust!“, ist zu vernehmen und der Lehrer
entgegnet: „Das kann ich verstehen, dass man manchmal keine Lust hat. Willst du etwas
anderes tun?“. „Ja, rausgehen“, und schon ist Mareike auf dem Weg zur Tür. Daraufhin
206 Manfred Riegger

bricht der Student die Simulation ab. Nach weiteren Simulationen lässt man die Szenerie
noch aufgebaut, setzt sich aber im Stuhlkreis zusammen und reflektiert über die Simula-
tionen der Reihe nach. Zunächst erzählt der simulierende Studierende 1 (=Kommunika-
tion über eigene Erlebnisse): „Ich wollte Mareike Verständnis entgegenbringen und hoffte,
dass sie dann liest“. Die Lehrkraft in der Schülerinnenrolle erzählt: „Ich dachte: ‚Toll, jetzt
kann ich machen, was ich will!‘“. Daraufhin ergänzen die Beobachtenden (=Perspekti-
venwechsel): „Ich als Mareike empfand ein Gefühl des Sieges“. „Als Herr Meier ging es
mir schlecht, weil ich dachte, dass ich für immer die Autorität vor den anderen Schülern
verloren habe“. Konnten sich alle äußern, beendet die Leitung die Simulation, indem die
Szenerie abgebaut und die gewohnte Sitzordnung eingenommen wird (=Beendigung der
Simulation). Die habitusbezogene Reflexion erfolgt mindestens in zwei Varianten: Zuerst
bindet die Lehrperson die Simulation an ihren Habitus zurück, indem sie über ähnliche
Anforderungssituationen aus ihrem Schulalltag spricht und die Studierenden knüpfen an
ihren Habitus an, indem sie auf den Punkt bringen, was sie handlungspraktisch gelernt
haben (=pragmatisch-reflexive Reflexion). Sodann werden gemeinsam Bezüge zu unter-
schiedlichen wissenschaftlichen Theorien erörtert und wissenschaftlich begründete Deu-
tungen von Konflikten und Konfliktregelungen erarbeitet (=reflexiv-wissenschaftliche Re-
flexion). Abschließend werden die Wirkungen der Simulation eruiert (=Evaluation). Eine
Studierende antwortete dabei: „Eigentlich war es doch nur ein Spiel, aber ich fühlte mich
wie in der Schule. Ich dachte nicht nur theoretisch über Unterrichtsstörungen nach, son-
dern probierte unterschiedliche Handlungsmöglichkeiten aus. Das war ungewohnt, aber
auch sehr hilfreich.“
Diese beiden Fallbeispiele aus dem schulischen und hochschulischen Alltag vermitteln
zunächst einen ersten Eindruck von resilienzsensibler Bildungspraxis, die im Folgenden
wissenschaftlich eingeholt wird.
Zuvor aber noch zur Weiterentwicklung der beiden Bilder: Resilienzsensible Bildung
zielt im ersten Fallbeispiel durch das Entdecken und Anbieten von Frühstücksalternativen
darauf ab, dass die Lernenden sich gegen die „Frühstücksöde“ (Bild 1) zuhause durch-
setzen und damit quasi neu und vielfältigt erblühen. Vom zweiten Fallbeispiel her ist das
zweite Bild zu ergänzen: Die Lehramtsstudierenden sind nicht auf einen Standpunkt bei
Unterrichtsstörungen festgelegt, sondern können – wie ein Boxer – tänzeln. Noch besser:
Sie können auch aus dem Kampf, aus dem Ring und dem ganzen Bild des Kampfes aus-
steigen und neue Wege gehen. Das Suchen und Finden alternativer Wege stehen bei resi-
lienzsensibler Bildung im Mittelpunkt.

2 Pädagogik, Religionspädagogik und Resilienz


in interdisziplinären Diskursen

Auf der Grundlage einer Standortbestimmung von Religionspädagogik (vgl. Kapitel 2.1)
werden mögliche wissenschaftliche Zugänge im Blick auf Resilienz eröffnet (vgl. Kapitel
2.2), um innerhalb bildungstheoretischer Überlegungen (vgl. Kapitel 2.3) Resilienz in spe-
Resilienzsensible Bildung 207

zifischen Handlungsfeldern zu sichten. Folgender Kernbegriff von Resilienz fungiert als


regulativer Suchbegriff:

X Resilienz vom Lateinischen re-silire (dt. = zurückspringen) bzw. vom Engli-


schen resilience (dt. = Spannkraft, Widerstandsfähigkeit, Elastizität) kann – in Er-
weiterung eines psychischen Verständnisses (Wustmann et al. 2016, S. 18) – im
Kern verstanden werden als die Fähigkeiten und Prozesse von Personen und Sys-
temen, erfolgreich mit belastenden und bedrohenden Umständen umzugehen (vgl.
Vogt und Schneider 2016b, S. 181).

2.1 Verständnis von Religionspädagogik bzw. -didaktik

In der Religionspädagogik beschreibt, analysiert und reflektiert man religiöse Bildungs-


prozesse (vgl. Sajak 2012, S. 65) und bezieht sich in Forschung und Lehre „auf alle Be-
reiche der religiösen Erziehung, Bildung, Entwicklung und Sozialisation in Schule, Kirche
(Religionsgemeinschaften) und Gesellschaft beziehungsweise in globalen Zusammenhän-
gen“ (Schweitzer 2015). Innerhalb dieses Verständnisses von Religionspädagogik verhilft
sich Religionsdidaktik zu einer „wissenschaftlich begründeten reflexiven Kompetenz hin-
sichtlich der Planung, Durchführung und Evaluation religiöser Lernprozesse sowie deren
edukativer Verantwortung“ (Ziebertz 2015, S. 20).
Um Verständigungsschwierigkeiten gegenüber nichttheologischen Wissenschaften in
unserem Fall nicht zu provozieren, beziehen sich die beiden eingangs angeführten Fallbei-
spiele vorwiegend auf für alle Disziplinen akzeptable, innerweltliche Aspekte wie Früh-
stück und Unterrichtsstörungen.

2.2 Wissenschaftliche Zugänge

Die unterschiedlichen Wissenschaften versuchen auf unterschiedliche Art und Weise


Aussagen über Resilienz zu machen. Grundsätzlich scheinen drei Zugänge entscheidend:
empirische, normative und operative.

2.2.1 Empirische Zugänge

Empirische Untersuchungen (vgl. Gennerich und Riegel 2015) zu Resilienz erheben Re-
silienz fördernde Faktoren. Geklärt werden soll, wie ein hohes Maß an Resilienz erreicht
werden kann und welche Faktoren entscheidend sind: psychische, soziale, institutionelle,
ökonomische, ökologische, politische oder gesellschaftliche, religiös-spirituelle u.v.a.m.
Verwendet werden unterschiedlichste Erhebungsmethoden: Resilienz als psychische
Widerstandsfähigkeit wird beispielsweise mit der deutschsprachigen Version der auf G.
M. Wagnild und H. M. Young (1993) zurückgehenden Resilienzskala (RS-25 und RS-
208 Manfred Riegger

11) ebenso gemessen (vgl. Schumacher et. al. 2005; Leppert et. al. 2008), wie mit der
Connor-Davidson Resilience Scale (CD-RISC) (vgl. Sarubin et. al. 2015). Letztere ver-
wenden Nguyen u. a. (2015) und verbinden sie mit einer Skala zum Gottesbild. Die RS-
11 verwendet E. Stangl und trianguliert sie mit qualitativen Leitfadeninterviews (2016,
S. 229ff.). Insgesamt sind neben quantitativen Erhebungen auch qualitative auszumachen,
wie die Pionierstudien zu Beginn der Resilienzforschung von Emmy E. Werner et. al. (vgl.
1971, 1982), die auch religiöse Überzeugungen einschlossen. Die qualitativen Vorgehens-
weisen untersuchen nicht selten vornehmlich personale bzw. individuelle Resilienz (vgl.
z. B. Göppel und Zander 2017). Diese individuelle Sicht ist sicher mit einer sozialen zu
verschränken (Sedmak 2016, S. 242), wozu auch sozioökonomische Aspekte zählen und
ggf. geophysische ergänzt werden müssen (vgl. Vogt und Schneider 2016b, S. 184ff.). Fest-
zuhalten ist: Die Diskurse über individuelle und soziale Resilienz werden ähnlich geführt,
nämlich mit einem Interesse an Schutz- und Risikofaktoren (vgl. Sedmak 2016, S. 238),
weshalb nachfolgend normative Ansprüche thematisiert werden müssen. Da Bildungspro-
zesse von Subjekten her thematisiert werden, kann mit allgemein vorgegebenen Faktoren
nicht gearbeitet werden.

2.2.2 Normative Zugänge

Thematisiert man Resilienz, so thematisiert man immer – mehr oder weniger explizit –
auch das, was sein oder nicht sein soll. Diese Aussagen sind normative Setzungen (vgl.
z. B. Nida-Rümelin und Gutmann 2016, S. 257) und können nicht durch Beobachtungen
als wahr oder falsch eingestuft werden.
Wer von Resilienz spricht, verspricht – mehr oder weniger deutlich – „robust und fle-
xibel auf die Umbrüche reagieren zu können“ (Vogt und Schneider 2016b, S. 180). Selbst
wenn diese positive Erwartung mit religiösen Überzeugungen umgedeutet wird, indem
selbst einem Opfer etwas Positives abgewonnen werden kann (vgl. die Bedeutungsunter-
schiede von victim und sacrifice) und die Schwäche zur Stärke wird (vgl. Vogt 2009),
bleibt Normativität leitend, nur unter verändertem Vorzeichen. Die skizzierten religiösen
Überzeugungen (vgl. Schneider und Vogt 2016) scheinen neben profanen, rein innerwelt-
lichen Überzeugungen für Resilienz nicht unwesentlich zu sein. Festzuhalten ist: Ein rein
empirischer Diskurs über Resilienz ist nicht möglich und Bildungsintentionen bzw. Kom-
petenzen müssen begründet werden.

2.2.3 Operative Zugänge

Religionspädagogik kann auch einen operativen Zugang thematisieren (vgl. Gennerich


und Riegel 2015). Gefragt wird: Wie müssen Bildungsprozesse strukturiert und rhythmi-
siert sein, damit diese begleitet und gefördert werden können? Entwickelt werden The-
orien von Bildungspraxis für Bildungsprozesse, ohne schon gewissermaßen die Praxis
selbst im Sinne einer „Anwendungswissenschaft“ zu sein, weshalb hier eingangs zwei
Fälle exemplarisch skizziert wurden.
Resilienzsensible Bildung 209

Festzuhalten ist: Es geht weder um Idealbeispiele noch um Ratgeberliteratur, sondern


um die didaktisch-methodischen Gestaltungsmöglichkeiten und ggf. um die empirische
Untersuchung resilienzsensibler Bildungsprozesse. Zu nennen ist beispielsweise interven-
tionsbezogene Resilienzforschung, d. h. Forschung, die auf die positive Beeinflussung von
Resilienz zielt, wie sie Fritz Oser et. al. für den Übergang zwischen Schule und Lehre
durchführte (vgl. 2004). In diesem Zusammenhang sind konkrete Lehr-Lernmethoden für
resilienzsensible Bildungsprozesse passgenau und theoretisch begründet zu reflektieren,
wie es hier ansatzhaft für die Professionelle Simulation erfolgt.

2.3 Bildungstheoretische Zugänge

2.3.1 Grundlegung: bildungstheoretisches Verständnis

In Anlehnung an Wilhelm von Humboldt kann Bildung – jenseits aller Unterschiede –


verstanden werden als die „differenzierte, gedanklich und sprachlich vermittelte Ausei-
nandersetzung von Menschen mit sich, mit anderen und mit der Welt“ (Dörpinghaus et.
al. 2012, S. 10). Allgemeine Bildung schließt damit „alle unterschiedlichen Formen des
Weltverstehens und des Weltumgangs“ (Dressel 2017) ein und gilt als der Prozess, „in
dem Individualität und vielgestaltige Weltbezüge wechselseitig vermittelt werden“ (ebd.).
Grundlegend ist also ein medialer Prozess der Vermittlung, nicht im Sinne einer Weiter-
gabe vorher festgelegter Inhalte, sondern im Menschen, zwischen Menschen und der Welt,
der auch zwischen Subjekten und Inhalten vermittelt. Allem zu Grunde liegt – im religiö-
sen Verständnis – Gott, weshalb der Prozess der Vermittlung mit, in und durch Gott als
vorgängig erachtet wird (vgl. Boschki 2011, S. 84), ohne dadurch das allgemeine Bildungs-
verständnis zu beeinträchtigen.
Als wesentlich für Bildung wird ein Paradox erachtet: Bildung kann „nur dann funktio-
nal sein […], wenn sie nicht nur funktional ist“ (Dressel 2017). Neben (angestrebten) Inten-
tionen und Funktionen treten Unintendiertes und Nichtfunktionales. Dabei erweisen sich
letztere möglicherweise als nachhaltiger und funktionaler als Intentionen und Funktionen
(vgl. ebd.). Bildungserfolge sind „an der Erwartung zu messen, wie es gelingt, Menschen
zu stärken, indem ihre Urteilskraft und Handlungsfähigkeit auf allen Feldern des Zusam-
menlebens entwickelt wird“ (ebd.). „Bildung ‚stärkt die Menschen‘, indem sie ‚die Sachen
klärt‘“ (von Hentig, zitiert nach Dressel 2017). Bildung ist dann resilienzsensibel, wenn sie
nicht nur selbstoptimierend wirkt, sondern intentional in inhaltlicher Auseinandersetzung
Menschen und Systeme stärkt, ohne Nichtfunktionales auszuschließen.

2.3.2 Drei Prinzipien

Für den religionspädagogischen Bildungsbegriff konstitutiv sind drei Prinzipien, die pä-
dagogisch und theologisch begründet sind, innerhalb derer Resilienz verortet sein muss:
210 Manfred Riegger

2.3.2.1 Bildsamkeit des Menschen


Pädagogisch besagt Bildsamkeit, dass „der Mensch keine ihm von Natur vorgegebene
Bestimmung hat, sondern sich in Wechselwirkung mit der Welt bilden und seine Be-
stimmung selbst hervorbringen muss“ (Benner 2014, S. 7). Theologisch schließt hier der
Begriff der Gottebenbildlichkeit an, in welchem sich das vorgängig von Gott bestimmte
Menschsein ausdrückt, weshalb auf dieser Grundlage „der Mensch selbst- und weltbil-
dend tätig werden und seine Bestimmung in Wechselwirkung mit der Welt suchen kann“
(ebd.). Beide Abhängigkeiten konvergieren so, „dass der Angewiesenheit der Religion auf
menschliche Bildsamkeit eine Bildsamkeit des Menschen zur Religion korrespondiert, die
aktiviert werden muss, wenn religiöse Erziehung gelingen soll“ (ebd., S. 27). Insofern ent-
scheiden in resilienzsensiblen Bildungsprozessen Teilnehmende selbst, was aus ihrer Sicht
für sie resilienzförderlich ist.

2.3.2.2 Aufforderung zur Selbsttätigkeit


Der Mensch ist in der pädagogischen Interaktion zur selbsttätigen Mitwirkung an seinem
Bildungsprozess aufgefordert. Hier berühren wir die „pädagogische Grundparadoxie, dass
Heranwachsende, die von ihrer Freiheit noch keinen durchweg vernünftigen Gebrauch ma-
chen können, gleichwohl im Prozess der pädagogischen Interaktion in ihrer Befähigung
zum Selbstgebrauch der Freiheit wachsen können sollen“ (Dressel 2017). Es geht um die
Fremdaufforderung zur Selbsttätigkeit oder wie mit Zwang Freiheit erreicht werden kann.
Theologisch kann hier nach dem Verhältnis der pädagogisch-bildungstheoretischen und
religiös-schöpfungstheologischen Erklärungen und Vergewisserungen gefragt werden, die
nicht deduktiv und damit nicht-hierarchisch erfolgen (vgl. Benner 2014, S. 29). Bildungs-
prozesse müssen damit notwendig eine Fremdaufforderung zur eigenständigen Resilienz-
bildung enthalten, wie es in den beiden Fallbeispielen deutlich wird, da die Selbsttätigkeit
der Teilnehmenden erst nach der Aufforderung durch die Leitung erfolgt.

2.3.2.3 Pädagogische Transformationen


Dieses Prinzip verweist darauf, dass neben individuellen Aufforderungen zur Selbsttätig-
keit zugleich gesellschaftliche Einwirkungen zu berücksichtigen sind (vgl. ebd., S. 30). In
den Blick kommt hier die Legitimität von Abstimmungsprozessen, die teils in den päd-
agogischen Situationen selbst und teils zwischen diesen und außerpädagogischen Situa-
tionen liegen. Abstimmungsprozesse „zwischen pädagogischen und außerpädagogischen
Situationen und Kontexten lassen sich durch didaktische Transformationen von Weltinhal-
ten zu Unterrichtsgegenständen oder durch gesellschaftspädagogische Transformationen
bearbeiten, in denen außerpädagogische Handlungsfelder so umgestaltet werden“ (ebd.),
dass Teilnehmende an ihnen partizipieren können. In resilienzsensiblen Bildungsprozes-
sen müssen deshalb Gegebenheiten so in den Blick genommen werden, dass diese nicht
nur individuell, sondern auch gesellschaftlich-politisch überstiegen, transformiert werden.
„In religionspädagogischen Kontexten treffen – wie in anderen Bereichspädagogiken
auch – stets mehrere Transformationsaufgaben aufeinander“ (ebd., S. 31). Neben religiösen
sind „immer auch ökonomische, ethische, pädagogische, politische und ästhetische Welt-
Resilienzsensible Bildung 211

erfahrungen zu berücksichtigen, ohne dass über die dabei zu klärenden Abstimmungspro-


bleme allein aus religiös-theologischen Perspektiven entschieden werden könnte“ (ebd.).
Resilienzsensible Bildung muss sich damit „als kompatibel mit den Voraussetzungen einer
pluralen Gesellschaft erweisen“ (Kumlehn 2015), aber diese auch verändern wollen.
Nimmt man die genannten drei Prinzipien ernst, so darf Resilienz in Bildungsprozes-
sen nicht nur als Persönlichkeitsbildung (vgl. dazu Riegger 2012) konzipiert werden, da die
von den Teilnehmenden ausgehenden Bildungsprozesse innerhalb von unterschiedlichsten
Systemen angesiedelt sind. Damit müssen resilienzsensible Bildungsprozesse nicht nur
didaktische, sondern mindestens gesellschaftliche und ökologische Transformationspro-
zesse miteinbeziehen, ohne Zielentscheidungen zu vernachlässigen.

2.3.3 Primat der Zielentscheidung

Zielentscheidungen sind für resilienzsensible Bildung ausschlaggebend. Notwendig ist


deshalb die dem Inhalt immanenten Ziele auf ihre fachdidaktische Bedeutsamkeit hin
zu untersuchen und vom Bildungsbegriff her zu qualifizieren, um so zu Zielen für den
konkreten Bildungsprozess zu kommen. Dieses „Primat der Zielentscheidung“ gegenüber
der Inhaltlichkeit berücksichtigt ebenso das Primat der Zielentscheidung gegenüber me-
thodischen Entscheidungen (vgl. Klafki 1991, S. 432). Aus (religions-)pädagogisch-didak-
tischer Perspektive ist damit Resilienz in Bezug auf zielorientierte Inhalte ebenso unter
die Lupe zu nehmen, wie bezüglich zielorientierter methodischer Vorgehensweisen. In
anderen Worten: Inwiefern enthalten resilienzaffine Inhalte (z. B. Unterrichtsstörungen)
immanente Ziele (z. B. Stärkung der Lehrperson oder Änderung der Verhältnisse) und in-
wiefern korrespondieren beide mit immanenten methodischen Strukturierungen von Bil-
dungsprozessen (Implikationszusammenhang) wie der Professionellen Simulation?

2.4 Resilienz in Handlungsfeldern der Bildung

Mit Resilienz ist eine menschliche Fähigkeit angesprochen, die es schon immer gegeben
haben mag, deren wissenschaftliche Erforschung aber gemeinhin mit dem Zwischenbe-
richt der Kauai-Studie von Emmy Werner und Ruth Smith in Verbindung gebracht wird
(vgl. Werner et. al. 1971; Werner und Smith 1982).
Seit über dreißig Jahren liegt das Hauptaugenmerk der bildungsrelevanten Resilienz-
forschung auf Kindern und Jugendlichen (vgl. Werner 2011; Zander 2011; Fröhlich-Gild-
hoff et. al. 2016; Wustmann Seiler und Fthenakis 2016). Dieser Schwerpunkt der For-
schung erweitert sich zunehmend, beispielsweise in Richtung Erwachsene (vgl. Leipold
2015), sodass der ganze Lebenslauf in den Blick kommt (vgl. Rönnau-Böse 2015; Fröh-
lich-Gildhoff Höfler 2016; Wink 2016). Ebenso wird Resilienz nicht nur in Beratung und
Therapie (vgl. Welter-Enderlin und Hildenbrand 2016), sondern auch in unterschiedlichen
Disziplinen und Kontexten des Sozialen untersucht (vgl. Endres und Maurer 2015) und
mittlerweile zunehmend in der Theologie (vgl. Pohl-Patalong 2016; Richter 2016; Richter
212 Manfred Riegger

und Blank 2016; Richter 2017), wobei sich neben Moraltheologie sowie Sozialethik (vgl.
z. B. Sedmak 2013; Sautermeister 2016; Vogt und Schneider 2016a), Pastoralpsychologie
(z. B. Stangl 2016), Seelsorge bzw. Diakonie (vgl. Hauschildt 2016) sowie Exegese (vgl.
z. B. Gärtner 2016) und zurückhaltend die Religionsdidaktik (vgl. z. B. Oser 2013) an der
Debatte beteiligen.
Darüber hinaus wird Resilienz zu Nachbardiskursen in Beziehung gesetzt und von ähn-
lichen Konstrukten wie Empowerment (vgl. Bucher und Domsgen 2016) abzugrenzen ver-
sucht. Beispielhaft seien hier genannt: Vulnerabilität bzw. Invulnerabilität und Robustheit
(Hardiness) (vgl. Keul 2016), Salutogenese, die zentral mit dem Kohärenzgefühl arbeitet
(vgl. Fröschl 2015; Nida-Rümelin und Gutmann 2016, S. 253f.), Coping (vgl. Stangl 2016,
S. 100ff.) und (Mit-)Leidensfähigkeit als Empathie und Compassion (vgl. ebd. S. 115f.).
Viele der angeführten Untersuchungen lassen zwar mehr oder weniger Bezüge zu bil-
dungsrelevanten Aspekten erkennen, beschäftigen sich aber kaum mit der Planung und
Gestaltung von Bildungsprozessen im engeren Sinne oder mit Resilienz als Response-
Strategie. Diese beiden Aspekte werden im folgenden Kapitel bearbeitet.

3 Responsive Resilienzbildung durch Professionelle Simulation

Zunächst wird das Verständnis von Resilienz in und für Bildungsprozesse als Response-
Strategie präzisiert, um es anschließend mit Professioneller Simulation zu operationali-
sieren.

3.1 Vielfalt des Resilienzverständnisses in


bildungstheoretischer Perspektive

3.1.1 Grundbedeutung

Der bereits angeführte Kernbegriff von Resilienz, nämlich die Fähigkeiten und Prozesse
von Personen und Systemen, erfolgreich mit belastenden und bedrohenden Umständen
umzugehen (vgl. 2.), beinhaltet ein personales und ein soziales Verständnis von Resilienz.
„Soziale Resilienz“ ist die „Fähigkeit von Gruppen und Gemeinschaften äußeren Stress
und Beeinträchtigungen als Ergebnis von Veränderungen des Sozialen, Politischen und
der Umwelt zu bewältigen“ (Adger 2000, S. 347, Übers. d. Verf.).
Resilienz ist ein „dynamischer Prozess“ (Vogt und Schneider 2016b, S. 191) von An-
passung und Entwicklung (vgl. Rönnau-Böse und Fröhlich-Gildhoff 2015, S. 16), der sich
in Interaktion zwischen Individuum und Umwelt (vgl. ebd.) bzw. im Spannungsfeld von
Beharrung und Veränderung (vgl. Vogt und Schneider 2016b, S. 191) ereignet.
Resilienz ist eine „variable Größe“ (Rönnau-Böse und Fröhlich-Gildhoff 2015, S. 16),
die sich im Laufe der Zeit verändert. Es ist ein „nicht klar steuerbarer, durch Unsicherheit
Resilienzsensible Bildung 213

wie erst noch zu gewinnendes Wissen gekennzeichneter Prozess“ (Endreß und Rampp
2015, S. 38).
Nicht zuletzt ist Resilienz „situationsspezifisch und multidimensional“ (ebd.) und
damit kein allgemeingültiges und universales Phänomen, sondern „bereichsspezifisch“
(ebd.), d. h. sie kann sich in verschiedenen Bereichen unterscheiden.
Die inhaltliche Variabilität und Dynamik des Resilienzverständnisses konvergiert mit
der inhaltlichen Variabilität und Dynamik der Methode der Professionellen Simulation.
Zudem implizieren Methode wie Inhalte die Mündigkeit von Subjekten intentional, weil
Subjekte sich sowohl gegen Stärkungen entscheiden, als auch gesellschaftliche Transfor-
mationen anstoßen können. Diese globalen Begründungen im Sinne des Implikationszu-
sammenhangs sind zu konkretisieren, indem auch einige der angesprochenen Aspekte im
Folgenden für den Bildungsbereich zu spezifizieren sind, bevor Resilienz operationalisiert
wird.

3.1.2 Bereichsspezifische Resilienz

Bildend kann Resilienz nur innerhalb unterschiedlicher Bereiche der Praxis thematisch
werden. Benner unterscheidet hier sechs bildungsrelevante Praxisbereiche: „Politik“,
„Kunst“, „Religion“, „Arbeit“, „Ethik“ und „Pädagogik“ (2014, S. 17). Diesen Bereichen
entsprechend, kann Resilienz nur in bereichsspezifischen Handlungen und Urteilen grund-
gelegt werden, beispielsweise in personalen, sozialen und politischen, religiös-spirituellen
und kulturellen, ökonomischen und ökologischen Bereichen. Die Handlungsfelder zeich-
nen sich durch unterschiedliche Handlungslogiken aus, stehen aber untereinander in Be-
ziehung (vgl. ebd.). Treten Konflikte zwischen unterschiedlichen, resilienzaffinen Hand-
lungslogiken auf, so sind sie bildend zu bearbeiten, indem Antworten, die einer einzigen
Handlungslogik folgen, problematisiert, Kollisionen zwischen den Eigenlogiken nicht ge-
leugnet und Bildungs- und Erfahrungsräume geschaffen werden, in denen ihr Widerstreit
im Rahmen einer jeden Praxis ausgetragen und offen sowie öffentlich thematisiert werden
kann (vgl. ebd., S. 31).

3.1.3 Multimodalität von Resilienz

Im Kontext systemisch-ökologischer Ansätze werden drei Weisen von Resilienz unter-


schieden, nämlich Persistenz (Standhaftigkeit), Adaption (Anpassung) und Transforma-
tion (Wandel) (vgl. z. B. Vogt und Schneider 2016b, S. 187f.). Diesen deskriptiven Modi
stellen Schneider und Vogt drei normative Leitbilder gegenüber, nämlich Selbsterhaltung,
Kontrolle und Lernen (vgl. in diesem Band). Die Persistenz von Strukturen und Syste-
men zielt auf Maßnahmen der „Gefahrenabwehr und Risikominimierung“ und damit auf
„Selbsterhaltung“ (Vogt und Schneider, 2016b, S. 188). Adaption dient auch der Selbst-
erhaltung und meint die „Fähigkeit, im Einklang mit einem sich schnell wandelnden Um-
feld zu ko-existieren‘“ (ebd.). Transformation zielt auf die „Fähigkeit, neue Strukturen und
Systeme zu schaffen, weil die vorhandenen nicht mehr tragfähig sind“ (ebd.). In Bildungs-
214 Manfred Riegger

prozessen sind damit prinzipiell auch als normative Zielperspektiven drei Modi relevant:
a) Abwehr von Gefahren, Risiken usw.; b) Anpassung an die sich ändernden Verhältnisse
und c) Transformation von gesellschaftlichen u. a. Systemen und Strukturen.

3.1.4 Multifaktorialität und Habitualisierung

Die psychologische Resilienzforschung versucht psychische Ressourcen zu identifizier-


ten, die als protektive Faktoren benannt werden sollen. Angeführt werden beispielsweise:
Kohärenzgefühl, Selbstwahrnehmung, Selbstwirksamkeit, Selbstwert (vgl. z. B. Sauter-
meister 2016, S. 218), Religiosität u.v.a.m. In Ratgeberbüchern werden solche, teils stark
differierende Listen, vorgestellt. Von wissenschaftlicher Seite werden nicht nur die Rat-
geberbücher, sondern auch entsprechende Listen „kritisch gesehen, weil Resilienz ent-
scheidend von der Wechselwirkung, Intensität und Dauer der multiplen Risiken sowie
von der individuellen Sensibilität für bestimmte Belastungsfaktoren abhängt“ (Vogt und
Schneider 2016b, S. 183). In Bildungsprozessen sind nicht lediglich einzelne Faktoren an-
zustreben, sondern multiple, faktorielle Wechselwirkungen sind mit und durch die Teil-
nehmenden bildend zu bearbeiten. Darüber hinaus geht es nicht lediglich um ein Wissen
möglicherweise resilienzförderlicher Handlungen, sondern um verinnerlichte, habituali-
sierte Handlungen, damit nicht nur träges Wissen, sondern resilienzstärkende Handlungen
im Bildungsprozess gelernt werden können.

X Habitus ist die grundgelegte und grundlegende, bewegliche Haltung (vgl. die Aristote-
lische Hexis), die den Zusammenhang der eigenen Lebensführung mit dem Repertoire an
gesellschaftlich akzeptierten Haltungen ebenso hervorbringt, wie des eigenen Verhaltens
in der Zeit (vgl. Wüschner 2016, S. 111; Riegger und Heil 2017a).

3.1.5 Vielfalt der Bildungsorte bzw. Erfahrungsräume


mit Resilienzrelevanz

Resilienzsensible Bildung kann sich an unterschiedlichen Lernorten ereignen, welche


unterschiedlichen Theorien bzw. Wissensformen und unterschiedlichen Prägungen (z. B.
freiwillig oder zwangsweise) unterliegen. Das Bildungsverständnis kann – in Ergänzung
zum Lernverständnis – die Kraft der Unterscheidung „wirksam […] halten, und zwar
vor allem im Interesse an der Autonomie der lernenden Subjekte und an ihrer Wider-
standskraft gegen die Verwertung ihrer erlernten Kenntnisse und Fähigkeiten durch enge
Zweckkalküle ökonomischer oder politischer Art“ (Dressel 2017). Die Begegnung mit
entsprechenden Theorien und Prägungen beeinflusst mit, welche Gestalten resilienzsensi-
bler Bildung möglich sind bzw. angestrebt werden können. Ob und wie aus Bildungsorten
Erfahrungsräume werden, ist voraussetzungsreich. Deshalb ist es Aufgabe von Pädagogik
und Didaktik, diese Begegnungen in Bezug auf unterschiedliche Bildungsorte zu reflek-
tieren und gegebenenfalls zu ermöglichen.
Resilienzsensible Bildung 215

Berücksichtigt man, dass nicht nur dort Resilienz gelernt wird, wo explizit Lernpro-
zesse angestrebt werden, sind mindestens intentionale und nichtintentionale Prozesse an
folgenden Lern- bzw. Bildungsorten zu unterscheiden: Familie, Kindergarten bzw. Kin-
dertagesstätte mit Peers, Schule mit entsprechenden Unterrichtsfächern, die auch außer-
schulische Lern- bzw. Bildungsorte umfassen können (analog Hochschulen), Kommunen,
überkommunale Bildungsarbeit, Medien und Öffentlichkeit. Die beiden eingangs skiz-
zierten Fälle beziehen sich beispielhaft auf Schule und Hochschule.

3.1.6 Strukturelemente

In dem skizzierten allgemeinen Verständnis (3.1.1) ist Resilienz eine „Response-Strategie“


(Adger 2000, S. 347, vgl. Schneider und Vogt 2018). Alienitätstheoretisch tut sich mit der
fremden Bedrohung eine Differenz zum Eigenen auf. Bei einer rein sachlichen Antwort
(engl. answer) auf die Bedrohung, würde die Antwort exakt auf die Bedrohung passen,
sodass Bedrohung und Antwort symmetrisch zueinander stünden und eine registrierbare
Antwort die Bedrohung beheben würde (vgl. Waldenfels 2015a, S. 60). In Kontexten, in
denen Resilienz als Response-Strategie aktiviert wird, dürfte diese Koinsidenz kaum der
Fall sein. Von answer ist deshalb Antwort als response zu unterscheiden (vgl. zum Ganzen
auch Kaspari 2010, S. 200ff.). Ich skizziere das Grundverständnis von Waldenfels, bringe
es zunächst mit resilienzsensibler Bildung und weiter unten mit Professioneller Simulation
in Verbindung.
Responsivität bezieht sich nicht „auf spezielle Verhaltensweisen wie etwa das Erteilen
einer Auskunft oder die Beantwortung einer Prüfungsfrage, sondern auf einen Grundzug“
(Waldenfels 2015b, S. 19) des Menschseins. Responsivität ist leiblich geprägt und kann
„Hinsehen, Hinhören, Phantasieren, Lächeln oder Fühlen“ (ebd.) ebenso umfassen wie
„Reden, Tun, Machen oder Herstellen“ (ebd.). Antworten (engl. to respond) in diesem Sin-
ne „auf Fremdes eingehen, das sich nicht mit den vorhandenen Mitteln des Eigenen und
Gemeinsamen bewältigen läßt“ (ebd.). Antworten ist dann kreatives, schöpferisches Ant-
worten. Diese Grundbedeutung weist offensichtliche Ähnlichkeiten mit Grundzügen von
Resilienz auf, insofern auf Unerwartetes, Unbekanntes oder Ungewöhnliches mit Neuem
reagiert wird. Wenn aber Resilienz die Person und ihre Widerstandskraft stärkt, so ist
Responsivität nicht notwendig stärkend, denn sie kann für Resilienz bedeutungslos sein
oder diese gar schwächen.
Eine Response erfolgt immer aufgrund eines „Widerfahrnisses als Getroffensein“
(Waldenfelds 2002, S. 56, Hervorh. i. Orig.). Widerfahrnis (gr. Pathos) meint, dass „uns
etwas zustößt, zufällt, auffällt oder einfällt, dass uns etwas trifft, glückt oder auch ver-
letzt“ (Waldenfels 2015b, S. 20). Pathos oder Widerfahrnis sind nicht einfach beobacht-
bare „Events“ (ebd.), da sie sich nur aus der Teilnehmerperspektive erschließen. „Was mir,
dir, uns oder anderen zustößt, äußert sich in einer leibhaftigen Wirkung, indem es uns af-
fiziert, wörtlich: antut oder anmacht, und indem es an uns appelliert, uns anspricht“ (ebd.,
S. 21). Die Ähnlichkeit zu Bildung ist offensichtlich: Sich bilden kann jede/r nur selbst,
aber im Sinne Waldenfels präzise nicht als Autor, sondern als „Patient: ‚Mir stößt etwas
216 Manfred Riegger

zu‘, ‚Mich hat etwas getroffen‘“ (ebd., S. 22, Hervorh. i. Orig.), „worauf“ (ebd.) ich antwor-
te. Im Waldenfelsschen Sinne heißt „Antworten […] vom Fremden her sprechen. Damit
verwandle ich mich vom Patienten in einen Respondenten, der auf das antwortet, was ihm
widerfährt“ (ebd., Hervorh. i. Orig.). Jeder Mensch muss antworten, weil er „nicht nicht
antworten“ (ebd., Hervorh. i. Orig.) kann. Doch im „Antworten verwandelt sich das Wo-
rauf des Antwortens in das Was einer Antwort“ (ebd.). Ähnlich wie im Bildungsprozess
sind bei Waldenfels der Akt des Subjektes (Waldenfels würde von Selbst sprechen) und
die Sache zutiefst aufeinander verwiesen, wobei das Subjekt als Subjekt im Akt als grund-
legend erachtet wird. Im Unterschied zu einem weitgehend outputorientierten Lernver-
ständnis strebt Waldenfels eine klare Gewichtsverlagerung bzw. Umorientierung an (vgl.
Waldenfels 2015a, S. 58): weg vom Antworten als reines Füllen von Wissenslücken, also
ein reines Lernen von auswendig gewussten Inhalten als wiederholbares Antworten (ans-
wer) hin zu Responsivität. Auch das Was einer Antwort auf ein Widerfahrnis ist respon-
siv und damit immer kreativ, erfinderisch (vgl. Waldenfels 2015b, S. 23). Im Antworten
entsteht aus der Subjektperspektive etwas Neues. Dieser schöpferische Prozess, der auch
stocken oder misslingen kann, entwickelt sich aufgrund der Differenz „zwischen dem,
worauf wir antworten und dem, was wir antworten“ (Waldenfels 2015a, S. 58), was als
„responsive Differenz“ (ebd.) bezeichnet wird.
Responsivität ohne Intentionalität ist nach Waldenfels undenkbar. Intentionalität meint
zunächst, „dass sich etwas als etwas zeigt, dass etwas in einem bestimmten Sinn und
in einer bestimmten Weise gemeint, gegeben, gedeutet, verstanden oder behandelt wird,
nämlich als frisches Grün“ (Waldenfels 2015a, S. 34) usw. Gemeint ist, dass „etwas (Wirk-
liches, Mögliches oder auch Unmögliches) mit etwas (einem Sinn, einer Bedeutung) ver-
bunden und zugleich von ihm geschieden ist“ (ebd., S. 34f.). In diesem anfänglichen Sinne
erweist sich Intention als „Bedeutungsintention“ (Waldenfels 2002, S. 25). Doch ist etwas
als etwas deuten nicht die ganze Sache, denn im „Bedeuten“ ist das „Begehren“ enthalten
(vgl. Waldenfels 2002, S. 380). Begehren meint, „dass etwas, das fehlt oder abwesend
ist, ‚in etwas‘ erstrebt wird“ (ebd.). Das erste Etwas ist nach Waldenfels das Woraufhin
des Strebens oder das Gesamtstreben des Lebens (z. B. das Glücksstreben), während das
zweite Etwas (in „in etwas“) die konkreten Sachen sind, die als Gegenstände der Begierde
gedeutet werden. „Dieses appetitive In gehört ebenso wie das signifikative Als zu den
Angelpunkten, um die sich die Erfahrung dreht“ (ebd. S. 380). Damit ist Intentionalität
hauptsächlich durch das Ineinander der beiden Grundmechanismen Bedeuten (etwas als
etwas: Sinn) und Begehren (etwas in etwas: Ziel) gekennzeichnet. Eine solche Intentionali-
tät wird „durch die Responsivität nicht ersetzt, wohl aber überboten. Responsivität steht
für eine ‚Antwortlichkeit‘, die der Verantwortung für das, was wir tun und sagen, unwider-
ruflich vorauseilt“ (Waldenfels 2015a, S. 57) und damit lebensstärkend ist.

X Responsive Resilienz ist kreativ-schöpferisches Antworten auf Widerfahrnisse des


Lebens mit lebensstärkendem Potential. Vergleicht man das Waldenfelssche Denken mit
Bildungsdiskursen, so müsste erstens verstärkt auf eine begriffliche Differenzierung von
Intention und Ziel bzw. Kompetenz (vgl. Riegger 2005, S. 12) hingewiesen werden. Soll
Resilienzsensible Bildung 217

Resilienz nicht nur als kognitives Wissen angestrebt werden, sondern wirklich wirksam
an Bedeutung gewinnen können, so sind zweitens in resilienzsensiblen Bildungsprozessen
nicht nur abfragbare Kompetenzziele, sondern auf das Leben der Bildungsteilnehmenden
bezogene Intentionen zu berücksichtigen, die im Bildungsprozess notwendig überboten
werden.

3.2 Professionelle Simulation und responsive Resilienz

3.2.1 Begründungsfiguren für resilienzsensible Bildung

Wenn Bildung die Menschen stärkt, indem sie ‚die Sachen klärt‘ (vgl. Kapitel 2), kon-
vergieren Bildung und Resilienz offensichtlich. Eine resilienzsensible Bildung gründet
nicht nur auf den individuellen Prinzipien Bildsamkeit des Menschen und Aufforderung
zur Selbsttätigkeit, sondern berücksichtigt auch Transformationen im gesellschaftlichen
Bereich, sodass Resilienz in Bildungsprozessen nicht einseitig auf Personen und Persön-
lichkeitsbildung bezogen werden darf (vgl. Kapitel 2).
Wenn Bildung zudem nicht nur dort wirksam werden kann, wo resilienzsensible Bil-
dungsprozesse ziel- bzw. kompetenzorientiert geplant und durchgeführt werden, sondern
auf das Leben beziehbarer Sinn mitberücksichtigt werden muss, so ist auch dies noch
keine Gewähr dafür, dass Resilienz tatsächlich bildend relevant wird, da Resilienz als Re-
sponse-Strategie Intentionalität immer auch überbietet. In der pädagogisch-didaktischen
Begründung der Planung von Bildungsprozessen ist damit auch das Unplanbare einzu-
planen.

3.2.2 Grundverständnis von Simulation

Simulation ist ein Begriff, der in der Alltagssprache und im Wissenschaftskontext vor-
kommt. In der Alltagssprache ist er mit (Vor-)Täuschung zumeist negativ, aber in den Me-
dien auch neutral konnotiert. Im Wissenschaftskontext wird Simulation mit spezifischen
Bedeutungen verwendet. Simulation meint hier die Modellierung hochkomplexer, realer
Systeme, um das Verhalten von Systemen und deren zugrundeliegende Ursachen besser
verstehen und abschätzen zu können (vgl. Heil und Riegger 2017, S. 86). Es wird sowohl
ein wirklichkeitsähnliches und komplexitätsreduziertes Modell der Wirklichkeit herge-
stellt, wie in der Anwendung mögliche Szenarien als Simulationsergebnisse produziert
werden (ebd., S. 88).
Im Bildungsbereich können Simulationen auf wirklichkeitsähnliche und komplexitäts-
reduzierte Nachahmung und Vorwegnahme offensichtlich widerständiger, wirklicher Si-
tuationen zielen (ebd., S. 93) (vgl. das zweite, eingangs skizzierte Fallbeispiel). Darüber
hinaus können sich aber Simulationen auch auf mehr oder weniger alltägliche Wider-
fahrnisse beziehen. Erst in der bildenden Bearbeitung dieser Situationen können das Le-
ben stärkende Aspekte entdeckt werden. Resilienz kann dann in der Auseinandersetzung
218 Manfred Riegger

mit den zuvor von den Teilnehmenden modellierten Situationen thematisch werden. Ein
Unterschied zum pädagogischen Rollenspiel ist dabei der habituelle Bezug, der nicht nur
zu Beginn, sondern durchgängig vorliegt, um habituell verankerte Kompetenzen, hier Re-
silienzkompetenzen, für einen bestimmten Bereich zu entwickeln.

X Simulation ist eine „Als-ob“-Handlung in der Anwendung und Herstellung eines


komplexitätsreduzierten und wirklichkeitsähnlichen Modells von Wirklichkeit zur Bil-
dung habituell verankerter Kompetenzen in einem bestimmten Bereich (Heil und Riegger
2017, S. 96).

Resilienzsensible Bildung zielt damit auf Resilienzkompetenzen und erfolgt habitu-


ell, wenn mindestens Überzeugungen, Werthaltungen, Einstellungen, Motivationen und
Selbstregulationen im Bildungsprozess thematisch werden.

3.2.3 Phasen der Struktur der Professionellen Simulation

Um die Struktur des Vorgehens herauszuarbeiten, das hinter den beiden eingangs skiz-
zierten Fällen steht, erläutere ich – ohne weitere Reflexion des Bildungsprozesses – die er-
wähnten Phasen und bringe sie mit dem Responseverständnis in Verbindung (vgl. Kapitel
3.2.4).

Szenendesign
Die Szene, welche den Ausgangspunkt der Simulation bildet, ist – der Wirklichkeit mög-
lichst ähnlich nachgebildet – zu modellieren. Der Aufbau dieser Szene ist zentral, da der
Aussagewert der Simulation wesentlich von den in dieser Ausgangsszene erfassten Aus-
gangsbedingungen abhängig ist.

Einstimmung durch die Leitung


Hier soll die Aufmerksamkeit aller Simulationsteilnehmenden aktiviert werden. Damit
Subjekte und Inhalte zusammenkommen können, benötigt man Hinweise zum Kontext
der Simulation, um die Ähnlichkeit zwischen Modell und äußerer Wirklichkeit – respekti-
ve Wirklichkeit zweiter und erster Ordnung – für alle nachvollziehbar darzustellen.

Impuls der Leitung


Ist alles für die Simulation vorbereitet, bedarf es eines Impulses (lat. pellere = stoßen), um
die Simulation in Gang zu setzen.

Handlungen durchführen
Nun wird die eigentliche Simulation durchgeführt. Simuliert werden beispielsweise ver-
gangene Erlebnisse beim Frühstück oder unterschiedliche Handlungsalternativen für den
Fall Mareike.
Resilienzsensible Bildung 219

Kommunikation über eigene Erlebnisse


Diese Simulationsperspektive gibt dem Simulierenden die Gelegenheit, seine eigenen
Wahrnehmungen auszudrücken und das selbst Erlebte sich selbst und anderen explizit zu
vergegenwärtigen. Die subjektive, einer externen Beobachtung nicht zugängliche Perspek-
tive, wird durch das Erzählen öffentlich, für andere einseh- und – mehr oder weniger –
nachvollziehbar.

Perspektivenwechsel
Die Kommunikation über die Erlebnisse anderer ist hier leitend. Um Grenzüberschreitun-
gen zu vermeiden, können vorher geklärte Feedbackregeln hilfreich sein. Die Beobachten-
den bringen sich ein, indem sie ihre Perspektive aus ihrer Rolle heraus darstellen.

Beendigung der Simulation


Die simulierten Rollen werden komplett abgelegt, die Szene abgebaut, die benutzten Uten-
silien beiseitegestellt. Danach beginnen Gespräche über die gesamte Simulation.

Habitusreflexion
In der Reflexion werden explizite Bewertungen des simulierten Erlebens angestellt. Die
Reflexion erfolgt in mindestens zweifacher Entfaltung: Reflexionen bezogen auf den prag-
matisch-reflexiven Habitus ebenso wie auf den reflexiv-wissenschaftlichen. Ggf. erfolgt
eine Reflexion in Bezug auf den professionsbiografisch-reflexiven Habitus.

Evaluation
Abschließend ist der Wirkung der Simulation nachzugehen.

3.2.4 Kon- und Divergenzen zwischen Professioneller Simulation (=ProfiS)


und Resilienz als Response-Strategie

Professionelle Simulation beginnt, wie Response, mit dem „Angesprochensein“ durch


Fremdes, das auch emotional treffen soll. Während uns Widerfahrnisse des wirklichen
Lebens ungeplant treffen, muss die Leitung der Simulation, so es resilienzsensible Bildung
sein soll, die Ausgangsszene begründet auswählen und verantwortungsvoll gestalten, da-
mit die Teilnehmenden sich auf den Prozess einlassen können.
Auf das Widerfahrnis wird kreativ geantwortet, in den beiden skizzierten Fällen mit
unterschiedlichen Frühstücksszenarien bzw. Handlungsmöglichkeiten gegenüber der
Unterrichtsstörung. Ob eine solche Response resilienzförderlich ist, muss im Bildungs-
prozess herausgearbeitet werden. Damit gilt: Nicht jede resilienzförderliche Response-
Strategie ist Ergebnis gestalteter Bildungsprozesse, aber eine spezifische Form von Bil-
dungsprozessen (ProfiS) ist strukturell resilienzsensibel angelegt.
Während Waldenfels den Menschen grundsätzlich als homo respondense (2015b, S. 15)
versteht, kann man ProfiS im Rahmen von Bildungsprozessen auf ein solches Verständnis
220 Manfred Riegger

beziehen, aber ProfiS überlässt es den Teilnehmenden, ob sie für sich resilienzförderliche
Antworten finden und diese außerhalb des Bildungsprozesses anwenden.

4 Fazit: Potenzial resilienzsensibler Bildung

Abschließend bündle ich meine Überlegungen in Bezug auf zukünftige resilienzsensible


Bildung mit fünf übergreifenden Aspekten und fünf Thesen.

4.1 Relevanz

Da Resilienz sich durch ein umfassendes Verständnis auszeichnet, das inhaltlich meist
offen und dennoch stark subjekt- bzw. situationsbezogen ist, fallen viele inhaltlich stark
vorstrukturierende Lehr-Lernmethoden aus. Neben Simulation sind sicher weitere Metho-
den im Blick auf Resilienzsensibilität zu untersuchen. Diese Methoden müssen nicht nur
dem dynamischen Verständnis von Resilienz Rechnung tragen, sondern auch über rein
kognitive Wissensvermittlung hinaus den ganzen Menschen berühren können. Die obigen
Ausführungen legen nahe, dass Professionelle Simulation einen Weg darstellt, resilienz-
förderlich und habitusbildend zu wirken.

