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RUDOLF SMEND
Zweite, durchgesehene
und ergänzte Auflage
ÜB Augsburg
12117095
G Ö T T I N G E N • V A N D E N H O E C K & R U P R E C H T • 1966
Forschungen zur Religion und Literatur
des Alten und Neuen Testaments
Herausgegeben von
Ernst Käsemann und Ernst Würthwein
Der ganzen Reihe 84. Heft
7$r
Einleitung 7
Nachträge 98
Abkürzungen 100
schichte der Heiligen Schrift Alten Testaments 5 die Periode der Richter
hinter sich läßt: „Dem Forscher in der hebräischen Geschichte erscheint
die Gestalt SamuePs glänzend als die aufgehende Sonne inmitten der
Nebel einer dunklen, verworrenen Vorzeit." Kommt er doch jetzt auf
den immer fester werdenden Boden von Quellen, die, zwar zunächst
und oft auch später noch sagenhaft, in sich widersprüchlich und unein-
heitlich, doch immerhin eine ungefähre Vorstellung vom Gang der
Ereignisse erlauben, ja sich schon erstaunlich bald zum Range wirklicher
Geschichtsschreibung erheben". Noch mehr: von jetzt an ist Israel nicht
mehr nur als „gewisse innerliche Einheit" mehr zu ahnen als zu sehen,
sondern als feste politische Größe zu fassen. Und diese Größe ist nun
auch ein Maßstab, das Vorherige an ihr zu messen, fast der einzige, nach-
dem die Mosezeit dafür ausgeschieden ist. So erscheint die Richterzeit in
erster Linie negativ als die Zeit, „da noch kein König war in Israel",
positiv als Vorbereitung des Königtums. Es ist von vornherein anzu-
nehmen, daß ihr damit nicht alles Recht geschieht. Aber der feste Aus-
gangspunkt ist doch viel wert, und er ist es in diesem Falle um so mehr,
seit A. ALT 1930 in seiner „Staatenbildung der Israeliten in Palästina"
diesen Akt von seiner institutionellen Seite her hat sehen lehren und
dabei speziell auf die Kontinuität aufmerksam gemacht hat, in der das
israelitische Königtum zu gewissen Größen der vorausgehenden Periode
steht.
Aber nicht nur durch die bessere Kenntnis ihres Endpunktes 7 ist
unser Wissen über die in Frage stehende Zeit bereichert worden, son-
dern vor allem dadurch, daß — wiederum 1930 — M. N O T H eine vor-
staatliche Institution mit dem Namen Israel wahrscheinlich gemacht hat,
nämlich den sakralen Bund der zwölf Stämme um ein gemeinsames Zen-
tralheiligtum herum. Auf der von N O T H gelegten Grundlage — die auch
ALT in der genannten Schrift schon voraussetzt — ist seitdem viel gear-
beitet worden, mit einem Erfolg, der ihre Tragfähigkeit erweist. Freilich
hat man ihr auch Gewichte zugemutet, die sie, wie mir scheint, nicht
tragen kann 8 . Das möchte die folgende Untersuchung zeigen. Sie betrifft
das Verhältnis zwischen dem Bunde der zwölf Stämme Israels und dem
Phänomen, das G. v. RAD als den „Heiligen Krieg im alten Israel"
beschrieben hat. In diesem Verhältnis liegt ein Problem, das meines
Erachtens noch nicht in seiner vollen Schärfe gesehen worden ist. Mir
scheint nämlich, daß es sich bei den beiden angegebenen Größen um
einen erst spät und unvollkommen ausgeglichenen Dualismus handelt
5
=(1890) S. 145. « Vgl. G. v. RAD, Gesammelte Studien S. 148 ff.
7
Ihr entspricht die bessere Kenntnis ihres Anfanges, die wir ALTS Schriften über
die Landnahme der Israeliten in Palästina verdanken.
8
Das ist auch das Urteil von S. HERRMANN, ThLZ 87 (1962) Sp. 561 ff.
Einleitung >;
und daß sich daraus auch gewisse Folgerungen für die uns heute fast über-
haupt nicht mehr greifbare Zeit vor der Landnahme ergeben.
Ich stütze mich im Folgenden durchweg auf die beiden grundlegenden
Schriften von N O T H und v. RAD, in den beiden letzten Abschnitten
außerdem auf NOTHS „Überlieferungsgeschichte des Pentateuch". Mehr
als ein Appendix dazu wollen meine Erwägungen nicht sein. Über die
Beweisbarkeit des Vorzutragenden habe ich keine Illusionen. Die Grö-
ßen, mit denen zu arbeiten ist, sind überwiegend hypothetischer Natur.
Man kann auf diesem Gebiet viel vermuten, aber wenig beweisen. Das
liegt in der Natur der Sache und wird fürs erste nicht zu ändern sein.
Vermutungen sind also, will man sich angesichts der Wichtigkeit des
Gegenstandes nicht mit dem Nichtwissen bescheiden, nötig. Auf all-
gemeine Untersuchung der ältesten Geschichte Israels ist es im Folgenden
nirgends abgesehen. Ich beschränke mich auf die angegebene Fragestel-
lung und lasse fort, was von ihr abführen würde.
I. S T Ä M M E A K T I O N UND ZWÖLFERBUND
Naphthali 3 . Die anderen kamen nicht und tragen den tadelnden Spott
des Dichters davon: Rüben, Gilead, Dan und Asser. Neben dem Israel
in der Aktion steht also ein Israel in der Potenz, und nur dieses zweite
trägt überhaupt den Namen Israel. Man erhält das zweite, indem man
zu den Teilnehmern an der Schlacht die Nicht-Teilnehmer addiert. Dann
ergibt sich eine Summe von zehn Namen.
Was hat diese Summe zu bedeuten? Sicher ist nur, daß sie die Bestand-
teile Israels enthält, die nach Meinung des Dichters für eine Teilnahme
an der Schlacht in Frage gekommen wären. Über diese sichere Aussage
geht ein Teil der heutigen Wissenschaft hinaus. Er hält die zehn Namen
für die Namen der Stämme, die damals die Amphiktyonie, den sakralen
Bund der Stämme Israels gebildet hätten. Der Bund hätte also zu jener
Zeit nicht aus zwölf, sondern aus zehn Stämmen bestanden 4 . Die These
leuchtet ein, weil sie einfach ist. Aber sie bedarf der Nachprüfung. Dabei
ist nicht nur die Zehnzahl in ihrem Verhältnis zur Zwölfzahl ins Auge
zu fassen, sondern vor allem die ungleich wichtigere allgemeine Voraus-
setzung, die der genannten These zugrunde liegt oder sich von ihr her
aufdrängt: daß nämlich der Jahwekrieg eine Veranstaltung der Amphi-
ktyonie als solcher sei. Nach G. v. R A D 5 ist „das Aufstehen des übergrei-
fenden sakralen Verbandes das erste Charakteristikum solcher Kriege",
„stellen sich diese Kriege . . . im Prinzip als eine Reaktion der Amphi-
ktyonie dar." Trifft das zu, dann sind wir in der Lage, das Israel zwi-
schen Landnahme und Staatenbildung in Sein und Tat im großen und
ganzen als eine Einheit betrachten zu können. Nicht als hätte es keine
Spannungen zwischen Stamm und Stamm, Stamm und Bund gegeben;
aber die beiden großen über den einzelnen Stamm hinausgehenden,
gesamtisraelitischen oder doch wenigstens gesamtisraelitischen Charak-
ter beanspruchenden Lebensäußerungen des Volkes wären einigermaßen
zur Deckung gebracht, wenn auch nicht immer in der Wirklichkeit, so
doch — und das wäre schon viel — im Prinzip. Der gemeinsame Nenner
wäre das Kultische. Denn der Stämmebund, der in dieser Sicht die
Priorität hat, ist nach beinahe allgemeiner Übereinkunft eine kultische
dar erweitert" (Geschichte S. 139 Anm. 4). Aber Ri. 5 ist die ältere und doch wohl
auch die vertrauenswürdigere Quelle. Daß Spätere den Kreis der Beteiligten nicht, wie
man nach vielen Analogien zunächst vermuten könnte, in Richtung auf das Gesamt-
isrealitische hin erweitert, sondern umgekehrt verringert haben (zur Verringerung
gerade auf Sebulon und Naphthali könnte Ri. 5,18 die Handhabe geboten haben),
entspricht durchaus der Doktrin des Jahwekrieges, die viel eher eine geringe als eine
große Truppenmacht auf israelitischer Seite verlangt. Von Menschen hat in Ri. 4
ohnehin 'ael den Hauptanteil. Eine andere Lösung bei A. WEISER, ZAW 71 (1959)
S. 84 ff.
4
S. MOWINCKEL, Von Ugarit nach Qumran (BZAW 77 [1958]) S. 137; A. WEISER
a.a.O. S. 87; gegen die feststehende Zwölfzahl auch J. HOFTIJZER, Nederlands Theol.
Tijdschr. 14 (i960) S. 255.
5
Der Heilige Krieg S. 25 f. Ähnliche Äußerungen anderer Autoren lassen sich leicht
beibringen.
12 Siammcakiion und Zwölferbund
daß sie für eine Teilnahme an der Schlacht so wenig in Frage kamen, daß
der Dichter es nicht einmal für nötig hält, ihr Fehlen zu tadeln. Dafür
hat man schon lange einen sehr plausiblen Grund angeführt: die beiden
Stämme sind von den anderen durch „den feindlichen Gürtel im Sü-
den" 10 isoliert, den die kanaanäischen Stadtstaaten Jerusalem, Geser,
Ajalon, Saalbim zwischen dem Gebiet der Rahelstämme und dem von
Juda bilden 11 . Natürlich könnte man sagen, der Dichter habe, wie er das
Fehlen von Rüben, Gilead, Dan und Asser getadelt, so das von Juda
und Simeon ausdrücklich bedauern müssen. Aber zwingend ist das nicht
und darum auch nicht geeignet, die These vom amphiktyonischen Cha-
rakter der Deboraschlacht zu Fall zu bringen. Geschieht das also nicht
durch die Nichterwähnung von Juda und Simeon, so auch nicht zwin-
gend dadurch, daß sich unter den aufgezählten Namen zwei befinden,
die in dieser Form nicht Bestandteil der uns geläufigen Listen der zwölf
Stämme bzw. der zwölf Söhne Jakobs sind: Machir und Gilead. Sie neh-
men die Plätze ein, die wir in den geläufigen Stämmeverzeichnissen von
Manasse und Gad besetzt finden. Die Entsprechung ist ohne weiteres
deutlich; der Unterschied braucht uns in unserem Zusammenhange nicht
zu stören 12 . Wir haben es also bei der Namenliste des Deboraliedes mit
einer nur geringen Variante jener anderen Verzeichnisse zu tun. Was
folgt nun daraus, daß sich, mit den erwähnten Einschränkungen, der
Kreis der israelitischen Amphiktyonen und derjenige der potentiellen
Teilnehmer an der Deboraschlacht decken? Gewiß keine Koinzidenz
von Jahwekrieg und Stämmebund. Das lehrt das lässige Beiseitebleiben
einer nicht unbeachtlichen Anzahl von Stämmen und der Umstand, daß
sie nur durch Spott getadelt 13 , daß aber keine Sanktionen gegen sie
ergriffen werden 14 . Der amphiktyonische Bund bezieht sich als solcher
also schwerlich auf den Jahwekrieg. Denn täte er es, würde ein Fern-
bleiben Bundesbruch sein und auch im Liede anders beurteilt werden.
Aber damit ist das Problem nicht erledigt. Im Liede zeigt sich nämlich
etwas, was man „amphiktyonischen Willen" nennen könnte 1 5 : der
Wille, die Tat der kleineren Gemeinschaft auf die große Gemeinschaft
zu beziehen, dem Israel in der Potenz das Israel in der Aktion vorzu-
führen, damit auch das Israel in der Potenz eines Tages ein Israel in der
Aktion werde. Man kann nicht sicher sagen, wer die Träger dieses
10
K. BUDDE, Das Buch der Richter (Kurzer Hand-Commentar zum Alten Testa-
ment VII [1897]) S.40.
11
Vgl. Ri. 1,21.29.35 und dazu A. ALT, Kleine Schriften I S. 123.
12
Zu dem komplizierten Problem des Verhältnisses zwischen Gilead und Gad vgl.
zuletzt M. N O T H , ZDPV 75 (1959) S. 14ff.; J. HOFTIJZER a.a.O. S. 241 ff.
13
WEISER meint gar, sie würden eher entschuldigt (a.a.O. S. 88). Zur Freiwilligkeit
vgl. auch H . J. STOEBE, Festschrift F. Baumgärtel (1959) S. 185 f.
14
Vgl. dagegen H. BENGTSON, Griechische Geschichte (Handbuch der Altertumswis-
senschaft III, 4 *[1960]) S. 173 und die dort angegebene Literatur.
15
Ich verdanke den Ausdruck Herrn Professor Dr. MARTIN BUBER in Jerusalem.
14 Stämmeaktion und Zwölferbund
„amphiktyonischen Willens" sind. Etwa nur der Dichter und die Kreise,
denen er angehört? Oder eine der beiden beteiligten Seiten: entweder
so, daß die Sieger im Kampf die Mitwirkung anderer vermißten und
sich bei der Beschwerde über deren Nichtbeteiligung an die Liste der
Mitglieder der Amphiktyonie, denen sie ja durch gemeinsame Kult-
übung verbunden waren, gehalten hätten; oder so, daß die Amphi-
ktyonie nachträglich die Tat der Wenigen zu einer Tat des ganzen
Bundes stempeln wollte?" 1 Wir wissen es nicht, denn es läßt sich dem
Liede nicht entnehmen. Diese Unsicherheit zählt aber auch zu den
Gründen, warum man den Ausdruck „amphiktyonischer Wille" nicht
in dem Sinne pressen darf, als handle es sich mit Bestimmtheit um eine
Tendenz in Richtung auf die amphiktyonische Institution, wie sie da-
mals seit Generationen bestand. Mit Bestimmtheit ist der Wille gesamt-
israelitisch; amphiktyonisch ist er insofern, als er die Stämme ins Auge
faßt, die der Amphiktyonie angehören (bzw. die unter ihnen, die
erreichbar sind).
Das Deboralied ist zwar die älteste Quelle, die wir für unsere. Frage
besitzen, aber keineswegs die einzige. Was wir sonst haben, sind freilich
spätere Reflexe, in denen die Struktur des Geschehens mit noch gerin-
gerer Sicherheit zu erkennen ist als in der ältesten Quelle, die, wie wir
sahen, unsere Fragen auch schon nicht so deutlich beantwortet, wie wir
es gern hätten. Aber wir besitzen doch Kriterien zur Beurteilung nicht
nur in den Gesetzen historischer Wahrscheinlichkeit, sondern auch im
Verhältnis der Aussagen der jüngeren Quellen zum Deboralied. So wird
sich immerhin einiges sagen lassen.
Es ist über jeden Zweifel erhaben, daß an den Jahwekriegen der
Richterzeit, auch abgesehen von der Deboraschlacht, nur einzelne Ver-
bände beteiligt waren, nicht aber ganz Israel.
Gideon ruft neben den Abiesriten, denen er selbst angehört, ganz Ma-
nasse, ferner Asser, Sebulon und Naphthali zum Kampf gegen die
Midianiter auf (Ri. 6,34 f.). Bei der Verfolgung der geschlagenen Feinde
geschieht dann ein neues Aufgebot, von dem Naphthali, Asser und ganz
Manasse betroffen sind; von Sebulon ist hier nicht die Rede (Ri. 7,23).
Dafür kommt nachträglich noch Ephraim hinzu (V. 24). Es ist nicht
recht deutlich, wie sich diese Aussagen zueinander und zu der ganzen
Geschichte verhalten. Möglicherweise ist 6,35 Zusatz 17 , vielleicht auch
7,23 18 . Dann wären am Anfang nicht mehrere Stämme, sondern nur die
16
Dieser Fall wäre besonders dann gegeben, wenn A. WEISER damit recht hätte,
daß das Deboralied nicht die Schlacht als solche, sondern deren kultdramatische Dar-
stellung auf einem später gefeierten Fest des ganzen Stämmebundes beschriebe (a.a.O.
S. 67 ff.).
17
Nach v. RAD, Der Heilige Krieg S. 22 handelt es sich um einen übertreibenden
Zusatz.
18
Die Stämme tun nach BUDDE a.a.O. S. 62 in V. 24 f. nichts. V. 24 ist im Hinblick
auf 8,1—3 unentbehrlich.
Stämmeaktion und Zwölferbund 15
Abiesriten aufgeboten 1 ', und zum Schluß wäre noch Ephraim (oder, bei
Beibehaltung von 7,23 dazu noch Naphthali, Asser und ganz Manasse)
beteiligt.
Das Heer, an dessen Spitze Jephthah gegen dieAmmoniter kämpftest
rein gileaditisch (Ri. 11). Eine Koalition mit Juda, Benjamin und
Ephraim ist angesichts des völligen Schweigens über diese Stämme im
Bericht über den Kampf und seine Vorbereitungen nicht wahrscheinlich
und läßt sich „aus Ri. 10,9 im Zusammenhang mit 12,1 ff."20 kaum
erschließen21.
Man wird Barak, Gideon und Jephthah auch den Benjaminiten Ehud
an die Seite stellen dürfen. Ist in seiner Geschichte auch von „den Israe-
liten" die Rede (Ri. 3,15.27), so legt doch der Zusammenhang nahe, daß
man in der ersten Phase (V. 15) nur mit Benjaminiten, in der zweiten
(V. 27) dann noch mit Ephraimiten zu rechnen hat.
Die genannten Fälle stimmen darin überein, daß die Ausgrenzung
der beteiligten Stämme nicht exakt gelingen will, ebenso aber auch
darin, daß sie grundsätzlich unter allen Umständen im Recht ist. Der
deuteronomistische Rahmen mit seiner Ausweitung ins Gesamtisraeli-
tische vermag das nirgends ganz zu verdecken. Die Einsicht in seinen
sekundären Charakter darf andererseits aber auch nicht dazu führen,
daß man den Zug über den einzelnen Stamm hinaus gering achtet, der
hier überall schon in den alten Erzählungen wahrnehmbar ist und im
kleineren Maßstab durchaus dem entspricht, was das Deboralied in
dieser Hinsicht aussagte. Seine elementare Form ist das Zetergeschrei,
mit dem die jeweils bedrohte Gruppe neben ihrem eigenen Heerbann
auch den des einen oder anderen oder mehrerer Nachbarn zur Hilfe-
leistung herbeiruft, hebräisch durch das Verbum pSS/pST (qal und hif.;
pass. nif.) bezeichnet. Es erfolgt vor dem Beginn des ganzen Kampfes
(Ri. 4,10; 6,35; 12,2; vgl. 8,1) oder vor seinem Schlußakt (7,23 f.; vgl.
3,27). Dabei besteht in der Ausdrucksweise zwischen dem Aufgebot der
eigenen Gruppe und dem der anderen kein Unterschied (vgl. 6,34 mit
35). Ein Stamm konnte auch einmal beleidigt sein, wenn er nicht gleich
zu Hilfe gerufen wurde; so Ephraim (Ri. 8,1—3; 12,1—6 22 ). Dieses
Zetergeschrei zum Nachbarn, das im gegenwärtigen Text ganz von
dem übertönt wird, das die Israeliten nach der Darstellung des Deute-
ronomisten immer wieder an Jahwe sandten (Ri. 3,15 usw.), und die
Folge, die ihm geleistet wird, sind die unzweifelhafteste, notwendigste
50
'• Dafür spricht 8,2b. BUBER, Königtum S. 127 Anm. 43.
21
10,9 ist deuteronomistisdi (vgl. M. N O T H , Oberlieferungsgeschichtliche Studien
S. 53), und die Erwähnung eines vergeblichen Aufgebots Ephraims durch Jephthah in
12,2 „ist nicht ganz überzeugend" (v. RAD a.a.O. S. 23 Anm. 34).
" Zum Verhältnis der beiden Stellen vgl. E. TÄUBLER, Biblische Studien (1958)
S. 293 und die dort angegebene Literatur; seither M. N O T H , ZDPV 75 (1959) S. 61
Anm. 113.
16 Stämmeaktion und Zwölferbund
und lebendigste Betätigung israeiitisdier Einheit, die uns aus jener Zeit
bekannt ist. Dabei mag ein „amphiktyonisches Zusammengehörigkeits-
gefühl" 23 im Spiele sein; von einem „allgemein amphiktyonischen Inter-
esse" 24 oder gar einer „amphiktyonischen Angelegenheit" 25 zu reden,
geben die Vorgänge aber keinen Anlaß. Das Aufgebot richtet sich nach
dem jeweiligen militärischen Erfordernis; daß es Gruppen betrifft, die
auch den Gott Jahwe verehren und also, wie die um Hilfe rufende, zur
Amphiktyonie gehören, ist beim Charakter dieser Kriege selbstver-
ständlich. Gesamtisrael tritt aber nicht in Erscheinung, geschweige denn
die amphiktyonische Institution. Es ist gewiß nicht anders, eher noch
eindeutiger als beim Deboralied 20 .
Wir können leider die Schlacht an den Wassern von Megiddo nicht
datieren. Der Vergleich mit den in den anderen Richtererzählungen
vorausgesetzten Situationen 27 bringt wenig ein, die Ausgrabungen von
Megiddo überhaupt nichts, weil die Stadt von der Schlacht nicht betrof-
fen wurde 2 8 . Immerhin ist soviel sicher, daß die Landnahme in allen
ihren Stadien abgeschlossen ist 29 . Man wird also an eine Zeit denken
dürfen, die nicht allzu lange vor der Staatenbildung liegt und dieser
jedenfalls näher ist als der Bildung des Stämmeverbandes. Die Frage ist
in unserem Zusammenhang nicht ganz müßig, und darum ist es doppelt
bedauerlich, daß wir sie nicht genauer beantworten können. Das
Deboralied ragt ja über die genannten alten Erzählungen des Richter-
buches dadurch hinaus, daß es von größeren Dimensionen handelt und
in ihnen denkt: es sind mehr israelitische Stämme am Kampf beteiligt
als überall dort, und dann wird sogar bedauert, daß das noch nicht genug
sind. Gewiß gibt es dafür einen militärisch-strategischen Grund: die
kanaanäische Streitwagenmacht in der Ebene verlangt ein größeres Auf-
gebot als die Nomaden, die aus dem Osten einfallen. Vielleicht erklärt
dieser Grund schon alles. Es liegt aber doch nahe, den Blick des Debora-
liedes auf Gesamtisrael abgesehen vom rein Pragmatisch-Situations-
mäßigen aus Beziehungen heraus zu verstehen, die über die Partikula-
23
v. RAD a.a.O. S. 22 (über Ehud).
