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Authentizität
im Social Web
Erwartungen der Community an die PR.
Ausgewählte Befunde
Von Thomas Pleil und Daniel Rehn*
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Theorie & Praxis
munikators spielt eine Rolle (vergleiche Zerfaß/Boelter Vordergrund, dessen subjektive Wahrnehmung über
2005, Seite 73). Die Argumente: Authentizität könne Authentizität entschied (vergleiche Krieg 1997). Mittler-
gleichgesetzt werden mit „dem unverfälschten, echten, weile wird ihre Inszenierbarkeit konstatiert – die zum
ungeschminkten Verhalten einer Person“ (Kielholz 2008, Ziel hat, Glaubwürdigkeit herzustellen (vergleiche Wet-
Seite 222) – hier sind also Zusammenhänge zu Persona- schanow 2005). Demnach lassen sich Strategien identifi-
lisierungsstrategien zu sehen. Das kann, wie Annette zieren, die der Herstellung von Authentizität dienen,
Kielholz betont, unter anderem zu Verschiebungen des beispielsweise der Einsatz von Laien im Fernsehen oder
Verständnisses von Privatheit führen. die Personalisierung beziehungsweise Ich-Erzählung
Ähnliches wird in der politischen Kommunikation be- (ebenda). Authentizität, so Wetschanow, erzeugt damit
reits länger diskutiert: So gilt der Einbezug von Privatem eine Illusion der Teilhabe.
bei politischen Kandidaten als ein Authentizitätsfaktor Der New Journalism, ein Reportagestil, der Mitte der
(vergleiche Schicha 2002). Klar ist aber auch, dass die Be- 60er Jahre entstand und dessen Vertreter wie Tom Wolfe
tonung von Persönlichkeit gerade für die Unternehmens- und Truman Capote höchst subjektiv schrieben und stark
kommunikation zum Widerspruch werden kann (ver- auf literarische Stilmittel setzten, kennt die Inszenierung
gleiche Kielholz 2008, Seite 222): Unternehmen sind von Authentizität durch bestimmte Elemente wie Alltags-
von außen betrachtet zunächst abstrakte Organisationen, sprache, O-Töne, Geräusche sowie das Offenlegen des
deren institutionalisierte Kommunikation nicht per se da- journalistischen Produktionsprozesses, etwa durch Nen-
rauf ausgerichtet ist, den erwähnten Anforderungen, die nung der Quellen (vergleiche zum Beispiel Bleicher/Pörk-
gerade in Bezug auf das Social Web intensiv eingefordert sen 2005). Auch durch die kulturanthropologische Brille
werden, Genüge zu tun. Verfolgt man den Gedankengang gesehen ist Authentizität eine Echtheitserfahrung mit spe-
der Personalisierung zur Sicherung von Authentizität wei- zieller dramaturgischer Aufbereitung. Das zeigt Torsten
ter, ergeben sich daraus mehrere Konsequenzen: Zum Näser an dem im Internet intensiv diskutierten Fall von
Beispiel ist zu diskutieren, welche Rolle Mitarbeiter in „lonelygirl115“, einer Videoserie auf YouTube. Mit der
der Social-Media-Kommunikation haben und welche Zeit stellte sich heraus, dass der weltweit populär gewor-
Rolle der PR-Abteilung dabei zukommt (vergleiche dene Teenager Bree eine fiktive Person war (vergleiche
Pleil/Zerfaß 2007). Auch die in der PR typische Arbeits- Näser 2008).
teilung zwischen PR-Managern und externen Dienst- Medientheoretisch betrachtet, lässt sich Authentizität
leistern wird in diesem Zusammenhang in Frage gestellt: damit als kommunikatives Produkt „fluider Persönlich-
So zeigt sich in der Befragung von PR-Experten, dass keitsstrukturen“ (Dreyer 2005, Seite 180) verstehen, so
Kommunikation im Social Web nicht an Externe ausge- dass im elektronischen Zeitalter Authentizität als „mediale
sourct werden, sondern aus der Organisation selbst kom- Gewandtheit“ (ebenda, Seite 181) beziehungsweise als
men sollte (vergleiche Kamps/Liebl 2008, Seite 47). Wissen um die eigene Wirkung gelten kann. Ein solches
Doch meint Authentizität immer das Echte, Wahre Verständnis wäre anschlussfähig zu den derzeit in der On-
und Ehrliche? In benachbarten Disziplinen ist hierzu ein linekommunikation diskutierten Netzwerkansätzen (ver-
durchaus differenziertes Verständnis anzutreffen. In der gleiche zum Beispiel Bucher et al. 2008), denen ein rollen-
Fernsehforschung zum Beispiel hat die Diskussion von basiertes Denken zugrunde liegt, was letztlich zu einem
Authentizität eine längere Tradition, unter anderem in rollenbasierten Authentizitätsverständnis führen könnte.
