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MÜNCHNER

ILLUSTRIERTE WOCHENSCHRIFT
FÜR KUNST UND LEBEN

1896

BANDI
NR- 1—29

HERAUSGEBER: GEORG HIRTH — REDAKTION: FRITZ v. OSTINI

G. HIRTH’5 KUNSTVERLAG
MÜNCHEN & LEIPZIG
UNIVERSITÄTS
BIBLIOTHEK
HEIDELBERG

Druck von Knorr & Hirth (G. m. m. b. H.), München.

i -10
Alt unsere Fremde Des reinen Weizens sonder Spreu,
Des Neuen, das gut, des Guten, das neu,
E^a liegt er nun, unser erster Band, Euch bieten in der Quartale Lauf —
Schmuck und gewichtig in unserer Sand, Verehrte LeserI Die Saud darauf! —
Vierhundert Seiten sind's, die sich da einen, Sat uns auch an Feinden nicht gefehlt.
In einem Einband aus rothem Leinen. Was haben sie alles geklagt und geschmält,
Da wär' es glücklich nun gelandet, In ihren Reden und Blättchen und Schriften!
Gekentert nicht und nicht gestrandet, wir follten das Serz der „Jugend" vergiften,
Das Schifflein mit dem bunten Wimpel, Wir hätten von idealer Runst
Nach Sturm und Fährniß mancher Art, Reine» blassen Schein, keinen blauen Dunst,
Seil und bereit zur nächsten Fahrt. And namentlich sei's ein Skandal
Es hat uns freilich mancher Gimpel Bezüglich der sogenannten Moral,
Und mancher Neidhart prophezeit, Wie nackt und bloß in unseren Spalten
Das Boot der „Jugend", es käm' nicht weit: Gar mancherlei verruchte Gestalten
Denn erstlich nähm' es zu wild den Flug Umtrieben ganz ohne Feigenblätter.
Und nicht nach bewährten nautischen Regeln, Es krachte so manches Donnerwetter
Dann hält' es auch zu viel wind in den Segeln, Bon hoher Ranzel auf uns her,
Und fein Ballast sei nicht schwer genug, wir hatten ja allen Respekt vergessen,
Und auch an Mannszucht fehl' es an Bord — Manch wackerem Schwarzrock was aufgemessen,
Wir aber segelten fröhlich fort, Und manchen politischen Rampfhahn schwer
wir hatten tüchtige Mannschaft geheuert, Geärgert, verhöhnt und im Bild geschildert.
Uns halfen rüstiger Arme viel, Gs hieß: Die „Jugend" sei falsch und schlecht,
Voll frischen Muthes und angefeuert Frivol und frech und total verwildert-
Bon einem schönen und hehren Ziel. Nun — dafür machten wir's Andern recht
Und ging's auch durch tosende, schäumende Fluth, Und zwar den Bessern in deutschen Landen,
Die Fahrt war gesegnet, die Fahrt war gut. Und haben die Bessern uns wohl verstanden,
Wir nehmen recht gerne die Schreier in Rauf!
Da liegt er vor uns, der erste Band, Schlagt nur einmal den Band hier auf
Biel tausend Zeilen von krausen Lettern Und auch ein Gegner inuß gesteh'n,
lind schnurrigen Bildwerks allerhand — Es ist nicht wenig darin zu feh'n.
lind wenn wir die bunten Seiten durchblättern wir lassen es freilich lieber bleiben,
Bon vorn nach rückwärts, gesteh'n wir frei, Einen trockenen Index davon zu schreiben,
Mag sein, es ist mancher Schnitzer dabei; Wer wissen will, was im Buche stünde,
Langweilig aber ist's nicht gewesen, Mag selbst d'rin suchen, auf daß er's finde.
Weder zu schauen noch zu lesen. Da sieht er im fröhlichen Wechselspiel
Ist schließlich ja aller Anfang schwer — Stets wechselnd wie in Raleidoskopen
link daß wir in Zukunft immer mehr Der Bilder, der Verse, der Srosa viel,
Da findet er Scherze vom £)ol und den Tropen, Gar viele Gedichte von Lust und Liebe
Und ernsthafte Kunst in Schwarz und Bunt, Und Stimmungsbilder bald licht, bald trübe,
Schmal, breit und hoch, und kantig und rund, Und (Epigramme, Gedankensplitter,
Symbolische Schnörkel gar fein zu deuten, Novellen, Satiren, harmlos und bitter
Porträts von großen und anderen Leuten, Und manche lustige Parodie,
Manch treffliches Blatt zunr greife des Weibes, Und Lieder sanunt Text und Melodie.
Zum Lobe der Schönheit des Menschenleibes, Und manchen Spott auf die perren Philister —
Poetisch - symbolisch - gedankentiefes, Und damit ist unser Znhaltsregister
Sentimentalisches und Naives, Noch lang nicht zu Tnde — blättert nur heiter,
Und schöner holdseliger Frauen Köpfe, Auf daß Ihr findet, im Buche weiter!
Taricaturcn zum pohn auf die Zöpfe,
Und Blumengeranke von zierlichcin Schwung Wir aber, wir rüsten mit frischer Kraft
Und vaterlandsfrohe Begeisterung, Auf's Neue uns für die Wanderschaft,
Und Zägerschwänke in Bild und Wort. Auf's Neue uns für die fröhliche Fahrt.
Und mancherlei Unsinn und mancherlei Sport, Ts gibt noch Dinge so mancher Art,
Sogar aus der pölle find Bilder zu fchau'n Viel Schönes und Gutes in Bild und Gedanken,
Sammt Spukgeschichten aus Nacht und Grau'n, Womit wir befrachten unsere Planken,
Sogar aus dein Pimmel ist was dabei, Dann schütten wir fröhlich für Tuch zu paus
Zn ernster und heiterer Schilderet, Die bunten, schinnnernden Schätze aus,
Madonnen findet Ihr da und Tngel; Die wir heimgebracht aus der Schönheit Mich —
Sogar aus dem blutrothen Ulars dort oben
Sind Bilder und Szenen mit eingewoben; Nur seid auch fruchtbar und inehret Tuch,
Dann findet Zhr Gigerln und Ladenschwengel, So wie Zhr bis heute wuchs't an Zahl!
Und sonst noch viel schnurrige Menschlein vor, Dann können wir auch mit jedem Mal
Und putzigen, neckischen Mädchenflor, von Woche zu Woche, von Jahr zu Jahr,
pikantes findet Zhr auch, Französisches Tuch reicher bedenken immerdar,
Und Deutsch - bureaukratisch - politisch - chinesisches, Scharfäugig stets nach dem Besten lugend
Dann findet Ihr Blätter für Thic und Mode Vom hohe» Mastkorb über die See —
Und grausige Tänze, getanzt von: Tode, Mit diesem Wunsch sagt Tuch Ade
Plakate, Vignetten und Speisekarten, Zn froher Zuversicht
Und Bilder von hundert anderen Arten, die „Äugend".
München, Juni ;8Y6.
1896 . JUGEND ->

Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben. — G. Hirth’s Verlag in München & Leipzig.
ALi.fi HECHTE VORBEHALTEN.
JVOEND Münchner Wochenschrift für Kunst und Leben
[ie Erwägung, dass unter den zahl- Und wer nur ein warmes Herz für diesen Künstlerische Beiträge zum Bilder-
reichen in Deutschland erscheinen- Gedanken hat, wer dazu beitragen will und schmuck der «JUGEND» haben wir erhalten,
den illustrirten Wochenschriften die Kraft dazu in sich fühlt, mit uns zusammen oder werden wir erhalten von:
sich keine einzige befindet, welche ein lustiges Blatt an der Wende des Jahrhunderts Henry Albrecht, Peter Bauer, Henri Boutet,
den Ideen und Bestrebungen unseres sich immer zu schaffen, das uns den Uebergang in das A. B'öcklin, Otto Bromberger, Fritz Burger,
reicher gestaltenden öffentlichen Lebens ln Neue zu einem Vergnügen machen und die Caran dl Ache, y. Carben, Cazal, L. Corinth,
künstlerisch durchaus freier Weise Bürde der Jahre erleichtern soll, der ist ebenso Maxim. Dasio, yulius Dietz, O. Eckmann,
gerecht wird, hat uns zu dem Versuche er- höflich, als herzlich eingeladen, sich frohen Fritz Erler, yul. Exter, Hans Fechner,
muthigt, diese offenbare Lücke unserer Zeit- Muthes an dem Leben und Werden der Alexander Frenz, E. Grasset, E. Griitzner,
schriftenliteratur auszufüllen. Wir wollen die JUGEND zu betheiligen und, was er etwa an Guillaume, Hugo Freih. v. Habermann, Louis
neue Wochenschrift Zündstoff auf Lager hat, unserm Laboratorium Herzog, ArthurHirth, HugoHoppener (Fidus),
baldigst anzuvertrauen. y. Huber, Ewald Hirsch, Felix Hollenberg,
JUGEND Dank unserer Programmlosigkeit — einem Olaf yernberg, yossot, E.Kneiss, y. Kerschen-
nennen: damit ist eigentlich schon Alles gesagt. «Programm», das wir strikte aufrecht erhalten steiner, Arthur Kampf, F. A.v. Kaulbach, Al-
Selbstverständlich wenden wir uns nicht an wollen — ist das Feld unserer Thätigkeit ein bert Keller, Max Klinger, Franz v. Lenbach,
die Jahrgänge, sondern an das Herz, auch der so unbegrenzt weites, dass eigentlich jeder Max Liebermann, E. Lugo, A. Mareks, Karl
in der Herbstsonne alter Jahrgänge Gereiften, denkende und herzensfrohe Mensch irgend etwas Marr, O. Melly, P. Meyer-Mainz, Vilma
die so glücklich sind von sich zu sagen: «Altes für die «JUGEND» in petto haben müsste. Parlaghy, Radiguet, A. Rietti, Th. Rocholl,
Herz, was glühest du so!» y. Sattler, H. Schlitt, Arpad Schmidhammer,
Er braucht durchaus kein zünftiger Literat
Ein «Programm» im spießbürgerlichen zu sein! Und jeder Künstler, der wirklich einer y. Schmitzberger, Th. Schmuz-Baudiss, Carl
Sinne des Wortes haben wir nicht. Wir ist, hat bestimmt auch etwas für unser Blatt, Schnebel, Otto Seitz, Rudolf Seitz, Max Sle-
wollen Alles besprechen und illustrieren, was vogt, Steinlen, L. Stockmann, C. Strathmann,
oder kann was für uns machen. Je frischer
interessant ist, was die Geister bewegt; wir und freier eine Arbeit ist, je getreuer und un- Franz Stuck, Hans Thoma, W. Trübner,
wollen Alles bringen, was schön, gut, charak- mittelbarer dasWesen des Künstlers in ihr sich Fritz v. Uhde, C. Vetter, Valloton, H. Zügel.
teristisch, flott und — echt künstlerisch ist. Musikalische Beiträge haben wir er-
spiegelt, desto willkommener wird sie uns sein!
Kein Gebiet des öffentlichen Lebens soll halten, oder werden wir noch bekommen von
Also ! Vorwärts mit frischem Muth, «JUGEND»
ausgeschlossen, aber auch keines in den Vorder- sei’s Panier! den Herren:
grund gestellt werden: hohe, höhere und höchste Ernst Baecker, A. Bungert, Hess, H. Sommer,
Ungefähr wird die vorliegende I. Doppel-
Kunst, Ornament, Dekoration, Mode, Sport, R. Strauss u. A.
nummer unserer Zeitschrift ja zeigen, was wir
Politik, Musik und Literatur sollen heute ernst,
wollen — freilich eben nur ungefähr! Denn Georg Hirth, Herausgeber,
morgen humoristisch oder satirisch vorgetragen
werden, wie es die Situation und der Stoff
wir werden uns noch im Laufe der Zeit mit Fritz V. Ostini, Redakteur
gar Vielem beschäftigen, was hier gar nicht der „JUGEND“.
gerade erheischen. Hiezu sollen alle graphi-
angedeutet ist, mit Vielem, was der Tag erst
schen Künste, soll der «stilvolle Strich», die NB. Die zur Aufnahme gelangenden
bringen wird, was das Leben erst noch reift.
ernste Skizze, die Caricatur, die Photographie Zeichnungen und literarischen Beiträge werden
mobil gemacht werden. Und — «wo gute Reden Literarische Beiträge sind uns schon selbstverständlich «honorirt».
sie begleiten», d. h. umschwärmt von einem zugegangen oder in Aussicht gestellt von: Nicht zur Aufnahme gelangende Beiträge
beweglichen Texte, da wird auch die Mitarbeit Conrad Alberti, Hermann Allmers, Ford. werden so bald als möglich an die verehrlichen
unserer frischmuthigen Illustratoren, der alten Bonn, M. G. Conrad, fuliane Dery, Georg Absender zurückgesandt, wenn Umfang und
wie der jungen, munter fortfliessen. Ebers, Franz Evers, K. E. Franzos, Ludwig Werth der Sendung einigermaßen die Mühe
Keine Form literarischer Mitarbeit soll aus- Fulda, Max Halbe, Otto Erich Hartleben, der Rücksendung lohnen. Genaue Adressen-
geschlossen sein, wenn sie sich nur mit der De- Karl Henkell, Wilh. Hertz, Paul Heyse, angabe wird höflich erbeten.
vise verträgt: «Kurz und gut». Jedes Genre — H. v. Hopfen, Otto v. Leixner, Alb. Matthaei, Sendungen an uns wolle man gef. nicht
das Langweilige ausgenommen — ist gastlich Wilh. Raabe, B. Rauchenegger, P.K. Rosegger, unter einem der obenstehenden Namen adres-
willkommen geheissen: Lyrisches, Epigramma- Frieda Schanz, Richard Schrnid- Cabanis, sieren, sondern einfach an die Redaktion
tisches, Novellistisches, Satirisches, Reim und Arthur Schnitzler, L. Soyaux, yoh. Trojan, der „JUGEND“, Färbergraben 24/n in
Prosa. R. v. Seydlitz. München.

Die JUGEND erscheint allwöchentlich einmal. Bestellungen werden von allen Buch-
und Kunsthandlungen, sowie von allen Postämtern (Postzeitungs-Katalog Nr. 391a) und
Zeitungs-Expeditionen entgegengenommen. Preis des Quartals (13 Nummern) 3 Mk., der einzelnen
Nummer 30 Pfg. Preis für Inserate die vicrgespaltene Colonelzeile 1 Mk.
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Gruss an die JUGEND
Der „Jugend“ sei mein Gruss geweiht — Die — ob im Grabe mit einem Fuss —
Der Jugend, die niemals veraltet,
Noch schwebt auf den Schwingen des Falters:
Die unberührt von Stunde und Zeit
Ihr bring’ ich jubelnd einen Gruss —
Im Künstlerbusen waltet;
Der Jugend jeden AltersI —
Der Jugend, die aus der Seele stammt, Und macht sich ihr manch Gegner kund,
Und die trotz weisser Haare Sie bleibt doch unbezwungen
Für alles Grosse sich noch entflammt
Von grünlackirten Greisen und
Und Schöne und Gute und Wahre; Von schimmelgrauen Jungen!
Der Jugend, die ewigen Frühling schafft Dem erster’n von diesem Feindespaar
Uns drinnen tief im Herzen Mit Fäusten, emsig-raschen,
Und deren heilige Kraft entrafft Wird sie das fahle Antlitz klar
All irdische Sorgen und Schmerzen; Von falscher Schminke waschen;
Der Göttin, die uns Kindern gleich — Dem andern aber wird sie kühn
Doch kindisch nie — lässt werden, Durch einen kräftig derben
Damit wir schauen das Himmelreich Handgriff dieHös’chen strammer zieh'n,
Schon hier auf dieser Erden; Sie . . . rücklings aufzufärben.
Richard Schmidt-Cabanis

}
Kr. 1 und ä
Tt) GEN Ö
1896

Jugend! Jugend! Wenn aber so ein Ding von etlichen Aber zurück zu den Flegeljahren! Noch
Das Wort ist einer von den Zauber- Jahren frühreif ist und keine Freude am weinen können, wenn die schillernde Glas-
sprüchen, die uns das Herz aufhellen mit Spiele hat, sich nicht balgt mit den An- kugel eines Ideals in Scherben geht, noch
einem Schlag, bevor wir noch Zeit ge- dern, keine Schläge bekommt und keine jauchzen können, blos weil die Welt so grün
funden, ihrem Sinne nachzudenken. Jede austheilt, keine zerrissenen Jacken und ist und die Sonne so hell und das Leben
Sprache hat ein paar solche Worte. In der blauen Beulen nach Hause trägt, über die so überaus lobenswerth! Jugend in der
deutschen heissen sie: Jugend, Frühling, Märlein der Ammenstube die Nase rümpft, Jugend!
Liebe, Mutter, Heimath! Sie klingen, — keine Phantasie hat, aber dafür schon eine 3x3
man nimmt sie auf — und vor unseren Dosis Klassenhochmuth — den gibt’s näm- Gibt aber auch andere! Kerle, die mit
Blicken öffnet sich eine Welt. Und die lich auch in Lumpen —, die Thiere nicht der Brille auf der Nase und mit Tinten-
weiteste von allen diesen Welten ist jene, lieb hat und den Menschen sich nicht an- fingern auf die Welt gekommen scheinen,
die das Wort Jugend erschliesst. In dieser schmiegt — armes altes Ding! Wenn oft Streber auf der Schulbank, Primajungen,
Welt ist im Grunde Alles mit einbegriffen, die Leute wüssten, was für unglückliche die’s dem Herrn Professor sagen, wenn der
was gut ist und froh, licht und warm, rein Geschöpfe ihre Tugendmuster sind!- Hans die Schule geschwänzt hat und der
und gross. ¥ Max über den Zaun des Pfarrhofgartens
Denn die Jugend ist kein Vorrecht der Jedes Alter im Menschenleben muss gestiegen ist, seinem holden Büschen ein
Leute bis zu dreissig oder fünfunddreissig seine Jugend haben. Büschel Reseden zu stehlen! Bürschlein,
Jahren! Dem Jüngsten kann sie fehlen, der Die Flegeljahre! Die ersten Cigarren die immer die besten Noten und ein sanftes
Aelteste kann sie haben! Es gibt vierjährige rauchen, die ersten Verse machen! Zu- Gewissen haben, die keine verbotenen
Grossstadtgewächse, die nicht mehr jung erst an erdichtete, dann an unerreichbare, Schoppen trinken, Liebes- und Freund-
sind, es gibtAchtziger, die bis zu den Ohren dann endlich an wahlverwandte Huldinnen! schaftsträume mit grinsender Verachtung
in Flanell stecken wegen des Zipperleins, Himmlisch stupides Schwärmen für einen ansehen und die Anwartschaft auf eine glän-
die nicht mehr aus dem Lehnstuhl heraus- Backfisch mit flatternden Zöpfen! Hoffen, zende Laufbahn schon als Quartaner in der
kommen — und die doch noch ihr Theil Träumen dem Leben zu! Die Welt sich Tasche tragen. Kerle, die nie über eine
Jugend im Herzen tragen. ausmalen wie einen Garten voll blauer Hecke springen, weil sie die Hose zerreissen
‘•2* Blumen und goldener Früchte, die alle könnten, die alles Lustige und Verbotene
erreichbar sind, ihm, dem Einen, dem nicht etwa aus Grundsätzen, sondern ein-
Jugend ist Daseinsfreude, Genussfähig-
über die Massen Kühnen: dem Ich des fach aus Scheu vor der Haselruthe liegen
keit, Hoffnung und Liebe, Glaube an die lassen.
Menschen — Jugend ist Leben, Jugend ist Träumers!
Für Freundschaft glühen, Jedem, auch Jugend ohne Jugend!
Farbe, ist Form und Licht.
Wem ist sie eigen? Wer hat sie nicht? dem schäbigsten Gesellen das Herz wie
auf dem Teller entgegen tragen und, zehn
$
Jung im rechten Sinn ist noch das Kind, Mit den Mädchen ist es nicht anders!
das zu spielen weiss, mit einem Holzklotz, Mal betrogen, das elfte Mal wieder glauben! Welch ein Götterreiz umkleidet solch ein
einem Lappen und einem Strohwisch, ge- Ueberhaupt ist’s ein Kennzeichen und viel- Wesen zwischen Fratz und Weib, wenn ihm
rade so wie mit einer Pariser Puppe. Das leicht auch das reinste Glück wahrer Ju- gesunde J ugend aus den Augen blinkt, wenn
Kind, das sich seine Namen erfindet für gend, dass der Schein, der schöne Schein es halb Kobold ist und halb Engel, halb
alle Dinge und Leute, das noch mitten im sich zur rechten Zeit immer wieder über Schwärmerin und halb Spottdrossel in an-
Märchen lebt, das in der Weihnacht das irgendeine bittere Wahrheit hinwegtrügt! genehmer Mischung, rein, aber warmblütig,
Christkind an das Fenster klopfen hört, Und mit dem ersten Flaum auf der kindlich, aber weich. Wenn sein Herzzittert
das mit dem Hofhund plaudert und die Lippe, der ersten Liebe im Herzen, und um jedes erschaute fremde Leid und jubeln
Katze küsst, das seiner Puppe Brei in den vielleicht mit der ersten Heldenschmarre kann um jede geglückte Thorheit!
Mund schmiert und gelegentlich auch ein- im Gesicht im Grunde doch noch mild- Und die Andern, die Frühklugen, früh
mal Papa’s Taschenuhr mitderSchuhbürste herzig, weich, ahnungsvoll und spielerisch, Wissenden, die mit 12 Jahren schon an
reinigt. Jung ist das Kind, für das Alles doch noch ein Kind sein!-— eine gute Partie denken, der Stolz und die
lebt und redet, das Alles wissen muss und
hinter jede Staude guckt und Fragen stellt
K Wonne aller verheirathungslustigen Mütter
sind, nicht schwärmen, aber begehren, nicht
Das ist Jugend: in jeden neuen Lebens-
ohne Ende, und das gelegentlich auch ein- abschnitt das Beste vom Jüngstvergangenen sündigen, aber verstehen, nicht ungezogen
mal herzhaft ungezogen ist. Das aber auch mithinübernehmen! Kinderfrohsinn in die sind, aber hart! Sind die jung?
nachher, wenn der Trotz verraucht ist, die Knabenjahre,dieTreuherzigkeit des Knaben 3x3
Hand wieder liebkost, die es gezüchtigt. in die Jünglingszeit, das offene, zuversicht- Himmlisch kann eine Frauenknospe
Jung ist ein Kind, das ein Kind ist in liche Herz des Jünglings in’s Mannesalter, sein in geschmeidiger Kraft und Frische,
Allem, im Guten und im Schlimmen. die Wärme und Festigkeit des Mannes in’s ein Mädchen, das zu tanzen liebt, und durch
3x3 Greisenthum.- die Welt zu jagen, auf Stahlschuh oder

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1896 JUGEND Nr. 1 und 2

Stahlrad, Pferd oder Boot, ein Mädchen, j ein Verhungernder und dem nichts mehr Und so fort bis in’s Alter, durch die
dem jene Damen vielleicht auch einmal schmeckt, weil sein Magen unrettbar über- Jahre reifer, sicherer Mannheit durch, die
ein shocking! nachrufen, denen nicht mehr fressen ist! Der Narr seines Ich, der Sklave Erntejahre des Lebens, in denen man auf
Alles rein ist! Jugend, Jugend! Und auf seines Schneiders, der Hanswurst seiner Errungenes behaglich niederzusehen an-
der andern Seite wieder die Blüthen ohne Mitmenschen und der Abklatsch seiner Mit- fängt und seine Wünsche mehr auf’s Er-
Duft und Farbe, zu Kochthieren und Dienst- esel! Der arme, arme Mensch, dessen Da- halten richtet, denn auf’s Erwerben!
botenschrecken geboren, von Pensionats- sein mit dem Bewusstsein schon ausgefüllt
vorsteherinnen hochgeschätzt, von Pri- ist, dass er etlichen Pflastertretern heillos
manern nie angehimmelt, eckig bis in die elegant vorkommt! Jugend — sprecht nur
Seele hinein, und im Uebrigen alles Schöne dies schöne Wort nicht aus in einem Athem Die jungen Alten! Alte Gesichter und
und Gute — nur nicht jung! — — — mit dem Namen dieses Gezüchts. junge Herzen! So widerlich und bemit-
leidenswerth ein alter Geck ist, der sich
* * ein paar Jahrzehnte vom Gesicht weg-
Schöner als jede andere fast ist die Was für ein Herrliches ist es um die schminkt und die für seine verspäteten
Jugend in der Zeit der ersten Reife! Stolz Jugendlichkeit des eben erblühten Weibes. Dummejungenstreiche nöthigejugend beim
und Freude am Schaffen hegen, das Wonne- Auch sie lernt nun die erste, wahre Liebe Apotheker kauft, so herrlich ist ein Alter,
gefühl bewusster Kraft gemessen, das herr- kennen. Aber nicht das Bedürfniss, sich dem die Seele frisch geblieben ist und mild,
liche Empfinden, zum ersten Male einen zu versorgen, sondern das Bedürfniss, sich das Auge klar auch für ein Leben, das er
Platz auszufüllen in derWelt! Und die erste, hinzugeben, lenkt ihr das Herz. Mutter- nicht in allen Theilen mehr ganz versteht.
wirkliche Liebe im Herzen nähren nach den schaft! Mutterglück! Dreidoppelte Jugend: Ein Loher des Vergangenen mag er wohl
Eseleien der Tanzstunde! Fähig werden eine junge Mutter! Immer voller erfüllt sein, aber kein Hasser des Neuen. Ein
zu ringen und zu wagen mit Todesmuth sie ihren Beruf, Sonnenschein zu bringen, Schatz an Liebe ist aufgespeichert in seinem
um eines holdseligen Weibes Besitz! Ju- Den jung zu erhalten, dem sie zu eigen Herzen, der sich mehrt, je reichlicher er da-
gend im Mannesalter, wie gut, wie schön! ist, einen Schimmer von Jugendlichkeit auf von gibt! Mit doppeltem Genuss schaut er
Alles zu werfen, was um sie lebt. Sie ist das Schöne um sich her; ist’s doch nicht
fr Alles in Einem in ihrer sieghaften Jugend: mehr für lange Zeit! Ihm ist die Freude
Aber der Andere, der Streber und Krä- Ansporn zum Kampfe und Siegerlohn. Um ein köstlicherTrunk, dem kein Rausch mehr
mer! In Liebe und Hass, Arbeit und Müsse sie, für sie ringt der Mann, sie macht ihn folgt, der die Blicke nur heller macht und
immer Streber und Krämer! Aus Angst treu und beharrlich! Sie schafft ihm ge- den Herzschlag ruhiger. Kein Menschen-
vor einem Schnupfen entsagt er dem Ge- steigerte Pflichten und gesteigerte Kraft alter kann vielleicht so viel Jugend in sich
nuss, von einem Berggipfel aus die Sonne dazu! aufsammeln, als das mit den weissen Haa-
blitzend aufschweben zu sehen aus dem Aber auch das rosige Bild hat sein ren. Ihm kommt sie von aussen und von
Dunst des Morgens! Aus Angst, sich seine Widerspiel: Junge Weiber ohne Jugend! innen. Ihm quillt sie als Erinnerung im
Carriere zu verderben, wagt er es nicht, Blaustrümpfe, Kehrbesenmegären, Männer- Herzen und macht ihm die Seele weit und
den Arm um einen bebenden Frauenleib jägerinnen, berechnende Koketten, eitle froh, ihm drängt sie sich jauchzend um die
zu schlingen! Aus Respekt vor seinen Vor- Närrinnen, die den Zauber ihrer Jugend Knie und stammelt: „Ich hab’ Dich lieb!“
gesetzten würgt er seine politische Ueber- verlieren in dem krankhaften Bestreben, Junges Alter! RosigerSonnenschein über’m
zeugung hinunter! Aus Angst, sich die nur ja nicht älter zu werden! Eis, Weihnachtsrosen unter’m Schnee!
Augen zu verderben, schaut er nicht in die Jugend im Silberhaar, Jugend in gol-
Sonne, aus Angst um seine Stiefel steigt $ denen Locken! Jugend, das Köstlichste aus
er nicht in’s thauige Gras und wenn die Die rechte Jugendlichkeit muss immer jeder Lebenszeit, vom ersten Kinderlachen
schönsten Blumen ihm daraus entgegen- unbewusst sein. Wenn Einer sagt: »heut' bis zum letzten Trunk, den der Greis aus
lachten! Auch Einer! bin ich aber einmal vergnügt!« kommt ihm dem Becher des Lebens thut!
Oder der Lebegreis! Herz, Phantasie das Lachen gewiss nicht von Herzen. Wenn Jugend, Jugend!
und Kopf kahl wie ein Ei! Der Jammer- aber Einer einmal lachen kann und weiss Ein besseres Bannwort hätten wir für
mann, das Rückbildungsprodukt zum Affen, nicht genau warum — der ist sicher froh unser Wagniss nicht finden können! Da-
der Idiot, dessen Ehrgefühl in der Correkt- und fühlt sich jung. Gefühl ist Alles, auch rum sehen wir dem Werdenden mit froher
heit seiner Hosenfalten aufgeht, der Bettler, hier. So ganz mit Worten umzirken lässt Hoffnung entgegen.
der Alles genossen hat und Nichts, der die sich der Begriff nicht! Jung fühlen muss Ganz schlecht kann es nicht ausfallen,
Lebensfreuden in sich hineinschlang wie man sich, nicht jung sein wollen. unser Zeichen ist viel zu gut!

