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Kulturgeschichte
Hans Belting: Das Unsichtbare Meisterwerk. Die modernen Mythen der Kunst,
München: Beck,1998, 551 S.
Als vor ungefahr zehn Jahren Hans Beltings Buch "Bild und Kult" erschien, machte
der Leser Bekanntschaft mit einem uberaus soliden, um Vollstandigkeit bemuhten
Buch der kleinen Schritte, in Rankes Geist und Stil erfaBt und stets um das Grund-
sdtzliche bemuht. Man fragte sich natfrlich, wie der Weg des Verfassers weitergehen
wurde, der die Bildwelt so beeindruckend bis an die Schwelle zur Neuzeit ausgeleuchtet
hatte.
Dal3 Belting das Grundsdtzliche nach wie vor am Herzen lag, hatten schon die
problemreichen Abhandlungen zum "Ende der Kunstgeschichte" zwischenzeitlich
verraten. Ob aber Dichte, Sicherheit und Llberzeugungskraftdes ersten groBenWurfes
in dem neuen Buch gewahrt blieben, das war nun die erste Frage. Und die zweite war
naturlich auf den Inhalt gerichtet: Wie wurde es sich fortsetzen?
Beltings Thema ist die ,,Erz£hlung" der beiden Jahrhunderte moderner Kunst. Weil
er aber glaubt, daBeine "offizielle Nacherzahlung nichts Neues bieten" konne (S. 10),
greift er zu einer "List", wie er etwas selbstironisch zugibt: Er stellt in Anlehnung an
Balzacs Erzahlung vom ,unbekannten Meisterwerk' die immer wieder von modemen
Künstlern gewagten Ansatze zur Verwirklichungeiner im Grunde utopischen Werksidee
dar. Das fiihrt ihn zur Untersuchung der Quellen und Vorbilder der Modeme, zur
Entstehung von Gemdlde- und Kunstsammlungen in Italien und Frankreich und in die
Gefilde der Rezeptionsdsthetik.
Dann beginnt sich ein Rad zu drehen, welches in immer neuen Ansdtzen von der
Aufnahme vermeintlich maf3stabsetzenderWerbebeispieleaus Antike und Renaissance
(Venus von Milo, Mona Lisa, Sixtinische Madonna) bis zu den aktiven kiinstlerischen
Untemehmungen modemer Meister von Gericault und Rodinbis zu Picasso und Marcel
Duchamp, ja bis zu einer Stippvisite bei den Amerikanem fiihrt. Belting geht bei dieser
erzdhlendenErklarung der Modeme den vorwiegendfranzosisch ausgeschildertenWeg,
den man auch auf literaturwissenschaftlichem Gebiet mit Erfolg beschritten hat (H.
Friedrich). Seine Darstellungsweise ist weit angestrengter und gesuchter als in seinem
Opus maximum, aber dafur auch interessanter, abwechslungsreicher und oftmals
geradezu souveran, was sich nebenbei an der konsequenten Ffnfteilung aller Kapitel
zeigt und sicher auch zeigen soll.
Man vermag allerdings nicht ganz einzusehen, weshalb die bisher als Paradebeispiele
in der Sammlung der Helden und Martyrer der modemen Kunst angesehenen Goya,
Seurat, Ensors, Rousseau, Braque (Erfinder und bedeutendster Bannertrager des
Kubismus), Dali, Giacometti, Miro, Max Ernst aus der franz6sischen oder frank-
reichnahen Riege im Kampf um das unmogliche Meisterwerk nicht auftreten. Die
Willkur des Funferrhythmus wurde nicht unbedingt gestort. Weshalbwird zum Beispiel
KandinskysWirken, nicht aber das von Klee, der so viel hintergrundigerund vielseitiger
ist, untersucht? Etwa nur, weil bei ihm nicht die Aufgipfelung sines Meisterwerks
vorliegt? Ob eine solche 3brigens bei Kandinsky mit der Komposition VII aus dem
Jahre 1912 wirklich so deutlich erfolgt, sei dahingestellt.
Wenn man die Wirkung des Buches einem Res3mee unterwerfen will, so mischen
sich der Respekt vor einer originellen und vielfach zutreffenden Analyse modemen
künstlerischen Wollens und Wirkens mit dem Zweifel, ob die Theorie des unsichtbaren
Meiterwerks ein guter Ansatz gewesen ist. Die AuBerachtlassung derart vieler
traditionell als Trager der Modeme eingestufter Kfnstler diirfte diesen Zweifel
rechtfertigen.