4.2 Aktivierung

Wenn Lehren und Lernen innerhalb von Bildungsprozessen zuweilen als einseitig kognitiv
und aktivierungsschwach wahrgenommen wird, wird dem mit resilienzsensibler Bildung
entgegengewirkt. Denn in solchen Bildungsprozessen werden Eigen- und Selbsttätigkeit
angeregt, nicht nur kognitiv, sondern auch habituell, und damit auch auf die Wirklichkeit
außerhalb von Bildungsprozessen bezogen. Dem damit angesprochenen Zusammenhang
von sogenannter Praxis und Theorie ist weiter nachzugehen.

4.3 Wirklichkeitsbezug

Resilienzsensible Bildungsprozesse werden immer in Bezug auf außerhalb des Bildungs-


prozesses liegende Wirklichkeit gestaltet. Insofern die Teilnehmenden ihrerseits An-
knüpfungen an ihre Wirklichkeit außerhalb des Bildungsprozesses herstellen, erfolgt ein
Wirklichkeitsbezug über den Habitus der Teilnehmenden. In der Gegenwart des Bildungs-
prozesses wird auf vergangene Wirklichkeit Bezug genommen, damit Teilnehmende sich
habituell für Zukünftiges rüsten können. Weil die Zukunft aber offen ist, müssen unter-
schiedliche resilienzförderliche Möglichkeiten erarbeitet und auf ihre Tragfähigkeit sowie
bildende Kraft hin reflektiert werden.
Resilienzsensible Bildung 221

4.4 Bildsamkeit

Nur einem bildsamen Menschen wird Resilienz zu Teil. Diese Aussage unterstreicht, dass
der Mensch keine ihm von Natur aus vorgegebene Bestimmung und Resilienz hat. Viel-
mehr verweist die Bildsamkeit des Menschen auf die immer schon gegebene Notwendig-
keit, sich in Bildungsprozessen im Wechselbezug zu sich, zu anderen und der Welt zu
bilden. So bringt der Mensch seine Bestimmung und damit verbunden auch Resilienz
selbst hervor. Für Gläubige ist dieser Prozess von Gott umfangen und zuinnerst getragen.
Der skizzierte Bildungsvorgang verschärft sich sicher aufgrund neuer, gesellschaftlicher,
kultureller sowie religiöser und anderer Herausforderungen. Deshalb bedürfen resilienz-
sensible Bildungsprozesse einer umfassenden Reflexion, um normativen Vorstellungen
nicht unbewusst zu erliegen. Weil Bildungsprozesse beim Subjekt einsetzen, sind gesell-
schaftliche Transformationen zu berücksichtigen, und zwar so, dass Resilienz nicht nur
in Bezug auf einzelne Menschen, sondern auch im Hinblick auf Systeme reflektiert und
bewertet wird.

4.5 Thematische Profilierung

Die dargestellten Fallbeispiele bezogen sich aufs Frühstück von Schülerinnen und Schü-
lern sowie den Umgang mit Unterrichtsstörungen im Rahmen der Lehrerbildung. Der er-
lebte Widerstand im Klassenzimmer und die Reflexion möglicher Bewältigungsmuster
sind offensichtlich auf Resilienzförderung bezogen. Mit dem ersten Fallbeispiel wurde
deutlich, dass Resilienz als Response-Strategie auch auf Themen beziehbar ist, die erst
auf den zweiten Blick resilienzförderlich sind. Denn es scheint unbestritten, dass ein ge-
meinsames und gesundes Frühstück nicht nur die Lebensqualität der Schülerinnen und
Schüler hebt, sondern insgesamt lebensstärkend sein kann. Deshalb sind weitere Themen
resilienzsensibler Bildung auszuarbeiten.

4.6 Thesen

1. Resilienzsensible Bildungsprozesse stärken in der Auseinandersetzung mit Inhalten


Menschen und Systeme.
2. Bildung kann immer nur resilienzsensibel geplant und durchgeführt werden, da
a) die Teilnehmenden selbst über konkrete Resilienzförderlichkeit urteilen und
b) Nichtintentionales für diese resilienzförderlich werden kann.
3. Resilienzsensible Bildung berücksichtigt nicht nur die Persönlichkeit der Teilnehmen-
den, sondern ebenso gesellschaftliche, ökologische u. a. Kontexte und wird damit in
drei Modi relevant:
a) Abwehr von Gefahren, Risiken usw.,
b) Anpassung an die sich ändernden Verhältnisse und
c) Transformationen von gesellschaftlichen und anderen Systemen.
222 Manfred Riegger

4. Resilienzsensible Bildung konkretisiert sich theoretisch als Response-Strategie, wel-


che praktisch mit der Methode der Professionellen Simulation (ProfiS) umgesetzt und
anhand der zeitlichen Verlaufsschritte bzw. Strukturelemente derselben prozessge-
steuert ist.
5. Konkrete Wirkungen solcher Bildungsprozesse sind zwar nicht replizierbar, aber im
Blick auf Resilienz so zu evaluieren, dass zukünftige, resilienzsensible Bildungspro-
zesse empirisch informiert gestaltet werden können.
Resilienzsensible Bildung 223

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Teil III
Systeme und Strukturen
Zwischen Pfadabhängigkeit und Transformation

227
Bamboo and Lotos
What Makes Indian and Chinese Firms Resilient?

Sue Claire Berning

Abstract

The purpose of this study is to critically analyze the resources and determinants of capa-
bilities and attributes which enable Indian and Chinese firms to respond to changes in a
resilient way. In particular, it is investigated under which conditions Indian and Chinese
firms are capable of building competitive strengths which drive their success.
A systematic and comprehensive literature review of 59 studies published between
1994 and 2016 with focus on Indian and Chinese firms was conducted to examine the
nature and contextual conditions of their resilience and competitiveness as well as the
research methods and underlying theories.
Continuous alteration, and reversion of disadvantages into advantages are the most out-
standing findings. Moreover, the majority of the examined studies concludes that Indian
and Chinese firms built non-traditional competitive strengths.
Due to the unconventional concept of resilience and competitiveness of Indian and
Chinese firms, existing theoretical perspectives and research settings need revisions and
extensions.
Unlike most extant research on Indian and Chinese firms which has investigated coun-
try- or industry-level variables using aggregate data, this paper reveals distinct patterns,
and similarities and differences of firm-level characteristics. In addition, by exclusively
focusing on Indian and Chinese firms’ resilience and competitiveness conclusions about
their uniqueness and generalizability can be drawn.

229
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2018
M. Karidi et al. (Hrsg.), Resilienz,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-19222-8_12
230 Sue Claire Berning

1 Introduction

India and China experienced tremendous and far-reaching transformations over the past
three decades as they opened up to foreign capital, technology and talent. One clearly
visible consequence of their fundamentally changed economic and business environment
is the increase of highly successful firms from these two Asian countries. Prominent ex-
amples are Tata, Dr. Reddy’s, Lenovo and Geely that all provoked international alertness
through spectacular mergers and acquisitions of developed market firms (Jaguar, Beta-
pharm, IBM and Volvo). In addition to these globally known enterprises, the number of
Indian and Chinese firms competing in domestic as well as international markets is con-
stantly growing. These latecomers are often ascribed to possess non-traditional features
leading to competitive advantages (Morck et al. 2008; Goldstein and Pusterla 2010). Taken
together, the pattern of that fast emergence and international expansion of Indian and Chi-
nese firms constitutes an unprecedented, puzzling phenomenon.
The remarkable rise of Indian and Chinese firms’ importance on a global scale is ac-
companied by a rise of literature on Indian and Chinese firms. Numerous studies exist
which emphasize that Indian and Chinese firms exhibit unique traits, like specific man-
agement cultures (e.g. Deshpande and Farley 1999; Yiu 2010; Leung 2012; Holtbrügge
and Garg 2016), special institutions (e.g. Elango and Pattniak 2007; Yang and Stoltenberg
2013), or peculiar investment behavior (e.g. Luo and Tung 2007; Gubbi et al. 2010; Alon et
al. 2011) which enable them to become successful. However, studies investigating which
firm capabilities and attributes are required by Indian and Chinese firms to respond to
changes in a resilient way and to develop competitive advantages are largely missing.
Further, most research focuses on country- or industry-level variables by using aggregate
data, and thus does not contain statements about firm-level characteristics.
Against this background, the aim of this study is to critically examine the capacities
and qualities which allow Indian and Chinese firms to compete and survive, and whether
these concepts can be classified as traditional, as widely known from Western firms, or
as non-traditional. In addition, it is analyzed under which conditions Indian and Chinese
firms are able to build competitive strengths. Hence, this paper seeks to contribute to the
understanding of antecedents, relationships, and impacts of Indian and Chinese firm-level
characteristics related to resilience, primarily encompassing their competitiveness.
In order to address the research question “Is there an Asian concept of resilience?”, a
systematic and comprehensive literature review analysis was conducted. In total, 59 stud-
ies which were published in international peer-reviewed journals between 1994 and 2016
with focus on Indian and Chinese firms were analyzed regarding the nature, resources,
determinants, and contextual conditions of resilience and competitiveness as well as re-
garding their research methods and underlying theories. Distinct patterns, and similarities
and differences between Indian and Chinese firms on the one side and Western firms on
the other side are revealed and put into relation to country- and firm-specifics.
Continuous alteration, and reversion of disadvantages into advantages are the most out-
standing findings of this paper which reflect the scholarly debate about the necessity to
Bamboo and Lotos 231

re-assess the applicability of traditional management theories to Indian and Chinese and
other emerging market firms (e.g. Li 2003; Rugman and Oh 2008; Sauvant 2011). By
critically examining the properties, conditions, and theoretical perspectives of Indian and
Chinese firms’ resilience, conclusions about their uniqueness and generalizability can be
drawn.
This paper is structured as follows. After outlining the research methodology, the find-
ings regarding Indian and Chinese firms’ resilience and competitiveness are presented.
The concluding section contains contributions, limitations, and future research directions.

2 Methodology

2. 1 Identification of relevant studies

In order to critically examine whether the traditional concept of resilience, which was
developed in the setting of mature markets in the West, is relevant and capable of ex-
plaining Indian and Chinese firms’ competitiveness, a comprehensive search for studies
in economics, management, business, and finance journals was conducted. As the number
of articles focusing on the resilience and competitiveness of Indian and Chinese firms is
far from being as large as that of developed markets, no restriction on journals and years
of publication was applied.
The EBSCO Host and JSTOR databases were chosen as search engines, as the first one
is the world’s most-used reference resource with more than 350 full text and secondary da-
tabases available, and the second one encompasses over 1,000 leading academic journals
(David and Han 2004). The search was performed by entering the following keywords
(in titles and abstracts): resilience, competitiveness, competitive advantage, firm-specific
advantage, multinational enterprise, multinational corporation, internationalization, in
combination with India, China, emerging market, and developing country. In addition,
seven methodological keywords were used to identify studies about the theoretical discus-
sion regarding Indian and Chinese firms: asian management research, Indian manage-
ment research, Chinese management research, multinational corporation theory, theory
development, international business research, and strategy research. This search resulted
in 261 articles.
In order to meet a high level of methodological and conceptual rigor, only published
articles were considered. While this might be seen as a limitation (see e.g. Stanley et al.
2010), the criterion to focus on published articles was chosen for the following reasons.
They have gone through a double-blind peer-review process reflecting certain conditions
for quality and high standards which are not given in the case of most conference or
working papers and book chapters. Moreover, as Cooper (1989) argued that relying on
published studies is appropriate when the published research contains several dozen or
hundred relevant works because it is likely that the published research correctly identi-
fies the relation direction, the (possibly negligible) bias caused by sampling only from
232 Sue Claire Berning

published studies was of no concern. The sample contained 107 unpublished and 154
published articles.
A further criterion for retaining was that a study had to focus on both India and China.
As the goal of this paper is to analyze the properties and conditions of both Indian and
Chinese firms’ resilience spanning the broadest extent possible regarding the research
disciplines, this criterion allows the capture of similarities and differences of and between
them best. There were 88 articles which examined both Indian and Chinese firms.
Finally, the abstracts of these 88 articles were read and the articles were only retained if
two criteria were met. First, there had to be an indication of theoretical analysis, such as a
mention of management research, international business research, or competitiveness the-
ories. Second, an abstract had to use Indian and Chinese firms in the substantive context
of core resilience and competitiveness. Both criteria, indication of theory and substantive
relevance, were applied very conservatively, so that any doubt led to an article’s exclusion.
Overall, 59 studies were identified and included in the literature review (Table 1).
The final sample of 59 studies compares favorably to recent literature reviews on recent
phenomenon in international management journals. For example, Holtbrügge and Dögl
(2012) examined 47, Schroll and Mild (2012) investigated 30 or Lebedev and colleagues
(2014) reviewed 51 articles. The systematic and transparent generation of a relatively large
sample is representative of the body of research and goes well beyond the rare previous
reviews of Indian and Chinese firms’ competitiveness, e.g. Williamson (2015) who ana-
lyzed 12 studies.

Table 1 Final sample


Amendolagine et al. (2015) Amighini et al. (2015) Andreff and Balcet (2013)
Bardhan (2006) Bruche (2009) Chen et al. (2012)
Contractor (2013) Cuervo-Cazurra and Genc Contractor et al. (2007)
Cooke and Saini (2012) (2008) Cui et al. (2014)
Duanmu and Guney (2009) Fortanier and van Tulder Frew et al. (2008)
Gammeltoft et al. (2010) (2009) Ghauri and Santangelo (2012)
Goldstein and Pusterla (2010) Gaur et al. (2014) Guillen and Garcia-Canal
Haley and Haley (1998) Guillen (2000) (2009)
Hoskisson et al. (2012) Hennart (2012) Holtbrügge and Kreppel (2012)
Lattemann et al. (2009) Ille and Chailan (2011) Jain et al. (2013)
Li (2003) Lebedev et al. (2014) Li et al. (2012)
Meyer and Thaijongrak (2013) Luo and Tung (2007) Madhok and Keyhani (2012)
Niosi and Tschang (2009) Makino et al. (2002) Mathews (2006)
Perez-Batres and Eden (2008) Milelli et al. (2010) Ndubisi (2011)
Rottig (2016) Oviatt and McDougall (1997) Paskelian et al. (2010)
Singh et al. (2010) Ramamurti (2004) Rasiah et al. (2010)
Thite et al. (2012) Saxenian (2002) Sheth (2011)
Wright et al. (2005) Stucchi (2012) Sun et al. (2010)
Yeung (1994) Wang et al. (2012) Williamson (2015)
Zhang et al. (2012) Wu (2013) Yamakawa et al. (2008)
Yiu et al. (2007) Yong and Hong (2012)
Bamboo and Lotos 233

2.2 Categorization of journal articles

After reading the selected 59 studies in their entirety, several categories for classification
were developed. The aim was to break down the identified studies to the essential aspects
to get a meaningful and robust insight into the status quo of research on Indian and Chi-
nese firms. In particular, the intention was to understand the nature, resources and condi-
tions of their resilience and competitiveness.
To reach that goal, ten evaluation and categorization criteria were established which
provide a systematic framework to classify the articles accordingly. First, the studies were
coded by their definition and use of resilience and competitiveness, as this indicates the
extent of congruency with the traditional understanding. Then the contextual conditions
as determining factors of building competitive strengths were examined. Next, it was cod-
ed if the articles explored the relationship between resilience and firm performance, and
if the resilient firm characteristics were regarded as being unique for emerging market
firms. Then, five evaluation criteria were set to grasp the research settings. The underlying
theory, research method, source of data (primary or secondary), key variables, as well as
examined industries were categorized. In addition, the academic journal, year of publica-
tion and the (first) author’s nationality (Asian or Western) was discerned.

3 Findings on Indian and Chinese firms’ resilience

3.1 Resources and determinants

In the management literature, resilience is defined as a firm’s ability to respond, adjust,


and grow in critical times of changes in ways that lead to success (Cooke and Saini 2012;
Limnios et al. 2014). Resilience is made of endurance, flexibility, adaptability, hardiness,
and capacity (Guillen 2000; Contractor 2013; Williamson 2015). Hence, resilient firms
know how to learn, develop and secure their survival by focusing on increasing their
competitiveness.
Traditionally in Western terms, competitiveness is understood as the ability of a firm
to win consistently over the long term in a competitive environment (Hymer 1976). Com-
petitive advantages are created through the achievement of superiority, inimitability, du-
rability, non-substitutability and appropriability (Stonehouse and Pemberton 1999). Ac-
cordingly, firms from developed markets possess these kinds of proprietary advantages.
Among these firms, technological, marketing and managerial strengths, become success-
ful and extend their home-base prowess across borders (Guillen and Garcia-Canal 2009).
However, firms from emerging markets, like India and China, often do not possess these
competitive advantages, and do still thrive and expand internationally. This seemingly
contradiction caused scholars to scrutinize Indian and Chinese firms more closely.
The two most outstanding findings of the literature review in terms of resources and
determinants of Indian and Chinese firms’ resilience are the conditions of continuous
234 Sue Claire Berning

alteration, and their ability to turn disadvantages into advantages (Table 2). Despite the
often-mentioned statement that Indian and Chinese firms lack competitive and firm-spe-
cific advantages, one definite finding of this literature review is that a more precise differ-
entiation is required. Indian and Chinese firms hold advantages, but their nature differs
from that of Western firms. As India and China both provide different antecedents than
developed markets, their indigenous firms develop competitive advantages that are also
different in kind.
The most important determinant for Indian and Chinese firms to develop resilience and
competitiveness is continuous alteration. There are five different aspects that account for
this finding.
First, steady change and development is not only the biggest characteristic of Indian
and Chinese firms’ environment, but also one of their most important set goals. Since
the initiation of economic reforms and trade liberalization which took place in India in
1991/1992 and in China in 1979, the gradually installed market mechanisms are con-
stantly changing their business environment (Singh et al. 2010). This fundamental change
of economic systems is comprehensive and thoroughly characterized by experimentation
(Hennart 2012). This results in highly dynamic and volatile circumstances (Guillen and
Garcia-Canal 2009) which require Indian and Chinese firms to develop capabilities that
allow them to cope with fast changes easily, especially of and in their institutional en-
vironment (Haley and Hale 1998; Contractor 2007; Gaur et al. 2014). For instance, the
Indian and Chinese governments are continuously attempting to come up against their im-
perfect capital and labor markets (Bardhan 2006; Jain et al. 2013), and their institutional
voids (Wright et al. 2005; Hoskisson et al. 2012). Moreover, both Indian and Chinese firms
have the goal to quickly catch-up and move-up the global value-chain ladder (Yamakawa
et al. 2008; Zhang et al. 2012), and therefore want to constantly improve and change them-
selves in terms of quality (Fortanier and van Tulder 2009; Meyer and Thaijongrak 2013).
Second, in order to survive in this constantly changing environment, Indian and Chi-
nese firms have to develop strategic adaptability (Mathews 2006; Lattemann et al. 2009).
Paired with the capability to anticipate the worst (Wu 2013; Rottig 2016) and to adjust
to the current conditions (Yiu et al. 2007; Ndubisi 2011), they are able to respond ade-
quately and fast. This strategic thinking results very often in innovative approaches, like
the springboard perspective (Luo and Tung 2007), or the unconventional usage of coun-
try-of-origin effects (Ille and Chailan 2011) which allows them to circumvent barriers and
market imperfections (Li et al. 2014; Lebedev et al. 2014).
Very closely related herewith is the third aspect, constant flexibility. Given the inex-
perienced and experimentation-driven background in terms of market-economy mecha-
nisms, it became a strong attribute of Indian and Chinese firms to be consistently flexible
(Perez-Batres and Eden 2008; Contractor 2013). This flexibility is highly facilitated and
also strongly demanded by an equally varying institutional context of their home-coun-
tries (Ramamurti 2004; Stucchi 2012).
Fourth, due to unstable and steadily moving circumstances, Indian and Chinese firms
have carved out specific reactive strengths. Based on the necessity to respond to various
Bamboo and Lotos 235

alterations in the business conditions at any given time, they found ways of very produc-
tive, dynamic replies (Saxenian 2002; Li et al. 2012; Cui et al. 2014) which are marked by
a permanent observation-attention-alertness (Ghauri and Santangelo 2012; Wu 2013). This
quality of quick reaction, integration and optimization is the most widely applied tactics
of Indian and Chinese firms (Amighini et al. 2015) to upgrade their competitive strengths.
These strategic capabilities are not unique for Indian and Chinese firms, but utilized and
capitalized upon, often in a combined manner, in an unprecedented way.
Fifth and finally, Indian and Chinese firms produced compensation strategies to meet
the distinct unfavorable conditions which come along with continuous alterations, among
which network-building and usage of inward internationalization are the most often used
ones. One dominant commonality of Indian and Chinese firms is their heavy reliance on
network building in terms of business activities (Saxenian 2002; Fortanier and van Tulder
2009). This allows them to utilize network relations as important resources (Guillen 2000;
Yiu et al. 2007), business facilitators (Mathews 2006; Hoskisson et al. 2012), or informal
substitutes (Guillen 2000; Contractor 2007). Special characteristics of Indian and Chinese
firms in this context are the outstanding role of the Indian and Chinese diaspora in various
foreign countries (Ramamurti 2004; Zhang et al. 2012) and of Indian and Chinese busi-
ness groups which very often serve as internal markets (Haley and Haley 1998; Guillen
and Garcia-Canal 2009; Hennart 2012).
As globalization led to the existence of numerous active foreign firms in India and
China, many Indian and Chinese firms could gain business experiences through trade
and exchanges with these firms in their domestic markets (Makino et al. 2002; Li 2003;
Li et al. 2012). These learning opportunities facilitated Indian and Chinese firms’ busi-
ness activities enormously due to accumulated knowledge (Ghauri and Santangelo 2012;
Meyer and Thaijongrak 2013; Lebedev et al. 2014), and knowledge spillovers (Mathews
2006; Chen et al. 2012). The advances Indian and Chinese firms made regarding the de-
velopment of the required absorptive capacity are acknowledged in numerous studies (e.g.
Oviatt and McDougall 1997; Wright et al. 2005; Cui et al. 2014) which led to accelerated
firm growth and success.

Table 2 Resources and determinants of Indian and Chinese firms’ resilience


Continuous alteration Reversion of disadvantages into advantages
Change & development as Resource cross-utilization
circumstances and goals
Strategic adaptability Re-configuration and re-combination
Constant flexibility Fast learning
Reactive strengths Opportunity detection
Compensation strategies

The second overarching finding that explains Indian and Chinese firms’ resilience and
competitiveness is their ability of reversion of disadvantages into advantages. This is char-
acterized by four factors.
236 Sue Claire Berning

First, resource cross-utilization is one of the most prominent skills of Indian and Chi-
nese firms (Madhok and Keyhani 2012; Amighini et al. 2015). In particular, cross-utili-
zation of cheap production-factors, like low-cost labor (Bruche 2009; Thite et al. 2012),
and inexpensive natural resources which exist in abundance (Sun et al. 2010; Holtbrügge
and Kreppel 2012) served Indian and Chinese firms well in developing home-country
strengths (Luo and Tung 2007; Andreff and Balcet 2013). This formed the basis for their
business success and international expansion (Sheth 2011; Amendolagine et al. 2015), al-
beit they contradict the traditional understanding of competitive strengths – they are nei-
ther superior, inimitable, non-substitutable, durable, nor appropriable.
Second, re-configuration and re-combination of the limited available resources (Wright
et al. 2005; Sun et al. 2010) induced specific Indian and Chinese firm advantages. These
re-arrangements led to a specialization particularly in low-end segments (Milleli et al.
2010).This focusing however, resulted in special strengths regarding a high local respon-
siveness in other developing markets (Yeung 1994; Yiu et al. 2007) and in niche markets
(Oviatt and McDougall 1997; Luo and Tung 2007; Gaur et al. 2014).
Third, fast learning is another remarkable property of Indian and Chinese firms which
supports the turning of disadvantages into advantages tremendously (Cuervo-Cazurra and
Genc 2008). In this context, absorptive capacity (Guillen 2000; Li et al. 2012; Contrac-
tor 2015), and dynamic capabilities (Li 2003; Chen et al. 2012; Ghauri and Santangelo
2012) are the most distinguished qualities which follow from imitation (Makino et al.
2002; Thite et al. 2012), and learning agility (Bruche 2009; Wang et al. 2012). The role of
learning and knowledge-acquisition for Indian and Chinese firms’ success is absolutely
crucial. For example, as being among the most-often found investment motive, strategic
asset-seeking of knowledge and technology is pursued by Indian and Chinese firms (par-
ticularly) by outward foreign direct investment in developed countries (Frew et al. 2008;
Niosi and Tschang 2009; Yong and Hong 2012).
Fourth, the necessity to deal with fast changing and weak conditions allowed Indian
and Chinese firms to build the ability of opportunity detection (Gammeltoft et al. 2010;
Jain et al. 2013). Knowledge about the rules of the game, and the capability of cultivating
contacts to relevant governmental authorities resulted in strong political skills (Wright et
al. 2005; Duanmu and Guney 2009), but also in recognizing possibilities (Rasiah et al.
2010). In order to avoid discrimination and disadvantages, Indian and Chinese firms de-
veloped sophisticated skills in benefitting from preferential treatment and subsidies (Sheth
2011; Wang et al. 2012; Lebedev et al. 2014).

3.2 Relationship to firm performance

As for the research about Indian and Chinese firms’ relationship between resilience and
firm performance, only a minority of the included studies have analyzed this. Firm perfor-
mance was measured financially as cash holdings (Paskelian et al. 2010) or strategic-op-
erationally as goal achievement (e.g. Guillen 2000; Ndubisi 2011; Chen et al. 2012). This
Bamboo and Lotos 237

finding fits well into the current state of research on Indian and Chinese firms (Garg 2014)
and might be seen against the background that new phenomena are often first examined in
term of their most prominent features and aspects, while research about their impacts and
effects follows at a later stage (Meyer and Taijongrak 2013; Yang and Stoltenberg 2013).

3.3 Traditional or non-traditional concept

In summary, the literature review reveals the following results. While only few of the
examined studies state that Indian and Chinese firms’ resilience and competitiveness is
congruent with the traditional Western understanding, the big majority concludes that it is
not. Only two articles find that their competitive advantages might be temporary, but more
time has to pass before a definite statement can be made.
Another interesting finding is that most patterns of unconventional resilience and com-
petitive advantages are characteristic for both Indian and Chinese firms. The few dif-
ferences between them refer to the degree of government involvement, but not the kind
(Paskelian et al. 2010), the extent of technological asset-seeking (Yong and Hong 2012),
the level of moderating cultural influences (Bardhan 2006; Ndubisi 2011), and the speed
of international expansion (Duanmu and Guney 2009; Niosi and Tschang 2009; Singh et
al. 2010). The vast majority of examined studies emphasize that Indian and Chinese firms
possess unique qualities and resources for competitive strength building which are not
adequately addressed yet by traditional theories.

3.4 Research methods

Regarding the research methods of the 59 investigated studies, six further results could
be found. First, there was an almost equal distribution of empirical (47%) and conceptu-
al (53%) studies which indicates the importance scholars pay towards the topicality and
theoretical relevance of the resilience and competitiveness of Indian and Chinese firms.
Second, 34 % use quantitative and 29 % apply qualitative research methods. The rel-
atively high use of qualitative, mostly case-study based approaches was often combined
with the development of theoretical concepts, such as liability of emergingness (Contrac-
tor 2013), new typology of emerging economies (Hoskisson et al. 2012), three-level-de-
terminants framework (Holtbrügge and Kreppel 2012), springboard perspective (Luo and
Tung 2007), and LLL-framework (Mathews 2006).
Third, as to the source of analyzed data, only 9 % relied on primary data, 10 % used
both primary and secondary data, and the vast majority of 81 % resorted to secondary
data. This reflects well the general methodological concern about Indian and Chinese
firms’ research. Due to problems regarding data access and quality issues, most studies
have to rely on publicly available secondary data (for a detailed overview on flaws of data
comparability and comprehensiveness see Schüler-Zhou and Schüller 2009; Deaton 2013).
238 Sue Claire Berning

Fourth, 88 % of the investigated studies are cross-industry, and only 12 % analyze pe-
culiar industries (IT industry, manufacturing, electronics, biotechnology, or banking).
Hence, the question if industry-specifics regarding Indian and Chinese firms’ resilience
and competitiveness exist and with which possible consequences or impacts is largely
unexplored.
Fifth, 59 % of the examined articles have a first Western author, and 41 % have a first
Indian/Chinese author. This finding points to the growing awareness that the etic, outsid-
er-based perspective can be well complemented by the emic, insider-based approach in
order to provide a more holistic view on current international business related phenomena
(Leun 2012), and to help advance theoretical as well as methodological discussions (Zhu
and Hildebrandt 2013; Buckley et al. 2014).
Sixth, the examined articles cover the time span from 1994 until 2016, and thus all
years when India and China had opened up their economies (Goldstein and Pusterl 2010).
Similar to the rise of Indian and Chinese economic strength over time, the number of
analyzed studies increased likewise, with a peak in 2012.
The finding of the non-traditional concept of Indian and Chinese firms’ resilience and
competitiveness was independent from all six research methods-related categories.

3.5 Underlying theories

In total, 18 different theoretical perspectives were applied in the 59 examined studies.


Among them are the institutional theory (17%), ownership-location-internalization (OLI)
paradigm (14%) and the resource-based view (12%) the most-often used ones. In those
studies, institutions and government policies are not only most often explicitly explored
in terms of theoretical foundations, but are also prevalently incorporated in looking at the
contextual conditions (43%). This finding confirms the current calls of scholars to inte-
grate institutional impacts on firm behavior and business activities more thoroughly (Alon
et al. 2011; Kostova and Hult 2015).
While the agency theory was applied to investigate the relationships between micro
(firm) and macro (institutional) stakeholders (6%), the learning theory of internationaliza-
tion was used to examine the dynamics and interactions of different market actors (5%).
The other theories were found in only one or two studies, and included the industry-based
view, Dunning’s Investment Development Path, Network theory, Heckscher-Ohlin-Samu-
elson theory, awareness-motivation-capability framework and product-life-cycle.
In 23 % of the cases, more than two or more theories were combined in order to cap-
ture the distinct and unconventional aspects of Indian and Chinese firms’ resilience and
competitiveness better. 22 % of the studies did not refer to one explicit theory stressing the
relative importance of the uniqueness of Indian and Chinese firms and the need to develop
new concepts that explain their resilience and competitiveness.
Bamboo and Lotos 239

4 Conclusions

Based on the systematic literature review, the key research question of this paper of wheth-
er the Western concept of resilience and competitiveness can capture the Indian and Chi-
nese understanding can clearly be denied. The Indian and Chinese concept of resilience
and competitiveness differs in nature due to different resources and determinants as well
as different capabilities and qualities. The ability to turn disadvantages into advantages
is supported by continuous alteration and accompanied by strategic flexibility, absorptive
capacity and dynamic stability. These competitive strengths evolved under high volatile
institutional conditions.
This literature review contributes to the theoretical and managerial knowledge in sever-
al ways. By extending the research focus from aggregated country- and industry-level var-
iables to firm-level variables, attributes accounting for their resilience and competitiveness
could be identified. It was also shown how, to what extent and for what reason they differ
from developed market firms’ resilience. Therefore, by providing a detailed overview of
the resources and determinants of Indian and Chinese firms’ resilience and competitive-
ness, this paper is not only relevant for policy makers, but also for managers of firms which
might cooperate or compete with Indian and Chinese firms.
Like any research, this study has some limitations. There was a restriction on articles
written in English. The inclusion of articles written in Chinese and Hindi may lead to
further findings given the fact that articles of this literature review which were elaborat-
ed by Asian authors were particularly skeptical about the applicability of the traditional
competitiveness concept. Moreover, this paper is limited to India and China. It would be
interesting to explore firms from other emerging markets, such as Vietnam, Indonesia,
Turkey or Brazil to look for commonalities, or other Asian countries, like Korea or Japan
which started their business activities and internationalization much earlier and reconcile
their development over time.
240 Sue Claire Berning

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Viele Krisen, eine Antwort? 245

Viele Krisen, eine Antwort?1


Zur Nutzbarkeit und Nützlichkeit von Resilienz
in entwicklungspolitischen Programmen

Birgit Kemmerling und Amra Bobar

Zusammenfassung

Resilienz wurde innerhalb der letzten Jahre zunehmend in entwicklungspolitischen


Programmen als Antwort auf vielfältige Krisenszenarien eingeführt: von Klimawandel
und Naturgefahren über Kriege und Konflikte bis hin zur Wirtschafts- und Finanzkri-
se. Aber was macht den Erfolg des Resilienzkonzepts aus? In welche Wahrnehmungen
von Krisen und Risiken wird der Resilienzbegriff eingebettet und mit welchen Mitteln
soll Resilienz gegenüber diesen Krisen hergestellt werden? Welche Strategien sind da-
mit verbunden? Diesen Fragen nähern wir uns im vorliegenden Kapitel mithilfe des
Ansatzes der Gouvernementalität nach Foucault und einer kritischen Analyse verschie-
dener Dokumente der Europäischen Union und des deutschen Bundesministeriums für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Wir argumentieren, dass die kon-
zeptionelle Unschärfe des Begriffs seine Nutzung im Sinne neoliberaler entwicklungs-
politischer Leitlinien legitimiert; seine Nützlichkeit für eine kritische Annäherung an
derzeitige Krisen und deren Wahrnehmungen bleibt damit jedoch begrenzt.

1 Danksagung Für wertvolle Hinweise und Kommentare bedanken wir uns bei Sarah Wessel, Martin
Schneider, Christoph Weller und Sarah Ruth Sippel.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2018


M. Karidi et al. (Hrsg.), Resilienz,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-19222-8_13
246 Birgit Kemmerling und Amra Bobar

1 Einleitung

Resilienz ist zu einem vielseitig genutzten Begriff in entwicklungspolitischen Debatten


geworden. Obwohl er bereits seit den 1970er Jahren vor allem im Zusammenhang mit
Klimawandel und Naturgefahren aufkam, erfuhr er seit Beginn der 2000er Jahre und
insbesondere seit den Krisenjahren 2007 und 2008 Aufwind (Welsh 2014; Felli 2016).
Vermehrte Bezüge finden sich dabei in Dokumenten unterschiedlicher Institutionen und
Organisationen, darunter internationale Finanzinstitutionen wie die Weltbank, diver-
se Agenturen der Vereinten Nationen, beispielsweise das United Nations Development
Programme (UNDP) und United Nations Environment Programme (UNEP), bilaterale
Entwicklungsorganisationen, vor allem Großbritanniens Department for International
Development (DFID) oder die United States Agency for International Development
(USAID), und die Europäische Union (EU). Aber auch in Strategiepapieren internationa-
ler Organisationen wie dem World Economic Forum oder dem World Resources Institute
und diverser Nichtregierungsorganisationen hat der Resilienzbegriff in den letzten Jahren
an Bedeutung gewonnen (Gaillard 2010; Brown 2012; Felli 2016; Wagner und Anholt
2016). Resilienz als Begriff oder Konzept dient in diesen Dokumenten vornehmlich dafür,
Antworten auf komplexe soziale, wirtschaftliche, politische und ökologische Herausfor-
derungen zu erarbeiten. Das Krisenspektrum, auf das der Resilienzbegriff innerhalb der
entwicklungspolitischen Praxis angewandt wird, reicht entsprechend von den beiden be-
reits genannten Bereichen Klimawandel und Naturgefahren über Kriege und Konflikte bis
hin zur Wirtschafts- und Finanzkrise (Brown 2012; Felli 2016).
Die Ausbreitung des Konzepts in den entwicklungspolitischen Programmen wird in-
nerhalb der Sozialwissenschaften jedoch zunehmend kritisch diskutiert. Ein zentraler
Vorwurf richtet sich dabei an die theoretische Unschärfe und pragmatische Nutzung des
Begriffs. Der Begriff der Resilienz laufe so Gefahr, nicht mehr als ein weiteres Schlag-
wort für ein „business-as-usual“ (Brown 2012, S. 47) in der entwicklungspolitischen Pra-
xis zu werden oder als eine „bad abstraction“ (Felli 2016, S. 272) zu fungieren. Zweitens
wird kritisch angemerkt, dass die Nutzung des Resilienzbegriffs im Kontext der inter-
nationalen Entwicklungszusammenarbeit und Katastrophenrisikominimierung auf einem
systemtheoretischen Ansatz beruhe, der die spezifischen sozialen Machtbeziehungen und
die politischen und ökonomischen Zusammenhänge diverser Krisen und Katastrophen
nicht ausreichend berücksichtige (Cannon und Müller-Mahn 2010). Schließlich stellen ei-
nige Forscher*innen den Zusammenhang zwischen dem Resilienzbegriff und einer neo-
liberalen Regierungsweise sowohl in Entwicklungsorganisationen selbst als auch in deren
Partnerländern des globalen Südens her. Dabei werde staatliche Verantwortung auf Indivi-
duen und Bevölkerungsgruppen übertragen bzw. werden sogenannte Entwicklungsländer
in die Pflicht genommen, im Namen von Resilienz neoliberale Reformen durchzuführen
(Watts 2011; Evans und Reid 2013; Joseph 2013; Zebrowski 2013).
Der vorliegende Beitrag baut auf diesen kritischen Perspektiven auf und untersucht
die Nutzbarkeit und Nützlichkeit des Resilienzbegriffs in entwicklungspolitischen Pro-
grammen. Dabei befassen wir uns damit, wie der Begriff zunächst an Relevanz innerhalb
Viele Krisen, eine Antwort? 247

der internationalen Entwicklungszusammenarbeit und Katastrophenrisikominimierung


gewinnen konnte. Wir argumentieren, dass gerade die Unschärfe des Resilienzbegriffs die
Voraussetzung dafür ist, dass er für entsprechende Programme nutzbar gemacht werden
kann. Für seine Verbreitung als entwicklungspolitisches Konzept spricht vor allem die
entpolitisierte, normativ positive Assoziation des Begriffs; seine Nützlichkeit für die Be-
arbeitung relevanter entwicklungspolitischer Themen stellen wir jedoch infrage. Um uns
dieser Problematik zwischen der Nutzbarkeit und Nützlichkeit von Resilienz zu nähern,
bauen wir auf bereits genannte Arbeiten auf, die Resilienz mithilfe Foucaults Konzept der
Gouvernementalität analysiert haben. In den Vordergrund stellen wir erstens die Frage,
wie der Begriff konzeptionalisiert wird und in welche entwicklungspolitischen Zusam-
menhänge er eingebettet ist. Daran anschließend interessieren uns die konkreten Prakti-
ken, also die Frage danach, mit welchen Mitteln – oder Techniken – Resilienz innerhalb
der Entwicklungszusammenarbeit und Katastrophenrisikominimierung hergestellt wer-
den soll. Dabei werden vorgeschlagene Projektaktivitäten in Strategiepapieren und Pro-
grammen ins Visier genommen und untersucht, wie diese mit dem Konzept der Resilienz
verknüpft werden. Abschließend fragen wir danach, welche Strategien mit einer vermehr-
ten Nutzung des Resilienzbegriffs verbunden sein könnten. Unsere Analyse fußt auf Stra-
tegiepapieren der Europäischen Union und des deutschen Bundesministeriums für Ent-
wicklung und Zusammenarbeit. Bevor wir uns der Untersuchung zuwenden, werden wir
zunächst einen Überblick über die theoretischen Konzeptionalisierungen von Resilienz in
den Natur- und Sozialwissenschaften geben und das auf Foucault basierende Konzept der
Gouvernementalität erläutern.

2 Theoretische Konzeptionalisierungen von Resilienz

In der akademischen Debatte lässt sich der Resilienzbegriff im Allgemeinen auf zwei
Konzeptionalisierungen zurückführen: zum einen die psycho-soziale Resilienz, wie sie
sich innerhalb der Psychologie entwickelte, zum anderen der Begriff der ökologischen Re-
silienz, der in den 1970er Jahren vor dem Hintergrund einer sich verschlechternden Wirt-
schaftslage in Europa, der Ölkrise, post-kolonialer Kriegsherde, zunehmender politischer
Instabilitäten, und den aufkommenden sozialen und Umweltbewegungen aufkam (Welsh
2014). In diesem Kontext legte Crawford S. Holling 1973 seinen bahnbrechenden Artikel
zur Resilienz und Stabilität in ökologischen Systemen vor, dessen These zu komplexen
Systemen einen Gegenentwurf zu den seit der Nachkriegszeit vorherrschenden Vorstel-
lungen stabiler Ökosysteme darstellte. Holling entwarf das Konzept der ‚ökologischen
Resilienz’, wonach Ökosysteme durch komplexe Interaktionen in der Lage sind, sich an
Einbrüche und Veränderungen im System anzupassen ohne sich in ihren grundlegenden
Eigenschaften zu verändern. Damit wandte Holling sich gegen Eingriffe in Ökosysteme,
z. B. durch intensive Landwirtschaft und die Gewinnung natürlicher Ressourcen nach dem
Prinzip des maximum sustained yield, da diese die komplexen Interaktionen ökologischer
Systeme missachteten und so langfristig deren Resilienz gefährdeten. Stattdessen müsse
248 Birgit Kemmerling und Amra Bobar

ein Management-Ansatz verfolgt werden, der die Komplexität von Ökosystemen anerken-
ne, unberechenbare Faktoren wie zukünftige Ereignisse in die Planung mit einbeziehe und
den Fokus auf eine Anpassung an veränderte Situationen lege (Watts 2011; Walker und
Cooper 2011; Evans und Reid 2013; Zebrowski 2013).
In den folgenden Jahren kam es zu einer Verbreitung des Resilienzbegriffs über die
Ökologie hinaus hin zu einer sozial-ökologischen Resilienzforschung, die 1999 in die
Gründung der Resilience Alliance mündete, einem internationalen Forschungsnetz-
werk, das die hauseigene und begutachtete Zeitschrift Ecology and Society herausgibt
und regelmäßig internationale Konferenzen organisiert. Sozial-ökologische Arbeiten zur
Resilienz fokussieren sich dabei vor allem auf die Erforschung der Interaktionen zwischen
Ökosystemen und sozialen Systemen und umfassen interdisziplinäre Studien, beispiels-
weise zur Klimawandelanpassung (Keck und Sakdapolrak 2013). Mit dieser Öffnung in
die Erforschung sozialer Systeme wurde das Konzept der Resilienz schrittweise auf an-
dere Forschungsbereiche in den Sozialwissenschaften ausgeweitet, und erhielt Einzug in
Arbeiten zu sozialem Wandel und Entwicklung. Damit richtete sich der Begriff nicht mehr
ausschließlich an Ökosysteme oder sozial-ökologische Systeme, sondern dezidiert an so-
ziale Systeme. So definiert Adger in seinem vielbeachteten Artikel ‚soziale Resilienz’ als
„the ability of groups or communities to cope with external stresses and disturbances as a
result of social, political and environmental change” (Adger 2000, S. 347). In diesem Zuge
kamen ebenfalls Fragen zur Rolle sozialer Institutionen und komplexen Machtbeziehun-
gen auf. Keck und Sakdapolrak (2013) konstatieren damit einen Bedeutungswandel des
Resilienzbegriffs von einem anfänglichen Fokus auf der Persistenz ökologischer Systeme
über die Adaption sozialökologischer Systeme hin zur sozialen Transformation vor dem
Hintergrund globalen Wandels.
Das Wandern des Resilienzkonzepts von den Natur- zu den Sozialwissenschaften hat
eine lebhafte und andauernde Debatte hervorgerufen. Während einerseits Forscher*innen
Resilienz als wichtige Brücke zwischen den unterschiedlichen Disziplinen und als Berei-
cherung für die Erforschung von sozialem Wandel und Verwundbarkeit betrachten (Adger
2000; Keck und Sakdapolrak 2013), stehen andererseits drei Kritikpunkte im Vorder-
grund: Erstens wird angemerkt, dass soziale Systeme nicht mit ökologischen Systemen
gleichgesetzt werden können. Dies betreffe vor allem Fragen zu den sozialen Machtbe-
ziehungen, die innerhalb der sozialwissenschaftlichen Forschung im Fokus stehen, aber
ebenfalls zu den unterschiedlichen Methoden und Formen der Wissensproduktion in den
Natur- und Sozialwissenschaften (vgl. Cote und Nightingale 2012; Brown 2014). Aller-
dings wird diesen Befürchtungen entgegengesetzt, dass der Resilienzbegriff erlaube, ver-
schiedene Aspekte (z. B. soziale Institutionen, Machtbeziehungen) in eine interdisziplinä-
re Systemanalyse mit einzubeziehen (Keck und Sakdapolrak 2013). Zweitens werden die
den Konzepten inhärente Vorstellungen von Skalen problematisiert. Während ökologische
Resilienz auf der Systemebene operiert, sind in der sozial-ökologischen und sozialen Re-
silienz Verschiebungen erkennbar, die auch Individuen in die Analyse mit einbeziehen.
Häufig wird jedoch eine Kategorisierung in lokale, nationale und globale Ebenen vorge-
nommen, die im Gegensatz zu multiskalaren Ansätzen steht, welche die Verflechtungen
Viele Krisen, eine Antwort? 249

globalisierter Orte und sozialer Beziehungen anerkennen (MacKinnon und Derickson


2013). Schließlich konstatieren Cote und Nightingale (2012), dass in Forschungen zu sozi-
al-ökologischen Systemen normative Fragen nicht ausreichend oder nur in inkonsistenter
Weise berücksichtigt werden, beispielsweise: Wer bestimmt, welcher Zustand als resilient
gilt und damit ‚wünschenswert’ ist? Sie plädieren für eine kritische Auseinandersetzung
mit diesen: Bestimmte Formen des sozialen Wandels werden von einigen Individuen oder
Bevölkerungsgruppen als erstrebenswert erachtet, von anderen eher nicht. Außerdem kön-
nen sich Systeme als äußerst resilient erweisen, die normativ als unerwünscht gelten; Cote
und Nightingale verweisen hier auf Diktaturen oder Prozesse der Desertifikation.2
Neben der theoretisch-konzeptionellen Auseinandersetzung haben Sozialwissen-
schaftler*innen in den letzten Jahren zunehmend auch die Begriffsverwendung in entwick-
lungspolitischen Programmen kritisch reflektiert, wie sie eingangs bereits angesprochen
wurden. Cannon und Müller-Mahn (2010) kritisieren, dass sich der dem Resilienzbegriff
zugrunde liegende Systemansatz hierbei als verkürzt erweist, da er weitestgehend einem
technischen und naturwissenschaftlichen Verständnis von Prozessen folge, welcher die
Anpassungsfähigkeit von Individuen und Bevölkerungsgruppen gegenüber potentiellen
Krisen in den Vordergrund stelle, ohne die Machtbeziehungen innerhalb sozialer Syste-
me ausreichend zu berücksichtigen. Solch eine entpolitisierte Sichtweise verschleiere die
politisch-ökonomischen Prozesse, aufgrund derer bestimmte Individuen oder Bevölke-
rungsgruppen zunächst verwundbar gegenüber Krisen werden, sowie die unterschiedli-
chen Wahrnehmungen von Individuen und Bevölkerungsgruppen gegenüber Krisen und
Risiken, die nicht zwangsläufig mit dem entwicklungspolitischer Programme überein-
stimmten (Cannon und Müller-Mahn 2010). Darauf aufbauend hebt Brown (2012, S. 47) in
ihrer Analyse verschiedener Klimawandelprogramme hervor, dass Resilienz vor allem ein
„business-as-usual“ darstelle; Resilienz diene dabei als neuer Rahmen für die Förderung
spezifischer entwicklungspolitischer Maßnahmen, die in bemerkenswerter Weise für den
Erhalt eines Entwicklungsparadigmas steht, das auf kontinuierlichem Wirtschaftswachs-
tum basiert. Zwar wird Resilienz in unterschiedlichen Kontexten und von unterschiedli-
chen Akteuren durchaus auch als Instrument für Selbstbestimmung und Transformation
genutzt; diese spiegelten sich jedoch kaum in den Dokumenten internationaler Entwick-
lungsorganisationen und Finanzinstitutionen wider. So beschäftigt sich Felli (2016) in
seiner Diskursanalyse zum Resilienzbegriff insbesondere mit den Entwicklungsberichten
der Weltbank und stellt fest, dass Resilienz nicht nur auf vielfältige Themen, wie Klima-
wandel, Katastrophenmanagement, sozialer Wandel und Finanzkrise angewendet wird,
sondern auch auf unterschiedliche Subjekte; dazu gehören Individuen oder Gemeinden
ebenso wie Infrastruktur, Territorien, und Institutionen. Überdies, so Felli, werde in zu-
nehmendem Maße der Begriff ohne jeglichen Rückbezug zu einem Objekt (Resilienz von
was?) oder einem Subjekt (Resilienz für wen?) verwendet. Folglich schreibt er dem Begriff
eine „bad abstraction“ (Felli 2016, S. 272) zu, wodurch sich der Begriff an die neoliberale
Rhetorik der Weltbank anpassen lässt. Ähnlich stellen Wagner und Anholt (2016) in ihrer

2 Siehe hierzu auch den Blog-Eintrag von Charlotte Rungius und Christoph Weller (2016)
250 Birgit Kemmerling und Amra Bobar

empirischen Studie zur Resilienz als neues EU-Leitmotiv fest, dass die Abstraktion des
Begriffs einerseits und die normative positive Assoziation andererseits eine Verknüpfung
mit anderen Konzepten wie Nachhaltigkeit und gute Regierungsführung ermöglichten.
Gleichzeitig bedeute die Anwendung von Resilienz jedoch eine Abkehr von ambitionier-
ten Entwicklungszielen hin zu einem pragmatischen Ansatz, der den „intervention fati-
gue“ in Europa reflektiere (Wagner und Anholt 2016, S. 424).