Bezug auf Reality-TV-Formate. Hier ist ein klarer Bedeu- Doch zunächst soll der Frage nachgegangen werden,
tungswandel festzustellen: Zwar wurde Authentizität zu- welche der vorgestellten Verständnisweisen von Authen-
nächst auch im Sinn einer Wirklichkeitsnähe und gar als tizität in der Praxis, also im Alltag des Social Web, dis-
eine Medientugend gesehen (vergleiche Thoma 1989) – kutiert werden.
ein Jahrzehnt später rückte jedoch der Rezipient in den
Abbildung 1
3 Untersuchungsanlage
Die theoretische Diskussion hat gezeigt, dass Authen-
Verständnis von Authentizität tizität unterschiedlich verstanden werden kann. In einer
ersten Untersuchung sollte nun ermittelt werden, wie der
k. A.: 3 Begriff im Social Web selbst debattiert wird – und zwar
in Bezug auf PR. Hierzu wurde das deutschsprachige
konzeptionell: 25 Wirklichkeitsnähe: 34
Social Web über einen Zeitraum von sechs Monaten
(Januar bis Juni 2009) untersucht. Einbezogen waren
Weblogs, twitter und drei einschlägige Gruppen inner-
halb des Netzwerks Xing. Bereinigt entstand dabei zu-
Inszenierung: 12
n = 105
nächst ein Sample von 105 Texten, die in einem zwei-
Texte im Web zum stufigen qualitativen Verfahren inhaltlich analysiert
Ehrlichkeit: 31 Thema Authentizität
wurden. Aus diesem Sample wurden zusätzlich die drei
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Beiträge
YouTube) und das Corporate Weblog der Saftkelterei 15
Walther (Saftblog). Aufgrund der umfassenden Diskus- 10
sion haben wir zusätzlich die in Social Media hineinrei- 5
chende Kampagne „Es ist Deine Zeit“ von Vodafone be- 0
trachtet, die ihren Höhepunkt jedoch erst nach dem Mit- Stake- PR- Personen- Medium k. A.
arbeiter holder Leute marke n = 105
gewählten Untersuchungszeitraum im Juli 2009 hatte. Texte im Web zum
Träger Thema Authentizität
4 Ausgewählte Ergebnisse
Abbildung 2
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5 Fallstudien
und deren Engagement auch vor diesem Hintergrund
als nicht authentisch wahrgenommen wurde.
➢ keine Dialogbereitschaft: Mit einer auch für das In-
ternet beziehungsweise für Social-Media-Akteure ins-
In zwölf der untersuchten Beiträge wurden im Zu- zenierten Pressekonferenz sollte im Rahmen der
sammenhang mit Authentizität konkrete Beispiele für Kampagne der Startschuss für eine neue Kommunika-
PR-Strategien der Praxis erwähnt. Das Corporate Blog tions- und Dialogära zwischen Unternehmen und Kun-
der mittelständischen Saftkelterei Walther, das Ge- den fallen. Doch die Maßnahme floppte. Beispielhaft
schäftsführerin Kirstin Walther verantwortet, hielt mehr- ist die Kritik des auf Social Media spezialisierten PR-
fach als positives Beispiel für Authentizität in der PR Beraters Mirko Lange in seinem Weblog talkabout: Er
her. Negativ bewertet wurden dagegen die twitter-Strate- ärgerte sich, dass Vodafone „die ganze Zeit über mich,
gie der Lufthansa sowie eine Werbekampagne von Voda- und zwar als ‚Zielgruppe‘ und nicht als Mensch“ ge-
fone, die ins Social Web ausgedehnt worden war. Die sprochen habe. „Ich empfinde es als etwas Beleidigen-
Wahlkampfaktivitäten von Thorsten Schäfer-Gümbel des zu sehen, wie ich für jemanden nur als Zahl oder
fanden ein geteiltes Echo. In einem weiteren Unter- als Umsatzpotenzial lebe.“ Stattdessen, so wurde auch
suchungsschritt wurde zu den genannten Fällen ergän- in anderen Blogs kommentiert, müsste mit den Men-
zend in Weblogs recherchiert, um die Diskussion dieser schen im Social Web anstatt über sie gesprochen wer-
Beispiele umfassender nachzeichnen zu können. den. Im Verlauf der Kampagne zeigte sich immer
mehr, dass der von den Adressierten eingeforderte
5.1 Vodafone Dialog nicht vorgesehen war. Das zeigte sich, als die
Die intensivste Diskussion in Bezug auf Authentizität erwähnte Kritik an besagtem Blogger-Testimonial
löste die Werbekampagne „Es ist Deine Zeit“ von Voda- wuchs, Vodafone jedoch nur halbherzig reagierte. Das
fone aus (97 Blogbeiträge). Neben klassischen Instru- Unternehmen hatte damit jene Kritiker bestätigt, die
menten wurden auch Web-2.0-Elemente und Testimoni- meinten, dass es offenbar im Zweifel doch nicht so
als aus der Web-2.0-Szene in die bundesweite Kampagne sehr um die zunächst angekündigte Authentizität ging.
