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Das Filmbuch
Bernd Eichinger
1. TONMITSCNITT AUS INTERVIEW »DER TOTE WINKEL«
TRAUDL JUNGE (v.o.) Ich hab das Gefühl, daß ich diesem Kind, diesem kindischen
jungen Ding bös sein muß oder daß ich ihm nicht verzeihen kann, daß es die, die
Schrecken... dieses Monster nicht rechtzeitig erkant hat. Daß es nicht durchschaut hat, in
was es da hineingeraten ist. Und vor allem, daß ich so unüberlegt »ja« gesagt habe. Ich war
ja, ich war ja keine begeisterte Nationalsozialistin. Ich hätte ja, als ich dann nach Berlin
kam, sagen können , nein, ich will da nicht mitmachen und ich will auch nicht ins
Führerhauptquartier geschickt werden. Ich hab’s aber nicht gemacht. Aber da war die
Neugier zu groß. Und irgendwie hab ich das auch nicht so, ich hab ja nicht gedacht, daß
mich das Schicksal so vorantreibt an Stelle, die ich überhaupt nicht angestrebt habe. Und
trotzdem, es fällt mir schwer, mir das zu verzeihen.
Das Gesicht einer hübschen brünetten jungen Frau: Traudl Junge (22, damals noch Humps).
Sie trägt ein gutsitzendes Schneiderkostüm der 40er Jahre und stolpert eilig mit ihnen
Stöckelschuhen hinter zwei Soldaten drein, die den schneebedeckten Waldweg notdürftig
mit Taschenlampen beleuchten. Beide Männer tragen Stahlhelme und SS-Kampfanzüge mit
geschulter MP.
Erst jetz erkennen wir im Dunkeln fünf weitere Damen zwischen 20 und 30 Jahren, alle
sorgfältig frisiert und herausgeputzt. Auch sie haben Schwiergkeiten, auf dem vereisten
Weg im Finstern Schritt zu halten. Der Trupp kommt vor der Schranke zum Stehen.
FÜHRERHAUPTQUARTIER »WOLFSSCHANZE«
RASTENBURG, OSTPREUSSEN
Aus dem Dunkeln werden vage die Umrisse eines niedrigen, verhältnismäßig, kleinen
Bunkers erkennbar. Vor einem Eisentor stehn zwei bewaffnete Posten. Der eine öffnet die
Tür und läßt Traudl und die fünf Damen, ohne daß ein Wort gesprochen wird, eintreten.
Alles wirkt ziemlich unwirklich und konspirativ.
Traudl und die Damen werden von Heinz Linge, 33, Hitlers Diener, in einen ca. 3 x 4 Meter
großen Raum geführt, an dessen einer Seite eine Bank angebracht ist.
Traudl und die anderen Damen nehmen nebeneinander auf der Bank Platz. Sie sind
sichtlicht nervös, nesteln an ihren Kleidern und versuchen nach dem nächtlichen Marsch
ihre Frisuren zu ordnen. Sie sitzen wie aufgeregte Hühner auf der Stange. Traudl hat am
äußeren Ende Platz genommen.
LINGE Ich muß Sie noch um einen kleinen Moment Geduld bitten... Der Führer füttert
eben noch seinen Hund. Er wird Sie in Kürze empfangen.
Eine der jungen Frauen hebt wie in der Schule die Hand.
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HANNAH (Berliner Dialekt) Sag’n se doch… Ick mein… Wie soll’n wa den… wie begrüßt
man eijentlich den Führer?
LINGE Der Führer wird Sie zuerst begrüßen, und Sie antworten dann nur »Heil, mein
Führer«.
LINGE Ich denke, meine Damen, das können wir uns schenken. Schließlich sucht der
Führer in Ihnen ja keine neuen Soldaten, sondern eine Sekretärin... Am besten benehmen
Sie sich ganz näturlich, möglichst unbefangen...
Er geht zu einer hohen doppelflügeligen Tür und öffnet sie einen Spalt.
Er öffnet die Tür nur ganz, die Damen recken neugierig ihre Hälse. Aus dem
hellerleuchteten Arbeitszimmer tritt Hitler in den Warteraum. Seine Erscheinung ist
dynamisch und gepflegt. Zu seiner feldgrauen Uniformjacke trägt er schwarze Hosen. An
seiner Jacke sind unprätentiös das EK I und das Goldene Parteiabzeichen angebracht.
