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Stammfunktionen
Im Sinne der Umkehrung der Differentiation sucht man zu einer gegebenen Funktion f eine
sogenannte Stammfunktion F, deren Ableitung die gegebene Funktion f ist. Eine solche
Stammfunktion gibt es zu den meisten "vernünftigen" Funktionen (z.B. zu allen stetigen
Funktionen), aber nicht immer:
Existiert eine Stammfunktion zu f, so ist sie zwar nicht eindeutig bestimmt, denn mit F( x ) ist auch
jede um eine Konstante C vertikal verschobene Funktion F( x ) + C eine Stammfunktion; aber wie
schon früher erwähnt, folgt aus dem Mittelwertsatz, daß es keine weiteren Stammfunktionen geben
kann. Denn
F´= G´ bedeutet G´-F´= (G-F)´= 0 ,
und daher
G( x ) − F( x ) − G( b ) + F( b ) = ( x − b ) ( G´( z ) − F´( z ) ) = 0
für beliebige x, b aus dem Definitionsbereich und geeignete Werte z zwischen x und b.
Also gilt für festgehaltenes C = G( b ) − F( b ) :
G( x ) = F( x ) + C.
Verschiebungsregel
Je zwei Stammfunktionen derselben Funktion unterscheiden sich um eine additive Konstante.
Diese Regel gilt aber nur auf Intervallen !
1
Beispiel 2: Stammfunktionen für
x
Die für alle x außer 0 definierte Funktion
1
f( x ) =
x
hat unter anderen die Stammfunktionen
F( x ) = ln( x ) und
G( x ) = ln( x ) + s( x ) (x ≠ 0),
wobei s( x ) wieder die Signum-Funktion aus Beispiel 1 bezeichnet. Hier unterscheiden sich F und
G auf dem gesamten Definitionsbereich nicht nur um ein und dieselbe additive Konstante - auf
negativen bzw. positiven Teilintervallen allerdings schon!
ist der Arcussinus, denn mit Hilfe der Differentiationsregel für Umkehrfunktionen und der Formel
Nein, sondern
π π π
arcsin( x ) = − arccos( x ) , allerdings nur im Bereich zwischen − und .
2 2 2
1
f( x ) = , F( x ) = arcsin( x ), G( x ) = −arccos( x )
1 − x2
Manchmal (aber nicht besonders oft) kann man eine Stammfunktion direkt erkennen.
f( x ) = x sin( x2 )
hat die durch (0,0) verlaufende Stammfunktion
1 − cos( x2 )
F( x ) = .
2
In vielen Fällen ist eine Integration mit Hilfe "elementarer" Funktionen leider nicht möglich.
f( x ) = sin( x2 )
auf den ersten Blick harmloser als die aus Beispiel 4 aussieht, findet sich unter den uns bekannten
Funktionen keine, deren Ableitung sin( x2 ) ergibt. Trotzdem besitzt f als stetige Funktion sicher
Stammfunktionen. Die durch den Nullpunkt verlaufende Stammfunktion F( x ) zu sin( x2 ) wird nach
dem Mathematiker und Physiker Jean Augustin Fresnel (1788-1827) Fresnel-Integral genannt.
Stammfunktionen von Polynomen
Besonders häufig muß man Polynome
n
p( x ) = p0 + p1 x + ... + pn x = n
∑p k xk
k=0
integrieren. Wegen
(k + 1)
⌠ k x
x dx = +C
⌡ k+1
(Probe durch Ableiten!) und der Linearität des unbestimmten Integrals erhalten wir
(k + 1) n+1
⌠
n
pk x pk − 1 xk
p( x ) dx =
⌡ ∑ k+1
= ∑ k
.
k=0 k=1
Rationale Funktionen
Um eine rationale Funktion, also einen Quotienten
p( x )
r( x ) =
q( x )
zweier Polynome p( x ) und q( x ) zu integrieren, muß man die vollständige Zerlegung des Nenners
in Faktoren ersten oder zweiten Grades kennen (dazu müssen mindestens die Nullstellen des
Nenners bekannt sein). Sind
m
( x − a )k bzw. ( x2 + b x + c )
die höchsten Potenzen solcher Faktoren, die als Teiler des Nenners vorkommen, so kann die
gesamte rationale Funktion r( x ) als Summe von einem Polynom und relativ einfachen Brüchen
folgender Form dargestellt werden:
aj
( j = 1, ..., k) bzw.
