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28. NOVEMBER 2010, NR.

47 FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG SEITE 55


Gesellschaft �

speziell für Bachelor aufgelegt mit


Mentoren und Schulungen. „Die AM RANDE
Ausbildung wird ein bisschen ins
Unternehmen hinein verlagert“, DER GESELLSCHAFT
sagt Renzewitz – wo man sich
dann dieser Aufgabe stellt. Ange-
sichts von drohendem Fachkräfte-
mangel und sich erholender Kon-
junktur bemerkt er aber auch ei-
nen allmählichen Wandel: „Die Ba-
chelor sind willkommener, als sie
glauben.“
Zehn Jahre nach Einführung
des neuen Abschlusses scheinen
die Zweifel an den Hochschulen
größer als auf Seiten der Wirt-
schaft. Die Incher-Studie mit ihren
Erfolgsnachrichten steht zugleich
für ein massives Misstrauensvo-
tum: Drei von vier Universitätsab-
solventen schließen direkt an den
Bachelor einen Master an. Und
das nicht, weil sie keinen Job gefun-
den hätten. Die meisten haben das
von vornherein geplant. Schon sor-
gen sich Studentenvertreter um ei-
nen Mangel an Aufbau-Studien-

„Der Sinn der Reform


ist bei den meisten
nicht angekommen“,
sagt ein Berufsberater.

plätzen. Wenn aber ein „Regel-


abschluss“ die Ausnahme bleibt, ist
das ein Armutszeugnis.
Armin Dielforder, der in Müns-
ter sein Aufbaustudium in Geowis-
senschaften macht, ist überzeugt,
dass mit einem Bachelor in seinem
Fach überhaupt keine sinnvolle Tä-
tigkeit möglich sei. Dielforder un-
terscheidet strikt zwischen Ausbil-
dung und Bildung und glaubt, erst
nach etwa fünf Jahren Hochschule
ein „fertiger Akademiker“ zu sein,
der zu denken gelernt habe und
Sprung ins kalte Wasser: Nur ein kleiner Teil der Universitätsabsolventen wagt sich mit seinem Bachelor auf den Arbeitsmarkt. Illustration Thilo Rothacker vielseitig Verantwortung überneh-
men könne. Er habe sich deshalb
für „ein ganzes Studium“ entschie-

A Der Neue im
ls sie im Herbst 2009 ihr lor-Abschluss verlangt. Nirgendwo den – also Bachelor und Master im
Abschlusszeugnis in den war er ausdrücklich unerwünscht. Kombipack. Alte Vorbehalte gegen-
Händen hielt, war sie zu- Zwei Monate nach Abgabe ihrer über einem neuen Abschluss. Viele
versichtlich: ein Bachelor, Abschlussarbeit trat sie im Oktober Professoren teilen diese Sichtweise.
der neue „berufsqualifizierende Re- 2009 eine Stelle beim Berufsförde- Andreas Eimer seufzt. „Der
gelabschluss“ der Hochschulen. rungswerk Nürnberg an, wo sie eu- Sinn der Studienstrukturreform ist