Es muB nachgtragen werden, daB Belting sich mit Geduld und Scharfsinn den
wenigen Meisterwerken von Marcel Duchamp widmet, der es wie kaum ein anderer
verstanden hat, die Mitwelt mit raffinierten Kompositionen vor Rdtsel zu stellen und
durch lange Schaffenspausen und Tricks im Gesprach zu bleiben. Belting kommentiert
und interpretiert ihn eingehend und iiberzeugend. Es fdllt auf, dal3 er die beiden
Schamanen der ndchsten Generation, die in vielem seine Nachfolger waren und grol3te
Breitenwirkung hatten, namlich Beuys und Klein, vollig fbergeht: Eine Zurfckhaltung,
fur die man ihm nicht undankbar ist.
Mönchengladbach Hans Sprenger
Vidya Dehejia(Hg.): Devi. The Great Goddes. Female Divinity in Southem Asian
Art, Arthur M. Sackler Gallery, Washington in association with Mapin Publishing,
München: Ahmedabad and Prestel Verlag, 1999, 408 S. mit 250 Abb.
Das Buch begleitet als Katalog die bisher groBte Ausstellung, die der Darstellung
weiblicher Gottheit in der Kunst Sfdostasiens gewidmet ist. Die einzige nennens-
werte fru'here Ausstellung dieser Art, veranstaltet 1980 von der Universitat von
Califomien, fand in einem weit bescheidenerem Rahmen statt. Hier dagegen wer-
den immerhin Objekte aus 36 Sammlungen in USA, London und der Schweiz, die
aus 13 Staaten Indiens, aus Nepal, Tibet, Pakistan, Sri Lanka und China stammen,
vereinigt. DaB aber trotz dieser Fiille auch nicht der leiseste Eindruck von Vollstiin-
digkeit erregt wird, darf niemanden verwundem, der den riesigen Raum Südostasi-
ens (mit Kemland Indien), die zeitliche Spanne von gut 2000 Jahren und die ohne-
dies so iippige Vielgestaltigkeit indischer Kunst in Betracht zieht, die sich so sehr
von der Kunst anderer Lander, zum Beispiel der Agyptens mit ihrer relativen Homo-
genitat, unterscheidet. _
Neun Forscher teilen sich in der ersten Halfte des Buches in die Aufgabe, Haupt-
aspekte weiblicher Gotterdarstellung in indischer Kunst aufzuweisen. In groBenZiigen
widmen sich die Beitrage zunachst uberwiegend den mythischen Ursprungen der
religi6sen Kunst, vor allem den vedischen und tantrischen Schriften, ihren Gedich-
ten, Geschichten und ausgiebigen Gesprachsszenen, um dann immer betonter auf
die bildnerische Umsetzung dieser Vorgaben fberzugehen. Die Beschreibung der
Tempel und ihres überquellenden Figurenschmucks liefert eine Vorstellung des at-
mosphafischen Rahmens derartiger G6tterdarstellungen, wobei die Besonderheiten
der Volkskunst in den Rückzugsgebieten des mittleren Indien mit ihrem geheimnis-
vollen, fast totemischen Charakter eingehend gewürdigt werden. SchlieBlich er6ff-
net die Erorterung des Verhaltnisses der Modeme zum mythischen Bereich psycholo-
gischen Uberlegungen breitesten Raum.
Ganz anders geht man in den letzten 200 Seiten zu Werke. Unter der nuchtemen
Überschrift "Catalogue" sind Bilder und Figuren selbst Ausgangspunkte aller Er6ff-
nungen. Damit wird dem von allgemeinen Exkursen schon etwas ermfdeten Leser
endlich Leben und Anreiz zu angeleiteter Mitarbeit geboten. So geht man zum Bei-
spiel von einer Auswahl von Bildem der berühmten "Tantric series" aus dem 17.
Jahrhundert aus, kleinen, meist rotgeranderten Bildtafeln, die trotz ihrer einge-
schrdnkten Farbskala rituelle Szenen von hochster Ausdruckskraft wiedergeben.