Freundlich nähert er sich den jungen Frauen, die alle mit einem Ruck von der Bank
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hochschnellen. Hiler bleibt stehen und betrachtet die vor ihm stehenden Frauen mit einem
seltsam anmutenden eindringlichen Blick. Seine Stimme ist tief und voll.
HITLER Ich möchte mich bei Ihnen bedanken, meine Damen, daß Sie gekommen sind... so
mitten in der Nacht... aber im Krieg ist man unglücklicherweise nicht immer Herr seiner
Zeit.
Hitler streckt seine Hand aus und begrüßt die von Traudl aus am anderen Ende stehende
Frau mit einem Händedruck. Er schaut ihr direkt in die Augen, was die junge Frau sichtlich
nervös macht.
MARGARETHE Ich heiße Margarethe Lorenz... (stottert) ... Heil... (räuspert sich) mein
Führer.
Hitler geht zur nächsten Frau, drückt ihr die Hand, weider der eindringliche Blick direkt in
die Augen.
HITLER ... Das können Sie ruhig weglassen, Kind ... sagen Sie mir ganz einfach, woher Sie
kommen.
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URSULA Aus Frankfurt am Main, mein Füh ...
Hitler ist schon bei der nächsten, Händedruck, tiefer Blick, Dasselbe Ritual.
HANNA Ick bin die Hannah Potrovsky, und ick bin jeborene Berlinerin... um ed jenau zu
sajn... orginal aus Pankow.
Sie lächelt Hitler gewinnend an, der ohne erkennbare Reaktion zur nächsten weitergeht.
Dasselbe Ritual.
Hitler geht weiter zu Traudl. Auch heir der forsche Händedruck und der
durchdringende Blick.
Hitler läßt ihre Hand los und betrachtet sie noch einen Moment.
Sein Blick geht noch einmal in die Runde, dann zurück zu Traudl
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Hitler dreht sich um und geht zurück ins Arbeitszimmer. Traudl steht etwas verdattert da,
bis Linge ihr Zeichen gibt, daß sie Hitler in sein Arbeitszimmer folgen soll. Linge schleißt
hinter ihr die Tür
Das Arbeitszimmer ist ein ziemlich großer Raum, aber mir wenig Mobiliar. Hinter Hitlers
Schreibtisch liegt in einer Kiste die junge Schäferhündin Blondi. Hitler geht auf Blondi zu
und streichelt sie.
HITLER Meine Blondi tut Ihnen nichts. Sie hat einen ausgesprochen scharfen Verstand.
Überhaupt ist sie viel klüger als die Menschen.
HITLER Jetzt machen Sie es sich erst einmal bequem. Sie brauchen gar nicht aufgeregt zu
sein ... Ich mache bei meinen Diktaten selber so viele Fehler, so viele können Sie unmöglich
machen.
Traudl legt mit etwas zittrigen Händen Papier in die Maschine ein.
HITLER Sie sind noch sehr jung, wie alt sind Sie denn?
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Hitler geht zu seinem Schreibtisch und nimmt eine altmodische, billige Brille mit
Nickelrand, die er sich aufsetzt. Er beugt sich über die Schreibtischplatte und beginnt das
Diktat von dort liegenden handgeschriebenen Notizen.
Traudl beginnt hektisch auf die Tastatur einzuhacken. Mit verbissen konzentrierter Miene
versucht sie dem Diktat zu folgen.
HITLER ...Es ist, glaube ich, etwas Seltenes, wenn ein Mann nach rund 20 Jahren vor seine
alte Anhängerschaft hintreten kann und dabei in diesen 20 Jahren an seinem Programm
keinerlei Änderungen vorzunehmen brauchte.
Hitler unterbricht und geht zu Traudl, die mit hochrotem Kopf zu Ende tippt. Hitler schaut
Traudl über die Schulter auf das von ihr getippte Blatt. Auf dem Blatt stehen zwei Zeilen,
die aussehen wie ein chinesischer Text, die Buchstaben ohne Sinn und Zusammenhang.
Hitler siet Traudl ruhig in ihre panischen Augen.
HITLER (freundlich) Ich würd sagen, das probieren wir gleich noch mal.
