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Über Kants Problem der „Anwendung der „Kategorien" durch

den „Schematismus des reinen Verstandes"


von Rainer Stuhlmann-Laeisz (Göttingen)

Im Schematismuskapitel der „Kritik der reinen Vernunft" stellt


Kant die Frage: „Wie ist nun die Subsumtion der letzteren (sc. der
sinnlichen Anschauung) unter die erste (sc. die Kategorie), mithin
die Anwendung der Kategorie auf Erscheinungen möglich, da doch
niemand sagen wird: diese, z. B. die Kausalität, könne auch durch
Sinne angeschaut werden und sei in der Erscheinung enthalten ?"
(A 137f./B 176f.). Was heißt in diesem Zusammenhang „Anwen-
dung" bzw. „Subsumtion", und warum wird dies zum Problem?
Der vorliegende Aufsatz will diese Fragen beantworten auf der
Grundlage der Auslegung, die P. Plaaß dem Urteilsakt Anwendung
im Rahmen von Kants Schrift „Metaphysische Anfangsgründe der
Naturwissenschaft" gegeben hat1.
1. Rechtfertigung des Rückgriffs auf Plaaß
1.1. „Anwendung" in den „Metaphysischen Anfangsgründen der
Naturwissenschaft"
Bei einer Interpretation der „Metaphysischen Anfangsgründe der
Naturwissenschaft" sieht man sich vor die Aufgabe gestellt, Kants
Formulierung auszulegen, eine „besondere metaphysische Natur-
wissenschaft (Physik und Psychologie)" sei eine solche, „in der jene
transcendentale Principien auf die zwei Gattungen der Gegenstände
unserer Sinne (sc.: Materie als Gegenstand des äußeren und das
denkende Wesen als Gegenstand des inneren Sinnes) angewandt
werden"2. Auf die diesbezügliche Frage hat die genannte Arbeit
von Plaaß eine Antwort gegeben8, und ich meine, daß die von mir
gestellte Frage an den Schematismus ähnlich beantwortet werden
muß. Die Plaaßsche Deutung sei darum kurz referiert.

1
Peter PlaaO: Kants Theorie der Naturwissenschaft. Göttingen 1965.
2
Bd. IV. S. 470, Kursivdruck von mir. Der Kantische Text wird — mit Ausnahme
der „Kritik der reinen Vernunft" — hier und im folgenden nach der Akademie-
Ausgabe zitiert.
8
A. a. O., S. 73—78.

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302 Rainer Stuhlmann-Laeisz

Plaaß setzt sich zunächst mit der naheliegenden Auffassung aus-


einander, Kant habe unter der genannten „Anwendung" das Ver-
fahren syllogistischer Deduktion verstanden. Mit dieser Voraus-
setzung hätte man die Argumentationsstruktur in den „Metaphy-
sischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft" folgendermaßen
zu verstehen: In der „Kritik der reinen Vernunft" hat Kant ge-
zeigt, was zum Dasein eines Gegenstandes möglicher Erfahrung
überhaupt gehört: daß er nämlich den „Grundsätzen des reinen
Verstandes" gemäß durch die Kategorien bestimmt ist. Da Materie
ein Gegenstand möglicher Erfahrung ist, kommen ihr alle diejenigen
Bestimmungen zu, die einem Gegenstand möglicher Erfahrung über-
haupt als solchem zukommen. Im Hinblick etwa auf die Kategorie
„Substanz" und die „Erste Analogie der Erfahrung" hätte diese
Interpretation zur Folge, daß man im Rahmen der „Metaphysischen
Anfangsgründe der Naturwissenschaft" den folgenden Beweis führen
könnte:
In allen Gegenständen möglicher Erfahrung überhaupt beharrt
die Substanz.
Nun ist Materie ein Gegenstand möglicher Erfahrung überhaupt.
Also beharrt in der Materie die Substanz.

