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III. Fassung vom 28.

April 2014
SE
    2  

Personen Ensemble

STEFAN BRUNIES Flurin Caviezel


MUTTER ERDE Astrid Keller
FELIX Simon Engeli
PHILIP Federico Dimitri
STEINBOCK Rahel Wohlgensinger
LADINA Sara F. Hermann
HERMAN LANGEN Ingo Biermann

NATIONALRAT LEGLER Werner Biermeier


NATIONALRAT HÄBERLIN Beat Gsell
NATIONALRAT SCHERRER-FÜLLEMANN Andrea Müller
NATIONALRAT GRAND Reto Thanei

GEMEINDERAT SARRADI Armon Taisch


JÄGER 1 Ruedi Bühler
JÄGER 2 Roland Weingart
GEMEINDEPRÄSIDENT BEZZOLA Serafin Monn
FRAU BEZZOLA Beatrice Stöcklin
WIRTIN Lucia Conrad

PAUL SARASIN Werner Biermeier

PROFESSOR CARL SCHRÖTER Astrid Keller


OBERFORSTINSPEKTOR JOHANN COAZ Anna Mathis

WILDERER 1 Andrea Noce Noseda


WILDERER 2 Christian Hänny
WILDERER 3 Thomas Rempfler

LEHRERIN 1 Carola Bezzola


LEHRERIN 2 Clärli Weingart
LEHRERIN 3 Annatina Bühler

PARKWÄCHTERIN Sara F. Hermann


PARKWÄCHTER Werner Biermeier

ERDFRAUEN Carola Bezzola,


Rosmarie Enkerli,
Dolores Parolini,
Isabella Mani

FEENGROSSMUTTER UND FEENMÄDCHEN Anna-Maria Vital,


Aline Bunte, Braida
Bunte, Fiona Triebs,
Anna Engeli

RIESEN Thomas Rempfler,


Christian Hänny

WILDE WALDMÄNNER Roland Weingart, Armon


Taisch, Serafin Monn,
Ruedi Bühler
    3  

GÄMSEN Ina Egger, Martina


Müller, Tamara
Estermann, Lucia
Parolini, Urezza
Pinggera, Anina Triebs

BÄR Werner Biermeier

FRAUEN UND KINDER Anna Tina Werro, Anna-


Maria Vital, Rosmarie
Enkerli, Tamara
Estermann, Dolores
Parolini, Isabella
Mani, Martina Müller,
Lucia Parolini, Urezza
Pinggera, Anina
Triebs, Fiona Triebs,
Aline Bunte, Ina
Egger, Anna Engeli
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Szenenverzeichnis

Akt 1

1. Szene Der Park erwacht Seite 5


2. Szene Fort aus der Stadt! Seite 7
3. Szene Jagd Seite 11
4. Szene Pilzrisotto Seite 12
5. Szene Brunies Seite 14

Akt 2

1. Szene Zernez 1914 Seite 18


2. Szene Amtsübergabe Seite 21
3. Szene Arbeitsverteilung Seite 24
4. Szene Rumantsch Romance Seite 27
5. Szene Langens Eifersucht Seite 30

Akt III

1. Szene Der Reigen beginnt Seite 30


2. Szene Gämsen zählen Seite 35
3. Szene Die Wilderer Seite 37

Akt IV

1. Szene Zurück in Zernez Seite 39


2. Szene Ihm nach Seite 42

Akt V

1. Szene Am Busen der Natur Seite 44


2. Szene Sturm Seite 45
3. Szene Kampf und Sieg Seite 47
4. Szene Moral Seite 48

Epilog Seite 50
    5  

Akt I, 1. Szene „Der Park erwacht“

Beginn Musik.

BRUNIES (abwechselnd rumantsch und deutsch, teilweise


übersetzend)
Stei und Felse,
Täler, Mulde, Rinne
und Schluchte, Krete, Kante, Spitze,
Kuppe, Rucke, Gipfel.

Wälder, Wiese, Gletscher, Bäch.


Arve, Föhre, Alperose, Zwergwide und Wacholder.
Holz, wo liit und Holz, wo läbt.
lebendigs Holz – Laina Viva.

Gämse, Steiböck.

GÄMSEN erscheinen. Später STEINBOCK. Er verhält sich nicht


so, wie es die feierliche Sprecherstimme suggeriert.

Murmeltier, Geier, Tannehäher.

Bäre.

Der BÄR erscheint. Ganzkörperkostüm. Spielt tapfer.


Darsteller braucht dringend frische Luft und nimmt sich den
Kopf ab. Auf BRUNIES’ Gestikulieren hin, setzt er unter
stummem Protest den Kopf wieder auf und spielt weiter.

Jo, und s’git au söttig, wo sägend, do gäbis no


vill meh:

(flüsternd, rumantsch/deutsch) Fee, wildi


Männer, Diale, Riise, alti Erdfraue.

MUTTER ERDE taucht auf, umgeben von ihren ERDFRAUEN. Spricht


Grammolot.

BRUNIES UND
FABELWESEN flüstern (FABELWESEN), singen und sprechen
(BRUNIES) im Wechsel das Lied „Il bös-ch
rumantsch“. Ouverture.

Di’ m est tü amo qua


Tü bös-ch da Tamangur
Il vent t’ha sdarlossà
E tegn nun hast ninglur

Eu sun e stun e nu bandun


Eu nu dun loc, poust vaira
N’ha vis s sacha minch’ inviern
Fa lö a prümavaira
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Eu’t vez bod be sulet


Sün tia spuond’ alpina
Cumpagn tü, da vadret
Da naiv e da lavina
Co rivast da tgnair dür
Schi muossa’ns tü la via Cur cha’l sulai vain
s-chür Ans tegna cumagnia

Sag’ mir, bist du noch da


Du Baum von Tamangur
Der Wind hat dich zerzaust
Und Halt findest du nirgends

Ich bin und stehe und weiche nicht


Ich lass nicht locker – wirst sehen
Ich habe erlebt und weiss
Dass jeder Winter dem Frühling Platz machen muss

Ich sehe dich so allein


Auf deinem alpinen Höhenzug
Kamerad von Gletscher, Schnee und Lawinen

Wie schaffst du es durchzuhalten


Zeig uns den Weg
Wenn die Sonne untergeht
Bleibe bei uns

BRUNIES Jo, es git vill z’luege a däm Ort. Aber ebä.


Luege muess me zersch mol chöne.
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Akt I, 2. Szene „Fort aus der Stadt“

FELIX und PHILIP treten auf. Die Tier- und Fabelwelt


verschwindet sofort.

FELIX (liest) „Unser Weg führt weiter bergauf und


durchquert einige alte Föhren-Lärchen-
Mischwälder.“

PHILIP (stöhnt)

FELIX „Im weiteren Anstieg können wir links und


rechts des Weges Gämsen, in grösserer Distanz
Hirsche und Steinböcke beobachten“

PHILIP (stöhnt lauter)

FELIX „Es lohnt sich, die überaus arten- und


farbenreiche Flora zu studieren“

PHILIP (stöhnt sehr laut)

FELIX „Bereits hören wir den Bach rauschen, der...“

PHILIP Pause.

FELIX Was?

PHILIP Pause, i lauf kain Schritt meh wiiter.

FELIX Philip! Mir sind sitt 2 Stund underwegs!

PHILIP Das langt.

FELIX Das isch jo no nüüt!

PHILIP (nimmt Zug aus Asthma-Spray mit lautem


Geräusch)

FELIX Da isch jo nonig emol en Drittel vo üsere


Etappe. (zieht Karte zu Rate) Mir hend gsait
mir laufed hüt bis Murter und lueged nocher...

PHILIP (hat Schuhe und Socken ausgezogen, betastet


Blase, heult laut auf)

FELIX Philip! Nöd so luut.

PHILIP (laut) Isch doch gliich. Do gitt’s jo eh nüt.


Kai Gämse, kain Hirsch, kain Geier. Nöd emol es
lausigs, elends, mikrigs, verdammts huere
Murmeltier hemmer gsee. Da isch doch en blöde
Saich, was i dimm Füerer ine stoht. Gröll und
    8  

es paar Christbäum, das isch alles was do


umestoht. Pah, „back to the Nature“! Wenn da
d’Nature isch, hett i au chöne z’Oerlike
bliibe. Han Hunger.

FELIX Du... ah, hät doch kann Wert. Also denn


machemer halt Pause.

Sie bauen ihr Lager auf. Gaskocher, Wurfzelt, PHILIP


verarztet sich.

FELIX (kichert)

PHILIP Was gitt’s do z’lache?

FELIX Doch nöd du. I han grad a die im Büro tenkt.


Wenn’s üsen Brief findet.

PHILIP (muss auch lachen) De Widerkehr!

FELIX Oder de Gerber.

PHILIP D’Galli!

FELIX D’Mihajlovic!

Steigern sich in Lachanfall, erholen sich.

FELIX Die meined sicher, mir mached Witz.

PHILIP Aber es isch üs ernscht.

FELIX Weg us de Schtadt.

