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Ausführliche biografische Informationen liefert Bei seiner Einführung hatte Geld durchaus einen
Georg Simmel online. substantiellen Wert (Gewicht, Metallwert der
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Münzen), sonst hätten es die Menschen nicht an- grenzt Geld Schichten voneinander ab, Wohlha-
erkannt. Mit dem fortschreitenden Ausbau der bende sind "sozial bevorzugt". Simmel erläutert
Geldwirtschaft entfiel der Eigenwert des Geldes dies am Beispiel des Fahrens mit der Bahn in
mehr und mehr - schon seine bloße Existenz ge- der 1. Klasse: "Allein man erkauft mit dem höhe-
nügte bald, um die Wirtschaft anzukurbeln. Da- ren Preise das ausschließliche Zusammensein
mit war die Wandlung vom Substanzwert zum mit Personen, die einen solchen nur anlegen, um
Symbolwert eingeleitet. Im Zeitverlauf änderte von den billiger Fahrenden abgeschlossen zu
das Geld seinen Charakter und übernahm eine sein. Hier kann sich der Wohlhabendere einen
Doppelrolle: Einerseits diente es der Abwicklung Vorteil ganz unmittelbar dadurch, dass er mehr
des wirtschaftlichen Verkehrs, andererseits ver- Geld bezahlt - nicht erst vermöge eines sachli-
folgte es "eigene" Ziele und schwang sich zum chen Äquivalents für seinen Aufwand - verschaf-
Selbstzweck auf - indem es Begierden schuf, fen."
Wünsche und Bedürfnisse in die Welt setzte.
Die Geldwirt-
schaft brachte
den Menschen
individuelle
Freiheit. Sie
konnten sich
aus überliefer-
ten Traditionen
und Abhängigkeiten lösen und wurden selbstän-
diger. Dazu Simmel: "So ermöglicht das Geld,
indem es zwischen den Menschen und die Dinge
tritt, jenem eine sozusagen abstrakte Existenz, Geld fördert aber auch die Entwicklung eines
ein Freisein von unmittelbaren Rücksichten auf freien Arbeitsmarktes und die Entstehung vieler
die Dinge und von unmittelbarer Beziehung zu spezialisierter Berufe. Gesellschaften können
ihnen, ohne das es zu gewissen Entwicklungs- sich auf diesem Wege entfalten (doch wer nicht
chancen unserer Innerlichkeit nicht käme; wenn mitspielt, wird schnell an den Rand gedrängt).
der moderne Mensch unter günstigen Umstän- Auch kulturelle Vielfalt entsteht, ohne ein funktio-
den eine Reserve des Subjektiven, eine Heim- nierendes Geldsystem wären die meisten kultu-
lichkeit und Abgeschlossenheit des persönlichs- rellen Errungenschaften ebenso wenig denkbar
ten Seins - hier nicht im sozialen, sondern in ei- wie Modetrends. Technische Neuerungen und
nem tieferen, metaphysischen Sinn - erringt, die neue Medien (als Simmel seine "Philosophie des
etwas von dem religiösen Lebensstil früherer Geldes" verfasst, sind dies Telegrafie und Tele-
Zeiten ersetzt, so wird das dadurch bedingt, dass phonie) erfahren den entscheidenden Schub
das Geld uns in immer steigendem Maße die un- durch die Geldwirtschaft.
mittelbaren Berührungen mit den Dingen erspart,
während es uns doch zugleich ihre Beherrschung
und die Auswahl des uns Zusagenden unendlich Ersatzreligion Geld
erleichtert."
Je abstrakter Geld wird, desto "gottähnlicher"
In der Moderne wird es. Eine entfesselte Geldwirtschaft gibt eini-
verleiht Geld gen Menschen weit mehr Freiheiten, als ihnen
seinen Besit- die "alten Religionen" je einräumten. Zynismus
zern Potenz, es und "Blasiertheit" sind typische Begleiterschei-
regt ihre Phan- nungen. Schließlich verselbständigt sich die
tasie an und be- Geldwirtschaft und drängt andere Lebenszwecke
flügelt das Kon- in den Hintergrund. Die ökonomischen Akteure
kurrenzdenken. können das Geld nicht mehr kontrollieren.
Wer Geld hat,
fühlt sich als Jemand, der sich ohnehin schon alles kaufen
Gestalter und kann, wird von dem Bedürfnis getrieben, ein im-
hat zudem Macht. Geld ist universell einsetzbar mer größeres Vermögen anzuhäufen, um die
und öffnet den Zugang zu allem, was Menschen Reize des Geldes noch zu verspüren. Vor allem
produzieren können. Mit Geld lässt sich Arbeits- in den Großstädten, wo die Banken das Leben
kraft ebenso kaufen wie Kreativität. Zudem dominieren, lässt sich dieser Trend zum Streben
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nach Geld als einzigem Ziel beobachten. "Die Simmels Werk ist keine ideologische Schrift,
entweder offenbare oder in tausend Gestalten sondern eine nüchterne Beobachtung der
verkleidete Geldhaftigkeit der Beziehungen", so Geldwirtschaft.