Es würde also gemäß dieser Auffassung in den „Metaphysischen


Anfangsgründen der Naturwissenschaft" der Begriff eines Gegen-
standes äußerer Sinne: „Materie", subsumiert unter den Begriff
eines Gegenstandes möglicher Erfahrung überhaupt, und man würde
ihm durch das Verfahren syllogistischer Deduktion die Kategorien
— also transzendentale Prädikate — einzeln zusprechen. Dem hält
Plaaß entgegen, daß es sehr fraglich sei, ob der Begriff „Gegenstand
überhaupt" als Subsumtionsbegriff dienen könne und daß es ver-
mutlich nicht möglich sei, die Kategorien als transzendentale Prä-
dikate einem Gegenstand äußerer Sinne beizulegen4. Nach Plaaß
geht es Kant in den „Metaphysischen Anfangsgründen der Natur-
wissenschaft" nicht darum, den Begriff „Materie" unter die Kate-
gorien zu subsumieren, sondern „darum zu bestimmen, zu welchen
besonderen Begriffen die transzendentalen Prädikate besondert
werden müssen, um die Begriffe zu sein, die das Denken des Da-
seins dieser besonderen Art Gegenstände ermöglichen, also das ent-
halten, was zum Dasein dieser besonderen Art Gegenstände gehört,

4
A. a. O., S. 741

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Über Kants Problem der „Anwendung der Kategorien" 303

. . . insofern sie durch den vorgelegten Begriff (sc. „Materie") ge-


dacht werden"8.
1.2. Vergleich der Problemstellungen in den „Metaphysischen
Anfangsgründen der Naturwissenschaft", und der „Kritik der
reinen Vernunft"
Während Kant in den „Metaphysischen Anfangsgründen der Na-
turwissenschaft" die Kategorien auf den Gegenstand des äußeren
Sinnes „anwenden" will, geht es ihm in dem fraglichen Zusammen-
hang in der „Kritik der reinen Vernunft" um ihre „Anwendung"
auf Gegenstände der Sinne überhaupt: auf sinnliche Anschauungen
(vgl. das Eingangszitat) bzw. „Erscheinungen überhaupt" (A 138/B
177). Auch hier legt sich die Auffassung nahe, Kant habe dabei an
das Verfahren syllogistischer Deduktion gedacht, so daß man dem
Begriff einer Erscheinung überhaupt durch geeignete Syllogismen
die Kategorien beizulegen hätte, z. B. nach dem folgenden Schema:
In allen Gegenständen überhaupt ist Substanz6.
Erscheinungen überhaupt sind Gegenstände überhaupt.
Also ist in allen Erscheinungen überhaupt Substanz.
Keinesfalls kann aber Kant in dem fraglichen Zusammenhang
mit den Ausdrücken „Anwendung" bzw. „Subsumtion" dies ge-
meint haben. Denn erstens ist hier das Ergebnis der fraglichen Sub-
sumtion, sofern es sich in Sätzen ausdrückt, die Tafel der synthe-
tischen „Grundsätze des reinen Verstandes"7. Das beschriebene de-
duktive Verfahren führt hingegen analytisch auf die zu beweisende
Konklusion. Damit hätte man die Grundsätze „aus Begriffen"8 be-
wiesen. Dies steht aber im Widerspruch zu Kants erklärter Absicht.
Der Beweis synthetischer Grundsätze ist nur möglich, wenn man
über die Begriffe hinausgeht und Bezug nimmt auf die Möglichkeit
der Erfahrung9. Zweitens aber kann man die Kategorien einer sinn-
lichen Anschauung nicht als Prädikate zusprechen. Gerade dieser
8
6
A. a. o., s. 75.
Diese Prämisse ist ein durch die „Transzendentale Deduktion" der Kategorien
bewiesener Satz.
7
Vgl. „Kritik der Urteilskraft", Einleitung: „Wir finden nämlich in den Gründen
der Möglichkeit einer Erfahrung zuerst freilich etwas Nothwendiges, nämlich die
allgemeinen Gesetze, ohne welche Natur überhaupt (als Gegenstand der Sinne)
nicht gedacht werden kann; und diese beruhen auf den Kategorieen, angewandt
auf die formalen Bedingungen aller uns möglichen Anschauung" (Bd. V, S. 182f.).
8
A 216/B 263.
9
Vgl. A 216—218/B 263—265.