PHILIP Weg us em Hamschterrad.

FELIX Mir läbed vo jetz a i de Wildnis!

PHILIP Für immer!

FELIX Im Einklang mit de Natur!

PHILIP Im Einklang mit de Natur!

PHILIP öffnet Bierdose. Machen weiter mit ihren Arbeiten.

PHILIP Risotto?

FELIX Und was dezue?

PHILIP Jo, jetz luegemer mol. Jetz chunnt de Jäger i


mir zum Vorschii.
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(Er macht das Gladiator-Erde-Ritual)

PHILIP Aaaaaaaah! Mach mit!

FELIX Ah!

PHILIP Lüüter!

FELIX Aaah!

PHILIP Lüüter, du bisch en Jäger

FELIX Aaaahh!

PHILIP Lüüter!

FELIX (brüllt so laut, dass PHILIP erschrickt)

PHILIP Guet wiiter: Tarnig!

FELIX (reicht ihm die Gegenstände)

PHILIP Feldstecher!
(schaut, Stille)
Do isch nüt. Absolut nüt. Mer wäred besser i
d’Masoala-Halle gange, ha der’s jo gsait. Mir
hetted... (sieht den STEINBOCK) Halt!
(aufgeregt) Felix!?

FELIX Jo?

PHILIP Dött hine?

FELIX Wo? Wo?

PHILIP Dött – auf zwei Uhr! E Geiss.

FELIX Nei, das isch en, en... (schaut in Wanderührer


nach)

PHILIP Moll, das sind doch die mit em Gweih.

FELIX Das isch en Steibock.

PHILIP Au recht. Waffe!

FELIX (hat keine zur Hand, reicht den Heringshammer)

PHILIP Doch nöd dä, du Tubel. (Geht zu seinem


Rucksack, holt Taschenmesser hervor, dann
dozierend) Felix, das isch s’Victorinox
„spezial outdoor expedition kit“. Längi,
    10  

114 mm, Höchi und Breiti: 51 mm. 40 Funktione.


Barometer, Höhemeter, Thermometer, Kompass.
Zaaschtocher, Nagelreiniger und
Chugelschriiber. Und – die gross Klinge. Felix,
hütt git’s Steibockgulasch mit Risotto!
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Akt I, 3. Szene „Jagd“

Musikalische Jagdszene. PHILIP und FELIX versuchen, den


STEINBOCK zu erwischen und scheitern kläglich.
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Akt I, 4. Szene „Pilzrisotto“

FELIX (erschöpft) Chumm, gib’s uf, das hett kann


Zweck.

PHILIP Du huere Sausiech, wart nume. I mach


Bluetwurscht us dir, du stinkigs Viech.

STEINBOCK (belustigte Geräusche)

PHILIP Jo, lach du nume, du Sauhund. I zieh ders Fell


über d’Ohre.

STEINBOCK im Folgenden provokative Gesten und


Siegesposen, auch menschliche wie
Eckfahnentanz, Looserzeichen, Oleole-Gesang.

PHILIP I schniid di mit em Tranchiermesser i hundert


Schtuck. Und denn chunnsch vakuumverpackt in
Volg! Und din Schädel hänk i a d’Wand vonere
Schiihütte!

FELIX Philip! Loh nen in Rue. Susch ghöred üs no


Parkwächter.

PHILIP Hesch das gseh, de hett sich absolut


regelwidrig Verhalte, absolut unweidmännisch.

FELIX Esse-mer halt eifach de Riis.

PHILIP Blutte Riis? (schaut sich um) Mir chönted doch


wenigschtens... Felix, hesch gseh.

FELIX Was, gitt’s jetzt Bartgeier-Ragout?

PHILIP Chliini Champignons! (sammelt fröhlich Pilze


und schnippelt sie in den Reis, singt dazu)

FELIX (dazwischen, im Führer lesend) Hesch du scho


mol öppis vonere bipolare Schtörig ghört? Los
emol, bisch sicher mit dene Pilz? I mein, sitt
wenn kennsch du di mit so öppisem uus?

PHILIP (unbeirrt singend) „Überall hett’s Pilzli draa,


Pilzli draa...“ (isst Pilze aus Pfanne)

FELIX Wart doch, villicht sind da...!

PHILIP (steckt ihm Pilz in den Mund) Min liebe Felix,


mir läbed jetz mit de Natur, mir sind Natur.
Mir sind Jäger und Sammler...
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STEINBOCK (lacht hinter dem Felsen)

PHILIP Heb d’Schnorre! (zu FELIX) Aso, uf jede Fall


simmer Sammler. Vertrau uf min Inschtinkt.

FELIX Die sind aber nonig dure.

PHILIP Denn gitt’s jetz mol en Apero. (öffnet für


FELIX eine Dose Bier).

(Sie trinken, Ruhe kehrt ein.)

FELIX Schön isch es scho do.

PHILIP So fridlech.

FELIX So schtill.

PHILIP Hoffentlech findt üs niemert.

FELIX Die hend nume acht Parkwächter für 170 km2,


wenn du nöd bi jedere Glegeheit röhrisch wienen
Hirsch, denn chömmer do alt werde.

(Sie trinken.)

PHILIP Du, das Bier fahrt no recht ii.

FELIX Jetz wod’s saisch.

PHILIP Calanda, die Bünder sind scho krassi Sieche.

FELIX Und – die Blätter – sind – so – grüen.

PHILIP Du, dä Mariechäfer fangt a wachse. Huhu!

FELIX Alles trüllt.

PHILIP Alles - flüüst.

FELIX D’Pilz. Philip, - du riise... – was sind – das


für – Pilz – ...
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Akt 1, 5. Szene „Brunies“

FELIX und PHILIP geben sich ihrem Rausch hin. BRUNIES taucht
als Erscheinung vor ihnen auf.

BRUNIES Mini Herre, Brunies min Name. Si erlaubed?


(setzt sich zu ihnen)

PHILIP Mir, mir...

FELIX ...hend üs verlaufe.

PHILIP Jawoll.

BRUNIES Ah, so. Hm. Trotz em Victorinox super special


outdoor expedition kit?
(während er die modernen Gegenstände um sich
her skeptisch begutachtet) Jäger und Sammler,
hm? Im Einklang mit de Natur? Soso. Weg us der
Schtadt - für immer?

(FELIX und PHILIP werden immer kleiner. BRUNIES


pfeift STEINBOCK, der kommt und sich von ihm
kraulen lässt.)

Wüssed ihr zwei eigentlich, won ier do sind?

FELIX (winkt mit seinem Buch) Natürlich! Im


Schwizerische Nationalpark.

PHILIP (will heuchelnd STEINBOCK streicheln) Hey,


sali. So herzig... Gutschigutschigutschi. (wird
gebissen.)

STEINBOCK Chumm mer nöd znöch. Sunntigsjäger. Susch


gitt’s nomol es Huf an Grind!
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FELIX De cha jo rede!

BRUNIES Chunnt drufaa, was me sich vorher in Riis


gschnetzlet het.(zu STEINBOCK, ihn kraulend)
Chumm, brav, jo, i weiss. (zu PHILIP und FELIX)
Sini Urgrosseltere hämmer sinerziit 1920 us em
Tierpark Peter und Paul in St. Galle gholt und
do frei loh.

STEINBOCK Hopp Sanggalle, füre mit em Balle!

BRUNIES S’druckt immer no chli dure.

STEINBOCK FCSG, FCSG! Olé, Olé!

BRUNIES Sitz!

STEINBOCK (spielt Hund, macht Sitz und hechelt)

BRUNIES Genau, junge Maa. Im Schwizerische


Nationalpark. De Park, wo mer vor hundert Johr
endlech hend chöne gründe, wo mer defür kämpft
hend wie Leue, gschtritte, diskutiert,
gschribe; es paar vo üs hend ihres halbe Läbe
defür geh, do es Schtuck unberüerti Natur
z’schaffe. Und das isch dä Park, wo-n-ier jetz
inetrampled und eu uffüered wie, wie...

STEINBOCK ...zwei reschpektlosi, arroganti


Grossschtadtfutzis?

BRUNIES So ungefähr.

FELIX (blättert im Führer) Wie heissed sie, hend sie


gsait?
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BRUNIES Brunies. Steffen Brunies.

FELIX Brunies, Brunies. Do: Dr. Steivan Brunies.

FELIX Geboren 1877 in Cinuos-chel... (falsche


Aussprache „Zinnuoskel“)

BRUNIES (korrigiert) Cinuos-chel.

FELIX ...Cinuos-chel im Engadin. „1906 Dissertation


über die Flora des Ofengebietes.“

BRUNIES Bim Schröter in Züri. (macht während den


folgenden Ausführungen Kommentare, Ausrufe,
Freude- oder Unmutsbezeugungen)

FELIX „Lehrer in Basel. Mitbegründer des


Schweizerischen Nationalparks. Erster Sekretär
des Schweizerischen Bundes für Naturschutz
(heute Pro Natura). Von 1914 – 1941
Oberaufseher des Nationalparks...“

BRUNIES 27 Johr! (Rumantscher Ausruf wie


„Menschenskind!“)

FELIX „Trug mit seinen Schriften, insbesondere für


die Jugend, massgeblich zur Verbreitung des
Naturschutzgedankens in der Schweiz bei.
Daneben Sammler von Engadiner Volksmusik und
Hobbymusiker (Klarinette). Gestorben 1953 in
Basel.“

PHILIP 1953. (Flüstert à la „The Sixth Sense“) „I can


see dead people!“ Was mached sie denn jetz do?
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BRUNIES Jo, weiss au nöd. Das isch eui Fantasie.