24 25
Ebenda S. 23 (über Gideon). Ebenda S. 24 (über Jephthah).
28
Beim Vergleich drängt sich die Frage auf, an welche Stämme vor der Debora-
schlacht das Aufgebot ergangen sein mag. Sie läßt sich kaum beantworten. Nach der
relativen Milde, die das Lied gegenüber den vier nicht teilnehmenden Verbänden übt,
könnte man geneigt sein anzunehmen, daß nur die sechs Stämme aufgerufen worden
v,ären, die dann tatsädilich beteiligt waren, und daß der Blick auf die vier anderen
ein mehr oder weniger theoretisches Betrachten nach der Tat aus fast gesamtisraeliti-
schem Gesichtswinkel wäre. Für ein sicheres Urteil fehlen uns die Maßstäbe. Die Pflicht
zur Hilfe scheint Meros gehabt zu haben; war es etwa (wofür wir oben Beispiele
hatten) in der Schlußphase des Kampfes zur Verfolgung des geschlagenen Feindes
aufgeboten?
27
Zuletzt TAUBLER a.a.O. S. 164.
28
A. A L T , Kleine Schriften I S. 266 Anm. 2; M. N O T H , Geschichte S. 140 Anm. 1.
2
* Dan scheint sich schon im Norden zu befinden, vgl. A L T a.a.O. S. 160 mit Anm. 5.
Dagegen steht Machir noch an der Stelle von Manasse.
Stämmeaktion und Zwölferbund 17
rität der Richterkämpfe hinausreichen, die wir bisher allein ins Auge
gefaßt haben. Dann heißt die Frage: haben wir es im Deboralied
mit einem Restbestand anfänglicher gesamtisraelitisch-amphiktyonischer
Kampfgemeinschaft oder aber mit der Keimzelle, nein mehr: einem
schon fortgeschrittenen Stadium der Entwicklung auf das staatliche
Gesamtisrael hin zu tun? Geht der Blick also nach rückwärts oder nach
vorwärts?
Das nicht sehr kritisch gelesene Alte Testament kennt diese Alter-
native nicht. Unter Mose und Josua wandert und kämpft Israel in der
Gesamtheit seiner zwölf Stämme. Dann kommt die Zeit, in der der
Krieg sich dem genauen Leser als partikular entpuppt und in die das —
wenn auch ohnmächtig — aufs Ganze zielende Deboralied gehört.
Schließlich steht unter Saul wieder Israel als solches auf. Diese Abfolge
gleicht einem breiten Strom, der sich plötzlich in zwölf Bäche teilt, die
ein langes Stück voneinander getrennt dahinfließen, um sich später
wieder zu dem alten Strome zusammenzufinden. Der Vergleich trifft
nicht in allem, aber vielleicht wirft die Unmöglichkeit des Bildes doch
auch schon ein Licht auf die verglichene Sache.
Bekanntlich hält die politisch-militärische Einheit Israels vor und bei
der Landnahme der Kritik nicht stand. Es hat sie, wofür der Nachweis
nicht mehr geführt zu werden braucht, nicht gegeben 30 . Ein Gesamt-
israel war an den Vorgängen in der Wüste von der Herausführung aus
Ägypten an noch nicht beteiligt, und Palästina wurde nicht, wie es das
Buch Josua darstellt, in einem Zuge von einer Heeresmacht unter dem
Befehl des Josua erobert, sondern nacheinander von einzelnen Gruppen
und Stämmen und ohne daß dabei militärische Gewalt zu Anfang in
größerem Umfange auch nur einigermaßen regelmäßig angewendet
worden wäre. Israel hat sich als solches in dem uns geläufigen Umfange
mit großer Wahrscheinlichkeit erst auf dem Boden des Kulturlandes
konstituiert. Daß daraufhin keine Zusammenfassung zu gemeinsamer
militärischer Aktion erfolgte, ist angesichts der geographischen Lage
kein Wunder: die Ebenen und gewisse Städtegruppen blieben größten-
teils im Besitz der Vorbewohner und teilten die Stämme damit in meh-
rere Gruppen, zwischen denen militärische Kommunikation schwierig
sein mußte. War also der militärische Partikularismus der Richterzeit
von den Verhältnissen gefordert, so scheint er anderseits ausgereicht zu
haben, die kriegerischen Aufgaben zu bewältigen: Tüchtigkeit und Be-
geisterung eines Stammes oder kleiner Stämmegruppen genügten offen-
bar weitgehend, um mit den östlichen Nachbarn fertig zu werden. Wo
es sich freilich um eine Koalition „der Könige von Kanaan" handelte, da
bedurfte es größerer Macht als gewöhnlich. Sie wurde aufgeboten und
80
Vgl. A. A L T , Kleine Schriften I S. 89ff. 126ff.; M. N O T H , Geschichte S. 67ff.;
G. v. RAD a.a.O. S. 15 ff.
2 8031 Smend, Jahwekrieg
18 Stimmeaktion und Zwölferbund
beiden Erscheinungen die Antwort auf unsere Frage liefern kann. Aber
ein gewisses vorläufiges Urteil hat sich wohl doch schon ergeben: die
beiden Größen stimmen faktisch-statistisch nicht zusammen. Man kann
das vorsorglich auf den Druck der äußeren Umstände zurückführen,
die eine ursprünglich intendierte und wesensmäßige Einheit zerstört
oder schon an der ersten Entfaltung gehindert hätten. Aber das wäre
nur das Eingeständnis, daß es sich um ein von vornherein wenig lebens-
fähiges, ja eigentlich ahistorisches Gebilde gehandelt hätte 36 . Wir müssen
aus dem Tatbestand doch eher folgern, daß es starker Argumente be-
dürfte, um die bisherigen Indizien mindestens aufzuwiegen und den
Jahwekrieg doch noch als eine Veranstaltung des Stämmebundes zu
erweisen.
36
Vgl. dazu v. RAD, Der Heilige Krieg S. 28.
II. K R I E G E R I S C H E S E R E I G N I S U N D KULTISCHE
INSTITUTION
1
Vgl. M. N O T H , Oberlieferungsgesdiichtliche Studien S. 95 Anm. 1.
Kriegerisches Ereignis und kultische Institution 21
Analogie wieder entdeckt. Die Namen, die man ihr gab — Bund 2 , Eid-
genossenschaft, Amphiktyonie — sind dem Alten Testament fremd und
gehören von Haus aus zu den analogen Erscheinungen bei anderen Völ-
kern, wo wir die Sache und nicht nur ein dürftiges Substrat noch in den
Quellen finden. So ist der Stämmebund nicht mehr als eine, wenn auch
wahrscheinliche, Hypothese. Das hat seinen guten Grund.
„Es war . . . vor Allem die Not der Geschichte, worin Israel seiner
selber und Jahves innewurde. Die Höhepunkte der Geschichte waren
damals und auf Jahrhunderte hinaus die Kriege. Israel bedeutet El
streitet, und Jahve war der streitende El, nach welchem das Volk
sich benannte. Das Kriegslager war die Wiege der Nation, es war auch
das älteste Heiligtum. Da war Israel und da war Jahve. Waren in Zeiten
der Ruhe beide miteinander eingeschlafen, so wurden sie durch Feindes-
gefahr wieder aufgerüttelt; immer begann dann das Erwachen Israels
mit dem Erwachen Jahve's. Jahve erweckte die Männer, welche vom
Geiste getrieben sich an die Spitze des Volkes stellten; in ihnen ver-
körperte sich seine eigene Führung. Jahve zog mit aus unter den Kriegs-
leuten des Heerbanns, in ihrem Enthusiasmus ward seine Gegenwart
verspürt. Jahve endlich entschied vom Himmel aus den Streit, der auf
Erden geführt wurde. Immer stand er dabei auf Seiten Israels, sein
Interesse war auf Israel beschränkt, wenn auch seine Macht — dazu war
er ja Gott — weit über die Grenzen des Volks hinausging. So war Jahve
in der Tat ein lebendiger Gott, aber seine Lebensäußerungen in den
großen Krisen der Geschichte wurden durch lange Pausen unterbrochen.
Seine Wirksamkeit hatte etwas Gewitterhaftes, sie paßte besser für außer-
ordentliche Fälle als für den Hausgebrauch." 8
Damit ist der Krieg Jahwes als das beschrieben, was man das dyna-
mische Prinzip der ältesten Geschichte und Religionsgeschichte Israels
nennen könnte. Er ist im höchsten Grade Ereignis, Handlung, Tat.
Daher der alles andere überschattende Eindruck und die bleibende
Erinnerung, daher die starke Wirkung, daher aber auch eine notwendige
Einseitigkeit. Es gibt keine Existenz, auch keine religiöse und keine
nationale, die nur in Höhepunkten besteht, zumal dann nicht, wenn
diese Höhepunkte weit auseinanderliegen. Darum ergeben die alten
Kriegserzählungen, aus dem Rahmen herausgelöst und aneinander-
gereiht, kein ganzes Bild des Israel der Zeit, in der sie spielen. Sie sagen
ja nicht, was zwischen den Kriegen geschah, in den Jahren, deren Zahl
der Deuteronomist zwar mit 40 anzugeben weiß, von denen er aber nur
sagt, daß Israel in ihnen Ruhe hatte vor den Feinden (Ri. 3,11 usw.).
2
Das Wort JTH3 wird in dieser Bedeutung nicht gebraucht, geschweige denn für
die hier speziell gemeinte Sache.
3
J. WELLHAUSEN, Skizzen und Vorarbeiten I (1884) S. 10 f.
22 Kriegerisches Ereignis und kultische Institution
Wovon wir nichts erfahren, das ist das Statische neben dem Dynami-
schen, das Dauernde neben dem Einmaligen, schärfer gesagt, das Institu-
tionelle. Daß im Alten Testament davon expressis verbis nichts zu lesen
steht, beweist nicht, daß es nicht existiert hätte. Man pflegt dafür mit
Recht den Grund anzuführen, daß Dauerndes oder Regelmäßiges
wegen seiner Selbstverständlichkeit und Allbekanntheit nicht beschrie-
ben zu werden brauchte. Wichtiger ist, daß die Auffassung und Dar-
stellung von Statischem als Statischem den Gesetzen der älteren alttesta-
mentlichen Geschichtsschreibung zuwiderläuft. Zustände und Verhält-
nisse werden regelmäßig zu Vorgängen umgedacht und durch deren
Erzählung charakterisiert, wobei man eine paradigmatische und eine
ätiologische Spielart unterscheiden kann. Bei Änderungen der Zustände
und Verhältnisse brauchen die Erzählungen, die sich auf sie beziehen,
nicht ins Bodenlose zu fallen. Sie können vor einen neuen Hintergrund
gestellt werden, wobei sich aber ihr Sinn entsprechend verschiebt. Das
Schweigen des Alten Testaments über den institutionellen Gegenpol
zum Kriege Jahwes widerlegt also nach dem Gesagten keineswegs dessen
Existenz 4 , wohl aber ist es ein beredtes Zeugnis für die strukturelle Ver-
schiedenheit der beiden Größen.
Die alttestamentliche Wissenschaft hat der fraglichen Institution, je
stärker sie selbst von auf das „Statische" gerichteten, also soziologischen
Fragestellungen bestimmt wurde, zunehmend ihre Aufmerksamkeit zu-
gewandt. Heute gehen im Grunde nur noch Außenseiter daran vor-
über 5 . Auch für WELLHAUSEN lag hier noch kein dringendes Problem.
Er brachte das Israel, das an den Höhepunkten der Geschichte in Aktion
trat, in die soziologische Kategorie einer „kriegerischen Eidgenossen-
schaft" 6, verzichtete aber auf eine analoge Bestimmung für das Israel
der dazwischenliegenden friedlichen Zeiten. Sie wäre ihm wahrschein-
lich als absurd erschienen. Denn „Israel ist kein regelmäßiger Organis-
mus, zu dessen regelmäßigen Funktionen etwa die Kriegführung
gehörte; Israel ist nur eine Idee", eine Idee freilich, die im Kriege Jahwes
— und Jahwe ist mehr als nur eine Idee! — eine höchst reale Gestalt
gewinnt 7 . Den Ausdruck Eidgenossenschaft übernahm MAX WEBER und
wandte ihn auch auf das an, wovon WELLHAUSEN ihn ferngehalten
hatte: auf das Israel zwischen den Kriegen 8 . Er sprach von einem
„Kriegsbund unter und mit Jahwe als dem Kriegsgott des Bundes,
Garant seiner sozialen Ordnungen und Schöpfer des materiellen Gedei-
4
Vgl. dazu audi M. N O T H , System S. 64 f.
5
So ist für TÄUBLER a.a.O. S. 1 die Riditerzeit einfach „die Epoche der freien
Stämme"; die weiter unten von ihm angeführte „tatsächliche oder fiktive genealogi-
sche Verbundenheit der Stämme" findet bei ihm keinen institutionellen Ausdruck.
• Geschichte S. 23. ' A.a.O. S. 37.
8
Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie III (1921) S. 90 ff.
Kriegerisches Ereignis und kultische Institution 23
getreten und gewachsen, als es das Geschehen nicht mehr gab und die
Theorie freie Hand bekam. Das Endprodukt haben wir in 2. Chron. 20
vor uns, wo die Kultusbeamten so handeln, „daß sich die göttliche Hilfe
genau mit dem Einsatz ihres kultischen Handelns verzahnt" 50. Hier ist,
trotz gewaltiger Steigerung des Wunderhaften, „der Gottheit das
Mysterium abgestreift"51, der Anfang am weitesten verlassen.
Wo die beiden bedeutendsten Ausdrucksformen des Verhältnisses zwi-
schen Gott und Volk einander gegenüberstehen als Institution und Ereig-
nis, Ruhe und Erwachen, kultisch-regelmäßige Mittelbarkeit und unkul-
tisch-unberechenbare Unmittelbarkeit, Potenz und Aktion, dauerndes
Nebeneinander der Vielen, kurze Gemeinschaft der Wenigen, da darf
man, so sehr alle solche Gegensatzpaare cum grano salis zu nehmen sind,
sei es denn wieder cum grano salis, von einem Dualismus reden. Gegen
eine zu starre Handhabung dieser Kategorie, aber auch gegen die locken-
dere Versuchung, von da aus mit Hegel weiterzukonstruieren, ist durch
die geschichtliche Wirklichkeit, soweit wir sie noch erkennen können,
gesorgt5-'. Daß dieser Dualismus nicht absolut ist, teilt er mit allen ver-
wandten Strukturen der Geschichte, und ebenso, daß ihm eine beson-
dere Geschichtsmächtigkeit innewohnt, daß in seinem Spannungsfeld
„Spannendes" sich ereignen muß. Das „Paradox der inneren Gegensätz-
lichkeit, daß ein anarchischer Seelengrund den Bau der unbedingten
Theokratie zu tragen bekam, barg die Krisis der Richterzeit", sagt
BUBER 5 3 , und mit dem „anarchischen Seelengrund" meint er die „gleich-
sam institutionellen Interregna", die amphiktyonische Zeit, die politisch
eine Zeit der Unordnung zu sein pflegte, mit der „unbedingten Theo-
kratie" das Israel, das im Kriege Jahwes in die Erscheinung trat.
Zu den Voraussetzungen der „Krisis" gehört außer dem Gegensatz
auch die Gemeinsamkeit. Ganz im Unrecht sind die alten Quellen ja
nicht, wenn sie von dem Dualismus nichts mehr wissen und sagen, wenn
bei ihnen einerseits Gesamtisrael die Partikularität und anderseits der
Jahwekrieg den sakralen Stämmebund als solchen so sehr in den Schat-
ten stellt, daß wir Mühe haben, beide Fäden auseinanderzuziehen. Im
Prinzip, wenn auch in der Regel nur dort, waren ja die Beteiligten die-
selben. Jahwe ist der Gott des Jahwekrieges und der Amphiktyonie. Ja,
im Deboralied wird er gepriesen mit dem Namen bmBP Tlbx HUP (Ri. 5,
3.5), der in besonderer Weise mit Sichern, dem Hauptort der Amphi-
ktyonie, verbunden ist 54 . Er kommt gewiß nicht in seiner Eigenschaft als
Gott der Amphiktyonie, er kommt nicht aus Sichern, sondern vom Sinai
30 M
v. RAD S. 81. WELLHAUSEN, Prolegomena S. 243.
58
Vgl. den entsprechenden Versuch in bezug auf das Neue Testament bei J.-L.
LEUBA, L'institution et l'evenement (1950) und dazu E. KÄSEMANNS Kritik, Verkün-
digung und Forschung 1956/57 (1957/59) S. 163 ff.
53
A.a.O. S. 148.
54
Vgl. C. STEUERNAGEL, BZAW 27 (1914) S. 329 ff.
30 Kriegerisches Ereignis und kultische Institution
(V. 5). Aber weil Jahwe da ist, ist in irgendeinem Sinne auch Israel da.
Die npS?S des bedrohten Stammes wendet sich an den Nachbarstamm, der
ebenfalls den Gott Jahwe verehrt und also auch der Amphiktyonie
angehört. Dabei hat das Erste unbedingt den Vorrang vor dem Zweiten,
denn es ist ja der Krieg Jahwes und nicht der Krieg der Amphiktyonie.
Aber weil Jahwe „kein Stammesgott, sondern der Gott Jsraels'" ist 55 ,
ist sein Krieg doch im Prinzip auch ein Krieg Israels — und ein derartiges
Prinzip vermag mehr zu sein und zu wirken, als man den äußeren Um-
ständen ansieht und auch als man gerade im Bewußtsein hat. Der Krieg
Jahwes ist „seinem Wesen nach der gemeinsame Krieg und der Krieg
der Gemeinsamkeit gewesen . . . Freilich sind es im Richterbuch nur
Unternehmungen von ephemeren oder dauernden Verbänden einiger
Stämme, die so berichtet werden, aber für den Erzähler — nicht erst für
den Redaktor — ist jeweils im Lager der Kämpfenden Israel, und
J H W H ist ,bei ihm'; und so muß es schon für den Kern der Handelnden
gewesen sein. Der einzelne Stamm ist eben nichts als er selbst, aber wo
tätige Vereinigung geschieht und sei es nur die zweier oder dreier
Stämme, ist ,Israel'" 5 " — nicht die Amphiktyonie, sondern ein Israel,
„für dessen Begriff nicht wesentlich ist, wie viele der Stämme ihm aktuell
angehören, sondern daß es unanzweifelbar eine qualitativ andere Ein-
heit ist als eine Summe von Stämmen" 57 , — ein Israel, so muß man kor-
rigierend hinzufügen, das darum im Deboralied nicht Israel heißt.
Von hier aus rückt auch die oben schon gelegentlich berührte Bedeu-
tung des Jahwekrieges für Israels Einheit in ein neues und schärferes
Licht. Daß Jahwe die Kriege führt, gibt ihnen ganz von selbst einen
Zug zur „Ausweitung ins Nationale"'", und wir sehen diese Ausweitung
ja in der Tat im Deboralied als Postulat und bei Saul als Wirklichkeit.
So mag man schlagwortartig das bisher Gesagte formulieren: Der Krieg
Jahwes kommt zwar nicht vom Nationalen her, er führt aber auf das
Nationale hin. Er erklärt nicht das Quantum der Einheit in der Staaten-
bildung — dafür muß man sich, wie es oben ausgeführt wurde, an den
Stämmebund halten—, aber er ist, durch die Not der größer werdenden
Bedrohung zur Ausweitung auf die Nachbarn gezwungen, durch die
Führung Jahwes und seines Beauftragten zu dieser Ausweitung auf die
Nachbarn als die Religionsgenossen auch fähig und im Grunde auf sie
hin tendierend, das wesentlichste Agens auf diese Einheit hin 59 .
'•* v. RAD, Der Heilige Krieg S. 26. "'6 BUBER, Königtum S. 127.
57 5
Ebenda S. 134. " A. ALT, Kleine Schriften II S. 20.
58
Keine Zukunft dagegen hatte das Unternehmen des Abimelech (Ri. 9), auf das
mich Herr Professor D. O. PLÖGER als Gegenstück hinweist. Israeliten und Kanaa-
nacr haben zwar von einem späteren Stadium der Staatenbildung an in Israel zu-
sammengelebt, aber in durchaus anderer Weise, als es bei Abimelech wohl heraus-
gekommen wäre, und erst nachdem die nationale Einheit der Israeliten auf der oben
angegebenen Grundlage erreicht war.
