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Eine eigene

Familie gründen
> Wie Jugendliche
über Familien­
planung denken
Eine eigene Familie zu gründen,
ist für viele Jugendliche in
Deutschland nicht das
Wichtigste im Leben. Das
zeigen Ergebnisse der Shell-
Jugendstudie 2015. Auch die
niedrige Geburtenrate in
Deutschland macht deutlich,
dass junge Deutsche entweder
keine oder erst ab dem 30.
Lebensjahr eine Familie gründen.
Warum sind deutsche
Jugendliche mit der Familien­
gründung so zögerlich?

** C
edrik Pelka ist sich sicher: Er
möchte keine Kinder haben. Für
den Journalistik-Studenten aus der
westdeutschen Stadt Essen stehen Stu­
Niedrige Geburtenrate in
Deutschland
Kinder werden als Einschränkung
wahrgenommen
* dium und Beruf an erster Stelle. „Kin­
der stehen meiner Karriere und meiner
Cedriks Meinung ist kein Einzelfall. Die
Ergebnisse der Shell-Jugendstudie zei­
Ein Grund, keine Kinder zu bekommen,
liegt laut Sozialwissenschaftlern darin,
Freizeit im Weg“, sagt der 19-Jährige. gen, dass viele Jugendliche keine eige­ dass viele Jugendliche vor der Verant­
Und das ist für Cedrik nicht der einzige ne Familie gründen möchten. Nur 41 wortung und der Herausforderung, ein
Grund. „Kinder sind persönlich nichts Prozent der jungen Leute denken, dass eigenes Kind großzuziehen, zurück­
für mich“, behauptet er und erzählt, wie man eigene Kinder für das persönliche schrecken. Ein Paar, das ein Kind be­
er in einem Jugendhaus einmal auf Kin­ Lebensglück braucht. Dieser Trend äu­ kommt, muss sein bisheriges Leben
der aufgepasst hat. „Das habe ich gern ßert sich schon lange in der niedrigen stark umstrukturieren. Eine neue ökono­
gemacht, aber ich möchte nicht 24 Geburtenrate in Deutschland. Laut mische Situation entsteht: Das Einkom­
Stunden lang auf ein Kind aufpassen dem Statistischen Bundesamt lagen men der Familie kann sich verringern,
müssen. Das würde mich nerven.“ die Geburten pro Frau in den letzten weil die Mutter häufig eine Zeit lang
30 Jahren bei durchschnittlich 1,4. In nicht in ihrem Beruf arbeiten kann.
Frankreich sind es im Vergleich fast Gleichzeitig entstehen durch Anschaf­
Die Shell-Jugendstudien
zwei Geburten pro Frau. Die niedrige fungen für das Kind Kosten. Ein Kind
Seit 1953 gibt der Ölkonzern Shell in
Geburtenrate hat Auswirkungen auf die verändert auch die emotionale und part­
Deutschland regelmäßig die Shell-Ju­
demografische Entwicklung in Deutsch­ nerschaftliche Situation der Eltern. Va­
gendstudie in Auftrag. Unabhängige
land: Die Bevölkerung schrumpft, weil ter und Mutter haben weniger Zeit fürei­
Wissenschaftler dokumentieren die
mehr Menschen sterben als geboren nander, weil das Kind jetzt Aufmerksam­
Meinungen und Erwartungen von
werden. Außerdem verändert sich das keit braucht. Beruf, Familie und persön­
Jugendlichen in Deutschland. Im Jahr
Foto: Tuned In/iStock (Paar umarmt in Straße)

Verhältnis zwischen jungen und alten liche Freizeit miteinander zu vereinen ist
2015 untersuchten die Wissen­
Menschen. Dadurch, dass die Men­ stressig. Viele Jugendliche wollen diese
schaftler, unter welchen politischen
schen immer älter werden, gibt es Einschränkungen und den Stress nicht.
und sozialen Bedingungen Jugendli­
mehr ältere als jüngere Menschen. Wo­ Der Staat versucht durch eine Familien­
che heute aufwachsen. Anhand die­
ran aber liegt es, dass Jugendliche kei­ politik die Vereinbarkeit von Beruf und
ser Daten lässt sich analysieren, wel­
ne Kinder mehr haben wollen? Familie zu verbessern, zum Beispiel
che Persönlichkeiten die Jugendli­
durch Kindergeld oder durch die Betreu­
chen entwickeln und wie sie sich
• ung von Kindern in Kindergärten. Bisher
von der vorherigen Generation unter­
hat diese Familienpolitik kaum Auswir­
scheiden.
kungen auf die Geburtenrate.
• »

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Keine Kinder für das Lebensglück
Nur eine Minderheit von 41 Prozent der Jugendlichen in Deutschland ist der
Meinung, dass man eigene Kinder für das Lebensglück braucht. Im Jahr
2010 lag der Anteil der Jugendlichen bei 43 Prozent. Jugendliche denken,
dass Kinder eine Einschränkung ihrer Lebensqualität bedeuten. Sie möch­
ten sich auf ihr Berufsleben konzentneren und ihre Freizeit genießen.