Aber so wie ier zwei Naturpurschte eu do
uuffuered, wär’s villicht kai schlechti idee,
wenn i eu mol wür zeige, was eigentlich d’Idee
vo dem Park isch.

FELIX und
PHILIP (setzen sich wie Schulkinder zum Zuhören)

BRUNIES Nei, Chömed, chömed! Uufstoh! Mir mached e


chliini Reis. Chunnsch au mit? Fuss!

STEINBOCK (spielt immer noch Hund) Jooouuul!

BRUNIES Mini Herre: Auf geht’s! Zernez, 1914.


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AKT II, 1. Szene „Zernez“

Zernez entsteht. VOLK tritt auf. Musik spielt.

SARASIN ...und deshalb soll die natürliche Flora und


Fauna des europäischen Alpenzuges in einem
bestimmt umgrenzten Gebiete ihre unangetastete
Heimat finden; hier soll sie sich vermehren, in
ihren Gestalten sich gegenseitig anpassen, und
es soll so im Laufe der Jahre wieder eine
Pflanzen- und Tiergenossenschaft gewonnen
werden, wie sie die Alpen noch vor dem
Eindringen des Menschen als ein reines Werk der
Natur geschmückt hatte, eine natürliche
Lebensgemeinschaft, eine Biocoenose wie die
Wissenschaft es nennt...

SARRADI (halblaut zu den Umstehenden) Biocoenose, goht


voll in d’ Hose.

SARASIN ...soll im Herzen Europas, im Herzen des


schönsten Gebirgslandes der Welt begründet
werden.

Vereinzelt Applaus.

Dies ist das grossartige Experiment, in dem


alpine Urnatur wieder hergestellt und,
gleichsam als ein grosses Reservoir ungestörten
Naturlebens, der Zukunft zum Geschenk
überreicht werden soll.

Applaus. BEZZOLA applaudiert besonders laut, beglückwünscht


SARASIN.

BRUNIES Dä, wo dött grad vo sim Podeschtli


abechletteret, isch der Paul Sarasin. Er isch
de Präsident vo de Nationalparkkommission.

PHILIP Din Chef?

BRUNIES Eine wie-n-i het kain Chef, junge Maa. Aber er


isch uf jedefall für dr ganz Naturschutz i dem
Land sicher eini vo de wichtigschte Figure gsi,
das mues i säge. Spöter hani denn uhuere Lämpe
gha mit em. Das het tetscht, säg i eu. Aber das
isch e anderi Gschicht.

LANGEN im Fokus. Redet auf eine Gruppe ein. Vergewissert


sich, dass LADINA die Geschichte hört.
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LANGEN ...ich stehe da also auf der Alp Buffalora, und


plötzlich: was seh’ ich? Ihr glaubt es nicht!
Eine Bärenmutter mit zwei Jungen. Weglaufen,
keinen Zweck. Ich also: Stell mich hin, schaue
der Bärin fest in die Augen, so. Und dann...

BRUNIES Herrmann Langen. Üsen Parkwächter. Us em


Tüütsche chunnt er. De grööscht Umeplagöri, wo
mer je undercho isch.

PHILIP En Dütsche, was erwartisch?

BRUNIES Wenn i dir so zuelose, weiss i nöd, öb’s mit em


Land öppis z’tue het, du Schnorri.
Aber de Langen, mit dem hani au nur Ärger gha.
Lügt wie truckt und macht nie, was er sött.

SCHRÖTER und COAZ mit Botanisiertrommel beugen sich über


Landkarte.

SCHRÖTER und
COAZ (Murmeln, dazwischen hörbar, z.B) Campanula
scheuchzeri, Val da la Föglia, Arvenbestand,
interessant, faszinierend, Regemängi, Lueged
Sie do Herr Kollege! Polleablagerige.

BRUNIES Ha, De Coaz und de Schröter - dä döt mit em


wisse Bart. Ohni dä gäb’s de Park zimli sicher
au nöd. De Schröter isch min Professor gsii,
z’Züri, i glaub nöd, dass es eine uf de Welt
git, wo meh über Alpepflanze weiss, als de
Schröter. Und de Coaz – e Legände: Vierzg Johr
lang eidgenössische Oberforschtinschpektor.

Die Bauern und Jäger jassen, trinken und unterhalten sich auf
rumantsch.

BRUNIES D’Puure vom Dorf. De säb döt isch der Sarradi,


Gmeindrot - und Jäger. Gueti Lüüt, das chame
säge. Aber Freud am Park hend denn im Fall
längscht nöd alli gha.

Eine Gruppe LEHRERINNEN, schön zum Wandern hergerichtet,


schaut sich das Dorf und seine Bewohner an, sie schnattern
und kichern. Hörbare Ausrufe auf Bern-, Zürich- oder
Baseldeutsch, z.B.:)

LEHRERINNEN Nei, wie nätt!. So pittoresk! E Pracht! So


natürlich!
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BRUNIES Sekundarlehrerinne us em Underland. Dem sait me


Rekognosziere. S’Thema Umweltschutz a de
Schuele. Ganz wichtig, aber...

STEINBOCK ahmt Schnattern nach

BRUNIES ...du saisch es.

Die WILDERER. Drücken sich unauffällig im Hintergrund herum.

BRUNIES Die Gschtalte do kenn i nöd. Si mached nöd de


Iidruck, dass zum Tanze choo sind.
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Akt II, 2. Szene „Amtsübergabe“

BRUNIES, FELIX, PHILIP und STEINBOCK mischen sich unter die


Leute. Brunies begrüsst da und dort einen Bekannten. PHILIP
ist sichtlich froh, wieder Menschen um sich zu haben.
Verpflegt sich, bringt einem Pärchen, das Polka getanzt hat,
den Gangnam-Style (oder was auch immer gerade hip ist) bei.
FELIX und BRUNIES setzen sich, LADINA kommt an ihren Tisch.

LADINA Bun di, sar Steffen. Ün quintin, sco adüna?


Flott, cha’l es gnü amò cun duos giasts.

BRUNIES Allegra Ladina, hai, hai, duos „amis da la


natüra“.

LADINA Aha, da Basilea, sco el?

BRUNIES Na direct. Pü da dalöntsch davent. Dörf i


vorstelle: D’ Ladina, üsi guet Seel vom „Adler“
do z’Zernez.

LADINA Allegra, am fa plaschair.  

BRUNIES Und das isch de Felix, en, äh...

FELIX (bezaubert von LADINA) ABAM. Assistant Buisness


Administration Manager.

BRUNIES Kaufmann. (PHILIP kommt dazu) Und de Herr do


isch der Philip.

FELIX Customer Relations junior Manager. (bemerkt


(LADINAS Unverständnis). Jo, aber jetz mache
mer grad es Sabbatical.

PHLIP Für mich es Bierli. Han so en trochne Hals.

LANGEN Herr Doktor! Grüzzi und Allegra! Wie schön, Sie


zu sehen. Herr Doktor. Haben Sie meinen Bericht
erhalten zum Vorfall mit den Wilderern aus
Livigno? Also, wenn Sie mich fragen, Herr
Doktor: Da müsste man duregriife, radikal
duregriife. In meinem Bericht habe ich auch
bereits einige Vorschläg...

BRUNIES Nöd jetz, Langen.

LANGEN ...uusgschaffet.

BRUNIES Spöter.

(LANGEN zieht ab, FELIX und PHILIP misstrauisch betrachtend)


    22  

BRUNIES Do wäred mer also. Zernez 1914. (schaut auf


seine Uhr) Jetz sötted denn bald die Herre
Nationalröt us Bern am Bahnhof iitreffe. Ihr
chönd eu nöd vorstele, wie-n-ich Freud gha han,
wo de Park tatsächlich grad do Würklechkeit
worde isch. Johrelang hemmer kämpft defür.
S’erschte Naturreservat vo de Alpe, vollkomme
sich selber überloo. Schtelled eu das mol vor.
Scho 1906, wo der Coaz und de Schröter
zerschmol...

(Aufregung, Rufe. SCHRÖTER und COAZ haben den STEINBOCK


entdeckt. Sie und einige Dorfbewohner umringen ihn, er wird
genauestens betrachtet, Notizen werden gemacht. Der STEINBOCK
geniesst die Aufmerksamkeit wie ein Star, posiert und räkelt
sich.)

SCHRÖTER (SCHRÖTER spricht mit deutschem Akzent)


Sensationell! Unglaublich! Capra ibex! En echte
Alpensteinbock. Wie chunnt denn dä do ane?.