S
Nr. 1 und 2 JUGEND 1896

Vor langer, langer Zeit, da die Geister noch nicht so es war der Berggeist. Der litt an einer Art von Kleptomanie.
selten waren, wie heutzutage, sind einmal dem lieben Gott Der liebe Gott war dem armen Sünder gnädig und erliess
aus seinem Farbenkasten, in dem er die Farben bereit hat ihm die Strafe. Aber wenn Einem einmal das Stehlen im
für’s Abendroth, für Tag und Nacht und die Jahreszeiten, Blute liegt! — Dauerte nicht lange, so hatte der Berggeist die
eine Menge von Farben gestohlen worden. Da gab’s grosse Farben schon wieder und riss aus mit seiner Beute. Die
Untersuchung im Geisterreich und viel Verdruss und der andern Geister ihm nach, als sie es merkten, denn die vier-
liebe Gott sperrte die ganze Geistergesellschaft auf ein paar zehn Tage Fegefeuer hatten sie nicht vergessen! Wie die
Wochen in’s Fegefeuer, bis der Sünder sich gemeldet hätte! wilde Jagd ging’s dahin durch ganz Tirol durch. Der Sünder
Und endlich thaten das böse Gewissen und die Hitze des flüchtete sich schliesslich in eine Hütte — schon glaubten
Fegefeuers ihre Wirkung. Der Schuldige meldete sich — sie ihn zu haben, da fand er noch eine Lücke und sauste
6
Kr. 1 und 2
1896 . JUGEND .
Frauen angestellt werden müssen. Aber Skt. Petrus klagt
hinaus. Die Geister wieder hinter ihm her! Endlich fingen über die Leistungen. Sie sind schwach, sehr schwach.
sie ihn, die Farben fanden sie bei ihm aber nicht mehr. In
jener Hütte hatte er sie in aller Eile wieder versteckt. Man Es gibt Männer, die sich wegen unglücklicher Liebe ver-
giften, aufhängen, erschiessen, oder sogar — das muss sehr
brachte den Berggeist vor den lieben Gott, der nun ernstlich bitter sein — Gedichte schreiben. Narren, dreifache Narren!
böse war und mit grausigen Strafen drohte, wenn die ge- Nicht einzusehen, wie gut es das Schicksal mit ihnen gemeint
stohlenen Farben nicht mehr zur Stelle kämen. In seiner hat. Wäre die Liebe erwidert worden, so hätten sie ja ge-
Todesangst war der Berggeist ja gerne bereit, Alles zu thun, heiratet.
was der liebe Gott verlangte. Aber er fand das Haus nicht Es gibt Männer, die zweizüngig sind. Das sind Weiber
mehr, wo er die Farben versteckt hatte. Denn dazumal war’s niemals. Die sind mindestens dreizüngig.
finstere Nacht gewesen und bei dem Tempo, in dem die Der grösste Mann ist auf dem besten Weg, ein sehr klei-
Hetzjagd abgehalten ward, hatte er auch die Hausnummer ner zu werden, sobald er an Schmeicheleien der Frauen Ge-
nicht aufgeschrieben. Der Berggeist aber musste nun suchen fallen zu finden beginnt.
und suchen — er war so lange verdammt und vom Nektar Die schönen und geistreichen Weiber sind niemals ganz
und Ambrosia ausgeschlossen, bis der Raub wieder ein- zufrieden, wenn man nur schön findet, was ihr Mund spricht.
geliefert sei. Und nun suchte er tagaus, tagein, jahraus, Man muss auch die Lippen bewundern.
jahrein jeden Winkel der Welt ab und konnte die Farben
Hat man jemals etwas von des Teufels Grossvater ge-
nicht finden. Mit dieser verzweifelten Beschäftigung brachte hört? Die mühseligsten gelehrten Forschungen haben ur-
er sechzig Jahre hin und in Momenten der Ruhe fluchte er kundlich nur die Grossmutter nachweisen können. Eine
wie ein Husarenwachtmeister. Aber es fiel ihm partout nicht erfreuliche Bestätigung meiner Ansicht, dass der Ursprung
mehr ein, wo er die Farben bei jener nächtlichen Parforce- des Uebels durch Parthenogenesis in die Welt gekommen sei.
jagd durch die Alpen hingebracht hatte. Als ich das „schöne Geschlecht“ nicht kannte, wie hab
Als der Berggeist nun eines Tages, vom Suchen müde, ich damals dafür geschwärmt! Für einen süssen Blick hätte
in einer Felsschlucht einschlief, erschien ihm ein lichter ich mich in das nächste Weltmeer gestürzt. Jetzt durch-
Genius, der einige passende und gefühlvolle Worte sprach
schaue ich es bis in das Fältelten, wo der Satan drinnen
sitzt. Und, Ironie des Schicksals: ich habe sechs Töchter.
und dem Ruhelosen mittheilte, er habe damals in der Hütte Ich werde einen Knaben adoptiren müssen, um ihm meinen
die Farben in einer Wiege versteckt. Darinnen lag ein neu- Weiberhass zu vererben.-Wenn es meine Frau erlaubt.
geborenes Buberl. Nach Kinderart vergnügte es sich bald
Ich habe oft Gelegenheit, viele Männer der geistigen Be-
damit, wie mit buntem Spielzeug, suchte später Thiere, rufe zu sehen. Was macht unsere Zeit aus uns! Entweder
Menschen, Hütten und Berge getreulich nachzubilden, so mergelt sie uns aus, oder sie bläst uns auf. Enge Brust —
gut es ging; es wuchs heran und strebte als Jüngling und Hängebauch, Scylla — Charybdis. Wenige schiffen glücklich
Mann immer eifriger der hohen Kunst des Malens nach. durch. Zuerst ochsen wir und stopfen das Hirn mit allerlei
Und so sei er nach und nach ein weltberühmter Maler voll, was wir zu vergessen verpflichtet sind. Das nennt man
„Gymnastik des Geistes“. Dann wird unser Wissen geaicht
geworden: und nun treten wir in den Beruf. Die einen sitzen den gan-
„Auf den sein Land so stolz und seine Freunde zen Tag in Schreibstuben aller Art; oder auf Lehrstühlen,
Neidlos mit herzlicher Bewund’rung schau’n.“ um den Schülern zu sagen, was diese zwanzig bis dreissig
Jahre später umlernen müssen, weil es nicht mehr wahr ist;
Und das Buberl von damals und der berühmte Maler von andere rennen Trepp’ auf, Trepp’ ab, um gesunde Menschen
heute — sei der Defregger Franzi! krank zu machen, natürlich streng wissenschaftlich u. s. w.
Weil aber des Berggeists Gaunerei so gut ausgeschlagen, So geht es Tage, Jahre, Jahrzehnte. Toll werden die Nerven,
habe ihm der liebe Gott die Strafe in Gnaden erlassen! die Muskeln schlaff. Und das soll ein Mannesleben sein!
Manchmal, wenn ich auf der Strasse gehe, steigt in mir ein
So wird in einem launigen Festspiel erzählt, das die närrisches Verlangen auf, um mich zu schlagen und dem
Münchner „Allotria“ an dem Defregger-Abend aufführte, den Ersten Besten zuzuschreien: „Kerl, jetzt box’ mit mir, bis
sie, den Jubilar zu feiern, diesen Sommer veranstaltet hat. wir Beiden lauter blaue Flecke am Leibe haben!“ Da fühlte
Und zum Ehrenabend des Franz Defregger zeichnete der man doch wieder, dass auch im Hauen Poesie steckt. Aber
das geht nicht; der Schutzmann hätte kein Verständniss für
Franz Stuck mit markigen Strichen das Conterfei dazu, das meine Culturmüdigkeit und der Herr Richter — ob engbrüstig
wir vorstehend nachgebildet haben. Bild und Märlein sind oder dickbäuchig — verdonnerte mich wegen groben Unfugs.
hübsch genug, dass wir sie unseren Lesern mittheilen dürfen.
Oder nicht? O göttliche Grobheit! Die Gebildeten schmähen dich,
ich aber bete dich an. Wie oft sind sie zu mir gekommen,
die Feinen und Glatten, um mich mit schönen Worten zum
Schuften zu machen; mich zur Untreue gegen mich selbst
zu verführen; für meine Ehre boten sie mir Ehren; ein wenig
bücken sollte ich mich; sollte sprechen für das Unrecht, für
die Lüge — ich könne innerlich glauben, was ich wolle. Und
sie kamen immer wieder und waren nicht abzuschütteln. Da
tratest du zu mir und gabst mir Worte, kräftig, klotzig, hain-
buchern, aber deutsch und wahr. Das erst stieg den Feinen
in die Nase. Seitdem gelte ich als „ungebildet“. Aber wenig-
stens haben sie mich nicht in ihren Model gepresst; ich habe
mein Selbst gerettet — und das danke ich dir, göttliche
Grobheit!
Aus dem Nachlasse des H. Jeremias Grobschmied. Mit innerer Empörung heraus*
gegeben von Otto von Leixner.

Im Anfang hat es nur Männer auf der Welt gegeben.


Yarencso edel, brav, friedfertig, dass alle nach dem Tode
sorort zu Engeln ernannt worden sind. Als aber der Andrang
sann der liebe Gott auf Aushilfe und erschuf
' "Eider. Diese brachten es fertig, die Mannsleute so zu
verderben, dass es im Himmel jetzt oft an Engeln fehlt und

7
Nr. 1 und 2 JUGEND 1896

Theaterleute.
Von Ferdinand Bonn.
Der Intendant. Der Liebhaber.
Der Höchste ist der In- Der junge Mensch in heisser Gluth
tendant, Gar oftmals etwas Dummes thut
Oft wird er Exzellenz ge- Und geht zu Grunde, wenn er kann.
nannt. Man nennt’s Tragödie dann und wann.
Er schrieb einmal ein Liebhaber auch in unsrer Zeit,
schönes Stück, Vor Allem sei nicht zu gescheid !
Dass man’s nicht gab, das Er spielt sein Fach jahraus, jahrein,
war ein Glück! Fast jedesmal bei Mondenschein.
Novizinnen der hohen Er lächelt immer — auch im Tod,
Kunst Und schminkt sich nur mit weiss
Erfreuen sehr sich seiner und roth.
Gunst. Die Mädchenschaar schwört nur
Er ist nicht stolz und hat bei ihm
sie gern Und schreibt ihm Briefchen anonym,
Trotz seinem grossen Dies macht ihn schliesslich geistes-
Band und Stern ! schwach —
Hat 25 Jahr man ihn Er geht dann in ein ält’res Fach.
Geärgert stets durch Dick und Dünn,
Beschimpft, gezogen hin und her,
Dann-hält sein Jubiläum er! Der Bonvivant.
Das ist der schöne „Bong-vi-vang“,
<6? Ist bei der Bühne meist schon lang,
Denn bis er die Manieren fand,
So manches liebe Jahr entschwand.
Den Rock, den trägt er offen blos
Und eine Hand im Hinterschooss,
Der Regisseur. Denn das beweist ein froh’ Gemüth,
Dann — dass man auch das Futter sieht!
Ist dieser „Ober“, wie gar oft,
Er von der Kunst längst nichts mehr Auch Schnurrbart hat er dann und wann,
hofft. Weil er ihn meistens brauchen kann.
Einst trug er manches Ideal, Er spielt „natürlich“, aber wie!
Jetzt ist ihm alles ganz egal! Versteht man auch die Hälfte nie !
„Kinder!“ ruft er voll Bonhomie — Tragödie hat er auf dem Strich
Geht’s nicht, dann brüllt er wie ein Vieh! Und ärgern thut ihn fürchterlich,
Dass man Tragöden Orden giebt!
\,Gross“ wird er nie — doch „sehr
// beliebt“!
'5r
Der Charakterspieler.
Der Held. Das ist der böse Franz von Moor,
Das ist der Held, der Hauptathlet. Als Intriguant stellt er sich vor.
„Da seht mal, wie ein König geht!“ Er hat ein Weib und Kinder acht.
Die Rollen kann er meistens nicht, Man glaubt es regnet, wenn er lacht.
Was braucht er das mit dem Gesicht! Den Franz von Moor, den lässt er
Da — wie er sagt — ein Antrag lockt, nicht,
Ist er stets mürrisch und verstockt! Bis ihm dereinst das Auge bricht.
Er spielt die grossen Menschen nur, Er reisst stets zwei Coulissen um,
Das sieht man g'eich an der Statur. Verachtet Press’ und Publikum.
Er hat viel Schulden, auch 'ne Frau, Perrücken hat er „eine“ zwar,
Doch dieses weiss man nicht genau. Doch geht er meist im eignen Haar.
Er hat ein mächtiges Organ, Denn, tritt er auf, so weiss man
Das wendet er auch immer an, schon,
Ob leis, ob laut und auch beiseit, Jetzt kommt der wahre Höllensohn.
Dem Helden ist es wurscht — er schreit! Er ist zumeist ein braver Mensch,
Den Shakespeare kennt er „aus-e-
wend’ch“.
<6?
*
8
1896 JUGEND Nr. 1 und 2

Der Souffleur. Ihm gieng die Stimmung längst dahin,


Er knurrt in seinem Kasten drin
Und schnupft und schneuzt als wie ein Bär,
Zu Neujahr wird er freundlicher.

Der Inspicient.
Ein Biedermann, der Inspicient,
Der immer denkt: „Wär’s nur zu End“!
Stets macht er „Bst“, auch wenn’s ganz still.
Er blitzt und donnert, wenn man will,
Der Mann im Kasten — oder Frau —- Macht Sturm und Regen, Feuersbrunst
Wird bald vor Zorn und Aerger grau! Und „schickt hinaus“ mit vieler Kunst,
Dem einen, der grad etwas kann Und ist’s bei einer falschen Thür,
Schreit viel zu laut der gute Mann — So kann er niemals was dafür.
Der andere, den’s nicht interessiert, Wenn Beifall tönt — in schnellem Lauf
Sagt: Schreien Sie nur ungeniert! Kommt er und macht die Klappe auf.
Kommt kein Applaus oder nur dünn „Melkt“ er am Vorhang hin und her,
So schimpft und tobt man gegen ihn : So klatscht man dann noch heftiger.
„Das Vorhangzeichen kam zu spät, Und lässt er gar die Klappe offen,
Die Stimmung da zum Teufel geht!“ — Darf man auf weitern Beifall hoffen !

Der Theaterdiener.
Der weiss genau, woher der Wind,
Ob’s Stück gefällt — wieviel drin sind,
Wer nächstens eine Rolle spielt —
Und wer jetzt im Bureau befiehlt —
Mit wem jetzt die Naive geht —
Wie’s mit des Helden Vorschuss steht —
Warum man die nicht engagiert —
Dass sich der neue Gast blamiert!
Trägt er wo eine Rolle hin,
Geht’s im Galopp mit frohem Sinn !
Doch holt er eine Rolle — ha —
Als Leichenbitter steht er da !

(Die zart’re Hälfte der Materie


Behandelt eine weit’re Serie!)

Grabschrift
auf einen grossen Arzt.
Hier ruht von falschen Diagnosen
Ein ordentlicher Professor aus:
Nicht schützten grössere Jodkali-Dosen
Ihn vor dem kleinen Bretterhaus.
Er ward an’s eigne Krankenbett berufen,
Doch eh’ sich auf sich selbst besonnen
Der arme so berühmte Mann,
Stand er schon auf den Himmelsstufen.
Er war kein grosser Geist — ein wenig Streber
Er nahm nicht viel und war kein Filz,
Sein letztes Wort war: „’s sitzt mir in der Milz!
Post mortem aber sass es in der Leber! —
Serenissimus: Sehr hübsch, das Porträt von Gräfin Deggen- Fritz Murner.
dorff! Sehr ähnlich!
Der Herr Direktor: Gestatten Ew. Durchlaucht die unmass-
gebliche Bemerkung, dass das Portät eigentlich im Grunde,
sozusagen, nicht die Gräfin Deggendorff, sondern die Gräfin
Meggendorff darstellt —
Serenissimus: Ach! Die Meggendorff? — Auch sehr ähnlich!
9
Nr. 1 und 2 JUGEND 1896

Zeichnung von F. A. v. Kaulbac«

IQ
1896 J U ©E N D Nr. 1 uad 2

Singsang. Und ich fasste ihre Hand | Er kam von einsamer Küste,
Weis- nicht wie’s geschah. Sein Wort übertönte das Meer,
Wie sehnt’ ich dem Schlafe mich nach! — Ganz verlegen an der Wand Viele Tage gingen zur Rüste,
Schon hielt ich das Glück an den Fäden Stand ich vor ihr da. Doch wachend wanderte er.
Da pochte die Sonn’ an die Läden —
.

Wie sehnt’ ich dem Schlafe mich nach! Woher nahm ich nur den Muth, Der Fels riss die Füsse ihm blutig,
Dass ich nach und nach Sein Haupt umheulte der Föhn,
Aus Träumen nur schwebt es empor, Kühner ward, doch weich und gut 1 Seine Seele aber blieb muthig,
Was all’ Du für Wonnen umschliessest, Also zu ihr sprach: Und er ist in Stürmen noch schön.
Dir heimlich in Lieder ergiessest
Aus Träumen nur schwebt es empor. „Traf Dich just dasselbe Leid, Er hat in den Augen den Willen,
Kind, wie Deinen Freund? Der die Feinde sich bändigen kann,
Rings leuchtet die lachende Welt! Stillverschwieg’ne Einsamkeit Mit seinem Lächeln, dem stillen,
Weh’ — wehe, getrennt sind die Herzen, Hat uns ja vereint! Sagt er: Ich werde ein Mann.
Sie schwelgen in suchenden Schmerzen -
Rings leuchtet die lachende Welt! Komm’, wir plaudern in der Still’! Nun kommt er schon auf die Berge,
Ich erzähle Dir, Seine Stimme ward lauter und voll,
Italisches Blüthengepräng! Was ich sehne, was ich will! Und drunten das Heer der Zwerge
O, reib’ Dir den Schlaf aus den Augen! Mädchen, komm’ mit mir!“ Weiss nicht, was da werden soll.
Was können die Nebel Dir taugen? -
Italisches Blüthengepräng! Doch, wir sassen still und stumm; Dem Ziele näher und näher,
Manchmal seufzt’ ich nur, Und keinen Schritt zurück:
Hab’ Dank, Du mein stolzes Florenz! — Eine Katze schlich herum Er ist ein Wolkenspäher
Tags müssen uns Rosen gedeihen, In dem dunklen Flur. Voll Sturm und Sternenglück.
Tags adelt die Freude den Freien
Endlich fand ich’s, und ich sprach Du mit dem Trotze des Bauern,
Hab’ Dank, Du mein stolzes Florenz!
Ganz verlegen nur, Der Königsthrone sich baut,
Florenz, April 1895. OTTO ERICH HARTLEBEN. Bis ich auf den Knien lag Ich fühle Dein Glück wie ein Schauern,
In dem dunklen Flur. Deine Zukunft hab’ ich geschaut!
Antwort war ein Druck der Hand; . FRANZ EVERS.
Ach, ich will’s gesteh’n,
Dass der Mund zum Mund sich fand,
Keiner hat’s geseh’n.
Mein Aschenbrödel. Doch das Kätzchen dann und wann
Schnurrte schmeichelnd nur,
Auf der Treppe stand sie da, Sah uns ganz verwundert an
In dem dunklen Flur. In dem dunklen Flur.
Auf der Wang’ ich schimmern sah LUDWIG SOYAUX
Heller Thränen Spur.
Alles still im weiten Haus,
Kein Gespräch, kein Wort,
£
Nur das Knispern einer Maus;
Brüder, Schwestern fort! So seh’ ich ihn.
Draussen fliegen sie zum Tanz, Ich sehe, vom Licht bezwungen,
Vor der Stadt im Wald, Meere links und Felsen rechts,
Flechten Blatt und Blum’ zum Kranz, Heute den Geist des jungen,
Lust und Lied erschallt. Des kommenden Geschlechts.
1896 JUGEND Nr. 1 und 2

ZWEI FREUNDE \■

EIN KÖNNER vnd EIN KENNER

BÖCKLIN vnd BAYERSDORFER


SO SETZTE ICH DEN EINEN, UND DEN ANDERN STELLTE ICH HINTER IHN, IN MEINEM GARTEN ZU
MÜNCHEN, ALS WIR WEIN VOM DEUTSCHEN RHEIN GETRUNKEN HATTEN, AM 18. JULI 1894. MIT DIESEM
LICHTBILDE WOLLTE ICH EIN KLEINES INTIMES DENKMAL SETZEN DER MERKWÜRDIGEN FREUNDSCHAFT
ZWEIER ÄCHT DEUTSCHER KUNSTMENSCHEN, WELCHE, SO GRUNDVERSCHIEDEN, SICH ERGÄNZEN
UND JEDER IN SEINER ART DEM KUNSTVERSTAND UNSERER ZEIT ZUR HOHEN EHRE GEREICHEN.
INDEM ICH HIER DEN GROSSEN UNVERGLEICHLICHEN ARNOLD UND SEINEN FEINSINNIGEN GELEHR-
TEN RUHMKÜNDER ADOLF BILDLICH VEREINIGTE, KONNTE ICH AUCH DEM AMMENMÄRCHEN VON
DER NOTHWENDIGEN GEGNERSCHAFT ZWISCHEN KÖNNERN UND KENNERN EINS VERSETZEN. DENN
DAS IST JA DAS SCHÖNE, DASS WIR ANDEREN, DIE WIR NICHT SELBER BILDEN, DAS WALTEN DER
KÜNSTLERISCHEN PHANTASIE LEBHAFT ANFÜHLEN KÖNNEN, WEIL WIR VON DEN KÜNSTLERN, UND
NICHT BEOS VON EINEM, GELERNT HABEN, DIE NATUR MIT IHREN AUGEN ZU SEHEN. UNSER GEIST
IST DOCH SO GEMACHT, DASS WIR VIELERLEI ANDEREN GEIST IN UNS AUFNEHMEN UND VERGLEICHEN
UND DAS VERGLICHENE, MIT ODER OHNE EIGENE ZUTHAT, ZURÜCKSTRAHLEN KÖNNEN. DARUM HAT
DIESES EINFACHE LICHTBILD EINEN TIEFEN SINN, UND DER FREUNDLICHE LESER DER JUGEND MÖGE
AUS DEM ANBLICK DIESER BEIDEN EWIG JUNGEN HOFFNUNG UND FREUDE SCHÖPFEN FÜR SEIN KÜNST-
LERISCHES MENSCHENTHUM, UND MÖGE SICH DURCH DIE DIABOLISCHE ERSCHEINUNG DES IN WIRK-
LICHKEIT EBENSO GUTHERZIGEN ALS GEISTREICHEN UND GELEHRTEN ADOLF NICHT ABHALTEN LASSEN,
- DEM GROSSEN ARNOLD RECHT TIEF IN DIE HELLEN KLAREN AUGEN ZU BLICKEN UND DEN BEIDEN
•- FÜR IHREN DER DEUTSCHEN KUNST SO ERSPRIESSLICHEN FREUNDSCHAFTSBUND ZU-
-DANKEN. MÖGE DIESER BUND NOCH RECHT LANGE INS NEUE JAHR-
-HUNDERT HINEIN WÄHREN, UND MÖGE DER STARKEN --
--- HAND, DIE HIER DIE ZIGARRE HÄLT, EINE-
-TIZIANISCHE LEBENSDAUER---
---BESCHIEDEN SEIN! --
_GEORG HIRTH-—-
Nr. 1 und 2 JUGEND 1896

Demi-vierge.

3. (Horreur! eile est cul-de-jatte)


Pardon Mademoiselle, Voilä sans doute ce que les Frangais
1. Elle: Je ne puls resister ä tant d’amour. . . apellent une demi-vierge ! Radiguet (Paris).
fuyons dans une autre patrie

Wie geht es ihr?


Zum zweiten Mal ward er in’s Städtchen verschlagen,
Wo er kühn einst umschwärmt zweier Augen Zier,
Und er fragt unter hundert anderen Fragen:
»Sagt einmal, Freunde, wie geht es ihr?«
»Sie alterte rasch, nachdem du geschieden.
So geht’s den Gesichtern wie Milch und Blut.
Doch sie lebt so weiter. Sie ist zufrieden.
Sie gibt ihre Stunden. Es geht ihr gut.« —-
O du, der du einstmals die Liebliche küsstest,
In’s Herz ihr gegriffen, gewandt und dreist,
Sie ist zufrieden, — o wenn du wüsstest,
Zufrieden, Frevler, — was das so heisst!
Nachdem der Gram ihr die Kräfte zerrüttet,
Nachdem sie gebrochen von innrem Streit,
Nachdem sie all' ihre Thränen verschüttet,
Kam ihr die müde Zufriedenheit.
Sie hat ihre Jugend zu Grabe getragen,
Gehungert, gefiebert nach dir, nach dir,
Der jetzt flüchtig, unter viel' anderen Fragen
2. Lui: O Joie! (II l’enlfive) Die Frage hinwirft: »Wie geht es ihr?« Frida Schani.

Sinngedichte
von Ludwig Fulda.
Wer nach Thalia’s Aufenthalt Ein rechter Gottesfechter,
Noch sucht in kunstgeweihten Räumen, Die echte und grosse Liebe ist Am allerbesten ficht er
Der kann den deutschen Dichterwald Der allerglücklichste Kapitalist; Gen Wichter und Gelichter
Nicht sehn vor lauter Purzelbäumen. Sie erntet Zinsen, an die sie nicht Mit schallendem Gelächter.
denkt,
Und wird stets reicher, je mehr sie Lang Ersonnenes
Merk' dir, eh’ dich Erfolge verblenden: verschenkt. Lähmt die Hände;
Um Ehre geizen, heisst Ehre ver- Frisch Begonnenes
schwenden. Drängt zum Ende.

14
1896 JUGEND Nr. 1 und 2

war! Ganz wie ein kleiner Hund, wie Toutou mir treu ist!
Und ich hätte genug Andere haben können! Oh ja! — Und
nun hat er mich nicht mehr lieb und lässt mich einfach
laufen!«
Sie warf sich wieder auf die Ottomane und schluchzte:
»Das ist mein Tod! Ich gehe in die Seine. Du wirst
eines Tages an der Morgue Vorbeigehen und mich kalt und
starr hinter den Glasscheiben liegen sehen. Dann wirst Du
Gewissensbisse bekommen und wieder daran denken, wie
lieb Dich die arme Nichette gehabt hat!«

Eine ganz alte Geschichte aus dem modernen Leben, erzählt


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von F. v. Ostini.
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Illustrirt von R. W. Hans wischte schweigend an seinem Pastell herum. Das


Der Maler Hans Bergen ging mit nervösen Schritten in Mädchen schluchzte fort.
seinem engen Atelier auf und nieder, hoch oben auf dem »Oder ich weiss, was ich thue. Ich gehe mit Wertakoff!
Montmartre in Paris. Hin und wieder blieb er zerstreut vor Er hat mir erst neulich geschrieben.«
seiner Staffelei stehen und wischte mit dem Finger irgend »Er ist reich und obendrein ein Russe. Das ist ja auch
etwas aus in einer halbvollendeten Pastellskizze. Sie stellte ein Vorzug!«
den Kopf eines Mädchens dar, der unter der Krempe eines »Oh! Du bist abscheulich! Und diesem Menschen war
blumenbedeckten Riesenhutes herauslachte; sündhaft ver- ich treu! Zwei und ein viertel Jahr! Wie mich das reut!«
gnügt blickten ein paar braune, grosse Augen aus dem netten »Wie sie das reut!«
Gesichtchen. Der leichtgeöffnete Mund schien irgend ein »O spotte nur! Du hast mich nie geliebt — und nun
übermüthiges Chanson zu trällern. In den lichtgelben Hinter- geh’ Verräther!«
grund des Bildes hatte Hans mit blauer Schrift geschrieben: In Wahrheit ging sie, nahm ihren Pinscher unter den
»Mont-joie-Montmartre«. Arm und näherte sich der Thüre. Hans ging ihr ein paar
Schritte nach, dann zwang er seine weiche Regung nieder.
Es war besser so.
»Leb’ wohl, Schatz!«
Die Augen waren ihm doch feucht geworden über dem Ab-
Auf einer Ottomane unter dem hohen Fenster lag das schiednehmen und als die Thüre zugeschlagen war zwischen
Original des Bildes — Nichette. Sie schluchzte zum Herz- Nichette und ihm, warf er ihr eine Kusshand nach!
brechen und rauchte Cigarretten dazu. Sie liebkoste mit »Es war doch schön! Und nun schnell uavon, bevor
ihren Fussspitzen einen kleinen hässlichen Pinscher, der auf sie etwa wieder kommt!«
dem Fussende der Ottomane lag und dann stiess sie ihn Ein Viertelstunde später war er mit seinem Handkoffer
wieder so heftig, dass er laut aufquickste! — — unten beim Concierge, dem er auftrug, auf seine Sachen
»Nein, nein, nein! Hans, das kann nicht Dein Ernst wohl Acht zu geben. Eine Kutsche kam heran: »Zum Ost-
sein!« bahnhof!« Mit Höllengepolter rollte das Gefährte die steile,
»Und er ist es doch, mein Kind! Es geht nicht mehr schlechtgepflasterte Strasse hinab.
weiter so! Ich komme nicht vorwärts, ich vergeude meine Hans wendete sich noch einmal um. Da glänzte das
Zeit, mein Geld, mein Talent! Was male ich denn! Nichette, Baugerüst der schwerfälligen Herz-Jesu-Kirche auf dem Mont-
Nichette, Nichette! Nichette lachend und weinend, Nichette martre in der Abendsonne, dort ein Flügel der alten Wind-
als Nonne, als Nixe, als Eva und als Pierrette, als büssende mühle. Auf den äusseren Boulevards wogte dichtes Menschen-
Magdalena und als Plakatfigur für ein Cafe chantant. Ich gewimmel, Arbeiter mit ihren Schätzchen, Bummler, Künstler,
habe Dich als Velocipedistin gemalt, als Zigeunerin, als Soldaten. In der Schenke zur »Todten Ratte« stimmten die
Madonna und letztes Jahr — als die grossen Holzschuhe Zigeunermusikanten ihre Geigen. Ein paar Dämchen mit
Mode waren — sogar als Kartoffelleserin. Aber wo war ein grotesken Hüten sassen vor der Kneipe bei ihrem Absinth,
Erfolg? Wo ist die Kunst? — Das muss ein Ende haben! ihrem Glase Bier. Modelle! Sie nickten dem vorüberfahrenden
Es ist trostlos!« Hans zu. Lachen, Scherzen!
»Trostlos bist Du mir gerade nicht vorgekommen die Das fröhliche Dämmerungstreiben auf dem Zauberberge
Jahre her — Du Undankbarer!« begann.
Sie stand auf und schlang ihre Arme um seinen Hals. »Mont-joie-Montmartre I«
»Denke nur, wie wir vergnügt waren, mein deutscher Berg der Freude Berg der Qual!
Brummbär! Hast Du Alles vergessen? Alle die herrlichen
Soupers im Bois, die Sonntage in Versailles, die Kahnfahrten
z._ C--
auf der Marne, die Dejeuners dann in den grünen Lauben, . ... .
w—w—— ———>

die Ausflüge nach Fontainebleau! — Und das nennt er


trostlos I«
MM 1 ' i =— t—1¥—

»Es war nur zu hübsch, liebes Kind, zu hübsch und zu Mit eintönigem Geknatter sauste der Eilzug durch die
viel. Ich muss aufwachen aus diesem Taumel, sonst ist es Gefilde der Champagne. Die schlechte Beleuchtung und das
um meine hellen Augen auf immer gethan. Verstehst Du Stossen des Wagens machten es Hans schwer, zum zehnten
denn das nicht?« Male den Brief zu lesen, den er in Händen hielt, den Brief,
»Ich verstehe nur, dass Du mich los sein willst! Und der ihn aus Nichette’s Armen nach Hause rief. Ein Glück,
dass ich sehr unglücklich bin! Du weisst, wie treu ich Dir dass die Schrift seines Freundes Ferdinand so gediegen und

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1896
Nr. 1 und 2 JUGEND

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Mademoiselle la Premiere. Zeichnung von Steinlen (Paris).