Kriegerisches Ereignis und kultische Institution 31
Priesterschaft sowie „den Richter, der zu jener Zeit sein wird", verwie-
sen wird 11 , ist in Anbetracht des großen zeitlichen Abstandes zwischen
den alten Richtergestalten und dem Deuteronomium zweifelhaft, wenn
natürlich auch irgendeine Beziehung zwischen den beiden Kategorien
von „Richtern" nicht ausgeschlossen ist 12 . Das gewichtige Objekt VmttPTiN,
das dem üDEH in jener alten Liste regelmäßig folgt, deutet eher auf Tat-
bestände, die den Stämmeverband als solchen und seine Struktur betref-
fen. Hierhin würde besonders gut die Rolle des Josua in Jos. 17,14 ff.
passen, auf die A. A L T 1 3 verweist: die Entgegennahme der Beschwerde
des Stammes Joseph über zu geringe Landzuweisung. Josua fungiert
hier als Wächter der Beziehungen zwischen den Stämmen u, und das auf
einem Gebiet, dem nach israelitischer Auffassung eine besondere sakrale
Würde zukam. Man darf gewiß mit G. v. RAD 15, ausgehend von der
Vorstellung vom Charakter des Landes als Gabe Jahwes an das Volk,
fragen, ob „nicht das, was uns ALT unter dem Begriff der territorialen
Postulate der Stämme' verstehen gelehrt hat, d.h. jener sehr alten und
z. T. sehr theoretischen Ansprüche bestimmter Stämme auf bestimmte
Gebiete, auf sakrale Satzungen zurückgehen (sollte), die vom Zentrum
der Jahweamphiktyonie aus verbindlich und von Fall zu Fall geregelt
wurden". Hier wäre ein DDP mit amphiktyonischer Autorität und in
amphiktyonischem Rahmen denkbar und erforderlich, und so mag
Jos. 17,14 ff. als Beispiel der Tätigkeit des „Richters Israels" gelten
dürfen, wenngleich Josua — dessen überlieferungsgeschichtlicher Zu-
sammenhang mit dieser Perikope von A. ALT als besonders fest betrach-
tet wird 16 — nicht in der Liste der Kleinen Richter erscheint17.
wohl ganz ausgesprochen ein Charismatiker, s.u. Das von GRETHER a.a.O. S. 120f.
vorgeschlagene STCID macht weder einen sehr altertümlichen Eindruck noch den eines
Titels, vgl. v. RAD a.a.O. Übrigens ist auch DDE* als alter Titel der Kleinen Richter
nicht unbedingt sicher. In der Liste erscheint nur jeweils DD8P1; das Partizip Ri. 4,4
mit verbaler Rektionskraft; titelartig in deuteronomistischen Texten (Ri. 2,16ff.;2. Sam.
7,11; 2. Kön. 23,22; vgl. Ruth 1,1), an die man sich hier nicht halten kann. Ob man
l.Sam.8, l b heranziehen darf (s.u. S. 52)?
" Dazu vor allem J. PEDERSEN, Israel I/II (1926) S. 29 ff.
M
Vgl. B.LUTHER, ZAW21 (1901) S . l l ; M . N O T H , System S.78 Anm.3; Geschichte
S.102.
" Vgl. LUTHER a.a.O. S. 14 f.; A. CAUSSE, D U groupe ^thnique a la communaute1
religieuse (1937) S. 17ff.
;
* Vgl. zuletzt R. DE VAUX, Das Alte Testament und seine Lebensordnungen I
(1960) S. 34; anders F. HORST, RGG» I (1957) Sp. 335.
" A. ALT, Kleine Schriften II S. 6.
38 Große und Kleine Richter
" Nach R. KITTEL, Geschichte des Volkes Israel II« (1909) S. 103 f. wäre in diesem
Fall altisraelitisch-nomadische Ordnung aus der Zeit vor der Landnahme wieder in
Kiaft getreten. Vgl. dazu auch DE VAUX a.a.O. S. 25 f. Zu den Verhältnissen bei den
heutigen Beduinen etwa M. F R H . V. OPPENHEIM, Die Beduinen I (1939) S. 30f.; zu
denen bei den alten Arabern J. WELLHALSEN, Ein Gemeinwesen ohne Obrigkeit (1900)
S. 7 f.
• M. BUBER, Königtum S. 26.
50
J. WELLHAUSEN, Prolegomena S. 124.
" Am schärfsten von H.-U. NÜBEL, Davids Aufstieg in der Frühe israelitischer
Geschichtsschreibung (Diss. ev. theol. Bonn 1959) S. 140: „Der Richter Israels hatte
das Recht, den Heerführer, seit Saul den König, zu designieren."
• So Ri. 11,5—11. Vorher (10,18) ist neben D»H (s.u.) von den TV1?! ">"W die
Rede. Letzteres sieht nach Zusatz aus; vielleicht auch gehören die Verse 10,17 und 18
nicht zur ursprünglichen Geschichte 11,1 ff., vgl. J. WELLHAUSEN, Composition S. 223
Anm. 1; E. TÄUBLER, Biblische Studien (1958) S. 281. Hält man sie für die „unent-
behrliche Exposition der ganzen Geschichte", liegt es nahe, statt ihrer den Vers 11,4
zu streichen (so M. N O T H , ZDPV 75 [1959] S. 35 Anm. 47). Für diese zweite Möglich-
keit spricht die Konkurrenz von 4 mit 5a.
33
In der ersten Eigenschaft heißt er r s p ( l l , 6 . 11), in der zweitentMO(10,18; 11,
8.9.11).
34
Vgl. TAUBLER a.a.O. S. 285 f.
35
Vgl. v. R A D , Der Heilige Krieg S. 7 f.
Große und Kleine Richter 39
(V. 9) und sich nach der erfolgten Ernennung durch das Volk im Gebet
an Jahwe wendet (V. II) 3 8 , darf nicht dahin ausgelegt werden ( daß
Jahwe „als der eigentlich Berufende gilt" " . Jahwe greift vielmehr erst
am Beginn des Kampfes in der Weise ein, daß sein Geist auf Jephthah
kommt (V. 29) 38 . Wo ist hier ein amphiktyonischer Auftrag? Im Han-
deln der Gileaditen 39 wird ebensowenig wie in dem Jahwes irgend etwas
davon sichtbar. Und Jephthah sieht ja auch nicht danach aus, als sei er
schon als Abgesandter der Amphiktyonie zu den bedrängten Gileaditen
gekommen 4 0 . Er war ein Kleiner Richter, aber erst nach dem Ammo-
niterfeldzug. Diese Reihenfolge ist wichtig. Es führt also nicht der
Richter Israels den Krieg der Gileaditen gegen die Ammoniter, sondern
der in dieser lokalen Auseinandersetzung und dann offenbar auch als
„Haupt von Gilead" Bewährte steigt zum amphiktyonischen Amt auf.
Etwas weniger gut ist Gideon dem Historiker greifbar. Die Berufung
zum Amte des Führers erfolgt nach der Erzählung Ri. 6,11 ff. nicht
durch die leitenden Organe des Verbandes, dem Gideon angehört, son-
dern durch Jahwe bzw. seinen Boten. Später dann, unmittelbar vor der
kriegerischen Tat, kommt Jahwes Geist über Gideon (6,34), und erst
daraufhin entsteht die Beziehung des Führers zu seinem Kriegsvolk,
diesmal auf Initiative des ersteren (6,34 b. 35). Wenn wir uns an diese
Relation halten — aus den einer offenbar selbständigen Überlieferung
angehörigen Andeutungen 8,17 f. läßt sich eine Alternative nicht mit
Sicherheit erschließen —, ergibt sich zwischen Gideon und Jephthah die
Gemeinsamkeit in der charismatischen Führerschaft und darin, daß
Subjekt der Berufung beide Male eindeutig nicht eine amphiktyonische
Institution ist. Gideon wurde aber, anders als Jephthah, auch nicht
nachträglich mit dem amphiktyonischen Amt betraut. Die Stellung, die
ihm Ri. 8,22 ff. angetragen wird, kann kaum die des Richters Israels
gewesen sein. Wenn man hier mit Jephthah vergleichen will, dann ist
die Parallele eher dessen Stellung als „Haupt von Gilead". In beiden
Fällen hätten wir es dann mit dem Vorgange der Fortsetzung der charis-
matischen Herrschaft durch die dauernde, institutionelle zu tun, wie ihn
MAX WEBER 4 1 beschrieben hat. Dieser Vorgang hat notwendig die Fort-
setzung der kurzfristigen charismatischen Herrschaft auf dem gleichen
N
Das „in Mizpa" am Schluß dieses Verses weist natürlich auf die Heiligkeit der
Stätte hin; auf diese ist aber sonst nicht Bezug genommen.
" H. W. HERTZBERG, Die Bücher Josua, Richter, Ruth (1954) S. 214.
18
Der sekundäre Charakter dieses Verses und namentlich seines Anfangs (vgl.
zuletzt TÄUBLER a.a.O. S. 286) ist nicht erweislich; vgl. M. N O T H , PJB 37 (1941) S. 71
Anm. 1; ZDPV 75 (1959) S. 40 Anm. 55.
30
Der Ausdruck „Israeliten" in 10,17 (wie auch in dem Einschub 11,12—28)
kommt dagegen nicht auf.
40
Sie wandten sich an ihn wegen seiner Kampfeserfahrung. Nach TÄUBLER a.a.O.
S. 288 wurde er als Führer seiner Schar und mit ihr gerufen.
41
Wirtschaft und Gesellschaft (Grundriß der Sozialökonomik III '[1947]) S. 140ff.
753 ff.
40 G r o ß e und Kleine Richter
49
Ob man auch an Jos. 24,25b denken darf?
47
Natürlich bleibt bei Josua (entsprechend wie bei Jephthah) die Frage offen, ob
er kraft solchen Geistbesitzes oder nicht vielmehr kraft führender Stellung im Stamme
Ephraim (oder im ganzen Hause Joseph; etwa doch auch Benjamin dazu?) die Rolle
im Zwölfstammebund erlangte.
42 Große und Kleine Richter
48
An ein Richtertum anderer Art denkt offenbar F. HORST, Gottes Recht (1961)
S. 266 f.
*' Zuerst J. WELLHAUSEN, Composition S. 217; zuletzt M. A. BEEK, Geschichte
Israels (1961) S. 38. R. KITTEL Z. St. verstümmelt den Satz durch Streichung der Worte
„zwisdien Rama und Bethel auf dem Gebirge Ephraim". Nach H. GRESSMANN Z. St.
gab es eine Palme der Richterin Debora, aber sie stand „natürlich im Gebiet Issachars".
ED. MEYER nimmt dem Baum die ursprüngliche Beziehung zu beiden Deboren (Die
Israeliten und ihre Nachbarstämme [1906] S. 273. 277). Die Deborapalmc und die
Klageeiche unterscheidet G. DALMAN, JBL 48 (1929) S. 357 ff. Er sucht die erste in der
Gegend von el-bire; auf die zweite, die „unterhalb von Bethel" (Gen. 35,8) gelegen
ist, paßt diese Lokalisierung nicht, also sind beide verschieden.
G r o ß e und Kleine Richter 43
liedes 50 entgegensteht: man sieht nicht recht, wie die weit über die
engere Heimat des Barak (Naphthali; als Nadibar Sebulon) und der
Debora (wohl Issachar) hinausgreifenden Dimensionen zustande kom-
men sollen, in denen Israel sich am Kampf beteiligt oder in denen seine
Teilnahme doch wenigstens nachträglich vom Liede für angebracht
gehalten wird. Die Mitwirkung der mittelpalästinisdien Stämme ließe
sich auf den Einfluß der in ihrer Mitte wohnenden und dem Wortlaut
unserer Stelle nach mit hoher Autorität begabten Frau erklären. Aber
auch die Rüge an die Adresse der weiter ab wohnenden Stämme, die bei
der Schlacht beiseite blieben, würde verständlicher: verwaltete Debora
das Amt des Richters Israels, dann war mit ihrer Beteiligung am Ge-
schehen die Lage gegeben, die Gesamtheit der Stämme ins Auge zu
fassen, zur Hilfeleistung aufzurufen, Lob und Tadel auszuteilen. Nicht
als ob dies alles das persönliche Werk der Debora gewesen sein müßte 5 1 ;
wohl aber könnte sich hier das Schwergewicht ihres Amtes geltend
machen, in einer Richtung, für die es nicht geschaffen, die ihm aber
durch die Ereignisse aufgenötigt wäre — angesichts gesamtisraelitischer
Notwendigkeit tritt die einzige gesamtisraelitische Institution in eine
Art politischer Aktion, aufs Numerische gesehen nicht mit durchschla-
gendem Erfolg und auch nicht zu mehr als nachträglicher Rüge gegen
die sich nicht Beteiligenden in der Lage, aber doch mit dem Ergebnis,
daß unversehens das große Postulat einer auch politisch-militärischen
Einheit des Zwölfstämmebundes da ist. Man kann dieses Ergebnis" zur
Not auch ohne ein Riditertum der Debora verstehen. Doch läßt sich
wohl kaum bestreiten, daß es ausgezeichnet ins Bild passen würde, wenn
in dieser Situation das oberste Amt der Amphiktyonie und die Leitung
des Krieges Jahwes in einer Person zusammengefaßt wären. Der oft
gegen die Glaubwürdigkeit von Ri. 4,4 b.5 ins Treffen geführte Sitz der
Debora zwischen Rama und Bethel spricht, wenn man nicht an eine
Verwechslung der beiden Deboren und die Identität ihrer Bäume glaubt,
unter solchem Gesichtswinkel eher für als gegen die Notiz. Wir wissen
von noch einem Richter Israels, der aus Issachar stammte, nämlich
Thola 53 . Seine Wohn- und Wirkungsstätte lag nach Ri. 10,1 nicht im
Bereiche seines Heimatstammes, sondern „er wohnte in Samir auf dem
50
Nicht dem von Ri. 4,6 ff. Insofern ist BUDDE z. St. ganz im Recht. Aber man
darf 4,4b. 5 als nicht notwendigen Bestandteil von 4,4—24 probeweise gesondert
sehen und mit Kap. 5, der älteren und getreueren Relation, zusammennehmen.
51
Etwa auch in dem Sinne, daß sie das ihr zugeschriebene Lied gedichtet hätte.
52
Vgl. oben I.
M
Vgl. zu ihm M. N O T H , Festschrift Bertholet (1950) S. 409 f. — Die im folgenden ge-
gebene Erklärung des Sachverhalts scheint mir weniger aufwendig als der öfters aus ihm
gezogene Schluß auf sekundäre Abwanderung Issachars aus dem Gebirge Ephraim
(z.B. A. ALT, Kleine Schriften I S. 126 Anm. 4). Hierzu auch N O T H , Geschichte S. 76
Anm. 1.
44 G r o ß e und Kleine Richter
Gebirge Ephraim". Das entspricht ganz dem „sie wohnte unter der
Palme der Debora zwischen Rama und Bethel auf dem Gebirge
Ephraim" von Ri. 4,5. Hier wie dort Herkunft aus Issachar, richterliche
Tätigkeit auf dem Gebirge Ephraim. Der Tatbestand ist also jedenfalls
nicht einmalig und darum bei Debora wenigstens als möglich zu betrach-
ten. Anscheinend waren die Bedingungen für die richterliche Tätigkeit
auf dem Gebirge Ephraim günstiger als in Issachar. Einmal vielleicht
aus geographischen Gründen: das Gebirge Ephraim ist, wie die Haupt-
stadtbildungen der Königszeit, aber auch schon die Verhältnisse in der
Amphiktyonie, soweit sie uns noch bekannt sind 54 , beweisen, der natür-
liche Mittelpunkt des Landes. Leider sind wir nicht bei allen Richtern
Israels über ihre Wirkungsstätte orientiert, ja, ausdrücklich nur eben bei
Thola 55 . Bei den anderen ist außer der Herkunft nur der Begräbnisort
angegeben, der offenbar (außer bei Thola) stets in der ursprünglichen
Heimat liegt 58 . Man kann von daher die Möglichkeit nicht ausschließen,
ja nicht einmal für unwahrscheinlich halten, daß die Richter sich zur
Ausübung ihres Amtes nicht aus ihrer Heimat in die Mitte des Landes
begaben oder gar dort Wohnung nahmen 5 7 . Danach reichen die geogra-
phischen Gründe kaum aus, um die besonderen Umstände bei Thola
(und Debora) zu erklären. Man darf aber daneben oder statt dessen
wohl auf die politische Lage des Stammes Issachar verweisen, wie sie
A. A L T 5 8 aus Gen. 49,14f. in Kombination mit dem Amarnabrief AO
7098 erschlossen hat: Siedlung auf dem Territorium von Sunem bei
Anerkennung kanaanäischer Oberhoheit, Freiheit endgültig erst zur
Zeit Davids. In dieser Lage ist zwar offensichtlich Mitgliedschaft des
Stammes in der Amphiktyonie — zumal bei deren unpolitischem Cha-
rakter — möglich, aber der rechte O r t für den Amtssitz des Richters
Israels ist hier gewiß nicht. So fungiert Thola auswärts. Der Fall läßt sich
ohne weiteres auf Debora übertragen. Deren persönliches Eingreifen im
Kampf gegen die Kanaanäer kam speziell ihrem eigenen Stamm Issachar
zugute. Es ist unter diesem Aspekt nicht undenkbar, daß die Verbin-
dung von Stämmebund und Jahwekrieg in der Person gerade der
Debora kein Zufall war. Der Versuch, hier mehr wissen zu wollen,
würde freilich auf das Gebiet der Spekulation führen. Überhaupt ist das
54
Vgl. darüber da« nächste Kapitel.
55
Außerdem (abgesehen von Debora) bei Samuel, wenn er ein Richter war; s. dar-
über weiter unten. — Zu dem unsicheren Fall des Elon vgl. N O T H , Festschrift Bertho-
let S. 411 f.; HERTZBERG, Beiträge zur Traditionsgeschichte und Theologie des Alten
Testaments (1962) S. 124. HERTZBERG vermutet, daß es sich mit Elon ähnlich verhält
wie mit Debora und Thola.
' • Bei Jephthah können wir es nicht sagen, weil wir nicht wissen, wo Kamon
(Ri. 10,5) lag; vgl. N O T H a.a.O. S. 410 Anm. 2. — Eine Vermutung dafür, warum der
Begräbnisort angegeben zu werden pflegt, bei NÜBEL a.a.O. S. 125 Anm. 110.
57
Von einem Sitz am Zentralheiligtum gar kann nach Ri. 10,1 nicht die Rede sein.
58
Kleine Schriften III S. 174 f.
G r o ß e und Kleine Richter 45
Richtertum der Debora nur eine Möglichkeit, wenn auch nach dem
Gesagten wohl eine durchaus diskutable.
Entscheidet man sich in diesem Sinne für die Historizität von Ri.
4,4 b.5, dann hat man freilich das Problem, das das ganze Kapitel Ri. 4
uns in unserem Zusammenhang stellt, noch nicht gelöst. Der Vorgang
ist dort so dargestellt, daß Debora im Namen Jahwes den Barak zum
Kampfe gegen Sisera beruft. In welcher Eigenschaft tut sie das? Als
Richterin Israels? Das wäre höchst eigenartig, um so mehr, als ihr in
V. 4 a auch der Titel ntrai zugeschrieben wird. Hält man sich an diesen,
dann rückt der Vorgang in die Reihe von Berufungen politisch-militä-
rischer Führer durch Propheten, die uns im Alten Testament berichtet
sind. Vermutlich hat der Erzähler ihn so angesehen, und in der Tat wird er
dadurch verständlicher. Er verliert dann aber auch an historischer Wahr-
scheinlichkeit in dem Maße, in dem man dem Vorhandensein eines Pro-
phetentums für jene frühe Zeit kritisch gegenübersteht. Man mag sich
Debora als eine Seherin vorstellen, die Funktionen der späteren Prophe-
ten vorausnahm; oder man mag vermuten, daß ihr der Titel nK,31 auf
Grund anderer als der später geläufigen prophetischen Tätigkeit bei-
gelegt wurde 5 9 und daß er dann, in anderer Meinung, die Berufungs-
geschichte nach sich zog. Wie dem auch sei, in jedem Falle ist die Art der
Beteiligung der Debora am Geschehen nicht mehr genau aufzuhellen 80 .
Ja, man hat sogar das Verhältnis zwischen ihrem kriegerischen und rich-
terlichen Wirken umgekehrt und vermutet, daß die Notiz 4,4 b.5 an
den Schluß der Erzählung gehört, „da sie sich auf die Zeit nach dem
Thaanakh-Sieg und auf die von Debora durch diesen erworbene Auto-
rität bezieht" n. Debora gehörte dann eng mit Jephthah zusammen 6S
und fiele weniger aus der Reihe, als es jetzt der Fall ist. Prinzipiell hätte
das manches für sich, und es käme der Hauptthese der vorliegenden
Schrift natürlich unmittelbarer zustatten als die zeitliche Priorität des
Richteramtes. Doch steht ihr auch diese nach dem oben und in Kapitel I
Entwickelten nicht im Wege, und ich würde ihr gegenüber der BUBER-
schen Annahme den Vorzug geben.
Die Gestalt des Samuel setzt den Historiker in noch größere Verle-
genheit als die der Debora. Quellen hat er hier der Zahl nach mehr als
59
Vgl. dazu etwa A. JEPSEN, Nabi (1934) S. 236.
60
Nach WELLHAUSEN, Composition S. 217 „scheint Barak nach 5,12, wo Luther
gewiß richtig übersetzt fange deine Fänger und die Punktation nur aus harmonistischen
Gründen vokalisiert fange deine Gefangenen, einen persönlichen Anlaß gegen die
Kanaaniter gehabt und nicht zögernd der Aufforderung Deboras gehorcht zu haben".
Die Stelle wäre Ri. 8,18 f. an die Seite zu stellen. Eine Berufung des Barak, also eines
von der politischen Lage besonders Betroffenen, durch Debora wäre aber auch dann
möglich und sinnvoll.
01
M. BUBER, Königtum S. 142.
•* BUBER a.a.O.: „am Anfang wurde wohl, wie in andern Richtergeschidnen, das
von der Ruach Ergriffenwerden berichtet, — ein Bericht, der dann aus unbekannter
Ursache verlorenging."