COAZ Es Wunder! Nöd zum fasse, Herr Kollege!

SCHRÖTER Sit 250 Johr ausgrottet, und jetzt plötzlich


das Prachtexemplar!

PHILIP Lueged, de iibildet Plöffsack. Meint er seg


öppis bsunders.

FELIX Aber Herr Brunies, de Park, i mein, das isch jo


alles meh oder weniger felsigs Niemandsland.
Vill meh als e Tafle iischlo hend Sie do jo
chum möse mache.

BRUNIES Hend ier en Ahnig! Eifach e Tafle iischlo, pah!


Chönd ier eu überhaupt vorstelle, was das
bruucht het: Mit de Gmeinde verhandle,
Pachtverträg abschlüsse, mit em Bund rede,
Mitglieder aawerbe, Büecher schriibe. Und die
ganz Ziit het’s Mais geh, chönd denn nu luege,
was d’Nationalröt wider z’debattiere hend.
Schtändig führlt sich eine übergange.

FELIX Jo, liebe Herr Brunies, do sötted sie mol


luege, wie me das hüt bi üs macht. Do hetted
Sie no öppis chöne lerne für Ihres Pärkli. Ich
säge nur: Pro-jekt-manage-ment.

PHILIP Kommunikationsstrategie. Alli Player iibezieh.


    23  

BRUNIES (scheinbar interessiert) Player. Player.

FELIX jo, genau. Und Qualitätssicherig.

PHILIP Evaluation.

BRUNIES Evaluation, interessant.

PHILIP Riskmanagement.

BRUNIES Hai, das tönt denn guet: Riskmanagement!

PHILIP Planigstools.

FELIX Philip, isch guet.

PHILIP Joint-Venture.

FELIX Philip, bis ruhig.

BRUNIES (schaut die beiden an) Mini Herre, i han e


Idee. (verschafft sich Aufmerksamkeit) Mini
Dame und Herre: Dörf ich Ihne mini beide
Schtellvertretter vorschtele.
Ab sofort hend sie d’Oberufsicht über üsen neue
Park. Oberufseher Felix, herzleche Glückwunsch!

(stellt FELIX auf Podest)

FELIX Aber...

LANGEN Wie bitte, aber Herr Doktor...!

BRUNIES Oberufseher Philip, herzleche Glückwunsch!

PHILIP Eigentlich hani...

BRUNIES Bitte wended sie sich vo jetzt a mit all ihrne


Aalige vertrauensvoll a die beide kompetente
Herre.

FELIX Herr Brunies...

BRUNIES Ier zwei Helde törfed jetz de Lade mol es Wiili


überneh. Es chunnt denn grad d’Delegation us
Bern – Nationalröt. Vill Vergnüege. Und i gang
go Blüemle. Hehe, Projektmanagement!

FELIX Herr Brunies, Sie chönd üs doch nöd eifach...

BRUNIES Planigstools. (geht ab, rumantsch belustigt


weitersprechend)
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Akt II, 3. Szene „Arbeitsverteilung“

(unangenehme Stille, die Menge wartet)

PHILIP (durch die Zähne) Ich glaub, die wartet, dass


d’öppis saisch.

FELIX (ebenfalls durch die Zähne) Wieso ich? Säg doch


du öppis.

PHILIP Du bisch de geboreni Leader. Los!

FELIX Mini Dame und Herre. Grüezi.

Die Romanen schnauben wütend auf.

Entschuldigung, ich meine natürlich A...


Allegra. Jo, also, schön. Genau, de Park. De
isch würkli wichtig. Naturschutz.

(Die Menge verliert rasch das Interesse und


geht ab. FELIX macht tapfer weiter.)

Also de Naturschutz. De wird jo au immer


wichtiger. Well, d’Natur bruucht üs. Si bruucht
üsen Schutz, drumm mached mer do äbe
Naturschutz. Und sie, also ich mein, zäme...
Schaffed mer das... scho.

Ein KIND kommt angerannt.

KIND (rumantsch) Sie sind achoo! Am Bahnhof!


D’Nationalröt!

Das VOLK folgt dem Kind, die Bühne leert sich.

PHILIP (mit gespielter Rührung) Wahnsinn. So packend.


Wie du chasch d’Lüüt begeischtere.

FELIX Denn machs doch nöchschmol selber, du Aff.

PHILIP Aber sicher. (ruft) Parkpersonal! (zu FELIX)


Ich zeig der jetz, wie me das macht. (ruft)
Daher! (zu FELIX) Natürlichi Autorität, Felix,
natürlichi Autorität.

LANGEN Parkwächter Langen, meldet sich zum Dienst!


Grüzzi und Allegra! Glückwunsch zu Ihrer
Ernennung, meine Herren! Allerherzlichsten
Glückwunsch! Wenn Sie erlauben, da kommt ja
öppis auf sie zu, wie! Aber lassen Sie sich mal
nicht unterkriegen. Ich sage immer: immer ran
    25  

an die Buletten! Haha. Sie machen das schon,


und der Herr Brunies wird schon wissen, was er
tut. Grossartiger Mann, der Herr Brunies,
grossartiger Mann. Und gelled si: Parkwächter
Herrmann Langen, immer zur Stelle, wenn si mich
bruuched.

PHILIP Aha, und wo ischt der Rescht?

LANGEN Welcher Rest!

PHILIP Jo, i mein, die anderen Parkwächter?

LANGEN Da gibt’s nur mich, wenn’s recht ist.

PHILIP Aha, aha. Schön, schön. Jo guet, i dem Fall.


Parkwächter Langen, was ischt ob, was sind ihre
Tasks, was schteht auf der Todo-List?

LANGEN Todo-List?

PHILIP Jo, i mein, was schteht auf dem Programm?

LANGEN Zu Befehl Herr Oberaufseher, Programm: Da wäre


mal die Sitzig zwecks Differenzbereinigung
aller Interessensvertreter, namentlich der
Gemeinde Zernez, Bund und der SNK. Das het
eigentlich der Herr Brunies wölle...

PHILIP Sehr guet, Differenzbereinigung, das chasch du


mache, Felix, aber ASAP!

LANGEN Bitte was?

PHILIP As Soon As Possible.

LANGEN Dann die Überprüfung der meteorologischen


Station Cluozza, die Gämszählig auf Murterous,
die Patrouille im Val dal Diavel, da soll sich
eine Bande Wilderer umetriiben...

PHILIP Gämszählung, sehr guet, mit dem fangen wir an.


Langen!

LANGEN Hier!

PHILIP Wir gehen auf Gämsexpedition. Proviant?

LANGEN Verstanden, Herr Oberaufseher, Proviant. Im


Restaurant Adler werden wir versorgt mit Brot,

PHILIP Schön.
    26  

LANGEN Chääs,

PHILIP Schön.

LANGEN Bündnerfleisch.

PHILIP Sehr schön, Bü-, Bü-, Bünderfleisch! (lacht als


Einziger über seinen Witz)

LANGEN Und einem original Engadiner Nusstörtli.

PHILIP Langen, Sie gfalled mir. Also, los, gehen Sie


voraus, ich überwache die Proviantierung
höschtpersönlich. (im gehen zu FELIX) Und du
bereitisch d’Sitzig vor. Natürlichi Autorität,
Felix, natürlichi Autorität.
    27  

Akt II, 4. Szene „Rumantsch Romance“

Während der Szene kommt einige Male Ladinas Mutter, die


WIRTIN, um Geschirr abzuräumen. Sie treibt Ladina zur Arbeit
an und sorgt dafür, dass die beiden nicht zu nahe beieinander
sitzen können.

FELIX Sitzig leite, Sitzig leite. Wa söll i do e


Sitzig leite.

LADINA Forsa pigliast il prüm ün caffè!

FELIX (nervös) Sorry, ich cha nöd rumantsch. Also als


Chind hani amigs s’Guetnachtgschichtli uf
Rätorumantsch glueget. Do isch zersch so nes
Müüsli cho, oder isch es es Bärli gsi?
Jedefalls und denn die Melodie (singt). Da-da-
da-dada-da-da. Und denn isch do sone Aasagerin
gsi, die het denn am Schluss gsait: stand bain
und dorma bain und so... Allegra (lächelt
gequält)

LADINA O vaja amo! Eu craj cha tu est stat massa lönch


in tes Lai da Constanza!

FELIX Haha, genau: go tanze. (sehr langsam und mit


Gesten, wie für Ausländer oder Schwerhörige) Du
wohnen in sehr schönem Dorf!

LADINA S-chüsa, eu num incleg nüglia.

FELIX Du wohnen in sehr schönem Dorf. Die Natur. Die


Blumen. Die Luft. Die Berge.

LADINA Che?

FELIX (verstrickt sich in immer doofere Gesten) Äh,


Die Natur meini, die unberührte Natur.
Wildromantisch, aso ich mein wild und
romantisch, wildromantisch, verstohsch?

LADINA (schweizerdeutsch) Wotsch jetz en Kafi oder


wotsch kain?

FELIX Aha, du redtsch...