Traudl tritt aus der hohen Doppeltür, die Linge hinter ihr schließt. Neugierig blicken ihr die
anderen Frauen entgegen, die noch immer auf der Bank warten. Traudl bliebt einen
Moment in der Mitte des Raumes stehen, als wäre sie benommen. Plötzlich hellt sich ihr
Gesicht auf.
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Nach einer »Schrecksekunde« springen die anderen fünf Mädchen auf und umarmen
Traudl jubelnd
Es ist früher Morgen. Dämmerung. Die Voßstraße und der Platz vor der Reichkanzlei sind
menschenleer und verlassen. Eine geisterhafte Stille. Überall zerbombte Häuser, auch die
Neue Reichkanzlei ist durch Bomben beschädigt. Alle Fenster sind zertrümmert.
Schuttberge und Krater überall.
Schrift-Einblendung:
Von der der Reichkanzlei gegenüber liegenden Seite nähern sich vier SS-Soldaten in voller
Kampfausrüstung mit Stahlhelm, MPs etc. Je zwei schleppen jeweils ein riesiges,
übermannsgroßes, verpacktes »Bild« wie zwei in den Wind gehaltene Segel. Wir erkennen
aber schnell, daß in der Verpackung keine Bilder sein können, da die Packte weitaus breiter
als Bilder sind. Die Last muß wirklich schwer sein, da die Soldaten in der Mitte der
Voßstraße absetzen und verschnaufen müssen. Plötzlich hören sie ein entferntes Pfeifen,
das orkanartig anschwillt. Die Soldaten schauen sich verblüfft an, lassen dan die »Bilder«
fallen, die dumpf zu Boden poltern, und schmeißen sich bäuchlings in den Dreck der
Straße. Im selben Moment kracht mit unglaublichern Wucht eine Artilleriegranate in
unmittelbarer Nähe ein. Eine massive Säule aus Schmutz und Trümmern fliegt hoch zum
Himmel.
7. FÜHRERBUNKER/TRAUDLS ZIMMER
Traudl, Gerda Christian (ca. 30), die andere Privatsekretärin Hitlers, und Frl. Manziarly
(Hitlers Diätköchin), deren Betten in drangvoller Enge in dem winzigen Raum
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zueinandergestellt sind, schrecken verstört aus dem Schlaf hoch. Draußen schlägt eine
zweite Granate ein.
FRAU MANZIARLY (österreichischer Akzent) Frau Junge, Sie ham recht. Des sind keine
Fliegerbomben, des is Artillerie. Des san die Russen. Des is ja a saubers
Geburtstagsgeshenk.
8. FÜHRERBUNKER/HITLERS VORZIMMER
Hitler in seinem üblichen grauen Feldrock und schwarzer Hose, stürmt ins Vorzimmer. Er
ist unrasiert und sichtlich verstört. Er scheint in den wenigen Jahren plötzlich vergreist.
Sein Gesicht is aufgedunsen, seine linke Hand zittert. Martin Bormann, ein untersetzter,
stiernackiger Man von 45, in der braunen SA-Uniform mit der Hakenkreuzbinde am Arm,
und General Burgdorf, 49, Chefadjutant der Wehrmacht, erwarten ihn stehend. Auch ihnen
sieht man an, daß sie gerade aus den Betten kommen. Burgdorf beendet sein Telefonat und
legt den Hörer auf das Telefon, das auf einem kleinen, mit Papieren übersäten Schreibtisch
steht.
Ein vernichtender Blick Hitlers. Bormann lächelt still in sich hinein. Er haßt Burgdorf.
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BURGDORF Mein Führer, das Zentrum von Berlin steht unter Artilleriebeschuß.
Granaten sind in dichter Folge am Brandenburger Tor, am Reichstag und bis hin zum Bahn-
hof Friedrichstraße eingeschlagen.
BURGDORF Mein Führer, wir haben noch keine Meldung. Ich spreche grad mit Koller.
Während Burgdorf die Verbindung herstellt, betritt Krebs. 47, Chef des Generalstabs, eilig
den kleinen Raum. Er ist noch dabei, seine Uniform zuzuknöpfen. Burgdorf reicht Hitler
den Hörer
HITLER (ins Telefon) Koller, Sie wissen, daß berlin unter Artilleriefeuer liegt?
KOLLER Nein.
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