Abschlusstest
„Jetzt geht’s los“, dachte sie. Sie ropäische Bildungsprojekte betreut. bei den meisten Studierenden
war nach dem Abitur nicht wie an- Sie findet, Qualifikation und Tätig- nicht angekommen“, sagt der Lei-
dere ins Ausland gegangen und hat- keit passten ganz gut zusammen. ter des Career Service der Universi-
te zügig studiert. Jetzt, mit 23 Jah- Die neueste Absolventenbefra- tät Münster. Immer wieder muss er
ren, wollte sie arbeiten und auf ei- gung der Hochschulen, für die das seine Pappenheimer aufklären, dass
genen Beinen stehen. Je schneller International Centre for Higher der Bachelor kein minderwertiger
Education Research in Kassel (In- Abschluss und der Weg auf den Ar-
sie in die Praxis kam, desto besser.
beitsmarkt keinesfalls ein Versagen
Zuerst versuchte sie es bei den Die Chancen am Arbeitsmarkt sind für selbstbewusste cher) die Angaben von 33 000 Stu-
denten ausgewertet hat, wartet mit sei – sondern eine Option. Um ge-
großen Unternehmen. Sie hatte In- gebenenfalls später wieder gezielt
ternationales Marketing studiert Bachelor-Absolventen nicht schlecht. Größer als die Skepsis Erfolgsmeldungen auf: Bachelor-Ab-
an die Universität zurückzukehren.
und wäre am liebsten als Kreative solventen sind nicht häufiger arbeits-
in der Werbung eingestiegen. Man- der Unternehmen ist das Misstrauen der Studenten selbst. los als Hochschulabgänger mit ande- „Wir haben doch jahrelang disku-
tiert, dass es in der jetzigen Berufs-
che Stellen wollte sie um jeden ren Abschlüssen (vier Prozent). Sie
welt nicht adäquat ist, einmal fünf
Preis. Bald hat sie es auch mit Trai- Von Julia Schaaf suchen nicht länger nach einer Stel-
bis sechs Jahre studiert zu haben,
neeprogrammen und Praktika pro- le (im Schnitt drei Monate) und
sind mit ihrem Beschäftigungs- um damit dann 35 Jahre zu arbei-
biert. In Hamburg, in München, in ten.“ Durchschnittlich vier kom-
der Provinz. „Am Ende war mir al- nach etwa drei Jahren Regelstudien- fert sich Volker Meyer-Guckel, beitsmarkt mit Bewerbern höherer niveau mehrheitlich zufrieden. Geis-
tes- und Sozialwissenschaftler sto- plett verschiedene Tätigkeiten übe
les egal. Ich habe mich auf alles be- zeit – den Bachelor – und ein zwei- stellvertretender Generalsekretär Abschlüsse konkurrieren müssen. ein deutscher Akademiker im Lau-
worben, was irgendwie mit Wer- jähriges Aufbaustudium – den Mas- des Stifterverbands für die Deut- Im Idealfall läuft es wie bei Tere- ßen zwar auf größere Schwierigkei-
fe seines Erwerbslebens schon heu-
bung und Marketing zu tun hatte.“ ter – so gut wie beendet ist, wagen sche Wissenschaft. Thomas Sattel- sa Conrad. „Ich habe wirklich ten – aber das war bei den alten Stu-
te aus; in Amerika seien es zehn.
150 Bewerbungen. Vier Vorstel- sich die ersten Absolventen auf den berger, Personalvorstand der Deut- Glück gehabt“, sagt die Dreiund- diengängen auch schon so. Nur Na-
Vergangenen Herbst hat Eimer ei-
lungsgespräche. Meistens kam Arbeitsmarkt. Dieser Schritt je- schen Telekom und Mitinitiator zwanzigjährige, die in St. Gallen In- turwissenschaftler und Mathemati- nen Master in Organisationspsycho-
nicht einmal eine Absage. Oft hätte doch, behauptet eine aktuelle Un- der kritisierten „Bachelor Wel- ternational Affairs studiert hat. Im ker mit Bachelor sind deutlich unzu- logie an einer englischen Universi-
eine Ausbildung zur Werbekauf- tersuchung, münde systematisch in come“-Initiative befürchtet, man Juli verschickte sie erste Bewerbun- friedener als Kommilitonen mit an- tät erworben, berufsbegleitend.
eine Sackgasse. Ein Professor von wolle den Bologna-Prozess kaputt- gen. Im September hatte sie zwei deren Abschlüssen. Und die Ein- Mit Mitte vierzig. Das, sagt Eimer,
frau genügt. Einmal sollte sie in ei-
der Universität des Saarlandes hat reden und den Studenten Angst Angebote. Im Oktober bekam sie stiegsgehälter liegen um bis zu sei das Ziel.
nem Callcenter anfangen. „Dafür
Stellenanzeigen ausgewertet und machen. „Ich ärgere mich richtig ihr Zeugnis. Seit November arbei- 20 Prozent niedriger. In Deutschland heiße es immer,
hast du nicht studiert“, dachte sie.
kommt zu dem Ergebnis: Es gibt über diese zweifelhafte Studie“, tet sie bei einer kleinen, renommier- Der Arbeitsmarkt befindet sich „je länger du studiert hast, desto
Dabei lag ihre Abschlussnote im Umbruch. Selbst ein Bachelor-
über dem Durchschnitt. Sie hatte keine Einstiegsangebote speziell für sagt Sattelberger. „Professor ten Strategie- und Organisationsbe- schlauer bist du halt“, sagt Johanna
ratung in Berlin – regulär als Bera- Fan wie Telekom-Vorstand Sattel- Hasting. Warum?, fragt sie. Und
mehr Praktika hinter sich als das Bachelor-Absolventen. Entweder Scholz muss zur Kenntnis neh-
terin. Einstiegsgehalt: 3000 Euro berger gibt zu, dass im Mittelstand stimme das überhaupt? Die Neun-