46 G r o ß e und Kleine Richter
dort; aber das ist nur sdieinbar ein Gewinn. Von der Authentizität, die
bei aller Dunkelheit das Deboralied besitzt, ist keine dabei, und das Bild,
das sie zusammengenommen ergeben, ist widersprüchlich und zeigt
kaum den geschichtlichen Samuel; man muß sich für die eine oder die
andere entscheiden, hat aber auch dann noch nicht die Gewähr, auf
festem Boden zu stehen. Dazu kommt, für unser Problem doppelt
schwerwiegend, daß die Geschichtssituation, in der Samuel auftrat, mehr
noch als die der Debora die einer Krise war. Nicht nur scheint da wie bei
Debora der Fall gegeben, wo „die nationale und religiöse Notlage eine
,Richter'gestalt 63 über die routinemäßigen Funktionen ihres Amtes hat
hinauswachsen lassen" und wo man infolgedessen mit einer rein institu-
tionellen Betrachtungsweise nicht durchkommt, „weil dieser Maßstab
für die Erfassung der großen Gestalten des Alten Testaments nicht aus-
reicht" 64 — darin liegt ja insofern gerade ein Vorteil, als man an diesem
Maßstabe das sehen kann, was Person, Charisma und Situation zum
Institutionellen hinzufügen. Bei Samuel handelt es sich darüber hinaus
um die Situation eines Umbruchs, den man wohl nur schwer über-
schätzen kann: die Staatenbildung. Wieweit steht Samuel diesseits, wie
weit jenseits? Wieweit ist er etwa Urheber des Umbruchs und gleich-
zeitig oder später auch sein Leidtragender oder aber die Symbolfigur, in
der sich die Vorstellungen von dem geschichtlichen Sachverhalt ver-
dichtet haben? Es ist für unsere Untersuchung schmerzlich, daß sich diese
Fragen nur ganz vage beantworten lassen. Wüßten wir über Samuel
mehr, könnten wir vielleicht von ihm rückschließend über die vorstaat-
liche Zeit viel mehr sagen, als es uns jetzt möglich ist. Unter diesen Um-
ständen hieße es beinahe, ein ignotum ab ignoto erklären zu wollen,
machte man ihn zur heuristischen Schlüsselfigur, etwa in dem Sinne,
daß man vermutete, Samuel habe als Inhaber des Amtes des Richters
Israels den Saul zum Führer des Heerbannes bestimmt, und daraus fol-
gerte, der Richter Israels habe überhaupt kraft seines Amtes das Recht
zu einem derartigen Akt besessen. Für die genannte Vermutung ist, wie
wir sehen werden, die Basis in den Quellen nicht fest genug, für die ver-
allgemeinernde Folgerung die Situation zu außergewöhnlich. Was unter
solchen Voraussetzungen hier geboten werden kann, ist nicht der als aus-
sichtslos erscheinende Versuch, den „literarischen Samuel-Saul-Komplex"
aufzuhellen, sondern nur einiges wenige an Gesichtspunkten, die unsere
Fragestellung berühren.
Die Wissenschaft mißt unter den Erzählungen, die von Sauls König-
werden handeln, in der Regel der in 1. Sam. 11 den größten Wert b e i " .
" Einmal vorausgesetzt, daß es sich beidemale um eine solche handelt.
M
A.WEISER, Samuel, Seine geschichtliche Aufgabe und religiöse Bedeutung
(FRLANT 81 [1962]) S. 16.
m
Nach BUBER, VT 6 (1956) ist sie die einzige, für die „eine Quelle im literarischen
Sinn" anzunehmen ist. Ein Anhaltspunkt für ihre Historizität ist die spätere Anhänglich-
G r o ß e und Kleine Richter 47
dem Grund. Da erst erfährt er die Sache, nicht von den Boten, sondern
vom Volk 77 . Sogleich überfällt ihn der Geist Gottes, und er bietet das
Heer zur Schlacht auf. Das ist eine in sich verständliche und vollständige
Geschichte, sie „erzeugt den geschlossenen und tiefsten Eindruck, wenn
Saul auch selbst von seiner völkischen Bestimmung noch keine Ahnung
hatte" 78. Darf man von da aus das Vorangehende eliminieren? Nach
CASPARI 7 9 findet, auf 1. Sam. 11 angewiesen, „spätere Ansicht eine Lücke
in seiner (Sauls) Entwicklung. Daß der für sein Auftreten entscheidende
Geist unangemeldet mit durchschlagendem Erfolge ihn überkommt,
könnte, obgleich auf die königslose Zeit beschränkt, doch zum Freibrief
jeder gewalttätigen Staatsumwälzung durch Unberufene ausgenutzt
werden, die sich eine Befugnis über Volksgenossen kurzweg anmaßen.
Daher soll das Unvermittelte an dem Auftreten des Geistes nur der
öffentlichen Betätigung bleiben. Der Geistträger muß sich glaubhaft
über seine Berechtigung unabhängig von seinem Erfolge ausweisen kön-
nen, muß auch einen Zeugen beibringen können, der jedem Verdachte
eines Mißverständnisses der vorbereitenden Vorgänge standhält; die
Geistverleihung hat einen Ritus zu ihrer Voraussetzung. Alles dieses
leistet I 9 F zum Unterbau für 1 1 1 . " Die Argumentation leuchtet ein,
und ich sehe kein Mittel, sie zu widerlegen. Trifft sie zu, dann ist Samuel
aus der unmittelbaren Beteiligung an Sauls Königwerden ausgeschaltet.
Das bleibt in der Tat immer möglich, wenn nicht wahrscheinlich. Ander-
seits läßt sich aber gegen die vorgeführte Beurteilung von 1. Sam. 11
geltend machen, daß das Kapitel mit dem Vorangehenden jetzt zu einer
— man kann es schwer anders ausdrücken — wunderbaren Einheit ver-
woben ist 80 . Gewiß handelt Saul in Kap. 11, „als wäre nichts gesche-
hen" 81. Aber was wäre — trotz CASPARI — die Erzählung heute für den
Leser ohne die vorherige Begegnung Sauls mit Samuel? Ihr Reiz liegt ja
jetzt gerade darin, wie die Wege der ahnungslosen Boten aus Gibea und
des Designierten Jahwes durch die göttliche Providenz zusammenge-
bracht werden. Die Verborgenheit und Heimlichkeit des Berufenen
zwischen Berufung und öffentlichem Auftreten ist ein echt biblisches
Motiv, das von Redaktoren und Uberarbeitern verkannt werden
konnte 8 2 , das aber gleichwohl der Wirklichkeit entstammen wird. Ist
diese auch historisch kaum noch zu fassen, so kann man doch nicht aus-
schließen, daß auch hinter Kap. 8-10 geschichtliche Vorgänge stehen.
77
Stutzig könnte einen nur machen, daß Saul nach V. 7 „die Boten" ausschickt
(LXXB läßt den Artikel weg). Es sind offenbar die aus Gilead, die dann wohl als in
Gibea geblieben zu denken sind. Doch wäre es spitzfindig, daraus schließen zu wollen,
daß sie auf die Heimkehr Sauls gewartet hätten.
78 7
CASPARI a.a.O. ' Ebenda S. 122 f.
80
Vgl. dazu besonders M. BUBER, VT 6 (1956) S. 122 f. u. ö.
81 M
BUBER a.a.O. S. 147. Vgl. dazu auch unten S.91.
4 8031 Sraend, Jahwekrieg
50 G r o ß e und Kleine Richter
Aus ihnen ließe sich, im Gegensatz zum Ammoniterkrieg und der auf
ihn folgenden Königwerdung Sauls, Samuel kaum wegdenken.
Von den beiden Versionen, die sich hier gegenüberstehen, hat die von
8; 10,17-27 a dem Wortlaut nach größeren ideologischen Aussagegehalt
und Anspruch. Sie ist aber zeitlich weit von den Ereignissen entfernt
und sachlich ein Produkt später Reflexion über das Königtum über-
haupt 8 3 . Zudem steht sie zu 1. Sam. 11 nicht im Verhältnis möglicher
Ergänzung, sondern in dem der Konkurrenz. Daß Saul vor dem Ammo-
niterkrieg schon der heimliche König ist, von Samuel gesalbt, aber nicht
einmal seinem eigenen Onkel als solcher bekannt, läßt sich vorstellen 84 .
Daß dagegen die gesamte Volksversammlung schon ausführlich über
den König verhandelt, ja ihn bereits durch das Los ermittelt hat 85 , ist vor
Kap. 11 unerträglich. So mag man 8;10,17ff. als eine „ausgearbeitete,
ausgedehnte Parallele zu 11,15" verstehen 89 oder gar das in 11,15
„Erzählte identisch mit dem, was in 10,21 b-27 berichtet wird", nen-
nen 87 — die lapidare Angabe 11,15 bleibt das Einzige, was glaubhaft
über das „demokratische Prinzip" bei Sauls Königwerden ausgesagt
ist 88 . So brauchen uns Notwendigkeit 8 9 und Funktion der Gestalt
Samuels in 8;10,17ff. hier nicht weiter zu beschäftigen.
Dem Alter und vielleicht doch auch 90 dem historischen Wert nach
steht 9,1-10,16 höher. Gewiß handelt es sich um Sage, ja man mag in
manchem von Legende sprechen 91 . Aber als „Unterbau" für Kap. 11 ist
das Stück wohl schon früh dagewesen; als solcher freilich auch sehr
schwer kontrollierbar. Nachträglich (von Saul selbst?) erzählt zur Legi-
timierung seines Königtums, trotz der merkwürdigen Versammlung
83
Das ändert sich nicht dadurch, daß man die Geschichtsmöglichkeit einzelner ihrer
Motive schon für die Zeit an der Schwelle der Staatenbildung nachzuweisen versucht,
wie es neuerdings auf \ erschiedenen Wegen M. BUBER, In memoriam Ernst Lohmeyer
(1951) S. 53 ff. und A. WEISER a.a.O. S. 32 ff. versuchen.
84
Daher hat die literarkritische Schule 1.Sam. 9,1 —10,16 unbefangen mit Kap. 11
als Einheit zusammennehmen können; vgl. J. WELLHAUSEN, Composition S. 242 f.
85
Diesen letzteren Zug scheidet BUBER, VT 6 (1956) S. 142 f. freilich aus.
88
SOGGIN a.a.O. S. 407.
87
WILDBERGER a.a.O. S. 468; vgl. auch R. PRESS, Theologische Blätter 12 (1933)
Sp. 247 f., ZAW 56 (1938) S. 204 f.
88
Auch ein etwa zwischen 11,11 und 15 ausgefallener Bericht darüber, wie (unter
Voraussetzung von 9,1—10,16) „gerade durch Samuels Anregung das Volk auf den
Gedanken gekommen sei, ihren Heiland nun auch zum Könige zu machen" (J. WELL-
HAUSEN, Der Text der Bücher Samuclis [1871] S. 77), oder wie (bei Unabhängigkeit
von 9,1—10,16) „Saul von Samuel zum König berufen wurde" (WILDBERGER a.a.O.
S. 468), läßt sich aus keinem Bestandteil von 8; 10,17ff. rekonstruieren.
88
Bestritten von SOGGIN a.a.O. S. 406. Vgl. zum Problem vor allem CASPARI a.a.O.
S. 82.116 (zu 10,17).
90
Trotz des negativen Urteils von K. MÖHLENBRINK, ZAW 58 (1940/41) S. 66
Anm. 2.
91
BUBER, Königtum S. 142: „ein Zwitter von Sage und Märchen"; N O T H , Uber-
lieferungsgeschichtliche Studien S. 24 Anm. 5: „idyllische Volkserzählung"; G. H Ö L -
SCHER, Geschichtsschreibung in Israel (1952) S. 9 1 : „eine Dichtung im Stile des Glücks-
märchens"; WEISER a.a.O. S. 48: „mit Märchenmotiven durchwobene Sage".
G r o ß e u n d Kleine Richter 51
ker zeigen und die Akklamation des Volkes provozieren soll. Die Salbungsgesdiidite
zielt auf mehr als das ab. — Vgl. jetzt BEYERLIN a.a.O.
100
So WILDBERGER a.a.O. S. 463 ff.
101
So N O T H , Überlieferungsgeschichtliche Studien S. 56 Anm. 6; dagegen WEISER
a.a.O. S. 10 Anm. 1.
101
N O T H a.a.O.
10S
BUBER, In memoriam E. Lohmeyer (19511 S. 55 Anm. 8.
104
Es erinnert sehr an 1.Sam. 2,12 ff., ist aber blasser und motiviert das Folgende
nur ungenügend.
105
Öder residierte nur der eine in Beerseba, der andere in Bethel? So Jos. Ant. VI,
3,2 § 3 2 NIESE.
106
Mit N O T H a.a.O. Anm. 7.
107
Weniger allerdings durch die Parallele, die WEISER a.a.O. S. 29 Anm. 1 zu den
ganz andersartigen anekdotenhaften Angaben Ri. 10,3 f.; 12, 8 f. 13 f. zieht.
los H.W.HERTZBERG, Beiträge zur Traditionsgeschichte und Theologie des Alten
Testaments (1962) S. 121; G . V . R A D , Theologie I S.42; II S.21 Anm.6; M . N O T H , Ge-
sammelte Studien S. 327 Anm. 37; A. WEISER a.a.O. S. 10 f.
1M
Allerlei Vermutungen auf Grund junger Texte bei WEISER a.a.O. S. 11 ff. 83 ff.
Große und Kleine Richter 53
wenn man den Punkt, „an dem dann David eingreifen und der Lade
wieder die ihr gebührende Stelle anweisen kann" (2. Sam. 6), „historisch
sicher zutreffend" nennt 5 . Aber je mehr man von da aus zurückgeht,
um so weniger darf man mit Geschichte rechnen. So wenig man darum
aus 1. Sam. 4,3 ff. ein unbedingt hieb- und stichfestes Argument für den
Charakter der Lade als Kriegspalladium gewinnen kann, so wenig ist
darum aber auch der Umstand, daß die Lade nicht schon in der ersten
(4,1 f.), sondern erst in der zweiten Schlacht mitgeführt wird, und daß
die Philister sagen, dergleichen sei vorher nie geschehen (V. 7), ein zu-
reichender Anhaltspunkt für den „Eindruck, als ob die Lade zu jener
Zeit nicht als eigentliches Kriegspanier benutzt wurde" 6, — einen Ein-
druck, den man übrigens ebenso aus dem Nacheinander von Jos. 3 f.
und 6 gewinnen kann. Es wäre wohl zu viel verlangt, daß die Lade in
dem Sinne „eigentliches Kriegspanier" gewesen wäre, daß einerseits ihr
einziger Verwendungszweck der kriegerische und anderseits in jedem
Kriege sie das Panier gewesen wäre. Ein starres Dogma dieser Art hätte
an der Wirklichkeit scheitern müssen. Wie sollte sie in jedem Kriege
gleich zur Hand sein7? Und wenn sie im Kriege die Gegenwart Jahwes
verkörperte, dann tat sie es natürlich auch im Frieden und hatte hier
kaum geringere Dignität. Wenn aber der Krieg das Gebiet war, auf dem
die Wirksamkeit des Gottes am sichtbarsten und eigentümlichsten war 8 ,
dann ist man gewiß berechtigt, die Lade nach ihrer wichtigsten Funktion
ein Kriegspalladium zu nennen. Für diese Funktion sind freilich, das
dürfte nach dem Bisherigen deutlich sein, die beiden angeführten Text-
zusammenhänge noch kein hinreichender Beleg; vor allem Jos. 6 nicht
oder doch nur in dem Sinne, daß man in späterer Zeit der Lade der-
artige Verwendungs- und Wirkungsweisen zuschrieb, in richtiger Erin-
nerung zwar nicht an die Eroberung von Jericho, aber doch vielleicht
an andere Ereignisse. Für 1. Sam. 4-6 gilt dies letzte natürlich mutatis
mutandis auch, darüber hinaus steht hier ein individuelles Ereignis im
Hintergrund, wenn auch mehr nur ungefähr dem Daß als dem Wie nach
faßbar.
Mehr Quellenwert, weil höheres Alter haben die sog. Ladesprüche
Num. 10,35 f. Ihre Interpretation ist umstritten. Die Zweifel daran, daß
die Sprüche überhaupt von Hause aus mit der Lade zusammengehören 8 ,
5
So HERTZBERG, Die Samuelbücher (1956) S. 45.
6
DIBELIUS a.a.O. S. 15; vgl. auch H. GRESSMANN, Mose und seine Zeit (FRLANT
N F 1 [1913]) S. 353; R. HARTMANN, ZAW 37 (1917/18) S. 228.
7
Man braucht darum ihre Mitwirkung auch dort, wo sie nicht genannt ist, also
etwa in der Deboraschlacht, nicht zu postulieren; gegen O. EISSFELDT, ZAW 58
(1940/41) S. 191 Anm. 2. 199; M. BUBER, Königtum S. 134. Eine ständige Beteiligung
der Lade am Kriege Jahwes ist ja auch beim partikularen Charakter desselben (s. o. I)
überhaupt nicht zu erwarten. Zur Problematik vgl. noch v. RAD, Der Heilige Krieg
S. 28 Anm. 45.
8
S.o.S.31f. » L. ROST, ThLZ 85 (1960) Sp. 724.
58 Lade u n d Zentralheiligtum
sind wohl übertrieben, lassen sich aber nicht völlig zwingend zerstreuen.
Mit irgendwelchen Rahmenworten werden die Sprüche immer, wenig-
stens seit dem Verlust ihres ursprünglichen Sitzes im Leben, überliefert
worden sein. Wenn, dann sind dabei eher der Name des Mose und die
Wanderungssituation als die Lade spätere Eintragung. Mit Mose wurde
später alles nur Mögliche in Verbindung gebracht, eine sekundäre Bezie-
hung auf die Lade wäre schon ungewöhnlicher. Über jeden Zweifel
erhaben ist, daß ihre Situation die des Jahwekrieges ist: „Steh auf,
Jahwe, daß zerstieben deine Feinde und die dich hassen fliehen vor
deinem Angesicht — Kehre zurück 10 , Jahwe, zu (?) den Mengen " der
Tausende Israels". Durch die Kriegssituation ist die der Wanderung
nicht von vornherein ausgeschlossen, wenn man an Wanderung im
feindlichen Lande denkt. Der Text ohne den Rahmen legt das freilich
nicht nahe, und durch die Nennung von Israel am Ende wird es vollends
fraglich. Denn dieser Name scheint erst die Gemeinschaft der Stämme
nach der Landnahme zu bezeichnen. Die Sprüche gehörten dann in die
Richterzeit und wären in ihr und etwa auch noch in der ältesten Königs-
zeit 12 vor und nach der Schlacht ausgerufen worden. Das niedrige über-
lieferungsgeschichtliche Alter von N u m . 10,29-36" läßt es als gut mög-
lich erscheinen, daß sie ihre ursprüngliche Rolle noch ziemlich lange
gespielt haben, bevor sie in der Pentateucherzählung archaisiert wurden.
Ähnlich wertvoll wäre für unseren Zusammenhang der Spruch vom
ewigen Krieg zwischen Jahwe und Amalek Ex. 17,16, wenn das rTOD des
masoretischen Textes die richtige Lesart und wie TT KDD zu verstehen wäre
und man dies als Bezeichnung der Lade deuten dürfte, unter Berufung
auf Jer. 3,16 f.14. Das sind etwas viele Bedingungen. Aus Jer. 3,16 f. geht
zwar hervor, daß man die Lade Thron Jahwes (mrPNDS) genannt hat 15 ,
aber die Stelle ist jung, nachjeremianisch '•, und von ihr wird sich die
Brücke in die alte Zeit nur schwer schlagen lassen. Eher als für die aus-
drückliche Bezeichnung „Thron Jahwes" schon für die Vorstellung, aber
auch deren Alter ist unbestimmt und reicht vielleicht nicht vor Salomo
10
Durch die übliche Konjektur rDIP statt T\3W ist nicht viel gewonnen, auch nicht
in Verbindung mit der Thronvorstellung. Daß Jahwe sich beim Aufbruch vom Thron
erhebe und beim Haltmachen wieder auf ihm niederlasse (v. RAD, Theologie I S. 236;
Gesammelte Studien S. 116), ist nur eine der Vorstellungen, die man erwarten könnte,
und nicht die wahrscheinlichste. Vgl. K. BUDDE, ZAW 21 (1909) S. 195; ThSTKr 79
(1906) S. 495; M. BUBER, Moses ! (1952) S. 187 mit Anm. 4. — 3 W ist geläufig für
Rückkehr aus dem Krieg.
" Oder „Lagern" (niS73"l oder niJ73"13)? So GUNKEL bei DIBELIUS a.a.O. S. 10.
15
Das Wort Israel könnte sogar für eine Entstehung erst in dieser Zeit sprechen,
in der der Krieg Jahwes von ganz Israel geführt wurde.
" M. N O T H , Überlieferungsgeschichte S. 223 f.
14
Vgl. O. EISSFELDT, Einleitung in das Alte Testament 2 (1956) S. 77 Anm. 2.
15
Man könnte das tertium comparationis zwischen der Lade (V. 16) und Jerusa-
lem (V. 17) auch allgemeiner fassen, aber das obige Verständnis liegt doch am nächsten.
16
Vgl. RUDOLPH Z. St.
Lade und Zcntralheiligtum 59
den Jahwe Zebaoth gelten. Aber die Unterschiedenheit von Lade und
Kerubenthron ist doch auch in späterer Zeit noch so deutlich 28 , daß man
berechtigt ist, Jahwe Zebaoth als das Prädikat des älteren Symbols und
dann auch selbst als älter und also jedenfalls der silonischen Zeit zugehö-
rig gesondert zu nehmen 26 . Was nun seinen kriegerischen Charakter an-
geht, so müssen wir auf das, was man gern als Hauptgrund für ihn an-
führt 27 , nämlich die Verbindung mit der als kriegerisch vorausgesetzten
Lade, hier verzichten; denn es geht uns ja gerade um die Richtigkeit
jener Voraussetzung. So kommt es auf das Wort selbst an 28 . Es läßt als
solches die fragliche Möglichkeit in jedem Falle offen, und zwar nicht
nur, wie man anzunehmen pflegt, wenn die niN32J eine irdische, sondern
auch dann, wenn sie eine himmlische Größe sind. Das Eingreifen himm-
lischer Mächte ist für den Krieg Jahwes in Ri. 5,20 geradezu entschei-
dend 2 '. Der nVP~R3X"TO von Jos. 5,13 ff. macht mit seinem gezückten
Schwert einen durchaus kriegerischen Eindruck, und wäre nicht hier wie
auch sonst beim himmlischen Heer der wunde Punkt des Singulars X3S
statt des Plurals mN3S, dann ließe sich30 die offenbar altertümliche Stelle
schon als ausschlaggebend uetrachten. Aber der Plural scheint doch
immer noch eher auf die irdischen Heerscharen Israels hinzuweisen,
wenn auch die schlagendsten Belege dafür 31 jung sind. Auf eine Ent-
scheidung für die eine oder die andere Seite der Alternative 32 oder eine
Entwicklung von hier nach dort 3 3 oder schließlich eine Kombination des
irdischen und des himmlischen Elements 3 ' 1 , eine Entscheidung, wie sie
unser Material nicht zu erlauben scheint, kommt es aber hier auch gar
nicht an. Die rationale Erklärbarkeit, am Anfang natürlich vorauszu-
setzen, mag das Wort nicht immer mehr gehabt haben 35 , so sehr man es
dann gelegentlich wieder rational erklären mochte. Solche späteren
Erklärungen besagen dann über die alte Wortbedeutung nichts Zwin-
gendes. Über diese läßt uns auch der — neben den genannten Lade-
Stellen — vermutlich älteste Beleg, Ps. 24,8.10, im Dunkeln; über den
Sinn des Titels sagt er aber gewiß das Ursprünglichste, wenn er niN3X flirr
in Parallele setzt mit 11311 TITS flirr und nonV» "1131 flirr.