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304 Rainer Stuhlmann-Lacisz

Sachverhalt begründet nach Kant ja die Notwendigkeit für den


„Schematismus der reinen Verstandesbegriffe". Durch das System
der Kategorien ist ein Horizont vorgegeben, innerhalb dessen allein
sich gegenständliches Denken überhaupt vollziehen kann. Im
Rahmen dieser Ausgrenzung bleibt aber offen, welche Bestimmun-
gen von Gegenständen sinnlicher Anschauung — u. d. h. hier pri-
mär: Objekten in der Zeit — durch die jeweilige Kategorie vorge-
zeichnet sind. Die Kategorien enthalten nämlich kein Merkmal, das
ein durch sie gedachtes Etwas als einen Gegenstand in der Zeit aus-
weisen würde, und genau darum geben sie für sich auch keinen Hin-
weis darauf, wie sie auf solche Objekte angewandt werden können:
„In allen Subsumtionen eines Gegenstandes unter einen Begriff muß
die Vorstellung des ersteren mit der letzteren gleichartig sein, d. i.
der Begriff muß dasjenige enthalten, was in dem darunter zu sub-
sumierenden Gegenstande vorgestellt wird, . . . . Nun sind aber
reine Verstandesbegriffe, in Vergleichung mit empirischen (ja über-
haupt sinnlichen) Anschauungen, ganz ungleichartig, und können
niemals in irgendeiner Anschauung angetroffen werden"10.
Wenn also die Kategorien als transzendentale Prädikate keinerlei
spezifisch auf Zeitliches weisende Bestimmungen enthalten, dann
können sie für sich nicht auf Erscheinungen in der Zeit bezogen
werden. Erst recht nicht können sie dann im Sinne syllogistischer
Deduktion auf den Gegenstand äußerer Sinne angewandt werden,
weil dieser ja immer schon auch Objekt in der Zeit ist. Da es aber
Aufgabe der „Metaphysischen Anfangsgründe der Naturwissen-
schaft" ist, den Begriff „Materie" als Begriff von einem Gegenstand
in Zeit und Raum innerhalb des durch die reinen Verstandesbegriffe
abgesteckten Horizontes möglicher Gegenständlichkeit überhaupt
zu bestimmen, stellt sich hier ein Problem gleicher Struktur wie im
Schematismuskapitel der „Kritik der reinen Vernunft": die Kate-
gorien „anzuwenden" auf Objekte, deren spezifische Merkmale sie
nicht enthalten. Hier wie dort ist zwar die Objektivität der zu be-
stimmenden Objekte durch die Kategorien vorgezeichnet, aber
nehmen wir etwa die Kategorie „Substanz", so bleibt dort — in der
„Kritik der reinen Vernunft" — die Frage, „welche Bestimmung
das Ding hat, welches als ein solches erstes Subjekt gelten soll"11,
und hier — in den „Metaphysischen Anfangsgründen der Natur-

10
A 137/B 176.
11
A 147/B 187, Kursivdruck von mir. Ein solches „erstes Subjekt" wird vorgestellt
durch die reine Kategorie „Substanz"

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Über Kants Problem der „Anwendung der Kategorien" 305

Wissenschaft" — „wird nur dargethan, was in der Materie die Sub-


stanz sei"12.
2. Schlußfolgerungen aus der Interpretation von Plaaß
Es mag damit als hinlänglich erwiesen gelten; daß das Problem
der „Anwendung" der Kategorien auf Erscheinungen — sei es
überhaupt oder speziell vor dem äußeren Sinn — in der „Kritik der
reinen Vernunft" und den „Metaphysischen Anfangsgründen der
Naturwissenschaft" von gleicher Struktur ist. Welche Schlußfolge-
rungen können wir dann aus der Darstellung von Plaaß für unsere
Frage ziehen? Die Aufgabe der „Metaphysischen Anfangsgründe
der Naturwissenschaft" habe ich oben bezeichnet: Es müssen im
Rahmen möglichen Denkens von Gegenständen überhaupt Begriffe
erzeugt werden, die das Dasein besonderer, durch den Begriff
„Materie" gedachter Objekte vor dem äußeren Sinn bestimmen
können. Plaaß bezeichnet das Verfahren zur Erzeugung solcher Be-
griffe mit dem Titel „metaphysische Konstruktion", den er meint
bei Kant belegen zu können: Die „Substanz der Materie . . . zu be-
stimmen, diesen besonderen Begriff unter der Kategorie der Sub-
stanz zu erzeugen, heißt die metaphysische Konstruktion des empi-
rischen Begriffs der Materie, sozusagen in Ansehung derjenigen Di-
mension des ,Denkraumes', die durch die Substanzkategorie be-
zeichnet wird, durchzuführen"13. Zur mathematischen Konstruk-