3 Resilienz aus der Perspektive der Gouvernementalität

Eine weitreichende Kritik an der entwicklungspolitischen Nutzung des Resilienzbegriffs


ist aus der Perspektive des Gouvernementalitäts-Ansatzes entstanden, der auch die kon-
zeptionelle Grundlage dieses Beitrags bildet. Bevor wir diese kritischen Arbeiten zur Re-
silienz näher vorstellen, gehen wir deshalb zunächst auf das Konzept der Gouvernmen-
talität selbst ein. Der Ansatz der Gouvernementalität basiert auf Foucaults Vorlesungen
zwischen 1978 und 1979, in denen Foucault einerseits eine historisch-empirische Ana-
lyse zur Genealogie des modernen (westlichen) Staates vorlegt und andererseits einen
theoretisch-konzeptionellen Beitrag zur Analytik der Macht leistet (Füller und Marquardt
2009). Im Vordergrund dieser Analyse steht die Frage wer, wie, mit welchen Techniken
und zu welchem Zweck regiert. Regieren umfasst nach Foucault dabei nicht ausschließlich
staatliche Regulierungsprozesse; unter Regieren wird das Einwirken oder die Steuerung
verschiedener Akteure auf die Verhaltensweisen von Individuen und der Bevölkerung
verstanden (Foucault 2008). Ein wichtiger Bestandteil des Regierens ist jedoch nicht nur
das Fremdeinwirken, also die Regulierung durch die Herrschenden, sondern ebenso For-
men der Selbst-Regierung einer gegebenen Bevölkerungsgruppe, sprich der augenschein-
lich freiwilligen Anpassung des eigenen Verhaltens an eine bestimmte Regierungsweise
(Füller und Marquardt 2009). Darauf aufbauend zeichnen sich unterschiedliche Regie-
rungsweisen durch unterschiedliche Rationalitäten aus, also dadurch, wie über Regieren
gedacht wird, wie Wissen darüber produziert wird, und welche Ziele mit dieser Art des
Regierens verfolgt werden. Eine Regierungsrationalität steht dabei immer im relationa-
len Bezug zu Regierungspraktiken, d. h. mit welchen Mitteln oder Techniken regiert wird
(Dean 1999; Lemke 2001; Mattissek 2008).
Anhand dieser Rationalitäten und Praktiken identifiziert Foucault in seiner empirisch-
historischen Analyse verschiedene Regierungsweisen in westlichen Gesellschaften: Gou-
vernementalität als empirischer Befund beschreibt damit eine liberale Regierungsweise,
die seit dem 18. Jahrhundert in westlichen Gesellschaften aufkam sowie deren neolibe-
rale Varianten, wie sie seit dem 20. Jahrhundert in Europa und den Vereinigten Staaten
entstanden (Mattissek 2008; Füller und Marquardt 2009). In der liberalen Regierungs-
weise zieht der Staat sich aus wirtschaftlichem Handeln zurück, und beschränkt seine
Aufgabe darauf, optimale Rahmenbedingungen für einen freien Markt zu schaffen. Dazu
gehört ebenfalls, Individuen zwar Freiheiten einzuräumen (im Gegensatz zu repressiven
Regierungsweisen), sie jedoch zu lenken, indem ein rational wirtschaftliches Handeln zur
Viele Krisen, eine Antwort? 251

Maxime individuellen Verhaltens wird. Die neoliberale Variante dieser Regierungsweise


bezeichnet dann eine Art des Regierens und Sich-Selbst-Regierens, in der wirtschaftsli-
berales Denken und die entsprechenden politischen Reformen auf Domänen sozialer Be-
ziehungen übertragen werden, die vormals außerhalb dieses Denkens lagen und fortan an
einer marktwirtschaftlichen Logik ausgerichtet werden (Joseph 2013).
Kritische Arbeiten zur Resilienz aus der Foucaultschen Gouvernementalitäts-Perspek-
tive charakterisieren das Konzept der Resilienz als Ausdruck solch einer neoliberalen Re-
gierungsweise (Walker und Cooper 2011; Joseph 2013; Zebrowski 2013; Welsh 2014): Die
Verwendung des Resilienzbegriffs in der politischen Praxis sei somit vor allem auf die
Möglichkeiten seiner Vereinnahmung innerhalb einer neoliberalen Rationalität zurückzu-
führen. So stellen Walker und Cooper (2011) eine Genealogie des Resilienzkonzepts vor,
in der sie seine Komplementarität mit neoliberalen Ideen hervorheben, wie sie vornehm-
lich von dem Ökonom Friedrich von Hayek vertreten wurden. Weitere Studien betonen die
zunehmende Eigenverantwortung von Individuen und Bevölkerungsgruppen, die mit dem
Resilienzkonzept verbunden sind: angesichts der wahrgenommen Komplexität globaler
Risiken sollen damit Verantwortungen, die vormals bei staatlichen Institutionen lagen, auf
Individuen oder die Bevölkerung übertragen werden (Evans und Reid 2013; Joseph 2013;
Zebrowski 2013). Diese Konzeptionalisierung von Resilienz als Instrument neoliberaler
Regierungsweise wurde insbesondere innerhalb der Risiko- und Sicherheitsforschung the-
matisiert.3 Einige Forscher*innen haben sich jedoch bereits mit dem Resilienzkonzept
im Kontext der Entwicklungszusammenarbeit befasst, beispielsweise in den Programmen
zur Anpassung an den Klimawandel und Management natürlicher Ressourcen. In diesem
Kontext kritisiert Watts (2011) den ökologischen Resilienzbegriff als Rahmen für die wei-
tere Ausbreitung einer neoliberaler Regierungsweise auf den globalen Süden. Die dortige
Bevölkerung sei nichts weiter als das Laboratorium, an der Möglichkeiten zur Anpas-
sung an eine zunehmende Unsicherheit getestet würden.4 Joseph (2013) argumentiert, dass
Strategien internationaler Organisationen vor allem auf neoliberale Reformen der Staats-
apparate im globalen Süden abzielen, um diese stärker in eine globale Marktwirtschaft
einzubeziehen. Dies bedeute nicht, dass der Staat sich aus sozialen und ökologischen
Regierungsbereichen zurückziehe; vielmehr unterliege er selbst neoliberalen Reformen,
durch die staatliche Institutionen wettbewerbsfähig werden sollen (Joseph 2013, S. 38).
Allerdings verweist Joseph (2013) auf Differenzierungen: zwar benutzen diverse interna-
tionale Organisationen den Begriff der Resilienz in ihren Strategiepapieren; die Effekte
sind jedoch nicht zwangsläufig Ausdruck einer neoliberalen Regierungsweise, sondern
gleichfalls geprägt von Skepsis und Widerständen: „Although it [Resilienz – Anm. d.
Verf.] might increasingly pervade international organisations, this does not necessarily
have any meaningful effects on the ground. In Europe, where we would expect such ideas
to have resonance, there are great divergences across Member States” (ebd., S. 52).

3 (vgl. Lentzos und Rose 2009; Anderson und Adey 2011; Coaffee 2013; Coaffee und Fussey 2015).
4 „Ecological resiliency is the calculative metric for a brave new world of turbulent capitalism and the
global economic order, and a new ecology of rule. […] Africa, once again, is the testing ground for
a vision of security and care in which life is nothing more than permanent readiness and flexible
adaptiveness” (Watts 2011, S. 88).
252 Birgit Kemmerling und Amra Bobar

Dieser Blick auf Differenzierungen ist der Ausgangspunkt unserer Analyse: Dafür un-
tersuchen wir Dokumente der Europäischen Union und des deutschen Bundesministeri-
ums für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit. Aus der Perspektive der Gou-
vernementalität interessiert uns, in welchen größeren Zusammenhang gesellschaftlicher
Prozesse die Nutzung des Resilienzbegriffs innerhalb der europäischen und deutschen
Entwicklungszusammenarbeit und Katastrophenvorsorge interpretiert werden kann. Im
Zentrum steht somit nicht die Frage, was Resilienz ist, sondern wie, über wen und mit
welchem Ziel mittels Resilienz regiert wird. Wir richten zunächst das Augenmerk auf
die entwicklungspolitischen Rationalitäten, in die der Resilienzbegriff eingebettet ist; d. h.
welche Bedeutung kommt dem Resilienzbegriff in entwicklungspolitischen Strategien
zu; wie wird er genutzt? Wir argumentieren, dass der Resilienzbegriff im Zusammen-
hang mit spezifischen Risikowahrnehmungen gesetzt wird, die in entwicklungspolitischen
Programmen vor allem einer neoliberalen Rationalität folgen. Obwohl Resilienz nicht
zwangsläufig Teil dieser Rationalität ist, begünstigt gerade die konzeptionelle Unschärfe
und normativ aufgeladene positive Assoziation des Begriffs seine Nutzung als Antwort
auf diese Risikowahrnehmungen. In einem zweiten Schritt fragen wir, welche Techni-
ken des Regierens und des Sich-Selbst-Regierens in der Entwicklungszusammenarbeit
und Katastrophenrisikominimierung mit dem Resilienzbegriff verbunden werden, also
die Frage nach den Mechanismen, durch die Resilienz praktisch hergestellt und resiliente
Individuen, Bevölkerungsgruppen und Staaten konstituiert werden sollen. Wir argumen-
tieren, dass diese Praktiken des resilient-Werdens an marktwirtschaftliche Reformen aus-
gerichtet sind, ohne kontextspezifische Risikowahrnehmungen und Handlungsoptionen zu
berücksichtigen. Abschließend richten wir unser Augenmerk auf das größere Machtgefüge
entwicklungspolitischer Institutionen, innerhalb dessen der Resilienzbegriff sich bewegt
und fragen nach den Strategien, die mit seiner Nutzung einhergehen. Wir argumentieren,
dass es diese Institutionen selbst sind, die unter dem Druck stehen, sich zunehmend einer
marktwirtschaftlichen Logik zu unterwerfen.

4 Auswahl der Dokumente und methodische Vorgehensweise

Die Bedeutung des Resilienzbegriffs in entwicklungspolitischen Leitlinien ist innerhalb


der letzten Jahre gestiegen, allerdings nicht in jedem Kontext in gleichem Maße und zur
gleichen Zeit. So stellt Felli (2016) fest, dass insbesondere in den jährlichen World Deve-
lopment Reports der Weltbank und den Human Development Reports des UNDP die An-
zahl der Nennungen des Resilienzbegriffs seit 2003 und insbesondere seit 2008 kontinu-
ierlich zugenommen hat, während andere UN-Organisationen eher punktuellen Gebrauch
des Begriffs machen. Brown (2012, 2014) verweist auf diverse Initiativen, die in den letzten
Jahren ins Leben gerufen wurden, etwa das von der Weltbank initiierte Program for Cli-
mate Resilience aus dem Jahr 2008, sowie auf Plattformen, in denen Resilienz prominent
vertreten war, beispielsweise die Rio+20 Konferenz oder das World Economic Forum.
Viele Krisen, eine Antwort? 253

Dagegen wurde Resilienz innerhalb der Europäischen Union erst in den letzten Jahren
verstärkt genutzt. Während in der 2016 veröffentlichten globalen Strategie zur Außen- und
Sicherheitspolitik der Europäischen Union Resilienz 40 mal genannt wurde, kam es in der
Strategie aus dem Jahr 2003 noch gar nicht vor (Wagner und Anholt 2016). Auch Doku-
mente, die sich explizit auf entwicklungspolitische und humanitäre Maßnahmen beziehen,
greifen vergleichsweise spät auf den Resilienzbegriff zurück; sie stammen aus den Jahren
2012, 2013 und 2014:

• The EU Approach to Resilience: Learning from Food Security Crises aus dem Jahr
2012, basierend auf Erfahrungen im Sahel und am Horn von Afrika (hiernach: Resi-
lienzansatz)
• EU Action Plan for Resilience in Crisis Prone Countries 2013–2020 aus dem Jahr
2013 (hiernach: Aktionsplan)
• EU Resilience Marker aus dem Jahr 2014, durch die analysiert wird, inwieweit sich hu-
manitäre Programme, die von der Europäischen Union finanziert sind, an dem Konzept
der Resilienz ausrichten.

Inwieweit spiegelt sich die Nutzung des Resilienzbegriffs dieser EU-Dokumente in ent-
wicklungspolitischen Strategien einzelner Mitgliedstaaten wider? Dazu schauen wir uns
die deutsche Bundesregierung an, die nicht nur einen wichtigen Beitrag zu den Hilfsgel-
dern der Europäischen Union leistet, sondern weltweit zu den größten Gebern sowohl in
der Entwicklungszusammenarbeit als auch in der humanitären Hilfe gehört. Allerdings hat
auch das deutsche Bundesministerium für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammen-
arbeit (BMZ) den Resilienzbegriff erst in den letzten Jahren als entwicklungspolitischen
Ansatz aufgenommen. Insbesondere zwei Dokumente sind Zeugnisse dieses Wandels:

• Deutsches Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung


(BMZ): Strategie der entwicklungsfördernden und strukturbildenden Übergangshilfe
(hiernach: ESÜH-Strategie) aus dem Jahr 2013
• BMZ Katastrophenrisikomanagement – Ansatz und Beiträge der deutschen Entwick-
lungszusammenarbeit aus dem Jahr 2015.

Die fünf genannten Dokumente werden aufgrund ihres dezidierten Bezugs zur Resilienz
und Ausrichtung auf die Entwicklungszusammenarbeit und humanitären Hilfe für diese
Analyse herangezogen. Dazu haben wir zunächst Textstellen hinsichtlich ihres Vorkom-
mens von „resilien-“ herausgefiltert und diese anhand eines kodierenden Verfahrens ana-
lysiert. Die Kodierungen erfolgten sowohl deduktiv als auch induktiv (Glasze, Husseini
und Mose 2009); so wurden Kategorien entlang des Gouvernementalitätsansatzes gebil-
det; dazu gehören Rationalitäten, also Textstellen, die Aufschluss darüber geben, wie über
Resilienz gedacht wird und die Praktiken bzw. Techniken durch die Resilienz produziert
werden soll. Weitere Kategorien, bspw. Akteure und Strategien ergaben sich während der
Kodierung.
254 Birgit Kemmerling und Amra Bobar

5 Resilienz als Antwort auf komplexe Risikowahrnehmungen

Zunächst interessiert uns, welches Verständnis von Krisen die Grundlage für die Nutzung
des Resilienzbegriffs bildet, d. h. in welche Rationalitäten er eingebettet ist bzw. in wel-
chen Kontexten und mit welchem Ziel er genutzt wird. Daran schließt sich umgekehrt die
Frage an, welches Verständnis von Resilienz wiederum seine Nutzung legitimiert.

5.1 Resilienz und Risiko

Die untersuchten Strategiepapiere beginnen ausnahmslos mit Ausführungen über die


wachsenden Bedrohungen, denen sich viele Länder gegenübersehen. So wird in dem EU
Resilienzansatz eingeleitet:

„The effects of economic shocks, rising and fluctuating food prices, demographic pressure,
climate change, desertification, environmental degradation, pressure on natural resources,
inappropriate land tenure systems, insufficient investment in agriculture, have, in many parts
of the world, resulted in greater exposure to risk, notably from natural hazards. The impact of
these global trends is manifested in the increasing number and intensity of natural disasters
and crises“
(European Commission 2012, S. 2).

Ähnlich äußert sich das BMZ in der ESÜH-Strategie; demnach „hat sich die Anzahl und
Komplexität der Krisen, Katastrophen und gewaltsame Konflikte in einigen Partnerlän-
dern der Entwicklungszusammenarbeit deutlich erhöht“, (BMZ 2013, S. 5). Diese Ent-
wicklungen werden auf unterschiedliche „Risikofaktoren“ (BMZ 2015a, S. 9) zurückge-
führt, die sich in den untersuchten Dokumenten weitestgehend gleichen: dazu gehören
neben Wirtschaftseinbrüchen und Preisschwankungen ebenfalls Bevölkerungswachstum
und Urbanisierung, Armut, Klimawandel, Land- und Ökosystemdegradierung, Ressour-
cenknappheit, aber auch politische Krisen und Konflikte (European Commission 2013).
Diese Risikofaktoren werden in keinen größeren gesellschaftspolitischen Zusammenhang
gesetzt, sondern dienen vornehmlich als Hintergrundinformation für mögliche Katastro-
phenszenarien, denn aus diesen Risikofaktoren wird dem BMZ zufolge erst dann ein „Ka-
tastrophenrisiko“, wenn eine Gesellschaft „nicht über ausreichend Fähigkeiten oder Res-
sourcen verfügt, sich vor deren Auswirkungen zu schützen“ (BMZ 2015a, S. 14). Es liegt
an der entwicklungspolitischen Ausrichtung der Dokumente, dass damit Gesellschaften
im globalen Süden gemeint sind. Im ersten Abschnitt des Aktionsplans der Europäischen
Union wird jedoch weiter spezifiziert: „The increasing frequency and intensity of disasters
and humanitarian crises results in great suffering and loss of life, posing a major threat
to long-term development, growth and poverty reduction, in particular for the poorest
and most vulnerable people in developing countries” (European Commission 2013, S. 2).
An anderer Stelle verweist der Aktionsplan auf die Verwundbarkeit insbesondere von
Frauen, Kindern, und älteren Menschen. So werden Individuen oder bestimmte Bevölke-
Viele Krisen, eine Antwort? 255

rungsgruppen als verwundbare – oder nicht-resiliente – Subjekte konstituiert, deren Ex-


poniertheit gegenüber den identifizierten Risiken als besonders hoch eingestuft wird. Ihre
Anpassungsfähigkeit an Katastrophen soll verbessert werden, so dass damit zukünftig
die negativen Auswirkungen von Katastrophen reduziert werden können (vgl. European
Commission 2012). Dabei kommt dem Resilienzbegriff eine zentrale Bedeutung zu.

5.2 Der Resilienzbegriff in der EU und dem BMZ

Welches Verständnis vom Resilienzbegriff liegt seiner Nutzung in den untersuchten Do-
kumenten zugrunde? Die Europäische Union und das deutsche BMZ weisen ein ähnliches
Verständnis von Resilienz auf, die Bewältigungsstrategien und Anpassungsfähigkeit so-
wohl von Individuen und Bevölkerungsgruppen als auch von Staaten in den Vordergrund
rücken (s. Definitionen 1). Das deutsche Bundesministerium erwähnt dabei explizit, dass
die Definition an die des DFID und der EU angelehnt ist (BMZ 2013).

Definitionen 1 von Resilienz EU & BMZ

„Resilience is the ability of an individual, a household, a community, a country or a


region to withstand, to adapt, and to quickly recover from stresses and shocks. The con-
cept of resilience has two dimensions: the inherent strength of an entity – an individual,
a household, a community or a larger structure – to better resist stress and shock and
the capacity of this entity to bounce back rapidly from the impact” (European Com-
mission 2012, S. 5).

„Resilienz ist die Fähigkeit von Menschen und Institutionen – seien es Individuen,
Haushalte, Gemeinden oder Staaten –, akute Schocks oder chronische Belastungen
(Stress) aufgrund von fragilen Situationen, Krisen, gewaltsamen Konflikten und extre-
men Naturereignissen zu bewältigen, sich anzupassen und sich rasch zu erholen, ohne
mittel- und längerfristige Lebensperspektiven zu gefährden“ (BMZ 2013, S. 7).

Eine konzeptionelle Auseinandersetzung zu den unterschiedlichen Bedeutungszuschrei-


bungen des Resilienzbegriffs wird nicht vorgenommen. Das Konzept der Resilienz wird
als positive Antwort oder Lösungsvorschlag auf die spezifischen Risikowahrnehmungen
herangezogen. Die Kapazitäten, die mit dem Konzept betont werden, variieren ebenfalls:
Während im europäischen Resilienzansatz die Widerstandsfähigkeit einerseits und das
Vermögen zur Erholung nach einer Stresssituation andererseits zwei Dimensionen des
Konzeptes umfassen (European Commission 2012), wird im Aktionsplan dann auch ex-
plizit auf Möglichkeiten zur Anpassung und Transformation hingewiesen. Die Stärkung
der Resilienz als langfristiges Projekt wird so zu einem konkreten Instrument für eine
nachhaltige Entwicklung konzeptionalisiert, deren globales Ziel eine Reduzierung der
weltweiten Armut durch die Schaffung resilienter Bevölkerungen ist: „Working with vul-
256 Birgit Kemmerling und Amra Bobar

nerable populations to build their resilience is also a fundamental part of poverty reduc-
tion which is the ultimate aim of EU development policy” (European Commission 2012,
S. 2). Auf ähnliche Weise äußert sich das BMZ in der ESÜH-Strategie: „Übergeordnetes
Ziel […] ist es, die Resilienz von Menschen und Institutionen gegenüber den Auswir-
kungen und Folgen von Krisen, gewaltsamen Konflikten und extremen Naturereignissen
zu stärken und Perspektiven für eine nachhaltige Entwicklung zu schaffen“ (BMZ 2013,
S. 7). Das Verständnis von Resilienz in der EU und dem BMZ orientiert sich damit an
einer Zielhierarchie: Während Bewältigungs- und Anpassungsstrategien an humanitäre
Katastrophen im Vordergrund stehen, trägt das Konzept der Resilienz gleichzeitig zur
Armutsreduktion und nachhaltigen Entwicklung bei.
Die Bedeutung des Resilienzkonzepts in der entwicklungspolitischen Debatte5 lässt
sich somit vor dem Hintergrund spezifischer Risikowahrnehmungen und Subjektforma-
tionen verstehen, die einer neoliberalen Rationalität folgen, in der Risiken unabänderlicher
Teil oder ‚natürlicher’ Nebeneffekt eines Systems sind, dessen Ressourcen endlich sind.
So fehlen Themen wie soziale Ungleichheit bzw. die ungleiche Verteilung oder Zugänge
zu Ressourcen; stattdessen wird auf die Risiken einer zunehmenden physischen – und
damit entpolitisierten – Ressourcenknappheit verwiesen (Wagner und Anholt 2016). Das
Risiko als negatives Bedrohungspotential wird kalkuliert und legitimiert ein Eingreifen
bzw. Regulieren (‚regieren’) auf die Verhaltensweisen der betroffenen Individuen und Be-
völkerungsgruppen, in diesem Fall die Ärmsten der Armen in den Ländern des globalen
Südens. Der Resilienzbegriff, theoretisch-konzeptionell unscharf, aber normativ positiv
aufgeladen, bietet sich sodann als Antwort auf diese Krisen an.

6 Praktiken zur Stärkung von Resilienz

Wie soll gemäß der von uns untersuchten entwicklungspolitischen Programme Resilienz
für die identifizierten Zielgruppen bzw. Zielländer hergestellt werden? Dafür werden laut
der Europäischen Union zunächst bestimmte Methoden notwendig, um ‚Beweisgrund-
lagen’ für Resilienz-basierte Programme zu schaffen. So wird im EU Aktionsplan argu-
mentiert:

„The Action Plan is designed to reinforce the momentum of the resilience agenda, to deliver
early results and to allow further development of a body of evidence on what constitutes
effective resilience focused interventions. It takes into account […] that a series of tools and
approaches have to be further developed to support resilience in differing contexts, building
on existing evidence and further nurturing it through constant lessons learning“
(European Commission 2013, S. 2).

5 Hier sei darauf hingewiesen, dass auch innerhalb internationaler Organisationen das Aufkommen
des Resilienzbegriffs kritisch debattiert wird. Für eine vielschichtige Auseinandersetzung mit dem
Begriff sei auf das Dossier Resilienz von medico international hingewiesen (Medico international)
Viele Krisen, eine Antwort? 257

In einem ersten Schritt werden wir somit darstellen, auf welche Methoden der Kalkulation
zurückgegriffen wird, um Maßnahmen zur Resilienzstärkung in konkreten Projekten und
Programmen zu legitimieren und gleichzeitig Resilienz im Projektmanagementzyklus zu
etablieren. Daraus gehen in einem nächsten Schritt konkrete Maßnahmen oder Techno-
logien hervor, die zu einer Stärkung von Resilienz für die betroffenen Zielgruppen bzw.
Zielländer beitragen sollen.

6.1 Resilienz als messbares Konzept

In der internationalen Entwicklungszusammenarbeit und humanitären Hilfe wird seit


mehreren Jahren auf verschiedene Methoden der Kalkulation oder Messung von Projekt-
zielen und den ihnen zugrundeliegenden Konzepten zurückgegriffen, die laut dem EU Re-
silienzansatz und Aktionsplan auch auf das Resilienzkonzept angewandt werden können.
Erstens geht es dabei um detaillierte Risiko- und Verwundbarkeitsanalysen: „Action to
strengthen resilience needs to be based on sound methodologies for risk and vulnerability
assessments. […] The EU will engage with partner countries and key international actors
to improve the methodologies for developing the assessments” (European Commission
2012, S. 12). Mehrfach wird dabei auch auf die Bedeutung von Monitoring- und Evaluie-
rungsmethoden hingewiesen. Eine ähnliche Vorgehensweise wird vom BMZ angestrebt.
Zu den internationalen Standards der Entwicklungszusammenarbeit gehören demnach
„die Sicherstellung von Relevanz und Angemessenheit durch detaillierte Bedarfs- und
Interventionsanalysen“ (BMZ 2013, S. 9). Zudem sollten „Ergebnisse und Wirkungen fort-
dauernd im Rahmen eines Monitoring gemessen und überprüft werden“ (ebd., S. 9). Dabei
geht es nicht primär um die Analyse von tatsächlich erzielten Ergebnissen, sondern um die
intendierten und nicht-intendierten Wirkungen von Programmen, mit Berücksichtigung
von lessons learned und good practices sowie Analysen für mögliche Nachbildungen von
Projekten oder Projektkomponenten: „Strong monitoring and evaluation systems, inclu-
ding an understanding of costs and benefits […] will have to be developed. Research will
be undertaken to create the evidence base necessary for establishing better practice and as
a basis to scale up, or to advocate for, resilience approaches” (European Commission 2013,
S. 5). ‚Innovative’ Resilienzprojekte sollen getestet und das daraus generierte Wissen für
zukünftige Programme weiterentwickelt und genutzt werden.
Das 2014 veröffentlichte Konzept zu Resilience Marker des Humanitarian Aid and
Civil Protection Departments der Europäische Kommission (ECHO) ist ein Beispiel da-
für, wie systematisch der Resilienzbegriff in Programme einbezogen werden kann. Mit
diesen Markern sind humanitäre Organisationen, die Projektgelder bei der Europäischen
Kommission beantragen, dazu aufgefordert, ihre Strategie zur Resilienzstärkung inner-
halb des Projektes zu bewerten. Dabei geht es zum einen darum, ob das zu beantragende
Projekt auf einer detaillierten Verwundbarkeits- und Risikoanalyse basiert, und zum an-
deren, ob Praktiken konkret darauf abzielen, die Resilienz der identifizierten Zielgruppe
des Projektes zu stärken (ECHO 2014). Die Tabelle 2 stellt die Fragen zur Eigenbewer-
258 Birgit Kemmerling und Amra Bobar

tung vor. Auffallend ist, dass es gar nicht die Möglichkeit gibt die Fragen zu verneinen.
Organisationen können sich lediglich auf dem Weg befinden, Resilienz in das Programm
mit einzubeziehen. Eine ‚negative’ Eigenbewertung diene laut Aussage von ECHO jedoch
nicht als Ausschlusskriterium für eine Förderung; allerdings werde erwartet, dass Projek-
te Resilienz immer dort einbeziehen, wo es der Kontext erlaube: “Only in very rare cir-
cumstances will the Marker not be applicable. This includes some projects that do not deal
directly with affected populations such as, for example, a technical training programme
for international staff. Only in cases such as this will the overall Resilience Mark be ‘not
applicable’” (ebd., S. 5). So werden internationale Entwicklungs- und Hilfsorganisationen
aufgefordert, zunehmend eine Resilienz-Perspektive auf diese Aktivitäten einzunehmen.

Definitionen 2

Kriterien zur Bewertung der Resilienz-Marker in ECHO-Anträgen (ECHO 2014, S. 4):


(1) Does the proposal include an adequate analysis of shocks, stresses and vulnerabili-
ties?*
(2) Is the project risk informed? Does the project include adequate measures to ensure
it does not aggravate risks or undermine capacities?*
(3) Does the project include measures to build local capacities (beneficiaries/local insti-
tutions)?*
(4) Does the project take opportunities to support long-term strategies to reduce hu-
manitarian needs, underlying vulnerability and risks?*
* Antwortmöglichkeiten: “Yes” oder “Not sufficiently”

6.2 Resilienz als entwicklungspolitische Praxis

Während internationale Organisationen Resilienz in der Projektplanung mit berücksich-


tigen sollen, sind es durchführende Organisationen vor Ort, die für die Umsetzung von
Resilienz verantwortlich sind: „Local Authorities and Civil Society Organisations (CSOs)
have, in particular, a fundamental role to play in fragile, crisis and risk-prone situations,
to safeguard vulnerable populations and communities, and as promoters and implement-
ers of local resilience strategies, including through the delivery of basic social services”
(European Commission, 2013, S. 2). Die Hauptverantwortung des resilient-Werdens bzw.
des resilient-Machens wird jedoch auf nationale Regierungen übertragen: „It is primarily
a national governments’ responsibility to build resilience and to define political, economic,
environmental and social priorities accordingly. Building resilience is a long-term process
that needs to be context appropriate and embedded in national policies and planning for
development” (ebd., S. 3). Staatliche und staatlich geführte systematische Ansätze zur
sozialen Sicherung bzw. Schutz vor Katastrophen sollen durch technische Unterstützung
und Capacity-building Maßnahmen seitens der Europäischen Union und den Mitglieds-
Viele Krisen, eine Antwort? 259

staaten in den betroffenen – oder identifizierten – Zielländern gefördert werden (ebd.,


S. 12). Eine weitere wichtige Rolle kommt schließlich privatwirtschaftlichen Akteuren zu:
„Innovation will be supported, as will collaboration with new partners at all levels and
in particular EU Member States, other bilateral and multilateral donors, local authorities,
civil society, and the private sector” (ebd., S. 5). So setzt die Europäischen Union auf
den Austausch und die Unterstützung von Unternehmen, um einen kompetitiven lokalen
Privatsektor in den betreffenden Ländern zu entwickeln, wodurch einerseits Kleinst- und
Kleinbetriebe, informelle Unternehmer und Hausgewerbe (cottage industry) in globale
Wirtschaftskreisläufe integriert werden sollen und andererseits ein Investitionsklima in
den Zielländern geschaffen werden soll, das öffentlich-private Partnerschaften und private
Investitionen anzieht (ebd., S. 14).
Auch das BMZ hebt die Kooperation zwischen nationalen Regierungen, dem Privat-
sektor und der Zivilgesellschaft hervor: Unter Federführung des BMZ wurde die Globa-
le Initiative Katastrophenrisikomanagement (GIKRM) ins Leben gerufen, mit dem Ziel,
„deutsche und regionale Expert/innen aus Staat, Privatwirtschaft, Zivilgesellschaft und
Wissenschaft in enge Verbindung zu bringen, um gemeinsam über Ländergrenzen hinweg
voneinander zu lernen, Lösungsansätze zu entwickeln und zu pilotieren.“ (BMZ 2015a,
S. 17). Ein Beispiel für ein solches Pilotprojekt ist die Initiative Hotel Resilient, das darauf
abzielt, die Resilienz des Tourismussektors gegenüber Katastrophenrisiken und Klima-
wandel im asiatisch-pazifischen Raum zu stärken. Dafür werden international anerkann-
te Standards, Richtlinien und Checklisten für Hotels und Resorts erarbeitet, durch die
Risiken beispielsweise gegenüber Naturereignissen, reduziert werden sollen. Dabei baut
Hotel Resilient auf „starke Partnerschaften mit Regierungsvertretern aus den Ministerien
für Tourismus und Katastrophenmanagement, mit dem Privatsektor (zum Beispiel Ho-
telverbände, Hotels und Resorts, und Reiseveranstalter) und der Zivilgesellschaft in den
aktuellen Fokus-Ländern Indonesien, Malediven, Myanmar, Philippinen und Thailand“
(ebd., S. 17). Somit wird laut des BMZ nicht nur potentiellen Hotelgästen, sondern auch
Versicherern und Investoren die Anpassungsfähigkeit gegenüber diesen Risiken demon-
striert und Sicherheit suggeriert, wodurch die Wirtschaftskraft des lokalen und regionalen
Tourismus erhöht werden soll.
Gerade den Versicherern kommt eine zentrale Bedeutung zu, auch zur individuellen
und nationalen Absicherung gegenüber Katastrophenrisiken. Die Europäische Union
betont in ihrem Resilienzansatz: „The EU will promote innovative approaches to risk ma-
nagement. Working with the insurance and re-insurance industries is a particularly prom-
ising way forward” (European Commission 2012, S. 12). In dem Aktionsplan wird folglich
dafür geworben, Risikofinanzierungen, wie sie u. a. von der Weltbank entwickelt wurden,
verstärkt in Programme mit einzubeziehen, beispielsweise in Form von Mikroversiche-
rungen. Diese Präventions- und Abwehrmaßnahmen sollen von Geberländern durch ein
kontinuierliches Monitoring überprüft werden (European Commission 2013). Auch hier
äußert sich das BMZ ähnlich: Mit Verweis auf die G7 Klimarisikoversicherungsinitia-
tive werden Klimarisikoversicherungen als effektives Mittel eines umfassenden Risiko-
managements konzipiert. In der Broschüre zum Katastrophenrisikomanagement heißt es:
260 Birgit Kemmerling und Amra Bobar

„Die Initiative hat das ambitionierte Ziel, die Zahl der direkt und indirekt Versicherten bis
2020 von rund 100 auf etwa 500 Millionen Personen zu erhöhen. Um dies zu erreichen,
setzt die Initiative auf einen umfassenden Ansatz der die nötigen Rahmenbedingungen für
Versicherungsmärkte in stark betroffenen Regionen und Ländern schafft“ (BMZ 2015a,
S. 18).
Resilienz wird sozusagen zu einer Anleitung zur Selbst-Regulierung, durch die natio-
nale Regierungen und die Bevölkerungen mehr Eigenverantwortung in ihrem Risikoma-
nagement übernehmen sollen, um eine effiziente Anpassung an zukünftige Krisen und
Katastrophen zu erreichen. Dies soll wiederum durch die Stärkung privatwirtschaftlicher
und zivilgesellschaftlicher Akteure in den Zielländern geschehen. Geber wie die Europä-
ische Union, die Bundesrepublik Deutschland oder auch internationale Organisationen
und Finanzinstitutionen werden gleichzeitig zu Initiatoren und Kontrolleuren von Re-
formen, beispielsweise durch ein konstantes Monitoring und der Evaluierung von Pro-
grammen. Problematisch sind damit nicht nur die bereits herausgestellten entpolitisierten
Risikowahrnehmungen und Resilienzkonzeptionen, sondern die sich daran anschließen-
den neoliberalen Praktiken zur Resilienzstärkung. So argumentiert Grove (2012) anhand
seiner Analyse der Caribbean Catastrophic Risk Insurance Facility (CCRIF), dass die
Risikoversicherungen nationaler Regierungen eine Finanzialisierung des Katastrophen-
managements begünstigten, wodurch ungewisse Zukünfte für die internationale Versi-
cherungs- und Finanzindustrie profitabel werden. Dagegen bedeuten diese Risikoversi-
cherungen oftmals nur eine begrenzte Linderung des Leids für die von einer Katastrophe
betroffene Bevölkerung (vgl. Grove 2012; siehe auch Collier 2014; Lobo-Guerrero 2014).

7 Resilienz als entwicklungspolitische Strategie

Eine Untersuchung der Dokumente gibt ebenso einen Hinweis darauf, dass die Geberlän-
der bzw. – Institutionen nicht nur Resilienz als effiziente Managementtechnik von Emp-
fängerstaaten und -organisationen einfordern, sondern selbst unter Reformdruck stehen.
Wagner und Anholt (2016) vermuten, dass Resilienz als Rechtfertigung dafür dienen kön-
ne, die bisherige finanzielle Unterstützung für die sogenannten Partnerländer zu reduzie-
ren: „The concurrence of the rapid rise of resilience and Europe’s financial and budgetary
crises may just be a coincidence. Nevertheless, from a finance ministry’s point of view,
there may be no better concept for the EU’s external relations than resilience because
budget cuts can easily be justified by more humble aims and by the prime responsibility
of the addressee” (Wagner und Anholt 2016, S. 425). Tatsächlich betont die Europäische
Kommission an mehreren Stellen sowohl in ihrem Resilienzansatz als auch in dem Ak-
tionsplan, dass die globalen Kosten der multiplen Risiken und Krisen die Möglichkeiten
der internationalen Entwicklungszusammenarbeit und Humanitären Hilfe weit überstei-
gen: „The costs of disasters are rising and become increasingly unaffordable” (European
Commission 2013, S. 2) und: „Over recent years the demands for […] assistance have
increased substantially – far outstripping the resources available” (European Commission
Viele Krisen, eine Antwort? 261

2012, S. 2). In beiden Dokumenten wird auf den zunehmenden Druck seitens der Finanz –
und Wirtschaftskrise hingewiesen, Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe
möglichst kosteneffizient zu gestalten: „In times of economic crisis it is more important
than ever to ensure that EU aid is effective, efficient and is focused on results” (Euro-
pean Commission 2013, S. 3) oder: “When the world is experiencing an economic and
budgetary downturn, the budgets of both partner countries and donors are coming under
increased pressure to show that they deliver the maximum impact for the funds that are
made available” (European Commission 2012, S. 3). Auch das BMZ rückt eine effiziente
Mittelverwendung in den Mittelpunkt seiner Strategie (vgl. BMZ 2013, S. 10).
Dabei geht es nicht nur um mehr benötigte Mittel, sondern auch um weniger verfügbare
Mittel als geplant. So sind die von der Europäischen Union und deren Mitgliedsstaaten
verausgabten Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit hinter dem vereinbarten Ziel
zurückgeblieben, bis zum Jahr 2015 ihre Ausgaben für die Entwicklungszusammenar-
beit auf 0,7 % des Bruttonationaleinkommens (BNE) zu erhöhen. Zwar haben sich die
Ausgaben6 der 28 Mitgliedsstaaten bis zum Jahr 2015 in absoluten Zahlen auf über 62
Mrd. Euro erhöht; dies entspricht jedoch lediglich 0,44 % des BNE (CONCORD 2016).
Kürzungen wurden vor allem von den am stärksten durch die Euro-Krise betroffenen
Ländern vorgenommen: Griechenland, Spanien, Portugal, und Irland. Allerdings kürzten
auch andere Staaten ihre Beiträge, mit Verweis auf ihre Wirtschaftslage oder aufgrund po-
litischer Prioritätenverschiebungen; dazu gehörten Österreich, Belgien, Finnland, Frank-
reich, Deutschland, und die Niederlande (CONCORD 2013). Zwar kündigte das BMZ
2015 auf seiner Homepage unter der Überschrift „Höchste Steigerung und höchster Etat
in der Geschichte des Entwicklungsministeriums“ an (BMZ 2015b), dass bis zum Jahr
2019 8,3 Mrd. Euro zusätzlich bereit gestellt werden; diese Zusage wurde jedoch von
einer Neuberechnung begleitet, wonach vermehrt Kosten für Flüchtlingshilfen innerhalb
Deutschlands aus diesem Instrument bezahlt werden können (CONCORD 2016).
Diese Kürzungen oder das Stagnieren von Geldern für Entwicklung und Humanitäre
Hilfe betrafen sowohl bilaterale Hilfen der einzelnen Mitgliedstaaten an die Partnerländer
als auch die bereitgestellten Mittel durch die Europäische Kommission. Als in den Jahren
2013 und 2014 Mitgliedsstaaten nicht die Hilfsgelder zahlten, zu denen sie sich zuvor
verpflichtet hatten, führte dies zu einer Finanzierungslücke von 400 Millionen Euro im
Bereich der humanitären Hilfe und Katastrophenschutz, durch die humanitäre Hilfslei-
stungen verzögert wurden (Neslen 2014). Auch Schulden der EU in 2014 und vorausge-
sagte Kürzungen für das Budget 2015 betrafen sowohl Programme der humanitären Hilfe
als auch Entwicklungszusammenarbeit (Barbière 2014). Vor diesem Hintergrund kommt
der Kosteneffektivität von Resilienz, wie sie bereits im Resilienzansatz der Europäischen
Union im Jahr 2012 betont wurde, eine wichtige Bedeutung zu: „Investing in resilience is

6 Gesamtausgaben umfassen die tatsächlich bereitgestellten Mittel aller EU-Mitgliedstaaten, sowohl


bilateral verausgabte Mittel eines Mitgliedstaats als auch Mittel, die an die EU gezahlt wurden.
262 Birgit Kemmerling und Amra Bobar

cost effective. Addressing the root causes7 of recurrent crises is not only better, especially
for the people concerned, than only responding to the consequences of crises, it is also
much cheaper” (European Commission 2012, S. 3). Resilienz bietet demnach nicht nur
eine Antwort auf diverse Risiken und Krisen in den Ländern des globalen Südens, son-
dern auch auf die Finanzkrise und den Reformdruck innerhalb einiger Geberländer und
-institutionen selbst.

8 Fazit

Dieser Beitrag nimmt, unter Rückgriff auf Foucaults Konzept der Gouvernementalität,
eine kritische Perspektive auf die Nutzung des Resilienzbegriffs in entwicklungspoliti-
schen Programmen der Europäischen Union und des BMZ ein. Wir haben herausgestellt,
dass die konzeptionelle Unschärfe, aber positive Assoziation des Resilienzbegriffs, seine
Nutzung im Sinne einer neoliberalen Rationalität begünstigt, welche auf spezifischen Ri-
sikowahrnehmungen beruht. Resilienz dient damit als Antwort darauf, die identifizierten
und kalkulierten Bedrohungsszenarien ungewisser Zukünfte durch marktwirtschaftliche
Reformen in den Ländern des globalen Südens zu regieren. Damit einher geht jedoch
ebenfalls die Tendenz zur Rationalisierung der Finanzierungen innerhalb der Geberländer
und -institutionen selbst. Warum ist solch eine Perspektive relevant? Wir argumentieren,
dass mit dem Ansatz der Gouvernementalität nicht im Vordergrund steht, was Resilienz
ist oder sein könnte, sondern wie es genutzt wird – in welche spezifischen Rationalitäten es
eingebettet ist und welche konkreten Praktiken oder Techniken damit einhergehen. Dabei
wird deutlich, dass gerade die vielfältige Nutzbarkeit des Resilienzbegriffs seine begrenz-
te Nützlichkeit offenbart: Jenseits der Potentiale, die Resilienz als lösungsorientierter An-
satz bergen könnte, stellt sich die Frage, wer Resilienz wie und für welchen Zweck nutzbar
macht und welche Praktiken dadurch legitimiert werden. Resilienz als Konzept kann ver-
schiedene, sogar kontroverse Funktionen erfüllen, erweist sich unseres Erachtens jedoch
nicht als innovativer Rahmen, um entwicklungspolitische Fragen, beispielsweise zur Ar-
mutsbekämpfung, Ernährungssicherung und Friedenssicherung neu anzugehen.

7 An dieser Stelle wird nicht weiter spezifiziert, was laut der Europäischen Union die Ursachen der
zuvor identifizierten Risiken und Krisen sind.
Viele Krisen, eine Antwort? 263

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Resilienz in regionalen Energietransitionen
Versuch einer Konzeptualisierung
aus institutionentheoretischer Perspektive

Michael Jedelhauser und Anne von Streit

Zusammenfassung

Im Rahmen einer empirischen Fallstudie zu regionalen Energiewendeprozessen im


bayerischen Allgäu geht das Kapitel der Frage nach, wie Akteure in sozio-technischen
Systemen mittels sozialer Praktiken Wandel gestalten. Die Ziele des Beitrags sind (i)
die Dynamiken der regionalen Energietransition im Allgäu aus Akteursperspektive
nachzuvollziehen, (ii) die institutionellen Praktiken der Akteure zu identifizieren und
(iii) zu untersuchen, wie sich diese Praktiken auf die Resilienz des Transitionsprozes-
ses auswirken. Zu diesem Zweck wird das Multi-Phasen-Modell der sozio-technischen
Transitionsforschung mit Ansätzen aus der evolutionären Resilienzforschung kombi-
niert und mit Hilfe des Konzepts der institutionellen Arbeit aus der Neo-Institutio-
nentheorie um einen praxistheoretischen Ansatz erweitert. Die Ergebnisse zeigen, wie
regionale Akteure seit den 1990er Jahren institutionellen Wandel in Richtung eines
dezentralen regionalen Energiesystems gestalten und auf unterschiedliche Weise auf
regionsinterne und -externe Störungen des Transitionsverlaufs reagieren.