Ps. 24 gehört frühestens der Zeit Davids an, und diese Zeit ist es auch,
in der die, durch die Mehrzahl der angeführten Zeugnisse für die vor-
staatliche Zeit doch wohl schon hinreichend bezeugte, Verbindung von
Krieg und Lade in das helle Licht der Geschichte tritt — freilich alsbald
auch wieder heraus. Leider hält die Überlieferung den Tatbestand nicht
um seiner selbst willen und darum in der Ausführlichkeit und Vollstän-
digkeit fest, in der man ihn gern beschrieben sähe. In 2. Sam. 11,11 ist
mehr nur nebenbei (darum aber auch um so unverdächtiger) davon die
Rede, daß im Kriege gegen die Ammoniter die Lade mit dem Heerbann
von Israel und Juda im Lager ist 36 . Daß ihre Mitführung der Gewohn-
heit entsprach, ergibt sich aus 2. Sam. 15,24, wo Zadok und Ebjathar 37
sie beim Ausmarsch aus Jerusalem „hinstellen" 37 , offenbar um dann mit
ihr dem Zuge zu folgen. Nach V. 25 f. läßt David sie aber in die Stadt
zurückbringen, nach der neuesten Auslegung 38 einerseits, weil er — wie
es ja auch im Text steht — „die Entscheidung der Gnade Gottes in einer
Weise, wie der Mensch des Morgenlandes es auch heute empfinden und
ausdrücken würde", überläßt, anderseits, weil er „hier eine Möglichkeit,
über die Vorgänge in der Stadt unterrichtet zu werden", sieht. Beides
ist glaublich, beides aber auch etwas blaß als Erklärung dafür, daß David
hier im Gegensatz zu sonst auf das Mitziehen des Unterpfandes der
göttlichen Gegenwart in den Krieg verzichtet. Der Entschluß muß für
David zwingendere Notwendigkeit gewesen sein. Offenbar war die
Lade für das, was bevorstand, nicht geeignet; ihre Mitführung wäre ein
Mißbrauch gewesen. In 2. Sam. 11,11 hieß es: „Die Lade und Israel und
Juda wohnen in Hütten, aber mein Herr Joab und die Sklaven meines
Herrn lagern auf offenem Felde." Die Lade gehört also mit dem Heer-
33
So z.B. H . FREDRIKSSON, Jahwe als Krieger (1945) S. 50ff.; B. N . WAMBACQ,
L'epithete divine Jahv£ S'baot (1947).
34
So etwa EICHRODT a.a.O.; BUBER a.a.O. S. 66 mit Anm. 12.
ss
v. RAD, Theologie I S. 28.
M
Womöglich ist außerdem in 2.Sam. 10,12 p H für 'IS? zu lesen (so A. KLOSTER-
MANN z. St.; O. EISSFELDT, Einleitung in das Alte Testament '[1956] S. 77).
37 38
So nach verbessertem Text. HERTZBERG Z. St.
62 Lade und Zcntralhciligtum
nämlich nur an den Menschen, nicht aber an der übrigen Beute46; doch
von dieser Beute schickt er Anteile an die Ältesten der Städte von Juda
mit dem ausdrücklichen Bemerken, es handle sich um „ein Geschenk aus
der Beute der Feinde Jahwes" (1. Sam. 30,26). Die Motivierung für die-
sen Akt, bei dem politische Berechnung zweifellos mindestens mitbe-
stimmend ist, nimmt er also aus der Ideologie des Jahwekrieges: der
Besitz der Beute von den Feinden Jahwes, so will er offenbar sagen, steht
nicht allein ihrem diesmaligen Bezwinger, sondern denen zu, die der
Schluß des Deboraliedes (Ri.5,31) den nwa-N als ran« gegenüberstellt.
Er, David, hat stellvertretend für sie die Amalekiter besiegt, an der
Beute sollen sie, soweit sie erreichbar sind, alle Anteil haben. Dieses
Verhalten Davids zu Lebzeiten des Saul, des von Jahwe bestellten
Führers des Heerbannes von ganz Israel, ist sehr auffällig. Vielleicht in
Anknüpfung an den alten, faktisch partikularen Charakter des Jahwe-
krieges, bewegt David sich nach vorn in der Richtung, Anwalt dieser
Tradition zu sein, bis er dereinst die Kriege Jahwes selbst als König
führen wird (vgl. außer der Ammoniterperikope 2. Sam. 5,17ff.; 8; am
stärksten die Formulierung 5,24). Hierher gehört auch sein Verhalten
gegen das Priestergeschlecht der Eliden. Dieses war nicht nur der Lade,
sondern auch des Heiligtums in Silo verlustig gegangen47. Seine Rolle
im Kriege Jahwes hatte es aber behalten, wie wir aus 1. Sam. 14 sehen,
wo Ahia ben Ahitub ben Pinehas ben Eli, Träger des Ephods (V. 3), bei
Sauls Kampf mit den Philistern dabei ist und offenbar ein Orakel ein-
holen soll und dann wieder nicht (V. 18 f.)48. David scheint die Eliden in
Nob öfters zu Orakelzwecken aufgesucht zu haben (1. Sam. 22,15). Der
Besuch in der Not, bei dem der Priester Ahimelech dem David auch
materielle Unterstützung gewährt und der also eine über das gewöhn-
liche Maß hinausgehende enge Verbindung erkennen läßt (1. Sam.
21,2 ff.), wird dem Geschlecht zum Verhängnis: Saul erfährt davon und
rottet die Priester und die ganze Stadt Nob aus (22,6-19). Indem David
den einzigen Überlebenden, Ebjathar, zu sich nimmt (22, 20-23), bindet
er die ebenso ehrwürdige wie wichtige Tradition des Geschlechtes an
sich. Ebjathar versieht bei ihm dann ähnliche Funktionen wie Ahia bei
Texten Jos. 24; Dt. 11,29f.; 27 ist von ihr nicht die Rede ,1 ) und der
Schluß ist kaum zu umgehen, daß in Jos. 8,30 ff. „die Lade nur wegen
ihrer Rolle in Jos. 3.4.6 aufgenommen worden ist" a2 . Man kann sie also
nicht m von hier aus in die genannten und noch andere Texte und Vor-
gänge hineininterpretieren. Daß die Zuweisung der Lade an Sichern
„durch unsere Überlieferung nicht nur nicht nahegelegt, sondern gera-
dezu ausgeschlossen" werde 64 , scheint mir wieder zuviel in der umge-
kehrten Richtung gesagt — es sei denn, man hätte zu unserer Über-
lieferung das Zutrauen, daß in ihr die Verhältnisse der ersten Zeit nach
der Landnahme einigermaßen zureichend fixiert wären und daß zumal
das Itinerar des ursprünglichen Buches Josua den Weg derjenigen Israe-
liten exakt festhielte, die die Lade aus der Wüste mit sich führten.
Unmöglich macht das Schweigen der älteren Quellen die Lade in Sichern
darum nicht, aber doch unwahrscheinlich und jedenfalls als Argument
für die Identität von Zentralheiligtum und Lade unbrauchbar.
Wenn man den genannten, dem deuteronomistischen Geschichtswerk
sekundär eingefügten Stellen, wie mir scheint mit Recht, entnimmt, daß
der Bund der Stämme in Sichern begründet wurde, und wenn man in
ihnen außerdem eine noch lange danach „regelmäßig vorgenommene
Begehung" sich spiegeln sieht, „die vor dem heiligen Stein im Terebin-
thenheiligtum von Sichern stattfand und zu der offenbar ein öffentliches
Bekenntnis zu Jahwe, ein Bundesschlußakt und eine Verkündigung von
Rechtssätzen gehörte" 6 5 , dann erschwert das die Hypothese einer Weg-
verlegung des Zentralheiligtums von Sichern in vorstaatlicher Zeit.
Denn wenn irgend etwas, dann scheint jene Begehung für Bestehen und
Leben des Stämmeverbandes konstitutiv gewesen zu sein. Bei einer
Verlegung des Zentralheiligtums hätte sie eigentlich mitgehen müssen.
Die Zähigkeit, mit der sich „kultische Begehungen nicht nur in ihrem
Vollzug, sondern auch in der lokalen Bindung an eine bestimmte Stätte,
die sie einmal gehabt haben, mit großer Zähigkeit zu erhalten pflegen"
und auch hier anscheinend erhalten haben", entschädigt nicht recht
dafür, daß die Amphiktyonie bei Aufgabe des Zentrums Sichern eine
ihrer wesentlichsten, wenn nicht die wesentlichste Lebensfunktion ein-
" H . EWALD sieht in den Worten „vor Gott" Jos. 24,1 einen Hinweis auf die An-
wesenheit der Lade (Geschichte des Volkes Israel I I s [1865] S. 584 Anm. 1). Die Wen-
dung läßt sich aber an vielen Stellen in ganz entsprechendem Gebrauch belegen, wo an
die Lade nicht gedacht werden kann.
62
M. N O T H , Geschichte S. 90 Anm. 2. Der Hinweis darauf, daß ein kultischer Akt
außerhalb von Jerusalem der deuteronomistischen Ideologie widerspreche (etwa K.-H.
BERNHARDT a.a.O. S. 137; I. A. SOGGIN, ZAW 73 [1961] S. 84), fruch-
tet dagegen nichts, ganz abgesehen davon, daß die Deuteronomisten in vorsalomoni-
scher Zeit Kult an vielen Stellen respektieren und ihre Kritik erst bei Salomo beginnt.
• Mit 3ERNHARDT a.a.O. S. 123 f.
M
O. EISSFELDT, ZAW 58 (1940/41) S. 193 Anm. 3.
" N O T H , Geschichte S. 89. " N O T H a.a.O. S. 90.
Lade und Zentralhciligtum 67
gebüßt hätte. Möglich bleibt es immerhin, und wenn man auch mit
einem auswärtigen Fortleben des alten sichemitischen Aktes bei dessen
offenkundiger weiterer Bindung an seinen ursprünglichen O r t vielleicht
weniger fest rechnen sollte, als es heute oft geschieht, so ist doch ein-
oder mehrmalige Verlegung des Zentrums der Amphiktyonie' 7 nicht
ganz auszuschließen. Uns beschäftigt diese Möglichkeit hier nur inso-
weit, als die Lade dabei eine Rolle spielt.
H.-J. KRAUS hat Gilgal gleichzeitig als Ort des zentralen Heiligtums
und der Lade postuliert 88 . Für eine Verlegung der sichemitischen Riten
dorthin spricht nach seiner Vermutung das VlVin Via in Dt. 11,30, das die
Riten von Ebal und Garizim (V.29) nach Gilgal versetze 69 . Das ist
bestechend; die Ausdrucksweise bleibt aber ungewöhnlich und gezwun-
gen und die Vermutung daher, zumal angesichts des niedrigen Alters
des Textes, unbeweisbar. Die zwölf Steine in Gilgal (Jos. 4,20) werden
tatsächlich die zwölf Stämme symbolisiert haben. Möglicherweise sind
sie auch ein Anhaltspunkt für gesamtisraelitische Bedeutung des Ortes
in der letzten vorstaatlichen Zeit (vgl. 1. Sam. 11,15; 2. Sam. 19,41 ff.)70.
Daß zu den Voraussetzungen der ätiologischen Geschichte Jos. 3.4 die
Lade gehört 71 , trifft zwar zu. Aber in welchem Sinne? Doch nicht in
dem, daß die Lade dort lange gestanden hätte, sondern so, daß sie (nach
Meinung des Erzählers) bei der Landnahme mitgeführt wurde und so
auch hier anwesend war. Ein langer Aufenthalt der Lade in Gilgal in
späterer Zeit, nämlich nach der postulierten Aufgabe des Zentralheilig-
tums in Sichern und kurz vor der Staatenbildung, läßt sich mit diesem
Text nicht begründen. Ebensowenig dann auch mit Ri. 2,1, wo man
hinter dem Engel die Lade vermutet hat 7 2 .
In eigentümlicher und engerer Beziehung als Gilgal steht Bethel zu
den sichemitischen Riten, wenn, wie es A. A L T 7 S wahrscheinlich gemacht
hat, die Erzählung Gen. 35,1 ff. eine regelmäßig begangene Wallfahrt
widerspiegelt oder auch ätiologisch begründen soll, an deren Anfang in
47
Oder eine Dezentralisierung in dem Sinne, daß es nicht ein amphiktyonisdies
Heiligtum gegeben hat, sondern mehrere zugleich? Die griechischen Parallelen, die
H . WILDBERGER, Jahwes Eigentumsvolk (AThANT 37 [i960]) S. 67 für diese Mög-
lidikeit beibringt, sind dafür allerdings nur eine geringe Stütze. Denn dort handelt
es sidi jeweils um die Heiligtümer verschiedener innerhalb einer und derselben
Amphiktyonie verehrter Gottheiten. Zu diesem Polytheismus bildet denn doch wohl
z. B. das Nebeneinander des TVIK33 DliT und des 7 N " W Tl^N m!T auch nicht an-
nähernd ein Gegenstück.
08
VT 1 (1951) S. 181 ff.
•• A.a.O. S. 193 f. Für Beziehungen zwischen Sichern und Gilgal sprechen in
größerem Maßstabe überlieferungsgeschichtliche Gründe, vgl. ebenda S. 186 ff.
70
Dazu A. A L T , Kleine Schriften I S. 184. Konstruktionen ganz anderer Art bei
K. MÖHLENBRINK, ZAW 58 (1940/41) S. 57 ff.
71
M. N O T H , Josua »(1953) S. 33.
72
R. SMEND, Die Erzählung des Hexateuch (1912) S. 274; O. EISSFELDT a.a.O.
S. 191 Anm.2. 194; K.GALLING, ZDPV 75 (1959) S. 13 mit Anm.35.
78
Kleine Schriften I S. 79 ff.
68 Lade u n d Zentralheiligtum
stand (Jos. 18,1, vgl. I Sam. 4), nach Bethel hinüber, um sie zu recht-
fertigen. Ganz ähnlich verfährt der Chronist II 1,3-6 m i t l Reg. 3,4. Der
rechtmäßige Priester wurde nach ungefährer Berechnung der Zeit hin-
zugefügt". Nach EISSFELDT 84 kann die Angabe „der Sache nach unmög-
lich eine Erfindung darstellen, weil schwer zu erklären wäre, wie gegen
die Wirklichkeit später die Lade mit dem als Stätte eines widergöttlichen
Kultes überaus verhaßten Bethel in Verbindung gebracht werden
sollte". Aber wenn der Mantel fällt, muß der Herzog nach: war Bethel
einmal in der Geschichte, war dem Glossator die vorübergehende Pla-
cierung der Lade dort offenbar das geringere Übel gegenüber einem
illegitimen Kultus Gesamtisraels. Daß Bethel selbst hineinkam, erklärt
sich wiederum am besten aus seiner Rolle als Reichsheiligtum seit Jero-
beam 85 . Eine beiläufige Berufung auf den ehemaligen Charakter Bethels
als Sitz des amphiktyonischen Zentralheiligtums und der Lade 8 * steht
oder aber fällt mit der Wahrscheinlichkeit, die man diesem Charakter
nach allem Gesagten noch beimessen will.
Das Bisherige begünstigt auch nicht die scharfsinnige und anregende
Hypothese von J. A. SOGGIN 8 7 , auf der Wallfahrt von Sichern nach
Bethel sei die Lade mitgeführt worden, woraus sich der „Gottes-
schrecken" erkläre, der nach Gen. 35,5 auf die umliegenden Städte fällt.
Daß der Gottesschrecken „nur an der Lade haftet" 88 , kann man doch
nicht behaupten; der Ausdruck DTrVxnnn, ja überhaupt das Nomen nnn
begegnet nur an unserer Stelle, die verwandten Nomina DTinnri und rvnn
nur in völlig andersartigen Zusammenhängen, das Verbum nnn nirgends
wo von der Lade die Rede ist. Die Sache, also die Verwirrung der Feinde
durch Jahwe, so daß sie machtlos sind, kommt sehr oft ohne die Lade
vor 89 ; die Stellen, wo die Lade verursachend mitwirkt 9 0 , sind nicht die
charakteristischsten. Sachlich weist der Vers darum m. E. doch eher auf
Kapitel 34 zurück als auf den in sich durchaus friedlichen Vorgang
35,2-4; als Verklammerung beider Stücke 91 ist er besonders gut gerade
auch dann verständlich, wenn die Septuagintalesart recht hat, mit der
SOGGIN 92 ihn als den ursprünglichen Abschluß von 35,2-4 erweisen will.
Auch damit läßt sich also die Lade nicht für Sichern und Bethel in An-
spruch nehmen.
84
ZAW 58 (1940/41) S. 198.
85
So mit Recht H. STRAUSS a.a.O. S. 109; vgl. auch K. GALLING, ZDPV 67 (1943)
S. 31.
86
STRAUSS a.a.O. Anm. 360.
87
ZAW 73 (1961) S. 78 ff. Vgl. vorher schon C. A. KELLER, ZAW 67 (1955) S. 150.
88
SOGGIN a.a.O. S. 80.
88
Vgl. v. RAD Z. St. und Der Heilige Krieg S. 12.
80
SOGGIN a.a.O.
8t
So v. RAD Z. St. •» A.a.O. S. 79 f.
70 Lade und Zentralheiligtum
Sicher hat sie dagegen in Silo gestanden". War Silo auch Zentral-
heiligtum? A L B R I G H T " hält es sogar für das einzige. Aber zumindest am
Vorgang von Sichern ist doch festzuhalten 95 . Gesamtisraelitische Bedeu-
tung Silos behaupten Stellen wie Jos. 18,1; 21,2; Ri. 21,12.19; 1. Sam.
1,3.7; 2 , 2 2 " — alle nicht besonders alt, so daß auf sie kein Verlaß ist,
zumal wenn man über den allgemeinen Eindruck hinaus danach fragt,
ob Silo nicht nur gesamtisraelitische Bedeutung, sondern auch präzise
den amphiktyonischen Rang besaß. Für das letztere wüßte ich keinen
Beweis". Möglich ist es aber ohne weiteres und angesichts der in die
spätere Richterzeit fallenden Politisierung der Amphiktyonie und ande-
rerseits der Ausweitung des Jahwekrieges ins Nationale auch nicht
unwahrscheinlich, gleichgültig ob die sichemitischen Riten daneben ihre
Funktion in der alten Weise behielten oder nicht. Für die Verlegung
könnte der Umstand, daß sich in Silo die Lade befand, durchaus mit-
bestimmend gewesen sein98. Man darf den wahrscheinlichen Sachverhalt
vielleicht mit FRIEDRICH HORSTS Kritik an N O T H S „System der zwölf
Stämme Israels" 99 dahin formulieren, „daß die Lade als Sonderheiligtum
des ,Hauses Josef der Tempelneugründung von Silo von Anfang an zu-
gehörte, daß mit der Zeit Sikem von Silo so sehr zurückgedrängt wurde,
daß der Siloer Kult die Rangstellung des Amphiktyonenkultes überkam
und dann damit die Lade in den Amphiktyonenbesitz überging".
Beweisbar ist nicht einmal das. Um so weniger hat man für die frühere
Zeit in der Lade das amphiktyonische Zentralheiligtum zu sehen. Das
Ergebnis dieses Kapitels widerlegt die Trennung von Jahwekrieg und
Stämmebund also nicht.
91
Dafür, daß sie dort immer war, zuletzt E. NIELSEN, Shechem *(1959) S. 36 Anm. 1.
94
W. F. ALBRIGHT, Die Religion Israels im Lichte der archäologischen Ausgrabun-
gen (1956) S. 118 ff.; vgl. auch Von der Steinzeit zum Christentum (1949) S. 280 f.
Danach z. B. G. E. WRIGHT, Biblische Archäologie (1958) S. 81 f.
85
Daß Silo Sichern abgelöst hat, ist wiederholt von E. SELLIN (zuletzt: Geschichte
des israelitisch-jüdischen Volkes I 2 [1935] S. 138) vertreten worden, unter Hinweis auf
eine samaritanische Tradition, nach der Eli mit der Lade aus Sichern nach Silo flüchtete.
** Ob man als altes Zeugnis Gen. 49,10 hinzunehmen darf? Vgl. dazu zuletzt G. v.
RAD, Theologie II S. 26 f.
97
Daß Samuels Richtertätigkeit sich an verschiedenen Orten abspielte, führt A. W E I -
SER, Samuel (FRLANT 81 [1962] S. 11 auf die vorangegangene Zerstörung des Zentral-
heiligtums Silo zurück. Wir wissen aber nicht, ob Samuel sonst in Silo gewirkt hätte
(seine Kindheitsgeschichte l.Sam. 1 ff. ist dafür kein brauchbares Zeugnis), und selbst
das wäre noch kein Beweis; denn dort, wo wir Wirkungsstätten von Richtern kennen,
handelte es sich nicht um das Zentralheiligtum (s. o. S. 44, 65 Anm. 58).
98
Von der Annahme ausgehend, die Zwölfzahl der Stämme habe der turnusmäßigen
Pflege des Zentralheiligtums gedient, fragt M. N O T H , ob es sich bei dem festen Prie-
stertum in Silo nicht „um eine spätere Neuerung" handelt (Festschrift A. BERTHOLET
[1950] S. 414). Als Argument gegen den amphiktyonischen Charakter von Silo reicht
das aber nicht aus.