12
Bd. IV, S. 541, Kursivdruck von mir.
13
A. a. O., S. 76. Den Ausdruck „metaphysische Konstruktion" entnimmt Plaaß aus
Bd. IV, S. 473, Zeile 7/8. Wir brauchen uns hier nicht auf den Einwand von H.
Hoppe einzulassen, der bezweifelt, daß dieser Terminus bei Kant belegbar sei
(Hansgeorg Hoppe: Kants Theorie der Physik. Frankfurt/Main 1969, S. 56—61).
In jedem Falle ist Hoppes Auffassung zurückzuweisen, die „Metaphysischen An-
fangsgründe der Naturwissenschaf t" zögen „in der Tat analytisch und unter dem
Gesichtspunkt der Kategorieen das aus dem empirischen Begriff einer Materie
heraus, was schon in ihm liegt" (a. a. O., S. 68). Denn wie soll man hier „an-
alytisch" und „unter dem Gesichtspunkt der Kategorieen" zusammen denken ?
Entweder die „herauszuziehenden" Begriffe sind schon im Begriff „Materie"
enthalten, dann bedarf es zu solcher Analysis nicht irgendeines „Gesichtspunk-
tes der Kategorieen", sondern sie wäre in der Tat eine Angelegenheit der formalen
Logik (was Hoppe bestreitet), oder aber diese Begriffe sind eben nicht schon in
„Materie" enthalten, sondern müssen nach Maßgabe der Kategorien erzeugt wer-
den als diejenigen Bestimmungen, die dem Gegenstand äußerer Sinne notwendig
zukommen müssen, damit er die Bedingungen möglicher Gegenständlichkeit
überhaupt erfüllt.
Es ist auch widersprüchlich, wenn Hoppe einerseits Plaaß1 Abweisung der
syllogistischen Deutung von „Anwendung" zugibt (a. a. ( , S. 671), um dann

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306 Rainer Stuhlmann-Laeisz

tion zieht er eine Parallele14: Letztere bestimmt die unbestimmte


Form der Anschauung gemäß dem Inhalt eines vorgegebenen Be-
griffs zu einer bestimmten Anschauung, der intuitiven Vorstellung
eines mathematischen Objekts. Solche Konstruktion vollzieht sich
im Rahmen möglicher Anschauung überhaupt: in Raum und Zeit.
Entsprechend wird nun die bloße, unbestimmte Form des Denkens
von Gegenständen überhaupt gemäß dem Inhalt eines vorgegebenen
Begriffs (in den „Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissen-
schaft": „Materie") bestimmt, und hierdurch werden diejenigen
diskursiven Vorstellungen „konstruiert", durch die der im Begriff
bedeutete Gegenstand als ein solcher, d. h. gemäß der durch die
Kategorien vorgegebenen Form von gegenständlichem Denken
überhaupt, gedacht werden kann.
Entsprechend können wir nun die in der „Kritik der reinen Ver-
nunft" gestellte Frage beantworten: Vorgelegt ist hier der Begriff
„Erscheinung überhaupt"15, und dieser ist in dem fraglichen Zu-
sammenhang gleichwertig mit dem Begriff „Erscheinung in der
Zeit". Um aber eine Erscheinung in der Zeit als Gegenstand (u.
d.h. wiederum: im Rahmen möglicher Gegenständlichkeit über-
haupt) denken zu können, muß die bloße und unbestimmte Form
objektiven Denkens überhaupt gemäß dem Inhalt unseres Begriffs
zu solchen Begriffen bestimmt werden, durch die Erscheinungen in
der Zeit als Gegenstände' vorgestellt werden können. Es ist also
beispielsweise zu fragen, was in der Erscheinung „die Substanz sei"
(vgl. . .2.), und diese Frage wird durch die „metaphysische Kon-
struktion" der diskursiven Vorstellung von Beharrlichem beant-
wortet.
Erscheinungen in der Zeit können also* dann unter die transzen-
dentalen Prädikate subsumiert werden, wenn diese letzteren, in dem
beschriebenen Sinne leeren, Vorstellungen durch „metaphysische
Konstruktion" solche Bestimmungen in sich aufnehmen, welche
diejenigen Eigenschaften eines Gegenstandes in der Zeit bezeichnen,
die in bezug auf das reine Denken eines Gegenstandes überhaupt
durch die Kategorien gedacht sind. Diese müssen, um auf Objekte
doch das Verfahren der „Metaphysischen Anfangsgründe der Natur Wissenschaft"
als ein analytisches auszulegen.
Weil ich in der Sache allein der Interpretation von Plaaß folgen kann, behalte
ich auch den Terminus „metaphysische Konstruktion" bei, obwohl ich einige
Zweifel habe, daß er aus der von Plaaß genannten Textstelle herausgelesen
werden kann.
14
A. a. O., S. 74.
15
Vgl. A 138/B 177.