1896 JUGEND Nr. 1 und 2

leserlich war. Kein Graphologe der Welt hätte aus diesen Mit allzuviel Behagen fand sich Hans allerdings nicht
Zügen dem Schreiber irgend eine bedenkliche Charaktereigen- in die Rolle des verlorenen Sohnes und er wurde Anfangs
schaft zugesprochen. Der Brief lautete: das Gefühl nicht los, dass der Friede nicht von langer Dauer
»Lieber Hans! sein könne. Für’s Erste freilich tröstete ihn über alles Bangen
Im Aufträge Deines Onkels und Vormundes, des Herrn um die Zukunft die unendliche Güte und Lieblichkeit hinweg,
Engelbert Landgraf in Eisenach, schreibe ich Dir diese Zeilen die ihm Margarete entgegentrug. Sie gestand ihm, als er
und bitte Dich von vorne herein, das Unangenehme, welches sich ihr beim ersten Alleinsein mit vollem Herzen näherte,
sie etwa enthalten sollten, mir nicht persönlich zur Last zu rückhaltlos zu, dass sie ihm immer gut gewesen und gut
legen. Also sei mir darum nicht böse, dass ich es sein muss, geblieben sei. Dann freilich hielt sie erröthend inne und
der zunächst die Hand bietet, Dich einem anscheinend sehr ihre Augen wurden feucht. Wie er aber dann, berauscht
interessanten und vergnüglichen Leben zu entreissen. Aber von ihrer unschuldigen und doch hingebenden Art, den Arm
es wird sich ja Alles zum Guten wenden. um sie schlang und den ersten Kuss von ihren Lippen
Und nun gleich in medias res! pflückte, duldete sie diese Liebkosung doch und erwiderte
Der Onkel lässt Dir Folgendes mittheilen: Dein mütter- sie. Hans durchlebte jetzt Tage stiller Wonne, in welcher
liches Erbe ist bis auf Weniges aufgebraucht und zwar bist alle seine trüben Ahnungen und Bedenken untergingen. Ein
Du, wie du zugeben wirst, mit der stattlichen Summe etwas starker Unterschied war freilich zwischen dem ungebundenen
schnell fertig geworden in Paris. Hättest Du als Künstler Zigeunerleben auf dem Montmartre und der starren, pflicht-
etwas Rechtes erreicht — ich spreche die Meinung Deines treuen Regelmässigkeit, nach welcher Onkel Engelbert das
Onkels aus und mafse mir durchaus kein eigenes Unheil Leben in seinem Hause eingerichtet hatte.
an — so würde er Dir gerne die Mittel zu weiterem Studium Hansens Jugendfreund, Ferdinand Rosner, lebte als Pro-
in Paris gegeben haben. So aber will er von einer Fort- kurist des Onkels fast ganz mit in der Familie. Er war ein
dauer Deines dortigen Aufenthaltes nichts wissen und ver- bescheidener, stiller Mensch, klug genug, um seinen Posten
langt kategorisch, dass du möglichst umgehend nach Hause auszufüllen und jedenfalls von der ehrlichsten Freundschaft
kommst und Dir irgendwie ein geordnetes Leben einrichtest. für Hans beseelt. Der Letztere fand in dem Freunde aber
Ich habe es durchgesetzt, dass Dich keine Vorwürfe, keine das nicht mehr, was er früher an ihm gehabt hatte. Der
unangenehmen Abrechnungen erwarten, soweit sich die letz- Gegensatz zwischen der Jugend des Freundes und dessen
teren nur überhaupt vermeiden lassen. Dein Vormund hat sentenzenreicher und etwas kleinlicher Weltanschauung be-
Dich so lieb wie immer, nur will er Dich in einer Situation rührte Hans oft wie ein Missklang und das liess nicht mehr
wissen, die es Dir ermöglicht, einen Hausstand zu gründen. die alte Freundschaft im Verkehr der beiden jungen Männer
Und weisst Du, an wen er in erster Linie dabei denkt? An aufkommen und hin und wieder geriethen sie mit ihren ver-
Margarete, seine Tochter, die, seit Du von hier fort bist, aus schiedenartigen Lebensbegriffen auch etwas heftig aneinander.
einem unbedeutendem Backfischlein ein prächtiges grosses
Mädchen geworden ist. Es müsste sich wohl Jeder glücklich
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preisen, der um sie werben dürfte und es hat auch schon


Mancher um sie an Vaters Thür gepocht. Aber ich glaube, Es war eines Sonntags nach Tische. Man hatte ein paar
sie denkt immer noch an den Vetter in Paris und aus der Flaschen Rheinwein ausgestochen und als das Ergebniss ge-
Kinderfreundschaft ist nach und nach eine stille, treue Liebe ringfügiger Ursachen lag eine Stimmung zu Widerspruch
geworden. Sie hat oft geweint um Dich, wenn man hart und Streit in der Luft. Herr Engelbert Landgraf war auf
von Dir redete. Wenn Dich auch nichts Anderes bewegen sein Lieblingsthema gekommen, die deutsche Frau und ehr-
sollte, den Wünschen Deines Vormundes zu entsprechen, liche deutsche Minne auf Kosten der Weiber aller fremden
ich denke, Du wirst es doch darum thun, weil er zugleich Rassen und fremden Liebesverhältnisse kräftig herauszu-
Margaretens Vater ist. streichen. Ferdinand secundirte ihm energisch und wandte
So kehre denn in Bälde zu uns zurück, lieber Freund, seinen ganzen Reichthum an Redensarten auf, Hans in die
und zwar mit heiterem Gesicht, Du gehst ja dem Glück Enge zu treiben »mit seinen Französinnen«, wie sie es
entgegen. Auf mich kannst Du in allen Dingen zählen, wir nannten, obwohl sie über das Verhältniss, in dem er in Paris
bleiben die Alten, nicht wahr! zum Weibe gestanden, noch sehr im Unklaren waren.
Es umarmt Dich herzlich in Gedanken und hoffentlich Ferdinand beendete eben eine längere Rede:
bald in Wirklichkeit Dein treuer Freund Ferdinand.« ’ und die ist allein die würdige Genossin des Mannes,
Hans schloss die Augen, als er den Brief wiederum zu die still und rein mit ihm lebt und eigentlich immer ihr
Ende gelesen hatte, und vor seinem Geiste stieg nun immer Myrthenkränzlein auf dem Kopfe behält! Die ihr Glück in
holder und greifbarer das Bild des blonden, schlanken Mäd- dem engen Kreise sucht und findet, den Ihr die Sitte vor-
chens auf, das um ihn geweint und das er im Taumel des schreibt, und die über diesen nie hinausstrebt. Die in dem
Lebens fast vergessen hatte. Ein bitteres Ding, gemischt Gatten ihren Herrn sieht und an seiner Ueberlegenheit
aus Heimweh und aus Reue, quoll in seinem Herzen! nicht rüttelt in Dingen, die ihn allein angehen in Beruf und
Und während er dann endlich doch, immer von der öffentlichem Leben. Die nicht begehrt, nicht befiehlt und
Jugendgespielin träumend, einschlief, donnerte der Zug der keine andere Herrschaft im Hause sich anmafst, als die der
Grenze Deutschlands zu. höheren Sittlichkeit; die nicht die Geliebte ihres Mannes ist,
sondern sein Weib in dem Sinne, in dem die Frau die be-
rufenste Hüterin der heiligen Gesetze unserer gesellschaft-
lichen Moral ist.«
Im Hause Landgraf hielt man Wort. Hans ward ein Hans, der sich schon durch das ganze vorhergegangene
freundlicher Empfang zu Theil, kein Gericht ward für’s Erste Gespräch gereizt fühlte, fuhr jetzt heraus:
über ihn gehalten und selbst, als der Onkel mit dem Heim- »Aber Ihr wisst ja gar nicht, was Frauen sind, Ihr in
gekehrten über das verbrauchte Geld Abrechnung hielt, fiel Eurem Krähwinkel! Oder Ihr wisst wenigstens nicht, dass
kein hartes Wort von Seite des alten Herrn. es noch etwas Anderes gibt, als Eure blonden Madonnen-

17
Nr. 1 und 2 j [G E N D
1896
Nr. I und 2 JUGEND 1896

Frauen, die Geist und Herz haben, aber nichts von Eurer und will darum noch einmal Milde walten lassen unter der
legitimen Spiessbürgerlichkeit und hausbackenen Tugend. Und folgenden Bedingung:
diese Frauen machen glückselig wie die Andern, aber ohne Du reisest sofort ab und trittst als Musterzeichner in
jede Beimischung von Langeweile. Es ist ein schönes Ding die Fabrik meines Bruders Theodor in Elberfeld ein, eine
um die Tugend — aber Rasse und Anmuth sind auch nicht Stellung, die er Dir schon lange angeboren hat. Du lebst
übel! Allen Respekt vor der Tadellosigkeit und Reinheit dort ein Jahr streng und treu Deiner Pflicht; sie wird nicht
Eurer Familienmütter und Hausengel! Aber unter denen, leicht und nicht heiter sein. Wenn Du aber ausgehalten
die Ihr verachtet, sind auch Frauen, die liebenswerth sind. und damit gezeigt hast, dass Du noch Willenskraft und sitt-
Und Eure Tugend ist ja doch meist nur Mangel an Lebens- lichen Ernst besitzest, dass man Dir das Geschick eines reinen
muth, Eure gesellschaftliche Moral ist einfach Selbstsucht, Weibes anvertrauen kann — gut! Dann soll von heute ab
die sich die Aussicht verdirbt durch eine Mauer um den in einem Jahr Hochzeit sein. Wenn nicht — auch gut!
eigenen Garten, blos damit die Nachbarn nicht hereingucken Dann bist Du frei und kannst Dein Glück versuchen, wo
können. Wenn Ihr wüsstet, wie süss die Dinge sind, die Ihr Du magst. Denk’ an den Preis, den es gilt, wenn Dir die
Euch selber verboten habt, wie heiss die Sünde küssen kann —.« Probe sauer wird!
»Du scheinst Dich ja sehr gut auszukennen in solchen Du sollst weder mein Kind, noch mich erst nochmals
Dingen?« sehen, sondern sofort abreisen. Das Nöthige überbringt Dir
»Ja! Wenn Ihr es wissen wollt! Ich war zwei Jahre Ferdinand, an dem Du Dir übrigens ein Muster nehmen
durch die Liebe eines Weibes glücklich, das Freund Ferdinand kannst in jeder Beziehung. Dein alter Oheim Engelbert,
mit seinen grossen Worten als »Verlorene« bezeichnen würde der Dir trotz Allem so gerne ein väterlicher Freund bleiben
— und sie hat mich geliebt, hat mich keinen Augenblick möchte.« —- — —
gelangweilt, keinen Augenblick betrogen!« Hans willigte in Alles ein! Es ward ihm selbst bange
»Und sie hat Dir Herz und Hirn vergiftet, hat Dir Deine um seine Zukunft. Margareta’s treue Güte rührte ihn tief
Thatkraft gestohlen und Dein Talent —« Also in Gottes Namen nach Elberfeld!
Hans, dem der Wein und der Aerger über Ferdinands
selbstgenugsame Tugend die Sinne verwirrt hatten, so dass
er viel mehr gesagt, als er wollte und als ihm von Herzen
kam, sprang auf und wollte zum Fenster, um frische Luft Mit einer wahren Wuth stürzte sich der Verbannte auf
in die dumpfe Stube zu lassen. Als er sich dabei umwendete, seinen neuen Beruf, er begann mit sich selbst einen Kampf
sah er Margareta unter der Esszimmerthüre stehen. Sie bis auf’s Messer. Die ödesten und ermüdendsten Aufgaben
hatte seinen ganzen Dithyrambus auf die Frauen nach seinem fasste er gerade mit dem grössten Eifer an. Selbst als der
Geschmacke und sein letztes Geständniss mit angehört und, Onkel verlangte, er solle sich durch einen alten Buchhalter
todtblass geworden, lehnte sie am Thürpfosten. Als ihr in die Geheimnisse der doppelten Buchführung einweihen
Hans erschreckt in’s Gesicht sah, eilte sie unter Schluchzen lassen, unterzog er sich auch dem. Er fügte sich darein, zu
hinaus. Jetzt sahen die Anderen auch, wer Zeugin ihres arbeiten, nicht nach Laune und Stimmung, sondern un-
Streites gewesen war. abänderlich von acht bis zwölf, von zwei bis sieben Uhr
Da brach Herr Engelbert los: jeden Tag. In einem kahlen, engen Raume zeichnete er
»Nun ist meine Geduld zu Ende! Wahrhaftig, Du hast Kattunmuster ohne Ende. So zog ein Monat dahin, ein
Langmuth genug erfahren hier. Wir haben Dich ohne Vor- zweiter, ein dritter begann. Aus Margareta’s Vaterhause
würfe aufgenommen, ich habe Dir die Grete trotz allem Vor- kamen nur kurze, geschäftsmässige Zeilen von Ferdinand.
hergegangenen zur Frau geben wollen, weil ich Dich doch Durch diesen hatte ihm vor der Abreise der Onkel noch
im Grunde für einen braven Kerl hielt. Aber jetzt hast Du sein Ehrenwort abgenommen, dass er, Hans, nie an das
Dein wahres Gesicht gezeigt — Du bist verdorben bis in’s Mädchen schreiben wolle.
Mark hinein. Jetzt könnte ich Dir mein Kind nicht mehr Mit jedem Tage fühlte sich der junge Maler unglück-
anvertrauen, auch wenn ich wollte! Das Nähere hörst Du licher in seiner neuen Stellung, immer härteren Kampf
noch! Komm, Ferdinand!« kostete es ihn, die übernommene Pflicht durchzuführen.
Sie verliessen die Stube. Im Hinausgehen machte Fer- Sein neuer Brodherr quälte ihn. Was Hans wirklich gelang,
dinand dem Freunde ein Zeichen: »Es ist nicht so schlimm, war dem alten Herrn nie recht. Was diesem gefiel, kam
lass’ mich nur machen!« Hans wie ein Verrath an der Kunst vor. Und diese ganze
Umgebung von verknöcherten alten Zahlenmenschen, ge-
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• . 1. schniegelten Commis, geschwätzigen Reisenden, die ihm bei
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jeder Gelegenheit freundliche Belehrung zu Theil werden
Hessen, von misstrauischen Verwandten, die ihm seine Sträf-
Spät Nachts brachte man Hans, der in bitterer Reue lingstellung zu fühlen gaben, so oft sie konnten!
seinem so thöricht verscherzten Glück nachdachte, einen Eines Tages hatte er eine Arbeit beendet, die er mit
Brief des Onkels! Er brach ihn mit fiebernden Händen auf ganz besonderem Fleiss durchgeführt. Herr Theodor Land-
und las: graf nannte sie albernes Zeug. Hans wurde heftig, der alte
»Ich habe Dir gesagt, dass Alles zwischen uns, zwischen Fabrikant beleidigend und als ihm der Maler die Arbeit
Grete und Dir zu Ende sei und würde davon kein Jota zurück- schliesslich zerrissen vor die Füsse warf, nannte ihn jener
nehmen, wenn nicht mein Kind auf den Knien Fürbitte für einen Tagedieb, der nie in seinem Leben auf einen grünen
Dich eingelegt hätte. Sie ist aus Kummer über Dein Ge- Zweig kommen werde!
bahren erkrankt und da habe ich es nicht über’s Herz bringen
können, ihr Flehen unerhört zu lassen. Du weisst nicht,
welchen Engel Du in ihr beleidigt hast und welches Mals
von Liebe sie für Dich hat. Ich Kann es nicht glauben, dass Da verlor Hans die Geduld und sagte, dass er nun seine
so viel Liebe und Güte Dir nicht zum Heile werden sollten Wege gehen werde. Er schrieb einen langen Brief an den
20
1896 JUGEND Nr. 1 und 2

Onkel, worin er Alles klar legte und mittheilte, er wolle sich ragte das graue saubere Schieferdach über die Bäume her-
auf eigene Faust eine Existenz schaffen bis zu dem be- vor, da war das Gartengitter, über das blühender Goldregen
dungenen Termin. Dann überschlug er seine kleinen Er- und Flieder in Massen niederquoll.
sparnisse und den Rest seines mütterlichen Vermögens — es Vielleicht konnte er Margarete im Garten überraschen.
reichte bei ruhigem, anständigem Leben auf ein Jahr zur Fort- Richtig — ein lichtblaues Kleid! — Er schlich leise
setzung seiner Studien in Paris. Arbeiten hatte er jetzt gelernt. heran! Da kam sie bis nahe ans Gitter her und neben ihr
Seine Koffer waren bald gepackt: vierundzwanzig Stunden ging Ferdinand. Sie sprachen. Von ihm? Er konnte es ja
später stand er in seinem alten Atelier, das er für das hören. Den Athem anhaltend, lauschte er.
laufende Jahr noch voraus bezahlt hatte. Er fand Alles in
altem Zustand. In einer Ecke allerdings hatte der Concierge ---
r-r
ein kleines Depot von Zwiebeln angelegt und etwas Wäsche
war zum Trocknen über die Staffeleien gehängt. Sonst war
nichts verändert. Das Pastellbild der kleinen Nichette, halb »— und nun meine ich, liebe Margarete, Sie könnten
ausgewischt in der Erregung jener Abschiedsstunde stand mich mit gutem Gewissen endlich erhören. Sie haben lange
noch da, sogar die Cigaretten-Endchen lagen noch auf dem genug gewartet — und überdies, wenn er auch jetzt noch
Teppich, wohin sie das schöne Kind damals mit dem ihm käme, Sie wissen, wie der Vater dazu denkt.«
eigenen Ordnungssinn geworfen. Ein Seufzer antwortete; nicht sehr lang, nicht sehr tief!
Am nächsten Morgen fing Hans zu arbeiten an, jetzt »Ach, Ferdinand, ich weiss ja, wie gut Sie es mit mir
mit Ausdauer und wahrem Eifer! Seine Freunde erfuhren meinen! Und doch! Darf ich denn?«
kaum, dass er da war, für keinen tollen Streich war er mehr »Sie dürfen, gewiss Margarete, Sie dürfen! Hans hat
zu haben. Er fühlte mit jeden Tag, dass er vorwärts kam. bewiesen, dass er nicht so viel inneren Halt hat, dass Sie
Oft hätte er aufjubeln mögen vor Freude darüber! Noch Ihr Geschick in seine Hände legen könnten. Die Leiden-
ein halbes Jahr! Und dann mit dem Errungenen vor die schaft allein gibt uns keine Gewähr wahren Glückes. Dazu
Sittenrichter der Heimath hintreten und sagen: »Da seht! gehören doch Achtung und Vertrauen.«
Das bin ich, durch eigene Kraft! In Freiheit und nicht in »Ferdinand, Sie wissen, dass ich Ihnen Beides in un-
Sack und Asche!« Und dann das traute Weib heimführen, begrenztem Maasse zolle.«
das doch liebenswerther war, als alle dunkeläugigen Hetären »Darf ich das zu meinem Gunsten auslegen, Margareta?
von ganz Lutetia zusammen! Da hinten über dem Kirchendache geht eben der Stern der
Noch einmal streckte die Sünde ihre runden Armen nach Liebe auf. Soll es unser Stern sein? Geliebtes Mädchen —
ihm aus. Nichette kam eines Tages wieder in’s Atelier. darf ich jetzt mit Ihnen zu Ihrem Vater gehen?«
Schöner, voller, eleganter als früher. Aber ein Hauch von »Sie sind ein braver, ehrenhafter Mann! Ich will Ihnen
Schminke lag auf ihrem Gesichtchen und ihre Augen brannten ein treues Weib werden. — Gehen Sie zum Vater!«
heisser und unstäter als vordem. Erst plauderte sie, erzählte, Sie beugte ihr Köpfchen gegen seine Brust und er küsste
dass sie damals wirklich mit dem Russen gewesen und jetzt sie auf das reiche Haar.-
mit einem jungen Engländer sei: Hinter den Gaisblattranken, die das Gitter umzogen,
»Er ist so komisch! So lang, so blond und so mager!« schlug Einer eine helle Lache auf, dass die Zwei im Garten
Sie empfand nicht, dass Hans kaum im Stande war, den auf- erschrocken zusammenzuckten! Eine bekannte Stimme rief
richtigen Ekel zu verbergen, den ihre offenherzigen Bekennt, heiser vor Erregung:
nisse ihm einflössten. Auch ein paar Thränlein, die sie der »Ich habe es ja immer gesagt, dass das Stück keinen
Vergangenheit weihte, nahmen ihn nicht gefangen. Als er zeitgemässen Schluss hat. Der Herr Wolfram von Eschen-
ihre Zärtlichkeit so freundlich abwies, als es ihm möglich war, bach und die Elisabeth müssen sich heirathen — und sie
nannte sie ihn lachend einen Narren, der nicht verdiene, passen so schön zusammen! Ich gratulire!«
dass man nett mit ihm sei. Ein eiliger Tritt verklang auf dem Pflaster.
Sie gaben sich schliesslich das Versprechen, gute Kame- Fort war er. Auf Nimmerwiedersehen.
raden bleiben zu wollen. Das gibt man sich in solchen
Fällen stets, wenn man auf immer Abschied nimmt.
Wieder begann die Arbeit, die auch dafür gut war, das
Gefühl wachsender Unruhe zu übertäuben, das Hans jetzt
oft beschlich, weil der Onkel ihn nie einer Antwort auf jenen
Brief aus Elberfeld gewürdigt hatte. Und dann sagte er sich
auch wieder, dass er ein reines Gewissen habe und sich
nicht zu schämen brauche! Kam er nur erst mit einem Er-
folge nach Hause, dann musste ja Alles gut werden.
Und der Erfolg kam: eine Medaille im Salon! Nur die
zweite, aber doch eine Medaille.
Als der Spruch der Jury gefällt war, packte der Glück-
liche seinen Koffer und fuhr der Heimath zu, die Brust voll
von Hoffnung. Wie unbezwingliche Sehnsucht kam es über
ihn. Nach der Geliebten sehnte er sich, nach der Heimath,
selbst nach dem grollenden Onkel und dem tugendhaften
Freunde!
Nun rollte der Zug schon über die Rheinbrücke! Noch
ein paar Stunden — die Vaterstadt! Er Hess sein Gepäck
auf dem Bahnhofe und eilte zu Fuss durch die wohlbekannten
Gassen dem Hause zu, in dem er die Geliebte wusste. Da
21
Nr. 1 und 2 JUGEND . 1896

„Les Habits de nos amis sont nos Habits.“

— Rendons ä Cdsar ce qui appartient ä Cdsar!


Comme j’ai grandi!
— <Ja tombe ä pic: j’en ai besoin ce soir.
Zeichnung von Jossot (Paris).

22
;S6
JUGEND Nr. 1 und 2

Ein Conterfei von HERMANN ALLMERS von Franz


v. Lenbach gemalt und signirt. Die Handschrift des Künst- wie Hermann Allmers das Marschenland der Weser und der
ers wurde allerdings deutlich genug in diesem Bilde stehen, Elbe beschrieben hat. Den Reichthum seines Empfindens
stunde sie auch nicht darauf. Der Dichter der Marschen, und die Schärfe seiner Beobachtung nahm der Dichter frei-
geistvoller Kopf so helläugig in’s Leben blickt, war lich auch in fremde Lande mit; wer die „ewige Stadt“ ge-
ptuloc das rechte Modell für Meister Lenbach; es ist sehen hat und rückwärts schauend ihre Herrlichkeiten, die
Pnptpn”1 h lges Vnd Knorriges in den Zügen des greisen Besonderheiten italienischen Volkslebens wieder gemessen
jp ■ ’ de*sen tiefwurzelndes, unverfälschtes Deutschthum will, der nehme Allmers „Römische Schlendertage“ zur Hand,
dip^p^v-" -lösend unseres Volkes gar nützlich zum Vorbild die noch populärer geworden sind, als das „Marschenbuch“.
sein MaS 6 k Ba‘d vierz‘g Jahre sind vergangen seit zuerst Was der Poet an Lied- und Spruchdichtung, an Dramen
hpiccf'if«uenbuchI erschien, ein Werk, in dem jede Zeile und Kulturschilderungen geschrieben hat, kann hier nicht
jp .e zur Heimath athmet; und nur ein Land, an aufgezählt werden — es trägt Alles seine edle künstlerische
j .. .. lnnig hangt, vermag ein Gottbegnadeter so fein Marke. Ein ganzer Mann schafft nichts Halbes! Im Fiebrigen
lg zu schildern mit seiner Natur und seinem Leben, feiert Herrmann Allmers am 11. Februar des nächsten Jahres
seinen 75. Geburtstag — Glück auf!
Nr. 1 und 2 JUGEND 1896

Zeit der Kirche zu. Einem Gassenbuben,


der ihr dabei in die Quere kam, gab sie
einen Klaps und sagte etwas von unan-
ständigem Gesindel.
Nach ein paar Stunden kam die Dame
mit einem sehr hageren und sehr schwarzen
Männlein wieder und das schaute sich auch
das nackte Büblein an. Da wurde es gleich-
falls nach längerem Betrachten ganz wüthig.
Und später brachte das Männlein wieder An-
dere mit, den Schultheiss der Stadt, einige
Magister, Räthe und andere fürtreffliche
Stützen des Gemeinwesens. Mit hochrothen
Köpfen tuschelten sie und deuteten in tie-
fer Empörung nach dem alten Erzbild, aus
dessen Muschel das Wasser so rein und
silbern in dieBrunnenschaale niederrieselte,
wie damals vor anderthalb Jahrtausenden,
als es irgend ein feister römischer Prätor
hatte aufstellen lassen.
Wirklich und wahrhaftig! Der Bube war
splitterfaselnackt und schämte sich nicht
einmal! Geschlecht um Geschlecht hatte
so sein Anblick verdorben, ohne dass man
daran dachte. Die Schwarzenauer waren ein
sündhaftes Volk, das stimmte — was Wun-
der auch! Sie konnten bei dieser conti-
nuirlichen Brunnenvergiftung nicht anders
werden! Jetzt endlich sah man es ein —
wenn es nur nicht zu spät war! — —
Seit jenem Tage ward die Sittlichkeit
wieder Mode in Schwarzenau.
Wie die Tugend einzog in noch nie die Augen davor niedergeschlagen. Zunächst wurde der Spängler gerufen
Denn es ging den Schwarzenauern mit der und der machte dem schamlosen Fischreiter
Schwarzenau. Nacktheit des Knäbleins, wie es dem Adam ein kupfernes Feigenblatt, so gross, dass es
und seiner Frau bezüglich ihrer eigenen für den Riesen Goliath auch gross genug
— und eines Tages wurde in Schwar- Nacktheit gegangen hatte im Paradies — gewesen wäre. Dann setzten sie eine Com-
zenau die Sifisamkeit wieder Mode! vor der Geschichte mit dem Apfel und dem, mission ein, die in der ganzen Stadt Alles
Es war da nämlich eine alternde Hof- I was d’rum und d’ran hing! aufspüren sollte, was an ähnlichen Aerger-
darne, die früher eine junge Hofdame ge- Eines Tages kam die Hofdame des We- nissen etwa noch vorhanden war, damit
wesen war, und zwar länger und intensiver, ges in ganz besonders ungnädiger Stimm- man einschreiten könne, austilgend und
als sie das hätte sein sollen. ung. Vapeurs und Gauchemars hatten sie bessernd. Ehrenpräsidentin ward die Hof-
Die Hofdame Frl. Adelaide von der Zipf zur Nacht heimgesucht und im unruhigen dame.
ging täglich zweimal über den Schwarzen- Halbtraum waren ihr allerhand Bilder aus Sie suchten mit Feuereifer, suchten und
auer Marktplatz; einmal in die Kirche, wo vergangenen Zeiten erschienen, Bilder, fanden, und bald ward an allen Ecken und
ein beliebter junger Prediger den Teufel deren Scene weltabgeschiedene Lauben bil- Enden der Stadt gekleistert und gemeisselt
mit unbeschreiblicher Porträttreue an die deten und lauschige, dämmerige Boudoirs, und vernagelt, dass es eine Freude war für
Wand malte, und einmal in das Magdalenen- deren Helden wechselten wie die Wolken jedes tugendhafte Gemüth.
stift, dessen dame patronesse sie war. Hier am Himmel; bald trugen sie Puderper- Reiche Ausbeute lieferte zunächst der
wurden lasterhafte Mägdelein in reumüthige rücken und gestickte Fräcke,bald pralle Uni- Schlossgarten des fürstlichen Palais. Da
Magdalenen verwandelt unter Anwendung formen und Dragonerschnauzbärte. Auch fand man Putten, Götter und Göttinnen
von vielen vielen Erbauungsstunden und ein schöner Jahrmarktsherkules war dabei. in hellen Haufen und das lustige Marmor-
allen anderen Mitteln geistlicher Heilgym- Dann liefen auch schmerzliche Gedanken gesindel war genau so sittenlos unmontirt
nastik bis auf eins: die Menschenliebe. dazwischen. Da war eine Nichte des Hof- wie der Junge auf dem Delphin. Sie wurden
Dazu gab es viele Arbeit und etwas Brenn- fräuleins, die auch Adelaide hiess und ihrer entsprechend verbessert, oder durch an-
suppe. Die Damen der Hofgesellschaft Tante ähnlich war „wie aus dem Gesichte ständigere Bilderwerke ersetzt, wie sich’s
Hessen alle feinen Handarbeiten dort aus- geschnitten“. So ganz einsam wuchs sie thun Hess. Eine Flora, die hoch oben auf
führen - im Magdalenenstift machte man auf, fern in einem Kloster, das arme Ding! dem Dache eines Pavillons schwebte, er-
ihnen das Alles staunenswerth billig! Der Tante Adelaide that das Mädchen von hielt einen Rock aus Blech. Eine Abun-
' '• Denn Adelaide verfolgte das Gedeihen Herzen leid! — — dantia wurde, da ihre Stellung das Bekleiden
ihrer Schützlinge mit tiefer Theilnahme. Und dann das Altwerden. technisch unmöglich machte, mit der Feile
Einem alten lahmen Seemann thuts wohl, so weit abgeraspelt, dass ihr Torso jetzt
wenn er vom Ufer aus hin und wieder ein Die Zofe fand jeden Tag neue graue auch hätte einem Apollo angehören können.
Segel sieht. Haare auf dem Kopfe des Fräuleins und Dem Pfau der J uno setzten sie ein neues Rad
' Zweimal im Tage also ging die Hof- das Fräulein fand jeden Tag ein neues ein, dessen Federn die Göttermutter bis zum
dame über den Markt. In dessen Mitte war Haar in der Suppe des Lebens, die ihr Halse zudeckten; ein Herkules erhielt einen
ein Brunnen aufgestellt mit einer Bronze- jetzt, seit die pikanten Zuthaten von einst- completen steinernen Schlafrock und als er
gruppe; er stand dort schon drei hundert mals fehlten, oft recht schaal und dünn dann dem hellenischen Recken nicht mehr
Jahre lang. Damals hatten sie die Gruppe vorkam. ähnlich sah, setzten sie ihm noch ein paar
aus der Erde gegraben, ein Bildwerk aus Nach jener Nacht ging sie um ein halb Hörner auf und nannten ihn Moses. Die
römischer Zeit. Es stellt ein Knäblein dar Stündlein früher zur Kirche als sonst. schöne Dame Leda mit dem verfänglichen
auf einem Delphin, das Wasser aus einer Als das Fräulein über den Markt kam, Schwan ward kunstreich in ein „Gänse-
Muschel goss und nackt war; nur einen blieb sie, zum ersten Male in ihrem Leben, mädchen“ travestirt. Sie trieben ihr Hand-
Schilfkranz trug es im Haar. In Römer- vor dem alten Brunnen stehen, hob das werk mit viel Abwechslung und Geschmack.
zeiten hatte es wohl schon ungefähr auf goldene Lorgnon, das ihr einst Prinz Dann ging es an die Bildergalerie. Dort
dem gleichen Platze glitzerndes Wasser Conradin im Irrgarten des Schlossparks war’s nun ganz schlimm! Zwei Monate hatte
in eine Brunnenschaale geschüttet, das gelegentlich eines Schäferstündchens zu der Hofmaler allein mit dem Rubenssaal zu
Knäblein. Füssen gelegt, an’s Auge und sah sich thun, bis er ihn durch aufgemalte Drape-
Die Blicke vieler Geschlechter hatten den nackten Fischreiter an. Lange und ein- rien, Guirlanden, Schmuck, Waffen und
mit argloser Freude auf dem Ding geruht dringlich! Mit böserem Gesicht noch und kühn über’s Fleisch hereingebogene Zweige
und die Schwarzenauer Jungfrauen hatten rascheren Schritten ging sie nach geraumer nothdürftig hergerichtet hatte für die rein-