99
Theologische Blätter 12 (1933) Sp. 106f.
V. R A H E L S T Ä M M E U N D L E A S T A M M E
Die Lade befand sich in Silo im Gebiet von Ephraim bzw. Joseph. Es
ist daher gewiß richtig, sie als ein zunächst speziell diesem Stammes-
bereich zugehöriges Heiligtum zu betrachten 1 . Daß sie benjaminitisch
gewesen wäre, wie man aus verschiedenen Gründen vermutet hat 2 ,
besitzt demgegenüber eine geringere Wahrscheinlichkeit. Es läßt sich
kaum ausmachen, ob die Lade in der Landnahmetradition von Jos. 2 ff.
schon vorkam, als diese noch partikular-benjaminitisch war. Wenn ja,
wäre natürlich ein Indiz für eine von Benjamin mindestens für die Ver-
gangenheit beanspruchte Beziehung zur Lade gegeben. Man dürfte aber
auch dann Joseph und Benjamin nicht als Alternative nehmen; denn
die Lade in Silo muß in jedem Fall in Rechnung gestellt werden und die
Alternative kann also auch dann nur heißen: Joseph oder Joseph und
Benjamin. Daß eine sichere Entscheidung, trotz eines gewissen Über-
gewichts der ersten der beiden Möglichkeiten, nicht getroffen werden kann,
ist kein großer Schaden. Irgendeine Art engerer Zusammengehörigkeit
Josephs und Benjamins innerhalb ganz Israels ist ja jedenfalls schon da-
durch angedeutet, daß Joseph und Benjamin als die Söhne der Rahel
gelten. Man wird ihnen von da aus die eine oder andere Gemeinsamkeit
schon zutrauen dürfen und nicht jeden Besitz des einen unbedingt allzu
exklusiv im Verhältnis zum anderen verstehen müssen. Dem sei nun im
1
Vgl. etwa B. STADE, Geschichte des Volkes Israel I (1887) S. 458; M. DIBELIUS,
Die Lade Jahwes (FRLANT 7 [1906]) S. 119 f.; M. N O T H , System S. 96; O. EISSFELDT,
ZAW 58 (1940/41) S. 199. Daß die Lade „das" Stammesheiligtum Ephraims oder auch
Josephs gewesen wäre, ist damit nicht gesagt. Wir wissen nicht, ob es dergleichen über-
haupt gegeben haben muß, und in unserem Falle spricht der Umstand, daß Ephraim
oder Joseph nach dem Verlust der Lade in der Philisterschlacht offenbar keinen Ver-
such zu ihrer Rückgewinnung unternimmt, dagegen. Für eine von vornherein gesamt-
israelitisdie Bedeutung besagt das aber nichts (gegen L.COUARD, ZAW 12 [1892] S. 79 f.).
— Übrigens ist die Verbindung des Josephiten Josua mit der Lade, wie sie uns in
Jos. 2 ff. entgegentritt, angesichts der verwickelten Frage der Ursprünglichkeit der Per-
son des Josua im dortigen (zunächst benjaminitischen) Zusammenhang, kein brauch-
bares Argument für die angegebene These, obwohl diese zunächst damit begründet
worden ist, vgl. J. WELLHAUSEN Prolegomena S. 46 Anm. 1.
* E. SELLIN, Alttestamentliche Studien R. Kittel zum 60. Geburtstag (BWAT 13
[1913]) S. 184ff. jedenfalls für das Zelt, auf Grund einer unsicheren Interpretation
von Dt. 33,12; diese Interpretation ausschließlich auf die Lade beziehend und die
Identität von Silo und chirbet selün bezweifelnd R. HARTMANN, ZAW 37 (1917/18)
S 215.237; besonders die Rolle der Lade in Jos. 2—9 hinzunehmend und auf seine
Weise deutend E. NIELSEN, VT Suppl. VII (1960) S. 61 ff.
72 Rahelstämme u n d Leastämme
Falle der Lade, wie ihm wolle, ihre Bindung an Joseph oder die Rahel-
stämme bringt uns auf die Frage, ob dieser Bindung auch ein besonderes
Verhältnis dieser Stämmegruppe zum Kriege Jahwes entspricht. Man
wird die Möglichkeit nicht von vornherein von der Hand weisen dürfen,
zumal nach dem, was oben über den ursprünglich partikularen Charak-
ter des Krieges Jahwes gesagt wurde, und man wird den Besitz der Lade
gleich als ein erstes positives Indiz werten dürfen.
Josephit ist als Angehöriger von Manasse der charismatische Führer
Gideon. Sicher scheint, daß er bei seinem Kampf auch Ephraim aufbot,
während es sich für andere Stämme nicht wahrscheinlich machen läßt 3 .
Die Ephraimiten erscheinen hier (Ri. 8,1-3) zudem in der Rolle der
rabiatesten Krieger, die beleidigt sind, daß man sie nicht gleich zu An-
fang beteiligt hat.
Ganz ähnlich treten sie ja auch im Anschluß an Jephthahs Sieg über
die Ammoniter auf (Ri. 12,1-6). Gleichgültig wie beide Stellen sich zu-
einander verhalten 4 , schon die Doppelung deutet darauf hin, daß die
Ephraimiten sich als festen Bestandteil im Kontingent solcher Kriege
empfanden, mindestens daß ihnen das nachgesagt wurde. Und wenn
angesichts des Sieges des Jephthah und seiner Gileaditen aus ephraimiti-
schem Munde das Wort kommt, die Gileaditen seien „Entronnene aus
Ephraim" und Gilead liege „inmitten von Ephraim und inmitten von
Manasse" (Ri. 12,4), dann liegt darin in diesem Zusammenhange auch
der Anspruch auf die Kompetenz zur Führung des Jahwekrieges. Dabei
ist Jephthah ohnehin im weiteren Sinne Ephraimit 5 , so daß wir sein
charismatisches Führertum durchaus als in der josephitischen Tradition
stehend betrachten dürfen.
Ephraimiten scheinen beim Kampfe des Benjaminiten Ehud gegen die
Moabiter zur Hilfe gekommen zu sein; jedenfalls liegt es am nächsten,
in Ri. 3,27 den Ausdruck „Gebirge Ephraim", der ja notfalls auch benja-
minitisches Territorium allein bedeuten könnte, so zu verstehen 6 .
Ähnlich steht es — damit greifen wir über die eigentliche Richterzeit
schon hinaus — in Sauls erster Philisterschlacht nach l.Sam. 14,23 LXX 7 .
In den beiden zuletzt genannten Fällen hat Benjamin die Initiative.
Von der Kraft, mit der in diesem Stamme der Gedanke des Jahwe-
krieges 8 noch lange lebte, vermitteln die Landnahmeerzählungen von
Jos. 2 ff.9 ein ebenso starkes Bild wie das charismatische Führertum
Sauls.
3
S.o.S. 14 f. * S.o.S.15 Anm.22.
5
Vgl. dazu auch M. N O T H , ZDPV 75 (1959) S. 61 Anm. 113
8 7
Vgl. o. S. 15. S.o.S. 18.
8
Er ist ja nicht mit der Historizität der Erzählungen identisch.
• In Jos. 10 handelt es sich dann wohl wieder um Ephraim; vgl. A. ALT, Kleine
Schriften I S. 134 Anm. 3. 187 f. Beteiligung Benjamins erwägt ALT ebenda S. 188.
Rahelstämme und Leastämmc 73
Man darf hier gewiß auch auf die weitere Geschichte des nordisraeli-
tischen Königtums hinweisen, in dem das charismatische Führertum nie
ganz erloschen ist 10 . Der erste König, Jerobeam, war Ephraimit (1. Kön.
11,26), und ihn berief der Prophet Ahia von Silo (V. 29).
Es könnte nun scheinen, als falle der klassische Krieg Jahwes in der
klassischen Zeit aus der Reihe. In der Deboraschlacht tragen, wie aus
ihrer alleinigen Erwähnung in Ri. 4,6.10 und ihrer doppelten Nennung
im Deboraliede (5,14.15 txt. em, 18) hervorzugehen scheint, Sebulon
und Naphthali die Hauptlast des Kampfes. Die führenden Persönlich-
keiten stammen aus Naphthali (4,6) und Issachar (5,15). Dagegen sind
die Rahelstämme im Prosabericht überhaupt nicht, im Liede, anders als
die hauptsächlich betroffenen und wohl auch handelnden Stämme nur
einmal erwähnt. Aber immerhin! Die, die sich außer denen, für die es
gar nicht anders möglich ist, nämlich Sebulon, Naphthali und Issachar,
beteiligen, sind die Rahelstämme und sonst keine. Außerdem, und das
ist kaum weniger wichtig, geht der Anstoß von Debora aus, die, zwar
Issacharitin, doch auf dem Gebirge Ephraim ansässig, inmitten der
Stämme lebt, die sonst die Kriege Jahwes führen. Darf man das gesamt-
israelitische Programm des Deboraliedes mit dem gesamtisraelitischen
Amte der Richterin in Zusammenhang bringen 11 , so nicht minder ihren
Aufruf zum Kriege mit ihrem Wohnsitz 12 . So betrachtet, erscheint der
Sieg über die Kanaanäer als das Ergebnis einer, wenn man will, zufälli-
gen Konstellation, aber das macht die Vermutung noch nicht unwahr-
scheinlich.
Das Beispiel der Deboraschlacht zeigt, daß die Prärogative der Rahel-
stämme in bezug auf den Krieg Jahwes nicht eine Beschränkung auf
diese Stämme bedeutet. Eine solche Beschränkung wäre ja auch wider-
sinnig, und wenn sie einmal bestanden haben sollte, dann ist sie späte-
stens durch Debora aufgehoben worden. Ernst zu nehmen und nicht
strikt zu widerlegen wäre natürlich der Einwand, daß die mittelpalästi-
nischen Stämme die sind, von denen wir am meisten wissen, und daß bei
den anderen Stämmen, hätten wir mehr und bessere Überlieferungen
von ihnen, der Krieg Jahwes vielleicht ebensosehr zum Vorschein käme.
Immerhin muß darauf hingewiesen werden, daß die stiefmütterliche
Behandlung der übrigen Stämme in unseren Quellen nicht nur im Geo-
graphischen, sondern auch darin begründet sein kann, daß es von ihnen
eben nicht so viel zu erzählen gab wie von den Rahelstämmen. Und was
man erzählte, waren ja ganz überwiegend die kriegerischen Taten.
10
Vgl. A. ALT, Kleine Schriften II S. 118 ff. In späterer Zeit fügt sich das israeliti-
sche Königtum m. E. nicht so sehr in das Schema, wie es bei A L T hervortritt. Doch
werden das Grundsätzliche und der Ursprung der Erscheinung davon wenig berührt.
11
S.o.S.43f.
15
Vgl. E. TÄUBLER, Biblische Studien (1958) S. 139.
74 Rahelstämme und Leastämmc
11
J. WELLHAUSEN, Prolegomena S. 233. — Die Anekdotenreihe Ri. 1,1 ff. hat für
unseren Zusammenhang schwerlich größeren Wert.
u
M. N O T H , ZAW 58 (1940/41) S. 175.
15
Vgl. zuletzt A. H. J. GUNNEWEG, Mündliche und schriftliche Tradition der vor-
exilischen Prophetenbücher (FRLANT 73 [1959]) S. 29.
'• Der Heilige Krieg S. 17.
" Der Ort CTKbO (1. Sam. 15,4) lag, wenn er mit dem Ort nVü (Jos. 15,24) identisch
ist, unter Josia im südlichsten Gau des Reiches Juda.
Rahelstämme und Leastämme 75
hafte Elemente" ,8 waren und daß ihnen Teile der später in Mittelpalä-
stina ansässigen Stämme auf ihrer Wanderung in der Wüste sehr wohl
begegnet sein können. So kann auch dieser Text nicht mit der erforder-
lichen Sicherheit als positives Zeugnis für einen Jahwekrieg unabhängig
von den Rahelstämmen in Anspruch genommen werden *'.
Allen Einwänden sei schließlich entgegengehalten, was der Jakob-
segen über Joseph sagt. Den Stamm bekriegten nach Gen. 49,23 „Pfeil-
schützen". Unter ihnen versteht man jetzt ziemlich allgemein nicht
mehr die Aramäer von Damaskus20, sondern die nomadischen Gegner
der Richterzeit21. Joseph hat, das ist jedenfalls der Sinn des textlich
schwierigen V. 24, mit göttlicher Hilfe obgesiegt. Die Vorstellung vom
Kriege Jahwes ist mit Händen zu greifen22. Noch wichtiger dann V.26,
wo Joseph der YTINTTI heißt23. Die Vorrangstellung, die ihm damit zu-
gesprochen wird, besteht, wie wiederum heute fast allgemein angenom-
men wird, nicht im Königtum24. Nach der Simsongeschichte war der TT3
ein Mann, der „Vorkämpfer und Parteigänger Israels war, der auf
eigene Hand Jahwes Kriege führte"25. Ebendies ist Joseph nach unserer
Stelle im Sinne eines Unterschiedes und Ausgesondertseins von seinen
Brüdern gewesen, und zwar gewiß nicht nur in einem einzelnen Fall2*,
sondern überhaupt. Die Prädikation sagt also mit aller nur wünschens-
werten Deutlichkeit das aus, was sich uns bei der Betrachtung der Erzäh-
lungen schon ergab: Josephs unmittelbares, der anderen Stämme ferne-
res und eher abgeleitetes Verhältnis zum Kriege Jahwes. Besonders daß
18
M. N O T H , RGG» I (1957) Sp. 302.
18
Ebensowenig der Krieg des Judäers David gegen die Amalekiter (l.Sam. 30). Er
fällt in eine Zeit, in der sich auch die ursprünglich nicht zusammengehörigen Stämme
schon mannigfach gegenseitig beeinflußt haben, und bei David als dem Schüler Sauls
wird solcher Einfluß besonders stark gewesen sein. Man mag vielleicht darüber
hinaus in der rigorosen Auffassung vom Banngebot in l.Sam. 15 bei Samuel und in
seiner so viel laxeren Handhabung durch David in l.Sam. 30 eine zünftige und eine
unzünftige Art sehen, den Jahwekrieg zu führen, worin die geringere Tradition zum
Vorschein käme, die er im Süden hatte. Siehe auch oben S. 62 f.
20
So seinerzeit viele nach WELLHAUSEN, Prolegomena S. 327.
21
Die Gründe namentlich bei GUNKEL Z. St. Daß die Razzien der Midianiter,
denen Gideon mit 300 Mann ein Ende machte, zur Erklärung nicht genügen (WELL-
HAUSEN, Composition S. 324), ist wohl richtig; aber es ist doch gewiß eine charakteri-
stische und darum auch wiederholte Situation vorausgesetzt. Eine Beziehung aus-
gerechnet auf die Philisterschlacht von l.Sam. 7 (so E. TÄUBLER, Biblische Studien
[1958] S. 209 ff.) scheint mir durch nichts gerechtfertigt.
" Vgl. GUNKEL und v. RAD Z. St.
" Ebenso Dt. 33,16.
14
So WELLHAUSEN a.a.O. und viele andere.
25
GUNKEL Z. St. Vgl. auch die dort angegebene Literatur. Nach SELLIN-ROST, Ein-
leitung in das Alte Testament '(1959) S. 48 bezeichnet der Ausdruck den Stamm „als
den zum ständigen Kampf mit Jahwe geweihten".
2S
Daß die Bezeichnung speziell auf Sauls Kriege ziele (K. GALLING, R G G ' III
[1959] Sp. 860), scheitert m.E. auch daran, daß dort eher Benjamin eine derartige
Rolle spielte.
76 Rahelstämmc und Leastämmc
sie auch dies letzte indirekt zum Ausdruck bringt, ist wertvoll, ließ es
sich doch bei den Erzählungen nur mit Hilfe des argumentum e silentio
und aus der vereinzelten Konstellation der Deboraschlacht erschließen.
Weniger als von der großen Mehrzahl der Stämme unterschied sich
Joseph in diesem Punkte, wie wir schon sahen, von Benjamin 27 . Zwi-
schen beiden Stämmen bestand Gemeinsamkeit und auch Gemeinschaft
in der Führung der Kriege Jahwes, zwar nur von Fall zu Fall und
nicht prinzipiell, aber es handelte sich ja um selbständige Stämme 28 .
Um so bemerkenswerter ist es, daß sie vorhanden war, und auch ein
Fingerzeig dafür, daß die genealogische Zusammenfassung beider als
Söhne der Rahel über das geographische Nebeneinander im Kulturland
hinaus Gründe in gemeinsamer Vergangenheit haben könnte. Solche
sind nach Lage der Dinge nicht erweislich, und es kann gut sein, daß erst
die Nachbarschaft zwischen den beiden kanaanäischen „Städteriegeln"
im Westjordanland zur gegenseitigen Berührung, Beeinflussung und
wohl auch vertraglichen Bindung führte 29 . Aber daß die Landnahme
sich offenbar zeitlich bei beiden nach der der Leastämme 30 und ört-
lich aus derselben Richtung vollzog 31 , könnte an eine Gemeinsamkeit
schon bei diesem Vorgang denken lassen, ohne daß das die These von
der sekundären Abspaltung Benjamins von Joseph einschließen müßte 3 2 .
Das Abbrechen der Reihe der Josuasagen am Rande des Gebietes von
Benjamin legt natürlich nahe, daß es sich bei diesen Sagen zunächst um
benjaminitisch.es Sondergut, etwa des Heiligtums von Gilgal, gehandelt
hat 33 . Aber das ist ein überlieferungsgeschichtlicher Tatbestand, aus
dem man den geschichtlichen Schluß, Joseph und Benjamin hätten keine
gemeinsame Landnahme gehabt, nicht zu ziehen braucht. Einen solchen
Schluß widerrät die Rolle, die zwei offenbar ephraimitische Faktoren in
dieser benjaminitischen Sagenreihe spielen, nämlich die Person des
Josua 34 und das Symbol der Lade. Könnten wir über die jetzige Gestalt
der Reihe hinausgreifen und ihre benjaminitische Form rekonstruieren,
ließe sich darüber mehr, wenn auch in Anbetracht dessen, daß auch dort
schon eine erst im Kulturland zustande gekommene Gemeinschaft zwi-
" Der Sprudi über Benjamin im Jakobsegen (Gen. 49,27) hat freilich offenbar
Straßenraub und nicht den Krieg Jahwes im Auge, vgl. GUNKEL Z. St. Anders TAUBLER
a.a.O. S. 215 ff.
18
Die Unterteilung von Joseph in Ephraim und Manasse (bzw. Machir) braucht
uns hier nicht zu beschäftigen. Den Jahwekrieg kannten beide Abteilungen. Vgl. zu der
Frage auch A L T , Kleine Schriften I S. 163 Anm. 1.
28
Vgl. N O T H , System S. 37 Anm. 2 (mit überholter Begründung). 66; ALT, Kleine
Schriften I S. 164 f. 188.
M
Vgl. A L T a.a.O. S. 162 ff.
51
N O T H , Geschichte S. 73; Oberlieferungsgeschichte S. 56 f.
M
Vgl. gegen sie A L T a.a.O. S. 164 Anm. 4.
• ALT a.a.O. S. 187. " So N O T H , System S. 82 f.
Rahclstämme und Leastämme 77
sehen Joseph und Benjamin vorausgesetzt sein könnte, noch nicht alles
sagen. Für die Zeit vor der Landnahme bleibt alles noch offener. Da es
außer reiner Spekulation keine Möglichkeit zu geben scheint, die Frage
zu entscheiden oder einer Entscheidung auch nur nahezubringen, ob
und wieweit man hier schon von Rahelstämmen oder noch von Joseph
und Benjamin reden kann, gebrauche ich im nächsten Kapitel, wo es sich
um diese Zeit handelt, den Ausdruck Rahelstämme, wo es sich in Wirk-
lichkeit auch um Joseph (oder allenfalls Benjamin) allein gehandelt
haben kann — natürlich auch um Teile, die im späteren „Hause" Joseph
aufgingen, Teile aber, die für dessen Leben und Denken bestimmend
wurden.
Die Unlösbarkeit dieses Problems braucht uns aber nicht sehr zu
beschweren, wo es sich um die gemeinsame Stellung von Joseph und
Benjamin innerhalb des Zwölfstämmebundes handelt. Man darf diese auf
dem Boden des bisher Ausgeführten dahin charakterisieren, daß die Rahel-
stämme in der Amphiktyonie das Element des Jahwekrieges vertraten
— womit natürlich nicht alles über sie gesagt sein soll, aber bestimmt
auch nicht das Unwichtigste. Die Logik unserer Untersuchung legt es
nahe, hier mit dem Satze fortzufahren: das Element, das die Leastämme
beitrugen, war das „amphiktyonische". Ich glaube, daß dieser Satz nicht
nur in den Zusammenhang paßt, sondern auch historisch zutrifft, und
stütze mich dabei auf NOTHS These von der Sechseramphiktyonie, die
die Stämme Rüben, Simeon, Levi, Juda, Sebulon und Issachar in der
Zeit vor der Landnahme von Joseph und Benjamin gebildet haben 35 .
Prinzip, System und Rahmen der Amphiktyonie stammten danach aus
dem Kulturland 36 oder waren doch jedenfalls dort schon vorhanden, als
die noch nicht in dieser Weise gebundenen Verbände hinzutraten und
aus der Addition das entstand, was Israel in der Folgezeit ausmachte.
Die Aktivität beim Zusammenschluß zu der größeren Zwölferamphi-
ktyonie scheint freilich, sieht man 3 7 im „Landtage von Sichern" von
Jos. 24 ihren Gründungsakt, nicht auf Seiten der Leastämme gelegen zu
haben; denn hier handelt, darf man dem Bericht, der ja wichtige
Aspekte des zu vermutenden Vorganges verschweigt, in diesem Punkte
Glauben schenken, geradezu souverän der Josephit Josua 38 . Und Han-
Daß diese noch gewisse Reservatrechte besaßen, vermutet NOTH, System S. 76.