Zusammen mit den früheren und spateren "Rasamanjari Series", die ungefahr gleich-
zeitig im Punjabgebirge entstanden sind und aus derselben Malerfamilie stammen
diirften, bilden sie offensichtlich die Hohepunkte der Ausstellung. Sicher schlagen
diese Miniaturen des 17. Jahrhunderts den Bogen zu dem ersten "Devi Mahatmya"
- Manuskript des ffnfien oder sechsten Jahrhunderts - der Titel bedeutet "Ruhm der
Gottin" -, in dem die oberste Gottin als eine geheimnisvoll vielgestaltige, bisweilen
gftige, bisweilen furchterregende, alles Menschliche und G6ttliche fberragende
Gestalt erscheint. Sie gehort zu den wenigen Gottheiten, in deren Verehrung fast alle
Stamme Indiens bis heute übereinstimmen und von deren Macht auch die plasti-
schen Werke der Ausstellung eine eindrucksvolle Vorstellung geben.
Der "Katalog" leistet dem Leser auch insofem unschdtzbare Dienste, als er die
oben angedeutete Vielseitigkeit der G6ttin in groBen Abschnitten vor Augen fiihrt:
als kosmische Macht als Spenderin, als Heldin und Geliebte, als Schutzherrin (mit
vielen regionalenAbwandlungen) und schlie131ichals glfckverheiBende Seherin. Der
Herausgeber Vidya Dehejia, der ohnehin schon in mehreren einleitenden Kapitein
die Autorschaft iibemonimen hatte, ist bei der Einrichtung des Katalogs fast iiberall
(mit)tdtig gewesen. Ihm ist es sicher auch zu verdanken, daB die ersten Kapitel des
Buches ihre wohlabgestimmte Komposition erhielten. Wenn auch die Uberlappung
stofflicher Bereiche zu Wiederholungen, wenn auch unterschiedliche Sehweisen zu
manchen breiten Erorterungen gefuhrt haben, so sieht man an deutlichen Kfrzungen
in den Kapiteln iiber Tempel und Schreine oder iiber Regional- und Stammes-
gottheiten, daB die naheliegenden darstellerischen Gefahren in Grenzen gehalten
wurden. Gelegentliche Breite in den Kommentaren zu Bildem und Skulpturen des
zweiten Buchteils erweisen sich bei naherem Hinsehen und Uberlegen ohnehin fast
immer als Erfillung begnindeten Erkldrungsbedarfs. Fazit: Ein imponierendes
Gemeinschaftswerk mit einem guten Lenker vor und hinter den Kulissen. Die Aus-
stattung des Bandes 10t fbrigens keine Wfnsche offen.
M6nchengladbach Hans Sprenger
Renate Lohse-Jasper: Die Farben der Schönheit. Eine Kulturgeschichte der Schmink-
kunst, Hildesheim: Gerstenberg Buchverlag, 2000, 190 S.
In seiner programmatischen Schrift "Was ist und was will die Geistesgeschichte?"
(Gottingen 1959) hatte Hans-Joachim Schoeps ein neues Fach entworfen, dem er
aufgab, Historiographie mit einer neuen Optik, auf der Grundlage eines bislang ver-
nachldssigten Quellenmaterials, auszustatten, und diese "Geistesgeschichte im Sin-
ne der Zeitgeistforschung" als eine Moglichkeit zu begreifen, Geschichte auch von
unten, aus der Durchschnittlichkeit des Alltags und der jeweils maBgeblichen,
meinungs- und stilbildenden Schicht darzustellen. GewiB hat diese wissenschafts-
politische Absicht nicht die Gunst der Stunde gefunden, die Geistesgeschichte im
Sinn der Zeitgeistforschung hat jenes Schicksal erlitten, das Hans-Joachim Schoeps
an vielen seiner "untypischen" Helden festgestellt hat: sie waren vom Zeitgeist nicht
besonnt und fanden als Unterlegene oder Vorboten im zeitgenossischen Umfeld kei-
ne Beachtung. Kommt hinzu, dass sich die Geschichtswissenschaft inzwischen eine
neue, gleichsam alltagsgeschichtliche Sichtweise zugelegt hat und auch die eher
beildufigen Quellen verstarkt zur Kenntniss nimmt. Trotzdem kann die Geistes-
wohl insonderheit fur die kulturelle Abstinenz der Politik im endenden 19. Jahrhun-
dert ( pp. 73).