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1896 JUGEND Nr. 1 und 2

gewordenen Augen der Schwarzenauer. mehr. Die sassen alle schon wegen Ge- keinen Spazierstock, keine Sackuhren, die
Auch der Titian kostete harte Arbeit, aber fährdung der öffentlichen Moral im Ge- nicht ein geheimnissvolles Fach, ein Löch-
sie gelang; und seine ruhende Venus sah fängnisse. lein zum Durchgucken hatten. Und was
denn auch bald aus wie eine in Binden ge- Auch beim Baden wurde die weit- man da sah! Pfui Teufel!
wickelte Mumie. Einer herrlichen alten gehendste Angezogenheit vorgeschrieben, Es kann nicht verschwiegen werden:
Kölner Madonna, die das Jesuskind an die selbst für die Cabinen, nicht blos für’s Die ehemaligen Mitglieder der Sittencom-
Brust gelegt hatte, malte der Meister den Schwimmbassin. Die gewissenhafte Com- mission waren die eifrigsten Sammler.
Spalt im Kleide schön blau wieder zu und mission guckte durch alle Ritzen und Denn wenn der Löwe einmal Blut ge-
liess die heilige Frau ihr Kindlein mit der Schlüssellöcher und wehe dem, der in un- leckt hat.
Flasche stillen. So ging es weiter in jedem sittlichem Costüm betroffen ward. Nach-
Saal. Selbst das Viehzeug auf der Weide gerade kamen sich die Leute aber auch in
erhielt die nöthigen Retouchen und ein ihren Kleidern nackt vor und sahen sich Es ist nur ein Glück, dass Schwarzenau
mächtiger Stier von Paul Potter war mit gegenseitig daraufhin an und construirten örtlich und die Geschichte vom Fischreiter
einem Pinsel voll blauer Himmelsfarbe sich mit ihren Blicken unter den Kleider- und der Hofdame zeitlich uns so ferne liegt,
schnell zum Ochsen degradirt. Und so falten der Andern deren Gliederbau. so ferne! Ki-ki-ki.
fort mit Grazie! Immer weiter kam man so in der Sitt-
In der Skulpturengalerie war die Ar- lichkeit, immer neue Gebiete erschlossen
beit leicht. Man verhüllte alles Gefähr- sich ihren Bestrebungen. Schliesslich durf-
liche mit weissen Leintüchern. Als die ten auch die Fleischer ihre rosigen Hammel
Commission zum Revidiren kam, hoben die und Kälberviertel nicht mehr unverhüllt in
Herren hier und dort die meisten Falten die Auslagen hängen. Hunde und Pferde,
hoch und constatirten noch einmal, wie Stuhl- und Clavierbeine bekamen Hosen.
nothwendig die Verhüllung gewesen. Sie In den Theatern wurde eine strenge Gen
nahmen es genau mit ihrer Aufgabe. sur für die Costüme eingerichtet: selbst die
schöne Helena musste sich wie eine Herren-
Die öffentlichen Denkmäler in der Stadt huterin anziehen. Tricots durfte Niemand
waren auch schnell aptirt für die wieder- mehr tragen — ausgenommen die Ballet-
gewonnene Moral. Alle nackten Genien ratten der fürstlichen Oper, denn S. Durch-
bekamen so viel Palmzweige und Attri- laucht interessirten sich für die Kunst.
bute in die Hand, dass kein Stückchen Endlich war das Werk gethan.
überflüssigen Fleisches sichtbar blieb. Beim Hofball erstattete der Hofcaplan
Jetzt glaubte man, so ziemlich fertig der Dame Adelaide ausführlichen Bericht
zu sein. Da kam ein Brieflein an die Com- und überreichte ihr die Liste der ausge-
mission: sie sollten doch in den Kirchen tilgten Nacktheiten, sauber gedruckt und
einmal gründlich nachsehen, dort sei aller- für die Mitglieder der Commission mit
hand zu finden, was die tapferen Forscher reichlichen Kupfern versehen. Dieser Ka-
angehe. Und — siehe da — es war so! talog enthielt 4785 Nummern. Die Hof-
dame athmete befriedigt auf und ihr Busen
Da gaukelten um Kanzeln und Altäre, wogte in freudiger Erregung. Man konnte
um Friese und Gewölbzwickel nackte Engel das genau wahrnehmen, denn ihr Kleid
und Englein in hellen Schaaren, da standen war ausgeschnitten bis zur 7. Rippe. Und
heilige Sebastiane von Pfeilen durchbohrt alle Damen rings umher waren ähnlich
und an allen Ecken und Enden andere angethan, theils mit, theils ohne Grund, auf
Märtyrer, die nicht viel mehr anhatten, dem Hofballe zu Schwarzenau, der Metro-
als ihren Heiligenschein, da nährten heilige pole der Sittlichkeit.
Mütter wie jene in der Gemäldegallerie
ihre Bambini mit der Nahrung, die der Das Werk also war vollendet! Welch’
liebe Gott den Neugeborenen bestimmt hat. ein Glück für die Stadt, dass das Fräulein
Im Dom stand ein Sankt Borromäus, der Adelaide von der Zipf früher so lustig
war nackter als nackt, denn er hatte sogar gelebt hatte!
die Haut ausgezogen und trug sie wie einen Denn sonst hätte sie am Ende gar nicht
Plaid über dem Arme. Der musste nun gemerkt, dass der Bube auf dem Delphin
zweimal angezogen werden, zuerst in eine
Haut, dann in einen Mantel. In einer alten
nackt und ein so grosses Aergerniss war;
der Bronzebrunnen hätte immer so weiter
(9 e.. L.oc/.'C /
Votivkirche fanden sie nach Hunderten Seelen vergiftet eine nach der andern und
Täfelchen mit den entsetzlichsten Schil- die andern Nuditäten wären auch nicht aus-
dereien; denn die Leute hatten sich dem gespürt und aus der Weit geschafft worden!
Patron der Kapelle in allen erdenklichen
Nöthen versprochen und selbige sauber ab- In Wahrheit sind die Schwarzenauer
malen lassen. Das wurde summarisch be- freilich nicht besser geworden. Im nächsten Sprüche des Konfusius.
handelt. Man schüttete die Täflein auf Jahre gab’s dort genau so viel Wickelkinder
einen Haufen und lustig prasselten die ohne Väter und Frauen ohne Männer, wie Wenn Dich eine Mücke sticht, darfst
Flammen aus dem ausgedörrten Holzwerk vorher. Es wurden noch um etliche Jüng- Du sie umbringen; wenn Dich ein Elephant
und die Gassenbuben tanzten um den ferlein mehr verführt, die Giftmorde und
Scheiterhaufen. Auch die vielen wächsernen anderen Schandthaten aus Eifersucht nah- tritt, musst Du ihn um Verzeihung bitten!
Glieder, die in der Kirche hingen, konnten men auch nicht ab und die Ehe ward auch
nicht so bleiben, denn die Arme hatten nicht von mehr Leuten heilig gehalten, als *
keine Aermel und die Beine keine Hosen
an. Man schmolz sie ein und machte Altar-
sonst. Auch an Putzwuth und Gefallsucht Sprich stets, wie Du denkst; nicht
ward keine Abminderung verspürt. Mäd- Du deshalb hinausge-
kerzen daraus. Der Küster that sich auch chenjäger, Mitgiftspekulanten und Heirats- jedesmal wirst
etliche Pfund auf die Seite für den Haus- schwindler trieben ihr Gewerbe blühender worfen werden!
gebrauch. als je. Und eine neue Art von Delikten kam £
Und Schwarzenau war, wenigstens nach dazu. Es mussten Viele bestraft werden Wenn die Rosen keine Dornen hätten,
der Aussenseite hin, die keuscheste Stadt wegen heimlicher Verbreitung bedenklicher wären sie mit einer Zunge bewaffnet.
von der Welt geworden. Bis herab zu den Bilder und Schriften. Das Geschäft warf
Pfefferkuchenfiguren hatte der Bekleidungs- jetzt reichen Gewinn ab. Ganz andere
drang gewüthet und der Lebzelter verzierte Dinge, als die, die man verboten oder ver-
seine berühmte Gruppe „Adam und Eva“ kleistert hatte, kamen im Stillen in Um- Wohlthun bringt Zinsen; Nichtsthun
mit schöner Toilette aus Zuckerguss. In lauf. Da gab es bald kein Dös’chen mehr,
das nicht zum Abschrauben war, kein Käst- au sserdem noch Dividenden.
keinem Bilderladen gab es mehr was Nack- B. Rauchenegger.
tes; es gab überhaupt keine Bilderhändler chen ohne doppelten Boden, keine Pfeife,

2Z
Nr. 1 und 2 JUGEND 1896

Der Rechte höchstes ist die Pflicht; Die Frau ist am Schönsten, wenn sie liebt;
zugleich das einzige Recht, auf dessen Aus- der Mann, wenn er für eine gerechte Sache
übung zu verzichten wir kein Recht haben. oder eine neue Idee begeistert ist. So wenigstens
scheint es uns Männern, ■—- möglich, dass es
„Man kann nicht zu gleicher Zeit im Frauen gibt, die umgekehrt urtheilen.
hohen Rathe Mäcenas und daheim Dio-
genes sein.“ Dieser Ausspruch ist mir übel
Wohl dem, der nebst gutem Gewissen einen
vermerkt worden, als Hohn auf die Armuth.
Wie mich das schmerzt! Ich wollte damit nur gesunden und kräftigen Leib hat. Denn im

)A sagen, dass der künstlerische Geist sich nimmer-


mehr blos in hohltönenden Reden, sondern in
kranken oder schwachen Körper lebt die Seele,
als ob sie ein zum Schemen verdorrtes Schling-
gewächs wäre und über einem Sumpfe schwebte,
der Durchdringung des intimsten Lebens äussern
müsse. Das Walten solchen Geistes führt zu der sie heute zu verschlingen, morgen schutz-
los den Winden preiszugeben droht.
jener edlen Harmonie, welche auch in den
unscheinbarsten Dingen und Anordnungen der
Tl ärmsten Hütte, und gerade hier in ergreifender Je traurigere Erfahrungen wir an unseren
Sprache, zu uns redet. Nichts ist so rührend, Freunden machen, desto nachsichtiger werden
nichts beweist so klar eine vornehme Lebens- wir gegen unsere Feinde.
auffassung, als die künstlerische Verklärung der
Armuth.
* Die Gesundheit ist das herrlichste, aber
auch das grausamste Erbe unserer Väter, da sie
In nebelhafter Ferne erkennen wir die uns zwingt, immer wieder kraftvoll aufzuleben,
entschwindenden Bilder besser als die neu auch dann, wenn wir am liebsten die Augen
auftauchenden; und diese um so deutlicher, schliessen und in das Meer der Ewigkeit tauchen
ie sicherer wir die entschwundenen in der Er- möchten.
innerung haben. Denn die Kunst des klaren (fSt
Voraussehens ist nichts anderes als glückliche Die Entdeckung besonderer Denkzentren
Anwendung des Wissens und der Erfahrung. in unserem Gehirn, denen wir, wie ich glaube,
Aber es gibt nur Wenige, deren Urtheil nicht auch ein besonderes Triebleben zuerkennen
durch Magen, Herz und Nerven beeinflusst ist. müssen, erklärt es uns hinlänglich, warum her-
Glücklich der ewig Hoffende: lieber fortgesetzte vorragend geistig begabte Menschen ihre gleich-
Enttäuschungen, als trostlose Schwarzseherei. falls sehr starken niederen Triebe nicht nur ein-
dämmen, sondern zeitweilig ganz unterdrücken
Das sind die schlimmsten Spiessbürger können; insbesondere wird es uns so erklärlich,
nicht, die auf ihren Spiess sich noch was ein- warum bei stärksten Geistern die Liebe — so
bilden oder ihn gar für ein Geschenk der Götter sehr sie ihr auch zugethan sein mochten —
halten. Sie wirken erheiternd. Schlimmer sind fast immer nur eine nebensächliche Rolle ge-
die verkappten Nachtwächter, die sich bei Tage spielt hat, und warum sie instinktiv jedes lästige
ihres Spiessleins schämen und damit nur im Joch, in das ihr Denken durch Liebe und Eifer-
Dunkeln und rücklings ihre Opfer überfallen. sucht gerathen, abzuschütteln gestrebt haben.
G. Rth.

Randleiste von O. Eckmann.

26
1896
JUGEND Nr. 1 und 2
Nr. 1 und 2 . JUGEND . 1896
. X.D

Ein Orakel. Nobile Trifolium. Orterer Angesicht — Ist wirklich nicht schwer
zu erkennen! —Wer’s einmal nur photographirt
Früher Lieutenant der Husaren, Abbü, Marquise und Marquis — geseh’n — Der muss es auf immer behalten
Jetzo Fürst von den Bulgaren, Gibt's noch ein Kleeblatt so wie sie?
— Es steht ja das ganze Centrumsprogramm
Sitzt der arme Ferdinand, Vertragen die sich nicht — fürwahr — In seinen verkniffenen Falten!
Sohn der Fürstin Clementine, Erscheint’s dem Weisen wunderbar!
55
Trüb, mit langer Nas’ und Miene Sonst pflegt sich fröhlich zu vertragen
In dem neuen Vaterland. Das Pack, sobald es sich geschlagen. Gross und mächtig ist der Zar aller
Versöhnen werden sich auch diese, Reussen! Unumschränkt gebeut er über
War’ ja schön sich Fürst zu nennen, Menschen, Thiere und Bauern seines weiten
Marquis, Abbü und Frau Marquise. Reiches und er hat kein Gesetz über sich.
Aber freilich — anerkennen
Was war denn weiter auch dabei? Jeder im Lande gehorcht dem leisesten
Müsst’ ihn erst die schnöde Welt!
Ein Bis’chen Heu- und Meuchelei, Wink seiner Brauen, Jedem ist des Herren
Und da hat man ihm gerathen: Wunsch Befehl. Bios Einer thut — und
Ein Bis’chen Meineid und Betrügen,
»Nimm Dir halt den Zar als Pathen, manchmal dem Beherrscher aller Reussen
Auf allen Seiten viele Lügen, zum Trotz — auch in Russland, was ihm
Dann ist Alles wohlbestellt!«
Pikante Spuren alter Sünden gutdünkt — der Klapperstorch!
Angethan in Purpurwindel — Und neuer Sünden (kaum zu künden),
Welch’ ein allerliebstes Kindel! — Ein Schielen nach des Nächsten Frau Als dem verhafteten Aaron (auch Arton
Liegt der Erbprinz in der Box; Und ihrem Geld — jesuitisch schlau, genannt) der Polizeicommissär sein Notiz-
Und der Vater rauft die Haare: buch abnahm, fand er darinnen eine lange
Viel Frömmelei, infames Hetzen Reihe Namen von französischen Abgeord-
»Welcher Glaube ist der wahre — Und Vieles noch, was den Gesetzen neten, Beamten und Senatoren aufgeschrie-
Römisch oder orthodox?« Zuwiderhandelt des Gerichts — ben. „Was sind das für Namen?“ fragte
Von Allem etwas — weiter nichts! strenge der Commissär. — „Ach, das sind
»Lass’ ich ihn auf’s Neue taufen, Sammelvermerke!“ erwiderte der brave
Mir des Zaren Gunst zu kaufen?« Nun ist’s vorbei, des Lebens froh Aaron. „Ich bin Lumpensammler.“
Ruft der Herrscher zweifelnd aus — Sind Nayve’s jetzt und Rosselot.
»Trau der Kukuk diesen Tröpfen!« Und hoffentlich wird dann auch schleunig Im ehemaligen Reichstagsge-
Und er zählt an seinen Knöpfen: Die schöne Trias wieder einig. bäude in Berlin ist jetzt eine Barbier-
»Boris oder Nikolaus?« Nun deckt der Nächstenliebe Schleier stube etablirt — man sagt es sei nicht
Auf die vergangenen Abenteuer
schön vom Fiskus, dass er um ein paar
»Ein Orakel sollst Du fragen —« lumpige Tausender den ehrwürdigen Bau
Und heiter sitzen beim Cafe für so was hergibt! Aber im Grunde ist
Hört er eine Stimme sagen — Marquis, Marquise und Abbe! dem Haus das Metier doch nicht so fremd.
»Diese Windel, blüthenrein, Hier hat der deutsche Michel sich schon so
Sei um Deinen holden Jungen 85 manchem Aderlass unterziehen müssen,
Zehn Minuten lang geschlungen, hier wurde mancher brave Zopf geflochten,
Und dann blickt getrost hinein!
Schrecklich! j hier hat so mancher Volksbeglücker seine
Jüngst ist ein empörendes Faktum ge-
Wähler gründlich über den Löffel bar-
Blieb das Linnen ohne Makel, biert, hier wurde gar oft eine Menge
scheh’n — Am Bahnhofperron zu München, — lauschender Hörer von gewandten Diplo-
Spricht bejahend das Orakel Das lässt sich mit matter Entschuldigung — matenhänden gründlich eingeseift, hier
Und der Pope hat das Wort; Nachträglich nicht übertünchen! — Sie haben sind oft die heterogensten Dinge über
Lest ihr And’res aus dem Kissen, den Doktor Orterer — Belästigt mit kecken einen Kamm geschoren worden und
Will der Prinz davon nichts wissen Mancher hat hier Haare gelassen, der
Fragen, — Sie Hessen den grossen Centrums- es unternahm, sich mit einem Stärkeren
Und man jagt den Popen fort!« mann — Nicht ohne Fahrschein zum Wagen! ' zu — „kampeln“.
So geschieht’s. Man harrt mit Bangen, — Man werfe die ganze Verkehrsdirektion —
Bis die Wartezeit vergangen, Mit faulen Aepfeln und Eiern! — Ihr Personal Das Durchschnitts-Einkommen der
Was das Schicksal künden lässt? erkennt nicht einmal — Den Rektor aller Bayern! preussischen Volksschullehrer soll auf
jährlich 900 Mark „hinaufgeschraubt“ wer-
Und mit aufgeregtem Schnaufen — Der Mann, der’s verstand, von der Oppo- den? Wenn aber das rapide Steigen ihres
Kommt die Kinderfrau gelaufen: sition — Wie Keiner zu profitiren — Er musste Einkommens die preussischen Volksschul-
»Euer Durchlaucht, ein Protest!« sich erst vor dem Condukteur — Als Fahrgast lehrer zu Prass, Völlerei, Börsenspiel und
anderen Lastern verführt — wehe der künf-
legitimiren. — Mit tödtlich beleidigtem Selbst-
K gefühl — Erfüllt von grimmigem Hasse — Be-
tigen Generation der preussischen Jugend!
SXT
Die französischen Parlamentarier müssen stieg er mit seinem Freibillet — Dann grollend In Dingsda feierte die 9jährige Klavier-
die erste Klasse. — Von der alten National- virtuosin Bronislawa Meierfrau ihr zehn-
doch ihr Geld werth sein — sonst krankheit — Ist wieder ein Fall zu melden — jähriges Jubiläum als Wunderkind.
hätten die Herren Panamisten sie nicht Diejubilarin wurde mit Lorbeer und Blumen
Das liebe germanische Vaterland — Misskennt überschüttet.
gekauft. seinen grössten Helden! — So ist es dem Fürsten
Bismarck passirt — Von Seiten gewisser Leute In Wien hat sich ein Greis von etlichen
Herr Bourgeois kennt keinen Scherz, Und jetzt ist dem bayerischen Centrumspapst zwanzig Jahren eine Kugel durch den Kopf
Schon hat er den Aaron fangen lassen Geschehen das Nämliche heute. — Man gejagt — als Grund gab er an: aus langer
Weile. Zu bescheiden; er hat wohl eigent-
Am Ende fasst er sich doch noch das Herz, wage die That am Bahnhofperron — Nur ja lich schreiben wollen: aus Rücksicht
Den Herz zu fassen? nicht entschuldbar zu nennen — Des Doktor auf meine Mitmenschen.
-8
1896
- JUGEND . Nr. 1 und 2

LI EBE I N WÖRIS

Zeichnung von Henry Albrecht.


Nr. 1 und 2 JUGEND 1896

Nachdruck und Vervielfältigung verboten.


Copyright Au g. Bungert, Berlin 1895.

Frau Maria an der Wiege.


(Altes Gedicht.)
comp, von August Bungert.
Neue Volkslieder op. 49 Nr. 71 III. Band.
Andante tranquillo,

Dort hoch auf dem

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Nr. 1 und 2 JUGEND 1896

52
Inseraten-Annahme Insertions-Gebühren
1896

JUGEND
durch alle Annoncen-Expeditionen für die
sowie durch
4gesp3.lt. Colonelzeile oder deren
G. Hirth’s Verlag in München No. 1 & 2 Raum M. i.—.
und Leipzig.

Humor im Ausland. G. HIRTH’S KUNSTVERLAG in MÜNCHEN & LEIPZIG.

HIRTH’S
FORMENSCHATZ.
Eine Quelle der Belehrung und Anregung
für Künstler und Gewerbetreibende.
Jährlich 12 Hefte ä 16 Tafeln hoch 4°. — Preis per Heft Mk, 1.25.
Jahrgang 1877—1895 mit ca. 3 500 Blättern in Cartonmappe
M. 275, in Leinwandmappe M. 31$, in eieg. Halbfranzband
gebd. M. 341.50.
Jahrgang 1877 und 1878 (Formenschatz der Renaissance)
in Cartonmappe je M. 10.—, gebunden je M. 13.50.
Jahrgang 1879—1895 in Cartonmappe je M. 15.—, gebunden
— C’est egal, ma Alle, vous je M. 18.50.
pouvez vous variier d’avoir pro- Jede Serie selbständig mit erläuterndem Text.
fite ä mon Service. Avant, vous Das Werk wird fortgesetzt; auch das bisher Erschienene kann
aviez de la mauvaise graisse. nach und nach bezogen werden.
A present, vous etes tout nerfs. (Einzelne Tafeln werden nicht apart abgegeben.)
(»Rire«, Paris.)
„Hirth’s Formenschatz“ ist 111 Wirklichkeit ein Schatz
für jeden Besitzer des Werkes. Das ganze Werk bietet etwa
3500 Blätter. Sie reichen geschichtlich von der alten Welt bis
zum Beginn des gegenwärtigen Jahrhunderts. Bestimmt, eine
■3\
/- y/* • '
Quelle der Belehrung und Anregung für Künstler und Ge-
werbetreibende zu sein, erfüllt das Werk seine Aufgabe in
einer Weise, dass es sozusagen auf keine Frage die Antwort
schuldig bleibt. Die Benützung des Werkes wird durch sorg-
V' fältige Register erleichtert. Das Werk ist international. Was
der Herausgeber bei irgend einer der Kulturnationen Werth-
volles findet, wird benützt. Dem Werke kann eine grössere
Empfehlung auf seinem Weg nicht mitgegeben werden als
der Hinweis auf seinen riesigen Umfang und seine erfreuliche
Verbreitung.
(Schwab. Merkur, Stuttgart.)

Heueintratenden Abonnenten stabt ein Inbaltaverzeiohni33


der erschienenen 19 Jahrgänge gratis zur Verfügung.
Das erste Heft 1896
kann durch jede Buchhandlung zur Ansicht vorgelegt werden.

Französische Ausgabe unter dem litel: L ART PRATIQUE


Recueil de documents choisis dans les ouvrages des grands
maitres fran^ais, Italiens, allemands, nüerlandais etc. etc.

Aufgaben der Kunstphysiologie


2 Halbfranzbänden gebunden .Mk. io.—. Eine französische Uebersetzung von Lucien Arr6at
ist unter dem Titel: Physiologie de l’Art im Verlage von F61ix Alcan in Paris,
_ „ O D rt.nl rtvmt*n I Thrmntn Ul! 1 l /Th • T-v \
108 Boulevard St. Germain, publizirt. (Preis Fr.

Lokalisations-Psychologie oder die Anwendung der Lokalisationstheorie


' ci auf psychologische Probleme. Beispiel: Warum
sind wir
TD rv a.zerstreut*?
_ Vir A.zerstreut c von
Mit- f»inf»r czD,-,Von
Uitn 1Georg . Georg
Hirth.
_ r-» ZweiteHirth. " ' ’ ' und vermehrte
umgearbeitete
Auflage. Mit einer Einleitung von Dr. L. Edinger. — 136 Seiten 8° in eleganter Aus-
stattung. Preis broschirt M. 1.50, in Leinwandband M. 2.—. Eine französische Ausgabe von
Lucien Arrüat ist unter dem Titel: Les localisations cörebrales en psychologie — pourquoi
fO sommes-nous distraits ? im Verlage von Fülix Alcan in Paris, 108 Boulevard St. Germain, publizirt
(Preis Fr. 2—, gebund. Fr. 2.50).
Für was der Bart gut ist! Ls handelt sich hier um eine prinzipiell bedeutsame Programmschrilt, weicne aer
(A«s dem »Life« Newyork.) logie neue Wege zeigt, indem der Versuch gemacht wird, die psychologischen Thatsachen
Ergebnissen der modernsten Gehirnforschung ganz direkt und bedingungslos in Einklang
Lokalisations-Psychologie.

Zu beziehen durch alle Buch- und Kunsthandlungen.

35
Nr. 1 und 2 JUGEND 1896

Das Deutsche Zimmer


der Gothik und Renaissance,
des Barock-, Rococo- und Zopfstils.
Anregungen zu häuslicher Kunstpflege
von Georg Hirth.
-—-- Dritte stark vermehrte Auflage. 1 H-
464 Seiten hoch 40 mit 370 Illustrationen. Eleg. brosch. M. 10.—,
eleg. gebunden M. 13.—, in Lederband M. 20.—.

>. . . . Das Buch ist die Frucht einer reichen Erfahrung und
eines umfangreichen Studiums. Hat doch der Autor die hier vor-
getragenen Anschauungen und Grundsätze alle selbst probirt. Man
braucht bloss die Abbildung der Saalpartie in seinem Hause zu
München anzuschauen, um sich darüber klar zu werden, dass wir
es hier mit einem Fachmann ersten Ranges zu thun haben, der
seine Lehren und Grundsätze zuerst bei sich erprobt und richtig
befunden hat.
Wie der „Formenschatz“ zur Kunst pflege im ganzen
deutschen Volke, so fordert das Deutsche Zimmer
zur Kunstpflege im eigenen Hause auf; ers I er es ist
ein Volksbuch, letzteres ein Haus- und Familien-
buch, beide aber verfolgen das gemeinsame Ziel,
die Pracht und Herrlichkeit der alten Kunst zu ver-
stehen und wiederzugewinnen.«
(Prof. Dr. Stockbauer in »Bayer. Gew.-Zeitung« 1890 No. 4.)
Saalpartie in dera Hause Georg Hirth’s zu München.

Das Buch eignet sich besonders als Fest- u. Gelegenheitsgeschenk für Verlobte, Neuvermählte, xu Weihnachten etc. :

Meister-Holzschnitte
aus vier Jahrhunderten.
Herausgegeben von
Georg Hirth und Richard Muther.
Französische Ausgabe unter dem Titel:
QUATRE SIECLES DE GRAVÜRE SUR BOIS.
Complet in Cartonmappe Mk. 40. — , in Halbfranzband
geh. Mk. 50.—.
(Der frühere Subscriptionspreis 10 Lieferungen ä Mk. 3.50 ist erloschen.
Einzelne Blätter werden nicht apart abgegeben.)
Die Sammlung enthält 120 Tafeln in einfachem, und 33 Tafeln
in Doppelformat auf Büttenpapier, mit erläuterndem Text.

Das Werk, welches die Entwicklung des Holz-


schnittes in übersichtlicher Aufeinanderfolge vorführt,
umfasst das 15. bis 18. Jahrhundert und alle Länder, in
welchen die Kunst geblüht hat. Neben dem geschicht-
lichen Zweck verfolgen die Herausgeber zugleich die Ab-
sicht, den Freunden der Kunst durch ihre Publikation
eine Anzahl Unica und seltener Blätter zugänglich
zu machen, so dass sich mit dem kunstgeschichtlichen
Interesse auch das des Raritätensammlers verbindet.

G. HIRTH’S KUNSTVERLAG in MÜNCHEN & LEIPZIG.


34
1896 JUGEND Nr. 1 und 2

G. HIRTH’S KUNSTVERLAG in MÜNCHEN & LEIPZIG.

Kulturgeschichtliches Bilderbuch aus drei Jahrhunderten.


Herausgegeben von GEORG HIRTH. — Zweite Auflage.
Französische Ausgabe unter dem Titel : „LES GRANDS ILLUSTRATEÜRS DU i6„ 17. ET 18. SIEGLES."
Folio. Preis a Lieferung Mk. 2.40, ä Band complet broschirt Mk. 30. , gebunden Mk. 35.—. (Liebhaber-Ausgabe [einseitig bedruckt,
losen Blattern] ä Lieferung
M o n a 11 leh erscheint eine Lieferung. ■<*—
Mk. e l 6 .
Hirth’s Kulturgeschicht- Um den Besitzern der ersteren
liches Bilderbuch umfasst im Bände der früheren Auflage dieses
Ganzen sechs Bände (72 Liefer- Werkes das Abonnement auf die
ungen), es sind darin gegen 360 Fortsetzung zu ermöglichen, wird
darstellende Künstler vertreten die Drucklegung der zweitenAuf-
und haben über 3500 inter- lage in derselben Weise und Aus-
essante Blätter eine technisch stattung erfolgen, wie bei der ersten
vollendete Wiedergabe gefunden, die Auflage.
Publikation bildet eine in ihrer Art ein-
zige Kunstsammlung — ein Kupfer-
JederBand ist einsein käuflidt.
stichkabinet für den Hausgebrauch. ..Aus dem ungeheueren
Hervorragende Meister dreier Illustrationsschatze, den die Künstler
Jahrhunderte und verschiedener dreier Jahrhunderte (1500 — 1800)
Nationen: Dürer, Cranach, Burgk- uns hinterlassen haben, sind von
mair, Hopfer, Schäufelein, Holbein, dem bekannten kunstverständigen
Bekam, Aldegrever, Virgil Solis, Herausgeber, dem wir schon eine
Hogenberg, Amman, Stimmer, Bol, ganze Reihe kunstwissenschaftlicher
van Dyck, Golt^ius, Kilian, Chr. de Publikationen der verschiedensten
Passe, Rubens, Ahr. de Bosse, Callot Art (Formenschatz, deutsches Zim-
Wendel Hollar, Merian, Rembrandt, mer, Liebhaberbibliothek alter Illu-
G. Terburch, Berghem, Bega, Doiu, stratoren, Meisterholzschnitte etc.
Dusart, Ewerdingen, de Hooglie, etc.) verdanken, die markantesten
Claude Lorrain, Mignard, Adr. van Blätter ausgewählt und photo-
Ostade, Rigaud, Ruysdael, Teniers, mechanisch originalgetreu reprodu-
Wouverman, Boucher, Schmidt, Graff, ziert worden. So kann man wirklich
Grenze, Hogarth, Laueret, Moreau, sagen, dass das Kulturhistorische
Nilson, Vanloo, Watteau, Cliodowiecki, Bilderbuch ein Kupferstichkabi-
Mettenleiter etc. etc. liefern in über- nett in nuce ist, und zwar wohl-
reicher Fülle den Stoff zu diesem geordnet, mit Registern und Reper-
Werk. Porträts berühmter und in- torien bestens versehen. Ein Jahr-
teressanter Persönlichkeiten, Kostüm- zehnt lang hat der Herausgeber die
und Genrebilder, Darstellungen von werthvollsten Sammlungen perlu-
Jagden, Kriegs- und Gerichts-Scenen, striert und den kolossalen Stoff in
Spielen, Tänzen und Bädern, Fest- immer engere und engere Kreise
Xügen, Schilderungen des höfischen ziehend, auf jenen Kern reduziert,
und bürgerlichen Lebens, Städte- als den sich das fertige Kultur-
ansichten und Marktbilder, endlich geschichtliche Bilderbuch präsen-
moralische und politische Allegorien, tiert. In dem Atelier des Malers,
Mysterien, Curiosa u. s. w. wechseln in dem Studierzimmer des Histo-
in der mannigfaltigsten Weise in rikers, in der Hausbibliothek der
der Publikation ab, welche an Origi- kunstsinnigenFamilie, an allen diesen
nal ität, sowie an kunsthistor- Orten wird das »Hauskupferstich-
ischem Werth von keiner kabinett« die besten Dienste thun.“
ähnlichen übertroffen wird. (Die Kunst für Alle, München, i. Nov. 1891.)

Zu beziehen durch alle Buch- und Kunsthandlungen.


35
Nr. 1 und 2 JUGEND 1896

Die Preisausschreiben der „J ugend“.


