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Metamorphosen I - III

Inhaltsverzeichnis

1 Erstes Buch 3

2 Zweites Buch 4

3 Drittes Buch 5

2
1 Erstes Buch

3
2 Zweites Buch

4
3 Drittes Buch

Iamque deus posita fallacis imagine tauri


se confessus erat Dictaeaque rura tenebat,
cum pater ignarus Cadmo perquirere raptam
imperat et poenam, si non invenerit, addit
exilium, facto pius et sceleratus eodem.
Und schon war das Trugbild des Stieres verschwunden: es hatte sich die Gottheit enthüllt
und hauste in Dictes Gefilden, als der Vater, nichts ahnend, dem Cadmus befahl, die
geraubte Schwester zu suchen; und fänd’ er sie nicht, so sei er zur Strafe ausgestoßen:
zugleich war er liebender Vater und Frevler.
orbe pererrato (quis enim deprendere possit
furta Iovis?) profugus patriamque iramque parentis
vitat Agenorides Phoebique oracula supplex
consulit et quae sit tellus habitanda requirit.
Da durchirrte der Sohn des Agenor die Erde – wer könnte Jupiters Schliche ergründen?
–, dann mied er, ein Flüchtling, des Vaters Zorn und die Heimat und wandte sich flehend
an Phoebus’ Orakel: dass er die neue Wohnstatt ihm sage, dies bat er Apollo.
’bos tibi’ Phoebus ait ’solis occurret in arvis,
nullum passa iugum curvique immunis aratri;
hac duce carpe vias et, qua requieverit herba,
moenia fac condas Boeotiaque illa vocato.’
Phoebus verkündet: ’Auf einsamem Feld wird ein Rind dir begegnen, welches das Joch
nicht kennt, das vom gekrümmten Pflug noch frei ist: ihm geh nach, und wo es im
Grase zur Ruhe sich lagert, sollst eine Festung du gründen und sie ’die boeotische’ nen-
nen!’
vix bene Castalio Cadmus descenderat antro,
incustoditam lente videt ire iuvencam
nullum servitii signum cervice gerentem;
subsequitur pressoque legit vestigia passu
auctoremque viae Phoebum taciturnus adorat.
Kaum stieg Cadmus hinab, die castalische Höhle verlassend, als er ein junges Rind,
erblickt, das ohne Bewachung langsam schreitet; es trägt kein Zeichen der Knechtschaft

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am Nacken. Pünktlich folgte er dem wandelnden Tier und hemmte seine Schritte und
fleht stille zu Phoebus, der solch einen Weg ihm geraten.
iam vada Cephisi Panopesque evaserat arva;
bos stetit et tollens speciosam cornibus altis
ad caelum frontem mugitibus impulit auras
atque ita respiciens comites sua terga sequentes
procubuit teneraque latus submisit in herba.
Und schon hat er das Bett des Cephisus verlassen, die Auen sind, die panopischen, hinter
ihm: siehe, das Rind bleibt stehen, hebt die Stirn – es zieren sie mächtige Hörner – zum
Himmel und erfüllt die Luft mit Gebrüll; zu den Menschen, die folgen, blickt es zurück,
dann legt es sich neider im üppigen Grase.
Cadmus agit grates peregrinaeque oscula terrae
figit et ignotos montes agrosque salutat.
sacra Iovi facturus erat; iubet ire ministros
et petere e vivis libandas fontibus undas.
Cadmus dankt und presst auf die Erde, zu der er gewandert, Küsse und grüßt die Gefilde
und Berge, die ihm noch so fremd sind. Jetzt will er Jupiter opfern: den Knappen befiehlt
er zu gehen, Wasser zum heiligen Guss aus lebendiger Quelle zu holen.
Silva vetus stabat nulla violata securi
et specus in medio virgis ac vimine densus
efficiens humilem lapidum compagibus arcum,
uberibus fecundus aquis, ubi conditus antro
Martius anguis erat, cristis praesignis et auro;
igne micant oculi, corpus tumet omne venenis,
tres vibrant linguae, triplici stant ordine dentes.
Urwald stand in der Gegend, der nie von Äxten verletzt war, und eine Höhle inmitten, von
Weidengebüschen umwachsen, die eine niedrige Wölbung, aus Steinen gefügt, überdeckte.
Hier floss reichliches Wasser; doch hauste daselbst in der Grotte auch ein Drache des
Mars, kammtragend und flimmernd von Golde. Feurig glühen die Augen, von Gift ist der
Körper geschwollen, Zungen züngelt er drei, es starren drei Reihen von Zähnen.
quem postquam Tyria lucum de gente profecti
infausto tetigere gradu demissaque in undas
urna dedit sonitum, longo caput extulit antro
caeruleus serpens horrendaque sibila misit.
Als die Männer aus Tyrus mit unheilbringenden Schritten dieses Gehölz betraten und
der in das Wasser gesenkte Krug erklirrte, da hob aus dem Grunde der Höhle der blaue
Drache sein Haupt und ließ ein entsetzliches Zischen vernehmen.
effluxere urnae manibus sanguisque reliquit
corpus et attonitos subitus tremor occupat artus.