Aber neben den aesthetischen Aspekten beobachtet die Arbeit auch die 6ko-
nomischen, die zumal in der 'Zeit der Modeme' ein zunehmend grol3eres Gewicht
bekommen. So geben die Deutschen (Frauen und Manner) pro Jahr 17,1 Milliarden
DM fur Kosmetika aus; fur den anthropologischen Selbstbetrug der ebenmal3igen
Schonheit und jugendlichen Korperlichkeit ist offenbar kein Preis zu hoch. Und die
prognostische Ahnung von H. M. Enzensberger wird vermutlich nicht zum ökono-
mischen Crash-down der GroBen im kosmetischen Gewerbe fuhren: "Der Luxus der
Zukunft verabschiedet sich vom Überflüssigen und strebt nach dem Notwendigen"
(pp. 173).
Wir mfssen hier die Darstellung nicht im Einzelnen nachzeichnen, wollen aber
auf einige, uns vielleicht noch aus familiarer Nahe anwehende Erinnerungen hin-
weisen : etwa auf die Rolle der Frau, der Mftterlichkeit, der Kosmetik in der natio-
nalsoziahstischen Propaganda (p. 137), auf die burgerliche und gemfthafie Gesellung,
fiir die die Marke 4711 steht (p. 138), auf die Mondialitdt, die die AVON-Beraterin
vorspielte (p. 140), auf die Trdume von Luxus und groBer Welt, die sich mit den
Düften der groBen Hduser (besonders Y. S. Laurent, pp.159) intemationalisierte, auf
den "Mythos der Schonheit", den das Femsehen auch in die Politik hineinmani-
pulieren mochte (p.174). Mit solchen Versatzstfcken aus der Lebenswelt am Ende
des 20. Jahrhunderts, die uns Frau Lohse-Jasper auch anbietet, wird nicht die groBe
Zeitgeschichte geschrieben, aber Aufklarung uber Zeitempfinden und Zeitgeist ge-
geben, die handgreiflicher ist als kulturpessimistisches Geraune.
Homburg Joachim H. Knoll
Politikgeschichte
Dieses wahrhaft monumentale Werk, mit dessen erstem Band derAutor in Frank-
furt a. M. zum Dr. jur. und mit dessen zweitem Band er in Osnabruck zum Dr. phil.
promovierte, beabsichtigt erstmals ein wirklich umfassendes Bild der gesamten -
schriftstellerischen wie auch juristischen und politischen - Tatigkeit des groBen
Osnabrucker Schriftstellers und Politikers Justus Moser (1720-1794) zu geben. Bis-
her beschrdnkte sich die durchaus reichhaltige Forschung entweder darauf, die ideen-
geschichtliche Stellung Mosers als Schriftsteller der deutschen Aufklarung zu um-
reiBen und ihn mit wenig passenden Etiketten wie "Konservativer" oder gar "Gegen-
aufkldrer" zu versehen, oder andererseits darauf, allein den Juristen und Politiker zu
untersuchen. Welker nimmt, und hierin liegt der groBe Vorzug seiner Arbeit, beides
in den Blick, und die Jurisprudenz dient ihm dabei als das vermittelnde Medium
beider Bereiche. Die Arbeit will Moser "erstmals sowohl als Schriftsteller als auch
als Praktiker gerecht werden", denn er war eben "nicht lediglich ein politisch enga-
gierter aufkl5rerischer Historiker und Literat, sondem zugleich aus voller Neigung
juris consultus".
DemgemaB verfolgt die Studie zwei Hauptziele. Zum einen geht es darum, aus
dem umfanglichen und in seiner Artüberaus disparaten schriftstellerischenWerk M6sers
Ulrich Bielefeld und Gisela Engel (Hg.): Bilder der Nation, Kulturelle und politi-
sche Konstruktion des Nationalen am Beginn der europäischen Moderne; Hamburg:
Hamburger Edition HIS Verlagsgesellschaft,1998, pp 440.