--——--

IN der Absicht, unsern künf- Wettbewerb I. Wettbewerb III.


tigen Lesern und Abonnenten Entwürfe für unsere Titelblätter. Politische Caricaturen.
künstlerische Anregungen in
neuer Form zu bieten, und Jede Nummer erscheint mit neuem Grösse der Zeichnung nicht über
zugleich unsere Bestrebungen zur För- Titelblatt. 40 cm. Einfarbig, im Verhältniss des
derung der modernen Kunst in einer Die Entwürfe sollen einfarbig oder Formates dieser Zeitschrift ausgeführte
nützlichen und fruchtbaren Weise zu in mehreren Tönen, jedoch so ausge- Zeichnungen in Strichmanier, welche
bethätigen, hat sich der Verlag der führt sein, dass sie auf autotypischem die Herstellung zinkographischer Cli-
„Jugend“ entschlossen , eine Reihe oder zinkographischem Wege mit 2, che’s ermöglicht.
künstlerischer Wettbewerbe zu eröffnen, höchstens z Platten reproduzirt werden Das Thema ist irgend einem po-
die sich nach und nach auf alle erdenk- können. Die Titelbilder erhalten eine litischen Vorgang der jüngsten Zeit zu
lichen Kunstgebiete erstrecken sollen. Höhe von 28, eine Breite von 20 cm, entnehmen oder soll doch eine die
Wir hoffen, dadurch zahlreiche jüngere die Entwürfe sollen im Formate nicht Gegenwart bewegende politische oder
Kräfte zu selbstständigem, erfinder- mehr als das Doppelte dieser Grösse soziale Frage in einer Weise behandeln,
ischem Schaffen anzuregen, und schicken betragen. Ausgeschlossen ist jede An- welche eine Veröffentlichung der Zeich-
voraus, dass bei den Entscheidungen lehnung an einen bestimmten alten Stil. nung in unserem Blatte möglich er-
unseres Preisgerichts immer von rein Dem Inhalte nach sollen sich die Zeich- scheinen lässt. Die Caricaturen müssen
künstlerischen Gesichtspunkten aus ge- nungen im weitesten Sinne irgendwie auf im Allgemeinen im Sinne einer freien
urtheilt werden soll. den Begriff „Jugend“, wie ihn unser Pro- Weltanschauung und deutsch-nationalen
Unsere ersten Preisausschreiben spekt darstellt, beziehen. Es können also Gesinnung gehalten sein, sollen sich
umfassen folgende Themen: z. B. die Bilder Bezug haben auf: Früh- aber nicht mit speziellen Parteiange-
ling, Liebe, Kindheit, Brautzeit, Mutter- legenheiten befassen. Bei der Beurtheil-
I. Entwürfe für Titelblätter glück, Spiel, Mummenschanz, Sport, ung kommt die Handhabung einer ori-
Schönheit, Poesie, Musik u. s. w. Fol- ginellen und charakteristischen Zeichen-
der Zeitschrift „Jugend“. gende Preise sind ausgesetzt: technik wesentlich mit in Betracht und
II. Entwürfe für Menukarten. I. Preis 200 Mark den Einsendern nach dieser Richtung
III. Politische Caricaturen. II. „ 150 „ ausgezeichneter Arbeiten steht fort-
2 Preise ä 100 Mark. dauernde Mitarbeiterschaft in Aussicht.
IV. Carneval-Plakate. Der Verlag der „Jugend“ behält I. Preis 80 Mark
sich vor, weitere Entwürfe ä 5° Mark II. „ 60 „
An den Concurrenzen kann sich anzukaufen und als Titelzeichnungen
jeder deutsche Künstler betheiligen,
III- „ 40 „
zu verwerthen, oder sie in verkleinerter
und zwar Jeder an jeder einzelnen Den Ankauf weiterer Arbeiten be-
Nachbildung gegen Honorar in dieser
Concurrenz mit mehreren Entwürfen. Zeitschrift zum Abdruck zu bringen. hält sich der Verlag der „Jugend“ vor.
Die eingereichten Arbeiten müssen
in ihrer Art soweit fertig sein, dass 7)?
7&
direkt nach ihnen gearbeitet werden
kann. Jede Einsendung ist mit einem Wettbewerb II. Wettbewerb IV.
Motto zu versehen, Name und genaue Entwürfe für Menukarten. Carneval-Plakate.
Adresse des Künstlers in einem mit
dem Motto bezeichnten verschlossenen Die Karten müssen in einer Farbe Höhe der Zeichnung nicht über
Couvert anzugeben. Bei Sendungen, herstellbar, eventuell so gezeichnet sein, 80 cmtr. Mehrfarbig oder einfarbig;
die von auswärts kommen, darf der dass sie ein- oder mehrfarbig gedruckt jedenfalls nicht über vier Farben. Die
Name auch nicht auf der Post-Paket- werden können. Höhe der Zeichnung Entwürfe sollen sich auf irgend welche
Adresse ersichtlich sein. Die Arbeiten nicht über 40 cm. Ausgeschlossen ist carnevalistische Veranstaltung, Masken-
sollen nicht in Rollen, sondern zwischen auch hier jede Anlehnung an einen zug, Maskenball, Narrenversammlung
Pappetafeln eingeschickt werden. bestimmten alten Stil. Die Preise be- beziehen und zinkographisch im Kleinen
Einlieferungs • Termine: Für tragen : reproduzirbar, aber auch im Grossen
Wettbewerb I: i5-Januar *896, II: I. Preis 80 Mark in anderem Verfahren auszuführen, flott,
8. Januar 1896, III: 8. Januar 1896, IV: II. „ 60 „ aber decent genug für öffentliche Ver-
15.Januar 1896.
III. „ 40 „ wendung sein.
Die prämiirten oder angekauften
Der Verlag der „Jugend“ behält >1. Preis 120 Mark
sich vor, weitere Entwürfe zu je 20 Mk.
Entwürfe gehen mit sämmtlichen Rech-
anzukaufen oder sie in verkleinerter II. „ 80 „
ten in den unbeschränkten Besitz des
Nachbildung in der „Jugend“ wieder- III. » 5o „
Verlages der „Jugend“ über. zugeben. Der Ankauf weiterer Arbeiten Vor-
behalten.
$
Heran« K n HIRTH- verantwortlicher Redakteur: F. VON OSTIN1; verantwortlich für den Inserat entheil: G EICHMANN; G. HIRTH’s Kunstverlag; sämmtlicb in
Herausgeber: Dr. GEORG HIRTH, verantwortllcne^^^ Druck von KNORR & HIRTH, Ges. m. heschr. Hftg. in München.
*896 ‘ *8. Januar JUGEND I. Jahrgang Nr. 3

J^ünchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben. — G. Hirth’s Verlag in München & Leip:
Nr. 3 1896

'S ■Itti'iiCl

Aller Künste Meister


Zum 18. Januar

Im Sachsenwalde, da lebt ein Mann, Gesä’t? In der Deutschen Herzen Gru.id Gemalt? Ein funkelndes Wappenbild,
Der Alles weiss und der Alles kann, Hat er gelegt für den neuen Bund, Das heute vor jedem anderen Schild
Ist klüger als Tausend zusammen: Den Samen nie welkender Treue! Hindräut über Länder und Meere!
Er hat geschneidert und hat genäht, Die Saat ward mit heiligem Blut genetzt, Gereimt? Jawohl: für das alte Lied
Er hat gedroschen, er hat gesä’t, Dass nie sie ein tückischer Wurm verletzt Von schmählicher Zwietracht, die Deutsch-
Geschmiedet in sprühenden Flammen! Und sie immer erblühe auf’s Neue. land schied,
Das Lied von der Eintracht und Ehre.
Er hat gewebt und er hat gefärbt, Geschmiedet? — Jawohl: ein Nothung-
Er hat gemünzt und er hat gegerbt, schwert Gar trübe sah’s aus vor dem grossen Jahr,
Er wusste zu mauern, zu zimmern, Dem Arme, den erst kaum ein Stecken Es waren dem herrlichen Kaiseraar
Er hat gemalt und er hat gereimt bewehrt — Gebrochen Schwingen und Klauen;
Und kunstreich wieder zusammengeleimt, Und wie hat die Klinge gepfiffen! Die Krone die sank ihm vom stolzen
Was morsch war und elend in Trümmern. Begeisterung gab ihm für’s Eisen die Gluth Haupt —
Und am stahlharten Teutonenmuth Und frevelnde Hände hatten geraubt
Hat er die Schneide geschliffen! Die schönsten der rheinischen Gauen!
Gezimmert? — Jawohl: einen stolzen
Thurm,
Dem schadet kein Feuer, den fällt kein Sturm, Gewebt? Ja, ein unzerreissbar Band Und weil unsern Bismarck die Noth be-
Ob Wind ihn und Wölfe umheulen! Und mit gewaltiger Meisterhand drückt,
Gemauert? — Jawohl: und mit Eisen Verknüpft den Süden und Norden! D’rum hat er den Leimtopf an’s Feuer ge-
und Blut Gefärbt? Mit köstlichem Purpurroth rückt;'
Die Steine verbunden! Der Bau ist gut, Den Kaisermantel, der in der Noth An glühender Herzen Flammen,
Er gründet auf ehernen Säulen. Der Zeiten schäbig geworden! Da kochte er sich einen festen Kitt
Und rührte ihn brav und leimte damit
Geschneidert? — Jawohl: ein bräut- Den Aar und die Lande zusammen!
Gemünzt? Der Vaterlandsliebe Erz,
lich Kleid Das tief erfüllte des Volkes Herz,
Germania, seiner geliebten Maid, Doch von Schutt und von Schlacken um- Ein Vierteljahrhundert hält es schon
Statt der alten, buntscheckigen Flicken! woben ! Und nirgend erblickt man die Spur davon,
Gedroschen? — Jawohl auf der Feinde Lang wussten sie nicht, wie reich sie Dass es nicht auf immer sollt’ halten!
Haupt, sei’n — Und wer nur im Lande sein Handwerk kann,
Die uns die Ehr’ und den Frieden geraubt! Da leuchtete er mit der Fackel drein Der sieht das Werk mit Bewund’rung an
Gegerbt? Manch’ bübischen Rücken! Und der herrliche Hort war gehoben! Und segnet den herrlichen Alten!

So lange Ihr Ihn zum Vorbild wählt, Die Gläser herbei — und das Beste hinein!
Ist’s nimmer um guten Rath gefehlt Und donnert es laut über Weichsel und Rhein,
Im Reiche germanischer Geister: Dass Fenster und Wände beben:
Und heute ist just der rechte Tag, Der Held, der die Deutschen des Fürchtens entwöhnt,
Dass man sein in Ehren gedenken mag, Und der uns in Wälschland den Kaiser gekrönt,
Der aller Künste ist Meister! Der alte Bismarck soll leben! F. v. O.

3S
1896 JUGEND Nr. 3

Originalzeichnung von Werner Schuch.

Das sind die Ursachen des Krieges von 1870.


Ein kleiner Anlass, geschickt vom Bundeskanzler Nord-
deutschlands, vom Grafen Bismarck benützt, erwirkte den
Ausbruch.
Ein Hohenzollernprinz auf Spaniens Thron passte den
Franzosen nicht. König Wilhelm von Preussen blieb der
Sache fern; der erwählte Prinz verzichtete, und damit wäre
Alles gut gewesen.
Nun sollte aber König Wilhelm sich für alle Zukunft
verpflichten, eine ähnliche Wahl zu verbieten.
Das war eine unannehmbare Zumuthung.
Da ging’s los.
Der Krieg von 1870. Das ganze Deutschland erhob sich wie Ein Mann. König
Preisarbeit in 1870 Worten von Tanera. Ludwigs von Bayern Beispiel hatte auch den Süden mitge-
rissen. Jene unentschiedenen Parteien, welche von Neutralität
Einen Nordbund und einen Südbund, zwei verknüpfte sprachen, verschwanden in der allgemeinen Begeisterung.
Theile aber kein Ganzes - Das hatte uns der Krieg von 1866 »Es braust ein Ruf wie Donnerhall!«
hinterlassen. Das Sehnen nach einem ungetheilten Deutsch- So erscholl es an der Weichsel, Elbe, Weser und Donau, und
land war nicht erfüllt. im ganzen deutschen Vaterland klang es wieder.
In Frankreich aber schäumte es über von Neid und Eifer- »Zum Rhein, zum Rhein, zum deutschen Rhein.
sucht ob Sadowa. Wer will des Stromes Hüter sein?«
»Nieder mit Preussen! Dann sind wir gerächt!« So er- Dies hatten die Feinde nicht erwartet. So wurden sie politisch
scholl es durch’s Land, und der Kaiser folgte dem Druck. geschlagen, noch eh’ die Waffen blitzten.

39
Nr. 3 JUGEND 1896

In drei mächtigen Armeen zogen wir Deutsche an unsere »Franzosen sind’s, vom Korps Frossard, sorglos, denn
Westgrenze. Steinmetz mit der ersten und Prinz Friedrich sie halten den rothen Berg für unerstürmbar.«
Carl mit der zweiten sammelten sich an der Saar. Preussens Wenige Stunden später haben Rheinpreussen und West-
Kronprinz mit der dritten in der Rheinpfalz. falen in glühender Hitze die Höhen erstiegen, die französische
Man glaubte die Franzosen längst gerüstet. Sie haben Uebermacht geschlagen, den Feind in die Flucht gejagt.
nur aus Saarbrücken die kleine tapfere Garnison kurze Zeit Nun den Franzosen nach auf Metz!
verdrängt. Weiter kamen sie nicht vor. Es fehlte ihnen noch Bazaine hatte gewaltigen Vorsprung, Ob er entkommt?
an Allem. »Den Feind aufhalten, wo es geht; ihm westlich zuvor-
Wir aber standen am 4. August vollkommen bereit an kommen ; ihn in Metz einschliessen war das Ziel der Deutschen.
der Grenze und griffen natürlich sofort an. Die Bayern Hart- Es wurde marschiert wie toll.
mann’s stürmten auf Weissenburg. Turko und Zuaven wehrten Am 14. August erreichte man sie wieder.
den Marsch. Erschlagen blieben viele von ihnen liegen; der Bei Colombey Nouilly biss Steinmetz mit seinen West-
Rest entfloh. falen und Ostpreussen an.
Nun liess der Kronprinz die Preussen Kirchbach’s und Ging schwer genug. Aber es half.
Bose’s den Gaisberg angreifen. Hart und blutig war die Auf- Bazaine liess sich aufhalten, und dadurch fand die zweite
gabe. Aber sie gelang. deutsche Armee Zeit, Metz südlich zu umgehen. Am 16. wollte
Unterdessen hatten die Bayern Weissenburg selbst er- Bazaine westwärts abmarschiren. Plötzlich stürmten ihm die
obert — der erste Sieg war erfochten, gemeinsam vergossenes Brandenburger in die Flanke, und wie!
Blut hatte die Waffenbrüderschaft von Preussen und Bayern Alles setzten sie ein!
gekittet. Der Rest der geschlagenen feindlichen Division floh Diese braven Truppen, die Vionville eroberten! Diese
gegen Wörth. Dort stand Mac Mahon mit seinem Korps. todesmuthigen Reiter Bredows, die sich opferten! Und doch
Am 6. August stiess die dritte deutsche Armee auf diesen wäre es umsonst gewesen ohne die Hannoveraner. Die setzten
Feind. Beim V. preussischen Korps gings an. Vorpostenkämpfe. den letzten Athemzug daran. Sie kamen rechtzeitig, stürmten
Das II. bayerische wollte die Kameraden unterstützen. — und der Feind wich nach Metz zurück.
»Vor über die Sauer! Hurrah! Drauf!« Zwei Tage später versuchte es Bazaine zum zweiten
Das war zu früh; sie mussten zurück. Male mit seiner ganzen Armee.
Nun stürmten die preussischen Schlesier vor, den Bayern Nun stand aber Friedrich Carl bereit.
zu helfen. Bei Gravelotte begann das Wüthen, Westfalen und Rhein-
So Stands, als der Kronprinz kam. länder gegen fast uneinnehmbare, stark besetzte Stellungen.
Der sah sich um und sprach: »Es geht. Alle Reserven Das kostete entsetzlich Blut.
heran, und vorwärts!« Links davon Schleswigholsteiner gegen Amanvillers, ein
Wie griffen da Preussen, Bayern und Württemberger an! langes hartes Ringen.
Der Gegner wehrte sich wüthend. Half ihm nichts. Der Hauptkampf aber war nördlich bei St. Privat. Dort
Seine Infanterie wich; seine Artillerie war zusammengeschos- wollte Bazaine um jeden Preis durch. Dort aber haben Garden
sen, seine Reiterei fast ganz vernichtet. Gemeinsam haben und Sachsen ihn gepackt und sind über das freie Feld vor-
wir Eisasshausen und Fröschweiler erstürmt, Mac Mahons gegangen, trotzdem Tausende und Abertausende dem Feindes-
Armee war zerschmettert. blei erlagen, und haben gestürmt und wieder gestürmt, bis
Jetzt lag der Weg frei; die dritte deutsche Armee rückte wirklich — fast war die Kraft zu Ende — der rechte fran-
unaufhaltsam durch die Vogesen in das Herz Frankreichs vor. zösische Flügel geworfen, der Sieg errungen wurde.
Am Tage von Wörth überschritten auch die Vortruppen Nun griffen unten bei Gravelotte noch die Pommern
der ersten und zweiten deutschen Armee die Grenze. ein und brachten auch dort den heiss ersehnten Entscheid.
»Wer steht auf den Höhen von Spichern?« Damit war die Armee Bazaines endgültig nach Metz geworfen.

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1896 - JUGEND Nr. 3

Ans dem Kriegsskizzenbuche Ludwig von Nagels;


nach wahrer Begebenheit.

Eine langwierige, unendlich mühevolle Cernirung begann. Sachsen und Garden rechts, die Bayern Hartmann’s, Thüringer,
Bei Regen und Kälte, unter den grössten Strapazen hielten die Hessen und Niederschlesier links ihn völlig umfassen und
Preussen Metz umfasst. ihn sogar von der nahen belgischen Grenze abdrängen. Dann
Einige französische Durchbruchsversuche waren ver- geht’s von allen Seiten drauf, ein Kesseltreiben sondergleichen,
gebens. Am 27. Oktober erlag die bis dahin unbesiegte und trotz tapferster Gegenwehr ist Abends die französische
Festung. Metz ward wieder deutsch. Armee zusammengetrieben, umzingelt, zerschmettert, zer-
Des Kronprinzen Armee rückte unterdessen westwärts vor. schlagen, rettungslos verloren.
Hinter ihr belagerte Werder die Festung Strassburg. In der Nacht wird verhandelt.
Mit viel Eisen und Blei ward um die spröde Maid geworben. Moltke und Bismarck beweisen den französischen Ge-
Am 28. September gab sie sich. neralen, dass es kein Heil mehr gibt. Da fügen sie sich.
Auch Strassburg ward nun wieder deutsch. Die ganze französische Armee, und mit ihr der Kaiser, ist
Der Kronprinz kam bis Barle Duc. Plötzlich hiess es: gefangen und wird nach Deutschland gebracht. Dieser ge-
»Mac Mahon hat Chälons verlassen. Er will Metz befreien.« waltige Schlag warf den Thron der Napoleoniden um; Frank-
Nun hat Moltke sein Meisterwerk geschaffen. reich erklärte sich als Republik.
Im Nu bog die dritte deutsche Armee nordwärts ab, Wir dachten an Frieden, die Feinde noch nicht.
den Franzosen den Weg zu verlegen. Gut; also vorwärts nach Paris!
Tag und Nacht wurde marschiert. Am 30. August war Beide Kronprinzen rückten mit ihren Armeen westwärts
es gelungen. weiter. Am 19. September hatte die dritte Armee die Süd-
Die Gegner ahnten nichts. Sie lagerten bei Beaumont. hälfte, die Maasarmee die Nordhälfte der feindlichen Haupt-
Plötzlich regnet es Granaten, deutsche Granaten. Magde- stadt eingeschlossen. Dabei gab’s manchen harten Strauss.
burger und Bayern stürzen die Höhen herab. Diese Lawine Half den Franzosen aber nichts. In kurzer Zeit zog sich ein
erschlägt, was nicht flieht; die Sachsen stossen nach; ein undurchdringlicher Gürtel von befestigten Stellungen um Paris,
Korps Mac Mahon’s ist vernichtet. Er weicht auf Sedan. Dort und alle Versuche, ihn zu durchstossen, scheiterten an der
^ill er einen Tag rasten. Aber Moltke spinnt die Fäden; die tapferen deutschen Gegenwehr.
Truppen marschieren, marschieren. So dauerte es Monate.
Von Metz her ist Sachsens Kronprinz mit drei Korps Die deutschen Truppen Hessen die belagerten Pariser
gekommen, von Süden führte Preussens Kronprinz die dritte nicht aus der Falle, und wenn sie es doch versuchten, wie
Armee heran. bei Bagneux, Malmaison, Le Bourget und Villiers, dann schlugen
Am 1. September geht’s los. jene so kräftig zu, dass die Anderen trotz ihres verzweifelten
Die Bayern Tann s greifen bei Bazeilles an. Ein fürchter- Muthes zum Rückzug gezwungen waren. Freilich aus mancher
liches Ringen entsteht. Aber es hält den Gegner, bis die Wunde floss auch das Blut der braven Belagerer.

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Nr. 3 JUGEND 1896

Die Tage von Le Bourget haben unseren Garden derb zu- herbe’s, Gewehr bei Fuss; im Südosten trieb Manteuffel mit
gesetzt und das dreitägige Ringen um Villiers schlug tiefe Risse den Pommern und der Werder’schen Armee die Franzosen
in die sächsischen, württembergischen und preussischen Li- Bourbaki’s über Pontarlier in die Schweiz.
nien. Aber es lohnte sich herrlich, denn nicht ein einziger So endete der grosse Krieg.
Durchbruch der Pariser gelang. Am 1. März zogen wir triumphierend in Paris ein; am
Nun versuchten es die Provinzen, die bedrängte Haupt- 2. wurden die Friedenspräliminarien unterschrieben.
stadt zu retten. Gambetta organisirte die allgemeine National- Wir haben von 1,113,254 nach Frankreich ausmarschier-
vertheidigung, den Volkskrieg. ten Deutschen 129,700 Mann verloren,
Zuerst rückte eine Armee im Oktober von der Loire vor. Dagegen 383,841 Franzosen gefangen,
Sie gerieth unter die Fäuste der Bayern von der Tanns und 107 Fahnen,
der Thüringer. Orleans ward von Tann erobert; die erste 7,441 Geschütze erobert,
französische Loirearmee hatte aufgehört zu existieren. Un- 5 Milliarden erhalten.
ermüdlich stampfte Gambetta neue Massen aus dem Boden. Die Hauptsache aber war:
Vor diesen musste Tann eine kurze Strecke weichen. Jetzt »Eisass und Lothringen sind wieder deutsch, und wir
kam der Mecklenburger Grossherzog mit seinen Landeskin- haben, was wir so lange ersehnten, einen Kaiser und ein
dern und den Hanseaten den Bayern zu Hilfe, und die Thürin- einiges deutsches Reich.
ger griffen wieder ein. Hurrah !
In harten Kämpfen, unter unglaublichen Strapazen wies
diese tapfere Armeeabtheilung alle Vorstösse der feindlichen
Uebermacht zurück.
Unterdessen rückte Prinz Friedrich Carl mit der zweiten
Armee von Metz heran. Der fasste die Franzosen im Osten.
Bei Beatme la Rolande hat er sie so erschüttert, dass ihnen dort
die Lust zu weiterem Vordringen verging.
Nun marschierte der Mecklenburger abermals gegen Or-
leans vor. Schlacht auf Schlacht — Loigny etc. — folgte,
blut- und leichenbedeckte Schnee- und Eisfelder bezeichneten
den Weg. Aber es gelang.
Orleans wurde von Tann’s Bayern, von Mecklenburgern,
Hanseaten, Thüringern und Preussen zum zweiten Male er-
obert. Abschied.
Und doch hatten die Franzosen noch nicht genug. Chanzy
Scherzend sagt' ich deinen Lippen
drang mit neuen Massen vor. Zuerst zerschellte er aber am
Lebewohl zum letzten Mal,
Widerstand der Deutschen, des Mecklenburgers bei Beaugency
Aber tobend an die Rippen
Cravant. Und dann kam Prinz Friedrich Carl über ihn, warf
Schlug das Herz in stummer Qual.
ihn gegen die Sarthe zurück und machte mit seinen Branden-
burgern, Hannoveranern und Schleswigholsteinern in der Deiner Augen Todesleuchten
dreitägigen blutigen Schlacht bei Le Mans ihm den Garaus. Glänzte wie aus andrer Welt.
Wer diesen Winterfeldzug an der Loire und Sarthe mit- Manchmal sah ich solches Leuchten —
gemacht, vergisst ihn nie. Er war die schwerste Aufgabe Wenn ein Stern vom Himmel fällt.
des ganzen Krieges.
Auch die französischen Nordprovinzen wollten der Haupt-
stadt beistehen. Faidherbe zog über Hamm südwärts. Er stiess
*
auf Goebens Ostpreussen und Rheinländer und wurde an der
Hallue am 23. und 24. Dezember gründlich geschlagen. Vorbei.
Noch immer gab Gambetta nicht nach. Er trieb im Süd- Das Donnerwetter im Herzen
osten um Dijon neue Massen zusammen. Bourbaki sollte mit
Hat ausgegrollt;
ihnen hinter den deutschen Armeen in Deutschland selbst
Von der Wimper die letzte
einfallen, Garibaldi mit der Vogesenarmee ihm die Flanke Zornige Zähre rollt.
decken. Das war kühn erdacht und unternommen, scheiterte
aber gänzlich an der zähen, todesmuthigen Gegenwehr der Schon wehen kühle Gedanken
Badenser und übrigen Deutschen Werder’s, die bei Villersexel Wie Morgenlüfte her;
und an der Lisaine leisteten, was menschenmöglich war. Wenn wir uns Wiedersehen
Nun blieb Paris sich selbst überlassen; es musste fallen. Ich kenn' dich nicht mehr.
Als äusserstes Druckmittel hatte man mit der Beschiess- ALBERT MATTHAEI.
ung der französischen Hauptstadt begonnen. Dies und der
täglich zunehmende Mangel veranlassten die tapferen Ver-
theidiger zum letzten Versuch. Beim Mont Valerien fielen
100,000 Mann aus und wurden am 19. Januar 1871 durch
Niederschlesier gründlich geschlagen.
Am 18. erstand in Versailles der deutsche Kaiserthron.
Am 28. kapitulierte Paris.
In den Provinzen fiel eine Festung nach der andern in
deutsche Hände; im Süden, Westen und Norden standen
entmuthigt die Trümmer der Armeen Chanzy’s und Faid-

42
1896 JUGEND Nr. 3

Plötzlich stiess er einen kurzen, jauchzenden Laut aus,


Frühlingswind. hob sie auf seine Arme und stürmte mit ihr vorwärts. Sie
»Die haben sich lieb, die haben sich lieb!« sagte ein wollte sich wehren: »Was thust Du — was thust Du?« Er
Maiglöckchen und wiegte sich hin und her. drückte sie nur fester an seine breite, junge Mannesbrust.
»Ja, sie haben sich lieb«, sagte die alte Eiche, und Nun Hess er sie los, blieb schwerathmend stehen, fasste
grösste mit ihren Zweigen wohlwollend herab zu dem jungen ihr Gesichtchen mit beiden Händen — und küsste sie auf
Paar, das zu ihren Füssen sass. Und der Frühlingswind, der Stirn und Augen, dazwischen sprechend:
verliebte Geselle, hauchte so warm und liebkosend auf die »O Du, - Du! Du kleines - Du liebes -. Und Deine guten
Wange des jungen Mädchens, dass es erschrocken aufsah, Augen! Siehst Du, die werde ich nicht vergessen, wenn ich da
weil es meinte, ihr Gefährte beuge sich so nahe zu ihr, um draussen bin; die werde ich immer vor mir sehen — und
sie zu küssen. Aber so weit waren sie noch nicht; sie werde immer an Dich denken müssen — immer — immer —«.
blickten sich nur zärtlich in die Augen und sprachen hie
und da ein liebes, verwirrtes Wort. »Jetzt lass’ mich ein wenig in Ruhe mit Deinem Ge-
»Freilich haben sie sich lieb«, sagte der Wind befriedigt; tändel«, sagte die alte Eiche zum Frühlingswind, der in ihren
er hatte mit seinem leisen Wehen einen Strom von Frühlings- Blättern spielte. »Ich will nachdenken«.
duft hineingetragen in das enge Städtchen, und so die Beiden »Nachdenken?« lachte der Schelm und zupfte sie noch
herausgelockt; er wusste wohl, warum. Nun jagte er ein mehr.
paar Schmetterlinge zu den kleinen Frühlingsblüthen, »weil »Jawohl! Davon verstehst Du natürlich nichts.« Sie
sie gar zu neugierig hinüberschauten.« Das konnten sie jetzt schüttelte ärgerlich die Zweige. — »Ich muss immer an das
nicht mehr, denn sie hatten mit sich selbst zu thun. junge Menschenpaar denken, das da einmal im Frühling vor
Langsam sank die Sonne und umfing Alles umher mit mir sass. Zehn Ringe habe ich derweilen angesetzt, das
ihrem Glorienschein. sind Jahre für die Menschen. Und ich denke nun darüber
Er nahm seinen Hut, den sie mit einem Blätterkranz nach, warum sie nicht zu mir gekommen sind.«
geschmückt hatte. »Wie gut Du bist!« sagte er und küsste »Ich will Dir den Gefallen thun und nachspüren«, sagte
ihre Hände. Dann legte er mit stiller Bewegung den Kopf der Wind.
auf ihren Schooss. Husch! war er im Städtchen. Er hatte es leicht, in die
Sie wagte sich nicht zu rühren; der alte Baum meinte, Häuser zu schauen, die Fenster waren fast überall geöffnet.
ihr Herz klopfen zu hören. — Er'suchte und suchte und fand — sie. Einen Brief in der
»Wir müssen heim«, sagte sie endlich. Als sie den Hand haltend, blickte sie in Gedanken verloren vor sich hin.
Hügel hinuntergingen, kam die Mondsichel über den Bäumen »Marie!«
hervor. Sie fuhr auf, als hätte sie geträumt, legte das Blatt aus
»Sing’ mir ein Lied«, bat er. der Hand und folgte dem Rufe. Offen lag der Brief da:
»Was für ein Lied?« Verehrte, gnädige Frau!
»Ein schönes!« In den nächsten Tagen führt mich mein Weg durch
Er legte den Arm um sie und fasste ihre Hand. Lang- meine Vaterstadt. Ich werde nicht verfehlen, Ihnen und
sam schritten sie über die Wiesen und durch die stille Ihrem werthen Gatten meine Aufwartung zu machen. Ich
Frühlingsdämmerung bebte ihr weiches Stimmchen: freue mich sehr, Sie wiederzusehen; dann wollen wir von
»Ach, wie ist’s möglich dann, vergangenen Tagen reden und lachen — — —
Dass ich Dich lassen kann«-— »Lachen« — —, das Wort hatte sie veranlasst, so vor
_ _Feierlich standen die Bäume und lauschten. sich hinzustarren. —
Im Nu war der Wind bei der Eiche und erzählte ihr,
»Du hast die Seele mein, was er nun wusste.
_ _ So ganz genommen ein«- »Ich begreife das nicht«, meinte diese.
Als sie fertig war, sagte er leise: »Ich komme mehr unter die Leute«, sagte der Wind.
Wir wollen diesen Abend nie vergessen!« »Er hat es gemacht, wie die Andern auch. Weisst Du, wie
»Nein, nie!« sie das nennen? Jugendeselei! Und sie lachen dabei und
Sie waren nicht weit von der Stadt; schon leuchteten zucken die Achseln über sich selbst.«
ie enster auf und zwinkerten wie schelmische Menschen- »Das ist abscheulich!« sagte der alte Baum.
augen zu ihnen herüber »Ich finde es sehr lustig«, rief der Wind und eilte davon.
LISBETH UNDEMANN.

\ 43
Nr. 3 Soll

Nach uns von dem bewährten Volksbeglücker Schrullenberger zur Verfügung gestellten Entwürfen hat der Zeichner hier
dargestellt, wie es den Soldaten während ihrer Dienstzeit eigentlich ergehen müsste in der Instruktionsstunde, bei
dem in eine Art von Anschauungsunterricht verwandelten Exerzieren, im Mannschaftscasino, auf dem Marsche, in den
Erholungsstunden und im Arrest — wenn dieser nicht besser ganz abgeschafft wird.