integriert, um die „Generation Upload“ erreichen zu ➢ Produkte: Zum vierten Problem für Vodafone wurde
können. Solche Maßnahmen sollten die Marke authen- schließlich, dass sich die Zielgruppe der „Generation
tischer darstellen. Doch die Kampagne stieß im Social Upload“ durch die Vodafone-Produkte nicht angespro-
Web auf heftige Kritik, und gerade der Ansatz, authen- chen fühlte und das auch klar artikulierte. Ein neues,
tisch wirken zu wollen, führte zu intensiven Diskussio- speziell für Onliner attraktives Angebot hatte das Un-
nen. Diese drehten sich vor allem um vier Vorwürfe: ternehmen nicht, und so stellte sich die Frage, wie
➢ Firmenpolitik versus Werbung: Im Frühjahr 2009 zählte man als Anbieter Authentizität schaffen möchte, wenn
Vodafone zu den Telekommunikationsunternehmen, nicht einmal Testimonial Sascha Lobo während der
die sich dazu bereit erklärten, den von der damaligen laufenden Kampagne auf sein iPhone, ein Angebot
Familienministerin Ursula von der Leyen propagierten des Konkurrenten T-Mobile, verzichten wollte.
Gesetzentwurf der Netzsperren zu akzeptieren. Im Juli,
keine drei Monate später, startete schließlich die „Es ist 5.2 Saftblog
Deine Zeit“-Kampagne, die genau auf jene Bevölke- Wird nach deutschsprachigen Beispielen erfolgreicher
rungsgruppe abzielte, die sich so vehement gegen die Corporate Blogs gesucht, wurde und wird sehr häufig
Idee von „Zensursula“ (so der Netzjargon) gewehrt hatte. das „Saftblog“ der Kelterei Walther genannt – und
Aus Sicht der potentiellen Kunden konnte es kaum Authentizität als einer der Erfolgsfaktoren des Projekts
etwas Unauthentischeres geben als einen Netzsperren- (acht Blogbeiträge dazu). Schreibende Kraft hinter die-
Unterstützer, der sich bei den Gegnern anbiedert. sem Corporate Weblog ist Geschäftsführerin Kirstin
➢ Wahl der Testimonials: Zwar war es Vodafone gelun- Walther, die sich durch das im Juni 2005 gestartete
gen, bekannte „Netizens“ für die Kampagne zu gewin- „Frosta Blog“ inspirieren ließ. Sie begann Anfang 2006
nen, doch wurde diesen ihr Engagement als unauthen- über den Firmenalltag zu schreiben, suchte aber auch
tisch und unglaubwürdig ausgelegt -- so heftig, dass den direkten Dialog mit den Kunden, wenn es beispiels-
sich eine der Akteurinnen nach ihrem Vodafone-Enga- weise Fragen oder Beschwerden zu Produkten gab. In
gement vollständig aus dem Social Web zurückzog. der Diskussion des Saftblogs wird gelobt, Walther be-
Die Vorwürfe an die Testimonials waren vielfältig: So gegne ihren Kunden und Lesern auf Augenhöhe und
hatten sich einzelne im Vorfeld klar gegen die geplan- verleihe der Kelterei Walther mit ihrer offenen Art zu
ten Netzsperren ausgesprochen und warben nun für schreiben ein Gesicht, das die Firma weit über die Gren-
ein Unternehmen, das sich nicht dagegen gewehrt zen Dresdens hinaus bekannt gemacht hat.