267
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2018
M. Karidi et al. (Hrsg.), Resilienz,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-19222-8_14
268 Michael Jedelhauser und Anne von Streit

1 Einleitung

Gesellschaftlicher Wandel erfolgt in der Regel nicht linear, teleologisch oder gar deter-
ministisch, sondern wird durch soziale Praktiken gestaltet und ist durch ein dynamisches
und kontingentes Wechselspiel von Wachstums-, Stagnations-, Rückgangs- und Konsoli-
dierungsphasen gekennzeichnet (Geels et al. 2016).
Ein gegenwärtig intensiv diskutiertes Beispiel eines sozio-technischen Wandlungspro-
zesses ist die als Energiewende bezeichnete Transition1 des deutschen Energiesystems.
Neben dem vollständigen Ausstieg aus der Kernenergie bis zum Jahr 2022 sollen laut
Beschluss der Bundesregierung bis zum Jahr 2050 mindestens 60 % des Bruttoendener-
gieverbrauchs und 80 % der Stromversorgung durch erneuerbare Energien gedeckt werden
(BMWi 2016). Diese grundlegende Umstrukturierung des Energiesystems erfordert nicht
nur die Entwicklung und Implementierung technologischer Innovationen, sondern auch
soziale Transitionsprozesse, z. B. in Governance-, Produktions-, Konsum- und Mobilitäts-
mustern (Truffer 2013). Aufgrund seiner Neuartigkeit und seines Ausmaßes ist dieser so-
zio-technische Wandlungsprozess mit vielen Unsicherheiten behaftet, die sich sowohl auf
die Frage nach der Struktur des zukünftigen Energiesystems hinsichtlich seines Grades
an Dezentralität und Zentralität2 als auch auf die Frage, mit welchen Mitteln der Prozess
gesteuert werden kann und soll, beziehen. Einen allumfassenden Masterplan kann es hier-
für nicht geben, sondern es sind Such- und Experimentierprozesse notwendig, die immer
wieder mit den sich wandelnden sozio-politischen Rahmenbedingungen sowie technolo-
gischen Entwicklungen in Einklang gebracht werden müssen (Beermann und Tews 2015).
Ein wichtiges Experimentierfeld für die Transition des deutschen Energiesystems ist
die regionale Ebene, von der innovative Impulse für eine dezentrale Gestaltung der Ener-
giewende ausgehen (Kunze 2013; Gailing und Röhring 2016). Aufgrund des größeren
Flächenangebots findet der Ausbau erneuerbarer Energien bislang vorwiegend im länd-
lichen Raum statt und geht mit einer Dezentralisierung der Erzeugungsstruktur, einer Di-
versifikation der Eigentümerstruktur sowie Veränderungen in der Akteurslandschaft im
Energiesystem einher (Becker et al. 2012; Klagge und Brocke 2012). Stadt- und Gemein-
dewerke, regionale Energieversorgungsunternehmen und Kommunen werden verstärkt

1 Da sich der vorliegende Beitrag auf Ansätze aus der sozio-technischen Transitionsforschung be-
zieht, wird zur Beschreibung fundamentaler systemischer Veränderungen durchgehend der Begriff
der Transition herangezogen. Auf den in diesem Kontext ebenfalls häufig verwendeten Begriff der
Transformation wird aus Gründen der Einheitlichkeit verzichtet.
2 Es gibt grundsätzlich zwei Ausbaupfade: Die zentrale Ausbaustrategie setzt vornehmlich auf eine
Stromerzeugung durch Großanlagen (wie Offshore-Windkraftparks) und ist mit dem Ausbau des
Übertragungsnetzes über lange Distanzen verbunden. Argumente hierfür sind Versorgungssicher-
heit und eine stärkere europäische Vernetzung des Strommarktes (EU) zur effizienteren Nutzung
erneuerbarer Energien. Die dezentrale Strategie setzt auf eher kleinteilige Anlagen, Verbraucher-
nähe und eine Diversifizierung der Eigentümerverhältnisse. Hierfür sprechen Aspekte der regio-
nalen Wertschöpfung (Arbeitsplätze im Energiesektor, Gewerbesteuereinnahmen) sowie der öko-
nomischen und politischen Teilhabe von Kommunen und Bürger*innen an Energiewendeprozessen
(Baasch 2016).
Resilienz in regionalen Energietransitionen 269

als potentielle Treiber der Energiewende wahrgenommen (Graf et al. 2013; Klagge und
Brocke 2013). Bürger*innen nehmen als Prosumenten, d. h. als Energieproduzenten und
-konsumenten (Aretz et al. 2016) sowie über Beteiligungsmodelle wie Energiegenossen-
schaften eine neue Rolle ein (Yildiz et al. 2015). Im Zeitraum von 2008 bis 2013 wurden
über 600 Energiegenossenschaften in Deutschland neu gegründet (Klagge et al. 2016).
Gegenwärtig sehen sich die regionalen Initiativen und Akteure mit verschiedenen
Hemmnissen konfrontiert, die den dezentralen Ausbau erneuerbarer Energien verlang-
samen. Auf Bundesebene wurde die Einspeisevergütung durch die mehrfachen Novellie-
rungen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) für erneuerbare Energien schrittweise
reduziert, was zu einem Rückgang der Ausbauraten, insbesondere von Photovoltaik (PV)-
und Biogasanlagen, führte. Mit der Novellierung des EEG 2017 werden die inzwischen
festgeschriebenen jährlichen Zubaukapazitäten erneuerbarer Energien in Form eines Aus-
schreibungsverfahrens an die kostengünstigsten Bewerber vergeben. Dies kann zu einer
Benachteiligung kleiner dezentraler Initiativen und Akteure, wie z. B. Genossenschaften,
Kommunen oder Einzelpersonen, gegenüber finanzstarken, überregional tätigen Akteuren
führen (Ohlhorst 2016) und den aufgrund der reduzierten Einspeisevergütung ohnehin
bereits erfolgten Rückgang von Bürgerbeteiligungsmodellen weiter manifestieren (Klagge
et al. 2016). Auf Landesebene schränkt die seit 2014 geltende bayerische 10H-Regelung,
wonach neue Windkraftanlagen „einen Mindestabstand vom 10-fachen ihrer Höhe zu
Wohngebäuden […] einhalten“ (Freistaat Bayern 2015) müssen, den Ausbau der Wind-
kraft erheblich ein.
Angesichts dieser Entwicklungen stellt sich die Frage, wie resilient der Prozess einer
dezentralen Transition des Energiesystems gegenüber den hemmenden Rahmenbedingun-
gen ist. Kommt der Transitionsprozess zum Erliegen oder finden die Akteure Strategien,
um mit den derzeitigen Hemmnissen umzugehen? Die These des vorliegenden Beitrags
ist, dass die Resilienz regionaler Energiewendeprozesse davon abhängt, ob es den Akteu-
ren vor Ort gelingt, den Transitionsprozess in institutionalisierte Strukturen zu überführen
und diese an sich verändernde Rahmenbedingungen anzupassen. Im Rahmen einer empi-
rischen Fallstudie wird am Beispiel dezentraler Energiewendeprozesse in der Region des
bayerischen Allgäus diese These überprüft. Die Ziele des Beitrags sind, (i) die Dynamiken
der regionalen Energietransition im Allgäu aus Akteursperspektive nachzuvollziehen, (ii)
die institutionellen Praktiken, die Akteure in den einzelnen Transitionsphasen einsetzten,
zu identifizieren und (iii) zu untersuchen, wie sich diese Praktiken auf die Resilienz des
Transitionsprozesses auswirken. Für die Untersuchung werden systemwissenschaftliche
Ansätze aus der sozio-technischen Transitionsforschung und der Resilienzforschung mit
dem praxisorientierten Konzept der institutionellen Arbeit aus der Neo-Institutionentheo-
rie kombiniert.
270 Michael Jedelhauser und Anne von Streit

2 Theoretische Ansätze zur Untersuchung von Wandel

2.1 Sozio-technische Transitionsforschung

Die Transitionsforschung geht davon aus, dass angesichts tiefgreifender globaler ökologi-
scher, ökonomischer und sozialer Herausforderungen inkrementelle Veränderungen und
Anpassungen nicht ausreichen, um nachhaltige sozio-technische Systeme zu entwickeln.
Es bedarf daher Nachhaltigkeitstransitionen, die Markard et al. (2012, S. 956) als “long-
term, multi-dimensional, and fundamental transformation processes through which es-
tablished socio-technical systems shift to more sustainable modes of production and con-
sumption” beschreiben. Sozio-technische Systeme bestehen aus sozialen und materiellen
Elementen, die sich im Laufe der Zeit zu stabilen Konfigurationen entwickelt haben, die
gesellschaftliche Bedürfnisse befriedigen (Fuenfschilling und Truffer 2014). Das sozio-
technische System Energie beispielsweise erfüllt seine Funktion, die Gesellschaft mit
Energie zu versorgen, durch das multi-skalare Zusammenspiel von u. a. Politiken, Tech-
nologien, Kulturen und Märkten. Die Basis dieses Forschungszweigs ist das Verständnis
von Transitionen als sozio-technischen Wandel, d. h. paralleler, sich in gegenseitiger Ab-
hängigkeit entwickelnder sozialer und technologischer Veränderungen. Kernelement der
Transitionsforschung ist die Unterscheidung in Regime und Nischen, deren jeweilige Ent-
wicklung und interdependentes Zusammenspiel den Verlauf einer Transition bestimmen
(Kemp et al. 1998; Geels 2002; Smith und Raven 2012). Regime stellen die dominierende
Funktionsweise eines sozio-technischen Systems dar. Sie bilden den Status Quo institu-
tionalisierter und sozial eingebetteter Systemstrukturen und entwickeln sich vorrangig
inkrementell entlang etablierter Entwicklungspfade. Das Regime besteht aus einer Reihe
semi-kohärenter Regeln, die das Handeln von Akteuren leiten, wie z. B. kognitive Rou-
tinen, geteilte Ansichten, Nutzerpraktiken und legal bindende Regelwerke (Geels 2011).
Diese Regeln garantieren die Stabilität des Regimes. In Transitionen werden bestehende
Regime und deren Regeln durch neue sozio-technische Alternativen destabilisiert und ab-
gelöst. Nach dem Verständnis der Transitionsforschung entwickeln sich diese Alternativen
zunächst in Nischen, d. h. in vor dem Regime geschützten Räumen, und erlangen dort eine
ausreichende Reife, um sich schließlich mit bestehenden Regimen zu messen (Smith und
Raven 2012). Auch wenn dieser streng dichotomische Ansatz in jüngeren Beiträgen parti-
ell aufgelöst wurde (Geels et al. 2016), wurde er in verschiedenen Bereichen innerhalb der
Transitionsforschung aufgegriffen und weiterentwickelt.3

3 Vier Ansätze, die sich innerhalb der Transitionsforschung herausgebildet haben, sind zu nennen:
multi-level perspective (MLP) (Geels 2002), technological innovation systems (TIS) (Hekkert et
al. 2007), strategic niche management (SNM) (Kemp et al. 1998) und transition management (TM)
(Kern und Smith 2008). Während MLP und TIS vor allem historische oder gegenwärtig ablaufende
Transitionen untersuchen, um Verlaufsmuster, Erfolgsfaktoren, Treiber und Hindernisse von Tran-
sitionen zu identifizieren und Handlungsoptionen abzuleiten, orientieren sich SNM und TM stärker
an Governance-Fragen und befassen sich mit der Stimulierung und Steuerung von Transitionen.
Resilienz in regionalen Energietransitionen 271

Ein idealtypischer Transitionsverlauf lässt sich nach Rotmans et al. (2001) in vier Pha-
sen einteilen. In der Vorentwicklungsphase werden erste Nischenaktivitäten initiiert, die
sich jedoch noch nicht auf den Status Quo des Systems niederschlagen. Die Take-off-
Phase ist durch erste Veränderungsprozesse des Systemzustands gekennzeichnet, die sich
in der Beschleunigungsphase in einem sichtbaren strukturellen Wandel äußern. In der
Stabilisierungsphase verlangsamt sich der Transitionsprozess und das neue System festigt
sich. Die Transition des sozio-technischen Systems ist als kontingenter Prozess zu ver-
stehen, in dem sich die Geschwindigkeit und Dauer der einzelnen modellhaften Phasen
erheblich unterscheiden können. Während erste Nischenentwicklungen in geeigneten Ge-
legenheitsfenstern (windows of opportunity) zügig erfolgen können, sind deren Diffusion
und ein damit einhergehender fundamentaler Wandel etablierter sozio-technischer Re-
gimestrukturen als langwieriger und gradueller Prozess zu betrachten. Allerdings können
systemexterne Ereignisse oder Megatrends, wie z. B. die Katastrophen von Tschernobyl
oder Fukushima oder eine Ölkrise, die Transition maßgeblich beschleunigen.
Einerseits betonen Rotmans und Loorbach (2010) zwar, dass das Multi-Phasen-Modell
nicht deterministisch als Blaupause eines Transitionsverlaufs zu verstehen ist, sondern
dass dieser durch Lock-in-Effekte, Rückschläge und Krisen auch unvorhergesehene Wen-
dungen bis hin zum Scheitern der Transition einschlagen kann. Andererseits bietet die
Transitionsforschung keine explizite Konzeptualisierung des Zusammenspiels von Kri-
sen und Transitionen sozio-technischer Systeme. Um zu untersuchen, auf welche Weise
Systeme und Systementitäten auf interne und externe Störungen reagieren und dadurch
Transitionsverläufe gestaltet werden, wird im Folgenden die Transitionsforschung um re-
silienztheoretische Konzepte ergänzt.

2.2 Resilienzforschung

Auch die Resilienzforschung befasst sich mit gesellschaftlichem Wandel, rückt jedoch
nicht normative Systemtransitionen in Richtung Nachhaltigkeit in den Fokus, sondern
untersucht Wandel als eine mögliche Reaktion eines Systems auf Störungen (Wink 2016).
Da diese als unvermeidlich erachtet werden, behandelt die Resilienzforschung nicht de-
ren Verhinderung, sondern „das Lernen, gegen Störungen weniger anfällig zu sein und
mit Veränderungen besser zurechtzukommen“ (Schneider 2015, S. 121). Eine einheitliche
Definition des Resilienzbegriffes existiert aufgrund seiner Verwendung in einem weiten
Feld unterschiedlicher Forschungsdisziplinen nicht. Für die Untersuchung der regionalen
Energietransition im Allgäu erscheint die evolutionäre Resilienzperspektive (Simmie und
Martin 2010; Martin und Sunley 2014; Boschma 2015) aus zwei Gründen als geeignet.
Zum einen verfügt sie aufgrund ihres Ursprungs in der evolutionären Wirtschaftsgeo-
graphie über einen expliziten Raumbezug, der es erlaubt, die Resilienz regionaler Systeme
in den Fokus zu rücken. Die Untersuchungseinheit bisheriger empirischer Arbeiten der
evolutionären Resilienzforschung sind meist regionale Ökonomien, die dynamischen Rah-
menbedingungen, z. B. unerwarteten regionsexternen Schocks, unterliegen. Die Resilienz
272 Michael Jedelhauser und Anne von Streit

dieser Regionalsysteme im Sinne einer Erhaltung der wirtschaftlichen Funktionsfähigkeit


und langfristigen regionalen Entwicklung hängt in der Folge von ihrer Fähigkeit zu An-
passung und Transformation ab (Martin 2012). Würde eine regionale Ökonomie dauerhaft
an einem bestimmten Wachstumspfad festhalten – ungeachtet sich wandelnder Bedin-
gungen –, führte dies zu einem Verlust an Resilienz und folglich zu einem Verlust ihrer
Wettbewerbsfähigkeit. Martin (2012) unterscheidet hierbei vier Dimensionen regionaler
Resilienz: Resistenz bezieht sich auf die Widerstandsfähigkeit oder Vulnerabilität einer
Region gegenüber Störungen und Krisen. Erholung beschreibt die Geschwindigkeit und
die Art der Erholung von Krisen. Re-Orientierung betrachtet, wie sich das Regionalsys-
tem strukturell anpasst und Erneuerung rückt die Fähigkeit einer Region in den Fokus,
neue Strukturen aufzubauen und neue Wachstumspfade zu verfolgen. An dieser Stelle ist
wichtig zu betonen, dass der vorliegende Beitrag nicht die Resilienz eines Systems, son-
dern einer sozio-technischen Transition untersucht. Für den hier behandelten Fall bedeutet
dies, dass nicht die Resilienz des Allgäuer Energiesystems, sondern des institutionellen
Wandels im Sinne einer nachhaltigen Umgestaltung des Systems im Mittelpunkt des In-
teresses steht. Dennoch lassen sich Erkenntnisse aus der systemorientierten evolutionären
Resilienzforschung auf die Untersuchung von Transitionen übertragen. Auch diese sind
sich verändernden Umfeldbedingungen ausgesetzt, auf die sie in Form von Anpassung
und Transformation reagieren müssen.
Der zweite Mehrwert der evolutionären Resilienzperspektive leitet sich aus ihrem Sys-
tem- und Transformationsverständnis ab. Während ingenieurwissenschaftliche Ansätze
Systeme als resilient definieren, wenn diese nach Bewältigung von Störungen in ihren
vorherigen Systemzustand zurückkehren, sind aus evolutionärer Perspektive Systeme
auch dann resilient, wenn sie auf die Störungen mit einer Transformation, d. h. einer Ver-
änderung der Systemstruktur, reagieren. Von der ökologischen Perspektive unterscheidet
sich das evolutionäre Verständnis wiederum durch seine Abkehr von der Gleichgewichts-
orientierung. Demnach benötigen nicht per se alle Systeme für ihre langfristige Erhaltung
stabile Equilibria (Strambach und Klement 2016). Stattdessen ist die Resilienz das Ergeb-
nis von Praktiken sozialer Akteure, die durch Lernprozesse, Kreativität, Innovationen und
Anpassungen Systeme einem stetigen Wandel entlang kontingenter Entwicklungspfade
unterziehen (Simmie und Martin 2010). Boschma (2015, S. 743) betont hierbei die Bedeu-
tung von „key institutional agents“. Handlungstheoretisch gewendet, hängt die Resilienz
der Transition also letztendlich von den Entscheidungen und Handlungen der Akteure
ab, die den regionalen Transitionsprozess durch ihre Praktiken gestalten. Nicht das Sys-
temgleichgewicht, sondern die Aufrechterhaltung der Funktionalität des Systems ist die
Zieldimension der evolutionären Perspektive (Simmie und Martin 2010; Strambach und
Klement 2016). In diesem Punkt wird die Vereinbarkeit der evolutionären Resilienz- und
der Transitionsforschung deutlich, da sich auch Letztere mit kontingenten Wandlungs-
prozessen befasst, in deren Verlauf mittels sozialer Praktiken die Systemstruktur durch
die Ablösung sozio-technischer Regime verändert wird, die Funktionalität des Systems
jedoch erhalten bleibt.
Resilienz in regionalen Energietransitionen 273

Sowohl die Transitions- als auch die Resilienzforschung liefern geeignete Ansätze zur
Analyse von Transitionsdynamiken. Allerdings werden beide Ansätze für ihre mangelnde
Konzeptualisierung von agency kritisiert (für die Transitionsforschung z. B. Smith et al.
2005; Genus und Coles 2008; Lawhon und Murphy 2012; Markard et al. 2012; für die Re-
silienzforschung z. B. Bristow und Healy 2014). Aus diesem Grund führen wir als dritten
konzeptuellen Baustein die Neo-Institutionentheorie und hierbei konkret den Ansatz der
institutionellen Arbeit ein. Dieses Komplement erkennt (institutionellen) Wandel als Er-
gebnis sozialer Praktiken an und bietet einen praxisorientierten Ansatz zur Untersuchung
der Rolle von agency in Wandlungsprozessen.

3 Institutionelle Arbeit als Ansatz zur Analyse von Praktiken


in Transitionsprozessen

Trotz der „institutionellen Wende“, die den Einzug institutionentheoretischer Ansätze in


unterschiedliche Forschungsdisziplinen beschreibt, fehlt eine einheitliche Definition des
gemeinsamen Schlüsselbegriffs (Senge 2011). Der Organisationssoziologe Richard Scott
vereint in seinem Drei-Säulen-Modell die wichtigsten Aspekte unterschiedlicher Ansätze.
Demnach sind Institutionen nicht nur mehr oder weniger feste Regeln und Normen, son-
dern vielmehr “multifaceted, durable social structures, made of symbolic elements, social
activities and material resources“ (Scott 2001, S. 49), die die Gesellschaft stabilisieren und
das Handeln von Akteuren leiten, indem sie bestimmte Aktivitäten ermöglichen und an-
dere einschränken. Scott (2001) beschreibt drei gleichberechtigt nebeneinander stehende
Säulen, auf denen Institutionen aufbauen: Die regulative Säule bezieht sich auf formelle
Regeln, Gesetze und Sanktionen. Die normative Säule umfasst Werte und Normen und äu-
ßert sich in Erwartungen für angemessenes Verhalten. Die kulturell-kognitive Säule beruft
sich auf die als selbstverständlich erachteten Anschauungen, Bedeutungen, Symbole und
den gemeinsamen kognitiven Rahmen, durch den Akteure die Welt wahrnehmen (Scott
2001). Diesem Verständnis folgend wird die Nähe von Institutionen- und Transitionstheo-
rie deutlich. Institutionen im Sinne von Regeln garantieren die Stabilität sozio-technischer
Regime (siehe 2.1.). Für die Destabilisierung und letztendliche Ablösung des bestehenden
Regimes – in vorliegenden Fall des fossil-nuklearen Energiesystems – müssen Institutio-
nen verändert werden. Transitionen sind demnach als institutionelle Wandlungsprozesse
zu verstehen (Fuenfschilling und Truffer 2016).
Roland (2004, S. 16) betont die unterschiedlichen Geschwindigkeiten institutionellen
Wandels und differenziert zwischen “slow-moving” (z. B. kulturell-kognitiv) und “fast-
moving” (z. B. regulativ) Institutionen. Ferguson et al. (2013) verknüpfen Aspekte der
Transitions- und Institutionentheorie und führen aus, dass Institutionen, die auf der kultu-
rell-kognitiven Säule fußen, am tiefsten verankert und dadurch am schwierigsten zu verän-
dern seien, wohingegen es für den Wandel regulativ basierter Institutionen des geringsten
Aufwandes bedürfe. Bathelt und Glückler (2014) betonen die Bedeutung institutioneller
Hysterese, die auftreten kann, wenn eigentlich überholte Institutionen trotz besserer Alter-
274 Michael Jedelhauser und Anne von Streit

nativen aufgrund von Lock-ins und Pfadabhängigkeiten fortbestehen und dadurch (institu-
tionellen) Wandel behindern. Vor diesem Hintergrund weist Boschma (2015) auf die enge
Verbindung zwischen Institutionen und Resilienz hin. Demnach verfügen jene Regionen
über hohe Resilienz, deren institutionelle Strukturen einerseits als stabile Grundlage für
regionale Entwicklung fungieren und andererseits Veränderungen in Form von Anpassun-
gen oder radikalem Wandel erlauben.
Institutionen bzw. institutioneller Wandel sind reflexive, multi-skalare Phänomene, die
sowohl durch Abwärts-Kausalitäten, z. B. durch die Verabschiedung von Gesetzen auf
nationaler Ebene, als auch durch Aufwärts-Kausalitäten, z. B. mittels lokaler Pionierakti-
vitäten, erzeugt werden können (Bathelt und Glückler 2014). Institutioneller Wandel wird
durch soziale Praktiken bestimmt (North 1990) und ist demnach “the product (intentional
or otherwise) of purposive action” (Lawrence und Suddaby 2006, S. 216). Das Konzept
der institutionellen Arbeit greift dieses Verständnis explizit auf und bietet einen Ansatz,
um zu untersuchen, wie Akteure ihren institutionellen Kontext gestalten. Es hat seinen
Ursprung bei Lawrence und Suddaby (2006) und basiert sowohl auf neo-institutionen-
theoretischen Arbeiten (DiMaggio 1988; Oliver 1991, 1992) als auch auf Ansätzen aus
der Praxistheorie (u. a. Bourdieu 1977; Giddens 1984). In Abgrenzung zu konventionellen
Konzepten der Institutionentheorie, die sich vorrangig mit Phänomenen auf der Makro-
ebene auseinandersetzen, rückt die institutionelle Arbeit die Mikroebene in das Zentrum
des Untersuchungsinteresses und “describes the practices of individual and collective ac-
tors aimed at creating, maintaining, and disrupting institutions” (Lawrence et al. 2011,
S. 52). Dieser Ansatz ermöglicht die Analyse verschiedener Typen von Praktiken, mit
denen die Akteure Bedeutungen, Ansichten, Regeln oder Standards konstruieren und da-
durch die Dynamik von institutionellem Wandel beeinflussen.
Induktiv abgeleitet entwickelten Lawrence und Suddaby (2006) eine Kategorisierung
institutioneller Arbeit, die sich an den drei Säulen nach Scott (2001) orientiert und zahl-
reiche Unterkategorien aufweist. Tabelle 1 zeigt die insgesamt 16 Typen institutioneller
Arbeit mittels derer Institutionen erschaffen, erhalten und zerstört werden. Diese Kate-
gorisierung ist nicht normativ in dem Sinne zu verstehen, dass die Erhaltung bestehender
Institutionen ein per se anzustrebendes Ideal und die Zerstörung von Institutionen per se
negativ konnotiert wäre. Im Kontext institutionellen Wandels und konkret sozio-techni-
scher Nachhaltigkeitstransitionen ist vielmehr das Ersetzen bestehender, regimeerhalten-
der durch transitionsfördernde Institutionen eine Grundvoraussetzung für Wandel. Aber
auch ein ausgehend von neuen Institutionen eingeschlagener Transitionspfad muss durch
die Schaffung und Zerstörung von Institutionen auf einen sich stetig verändernden Tran-
sitionskontext reagieren.
Tabelle 1 Die Kategorien institutioneller Arbeit nach Lawrence & Suddaby (2006)
Säule Erschaffen von Institutionen Erhalten von Institutionen Zerstören von Institutionen
Regulativ- Mobilisieren Mobilisierung politischer und regulativer Ermög- Strukturierung von Praktiken Aushebeln Lösen der Anreiz- und
politisch Unterstützung (z. B. durch Lobbying, lichen von durch Regeln, die Routinen der Anreize Sanktionsmechanismen
Gerichtsverfahren, Werbung) Arbeit unterstützen und ergänzen und Sank- von Praktiken, Techno-
(z. B. Steuern, Autorität) tionen logien oder Regeln
Festschreiben Schaffung von Regelsystemen durch Rollen- Über- Einführung von Zwang-, Kon-
verteilung (z. B. Status, Mitgliedschaften, wachen troll-, Monitoring-, Anreiz-
Identität, Hierarchien, Verantwortlichkeiten) und Sanktionsmechanismen
Bevollmächtigen Schaffung von Regelsystemen, die Ver- Ab- Erzwingung der Einhaltung
fügungsrechte gewähren (z. B. Eigentums- schrecken von Institutionen durch
rechte) Machtausübung
Normativ Erschaffen von Definition der Beziehung zwischen einem Wert- Hervorhebung von Positiv- Lösen Entkopplung bestehen-
Identitäten Akteur und seinem (Arbeits-)Feld (z. B. schätzen und Negativbeispielen, um moralischer der moralischer Motive
Resilienz in regionalen Energietransitionen

durch Schaffung neuer oder Veränderung und moralisches Fundament der Fundier- von den zugehörigen
bestehender Zuständigkeiten und Profes- Schlecht- Institution zu stärken ungen Praktiken, Technologien
sionen) machen und Regeln
Verändern norma- Verknüpfung von Praktiken mit neuen Mytholo- Betonung der Geschichte von
tiver Assoziationen normativen Verständnissen gisieren Institutionen
Erschaffen norma- Konstruktion von verbindlichen interorgani-
tiver Netzwerke sationalen Beziehungen
Kulturell- Mimikry Verknüpfung neuer mit bestehenden, als Einbetten Einbettung des normativen Untergra- Senkung der Kosten, die
kognitiv selbstverständlich wahrgenommenen Insti- und Rou- Fundaments von Institutionen ben von mit neuen Praktiken,
tutionen, um Adaption zu erleichtern tinisieren in repetitive Praktiken und Annahmen Technologien oder Regeln
alltägliche Routinen und Über- verbunden werden mittels
zeugungen Innovationen oder gegen-
sätzlicher Praktiken
Theorisieren (Entwicklung einer Sprache zur) Vermitt-
lung von neuen Konzepten, Praktiken und
Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen
Bilden Vermittlung von Wissen und Fähigkeiten,
um neue Institutionen zu unterstützen
(z. B. Pilotprojekte, Fallstudien, Leitlinien)
275
276 Michael Jedelhauser und Anne von Streit

Aus der Zusammenführung transitions-, resilienz- und institutionentheoretischer Ansätze


ergibt sich ein analytischer Rahmen für die Untersuchung der regionalen Energietransi-
tion im Allgäu. Während die Transitionsperspektive auf langfristige Wandlungsprozesse
fokussiert, steht bei der Resilienzperspektive die Reaktion auf Krisen im Mittelpunkt.
Sowohl für Transitionen als auch für Anpassungs- und Transformationsprozesse in Folge
von Krisen ist institutioneller Wandel notwendig, der von Akteuren gestaltet wird. Die
Schaffung, Erhaltung und Zerstörung von Institutionen führen zu unterschiedlichen Tran-
sitionsdynamiken, die sich als Brüche und Krisen im Transitionsverlauf äußern können.
Aus evolutionärer Resilienzperspektive setzt die Fortführung der Transition in die ge-
wünschte Richtung Anpassungs- und Transformationsfähigkeit der Akteure voraus. Die
Resilienz der Transition hängt demnach davon ab, ob es den Akteuren gelingt mittels
Lernprozessen, Kreativität, Innovation und Anpassung mit diesen Dynamiken umzuge-
hen.

4 Empirische Fallanalyse:
Dynamiken der Energietransition im bayerischen Allgäu

4.1 Methodisches Vorgehen

Die regionale Energietransition im bayerischen Allgäu dient als Untersuchungsregion für


die empirische Einzelfallstudie. Die Region umfasst die Landkreise Ober-, Unter-, Ostall-
gäu und Lindau sowie die kreisfreien Städten Kempten, Kaufbeuren und Memmingen. Sie
weist eine Fläche von 4.600 km² und eine Einwohnerzahl von 660.000 auf (Statistisches
Bundesamt 2016).
Die Nutzung erneuerbarer Energien hat im Allgäu eine lange Tradition. Bereits vor
über einhundert Jahren wurde begonnen die topographische Struktur der Region für die
Wasserkraft zu nutzen und Holz stellt bis heute einen wichtigen Energieträger zur Wär-
megewinnung dar. Andere erneuerbare Energieträger spielten über weite Teile des 20.
Jahrhunderts noch keine Rolle im Allgäu. Dies änderte sich ab den 1990er Jahren, als
Pioniere den Grundstein für eine Diffusion erneuerbarer Energien im Allgäu und für eine
Transition des regionalen Energiesystems legten.
Heute liegt der Ausbau erneuerbarer Energien im Allgäu über dem Bundesdurchschnitt.
Im Jahr 2011 stammten 38 % des Strom- und 20 % des Wärmebedarfs im Allgäu aus rege-
nerativen Quellen (zum Vergleich in Deutschland 2011: 20 % bzw. 11%). Im Strombereich
hält die Solarenergie (39%) den höchsten Anteil am gesamten Verbrauch erneuerbarer
Energien, gefolgt von Wasserkraft (34%), Biogas (20%) und Windkraft (5%). Die Deckung
des Wärmebedarfs durch erneuerbare Energien erfolgt in erster Linie durch die energeti-
sche Nutzung von Holz (75%) (Energie- und Umweltzentrum Allgäu o.J.).
Die Datengrundlage der vorliegenden qualitativen Fallstudie sind 31 leitfadengestützte
Interviews mit Akteuren aus den Bereichen Kommunalpolitik, kommunales Klimaschutz-
management, Energieversorgungsunternehmen, Unternehmensverbände, Regionalplanung
Resilienz in regionalen Energietransitionen 277

und -entwicklung, regionale Energieagentur, Energievereine, Finanzsektor, Biomassenut-


zung, Unternehmen in den Bereichen Erneuerbare Energien, Bau und Energieeffizienz,
Naturschutz, Windkraftentwicklung sowie Abfallverwertung. Alle Interviewpartner wa-
ren oder sind in Institutionalisierungsprozesse der Energietransition involviert. Die Inter-
views wurden transkribiert und anhand der Kategorisierung institutioneller Arbeit nach
Lawrence und Suddaby (2006) codiert. Die im anschließenden Kapitel folgende empiri-
sche Analyse führt die jeweils zum Einsatz gekommenen institutionellen Praktiken kursiv
in Klammern auf.

4.2 Institutionelle Arbeit in der regionalen Energietransition im Allgäu

Insgesamt lässt sich der Transitionsprozess im Allgäu in fünf Phasen gliedern (Tabelle
2). Die zeitliche Untergliederung der Transition ist nicht als trennscharfe Abgrenzung der
einzelnen Phasen zu sehen, da diese meist keinen exakten Anfangs- und Endzeitpunkt
aufwiesen, sondern fließend ineinander übergingen.
278

Tabelle 2 Phasenverlauf der regionalen Energietransition im Allgäu


Phase Akteure Handlungs- Technologien Institutionelle Arbeit
motivation
Pionierphase Einzelne Pioniere Idealismus Pilotprojekte, Entwicklung von Know-how (Bilden)
(Anfang bis (v. a. aus Landwirtschaft) v. a. in den Vermittlung von neuen Konzepten der Energieproduktion
Ende 1990er) Bereichen durch Pilotprojekte in der Region (Theorisieren)
Biogas und Verknüpfung landwirtschaftlicher Praktiken mit erneuer-
Windkraft barer Energieerzeugung (Verändern normativer Assozia-
tionen)
Vernetzungsphase Politiker Pragmatismus Biomasseba- Schaffung von Regelsystemen, die Mitgliedschaften defi-
und Professiona- Unternehmer sierte Heiz- nieren, z. B. in regionaler Energieagentur (Festschreiben)
lisierungsphase (z. B. Forstwirtschaft und kraftwerke Schaffung von Regelsystemen entlang der Biomasse-
(Mitte bis Ende Abfallverwertung) (Nah- und Wertschöpfungskette (Bevollmächtigen)
1990er) Fernwärme) Breite Gesellschafterstruktur der regionalen Energie-
agentur (Schaffung normativer Netzwerke)
Beschleunigungs- Diversifizierung der Wirtschaftlichkeit PV Strukturierung des Ausbaus erneuerbarer Energien durch
phase (2000– Akteursstruktur: Windkraft Regelsysteme, v.a. EEG (Ermöglichen von Arbeit)
2011) Landwirtschaft Biogas Entwicklung des Zusammenhangs von erneuerbaren
Bürger Holzpellets Energien und finanziellem Einkommen (Theorisieren)
Energiegenossenschaften BHKWs Bürgerbeteiligung an erneuerbaren Energien mittels
Regionale Energieversor- Genossenschaften (Bevollmächtigen)
gungsunternehmen Verknüpfung des Ausbaus erneuerbarer Energien mit
Regionale Energieagentur regionaler Identität und Wertschöpfung sowie positive
Konnotierung (Verändern normativer Assoziationen)
Regionsextern: Vielfältige institutionelle Arbeit der regionalen Energie-
Bundespolitik (EEG) agentur (u. a. Mobilisieren, Einbetten, Überwachen,
Wertschätzen)
Professionalisierung der Pioniere (Erschaffen von Iden-
titäten)
Michael Jedelhauser und Anne von Streit
Tabelle 2 (Fortsetzung)
Phase Akteure Handlungs- Technologien Institutionelle Arbeit
motivation
Konsolidierungs- Kreisakteure & kommunale Wirtschaftlichkeit siehe Beschleu- Institutionalisierung durch Kreis- & Kommunalpolitik in
phase (2011–2014) Akteure (Klimaschutz- & ethisch-morali- nigungsphase Form von kommunalen Energieberatungen (Einbetten und
manager, Energiebeiräte) sche Überzeugung routinisieren), Klimaschutzkonzepten und Klimaschutz-
zielen (Ermöglichen von Arbeit; Überwachen), Klima-
schutzmanagern und Energiebeiräten (Erschaffen von
Identitäten)
Schaffung normativer und kulturell-kognitiver Institutio-
Resilienz in regionalen Energietransitionen

nen durch Verknüpfung von erneuerbaren Energien und


Nachhaltigkeit (Veränderung normativer Assoziationen;
Theorisieren)
Stagnationsphase Breites regionales Akteurs- Wirtschaftlichkeit Rückgang des Auflösung des Zusammenhangs von erneuerbaren Ener-
(2014 bis heute) spektrum Ausbaus (PV, gien und finanzieller Teilhabe durch EEG-Novellierung
Windkraft, 2014 (Aushebeln der Anreize)
Regionsextern: Biogas) Schwächung des Konzepts dezentraler Energieerzeugung
Bundes- und Landespolitik Neue Techno- durch die bundespolitische Förderung zentraler Struktu-
logien (Sekto- ren und dem 10H-Gesetz auf Landesebene (Untergraben
renkopplung, von Annahmen und Überzeugungen)
Speicher) Entwicklung neuer Modelle der Energieerzeugung und
-nutzung, v. a. durch regionale Energieversorgungsunter-
nehmen (Theorisieren)
Aufbauen auf bereits in Region etablierter Holznutzung
für Etablierung neuer Technologien (Mimikry)
279
280 Michael Jedelhauser und Anne von Streit

4.2.1 Pionierphase (Anfang bis Ende der 1990er Jahre):


„Also wirklich ohne Pioniergeist, ohne Idealismus wäre
das nicht ins Laufen gekommen zur damaligen Zeit“.

Die Pionierphase war maßgeblich vom idealistischen Engagement einzelner Akteure, ins-
besondere aus der Landwirtschaft, geprägt. Erneuerbare Energien fungierten in dieser
Zeit aufgrund hoher Investitionskosten und relativ niedriger Vergütungen über das Strom-
einspeisungsgesetz noch nicht als Einkommensquelle, sondern waren vielmehr Gegen-
stand von anwendungsorientierten Trial-and-error-Prozessen – beispielsweise auf einzel-
nen landwirtschaftlichen Betrieben. Dies führte schrittweise zu einer Optimierung der
technologischen Innovationen. Im Fokus standen zu dieser Zeit vorrangig Biogasanlagen
sowie erste Versuche im Bereich der Windkraft.
„[Die ersten Erneuerbare-Energien-Projekte waren] mehr so Liebhaberprojekte.
Hobby. Und also an wirtschaftlich kaum zu denken. Also wirklich ohne Pioniergeist,
ohne Idealismus wäre das nicht ins Laufen gekommen zur damaligen Zeit“(Vertreter*in
Unternehmen).
Auch wenn diese Projekte noch nicht signifikant zur Deckung des regionalen Energie-
bedarfs beitrugen, waren sie dennoch aus zwei Gründen bedeutend für die Institutionali-
sierung der regionalen Energietransition. Zum einen wurde Wissen in der Installation und
im Betrieb von Erneuerbare-Energie-Anlagen aufgebaut, welches später weitervermittelt
werden konnte (Bilden). Dies erweist sich bis heute als wertvolle Stütze der Energietran-
sition, da sich durch diese Lernprozesse regionsinterne individuelle und kollektive An-
sprechpartner etablieren konnten, denen lokale Akteure, wie z. B. Politik, Unternehmen
oder die lokale Bevölkerung, vertrauen. Zum anderen wirkten die Pionierprojekte als
Exempel, da sie aufzeigten, dass erneuerbare Energien sowohl technisch als auch ökono-
misch machbar waren und eine regionale und dezentrale Alternative zu nuklearer und fos-
siler Energieproduktion darstellten (Theorisieren; Verändern normativer Assoziationen).

4.2.2 Vernetzungs- und Professionalisierungsphase (Mitte bis Ende


1990er Jahre): „Also diese Energiewende, der Begriff, hat uns
eigentlich nie richtig interessiert. […] Uns haben eigentlich gewisse
Problemstellungen interessiert“.

Neben diesen ersten idealistisch motivierten Gehversuchen, begannen sich ab Mitte der
1990er Jahre Akteure aus Politik, Verwaltung und Wirtschaft verstärkt mit den Themen
Energieeffizienz und erneuerbare Energie zu befassen. Diese Initiativen sahen sich jedoch
nicht als Teil einer umfassenden Umgestaltung des regionalen Energiesystems, sondern
leiteten aus einzelfallspezifischen ressourcen- und energiebezogenen Herausforderungen
kreative Lösungen und Innovationen ab. „Also diese Energiewende, der Begriff, hat uns
eigentlich nie richtig interessiert. […] Uns haben eigentlich gewisse Problemstellungen
interessiert“ (Vertreter*in Unternehmen). Diese Projekte entstanden aus dem Engage-
ment von Einzelpersonen, wie z. B. Bürgermeister, Landräte und Unternehmensmitarbei-
Resilienz in regionalen Energietransitionen 281

ter, und waren von einem pragmatischen Umgang mit kommunalen oder betrieblichen
Fragestellungen geprägt.
Aus diesem individuellen Engagement entstanden erste größere Initiativen, die sowohl
in der Installation neuer Technologien, z. B. kommunale Holzheizkraftwerke, als auch in
der Schaffung von Organisationen mündete. Ein wesentlicher Meilenstein der Institutio-
nalisierung in dieser Phase war die insbesondere von der Kommunalpolitik im Oberallgäu
forcierte Gründung der regionalen Energieagentur. Aufgrund ihrer Gesellschafterstruk-
tur gewährleistete diese von Beginn an eine enge institutionelle Verzahnung von Politik,
Verwaltung und Unternehmen, insbesondere regionalen Energieversorgungsunternehmen
(Festschreiben; Erschaffen normativer Netzwerke). Ihre Gründung verfolgte in erster
Linie das Ziel, eine zentrale und neutrale Organisation zu etablieren, die stetig und flä-
chendeckend für das gesamte Allgäu Energieberatungsdienstleistungen anbot und einen
ressourcenschonenden Umgang mit Energie förderte.
Die Schaffung der Energieagentur stellte eine soziale Innovation dar, die den Über-
gang von einzelnen Pionieraktivitäten zu professionalisierten und gefestigten Strukturen
verkörperte. Ein wichtiger Faktor für diese Entwicklung und Grundlage für nachfolgen-
de Institutionalisierungsprozesse war die enge Vernetzung zwischen Pionieren, z. B. aus
der Land- und Forstwirtschaft, und Regimeakteuren aus Politik und Verwaltung, die ihre
Machtposition und Ressourcen für die Umgestaltung des Energiesystems im Allgäu nut-
zen konnten.

4.2.3 Beschleunigungsphase (2000–2011): „Die Energiewende wird


von einem gewissen Geschäftsinteresse getragen […] und nur so
kann sie erfolgreich sein. Mit Idealismus und Gerede kriegen sie
hier nichts grüne“.

Während die Entwicklung der 1990er Jahre noch weitgehend unabhängig von regions-
externen Rahmenbedingungen ablief, wurde die Beschleunigungsphase im Allgäu maß-
geblich durch die bundesweite Einführung des EEG im Jahr 2000 ausgelöst (Ermöglichen
von Arbeit). Kennzeichnend für diese Phase war, dass das Wirtschaftlichkeitsdenken in
den Vordergrund der Handlungsmotivation der beteiligten Akteure rückte. Durch die ga-
rantierte Einspeisevergütung erlangten erneuerbare Energien zunehmend ökonomische
Bedeutung und wurden fortan als sichere Form der Einkommensgenerierung und Geld-
anlage wahrgenommen (Theorisieren).
„Die Energiewende wird von einem gewissen Geschäftsinteresse getragen, was es ei-
gentlich auch sein soll, und nur so kann sie erfolgreich sein. Mit Idealismus und Gerede
kriegen sie hier nichts grüne. Ich muss es wirklich mal so deutlich sagen“ (Vertreter*in
Energieagentur).
In der Beschleunigungsphase diffundierten Erneuerbare-Energie-Technologien in der
Region und drangen in unterschiedliche Gesellschaftsbereiche vor: Eigenheimbesitzer in-
stallierten PV-Anlagen auf ihren Dächern. Investoren initiierten Freiflächen-PV-Anlagen.
Windkraftprojekte wurden von einzelnen regionalen Akteuren, darunter auch Pioniere
282 Michael Jedelhauser und Anne von Streit

der 1990er Jahre, vorangetrieben. Bei der Diffusion von Biogas-und PV-Anlagen stellte
die Landwirtschaft einen zentralen Treiber dar. Die Beschleunigungsphase ging nicht nur
mit einem rapiden Ausbau erneuerbarer Energien, sondern auch mit der Etablierung neuer
Geschäftsmodelle und einer Diversifikation der Akteursstruktur einher. Energiegenos-
senschaften, von denen in den Jahren 2007 bis 2013 etwa zwanzig im Allgäu gegründet
wurden, boten Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit der Teilhabe an der dezentralen
Energietransition (Bevollmächtigen).
Die Möglichkeit der Einkommensgenerierung durch erneuerbare Energien führte dazu,
dass das Themenfeld der regionalen Energietransition in dieser Phase auf Offenheit und
Akzeptanz in der Bevölkerung stieß. Dies hatte auch Einfluss auf die regionalen Energie-
versorgungsunternehmen, die sich nun der Dynamik des Prozesses nicht mehr entziehen
konnten und zum Handeln „gezwungen“ wurden (Verändern normativer Assoziationen).
Aufgrund der positiven Konnotation des Themas stieg der Handlungsdruck für die Unter-
nehmen sich über die bestehende Wasserkraftnutzung hinaus im Bereich erneuerbarer
Energien zu engagieren: „[…] Das war für [das Energieversorgungsunternehmen], ich
sag jetzt mal, ein notwendiges Etikett, das man sich geben musste, weil man sich dem
Thema Photovoltaik nicht verschließen kann“ (Vertreter*in Unternehmen).
Das verstärkte Engagement der Energieversorgungsunternehmen in dieser Phase stellte
einen Meilenstein der Energietransition im Allgäu dar, da von nun an (Regime-)Akteure
mit den entsprechenden Ressourcen (Wissen, Kapital, Marktmacht) den Energiewende-
prozess mitgestalteten. Zwar unterschieden sich die thematischen Schwerpunkte und das
Ausmaß des Engagements zwischen den einzelnen Energieversorgungsunternehmen, auf-
grund ihrer Finanzstärke verfügten sie jedoch, verglichen mit beispielsweise zivilgesell-
schaftlichen Initiativen, über eine bedeutende Wirkmächtigkeit.
Trotz der Diversifizierung der Akteurslandschaft in der Beschleunigungsphase kam
es nicht zu einer Verdrängung der Akteure, Organisationen und Netzwerke der ersten
beiden Transitionsphasen. Vielmehr gingen die Pioniere der 1990er in großen Teilen die
Entwicklung hin zu einer Ökonomisierung erneuerbarer Energien mit, passten sich an die
neuen Rahmenbedingungen an und blieben weiterhin treibende Kräfte der Energietran-
sition „Also zuerst war es mal Hobby und Leidenschaft und Spaß. […] Dann ist es zum
Beruf geworden, zum alleinigen. Ja, kann man sagen. Bei mir auf jeden Fall. Also ich bin
Unternehmer geworden“ (Vertreter*in Unternehmen) (Erschaffen von Identitäten). Die
Pioniere der ersten Phase profitierten nun von dem in den 1990er Jahren angesammelten
regions- und themenspezifischen Wissen und führten die Professionalisierung und Institu-
tionalisierung weiter. Dies galt insbesondere für die regionale Energieagentur, die in den
Jahren nach ihrer Gründung ein rasches Wachstum verzeichnete und sich zu einem maß-
geblichen Akteur in der Region entwickelte. Ihr Tätigkeitsspektrum war hierbei vielfältig
und wies zahlreiche Praktiken institutioneller Arbeit auf. Mittels bis heute fortlaufender
professionalisierter Energieberatungssysteme ermöglichte die Energieagentur eine ener-
giebezogene Informationsvermittlung für Kommunen, Privathaushalte und Unternehmen
(Bilden). Durch die Schulung kommunaler Energieberater/innen wurde die Energiebe-
ratung in die Kommunen hineingetragen und in Form von regelmäßigen Energiebera-
Resilienz in regionalen Energietransitionen 283

tungssprechstunden verstetigt (Einbetten und Routinisieren). Die Agentur fungierte als


Lobbyakteur, der Kommunen im Allgäu mobilisierte (Mobilisieren), mittels Energienut-
zungsplänen und Monitoring-Systemen Druck auf sie ausübte (Überwachen), energiebe-
zogene Themen in Politik, Unternehmen und Öffentlichkeit präsent hielt, ein Bewusstsein
für die Thematik schuf (Theorisieren) und mittels der Organisation von Veranstaltungen,
wie z. B. Preisverleihungen, Vorbildprojekte im Allgäu hervorhob (Wertschätzen).
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass aufgrund der Professionalisierungs- und
Institutionalisierungsprozesse sowie der initiierten Lernprozesse und sozio-technischen
Innovationen in den 1990er Jahren die Einführung des EEG auf bereits gewachsene
Strukturen, z. B. in Form von Informationskanälen, Organisationen und Netzwerken
sowie energiespezifischem Wissen, traf. Die regionale Energieagentur, Vereine, Einzel-
akteure und Kommunalpolitik konnten sich schnell an die neuen gesetzlichen Rahmen-
bedingungen anpassen, diese in ihre bestehenden Strukturen, z. B. Energieberatungssys-
teme, integrieren und dadurch den Transfer der finanziellen Förderung in die konkrete
Umsetzung beschleunigen.

4.2.4 Konsolidierungsphase (2011–2014):


„[…] ich profitiere ökonomisch davon und tue noch was Gutes“.

Die Dynamik der Konsolidierungsphase ist maßgeblich von zwei Entwicklungen geprägt:
Erstens wurde die Institutionalisierung der regionalen Energietransition durch den fort-
laufenden Ausbau erneuerbarer Energien, die Professionalisierung von Energieberatungs-
und Energieeffizienzsystemen und durch die Verankerung in der Kommunalpolitik weiter
vorangetrieben und zweitens trug die nukleare Katastrophe in Fukushima im Jahr 2011 zu
einem Bewusstseinswandel in allen Gesellschaftsbereichen bei.
Als Folge des Reaktorunglücks war „plötzlich ein totaler Paradigmenwechsel wahr-
zunehmen, dem […] man sich […] nicht entziehen [konnte]“ (Vertreter*in Kommunal-
politik). Kommunalpolitik und Verwaltung intensivierten die Institutionalisierung der
Energietransition, was sich unter anderem im weiteren Ausbau kommunaler Energiebe-
ratungen für Bürger*innen (Einbetten und Routinisieren), der Entwicklung von Klima-
schutzkonzepten und Klimaschutzzielen (Ermöglichen von Arbeit; Überwachen) sowie
der Schaffung von Stellen für Klimaschutzmanager*innen und der Implementierung von
Energieteams (Erschaffen von Identitäten) äußerte.
Die Wirkung des Reaktorunglücks veränderte nicht nur das Bewusstsein für erneuer-
bare Energien in der Kommunalpolitik, sondern auch in der breiten Bevölkerung und in
Unternehmen. Zu dem ökonomischen Antrieb, erneuerbare Energien als Einkommens-
quelle zu nutzen, kam nun ein ethisch-ökologisches Motiv hinzu, da „alle auf einmal
festgestellt haben, […] ‚ich profitiere ökonomisch davon und tue noch was Gutes‘“
(Vertreter*in Energieversorgungsunternehmen) (Verändern normativer Assoziationen;
Theorisieren). Folglich kam es in der Konsolidierungsphase zeitweise zu einer Schaffung
werte- und normenbasierter Institutionen. Die EEG-bedingte enge Verknüpfung von er-
284 Michael Jedelhauser und Anne von Streit

neuerbaren Energien und Wirtschaftlichkeit wurde in dieser Phase um ökologisch-nach-


haltige Handlungsmotive erweitert.

4.2.5 Stagnationsphase (2014 bis heute): „[…] wenn dieser Bottom-Up-An-


satz mal so richtig losläuft, dass eine Region sich komplett […] auf den
Weg macht und dann kommt von der großen Politik […] der Hammer,
das tut einem weh“.