44
Haben 1896

Wie nach
Militär den durchaus
wirkliVh glaubwürdigen Schilderungen
kIu « gmuuwuiuigen des besagten
^ci *-~b^krasse
^icrrn Herrn Schrullenberger
schrulienberger die Söhne desdie Söhi ^_ , 1
Landes
Militär wirklich behandelt werden. Einige besonders Fälle von
Herrn in Obip^tr»
Herrn in Obigem —j Einige besonders krasse Fälle von Misshandlungen sind nach den Berichten c
«ft. u . werden-
a f e'sSetreu abgebildet und im klebrigen ist dargestellt, was die Unglücklichen im Manch
zu erdulden haben, wie ihre Menage und ihre Arrestlokale beschaffen sind.

45
Nr. 3 . JUGEND - 1896

Früher war’s so meine Weise, Ach, und doch - - wo ist ein Weiser,
Abenddämmerung Dass ich stets ein Nein ihm bot; Der mir dieses Räthsel deute!
am See. Stupft’ er mich am Arm nur leise, Scheinen will mir, dass ich heute
Immer wurd’ ich feuerroth. Nicht wie einst dir theuer bin.
Weit draussen auf der glatten Welle
Liegt still ein Segel regungslos; Was er jetzt auch mag verlangen, Und ich quäle mich im Stillen,
Wie von der Nacht gebannt zur Stelle, Immer noch, wie sonst geschah, Denk ich jener schönen Zeiten
Der Nacht, die andringt ruhig gross. Feuerroth glühn mir die Wangen, Voll verstohlner Süssigkeiten —
Sie hält das Schiff am Zauberbande Doch mein Mund sagt immer: Ja! Jene Zeiten sind dahin!
Der schönen Ufer, da zugleich
Des Mondes Licht Gebirge, Lande Jene schönen Tage, Liebchen,
Umgibt mit seinem Geisterreich. & Wo, wenn sich die Augen fanden,
HERMANN VON LINGG. Zitternd wir beisammen standen
Mit erröthendem Gesicht.
Nachher und vorher.
Jene Zeit, wo hold erglühend
Seh’ ich dich nur an, so lachst du, Stets dein Mund: Ich will nicht! sagte,
Kehrst dich nicht mehr ab so thörig; Ich darauf: Warum denn? fragte,
Ruf’ ich dich, die Antwort hör’ ich: Und du sagtest: Warum nicht?
Vorher und nachher. Hier, mein Liebster! Ich bin da. AUS DEM ITALIENISCHEN DES RICCARDO
Was der Priester sprach für Worte, Schöner bist du noch, als früher, SELVATICO VON PAUL HEYSE.
Flog mir nur am Ohr vorbei; Täglich neuen Reiz enthüllst du,
Weiss nur, aus der Kirchenpforte Jeden Wunsch von mir erfüllst du,
Gingen Arm in Arm wir Zwei. Stets erwiderst du nur: Ja.

Aus einer Wiener Karikaturenmappe.

Gezeichnet von O. Böhler.

Wie der Herr Hofburgschauspieler N. N. Unterricht erhält in der Aussprache des englischen „th“.
Sprechen Sie „dshzs“! Sprechen Sie „dzshsz“!

46
1896 JUGEND Nr. 3

Carl Strathmann.
Originalzeichnung von
Oie Jungfrau riecht an der Lilie, Der Kohl hat einen tiefen
Dem duftenden Jungfraun-Symbol, Poetisch-mystischen Sinn:
Und denkt dabei an den neusten Es steckt das Liebesgeheimniss
Symbolischen Blumenkohl. Der Symbolisten drin. A. M.
47
Nr. 3 JUGEND 1896

Hugo v. Habermann.
Nr. 3
1896 . JUGEND

Das Gehirn unsrer lieben schaft zu fassen, — was Männer erdachten, kann nur von
Männern begriffen werden. Das ist göttliche Ordnung*) ■
Schwestern. mulier taceat in ecclesia.“
Das eben, liebe Schwestern, will ich heute zu Eurem
*Unter allen höheren Regungen und Bewegungen un- Frommen an den Pranger stellen, auf die Gefahr hin, als
serer Zeit erscheint mir, rein menschlich betrachtet, als die Verräther am Geheimniss „männlicher Wissenschaft“ be-
schönste und interessanteste der Kampf unserer Schwestern trachtet zu werden: Die ganze Lehre von der Inferiorität
um Gleichstellung mit dem starken, dem herrschenden und des weiblichen Gehirns ist eine fromme Mär, ein
unterdrückenden Geschlecht; ja ich halte es für möglich, dass wissenschaftliches Quiproquo, das eben nur beweist, wie lange
nicht etwa die sozialen und wirthschaftlichen Dissidien der und hartnäckig Männer zu irren im Stande sind. Diese Lehre
Männerwelt — zum Theil recht dumme Sachen — dem kom- beruht auf zwei falschen Voraussetzungen, nämlich erstens,
menden Jahrhundert seinen eigenthümlichen Stempel auf- dass das Gewicht des gesammten Gehirnes ganz direkt als
drücken werden, sondern dass dieses Jahrhundert seine Welt- Massstab für die Intelligenz zu nehmen sei, und zweitens,
signatur recht eigentlich von der Lösung der „Frauenfrage“ dass es statthaft sei, mit statistischen Durchschnitten
erhalten wird. aus Massenbeobachtungen einer Frage auf den Leib zu rücken,
Denn was wir bisher davon erlebt, das war und ist nur in welcher nur mit individuellen Begabungen gerechnet
erst Vorpostengefecht. Man kann zwar nicht leugnen, dass werden darf.
unsere Schwestern schon manche Positionen errungen ha- Beginnen wir mit dem zweiten Trugschluss, so ist es
ben, die früher uneinnehmbar schienen, und dass sie diese doch zunächst klar, dass auch unter Denen vom starken Ge-
mit grossem Geschick vertheidigen und befestigen, aber die schlecht gewiss nur ein mässiger Prozentsatz zu wissenschaft-
eigentlichen „Sperrforts“ der Gleichberechtigung — denn sie lichen Studien und Berufsübungen befähigt ist. Dieser Satz ist
wollen „uns“ ja nicht verdrängen, sie begehren nur Einlass! sogar ziemlich gering, er mag 5 bis 10 Prozent ausmachen,
diese Sperrforts sind noch ausschliesslich in den Händen kaum mehr. Nehmen wir nun an, bei den Weiblein seien
der Männer, und immer noch, wenn die muthige Schaar mit es nur 2 bis 3, ja nur 1 Prozent, — mit welchem Rechte
hellklingendem Kriegsgeschrei neuen Ansturm wagt, ertönt will man dieser Minderzahl die Betheiligung an den wissen-
ihr im tiefsten Basse das „Zurück“ der Thorwächter entgegen. schaftlichen Studien, die der Staat ermöglicht, wehren?
Im tiefsten Basse wissenschaftlicher Ueberzeugungs- Lehrt nicht Jeden schon die persönliche Erfahrung, dass es
treue! Dies „Zurück“ klingt so wahr und so bieder, und ist viele Frauen gibt, die an Intelligenz ihre männliche Umgeb-
doch oft, ja zumeist nichts als geschlechtsegoistische Ueber- ung weit überragen? Und ist nicht schon von vielen Frauen
hebung, mit der wir seit Adams Zeiten unsere ach! so lieben der Beweis geliefert, dass sie mit Erfolg der Erforschung
und ach! so unentbehrlichen Schwestern der Schlangenrolle und Verkündigung der Wahrheit zu dienen vermögen?
zu verdächtigen und zur Strafe dafür auch noch zu terrorisiren, Was aber das ominöse Gewicht des Gehirns anbelangt,
mit Eifersucht zu quälen, zu haremisiren und zu kemenati- so ist es ja richtig, dass im Grossen und Ganzen das
siren gewohnt sind, immer unter dem heuchlerischen Vor- weibliche um ein paar Hundert Gramm leichter ist als das
hände der ritterlichen Fürsorge. Als ob sie was davon hätten, männliche, — was nicht ausschliesst, dass Millionen männ-
ass sie uns wie wir so gerne singen — himmlische Rosen licher Spatzengehirne von Millionen weiblichen Gehirnen auch
ins irdische Leben flechten! an Gewicht weit übertroffen werden. Aber die Hauptsache ist,
Da ist denn das Sperrfort der Universität. Zum hundert- dass nach den neuesten Forschungen auf diesem Gebiete
sten ale wird den wissensdurstigen Frauen von Einem im das Gesammtgewicht des Gehirns für die Beurtheilung der
a ar gesagt. „Da habt Ihr nichts zu suchen!“ Und um Intelligenz überhaupt keine nennenswerte Bedeutung
em Woite den rechten zeitgemässen Nachdruck zu geben, hat. Solche Bedeutung kommt nur verhältnissmässig kleinen
hu mit hichtigthuendem Pathos hinzugefügt: „Wie solltet
hr auch? Euer Gehirn ist zu klein, um unsere Wissen- *) Eigenste Worte eines berühmten Professors der Anatomie.

49
Nr. 3 JUGEND 1896

Partien des Gehirns, vor Allem der „Grosshirnrinde“ zu, aus denen sich u. a. auch unsere Stimme zum Bass ent-
und auch hier stehen die dem höheren Denken dienenden wickelt, und welche jenen Brustton der Ueberzeugung zeitigen,
Nervenkörper neben solchen, welche ganz direkt die Sinnes- der so oft nur leerer Schall ist. Ueberall wo raubthierartige
werkzeuge und die Muskulatur im Zentralorgan vertreten. Die Energie, rohe Kraft, Leidenschaft, Brüllen etc. am Platze sind,
genaue Unterscheidung aller dieser Elemente ist äusserst da wird der Mann der Frau stets überlegen bleiben; er ist
schwierig und erst im Werden begriffen. Das Gesammt- kühner und verwegener in allen Dingen, auch im Denken
gewicht des Gehirns aber steht normaler Weise viel eher und Phantasiren. Dafür ist die Frau feiner, geduldiger, sorg-
zur Körpergrösse, zur leiblichen Entwicklung und Kraft, als licher, mitleidsvoller. Wenn sie nicht alle physischen und die
zur Intelligenz im Verhältniss. Das Riesengehirn eines Bis- meisten moralischen Lasten der Fortpflanzung zu tragen hätte
marck erklärt sich zum grössten Theile aus der ganzen wuch- — wer weiss, ob sie nicht längst unsere gefährliche Rivalin
tigen Persönlichkeit des ungewöhnlich grossen und starken auch im staatlichen Leben wäre!
Mannes; dass darin die Denkzentren einen verhältniss- Wer aber meint, dass das „hysteroi'de Denken“ (wie ich
mässig grossen Raum einnehmen, ist zweifellos. Im klebri- ganz allgemein das sprunghafte und durchlöcherte Denken nen-
gen kann auch ein grosser dummer Kerl ein sehr schweres und nen möchte) ein trauriges Vorrecht unserer lieben Schwestern
grosses, ein zartes und gescheidtes Männlein ein sehr kleines sei, der ist gewaltig im Irrthum. Wir müssten denn, — wollten
Gehirn besitzen, und genau so verhält es sich bei unseren wir gewisse Unzulänglichkeiten in Bau, Ernährung und Ver-
Schwestern. Da die meisten unter diesen von kleinerer Statur knüpfung der Denkzellen als „weibliches Prinzip“ bezeichnen,
und weniger raubthierartig beschaffen sind, als die Männer, — uns zu dem ungeheuerlichen, aber tiefsinnigen Satze ver-
so haben auch die meisten ein leichteres Gehirn, — nicht steigert : „Es gibt unter den Männern mehr Weiber, als unter
weil sie dümmer sind, als die Männer! den Weibern Männer.“ Ist doch die Geschichte menschlicher
Jene Gehirnpartien aber, welche speziell der Intelligenz Grausamkeit undZerstörungswuth, menschlichen Irrthums und
als Grundlage dienen, sind in ihrer Ausbreitung nicht blos Aberglaubens im Wesentlichen nur eine Geschichte männ-
das Produkt der Erbanlage, sondern auch der Uebung und licher Geistesumnachtung!
der durch diese bedingten spezifischen Ernährung. Man ver- Also, verehrte liebe Schwestern, vertrauen Sie getrost
statte dem zu höherer geistiger Thätigkeit veranlagten Frauen- dem göttlichen Funken, mit dem auch Ihr Gehirn geladen
hirn die rechtzeitige Uebung und die stolzen Thorwächter ist; aber vergessen Sie nicht, dass die Lehre »von dem
der Sperrforts werden sich wundern, wie viele geschickte Rechte, das mit uns geboren«, in der männlichen Rechts-
Kolleginnen sich ihnen an die Seite stellen werden. philosophie niemals für die Frau gegolten hat. Was Sie in der
Was der Mann trotzdem im Allgemeinen in fast allen Gleichberechtigung mit uns Männern auf den Gebieten geist-
geistigen Thätigkeiten vor der Frau voraus hat und wohl igen Schaffens erreichen werden, werden Sie uns ab trotzen
immer voraus haben wird, das beruht in der~stärkeren An- müssen in heissem Kampfe und unter Anwendung aller er-
griffsfähigkeit, welche ihrerseits wesentlich von geschlecht- denklichen Kriegslisten. Und darin sind Sie uns ja über-
lichen Verhältnissen abhängt, — von jenen Verhältnissen, legen, — wenn Sie wollen. georg hirth.

An der Seine, wo von jeher Wie wird der Bulgarenfürste


Rückblick u. Ausschau. Art und Sitte gar so fein sind, Festigen sein schwankend’ Thrönchen?
Von Ibykus. Zittert man vor einem Menschen, Wird den rechten Glauben finden
Dessen Hände gar nicht rein sind. — Er für sein durchlaucht’ges Söhnchen? —
Wieder nach des Jahres Wende
Aus dem Harem trat der Kranke Wer kann’s wissen? — Und tief unten
Blick ich sinnend und verwundert
Auf das menschliche Getriebe Mann, und Said Pascha rief er. Geht ein Grollen durch die Masse.
Doch den Pascha packt ein Grausen; Mit der Armuth bitterm Jammer
In dem sinkenden Jahrhundert.
Schleunigst um die Ecke lief er. — Bündet sich der Neid, der blasse.
Die civilisierten Völker Ueberall ein Zukunftsbangen, Den Enterbten Glück verheissend
Bringen durch die fernsten Meere Ueberall ein banges Zagen. Und das Ende ihrer Nöthen
Höhere Cultur und Bildung Selbst die Mächtigen der Erde Seh ich durch die Lande schleichen
Und — die Repetiergewehre. Stehen stumm vor solchen Fragen: Hassverbreitende Propheten.

Drohend starren in Europa Wird der heil’ge Vater schliesslich Bebel mit der rothen Fahne
Millionen Bajonette, Dulden, dass der Portugiesen Klopft schon leis’ an die Kasernen.
Während Frau von Suttner lieblich König in dem Quirinale Und wir wandeln dunkle Wege
Bläst die Friedens-Klarinette. Seine Liebden lassen grüssen? — Trotz elektrischer Laternen.

50
1896
JUGEND Nr. 3
Aller Orten gährt und kocht es
Wie in einem Hexenkessel; Die bayerischen Reichsräthe im Hofbräuhaus.
Nach den Thronen zischt und pocht es, Des Reiches Räthe, sogar die erblichen, D’rauf sprachen in Weisheit des Reiches
Wackelnd stehn Ministersessel. Trinken Bier so gut, wie die anderen Sterb- Räthe:
Ach! was nützt es, wenn voll Eifer lichen. »Wie wär’s, wenn man’s selber verkosten
Fromme, zartgestimmte Seelen Da ward nun behauptet jüngst in der thäte?«
Späh’n umher zum Wohl des Volkes, Kammer, Gesagt — gethan! Wie Sepperl und Natzl
Wo noch Feigenblätter fehlen! Mit dem Hofbräubier da sei es ein Jammer. Schritten die fürnehmen Herren zum Platz!.

Denn die Welt ist schlecht, und lange


Schon sie nimmermehr gefällt mir,
Weil der Menschen planlos’ Treiben
Alle Freude dran vergällt mir. —

Sachte, Freund! Noch Eines giebt es,


Welches immer int’ressant ist,
Wo die Energie des Strebens
Und Empfindens hochgespannt ist.
Dieses Eine wirst du immer
Sehn die schönsten Blüthen treiben,
Und in Ernst und toller Laune
Wird es gleich erfreulich bleiben.
Mag herum das Unkraut schiessen,
Dort gedeihet noch die Tugend.
Freu’n wir uns, dass wir es haben
Dieses Eine, s’ist die Jugend.

Topp! Jedoch das Heer der Thoren


Möchten wir nicht ganz entbehren,
Weil wir oft aus ihren Thaten
Ziehen unsre besten Lehren.
Bis vom Kopfe der Bavaria
Man ein Häusermeer nur schau’n wird, —
Bis der Wittelsbacher Brunnen
Von der Sonne kaffebraun wird, —
Stirbt sie noch nicht aus, die Thorheit,
Und aus unserm Fenster lugend,
Wollen wir sie recht betrachten
Und belachen, wir,
die „JUGEND“.

Das war der Graf Grapski auf Klazkowo


Im Lande der Bettelstudenten,
Dem musste ein löbliches Schöffengericht
Vor Kurzem ein Strafmandat senden.
Das war der Graf Grapski auf Klazkowo
Der hat seine Wuth nicht gezügelt
Und — weil ihm der Freche die Hand nicht
geküsst, — Sie kosteten lange und schlürften tief Und wo noch solches vorhanden war
Einen deutschen Beamten geprügelt. Und mancher durchlauchtige Mund ward Stand ihnen zu Berge hoch ihr Haar.
Drauf hat man verdonnert zu fünfzig Mark schief. Da riefen Hochwohl- und Hochgeboren:
Den temperamentvollen Grafen — Und drinnen in höchstihren Eingeweiden »O weh ! Da ist Hopfen und Malz verloren.«
Doch dass ihn der Andere nicht wieder Fühlten sie’s bohren und sägen und
verhau’n, schneiden.
Das soll man empfindlicher strafen!
Den hätt’ ich vom Amte suspendiert
Der Nieverlegene
Bis dass eine Quittung ihm schriebe Wenn in schwersten Schicksalslagen Einen wird es nie gelingen,
Der edle Graf Grapski auf Klazkowo — Alle Weisheit will versagen, In Verlegenheit zu bringen.
Für die wieder erhaltenen Hiebe! Wenn die klügsten Diplomaten Alles weiss und weiss er besser,
Der bekannte _ Herr Professor
r*-~„c
Im Erwägen, im Berathen,
GEORG BÖTTICHER.
Zögernd steh’n und stumm: Vom Gymnasium.

5'
Inseraten-Annahme Insertions-Gebühren
durch alle Annoncen-Expeditionen
sowie durch
G. Hirth’s Verlag in München
und Leipzig. JUGEND G. Hirth’s Kunstverlag in München & Leipzig.
fllr die
4 gespalt. Colonelzeile oder deren
Raum JL I.—.

abdrucken. Der Humor lässt sich ja selten aus


einer Sprache in die andere übersetzen.
Der Cicerone
in der
Das Titelblatt dieser Nummer, das den
alten Bismarck so trefflich schildert, wie er den
Kgl. Aelteren Pinakothek in München zerbrochenen Reichsadler wieder zusammen-
Eine Anleitung zum Genuss und Verständniss leimt, ist von Rudolf S e i t z , desgleichen die
der hier vereinigten Kunstschätze. reizende Titel-Vignette unter dem „Gruss an
die Jugend“ in unserer ersten (Doppel-)Nummer.
Herausgegeben von
Georg Hirth und Richard Muther. Unsere Mitarbeiter: Zugegangen oder in
Aussicht gestellt sind uns künstlerischeBei-
336 Seiten kl. 8° mit 190 Illustrationen. träge von: Julius Adam, Henry Albrecht,
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Der Cicerone ner, Fritz Burger, Caran cPAche, J. Carben,
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Königl. Gemäldegalerie in Berlin. lius Diez, L. Dill, O. Eckmann, Fritz Erler,
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der hier vereinigten Kunstschätze. Hugo Freiherr v. Habermann, Helleu, Louis
Herausgegeben von Hertzog, Paul Hey, Arthur Hirth, E. Hirsch,
Georg Hirth und Richard Muther. Hugo Höppener (Fidus), E. Hollenberg, A-
500 Seiten kl. 8° mit 200 Illustrationen. Horstig, J. Huber, Ibels, Jeanniot, Olaf Jern-
Preis brosch. Mk. 3.—, geb. ä la Baedeker Mk. 3.50. berg, Jossot, Arthur Kampf, F. A. v. Kaul'
bach, A. Keller, Max Klinger, J. Kerschen-
steiner, E. Kneiss, Franz Kozics, Lautrer, Le-
Diese Führer haben den Zweck, dem Besucher
die künstlerische und kunstwissenschaftliche Bedeutung ander, Franz v. Lenbach, Max Liebermann,
der Schätze der Gemäldegalerien zu erklären. Es ge- E. Lugo, A. Mareks, Karl Marr, v. Meissl,
schieht dies in einer allgemeinen Einleitung von Georg 0 Melly, Metivet, P. Meyer-Mainz, L. v. Nagelt
Hirth, ferner in einer pragmatischen Darstell- Vilma Parlaghy, Radiguet, A. Rietti, Th. Rocholl
ung der Bilder von Richard Muther.
Leo Samberger, J. Sattler, Scheuermann, fl-
Illustration von Robert Anning Bell zu „A Midsummer Schlitt, Arfad Schmidhammer. J. Schmitzbergeft
Nigth’s^Dream”, London, J. M. Dent.
Th. Schmuz-Baudiss, Carl Schnebel, Otto Seith
Rudolf Seitz, Werner Schuch, Max Slevogti
Steinten, L. Stockmann, C. Strathmann, Front
Stuck, Hans Thoma, W. Trübtier, Fritz v. Uhdtt
Ch. Vetter, Valloton, H. Zügel.
Literarische Beiträge von: Conrad
Alberti, Hermann Almers, Ferd. Bonn, M. G>
Conrad, Juliane Dery, Georg Ebers, Fran1
Fvers, K. E. Franzos, Ludwig Fulda, Mn*
ILalbe, Otto Erich Hartleben, Karl Henkell
Wilh. Hertz, Paul Heyse, G. Hirth, H.
Briefkasten. Hopfen, Otto v. Leixner, Hermann Lingg, Ali-
Matthaei, F. v. Ostini, Wilhelm Raabe, I"
Frl. A. L. Augsburg. Wenn Sie Ideen Rauchenegger, 0. Roese, P. K. Rosegger, Friede
haben für Bilder und Text und ihnen nicht künst- Schanz, Rieh. Schmid- Cabanis, Arth. Schnitzlet'
lerischen Ausdruck geben können — kritzeln L. Soyaux, C. Tanera, Joh. Trojan, R. v. Seyd-
Sie Ihre Bilder getrost so kindlich als Sie wol- litz, Paul Verlaine, R. Voss.
len, auf ein Blättchen Papier, wir haben Künst- Originalcompositionen von: Frnsl
ler genug an der Hand, welche zeichnen kön- Baecker, A. Bungert, Emil Hess, IL. Somntey
nen, aber um Ideen verlegen sind. Ebenso Richard Strauss, L. Thuille u. A.
braucht eine gute Idee in Worten nicht druck- Von den uns eingesandten Arbeiten „Del
reif eingesandt zu werden — wir nehmen das Krieg 1870—71 in 1870 Worten" ha1
Kind Ihrer Muse oder Ihres Humors schon in sich als die Geeignetste ergeben die von Kan
orthopädische Kur! Also getrost einsenden. v. Tanera, k. Hauptmann a. D. (Berlin). Die'
L. v. M., Berlin. Da die „Jugend“ es ser wurde der erste Preis (200 Mark) zu Theil-
sich zur Aufgabe gemacht hat, ihre Leser auch Den zweiten Preis (60 Mark) erhält die Arbeit
mit hervorragenden ausländischen Künstlern be- von Max Dittrich in Dresden. Den dritten
kannt zu machen und die Mehrzahl von diesen, Preis (40 Mark) erhält die Arbeit von Josef
namentlich die Herren Karikaturenzeichner ihre Riemerschmidt in Ehrenberg.
Texte zu den Bildern selbst schreiben, so müs- In unserer nächsten Nummer bringen »-It
Zeichnung von Dudley Hardy im »Courrier franfais«. j sen wir wohl oder übel, um ihr künstlerisches ein Lied: „Wenn . . .“ von Carl Busse, Origi'
Ensemble nicht zu stören, jene Worte im Urtext n a 1 - C10 m p o s i t i o n von Richard Strauss.

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Herausgeber: Dr. GEORG HIRTH; verantwortlicher Redakteur: F. VON OSTINI; verantwortlich für den Inseratentheil: G. EICHMANN; G. HIRTH’S Kunstverlag; sämmthe
München. Druck von KNORR & HIRTH, Ges. m. beschr. Hftg. in München.
1896 25. J A N U A R
JUGEND I. Jahrgang Nr. 4.

Munchnei illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben. — G. Hirth’s Verlag in


ALLE RECHTE VORBEHALTEN.
München & Leipzig.
Nr. 4
JUGEND
1896

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54
Nr. 4
1896 JUGEND
Sieh! die Messe ist zu Ende —
Und die Gläubigen verlassen
Ihre kleine Kirche, deren
Thurm so spitz, wie eine Spindel.
Bunte, sonntägliche Gruppen
Drängen aus der Kirchenpforte
Und verziehen sich allmälig
Bis es leer wird auf dem Platze.
Aber halt! was für ein grelles
Ding liegt an der Kirchhofsmauer?
Ich trat näher, und vor mir
Lag ein buntes Taschentuch.
Zweifellos verlor es eben
Einer jener Kirchengänger. »Du!« ER, der Rechtsanwalt, mit dem moquanten
Richtig! — dorten in der Ferne »Miez?« Lächeln — sein ganzer Witz besteht aus
Naht ein Weiblein, ängstlich suchend. »Arthur! Setze Dich einmal neben mich! diesem Lächeln — und der Major, der
Schnell heb’ ich das Tuch vom Boden, Nicht gar so nahe — so! Ich habe Dir schon immer hüpft wie eine Naive, um seinen
Will’s der Frau entgegentragen — seit Langem Etwas zu sagen.« Rheumatismus wegzuleugnen, der sanfte
Da entdeck’ ich einen Knoten »Himmel, wie ernsthaft! Wird’s eine Lyriker, der Dich fortwährend mit seinen
Und im Knoten fühl’ ich Schätze. Blicken andichtet, dann der Baron mit den
Strafpredigt?« grossen Schulden und dem kleinen Schnurr-
Was mich antrieb, weiss ich selbst nicht — »Nein — ich will Dir nur sagen — bart — Sie alle machen Dir den Hof und
Kurz, ich öffnete den Knoten: dass wir keine Kinder mehr sind.« beneiden mich um das Vorrecht, Dich Du-
Ach, wie traurig, ach, wie rührend! »Wir?« zen zu dürfen. — Und — Miez! Sag’ ein-
Tiefer Armuth Spuren sah ich! »Du brauchst gar nicht so spöttisch zu mal ehrlich — wie kamst Du überhaupt
Wenige kleine Silbermünzen thun! Auch ich bin kein Kind mehr!« darauf?«
Lagen abgesondert, etwas »Natürlich — siebzehn gewesen!« »Ich kam ja gar nicht darauf — oder
Nickel gab’s. Das Andere »Bald achtzehn! Und ich sehe aus wie doch — aber nicht ganz allein! Mama —
War gemeines Kupfergeld. zwanzig, sagt Mama.« und auch Tante Lina —«
Auch ein Amulet von Messing »Du bist herzig!« »Die Mütter! Mütter! — ’s klingt so
Lag dabei, den Schatz zu hüten; »Nun fängst Du schon wieder an! Und wunderlich! Was haben sie also ausge-
Sankt Franziskus! Dieser aber darum geht es wirklich nicht mehr so weiter heckt?«
Scheint es, inspirirte mich. — eben weil wir keine Kinder mehr sind!«
»Mama fand, dass es an der Zeit sei,
Denn, was ja im Leben jedem »Aber was geht denn nicht mehr, dum- dass wir — ich wiederhole nur ihre Worte
me kleine Miez?« — das kindische Verhältniss abbrächen.«
Menschen einmal kann passiren,
Widerfuhr auch mir: ich hatte »Das ist auch so was! Ich heisse Wil- »Ach und es war so reizend! Jetzt,
Einen lichten Augenblick. helmine.« — wo sie uns die Binde von den Augen reissen,
»Von und zu Bergholz! Weiss ich! weiss ich erst, in welch schönem Garten
Einen blanken Silbergulden Aber was will diese überflüssige Bemerk- wir spazieren gingen. Und gerade, weil das
Band ich zu den andern Schätzen ung sagen?«
In das Tüchlein, legte alles Verhältniss kindisch war, ist es schön ge-
»Kurz das: Wir dürfen nicht mehr so wesen! — Aber wenn Mama befiehlt — Da
Auf den alten Platz und ging. wie bisher zusammen verkehren — nicht meine Hand, schlag’ ein! Auf Sie und Sie!«
Ja, da war sie schon! — Ich stand mehr so —- »Auf Sie und Sie! Und nun sage ich
So, dass sie mich nicht bemerkte. »So frere et co—.« nie wieder Du zu Ihnen!«
Eine arme Bäurin war’s, »Sei nicht ungezogen.« »Und ich sage fortan getreulich Sie
Abgehärmt und früh gealtert. »So kameradschaftlich?« zu Dir!«
Als die Hagre, deren Augen »Ja, nicht mehr so kameradschaftlich! »Und dann noch eins!«
Auf dem Boden gierig forschten, Du bist jetzt schon fünfundzwanzig.«
Das Verlorene entdeckt hat, »Ich sehe aus wie vierundzwanzig, sagt
»Wie Sie befehlen, Wilhelmine.«
Schöpft sie Athem wie erlöst. Papa.« »Mit dem Taufnamen — Herr Doktor
»Sei doch einen Augenblick ernsthaft! — das geht auch nicht mehr an!«
Hastig nimmt sie auf das Tuch
Und befühlt in Angst den Knoten. Ich spasse gar nicht! Also höre: Du bist »Gnädiges Fräulein! Mir ist es, als
V’as ist das? — Sie stutzt! das Ding | fünfundzwanzig, ich fast achtzehn; wir sind
gar nicht verwandt und können nicht länger wäre hinter mir eine Thüre zugeschlagen,
Scheint ihr dicker, als es war. eine Thüre, hinter der es warm und hell
Und mit Fingern, welche zittern, mehr die Nachbarskinder spielen.«
war und vor der nun eine Regennacht liegt!
U eff net sje, schreit »Jesus Christus!« »Diese Wendung ist auch von Deiner Das ist ein hässliches Gefühl! Ein bitter
Sinkt in ihre Knie nieder. Mama!« ernstes jedenfalls, wie bei jedem Abschnitt
Schlägt ein Kreuz und betet laut. »Mag sein! Aber sie hat Recht!« im Leben! Wir sind keine Kinder mehr!
Als ich nun vor wenig Wochen, »Also entfremden wir uns! — Und wie Was ist das Mie — Fräulein v. Bergholz?
Nach so vielen vielen Jahren, sollen wir diese unsere Entfremdung zu Das, was da auf Ihrer Wange glänzt, sieht
Wiederum in’s Dörflein kam, sichtbarem oder hörbarem Ausdruck brin- ganz wie ein Thränlein aus!«
Fand ich nah der alten Kirche gen?« »Oh nein! Ich bin mir nur mit dem
Eine neue Altar-Nische »Wir dürfen nicht mehr — Du sagen Fächer in’s Auge gekommen!«
Für den heiligen Franziskus, zu einander.« »Empfinden Sie also nicht auch einen
w*? 5'n ?'tes Bäuerlein, »Nicht einmal das mehr! Und ich war leichten Geschmack von Bitterniss auf der
Welches ich darum befragte, so stolz darauf, und sie beneideten mich Zunge? — Gar nichts?«
Sagte: Ja, der Heil’ge habe so — die Andern, die Dir den Hof ma- »Ich weiss nicht, was Sie meinen —
Einmal einer frommen alten chen —« das heisst, ich weiss jetzt bestimmt, dass
Frau, die Medizinen brauchte »Mir?« meine Mama nicht gar so unrecht hatte.«
Für den kranken Mann zu Hause. »Ja! Ja! Ja! Eine ganze Menge heirats- »Und seit wann wissen Sie das?«
In ein Tuch, das sie verloren, fähiger Biedermänner macht Dir den Hof. »Seit Sie das mit der Bitterniss sag-
Eingelegt das nöthige Geld. Da ist der lange Amtsrichter, der sich auf ten —«
Die Gemeinde aber habe seinen Vollbart und seine I im Staatskon- »Miez!«
Ihm dafür dies Bild gestiftet. kurs so viel einbildet; der schöne Doktor, »Bitte: Fräulein--
der thut, als dürfe ihn überhaupt kein »Lass’ nur, liebe Miez, Du hast ja
A. WOHLMUTH. , Mädchen ausschlagen, weil er es ist, Er, schon so viel verrathen!« —