Geburtenrate im Jahr 2016 (in elnhjen ausgewählten Ländern)

Land Geburten pro Frau


Deutschland | 1,5
China 1,6
Frankreich 1,9
Indien 2,3
Ägypten 3,5
Somalia 6,4

Quelle: Deutsche Stiftung Weltbevölkerung (PSW/. 2016

müsse es einfacher werden, Beruf und mit einer familienfreundlichen Politik


Familie miteinander zu vereinen. Dann helfen sollte. Zum Beispiel sollten Un­
I
würden wieder mehr Jugendliche spä­ ternehmen aufgefordert werden, noch
ter im Erwachsenenalter eine eigene mehr Teilzeitarbeit anzubieten. Auch
Beruf und Familie besser vereinen Familie wollen. „Man sollte den Ju­ müsse der Staat mehr Möglichkeiten
Tamy Daum ist anderer Meinung als gendlichen positive Beispiele zeigen, in der Kinderbetreuung zur Verfügung
Cedrik Pelka. Die Journalistik-Studentin denen Kinder und Karriere gut funktio­ stellen. Nur so könne man dem demo­
aus der westdeutschen Stadt Reckling­ nieren“, sagt die 19-Jährige. Laut grafischen Wandel entgegenwirken.
hausen möchte gern zwei Kinder ha­ Shell-Jugendstudie wünschen sich 91 Cedrik Pelka hält davon nichts. Er sagt:
ben. „Ich denke, dass Kinder eine Be­ Prozent der Jugendlichen, dass sich „Die Familienplanung soll jedem selbst
reicherung für mein Leben sein wer­ Familie und Beruf vereinbaren lassen. überlassen sein. Da soll sich der Staat
den“, sagt sie. Ihrer Meinung nach Tamy ist der Meinung, dass der Staat nicht einmischen.“
Julian Hilgers, Wilhelm Siemers
Anschaffung, -en, die
Kauf, Einkauf
-«■A.K
auffordern
aufrufen, verlangen
aufpassen, auf jmdn./etw. (Akk.) beachten, sich kümmern Methodik der Shell-
äußern, sich
hier: sich zeigen, sichtbar werden
Auswirkung, -en, die
Jugendstudie
Folge, Konsequenz, Effekt
Betreuung, -en, die
Die Wissenschaftler machten für
hier: Pflege. Versorgung
durchschnittlich ihre Forschung Interviews mit Ju­
gewöhnlich, als Norm, in der Regel
Einschränkung, -en, die
Begrenzung. Zwang
gendlichen. Für die Shell-Jugend­
entgegenwirken bekämpfen, verhindern, blockieren studie 2015 wurden 2 558 Ju­
es liegt, an jmdm./etw. (Dat.) der Grund dafür ist; das ist abhängig von jmdm./etw. gendliche im Alter von 12 bis 25
Geburtenrate, -n, die Zahl der Kinder, die in einem Jahr auf die Welt kommen Jahren aus den alten und neuen
Herausforderung, -en, die schwierige Aufgabe Bundesländern Deutschlands per­
im Weg stehen
stören, nicht bequem sein
in Auftrag geben
sönlich befragt. Die Interviews
bestellen, machen lassen
schrumpfen fanden anhand eines standardi­
weniger/kleiner werden
überlassen hier: jmdn. selbst entscheiden lassen
sierten Fragebogens von Anfang
Verantwortung, die Verpflichtung, Aufgabe Januar bis Mitte März 2015 statt.
vereinen Im Rahmen der qualitativen Studie
verbinden, zusammenbringen
Verhältnis, -se, das hier: Relation, Anteil. Proportion wurden zwei- bis dreistündige ver­
verringern, sich weniger/kleiner werden, reduziert werden tiefende Interviews mit 21 Jugend­
Wandel, der
Veränderung
zögerlich
lichen dieser Altersgruppe durch­
abwartend, vorsichtig, unsicher
zur Verfügung stellen bereitstellen, anbieten
geführt.
zurückschrecken Angst haben vor; nicht wollen

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