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ES L EB E D I E D I K TATU R
Wer sich nicht selbst befiehlt,
bleibt immer Knecht.
JOHANN WOLFGANG VON GOETHE
(1749 –1832 )
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Und am Ende des Tages sagt uns ein Starkoch, was wir auf den
Tisch bringen sollen.
In Büchern und Zeitungen kein anderes Bild: Ratgeber aller
Art führen die Bestsellerlisten an. Und jeden Morgen stürzen
sich die Leser auf Kommentare und Leitartikel von BILD bis
FAZ , in denen die tagespolitische Meinung portionsgerecht vor-
gedacht ist.
Aber Entwarnung: Es soll in diesem Buch nicht um Poli-
tik oder Kindererziehung gehen. Sehr wohl jedoch darum, dass
wieder eine Sehnsucht nach Autorität zu spüren ist. Und da ma-
chen die Männer, die derzeit in den deutschsprachigen Ländern
einer leichten Übermacht von Frauen gegenüberstehen, keine
Ausnahme. Sie wollen gesagt bekommen, wo es langgeht. Und
wenn jemand überzeugend und selbstsicher die Führung in die
Hand nimmt, folgen sie ihm oder ihr bereitwillig.
Das kann politisch gelegentlich äußerst bedenklich sein. Privat
sollten Frauen diese Bereitschaft jedoch zu ihren Gunsten nut-
zen. Denn heute folgen Männer nicht mehr nur männlichen
Alphatieren. Nein, die Fixierung auf männliche Führungskräfte
fiel spätestens, als sich Margaret Thatcher 1984 erfolgreich mit
den als unbezwingbar geltenden englischen Bergarbeiter-Ma-
chos anlegte. Und seit 2005 bringt Angela Merkel den Män-
nern im Kabinett das Kuschen bei.
Wir sehen also, dass Männer sich bereitwillig unterord-
nen, wenn eine Frau Entschlossenheit zeigt, die Führung
zu übernehmen, wenn sie die Macht einfach an sich reißt.
Das funktioniert im Beruf. Es ist aber auch im Liebesleben der
magische Schlüssel, um Wünsche und Sehnsüchte Wirklichkeit
werden zu lassen.
Auf dem Weg zur Machtübernahme sind jedoch bereits in
den Anfängen einer Beziehung einige Mechanismen zu beach-
ten und manche Hürden zu überwinden. So neigen Frauen zu
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einer Reihe von Eigenschaften, durch die sie ihre Autorität un-
nötig schwächen oder erst gar nicht aufscheinen lassen.
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Ich höre jetzt schon die Aufschreie: Warum soll ich mich
verstellen? Warum muss ich auch noch in der Liebe Spielchen
spielen? Wenn das nötig ist, verzichte ich lieber ganz darauf.
Diese Einwände sind nachvollziehbar, und ab einem gewissen
Stadium der Liebe und Partnerschaft ist eine möglichst große
Offenheit und Ehrlichkeit für beide Seiten Bedingung. Aber
die erste Phase der Annäherung hat für Männer einen spie-
lerischen und sportlichen Charakter. Sie wollen den Kitzel
der Unsicherheit spüren. Erst das mobilisiert bei ihnen alle
Kräfte.
Zum Ausdruck kommt das auch in den Spielarten der Kunst.
Das Unerreichbare ist besonders sexy und faszinierend – in der
Literatur, in der Oper – und am offensichtlichsten im Ballett.
Stellen Sie sich vor: Die Primaballerina und ihr männlicher So-
lopartner treten auf die Bühne. Die beiden sehen sich, springen
aufeinander zu, umarmen sich, lieben sich. Zack, aus, vorbei! Das
ganze Ballett würde höchstenfalls zwei Minuten dauern. Nicht
einmal wir Männer wollen es so einfach haben!
Zu flirten und sich zu verlieben ist sehr gut mit einem vor
Erotik sprühenden Ballettstück vergleichbar. Es ist im Idealfall
ein perfekter Pas de deux. Der Tänzer umgarnt die Primaballe-
rina. Sie tanzt kurz mit ihm, folgt seinem Rhythmus, entfernt
sich dann wieder, lässt ihn schmoren. Er verfolgt sie, umkreist
sie erneut, setzt sich in Szene, zeigt sich von seiner besten Seite –
sie zeigt wieder Interesse. Und so weiter. Bis sie sich ihm, wenn
er nahezu am Ende seiner Kräfte und der Show ist, doch noch
hingibt.Vorerst zumindest.
Zugegeben: Nicht in jedem Mann steckt ein begnadeter
Tänzer. Manche tun sich schon schwer damit, einen simplen
Foxtrott halbwegs elegant aufs Parkett zu legen. Aber die Prin-
zipien der Verführung haben auch völlig amusische Männer ver-
innerlicht – oft, ohne dass sie sich das selbst bewusst machen.