55
Nr. 4 1896

»Ich verstehe Sie nicht! Was soll denn - Das sehe ich doch nicht ein, Was denn
ich verrathen!« — zum Beispiel.«
-Wie gut ihr das Rothwerden steht! »Dass wir einander nie etwas übel neh-
Goldkind!« men wollten! Den Gontrakt habe ich selbst
»Wenn Sie wollen, dass ich mit Ihnen gebrochen und es Ihnen sehr verübelt, dass
plaudern soll —- Sie heute dem Amtsrichter den Cotillon
»Gut! — Sie haben Recht! Es wäre gaben!«
Schade um dies Plauderstündchen. Was »Oh der! Das ist ja alles nur wegen
liegt auch an dem unverständigen Fürwort! Mama! Sie nickte mir so gebieterisch zu,
Sie oder Du! Soll ich Ihnen was erzählen, als der würdige Mann um den Tanz bat.
gnädiges Fräulein?« Und hinterdrein sagte sie etwas so Kom-
»Wenn es etwas Vernünftiges ist!« isches zu Tante Laura — etwas was ich nicht
»Vernünftig? Nein! Dazu ist es viel verstand — etwas von mehreren Eisen, die
zu hübsch! — Es war zu einer Zeit, da sie im Feuer habe —-
ich Sie noch Miez nennen durfte, Fräulein »Was für eine weitblickende Mama ha-
Wilhelmine, und alle Welt nannte Sie da- ben Sie doch! Und darum das Verbot! —
mals noch Miez, denn Sie waren, verzeihen Und waren Sie mir nicht auch schon oft um
Sie, noch ein Backfisch in des Wortes grün- etwas böse, Mie— gnädiges Fräulein ? War-
ster Bedeutung. Und wie grün war ich! um schmollten Sie denn, als wir neulich
Ich trug die Abiturientenmütze auf den vom Schlittschuhlaufen nach Hause gingen
Locken — oh ja! bitte, damals hatte ich und ich Ihnen die Flügelschuhe tragen woll-
noch Locken —- und hatte das Herz und te? Sie sagten: ,Bitte, ich will Andere Ihrer
den Kopf so voll von Unsinn und über- Galanterie nicht berauben!1 und sagten es
quellendem Gefühl, dass ich meine Em- bitter — wie Galle!«
pfindungen in Reime setzte. Für alles Hohe »Das war, weil Sie sich so viel mit die-
und Ideale schwärmte ich —die Arbeit aus- ser Frau Bartow zu thun machten. Sie ist
genommen — und was meinem Pegasus in eine Sirene, sagt —-
die Quere kam, wurde besungen. Und Sie »Mama!«
waren das einzige Wesen, das Sinn und Ge- »Jawohl! Und alle Welt sagt es! Und
duld für meine Poesien hatte. Und dann! Sie müssen doch nicht glauben, dass dies
Es war ein Abend im Park! Grillengezirp echtes blondes Haar ist! Und ihr Ruf! Der
und Vogelgezwitscher füllte die Luft. Wir kleine Blasswitz von den Husaren soll sich
sassen auf einer Steinbank — sie kann auch ihretwegen erschossen haben — Und sie soll
aus Holz gewesen sein — und schauten zu, gar nicht Wittwe sein — sondern blos ge-
wie der rothe Mond über den flachen Hügeln schieden! Sie hat ihren Mann böswillig ver-
der Ferne heraufstieg. Ich hatte Ihnen eben lassen. Schulden hat sie auch.«
ein Gedicht mit Weltschmerzgedanken vor- »Und mit diesem entsetzlichen Weibe
gelesen, dazu kam der Mond, die Grillen, tanze ich heute den Cotillon!»
der Hollunderduft — und unsere Seelen
wurden weich. Es war nur Freundschaft, »Höhnen Sie nur! — Bis Sie in ihrem
Fräulein Wilhelmine, was wir uns dort Netz zappeln, bis es Ihnen geht wie dem
schworen — aber Freundschaft auf Tod und armen Blasswitz. Ach Arthur — sie wird
Leben.« Sie sehr unglücklich machen, sie ist falsch
»Die will ich Ihnen ja auch —- und so putzsüchtig und sie malt sich —
»Zu viel Güte! — Damals sagten wir ich habe es vorhin ganz deutlich gesehen,
uns, dass wir bis an den Rand des Grabes sie malt sich!«
gute Kameraden bleiben, uns nie etwas »Miez!«
verheimlichen, nichts übel nehmen wollten
unser Leben lang. Wir redeten sehr klug »Ich bitte!«
und sehr geringschätzig von den Leuten, »Das Alles ist schon wieder gegen un-
die eine richtige Freundschaft nicht für mög- sern alten Gontrakt. Wir haben uns doch
lich hielten zwischen Mann und Weib — versprochen, was wir irgend einander mit-
nein, so präcise drückten wir uns nicht aus. zutheilen hätten, gerade heraus zu sagen?«
Wir sagten: zwischen jungen Leuten, wie »Gewiss! Ich thue es ja eben!«
wir. Aber wir wollten es ihnen schon zei- »Sie thuen es nicht und ich habe es
gen ! Alle Welt sollte sehen, dass wir rich- auch nicht gethan. Nun reden wir alle
tige Freunde seien. Und duzen wollten wir Beide schon eine halbe Stunde um die
uns auch, aller Welt zum Trotz — und wenn Sache herum und sagen uns doch nicht,
die Tante Laura darüber explodirte!- was wir uns sagen müssten!«
Wissen Sie noch, wie wir unseren Bund be- »Das verstehe ich nun wirklich nicht!
siegelten? War das hübsch!« Was sagen müssten?«
»Sie sind unartig und waren es damals »Dass es überhaupt mit der alten
auch!« Freundschaftsgeschichte nichts mehr sein
»Aber sie wehrten sich nicht und wir kann!«
meinten es auch so ehrlich und kindisch »Und warum das?«
mit unserm verlegenen Anfängerkuss. So- »Weil — sieh mich einmal an! — weil
gar unsere Nasen gingen uns dabei im Wege wir uns dazu viel zu lieb haben, Herzens-
um, so ungeschickt waren wir.« kind!«
»Wenn Sie nicht aufhören, von so thö- »Aber was Dir einfällt, Arthur —-
richten Dingen zu reden, gehe ich zu Mama »Nein, sind wir dumm, sind wir dumm
hinüber in den Saal!« gewesen! So was nicht glatt weg einzu-
»Ich bin schon zu Ende mit den thörich- sehen! Haben uns lieb und wissen es
ten Dingen und es ist Schade darum! Heim nicht und sagen es einander nicht!«
nun ist eben auch Alles dahin und zu Ende, »Aber ich habe Ihnen —«
was wir uns damals versprochen haben für s »Du, heisst es jetzt, Miez, Du!«
Leben!« »Ich habe ja gar nicht gesagt, dass
»Doch nur, dass wir Du zu einander ich — Sie lieb habe! Es ist auch gar
sagen wollten —« nicht so.«
»Alles Andere auch!« »Und die Eifersucht auf die Sirene?«
Zierleiste von j. Diez.
1896 JUGEND Nr. 4

»Es war ja nur um Ihr Glück! Ich


— ach Gott, auf mich kam es ja gar nicht
an! Ich hätte Keinem was merken lassen
und wenn mir das Herz gebrochen wäre —«
»Aber lieb hast Du mich nicht?«
»Ich hätte die Zähne zusammenge-
bissen und gelacht und wäre eine alte
Jungfer geworden —«
»Trotz Mama, Tante Laura, Amts-
richter, Doktor und Major! — Ja aber
warum denn das Alles, wenn Du mich
gar nicht lieb hast?«
»Ach — Du!«
»Aber nun zurück zu Mama!«
»Herr Doktor, wo bleiben Sie denn
so lange mit meiner Kleinen?«
»Mama, wir hatten — ich habe —«
»Miez und ich hatten uns so viel zu
sagen. Gelt Miez, Du erzählst es Deiner
Mama? Ich muss zur Quadrille! —«
»Aber Ihr duzt Euch ja noch!«
»Verzeihen Sie, gnädige Frau — wir
duzen uns — wieder!«
»Siehst Du, Laura, ich hatte Recht!
Es ging prächtig! Man musste die jungen
Leutchen nur auf den rechten Weg bringen
— ich glaube, die wären ihr Lebtag nicht
darauf gekommen, dass sie sich lieb haben,
hätte ihnen mein Verbot nicht dazu ver-
helfen ! — Und Arthur bekommt das Ma-
jorat, wenn sein Onkel stirbt!«
f. v. OST1NI.
Originalzeicbming von L. Corinth.
Ein Geheimniss!

Wenn die bleichen Träume bluten,


Verwehte Klänge Die in meiner Stirne sind,
aus den Gärten der neuen geistigen Kunst. Jauchz’ ich wie ein Sommervogel,
Von unserem Spezial-Symbolisten. Der voll bunter Federn ist.
ANKLANG.
DA WEINT’ ER..
War es das Klingen der goldenen Bleche
Von Ambraduft ein kräuselndes Gewölk
Dort am chinesisch gekräuselten Thurm?
War es der Lenzwind der lüsterne, freche, Und Rosenblätter,
Weckend Narzissen zu brünstigem Sturm? Die auf des Perserteppichs dunklem Bunt
Hinwelkend blichen
Weil mich ein schmerzliches Klirren durchzückte Und eines Abendwölkchens goldner Glanz
Wie vom venetisch geschliffnen Pokal, Im Blau zerfliessend —
Welchen nach all zu bacchantischem Mahl Das wars, was mir den amethystnen Blick
In herrischen Fingern der Doge zerdrückte. - Zu Thränen trübte....
VIA DOLORIS. IRRES DÄMMERN.
Führe mich die rauhe Strasse, Auch denk’ ich noch an jene stumme Stunde,
Die voll scharfer Kiesel ist, Die langsam-schwer die sammtne Schleppe schleifte
Führe mich zur Dornenhecke, Und mit dem seltsam engelländ’schen Munde
Die voll spitzer Stacheln ist. In scheuem Kusse meine Locken streifte.
Flicht mir eine Dornenkrone, Den Purpurpfühl, d’rauf meine Glieder ruhten,
Die voll spitzer Stacheln ist, Stach scharf und kalt ein violetter Strahl
Flicht sie eng um meine Stirne, Und in der Dämmrung lethe-bleiche Fluthen
Die voll bleicher Träume ist. Sank meiner Schwermuth zitternder Opal...

57
Nr. 4 JUGEND 1896

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1896 JUGEND Nr. 4

»Du wirst Dir den Schnupfen holen


Literatur-Ballerino. So ohne Paletot, Nachts am Meer!«
Zwischen sieben Spiegeln tanzt er:
Nackt die Brust und nackt die Beine,
Um die Lenden ein gluthroth Tuch.
Zwischen sieben Spiegeln tanzt er;
Sieben Feuer werfen Scheine
Auf die wirbelnden Arme und Beine,
Auf das gluthrothe Lendentuch.
Und er lächelt — und bedenkt sich;
Und er faltet seine Brauen;
Und er schlägt sich und — bedenkt sich
Und drapirt das rothe Tuch.
Zwischen sieben Spiegeln tanzt er,
Schlägt ein Gong und singt — ein Buch.

Gaudeamus-Potpourri.
Wie selbiges der Studiosus philosuffiae Schwuchtibert Sing-
huber auf dem Heimwege vom grossen Scheffel-Kommerse
gedichtet, nachempfunden und in die stille Nacht hinein-
gehaucht hat.
Mel.: »Alt Heidelberg, du feine —«
und zwar behaupten böse Zungen, der Edle habe das Lied
aus Fisis-Moll und in s/7 Takt gesungen.
Wohlauf, die Luft geht frisch und rein,
Fahr’ wohl, mein grauer Hut!
Gibt’s nirgend mehr ’nen Tropfen Wein?
Mir ist so kreidig zu Muth.
Alt Heidelberg, du feine,
'Raus da! Rem blemm! Hollaheh!
Schon friert’s mich an die Beine
Im Lamm zu Niniveh.
Augustus sass im Kaisersaal,
An Durste riesengross:
O Welt, du Katzenjammerthal,
Du süsse, halbvergess’ne Stunde Wir kleben und kommen nicht los.
Alt Heidelberg, du feine
Im grünen Uferlaubgerank, Im schweigenden Ocean,
Wo ich zuerst von ihrem Munde, Ich pfeif’ auf die saueren Weine,
Der Liebe holden Zauber trank! Wir pumpen niemand mehr an.
Ein Windhauch ging durch Liebchens Locken
Zwölf Palmen ragten am Meeresstrand,
So mild, so weich — ein Frühlingstraum Blauäuglein blitzen drein,
Und streute leichte Blüthenflocken Da sprach der Hausknecht aus Nubierland:
Auf uns herab vom alten Baum. Es hat nicht sollen sein!
Alt Heidelberg, du feine,
Die grüne Laube sah ich wieder, Der Schwed’, der Schwed’ ist da!
Den alten Blüthenbaum dabei, Die Wahrheit liegt im Weine,
Wie damals duftete der Flieder, Sit vino gloria!
EDWIN BORMANN.
Wie damals schimmerte der Mai.
Doch meine heissen Augen riefen
Die todte Liebe nicht zurück.
Versunken wie in ferne Tiefen
Lag jene Stunde und ihr Glück.
Der Tag verblich, die Schatten sanken
Und Nebel dampften aus der See,
Schwer lag der Nachtthau auf den Ranken,
Wie auf der Seele stummes Weh,
Es kam die Nacht auf leichten Sohlen —
Da klang’s vom Fischerhause her:
59
Nr. 4
1896

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Der Wolke" Original vo.. I?iJn» (H. I lö, p ilci).


Nr. 4 JUGEND 1896

Märkische Stimmung.
Wenn die Wolke graut, die Sonne sticht,
Bleiern der Himmel brütet:
Wand’rer, hab’ Acht! Lang währt es nicht,
Bis der Donner poltert und wüthet.
Der Himmel wird ein Feuermeer,
Der Sturm knickt Fichtenäste —
Und unter Dir und um Dich her
Nur Sümpfe und Moräste.
Doch wie’s gekommen, zieht’s vorbei
Und die Vögel im Laube frohlocken;
Die Erde, die Sonne glänzen wie neu,
Dein Fuss geht sicher und trocken.
D’rum brauchst Du vor dem märkischen
Sand
Nicht wie vor den Alpen zu zittern:
Im Ganzen ist’s ein trock’nes Land —
Trotz seinen schnellen Gewittern.
CONRAD ALBERTI.

Die „Loreley“.
Ich weiss nicht, was soll es bekunden,
Die Jahre orgeln rasch sich ab, Ich hoff’, dass reine Melodei’n Was heute so traurig mich stimmt:
Ich orgle fort bis an mein Grab; Für heuer auf der Walze sei’n! Ich denk an ein Kriegsschiff, das unten
Am fernen Bosporus schwimmt.
Die Luft ist kühl, es will dunkeln
Und glatt liegt bei Stambul die Fluth —
Die „Loreley“ — höre ich munkeln —
Sei lang’ schon zu gar nichts mehr gut.
Die Kanonen — in sichern Verliessen
Des Schiffsraums liegen sie stumm:
Man wagt es,nicht, oben zu schiessen,
Sonst kippte die „Loreley“ um.
So liegt sie seit uralten Zeiten
Vor Anker am nämlichen Fleck,
Der grosse Brummkreisel schien ge- ich so wenig Chic besässe! Weisst Du über-
waltig erbost zu sein, obwohl er eigentlich haupt, was Chic ist! — Du siehst ja aus Das Moos wächst ihr längst an den Seiten
wenig Ursache hatte, und der hölzerne liess wie ein umgekehrter Kirchthurm — hähähä! Und Schwammerln und Seegras auf Deck’
all die hitzigen Vorwürfe stumm über sich — Du hast ja nicht einmal einen anständigen
ergehen. Aber der Brummkreisel schimpfte Bauch!-Ach Gott! Ich vergeude wahr- Die allerunschuldigste Bö’ macht,
und tobte immer weiter wie ein altes Wasch- haftig meine kostbare Zeit und meine kost- Dass sie die Balance verliert:
weib. — bare Lunge an dieses Lumpenpack! Die ver- So stolz wird germanische Seemacht
„Ach Du — Du Lump! — Du hast gar dienend ja gar nicht, dass man sich mit ihrer
keine Berechtigung neben mir zu existiren! Beglückung abgibt!“ Im Ausland repräsentirt.
-Du denkst wohl gar, Du bist meines- Der Holzkreisel war ganz starr, denn
gleichen, Du elender Proletarier Du! Bist er fühlte im Innersten, dass all diese Schelt- Ich glaube, die Wellen verschlingen
Du vielleicht auf die drei blanken Knöpfe worte berechtigt wären und wagte keinen Das Schifflein mit Mann noch und Mans>
da an Deiner Mütze stolz? Oder darauf, Ton zu erwidern; der andere aber fühlte Drum ist es am Besten, wir bringen
dass Du von Holz bist? — pfui Teufel: von sich durch seine wuchtige Rede gewaltig
Holz! — Bettelpack! — Sieh mich einmal Den Kasten bei Zeiten nach Haus!
gekräftigt und erhoben: diesem Gesindel
an: ich bin von Blech! — Du mit Deinem hatte er’s endlich einmal gründlich gegeben! Und kann er soweit nicht mehr laufen,
platten Schädel erkennst natürlich nicht den Da scheuchte ihn eine Hand empor; er
gewaltigen Unterschied! — Ich kann auch musste sich drehen, unermüdlich drehen Ist nicht viel Schaden dabei:
singen, dass alle Menschen entzückt lau- und dazu sein eintöniges Lied brummen, Wir streichen es frisch und verkaufen
schen; ich habe auch goldene, rosenfarbene wie er’s schon tausendmal gethan hatte. Den Türken das Prachtstück für neu.
und dunkelblaue Bänder über Brust und Und neben ihm wirbelte der „pöbelhafte“ KI-KI-Kl’
Bauch — und ein silbernes um den Hals, Holzkreisel. — Freilich nach dem Schlage
während Du — Du dummer Pöbel Du! — einer Peitsche. Aber tanzen mussten sie
Dich mit schmutzigen rothen und grünen beide, so lange ihr Herr—der kleine Knabe —
Streifchen brüstest! — Und Deine ganze es wünschte-höchstens durftedergrosse
Figur! Ich würde mich ja schämen, wenn dabei ärgerlich brummen. l. wetzlar.

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1896
. JUGEND -. Nr. 4
Appartement ä louer.

Für die „Jugend1* gezeichnet von M. Radiguet (Pari»).


Et dans toutes les pieces, des placards ä pouvoir cacher des regiments
une petite dame maride! entiers .... c’est ?a qui est commode pour
1896
Nr. 4 JUGEND
Krieg lebt, schliesst endlich Frieden mit die-
sen und rückt in den Rang der siebenten
Grossmacht auf. Russland tritt Sibirien an
die räumlich etwas beschränkte Republik
San Marino ab. England überlässt Deutsch-
land ein Vogelriff im atlantischen Ozean
(15 Dm Oberfläche) und erhält dafür die
deutschen Colonien in Ost-, West- und Süd-
afrika. Ausserdem bekommt es den Rest
von Afrika, ganz Asien, Südamerika, Au-
stralien, Hannover, Sachsen - Goburg - Go-
tha, die noch unentdeckten Polarländer,
die uns zugekehrte Seite des Mondes und
den Ring des Saturn. Die Ansprüche auf
die Kugel des Letzteren hat England gross-
müthig Deutschland überlassen. Dem
Königreich Bayern wird ausser der Mark-
grafschaft Bayreuth, welche unter Co-
sima I. wieder hergestellt wird und der
Lehensherrschaft Fuchsmühl, die sich
unter dem Präsidenten Grillenberger als
Republik erklärt, auch noch die Mühe,
Kehr’ Jeder vor der eig’nen Thür’ —- Mit warmer Ueberzeugung Pathos für die Rheinpfalz zu sorgen, abgenom-
Die Meisten haben Grund dafür! — — Und mit der Tugendmiene Cato’s men. Diese bekommen die Spanier, da-
Ais jüngstens von der rechten Seite Vertreten der Enterbten Rechte mit sie, da ihnen Cuba doch verloren geht,
Ein Mann in’s Weite ging und Pleite In spitzgeführtem Wortgefechte. in Zukunft wenigstens etwas zu rauchen
Als Fälscher und gemeiner Dieb, Fritz Friedmann heisst der biedre Knabe, haben. Dafür gibt Spanien an die Eng-
Der eh’dem viel Artikel schrieb, Der eben griff zum Wanderstabe länder den Landstrich nördlich von Gib
Wie Tugend man im Land verbreite, Und sachte durchging „mit avec“ raltar bis zu den Pyrenäen ab. Irland
Und für Altar und Krone streite, Zu vieler arg Betrog’nen Schreck. macht sich unter Gladstone als Königreich
Wie unreell in Wettbewerben ,Wie ein gehetztes Edelwild“ — selbständig. J apan,das wegenseinerMacht-
Die Juden, die das Volk verderben, Ich brauche hier sein eignes Bild, stellung das Bewusstsein, eine Insel zu sein,
Und wie sie oft um ihr Vermögen I Entfloh der stramme Demokrat entschieden schmerzlich empfindet, wird
Die Leute raffinirt betrögen, — Den Rackern von Justiz und Staat, als Festland erklärt. Grönland wird
Als dieser floh und überdies Nahm fremde Gelder mit als Raub den deutschen Sozialdemokraten überlas-
Sich vielfach sonst „so-so“ erwies, Und noch als Lump mit Eichenlaub sen; Singer, Liebknecht und Bebel richten
Beim Baccarat und Ecarte Drapirt er sich, mit Phrasenfetzen, dort einen Zukunftsstaat ein. Palästina
Und auch im Chambre separee: Und spricht von Hunden, die ihn hetzen. wird unter Hirsch I. wieder ein Königreich
Der Herr Baron von Hammerstein, Genau so hat’s der Hammersteiner wie früher. Der Kirchenstaat wird wie-
Wie ein gehetztes wildes Schwein Gemacht — nicht gröber und nicht feiner: der hergestellt; es fragt sich nur wo? Das
Ward er verfolgt und seine Leute Und schaut man sich nur gründlich um, Herzogthum Lauenburg geht an Eugen
Von grimmer Bracken wilder Meute. Ist allerseits was schief und krumm. Richter über. Tirol bekommen di: Kapu-
Da goss man Spott und Gift und Hohn Es hat manch braver Centrumsmann ziner, die Jesuiten und die Franziskaner
Auf alle „Edlen der Nation“ Schon Hammersteinisches gethan, zu gleichen Theilen. Berlin wird durch
Und die um Richter und um Singer Und mancher Held von Singers Schaar zwangsweise Abschiebungen aus anderen
Erhoben warnend ihre Finger War besser nicht, als Friedmann war, Städten zur Fünfmillionenstadt ergänzt und
Und riefen laut: „Nein, so was Schlechts Und der Antisemiten Zahl ward erhält den Beinamen „Kopf der Welt“. Die
Passirt gottlob nie links, nur rechts!“ — Von Gott bestraft mit Meister Ahlwardt. Vereinigten Staaten siedeln nach Chi-
Doch ging es hier wie überall, Auch bleibt’s der Nachwelt unverloren, na über, um die dort schon vorhandene chi-
Es kam der Hochmuth vor dem Fall: Wie Stöcker fast „vorbeigeschworen“ — nesische Mauer in Betrieb zu nehmen. Die
Es wird das Gleiche jetzt bekannt, So hat halt jegliche Partei in Nordamerika frei werdenden Gebiete fal-
Von Einem, der mehr linkswärts stand Im Wandschrank ihr Skelett — auch zwei len dann natürlich an England. Für die
In Politik und Religion Und überall ist Grund dafür, 357 Millionen Chinesen, die dadurch ob-
Und der gar oft in scharfem Ton Zu kehren vor der eig’nen Thür! dachlos werden, muss erst ein neuer Auf-
enthaltsort gefunden werden; vielleicht No-
waja Sem 1 ja. Oder Island? Aber hier
denkt sich ja Ferdinand von Coburg als Lan-
Geehrte Redaktion! desvater niederzulassen, da Russland die
Selbständigkeit und das Königreich werden
Die Lorbeeren des vir pacificus in den gehobenen und heiteren Stimmung. Aber Bulgarien nur unter der Bedingung zuge-
„Preussischen Jahrbüchern“ haben mich wenn schon, denn schon! Bei fraglicher steht, dass Boris sofort die Zügel der Re-
nicht schla- nein, im Gegentheil: sie haben Vertheilung kamen viele Länder und Per- gierung ergreift. Man kann auf die Thron-
mich schlafen lassen, sonst hätte ich ja den sonen zu kurz, das war nicht Recht! Nach rede des jungen Monarchen sehr gespannt
unten mitgetheilten Ergänzungstraum zu und nach entwickelte sich in mir ein hoch- sein. Die Schweiz erhöht die Zahl ihrer
den „Politischen Träumereien“ nicht träu- gesteigertes Machtgefühl. Ich vertheilte die Cantone auf 150; jeder davon bekommt
men können, die der oben genannte Fii> Welt, Alles fügte sich meinen Anordnungen. seine eigene Verfassung. Montenegro
densmann in besagter Monatsschrift ver- Hier sind sie: bekommt von Russland noch ein Tagwerk
öffentlicht hat. Mein Traum hängt mit dem Reuss ältere Linie verpflichtet sich, end- und drei Dezimalen Grund und das alleinige
Weihnachtsgeschenk einer liebevollen alten lich das deutsche Reich anzuerkennen und Privilegium zum Hammelstehlen auf der
Tante zusammen. Sie schickte mir ein paar bekommt dafür Madagaskar; Argentinien, Balkan-Halbinsel. Wenn allenfalls sonst
Flaschen guten alten Rhum, eine Flüssig- Portugal, Griechenland und Monaco werden noch irgend was übrig ist, bekommen es die
keit, die mit etwas warmem Wasser ver- unter König Milan von Serbien zu einem Engländer.-
mischt ein wohlschmeckendes und anregen- Königreich Pumponia vereinigt; derLandes- Dieses ist mein Ergänzungstraum. Er
des Getränk bildet. Ich leerte das Tröpflein herr betreibt die Geschäfte von Monaco in kommt Ihnen vielleicht ein wenig confus
auf das Wohl der braven Dame und las eigener Regie und zahlt aus den Erträgnis- vor. Aber schliesslich, ärger als der Träu-
während ich mit der ersten halben Flasche sen dieses Betriebes nach und nach die mer der „Preussischen Jahrbücher“ habe
beschäftigt war — später hinderte mich ein Schulden der genannten Länder; Ungarn ich es auch nicht gemacht.
akuter Fall von Augenschwäche am Lesen bekommt seinen eigenen Globus, Böhmen Und dann bedenken Sie, die zwei Fla-
— die politischen Träumereien des vir pa- sogar sein eigenes czechisches Planeten- schen Rhum!
cificus. Diese Umwerthung aller politischen system ; das Fürstenthum Liechtenstein, das Hochachtungsvoll
Werthe gefiel mir ausnehmend in meiner bekanntlich seit 1866 mit den Preussen im Vir pacipfifflcus-

64
1896 JUGEND Nr. 4

''WENN .... (von Carl Busse)


comp, von Richard Strauss
Sehr lebhaft und /eitrig.

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Und wärst Du mein Weib und wärst Du mein

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Lieb, wie wollt’ ich Dich jauch-zend um - schlin - gen, ich wüss-te ja nicht wo das

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6;
Nr. 4. JUGEND 1895

66
Nr. 4 JUGEND 1895.

67
Inseraten-Annahme Insertions-Gebühren
durch alleAnnoncen-Expeditionen
sowie durch
G. Hirth’s Verlag in München
und Leipzig. JUGEND 1896
No. 4
für die
4 gespult. Colonelzeile oder deren
Raum Ji. —.

f-Haf.

Da stehen John und Jonathan, Ja, wenn sie nichts auf dem Kopfe trügen,
Sie schauen sich gar feindlich an — Sie wollten sich schön beim Wickel kriegen.

empfehle mz se'ü mehreren fahren

x. 2. Wdeshacher, Berchtesgadener,
Brief Masten, T\vo\ev
Unsere Wettbewerbe. Am 8. Januar sind die Termine für zwei
von unseren künstlerischen Wettbewerben abgelaufen, Wettbewerb II, der z. B. lAUerihaler, Meraner,
Entwürfe für Tischkarten und Wettbewerb III, der Entwürfe für poli-
tische Karikaturen verlangt. Die Theilnahme an der erstgenannten Ternsche
Concurrenz war eine besonders rege: von 54 Einsendern erhielten wie
114 Entwürfe, darunter prächtige Blätter, sehr erfreuliche Proben
modernen Dekorationsstils. Weniger zahlreich war die Betheiligung an
dem Wettbewerb für politische Karikaturen. Das trockene Gebiet der sowohl zum Bezüge für feanze Gruppen a\s auch für e\nze\r&
Politik scheint der Mehrzahl der Künstler eben ein wenig fern zu liegen. GosfümfeUe und sichere feefreue und soffde Ausführunfe zu.
fifusferhhder und Brefscouranf feraffs und franco.
G. HIRTH s Kunstverlag in München und Leipzig.
Illustrirter Katalog der Schack-Galerie in München ^oWeiYwaverv-, doppelt- und Mäxüe^aWvk
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Mit einem Vorwort von Dr. Paul Seidel Dirigent der Kunstsammlungen in den Kgl.
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Heiausgeber: Dr. GEORG HIRTH; verantwortlicher Redakteur: F. VON OSTINI; verantwortlich für den Inseratenteil: G. EICHMANN; G. HIRTH’s Kunstverlag; sämmtlid1 11
München. Druck von KNORR & HIRTH, Ges. m. beschr. Hftg. in München.

I
1896 - l. Februar I. Jahrgang . Nr. 5

Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben. — G. Hirth’s Verlag in München & Leipzig.
ALLE RECHTE VORBEHALTEN.
Nr. 5 JUGEND 1896

llililiuiiliilliiiiumiiii

Vom neuen Jahr.


Kleine Hände, kleiner Mund,
Grosse Augen blau und rund,
Weiches, langes Ringelhaar,
Jl Leise Stimme glockenklar —;
Also kam das neue Jahr
Heute zu mir in mein Haus.
Lieblich sah’s und lustig aus.
Dass es bleibe, wie es ist,
Wünsche ich als Mensch und Christ.
Mög es nie mit Wuthgeberden
Eine schrille Trulle werden,
Die mit Zank und Zorn regiert
Und das Schöne molestirt.
Leise bleib es, klar und lind,
Guter Gast und gutes Kind,
Bring mir bald in grüner Schüssel
Ms Hohe gelbe Himmelsschlüssel,

k-a t-S Rosen, wenn der Sommer glüht,


II •- Wein, wenn blass die Aster blüht,
Und im Winter zünd’ es dann
Mir die Weihnachtskerzen an.

Wird es dann von hinnen müssen,


Werd’ ich ihm die Hände küssen,
Die mich so mit Glück begütet
Und in Schönheit eingehütet.
1 Willst du, Jahr? Die Kleine lacht,
__ iXfXk Hat mir einen Knix gemacht,
*,LfS
Hat noch einmal still genickt,
WA, Eine Kusshand mir geschickt,
Und dann ist sie fortgesprungen.