Studium vorschrieb. Sie ließ hoch- wird Berufserfahrung verlangt. men, dass die Welt der Unterneh- nach wie vor eine Menge Skepsis
wertige Bewerbungsfotos machen Oder – und das betrifft das Gros men anders tickt, als er sich das in undzwanzigjährige leitet das Büro
gegenüber dem neuen Abschluss eines Europaabgeordneten in Brüs-
und ihren Lebenslauf von Profis der Ausschreibungen – es geht um seinem universitären Elfenbein- herrsche. Was der Personaler nicht
checken. Für Vorstellungsgesprä- Praktika. „Das ist unredlich“, turm vorstellt.“ sel. Ein Traumjob, sagt sie. Als sie
Einmal sollte sie im kennt, stellt er nicht ein. Es gibt sich 2003 an der Universität Erlan-
che schminkte sie sich dezenter als schimpft Christian Scholz, Profes- Tatsächlich scheint die Vorge- Unternehmen, die Bachelor kate-
sonst. Sie beschreibt sich als team- sor für Betriebswirtschaftslehre hensweise des Saarbrücker Be- Callcenter anfangen. gorisch abblitzen lassen. „Wie soll
gen-Nürnberg für einen Bachelor
fähig und humorvoll. Nach einem und Initiator der Studie. Besonders triebswirts zumindest fragwürdig. in Amerikanistik einschrieb, hatte
greift er 15 Großunternehmen an,
„Dafür hast du nicht ich direkt nach meinem Studium sie noch die Wahl. Aber sie wollte
halben Jahr war sie verzweifelt. Sie Seine Auswertung bezieht sich nur schon zwei Jahre Berufserfahrung
deren Personalvorstände sich schon studiert“, dachte sie. keinen langwierigen Magister, son-
hielt es kaum mehr allein aus. auf Stellenangebote, in denen Ba- vorweisen?“, klagen Jobsuchende dern ein praxisnahes, rasches Studi-
Dazu kam die Angst vor der wach- 2004 öffentlichkeitswirksam auf die chelor als Adressaten erwähnt wer- frustriert. Unter den Ingenieuren um. Sie sah sich nicht als Akademi-
senden Lücke im Lebenslauf. Im Fahnen geschrieben hatten, den Ab- den. Die Unternehmen halten da- und Informatikern, sagt Stefan kertyp, eher als Pionierin, immer
Sommer schrieb sie sich für einen solventen der neuen Kurzstudien- gegen, sie differenzierten in den brutto. Ihr erster Eindruck ist gut. Renzewitz, Personalmarketingex- auf Zack. Schon im Januar 2006, di-
Master in Betriebswirtschaft ein. gänge „attraktive Einstiegschan- meisten Fällen gar nicht zwischen Sie sei nicht die Kleine, die Kaffee perte beim Recruiting-Dienstleis- rekt nach dem Examen, hatte sie ih-
„Ich kann nicht sagen, ob es am Ba- cen“ zu unterbreiten. Eine Auswer- Ausschreibungen für Bachelor, kochen müsse. Sie werde einbezo- ter access Kelly OCG, würden ren ersten Job: eine Hospitanz bei
chelor lag“, sagt sie heute. Viel- tung der Internetseiten dieser Fir- Master oder den alten Titeln Ma- gen und übernehme eigenständig deutlich mehr Master-Absolventen der Robert-Bosch-Stiftung in der
leicht am Fach. Vielleicht an der men befindet: 86 Prozent der Ange- gister und Diplom. Hochschulab- Aufgaben. Zwar mache sie noch als Bachelor gesucht. Jahrelang hat- Abteilung für Internationale Poli-
Krise. Mit dem Master jedenfalls bote seien Praktika. Scholz sagt: schluss erforderlich, heiße es Fehler. Aber „nur aus Fehlern lernt te die Wirtschaft geklagt, das Studi- tik. Seitdem ging es steil bergauf.
erhofft sie sich bessere Chancen. „Viele Unternehmen machen sich schlicht. Der Rest sei eine Frage man“, sagt sie. um in Deutschland dauere zu lang, Ein paar Jahre später sattelte sie ei-
Der Bachelor wurde – von Tei- gar nicht die Mühe, sich auf diesen von Kompetenzen und Persönlich- Bei Ulrike Dehner, Bachelor in sie brauche jüngere Absolventen. nen Master drauf.
len der Wirtschaft – herbeigesehnt. neuen Typ einzustellen.“ keit. „Das ist eine typisch deutsche Sozialökonomik, lief es ähnlich Jetzt ist man erschreckt, wie wenig Andreas Eimer sagt: „Im Mo-
Der Bachelor war – an den Univer- Die Gegenseite schäumt. „Das Denke, dass man nur auf den Ab- glatt: Zehn Bewerbungen, davon Lebens- und Praxiserfahrung ment sind es die selbstbewussten
sitäten – umstritten. Jetzt ist er da. ist weniger eine wissenschaftliche schluss guckt“, sagt Sattelberger. vielleicht ein Drittel auf Praktika, 21 Jahre alte Berufseinsteiger mit- Bachelor-Absolventen, die sich am
Während die Umstellung der Studi- Studie als vielmehr ein polemi- Unbestritten bleibt allerdings, dass sechs Vorstellungsgespräche. Nir- bringen. Große Unternehmen ha- Arbeitsmarkt plazieren.“
engänge auf einen ersten Abschluss scher und politischer Beitrag“, erei- Bachelor-Absolventen auf dem Ar- gendwo wurde explizit ein Bache- ben deshalb Einstiegsprogramme Und die anderen?

EIN BAUM NUR SCHAUM KEIN TRAUM Franz Josef Wagner 56


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Tanne oder Fichte? Öko oder Die alten Schwächen der neuen Der Liedermacher Gisbert zu Kunstmarkt
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doch behandelt? Seite 59 Restaurant-Führer, Seite 58 Knyphausen, Seite 57 Herzblatt 62

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