VI. A U S Z U G AUS Ä G Y P T E N U N D BUNDESSCHLUSS
AM S I N A I
" A.a.O.
14
Vgl. dazu zuletzt O . KAISER, V T 10 (1960) S. 1 ff.
15
N O T H a.a.O. S. 52. " N O T H a.a.O. S. 55.
17
Bedenken bei M. A. BEER, Geschichte Israels (1961) S. 23 f.
6 8031 Smend, Jahwekrieg
82 Auszug aus Ägypten und Bundesschluß am Sinai
ten in das 13. Jahrhundert setzen darf 18 , können die dabei beteiligten
Gruppen erst zu den letzten der in Palästina Einwandernden gehört
haben. Die Merneptahstele, die ein Israel dort um 1220 erwähnt, bestä-
tigt das, gleichgültig wie man diese Erwähnung deuten soll und nament-
lich ob dort der letzte große Einwanderungsschub schon vorausgesetzt
ist". Angesichts dessen fällt es schwer, in den aus Ägypten Ausziehenden
und den ersten Tiägern der Überlieferung davon nicht Elemente der
Rahelstämme zu sehen 20 .
Dazu kommt nun als ein meines Erachtens starkes Argument, daß,
wenn die Darstellung des vorigen Kapitels zutrifft, die Rahelstämme im
Kulturland als die ursprünglichen und eigentlichen Vertreter des Krieges
Jahwe erscheinen. Man darf, ja man muß von dort aus die Linie zurück
zur Herausführung aus Ägypten ziehen und damit den Sachverhalt in
einem für das alte Israel kaum überbietbaren Maße ursprünglich nen-
nen. Das jeweils ganz Überraschende und Einmalige steht doch in einer
Kontinuität, und diese reicht zurück zu dem ehrwürdigsten Ereignis der
Vergangenheit. Wenn die Rahelstämme die Kriege Jahwes führten oder
vielmehr sich in ihnen von ihrem Gott führen ließen, dann taten sie es
auf den Spuren derer, die einst aus Ägypten herausgeführt worden
waren. Konnte später auch ganz Israel in dieser Kontinuität stehen, so
tat es zuerst nur dieser eine Teil, der selbst aus Ägypten gekommen
und für den das dortige Ereignis dann vor allen anderen bestimmend
war.
Der Ursprung des Jahwekrieges lebt also in der Tradition über die
Mosezeit fort, soweit sie von Hause aus den mittelpalästinischen Stäm-
men zugehört. Nun umfaßt diese Tradition ja nicht nur eins der von
N O T H postulierten Pentateuchthemen, sondern zwei: neben der Heraus-
führung aus Ägypten auch, zumindest in der ausgeführten Gestalt, die
Hineinführung in das Kulturland. Ich frage mich, ob man angesichts
dessen diese beiden Themen so stark trennen sollte, wie N O T H 2 1 es tut.
Daß die Herausführung so häufig ohne die Hineinführung genannt ist,
erklärt sich aus ihrer Bedeutung und ändert nichts an dem natürlichen
Gefälle von hier nach dort, das die Trennung doch nicht leichtmacht22.
18
N O T H , Geschichte S. 114.
» Vgl. dazu A. ALT, Kleine Schriften I S. 163.
20
G. HÖLSCHER denkt demgegenüber an die Südstämme (Geschichtsschreibung in
Israel [1952] S. 80 f.). Die Begründung dafür — Zusammenhang mit Edom, Edomiter
nadi Papyrus Anastasi VI, 54 ff. unter Merneptah nach Ägypten eingelassen — reicht
aber nicht aus, da es manche ähnliche Vorgänge wie die in jener ägyptischen Notiz
festgehaltenen gegeben haben wird und die spätere Nachbarschaft der israelitischen
Südstämme mit Edom keine gemeinsame Vorgeschichte verlangt, das deutliche Bewußt-
sein der Geschiedenheit von Edom eine solche vielmehr unwahrscheinlich macht.
21
Überlieferungsgeschichte S. 57 f.
• Vgl. W. ZIMMERLI, Das Alte Testament als Anrede (1956) S. 16, aber auch
N O T H , Uberlieferungsgeschidite S. 54.
Auszug aus Ägypten und Bundesschluß am Sinai 83
Und sind die ursprünglichen Traditionsträger nicht das eine Mal Ge-
samtisrael und das andere Mal die mittelpalästinischen Stämme, wie
N O T H annimmt, sondern beide Male die letzteren, dann erscheint die
Trennung als etwas künstlich 23 und ein ursprünglicher Zusammenhang
als die unkompliziertere und natürlichere Annahme. Doch braucht uns
diese überlieferungsgeschichtliche Frage in unserer geschichtlichen Unter-
suchung nicht weiter zu beschäftigen24.
Statt dessen sei noch eine andere Frage gestellt, die der vorigen ver-
wandt ist. Seit langem schreibt man der Sinaiperikope innerhalb des
Pentateuchganzen literarisch, geschichtlich, überlieferungsgeschichtlich
eine Sonderstellung zu 25 . Die Versuche, den Hiatus zum Vorhergehen-
den und zum Folgenden durch die Annahme einer Wallfahrt von Kades
zum Sinai zu rationalisieren, tragen unfreiwillig mehr zur Verschärfung
als zur Beseitigung des Problems bei. N u n die Frage: spiegelt sich in der
Sonderstellung, die die Sinaitradition im Pentateuch einnimmt, etwa
der Dualismus von Jahwekrieg und Stämmebund wieder? M. N O T H hat
mit allen Vorbehalten folgende Kombination vorgetragen 28 : die Sinai-
tradition bezieht sich auf einen älteren Vorgang als die Auszugstradi-
tion. Danach wären „etwa die Teilnehmer an der Gottesbegegnung am
Sinai mit zu den frühesten im Kulturlande aufgetretenen Teilen des
späteren Israel zu rechnen . . . In diesem Kreise wäre vom Sinai her die
Unterwerfung unter den in einem Gottesrecht zu formulierenden Got-
teswillen entscheidend gewesen, und darin hätte dann die Bedeutung
des Gottesrechtes und damit zugleich eines zentralen Richteramtes seine
Wurzel. Als dann andere Elemente im Kulturlande hinzukamen, denen
die Errettung am ,Meer' widerfahren war, hätte sich sogleich die Über-
zeugung aufgedrängt, daß der mächtige Gott, dem die Befreiung aus
Ägypten zu verdanken war, kein anderer gewesen sein konnte als der
am Sinai erschienene Gott". Die Sinaitradition enthielte danach die
Begründung der späteren Amphiktyonie. Das leuchtet ein und ist in
23
Anders wäre es vielleicht, wenn man für den einen und den anderen Teil (nicht
nur für einzelne Formeln) getrennte Sitze im kultischen Leben nachweisen könnte. Das
scheint aber trotz aller darauf verwandten Mühe einstweilen nicht der Fall zu sein.
24
Es wäre der oben vertretenen Ansicht günstig, wenn man zwischen dem Penta-
teuchthema „Hineinführung in das Kulturland" und der Landnahmeerzählung des
Buches Josua nicht so scharf trennen müßte, wie N O T H es tut. Die Kontinuität gerade
in dem Punkt des Jahwekrieges wäre dann auch noch handgreiflicher als jetzt, v. RAD
scheint hier seinen Widerspruch gegen N O T H noch nicht ganz aufgegeben zu haben,
vgl. Theologie I S. 296 Anm. 4.
25
Vgl. WELLHAUSEN, Composition S. 108; Prolegomena S. 347ff. (entsprechend
übrigens, wenn ich recht verstehe, auch nach der Vierquellentheorie bei R. SMEND, Die
Erzählung des Hexateuch [1912] S. 156f.); E D . MEYER, Die Israeliten und ihre Nach-
barstämme (1906) S. 60ff.; H . GRESSMANN, Mose und seine Zeit (FRLANT N F 1
[1913]) S. 389ff.; G. v. RAD, Gesammelte Studien S.20ff.; N O T H , Überlieferungs-
geschichte S. 63 ff.; W. BEYERLIN, Herkunft und Geschichte der ältesten Sinaitraditionen
(1961).
• Geschichte S. 129 f.
S4 Auszug aus Ägypten und Bundesschluß am Sinai
dieser allgemeinen Form weniger anfechtbar als der Versuch, Ex. 19 ff.
als die Legende eines Festes der Bundesschließung oder Bundeserneue-
rung zu begreifen, das in der Amphiktyonie gefeiert worden wäre 27 .
Fragt man, für welches Stadium der Amphiktyonie die Sinaitradition
die Ätiologie gebildet habe, dann wird man N O T H S eben genannte
These dahin präzisieren dürfen: für den Sechserbund der Leastämme
vor der Erweiterung zum Zwölferbund durch den Zutritt der Rahel-
stämme 2 *. Leicht begründen läßt sich das freilich nicht. N O T H folgert
seine frühe Ansetzung des Sinaivorganges daraus, daß die Tradition von
der Herausführung aus Ägypten jetzt „so sehr im Vordergrunde des
Interesses der israelitischen Überlieferung" stehe, daß man den Ein-
druck gewönne, „sie sei als die für die Existenz Israels grundlegende
Gottestat in frischerer und unmittelbarerer Erinnerung geblieben als die
Gotteserscheinung am Sinai" 2a . Man kann aber meines Erachtens mit
mindestens gleichem Recht aus dem Sachverhalt auch das umgekehrte
zeitliche Verhältnis folgern. Daß die Sinaitradition so lange nicht in die
Gesamttradition hineinkam, würde sich ungezwungener aus ihrer Ju-
gend als aus ihrem Alter erklären. Sie wäre dann eine in der Zeit der
Zwölfstämmeamphiktyonie geschaffene Ätiologie für deren Bestand,
ihr Verhältnis zu Jahwe und ihr Gottesrecht. Die Einreihung dieser
Ätiologie in die Zeit unmittelbar nach der Herausführung aus Ägypten
war selbstverständlich, weil diese Zeit die „kanonische" war und noch
immer mehr wurde. Es ist unter diesen Umständen auch nicht nötig, die
Gestalt des Mose aus der Sinaitradition zu eliminieren, was doch crotz
Ex.24,*l ff.30 nur mit Schwierigkeiten geht. Mose hat seine Rolle in der
Sinaitradition von allem Anfang an gespielt, und er mußte es. Daß er
hier nicht seine ursprüngliche Heimat hatte, vielmehr zunächst in andere
Traditionskomplexe gehörte ( N O T H ) , bleibt davon unberührt, denn die-
sen Komplexen gegenüber ist die Sinaitradition als solche sekundär.
Ich würde denken, daß diese Lösung eine weitere Schwierigkeit behebt,
die sich bei N O T H S These ergibt: nach N O T H 3 1 wäre der Name Jahwe „von
Anfang an ein entscheidender Beitrag der Sinaitradition zu diesem Über-
lieferungsganzen gewesen", und den Elementen, „denen die Errettung am
,Meer: widerfahren war, hätte sich sogleich die Überzeugung aufgedrängt,
daß der mächtige Gott, dem dieBefreiung aus Ägypten zu verdanken war,
kein anderer gewesen sein konnte als der am Sinai erschienene Gott".
Damit wäre bestritten, was communis opinio ist und — wichtiger —
durch das Zeugnis des Mirjamliedes gestützt wird, die Beziehung Jahwes
27
Vgl. dagegen N O T H , Überlieferungsgeschichte S. 64 f.
29
Vgl. N O T H , Geschichte S. 110 Anm. 1.
** A.a.O. S. 126; auch Überlieferungsgeschichte S. 65.
M 31
N O T H , Überlieferungsgeschichte S. 178. Geschichte S. 130.
A u s z u g aus Ägypten und Bundesschluß am Sinai 85
zu Israel „vom Lande Ägypten her" (Hos. 12,10; 13,4). Dafür, daß die
ältere Sechsstämmeamphiktyonie schon den Gott Jahwe verehrt hätte,
gibt es keine positiven Anhaltspunkte 32 . Nach beidem bleibt es wahr-
scheinlicher, daß die Rahelstämme die Verehrung dieses Gottes, dessen
Hilfe sie oder Teile von ihnen erfahren hatten, aus der Wüste mit-
brachten und dann — wenn man Jos. 24 so verstehen darf, unter der
Führung Josuas, des ersten uns bekannten Trägers eines jahwehaltigen
Namens 3 3 — die schon im Kulturland ansässigen Stämme an ihr beteilig-
ten. Und schließlich wäre die Frage nach dem Stammesbereich, aus dem
die Sinaiüberlieferung gekommen wäre, bei der vorgeschlagenen An-
nahme überflüssig. Es handelt sich dann vielmehr von vornherein um
gesamtisraelitisches Gut 3 4 . Das schließt natürlich nicht aus, daß am Sinai
Begegnungen von Menschen etwa aus dem Kreise der Rahelstämme mit
Jahwe stattgefunden hätten, wie es ja überhaupt wahrscheinlich ist, daß
der Sinai als Sitz Jahwes galt und als solcher das Ziel von Wallfahrten
noch lange Zeit blieb 35 . Von hier kommt Jahwe ja auch nach der Vor-
stellung von Dt. 33,2; Ri.5,5; Ps.68,9.18 (txt. em.), Stellen, die keinen
Einfluß der Pentateucherzählung erkennen lassen36 und aus denen also
„über den Sinai als Berg der Gesetzgebung gar nichts folgt" 37 . „Erst
ein weiterer Schritt führte dazu, den Sinai zum Schauplatze der feier-
lichen Eröffnung des besonderen Verhältnisses zwischen Jahve und Israel
zu machen. Es waltete das poetische Bedürfnis, die Konstituierung
des Volkes Jahves zu einem dramatischen Akte auf erhabener Bühne
zuzuspitzen." Sind wir auch heute in der Lage, über das „Poetische"
hinaus mehr zu sagen als WELLHAUSEN 38 , SO bleibt das Wesentliche doch
bestehen. Der „weitere Schritt" gehört auf seine Weise in die schon
mehrfach berührte Reihe von Akten, in denen Jahwekrieg und Stäm-
mebund zusammenwuchsen. Der Sinai, von dem Jahwe zur Debora-
schlacht kam (er kam nicht aus Sichern!), um Israel „aus amphiktyoni-
scher Zurückhaltung" aufzurütteln 3 ", als Gründungsort der Amphi-
ktyonie, der dortige Bundesschluß als die Fortsetzung der Rettungstat
am Schilfmeer — das bedeutet die Rückprojektion der Verbindung der
32
Sollte sie schon den Namen Israel gehabt haben ( N O T H , System S. 83.91 f.), wäre
er ein negativer.
33
Vgl. M. N O T H , Die israelitischen Personennamen (BWANT I I I , 10 [1928])
S. 107; L. KÖHLER, Theologie des Alten Testaments '(1953) S. 26 Anm. 37.
34
N O T H denkt an die Südstämme (Überlieferungsgeschichte S. 66 f.), einerseits
wegen des späten Hinzutritts zur Gesamtüberlieferung, anderseits wegen der Einschal-
tung zwischen Elemente des Themas „Führung in der Wüste". Der erste Grund läßt
sidi mindestens ebensogut für gesamtisraelitischcn Charakter geltend machen, der zweite
ist, eben wegen der offensichtlich sekundären Einschaltung, keineswegs zwingend.
35
Vgl. l.Kön. 19 und dazu M. N O T H , PJB 36 (1940) S. 5 ff.
36
Vgl. dazu N O T H , Uberlieferungsgeschichte S. 64 Anm. 186.
37
WELLHAUSEN, Composition S. 108.
38
Geschichte S. 12. — Vgl. BEYERLIN a.a.O.
' • BUBER, Königtum S. 135.
86 Auszug aus Ägypten und Bundesschluß am Sinai
beiden Pole israelitischer Existenz vor und mit Jahwe in die „klassische"
Vergangenheit 40 .
Schließlich möchte ich noch einmal, zitierend 41 , nachdrücklich sagen,
„daß es sich bei alledem lediglich um eine nicht mehr beweisbare Kom-
bination handelt, die lediglich auf eine notwendige Frage eine Antwort
zu geben versucht", und daß, wer nicht „für Kombinationen ist", daran
vorübergehen kann. Beim nächsten Kapitel ist es ebenso.
40
Daß sich im Vorspruch zum Dekalog Jahwe als der vorstellt, der Israel aus
Ägypten heraufgeführt hat, steht nach dem Obigen mit der geschichtlichen Trennung
von Auszug und Sinai auch dann nicht im Widerspruch, wenn man den Dekalog für
einen ursprünglichen Bestandteil der Sinaierzählung hält (vgl. dazu W. ZIMMERLI, ThZ
16 [i960] S. 270 Anm. 8). Damit verliert ein von J. BRIGHT, Early Israel in Recent
History Writing (1956) S. 105 f. u . a . vorgebrachter Einwand an Gewicht.
41
N O T H , Geschichte S. 130.
V I I . M O S E B E I M A U S Z U G U N D AM S I N A I
1
Vgl. R. SMEND, Das Mosebild von Heinrich Ewald bis Martin Noth (1959)
S. 1—21.
88 Mose beim Auszug und am Sinai
einzige mögliche Alternative dazu scheint mir auch nicht zu sein, daß
das „Unbekanntsein des Mosegrabes das Ursprüngliche war und erst
nachträglich die Grabstätte des berühmten Mose .entdeckt' wurde" 7 .
Ebensogut scheint mir denkbar, daß man das Grab immer nur ungefähr
in jenem als knapp jenseits des israelitischen Gebietes liegend bekannten
Tale lokalisiert hat, nicht weil man das Grab je gekannt, besucht und
verehrt hätte — was die „Entdeckung" bedeuten würde —, sondern
rein theoretisch, weil die Überlieferung den Mose in der Wüste, nicht
aber im Kulturlande kannte und ihn, da er einmal der Führer auf dem
Zuge zum Kulturland hin war oder geworden war, diese Rolle auch bis
an den letzten möglichen Punkt spielen lassen wollte. „Der Erzähler
wollte ihn so nahe wie möglich an den Wohnsitz seines Volkes heran-
bringen; aber ihn nach Palästina selbst hineinzuführen hat er doch nicht
gewagt, das widersprach der echten Sage, die ihn nur in der Wüste
kannte, gar zu sehr" 8 . Daß es sich um einen „so obskuren O r t " 9 handelt,
läßt sich als Argument hierfür mindestens ebensogut ins Feld führen
wie für die Echtheit der Grabtradition. Erscheinen von da her die posi-
tiven Argumente für NOTHS These nicht als durchschlagend, so gibt es
ein doch wohl zwingendes Gegenargument, das auch schon gelegentlich
geäußert worden ist 10 . Ich gebe die Worte BRIGHTS wieder: if Moses
„was only some Transjordanian sheikh whose memory was enshrined
in a grave tradition — how can it be explained that he so quickly came
to be looked upon not only as the leader of all Israel, but positively as
its founder" 11 ?
Einen Einwand dieser Art könnte man nicht gegen die ursprüngliche
Zugehörigkeit des Mose zur Überlieferung von der Herausführung aus
Ägypten machen. F. SCHNUTENHAUS hat gezeigt 12 , daß ein Übergreifen
der Gestalt des Mose von der Herausführungstradition auf die übrigen
Traditionskomplexe leicht und ungezwungen denkbar ist.
Für eine Verbindung mit Ägypten spricht weiter der ägyptische
Name des Mose I3 . Natürlich braucht in jener Zeit nicht in Ägypten
7
N O T H , ebenda Anm. 483. Ich weiß nicht, ob man die beiden Hälften von V. 6 so
stark gegeneinander ausspielen darf, wie es bei N O T H geschieht (S. 188 f.). Sehr Präzi-
ses sagt doch auch die erste Hälfte nicht. Daß in V. 6a ursprünglich nicht Jahwe das
Subjekt gewesen wäre ( N O T H S. 188 Anm. 482), scheint mir nicht sicher. Läßt sich
„etv/as so Außergewöhnliches und Ungeheuerliches" besser formulieren als eben so
lapidar und fast „unbetont und zweideutig" wie hier? Wäre mehr nicht eher weniger?
8
E D . MEYER, Die Israeliten und ihre Nachbarstämme (1906) S. 73.
• N O T H a.a.O.
10
E. OSSWALD, Das Bild des Mose in der kritischen alttestamentlichen Wissenschaft
seit Julius Wellhausen (Jenaer Habilitationsschrift 1955, Maschinenschrift) S. 398 f.;
J. BRICHT, Early Israel in Recent History Writing (1956) S. 86.
" Zur Kritik an der Grabtradition vgl. außerdem K.-H. BERNHARDT, Gott und
Bild (1956) S. 129 Anm. 3.
'- Die Entstehung der Mosetraditionen (Diss. theol. Heidelberg 1958, Masch.).
13
Zum Philologischen vgl. J. G. GRIFFITHS, Journal of Near Eastern Studies 12
(1953) S. 225 ff.; dagegen M. A. BEER, Geschichte Israels (1961) S. 24 f. Die hebräische
90 Mose beim Auszug und am Sinai
gewesen zu sein, wer einen ägyptischen Namen trug 1 4 ; das Alte Testa-
ment bietet ja selbst Beispiele dafür. Aber wenn die Überlieferung
gerade von einem ägyptischen Namensträger eine Verbindung mit
Ägypten behauptet, dann ist das eine Koinzidenz, die man nicht leicht-
hin beiseiteschieben kann. Auch die Annahme, es sei „anscheinend ein
weitgehend ägyptisierter Volksteil", dem Mose entstamme 15 , hat im
Namen eine gute Stütze.