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Über Kants Problem der „Anwendung der Kategorien" 307

in der Zeit bezogen werden zu können, zu solchen Begriffen be-


sondert werden, die diesen besonderen Gegenständen zukommen
können. Diese spezifizierten Begriffe sind die Schemata der Kate-
gorien, und das Verfahren ihrer Erzeugung heißt in diesem Falle
der „Schematismus": „Einen reinen Begriff des Verstandes, als an
einem Gegenstände möglicher Erfahrung denkbar vorstellen, . . . .
Diese Handlung . . . heißt der Schematism"16.
In begrifflicher Hinsicht ist also das Schema gleichsam Ergebnis
und ermöglichender Grund der „Anwendung" der zugehörigen
Kategorie; als Urteile stehen die „Grundsätze des reinen Verstan-
des", die „Regeln des objektiven Gebrauchs" der Kategorien (vgl.
A 161/B 200) an entsprechender Stelle.
Daß Kant das Verhältnis von Schema und Kategorie in der hier
dargestellten Weise gesehen hat, kommt deutlich zum Ausdruck in
der „Transzendentalen Deduktion" der 2. Auflage der „Kritik der
reinen Vernunft". Kant diskutiert dort die Anwendung des Rela-
tionskategorienpaares „Ursache — Wirkung" auf zwei aufeinander
folgende Zustände einer Substanz: „Aber in der Zeit, die ich der
Erscheinung als inneren Anschauung zum Grunde lege, stelle ich
mir notwendig synthetische Einheit des Mannigfaltigen vor, ohne
die jene Relation nicht in einer Anschauung bestimmt (in An-
sehung der Zeitfolge) gegeben werden könnte. Nun ist aber diese
synthetische Einheit, als Bedingung a priori, unter der ich das
Mannigfaltige einer Anschauung überhaupt verbinde, wenn ich
von der beständigen Form meiner inneren Anschauung, der Zeit,
abstrahiere, die Kategorie der Ursache, durch welche ich,
wenn ich sie auf meine Sinnlichkeit anwende, alles, was ge-
schieht, in der Zeit überhaupt seiner Relation nach be-
stimme"17. Hier ist zunächst die Beziehung der Kategorie auf An-
schauung als notwendig dafür ausgewiesen, daß die letztere ob-
jektiv bestimmt werden kann. Dann stellt Kant heraus, welche Be-
stimmung von Erscheinungen in der Zeit durch die Kategorie der
Ursache als Prädikat eines Gegenstandes überhaupt (= Gegenstand
einer Anschauung überhaupt) gegeben ist: Was in bezug auf den

16
Bd. XX, S. 279 (= „Fortschritte", 1. Entwurf, L Abteilung). Einen solchen
„Schematismus" kennt auch die Ethik: „Indessen gleichwie von der Metaphysik
der Natur zur Physik ein überschritt, der seine besondern Regeln hat, verlangt
wird: so wird der Metaphysik der Sitten ein Ähnliches mit Recht angesonnen:
nämlich durch Anwendung reiner Pflichtprincipien auf Fälle der Erfahrung jene
gleichsam zu scfornntisiren" („Metaphysik der Sitten", Bd. VI, S. 468),
17
B 1621, Speitungen teils von min