LADINA (Macht sich mit Geschirr zu schaffen, teilweise


auch aus dem „Off“) Zwei Johr in Züri als
Dienschtmaitli. Aber denn bin i wieder ufecho,
mini Eltere bruuched Hilf do im „Adler“. Grad
jetz, wo immer meh Wüsseschaftler chömed go
Blüemli zele. Übrigens, vo wege Natur: Also
    28  

„wild“ schtimmt jo scho, aber mit „romantisch“


wär i vorsichtiger. Oder findsch es romantisch,
wenn d’muesch noch eme Schteischlag drü Täg
chasch warte, bis vo do uf S-chanf chasch
laufe. Oder d’Chüe fasch verhungered, wells
wider mol fasch kei Heu meh hät, wome no chönnt
zämechratze.

Und en Gasherd wie bi dr Madame z’Züri hemmer


do au nöd. Do chasch denn zersch mol go Holz
schiite, wenn d’ öppis Warms willsch esse.

FELIX Mikrowelle

LADINA Was saisch?

FELIX Du brüüchtisch en Mikrowelle-Herd.

LADINA Und was isch das?

FELIX E Mikrowelle? Do wird s’Esse i zwei Minute


warm. Das isch Zuekunft, aso, äh, das hani mol
gläse.

LADINA Soso. D’Zuekunft. (stellt Kaffe und Co. auf


Tisch)

FELIX Jo das isch denn so ne Chischte us Plas...,


aso, Holz, und die, äh, funktioniert mit
Strahlig.

LADINA Strahlig?

FELIX Jo, Strahlig. Das sind so Welle und denn sind


do die Molekül und denn schwinged die... –
irgendwie. Und – denn wird’s warm.

LADINA Warum schwinged denn die Mo-le-kül? (setzt


sich)

FELIX Worum die schwingend? Also die schwinged, well


die Strahle, die, also die...

LADINA Momoll, do bin jo gschgpannt uf die Zuekunft.


Bisch für de Moment au zfride mit eme Kafi, wo
mit Holz gchocht worde isch?

FELIX Danke. (sie rücken etwas näher zusammen)

LADINA I weiss zwor nöd, warum eu dr Herr Brunies zu


sine Schtellvertreter gmacht het, aber eis cha
der säge: Legg di besser warm aa. De Park
chunnt mer vor wienes Liintuech, wo alli draa
    29  

riised und ziehnd. Und alli ine anderi Richtig.


Wür mi nöd wundere, wenn am Schluss nume Fätze
würded übrigbliibe.

FELIX I han so z’Gfühl, wenn du debii bisch, cha mer


nüüt passiere.

LADINA Ich? Ich bin do nume s’Meitli vom Adler. Es


Meitli bringt Kafi und baschta.
    30  

Akt II, 5. Szene „Langens Eifersucht“

PHILIP (kommt singend, Langen hinterher. FELIX und


LADINA gehen schnell auf Distanz) Im Frühtau zu
Berge, wir gehen, fallera! Alles parat. Felix,
der Abschied naht. Langen, Abmarsch i t minus 2
Minute. Mach’s guet mit dinere Sitzig. (singt)
Wir wandern ohne Sorgen, munter in den Morgen,
noch ehe im Tale die Hähne kräh’n!

LANGEN Zu Befehl, Herr Oberaufseher! (vertraulich zu


LADINA, sie am Arm haltend) Ladina, was hast du
mit dem da zu schaffen?

LADINA Lo mi los, ich chann scho uf mi selber


uufpasse.

LANGEN Ladina, ich mein’s nur gut. Schau, du bist ein


hübsches Mädel, und ich will nicht...

LADINA Langen, i weiss was i z’tue han.

LANGEN So? Diese zwei Trottel halten ihre Arbeit doch


keine zwei Tage durch. Parkdirektoren.. Schau
sie dir doch nur mal an. (wird zudringlich)
Ladina, ich könnte für dich sorgen, bald hab
ich meinen Schweizer Pass, und dann könnten wir
doch...

PHILIP (ruft) Chumm, Langen, d’Wildnis warted. Aah, im


Gras sitze, es paar Gämsli zele und denn:
(singt Stiller Has) Znüni näh. Wunderbar. Los!
(singend ab)
    31  

Akt III, 1. Szene „Der Reigen beginnt“

FELIX hat seinen Sitzungstisch eingerichtet. LADINA und


STEINBOCK halten sich im Hintergrund. Ruhe vor dem Sturm.
FELIX atmet tief ein, sammelt sich. Die NR HÄBERLIN, LEGLER,
SCHERRER-FÜLLEMANN und GRAND werden vom STEINBOCK auf dem
Rapid hereingefahren. BEZZOLA, beflissen, führt NR zu FELIX.

HÄBERLIN Herr Oberufseher, lönd Sie mich am Aafang grad


nomol säge, wie sehr sich s’gsamte Schwiizer
Parlament freut...

LEGLER und SCHERRER husten ungeduldig

HÄBERLIN Guet, die grossi Mehrheit vom Schwiizer


Parlament freut sich usserordentlich über...

LEGLER Ich bedure de Entscheid zutüfscht.

SCHERRER Jawoll!

LEGLER Zutüfscht. En Hufe Idealischte und Gelehrti


wönd do ihri Marotte verwürkleche. Müesam hend
sech Mensche d’Natur untertan gmacht, hend
gförlechi Raubtier besitiged, hend Land urbar
gmacht. Und das isch jo nume de Aafang: Am
liebschte würded ier jo us em halbe Land es
Reservat mache!

SCHERRER Jawoll!

GRAND Mais non! C’est une oevre utile, nécessaire


meme, patriotique, remarquable!

LEGLER Nüt remarquable. E Idee us Hinderindie isch


das. Und den d’Raubtier? Glaubed Sie, die
haltet sich a Parkgrenze? Und d’Geier, die
chralled sich chliini Chind us de
Chinderwäge...

HÄBERLIN Tumms Züg, Angschtmacherei! Tenked Sie doch a


die möglechi Widerasidlig vom Steibock, dem
Schtolze, edle Wappetier.

STEIBOCK GC, GC, die Scheisse vom See!

FELIX Also, mit eme vernünftige Wildtiermanagement...

LEGLER Es Morde wird das! Es unsäglichs Morde.


    32  

SCHERRER Jawoll!

GRAND C’est une folie.

HÄBERLIN Sie und ihri Fantasie.

SCHRÖTER und COAZ kommen

SCHRÖTER Herr Oberufseher! Mir möchted nomol mit


Nochdruck druf hiiwise und Sie sind sicher mit
üs einig, dass das Reservat vo jeder Art
Fremdevercher verschohnt bliibt.

COAZ Das isch es Forschigsgebiet,

SCHRÖTER , wo nöd törf uusgschlachtet werde dur Gier und


Schpekulation!

COAZ E Vulgarisierig vo de edelschte Alpegebiet.

SCHRÖTER Das törf do nöd passiere!

COAZ Kai Auto, kai Hotel.

SCHRÖTER (betend) Still, vo ahnigsvollem Schauer erfüllt


söll de Naturfründ sini Schritt dur das
Sanktuarium lenke.

COAZ Aber nöd zvill.

FELIX Also ich tenke, do chame scho...

LEGLER Pah, wenn de Bürger söll zale, söll er de Park


do au törfe gnüüsse. Me mööst es paar Chäfig am
Wägrand uufstelle und denn es paar Viecher dött
ine...

SCHERRER Jawoll!

SCHRÖTER Aber nie im Läbe!

COAZ Völlig unwüsseschaftlich!

LEGLER Jo, jo, und ier Professore schtiflet denn i


dene Täler ume, und i vier, füüf Johr gitt’s es
Brichtli, wo niemert lisst.

GRAND Ignorant!

SCHRÖTER Bubalus arnee!

COAZ (zu FELIX) Zu deutsch: Wasserbüffel.


    33  

SCHRÖTER Herr Oberufseher, mir macht au die


meteorologisch Messstation Cluozza Sorge.

COAZ De Parkwächter Langen,

SCHRÖTER schiint chum die richtig Person zsii, zum...

COAZ ...er haltet sogar Saue

SCHRÖTER und es Pony

COAZ und e Chue

SCHRÖTER zmittst im Nationalpark.

COAZ und
SCHRÖTER Völlig unwüsseschaftlich!

JÄGER 1 (kommt mit SARRADI) Fat lö, fat plazza per


Sarradi!

JÄGER 2 Laschai discuorrer a Sarradi!

SARRADI Quist parc, quai as discha, quist parc vegn ad


esser il paradis pels froduladers.

FELIX Ladina, entschuldigung...

LADINA Er sait, de Park wird es Paradies für Wil...

SARRADI Tascha jo! Jumfrina, e ’m porta plü jent alch


da baiver. De Park isch nüüt. Nur Ärger git’s.
Da chann i eu prophezeie.

LEGLER Bravo, guete Maa! Sind sie scho Mitglied bi üs


i de Demokratische Partei?

JÄGER 1 No dovrain fain!

JÄGER 2 No dovrain laina!