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ille volubilibus squamosos nexibus orbes
torquet et immensos saltu sinuatur in arcus
ac media plus parte leves erectus in auras
despicit omne nemus tantoque est corpore quanto,
si totum spectes, geminas qui separat Arctos.
Da entgleiten die Krüge den Händen, es stockt in den Adern jegliches Blut, es erzittern
in jähem Erschrecken die Glieder. Aber das Untier dreht in geschmeidigen Kreisen die
Schuppen, springt und krümmt sich in mächtigen Bogen, es bäumt in die leichten Lüfte
sich auf mit mehr als der Hälfte des Körpers: den ganzen Wald überblickt es, so riesigen
Leibes, wie am Himmel der Drache, wenn du ihn ganz überschaust, der die Zwillingsbä-
rinnen scheidet.
nec mora, Phoenicas, sive illi tela parabant
sive fugam sive ipse timor prohibebat utrumque,
occupat; hos morsu, longis complexibus illos,
hos necat adflatu funesti tabe veneni.
Alsbald stürzt er sich auf die Phönizier, sie mögen die Waffen zücken, sie mögen zur
Flucht sich bereiten, sie mögen in Ängsten nichts unternehmen: er beißt die einen zu
Tode, die anderen werden umstrickt, und jene vergiftet sein tödlicher Pesthauch.
Fecerat exiguas iam sol altissimus umbras;
quae mora sit sociis miratur Agenore natus
vestigatque viros. tegumen derepta leoni
pellis erat, telum splendenti lancea ferro
et iaculum, teloque animus praestantior omni.
Schon stand hoch im Zenith die Sonne, die Schatten verkürzend: und da wundert der
Sohn des Agenor sich über der Freunde Säumen und spürt ihnen nach. Ein Fell, vom
Löwen erbeutet, ist sein Gewand; sein Gewaffen ein Speer mit funkelnder Spitze und eine
Lanze und, besser als Waffen, der Mut eines Helden.
ut nemus intravit letataque corpora vidit
victoremque supra spatiosi corporis hostem
tristia sanguinea lambentem vulnera lingua,
’aut ultor vestrae, fidissima pectora, mortis,
aut comes’ inquit ’ero.’ dixit dextraque molarem
sustulit et magnum magno conamine misit.
Als das Gehölz er betrat und die Leichen der Freunde erblickte und darüber den riesi-
gen Leib des siegreichen Feindes, welcher mit blutiger Zunge die schrecklichen Wunden
beleckte, rief er: ’Ich werde entweder euch rächen, ihr treuen Gefährten, oder ich folge
euch nach.’ Er sprach’s und hob einen Steinblock hoch mit der Rechten und sandte den
riesigen riesigen Wurfes.
illius impulsu cum turribus ardua celsis
moenia mota forent; serpens sine vulnere mansit,