Am Ende des Jahrtausends sind vielerlei Adjektive im Umlauf, mit denen offenbar
eine Fin de siecle Stimmung bekundet werden soll: postmateriell, postkapitalistisch,
postmodem und auch, im Gegenlauf zur sichtbaren Realitdt, postnational, so als
seien mit politischen Vereinheitlichungsprozessen und groBraurnigen Konstellatio-
nen die Nation und damit auch das Denken in abgrenzenden nationalen Chiffren an
ihr Ende gekommen. Wir kennen die Begriffe und Phanomene, die die angenommen
durchgangige Tendenz zur Universalisierung und Globalisierung in Politik, Wirt-
schaft und Kultur konterkarieren: Subsidiaritdt und Dezentralisierung aus dem Sprach-
gebrauch der Europaischen Union, Regionalisierung und Ethnisierung aus dem
Sprachgebrauch des EuropaRates. Die Transformation in grobrdumige, rational struk-
turierte und konzipierte Gebilde scheint einen Verlust von Beheimatung, von sozia-
ler Sicherheit und von Sicherheit in Sprache und Kultur der fur maBgeblich gehalte-
nen Gruppe mit sich zu bringen, weshalb "Heimat" und "Nation", in vielleicht auch
neuerer Konnotierung, als Sicherungsinstrumente gegeniiber Anonymisierung und
Bindungslosigkeit wieder favorisiert werden. Auf jeden Fall kann das Diktum von
der postnationalen Epoche so einfach nicht durch die Realitdt und die Identifikations-
suche in der überschaubaren Region oder Gemeinschaft approbiert werden.
Das MiBverstdndnis ruhrt nicht zuletzt daher, da(3 "Nation" in dem engen Ver-
bund von Nation, Nationalstaat und 19. Jahrhundert gesehen wird und sich solcher-
maBen zeitlich und raumlich eingrenzt. Deshalb mag auch die vorliegende Publika-
tion auf die laienhafte Verwunderung stoBen, wie denn Nation und frühe Neuzeit
zueinander passen; ein Begriff von Nation, der sich nicht an die Definition von Na-
tion im politischen Vokabular des 19. Jahrhunderts heftet, konnte solche Verwunde-
rung sehr rasch aufheben. Zunachst stellen wir, ausgehend von der Realitat und den .
politiktheoretischen Diskursen fest, daB der Begriff "Nation" auch heute noch taugt,
um die politisch gewollte Gemeinschaft eines durch Sprache und Kultur definierten
Volkes zu beschreiben. Er hat fbrigens im Zusammenhang mit dem Gedankens des
"nation-building" afrikanischer Entwicklungslander im Zuge ihrer politischen Eman-
zipation eine neue Dynamik erhalten, die darin liegt, daB, ausgehend von der
Ethnisierung auffalliger und dominanter Bev6lkerungsgruppen, Staatenbildung im
Sinne von Nation durchaus ein Konzept sein kann, das dazu hilft und beitrdgt die
vorhandenen ethnischen Abgrenzungen zu fberw61ben und zu friedlichem Mitein-
ander zu animieren.
Da freilich der Begriff "Nation" in seiner Verschwisterung mit "Nationalismus"
.
beschadigt ist, wird eine Definition geboten sein, die nicht nur auf die politische
Dimension sieht, sondem auch deutlich macht, daB in ihr Kultur, Sprache, Raum
und Zeit aufgehoben sind. Bfndige Definitionen, die sowohl die geschichtliche, wie
auch die aktuelle Dimension erreichen, finden sich am Ende des Bandes in dem
Beitrag der Konstanzer Anglistin Aleida Assmann, "Die Gleichzeitigkeit des
Ungleichzeitigen. Nationale Diskurse zwischen Ethnisierung und Universalisierung"
(pp. 379). Dort heiBt es iiber einige Schliisselbegriffe u. a.: "Ethnien sind lands- _' <
mannschaftliche Verbdnde, die Herkunft, Region, Sprache und Brauchtum mit ein-
ander teilen" ..."Nationen sind demgegenfber WiR-gruppen von ausgedehnterer
Reichweite und abstrakter Koharenz. Sie bilden einen Integrationsverband fur un-
terschiedliche Ethnien" "...Nationalstaaten sind solche Herrschaftsformen, die der
Nation politische Selbstbestimmung zuerkennen", "..Nationalismus schlieBlich ist
eine kampferische Bewegung, die entweder die Politisierung ... oder aber die
Ethnisierung eines Nationalstaates betreibt" (p. 388f). Mit diesen Definitionen, und
mit diesem Beitrag insgesamt, wird die Geschichte an die Gegenwart herangeffhrt.