( x − a )j
bj x + cj
j
( j = 1, ..., m ).
(x + b x + c)
2
Partialbruchzerlegung
nennt man die Zerlegung der gegebenen rationalen Funktion in eine Reihe von Summanden der
obigen Form (plus einem Polynom, falls der Zählergrad mindestens so hoch wie der Nennergrad
ist).
Die Zahlen aj, bj, cj ermittelt man im allgemeinsten Fall, indem man den Hauptnenner q( x ) aller
Summanden bildet und dann die Koeffizienten im Zählerpolynom mit denen des gegebenen
Polynoms p( x ) vergleicht. Das führt auf ein lineares Gleichungssystem für die Koeffizienten
aj, bj, cj .
Es gibt spezielle Ansätze und Tricks, um hier schneller zum Ziel zu kommen. Wir übergehen diese
Methoden, da die meisten Computeralgebra-Programme die Partialbruchzerlegung direkt liefern.
Haben wir die Partialbruchzerlegung erreicht, so müssen wir zur Integration einer rationalen
Funktion außer den Integralen von Polynomen nur die folgenden Integrale kennen:
⌠
1
(1)
dx = ln( x − a )
x − a
⌡
⌠
1 1
(2)
dx = − (k − 1)
(x − a)k
(k − 1) (x − a)
⌡
2x+b
⌠ ( 2 c1 − b1 b ) arctan
b1 x + c1 b1 ln( x + b x + c )
2
d
(3)
2 dx = +
x + b x + c 2 d
⌡
falls 0 < 4 c − b2 und d = 4 c − b2 .
Ist 4 c − b2 < 0 , so kann man den Nenner x2 + b x + c in Linearfaktoren zerlegen und den
Integranden als Summe von Partialbrüchen der Form (1) und (2) darstellen.
Verifizieren Sie die Gleichungen (1) - (3) durch Differentiation beider Seiten!
Dieser nimmt nur Werte zwischen -1 und 1 an. Deshalb ist seine Umkehrfunktion nur auf dem
offenen Intervall ]-1,1[ definiert, während
ln( 1 + x ) ln( 1 − x ) 1 1+x
− = ln
4 4 4 1−x
für alle von -1 und 1 verschiedenen x erklärt ist. Im Intervall ]-1,1[ gilt tatsächlich
1 1+x
ln = arctanh( x ) ,
2 1−x
1+x 1+x (2 y) (2 y)
2 y = ln <==> =e <==> 1 + x = e (1 − x)
1−x 1−x
( −y )
(2 y) (2 y) ey − e
<==> x ( e + 1) = e − 1 <==> x = ( −y )
<==> y = arctanh( x ) .
e +e
y
1 1 1 1
f( x ) = , F( x ) = ln ( 1 + x ) − ln( x − 1 ) + arctan( x )
1 − x4 4 4 2
Beachten Sie, daß der linke und der rechte Ast der Stammfunktion verlorenginge, wenn man statt
1+x 1+x
ln nur ln = ln( 1 + x ) − ln( 1 − x )
1−x 1−x
nähme; denn der rechte Ausdruck ist nur für -1 < x < 1 definiert.
Umgekehrt hätten wir den mittleren Ast verloren, wenn wir statt
1+x x+1 x+1
ln = ln nur ln
1−x x−1 x−1
genommen hätten, denn dieser Ausdruck ist nur für x > 1 oder x < −1 definiert, der Ausdruck
ln( x + 1 ) − ln( x − 1 ) sogar nur für x > 1. Außerdem sei noch einmal betont, daß man jeden der drei
Äste unabhängig voneinander vertikal verschieben kann und stets wieder eine Stammfunktion
bekommt, z.B.