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loricaeque modo squamis defensus et atrae
duritia pellis validos cute reppulit ictus.
Solch ein Stoß hätte sicher mit stattlichen Türmen gekrönte ragende Mauern erschüttert:
der Wurm blieb ohne Verwundung. Denn es umschlossen die Schuppen ihn gleich einem
Panzer: die Härte seiner schwärzlichen Haut widerstand dem gewaltigen Anprall.
at non duritia iaculum quoque vicit eadem,
quod medio lentae spinae curvamine fixum
constitit et totum descendit in ilia ferrum.
Doch vor dem Speer vermochte die Härte ihn nicht zu beschützen: der fuhr mitten hinein
in des Rückgrats geschmeidige Krümmung, und es drang, das Eisen zutiefst ins Geskröse
des Leibes.
ille dolore ferox caput in sua terga retorsit
vulneraque aspexit fixumque hastile momordit
idque, ubi vi multa partem labefecit in omnem,
vix tergo eripuit; ferrum tamen ossibus haesit.
Jetzt bog rasend vor Schmerzen der Drache den Kopf nach dem eignen Rücken: er sah
seine Wunde und biss in den haftenden Speerschaft; und nachdem er mit aller Gewalt
ihn ringsum gelockert, riss er ihn mühsam heraus; doch die Spitze verblieb in den Kno-
chen.
tum vero postquam solitas accessit ad iras
causa recens, plenis tumuerunt guttura venis
spumaque pestiferos circumfluit albida rictus
terraque rasa sonat squamis quique halitus exit
ore niger Stygio vitiatas inficit auras.
Jetzt aber vollends, nachdem zu der sonstigen Wut noch ein neuer Stachel gekommen,
da schwillt ihm von prallem Geäder die Kehle, weißlicher Schaum umfließt den pestver-
breitenden Rachen; über die Erde hin fegen und knattern die Schuppen, der schwarze
Hauch, der dem stygischen Schlund entfährt, verpestet die Lüfte.
ipse modo immensum spiris facientibus orbem
cingitur, interdum longa trabe rectior adstat,
impete nunc vasto ceu concitus imbribus amnis
fertur et obstantes proturbat pectore silvas.
Jetzo ringelt er sich in unermesslichen Kreisen, oder dann ragt er empor einem riesigen
Stamme verglichbar; jetzo stürmt er gewaltig heran wie ein regengeschwollner Strom und
zermalmt mit der Brust die entgegenstehenden Bäume.
cedit Agenorides paulum spolioque leonis
sustinet incursus instantiaque ora retardat
cuspide praetenta; furit ille et inania duro
vulnera dat ferro figitque in acumine dentes.

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Aber ein wenig entweicht des Agenor Sohn, mit dem Löwenfelle dem Andrang wehrend;
mit vorgehaltener Spitze hemmt er das drohende Maul; es rast der Drache, das harte
Eisen vergeblich verwundend: er bohrt in die Spitze die Zähne.
iamque venenifero sanguis manare palato
coeperat et virides aspergine tinxerat herbas;
sed leve vulnus erat, quia se retrahebat ab ictu
laesaque colla dabat retro plagamque sedere
cedendo arcebat nec longius ire sinebat,
donec Agenorides coniectum in guttura ferrum
usque sequens pressit, dum retro quercus eunti
obstitit et fixa est pariter cum robore cervix.
pondere serpentis curvata est arbor et ima
parte flagellari gemuit sua robora caudae.
Und schon hatte der giftige Gaumen zu bluten begonnen: nieder spritzten die Tropfen
und färbten die gründenden Gräser. Aber die Wunde war leicht: er entzog sich beständig
dem Stoße, bog den verwundeten Hals nach hinten und hinderte weichend ihn an dem
sicheren Streich und ließ ihn nicht weiter gelangen. Endlich warf ihm Agenors Sohn in
die Kehle die Waffe, presste sie kräftig verfolgend hinein, bis weichend das Untier an
eine Eiche geriet und sein Hals an den Baumstamm gespießt ward. Vor dem Gewicht des
Drachen verkrümmte der Baum sich und stöhnte, dass ihm das Ende des Schweifes sein
kräftiges Kernholz zerpeitsche.
Dum spatium victor victi considerat hostis,
vox subito audita est (neque erat cognoscere promptum
unde, sed audita est): ’quid, Agenore nate, peremptum
sperpentem spectas? et tu spectabere sperpens.’
Während der Sieger das Maß des besiegten Feindes betrachtet, hört man es plötzlich
erschallen – woher, war nicht zu erkennen, aber es war vernehmlich –: ’Agenors Sohn,
was beschaust du dir den vernichteten Drachen? Auch dich wird man schauen als Dra-
chen!’
ille diu pavidus pariter cum mente colorem
perdiderat, gelidoque comae terrore rigebant;
ecce viri fautrix superas delapsa per auras
Pallas adest motaeque iubet supponere terrae
vipereos dentes, populi incrementa futuri.
paret et, ut presso sulcum patefecit aratro,
spargit humi iussos, mortalia semina, dentes.
Jener erbebte, Besinnung und Farbe entschwanden ihm lange, und es sträubten sich
ihm in eisigem Schauer die Haare. Sieh, da steht, vom Himmel geglitten, des Helden
Patronin, Pallas, vor ihm; sie befiehlt ihm, die Erde zu brechen, des Drachen Zähne
darein zu versenken zum Wachstum künftigen Volkes. Folgsam presst er den Pflug und