Damit kontrastiert diese Darstellung mit der soziologischen Manier, die im abschlie-
Benden Beitrag auch geschichtliche Formen mit modemen Umschriften versieht, so
wenn etwa "Nation" als "Grol3kollektiv" etikettiert wird. (p. 430). Die anderen Bei-
trage lassen indes den Nation-Begriff dort, wo er ihrem Thema gemal3 hingeh6rt,
namlich an dem je geschichtlichen Ort. Die diesem Essay-Band zugrunde liegenden
,,Symposien befal3ten sich (ndmlich) mit den Konstruktionen des Nationalen in der
Fruhen Neuzeit bis zu Erscheinungsformen des Nationalen in der Gegenwart" (p. 8),
also im Sinne einer interdisziplindr angelegten, chronologisch verfahrenden
Historiographie des Begriffes und der Inhalte von Nation.
Gisela Engel, Mitherausgeberin des Bandes, hat in einer geschickten Einleitung
neben der Zusammenstellung der Ertrdge des Gesamtarrangements und wesentli- .
cher Aspekte der Einzelbeitrdge vor allem auf Merkmale abgehoben, durch die sich
die Nation-Diskussion deutlicher konfiguriert: Das Land (p. 19f), Die K6rper (p. 20
ff), Literarischer Stil (p. 26ff), Die Konfession (p. 28ff), Die Juden (p. 33f), Die
Verrdter (p. 34ff). Auch bei ihr und den Einzelbeitrdgen wird wiederholt auf die
Ambiguitat des Nation-Begriffes verwiesen, wobei sie allerdings auch das Einver-
nehmen notieren kann: "Die Autoren und Autorinnen gehen mehr oder weniger be-
tont alle von einem Verstandnis von Nation aus, das nicht auch automatisch den
Nationalstaat mit seinen gelaufigen Charakteristika meint"(p. 13). Die meisten Bei-
spiele werden dem englischen Kontext in Literatur, Geschichte, Geographie ent-
nommen, wohl vor allem deswegen weil sich der Nation-Begriff am Beginn der
Jürgen Hüllen, Zwischen Kosmos und Chaos. Die Ordnung der Schöpfung und die
Natur des Menschen. (Philosophische Texte und Studien, Bd. 56), Hildesheim-
Zürich-New York: Georg Olms Verlag, 2000.
Sigurd Martin Decke/Jürgen Schnakenberg (Hg), Gottesglaube - ein Selektionsvor-
teil? Religion in der Evolution - Natur- und Geisteswissenschaftler im Gespräch.
Gütersloh: Chr. Kaiser/Gütersloher Verlagshaus, 2000.
Constantino Ponce de la Fuente, La Confession d'un pécheur devant Jésus Christ
rédempteur et juge des hommes. 1547. Précédé de Le procés du doute et de la
subjectivité dans l'Espagne du XVIe siècle.Grenoble: Editions Jérôme Million,
2000.
La théologie germanique. 1497. Traduction Pierre Poiret. Présentation et notes par
Marjolaine Chevalier. Grenoble: Editions Jérôme Million, 2000.
Dieter Lau, Der Mensch als Mittelpunkt der Welt. Zu den geistesgeschichtlichen
Grundlagen des anthropozentrischen Denkens. (Essener Beiträge zur Kulturge-
schichte Hrsg. v. D. Lau, Bd. 1), Aachen: Shaker 2000.
Wolfgang Vögele, Menschenwürde zwischen Recht und Theologie. Begründungen
von Menschenrechten in der Perspektive öffentlicher Theologie. (Öffentliche
Theologie; 14 ), Gütersloh: Kaiser, Gütersloher Verlagshaus, 2000.
Jim G. Tobias/Peter Zinke, Nakam - Jüdische Rache an NS-Tätem. Mit einem Vor-
wort v. A. Lustiger. Hamburg: Konkret Literatur Verlag 2000.
j
Berichtigung ,
In der ZRGG Heft 4/2000 (52, 4), Seite 335, wurden die hebrdischen
Zitate unrichtig wiedergegeben. Zeile 20/21 muB richtig heiBen: