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Essay

Letzter Weg Slum? Eine Analyse über die Gründe und Prozesse der Entstehung
der so genannten Barrios und Favelas (Elendsviertel) der Megacities in
Lateinamerika

Abgabe: 30.09.2011
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Letzter Weg Slum? Eine Analyse der Gründe und Prozesse der Entstehung der so genannten
Barrios und Favelas (Elendsviertel) der Megacities in Lateinamerika

Wenn von Megacities in Lateinamerika die Rede ist, denken wir zuerst an die weit verbreitete Gefahr und
Kriminalität auf den Straßen, außerdem denkt man an die große Polarität zwischen ihren Einwohnern. Es
sind moderne Städte, die sowohl von der europäischen als auch der amerikanischen Kultur beeinflusst
sind.

Man kann z.B. in Lima, der Hauptstadt Perus, eine moderne U-Bahn (Metro) finden, was in anderen
kleinen Städten unmöglich ist. Man sieht auch größere Gebäude, internationale Hotels etc. In den
Hauptstraßen gehen u.a. reiche, teuer gekleidete Menschen spazieren, aber man sieht auch ganz arme
Kinder, die Schuhe putzen wollen, um etwas Geld zu verdienen, statt zur Schule zu gehen. Wo leben
diese armen Leute? Woher kommen Sie? Warum sind diese Menschen in die Megacities umgezogen? Im
folgenden Essay werde ich mich mit dieser Gruppe von Menschen auseinandersetzen, mit den Gründen
für ihre Auswanderung vom Land in die Stadt und damit, wie sie sich ohne Geld ein Obdach in der
großen Stadt geschaffen haben.

Bis 1970 waren viele Theoretiker der Meinung, dass die Großstädte in Lateinamerika die Länder aus ihrer
Rückständigkeit herausholen könnten. Diese Überzeugung entstand jedoch aufgrund des hohen
Bruttosozialproduktes pro Kopf im Landesdurchschnitt. So konnte das Wachstum der Städte als positiv
verstanden werden.

Laut Schütz gab es in den 1950er Jahren in den lateinamerikanischen Städten sicherlich eine enge
Verbindung zwischen dem Anwachsen der Städte und ihrem wirtschaftlichen Wachstum. Dies könne man
aber nicht als realistischen Grad der Entwicklung ansehen, da das Bruttosozialprodukt nur eine
statistische Zahl ist und nichts über die Verteilung des Einkommens aussagt. Außerdem wird dieser
erwirtschaftete Mehrwert auf ausländische Konten transferiert, statt im Land investiert zu werden, und ist
somit eher ein Hindernis für das Wirtschaftswachstum. (Schütz 1987:48)

Oft wird das Problem des Städtewachstums mit der Industrialisierung Mitte des 19. Jahrhunderts in
Zusammenhang gebracht. Aber es gibt große Unterschiede nicht nur in Bezug auf seine Dynamik,
sondern auch auf seine Auswirkungen (Schütz 1987:49)

Laut Schütz gibt es historische, kulturelle, demographische, politische und ökonomische Gründe für das
starke Städtewachstum in Lateinamerika, die auch miteinander verflochten sind. Er sagt, dass man die
kulturellen Ursachen nicht nur mit der Geschichte begründen kann. Die Menschen könnten auch in den
entlegensten Dörfern dank Radio und Fernsehen das Leben der modernen Gesellschaft beobachten, so
wie es zum Beispiel in europäischen und amerikanischen Filmen gezeigt wird, also das Leben in der
großen und modernen Stadt mit allem, was man erreichen kann, wenn man dort lebt. Dies weckt den
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Wunsch, in die Stadt zu ziehen und aus der Situation, in der sie leben, herauszukommen. Diese
suggerierte Attraktivität zieht die unternehmensfreudigen, aktivsten Bewohner der stagnierenden
ländlichen Zonen in ihren Bann, zieht sie vom Land in die Städte." (Schütz 1987:50)

Eine weitere Ursache für das Wanderung in die Stadt ist der Rückgang der Arbeitsplätze auf dem Land.
Der größte Teil der Ländereien ist im Besitz von einigen wenigen Familien oder internationalen
Firmenkonsortien. So bleibt den Bauern nur wenig bebaubares Land. Hinzu kommt, dass aufgrund des
Exports von Rohstoffen wie Holz, das bebaubare Land zerstört oder geschädigt wird, so dass es immer
schwieriger wird, Arbeit auf dem Land zu finden, und als Konsequenz sind immer mehr Bauern
gezwungen, in die Stadt zu ziehen, auf der Suche nach Arbeit, um ihre Familien zu ernähren. „Die
verstärke Mechanisierung der Landwirtschaft auf dem Großgrundbesitz setzt in steigenden Maße
Arbeitskraft frei“ (Schütz 1987:51)

Das Wachstum der Agrarindustrie in Lateinamerika aufgrund der hohen Exporte landwirtschaftlicher
Produkte wie Kaffee, Baumwolle, Fleisch, Bananen, Tierfutter etc., ist eine weitere Ursache für das
Anwachsen der Städte, weil die Fabriken, in denen die Produkte weiterverarbeitet werden, sich in den
Städten befinden. "Die industrielle Produktion Lateinamerikas ist in den Städten konzentriert.
Beispielsweise befinden sich in Santiago de Chile oder Lima mehr als die Hälfte aller Industriebetriebe
der betreffenden Länder." (Schütz 1987:52).

Eine paradoxe Situation: Einerseits versuchen diese Länder, sich durch den Export zu verbessern,
andererseits aber vernachlässigen sie die Produktion für die eigene Bevölkerung und erzeugen dadurch
einen Teufelskreis. Sie produzieren für den Export und verursachen dadurch Arbeitslosigkeit auf dem
Lande, wodurch die Bauern in die Städte ziehen. Der Mangel an Land und Bauern, die für den nationalen
Verbrauch arbeiten, erzeugt einen Mangel an Nahrungsmitteln, die teuer im Ausland gekauft werden
müssen, was wiederum einen Anstieg der Exporte nötig macht.

Nicht nur die Wirtschaft in Lateinamerika ist schuld an dem Anwachsen der Städte, sondern auch die
Zentralisierung der Verwaltungsorgane. "In der Hauptstadt befinden sich alle wichtigen Verwaltungs-,
Planungs- und Entscheidungsinstanzen. Selbst geringfügige Entscheidungen müssen in der Regel vor die
höchste Instanz gebracht werden." (Schütz 1987:54). Einwohner aus den entferntesten Landesteilen
müssen in die Städte fahren, um Formalitäten zu erledigen, wo über ihre Anliegen entschieden wird, ohne
dass die Beamten die Lebensumstände der Leute kennen. In diesen Ländern laufen alle Straßen in der
großen Stadt, der "Metropole" zusammen. Dabei haben die Transportmittel wie Eisenbahn oder
Flugzeuge ebenso wie die Straßen selten eine gute Qualität. Dadurch fehlt auch der Austausch zwischen
den Dörfern und Kleinstädten untereinander. "Eine Tradition der lokalen Selbstverwaltung gibt es nur in
sehr eingeschränktem Maße. Auch dies ist ein Aspekt, der die Konzentration der Bevölkerung auf die
dominierende Stadt begünstigt" (Schütz 1987:54f)

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Laut Schütz hat das Wachstum der Städte seine Ursache in der unausgeglichenen Entwicklung der
betreffenden Länder. "Diese ungleichgewichtige Raumentwicklung ist weder zufällig noch naturgegeben,
sondern resultiert aus spezifischen Interessen und einer Kombination von Einflüssen" (Schütz 1987:57)

Die Landflucht bringt viele Probleme in den Städten mit sich. Wenn die Menschen in die Stadt ziehen,
müssen sie als erstes das Problem lösen, sich in kürzester Zeit und mit sehr wenig Geld ein Dach über
dem Kopf zu schaffen. Auf diese Weise entstehen die so genannten Elendsviertel, auch
Spontansiedlungen, Favelas oder Barrios genannt, die nur von armen Menschen bewohnt werden.

Stapelfeldt beschreibt am Beispiel Limas in Peru die Entstehung der ersten Slums. Die ersten habe es im
Jahr 1924 gegeben, als Pächter der Hacienda Villa ihre Unterkünfte aus Protest gegen die schlechten
Wohnbedingungen verließen, und auf brachliegendem Land, das der Stadt gehörte, prekäre Hütten
errichteten (Stapelfeldt 1990:96f). Dies war der Beginn dieser Form von Migration des Volkes vom Land
in die Stadt. Aus den verschiedenen Gründen, die wir genannt haben, steigt diese Migration immer weiter
und in der gleichen Weise. Die Menschen besetzen verlassenen Boden in der Nähe der Stadt, die Hütten
sind weiterhin prekär und werden nur allmählich modernisiert, und die Siedlungen haben keinerlei
elementare Einrichtungen wie die Versorgung mit Wasser, Strom und die Entsorgung von Müll und
Abwasser.

Laut Schütz hat die Armut in diesen Gebieten vor allem mit dem Wohnort zu tun: Für die Eltern ist es
schwer, Arbeit zu finden, da diese Siedlungen auf den Stadtplänen offiziell nicht existieren und sie bei
einer Bewerbung keine Adresse angeben können. Wegen der Arbeitslosigkeit haben sie kein Geld, ihre
Kinder zur Schule zu schicken, denn Schulen gib es in den Slums nicht, und der Weg in die Stadt ist zu
weit und Fahrkarten können sie sich nicht leisten. Die Kinder müssen schon früh mithelfen, Geld zu
verdienen, zum Beispiel indem sie auf den Straßen Autos waschen oder Schuhe putzen. (Schütz
1987:90f)

Fazit

Die Abwanderung in die Städte wird nicht nur durch die Industrialisierung verursacht, sondern auch
durch den Anstieg der Exporte aufgrund der zunehmenden Globalisierung, was wiederum eine
Modernisierung mit sich bringt, auch eine Modernisierung in der Art der Feldbearbeitung, mit
Maschinen, weshalb die Arbeitslosigkeit auf dem Lande weiter ansteigt. Die Leute ziehen in die Städte
auf der Suche nach Arbeit und den Vorzügen der Modernisierung, wie sie durch die Kommunikations-
medien vermittelt wird. Die Menschen möchten im Leben weiterkommen. Leider bleibt dies ein Traum,
denn ihre Lebensbedingungen verschlechtern sich eher, sodass sie am Ende im Elend und am Rande der
Gesellschaft leben. So kommt es, dass man in den Städten Kindern begegnet, die arbeiten müssen, um
zum Lebensunterhalt der Familie beizutragen. Prostitution und hohe Kriminalitätsraten sind ebenfalls

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klare Anzeichen für die Armut in den Metropolen Lateinamerikas, die mit der Existenz der Elendsviertel
eng verbunden ist. Die Slums sind sicherlich nicht der beste Weg für die Menschen vom Land, um ihr
Leben zu verbessern. Aber für viele ist die Migration in die Stadt der letzte Weg, um Arbeit zu finden.
Wenn die Regierungen diesen Teufelskreis aufbrechen wollten, müssten sie mehr Geld in die
Landwirtschaft investieren und dafür sorgen, dass genug Land für den Anbau von Produkten für die
eigene Bevölkerung zur Verfügung steht. Dies würde die Menschen auf dem Lande halten und
gleichzeitig die Lebensmittelimporte und somit die Lebensmittelpreise senken. Das aber würde ein
Umdenken der Regierenden erfordern: vom Gewinnstreben und Prestigedenken (Modernisierung der
Städte) zu einer klugen Wirtschaftspolitik, von der alle Bevölkerungsschichten profitieren könnten.

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Literaturverzeichnis

- Schütz, Eike Jakob „Städte in Lateinamerika. Barrio-Entwicklung und Wohnbau“ von Misereor
Verlag, Aachen, 1987

- Gerhard Stapelfeldt „Verelendung und Urbanisierung in der Dritten Welt: Der Fall Lima Peru“
Verlag f. Entwicklungspolitik Saarbrücken (1990)

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