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eröffnet die Furche; dann streut er, wie ihm befohlen, die Zähne hinein, die Samen von
Menschen.
inde (fide maius!) glaebae coepere moveri
primaque de sulcis acies apparuit hastae,
tegmina mox capitum picto nutantia cono,
mox umeri pectusque onerataque bracchia telis
exsistunt, crescitque seges clipeata virorum.
Wirklich, die Schollen beginnen – vermag man das Wunder zu glauben? – sich zu be-
wegen: es zeigen zuerst sich die Spitzen von Lanzen aus den Furchen, dann von Kegeln
gekrönte Helme mit bunten Büschen, dann heben sich Schultern hervor und Brüste und
waffenbeschwerte Arme: es wächst eine Saat von beschildeten Männern.
sic, ubi tolluntur festis aulaea theatris,
surgere signa solent primumque ostendere vultus,
cetera paulatim, placidoque educta tenore
tota patent imoque pedes in margine ponunt.
Ebenso pflegen an festlichen Tagen die Bilder zu steigen, wenn im Theater der Vorhang
sich hebt: die Gesichter erscheinen gleich zu Beginn, dann mählich das andre, bis lansam
gehoben ganz die Figuren sich öffnen, die Füße am unteren Rande.
territus hoste novo Cadmus capere arma parabat;
’ne cape’ de populo quem terra creaverat unus
exclamat, ’nec te civilibus insere bellis.’
atque ita terrigenis rigido de fratribus unum
comminus ense ferit; iaculo cadit eminus ipse.
hunc quoque qui leto dederat non longius illo
vivit et exspirat modo quas acceperat auras;
exemploque pari furit omnis turba suoque
Marte cadunt subiti per mutua vulnere fratres.
Jetzt will Cadmus die Waffen ergreifen, geschreckt von dem neuen Feinde; da schreit
von dem Volk, das soeben die Erde geschaffen, einer: ’O lass es, und mische dich nicht
in die Kämpfe der Bürger!’ Damit ermordet er einen der erdentsprossenen Brüder jäh
mit der Schneide des Schwertes und fällt, aus der Ferne von einer Lanze getroffen; doch
der ihn getötet, darf selber nicht länger leben: den eben geschenkten Atem, er muss ihn
verhauchen. Und so wütet das ganze Gewimmel: in eigenem Kampfe fallen plötzlich die
Brüder durch wechselseitige Wunden.
iamque bevis vitae spatium sortita iuventus
sanguineam tepido plangebant pectore matrem
quinque superstitibus, quorum fuit unus Echion.
is sua iecit humo monitu Tritonidis arma
fraternaeque fidem pacis petiitque deditque.
hos operis comites habuit Sidonius hospes

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cum posuit iussus Phoebeis sortibus urbem.
Und jetzt schlägt sie bereits die blutende Brust an die feuchte Muttererde, die Jugend,
der kurzes Leben beschieden. Übrig bleiben nur fünf: davon war einer Echion. Dieser
wirft, von Tritonis gemahnt, seine Waffen zu Boden: sichre Gewähr des Friedens verlangt
er und schenkt er den Brüdern. Dies sind die Helden: die hatte der Fremdling aus Sidon
zu Helfern, als er, vom Spruch des Phoebus geheißen, die Stadt sich erbaute.
Iam stabant Thebae, poteras iam, Cadme, videri
exilio felix. soceri tibi Marsque Venusque
contigerant; huc adde genus de coniuge tanta,
tot natas natosque et pignora cara nepotes,
hos quoque iam iuvenes. sed scilicet ultima semper
exspectanda dies hominis, dicique beatus
ante obitum nemo supremaque funera debet.
Schon stand Theben; jetzt konnte man, Cadmus, für glücklich dich halten in der Ver-
bannung: es schenkten dir Mars und Venus als Schwiegereltern die hohe Gemahlin, und
blühende Kinder erwuchsen, so viel Töchter und Söhne und Enkel, die teuersten Pfän-
der, jetzt schon Jünglinge. Aber man muss doch immer den letzten Tag im Leben des
Menschen betrachten, und niemand darf glücklich heißen, bevor er gestorben und seine
Bestattung gefunden.
prima nepos inter tot res tibi, Cadme, secundas
causa fuit luctus alienaque cornua fronti
addita vosque, canes, satiatae sanguine erili.
at bene si quaeras, Fortunae crimen in illo,
non scelus iuvenies; quod enim scelus error habebat?
Mitten im herrlichsten Glück macht dir, o Cadmus, den ersten Kummer ein Enkel: es
wuchsen ihm widernatürliche Hörner, und, ihr Hunde, ihr sättigtet euch am Blute des
Herren. Freilich, wer recht es betrachtet, wird finden, Fortuna war schuldig. Nicht ein
Fevel, wie könnte man Irrtum Frevel benennen?
Mons erat infectus variarum caede ferarum
iamque dies medius rerum contraxerat umbras
et sol ex aequo meta distabat utraque,
cum iuvenis placido per devia lustra vagantes
participes operum compellat Hyantius ore:
Siehe, ein Berg, befleckt vom Blute verschiedenen Wildes; schon ist’s Mittag: verkürzt
erscheinen die Schatten der Dinge, gleich ist die Sonne entfernt vom Ziele des Ostens und
Westens, da spricht sanft der hyantische Jüngling zu seinen Gefährten, welche mit ihm
die entlegenen Lager der Tiere durchstreiften:
’lina madent, comites, ferrumque cruore ferarum,
fortunamque dies habuit satis. altera lucem
cum croceis invecta rotis Aurora reducet,

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propositum repetemus opus; nunc Phoebus utraque
distat idem meta finditque vaporibus arva.
sistite opus praesens nodosaque tollite lina.’
iussa viri faciunt intermittuntque laborem.
’Netze und Waffen sind feucht vom Blute des Wildes, Genossen: Jagdglück schenkte der
Tag uns genug! Wenn morgen Aurora wieder das Licht uns bringt auf safranfarbenem
Wagen, fahren wir fort in dem Werk; doch jetzt steht Phoebus in gleicher Weite ent-
fernt von den Enden: es lastet die Glut auf den Fluren. Hemmet die Jagd und löst die
festgeknoteten Netze!’ Folgsam diesem Befehl unterbrechen die Männer die Arbeit.
Vallis erat piceis et acuta densa cupressu,
nomine Gargaphie, succinctae sacra Dianae,
cuius in extremo est antrum nemorale recessu
arte laboratum nulla; simulaverat artem
ingenio natura suo, nam pumice vivo
et levibus tofis natiuum duxerat arcum.
Ds ist ein Tal, überwachsen von Kiefern und schlanken Cypressen, namens Gargaphie,
heilig der aufgeschürzten Diana; hier lag eine umschattete Höhle im hintersten Winkel,
keinerlei Schöpfung der Kunst; die Natur, in eigener Erfindung, hatte ein Kunstwerk
geformt: aus lebendigem Bimsstein und leichtem Tuff einen Bogen gezogen, der hier an
der Stelle gewachsen.
fons sonat a dextra tenui perlucidus unda,
margine gramineo patulos incinctus hiatus;
hic dea silvarum venatu fessa solebat
virgineos artus liquido perfundere rore.
Lieblich rauschte zur Rechten ein Quell; es floss in ein weites Becken, von grasigem Rand
umgürtet, das leuchtende Wasser. Hier war die Göttin der Wälder, die Jungfrau, gewohnt,
wenn sie müde war von der Jagd, die Glieder mit fließendem Nass zu begießen.
quo postquam subiit, nympharum tradidit uni
armigerae iaculum pharetramque arcusque retentos;
altera depositae subiecit bracchia pallae;
vincla duae pedibus demunt; nam doctior illis
Ismenis Crocale sparsos per colla capillos
colligit in nondum, quamvis erat ipsa solutis.
excipiunt laticem Nepheleque Hyaleque Rhanisque
et Psecas et Phiale funduntque capacibus urnis.
Als sie dort untergetreten, da reicht sie einer der Nymphen, ihrer Knappin, den Speer,
den entspannten Bogen, den Köcher. Eine breitet dem ausgezogenen Gewande die Arme
unter, zwei lösen die Schuhe, und Crocale, Kind des Ismenos, rafft ihr – sie kann es am
besten – zum Knoten die Haare, die vorher über den Nacken ihr wallten, obgleich sie die
eignen gelöst trägt. Nephele, Rhanis, und Psecas und Hyale schöpfen ihr Wasser, Phiale

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auch, und gießen es aus den geräumigen Krügen.
Dumque ibi perluitur solita Titania lympha,
ecce nepos Cadmi dilata parte laborum
per nemus ignotum non certis passibus errans
pervenit in lucum; sic illum fata ferebant.
Während daselbst, wie gewohnt, die Titanin mit Wasser sich netzte, siehe, da kam in
den Hain der Enkel des Cadmus – verschoben hat die weitere Jagd auf morgen – und
schweifte nun planlos durch das Gehölz, das ihm fremd war: so führte das Schicksal den
Jüngling.
qui simul intravit rorantia fontibus antra,
sicut erant nudae viso sua pectora nymphae
percussere viro subitisque ululatibus omne
implevere nemus curcumfusaeque Dianam
corporibus texere suis; tamen altior illis
ipsa dea est colloque tenus supereminet omnes.
Als er die von den Wassern triefende Grotte betreten, Schlugen die Nymphen, entblößt,
wie sie waren, beim Anlbick des Mannes sich an die Brust, und die Weite des Waldes
erfüllte sich plötzlich mit ihrem lauten Geschrei und, dicht um Diana sich drängend,
deckten sie sie mit den Leibern; die Göttin jedoch überragte, Höher gewachsen als alle,
um Haupteslänge die Nymphen.
qui color infectis adversi solis ab ictu
nubibus esse solet aut purpureae Aurorae,
is fuit in vultu visae sine veste Dianae.
Gleich dem Gewölk, das direkt von den Strahlen der Sonne getroffen rötlich erglänzt, oder
gleich der Purpurfarbe Auroras, also erglühte das Antlitz Dianens, wie ihne Gewandung
man sie eblickte.
quae quamquam comitum turba est stipata suarum,
in latus obliquum tamen adstitit oraque retro
flexit et, ut vellet promptas habuisse sagittas,
quas habuit sic hausit aquas vultumque virilem
perfudit spargensque comas ultricibus undis
addidit haec cladis praenuntia verba futurae:
Obwohl von der Schar der Mädchen umschlossen, wandte sie schräg sich zur Seite, den
Kopf nur bog sie nach hinten; dringend wünschte sie jetzt, zur Hand die Pfeile zu haben,
aber sie nahm, was sie hatte: sie schöpfte vom Wasser und goss es über des Mannes
Gesicht und sagte, mit rächenden Spritzern ihm die Haare besprengend, die Unheil ver-
kündenen Worte:
’nunc tibi me posito visam velamine narres,
si poteris narrare, licet.’ nec plura minata