1
G( x ) = F( x ) + π, x < -1
4
1
H( x ) = F( x ) − π, 1 < x
4
Anhang
Rekursionsformeln zur Integration von Brüchen
Bei Integralen, in denen x2 + b x + c mit höheren Potenzen im Nenner auftritt, kann man mit den
nachfolgenden Rekursionsformeln Schritt für Schritt den Exponenten m des Nenners um 1
erniedrigen:
⌠
1
(4)
dx
(x + b x + c)
2
m
⌡
⌠
1 2x+b 1
+ −
= ( (m − 1)
( 4 m 6 ) (m − 1)
dx ) ,
( 4 c − b ) ( m − 1 ) ( x2 + b x + c )
2
( x2 + b x + c )
⌡
⌠ ⌠
x 1 b
(5)
d x = − (m − 1)
−
dx .
( x2 + b x + c )
m
2 (m − 1) (x + b x + c)
m
⌡2 (x + b x + c)
2 2
⌡
1 3 3 1 1 1 1
= − + + + + .
2 16 ( x + 1 ) 16 ( x − 1 ) 16 ( x + 1 )2 16 ( x − 1 )2 4 ( x2 + 1 ) 2
(1 − x ) 4
4 (x + 1)
2
Die Formel für allgemeines n schafft auch MAPLE nicht mehr. Wir müssen uns also etwas anderes
einfallen lassen und betrachten simultan die Funktionen
( −n ) ( −n )
fn( x ) = ( 1 − x4 ) und gn( x ) = x ( 1 − x4 ) .
Differentiation von gn( x ) führt auf
d ( −n ) ( −n − 1 )
gn ( x ) = ( 1 − x 4 ) − x ( −n ) ( 1 − x4 ) 4 x3
dx
( −n ) ( −n ) ( −n − 1 )
= ( 1 − x4 ) − 4 n ( 1 − x4 ) + 4 n ( 1 − x4 )
= 4 n fn + 1 ( x ) − ( 4 n − 1 ) fn ( x ) ,
also
d
4 n fn + 1 ( x ) = ( 4 n − 1 ) fn ( x ) + gn ( x )
dx
und nach Integration
4 n Fn + 1( x ) = ( 4 n − 1 ) Fn( x ) + gn( x ) .
Zur Abkürzung setzen wir noch
∏ 4j−1
4n 4j
q1 = 1 sowie qn + 1 = qn = ... = ,
4n−1 j=1
holen uns aus Beispiel 6 die Startfunktion
x+1
4 q1 F1( x ) = 2 arctan( x ) + ln
x−1
und gewinnen daraus schließlich die explizite Formel
n−1
x+1 qk + 1 gk ( x )
4 qn Fn( x ) = 2 arctan( x ) + ln
x−1
+
k=1
∑ k
.
Die ersten drei Stammfunktionen lauten also
⌠
1 1+x
4 d x = 2 arctan ( x ) + ln
1 − x4 1−x
⌡
⌠
16
2
1 1+x 4 x
dx = 2 arctan( x ) + ln +
3 1 − x
4 1 − x 3 1 − x4
⌡
⌠
128
3
1 dx = 2 arctan( x ) + ln 1 + x + 4 x 16 x
4 + .
21 1 − x 1−x 3 1 − x4 21 2
⌡ (1 − x )
4
Die Funktionen 4 qn fn( x ) und ihre Stammfunktionen pn( x ) = 4 qn Fn( x ) im Bilde für ungerade n
Im Bereich zwischen -1 und 1 unterscheiden sich die Funktionen für gerade n kaum von denen für
ungerade n, während in den Außenbereichen (wo −π und π liegt) der Unterschied eklatant ist.