hatte. Der andere Vorwurf betraf generell das Engage- Dieses „authentische Bloggen“, wie es immer wieder
ment von Personen, die in einer eher anti-kommerziel- bezeichnet wird, entsteht in der Wahrnehmung der On-
len Kultur (vergleiche Simon 2009) zu Hause sind liner offenbar, weil sie Frau Walther als Persönlichkeit
– oder dem Verständnis nach zu Hause sein sollten – wahrnehmen und sie hohe Bereitschaft zum Gespräch
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signalisiert. Social Web-Akteure bewerten also offenbar alle Beteiligten -- Thorsten Schäfer-Gümbel, den Berater
positiv, wenn hinter Firmen Personen erkennbar sind und die Follower auf twitter – transparenter und authen-
und diese einen speziellen, menschlichen Kommunika- tischer gewesen wäre, wenn man die Funktion des Bera-
tionsstil pflegen, wie er seit längerem in der Praktiker- ters von Anfang an publik gemacht hätte. Die Authen-
literatur propagiert wird (vergleiche zum Beispiel tizität des Kandidaten wurde im Social Web in insgesamt
Scoble/Israel 2006, Seite 191). Im Fall des Saftblogs 29 Blogbeiträgen diskutiert.
gehört hierzu eine oft entwaffnende Offenheit, zum Bei-
spiel, wenn über Probleme berichtet und um Verständ-
nis dafür gebeten oder gar nach Lösungen gefragt wird.
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auch Peter Szyszka betont (vergleiche Fink & Fuchs Kielholz, Annette (2008): Online-Kommunikation. Die
2009). Authentizität ist also keine originäre Eigen- Psychologie der neuen Medien für die Berufspraxis.
schaft, sondern das Ergebnis einer Identitätsbewertung Heidelberg.
(ebenda). Für das Kommunikationsmanagement besteht Krieg, Peter (1997): Die Inszenierung des Authentischen.
im Social Web vor allem die Herausforderung, der Er- In: Hoffmann, Kay (Hrsg.): Trau-Schau-Wem. Digitalisie-
wartung an persönliche Authentizität gerecht zu werden. rung und dokumentarische Form. Konstanz, S. 85–95.
Ergebnisse der Untersuchung wurden auf einer Kon- Lange, Mirko (2009): Vodafones Social Media Engage-
ferenz der DGPuK in Offenburg vorgestellt und die Prä- ment: Vodafone hat alles richtig gemacht. Aber wer
sentation im Internet zugänglich gemacht. Dies hat eine hat sie beraten? In: blog.talkabout vom 08. Juli 2009.
ausführliche Diskussion über Authentizität im Social Verfügbar unter http://blog.talkabout.de/2009/07/08/
Web nach sich gezogen, auf die hier nicht eingegangen vodafones-social-media-engagement-vodafone-hat-
werden kann. Sie kann aber ausgehend von der Seite alles-richtig-gemacht-aber-wer-hat-sie-beraten [abgeru-
http://bit.ly/6gYIWD nachvollzogen werden. fen am 16. Dezember 2009].
Martin, Jay (2009): Authentizität bei Testimonial: Gene-
ration Upload. In: Werbeblogger vom 22. Juli 2009.
Verfügbar unter http://www.werbeblogger.de/2009/07/
22/authentizitaet-bei-testimonials-generation-upload
Fußnoten [abgerufen am 2. Dezember 2009].
Näser, Torsten (2008): Authentizität 2.0 – Kulturanthro-
) Hier besteht allerdings ein Zusammenhang zum ver-
1
pologische Überlegungen zur Suche nach ‚Echtheit‘
wendeten Such-String: Gesucht wurde nach den im Videoportal YouTube. In: kommunikation@gesell-
Begriffen „authentisch“ oder „Authentizität“ in Ver- schaft 9, Beitrag 2. Verfügbar unter http://www.soz.
bindung mit „PR“ oder „Public Relations“. uni-frankfurt.de/K.G/B2_2008_Naeser.pdf [abgerufen
am 2. Dezember 2009].
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