LADINA übersetzt

SARRADI Nüüt als Ärger. Bald wimmlet’s vo Wilddiebe und


mir ehrliche Jäger sind die Tumme.

BEZZOLA Sarradi, du... (zu seiner Frau) Che n’haja da


dir?

FRAU BEZZOLA flüstert ein

BEZZOLA jetzt chasch denn langsam uufhöre...


    34  

Mir hend scho vor Johre... also scho vor Johre


hemmer...
Do bi üs im Gmeindrot...

FRAU BEZZOLA (energisch) Mir hend scho vor Johre im


Gmeindrot abgschtimmt. Zernez wott de Park.
Tenked doch emol a d’Pachtverträg, Tänked doch
an Fremdeverchehr.

HÄBERLIN Bravo, Madame! Tänked a s’Heimatgfühl!

∅ SARRADI und FRAU BEZZOLA streiten weiter auf rumantsch.


Nach und nach mischen sich ALLE ins Gespräch, diskutieren
untereinander und reden auf FELIX ein. Er gerät in
Bedrängnis, der Kreis schliesst sich immer enger um ihn.

PAUSE
    35  

Akt III, 2. Szene „Gämsenzählen“

Im Park, Musik. BRUNIES sitzt, spielt mit Fränzlis.

BRUNIES Äbe. Gesehnder? Drumm gang i lieber go wandere.


Endlosi Sitzige, alli reded, schriibed, mached,
tüend. Mängmol mues i eifach wider do ane choo.
Eh, jo, zum mi draa erinnere, für was i das
Theaer eigentli mach. (Pause)

Während Musik und Text kommen die GÄMSEN vorbeigerannt. Immer


wieder tauchen auch WILDERER auf.

Wüssed er, s’Verreckte isch, si hend jo


eigentli alli chli recht. (Pause) Fasch alli.
Isch das nöd verruckt: Alli hend’s irgendwie
recht, aber zämezellt goht’s glich nöd uf.
(lacht) De arm Felix, chunnt voll under
d’Räder. Ah, das tuet dem nu guet. Die zwei,
he. Meined, hundert Johr spöter uf d’Welt choo
sig scho e Leischtig. Sölled die nume chli is
Schwitze choo. I gnüüses do bi de Mama Natur.
Wo isch eigentli de Ander?

Ein Gewehrschuss. BRUNIES beobachtet. Die WILDERER kommen.


Einer hat eine Gämse geschultert. Sie schauen sich um,
schleichen wieder ab.

BRUNIES Aha, het de gueti Sarradi gar nöd so Unrecht


gha. Wilderer sind das also. Us Livigno. Wenn
d’nüüt me z’biisse hesch und 10 Goofe hocked am
Tisch – jo, denn packsch halt dis Gwehr und
holsch der öppis. Guet, das sägi jetz, woni
scho 61 Johr tot bin. Dozmol hett i gsait:
(ruft starkes rumantsches Schimpfwort)

PHILIP (aus dem Off) 1, 2, he! Bliibed schtoh!

(die Gämsen springen nervös herein, hinterher


PHILIP, erschöpft. versucht zu zählen.)

1, 2, 3, 4, Gopfertami, bliibed doch emol


schtoh. 1, 2, 3, 4, 5.

LANGEN (der mitschreibt) Zu Befehl Herr Oberufseher,


füüf Individuen.

PHILIP Nei, i bi nonig fertig! 5, 6, Hey! Mached er’s


eigentlich extra. Sauviecher. Die sind jo no
schlimmer als de Schteibock.

LANGEN (während PHILIP weiterzählt) Ja, Herr


Oberaufseher, rasend schnelle Tierli, nicht
    36  

wahr? Hab mal eins von Hand fangen müssen,


wissen Sie. Jungtier, hatte seine Herde
verloren. Kleiner Spurt, zack! Ein Griff. Naja,
glernt ist glernt. Wissen Sie, in aller
Bescheidenheit, ich...

PHILIP So: 7.

LANGEN Zu Befehl, Herr Oberaufseher, 7 Individuen.


Gut. Davon Weibchen?

PHILIP Was?! (Herde schreckt auf) Los Langen, spurten


Sie! Spurten Sie. Gelernt ist gelernt.

LANGEN (Hinter Gämsen her) Zu Befehl, Herr


Oberaufseher. (ab)
    37  

Akt III, 3. Szene „Die Wilderer“

PHILIP (schaut abwechselnd in den Feldstecher und zu


den zwei Rucksäcken. Kann sich schliesslich
nicht mehr zurückhalten, und macht sich über
Proviant her.)

WILDERER tauchen auf in PHILIPs Rücken. Einer trägt eine tote


Gämse über der Schulter. Anführer tippt PHILIP auf die
Schulter, gerade als dieser ins Brot beissen will.)

WILDERER 1 Buongiorno.

PHILIP Grüez..., B- B- Bonschorno.

WILDERER 1 Com’è? È buono?

PHILIP Wie bitte?

WILDERER 1 Brot. Gut?

PHILIP Ah, jo, ganz usgezeichnet. Molto bello.

WILDERER 1 gibt Zeichen, sich niederzulassen. PHILIP in der


Mitte, kaut. Alle Wilderer schauen ihm zu. Stilles Unbehagen.

WILDERER 1 (bietet Flasche an) Ne vuoi un goccio? Per


mandar giù quella roba.

Probieren?

PHILIP Tanke schön. (starker Schnaps, hustet)

WILDERER 1 Io vi dico una cosa: questo è una femmina. La


domanda è dove nasconde le tette.

Wilderer lachen, PHILIP lacht mit.

WILDERER 1 Schnaps. Gut?

PHILIP (nickt)

WILDERER 1 (mit Blick auf Feldstecher) Du Nationalpark?

PHILIP Äh, jawohl jo. Oberufseher. Neu. Oberufseher.


Ober. Oben. Also höch. Aufseher. Chef.

WILDERER 1 Capo? Bene! Benissimo! Fantastico. Complimenti.


Che ne dite amici? Non è un onore incontrare il
capo del Parco Nationale in persona?

Gespielte Ehrerbietungen aller.


    38  

WILDERER 1 Soprattutto qui, in un posto così sperduto.

PHILIP Und ihr seid Touristen?

WILDERER 1 Touristen?

PHILIP Ja, äh, wandern, schauen, Tiere beobachten.

WILDERER 1 Vuol sapere se siamo qui per osservare le


bestie.

Gelächter

LANGEN kommt zurück, hat aber nicht den Mut einzugreifen.


Versteckt sich.

WILDERER 2 Dai sù, andiamocene. In ogni caso questo scemo


ha fatto scappare tutti i camosci. Dobbiamo
accontentarci di questo (zeigt auf erlegte
Gämse) se no non ce la facciamo a tornare a
Livigno.

WILDERER 1 Zitto scemo! Fagli anche vedere i documenti già


che ci sei.

PHILIP (hat tote Gämse gesehen) He, Moment emol, was


isch denn... Was söll das?! Das isch im Fall,
äh, vietato! Langen, Langen, do sind Wilderer!
Hilf mer!

WILDERER 1 Ma fatelo stare zitto!

Die WILDERER überwältigen PHILIP.

LANGEN zögert, entschliesst sich dann, in seinem Versteck zu


bleiben.

PHILIP Langen, Langen! Hilfe! Gopfertammi, wo isch mis


Victorinox? Hilf mir Langen!

WILDERER 1 Questo ce lo portiamo con noi. Dai, andiamo,


prima che arrivi quel Lange.

Wilderer mit PHILIP ab. Langen getraut sich hervor. Schaut


ihnen nach.

LANGEN Tut mir leid, Herr Oberaufseher. Da war einfach


nichts zu machen.
(schlägt sich mit Ast auf Hinterkopf.)
    39  

Akt IV, 1. Szene „Zurück in Zernez“

Zernez. Politiker und Wissenschaftler reden auf FELIX ein.

SCHRÖTER Herr Oberufseher, ich beschwöre Sie.

FELIX Jo, aber...

LEGLER Aber da isch doch blöds Züüg.

FELIX Moment, Herr Nationalrot, ich...

LEGLER Herr Oberufseher, solang Mobilmachig herrscht,


bruucht’s für de Ufenthalt im Grenzgebiet e
militärischi Bewilligung.

FELIX Jawohl, ich chume grad zu Ihne...

SARRADI Eu less uossa jent savair che cha no fain, cur


cha no nu vain pü laina l’inviern!?

FELIX Ich ha etz nöd ganz verschtande...

Die Lehrerinnen mischen sich auch noch ein.

LEHRERIN 1 Äxgüsi, Herr Ufseher, Clärli Oberhänsli, vo de


Mädchen-Sekundarschule Flade in St. Galle.
(oder je nach Dialekt). Mir wäred schampaar
froh um Material, für de Unterricht, wüssed si.

FELIX Jo, jo, für de Unterricht.

LEHRERIN 2 De Herr Brunies het letscht Johr so nen tolle


Diavortrag ghalte, und üsi Meitli...

FELIX Jo, ich...