Nun ist aber eine historische Verbindung mit Ägypten, und ist sie
noch so wahrscheinlich, noch nicht identisch mit der Zugehörigkeit zum
Pentateuchthema der Herausführung aus Ägypten 1S . Ja, N O T H hat ein
Argument angeführt, das, wenn es zutrifft, diese Zugehörigkeit als
sekundär erweisen muß. Der Abschnitt Ex. 5,3 (4) 5-19 hebt sich aus
seiner Umgebung dadurch heraus, „daß in ihm Mose völlig zurücktritt
und die israelitischen Vorarbeiter ohne Mose ihrerseits mit dem Pharao
verhandeln, während Mose, wie sich in V. 20 auf einmal überraschend
herausstellt, inzwischen draußen gewartet hat!" N O T H sieht in diesem
Abschnitt „das Petrefakt eines überlieferungsgeschichtlichen Stadiums,
in dem die Gestalt des Mose noch nicht in das Thema ,Herausführung
aus Ägypten' eingeschaltet worden war, sondern etwa die Ältesten der
Israeliten noch als Sprecher den Ägyptern gegenüber fungierten" 17. Der
Tatbestand in Ex. 5 scheint mir unanfechtbar, nicht aber die Erklärung.
Daß Mose in dem Abschnitt nicht auftritt, muß nicht besagen, daß er
ursprünglich überhaupt nicht zur Herausführung aus Ägypten gehörte.
Man kann es vielmehr zunächst als durchaus angemessen betrachten,
daß dort, wo es sich um die Erschwerung des Frondienstes und die dabei
zu treffenden Maßnahmen handelt, die (ägyptischen) „Fronvögte" (D^UTia)
und die (israelitischen) „Aufseher" (OHöB?)18 für den Pharao die gegebenen
Partner sind, um seine Anweisungen entgegenzunehmen bzw. bei ihm
Beschwerde zu führen, mochte der Anstoß zu dem ganzen Vorfall auch
von anderer Seite kommen. Von da her ist es sinnvoll, wenn Mose in
diesem Stadium im Hintergrunde bleibt. Freilich erscheinen auch dann
das Verschwinden des Mose (und des Aaron) am Anfang unseres Ab-
schnittes und noch mehr die Art des Wiederauftretens in V. 20 als
merkwürdig und begünstigen N O T H S Annahme einer, wenn auch nicht
unbedingt literarischen, Sonderstellung unseres Abschnittes sehr. Die
Deutung als „Herauszieher", die sich vielleicht in Jes. 63,11 findet (BEEK nach BUBER,
Moses *[1952] S. 43), hat in diesem Zusammenhang keinen großen Wert. In Ex. 2,10
findet sie sich ja gerade nicht, und daß sie dort „heimliche Absicht" sei (BUBER a.a.O.),
scheint mir ausgeschlossen.
14
N O T H a.a.O. S. 178 f. — Vgl. aber seither N O T H , Geschichte S. 128 Anm. 2.
15
BUBER a.a.O.
'* G. HÖLSCHER hält für möglich, daß Mose ein Ägypter war, bestreitet aber seine
Beteiligung am Auszug (Geschichtsschreibung in Israel [1952] S. 82 f.).
17
Überlieferungsgeschichte S. 76; vgl. auch N O T H im Exoduskommentar z. St.
18
Von „Ältesten" ist nicht die Rede!
Mose beim Auszug und am Sinai 91
VV. 1.2(4) und 20 ff. gehören offenbar nicht ursprünglich mit ihm zu-
sammen. Schließt er also doch die Rolle des Mose aus? Ich glaube es nicht
und möchte zur Erklärung des merkwürdigen Zustandes von Kap. 5 auf
eine Erscheinung verweisen, die sich in ganz anderem Zusammenhange,
nämlich in l.Kön. 12 findet. Die Situation hat ähnliche Züge wie die
von Ex. 5. Das Volk von Israel bittet den König (bzw. den zu wählenden
König) Rehabeam um eine Erleichterung der Lasten, die auf ihm liegen.
Der König reagiert negativ, worauf sich das Volk gegen ihn empört. Es
macht statt des Rehabeam den Jerobeam zu seinem König. Dieser ist
nach dem ursprünglichen, in der Septuaginta noch erhaltenen Text,
nicht an den Verhandlungen mit Rehabeam beteiligt gewesen. Er hat
sich vielmehr in Ägypten aufgehalten, wohin er einst vor Salomo
geflohen ist, und ist auf die Nachricht von dessen Tode heimgekehrt
(V. 2, txt. emend.). Israel vernimmt das nach dem Fehlschlag der Ver-
handlungen mit Rehabeam, schickt nach ihm, läßt ihn in die Versamm-
lung rufen und macht ihn zum König (V. 20). Dieser Hergang ist nach
den Gesetzen der Erzählkunst der sachgemäße. Eine zur Hilfe in der
N o t bestimmte Gestalt (und als solche darf auch Jerobeam gelten) pflegt
erst dann auf den Plan zu treten, wenn sie nötig ist. Vorher ist sie nur
im Verborgenen da, dem Hörer oder Leser als schon berufen b e k a n n t "
und etwa auch durch eine erste Tat in kleinerem Rahmen 2 0 bereits aus-
gewiesen. Das Spannungsmoment liegt darin, wann und wie die allge-
meine Notlage es nötig macht, daß der Held aus seiner Verborgenheit 21
heraustritt 2 2 und die Notlage behebt. Es läßt sich hundertfach belegen,
daß dieser Zeitpunkt so weit wie möglich hinausgezögert wird. Ein
Retter kommt selten zu früh. Auf der anderen Seite gibt es aber auch
überall Hörer, Leser und Erzähler, die es nicht abwarten können und,
weil sie das Spannungsmoment verkennen oder sich auch schon die vor-
bereitenden Aktionen ohne die Beteiligung des heimlich ja schon vor-
handenen und, wenn auch nur im Hintergrund, die Szene beherrschen-
den Helden nicht denken können. Solche Leute haben den Jerobeam
nachträglich an den Verhandlungen des Volkes mit Rehabeam beteiligt
(l.Kön. 12,3.12MT). Ich vermute den gleichen Vorgang in Ex.5, wenn
er dort auch nicht mehr (was ja ohnehin ein außerordentlicher Glücks-
fall ist) textkritisch faßbar ist. Mose gehört in die dortigen Verhandlun-
gen tatsächlich nicht hinein, nicht weil er mit der Herausführung aus
Ägypten ursprünglich nichts zu tun hat, sondern weil sein öffentliches
Auftreten bereits den ergebnislosen Verlauf der Verhandlungen vor-
aussetzt. Der Anfang des Kapitels ist danach das Gegenstück zu den
18
Jerobeam: l.Kön. 11,29ff.; Mose: Ex. 3 f.
20
Jerobeam: l.Kön. 11,26—28 . . . (man erwartet zwischen V. 28 und V. 40 etwas
anderes als die Beruf ungsgeschichte); Mose: Ex. 2, 11 ff.
S1
Jerobeam: l.Kön. 11,40; Mose: Ex. 2,15.
2i
Rückkehr aus dem Exil bei Jerobeam: l.Kön. 12,2; bei Mose: Ex. 4,20.
92 Mose beim Auszug und am Sinai
28
Daß er später nicht mehr als charismatischer Führer auftritt, besagt nichts gegen
diese seine erste Rolle. Diese hat ihren Ort, soviel wir sehen, nur bei der Herausfüh-
rung aus Ägypten. Ex. 17, 8 ff., wo es sich um einen Krieg Jahwes handelt, Mose aber
nicht in der etwa zu erwartenden Weise als charismatischer Führer auftritt, ist in keiner
Weise ein Gegenargument, abgesehen davon, daß Mose hier erst spät eingedrungen
sein könnte (vgl. NOTH, Überlieferungsgeschichte S. 182 f.).
" Geschichte S. 27.
30
Man hat oft vermutet, ein solcher habe zwischen Ex. 33,6 und 7 gestanden und
sei mit Rücksicht auf den parallelen Bericht der Priesterschrift gestrichen worden, vgl.
WELLHAUSEN, Composition S. 93 und viele andere, bis hin zu v. R A D , Theologie I
S. 236 Anm. 103; dagegen zuletzt NOTH Z. St. und Uberlieferungsgeschichte S. 224.
31
Etwa R. HARTMANN, ZAW 37 (1917/18) S. 236.
31
Anders J. Dus, ThZ 17 (1961) S. 3 f.
33
B. STADE, Theologie des Alten Testaments I (1905) S. 44; G. v. RAD, Gesammelte
Studien S. 1.22 f.
34
NOTH neigt dazu, die Lade wenn, dann am ehesten in der Sinaitradition zu ver-
muten (Uberlieferungsgeschichte S. 224 f.), aber auf Grund seiner oben bestrittenen
Hypothese von der Identität der Lade mit dem amphiktyonischen Zentralheiligtum.
35
v. RAD a.a.O. S. 121.
94 Mose beim Auszug und am Sinai
gen 50 , sondern liegt in der Logik einer einzigen. Damit rückt aber auch
die Erzählung vom Besuch des Schwiegervaters des Mose am Gottesberg
(Ex. 18), die nach N O T H 5 1 „in verschiedener Hinsicht seltsam isoliert"
dasteht und zum Thema „Führung in der Wüste" eigentlich nur darum
gehört, weil sie in der Wüste spielt und mit dem Sinaithema „überliefe-
rungsgeschichtlich nicht das mindeste zu tun hat", in die Nähe der Aus-
zugstradition. Zwar könnte im Erzählungszusammenhang vom Charis-
matiker Mose zur N o t das nackte Motiv von Flucht und Rückkehr
genügen. Aber eben doch nur zur Not. Wegdenken läßt sich allenfalls
die Gottesbegegnung, obwohl es im jetzigen Zusammenhang ja sie ist,
die das Auszugsgeschehen recht eigentlich in Bewegung setzt. Kaum
entbehrlich sind aber die nötigsten Angaben über die Umstände am
Zufluchtsort: die Midianiter und des Mose Verschwägerung mit ihnen.
Damit ist aber Ex. 18 als Fortsetzung gegeben, ja gefordert 52 . Daß damit
über die Herausführung aus Ägypten hinausgegriffen wird, ist nicht
unbedingt ein Gegenargument; ein alter Erzählungszusammenhang
muß nicht genau dem entsprechen, was uns heute als „Thema" er-
scheint 58 . Ist an alledem etwas Richtiges, dann ist es von der Überliefe-
rungsgeschichte her nicht ausgeschlossen, daß Mose gleichzeitig der
Führer beim Auszug aus Ägypten war und mit den Midianitern in enger
persönlicher Beziehung stand, einer Beziehung, die zur kultischen Ge-
meinschaft zwischen midianitischen und „israelitischen" Elementen (Ex.
18 in der ersten Hälfte des dortigen Überlieferungsstoffes 54 ) führte 55 .
Es fällt schwer, angesichts dessen die sogenannte Midianiter- oder Keni-
terhypothese abzulehnen, nach der Jahwe ursprünglich der Gott der
Midianiter bzw. Keniter war und durch Mose zum Gott der aus Ägyp-
ten Herausgeführten w u r d e i i .
50
Von einem lokalen „Haftpunkt" in dem Sinne, daß Erzählungen an dem Ort,
an dem sie spielen oder über den sie sonst irgend etwas aussagen sollen, überliefert wer-
den, kann hier, mindestens bei der Auszugstradition, ohnehin kaum die Rede sein.
51
Oberlieferungsgeschichte S. 150 f.
" Daß Ex. 18 elohistisch, die Fluchterzählung aber jahwistisch ist, macht nichts
aus; vgl. N O T H a.a.O. S. 222 Anm. 551.
53
Eine Schwierigkeit liegt darin, daß die Auszugstradition oben den Rahelstämmen,
die Gottesbergtradition aber von N O T H a.a.O. S. 152 den Südstämmen zugeschrieben
wird. Das Hauptargument ist aber bei N O T H die doch mindestens sehr lockere Zuge-
hörigkeit zum Thema „Führung in der Wüste". Auch der Hinweis auf l.Kön. 19,3
(vgl. N O T H a.a.O. Anm. 393 f.) schlägt nicht durch; denn es ist selbstverständlich, daß
in späterer Zeit Wallfahrten zu dem Gottesberg durch das Gebiet der Südstämme
führten.
" N O T H a.a.O. S. 150.
55
Oder ob sie schon auf dieser Gemeinschaft beruhte?
58
Die Argumente dafür brauchen hier nicht aufgezählt zu werden; vgl. besonders
H . H . ROWLEY, From Joseph to Joshua (1950) S. 153 ff.; ZAW 69 (1957) S. lOff. und
die dort genannte Literatur; K.-H. BERNHARDT, Gott und Bild (1956) S. 125ff.;
v. RAD, Theologie I S. 19. Schwierigkeiten bleiben natürlich genug. Nicht die geringste
bildet das Schwanken in der Überlieferung zwischen midunitischer und kenitischer
Mose beim Auszug und am Sinai 97
Hier ist nicht der Ort, das Moseproblem weiter zu erörtern. Immer-
hin scheint schon das Gesagte die Möglichkeit offenzuhalten, daß am
Anfang der Beziehung zwischen Jahwe und „Israel" tatsächlich die
Person des Mose gestanden hat; weiter, daß diese Beziehung ihren
ersten großen Ausdruck in einer Kriegstat des Gottes fand. Der Krieg
Jahwes wäre danach tatsächlich das Urelement dessen gewesen, was ein-
mal Religion Israels werden sollte 57 . Zu diesem Urelement kam das
amphiktyonische Element später als zweites hinzu, oder vielmehr nicht
als zweites, sondern als drittes oder viertes. Man hat also nicht mit
SELLIN 5 8 eine nachträgliche Politisierung der Jahwereligion zu konsta-
tieren und zu bedauern. Das Politische oder, wie BUBER sagt 58 , das
Theopolitische steht vielmehr schon am Anfang und verkörpert sich in
der Person des Mose. Die Amphiktyonie ist anderer Art, eine Organi-
sation, in der das theopolitische Element nicht von vornherein enthal-
ten ist und die von ihm, das zunächst außerhalb ihrer in den Kriegen
Jahwes weiterlebt, erst nach vielen Generationen allmählich erobert
werden muß. Darum die Amphiktyonie dem mosaischen „Israel" als
vollkommenen Gegensatz gegenüberzustellen, einem „unpolitisch-sa-
kralen" Josua den theopolitischen Mose vorzuhalten ist freilich kaum
ganz gerecht. Denn wenn der Josephit Josua wirklich den Zwölferbund
gegründet haben sollte, dann war das nicht nur ein Akt des Verzichts
und der Anpassung. In diesem Akt wurde ja Jahwe, der Gott der letzten
Einwanderer, der Gott aller zwölf Stämme und blieb es. Mögen die ent-
scheidenden Äußerungen des Verhältnisses zwischen Jahwe und Israel
die Kriege gewesen sein, die nicht die amphiktyonische Institution und
nicht die Gesamtheit der Stämme führte — ohne die Institution hätte
es den Satz „Jahwe der Gott Israels, Israel das Volk Jahwes" vielleicht
nie gegeben. Darüber hinaus ist es gut möglich, daß in die Institution
noch anderes Mosaische eingegangen ist, etwa in ihr Gottesrecht 90 . Wir
wissen es nicht, weil wir sowohl von der Amphiktyonie als auch von
Mose viel zu wenig wissen.
(Ri. 1,16; 4,11) Herkunft des Schwiegervaters des Mose (dazu kommt noch, aber wohl
nicht gleichen Ranges, Num. 12,1). Die übliche Harmonisierung, die Keniter seien
damals eine Untergruppe der Midianiter gewesen, befriedigt nicht recht; aber angesichts
des im Alten Testament zu beobachtenden geographischen Fluktuicrens der Keniter
kann sie durdiaus stimmen.
57
Für das Recht der oben gezogenen Verbindungslinie vom Auszug aus Ägypten
zur Begegnung am Gottesberg oder vom ersten Krieg Jahwes zu den Midianitern bzw.
Kenitern könnte noch die Tat der Jael (Ri. 4,17ff.; 5,24ff.) sprechen, der Keniterin,
die den Sieg im Kriege Jahwes vollendet. Daß eine Angehörige des vermuteten
ursprünglichen Verehrerkreises des Gottes gerade hier hervortritt, ist immerhin auf-
fällig. Leider ergibt der Text keinerlei weitere Anhaltspunkte.
58
Geschichte des israelitisch-jüdischen Volkes I (1924) S. 102.
5
* Vgl. zum Folgenden BUBER, Königtum S. 128 ff.
*° Ist der seltsam isolierte Satz Ex. 15,25b dafür vielleicht ein Anhaltspunkt?
NACHTRÄGE
S. 36 Zeile 4 mit Anm. 20 muß lauten: bezeichnet nach den inner- und
außerisraelitischen Parallelen Zivilverwaltung und Rechtspre-
chung20. Er
20
RICHTER a.a.O. S.57ff.
BZ = Biblische Zeitschrift
FRLANT = Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen
Testaments
PJB = Palästinajahrbudi
RB = Revue biblique
VT = Vetus Tesramentum
4lii
HENNING GRAF REVENTLOW
Das Amt des Propheten bei Arnos
FRLANT, Band 80. 1962. 120 Seiten, brosch. 12,80 DM. — „ R e v e n t l o w erblickt
einen Zwiespalt in der Annahme, daß die Propheten des 8. Jh.s zwar etwas Neues
geschaffen haben, dies aber nur durch eine Uminterpretation v o n religiösen Tradi-
tionen, an die sie gebunden waren, erreicht haben. Ferner möchte er über die Unter-
scheidung zwischen einem beamteten Heils- und einem freien Unheilsprophetentum
hinaus zu einer Ganzheit des prophetischen Amtes gelangen."
Zeitschr. f. Alttestamentl. Wissenschaft 1/1963
WALTER BEYERLIN
Die Kulttraditionen Israels in der Verkündigung des Propheten Micha
FRLANT, Band 72. 1959. 128 Seiten, brosch. 10,80 DM. — „ N a c h B. wirken in die
V e r k ü n d i g u n g des Micha drei große Traditionen hinein: v o m Sinaibund, von Aus-
zug u n d Landnahme und vom Davidsbund. D o c h ist Micha wegen ihrer Verwen-
d u n g nicht als beamteter Kultprophet zu bezeichnen. Sein Verhältnis zur Tradition
ist auch nicht das eines bloßen Tradenten: vielmehr bezieht er sich in Ausrichtung
seines Auftrages, das Volk zur Rechtsordnung der Jahwe-Amphiktyonie zurück-
zurufen, jeweils auf die Traditionen des Bundeskultes."
Zeitschr. f. Alttestamentl. Wissenschaft 1/1960
A. H . J. G U N N E W E G
Mündliche und schriftliche Tradition der vorexilischcn Prophetenbücher
als Problem der neueren Prophetenforschung. FRLANT, Band 73. 1959. 128 Seiten,
brosch. 11,80 DM. — „ N a c h G. kommt es zur schriftlichen Überlieferung bei Pro-
phetenworten neben der .alltäglichen und darum häufigeren' mündlichen, wenn die
Worte ,als auch für künftige Zeiten religiös relevant betrachtet werden'. Liefen
mündliche und schriftliche Tradition lange nebeneinander her, so ist das Heiligtum
in erster Linie die Stätte der schriftlichen. Die als gesichert a n g e n o m m e n e Stellung
auch der sog. Schriftpropheten als .Kultpropheten' zwingt (daher) zu der A n n a h m e
einer schriftlichen .amtlichen' Überlieferung ihrer Worte neben der .privaten'
mündlichen." Zeitschr. f. Alttestamentl. Wissenschaft 7/1959
A. H. J. G U N N E W E G
Leviten und Priester
Hauptlinien der Traditionsbildung und Geschichte des israelitisch-jüdischen Kult-
personals. FRLANT, Band 89. 1965. 225 Seiten, kart. 14,— DM. — Seit 1889
(Wolf Graf Baudissin, Geschichte des alttestamentlichen Priestertums) liegt hier
zum ersten Mal wieder eine Gesamtdarstellung zu dem komplizierten Fragenkreis
des alttestamentlichen Leviten- und Priestertums vor. Dabei w u r d e n die traditions-
geschichdichen Methoden (Noths, von Rads u. a.) angewandt und für das vorlie-
gende Problem fruchtbar gemacht.
CARL H E I N Z PEISKER
Hebräische Wortkunde
1962. 44 Seiten, kart. 4,80 DM. — „Ein didaktisch wohldurchdachtes Lern- und
Wiederholungsbuch. Erstmals wird auch der hebräische Wortschatz nach Wort-
familien angeordnet und damit die wichtigste Hilfe für Gedächtnis und K o m b i n a -
tionsvermögen gegeben. In einem zweiten Teil wurden Formen zu den Verben zu-
sammengestellt, um das Einüben der Formenlehre zu erleichtern."
Bibliotheca Orientalis, 1 2 1963
THORLEIF BOMAN
Das hebräische Denken im Vergleich mit dem griechischen
4. Auflage 1966, mit einem Anhang. Etwa 220 Seiten, kart. etwa 12,80 DM. — Der Ver-
fasser hat ein neues Kapitel hinzugefügt, in der er der v o n Juden und Christen viel
und heftig diskutierten Frage nachgeht, in welchem Verhältnis das hebräische und
griechische D e n k e n im Neuen Testament zueinander stehen. Die von Boman heraus-
gearbeiteten Kategorien beider Denkformen bilden die Grundlage dieser aufschluß-
reichen Untersuchung.
KLAUS BEYER
Semitische Syntax im Neuen Testament
Studien zur Umwelt des Neuen Testaments, Band 1. — Band 1: Satzlehre, Teil I. 1962.
328 Seiten, brosch. 34,80 DM. — „Das Buch, das weniger gelesen, als nachgeschlagen
werden will, hat durch sein semitisches Vergleichsmaterial nicht n u r für eine Reihe
von neutestamendichen Stellen eine bessere oder sichere Auslegung ermöglicht,
sondern auch auf G r u n d seines grammatischen Ausschnitts wichtige Resultate er-
zielt: semitische Spracheinflüsse zeigen sich gehäuft nur in den Evangelien, im
Jakobusbrief und in den Johannesbriefen. Da in denselben Schriften die typisch
griechischen Konstruktionen stark überwiegen, ist die Übersetzung dieser Schriften
aus einem semitischen Original endgültig abzulehnen. Abschließend kann hier n u r
auf die Wichtigkeit des Buches als exegetisches Hilfsmittel hingewiesen werden."
W. G. Kümmel: in Theologische Rundschau 2j1963
V A N D E N H O E C K & R U P R E C H T IN G Ö T T I N G E N U N D ZÜRICH