Die Dynamiken der Stagnationsphase werden weniger von den regionalen Akteuren als
vielmehr von den veränderten politischen und gesetzlichen Rahmenbedingungen auf Bun-
des- und Landesebene bestimmt. Die Entwicklungen im Allgäu in dieser Phase zeigen,
wie die institutionelle Arbeit regionsexterner Akteure zu einer Zerstörung regionsinterner
Institutionen führte, das kreative und innovative Potenzial in der Region einschränkte und
sich der Transitionsprozess signifikant verlangsamte.
Durch die schrittweise Verringerung der garantierten Einspeisevergütung in Folge
der Novellierung des EEG 2014 wurde die Verknüpfung von erneuerbaren Energien und
Einkommensgenerierung in weiten Teilen aufgelöst, was zu einem deutlichen Rückgang
des Ausbaus von Biogas und PV, insbesondere Freiland-PV, und zur Insolvenz regionaler
Unternehmen, v.a. im PV-Bereich, führte (Aushebeln der Anreize). Der Ausbau der Wind-
kraft im Allgäu wird gegenwärtig vorrangig von zwei Faktoren beschränkt. Zur Einfüh-
rung der bayerischen 10H-Regelung kommt im Oberallgäu erschwerend hinzu, dass eine
Funkfeueranlage zur Flugsicherung bei Kempten einen Radius von 15 Kilometern um die
Anlage und somit den Großteil der von Seiten der Regionalplanung als Vorranggebiete
vorgesehenen Standorte von Windkraft ausschließt. Da darüber hinaus das Potential der
Wasserkraft in der Region als weitgehend ausgeschöpft erachtet wird, ist der Ausbau er-
neuerbarer Energien in der Region gegenwärtig größtenteils zum Erliegen gekommen.
Damit einhergehend ist auf zivilgesellschaftlicher Ebene ein rückläufiges Engagement
festzustellen. Die Gründungen von Energiegenossenschaften, die lange Zeit das Symbol
einer erfolgreichen dezentralen Energiewende darstellten, brachen komplett ein – seit 2014
ist keine Neugründung mehr erfolgt.
„Wir merken es […] in den Gemeinden, […] dass wir […] die Bürger total schwer
motiviert [bekommen], weil die halt alle das Gefühl haben: ‚Ja, was die da in Bonn und
in Berlin und in München machen, die wollen ja gar keine Energiewende, die wollen das
ja verzögern. Wieso soll ich mich da jetzt reinhängen?‘“ (Vertreter*in Energieagentur)
Auch auf kommunalpolitischer Ebene ist festzustellen, dass die Thematik in der jünge-
ren Vergangenheit zunehmend von anderen Themen überlagert wurde.
„Wenn ich beim Bürgermeister aufschlage und sage ‚Mensch, ich hätte da was für
dich‘, sagt er, ‚Mensch, ja, Klimaschutz, superwichtig, gleich nach Flüchtlingen, Breit-
bandausbau, neuem Feuerwehrauto und unserem Dorfplatz‘. […] Das heißt, ich kriege
keinen aktiven Gegenwind, aber bin halt einfach in der Wahrnehmung ein Thema unter
ganz vielen“ (Vertreter*in Klimaschutz).
Resilienz in regionalen Energietransitionen 285

Mit den bundes- und landespolitischen Entscheidungen wird das Konzept einer dezen-
tralen Energieerzeugung in Frage gestellt (Untergraben von Annahmen und Überzeugun-
gen). Dies führt zur Schwächung des in den ersten Phasen der Energietransition geschaf-
fenen innovativen Milieus, „weil wenn dieser Bottom-Up-Ansatz mal so richtig losläuft,
dass eine Region sich komplett […] auf den Weg macht und dann kommt von der großen
Politik […] der Hammer, das tut einem weh“ (Vertreter*in Unternehmen).
Angesichts dieser veränderten Rahmenbedingungen wählen die Akteure im Allgäu
unterschiedliche Anpassungsstrategien, um einerseits bestehende Institutionen zu erhal-
ten und andererseits neue zu schaffen. Den regionalen Energieversorgungsunternehmen
kommt in der gegenwärtigen Stagnationsphase eine wichtige Rolle zu. Aufgrund ihrer
Ressourcenausstattung verfügen sie über ein relativ großes Handlungspotential, wodurch
sie neue Entwicklungspfade identifizieren und initiieren können. Im Bereich technolo-
gischer Innovationen wird hierbei dem Ausbau von PV-Anlagen inklusive Speicher mit
Modellen der Eigenstromnutzung großes Potential zugewiesen. Aktuell ist zu beobachten,
„dass der Markt sich in diese Richtung entwickelt, dass immer mehr Kunden eben den
Strom dann auch zur Eigenerzeugung nutzen“ (Vertreter*in Energieversorgungsunter-
nehmen) und dass „die Leute im Zweifelsfall auch sagen, ‚ach, da guck ich jetzt gar nicht
so sehr auf den Cent‘, sondern das ist eine wahnsinnige Faszination, die Idee, ich kann
selber meinen Strom erzeugen und auch selbst verbrauchen. Und gerade auch im Allgäu
sicherlich, mit der ländlichen Region, viele Eigenheime, viele mit eigener PV-Erzeugung
auf dem Dach“ (Vertreter*in Energieversorgungsunternehmen). In diesem Kontext ist
auch mit einer verstärkten Bedeutung des Themas Sektorenkopplung zu rechnen, also
einer wechselseitigen Abstimmung der Bereiche Strom, Wärme und Mobilität. Regionale
Energieversorgungsunternehmen entwickeln hierfür neue Modelle der Energieerzeugung
und -nutzung und vermarkten diese (Theorisieren). Technologischer Fortschritt, z. B. in
Form von Power-to-heat, Power-to-gas, Wärmepumpen, Batteriespeichern oder intelligen-
ten Ladesystemen, stellt hierbei eine bedeutende Voraussetzung der Sektorenkopplung
dar. Darüber hinaus ist festzustellen, dass die Energieversorgungsunternehmen aufgrund
der regional spezifischen Hindernisse im Bereich Windkraft (10H-Regelung; Drehfunk-
feuer) ihr Investitionsverhalten räumlich neu ausrichten, z. B. nach Baden-Württemberg,
um dort Windanlagenstandorte zu prüfen und gegebenenfalls Anlagen zu errichten.
Als Reaktion auf die eingeschränkten Handlungsmöglichkeiten im Bereich des Aus-
baus erneuerbarer Energien wenden sich Akteure in Kommunen, Unternehmen und der
Energieberatung verstärkt den Themen Energieeffizienz und -einsparung zu. Gleichzeitig
sind jedoch auch eine partielle Abkehr von energiespezifischen Themen und eine Fokus-
sierung auf andere Tätigkeitsfelder wie z. B. Klimawandelanpassung oder Bildung festzu-
stellen.
Die Stagnationsphase verdeutlicht die Abhängigkeit der dezentralen Energietransition
von regionsexternen Strukturen. Die Entwicklungen auf höherer politisch-administrati-
ver Ebene führten zu einer Zerstörung von Institutionen (Abwärts-Kausalität) und einer
signifikanten Verlangsamung des Ausbaus erneuerbarer Energien. Bislang zeigt sich kein
einheitliches Muster im Umgang der Akteure mit den veränderten Rahmenbedingungen.
286 Michael Jedelhauser und Anne von Streit

Einerseits führen Akteure bestehende Praktiken fort und versuchen Institutionen und
Wachstumspfade der vergangenen Phasen zu erhalten und zu reproduzieren. Andererseits
werden Versuche unternommen, neue Pfade zu entwickeln, z. B. in Form neuer regionaler
Geschäftsmodelle, aber auch durch eine räumliche und thematische Umorientierung der
Modelle und Praktiken.

5 Diskussion und Zusammenfassung

Aus institutionentheoretischer Perspektive war der bisherige Transitionsverlauf im Allgäu


durch unterschiedliche Muster institutioneller Arbeit gekennzeichnet. Die Pionier- und
Professionalisierungsphasen waren vorrangig von der Schaffung neuer Institutionen ge-
prägt, die jedoch nicht zu einer Verdrängung und Zerstörung bestehender regimeerhal-
tender Institutionen führten, sondern sich parallel in Nischen entwickelten. In der Be-
schleunigungsphase verlagerte sich der Schwerpunkt der Praktiken von der Schaffung
zum Erhalt von Institutionen. Ein maßgeblicher Akteur war hierbei die regionale Ener-
gieagentur. Initiiert von bundespolitischen regulativen Anreizen und aufbauend auf der
regionalen institutionellen Struktur kam es in dieser Phase zu einem raschen Ausbau
erneuerbarer Energien in der Region, der sowohl von Nischenakteuren, z. B. einzelnen
Pionieren oder Energiegenossenschaften, als auch von Regimeakteuren, z. B. regionalen
Energieversorgungsunternehmen, vorangetrieben wurde. Dieser Trend setzte sich in der
Konsolidierungsphase fort, in der in Folge des Reaktorunfalls in Fukushima der monetäre
Antrieb um ideelle Motive ergänzt wurde und es zur Schaffung werte- und normenba-
sierter Institutionen kam. Die jüngste Stagnationsphase ist hingegen durch eine partielle
Zerstörung regionaler Institutionen gekennzeichnet, die insbesondere auf die veränderten
regionsexternen Rahmenbedingungen zurückgeht.
Die Dynamiken der dezentralen Energietransition im Allgäu entsprechen in weiten
Teilen dem idealtypischen Verlauf des Multi-Phasen-Modells, wobei es den Akteuren in
den einzelnen Phasen in unterschiedlichem Ausmaß gelungen ist, den Transitionsprozess
resilient zu gestalten. In der Vorentwicklungsphase mit Nischenaktivitäten einzelner Pio-
niere kam es durch Lernprozesse zu einem Aufbau von Wissen und Vertrauen in neue
Technologien. Anschließend folgte ein der Take-off-Phase entsprechender Abschnitt mit
ersten strukturellen Veränderungen über Professionalisierungen und soziale Innovatio-
nen durch die Gründung von Organisationen und die verstärkte Vernetzung von innova-
tiven Pionieren und etablierten, machtvollen Regimeakteuren. Auf die in diesen beiden
Phasen entstandenen Strukturen, z. B. in Form von breiten Netzwerken, Organisationen,
Verantwortungsverteilungen, Wertschöpfungsketten und Wissensvermittlung, konnte
in der Beschleunigungs- und Konsolidierungsphase aufgebaut und die nun einsetzende
EEG-Förderung flexibel und effektiv regional umgesetzt werden. Dadurch entwickelte
sich durch die Diffusion von Technologien und die breite Institutionalisierung der de-
zentralen Energietransition in Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft ein
sichtbarer struktureller Wandlungsprozess des Systems. Die gegenwärtige fünfte Phase
Resilienz in regionalen Energietransitionen 287

entspricht jedoch weniger einer Stabilisierung im Sinne Rotmans et al. (2001) als vielmehr
einer Stagnation der dezentralen Energietransition in Form eines gebremsten Ausbaus er-
neuerbarer Energien und rückläufigen kommunalpolitischen und zivilgesellschaftlichen
Engagements. Diese Entwicklungen verdeutlichen die Abhängigkeit regionaler Energie-
transitionen von Entscheidungen auf übergeordneten politisch-administrativen Ebenen
und von finanziellen Anreizen, die erneuerbare Energien mit der Möglichkeit der Einkom-
mensgenerierung verknüpfen. Die jüngste Phase zeigt, dass die Schaffung und Erhaltung
regulativ, normativ und kulturell-kognitiv basierter Institutionen nicht in gleichem Maße
und gleicher Geschwindigkeit erfolgten. Trotz des Booms der dezentralen Energieerzeu-
gung in der Beschleunigungsphase und des zwischenzeitlich gestiegenen Bewusstseins
in der Konsolidierungsphase ist es demnach nicht in ausreichendem Maße gelungen, den
Ausbau erneuerbarer Energien auf normativen und kulturell-kognitiven Säulen aufzubau-
en. Vielmehr stellt die Einkommensgenerierung mittels erneuerbarer Energien weiterhin
die wesentliche Bedingung für ein breites zivilgesellschaftliches Engagement dar. Diese
Entwicklungen deuten zum einen darauf hin, dass es für eine resiliente Transition einer
möglichst parallelen und synchronen Schaffung und Erhaltung regulativ, normativ und
kulturell-kognitiv basierter Institutionen bedarf. Zum anderen verdeutlicht die Einbettung
regionaler Energietransitionen und -systeme in multi-skalare Strukturen die Möglichkei-
ten, aber auch die Grenzen der Schaffung autonomer und souveräner kleinräumiger Pro-
zesse und Systeme, wie sie beispielsweise im regionalen Resilienzverständnis der Transit-
ion-Town-Bewegung angestrebt wird (Hopkins 2008).
Trotz der Stagnation in der fünften Phase wäre es jedoch verfrüht, der regionalen Ener-
gietransition im Allgäu per se eine (zu) geringe Resilienz zu unterstellen. Vielmehr ist auf
organisatorischer Ebene festzustellen, dass etablierte regionale Akteure, wie z. B. die re-
gionale Energieagentur, Energieversorgungsunternehmen oder Klimaschutzmanager, bis-
lang fortbestehen und ihre Aktivitäten im Rahmen der gegenwärtigen Möglichkeiten wei-
terführen. Aus diesen resistenten organisationalen Strukturen leitet sich auch zukünftig
Handlungspotenzial ab. Die Akteure im Allgäu sind daher gegenwärtig mit der Herausfor-
derung konfrontiert, einerseits bestehende Institutionen der dezentralen Energietransition
an die Rahmenbedingungen anzupassen und zu erhalten sowie andererseits neue Institu-
tionen zu schaffen, um die Gefahr institutioneller Hysterese zu vermeiden. Die Erneue-
rung von Institutionen und Praktiken stellt eine wichtige Voraussetzung für die Resilienz
der Transition dar, wobei hier unterschiedliche Strategien feststellbar sind. So versuchen
regionale Akteure durch die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle neue Wachstumspfade
zu erschließen. Angesichts voraussichtlich auch zukünftig weiter rückläufiger Einspei-
severgütungen werden Modelle entwickelt, die erneuerbare Energien förderunabhängig
am freien Markt etablieren können. Gegenwärtig diskutierte Technologien des Eigenver-
brauchs könnten eine Möglichkeit darstellen, die auf normativen und kulturell-kognitiven
Säulen aufbauenden Institutionen, wie z. B. die im Allgäu ausgeprägte regionale Identi-
tät, die Bedeutung regionaler Wertschöpfung und der Wunsch nach einer – zumindest
gefühlten – individuellen Energieautarkie, zu nutzen und darauf aufbauend den Ausbau
erneuerbarer Energien und die Sektorenkopplung zu forcieren. Gleichzeitig deuten Um-
288 Michael Jedelhauser und Anne von Streit

orientierungen zu anderen Themen, z. B. Klimaschutz und Klimawandelanpassung, oder


Investitionen in erneuerbare Energien außerhalb der Region darauf hin, dass unter den
derzeitigen Bedingungen von Seiten einiger Akteure wenig Handlungsspielraum und Ent-
wicklungspotential in der Region gesehen wird. Die aufgezeigten Folgen der veränderten
Rahmenbedingungen und die Reaktionen der regionalen Akteure zeigen, dass sich die
Energietransition im Allgäu gegenwärtig in einer Phase der Re-Orientierung und Erneue-
rung befindet. Inwieweit sie sich zukünftig als resilient erweisen wird, hängt einerseits
von der Anpassungs-, vor allem aber von der Transformationsfähigkeit der Akteure und
andererseits von den sich verändernden regionsexternen Rahmenbedingungen, wie z. B.
der Energiepolitik auf Bundes- und Landesebene oder der Preisentwicklung fossiler Ener-
gieträger und erneuerbarer Energietechnologien, ab.
Der integrative Ansatz des vorliegenden Beitrags, bestehend aus Konzepten der Transi-
tions- und Resilienzforschung sowie der Institutionentheorie, erlaubte eine vielschichtige
Analyse der regionalen Energiewende im Allgäu. Zum einen ermöglichte das Konzept
institutioneller Arbeit die Integration von agency in transitions- und resilienzspezifische
Fragestellungen und bot einen Zugang zur Operationalisierung der Forschungsfragen.
Zum anderen konnte durch die Verknüpfung des Multi-Phasen-Modells der Transitions-
forschung mit dem evolutionären Resilienzverständnis eine Analyse von Störungen von
Transitionsverläufen und eine (vorläufige) Bewertung der Resilienz der dezentralen Ener-
giewende im Allgäu vorgenommen werden. Gleichzeitig wurde jedoch eine Schwäche
der Resilienzperspektive deutlich: Indem das Resilienzkonzept das Auftreten von Krisen
als extern gegeben und nicht beeinflussbar erachtet (Höhler 2016), bleiben potenzielle
Handlungsstrategien (regionaler) Akteure zur Verhinderung dieser Krisen von vornherein
außen vor. Der Erfolg regionaler Energietransitionen hängt jedoch nicht zuletzt davon ab,
ob es den Akteuren gelingt, in Zukunft ihre Interessen für einen dezentralen Ausbau wirk-
sam auf übergeordneten politischen Ebenen zu vertreten (Mobilisieren).
Resilienz in regionalen Energietransitionen 289

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Ein indikatorengestützter Ansatz zur Resilienz-
analyse von Energiesystemen in Transition1
Theoretische Konzeptualisierung und
empirische Anwendung im bayerischen Allgäu

Susan Mühlemeier, Romano Wyss und Claudia R. Binder

Zusammenfassung

Die soziale und technische Transition unseres Energiesystems mit dem Ziel einer grö-
ßeren Nachhaltigkeit ist schon längst nicht mehr nur ein politisches Vorhaben, sondern
befindet sich mitten in der Umsetzung. Während traditionelle Energieversorger und
Energieproduktionstechnologien unter Druck geraten, treten neue Akteure auf den
Plan und es werden fortlaufend neue Gesetzgebungen, Geschäftsmodelle und Techno-
logien entwickelt. Mit diesen fundamentalen Umwälzungen stellt sich die Frage, wie
ein sich transformierendes regionales Energiesystem entlang eines vorgegebenen Tran-
sitionspfades resilient gestaltet werden kann. In diesem Kapitel schlagen wir einen in-
dikatorengestützten Ansatz zur Konzeptualisierung und Operationalisierung von Resi-
lienz regionaler Energiesysteme in Transition vor. Wir basieren diesen Ansatz auf zwei
Kernkonzepten der Resilienz – Diversität und Konnektivität – und zeigen in einem
ersten Schritt, wie diese sowohl für die technischen als auch die sozialen Aspekte eines
regionalen Energiesystems in jeweils drei Indikatoren ausdifferenziert werden kön-
nen. Als Diversitätsindikatoren werden Varietät, Balance und Disparität verwendet; als

1 Danksagung Wir danken dem Bayrischen Forschungsverbund ForChange und der Schweizer Mo-
biliar für die finanzielle Unterstützung dieser Studie sowie Bärbel Hinterberger für ihre intensive
Arbeit zur regionalen Energieflussanalyse und allen Interviewpartnern aus der Region für ihre
Zeit und ihre umfangreichen Auskünfte.

293
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2018
M. Karidi et al. (Hrsg.), Resilienz,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-19222-8_15
294 Susan Mühlemeier, Romano Wyss und Claudia R. Binder

Konnektivitätsindikatoren die durchschnittliche Pfadlänge, die Gradzentralität und die


Modularität. In einem zweiten Schritt wenden wir das Indikatorenset auf das Fallbei-
spiel bayerisches Allgäu an und verwenden dazu empirisches Material, das sich aus Ex-
perteninterviews, Sekundärdaten und einer Energieflussanalyse zusammensetzt. Der
Beitrag liefert damit nicht nur einen theoriegeleiteten Ansatz zur Analyse der Resilienz
von regionalen Energiesystemen in Transition, sondern zeigt zugleich auch empirische
Anwendungsmöglichkeiten auf und reflektiert Limitationen und weiteren Forschungs-
bedarf.

1 Einleitung

Die bevorstehende Transition2 des Energiesystems hin zu größerer Nachhaltigkeit gilt als
eine der größten Herausforderungen des 21. Jahrhunderts (Leipprand et al. 2016). Aus
analytischer Perspektive kann der Energiewendeprozess dabei als eine Abfolge schock-
artiger Veränderungen und kleinschrittiger Anpassungsprozesse auf einem bestimmten
Transitionspfad verstanden werden (Rotmans et al. 2001). Während des gesamten Tran-
sitionsprozesses müssen Akteure sowohl bevorstehende Veränderungen antizipieren und
sich an diese Veränderung anpassen als auch aus völlig neuen Situationen lernen und
die ihnen zur Verfügung stehenden technischen Möglichkeiten möglichst erfolgreich nut-
zen (Martens und Rotmans 2005; Rotmans und Fischer-Kowalski 2009). Nach Grin et
al. (2010) sind Transitionsprozesse „tief in gesellschaftlichen Strukturen, Routinen und
Kultur verwurzelt“ (Grin et al. 2010, Übers. d. Verf.). Dies bedeutet, dass die Transition
des Energiesystems integriert analysiert werden muss, d. h. unter Berücksichtigung der
Koevolution technischer und gesellschaftlicher Faktoren (Minsch et al. 2012; Hodbod und
Adger 2014). Ein wichtiger Aspekt ist dabei, dass Akteure die Transition einerseits kon-
tinuierlich vorantreiben müssen, andererseits das technische System der Energieproduk-
tion und -verteilung während des gesamten Transitionsprozesses fehlerfrei funktionieren
muss. Dies ist nicht nur von ökonomischer Bedeutung, um eine konstante Energieversor-
gung zu gewährleisten, sondern auch von politischer Relevanz, um die gesellschaftliche
Unterstützung für die Transition zu garantieren und ungewollte Störungen zu verhindern
(Mühlemeier et al. 2017a).
Im wissenschaftlichen Diskurs zur Energiewende wird dezentralisierten Energiesyste-
men eine entscheidende Rolle zugesprochen, um einen höheren Anteil der erneuerbaren
Energien in der Energieversorgung und damit eine CO2-Reduktion und den Wandel hin
zu mehr Nachhaltigkeit zu erreichen (Johansson et al. 2016). Der Bedeutungszuwachs
der regionalen Ebene wurde auch von der Europäischen Union (EU) entsprechend be-
stätigt (Breidenich et al. 1998). Im weiteren Verlauf dieses Kapitels nehmen wir daher

2 Transition wird hier bewusst anstelle des im deutschen gebräuchlicheren Begriffes Transformation
verwendet, um die Einbettung des Kapitels in den Forschungsstrang der socio-technical transitions
towards sustainability zu verdeutlichen (Chappin und Ligtvoet 2014).
Ein indikatorengestützter Ansatz zur Resilienzanalyse … 295

auf regionale Energiesysteme Bezug und definieren Regionen als territoriale Einheiten,
die mehrere EU NUTS3 Regionen (Eurostat 2015) umfassen. In Deutschland entspricht
dies dem Zusammenschluss mehrerer Landkreise unterhalb des Regierungsbezirksebene.
Was in diesem Kontext bisher kaum berücksichtigt wurde, ist die Analyse der Resilienz
regionaler Energietransitionen gegenüber kurzfristigen Schocks und sich langfristig ver-
ändernden Rahmenbedingungen. Damit die Transition eines sozio-technischen Energie-
systems erfolgreich sein kann, muss sowohl das fehlerfreie Funktionieren des technischen
Teilsystems als auch die soziale Akzeptanz dieses Prozesses entlang des gesamten Tran-
sitionspfades gewährleistet sein (O’Brien und Hope 2010). Das Energiesystem muss daher
in seiner Funktion resilient gegenüber externen und internen Schocks sowie unvorher-
gesehenen Störungen bleiben (Gailing und Röhring 2015; Schilling 2016; Schilling et al.
2017), während es die unterschiedlichen Phasen des Transitionsprozesses durchläuft (vgl.
Abbildung 1). Um dies zu erreichen, müssen sowohl die technischen Komponenten des
Systems in Transition, als auch die Verbindungen zur sozialen Sphäre entlang des Transi-
tionsprozesses berücksichtigt werden.

Abbildung 1 Die vier Phasen sozio-technischer Transitionen (Rotmans et al. 2001, Übers. d. Verf.)

Binder, Mühlemeier und Wyss (2017a) schlagen vor, dass bei der Analyse der Resilienz
von Energietransitionen der Koevolution von technischen und sozialen Subsystemen be-
sondere Aufmerksamkeit gebührt. So ziehen neue Produktions- und Distributionstechno-
logien u. a. neue Institutionen und Akteurstypen nach sich, die zu einer grundlegenden
Änderung im regionalen Gouvernanzsystem führen können (Späth und Rohracher 2012;
Binder et al. 2014; Strunz 2014; Hecher et al. 2016; Sovacool 2016).
Um die Resilienz eines soziotechnischen Energiesystems während des Transitionspro-
zesses zu konzeptualisieren und die Resilienz des Prozesses zu messen, haben Binder
et al. (2017) ein Indikatorenset für die Analyse zweier Kernkonzepte der Resilienz ent-
296 Susan Mühlemeier, Romano Wyss und Claudia R. Binder

wickelt: Diversität und Konnektivität. Dieses Indikatorenset erlaubt die Analyse der Re-
silienz des regionalen Energiesystems während des Transitionsprozesses – sowohl von
technologischer als auch sozialer Perspektive.
Im Rahmen dieses Kapitels wenden wir das Indikatorenset für das Fallbeispiel bayeri-
sches Allgäu an und verfolgen dabei folgende Ziele: i) die Analyse der Resilienz der Ener-
giewende im Allgäu unter Berücksichtigung technischer und sozialer Aspekte; ii) eine
kritische Reflektion der Anwendbarkeit der Indikatoren zur Analyse der Resilienz von
Energiesystemen während des Transitionsprozesses sowie iii) das Herausarbeiten weiterer
Anwendungsmöglichkeiten des Indikatorensets für regionale Fallstudien.
Wir strukturieren dieses Kapitel dafür in folgende Abschnitte: In Abschnitt 2 erläu-
tern wir zunächst die theoriegeleitete Konzeptualisierung und Operationalisierung des
von Binder et al. (2017) vorgeschlagenen Indikatorensets für die Analyse der Resilienz
von sozio-technischen Energiesystemen in Transition. Anschließend wenden wir in Ab-
schnitt 3 diese Indikatoren auf das Fallbeispiel bayerisches Allgäu an und wir schließen
in Abschnitt 4 mit zusammenfassenden Erkenntnissen und Vorschlägen für weitere For-
schungsmöglichkeiten ab.

2 Konzeptualisierung und Operationalisierung des Resilienz-


begriffs für Energiesysteme in Transition

Die Resilienz eines Systems kann als seine Fähigkeit definiert werden “während eines
Veränderungsprozesses, Störungen zu absorbieren und sich dergestalt zu reorganisieren,
dass es dennoch die gleiche Funktion, Struktur, Identität und Feedbacks behält“ (Walker,
Holling, Carpenter und Kinzig 2004, Übers. d. Verf.). Der gleichen Denkrichtung folgend
beschreibt Folke (2006) die Resilienz als die Fähigkeit eines Systems und seiner Kompo-
nenten sowohl Schocks zu widerstehen (Stabilität des Systems) als sich auch an veränderte
Rahmenbedingungen anpassen zu können (Anpassungsfähigkeit des Systems). Systeme
können dabei als Ensemble qualitativ verschiedener Systemkomponenten (Entitäten) und
ihrer Verbindungen verstanden werden, z. B. Produktionsstätten, Verteilknoten und Kon-
sumenten, die durch Energie- und / oder Informationsflüsse verbunden sind. Basierend auf
diesem Systemverständnis kann Resilienz als eine Funktion der Diversität der System-
komponenten und der Konnektionsmuster zwischen den Komponenten verstanden werden
(Lietaer et al. 2010; Fath et al. 2015).
Die bisherige Forschung im Bereich der Ökologie weist zudem auf die sowohl stati-
schen als auch dynamischen Elemente der Resilienz hin, die einem System erlauben, in
einem dynamischen Gleichgewichtszustand zu bleiben (Foxon et al. 2009; Folke et al.
2010). Im weiteren Verlauf dieses Kapitels berücksichtigen wir die ökologischen Aspekte
des Energiesystems jedoch nur indirekt durch das Ressourcenfundament, das den ent-
sprechenden Technologien zu Grunde liegt und fokussieren uns auf ein sozio-technisches
Systemverständnis (Geels 2004).
Ein indikatorengestützter Ansatz zur Resilienzanalyse … 297

Wir erachten eine Transition als resilient, wenn das untersuchte System entlang des
gesamten Transitionspfades resilient ist (Gunderson 2001). Daher wird ein Energiesys-
tem während einer resilienten Transition verschiedene Phasen durchlaufen, stabilere und
adaptivere, die durch unterschiedliche Konfigurationen der sozialen und technischen Sub-
systeme charakterisiert sind. Das System darf jedoch insgesamt seine Resilienz nie ganz
verlieren.
Um unser Resilienzkonzept auf konkrete Fallbeispiele anwenden zu können, operatio-
nalisieren wir die sozialen Elemente eines sozio-technischen Energiesystems als soziale
Arenen und die technologischen als Technologiegruppen. Fortan wird daher zwischen
dem sozialen und dem technischen Teilsystem unterschieden. Ist das gesamte Energie-
system gemeint, wird vom sozio-technischen System gesprochen.
Soziale Arenen werden dabei als „gesellschaftliche ‘Teilsysteme’, ‘Sphären’ [… de-
finiert], die je nach ihrer Funktion durch unterschiedliche Rationalitäten bzw. ‚Codes‘
(nach Luhmann) geprägt sind“ (Späth et al. 2007). Gemeinhin werden diese Arenen durch
ihre charakteristische Struktur sowie ihre funktionalen Eigenschaften gekennzeichnet.
So kann beispielsweise zwischen der politischen, der unternehmerischen und der Bevöl-
kerungsarena unterschieden werden. Dieser Arenenansatz erlaubt es, die große Anzahl
und Vielfalt der Akteure eines Energiegouvernanzsystems sowie die Komplexität ihrer
Interaktionsmuster besser zu bewältigen (Späth et al. 2007; Späth und Rohracher 2010).
Bezüglich des technologischen Systems unterscheiden wir unterschiedliche Techno-
logiegruppen zur Produktion (erneuerbarer) Energien, wie es von Kost et al. (2013) bereits
angewandt wurde. Diese Unterscheidung erlaubt eine präzisere Analyse des Energiepro-
duktionsystems als die Gruppierung nach Energieressourcen (Wind, Wasser, Sonne etc.),
ist jedoch weniger detailliert als die Untersuchung jeder einzelnen Produktionstechno-
logie.
In den folgenden Unterkapiteln erläutern wir die von Binder et al. (2017) vorgeschla-
genen Indikatoren, anhand derer Diversität und Konnektivität eines Energiesystems in
Transition unter Berücksichtigung seiner sozialen und technologischen Elemente gemes-
sen werden können.

2.1 Diversität

Nach Stirling (2007) wird der Diversitätsbegriff über verschiedene Disziplinen und Sys-
temkontexte hinweg ähnlich definiert und gemessen. Diversität kann dabei auf Basis drei-
er grundlegender Eigenschaften konzeptualisiert werden: Varietät, Balance und Disparität
(vgl. Tabelle 1). Obwohl eine fortwährende Debatte darüber besteht, ob diese drei Indika-
toren ausreichend sind (Sokal und Sneath 1970; Stirling 1998; Stirling 2007, 2010; Rafols
und Meyer 2008), beschränken wir uns für die vorliegende Arbeit dennoch auf dieses drei.
Aus Tabelle 1 können Vorschläge zur Messung und Anwendung der Diversitätsindikato-
ren für das Energiesystem entnommen werden.
298 Susan Mühlemeier, Romano Wyss und Claudia R. Binder

Tabelle 1 Operationalisierung von Diversität in sozio-technischen Systemen (basierend auf Bin-


der et al. 2017)
Indikator Definition
Varietät Varietät bezieht sich auf die Anzahl der Kategorien in welche die System-
elemente aufgeteilt werden können.
Balance Balance bezieht sich auf die Verteilungsmuster von Elementen über die
verschiedenen Kategorien hinweg.
Disparität Disparität bezieht sich auf die Art und Weise sowie den Grad, zu dem
Elemente qualitativ unterschieden werden können.

2.1.1 Varietät

Für das soziale Teilsystem beschreibt die Varietät die Anzahl an sozialen Arenen, welche
im regionalen Energiegouvernanzsystem nachgewiesen werden können. Für das techni-
sche Teilsystem beschreibt die Varietät die Anzahl der Technologiegruppen, welche im
regionalen Energieproduktionssystem an der Energieproduktion beteiligt sind.

Bedeutung für die Resilienz


Eine steigende Varietät der sozialen Arenen zieht eine höhere Anzahl an unterschiedli-
chen Sichtweisen und Perspektiven im regionalen Energiediskurs nach sich. Dies kann zu
einer steigenden Anpassungsfähigkeit führen und den systemischen Wandel unterstützen.
Gleichzeitig kann eine hohe Varietät im sozialen Teilsystem größere Anstrengungen zur
Stabilisierung des Gouvernanzsystems nach sich ziehen. Eine hohe Varietät der Techno-
logiegruppen im regionalen Energieproduktionssystem kann destabilisierend wirken und
die Kosten des Energiesystems erhöhen. So müssen z. B. Grund- und Spitzenlasttechnolo-
gien integriert werden (Grimm 2007; Bruns et al. 2012; Grünwald et al. 2012; Schill 2013).
Gleichzeitig ist ein Energiesystem, das sich durch eine hohe Varietät der Technologiegrup-
pen auszeichnet, aber auch weniger anfällig auf externe Schocks, die bspw. eine spezifi-
sche Ressource oder Technologie betreffen. Je nach Art der Technologie können bei hoher
Varietät Technologiegruppen (bis zu einem gewissen Maß) auch substituiert werden. Die
Resilienz des Systems korreliert dabei jedoch nicht allein mit der Varietät, sondern ist
gleichermaßen von den anderen Diversitäts- und Konnektivitätsfaktoren abhängig.

2.1.2 Balance

Für das soziale Teilsystem beschreibt die Balance die Anzahl der Akteure pro sozialer
Arena im Vergleich zur Gesamtanzahl der Akteure im regionalen Energiegouvernanz-
system. Für das technische Teilsystem beschreibt die Balance den Anteil der einzelnen
Technologiegruppe an der Gesamtenergieproduktion im regionalen Energieproduktions-
system.
Ein indikatorengestützter Ansatz zur Resilienzanalyse … 299

Bedeutung für die Resilienz


Sind die Akteure über die beteiligten Arenen gleichmäßig verteilt, steigt die Wahrschein-
lichkeit, dass die unterschiedlichen Standpunkte und Sichtweisen im regionalen Ener-
giegouvernanzsystem gleichermaßen zur Sprache kommen und in den entsprechenden
Entscheidungen ihren Niederschlag finden. Der Transitionsprozess ist dadurch auf eine
breite Akzeptanz gestützt und gegenüber externen Schocks resistenter. Diese Stabilität
kann jedoch die Effizienz der Entscheidungsfindungsprozesse insgesamt beeinträchtigen
und den Prozess verlangsamen (Lietaer et al. 2010). Sind die Technologiegruppen in etwa
gleichmäßig an der regionalen Energieproduktion beteiligt, bzw. besteht eine hohe Ba-
lance zwischen den Technologiegruppen, kann dies eine geringere Gesamtstabilität der
netzbasierten Versorgung zur Folge haben (z. B. Integration unterschiedliche Lasttypen).
Gleichzeitig wird jedoch die Anfälligkeit auf Schocks, welche spezifische Technologie-
gruppen betreffen, verringert und aufgrund der möglichen (kurzfristigen) Substituierung
einer Technologiegruppe durch eine andere erhöht sich die Flexibilität und Anpassungs-
fähigkeit des technologischen Teilsystems.

2.1.3 Disparität

Für das soziale Teilsystem beschreibt die Disparität die qualitativen Unterschiede zwi-
schen den sozialen Arenen des regionalen Energiesystems, die sich z. B. in unterschied-
licher Kommunikationsform, Koordinationsform, typischen Handlungsweisen, dem Zeit-
horizont oder der räumlichen Skalierung niederschlagen (Wyss et al. 2017a). Für das
technische Teilsystem beschreibt die Disparität die qualitativen Unterschiede zwischen
den Technologiegruppen des regionalen Energieproduktionssystems, die sich z. B. in
unterschiedlicher Energieeffizienz, Ressourcenbasis, CO2-Emission, Oberflächenbedarf,
Wetterabhängigkeit und Gestehungskosten äußern (ebd.).

Bedeutung für die Resilienz


Je unterschiedlicher sich die sozialen Arenen in Bezug auf ihre qualitativen Merkmale
gestalten, desto unterschiedlichere Wissensformen und Sichtweisen können ihren Weg in
den regionalen Diskurs finden. Höhe Disparität kann entsprechend dazu beitragen, Kurz-
sichtigkeit und Lock-ins im sozialen Subsystem zu verhindern. Gleichzeitig erschwert eine
hohe Disparität die kollektiven Entscheidungsfindungen und beeinträchtigt womöglich die
langfristige Zieldefinition in der Region. Eine hohe Disparität der Technologiegruppen
bietet ein breites Portfolio an Alternativen und verringert die Vulnerabilität des Systems
gegenüber bestimmten, technologiespezifischen Schocks. Und auch wenn die Gefahr der
schwierigen Integration verschiedener Technologien besteht, kann sich ein gewisser Grad
der Disparität resilienzfördernd auswirken, da die Technologien ergänzend eingesetzt
werden können (Biomasse für die Grundlast und Photovoltaik (PV) für die Spitzenlast).
Eine hohe Disparität eröffnet zudem auch verschiedene Entwicklungsmöglichkeiten für
das Energieproduktionssystem und trägt somit zur Resilienz der Transition entscheidend
bei.
300 Susan Mühlemeier, Romano Wyss und Claudia R. Binder

2.2 Konnektivität

Zur Operationalisierung des Konnektivitätsbegriffs ziehen wir grundlegende Kon-


zepte der Netzwerkanalyse für soziale und technische Systeme heran. Basierend
auf der Netzwerkliteratur (Wasserman und Faust 1994; Scott 2012, S. 20) sowie de-
ren Anwendung für die Energiesystemanalyse (Roege et al. 2014), haben wir folgende
drei Hauptelemente zur Operationalisierung der Konnektivität identifiziert: Durch-
schnittliche Pfadlänge, Gradzentralität und Modularität (vgl. Tabelle 2). In der Re-
silienzliteratur (Luthe et al. 2012; Bergsten et al. 2014; Luthe und Wyss 2016) sind
unterschiedliche Größen zur Messung der Konnektivität vorgeschlagen worden. Pfad-
länge, Zentralität und Modularität sind dabei mit am weitesten verbreitet und haben
sich in der empirischen Anwendung als belastbare Resilienz-Indikatoren bewährt.

Tabelle 2 Operationalisierung von Konnektivität in sozio-technischen Energiesystemen (Was-


serman und Faust 1994; Binder et al. 2017; Luthe und Wyss 2016)
Indikator Definition
Durchschnittliche Die durchschnittliche Pfadlänge beschreibt die Menge an Zwischen-
Pfadlänge schritten, die vorgenommen werden muss, um zwei beliebige Knoten-
punkten im Netzwerk zu erreichen.
Gradzentralität Die Gradzentralität beschreibt die relative Position eines Knotenpunkts
im Netzwerk in Bezug zu den anderen Knotenpunkten im System: Ein
Knotenpunkt ist zentraler, wenn er mehr Verbindungen hat als andere
Knotenpunkte (Freeman 1978; Weimann 1982).
Modularität Netzwerkmodule beschreiben Teile eines Netzwerks, die bezogen auf
das Gesamtsystem eine überdurchschnittliche Interaktionsintensität auf-
weisen (Clauset, Newman und Moore 2004; Newman 2006).

2.2.1 Durchschnittliche Pfadlänge

Die durchschnittliche Pfadlänge beschreibt auf das soziale Teilsystem angewandt die An-
zahl der Schritte, die man im Durchschnitt benötigt, um als Akteur einer Arena auf dem
kürzesten Weg die Akteure einer beliebigen (anderen) Arena im System zu erreichen.
Global betrachtet erlaubt eine kurze durchschnittliche Pfadlänge Informationen inner-
halb einer Systems schneller zirkulieren zu lassen (Wasserman und Faust 1994). Auf das
technische Teilsystem angewandt beschreibt die durchschnittliche Pfadlänge die Anzahl
an Knotenpunkten zwischen unterschiedlichen Produktionsstätten beziehungsweise zwi-
schen Produktions- und Konsumtionsstätten innerhalb des Systems (z. B. Umspannwerke,
Verteilstationen etc.).

Bedeutung für die Resilienz


Direkte Kommunikationswege zwischen Akteuren unterschiedlicher Arenen führen in der
Tendenz zu einer Erhöhung der Resilienz des Gesamtsystems. Dies einerseits in der kurzfri-
Ein indikatorengestützter Ansatz zur Resilienzanalyse … 301

stigen Perspektive, da angesichts eines drohenden Schocks eine effektive Zusammenarbeit zwi-
schen Akteuren erleichtert wird, und andererseits längerfristig, da die Anpassungsfähigkeit des
Gesamtsystems durch höhere Raten des Wissensaustauschs und der Kommunikation gestärkt
wird (Scott 2012; Wyss et al. 2015). Im technischen System kann sich eine höhere Pfadlänge in-
sofern resilienzfördernd auswirken, als dass die längere Übertragungszeit und die höhere Zahl
an Knoten entlang eines Verteilungspfades Interventionen bei gefährlichen Versorgungsstö-
rung im regionalen Energieverteilungsnetz erleichtert. Aus der Literatur ist bekannt, dass eine
höhere durchschnittliche Pfadlänge generell die Stabilität technischer Systeme erhöht, welche
anfällig auf Kaskadeneffekte sind (siehe z. B. Ash und Newth 2007).

2.2.2 Gradzentralität

Die Gradzentralität stellt neben der Nähe- und der Zwischenzentralität den zentralen In-
dikator zur Messung von Zentralität in Netzwerken dar (Weimann 1982). Für das soziale
Teilsystem beschreibt die Gradzentralität die Anzahl der Verbindung zwischen Akteuren
einer Arena und den Akteuren aller anderen Arenen im Vergleich zur Anzahl der ins-
gesamt theoretisch möglichen Verbindungen zwischen den Arenen. Die Gradzentralität
beschreibt entsprechend den Vernetzungsgrad eines Akteurs oder einer Arena im Gesamt-
system. Im technischen Teilsystem haben bestimmte Technologiegruppen (Flusslaufkraft-
werke, Kohlekraftwerke, Atomkraftwerke) je nach Region historisch eine unterschiedlich
hohe Zentralität entwickelt. Die Netzwerkstruktur des Energiesystems ist entsprechend
auf die Dominanz bestimmter Technologiegruppen ausgelegt.

Bedeutung für die Resilienz


Akteure mit einer hohen Zentralität sind von besonderer Bedeutung hinsichtlich der Steue-
rung kollektiver Handlungen zwischen den Arenen. Sie können entsprechend Handlungen
über die Grenzen sozialer Arenen hinweg koordinieren. Zentrale Akteure besitzen zwecks
ihrer Stellung jedoch auch die Macht, die Veränderungen eines Systems zu verlangsamen
oder gar zu verhindern, wenn dies in ihrem Interesse liegt (Wyss et al. 2015). Ein stark
zentralisiertes System ist deutlich vulnerabler hinsichtlich eines Schocks, der den zentra-
len Versorger betrifft (wie z. B. Atomunfälle). Mit der zunehmenden Dezentralität durch
den erhöhten Anteil an erneuerbaren Energien kann diese Gefahr abgemildert werden. Für
die Resilienz der Transition ist es daher wichtig, neben den zentralen Verteilstrukturen
auch dezentrale Kanäle der Energieversorgung auszubauen, um die dezentraleren Pro-
duktionsstrukturen in der Netzinfrastruktur widerzuspiegeln und eine anpassungsfähige
Netzinfrastruktur bereitzustellen.

2.2.3 Modularität

Im sozialen Teilsystem beschreibt die Modularität die Tendenz der Akteure, über die Are-
nengrenzen hinweg Untergruppen zu bilden, die unter sich besonders gut vernetzt und
vom restlichen Netzwerk teilweise losgelöst sind. Die Modularität im technischen Teil-
302 Susan Mühlemeier, Romano Wyss und Claudia R. Binder

system kann unterschiedlich definiert werden. Für das Stromsystem können (teil-)abkop-
pelbare Verteilungsnetze von Produzenten zu Konsumenten identifiziert werden (Micro-
Grids). Im Wärmenetz kann man die Modularität des Teilsystems als die (teil-)entkoppelte
Versorgungsstruktur von Versorgungspunkten (Gas, Erdöl, Fernwärme) zu Konsumenten
verstehen.

Bedeutung für die Resilienz


Eine hohe Modularität im sozialen System kann zu einem verstärkten Austausch inno-
vativer Ideen in einer teilweise abgegrenzten Subgruppe des Systems führen und lokale
Innovationen begünstigen (Luthe und Wyss 2016), die letztendlich zu einer höheren An-
passungsfähigkeit des Gesamtsystems führen (Bodin et al. 2006; Bodin und Crona 2009).
Gleichzeitig kann eine hohe Modularität jedoch auch den Informationsfluss zwischen Ak-
teuren, die nicht Teil der gleichen Subgruppe gehören, erschweren und z.B: die Akzeptanz
für neue Entwicklungen gefährden. Im technischen Bereich nimmt die Resilienz des Sys-
tems mit seiner Gesamtmodularität, bzw. der Clusterbildung zu (Rosenkrantz et al. 2005;
Sharifi und Yamagata 2016): in modularisierten Netzwerken verbreiten sich Schocks we-
niger schnell und können im Idealfall am Eingangsknotenpunkt eines Modules abgeblockt
werden (Roege et al. 2014). Im Stromnetz wirkt sich eine zunehmende Modularisierung in
regionalen Verteilnetzen, die auch unabhängig vom Übertragungsnetzwerk funktionieren
können (z. B. durch regionale Speichereinheiten), positiv auf die Resilienz der Transition
aus. Die bisherigen Schwierigkeiten der zusätzlichen Netzbelastung durch die erneuer-
baren Energien kann so abgefangen und der weitere Ausbau der Erneuerbaren fortgesetzt
werden.

2.3 Idealtypische Fälle

Allgemein können vier idealtypische Fälle unterschieden werden, die sich bezüglich der
jeweiligen Ausprägung der Diversität und Konnektivität unterscheiden (Binder et al. 2017):
regionale Energiesysteme mit hoher Diversität und hoher Konnektivität, welche ideale
Voraussetzungen für eine resiliente Transition mitbringen; regionale Energiesysteme mit
tiefer Diversität und tiefer Konnektivität, welche eine sehr eingeschränkte Resilienz der
Transition aufweisen und Mischformen mit unterschiedlicher Ausprägung der Diversität
und Konnektivität in den sozialen und technischen Teilsystemen.
Ein indikatorengestützter Ansatz zur Resilienzanalyse … 303

3 Methodik der Anwendung der Resilienzindikatoren


auf die Transition des regionalen Energiesystems im
bayerischen Allgäu

3.1 Untersuchungsregion „bayerisches Allgäu“

Im folgenden Abschnitt wenden wir das oben besprochene Indikatorenset zur Analyse der
Resilienz eines regionalen Energiesystems in Transition auf die Region des bayerischen
Allgäus an. Die Region umfasst die vier Landkreise Ost-, Ober- und Unterallgäu sowie
Lindau und die kreisfreien Städte Memmingen, Kaufbeuren und Kempten und liegt am
südwestlichen Alpenrand Bayerns (vgl. Abbildung 2). Das bayerische Allgäu kann als eine
der Vorreiterregionen in Deutschland hinsichtlich des Fortschritts der Energiewende ge-
sehen werden. Heute werden im bayerischen Allgäu ca. 39 % des Gesamtstromverbrauchs
aus erneuerbaren Energien produziert – der Landkreis Ostallgäu ist dabei mit 109 % Spit-
zenreiter in der Region (BStMWi 2016).

Abbildung 2 Die Untersuchungsregion „bayerisches Allgäu“

Aufgrund der naturräumlichen Bedingungen, wie großer Waldflächen (Landkreis Ober-


allgäu = 37 % der Landkreisfläche (Bayerisches Landesamt für Statistik 2015a) und Was-
serläufen mit hoher Reliefenergie, wurden die regionalen Ressourcen Holz und Wasser
schon frühzeitig auch energetisch genutzt. Hohe Windgeschwindigkeiten in Kammlagen
erlauben darüber hinaus die Nutzung von Windenergie (StMWi 2017).
Weiterhin begünstigt die landwirtschaftlich geprägte Landnutzung in der Region die
Energiegewinnung aus Biomasse (50 % landwirtschaftlich genutzte Fläche, vgl. Bayeri-
sches Landesamt für Statistik 2015b). Viele Allgäuer arbeiten in traditionell ansässigen
Industrie- und Handwerksbetrieben, die ein breites technische Knowhow in der Region
zur Verfügung stellen (Bayerisches Landesamt für Statistik 2015c, 2015d). Darüber hin-
aus spielen folgende Faktoren für den Fortschritt der Energiewende eine wichtige Rolle: i)
die lokalen und kleinteiligen Besitzverhältnisse sowohl im Stromverteilnetz als auch bei
der Energiegrundversorgung (LUTUM + TAPPE Geomarketing 2017), die ein regionales
Agieren unabhängig von großen Konzernen ermöglicht; ii) die frühe und lokal initiierte
304 Susan Mühlemeier, Romano Wyss und Claudia R. Binder

Institutionalisierung von Energiewende fördernden Richtlinien (z. B. Klimaschutzzielen)


und Organisationen (wie z. B. der Vereine FEE, RENERGIE oder dem Energie- und Um-
weltzentrum Allgäu (eza!), die den Bestrebungen einen festen politischen und organisa-
tionalen Rahmen geben (vgl. Energie- und Umweltzentrum Allgäu (eza!) 2017a, 2017b;
Renergie Allgäu e.V. 2017) sowie iii) die frühe Unterstützung der regionalen Energiewen-
de durch konventionelle Akteure wie z. B. Stadtwerke, Abfallunternehmen, Waldbesitzer-
verband oder der Raiffeisenbank, die eine breite Akzeptanz des Transitionsprozess in der
regionalen Bevölkerung begünstigte (Mühlemeier und Knöpfle 2016; Mühlemeier et al.
2017a).
Auf Basis dieses besonders förderlichen regionalen Umfeldes hat schließlich eine gut
vernetzte Gruppe an Pionieren aus den sozialen Arenen Politik, Wirtschaft (Energiewirt-
schaft, Land-, Forst- und Abfallwirtschaft) und Vereine (z. B. Fördervereine für die Ener-
giewende, Branchenverbände) erheblich zur anfänglichen Entwicklung und fortwähren-
den Umsetzung der regionalen Energiewende beigetragen (Mühlemeier et al. 2017a).