LEHRERIN 1 D’Markierige von de Wanderwäg wär denn au no


öppis, wüssed si, üsi Meitli...

Lehrerinnen schnattern durcheinander.

SCHRÖTER (betend) Still, vo ahnigsvollem Schauer erfüllt


söll de Naturfründ sini Schritt dur das
Sanktuarium lenke.
    40  

LANGEN (eilt in dramatischer Pose herbei) Platz, da!


Macht Platz! Herr Oberaufseher! Schrecklich!
Ihr Fründ, der Herr Oberaufseher.

FELIX De Philip!

LANGEN Der Philip, jawohl. Es tut mir so leid, ich


konnte nichts mehr für ihn tun. (betastet
seinen Hinterkopf) Ladina, bitte, man muss mich
verarzten, diese Schmerzen!

LADINA geht ab.

FELIX Was isch passiert?

LANGEN Man hat ihn geschnappt.

LEGLER En Bär!

Menge schreit auf.

SCHRÖTER Ach was! S’letschte Exemplar vomene europäische


Brunbär, em Ursus arctos, isch scho vor 10 Johr
gschosse worde. Äbe grad drum isch de totali
Schutz vo de Fauna...

FELIX Rue! Also Langen: Verzelled Sie. Schnell. Ohni


Umweg.

LANGEN Zu Befehl Herr Oberaufseher, ohne Umweg. Es


waren Wilderer.

Menge schreit auf.

Jawohl, meine Damen und Herren. Die Wilderer


aus Livigno. Ich war gerade dabei, ein Gämskitz
aus einer Felsspalte zu retten. Da sah ich sie
kommen. Sie überwältigten unseren lieben
Oberaufseher. Ich: stürze herbei, es waren wohl
an die 20 Mann. Schlage den einen mit einem
rechten Haken K.O., zack! Wie Tommy Burns.
Packe den anderen am Chrägli, schleudere ihn zu
Boden. Doch dann!: Aus dem Hinterhalt, feige
Bande. Werde von hinten Niedergeschlagen. Ich:
liege bewusstlos da. Als ich aufwache: Wilderer
weg. Der Herr Oberaufseher auch. Es tuet mir so
schrecklich leid.

Stille. Dann bricht die Menge los:

DIV. Skandal! Do mues me öppis underneh! Nicht zu


fassen! S-chandal, vargongna, na da crajer. Qua
stuvaina intervegnir!
    41  

LEGLER Mir müend bi de italienische Regierig Protescht


iilegge.

SCHERRER Jawoll!

SCHRÖTER En Aagriff uf de totali Schutz vom Reservat!

FELIX Mir mönd em Philip sofort z’Hilf choo. Wär


chunnt mit?

Stille.

SARRADI (rumantsch) I has jo gsait! Wilderer us


Livigno, mit dene isch nöd z’Gschpasse.
(schweizerdeutsch) Die sind sowiso scho über
alli Berge.

HÄBERLIN Do mues es doch e diplomatischi Lösig geh. Mir


bilded e Arbetsgruppe

SCHRÖTER D’Wüsseschaft beobachtet, sie mischt sich nöd


ii.

Alle bilden debattierend Grüppchen.


    42  

Akt IV, 2. Szene „Ihm nach“

FELIX Denn gönd mer halt elai. Los Langen, füeret Sie
mich.

LANGEN Ich, nochmals in den Park? Herr Oberaufseher,


ich bin schwer verwundet. Glauben Sie mir, ich
würde Sie gerne begleiten, aber meine Kräfte,
verstehen Sie?

Sie packen das schon. Ein Kerl wie Sie! Bitte:


Hier mein Gewehr. Murtarous. Südöstlich, immer
südöstlich.

FELIX zögert.

LANGEN Beeilen Sie sich.

FELIX (im Abgehen im Führer suchend) Murtarous.

LADINA (kommt mit Verbandszeug) So, ... Wo sind


plötzlich alli hii? (beginnt, LANGEN zu
verarzten.)

LANGEN Ein wahrer Held, dein neuer Verehrer.

LADINA Wiso?

LANGEN schweigt.

LADINA Langen!

LANGEN Er sucht seinen Freund. Will die Wilderer


fassen.

LADINA Und du hesch en elai goh loo? Das isch doch für
dä reine Selbschtmord.

LANGEN Ein Mann muss tun, was ein Mann tun muss.

LADINA Oh, du... (schlägt ihn auf den Hinterkopf) Ich


mues em no. Steibock, Fuss! (lässt STEINBOCK an
FELIX’ Jacke riechen) Und jetz such! Such!
(zu LANGEN) Du Feigling!

STEINBOCK nimmt Fährte auf, mit LADINA ab.

LANGEN Spielt verlegen mit Verbandsmaterial. Will


mehrmals hinterher, zögert doch immer wieder.
Schämt sich. Schliesslich bekreuzigt er sich.

Für Kaiser Wilhelm! Ladina, warte! (Rennt ab)


    43  

LEGLER (kommt mit Nationalräten zurück) Herr


Oberufseher, mir hend es Poschtulat
uusgschaffet, wo... wo isch er jetz?

HÄBERLIN (in die Ferne blickend) Dött rennt eine in


Park, schiint würkli ernscht z’sii.

LEGLER (ringt mit sich, dann feurig) Mini Herre, ich


beatraage e überparteilichs Komitee zur Rettig
vom Personal vo dem Park.

SCHERRER Jahwol! Was hesch gsait?

GRAND Bravo, Leglèr! Ca c’est patriotique!

HÄBERLIN Wer dafür ischt, hebt die Hand.

(alle heben die Hand)

HÄBERLIN Wer ischt dagegen?

(niemand hebt die Hand)

HÄBERLIN Wer enthaltet sich der...

LEGLER (HÄBERLIN mit sich ziehend) Chumm Heini, jetz


chunnt „Die schnelle Eingreiftruppe“ us Bern!

NATIONALRÄTE rennen ab.

LEHRERINNEN haben zugehört. Sie schauen sich stumm an.

LEHRERIN 1 Adelheid? Vreni? Wämmer... eventuell... au?

beide nicken, dann rennen alle drei, ihre Contenance


vollkommen ablegend, mit schrillem Kriegsgeschrei und
erhobenen Schirmen ab.

COAZ hat zugeschaut. „Rennt“ mit Grossvaterschrittchen


hinterher.

COAZ He, warted uf mi, i bi Kadett im


Sonderbundschrieg gsii, warted uf mi. I han
taktisches Wüsse!
    44  

Akt V, 1. Szene „Am Busen der Natur“

BRUNIES liegt am „Busen der Natur“, MUTTER ERDE hätschelt und


füttert ihn, er schmiegt sich an. BRUNIES liest ihr
Naturgedichte vor, die MUTTER ERDE belustigen.

MUTTER ERDE (lacht, Grammelot) Noch eins, noch eins.

BRUNIES Also, wart. Do, das isch guet (liest


schulmädchenhaft naiv):

Der Frühling ist die schönste Zeit! 
Was kann


wohl schöner sein? 

Da grünt und blüht es weit und breit 

Im goldnen Sonnenschein. 


MUTTER ERDE (prustet)

BRUNIES 
Nun jauchzet alles weit und breit, 
Da stimmen


froh wir ein: Der Frühling ist die schönste
Zeit! 
Was kann wohl schöner sein?

MUTTER ERDE (rülpst laut, lacht) Mehr, mehr!

BRUNIES Also, do hett i no es schöns Zitat für di:

"Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid


fruchtbar und vermehret euch, bevölkert die
Erde, unterwerft sie euch...

MUTTER ERDE (prustet, flucht)

BRUNIES Wart es goht no wiiter: „...und herrscht über


die Fische des Meeres, über die Vögel des
Himmels und über alle Tiere, die sich auf dem
Land regen".

MUTTER ERDE (wütend, protestiert in Grammelot)

BRUNIES I weiss Mama... Beruhigt di, Mama... Sie


wüssed’s halt nöd besser... Mama, chumm, i dim
Alter...

MUTTER ERDE lässt sich besänftigen, füttert und liebkost


BRUNIES
    45  

Akt V, 2. Szene „Sturm“

FELIX tritt auf, alleine. Von oben beobachtet von BRUNIES und
MUTTER ERDE.

BRUNIES Lueg do chunnt so ne Krönung der Schöpfung.

FELIX (stolpert umher, orientierungslos) Philip! Au,


Gopfertami! Philip! Schiis-Schtei, Schiisfelse,
Schiisbäum, Schiispark! I wott hei! Philip!

MUTTER ERDE erhebt sich langsam, murmelt Beschwörungsformeln,


erzeugt mit Gesten eine Sturmfront. Sie steuert in der Folge
alle Naturerscheinungen.

MUTTER ERDE (Grammelot)

BRUNIES („Übersetzt“, ruft zu FELIX hinunter, der ihn


nicht hört) Gell, hesch’s der andersch
vorgschtellt.

Während der Sturm intensiver wird, BRUNIES immer lauter)

Das isch sie jetz: D’Natur.