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letzteren in der Kategorie der Kausalität gedacht ist, wird an einem


Gegenstand zeitlicher Anschauung vorgestellt als Bestimmung von
dessen Zuständen hinsichtlich ihres Verhältnisses in der Zeit, und
zwar hinsichtlich ihrer Reihenfolge. Das Schema der Kausalität
„besteht... in der Sukzession des Mannigfaltigen, insofern sie einer
Regel unterworfen ist"18. Wenn also der Begriff von Ursache und
Wirkung eine Bestimmung in sich aufnimmt, die der zeitlichen An-
schauung des Menschen entnommen ist, dann besondert er sich zu
diesem Schema. Durch diese Spezifizierung wird seine Anwendung
auf Gegenstände in der Zeit möglich.
Das Schema der Kategorie ermöglicht also deren Anwendung auf
Erscheinungen in der Zeit, schränkt dieselbe aber zugleich auch hier-
auf ein. Denn es gilt ja ganz allgemein, daß ein Begriff nur auf
solche Gegenstände bezogen werden kann, an denen alle Bestim-
mungen aufgewiesen werden können, die in dem betreffenden Be-
griff enthalten sind. Das Schema enthält nun eine Zeitbestimmung.
Folglich kann es nur auf solche Objekte angewandt werden, die eine
derartige Bestimmung aufweisen, also Gegenstände der zeitlichen
Anschauung des Menschen sind.
3. Ein mögliches Mißverständnis von Kants Argumentation
Auf Gegenstände in der Zeit kann die reine Kategorie deshalb
nicht angewandt werden, weil sie als bloße Form gegenständlichen
Denkens nichts enthält, was zeitliche Erscheinungen als solche aus-
weisen würde; insbesondere enthält sie keine der Zeit als Anschau-
ungsform entnommene Bestimmung. Eben dieser Sachverhalt ist
von zentraler Bedeutung für die Notwendigkeit des Schematismus.
Man könnte Kants Begründung mißdeuten, wenn man vernach-
lässigte, daß die reine Kategorie in diesem Sinne leer ist. Als der
allgemeine Begriff von einem Gegenstand überhaupt möchte sie
wohl deshalb nicht auf Erscheinungen in der Zeit angewandt werden
können, weil diese, als besondert im Vergleich zum Gegenstand
überhaupt, besondere Bestimmungen enthalten, welche in der Kate-
gorie, als dem allgemeinen Begriff nicht gedacht sind, während doch
„in allen Subsumtionen eines Gegenstandes unter einen Begriff ...
der Begriff ... dasjenige enthalten [muß], was in dem darunter zu
subsumierenden Gegenstande vorgestellt wird"19.
So darf man jedoch Kants Begründung für den Schematismus
nicht verstehen. Denn aus dieser Argumentation würde folgen, daß
« 144/ 183.
» A137/B 176.

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Über Kants Problem der „Anwendung der Kategorien" 309

allgemeine Begriffe überhaupt nicht auf besondere Gegenstände an-


gewandt werden können, ohne in dem Sinne schematisiert zu wer-
den, daß ihnen die besonderen, an dem betreffenden Gegenstand
vorgestellten Bestimmungen beigegeben würden.. Dies ist jedoch
nicht der Fall: „In allen anderen Wissenschaften, wo die Begriffe,
durch die der Gegenstand allgemein gedacht wird, von denen, die
diesen in concreto vorstellen, wie er gegeben wird, nicht so unter-
schieden und heterogen sind, ist es unnötig, wegen der Anwendung
des ersteren auf den letzten besondere Erörterung zu geben"20.
Nicht die Divergenz von Allgemeinem und Besonderem ist es
also, die Schematismus und „metaphysische Konstruktion" be-
dingt, sondern die spezifische Unbestimmtheit des durch die Kate-
gorien vorgezeichneten Denkraumes, der zwar den Horizont für
jedes mögliche Vorstellen von Gegenständen überhaupt hergibt,
innerhalb dessen aber wirkliche Vorstellungen gegebener Erschei-
nungen erst durch einen besonderen Akt der Urteilskraft hervor-
gebracht werden können.
80
A 138/B177.

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