3.2 Untersuchungsmethoden der Fallstudienanalyse

Die Ergebnisse unserer explorativen Fallstudienanalyse wurden durch einen Mixed-


Methods Ansatz erhoben (Flick et al. 2004), der sowohl qualitative als auch quantitative
Erhebungsschritte umfasst. Wie von Binder et al. (2017) vorgeschlagen, haben wir eine
Untergliederung des sozialen Teilsystems in soziale Arenen sowie des technischen Teil-
systems in Technologiegruppen vorgenommen (Binder et al. 2017), um eine vergleichbare
Bezugseinheit im sozialen und technischen Teilsystem zu erhalten. 3
Der Analyse des sozialen Teilsystems liegen die 2014 und 2015 in der Region geführten
Experteninterviews zu Grunde. Die Interviewpartner wurden nach dem sog. Snowball
Sampling (Flick et al. 2004, S. 125; Flick 2009, S. 168) ermittelt, bei dem „wichtige Pio-
niere der Energiewende in der Region“ erfasst wurden. Die Interviewten wurden zu ihrer
Wahrnehmung des Verlaufs der Energietransition in der Region, zu wichtigen Akteuren
für den Fortschritt der Energiewende sowie nach ihrer Wahrnehmung fördernder und
hemmender Faktoren und Organisationen befragt. Die Auswertung der Interviews erfolg-
te durch eine qualitative Textanalyse (Mayring 2010, 2014; Kuckartz 2014) mit offener
Kodierung in MAXQDA (http://www.maxqda.de). Für den vorliegenden Text wurden die
von den Interviewten jeweils genannten wichtigen Akteure und Organisationen sowie ihre
Vernetzung mit VISONE (Visualisierung sozialer Netzwerke, http://www.visone.info)
dargestellt und in einem one-mode network analysiert; das heißt Akteure und Organisa-
tionen werden gleichwertig behandelt (vgl. Wasserman und Faust 1994, S. 36). Eine Ver-
bindung besteht in diesem Netzwerk a) zwischen Akteuren, wenn sich diese kennen oder
b) zwischen Akteur und Organisation bzw. unter verschiedenen Organisationen, wenn der
Akteur oder die Organisation Teil einer (anderen) Organisation ist. Obwohl diese Methode

3 Kapitel 3.2 basiert auf Mühlemeier, Binder und Wyss (2017b)


Ein indikatorengestützter Ansatz zur Resilienzanalyse … 305

keine vollständige Darstellung der Konnektivität des sozialen Teilsystems in der Region
erlaubt, kann hiermit auch ohne Vollerhebung eine intersubjektive Aussagekraft erlangt
werden.
Hinsichtlich des technischen Teilsystems konnte auf die Daten einer Energieflussana-
lyse (Baccini und Bader 1996; Hendriks et al. 2000; Hug et al. 2004) zurückgegriffen
werden, die im Rahmen einer Masterarbeit des ForChange Forschungsprojekts „Transfor-
mationsprozesse zu einem nachhaltigeren Energiesystem“ entstand (www.forchange.de).
Hierzu wurden für die Region bayerisches Allgäu alle Energieflüsse (Produktion, Trans-
port und Konsumption von Elektrizität und Wärme) ermittelt, die aus öffentlichen Daten
für das Jahr 2011 berechnet werden konnten. Für die Elektrizitätsproduktion wurden das
EEG-Register der Übertragungsnetzbetreiber (Amprion 2017; TenneT 2017; TransnetBW
2017), EEG-Meldungen der Verteilnetzbetreiber (AllgäuNetz GmbH und Co. KG 2017;
Elektrizitätsgenossenschaft Rettenberg 2017; Elektrizitätswerk Hindelang eG 2017; LEW
Verteilnetz 2017; Stadtwerke Bad Wörishofen 2017; VWEW-energie 2017; Weißachta-
ler Kraftwerke 2017), Daten des Energieatlas Bayern (StMWi 2017) sowie Daten ein-
zelner Anlagenbetreiber verwendet. Nicht EEG-geförderte Anlagen mussten geschätzt
werden, PV und Windkraftanlagen konnten durch ihren geringen Anteil vernachlässigt
werden (beides unter Zuhilfenahme des lokalen Expertenwissens der eza!). Die Daten
für die Wärmeproduktion wurde ebenfalls dem Energieatlas Bayern, einem Bericht des
eza! (Böhm et al. k.A.) und Angaben einzelner Anlagenbetreiber entnommen. Visualisiert
wurde die Analyse mit STAN 2.5 (http://stan2web.net). Es wurde davon ausgegangen,
dass der Energieverbrauch im Bereich Mobilität auf fossilen Energieträgern basiert. Die-
ser Bereich wurde für den weiteren Verlauf der Analyse nicht berücksichtigt, da der Fokus
auf den Wandel in Richtung eines höheren Anteils erneuerbarer Energien gelegt wurde
und dieser im Mobilitätsbereich (noch) kaum spürbar ist.

4 Qualitative Ergebnisse zu den Resilienzindikatoren für die


regionale Energiesystemtransition im bayerischen Allgäu

4.1 Die Diversität des sozialen Teilsystems

Zur Analyse der Diversität haben wir die drei erwähnten Indikatoren wie folgt angewandt:
Varietät – wie viele soziale Arenen sind an der Transition des regionalen Energiesystems
beteiligt? Balance – Wie viele Akteure sind pro Arena beteiligt? Disparität – Wie unter-
schiedlich sind die beteiligten Arenen? 4

4 Für eine zusammenfassende, tabellarische Darstellung der Ergebnisse siehe auch Mühlemeier, Bin-
der und Wyss (2017b)
306 Susan Mühlemeier, Romano Wyss und Claudia R. Binder

4.1.1 Varietät

Folgende soziale Arenen konnten aus den Angaben der Befragten ermittelt werden:

• Politik: Kommunal- und Landkreispolitik und Verwaltung;


• Vereine (und Verbände): im Bereich Energiewende, Regionalentwicklung und Bran-
chenvertretung;
• Wirtschaft: untergliedert in Energiewirtschaft und (sonstige) Wirtschaft;
• Forschung: privatwirtschaftliche und universitäre Institute;
• Medien: lokales Printmedium.

Die Untergliederung der Arena Wirtschaft in Energiewirtschaft und (sonstige) Wirtschaft


wurde vorgenommen, da es sich in der Energiewirtschaft häufig um Organisationen han-
delt, die durch ihre Funktion der Daseinsvorsorge eng an die lokale Politik gebunden sind
(z. B. Kommunale Energieversorger) und daher anderen Logiken folgen als z. B. Elekt-
ro- oder Sanitärinstallationsfirmen (siehe auch Abschnitt Disparität). In der Region sind
jedoch beide Teilarenen als sehr wichtig für das Energiegouvernanzsystem und den Fort-
schritt der Energiewende eingeschätzt worden. Die lokale Presse wurde auf Nachfrage hin
in einigen Interviews ebenfalls genannt, jedoch eher als positiv unterstützender Begleiter,
nicht als eigentlicher Akteur im Energiewendeprozess (vgl. Abbildung 3).

Abbildung 3 Schematische Darstellung der beteiligten Arenen

Die Varietät des sozialen Teilsystems ist im bayerischen Allgäu hoch und kann daher für
die Resilienz der Transition des Energiesystems positiv bewertet werden, da verschiedene
Gesellschaftsbereiche mit ihren Interessen an der Steuerung und Entwicklung des Ener-
giesystems beteiligt sind.

4.1.2 Balance

Eine Berechnung der Balance – wie von Binder et al. (2017) vorgeschlagen – ist für diese
Arbeit aufgrund der qualitativ erhobenen Wahrnehmungen der Befragten nicht sinnvoll.
Es handelt sich um Einzelwahrnehmungen zu einem bestimmten Zeitpunkt, die keine
Ein indikatorengestützter Ansatz zur Resilienzanalyse … 307

Vollerhebung darstellen und die Balanceberechnung wäre darüber hinaus auch die Mehr-
fachbeteiligung der individuellen Akteure in verschiedenen Arenen (z. B. sowohl Inhaber
einer Firma als auch Vereinsvorstand und Kommunalpolitiker) oder der gleichen Arena
(z. B. in mehreren Vereinen) verzerrt.
Wir haben stattdessen aus den Experteninterviews deskriptiv abgeleitet, wie viele Or-
ganisationen von den Befragten in den jeweiligen Arenen genannt wurden (vgl. Abbildung
4), auch wenn dies ebenfalls nur ein Abbild einer einmalig erhobenen Wahrnehmung dar-
stellt.

Abbildung 4 Akteure und Organisationen nach Arenen

Man kann aus dieser Erhebung ableiten, dass die meisten Organisationen im Bereich der
Arena Vereine genannt wurden, darauf folgend etwa ähnlich viele in Politik, Energie-
wirtschaft und Wirtschaft; deutlich weniger dagegen in der Arena Forschung und am
wenigsten in der Arena Medien. Die Balance des sozialen Systems ist daher insgesamt im
mittleren Bereich, da in der Wahrnehmung der Befragten zwar nicht alle Arenen gleich
stark vertreten sind, jedoch auch keine Arena das System allein dominiert. Politik, Ver-
eine, Wirtschaft und Energiewirtschaft sind an der Transition des regionalen Energiesys-
tems gleichermaßen beteiligt, was hinsichtlich der Resilienz des Prozesses positiv bewer-
tet werden kann. Sollte ein externer Schock eine der Arenen besonders stark treffen und
diese die Transition nicht weiter unterstützen, kann sie dennoch von den anderen Arenen
weitergetragen werden.

4.1.3 Disparität

Wie bereits im Abschnitt zur Varietät angedeutet, definieren sich die sozialen Arenen
durch ihre qualitativen Unterschiede, wobei der Unterschied zwischen der Energiewirt-
schaft und der sonstigen Wirtschaft besonders deutlich wird. Nach Wyss et al. (2017)
zeichnet sich die Arena Wirtschaft durch eine marktbasierte Koordination sowie produ-
zierende, handelnde oder servicebasierte Handlungsweisen aus und ist dabei lokal bis hin
308 Susan Mühlemeier, Romano Wyss und Claudia R. Binder

zu global orientiert. Die Arena Politik zeichnet sich dagegen durch eine hierarchische
Organisation, das Agieren durch Regulation oder Subventionen und ein Fokussieren auf
die lokale oder regionale Ebene aus. Die Teilarena Energiewirtschaft kann zwischen die-
sen beiden Archetypen angesiedelt werden, da z. B. Energieversorgungsunternehmen zwar
marktwirtschaftlich funktionieren, jedoch gleichzeitig einer Kommune unterstellt oder
rechenschaftspflichtig sein können. Die Arena der Vereine zeichnet sich schließlich durch
eine netzwerkartige Organisation sowie eine Langfristorientierung und ebenfalls regio-
nale Verankerung aus. Vernetzen, informieren und lobbyieren stellen ihre Hauptaktions-
formen dar.
Für den sozialen Teil des Energiesystems bedeutet dies, dass die Disparität hoch ist und
die Akteure in der Energiewende sowohl marktwirtschaftlichen als auch hierarchischen
Logiken folgen. Sie produzieren und vermarkten einerseits Produkte in der Region, an-
dererseits verwalten und vernetzen die Akteure des Energiesystems in der Region. Diese
enorme Vielfalt der Handlungslogiken der Akteure kann natürlich zu Spannungen und
Reibungsflächen führen und wird daher hinsichtlich der Resilienz der Transition sowohl
positiv als auch negativ bewertet. Können die Differenzen zwischen den beteiligten Ak-
teuren der verschiedenen Arenen nicht überwunden werden, wird die Transition ausge-
bremst. Findet sich aber ein Konsens zwischen den Arenen, kann auf unterschiedlichste
Wissensformen, Handlungs- und Organisationsformen zurückgegriffen werden, die im
Falle eines externen Schocks oder der Veränderung der Rahmenbedingungen die Anpas-
sungsfähigkeit des Systems enorm erhöht – und die Resilienz der Transition steigt. Dies
kann jedoch nur durch eine entsprechende Vernetzung der Akteure zwischen den Arenen
gelingen, was im folgenden Abschnitt untersucht wird.

4.2 Die Konnektivität des sozialen Teilsystems

Für die Konnektivität des sozialen Systems haben wir die drei von Binder et al. (2017) vor-
geschlagenen Indikatoren wie folgt angewandt: Durchschnittliche Pfadlänge – Wie direkt
sind die Akteure bzw. über die Akteure auch die Organisationen miteinander vernetzt?
Gradzentralität – gibt es einen Akteur, bzw. eine Organisation die besonders stark vernetzt
ist? Modularität – gibt es Teile des Netzwerks, die vergleichsweise stärker untereinander
vernetzt sind?

4.2.1 Durchschnittliche Pfadlänge

Auch für die von Binder et al. (2017) vorgeschlagene Berechnung der durchschnittlichen
Pfadlänge muss einschränkend festgehalten werden, dass die qualitativ erhobene Daten-
grundlage, die keine Vollerhebung der sozialen Netzwerke in der Region darstellt, keine
vergleichbare Pfadlängenberechnung erlaubt. Die hier angegebenen Zahlen sollen daher
lediglich als Anwendungsbeispiel des vorgeschlagenen Ansatzes dienen.
Ein indikatorengestützter Ansatz zur Resilienzanalyse … 309

Die wahrgenommene durchschnittliche Pfadlänge zwischen den befragten Akteuren


beträgt für das untersuchte Netzwerk 2,9. Das heißt, dass im Durchschnitt jeder Akteur
über zwei andere mit einem Dritten verbunden ist. Die Pfadlänge zwischen den Organisa-
tionen ist mit 1,7 deutlich kürzer, da nur einige wenige Organisationen direkt an anderen
Organisationen beteiligt sind und die restlichen (die über Individuen vernetzt sind), auto-
matisch mit dem Wert „0“ verrechnet werden (siehe auch Abbildung 5). Die Pfadlänge
des gesamten Netzwerks beträgt 2,7. Hinsichtlich der Resilienz kann man schließen, dass
die Akteure untereinander zwar gut vernetzt sind, jedoch ohne die entsprechenden Ver-
bindungen über die Organisationen Informationen häufig nicht direkt von Akteur zu Ak-
teur, sondern über eine Drittperson fließt. Dies könnte die Anpassungsfähigkeit im Fall
von kurzfristig auftauchenden Schock-Ereignissen beeinträchtigen. Längerfristig können
höhere durchschnittliche Pfadlängen aber einem allzu starken Gruppendenken, also der
ungefilterten Propagation von Ideen und Meinungen, im Netzwerk vorbeugen und die
langfristige Resilienz des Transitionsprozesses erhöhen.

4.2.2 Gradzentralität

Wendet man die von Binder et al. (2017) vorgeschlagene Formalisierung für die Messung
der Gradzentralität an, so ergibt sich für die eza! ein Zentralitätswert von 9,7 %. Sie ist da-
mit die zentralste Organisation des Netzwerkes (vgl. auch Mühlemeier und Knöpfle 2016).
Daraufhin folgen die vier zentralsten Akteure: ein Landrat, ein Verbandsvorsitzender und
zwei Akteure aus der Wirtschaft mit einer Gradzentralität von 4,7 % bis 3,4 % sowie vier
Organisationen aus der Energiewirtschaft und der Arena der Vereine (hier: zur Regio-
nalentwicklung) mit einer Gradzentralität von 3,4 % bis 3,2 %. Auch für die Berechnung
der Gradzentralität gilt die oben genannte Einschränkung und der Hinweis, dass es sich
hier um individuelle Wahrnehmungen handelt, die nicht gewichtet werden konnten und
lediglich der Veranschaulichung des theoretischen Ansatzes dienen. Trotzdem zeigt sich,
dass Akteure und Organisationen aus den Arenen Vereine, Politik, Wirtschaft und Ener-
giewirtschaft nicht nur am stärksten vertreten sind im Netzwerk (vgl. Balance), sondern
auch die zentralsten Positionen im Netzwerk einnehmen. Es wird wiederum deutlich, dass
abgesehen von der eza! keine Zentralität von Organisationen aus lediglich einer Arena
festzustellen ist. Das soziale Teilsystem wird von den Akteuren insgesamt als ausgewogen
wahrgenommen, mit einem klaren zentralsten Akteur, der eza! (vgl. Abbildung 5).
Für die Resilienz des Systems kann diese Struktur sowohl positiv wie auch negativ be-
wertet werden: Solange die eza! als zentraler Akteur die Transition unterstützt und weiter
vorantreibt und dabei von den Akteuren des Netzwerks unterstützt wird, wirkt sich dies
enorm förderlich auf den Transitionsprozess aus, da direkte Impulse von der eza! in das
gesamte Netzwerk ausgehen. Steht die eza! jedoch nicht mehr hinter der Transition oder
wird als Treiber der Energiewende nicht mehr unterstützt, fehlt dem Netzwerk der zentrale
Koordinationspunkt und die Transition gerät ins Stocken. Dies könnte eventuell durch
die zentralen Akteure und Organisationen, die der eza! in der Abstufung der Zentralität
folgen, abgefangen werden. Hier wirkt sich wiederum die Balance zwischen den Arenen
positiv aus, die ein weiteres Gelingen der Energiewende ermöglicht.
310 Susan Mühlemeier, Romano Wyss und Claudia R. Binder

Medien

Politik

Akteur

Wirtschaft

Energiewirtschaft

Verein

Forschung

Abbildung 5 Gradzentralität: die Größe der Punkte stellt ihre Zentralität dar; Organisationen
wurden nach ihrer Arenenzugehörigkeit anonymisiert

4.2.3 Modularität

Die Berechnung der Modularität basiert auf dem Louvain-Algorithmus (Blondel, Guil-
laume, Lambiotte und Lefebvre 2008). Dieser Algorithmus fasst diejenigen Akteure und
Organisationen zu einem gemeinsamen Modul zusammen, die eine stärkere Vernetzung
untereinander als zu anderen Akteuren oder Organisationen im Netzwerk aufweisen. Dabei
ergeben sich sieben Module innerhalb des Netzwerks (vgl. Abbildung 6), die jeweils wieder
Organisationen aus den unterschiedlichen Arenen beinhalten. Vier Module beinhalten so-
wohl mehrere Akteure und mehrere Organisationen, zwei lediglich einen Akteur und meh-
rere Organisationen und ein Modul besteht alleine aus Organisationen. Insgesamt zeigt es
sich, dass in vier der sieben Module die Akteure und Organisationen bedeutend stärker ver-
netzt sind als in den anderen drei. Bei diesen vier stärker vernetzten Modulen umfasst eines
alle Arenen, die anderen umfassen keine Organisation aus den Medien und jeweils ein
Modul hat keinen Politik- bzw. Energiewirtschaftsvertreter. Es zeigt sich, dass die Module
Ein indikatorengestützter Ansatz zur Resilienzanalyse … 311

sich nicht innerhalb der Arenen, sondern über Arenengrenzen hinweg bilden. Hinsichtlich
der Resilienz der Transition kann dies positiv bewertet werden, da innerhalb der Module
unterschiedliche Ansätze und Ideen zirkulieren können, diese aber dennoch von Vertretern
aus unterschiedlichen Arenen geteilt oder diskutiert werden. Die Energietransition, die von
dem hier untersuchten Akteursnetzwerk aus maßgeblich mit beeinflusst wird, ist aufgrund
der Modularität des Netzwerks und der Repräsentation mehrerer Arenen in den Modulen
für einen lock-in weniger gefährdet, was die Resilienz des Gesamtsystems steigert.

Medien

Politik

Akteur

Wirtschaft

Energiewirtschaft

Verein

Forschung

Abbildung 6 Modularität des sozialen Netzwerks (auf Basis der Zentralitätsanalyse)

4.3 Die Diversität des technischen Teilsystems

Für die Analyse der Diversität im technischen Teilsystem haben wir die vorgeschlagenen
Indikatoren wie folgt angewandt: Varietät – Wie viele Technologiegruppen sind an der
regionalen Strom- und Wärmeproduktion beteiligt? Balance – Welchen Anteil hat die
jeweilige Technologiegruppe am insgesamt produzierten Strom und Wärme? Disparität –
wie unterschiedlich sind die verschiedenen Technologiegruppen zur Strom- und Wärme-
produktion?
312 Susan Mühlemeier, Romano Wyss und Claudia R. Binder

4.3.1 Varietät

Aus der Energieflussanalyse für das Jahr 2011 ergab sich, dass zur Stromproduktion im
Allgäu

• Wasserkraftanlagen (Kleinkraftwerke, Flusskraftwerke),


• Windkraft- und Photovoltaikanlagen (PV) (Dach- und Freiflächen) sowie
• Biomassekraftwerke

eingesetzt werden. Zur Wärmeproduktion kommen


• Kraftwärmekopplungsanlagen (mit Biomasse betrieben),
• Biomasseheizwerke,
• Solarthermie und
• Wärmepumpen

zum Einsatz (vgl. Abbildung 8). Darüber hinaus werden für die Stromversorgung große
Mengen des Stroms importiert, die aus dem durchschnittlichen nationalen Technologie-
mix entstehen. Für die Wärmeversorgung und Mobilitätsnutzung werden außerdem fossi-
le Brennstoffe importiert (vgl. Abbildung 8). Insgesamt ist die Diversität der in der Region
angesiedelten und über Importe genutzten Energieproduktionstechnologien daher sowohl
für die Strom- als auch für die Wärmeerzeugung hoch und kann hinsichtlich der Resilienz
der Energiewende positiv bewertet werden, da verschiedene Energieproduktionsquellen
die Versorgungssicherheit auch bei großen externen Schocks ermöglichen und der Wandel
des Energiesystems hin zu einem größeren Anteil an erneuerbaren Energien damit tech-
nisch nicht gefährdet ist.

4.3.2 Balance

Hinsichtlich des Anteils, den die Technologien am Gesamtenergieverbauch im Allgäu ha-


ben, zeigt sich erneut der jeweils große Anteil an Strom bzw. an den fossilen Brennstoffen,
der in die Region importiert wird (64 % des Gesamtstromverbrauchs und 84 % der zur
Wärmeproduktion verwendeten Ressourcen, vgl. Abbildung 7). Fokussiert man sich auf
die Anteile der Technologien zur Energieproduktion aus erneuerbaren Energien, so zeigt
sich, dass für die Stromproduktion von den insgesamt 36 % an erneuerbaren Energien
38 % auf PV, 35 % auf Wasserkraft, 22 % auf Biomasse und 5 % auf Windkraftanlagen
entfallen (vgl. Abbildung 8). Bei der Wärmeproduktion entfällt von den insgesamt 16 %
erneuerbaren Energien mit 11 % der Großteil auf importiertes Holz (vgl. Abbildung 7).
Schlüsselt man die verbleibenden 5 % regional produzierter erneuerbarer Energien auf,
so entfallen davon 43 % auf Abwärme aus KWK, 33 % auf Biomasseheizwerke, 13 % auf
Solarthermie und 11 % auf Wärmepumpen (vgl. Abbildung 8).
Ein indikatorengestützter Ansatz zur Resilienzanalyse … 313

Abbildung 7 Balance: Anteil aller Technologiearten am jährlichen Strom- und Wärmebe-


darf 2011 in der Region

Abbildung 8 Balance – Anteil der erneuerbaren Energien an der jährlichen Strom- und Wär-
meproduktion 2011

Betrachtet man die Balance innerhalb der regional produzierten erneuerbaren Energien,
dominieren für die Stromproduktion PV und Wasserkraft (38 % und 35 %), gefolgt von
Strom aus Biogasanlagen (22 %) und Windkraft (4%). Bei der regionalen Wärmeprodukti-
on dominiert die Abwärme aus KWK mit 43%, gefolgt von Wärme aus Biomasseheizwer-
ken (33 %), Solarthermie (13%) und Wärmepumpen (11 %). Berücksichtigt man jedoch den
Anteil der erneuerbaren Energien am Gesamtverbrauch, so fällt die Balance insgesamt
für Strom mittel (36 % Anteil) und für Wärme sehr niedrig (15 %) aus. Die Transition des
314 Susan Mühlemeier, Romano Wyss und Claudia R. Binder

Wärmesystems scheint daher – zumindest für die jüngere Vergangenheit – langsamer als
die des Stromsystems zu sein (siehe auch Brockmann 2017; Bundesregierung 2014) und
kann als weniger resilient angesehen werden.

4.3.3 Disparität

Für die Analyse der qualitativen Unterschiede beschreiben wir hier exemplarisch nur die
regional vorhandenen Produktionstechnologien aus erneuerbaren Energien zur Strompro-
duktion, da die Importe aus dem nationalen Strom-Mix für die Charakterisierung des re-
gionalen Produktionssystems wenig relevant sind. Es zeigt sich dabei eine hohe Disparität,
da i) vier sehr unterschiedliche Ressourcengrundlagen verwendet werden, ii) Wind- und
Wasserkraft deutlich effizienter sind als PV-Anlagen und Biomassekraftwerke zur Strom-
erzeugung und iii) die Wetterabhängigkeit von PV- und Windkraftanlagen deutlich höher
ist, als die der Wasserkraft und Biomasseanlagen. Die Gestehungskosten variieren eben-
falls, jedoch weniger stark: nach Kost et al. (2013) liegen sie für Onshore-Windkraft bei
5–11 Cent per kWh, für PV im Mittel bei 8–17 Cent (Kost et al. 2013) und für Wasserkraft
bei 5–10 Cent für Großanlagen und 10–20 Cent für Kleinanlagen (unter 10 MW) (Schü-
nemann 2011). Strom aus Biomasse (Biogas) mit 16–22 Cent per kWh ist dagegen teurer.
In der Zusammenschau bedeutet dies, dass das regionale Stromproduktionssystem sehr
dispers ist: Es vereint sowohl Grund- als auch Spitzenlasttechnologien, mehr oder weniger
wetterabhängige Technologien oder auch teurere und weniger teure Technologien. Dies
wirkt sich positiv auf die Stabilität des technischen Systems bzw. auf die Versorgungs-
sicherheit aus. Hinsichtlich der Resilienz der Transition ist die höhere Disparität ebenfalls
positiv zu werten, da sich die Technologien aufgrund ihrer Unterschiedlichkeit gegensei-
tig ergänzen und die Versorgungssicherheit auch bei höheren Anteilen der erneuerbaren
Energien gewährleistet wird. Zudem verringert die hohe Disparität die Vulnerabilität des
technischen Systems für technologiespezifische externe Schocks und erleichtert ein un-
unterbrochenes Fortschreiten der Transition, selbst wenn solche Schocks eintreten sollte.

4.4 Die Konnektivität des technischen Teilsystems

Da zur Konnektivität des technischen Teilsystems in der Region keine direkt verwend-
baren Daten zur Verfügung stehen, kann hier lediglich ein Vorschlag zur empirischen
Anwendung der Indikatoren gemacht werden. Dieser wird dann exemplarisch mit Er-
kenntnissen aus dem Allgäu gespiegelt. Für die Analyse der Konnektivität im technischen
Teilsystem ist es ebenfalls sinnvoll Strom und Wärmenetze zu unterscheiden, da sie sehr
unterschiedliche Charakteristika aufweisen: für die Verteilung von Elektrizität steht nur
ein Netz zur Verfügung, das über seine verschiedenen Spannungsebenen (Höchst-, Hoch-,
Mittel- und Niederspannung) stark integriert ist. Es integriert alle Technologiearten zur
Stromproduktion in einer Netzstruktur. Im Bereich der Wärmeversorgung gibt es – je
nach Produktionstechnologie – mehrere Netzwerke, die sich durch ihre unterschiedliche
Ein indikatorengestützter Ansatz zur Resilienzanalyse … 315

Vernetzungsstruktur unterscheiden: Nah- und Fernwärme, Erdgas- und Biogasnetze, Erd-


öl- und Holztransportnetze, wobei letztere keine physischen Netzwerke darstellen, son-
dern sozioökonomische Händlernetzwerke, über die die Materialien von Produzenten zu
Konsumenten fließen.
Für die Analyse der Konnektivität des technischen Bereichs des Energiesystems haben
wir die vorgeschlagenen Indikatoren wie folgt interpretiert: Durchschnittliche Pfadlän-
ge – Wie viele Knoten sind im Netzwerk zwischen Produzent und Verbraucher geschaltet
und wie können analog zu den sozialen Arenen Pfade zwischen den Technologiegruppen
gedacht werden? Zentralität – Wie viele Verbraucher sind bei den unterschiedlichen Ener-
gietechnologien an einen Versorgungsknoten angeschlossen und welche Zentralität haben
die Technologiegruppen untereinander? Modularität – Lassen sich Modulstrukturen in
den Verteilnetzen der unterschiedlichen Produktionstechnologien erkennen und bilden ge-
wisse Technologiegruppen untereinander Module?

4.4.1 Durchschnittliche Pfadlänge

Das Stromnetz verfügt auf der Höchstspannungsebene über eine geringe Pfadlänge zwi-
schen den Produktions- und Abnahmepunkten; dies um eine hohe Transportgeschwindig-
keit und geringe Verluste zu erreichen. Die tieferen Netzebenen haben eine höhere Pfad-
länge, da sie über mehrere Umspannungsprozesse den Strom in der Region verteilen und
andersherum auch fehlerhafte Knoten aus dem Netz isolieren können müssen, um eine
schnelle Fehlerverbreitung zu verhindern (Islanding) (vgl. Abbildung 9).

Abbildung 9 Schematische Darstellung der verschiedenen Spannungsebenen des Stromnetzes –


Umspannpunkte sind in schwarz verzeichnet

Das Stromnetz integriert somit alle Produktionstechnologien zur Stromerzeugung in ei-


nem Netz und verbindet sie über möglichst kurze Pfadlängen direkt mit den Abnehmern.
Dennoch verfügen regional angesiedelte Produktionstechnologien über kürzere Pfadlän-
gen zueinander und zu den Abnehmern, da sie nicht so häufig umgespannt werden müssen.
316 Susan Mühlemeier, Romano Wyss und Claudia R. Binder

Für den Fall des Allgäus hieße das, dass z. B. PV, Wasserkraft und Windkraft über eine
kürzere Pfadlänge miteinander verbunden sind als z. B. mit der Stromproduktion aus Koh-
le oder Atomkraft. Die Mehrebenenstruktur des Stromnetzes mit den entsprechend unter-
schiedlichen Pfadlängen wirkt sich dabei sowohl positiv als auch negativ auf die Resilienz
des Energietransitionsprozesses aus: Einerseits können die dezentral auf Verteilnetzebene
zunehmenden Erneuerbaren über die langen Pfadlängen in den unteren Spannungsebe-
nen geregelt werden, sodass sich eventuelle Störungen nicht auf Hochspannungsebene
verbreiten. Die Versorgungssicherheit kann somit trotz Wandel garantiert werden und
die Transition kann fortschreiten. Auf der anderen Seite steht diese fixe Zusammenset-
zung aus unterschiedlichen Pfadlängen über die Spannungsebenen auch einer regionalen
Transition im Weg, da aufgrund fehlender Leitungen, Überkapazitäten nicht auf niederen
Spannungsebenen zwischen Regionen verteilt werden können, somit der weitere Ausbau
der Erneuerbaren immer die Gesamtnetzstabilität betrifft und die Transition entsprechend
beeinträchtigt ist.
Im Gegensatz zum Stromnetz in dem alle Produktionstechnologien in einem Netz inte-
griert sind, kann man im Wärmebereich nicht von einem Wärmenetz sprechen. Analysiert
man die einzelnen Netze der Produktionstechnologien im Allgäu getrennt, zeigt sich, dass
sich Nah- und Fernwärmenetze durch die geringste Pfadlänge auszeichnen, da die Wärme
direkt vom Produzenten zum Konsumenten transportiert wird und diese, um Transport-
verluste zu minimieren, weder transformiert noch über lange Strecken und über mehrere
Abnehmer hinweg verteilt wird (vgl. z. B. Fernwärme Marktoberdorf GmbH 2014; ZAK
Kempten 2017). Erd- bzw. Biogasnetze können deutlich höhere Pfadlängen aufweisen, da
die Wärme nicht direkt, sondern in Form von Gas transportiert wird und somit auch über
Dritte an den Konsumenten fließen kann. Da Gas aufgrund seiner Lagerfähigkeit auch
nicht-netzgebunden von Produzent zu Kunde gelangen kann, sind zudem Inselstrukturen
möglich (bestehend aus Tank und Abnehmer) (Erdgas Schwaben 2015; EKO Gas 2017).
Weitere nicht-netzgebundene Ressourcen, wie z. B. Erdöl, Kohle oder Holz, werden über
soziale Händlernetze vom Produzenten zum Kunden gebracht und können damit poten-
tiell die längsten Pfadlängen aufweisen (vgl. Abbildung 10) Im Allgäu ist das Holznetz
jedoch von sehr kurzen Pfadlängen geprägt, da es nicht nur lokal produziert, sondern
auch regional über eine gemeinschaftliche Vermarktungsplattform direkt zum Kunden
gebracht wird – im Gegensatz zur Erdölversorgung, die international über mehrere Zwi-
schenhändler erfolgt.
Ein indikatorengestützter Ansatz zur Resilienzanalyse … 317

Abbildung 10 Schematische Darstellung der verschiedenen Wärmenetze (eigene Darstellung)

Bezüglich der Verbindung zwischen den Produktionstechnologien kann man festhalten,


dass Technologien, welche z. B. die gleiche Ressource teilen (KWK Biomasseheizwerk)
oder deren Produkt in der gleichen Netzinfrastruktur verteilt werden kann (Biogas und
Erdgas) entsprechend über einen direkten Pfad verbunden sind, während z. B. zwischen
einer Solarthermie- oder Ölheizung keine solche Verbindung besteht. Im Falle des All-
gäus können so z. B. bestehende Erdgasleitungen in Zukunft mit Biogas genutzt werden,
was bedeutend zur Resilienz der Transition beiträgt.

4.4.2 Gradzentralität

Die bisherige Stromversorgungsinfrastruktur im Allgäu basiert auf Technologien mit


stark zentralisierten Kraftwerksstrukturen (Wasserkraft, Importe aus Atom- und Kohle-
kraft), die viele, auch weit entfernte Abnehmer mit Strom versorgen. Mit dem Ausbau
der Technologien zur Stromproduktion aus erneuerbaren Energien (Windenergie und PV)
nimmt der Grad an Dezentralisierung stark zu und bringt die bestehende Stromnetzstruk-
tur unter Druck, da sie für die Dezentralität der neuen Technologien nicht angelegt war.
Dies gilt gerade auch für die regionalen Verteilnetze, die beispielsweise im Allgäu an
sonnigen oder windigen Tagen den in der Region anfallenden Strom sowohl regional wie
auch überregional weiterverteilen müssen. Hinsichtlich der Resilienz der Transition ist
der hohe Grad an Zentralität zunächst negativ zu bewerten, da er keine alternative Struk-
tur der Stromverteilung zulässt. Andererseits ermöglicht es die hohe Zentralisierung des
Netzwerkes auf höheren Netzebenen, dass trotz fundamentaler Veränderung der Produk-
tionstechnologien und dem Zubau der Erneuerbaren die Versorgungssicherheit weiterhin
gewährleistet bleibt. In diesem Zusammenhang würden sich regionale Speicher positiv
318 Susan Mühlemeier, Romano Wyss und Claudia R. Binder

auf die Resilienz der Transition auswirken, da sie die zentralisierte Verteilstruktur und die
dezentralisierte Produktionsstruktur ausgleichen und zudem die regionale Abhängigkeit
von Stromimporten minimieren könnten.
Für die Wärmenetze müssen die verschiedenen Technologien erneut getrennt betrachtet
werden: Nah- und Fernwärmenetze zeichnen sich durch eine hohe Zentralität aus, da eine
Produktionseinheit mehrere Abnehmer versorgt. Im Gasnetz, wie auch in den Erdöl- oder
Holzversorgungsnetzen fällt die Zentralität oft geringer aus, da potentiell mehrere Pro-
duzenten oder Händler die Konsumenten versorgen können (vgl. Abbildung 10). Es ist
jedoch auch möglich, dass lediglich eine Produktionsstätte oder ein Händler im Netzwerk
alle Konsumenten versorgt (z. B. staatliche Betriebe, Kartelle). Wie auch bei der Pfadlänge
zeigt sich, dass die Vernetzungsstruktur hier kaum bis gar nicht von der Produktionstech-
nik selbst, sondern vielmehr von der Form der entsprechenden sozioökonomischen Pro-
duktions- und Händlerstrukturen abhängig ist. Die momentane Dominanz zentralisierter
Technologien zur Wärmeproduktion, insbesondere von Öl und Gas, ist hinsichtlich der
Resilienz des Systems und seiner Transition kritisch zu bewerten: Die Abhängigkeit von
häufig importierten Energieträgern kann sowohl die Vulnerabilität des Systems gegen-
über externen Schocks erhöhen (bspw. Preisexplosionen) als auch z. B. durch den aktuell
niedrigen Ölpreis die Resilienz der Transition des regionalen Energiesystems negativ be-
einflussen. Mit der stärkeren Nutzung der erneuerbaren Energien zur Wärmeproduktion
könnte die Abhängigkeit von zentral angelegten Energieimporten abgeschwächt werden
und Öl oder Gas durch Biogasanlagen, Biomasseheizwerke oder moderne Holzverbren-
nungsanlagen ersetzt werden, welche dezentral versorgt werden können.

4.4.3 Modularität

Das bisherige Stromnetz im Allgäu und in Deutschland ist kaum modular: Der Strom wird
von einer zentralen Verteilung auf Hochspannungsebene in die Regionen transferiert und
es gibt keine untergeordnete, abkoppelbare Verteilstruktur in der Region, die autonom,
ohne die Einbettung in die höheren Spannungsebenen, funktionieren könnte. Möglich ist
es lediglich, Teile des Netzes auf einer bestimmten Netzebene abzukoppeln, um so z. B.
die Störungsverbreitung im Netz zu verhindern (Islanding). „Das Wärmenetz“ ist dagegen
deutlich modularer strukturiert: nicht netzgebundene Technologien (Ölheizung, Holzhei-
zung) können dabei als Inseln betrachtet werden, Nah- und Fernwärme bilden bereits
kleine, lokale Module und Gasnetze sind oftmals regional integrierte Netze, so z. B. auch
im Allgäu. Hinsichtlich der Resilienz der Transition kann sich auch hier eine zunehmen-
de Modularität durch den Ausbau regionaler Fernwärme- oder Gasnetze, wie auch die
Etablierung lokaler Speicher oder aber die Vernetzung von Strom und Wärme über Pow-
er-to-Gas, positiv auf die Resilienz auswirken, da neben den zentralisierten Strukturen
regionale Versorgungsmodule etabliert werden können. Diese Module können im Fall ex-
terner Schocks autonom funktionieren und im Fall größerer Störungen als Back-Up zum
überregional integrierten System dienen.
Ein indikatorengestützter Ansatz zur Resilienzanalyse … 319

5 Diskussion, Fazit und weiterer Forschungsbedarf

In dieser explorativen empirischen Anwendung des von Binder et al. (2017) vorgeschla-
genen indikatorengestützten Ansatzes zur Analyse der Resilienz von Energiesystemen in
Transition zeigt sich, dass das regionale Energiesystem im Allgäu durch eine hohe Diver-
sität im sozialen Teilsystem charakterisiert ist: Es werden Akteure und Organisationen aus
mehreren, qualitativ sehr unterschiedlichen sozialen Arenen als zentral für die regionale
Energiewende wahrgenommen, wobei die unterschiedlichen Arenen dabei ähnlich stark
vertreten sind (bis auf die Arena Medien). Die regionale Energiewende ist daher breit
über viele Gesellschaftsbereiche gleichmäßig gestützt, was hinsichtlich des Fortschritts
der Energiewende sehr positiv bewertet werden kann.
Im technischen Teilsystem ist die Diversität geringer ausgeprägt: Ein großer Teil des
regionalen Energiebedarfs wird über Importe abgedeckt. Mit Bezug auf die lokal produ-
zierte Energie zeichnet sich im Strombereich eine höhere Diversität mit eher ausgegliche-
nen Anteilen an der Gesamtproduktion und sehr unterschiedlichen Technologiegruppen
ab, während Wärme in erster Linie aus Abwärme von Kraft-Wärme-Koppelungsanlagen
und aus Biomasseheizwerken gewonnen wird. Die regionale Energieproduktion ist daher
zwar von höherer Varietät und Disparität geprägt, hat jedoch einen geringen Anteil an
der in der Region verbrauchten Energie. Hinsichtlich der Resilienz der Transition sind die
Vielfalt und Unterschiedlichkeit der regional eingesetzten Technologien positiv, die hohe
Abhängigkeit von Importen jedoch negativ zu bewerten, da auf die Transition der Quellen
der importierten Energie kein direkter Einfluss genommen werden kann.
Die Konnektivität des sozialen Teilsystems zeigt sich in folgenden Charakteristika: Die
Pfadlängen zwischen den Akteuren und Organisationen sind verhältnismäßig lang, das
Netzwerk wird von einer prägenden Organisation mit hohem Zentralitätswert dominiert
und es zeichnet sich eine Reihe von Modulen innerhalb des Netzwerkes ab. Spannend
ist, dass die sozialen Arenen im gesamten Netzwerk untereinander jedoch alle etwa ähn-
lich gut vernetzt sind (ausgenommen Forschung und Medien). Das regionale Energiegou-
vernanzsystem ist daher nicht nur von vielen Gesellschaftsbereichen getragen, sondern
auch gut aber nicht zu dicht zwischen diesen vernetzt. Hinsichtlich der Transition des
Systems ist dies unterschiedlich zu bewerten: einerseits positiv da eine zentrale Organi-
sation vorhanden ist, die die Transition steuern kann, sowie die höhere Modularität und
Pfadlänge einem lock-in der Entwicklung vorbeugen können. Negativ wendet sich diese
Vernetzungsstruktur jedoch, wenn z. B. der zentrale Steuerungsknoten entfällt und über
die längeren Pfadlängen, die Informationen nicht besonders schnell fließen.
Bei der Konnektivität im technischen Bereich wird deutlich, dass bei dieser Betrach-
tung zwischen Strom und Wärme unterschieden werden muss. Das Stromnetz ist über die
verschiedenen Spannungsebenen stark vernetzt, wobei alle drei Indikatoren – Pfadlänge,
Gradzentralität und Modularität – in Richtung Niederspannung zunehmen. Wärmenetze
sind dagegen je nach Technologie sehr unterschiedlich vernetzt und je nach Technologie-
gruppe in ihrer Vernetzung auch stärker von der sozioökonomischen Struktur abhängig.
Die Vernetzungsstruktur gestaltet sich daher sehr unterschiedlich zwischen Wärme und
320 Susan Mühlemeier, Romano Wyss und Claudia R. Binder

Strom, bezüglich der Resilienz der Transition sind beide jedoch eher kritisch zu sehen,
da die Vernetzungsstruktur für eine Einbindung höherer Anteile erneuerbarer Energien
grundlegend umgebaut werden muss und hohe Investitionskosten anfallen. Regionale
Speicher für den Strom sowie eine Nutzung der bestehenden Gasnetze für Biogas könnten
hier gute Alternativen darstellen.
Insgesamt zeichnet sich das Energiesystem im Allgäu in jüngster Vergangenheit so-
mit durch eine hohe Diversität im sozialen und eine mittlere Diversität im technischen
Teilsystem aus. Die Konnektivität des sozialen und des technischen Teilsystems ist mit-
telmäßig ausgeprägt – nimmt man Strom- und Wärmeproduktion zusammen (vgl. auch
Mühlemeier et al. 2017b). Zieht man die von Binder et al. (2017) entwickelten vier Fälle
zu möglichen Kombinationen aus hohen und niedrigen Ausprägungen der Konnektivität
und Diversität heran, so fällt das Allgäu zwischen Fall A (beide hoch ausgeprägt) und
Fall C (Konnektivität niedrig ausgeprägt). Binder et al. (2017) schätzen die Resilienz der
Transition im Fall A besonders hoch ein, für Fall C kann es sich um ein Zwischenstadium
auf dem Transitionspfad handeln, der ein bestimmtes Systemstadium auf dem Pfad einer
resilienten Transition darstellt. Aus dem Interviewergebnissen der Fallstudie ist jedoch
Fall C naheliegender, da mehrere Akteure betonten, sie sähen die Energiewende im Allgäu
momentan zwar im Stocken, dies stelle jedoch nur einen Zwischenschritt darstelle und sie
schätzten den weiteren Verlauf positiv ein.
Die hier gezeigte, empirische Anwendung des indikatorengestützten Ansatzes zur Ana-
lyse der Resilienz von Energiesystemen in Transition hat es ermöglicht, eine strukturierte
Analyse der technischen und sozialen Teilsysteme des regionalen Energiesystems vorzu-
nehmen. Mehrfach hat sich gezeigt, dass die gleichzeitige Anwendung der Indikatoren
auf die technischen und sozialen Teilsysteme besonders bereichernd ist. So zeigt sich em-
pirisch, wie soziale und technische Netzwerke zusammenhängen, beispielsweise wie die
Modularität der Wärmenetze von sozialen Strukturen abgeleitet werden kann. Insgesamt
erlaubt es dieser Ansatz auch, die Resilienz der verschiedenen sozialen und technischen
Netzwerkebenen zu analysieren, die übereinander gelagert ein regionales Energiesystem
ausmachen.
Darüber hinaus lassen sich anhand der präsentierten Resultate auch einige Politikemp-
fehlungen ableiten, die die Resilienz der weiteren Transition erhöhen können. Wie bereits
erwähnt, ist das soziale Subsystem hinsichtlich der Diversität resilient einzuschätzen, im
Bereich der Konnektivität besteht jedoch die Gefahr eines lock-ins. Dementsprechend
wäre bei der weiteren regionalen Entwicklung darauf zu achten, dass nicht nur die Diver-
sität der Akteure (weiterhin) gewährleistet ist, sondern auch die Zentralisierung reduziert
und das Einbinden weiterer Akteure in der Region angestrebt wird (ebd.). Im technischen
Subsystem kann die Diversität der Technologiegruppen z. B. durch eine diversifizierte För-
derstruktur noch weiter forciert werden. Vor allem in der Speichertechnik und Wärmepro-
duktion besteht hier noch ein enormes Potenzial, z. B. durch den Zubau von Wärmenetzen,
regionalen Speichern oder kombinierten Lösungen wie Power-to-Heat/Gas. Dies würde
zur allgemeinen Erhöhung der Konnektivität im technischen Subsystem beitragen und da-
mit den Fortschritt der Energiewende erleichtern: Die steigende Volatilität und Dezentrali-
Ein indikatorengestützter Ansatz zur Resilienzanalyse … 321

tät der erneuerbaren Energien kann durch erhöhte Vernetzung und damit einhergehender
Flexibilität kompensiert werden (ebd.).
Insgesamt muss jedoch einschränkend festgehalten werden, dass der vorgeschlagene
Ansatz eine sehr hohe Datenqualität voraussetzt. Im technischen Teilsystem sind entspre-
chende Daten oft nicht vorhanden, da die Daten regional nicht erhoben werden oder nicht
öffentlich zur Verfügung stehen. Im sozialen Teilsystem könnten entsprechende Daten
zwar generiert werden, würden aber eine umfangreiche Datenerhebung mit den damit
einhergehenden Ressourcen verlangen, bspw. durch eine Vollerhebung des sozialen Netz-
werks. Da dies im vorliegenden Fall nicht möglich war, wurde das soziale Netzwerk durch
ein snowball sampling ermittelt. Dieser Ansatz erlaubt es, Aussagen über die Struktur des
regionalen Netzwerks zu ziehen, die quantifizierten Ergebnisse können aber nicht direkt
auf das Energiegouvernanzsystem der gesamten Region übertragen werden. Für das tech-
nische Teilsystem konnten aufgrund der fehlenden Datengrundlage keine quantifizierten
Analysen zur Konnektivität durchgeführt werden, dies sollte in zukünftigen Verwendun-
gen des Ansatzes weiterverfolgt werden.
Die von Binder et al. (2017) vorgeschlagenen Metakonzepte der sozialen Arenen und
Technologiegruppen haben sich für die Resilienzanalyse des regionalen Energiesystems
zwar grundsätzlich bewährt, sie müssen jedoch für die empirische Arbeit weiter konkre-
tisiert werden. So sind es im sozialen Teilsystem die einzelnen Akteure und Organisatio-
nen welche als Referenzobjekte agieren und untereinander vernetzt sind, während es im
technischen System spezifisch hergestellte Energieeinheiten sind, welche zwischen Pro-
duzenten und Konsumenten ausgetauscht werden. Die Metakonzepte soziale Arena und
Technologiegruppe eignen sich daher eher als interpretative Konzepte, um die Ergebnisse,
gerade auch in Bezug zum gesamten Energiesystem, besser bewerten zu können.
Angesichts dieser Einschränkungen könnte es in Zukunft hilfreich sein, für die empi-
rische Analyse entweder eine kleinere räumliche Ebene zu wählen, z. B. eine Kommune
oder eine Stadt, oder auf Ebene des Regierungsbezirks, bzw. Bundeslandes zu arbeiten,
da hier die Daten zum technischen System gebündelt werden, aufbereitet vorliegen und
leichter zugänglich sind. Energieregionen, wie das Allgäu, liegen oftmals zwischen den
traditionellen administrativen Ebenen (z. B. Landkreis und Regierungsbezirk) und haben
daher meist nicht die Kapazitäten, umfassende Daten über die Region zu erheben. Für
eine Vollerhebung des sozialen Netzwerks wäre in diesem Kontext sowohl eine detaillier-
te, vergleichende Analyse mit Primärdaten auf kommunaler Ebene als auch eine grösser
angelegte, Sekundärdaten basierte Netzwerkanalyse auf Regierungsbezirks- bzw. Bundes-
landebene (z. B. auf Basis formeller Beziehungen wie Vereinsstrukturen) sehr interessant.
Weiterhin sollte versucht werden, die verschiedenen Phasen des Transitionspfades im Ver-
lauf der Zeit zu analysieren, um ein vollständigeres Bild der Resilienz des gesamten Pro-
zesses zu erlangen (Mühlemeier et al. 2017b).
Für weitere Überlegungen zur Konzeptualisierung von Resilienz in regionalen Energie-
systemen siehe auch den Beitrag von Jedelhauser und von Streit „Resilienz in regionalen
Energietransitionen – Versuch einer Konzeptualisierung aus institutionentheoretischer
Perspektive“ (Jedelhauser und von Streit 2018).
322 Susan Mühlemeier, Romano Wyss und Claudia R. Binder

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Die resiliente Gesellschaft
Überlegungen zu einer Kulturaufgabe
im Zeitalter des Menschen

Jochen Ostheimer

Zusammenfassung

Im sozioökologischen Diskurs sind zwei neue Leitbegriffe aufgetaucht, die schnell


eine große Faszination entfaltet haben, nämlich „Resilienz“ und „Transformation“.
Diese beiden Konzepte werden mit dem im Umweltdiskurs schon etablierten Nach-
haltigkeitsprinzip verglichen, um das jeweilige Ausgangs- und Bezugsproblem, die
Zielvorstellung sowie das spezifische Zusammenspiel von funktionalen und präskrip-
tiven Dimensionen herauszuarbeiten. Als denkerische Rahmen des sozioökologischen
Resilienzdiskurses wird das Anthropozänkonzept entfaltet, das anthropologisch und
sozialtheoretisch unterfüttert wird. Auf dieser Basis wird dann gezeigt, dass Resilienz
umfassend als Kulturaufgabe zu verstehen ist.