MUTTER ERDE (lacht irr)

Blitz, Donner

MUTTER ERDE (Grammelot)

BRUNIES Lauf Menschli!

Regen

MUTTER ERDE (Grammelot)

BRUNIES Bring di in Sicherheit, so lang d’no chasch!

Geröll rollt auf FELIX zu, er weicht gerade noch aus.

MUTTER ERDE (Grammelot)

BRUNIES (dazwischen)
Pachtgebühre!
Wildtiermanagment!
SNPK!
WNPK!
KNK!
Parkreglement!

MUTTER ERDE (Grammelot)


    46  

BRUNIES Mach e Sitzig! Mensch!

MUTTER ERDE (Grammelot)

BRUNIES Mach en Katalog!

Baum stürzt um, schneidet FELIX den Weg ab.

FELIX sucht Schutz in Unterstand/Höhle/Felsvorsprung. Von der


anderen Seite kommen die WILDERER mit dem gefesselten PHILIP.
Sie suchen ebenfalls Schutz. Im Sturmgetümmel sehen sie sich
erst, als sie zusammenstossen.

WILDERER 1 (ital.) Wer da! Wie kommst du hierher!

PHILIP (geknebelt, ruft unverständlich)

WILDERER 1 (ital.) Bringt ihn zum schweigen. (Zieht seine


Waffe. Zu FELIX.) Hände hoch! Was hast du hier
zu suchen? Los rede, oder ich knall dich ab!

FELIX Philip.! Philip, geht’s dir gut?

PHILIP (unverständlich)

WILDERER 1 (ital.) Genug!

WILDERER 2 (ital) Chef, das sind jetzt schon zwei Zeugen,


ich hab keine Lust, ins Gefängnis zu wandern.

WILDERER 1 Du hast recht, erschiess sie. Dann hauen wir


ab.

WILDERER 2 Erschiess du sie, du bist der Anführer.

WILDERER 1 Nein, du erschiesst sie.

WILDERER 2 Erschiess du sie!

WILDERER 1 Erschiess du sie!

WILDERER 2 Erschiess du sie!

WILDERER 1 Erschiess du...


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Akt V, 3. Szene „Kampf und Sieg“

STEINBOCK und LADINA haben sich angeschlichen. Mit einem


Kung-Fu-Hufkick wird der Kampf eröffnet. Während des Kampfes
wir PHILIP befreit, damit dieser auch mitkämpfen kann. Die
WILERER gewinnen die Oberhand, doch dann:

LANGEN ist angekommen. Halt, Ihr seid verhaftet!


(Aus Versehen löst sich ein Schuss. Langen
lässt vor Schreck die Waffe fallen) Ui, Jesses
Maria!

LADINA, FELIX, PHILIP und STEINBOCK nutzen die


Unaufmerksamkeit der WILDERER und überwältigen die Wilderer.
Am Ende des Kampfes sind die Wilderer entwaffnet und
eingekreist, sie haben verloren. Der Sturm hat sich
währenddessen gelegt. Erschöpfung und Freude bei den Siegern.

FELIX Ladina, Danke! Das isch höchschti Ziit gsii.

LADINA Nüt z’tanke. De Schteibock het eu gschmöckt.

STEINBOCK (heult und jault wie ein Hund)

PHILIP I nimm alles zrugg, won-i gesait han, du edle


König vo de Alpe.

STEINBOCK (lässt sich kraulen)

FELIX (zu LADINA) Dini Brotpfanne bruucht jo en


Waffeschii.

LADINA Din rechte Hoogge isch au nöd schlecht.

LANGEN (Bedroht mit Gewehr die WILDERER)


Aufgrund meiner von der Schweizerischen
Nationalparkkommision erhaltenen Befugnisse als
Parkwächter dieses Reservates, verhafte ich Sie
wegen Verstosses gegen die Artikel II, Artikel
IV, sowie gegen Artikel V, Absatz b und f der
Nationalparkverordnung. Ferner wegen
Freiheitsberaubung von Nationalparkpersonal.
Ich werde sie den Polizeibehörden in Zernez
übergeben. Sie haben das Recht zu Schweigen,
alles was Sie sagen, kann vor Gericht...

PHILIP und
STEINBOCK Langen, heb d’Schnorre!

LANGEN Ja, genau.


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Akt V, 4. Szene „Moral“

Zernez entsteht. Das Volk kommt, gratuliert allen. LANGEN


lässt sich feiern. Bravorufe, Freude herrscht.

FELIX (nach stummer Zwiesprache mit BRUNIES tritt auf


das Podest, die Menge verstummt)

Mini Dame und Herre. Ich möchte ihne es paar


Wort säge.

PHILIP Ihr sind die beschte!

Menge klatscht begeistert.

FELIX Jo, das schtimmt. Aber losed bitte. Also, de


Philip und ich, mir sind, äh, also mir. Ich han
e wichtigi Erfahrig gmacht. Ich... im Park....

PHILIP Euen Park isch mega geil!

Menge ist begeistert.

SARRADI (rumantsch) Was heisst „mega geil“?

FELIX (zuerst ungelenk, dann immer glühender.


Aufmerksamkeit unter den Zuhörern wächst) Nei
losed doch. Wüsseschaftlichi Forschig: Das isch
wichtig. E gueti Finanzierig: Natürlich.
Interesse vo de Jäger und de Puure:
Verständlich. Und sie chönd jetz no hundert
Johr schtriite und sich fasch d’Grinde
iischloh. Aber das do usse isch Grösser als üsi
chliine Gärtli. Das isch grösser als mir alli
zäme. Mir hend d’Wilderer vertriebe, aber me
chan nume gege öppis kämpfe, weme Verbündeti
het. Und i glaub, dass es au Verbündeti
bruucht, weme für öppis kämpft. Kämpfed sie
wiiter, jede uf sim Gebiet, aber kämpfet sie
zäme. Ihri Aaschträngige, Ihren Kampf, Ihren
Muet brucht’s. Als Vermächtnis für Ihri
Grosschind und Urgrosschind. Als Erinnerig
draa, das es Sache git, wo mer nöd eifach chönd
zruggchaufe, wenn’s emol wäg sind. Als
Erinnerig draa, dass mir Mensche nöd s’Zentrum
sind vo dere Welt. Alli reded vom Naturschutz,
aber i han hüt i dem Sturm tenkt, dass es
villicht gar nöd d’Natur isch, wo mues gschützt
wärde. Villicht isch es eifach guet für üs, me
mer Sorg hebed zu dere Welt, wo mer druf läbed.
Well mer druf aagwise sind, welmer si bruuched
– und eifach well si schön isch. Das langet jo
    49  

villicht au scho. Mached si wiiter, es isch


wichtig. Uf de Schwizerisch Nationalpark.
Jetzt, i hundert Johr und denn grad nomol i
hundert Johr!

Stille.

PHILIP Und jetzt wird gfiiret!

Musik. Grosser Jubel. Man beginnt zu feiern, zu trinken, zu


tanzen. STEINBOCK und PHILIP tanzen gemeinsam, Ladina und
FELIX. Musik verändert sich von Tanz- in Traummusik.
BRUNIES trennt Ladina und FELIX voneinander.
Er führt FELIX, PHILIP und STEINBOCK zurück in die Gegenwart,
begleitet von den Fabelwesen. Sie liegen vor ihrem Zelt
(Abfall liegt wieder verstreut herum) und schlafen. STEINBOCK
liegt auf Felsen. Musik endet.
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Epilog

PARKWÄCHTERIN (LADINA in morderner Kleidung. Entdeckt die


beiden.) I glaubes nöd. Das isch jo...
Gianduri! Chumm emol cho luege!

PARKWÄCHTER Was isch? Jo nei! (rumantsch)


Heilandzackerment! Jo goht’s eu eigentli no!

FELIX und PHILIP werden wachgerüttelt.

PHILIP (noch verwirrt) Wilderer! Langen, hilf mer!

PARKWÄCHTER (schaut sich um, hebt Bierdose vom Boden auf)


Zelte, Littering, de markiert Wäg verloh:
Fründe, das wird tüür. Hend denn ier überhaupt
kei Reschpekt vor der Natur?! Was liit denn do
no ume? Chum emol mit, Pürschtli.
(Parkwächter schimpft weiter, nimmt PHILIP am
Kragen und geht mit ihm auf „Fätzli-Tour“). Sie
werden wieder sichtbar auf der oberen
Spielfläche, unter stetem Vortrag des
PARKWÄCHTERS. Musik setzt wieder ein (Bös-ch
rumantsch-Thema. Fadeout Licht setzt ein.

PARKWÄCHTERIN (während sie sich Notizen macht,


kopfschüttelnd) Im Nationalpark go Zälte, wie
chunnt me nume uf so ne Furzidee.

FELIX (betrachtet PARKWÄCHTERIN stumm)

PARKWÄCHTERIN (bemerkt seinen Blick) Was isch? Han i


Härdöpfelschtock uf em Chopf?

FELIX Entschuldigung, aber kenned mir üs?

Die kleinste Fee macht mit einer Geste das Licht aus.

Black. Ende.

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