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Wir können davon ausgehen: Wenn Männer etwas ohne
Widerstand und allzu leicht bekommen können, sinkt des-
sen Wert. In jedem Mann stecken bekanntlich immer noch
Rudimente des steinzeitlichen Jägers und Sammlers. Und eine
scheue und schlaue Gämse, für deren Showdown der Jäger
klettern und schwitzen muss, ist interessanter als ein gutmüti-
ger Feldhase. Oder anders ausgedrückt: Die üppig vorhandenen
Heidelbeeren zu pflücken ist lange nicht so aufregend, wie einen
seltenen Steinpilz aufzuspüren.
Doch zurück in die Zivilisation: Wenn Männer die Spiel-
regeln gänzlich diktieren können, haben sie das schnell satt.
Umgekehrt fühlen sie sich seit Urzeiten zum Archetyp der Femme
fatale hingezogen. In einem prickelnden Mix aus Verehrung und
Furcht sind sie von Frauen hingerissen, die unberechenbar er-
scheinen. Sie verfallen zickigen Diven, die ihnen Widerstand ent-
gegensetzen und Druck auf sie ausüben. Schließlich erhöht es
den Genuss, wenn Liebe und Begehren etwas schmerzen.
Nicht zufällig gehören gerade erfolgreiche und mächtige
Männer zu den Kunden von Dominas, wie gelegentliche Ent-
hüllungen beweisen. Sich mehr oder weniger freiwillig der
Diktatur einer Frau hinzugeben wird Männern nicht als Schwä-
che ausgelegt. Im Gegenteil: Sie beneiden sich gegenseitig um
Frauen, die als besonders schwierig, radikal und explosiv gelten.
Aber einen kleinen Moment noch, bevor Sie sich jetzt im
Pferdesportshop nach einer besonders harten Reitpeitsche er-
kundigen: Die physische Dominanz der Frau mag für viele Män-
ner sexuell stimulierend sein. Um Männer aber auf Dauer an
sich zu binden, ist generelle Autorität viel wirksamer. Eine ge-
wachsene und nicht nur gespielte Autorität, die auf einem ge-
sunden Selbstwertgefühl basiert.
Ich nenne sie hier in Anlehnung an eine aufschlussreiche
Geschichte, die mir unlängst eine Kollegin erzählt hat, die »Au-
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torität der älteren Schwester«. Die Hauptperson der Geschichte?
Sie selbst:
Ich war zweiunddreißig Jahre alt, als ich mir eingestehen musste,
dass in meinen Beziehungen grundsätzlich etwas falsch läuft.Was
mir besonders Angst macht: Sie scheitern immer auf ähnliche
Weise. Wie im Film Und täglich grüßt das Murmeltier folgen sie
einem erkennbaren Schema: Ich verliebe mich unsterblich, bin
mit dem Mann kurze Zeit sehr intensiv zusammen, tue wirklich
alles für ihn. Aber irgendwann verflacht sein Interesse. Und auch
ich wache auf und merke, dass ich mir etwas vorgemacht habe,
dass es wieder mal kein Volltreffer ist.
Zum Beispiel Mario, mein letzter Kandidat. Wir lernten
uns im Job kennen. Und Mario gab von Anfang an Vollgas. Er
gestaltete jedes Wochenende nach seinen Plänen. Wir machten
Kurztrips nach Barcelona, Kopenhagen und London. Oder er
führte mich auf einsamen Wegen auf Berggipfel. Wenn schlech-
tes Wetter war, buchte er schon für den frühen Morgen einen
Court in der Tennishalle. Und später überredete er mich dann
noch zum Joggen im strömenden Regen. Wir machten lange
Fahrradtouren, verbrachten ganze Tage auf dem Ruderboot,
speisten in Dutzenden von angesagten Restaurants, die ich
noch nicht kannte. Und an jedem dritten Wochenende waren
wir zur Hochzeit irgendeines Freundes von ihm eingeladen.
Sie werden jetzt denken: Was hat sie nur? Das klingt doch
traumhaft. War es auch. Ich lebte mit Mario extrem intensiv.
Aber es war wie eine Autobahnfahrt ausschließlich auf der Über-
holspur. Ständig Vollgas. Mario ist ruhelos. Er kann nicht länger
als dreißig Minuten still sitzen. Selbst im Restaurant ging er
nach kurzer Zeit raus, um zu telefonieren oder irgendwelche
Businessangelegenheiten in den USA oder Asien zu klären.
Dass Mario ein Sport-Maniac ist, habe ich schon angedeutet.
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BASTEI LÜBBE TASCHENBUCH
Band 66429
Originalausgabe