Simmel, "schiebt eine unsichtbare, funktionelle
Distanz zwischen die Menschen."
Den Kapitalismus will Simmel nicht attackie-
Und weiter: "Der ren. Für Simmel brachte das Geld den Men-
Mangel an Definiti- schen Freiheit, doch das einstige Mittel zum
vem im Zentrum der Handeln mauserte sich zum Lebenszweck,
Seele treibt dazu, in zur Ersatzreligion, die bei der Sinnsuche in
immer neuen Anre- die Irre leiten kann.
gungen, Sensationen,
äußeren Aktivitäten
eine momentane Be- Die vollständige Fassung der "Philosophie
friedigung zu suchen; des Geldes" ist bei Georg Simmel online zu
so verstrickt uns die- finden.
ser erst seinerseits in
die wirre Halt- und Ratlosigkeit, die sich bald als
Tumult der Großstadt, bald als Reisemanie, bald
als die wilde Jagd der Konkurrenz, bald als die
spezifisch moderne Treulosigkeit auf den Gebie-
ten des Geschmacks, der Stile, der Gesinnun-
gen, der Beziehungen offenbart."
Didaktische Hinweise
Die Sendung kann in den Fächern Sozialkunde, Arbeit-Wirtschaft-Technik sowie Wirtschaft und
Recht ab der 9. Jahrgangsstufe eingesetzt werden.
Lehrplanbezug (Bayern)
Mittelschule
GSE
9. Jahrgangsstufe
9.7 Ein aktuelles Thema
Politik und Gesellschaft stehen vor erheblichen Herausforderungen. Die Schüler sollen nach ihrer
Interessenlage ein bedeutsames Thema aus dem politischen Geschehen aufgreifen und
multiperspektivisch untersuchen. Sie erhalten auf diese Weise die Möglichkeit, sich an der
Themenwahl sowie an der Methodenbestimmung zu beteiligen. Dadurch wird ihr Interesse für
politische Fragen geweckt, ihre Einsichtsfähigkeit in Zusammenhänge gestärkt und ihr politisches
Wissen vertieft.
9.7.1 Zugang
- Themenwahl
- Leitfragen
- Methodenbestimmung, z. B. Medienrecherche, Expertenbefragung
9.7.2 Untersuchung
- mögliche Aspekte, z. B. politische, soziale, historische, geographische, rechtliche, ethische,
religiöse, wirtschaftliche
- Verknüpfungen und rationale Urteilsbildung
9.7.3 Präsentation
- sachgerechte, verständliche und übersichtliche Darstellung, in der Zusammenhänge aufgezeigt
werden
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Arbeit-Wirtschaft-Technik
9.5 Aufgaben und Bedeutung der Geldinstitute
Realschule
Sozialkunde
10. Jahrgangsstufe
10.4 Strukturen gesamtwirtschaftlicher Vorgänge
- Volkswirtschaftliche Verflechtungen und Wechselbeziehungen
- Wechselbeziehungen zwischen den einzelnen Wirtschaftsteilnehmern
Gymnasium
Lernziele
Arbeitsaufträge / Beobachtungsaufträge
Begründen Sie, warum Banker und Börsianer Georgs Simmels "Philosophie des Geldes" lesen
sollten! Warum sind Simmels Beobachtungen aktuell?
Wie wirkt sich - laut Simmel - das permanente Streben nach Geld auf die Psyche des Menschen aus?
Welche Folgen hat das für den Zusammenhalt einer Gesellschaft?
Wie wird die Kultur beeinflusst?
Diskutieren Sie, warum gerade viele "Superreiche" maßlos geldgierig sind. Warum häufen sie immer
größere Vermögen an, die sie niemals ausgeben können? Warum hinterziehen sie, wie z. B. der Ex-
Postchef Klaus Zumwinkel, Steuern, obwohl sie ohnehin über ein Millionenvermögen verfügen?
Warum haben Moral und Gesetz in der Finanzwirtschaft zunehmend weniger Gewicht?
Versuchen Sie, im Sinne Simmels zu argumentieren!
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Flotow, Paschen v. Geld, Wirtschaft und Gesellschaft. Georg Simmels Philosophie des Geldes.
Frankfurt: Verlag Suhrkamp, 1995 (ISBN-10: 3518287443)
Rammstedt, Otthein. Hg. Georg Simmels "Philosophie des Geldes": Aufsätze und Materialien.
Frankfurt: Verlag Suhrkamp, 2003 (ISBN-10: 351829184X).
Simmel, Georg. Philosophie des Geldes. Köln: Verlag Glb Parkland, 2001 (ISBN-10: 3893400060).
Links
http://socio.ch/sim/index_sim.htm
Georg Simmel online
http://socio.ch/sim/geld/index.htm
Georg Simmel online: Die Philosophie des Geldes
http://www.simmel-gesellschaft.de/
Georg Simmel Gesellschaft
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