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dat sparso capiti vivacis cornua cervi,
dat spatium collo summasque cacuminat aures
cum pedibusque manus, cum longis bracchia mutat
cruribus et velat maculoso vellere corpus;
additus et pavor est. fugit Autonoeius heros
et se tam celerem cursu miratur in ipso.
’So, nun erzähle, du habest mich ohne Umhüllung gesehen, wenn du es noch zu erzählen
vermagst!’ Ohne weiter zu drohen, lässt sie ihm gleich am beträufelten Haupt das Geweih
eines lebenskräftigen Hirsches erwachsen; sie zieht ihm den Hals in die Länge, spitzt ihm
die Ohren, vertauscht ihm mit Füßen die Hände, mit langen Schenkeln die Arme und zieht
um den Leib ihm ein fleckiges Hirschfell. Angst gesellt sie dazu: der Held, der Autonoe
Sprößling, flieht und wundert sich, während er läuft, ob der eigenen Schnelle.
ut spero vultus et cornua vidit in unda,
’me miserum!’ dicturus erat; vox nulla secuta est.
ingemuit; vox illa fuit, lacrimaeque per ora
non sua fluxerunt; mens tantum pristina mansit.
quid faciat? repetatne domum et regalia tecta,
an lateat silvis? pudor hoc, timor impedit illud.
Doch wie er gar noch Gesicht und Geweih im Wasser erblickte, wollte er schreien: ’Ich
Armer!’ – da hat er die Sprache verloren! Und er stöhnte – so klang seine jetzige Stimme;
das fremde Antlitz benetztem ihm Tränen: es blieb nur das alte Bewusstsein. Was nun
beginnen? Soll heimwärts er eilen zum Königspalaste oder sich bergen im Wald? Hier
hemmt ihn die Angst, dort die Schande.
Dum dubitat, videre canes primique Melampus
Ichnobatesque sagax latratu signa dedere, Cnosius Ichnobates, Spartana gente Melam-
pus.
Während er schwankt, ersehn ihn die Hunde: Melampus als erster, wie auch der treffliche
Spürer Ichnobates gaben mit Bellen deutliche Zeichen, aus Gnosos der eine, Melampus
aus Sparta.
inde ruunt alii rapida velocius aura,
Pahmphagos et Dorceus et Oribasos, Arcades omnes,
Nebrophonosque valens et trux cum Laelape Theron
et pedibus Pterelas et naribus utilis Agre
Hylaeusque fero nuper percussus ab apro
deque lupo concepta Nape pecudesque secuta
Poemenis et natis comitata Harpyia duobus
et substricta gerens Sicyonius ilia Ladon
et Dromas et Canache Stricteque et Tigris et Alce
et niveis Leucon et villis Asbolos atris
praevalidusque Lacon et cursu fortis Aello
et Thoos et Cyprio velox cum fratre Lycisce