1 Einleitung: Zur präskriptiven Dimension eines geologischen


Faktors

Im sozioökologischen Diskurs ist mit „Resilienz“ ein neues Schlagwort aufgetaucht, das
schnell eine große Faszination entfaltet hat. Das Konzept der Resilienz als der Fähigkeit,
auf äußere Störungen kompetent zu reagieren, hat verschiedene Ursprünge und Anwen-
dungsbereiche; im Folgenden wird es allein mit Blick auf „sozioökologische Systeme“
diskutiert. Dabei wird die These vertreten, dass Resilienz umfassend als Kulturaufgabe
zu verstehen ist. Damit ist gemeint, dass Resilienz als Zielgröße der gesellschaftlichen

327
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2018
M. Karidi et al. (Hrsg.), Resilienz,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-19222-8_16
328 Jochen Ostheimer

Transformationen, die dazu dienen sollen, die Gesellschaft auf die bereits angebrochenen
gewaltigen Umweltveränderungen vorzubereiten, nur zu erreichen ist, wenn bei den vor-
zunehmenden Weichenstellungen die tief sitzenden kulturellen Praktiken, Gewohnheiten,
Denkweisen, Wahrnehmungsmuster und Machtkonstellationen umfassend berücksichtigt
werden. Den Rahmen dieses Essays bildet das Konzept des Anthropozäns, d. h. die Über-
legung, dass der Mensch inzwischen zu einem veritablen geologischen Faktor herange-
wachsen ist, der nun selbst wieder der Einhegung bedarf, weil das Zusammenspiel mit den
bisherigen geologischen Wirkkräften noch nicht eingeübt ist.
Um diese Gedanken zu fokussieren, wird das Verhältnis zwischen den drei zentralen
Konzepten im aktuellen sozioökologischen Diskurs näher beleuchtet. Neben Resilienz
sind dies das manchmal schon als altbacken abgetane Nachhaltigkeitskonzept sowie das
Konzept der Transformation, das mehr oder weniger zeitgleich mit den Überlegungen
zum Anthropozän und zu Resilienz aufgekommen ist. Dazu wird in vier Schritten vor-
gegangen: Zunächst wird im Rahmen eines kursorischen Überblicks über die Geschich-
te der Umweltbewegung und des Umweltdiskurses das Verhältnis zwischen diesen drei
Denkmodellen skizziert. Danach wird über die Stellung des Menschen im Anthropozän
und ihre Konzeptualisierung nachgedacht, um den Rahmen für weitere Überlegungen zu
den spezifischen Leistungen des Resilienzkonzepts abzustecken. Abschließend werden
das Nachhaltigkeits- und das Resilienzkonzept in ihrem präskriptiven Gehalt einander
gegenübergestellt.

2 Die Geschichte der Umweltbewegung –


die soziopolitischen Hintergründe der Nachhaltigkeits-,
Resilienz- und Transformationsdiskurse

In den 1960-er Jahren begann der Aufschwung der jüngeren Umweltbewegung. Zumin-
dest im deutschsprachigen Raum war die Umweltbewegung in ihren Anfängen stark von
einer gesellschaftskritischen Haltung geprägt und stand in Verbindung mit der Friedens-
bewegung, was nicht zuletzt durch die gemeinsame Ablehnung von Atomenergie in Kraft-
werks- wie in Raketenform getragen wurde. Doch schon bald, d. h. bereits in der ersten
Hochphase in den 1970-er Jahren, gesellten sich eine administrativ-politische und eine
technische Ausrichtung hinzu. Umweltministerien und -behörden wurden gegründet und
technische Maßnahmen zeitigten erste große Erfolge. Motoren wurden deutlich sparsa-
mer und Luft und Wasser wurden sauber. Im weiteren Verlauf erhielt der Umweltdiskurs
eine globale Facette. Manche Ereignisse und Phänomene wie etwa die AKW-Explosion
in Tschernobyl oder das Ozonloch ließen sich nicht an Landesgrenzen aufhalten. Ver-
stärkt wurde diese Erkenntnis durch den Blick von außen auf den blauen Planeten, den
die Raumfahrt und insbesondere die bemannte Raumfahrt, aber auch die Vermessung der
Erde durch Satelliten ermöglichten. Die dabei entstehende Form einer poetischen Astro-
Die resiliente Gesellschaft 329

nomie1 trug mit dazu bei, ein neues universales Einheitsbewusstsein heraufzubeschwören,
wie es dann beispielsweise in der Tiefenökologie oder in der Gaia-Hypothese formuliert
wurde.
In dieser Phase nahm der Nachhaltigkeitsdiskurs Fahrt auf. Seine Anstöße und An-
satzpunkte waren vielfältig. Doch spätestens mit dem Brundtland-Bericht 1987 und dem
Erdgipfel von Rio de Janeiro 1992 waren die wesentlichen Eckpunkte gesetzt: verantwort-
licher Umgang mit den natürlichen Ressourcen, vernetztes Denken, insbesondere unter
Einbeziehung der kommenden Generationen, und sozialer Ausgleich bzw. Entwicklungs-
möglichkeiten für die Ärmeren. Nachhaltigkeit machte schnell Karriere und wurde zu
einem Allerweltswort, sodass in den vergangenen Jahren nicht wenige zur Auffassung
gelangten, dass der Begriff mehr vor seinen Nutzern als vor seinen Kritikern geschützt
werden müsse.
Zeitgleich zum Aufstieg in der gesellschaftlichen Kommunikation verlagerte sich in
der Forschung der Schwerpunkt. Unter den zahllosen Nachhaltigkeitsproblemen setzte
sich in der öffentlichen Wahrnehmung und der wissenschaftlichen Forschung der Klima-
wandel als besonders drängendes Problem durch. Al Gores „unbequeme Wahrheiten“2
zeigen dies ebenso deutlich an wie die Prominenz des IPCC und ihm angeschlossener
Klimaforschungsinstitute. Somit wurde der Klimaschutz zum Leitthema des globalen
Umweltdiskurses – freilich nur, um im Schlepptau allmählich auch seinen großen kogniti-
ven und epistemologischen Rahmen ins Rampenlicht zu ziehen: die Erdsystemforschung.
Während die Weltpolitik über zwei Jahrzehnte um einen wirksamen und gerechten Welt-
klimavertrag rang und letztlich immer noch ringt, wurde im Konzept der „planetari-
schen Grenzen“ gezeigt, dass das Erdsystem an anderen Stellen noch viel stärker aus dem
Gleichgewicht geraten ist, so bei der Biodiversität oder bei den Stickstoff- und Phosphor-
kreisläufen (Rockström et al. 2009).
Es wurde der Blick auf das erdgeschichtliche große Ganze ausgeweitet und das Anthro-
pozän wurde ausgerufen (Crutzen 2002; Steffen et al. 2007; Steffen et al. 2011; Lewis und
Maslin 2015). Die Idee eines Menschenzeitalters korrespondiert mit dem planetarischen
Bewusstsein, das der Blick von außen ausgelöst hat. Als umfassendes Narrativ kann das
Anthropozänkonzept die verschiedenen Diskurse bündeln.
Die Vorstellung vom Menschen als geologischem Faktor ist eine konsequente Fortfüh-
rung mehrerer Impulse seit der Mitte des 20. Jahrhunderts. Zugleich hat sie Veränderun-
gen im Blickwinkel bewirkt. Der Nachhaltigkeitsdiskurs wird zwar nicht einfach abgelöst
oder ersetzt, aber er ist in den Hintergrund geraten. Die beiden aktuellen Leitbegriffe
lauten „Resilienz“ und „Transformation“. Dies ist naheliegend. Wenn sich die Welt im
Wandel befindet, wie der entsprechend benannte Wissenschaftliche Beirat der Bundes-
regierung Globale Umweltveränderungen in seinen Gutachten seit 1992 analysiert, dann
muss sich die Gesellschaft unweigerlich mitwandeln. Dann ist ein neuer Gesellschafts-

1 Vgl. die Zitate von Astronauten in Kelley (1989).


2 Vgl. den gleichnamigen Dokumentarfilm von Davis Guggenheim aus dem Jahr 2006.
330 Jochen Ostheimer

vertrag erforderlich: ein Gesellschaftsvertrag für eine „große Transformation“ (WBGU


2011).3 Dieser wiederum braucht eine Zielperspektive: etwa Resilienz.
Von seinem lateinischen Ursprung (resilire) her meint Resilienz die Fähigkeit, in den
Ausgangspunkt zurückzuspringen, sich also von Beeinträchtigungen zu erholen. Dieser
Gedanke wurde in verschiedenen Fachdisziplinen zu einer forschungsleitenden Idee. Eine
Wurzel des aktuellen Resilienzdiskurses liegt im Bereich der (Entwicklungs-)Psychologie
und Pädagogik. In einer wegweisenden Längsschnittstudie wurde untersucht, aus welchen
Gründen manche Kinder widrige Umstände in ihrer biographischen Entwicklung erfolg-
reich bewältigen, während andere scheitern (Werner et al. 1971). Ein entscheidender Faktor
ist eine innere Stärke; die Bedeutung sozialer Umstände wird kontrovers diskutiert. Inzwi-
schen ist Resilienz zum Topseller in der Ratgeberliteratur geworden, sodass als Reaktion
darauf wiederum kritisch angefragt wird, ob hier das Resilienzkonzept nicht verzweckt
wird, um Arbeitnehmer für den Arbeitsmarkt 4.0 fit zu machen (vgl. Hurtienne und Koch
2018). Resilienz gilt jedenfalls als erstrebenswerte mentale Eigenschaft, an der zu arbeiten
sich für das Subjekt immer lohnt. In ähnlicher Weise wird in der Ökologie untersucht, wo-
ran es liegt, dass manche Ökosysteme negative Einflüsse überstehen, wohingegen andere
untergehen (Holling 1973). Dabei hat die Forschung allerdings klar gezeigt, dass einfache
Gleichgewichtsvorstellungen oder gar Fantasien einer harmonischen Natur wenig haltbar
sind (Haber 2010). In der ingenieurswissenschaftlichen Materialforschung wiederum wird
erforscht, wie Materialien und Geräteteile beschaffen sein müssen, um gegebenen Belas-
tungen standzuhalten. Die jeweilige sachliche Beschreibung von Resilienz variiert dabei
mit dem Gegenstand. Die Resilienz eines Gummiballs zeigt sich darin, dass er nach dem
Aufprall vom Boden und zugleich in seine ursprüngliche runde Form zurückspringt. Ein
Flugzeugflügel hingegen macht die Schwingungen teils mit, teils gleicht er sie aus.
Das Bild des Zurückspringens besagt für den gegenwärtigen sozioökologischen Dis-
kurs zu wenig. Denn eine bloße Rückkehr in den Ausgangszustand ist nur selten das ge-
wünschte Ziel. Zwar mag die Wiederherstellung ursprünglicher oder früherer Umwelt-
zustände erstrebenswert sein, in gesellschaftlicher Hinsicht ist dies indes ein dystopisches
Projekt, bedeutete dies doch ein massives und rasches Schrumpfen der Menschheit. Ziel
ist nicht ein „Zurück auf Null“, vielmehr geht es um gesellschaftliche Transformation, um
die Veränderung bzw. Verbesserung des gesellschaftlichen Umgangs mit der natürlichen
Umwelt. Es geht um eine nachhaltige Entwicklung.
Als Ausgangspunkt für eine erste Bestimmung des Verhältnisses von Nachhaltigkeit
und Resilienz können die semantischen Standardkontexte dieser beiden Begriffe dienen.
Das Wort „nachhaltig“ ist eine enge Verbindung mit „Entwicklung“ eingegangen. Eine
nachhaltige Entwicklung kann die zielgerichtete Weiterführung und Verstärkung be-
stehender umweltverträglicher und dauerhaft gesellschaftlichen Wohlstand schaffender
Dynamiken bedeuten, aber ebenso eine radikale Abkehr von bisherigen gesellschaftlichen

3 Auch in der Transition-town-Bewegung werden Transformation und Resilienz in enge Zusammen-


hänge gebracht, vgl. etwa die Beiträge auf www.transitionnetwork.org oder www.resilience.org
(Transition Network 2016; Resilience 2016).
Die resiliente Gesellschaft 331

Fortschritts- und Wohlfahrtsvorstellungen, die indes ebenfalls vom Ziel einer Wohlstand
und Lebensqualität schaffenden Entwicklung getragen ist. Die Rede von Resilienz hinge-
gen findet sich oftmals in Zusammenhang mit Krisen und Katastrophen, ihr denkerischer
Ort ist die sog. VUCA-Welt.4 Resilienzkonzepte sind im Vergleich zu Nachhaltigkeitsüber-
legungen meist reaktiver und defensiver. Sie stehen in Verbindung mit Vulnerabilitätskon-
zepten5 und zielen auf die Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung von Handlungsfä-
higkeit und nicht so sehr auf die Gestaltung einer wirtschaftlichen Handlungsweise oder
einer gesellschaftlichen Praxis, wenngleich die Grenzen fließend sind. Allerdings lässt
sich auch eine Tendenz ausmachen, Nachhaltigkeit und Resilienz zusammenzuführen
(Walker und Salt 2006; United Nations Secretary-General’s High-level Panel on Global
Sustainability 2012). Darüber hinaus finden sich Verbindungen zwischen den Begriffen
der Resilienz und der Transformation. Verhandelt werden hier Veränderungen, die nicht
so sehr eine stimmige Fortführung des Gegebenen darstellen, sondern etwas verändern,
vielleicht sogar grundsätzlich und mit Brüchen.6 Allerdings können der Resilienz- und der
Transformationsdiskurs auch unabhängig voneinander geführt werden. Auch zwischen
dem Nachhaltigkeits- und dem Transformationsdiskurs zeigen sich Gemeinsamkeiten und
Übergänge, insbesondere im Fokus auf den Aspekt der Gestaltung sowie in einer multi-
faktoriellen und mittel- bis langfristigen Perspektive. Ein gewichtiger Unterschied besteht
darin, dass sich die Transformationsansätze nicht unbedingt auf das Verhältnis zwischen
Gesellschaft und natürlicher Umwelt beziehen. Dies ist zwar ebenfalls nicht immer der
Fall, wenn von Nachhaltigkeit gesprochen wird, doch dann handelt es sich um einen un-
eigentlichen Nachhaltigkeitsbegriff (Ostheimer 2013).
Ausgangspunkt für den aktuellen sozioökologischen Resilienzdiskurs ist die Klima-
bzw. in der erweiterten Form die Erdsystemforschung. Diese trägt naheliegenderweise
eine starke naturwissenschaftliche Perspektive in den Diskurs ein. Die Gestaltungsvor-
schläge sind dementsprechend vorherrschend technischer Art: Wind- statt Kohlekraft,
Elektromobilität statt Verbrennungsmotor oder gar die verschiedenen Formen des climate
engineering. Im Unterschied dazu wird hier die These vertreten, dass Resilienz als Kultur-
aufgabe zu begreifen und anzugehen ist.

4 Die von Volatility, Uncertainty, Complexity und Ambiguity geprägte Welt ist ein von der US-Armee
in den 1990-er Jahren entwickeltes Denkmodell.
5 Zu einem Vorschlag, das Verhältnis zwischen Resilienz und Vulnerabiltät in dem Sinn zu bestim-
men, dass Resilienz als Leitkonzept und Vulnerabilität als analytische Kategorie dient (vgl. Fichter
et al. 2010, S. 13ff.).
6 Beispiele und Analysen solcher Brüche finden sich bei Walker und Salt (2006).
332 Jochen Ostheimer

3 Die Stellung des Menschen im Kosmos –


Überlegungen zur anthropozänen Sphärologie

Um erklären zu können, warum Resilienz als Kulturaufgabe zu verstehen ist, muss zu-
nächst dargelegt werden, wie im Anthropozändiskurs die Welt vorgestellt wird. Dabei
zeigt sich ein doppelter Befund. Ein gängiges Vorstellungsmuster ist das der Sphäre. Die
Welt, in der die Menschen leben und in der sich die für das Wohlergehen der Menschen
gefährlichen Umweltveränderungen vollziehen, wird in Bereiche untergliedert. Die Be-
stimmung ihrer Wechselwirkungen ist eine zentrale Aufgabe der Anthropozänforschung.
Dabei, und dies ist das zweite Charakteristikum, wird meist vom Menschen im Singular
gesprochen. Dies hat zur Folge, dass die Vielfalt der Lagen, mit denen sich Individuen
orts- und zeitgemäß auseinandersetzen müssen, leicht aus dem Blick gerät. Zudem wird
die spezifische Ursachenkonstellation, nämlich der Komplex aus Moderne, Industrialisie-
rung und Wachstumswirtschaft, nicht ausreichend bestimmt.
Den meisten Konzepten der Erdsystem- und Klimaforschung liegt ein Sphärenmodell
zugrunde. Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltverände-
rungen (WBGU), um ein recht frühes und typisches Beispiel aufzugreifen, unterscheidet
in seinem Jahresgutachten von 1993 grundlegend zwischen der Natur- und der Anthropo-
sphäre. Erstere setzt sich wiederum aus der Atmo-, der Hydro-, der Litho-, der Pedo- und
der Biosphäre zusammen. Letztere besteht aus folgenden „Komponenten“: Bevölkerung
(womit neben physischen auch psychische Aspekte wie insbesondere Werte, Einstellun-
gen und Verhalten umfasst sind), sozialen Organisationen, Wissenssystemen (wie Wis-
senschaft, Technologie, Religion, Bildung oder Kunst), Wirtschaft und Verkehr (WBGU
1993, S. 12ff.). Der Übergang zur Natursphäre wird als „fließend“ bezeichnet und der
Raum der Übergänge ist die „Umwelt“. Das Bild ist anschaulich, es benennt die zentralen
Faktoren und betont die Wechselwirkungen. Die Art der Sphären, Komponenten und Re-
lationen bleibt aber offen und es ist offensichtlich, dass sie heterogen sind.
Charakteristisch für viele Sphärenmodelle in diesem Diskurs ist die Zweiteilung, die
altbekannte und seit alters problematisierte Unterscheidung zwischen Mensch und Natur.
Naturwissenschaftlich fundiert und differenziert werden natürliche Abläufe im Großen
wie im Kleinen untersucht, modelliert und in Szenarien eingefangen. Auch wenn unter-
schiedliche Stoffströme voneinander abgegrenzt oder planetarische Grenzen benannt
werden, bilden sie doch ein gemeinsames Ganzes, die Natur. Ungeachtet aller komplexi-
tätstheoretischen Weiterentwicklungen bleibt die grundlegende Annahme der Einheit und
Geschlossenheit der Natur. Den physischen Prozessen wird nun eine zweite Dimension
zur Seite oder zuweilen auch gegenübergestellt, und beide werden gerne als Sphären be-
zeichnet. Diese zweite Sphäre ist das Reich des Menschen. Damit stellt sich wieder die
grundlegende Frage nach der „Stellung des Menschen im Kosmos“ (Scheler 1962). Was ist
oder zumindest was kennzeichnet diese Sphäre des Menschen? Die klassische Sichtweise
verweist auf Vernunft und Freiheit als Gegenkräfte zur Naturnotwendigkeit. Und doch ist
Die resiliente Gesellschaft 333

auch der Mensch als Naturwesen zu sehen, der natürlich agiert und natürlich wirkt.7 In der
Erdsystemforschung wird allein der zweite Aspekt in den Blick genommen: die Wirkun-
gen des Menschen wie etwa die Ausrottung von Arten oder die zunehmende Versauerung
der Ozeane infolge der Freisetzung enormer Mengen an Kohlendioxid. Denn diese Effekte
gehören in die Sphäre der Natur und fallen also in den Zuständigkeitsbereich der Natur-
wissenschaften. Die schroffe Unterscheidung zwischen nomothetischen, erklärenden und
idiographischen, verstehenden Wissenschaften scheint unbemerkt die Folie der Erdsys-
temforschung zu bilden.
Auch bei ökonomischen Zugängen, deren Bedeutung in der Klimaforschung allmählich
wächst, findet sich oftmals eine ähnliche Dichotomie. Die vorherrschende Ausrichtung
der Wirtschaftswissenschaft teilt mit den naturwissenschaftlichen Forschungen die quan-
tifizierende Sicht auf die Welt. Nicht Einzelphänomene, sondern kumulative Effekte sind
von Belang, welche naturwissenschaftlich erfassbar sind. Von Intentionalität wird damit
systematisch abstrahiert. Die Stellung des Menschen kann folglich offengelassen werden.
Auf diese Weise gerät die Verbindung der menschlichen und der natürlichen Sphäre nicht
als methodisches Problem in den Blick. Dies liegt eben daran, dass die Anthroposphäre in
ihrem Aspekt des Menschlichen unterbestimmt bleibt.
Die philosophische und theologische Anthropologie ist über diese Zweiteilung der
Menschenwelt schon längst hinweg. Das diesbezüglich symbolträchtigste Konzept ist das
der exzentrischen Positionalität (Pleßner 1965, S. 288ff.). Damit lautet eine der entschei-
denden wissenschaftstheoretischen und forschungsstrategischen Fragen, wie sich diese
Theoriefigur in die Erdsystemforschung einschreiben lässt.
Einen Zugang bieten Stoffgeschichten (Soentgen und Reller 2009), denn das Spezi-
fische des Anthropozäns besteht darin, dass im Gegenstand der naturwissenschaftlichen
Untersuchungen Menschliches zu finden ist. Der insbesondere im Klimadiskurs vielfach
betonte anthropogene Charakter des globalen Wandels ist das Wesensmerkmal des An-
thropozäns. Daher lässt sich in der Erforschung, wie sich Stoffe aufgrund menschlicher
Aktivitäten ausbreiten und in dieser Verbreitung wieder auf den Menschen zurückwirken,
Entscheidendes über die Lage des Menschen erfahren.
Einen anderen, im anthropozänen Sphärendiskurs oftmals aufgegriffenen Anknüp-
fungspunkt bietet Teilhard de Chardins Konzept der Noosphäre (Teilhard de Chardin
1964).8 Da es sich in das Sphärenparadigma ausdrücklich einschreibt, scheint es an die
Erdsystemforschung gut anschlussfähig. Zudem zielt es darauf ab, den Menschen als sol-
chen in den Blick zu nehmen. Denn seit alters her wird der Mensch als Vernunftwesen
bestimmt. Insofern ist das Spezifische des Menschlichen die Sphäre der Vernunft. Doch
anders als etwa Kant, der die Auszeichnung des Menschen als Vernunftwesen mit einer
Zwei-Welten-Lehre erkauft, die das Noumenale und das Phänomenale nicht mehr zu ver-

7 Um dieses Wechselverhältnis drehen sich beispielsweise die Beiträge in Haber et al. (2016).
8 Das Konzept der Noosphäre spielt auch eine wichtige Rolle bei dem französischen Philosophen und
Mathematiker Le Roy (1928, S. 37ff.), der Henri Bergson am Collège de France nachfolgte, wie auch
bei dem russischen Geochemiker Vernadsky (1997, S. 147ff., S. 209ff., S. 239ff.). Auf Gemeinsam-
keiten, Unterschiede und Verbindungslinien wird hier nicht weiter eingegangen.
334 Jochen Ostheimer

binden vermag, fällt Teilhard de Chardins spirituelle Evolutionstheorie in keinen garstigen


Graben. Denn so wie die Hylosphäre als Reich des Leblosen bereits die Lebenskeime in
sich trägt, so birgt die Biosphäre die Tendenz zu Noogenese in sich. Die beiden durchgän-
gigen Prinzipien der Konvergenz und Komplexität schaffen eine übergreifende Einheit, so
dass der Mensch als Vernunft- wie als Naturwesen zugleich gesehen werden kann, ohne
dass sich ein ontologischer oder auch nur ein Aspektdualismus auftut.
Die exzentrische Positionalität des Menschen ergibt sich bei Teilhard daraus, dass zum
einen Bewusstsein als bereits in der Urmaterie vorliegend angesehen wird, wobei ähnlich
wie auch in der Prozessphilosophie von Bergson oder Whitehead der Begriff des Bewusst-
seins für Spontaneität, für qualitative im Unterschied zu naturwissenschaftlich erfass-
baren quantitativen Phänomenen steht (Teilhard de Chardin 1964, S. 31f.). Dieses kann
zum anderen gemäß der allgemeinen Dynamik der Konzentrierung sprunghaft eine neue
Qualität annehmen, wie dies etwa bei der menschlichen Vernunft der Fall ist (Teilhard de
Chardin 1964, S. 133, S. 146, S. 149ff.).
Ob der Mensch sich nun angemessen mit dem Begriff der Vernunft erfassen lässt, ist
eine anthropologische Diskussion, die hier nicht geführt zu werden braucht. Wichtiger
ist vielmehr, dass das Konzept der Noosphäre ungeachtet seiner Leistung, die Anthropo-
sphäre näher zu bestimmen und zugleich in klarer Weise den Bezug zur Natursphäre
herzustellen, die spezifische Gestalt der menschlichen Einwirkung auf die Natur nicht
ausreichend kenntlich macht. Die Veränderung der Natur im Anthropozän erfolgt nicht
immer gezielt oder bewusst, aber stets systemisch organisiert. Der entscheidende Para-
meter ist die moderne Gesellschaft, so dass die Anthroposphäre am angemessensten als
Soziosphäre zu interpretieren ist.
Dass nicht einfach der Mensch, z. B. als Kulturwesen, sondern die spezifischen Dyna-
miken der modernen Gesellschaft ausschlaggebend sind, lässt sich auch mit Blick auf die
Diskussion über die Datierung des Anthropozäns erhellen. Der Vorschlag einer Frühdatie-
rung, der gegenwärtig allerdings kaum noch auf Zustimmung stößt, lässt das Anthropozän
seinen Anfang in der neolithischen Revolution nehmen (Steffen et al. 2011, S. 847). Ge-
mäß dieser Hypothese wäre das Anthropozän Ausdruck des menschlichen Kulturschaf-
fens schlechthin, wodurch der jetzt zu beobachtende globale Wandel in gewisser Weise
normalisiert würde. Anders stellt sich der Sachverhalt dar, wenn wie hier in Übereinstim-
mung mit der Mehrheit der Forscher angenommen wird, dass die Industrialisierung die
entscheidende Ursache ist. Dann gehört das Anthropozän zum Projekt der Moderne und
unterliegt somit der Dialektik der Moderne. Folglich braucht das Anthropozän-Konzept
eine Unterfütterung durch Theorien der Moderne. Auch wenn inzwischen soziale Aspekte
Eingang in die IPCC-Berichte finden – eine geistes-, sozial- und kulturwissenschaftliche
Reflexion fällt bislang aus.
Wenn also das Zeitalter des Menschen erst mit der Industrialisierung angebrochen ist,
dann ist ferner zu bedenken, dass es unklar ist, ob die moderne Industriegesellschaft der
letzten zweihundert Jahre mehr als eine vorübergehende Erscheinung im Lauf der Ge-
schichte ist, vor allem wenn man sich vergegenwärtigt, dass das für sie charakteristische
wirtschaftliche Wachstum angesichts der Begrenztheit der Ressourcen keinen stabilen
Die resiliente Gesellschaft 335

Dauerzustand darstellen kann (Sieferle 1997, S. 160f.). Auch dies zeigt, dass die Annahme
der geologischen Wirkmächtigkeit des Menschen gesellschaftstheoretisch zu unterfüttern
ist.
Die Notwendigkeit von geistes-, sozial- und kulturwissenschaftlichen Ansätzen bei der
Diskussion von Sinn und Bedeutung eines Menschenzeitalters erklärt zumindest teilweise
den seit geraumer Zeit zu beobachtenden neuen „Streit der Fakultäten“ (Kant 1977) um
die Deutungshoheit im Anthropozän-Diskurs. Denn ähnlich wie schon bei der Bestim-
mung des Holozäns hat die Festlegung der Epochengrenze nicht nur eine konstative Be-
deutung. Als um die Mitte des 19. Jahrhunderts die Diskussion um das Holozän aufkam,
war diese unterschwellig auch von der religiösen und anthropologischen Absicht geprägt,
die Sonderstellung des Homo sapiens, dessen Dominanz mit dem Ende der letzten Eiszeit
in Verbindung gebracht wurde, deutlich zu machen (Lewis und Maslin 2015, S. 172f.).
Ähnlich hat die Rede vom Anthropozän einen perlokutionären Effekt. Das laute Nach-
denken darüber, dass allmählich die Erde im Ganzen zum Objekt der Sozialverhältnisse
geworden ist, will den Menschen in die Verantwortung nehmen. In diesem Sinn ist die
Gestaltung des Anthropozäns eine Kulturaufgabe. Dies ist geistes- und nicht natur- oder
technikwissenschaftlich zu diskutieren.

4 Die präskriptiven Gehalte von Nachhaltigkeit

Im Folgenden wird der Fokus auf den präskriptiven Aspekt des sozioökologischen Dis-
kurses gerichtet. Dazu wird zunächst das Nachhaltigkeitskonzept analysiert, das als Hin-
tergrundfolie der weiteren Überlegungen dienen kann. Das Nachhaltigkeitskonzept ist
ein präskriptives Konzept. Es macht Vorgaben für die Art und Weise, wie der Mensch
als Einzelner und die (Welt-)Gesellschaft als Ganze die Natur nutzen sollen bzw. dürfen.
Dabei lassen sich drei präskriptive Dimensionen unterscheiden. Der ersten präskriptiven
Dimension nach sind kluge oder pragmatische Entscheidungen gefragt. Effizienz und
Substitution sind die Stichworte. Die erneuerbaren Ressourcen sind so zu nutzen, dass
die Verbrauchsrate die Erneuerungsrate nicht übersteigt. Bei nicht erneuerbaren Ressour-
cen wie etwa Böden darf die Nutzung die Substanz nicht gefährden, denn sonst drohen
langfristig Ertragsrückgänge. Die hier angesprochene Klugheit kann durchaus in einem
ökonomischen Sinn verstanden werden, freilich mit einer langfristigen und kollektiven
Ausrichtung, weil Ressourcen betroffen sind, die als „gemeinsames Erbe der Menschheit“
(Odendahl 1998, S. 251ff., S. 372ff.) zu betrachten sind.
Die zweite präskriptive Dimension bezieht sich auf das gelingende oder glückliche Le-
ben des Einzelnen und auf die Vorstellung einer guten Gesellschaft als Ganzes. So ist
beispielsweise bereits Carlowitz’ Rede von Nachhaltigkeit von der Leitidee des Gemein-
wohls bestimmt (Carlowitz 2013, S. 95, S. 98). Eine nachhaltige Entwicklung der zeitge-
nössischen westlichen Gesellschaft verlangt einen radikalen Wandel im Lebensstil. Dieses
Ziel tritt dem Individuum als Appell entgegen: „Du musst dein Leben ändern“ (Sloterdijk
2009). Denn die bisher dominierenden Lebensweisen sind viel zu ressourcenintensiv, um
336 Jochen Ostheimer

auch nur in der westlichen Hemisphäre dauerhaft für eine Mehrheit der Bevölkerung mög-
lich zu sein. Als nötig vorgeschlagen wird daher vielfach Suffizienz (Stengel 2011). Es
kommt wohl nicht von ungefähr, dass so häufig dieses lateinische Lehnwort gebraucht
wird. Denn als solches evoziert es keine Emotionen – keine negativen Emotionen, wie es
bei „Bescheidenheit“, „Mäßigung“ oder „Genügsamkeit“ wohl der Fall wäre. Die Umwelt-
bewegung hat immer wieder Verzicht gepredigt, zuletzt im Vorstoß der Partei Bündnis 90/
Die Grünen für einen mehr oder weniger verbindlichen vegetarischen Pflichttag für alle.
Dass Umweltschutz und Nachhaltigkeit mit einer Entscheidung zum Weniger einhergehen,
liegt auf der Hand, weil der gegenwärtige Lebensstil massiv zu Lasten der ärmeren und
der künftigen Menschen geht. Früh schon wurde allerdings, nicht zuletzt in der pädago-
gischen Reflexion des Programms „Bildung für eine nachhaltige Entwicklung“, erkannt,
dass es sinnvoll ist, die positiven, bereichernden Aspekte einer Kultur der Nachhaltigkeit
in den Vordergrund zu rücken. Die Ansätze dazu müssen in einer pluralistischen Gesell-
schaft freilich plural ausfallen. Dies hat zur Folge, dass ökologische Verhaltensmuster
sektoriell begrenzt sind. Jedes Milieu hat seinen eigenen nachhaltigen Lebensstil. Ob im
Ganzen dadurch ein gesellschaftlicher Entwicklungspfad beschritten wird, der nachhaltig
ist, wird kontrovers diskutiert (Hartmann 2009).
Auch wenn der nachhaltige Lebensstil zuweilen als Einschränkung wahrgenommen
wird, kann er doch gerade auch ein Weg zu einem gelingenden Leben sein. Er ist eine
Gestaltungsaufgabe, eine Kunst. Lebenskunst wird folglich nun auch mit einem ökologi-
schen Vorzeichen versehen. Die ökologisch-soziale Krise ist ein wirkmächtiger Anlass,
das bewusste Leben wieder stärker in den Vordergrund zu rücken. Die die Umweltbewe-
gung seit ihren Anfängen begleitende Konsumkritik gewinnt hier einen neuen Antrieb
(Scherhorn und Weber 2002; Busse 2006; Dauvergne 2008; Hansen und Schrader 2009;
Dietz et al. 2009; Heidbrink und Reidel 2011; Heidbrink et al. 2011; Rat für Nachhaltige
Entwicklung 2013).9 Denn in einer konsumorientierten Lebensweise droht allzu sehr die
Gefahr, sein eigenes Glück zu verfehlen. Wohlbefinden, Zufriedenheit, Gesundheit, innere
Ausgeglichenheit und Einklang mit der Natur auf der Basis reflektierter und verantwor-
tungsbewusster Askese im klassisch-griechischen Sinn – das sind die Glücksverheißungen
der ökologischen Lebenskunst (Schmid 2008).
Die dritte präskriptive Dimension des Nachhaltigkeitskonzepts umfasst die wechsel-
seitigen Verpflichtungen und kann unter dem Begriff der Gerechtigkeit subsumiert wer-
den.10 In der öffentlichen Rede eignet ihr eine besondere Prägnanz. Gerade der Aspekt der
intergenerationellen Gerechtigkeit gilt vielfach als Definitionsformel von Nachhaltigkeit
schlechthin. Die Kategorie der Gerechtigkeit macht – anders als die alternativ zu finden-
den Kategorien der Solidarität oder der Verantwortung – unmissverständlich klar, dass
Nachhaltigkeit eine Rechtspflicht, eine unbedingte Forderung ist, die daher gerade nicht

9 An diesem Punkt setzen gerne auch kirchliche Verlautbarungen und Empfehlungen an (vgl. Gard-
ner 2003, S. 310ff.).
10 Den immanenten moralischen Charakter von Nachhaltigkeit verkennt etwa O’Brien (2012), wenn
sie vom doppelten Kriterium „nachhaltig“ und „moralisch“ spricht.
Die resiliente Gesellschaft 337

als freiwillige Entscheidung oder als Luxusanliegen für bessere Zeiten abgetan werden
kann.
Die Gerechtigkeitsforderungen des Nachhaltigkeitsprinzips sind vielgestaltig. Die
intergenerationelle Seite der Gerechtigkeit ist nur eine von mehreren Facetten, was an-
gesichts der methodischen Grundidee von Nachhaltigkeit, der Retinität oder des vernetz-
ten Denkens, auch naheliegend ist. Der zeitlichen Ausrichtung werden meist noch eine
soziale oder globale Gerechtigkeit, manchmal eine partizipative und zuweilen noch eine
ökologische Gerechtigkeit zur Seite gestellt. Globale und soziale Gerechtigkeit sind nicht
gleichzusetzen. Gerechtigkeitsansprüche des pauschal so genannten globalen Südens und
solche innerhalb der wohlhabenden westlichen Gesellschaften besitzen jeweils eine ande-
re Grundlage wie auch einen anderen Inhalt. Die Idee der Beteiligungsgerechtigkeit baut
auf dem demokratischen Grundgedanken auf, dass die erforderlichen gesellschaftlichen
Veränderungen, weil sie alle betreffen, grundsätzlich auch von allen beschlossen werden
müssen. Der Begriff der Umwelt- oder ökologischen Gerechtigkeit schließlich kann zum
einen moralische Rechtsansprüche nichtmenschlicher Wesen, seien es Individuen oder
Gesamtheiten, zum Ausdruck bringen. Er sieht sich dann allerdings mit nicht zu unter-
schätzenden Theorieproblemen konfrontiert. Zum anderen können damit umweltbezoge-
ne Aspekte sozialer Gerechtigkeit gemeint sein, etwa die systematische und strukturelle
Koinzidenz von schlechten und gesundheitsgefährdenden Wohnsituationen und niedrigem
sozioökonomischem Status (Low und Gleeson 1998; Bolte und Mielck 2004; Maschew-
ski 2004; Hornberg und Pauli 2009; Elvers 2011; Hornberg et al. 2011; Bolte et al. 2012).
Darüber hinaus finden sich weitere Gerechtigkeitsbegriffe, etwa Ressourcen- oder Klima-
gerechtigkeit. In solchen Formulierungen ist jedoch nur eine Abkürzung zu sehen: die
Angabe des Themas, das unter einer Gerechtigkeitsperspektive verhandelt werden soll.
Damit ist die präskriptive Gestalt des Nachhaltigkeitskonzepts im Großen und Ganzen
umrissen. Der Resilienz- und Transformationsdiskurs weist im Vergleich dazu eine erheb-
liche Abweichung auf. Die dritte Dimension, der Gerechtigkeitsaspekt, fehlt weitgehend.
Dies bedeutet nicht, dass die gesellschaftliche Transformation mit dem Ziel der Resilienz-
steigerung nicht unter einer Gerechtigkeitsperspektive beurteilt werden kann, sondern
schlicht, dass eine Gerechtigkeitssemantik kaum auszumachen ist, obschon normative
Fragen sehr umfassend als solche thematisiert werden. Um dies näher zu klären, wird im
Folgenden der Resilienz- und Transformationsdiskurs näher beleuchtet.

5 Resilienz: der diskursive Wandel im Anthropozän

Die Welt ist im Wandel, und diese Umwälzungen werden unweigerlich die Gesellschaften
mit sich reißen. Daher stellt sich für diese die lapidare Frage: „Transformation by desaster
oder by design?“ (Sommer und Welzer 2014, S. 26; Welzer 2013, S. 29) Das Kriterium, an
dem eine erfolgreiche gesellschaftliche Umgestaltung zu bemessen ist, ist nicht Resilienz,
sondern das von den modernen westlich-liberalen Staaten erreichte Zivilisationsniveau:
Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, hohe allgemeine Bildung, einmalig gute Gesundheitsver-
338 Jochen Ostheimer

sorgung, Wohlstand für alle und dergleichen mehr. Diese Güter sind in den anstehenden
gesellschaftlichen Veränderungen zu bewahren. Die Schwierigkeit liegt darin, dass diese
Errungenschaften materiell bislang von einer expansiven Wirtschaft getragen werden, von
einer Wirtschaft, die nicht nachhaltig ist und die dementsprechend die gesellschaftliche
Resilienz mittelfristig in einer doppelten Weise untergräbt. Zum einen betreibt sie Raub-
bau an der Umwelt der Gesellschaft und beeinträchtigt damit eine wesentliche Stabili-
tätsbedingung. Zum anderen verfestigt sie die bereits bestehende Pfadabhängigkeit und
erschwert damit jeden Wandel. Dieses Wirtschaft- und Gesellschaftsmodell gemäß der
Maxime „mehr desselben“ fortzuführen, obwohl sich die Rahmenbedingungen funda-
mental geändert haben, ist ein klarer Fall einer „Logik des Misslingens“ (Dörner 1992;
Diamond 2006; Ostheimer und Vogt 2008, S. 191ff.).
Dass sich die Welt im Wandel und damit in einer Situation großer Unbestimmtheit
oder gar Unsicherheit befindet, kennzeichnet einen bedeutsamen Unterschied zwischen
dem Nachhaltigkeits- und dem Resilienzdiskurs und zwar in zweierlei Hinsicht.11 Gewiss
waren Veränderungen und insbesondere Degradierungen immer schon Auslöser für Über-
legungen und Handlungen im Sinne des Nachhaltigkeitsprinzips. Dies zeigt sich schon
bei Carlowitz (2013), der infolge eines drohenden Holzmangels zu einer „sylvicultura oe-
conomica“ aufruft. Doch auch wenn Veränderungen in der Umwelt den Anlass bilden,
ist Wandel nicht unbedingt das zentrale Thema des Nachhaltigkeitskonzepts.12 Oft liegt
der Fokus auf der Weiterentwicklung und damit auf der Verbesserung des Bestehenden.
Effizienz und Optimierung sind dabei wichtige Zielgrößen, freilich nicht die einzigen.13
Darüber hinaus resultiert aus der Bedeutung des Wandels, wenngleich nicht zwangsläu-
fig, eine andere Fokussierung. Während das Resilienzkonzept angesichts eines drohenden
disruptiven Wandels das Augenmerk auf die erforderlichen Stabilitätsvoraussetzungen
richtet,14 ist das Anliegen des Nachhaltigkeitskonzepts anspruchsvoller als bloßes Katast-

11 Walker und Salt (2006, S. 9, S. 11, S. 14, S. 30 u.ö.) betonen den Aspekt des Wandels als eines we-
sentlichen Bestimmungselements des Resilienzdenkens sehr stark.
12 Dass der Aspekt des Wandels, gerade unter Berücksichtigung nichtlinearer Veränderungen in kom-
plexen adaptiven Systemen, für das Nachhaltigkeitskonzept dennoch von großer Bedeutung ist,
zeigt Vogt (2009, S. 310ff.).
13 Bei Walker und Salt (2006, S. 8f. u.ö.) wird Nachhaltigkeit schnell auf partielle Effizienzsteigerung
und Optimierung reduziert. Diese unterschwellige Abwertung von Nachhaltigkeit hat letztlich das
Ziel, Resilienz als das neuere und bessere Konzept zu präsentieren. Gewiss trifft diese Kritik auf
etliche Nachhaltigkeitspraktiken und -berichte zu. Doch dies macht nur deutlich, dass diese den
eigentlichen Nachhaltigkeitsanspruch verfehlen.
14 Vgl. etwa das Eingangsbeispiel im Vorwort von Walter Reid zu Walker und Salt (2006, S. X). An
dieser Stelle wäre eine längere Diskussion erforderlich. So finden sich Überlegungen, wonach das
Konzept der ecological resilience im Unterschied zu dem der engineering resilience gerade nicht
strukturkonservativ ausfalle, sondern die Dynamik betone (vgl. Fichter et al. 2010, S. 18f., S. 23ff.).
Ebenso kann aber in der Übertragung des naturwissenschaftlichen Resilienzkonzepts in den sozial-
wissenschaftlichen Diskurs auch die Tendenz ausgemacht werden, in strukturkonservativer Weise
günstige Bedingungen für den globalen Kapitalismus zu legitimieren; vgl. MacKinnon und Deri-
ckson (2013), deren Kritik sich beispielsweise auf den Bericht Roots of Resilience des World Re-
sources Institute von 2008 richten könnte.
Die resiliente Gesellschaft 339

rophenmanagement. Zielgrößen sind wesentliche Facetten und Voraussetzungen des guten


Lebens und nicht bloß Widerstandsfähigkeit.
Resilienz- und teils auch Transformationskonzepte im sozioökologischen Diskurs be-
sitzen hingegen eine ausgeprägt funktionale Facette. Im Zentrum steht die Fähigkeit so-
zioökologischer Systeme15, Stress und ungünstige Einflüsse zu bewältigen. Unter Resilienz
wird dabei je nach Veränderungslage die Fähigkeit zu Widerstand, zu Anpassung oder zu
gezielter Selbsttransformation verstanden, wobei sich allerdings eine übereinstimmende
Verwendung des Resilienzbegriffs trotz der Koordinationsbemühungen der „Resilienz-
Allianz“ noch nicht eingestellt hat (Brand et al. 2011; Bonß 2015; Resilience 2016).
Resilienz ist kein Selbstzweck, sondern eine notwendige relationale und funktionale
Eigenschaft sozioökologischer Systeme. Sie bezieht sich auf den Umgang mit sich wan-
delnden äußeren Bedingungen. Dazu zählen zwei grundlegende Strategien (Walker et al.
2004; Folke et al. 2010). Widerstand und Anpassungsfähigkeit erlauben es dem System,
auf externe Veränderungen so zu reagieren, dass es kritische Parameter oder Grenzwerte
nicht überschreitet und somit im aktuellen Ordnungszustand verbleibt. Nötig für eine sol-
che Stabilität sind Robustheit sowie ebenso die Flexibilität, kleinere Veränderungen vor-
zunehmen, so dass das Gesamtsystem sich in seiner grundlegenden Verfasstheit erhalten
kann. Im Unterschied dazu besteht die Leistung der Gestaltungsfähigkeit als der zweiten
prinzipiellen Strategie darin, Optionen offenzuhalten oder neu zu schaffen. Eine solche
Transformationsfähigkeit ermöglicht es dem System, einen von außen erzwungenen Wan-
del möglichst eigenständig zu gestalten und im neuen Systemzustand eine neue Stabilität
aufzubauen. Ein Beispiel dafür ist der Umstieg eines Unternehmens von der Computer-
Produktion zur Software-Entwicklung, ein anderes die durch mehrjährige Trockenheit
erzwungene Umstellung von Intensivlandwirtschaft auf extensive, landschaftsschonende
Nutzung in Verbindung mit Öko- und Sporttourismus (Walker et al. 2004). Dass solche
Prozesse in aller Regel mit einem erheblichen internen Widerstand verbunden sind, liegt
auf der Hand und müsste von umfassend angelegten Resilienzstrategien von Anfang an
mitgedacht werden.
Daher besteht eine wichtige Aufgabe von an Resilienz orientierten Untersuchungsan-
sätzen darin, in der Analyse von Veränderungsmöglichkeiten Ansatzpunkte, Akteure und
Prozesse zu beschreiben, die geeignet sind, einen als notwendig erkannten Wandel voran-
zutreiben. An diesem Punkt berühren sich Resilienz- und Transformationsdiskurs. Erfor-
derlich für eine solche Analyse ist eine Mehrebenenperspektive, die beispielsweise zwi-
schen einer soziotechnischen Ordnung, der übergreifenden soziotechnische Landschaft
sowie Innovationsnischen unterscheidet (Geels und Schot 2007).16 Eine soziotechnische