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et nigram medio frontem distinctus ab albo
Harpalos et Melaneus hirsutaque corpore Lachne
et patre Dictaeo, sed matre Laconide nati
Labros et Argiodus et acutae vocis Hylactor
quosque referre mora est; ea turba cupidine praedae
per rupes scopulosque adituque carentia saxa
quaque est difficilis quaque est via nulla sequuntur.
Und dann rasen die andern geschwinder als reißender Sturmwind, Pamphagos, Dorceus,
Oribasos, lauter arcadische Tiere, auch der starke Nebrophonos, der grimme Theron mit
Laelaps, Pterelas, hurtig im Lauf, und Agre mit trefflicher Nase, ferner der wilde Hylaeus,
den kürzlich ein Eber verletzte, Nape dazu, einem Wolf entstammend, und Poemenis,
früher Herdenbeschützerin, von zwei Söhnen begleitet Harpyia, Ladon mit schmächtigen
Weichen, ein Tier sicyonischer Rasse, Dromas und Canache, Sticte dazu und Tigris und
Alce, Leucon mit schneeigem Fell und Asbolos, schwarz im Gezottel, Lacon, ein mächtiges
Tier, Aello, geschwinde im Laufen, Thoos dazu und Lycisce, die schnellen, mit Cyprius,
ihrem Bruder; mit weißlichem Fleck auf schwarzer Stirne gezeichnet Harpalos; Melaneus
ferner und Lachne mit zottigem Leibe, Labros, Argiodus, Brüder – es stammte ihr Vater
vom Berge Dicte, aus Sparta die Mutter –, mit schneidender Stimme Hylactor. Alle zu
nennen, es führte zu weit. So verfolgt ihn die beutegierige Schar über Felsen und Klippen
und weglose Steine, über beschwerliche Pfade und auch, wo es keinerlei Pfad gibt.
ille fugit per quae fuerat loca saepe secutus,
(heu!)famulos fugit ipse suos. clamare libebat,
’Actaeon ego sum, dominum cognoscite vestrum!’
verba animo desunt; resonat latratibus aether.
Jener flieht, wo er oft verfolgender Jäger gewesen; Ach! er entflieht vor den eigenen
Helfern! Er wollte gar gerne rufen: ’Ich bin doch Actaeon! Erkennet den eigenen Herren!’
Worte, sie fehlen dem Denken; vom Bellen erdröhnen die Lüfte.
prima Melanchaetes in tergo vulnera fecit,
proxima Therodamas, Oresitrophos haesit in armo
(tardius exierant, sed per compendia montis
anticipata via est); dominum retinentibus illis
cetera turba coit confertque in corpore dentes.
Jetzt wird er erstmals verletzt: Melanchaetes erfasst ihn im Rücken, dann Therodamas,
und Oresitrophos hängt ihm am Buge. Spät erst hatten die Jagd sie begonnen, auf
kürzerem Bergpfad kamen die aber den andern zuvor: sie halten den Herren fest – und
die Meute ist da und schlägt in den Leib ihm die Zähne.
iam loca vulneribus desunt; gemit ille sonumque,
etsi non hominis, quem non tamen edere possit
cervus, habet maestisque replet iuga nota querelis
et genibus pronis supplex similisque roganti
circumfert tacitos tamquam sua bracchia vultus.

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Schon ist er über und über bedeckt mit Wunden, und stöhnend lässt er Töne vernehmen,
nicht menschliche freilich, doch auch nicht so wie ein Hirsch: er erfüllt mit traurigen
Klagen die Höhen, die so vertrauten; er sinkt in die Knie: als wollte er flehen, hebt er an
Stelle der Arme die stummen Blicke im Kreise.
at comites rapidum solitis hortatibus agmen
ignari instigant oculisque Actaeona quaerunt
et velut absentem certatim Actaeona clamant
(ad nomen caput ille refert) et abesse queruntur
nec capere oblatae segnem spectacula praedae.
vellet abesse quidem, sed adest, velletque videre,
non etiam sentire canum fera facta suorum.
Doch die Gefährten – sie ahnen ja nichts: sie hetzen die wilde Meute mit üblichem Ruf,
sie schauen sich um nach Actaeon, schreien wetteifernd, als wäre er fern, ’Actaeon’: er
wendet, wie er es hört, das Haupt ihnen zu. Sie bedauern sein Fernsein, und dass er lässig
versäume zu sehn, wie ihm Beute geworden. Ach! er ist da – o wäre er ferne! Der eigenen
Hunde grimmiges Treiben – er sähe es lieber, als selbst es zu spüren.
undique circumstant mersisque in corpore rostris
dilacerant falsi dominum sub imagine cervi,
nec nisi finita per plurima vulnera vita
ira pharetratae fertur satiata Dianae.
Überall ist er umstellt: es wühlen im Leib ihm die Schnauzen, und sie zerreißen den Herrn
in der falschen Gestalt eines Hirsches.

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