15 Dieses Konzept wird von Folke et al. 2010 (Tabelle 1) folgendermaßen eingeführt: „Integrated sys-
tem of ecosystems and human society with reciprocal feedback and interdependence. The concept
emphasizes the humans-in-nature perspective“. Eine solche übergreifende Sichtweise ist sinnvoll,
der Systembegriff und die Art der Verbindung bleiben jedoch ungeklärt.
16 Die gleichzeitige Analyse mehrerer Ebenen gehört inzwischen zum Standarddenkmodell im sozio-
ökologischen Diskurs (vgl. Walker und Salt 2006, S. 32ff.; Westley et al. 2013). Im Nachhaltigkeits-
konzept ist dies ein Aspekt der Retinität.
340 Jochen Ostheimer

Ordnung besteht aus vielfältigen Praxen, den diese konstituierenden Regeln und Institutio-
nen, die sehr heterogen sein können und beispielsweise rechtliche und technische Normen,
kulturelle Gewohnheiten, Rollenmodelle oder eingespielte wirtschaftliche Beziehungen
einschließen, sowie dem materiellen Substrat, d. h. der Infrastruktur und Geräten aller Art.
Eine solche Ordnung ist stets in ein umfassenderes System eingebettet, die so genannte
soziotechnische Landschaft. Diese umfasst beispielsweise volkswirtschaftliche und politi-
sche Strukturen bzw. Entwicklungen sowie tief sitzende kulturelle Muster. Hinzu kommen
als drittes analytisches Element geschützte Räume oder Nischen, in denen technische,
kulturelle oder ökonomische Innovationen entstehen können.17 Mit diesem Konzept lassen
sich sowohl die gesellschaftlichen Praxen erfassen, die wie etwa das Verkehrswesen oder
Ernährung einzelne Dimensionen einer stabilen Umwelt gefährden, als auch entsprechen-
de Umweltschutzmaßnahmen.
Angesichts der komplexen Vernetzung von sozioökologischen Systemen ist es sinn-
voll, verschiedene Resilienzordnungen zu unterscheiden, etwa spezifische und allgemeine
Resilienz (Folke et al. 2010). Spezifische Resilienz ist die Fähigkeit eines Systems, beim
Eintritt einer spezifischen Störung angemessen zu handeln. Ein Blick von einer übergeord-
neten Ebene kann nun zeigen, dass das betreffende System Teil eines umfassenderen Sys-
tems ist und dass eine entsprechende teilsystemische Resilienz die Resilienz des Gesamt-
systems verringern und insbesondere die Fähigkeit beeinträchtigen kann, auf Ereignisse
zu reagieren, die unvorhersehbar sind oder weit außerhalb der Seh- und Denkroutinen
liegen. Dies ist bei Konzepten zum Management sozioökologischer Systeme zu berück-
sichtigen. Oftmals müssen Wandlungsprozesse auf unterer Ebene angestoßen werden, um
das Gesamtsystem stabil bzw. handlungsfähig zu halten. Eine andere Unterscheidung von
Resilienzordnungen ist die zwischen einfacher und reflexiver Resilienz, wobei die Über-
gänge hier ebenfalls fließend sind (Bonß 2015, S. 27ff.). Sie ist spezifisch soziologisch
und bezieht sich damit auf die soziale Komponente sozioökologischer Systeme. Einfa-
che Resilienz ist reaktiv, ist die Fähigkeit, sich bei einem eingetretenen Schaden adäquat
zu verhalten. Selbstverständlich setzt dies auch Planung und somit Reflexion voraus. Als
„einfach“ wird diese Form von Resilienz bezeichnet, weil sich derartige Konzepte auf
die unmittelbare Reaktion beziehen.18 Reflexive Konzepte hingegen verfahren proaktiv,
sie versuchen, durch vorgängige Maßnahmen und insbesondere durch das Anstoßen ge-
sellschaftlicher Lernprozesse mögliche Gefährdungen präventiv zu verhindern.19 Insofern

17 Welzer (2013, S. 185ff.) analysiert dies unter dem von Etienne Wenger übernommenen Begriff der
„communities of practice“.
18 Im Vorschlag von Wildavsky (1988), der der soziologischen Resilienzforschung einen bedeutsamen
Anstoß gab, zwei komplementäre gesellschaftliche Sicherheitsstrategien zu unterscheiden, nämlich
Antizipation, d. h. das Vorhersehen von grundsätzlich bekannten Gefahren, und Resilienz als Vor-
bereitung auf unvorhersehbare Ereignisse, ist das Verständnis von Resilienz ein klassisches Beispiel
für ein Konzept einfacher Resilienz.
19 In eben diesem Sinn sind solche Resilienzkonzepte nicht einfach rückwärtsgewandt, wie Olsson
et al. (2014, S. 3) zu Recht gegen eine entsprechende Kritik einwenden. Ihnen fehlt indes die hier
referierte Unterscheidung, um erklären zu können, unter welchen Bedingungen ein Ansatz eher pro-
oder reaktiv ausfällt.
Die resiliente Gesellschaft 341

besitzen sie eine große Nähe zu Transformationskonzepten. Den psychopolitischen Hin-


tergrund bildet die Einsicht, dass Unsicherheit und Krisen eine unweigerliche Begleit-
erscheinung der späten Moderne sind. Hier haben zunächst die Risiko- und später die
Resilienz- und Transformationsdiskurse ihre Verankerung. Des Weiteren erweist es sich
vielfach als sinnvoll, mit Blick auf die grundlegende Definition von Resilienz, nämlich als
Fähigkeit eines Systems, seine Identität, d. h. seine Strukturen und seine Funktionen, zu
bewahren, eben diese Differenzierung weiter zu verfolgen. Die Bewahrung von Struktu-
ren kann einen Funktionswandel nach sich ziehen, wie umgekehrt die Aufrechterhaltung
einer Funktion einen Strukturwandel erfordern kann. Dieser Unterschied wird dann oft-
mals mit dem Begriffspaar engineering resilience und ecological resilience bzw. eco-
system resilience in Verbindung bzw. zum Ausdruck gebracht (Holling 1996; Holling und
Gunderson 2002, S. 27ff.).
Das Resilienzdenken ist vorrangig funktional, was sich nicht zuletzt in seiner system-
theoretischen Begrifflichkeit wie Komplexität, Ordnungszustände bzw. -übergänge, adap-
tive Kreisläufe und Rückkopplungsschleifen zeigt, auch wenn immer wieder, aber meist
doch sehr unspezifisch seine präskriptive Ausrichtung behauptet wird. Diese ergibt sich
indes nicht aus dem Gehalt des Konzepts, sondern bezieht sich auf die Festlegung, wer
oder was in einem sozioökologischen Systemzusammenhang resilient (gemacht) werden
soll. Diese Entscheidung erhält nicht einfach dadurch ihr großes Gewicht, dass jede par-
tikuläre Optimierung, und sei es die Verbesserung von Resilienz, leicht zu Lasten des
Gesamtsystems oder anderer Bestandteile geht, worauf die Resilienztheoretiker mit Nach-
druck hinweisen (Walker und Salt 2006, S. 120). Vielmehr handelt es sich um eine gesell-
schaftliche Wertentscheidung, die idealerweise demokratisch zu fällen ist. Doch gesell-
schaftliche Prozesse der Verständigung über „Normalverhältnisse“ und wünschenswerte
Ziele kommen in den beiden zentralen Bausteinen des Resilienzdenkens, dem Modell der
Schwellen zwischen unterschiedlichen Ordnungszuständen und dem Modell der adaptiven
Kreisläufe, nicht vor. Daher ist das Resilienzkonzept als ein funktionales zu klassifizie-
ren, das freilich wie jeder funktionale Ansatz in einen Entscheidungskontext und damit
in eine normative Fragestellung eingebettet werden kann, etwa ähnlich der Frage, wer
von den Früchten einer Effizienzsteigerung profitieren soll. Gewiss kann die Facette der
funktionalen Gestaltung im Sinne von Anpassung oder Transformation auch im Nach-
haltigkeitsdiskurs ausfindig gemacht werden. Denn Nachhaltigkeit ist als Naturnutzungs-
konzept selbstverständlich auch funktional ausgerichtet; oben wurde diesbezüglich von
Klugheit gesprochen. Doch der Nachhaltigkeitsdiskurs bleibt nicht dabei stehen, er geht
über zu Überlegungen zu einer lebenswerten und gerechten Gesellschaft.20 Derartige Dis-

20 Walker und Salt (2006, S. 9) übersehen dies, wenn sie den Schlüssel des Nachhaltigkeitskonzepts
in der Stärkung der Resilienz eines sozioökologischen Systems sehen. Resilienz ist die Mindestan-
forderung, aber das Nachhaltigkeitsprinzip geht darüber hinaus, auch wenn in der faktischen Praxis
wie z. B. bei Nachhaltigkeitszertifikaten eine grüne Optimierung einzelner Produkte vorgenommen
wird, die das Gesamtsystem im Ganzen schwächen kann.
342 Jochen Ostheimer

kussionen werden unter dem Begriff der Resilienz eher selten geführt, im Rahmen von
Transformationsdiskursen hingegen weitaus mehr (Welzer 2013, S. 150ff., S. 199ff. u.ö.).21

6 Fazit: Die Gestaltung des Anthropozäns – eine Kulturaufgabe

Nachhaltigkeit wie Resilienz sind Ausdruck eines (Er-)Schreckens. Sie entspringen einer
Krisenwahrnehmung. Das Nachhaltigkeitskonzept hat die Bühne aufgespannt, und zwar
scheinbar größtmöglich: die gesamte Erde – was nicht zuletzt in der Bezeichnung der
Rio-Konferenz als „Erd-“ oder „Weltgipfel“ zum Ausdruck kommt – in einer zeitlichen
Erstreckung über mehrere Generationen hinweg. Das Nachhaltigkeitsprinzip scheint da-
mit das passende Begleitkonzept der entwickelten Moderne. Trotz dieser Ausdehnung hat
das Nachhaltigkeitskonzept noch etwas Handhabbares. Dies nun verliert sich in der neuen
großen Erzählung des Anthropozäns. Im Menschenzeitalter erfährt und erkennt sich der
Mensch als eine Macht, die er selbst kaum zu beherrschen in der Lage ist. Der Mensch
ist seinem Mitmenschen nicht einfach nur ein Wolf und mit Wölfen umzugehen hat der
Mensch in den vergangenen Jahrtausenden gelernt. Der Mensch ist dem Menschen nun
vielmehr ein geologischer Faktor. Diese Größen zu beherrschen hat der Mensch erst ge-
rade zu lernen begonnen. Dabei stieß er sehr bald auf das Phänomen der Komplexität,
das jede lineare Steuerung rasch an ihre Grenzen stoßen lässt. Insofern steckt hinter der
Diagnose des Anthropozäns eine Selbstbetrachtung des Menschen, die ähnlich wie der
astronautische Blick auf den blauen Planeten ihren Menschenbildcharakter nur reflexiv
erkennen lässt. Über die längste Zeit der Menschheitsgeschichte hinweg war das Paradies
ein Geschenk, eine Gabe einer höheren Macht. Erst dem neuzeitlichen Fortschrittsopti-
mismus schien das Paradies als eine – durchaus machbare – Aufgabe (Bacon 1982). Das
Konzept des Anthropozäns ist demgegenüber fast vollständig ernüchtert. Nicht mehr den
Himmel auf Erden zu erreichen ist die anstehende Aufgabe, sondern zu verhindern, dass
der Himmel der Menschheit auf den Kopf fällt, weil er mit anthropogenem, ja mit Zivili-
sationsmüll angefüllt ist (Ostheimer 2015).
Auch diejenigen, die angesichts der anthopozänen Gefährdungen in Fortführung der
neuzeitlichen Machbarkeitsmaxime auf Technik setzen, tun dies in den meisten Fällen
zur Abwehr von Gefahren. Climate engineering ist dafür das beste Beispiel. Technik als
Mittel des Paradieses hat weitgehend seinen Glanz verloren und wird als solches allenfalls
noch in Form von Agrogentechnik oder bei transhumanistischen TED-Talks vorgestellt.
Der Anthropozändiskurs begann als ein naturwissenschaftlicher, so wie auch der Blick
auf den Planeten Erde von außen in der natur- und technikwissenschaftlichen Sphäre sei-
nen anfänglichen Ort hatte. Doch so wie jener kann auch dieser nicht umhin, zu einem
gesellschaftlichen Phänomen und damit zu einem Gegenstand von Geistes-, Sozial- und

21 Die besondere diskursive Bedeutung des Transformationsdenkens kann hier aus Platzgründen nicht
mehr ausgeführt werden. Daher soll die Andeutung genügen, dass einer seiner spezifischen Beiträge
darin liegt, die Machtfrage zu stellen.
Die resiliente Gesellschaft 343

Kulturwissenschaften zu werden. Nicht die Veränderungen im Erdsystem als solche be-


unruhigen, sondern deren Konsequenzen für die Gesellschaften. Damit erhält Technik
wieder ihren eigentlichen Ort: als Verfahren zur Sicherstellung der Bedingungen erfolg-
reicher Praxis. Nicht Technik, sondern Praxis ist das zentrale Thema, um den gesellschaft-
lichen Wandel angemessen zu fassen und zu diskutieren. Das Anthropozän ist ein kultu-
relles Phänomen.
344 Jochen Ostheimer

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Autorinnen und Autoren

Berning, Sue Claire, Dr., ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Friedrich-Alexander-


Universität Erlangen-Nürnberg am Lehrstuhl für Internationales Management. Sie stu-
dierte International Business and Communcation in Asia und promovierte in International
Management. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Emerging Market Firms, Internationa-
lization Strategies, Crosscultural Management und International Marketing. Ihre Studien
wurden u. a. im Journal für Betriebswirtschaft, Journal of Asia Business Studies, Research
Handbook on the Globalization of Chinese Firms, Palgrave Handbook of Leadership in
Transforming Asia und Yearbook of Market Entry Advisory veröffentlicht. Sie ist deut-
sche Staatsangehörige mit koreanischen Wurzeln und fließend in Englisch, Französisch,
Bosnisch und Chinesisch. E-Mail-Adresse: sue.claire.berning@fau.de.

Binder, Claudia R., Prof. Dr., ist Universitätsprofessorin für Mensch-Umwelt Beziehun-
gen in Urbanen Systemen an der EPFL Lausanne, Schweiz. Sie ist in Montreal, Canada
geboren. Nach dem Studium der Naturwissenschaften (Schwerpunkt Biochemie) an der
ETH Zürich, promovierte sie in Umweltwissenschaften und habilitierte in Mensch-Um-
welt Systemen ebenfalls an der ETH Zürich. Von 1996 bis 1998 war sie als Post-Doc in
den Departments „Agricultural and Resource Economics“ and „Ecological Economics“
der University of Maryland tätig; von 1998 bis 2006 war sie Oberassistentin am Lehrstuhl
für Umweltnatur- und Umweltsozialwissenschaften der ETH Zürich. 2006 erhielt sie eine
SNF-Professur am Department für Geographie der Universität Zürich und wurde 2009
bis 2011 Universitätsprofessorin für Systemwissenschaften an der Universität Graz, Öster-
reich; von 2011 bis 2015 war sie Universitätsprofessorin für Mensch-Umwelt Beziehun-
gen, Department für Geographie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Ihre
Forschungsschwerpunkte ist die Analyse, Modellierung und Bewertung der Transforma-
tion urbaner Systeme Richtung Nachhaltigkeit. E-Mail-Adresse: claudia.binder@epfl.ch.

Blum, Carolin, Dr., ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Psychologische


Ergonomie an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Sie studierte Soziologie in
Mainz und Frankfurt und promovierte an der Universität Heidelberg. Carolin Blum be-
schäftigt sich mit Fragestellungen der Arbeits-, Industrie- und Organisationssoziologie

347
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2018
M. Karidi et al. (Hrsg.), Resilienz,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-19222-8
348 Autorinnen und Autoren

und forscht derzeit zum Thema „Umgang von Wissensarbeitern mit psychischen Belas-
tungen“ im Forschungsprojekt „Strategien der Belastungsbewältigung“. E-Mail-Adresse:
carolin.blum@uni-wuerzburg.de

Bobar, Amra, Dipl.-Geogr., ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin an


der Lehr- und Forschungseinheit Wirtschaftsgeographie der Ludwig-Maximilians-Uni-
versität München. Sie studierte Geographie, Ethnologie und Politikwissenschaften an
der Universität zu Köln und der Simon Fraser University in Burnaby, Kanada. Nach
dem Studium arbeitete sie bei Women in Europe for a Common Future (WECF) e.V. in
München zu den Themen Kunst und Klimawandel im Bereich der Umweltbildung so-
wie der Entwicklungszusammenarbeit. Sie ist Mitglied im Bayerischen Forschungsver-
bund ForChange, in dessen Rahmen sie die Chancen und Hindernisse einer verstärkten
Holzverwendung in Bayern im Sinne einer nachhaltigen gesellschaftlichen Entwick-
lung erforscht. In ihrer Dissertation beschäftigt sie sich mit Konzepten, Narrativen und
Strategien hinsichtlich des Waldes und der Holznutzung und der Frage, wie sich diese
auf Diskurse und Praktiken im Forst- und Holzsektor auswirken. E-Mail-Adresse:
amra.bobar@geographie.uni-muenchen.de.

Böschen, Stefan, Dr. habil., ist Senior Research Scientist am ITAS (Institut für Technik-
folgenabschätzung und Systemanalyse) am KIT (Karlsruher Institut für Technologie) als
Ko-Leiter des Forschungsbereichs „Wissensgesellschaft und Wissenspolitik“. Er studierte
Chemieingenieurwesen, Philosophie und Soziologie in Erlangen-Nürnberg, erlangte sein
Diplom als Chemie-Ingenieur, und promovierte und habilitierte im Fach Soziologie. Im
WiSe 2016/17 und im SoSe 2017 vertrat er die Professur „Technik und Gender“ an der
RWTH Aachen. Schwerpunkte seiner Forschung sind Wissenschafts-, Technik-, Um-
welt- und Risikoforschung, Institutionentheorie und die Theorie moderner Gesellschaf-
ten. Seine aktuellen Projekte sind „PartInno“ (BMBF), „ComplexEthics“ (BMBF) sowie
„Hochschulkommunikation organisieren“ (VW Stiftung). Aktuelle Veröffentlichung: Bö-
schen, S. (2016): Hybride Wissensregime. Skizze einer soziologischen Feldtheorie. Baden-
Baden: Nomos. E-Mail-Adresse: stefan.boeschen@kit.edu.

Braun, Carolin, Dipl.-Psych., ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin am


Institut für Psychologie der Julius-Maximilians-Universität Würzburg an der Profes-
sur für Entwicklungspsychologie und promoviert über Medien als Resilienzfaktor im
gesellschaftlichen Wandel. Sie studierte Psychologie an der Universität Koblenz-Landau
in Kombination mit dem Zusatzstudium der Kommunikationspsychologie und Medienpä-
dagogik an dem gleichnamigen Institut IKM. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören
Entwicklung und Medien, Erwerb von Medienkompetenz, Lernen mit Medien und Resi-
lienzfaktoren im Kindes-, Jugend- und frühen Erwachsenenalter. Ihre Forschungsergeb-
nisse stellte sie bereits auf verschiedenen nationalen und internationalen Konferenzen vor.
Carolin Braun ist zudem Co-Autorin des Buchbeitrags Medien und Jugend in dem Heraus-
geberband Handbuch Jugend, Psychologische Sichtweisen auf Veränderungen in der Ado-
Autorinnen und Autoren 349

leszenz und war Mitveranstalterin der Tagung Psychosozialer Wandel durch neue Medien:
Entwicklung und Lernen, Arbeit, Ausbildung und Freizeit an der Universität Würzburg.
Zusätzlich ist sie an der Entwicklung des Edutainment-Spiels Lorem Ipsum beteiligt.
E-Mail-Adresse: carolin.braun1@uni-wuerzburg.de.

Gralke, Verena Maria, Dipl.-Psych., ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktoran-


din am Institut für Psychologie der Universität Würzburg an der Professur für Entwick-
lungspsychologie und promoviert über Medien als Resilienzfaktor im gesellschaftlichen
Wandel. Sie studierte Psychologie an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Ihre
Forschungsschwerpunkte sind u. a. Entwicklung und Medien, Erwerb von Medienkom-
petenz, Lernen mit Medien und Resilienzfaktoren im Kindes- und Jugendalter. Ihre For-
schungen wurden u. a. auf dem Biennial Meeting of the International Society for the Study
of Behavioural Development (ISSBD), in Vilnius, Litauen, der Annual Convention of the
American Psychological Association (APA) in Toronto und dem Biennial Meeting of the
Society for Research in Child Development (SRCD) in Philadelphia vorgestellt. Zusätzlich
ist sie Mitautorin des Buchbeitrags Medien und Jugend in dem Herausgeberband Hand-
buch Jugend. Psychologische Sichtweisen auf Veränderungen in der Adoleszenz, welcher
im Januar 2018 im Kohlhammer Verlag erscheint. Sie ist Entspannungstherapeutin und
personzentrierte Beraterin. E-Mail-Adresse: verena.gralke@uni-wuerzburg.de.

Gutwald, Rebecca, Dr., ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl IV für Phi-


losophie und politische Theorie von Prof. Julian Nida-Rümelin (Staatsminister a.D.)
an der Fakultät für Philosophie, Logik und Wissenschaftstheorie der Ludwig-Maximi-
lians-Universität München (LMU). Sie studierte Rechtswissenschaften und Philosophie,
Logik und Wissenschaftstheorie an der LMU. Nach dem MPhil-Abschluss promovier-
te sie bei Prof. Wilhelm Vossenkuhl zum Thema „Kultureller Paternalismus“. Derzeit
arbeitet sie in dem von Prof. Nida-Rümelin geleiteten Projekt „Fähigkeiten zum Wandel“
im Bayerischen Forschungsverbund ForChange zum Thema Resilienz aus der Perspek-
tive der politischen Philosophie. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in der politischen
Philosophie, der angewandten Ethik und der Sozialethik, insbesondere dem Capability
Ansatz von Amartya Sen und Martha Nussbaum. E-Mail-Adresse: r.gutwald@lmu.de.

Hartmann, Silja, M.Sc., MBR, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin


am Institut für Leadership und Organisation (ILO) der Ludwig-Maximilians-Universität
München (LMU). Sie studierte an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin, der
LMU sowie der Copenhagen Business School und arbeitete vor ihrer Tätigkeit an der
LMU als Unternehmensberaterin. Ihre Forschung befasst sich mit dem Thema Resilienz
am Arbeitsplatz und der Rolle von Emotionen und Stimmungen von Mitarbeitern für orga-
nisationale Wandelprozesse. Silja Hartmann hat ihre Forschungsergebnisse auf verschie-
denen nationalen und internationalen Konferenzen präsentiert und in den Academy of Ma-
nagement Best Paper Proceedings veröffentlicht. E-Mail-Adresse: hartmann@bwl.lmu.de.
350 Autorinnen und Autoren

Högl, Martin, Prof. Dr., MBA, ist Vorstand des Instituts für Leadership und Organisa-
tion (ILO) der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU). Er promovierte an der
Universität Karlsruhe (TH) und habilitierte an der Technischen Universität Berlin. Vor
seinem Wechsel an die LMU lehrte Professor Högl an der Washington State University
(USA), der Università Bocconi (Mailand, Italien) und der WHU – Otto Beisheim School
of Management. Des Weiteren war er Gastprofessor an der Kellogg School of Manage-
ment (Northwestern Univ., USA) sowie an der National Sun Yat-Sen University (Taiwan)
und ist Affiliated Faculty Member des WHU Center for Responsible Leadership. Die
Schwerpunkte seiner Forschungstätigkeit liegen auf Kernbereichen der Führung, darunter
vor allem Organisationale Agilität und Transformation, Teamarbeit und die Förderung der
Innovationskraft von Mitarbeitern. Die Ergebnisse seiner Forschung wurden in führen-
den internationalen Zeitschriften publiziert, so u. a. im Academy of Management Journal,
Human Resource Management, Journal of International Business Studies, Journal of Ma-
nagement, Journal of Management Studies, Journal of Product Innovation Management,
MIT Sloan Management Review, Organization Science und Research Policy. Ferner ist er
Associate Editor von Human Resource Management und Mitglied des Editorial Boards
des Journal of Product Innovation Management, Journal of World Business und des
Journal of Engineering and Technology Management. E-Mail-Adresse: hoegl@lmu.de.

Hurtienne, Jörn, Prof. Dr., leitet den Lehrstuhl für Psychologische Ergonomie an der
Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Er studierte Psychologie mit dem Schwer-
punkt Arbeits- Betriebs- und Organisationspsychologie und promovierte in Ingeni-
eurwissenschaften. Nach wissenschaftlichen Tätigkeiten an der TU Berlin, der Uni-
versity of Cambridge und der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin
folgte er 2012 dem Ruf an die Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Seine For-
schungsschwerpunkte sind die Gestaltung von Wissensarbeit sowie die Gestaltung in-
tuitiver Benutzung von Technik. E-Mail-Adresse: joern.hurtienne@uni-wuerzburg.de.

Jedelhauser, Michael, Dipl.-Geogr., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand


an der Lehr- und Forschungseinheit Mensch-Umwelt-Beziehungen des Departments
für Geographie der Ludwig-Maximilians-Universität München. Er studierte Geogra-
phie, Lateinamerikanistik und Betriebswirtschaftslehre an der Katholischen Universität
Eichstätt-Ingolstadt und der Universidad de los Andes, Santiago de Chile. Er arbeitete
zudem in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit. In seiner Forschung be-
schäftigt er sich mit theoretischen Konzepten der Nachhaltigkeits-, Transitions-, Re-
silienz-, Institutionen- und humangeographischen Forschung und verknüpft diese in
empirischen Studien mit den Themenfeldern Energiewende, Kreislaufwirtschaft und
Landwirtschaft. Im Rahmen seiner Promotion widmet er sich Fragen zum nachhalti-
gen Umgang mit Phosphor, die er mittels Stoffstrom- und räumlicher Transitionsana-
lysen bearbeitet. E-Mail-Adresse: michael.jedelhauser@geographie.uni-muenchen.de.
Autorinnen und Autoren 351

Karidi, Maria, Dr., war von 2013 bis 2017 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Insti-
tut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der Ludwig-Maximilians-
Universität München, wo sie 2016 mit einer Dissertation zum Wandel der Medienlo-
gik promovierte. Es folgte eine Tätigkeit als Projektmitarbeiterin am Robert Schuman
Centre for Advanced Studies des European University Institute (EUI) in Florenz. Von
2005 bis 2011 studierte sie Kommunikationswissenschaft und Neogräzistik an der Freien
Universität Berlin und Politikwissenschaft an der Universitat Autònoma de Barcelona
(2009/10). Studienbegleitende Tätigkeiten am Institut für Griechische und Lateinische
Philologie und am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der FU
Berlin, sowie Praktika in der Presse- sowie Öffentlichkeitsarbeit, in der Marktforschung,
bei der Hellenic Foundation for European & Foreign Policy (ELIAMEP) in Athen und
der Europäischen Kommission in Brüssel. E-Mail-Adresse: maria.karidi@ifkw.lmu.de.

Kemmerling, Birgit, Dipl.-Geogr., promoviert am Geographischen Institut der Universi-


tät Leipzig. In ihrer Dissertation erforscht sie die gesellschaftlichen Aushandlungsprozesse
und Steuerungsmechanismen von Wasser in Ägyptens Agrarsektor unter besonderer Be-
rücksichtigung derzeitiger Diskurse und Praktiken von Entwicklungsprogrammen. Zwi-
schen 2013 und 2016 arbeitete sie bei Caritas international, dem Hilfswerk der deutschen
Caritas. Dort war sie u. a. Referentin für humanitäre Hilfsprojekte in der Region der Afrika-
nischen Großen Seen, Südsudan und Sudan. E-Mail-Adresse: birgit.kemmerling@gmx.de.

Koch, Katharina, M.A., ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Psychologi-


sche Ergonomie des Instituts für Mensch-Computer-Medien der Julius-Maximilians-Uni-
versität Würzburg. Sie studierte Sozialwissenschaften ans den Universitäten Augsburg und
Gießen. Im Rahmen des Forschungsprojekts „Psychische Belastungen im Wandel der Arbeit“
forscht sie promotionsvorbereitend zu individuellen, kollektiven und organisationalen Bewäl-
tigungsstrategien. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind in der Arbeitssoziologie und den qualita-
tiven Forschungsmethoden verortet. E-Mail-Adresse: katharina.koch@uni-wuerzburg.de.

May, Stefan, Dr., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Soziologie der Lud-
wig-Maximilians-Universität München (LMU)/Lehrstuhl Prof. Dr. Armin Nassehi. Er
studierte Rechtswissenschaften und Philosophie in Berlin, München und Tübingen. Nach
dem ersten juristischen Staatsexamen und dem Abschluss des Zweitstudiums in Philoso-
phie an der Universität Tübingen promovierte er in Soziologie an der LMU bei Prof. Dr.
Ulrich Beck. Von 1999–2007 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der LMU im Son-
derforschungsbereich 536 „Theorie reflexiver Modernisierung“. Von 2007 bis 2012 war er
wissenschaftlicher Geschäftsführer des Münchner Centrums für Governance-Forschung
(MCG) an der LMU. Von 2012 bis 2013 war er Geschäftsführer des „Center for Life-
science and Law“ (CLL) an der Juristischen Fakultät der LMU. Seine Forschungsschwer-
punkte sind Wissenschafts- und Risikosoziologie, Politische Soziologie, Rechtssoziologie.
Wichtige Publikationen sind May, S., Böschen, S., & Kratzer, N. (Hrsg.). (2005). Neben-
folgen. Analysen zur Konstruktion und Transformation moderner Gesellschaften. Vel-
352 Autorinnen und Autoren

brück-Wissenschaft: Weilerswist; May, S., & Grande, E. (Hrsg.). (2009). Perspektiven der
Governance-Forschung. Band 1 der Schriften des Münchner Centrums für Governance-
Forschung. Baden-Baden: Nomos; May, S., Holzinger, M., & Pohler, W. (2010). Weltrisi-
kogesellschaft als Ausnahmezustand? Velbrück-Wissenschaft: Weilerswist. Diverse Auf-
sätze sind in verschiedenen Zeitschriften in den Themengebieten Politische Soziologie,
Rechtssoziologie erschienen. E-Mail-Adresse: stefan.may@soziologie.uni-muenchen.de.

Meyen, Michael, Prof. Dr., ist Professor für Allgemeine und Systematische Kommu-
nikationswissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Nach seinem
Studium der Journalistik an der Universität Leipzig war er von 1991 bis 1997 Journa-
list und Nachrichtenredakteur in der Tagespresse, beim Hörfunk und beim Teletext.
1995 promovierte er in Leipzig und habilitierte 2001 (Habilitationsstipendium der Deut-
schen Forschungsgemeinschaft). Michael Meyen war Lehrbeauftragter an den Univer-
sitäten Leipzig (1995 bis 2001) und Halle (2000/2001). Im Wintersemester 2001/2002
hatte er eine Gastprofessur an der TU Dresden inne. Seine Schwerpunkte in Forschung
und Lehre sind die Fach- und Theoriegeschichte der Kommunikationswissenschaft, Me-
diennutzung, DDR, Historische Rezeptionsforschung, Methoden und Journalismusfor-
schung. Michael Meyen ist seit Anfang 2016 Sprecher des Bayrischen Forschungsver-
bunds ForChange (www.forchange.de). E-Mail-Adresse: michael.meyen@ifkw.lmu.de.

Mühlemeier, Susan, M.A., ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin. Sie hat
ihre Promotion bei Prof. Claudia R. Binder zunächst in der „Lehr und Forschungseinheit
für Mensch-Umwelt Beziehungen“ an der Ludwig-Maximilians-Universität München be-
gonnen und diese anschließend mit Frau Prof. Binder in der Gruppe „Human-Environ-
ment Relations in Urban Systems“ an der Eidgenössisch Technischen Hochschule Lau-
sanne (Schweiz) fortgesetzt. Susan Mühlemeier studierte Lehramt für Gymnasien mit den
Fächern Deutsch und Geographie und machte anschließend einen Master in Bildung für
nachhaltige Entwicklung. Im Rahmen ihrer Promotion befasst sie sich mit theoretisch-
konzeptioneller Arbeit zur Resilienz von Energiesystem-Transitionen sowie der Kon-
zeptualisierung und Analyse der Rolle von Akteurshandeln für diese Transitionen. Ihre
Untersuchungsgebiete liegen in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Ihr aktueller
Schwerpunkt ist die Analyse der Rolle großer Stadtwerke in der Energiewende Deutsch-
lands und der Schweiz. E-Mail-Adresse: susan.muehlemeier@epfl.ch.

Nieding, Gerhild, Prof. Dr., ist Inhaberin der Professur Entwicklungspsychologie


an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg und Leiterin des Zentrums für Me-
diendidaktik der Universität. Sie studierte Psychologie an der Technischen Universität
Berlin, wo sie auch promovierte und habilitierte. Von 1990–2001 war sie als Postdok-
torandin, wissenschaftliche Mitarbeiterin und später als wissenschaftliche Assistentin
bzw. Hochschuldozentin an der TU-Berlin, der Universität Hamburg und der Universi-
tät Münster tätig. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Entwicklung und Medien, Ent-
wicklung des Textverstehens und des Gedächtnisses, Erwerb und Förderung von
Autorinnen und Autoren 353

Medienkompetenz ab dem Vorschulalter, Entwicklung von Raumkognitionen und


mathematischen Kompetenzen und deren Frühförderung, Medienwirkung und Ler-
nen mit Medien, laborexperimentelle Methoden zur Messung von Medieneffekten bei
Kindern und Erwachsenen. E-Mail-Adresse: nieding@psychologie.uni-wuerzburg.de.

Ostheimer, Jochen, Dr., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Ludwig-Maximilians-


Universität München an der Stiftungsprofessur für Moraltheologie mit besonderer Be-
rücksichtigung der Moralpsychologie und am DFG-Sonderforschungsbereich Transregio
127 „Biologie der xenogenen Zell- und Organtransplantation“. Er studierte Theologie,
Philosophie und Sozialpädagogik, promovierte und habilitierte in Theologie. Er forscht
und lehrt zu den Struktur- und Komplexitätsproblemen der modernen Gesellschaft. Seine
Forschungsschwerpunkte sind Politische Philosophie und Theorien sozialer Gerechtig-
keit, Theorien und Methoden der Angewandten Ethik sowie Umweltethik, Nachhaltig-
keits-, Resilienz- und Transformationsforschung. E-Mail-Adresse: j.ostheimer@lmu.de.

Riegger, Manfred, Prof. Dr., leitet den Lehrstuhl für Religionspädagogik und Didaktik
des Religionsunterrichts an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Ludwig-Maximi-
lians-Universität München (Lehrstuhlvertretung). Er studierte Katholische Theologie und
Sozialwesen in Tübingen, Berkeley/CA und Benediktbeuern. Manfred Riegger promo-
vierte und habilitierte an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Benediktbeuern.
Er publizierte zum Beispiel zur Habitusbildung mittels professioneller Simulation (zusam-
men mit Stefan Heil, Der religionspädagogische Habitus. Professionalität und Kompeten-
zen entwickeln – mit innovativen Konzepten für Studium, Seminar und Beruf, Würzburg:
Echter 2017), zur religiösen und kulturellen Bildung im Kontext der Flüchtlingsthematik
(gefördert im Rahmen der gemeinsamen Qualitätsoffensive von Bund und Ländern mit
Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung). Weitere Veröffentlichung
gab es in Zusammenarbeit mit Sabine Kern, Eva Riegger-Kuhn, Annette Webersberger
(Unterwegs mit dem Vaterunser. Mit Flüchtlingen und Einheimischen das Gebet spre-
chen und verstehen lernen, München: dkv 2016), zur „Diskurs-Arena“ (Nachhaltige Ent-
wicklung), zum Lernen durch Erfahrung und zur Theorie-Praxis-Relationierung. E-Mail-
Adresse: manfred.riegger@kaththeol.uni-muenchen.de.
Rungius, Charlotte, M.A., ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin an der
Universität Augsburg am Lehrstuhl für Politikwissenschaft mit Schwerpunkt Friedens- und
Konfliktforschung. Sie studierte Sozialwissenschaftliche Konfliktforschung, Internationa-
le Beziehungen und Volkswirtschaftslehre an den Universitäten Augsburg und Mannheim
sowie in Innsbruck, Washington, DC und Ankara. Ihr vorderstes Interesse gilt den me-
thodologischen und erkenntnistheoretischen Bedingungen politisch relevanter Forschung.
Derzeit untersucht sie wissenschaftliche Politikberatung in der deutschen Außenpolitik
aus der Perspektive einer post-kritischen Wissenschaftstheorie. Zuletzt publizierte sie
unter anderem in der Zeitschrift für Außen- und Sicherheitspolitik zusammen mit Ulrich
Roos eine Rekonstruktion der außenpolitischen Diskursoffensive „Neue Macht, Neue Ver-
antwortung“ in Deutschland. E-Mail-Adresse: charlotte.rungius@phil.uni-augsburg.de.
354 Autorinnen und Autoren

Sautermeister, Jochen, Prof. Dr. Dr., ist Inhaber des Lehrstuhls für Moraltheologie und
Direktor des Moraltheologischen Seminars an der Universität Bonn. Von 2014 bis 2017 war er
Inhaber der Stiftungsprofessur für Moraltheologie unter besonderer Berücksichtigung der
Moralpsychologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Er studierte Katho-
lische Theologie, Psychologie und Philosophie in Tübingen und Jerusalem. Zudem ist Jo-
chen Sautermeister psychologischer Ehe-, Familien- und Lebensberater. E-Mail-Adresse:
sautermeister@uni-bonn.de.

Schneider, Elke, M.A., ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin an der


Hochschule Rhein-Waal und Geschäftsführerin der Arbeitsgemeinschaft für Friedens-
und Konfliktforschung e.V. Sie studierte Sozialwissenschaftliche Konfliktforschung und
European Studies an den Universitäten Augsburg und Enschede. Nach ihrem Abschluss
war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Politikwissenschaft mit Schwer-
punkt Friedens- und Konfliktforschung an der Universität Augsburg. Zu ihrem aktuel-
len Forschungsschwerpunkt gehört die Analyse wandelnder Normalitätsvorstellungen im
Rahmen einer europäischen Krise. Weitere Forschungsinteressen liegen im Bereich refle-
xiver Politikberatung aus der Perspektive einer Nichtwissenssoziologie. E-Mail-Adresse:
elke.schneider@hochschule-rhein-waal.de.

Schneider, Martin, Dr., ist theologischer Grundsatzreferent des Diözesanrats der


Katholiken der Erzdiözese München und Freising, Lehrbeauftragter an der Katholi-
schen Stiftungsfachhochschule München, Abt. Benediktbeuern sowie wissenschaft-
licher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Christliche Sozialethik, Ludwig-Maximilians-
Universität München (LMU). Er studierte Katholische Theologie, Philosophie und
Germanistik in Eichstätt, Frankfurt und München und promovierte an der LMU zum
Verhältnis von Raum, Mensch und Gerechtigkeit (Sozialethische Reflexionen zur Kate-
gorie des Raumes, 2012; mit dem Lorenz-Werthmann-Preis des Deutschen Caritasver-
bands ausgezeichnet). Mehrere Jahre war er als Bildungsreferent bei der Katholischen
Landvolkbewegung Bayerns und als Projektentwickler in der Dorf- und Regional-
entwicklung tätig. Martin Schneider ist Mitglied im Bayerischen Forschungsverbund
ForChange (www.forchange.de) und in der Bayerischen Akademie Ländlicher Raum.
Forschungsschwerpunkte: Räumliche Gerechtigkeit (spatial justice), Nachhaltigkeit
und Resilienz, Gemeingüter, Prekarisierung der Arbeitswelt, Asylrecht. E-Mail-Adresse:
mschneider@eomuc.de.

von Streit, Anne, Dr., ist Wirtschafts- und Sozialgeographin und arbeitet als wissen-
schaftliche Mitarbeiterin an der Lehr- und Forschungseinheit Mensch-Umwelt-Bezie-
hungen des Departments für Geographie der Ludwig-Maximilians-Universität Mün-
chen (LMU). Sie studierte Geographie und Englisch in München und Swansea, Wales
und promovierte zu den raumzeitlichen Alltagspraktiken von Wissensarbeitern an der
LMU. Ihre Forschungsinteressen liegen im Bereich von Nachhaltigkeitstransitionen, In-
novationsforschung, Governance und Transdisziplinärität. Sie verfügt über mehrjährige
Autorinnen und Autoren 355

Erfahrung als Projektleiterin in transdisziplinären Projekten im Bereich wissensbasierter


regionaler Entwicklung und leitet derzeit das BMBF-Projekt INOLA (Innovationen für
ein nachhaltiges Land- und Energiemanagement auf regionaler Ebene). E-Mail-Adresse:
Anne.vonStreit@geographie.uni-muenchen.de.

Thurn, Roman, M.A., ist Soziologe, wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand. Er


promoviert derzeit am Institut für Soziologie an der Ludwig-Maximilians-Universität
München. Dort studierte er zuvor Soziologie, Philosophie und Politikwissenschaften. In
seiner Dissertation untersucht er die juristischen Voraussetzungen sowie die sicherheits-
und raumpolitischen Implikationen der polizeilichen Konstruktion sog. gefährlicher Orte,
etwa am Beispiel des Gefahrengebiets in den Hamburger Stadtteilen Altona und St. Pauli
im Jahr 2014. E-Mail-Adresse: roman.thurn@soziologie.uni-muenchen.de.

Vogt, Markus, Prof. Dr., ist Professor für Christliche Sozialethik an der Ludwig-Maxi-
milians-Universität München. Er studierte Theologie und Philosophie in München, Jerusa-
lem und Luzern. Von 2009 bis 2015 war er Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Sozialethik
im deutschen Sprachraum; seit 2015 ist er Dekan der Katholisch-Theologischen Fakultät,
seit 2008 Mitglied und seit 2014 im Vorstand des Münchner Kompetenzzentrums Ethik
(MKE). 2011/12 hatte er eine Forschungsprofessur am Rachel Carson Center for Environ-
ment and Society inne. Seit 2016 ist er Sprecher des Sachverständigenrates Bioökonomie
der Bayerischen Staatsregierung und seit 1995 Berater der ökologischen Arbeitsgruppe
der Deutschen Bischofskonferenz. Publikationen u. a.: Prinzip Nachhaltigkeit (2009, 3.
Aufl. 2013, russisch 2016, 2017 mit dem „Economy and Society Award“ der päpstlichen
CAPP-Stiftung ausgezeichnet); Climate Justice (2010); Theologie der Sozialethik (2013,
Hrsg.); Umweltethik (2013, Hrsg.); Environmental Ethics. (2013, russisch); Europe after
Fukushima (2013); Die Moral der Energiewende (2014, Hrsg.); Gliederungssysteme an-
gewandter Ethik (2016, Hrsg.); Theologische und ethische Dimensionen der Resilienz
(= MThZ 3/2016, Hrsg. zus. mit M. Schneider); Die Welt im Anthropozän (2016, Hrsg.),
Religion in the Anthropocene (2017, Hrsg.). Markus Vogt ist Mitglied und stellvertre-
tender Sprecher im Bayerischen Forschungsverbund ForChange (www.forchange.de).
E-Mail-Adresse: m.vogt@kaththeol.uni-muenchen.de.
Weiß, Matthias, Dr., ist wissenschaftlicher Assistent und Habilitand am Institut für
Leadership und Organisation (ILO) der Ludwig-Maximilians-Universität München. Er
studierte an der Universität Hohenheim und promovierte an der WHU – Otto Beisheim
School of Management, wo er auch als Post-Doc tätig war. Während seiner Promotion
absolvierte er einen Gastaufenthalt an der Università Bocconi (Mailand, Italien). In der
Forschung beschäftigt er sich mit Ursachen und Konsequenzen von Stress und Stressoren
am Arbeitsplatz, Resilienz im organisationalen Kontext sowie mit den Voraussetzungen
von Kreativität und Innovation. Die Ergebnisse seiner Forschung erschienen unter an-
derem in Human Relations, Leadership Quarterly, Organizational Psychology Review,
R&D Management und im Journal of Product Innovation Management. E-Mail-Adresse:
weiss@bwl.lmu.de.
356 Autorinnen und Autoren

Weller, Christoph, Prof. Dr., leitet den Lehrstuhl für Politikwissenschaft, Friedens- und
Konfliktforschung der Universität Augsburg und ist seit ihrer Gründung 2010 Mither-
ausgeber der „Zeitschrift für Friedens- und Konfliktforschung“ (ZeFKo). Er studierte
Politikwissenschaft, Germanistik, Philosophie, Soziologie und Psychologie in Stuttgart,
Kassel und Tübingen. Nach seinem Staatsexamen war er wissenschaftlicher Mitarbei-
ter und Lehrbeauftragter an den Universitäten in Tübingen, Darmstadt, Bremen, Aachen,
Duisburg und Stuttgart, Redakteur der „Zeitschrift für Internationale Beziehungen“ und
Visiting Post-Graduate Fellow an der Yale University in New Haven, USA. Mit seiner
Arbeit zum Feindbild-Zerfall am Ende des Ost-West-Konflikts wurde er 1999 an der TU
Darmstadt promoviert und war dann u. a. Wissenschaftlicher Geschäftsführer des Insti-
tuts für Entwicklung und Frieden (INEF) an der Universität Duisburg-Essen und Profes-
sor für Friedens- und Konfliktforschung an der Philipps-Universität Marburg. Seine über
100 Veröffentlichungen erschienen in Sammelbänden und Zeitschriften wie Aus Politik
und Zeitgeschichte, Entwicklung und Zusammenarbeit, Interdisziplinäre Anthropologie,
International Peacekeeping, Internationale Politik und Gesellschaft, Law and State, Le-
viathan, Linguistische Berichte, Neue Politische Literatur, Politische Vierteljahresschrift,
WeltTrends, Wissenschaft und Frieden, Zeitschrift für Entwicklungspolitik, Zeitschrift
für Friedens- und Konfliktforschung, Zeitschrift für Genozidforschung sowie der Zeit-
schrift für Internationale Beziehungen. Zu seinen aktuellen Forschungsschwerpunkten
gehören die Geschichte der Friedens- und Konfliktforschung, Reflexive Politikberatung,
Konfliktanalysen, Gewaltforschung und Zivile Konfliktbearbeitung. E-Mail-Adresse:
weller@phil.uni-augsburg.de.

Winder, Gordon M., Prof. Dr., is Professor of Economic Geography and Sustainabili-
ty Research at the Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU), Germany. He re-
ceived his PhD from the University of Toronto, and was Senior Lecturer in Geography at
the University of Auckland before moving to Munich in 2008. He serves on the advisory
board of the doctoral program at the Rachel Carson Center for Environment and Society,
LMU, is an Honorary Research Fellow at the School of Environment, The University of
Auckland, and a member of the editorial board of the Journal of Historical Geography.
An economic and historical geographer, his research is focused on manufacturing net-
works, resource-based economies and sustainability. His book, The American Reaper:
Harvesting Networks and Technology (Ashgate Publishing, 2012), investigates the dy-
namics of manufacturing networks within an industry characterized by dispersed produc-
tion locations, technical constraints on the scale of production, and the use of licensing,
subcontracting and strategic alliances before 1890. His research focuses on resources and
sustainability and especially forest, agriculture and fisheries industries. He researches the
relationships between resources, governance, innovation, markets and environments with
sustainability as a driving concern. He is a member of the Research Alliance ForChange
of the Bavarian Ministry of Science, Culture and the Arts, in which he is responsible
for a project investigating innovation for sustainability in Bavaria’s wood use system. In
2016, with Prof. Andreas Dix (Bamberg) he published Trading Environments: Frontiers,
Autorinnen und Autoren 357

Commercial Knowledge and Environmental Transformation (Routledge, Environment


and Society Series), a volume that showcases interdisciplinary engagement among en-
vironmental and business history, and historical and economic geography on issues of
environmental transformation. In 2017, he published an edited volume entitled Fisher-
ies, Quota Management and Quota Transfer: Rationalization Through Bio-economics
(Springer, MARE Series). He is also an affiliated member of the LMU working groups
‘Globalization and the Arts’ and ‘Urban Ethics’. E-Mail-Adresse: Gordon.Winder@geo-
graphie.uni-muenchen.de.

Wyss, Romano, Dr., arbeitet bei B,S,S. Volkswirtschaftliche Beratung in Basel. Er hat in
Fribourg (Schweiz) und Utrecht (Niederlande) Volkswirtschaft und Geographie studiert
und an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt (Deutschland) zu den Auswirkun-
gen des Klimawandels auf den Tourismus promoviert. Danach arbeitete er als Post-Doc
an der Ludwig-Maximilians-Universität München und der EPFL Lausanne (Schweiz). Er
ist besonders interessiert an den langfristigen Auswirkungen von Transformationsprozes-
sen auf Gouvernanznetzwerke in unterschiedlichen Sektoren. Studien von Romano Wyss
wurden in interdisziplinären Journalen sowohl auf Deutsch als auch auf Englisch publi-
ziert. Er spricht fließend Englisch, Deutsch, Französisch und Italienisch. E-Mail-Adresse:
romano.wyss@bss-basel.ch.

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