Springend hat sie dies gesungen:


Zu Flöten und Geigen Auf, wagt es, zu springen!
Es muss euch gelingen,
Hintanz’ ich im Reigen,
Habe Blumen im Haar.
Oh lasst euch bewegen,
Was fröhlich ihr schafft.
Das grämliche Hocken
4
Ihr Trüben und Trägen, Bringt Alles ins Stocken. IX
Im Tanze ist Segen, Frei wehn meine Locken,
Die Freude macht klar. Die Freude macht Kraft.
OTTO JULIUS BIEKBAUM.

m
70
1896 JUGEND Nr. 5

Wie der Porträtmaler Crapülinsky auch einmal ein Thierstück, auf


die Leinwand geworfen hat.

lag eine kleine Rasenfläche, von hohen Kastanien umgeben.


In der Stille. Befriedigt sah ich mich um; »jede Partei hat das Recht auf
Von Lisbeth Lindemann. einen Theil des Gartens« — hatte der Architekt gesagt. Ich
war entschlossen, mir, als voraussichtlich erstem Miether,
Die Julisonne brütete heiss in dem dieses Stück Garten zu sichern; denn selbst vom Nachbar-
kleinen Hofraum hinter dem Hause; garten, dessen Grenze durch einen Zaun markirt war, ragten
das frischgetünchte Mauerwerk ver- stattliche Bäume herüber, so dass man die Häuser nicht sah.
breitete einen scharfen Geruch. Zu- Im Begriff umzukehren, höre ich etwas, wie Athemzüge
vorkommend hatte mir der Architekt eines schlafenden Menschen; und nun, ganz deutlich, ein
die Wohnräume des Neubau’s ge- leiser Schrei, wie von einem schlaftrunkenen Kinde. Me-
zeigt; als er abgerufen wurde, über- chanisch wende ich mich nach der Richtung, aus welcher die
liess er mir allein die Besichtigung Töne zu kommen scheinen: wenige Schritte von mir steht
des Gartens. Die Arbeiter befanden ein kleiner Holzschuppen. Als ich mich vorsichtig nähere,
sich im benachbarten Wirthshaus- finde ich hinter einem Haufen aufgeschichteter Bretter und
garten und hielten Mittagsrast. Ich Geräthschaften, ganz in einer Ecke zusammengekauert, ein
stieg vorsichtig über Sandhaufen, zer- Weib sitzen; auf ihrem Schooss liegt, halb unter ihrer Schürze
streute Ziegel und Bretter und ging verborgen, ein Kind. Ihr Kopf lehnt an der Bretterwand,
an der Kalkgrube vorbei in den Garten. Auf den ersten Buschen Kopftuch und Haare sind rothbestäubt; ohne Zweifel ist sie
lagerte dicker Staub, welcher vom Bau herübergewirbelt war, als Ziegelträgerin auf dem Bau beschäftigt. Sie hat die lose
dann aber folgte ein angenehmer, schattiger Weg und vor mir Jacke zurückgeschlagen, so dass die eine Brust frei ist; das

71
1896
Nr. 5 JUGEND

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Kind hält sie noch fest mit der kleinen, welken Hand; mit Das Weib sieht sehr heruntergekommen aus. Graue
der andern hat es sich in einer Haarsträhne eingekrallt, welche Schatten lagern um Augen und Mund. Und diese Brust!
ihr unter dem Kopf heruntergeglitten, ist. Heide schlafen tief Man sieht ihr es an, wie sie sich gequält hat, dem armseligen

72
1896 JUGEND Nr. 5

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Geschöpfchen mit dem greisenhaften Gesicht Nahrung zu »Aber wie machen Sie’s denn, dass das Kind nicht gesehn
spenden. Mater dolorosa in elendester Gestalt! wird, wenn Sie herkommen und fortgehen?«
Leise will ich ihr ein Geldstück in den Schooss legen, Sie lachte leise vor sich hin und sagte dann verschmitzt
da fährt sie jäh in die Höhe und starrt mich mit weit ge- und wichtig:
öffneten Augen an, das Kind, das zu schreien anfangen will, »Ja, wissen Sie, ich hab’ immer so ein grosses Tuch um
krampfhaft an sich drückend. und sie haben schon so viel gelacht, dass ich mich bei der
»Liebe Frau, ich habe Sie nicht stören wollen, bleiben Hitz’ so einwickle. Und Abends können wir uns manchmal
Sie ruhig sitzen!« ein Stück altes Holz mitnehmen, da merken sie schon gar
»Ach Gott, ach Gott, was bin ich erschrocken!« Sie sagt nicht, dass ich das Kind bei mir hab’. Das machen wir ganz
es fast athemlos. geschickt, nicht wahr, mein gold’ner Schatz?« Sie nickte dem
»Aber warum denn, ich thue Ihnen Nichts zu Leide; ich Kind glückselig zu.
gehe schon wieder, habe nur den Garten beseh’n wollen, aber Ich fahre dem armen Wurm liebkosend über’s Gesicht,
hier —« ich stecke ihr ein Geldstück in die Hand; sie scheint was die Frau ganz glücklich zu machen scheint, gebe ihr
es nicht zu bemerken. meine Adresse mit der Weisung, sie solle sich an mich wen-
»Ach sagen Sie doch nicht —- den, wenn sie etwas brauchen sollte, und gehe fort. —
»Was denn?« — Ich trat eine grössere Reise an und kehrte im Spät-
»Ach sagen Sie doch nicht, dass — dass ich das Kind herbst zurück. Als ich zu Herrn Architekt Wenden ging,
bei mir habe.« hörte ich, dass die betreffende Wohnung vermiethet wäre. Es
»Ja, wissen denn das die Andern nicht?« war meine Schuld, ich hätte mich früher melden sollen; aber
»Nein, nein — ach um Gotteswillen nicht; sie würden ich konnte nicht umhin, mein Bedauern auszudrücken.
Alle lachen, und ich möcht’s doch so gerne bei mir haben »Wie schade! Es waren schöne Räume; und dann der
und satt machen.« Gar . . .
»Ist Ihr Mann auch hier bei dem Bau beschäftigt?« Plötzlich sah ich vor mir die Frau mit dem Kinde auf
»Ich — ich hab’ ja gar keinen.« Verwirrt streicht sie sich dem Schoosse. Ich hatte sie längst vergessen.
die Haarsträhne aus dem Gesicht und wiegt das Kind leise im »Ach, verzeihen Sie . . ., können Sie mir nicht sagen,
Arm hin und her. »Es ist so gut und brav und schreit gar wo eine Frau« — ich beschrieb sie näher — »die auf Ihrem
nicht so viel, wie Andere«, sagt sie wie entschuldigend. »Zu Bau arbeitete, geblieben ist?«
Hause ist kein Mensch, der nach ihm seh’n würd’, und hier,« »Bedaure unendlich. Ich habe mit den Leuten selbst
sie deutet in den halbdunkeln Schuppen, »hier hat’s so gute nichts zu thun und kenne sie persönlich so gut wie gar nicht.
Luft und es kommt Keiner her.« Das ist Sache des Bauführers. Wünschen Sie seine Adresse?»

7)
Nr. 5 JUGEND 1896

Das Mädchen führte mich


in eine niedrige Kammer und
machte die Thüre hinter mir zu.
Ein winziges Fenster warf sein
spärliches Licht über grauge-
tünchte Wände. Vor mir in einem
ärmlichen, aber mit sauberen,
buntgewürfelten Bezügen ver-
sehenen Bett lag die Frau. Sie
richtete sich in den Kissen auf.
»Wer ist da?«
»Ich bin’s, liebe Frau; ken-
nen Sie mich nicht mehr?«
»Ach Gott — Sie!«
»Sie sind krank? Was fehlt
Ihnen?«
»Ach, ich hab’s so auf der
Brust; es wird bald aus sein.«
»Aber warum schickten Sie
nicht zu mir? Ich gab Ihnen
doch meine Adresse?«
»Das hätt’ ich doch nicht
getraut; ich brauch’ auch jetzt
nichts mehr.«
Ich sah mich um. »Wo ist
denn Ihr Kind?«
»Das ist todt.« Sie sagte es
vollkommen ruhig. »Ich hätt’s
auch nicht mehr mitnehmen
können; die bei dem Bau hät-
ten’s nicht gelitten. Sie haben’s doch gemerkt und der Weber-
Joseph hat mich vor Allen ausgeschimpft und geschlagen.«
Mir kam ein sonderbarer Gedanke. »War es — war es
der Vater?«
»Ja freilich.«
»Ich bitte darum.« »Und da schlug er Sie?«
Ich erfuhr Namen und Wohnung der Frau und machte »Ja! Er hat sich doch so geschämt.« Sie sagte das, als
mich auf den Weg. wäre es selbstverständlich.
Es war eine abscheuliche Miethkaserne, in der ich, auf »Wussten die Andern, dass er der Vater war?«
jedem Treppenabsatz nach dem Namen spähend, endlich bis »Um Jesu willen, nein! Ich glaub’, dann hätt’ er mich
in den fünften Stock gelangte. Eine Thür stand offen; ich todtgemacht. Er war so bös, dass ich auf demselben Bau
sah eine dicke Frau an einem Waschbottich, ganz in Dunst- gearbeitet hab’! Aber ich hab’vorher gar nicht gewusst, dass
wolken eingehüllt, die aus der heissen Wäsche aufstiegen. er dort war, sonst hätt’ ich mich doch nicht gemeldet.«
Am Boden wälzten sich drei oder vier Kinder. Sie sah mich Ich setzte mich zu ihr. »Wie alt sind sie denn eigentlich?«
mit runden Augen verwundert an, als ich plötzlich vor ihr Vierundzwanzig Jahr.«
stand und hielt mit dem Waschen inne. Sie sah aus, als wäre sie mindestens vierzig Jahre. »Aber
Ich fragte nach der armen Frau. das ist doch nicht möglich!«
»Ach die!« Sie verzog geringschätzig den Mund und strich »Ja, ich war 'mal ganz hübsch, aber ich hab’ viel hungern
sich den Seifenschaum von den Armen herunter; »die wohnt und frieren müssen.«
unten im Keller!« Sie schien sehr erschöpft und lehnte sich in die Kissen
Ich stieg die fünf Treppen wieder herunter und dann die zurück. Nach einer Pause richtet sie sich wieder auf, nimmt
sechste in den Keller. meine Hand, sie leise streichelnd.
Im Halbdunkel tastete ich nach einer Thür und klopfte. »Ich möcht’ so gerne« — sie wird wieder still wie vordem.
Sie wurde aufgerissen. Eine dicke Luft, gemischt mit dem Dann nach einer Weile:
Essengeruch strömte mir entgegen, und vor mir stand ein »Ich möcht’ so gerne — ich ich trau’s nicht zu sagen.«
Mädchen von ungefähr achtzehn Jahren mit verwildertem Haar »So sagen Sie’s nur; wenn Sie einen Wunsch haben, ich
und Anzug und frechem Gesichtsausdruck. will ihn gerne erfüllen.«
»Was wollen denn Sie?« »Ich — ich fürcht’ mich so vor — vor dem Frieren, und
Ich brachte mein Anliegen vor. jetzt ist es doch bald Winter, da muss es so kalt sein draussen
»Jessas! Die Theres wollen Sie sprechen. Ach, da schau auf dem Kirchhof. Und ich sterb’ ja jetzt bald. Da möcht’
her! Na, da gehn’s nur ’nein.« ich so schrecklich gerne einen warmen Unterrock angezogen
Ich ging durch die Stube; etwa sechs Leute, Männer und bekommen, eh’ ich ’rausgetragen werde.«
Weiber verschiedenen Alters, sassen am Tisch und assen. Sie sieht mit einem Ausdruck zu mir auf, scheu und bittend
Sie sahen mich stumpfsinnig an und erwiderten meinen Gruss wie ein geschlagener Hund.
kaum. »So — so; na, das ist doch keine grosse Sache; das werde

74
1896 JUGEND Nr. 5

ich Ihnen schon besorgen; übri- Ich öffne. Dasselbe^Mädchen, das mir beim ersten Anblick so
gens — ich habe Zeit, ich werde abstossend erschien, tanzt wie toll im Zimmer umher — im
es gleich thun.« Unterrock — im rosawollenen.
An der nächsten Strassen- »Was soll das heissen? Wie kommst Du zu dem Rock?«
ecke ist ein Laden, wie ich ihn »Jessas! Schrei’n S’mich doch net gleich so an! Was ist
brauche; ich lasse einige Röcke denn los?«
zusammenpacken, nehme den »Wie kommst Du zu dem Rock?«
Burschen mit und in kurzer Zeit »Ja, was meinen denn Sie? Das wär’ doch schad’ ge-
liegen die Sachen vor ihr auf wesen, um den schönen, neuen Rock. Was soll denn ’ne
dem Bett. Nach langem Lieber- Todte damit?«
legen wählt sie einen Rock aus »Todt! — Wann ist sie gestorben?«
blassrosa Wolle: »Das wäre ganz »Na, vorgestern Abend. Sie waren ja Mittags noch da.
'was wunderschönes.« Sie streicht Das war a Schererei! Wir haben so keinen Platz, da haben
unaufhörlich mit den mageren wir’s gleich ’nausschaffen lassen.«
Händen über den weichen Stoff »Und den Rock — den hast Du ihr fortgenommen?«
dann giebt sie mir die Hand: »Ja freilich! Was denn sonst? Den kann ich gut brauchen.
»Ach sind Sie gut; ich will Da schaun’s her, wie es mir passt!«
auch recht für Sie beten. Jetzt Ich kann das grinsende Gesicht nicht mehr seh’n und
fürcht’ ich mich nicht mehr; jetzt werfe die Thüre zu; hinter mir her gelles Gelächter.
werd’ ich nicht mehr frieren.« — Wie ich Abends in der warmen Stube sitze und der
Damit legt sie sich still und nasse Schnee an die Fenster schlägt, werde ich die verrückte
zufrieden in die Kissen zurück. Idee nicht los, dass das arme Weib — nun doch friert —.
— Am zweiten Tage danach,
gehe ich in der Nachmittagsstunde
wieder hin. Vor der Thüre angekommen, höre ich von drin-
nen lautes Stampfen und Lachen; mein Klopfen wird überhört.

Fünf Sprüche.
Der Dir Deine Liebe genommen hat,
Der ist geschickt zu Werke gegangen.
Oder — der Schmetterling war schon matt.
Sonst hätt’ er sich nicht gefangen.

Wie still ist manch’ Ereigniss hingeflossen,


Und doch wie lange wirkt es nach, und doch
Wie freundlich wirkt’s, wie sonnenlichtumgossen,
Wenn die Erinnerung nachfrägt: Weisst Du noch?

Ein wachsender Bau, eine reifende Saat,


Ein grosses Werk, das dem Ende nah’t, —
„Unterhaltungsabend.“ Wer schafft und strebt, dem ist es bewusst,
Eine Seebad-Reminiscenz. Was das in sich birgt an Wonne und Lust!

im Tanzsaal ringsum lauern die Hyänen, Die ihr glückloser Liebe Sklaven seid,
Zum Fang von Schwiegersöhnen ausgerüstet, Und könntet ihr’s, ihr würdet nicht entsagen.
Die Dummheit bläht sich und der Reichthum brüstet Wie manche tiefe Liebe ist nur Leid
Mit falschen Haaren sich und falschen Zähnen. Und doch ein theures Leid und süss zu tragen!

Die Herren schwitzen und die Damen gähnen; Das Glück ist wie sonniges Wetter,
Kein Jüngling naht sich, den’s zu frei’n gelüstet, Das Glück ist wie ein feinseidenes Kleid,
Und manche Jungfrau, ach, schon halb verwüstet, Es kleidet Jeden viel netter,
Welkt einsam hin in ungestilltem Sehnen. Als Noth und Leid! frida schanz.
Wie ich sie hasse, diese Kuppler-Reigen,
Die Läster-Mäuler, die Pikantes munkeln,
Die jeden Strandklatsch flüsternd weiter tragen!

Ach! Könnt’ ich meine Königin euch zeigen!


Wie würde sie euch allesammt verdunkeln,
Mit ihrer Schönheit eure Künste schlagen!
FRANZ WOLFBAUER.

75
Nr. 5
j(jl.END

1896

TvH<2/4‘

»1 Eure heiligsten Güter!


Völker Ostasiens, ^ Gigerln in erles’ner Gruppe Auch mit eifrigen Missionen, Dritthalbjähr’ge Wunderkinder,
Maler mit der Gliederpuppe, Wird der Schwarm Euch nicht verschonen Haar- und Barttinkturerfinder,
Sind sie morgen aber wieder; Photographenamateure, Leute, die in Mehl und Eisen, Brauer ohne Malz und Hopfen,
Wüsstet Ihr, wie mit Methode Sie umhüllen ihre Glieder Wein und Unterhosen reisen. Winzer ohne Traubentropfen,
O Ihr Chi- und Japanesen! Sängerinnen, Männerchöre,
Unsre Ruh’ zerstört die Mode, Leute, die die Welt kuriren Leute, die aus Unschlitt Butter
Bleibt doch nur, wie Ihr gewesen Dann mit Capes und Pelerinen, Grimmige Radaustudenten,
Wie die Frau’n, um sich zu zieren, Oder wollen sich bedienen Machen — welch’ ein Schweinefutter! —
Vor dem unglücksel’gen Kampf! Auch Versicherungsagenten, Und mit Wunderelixiren,
Ihre Männer drangsaliren, Pillen, Pulvern, Malzkaffee And’re Lebensmittelchemiker,
Glaubt nur ja nicht, dass mit Dampf Jener Boa’s, jener langen, Das Ballet im kurzen Rockerl,
Wie sie ihre schlanken Leiber Von der Form der Riesenschlange11, Heilen alles Erdenweh!
Rücken müsse Alles näher, Lieutenants mit dem Monokerl Aufgeblasene Akademiker,
Deformiren durch Korsette, Bald mit Blumen, bald mit Feder, Schneidig, stramm und selbstbewusst Blaugestrumpfte Dichterinnen,
Was wir armen Europäer Oede Eitelkeitspolitiker,
Die Kultur benambsen! — Nein! Watte, Fischbein, unsere Weiber
Bald mit Bändern jeder Güte Und mit hochwattirter Brust. Leute, die auf Gründung sinnen, Augenglasbewehrte Kritiker,
Solches muss gewiss nicht sein! Und sich putzen um die Wette; Schmücken sie sich ihre Hüte, Heineweltschmerznachempfindler, Süssholzraspelnde Aesthetiker
Auch die Zeitungskolportage
Wahrt Euch Eure heil’gen Güter, Wie sie fabelhafte Kragen, Heute gross wie Wagenräder, Ausverkaufs- und Heirathsschwindler,
Und die Presse überhaupt, Und Vererbungstheoretiker,
Eure fröhlichen Gemüther, Riesenhafte Aermel tragen, Morgen klein wie eine Mücke Die sich gar so viel erlaubt; Ethische Culturverbreiter, Temperenzler, Vegetarier,
Lebt in kindlich-heiterm Sinn Heute Seide, morgen Leinen, Kennt Ihr erst der Moden Tücke, Mit dem Knüppel nah’n in Rage Bicyclisten, Sonntagsreiter, Frisch, frei, froh und fromme Arier,
Heute groben, morgen feinen Dombaulottocollektanten
Sorgenlos wie Blumen hin! O Ihr Chi- und Japanesen, Zukunftsstolze Proletarier, Alles, was wir hier im Westen
Freut Euch an der Wellen Schaukeln, Velvet oder Cheviot.
Bleibt Ihr gern, wie Ihr gewesen! Und es jammern die Agrarie • Und Reklamekomödianten Zählen zu den schlimmen Gästen,
An der Schmetterlinge Gaukeln, Heute grün und morgen roth, Und auch sonst das wilde Heer Beim Champagner, deprimirt Bau- und Grundstückspekulanten, Und nicht die alleine nur
Heut’ gekörnt und dann gerippelt,
An der Vögel Prachtgefieder, Der Kultur bedroht Euch schwer, Dass das Brod so billig wird! Schussbereite Trainsergeanten, Bringt Euch schleunig die Kultur.
Heut’ gestreift und dann getippelt,
An der Rose, an dem Flieder, Im Geschwindschritt naht’s heran- Ordensschwindler, Ordensjäger Medisante Kaffeetanten Darum wahret Euren Frieden,
Heute zu Crepon verkrümelt, Seht, da kommt der Börsenmann
An der Nelke, an der Lilie, Und des Rückschritts Bannerträger Und die lieben Dilettanten Bleibt bei dem, was Euch beschieden,
Morgen glatt und dann geblümelt,
Haltet fern von der Familie, Flieht, o flieht in schnellem Lauf, Nahn mit Kutten und mit Bäffchen, Jeder Kunst und jeder Art Darum ruft mit seiner Leier
Bald mit Spitzen, bald mit Schmelz
Euren Mägdlein, Euren Frau’n, Denn er hängt Euch Aktien auf! Hetzkaplane, Modepfäffchen, Kommen mit auf dieser Fahrt; „Seht Euch vor!!“
Bald mit Borten, bald mit Pelz,
Was der alte Buddha gnädig Heute tragen sie Jaquette —
Und es nahen Panamisten, Achtungsvoll der
Euch bedeckt mit Nacht und Grau’n! Spiritus und Spiritisten, Biedermaier (junior).
Gegen alle Etiquette
Denn Ihr bliebet lieber ledig,
Nr. 5 JUGEND 1896^

Augurengesang.
Bei Hofe sind wir nur geachtet, Am Schmollen erkennt man den Laien, Mit der modernisirenden Jugend,
Und was wir auch schreiben, gefällt! An der albernen Grämlichkeit — Sind wir fertig je und je
Wir haben die Schönheit gepachtet Wir singenden Lakaien Es fehlt ihr die höhere Tugend,
Und tragen die Leuchte der Welt. Sind voll von Zufriedenheit. Der Sinn für das Ewige.
Was schert uns das Flüstern der Fama? Wir schielen beseligt nach oben Drum fort mit den jungdeutschen Rangen!
Wir bekommen ja so wie so Und spucken entrüstet hinab; Sie kennen kein Heiligthum —
Für jedes misslungene Drama Und gegenseitig loben Kommt ein sittiger Jüngling gegangen,
Einen Orden auf den —! Thun wir uns bis an das Grab. Wir besorgen ihm eilig den Ruhm
Und wo sind denn Euere Orden? Wir singen von Feen und Helden, Den Lorbeer hinter die Ohren
Wo steh’n Eure Tressen parat? Von Elfen im dämmernden Hain, Und eine Citrone in’s Maul:
Was seid Ihr, o sagt nur, geworden Und um das Neu’ste zu melden, Die Spesen sind unverloren —
Mit Eurer „befreienden That“? Auch von dem Blaublümelein! Er lobt uns hernach auch nicht faul
MAURICE V. STERN.
1896 . JUGEND . Nr. 5

Für die Jugend gezeichnet von Luden Metivet (Paris).

La tres charmante et elegante Mlle. Zizi — chanteuse realiste.

79
Nr. 5 JUGEND 1896

„Wo hast Du die Sorge denn hingethan?“ fragte der


2>IE SORGE < Reiche.
VOLKS MÄ-RC HEN aus' „Ich habe sie in einen Sarg gelegt und begraben“.
Da packte den Reichen ein schrecklicher Neid, und~er
dem RUSSISCHEN. ging auf den Kirchhof, grub den Sarg aus' und rief:
„Sorge, Sorge bist Du da?“
Die Sorge war schon halb todt und wimmerte ganz
schwach:
1s waren einmal zwei Brü-
„Ja!“
der, die in verschiedenen Da sagte er zu ihr, indem er den Deckel abnahm:
Dörfern lebten. Der eine ,Ich lasse dich heraus aus dem Sarg. Dafür sollst Du
war sehr reich, hatte einen zu meinem Bruder zurückgehen. Er ist reich geworden seit
grossen Bauernhof und Du weg warst.“
J viele Säcke mit Gold. Der Da schüttelte sich die Sorge und antwortete:
andere aber war arm und „Nein, ich danke, da gehe ich lieber mit Dir mit, sonst
arbeitete im Tagelohn. bringt mich der noch ganz um!“
Einmal gab der Reiche Und sie ging mit ihm.
ein grosses Fest und lud Da wurde der Reiche arm. -—
alle seine Nachbarn zu Aber der, der die Sorge begraben hatte, lebt mit Gottes
einem Gastmahl. Da ging Hilfe heute noch im Wohlstand. — e. u. s.
auch der arme Bruder hin
und sagte zum reichen:
„Brüderchen, Du feierst
heute ein grosses Fest.
Wenn Du mich doch mit
etwas »braschka« *) be-
wirthen wolltest!“
„Mit »braschkaU“ sagte
der andere, „dort in dem
Eimer ist »braschka«, so
viel Du willst, trink!“
Es war aber nur Wasser.
Der arme Bruder trank
sich an dem Wasser satt,
ging nach Hause und sang
sich unterwegs Lieder vor. Da hörte er, dass jemand mit ihm
sang und fragte:
„Wer singt denn da?“
„Nun, ich!“ antwortete es.
„Wer bist denn Du?“
„Ich bin die Sorge.“
„Wohin gehst Du denn?“
„Ich gehe mit Dir.“
„Aber ich“, sagte der Arme, „werde jetzt sterben, sobald
ich zu Hause bin.“
Zu Hause angekommen, zimmerte er sich einen Sarg zu- Tagebuchnotizen eines aktiven Politikers.
recht, und als der fertig war, sagte er: Wenn eine Hand die andere wäscht, werden beide in
„Du Sorge, lege Du Dich zuerst hinein!“ der Regel noch schmutziger.
Darauf fragte er: „Sorge, Sorge, bist Du drin?“
Und die Sorge antwortete: „Ja, ich bin schon da!“ Das Geld fällt nicht vom Himmel, man muss es sich
Da machte er schnell den Deckel zu, trug den Sarg auf erst mühsam aus den Taschen seiner Nebenmenschen holen.
den Kirchhof und begrub ihn mitsammt der Sorge. Von der
Stunde fing er an, reich zu werden. Ich lebe von den Händen Anderer in meinen Mund.
Das hörte der Bruder und wurde neidisch.
„Wodurch ist er nur so reich geworden?“ dachte er. Doppelt nimmt, wer schnell nimmt.
Und er ging zum Bruder und fragte ihn: „Sage mir,
lieber Bruder, wie hast Du es angefangen, so reich zu werden?“ Makellosigkeit ist manchmal ein sehr gutes Geschäft.
„Entsinnst Du Dich vielleicht“, antwortete dieser, „des
Festes, an dem Du mich mit V^asser statt mit »braschka« Man kann Talent haben und doch Carriere machen.
bewirthetest? Ich trank von dem Wasser, und wurde betrun-
ken, und auf dem Rückwege sang ich Lieder und hörte je- Wenn Du mit der rechten Hand einsteckst, musst Du
manden mitsingen. »Wer singt da mit mir?- fragte ich. Je- die linke betheuernd an’s Herz legen.
mand antwortete: »Ich!« — »Wer bist denn Du?« »Ich bin
Sei immer ehrlich! Desto theurer wird man Dich bezahlen
die Sorge!*“ —
*) Ein ländliches Bier.
müssen. Ludwig Bauer.
So
1896 JUGEND Nr 5

Aber er (Adolar heisst er) wusste doch


nicht, ob er um sie freien sollte. Er war ein
Gemüthsmensch und hielt auf Herz.
Hatte sie (Elvira heisst sie) ein solches?
Adolar machte sich die Entdeckung Pro-
fessor Röntgens zu Nutzen, um das zu er-
fahren.
Mit einem photographischen Apparat,
der ganz harmlos aussah, kam er zu seiner
Angebeteten, und bat sie, ihm eine Sitzung
für eine Amateuraufnahme zu gewähren.
Sie that es.
Er aber hatte X-Strahlen im Kasten.
Mit seinem Negativ stürzte er nach
Hause, rief das Bild hervor — und schrieb
seiner Geliebten äusserst höflich, aber kalt
einen Abschiedsbrief!
Den Strahlen, die durch Kleider u. s. w.
wie durch Butter hindurchdrangen, hatte
das Herz Elvirens Widerstand geleistet.
Klar und scharf hebt es sich auf der
Photographie ab.
Es ist von Stein. (Anscheinend Unters-
berger Marmor. D. Red.)
Adolar war voreiner unglücklichen Ehe
gerettet — Dank der Entdeckung des Herrn
Professor Röntgen.
In seiner Freude sandte er uns das
Photogramm, das hiernebenan abgebildet ist.
Wir haben eine Maske auf das Antlitz des
hartherzigen Mädchens retouchiren lassen.
Denn Diskretion ist Ehrensache.
«•v*
öd

Das Lied
vom englischen Löwen.
(N. d. Mel.: „Ein lustger Musikante“.)
Der Leu von Engellanden
Spazierte jüngst umher —
o tempora, o mores! —
Und schaute heissen Hungers,
Wo was zu fressen wär’, —
o tempora, o mores! —
Am liebsten schnell den Türken
Thät er hinunterwürken —
Wer weiss wie das geschah?
Juchheirassassassa!
Belehren kann uns jederzeit
Frau Grossmama!

Mit aufgesperrtem Rachen


Fiel er den Türken an, —
o tempora, o mores! —
Dass starr vor Angst und Schrecken
Der arme „alte Mann“ —
o tempora, o mores! —
Da kam ihm was dazwischen —
Er könnt’ ihn nicht erwischen —
Wer weiss wie das geschah?
Juchheirassassassa!
Die neuen Strahlen. die unendliche, riesen-, fabel-, gespenster-
hafte und undefinirbare Bedeutung dieser
Belehren kann uns jederzeit
Von der neuen Entdeckung des Herrn neu entdeckten Strahlen so recht überzeu- Frau Grossmama!
Professor Röntgen in Würzburg ist in jüng- gend darthut.
ster Zeit soviel gesagt und geschrieben wor- An diese photographische Aufnahme Da wandt’ er sich voll Aerger
den, dass wir uns an dieser Stelle wohl nicht knüpft sich ein kleiner Roman. Wohl übers weite Meer —
ausführlicher darüber zu verbreiten brau- Einer von den Hörern des Würzburger o tempora, o mores! —
chen. Wir bieten unsern Lesern lieber so- Gelehrten liebte ein Mädchen. Es war schön
zusagen etwas Reelles! — wunderschön; beinahe so schön, wie allen Und glaubte, dass da drüben
Nämlich ein Originalphotogramm des verliebten jungen Männern ihre angebeteten Sich Niemand um ihn scheer’ —
gelehrten Forschers, ein Photogramm, das Mägdlein Vorkommen. Sie war reich. o tempora, o mores! —

8,
Nr. 5 JUGEND 1896

Das halbe Venezuela schichten. Darum hat Herr v. Buol viel


Möcht er für seine Kehla — nachgedacht, wie man das besser macht.
Die ersten Gedanken,die ihm kamen,
Wer weiss wie das geschah fielen auf die Damen und, in der That,
Juchheirassassassa! wenn man recht überlegt es hat,muss man
Belehren kann uns jederzeit ihm zugeben allzumal, das gäbe ein Le-
Frau Grossmama! ben unten im Saal, wenn den Reichsboten
zur Linken und Rechten, rosige Mägdlein
sitzen möchten. Doch hätte ihren Nach-
Doch wie er sich so gierig theil auch die Geschieht’, man verstände
Zum Sprunge hat geduckt — dann bald keinen Redner nicht. Dann
o tempora, o mores! — dachte Herr von Buol auch schon an die
Da hat man in Amerika five sisters Barrisson; wenn die viel-
leicht in den Zwischenpausen chic und
Gehörig aufgemuckt! — lustig und comme-il-faut, mit wenig
o tempora, o mores! — Fleisch und viel Trikot sich Hessen be-
Der Leu, der liebt den Frieden, wundern? Doch das waren Flausen. Die
Drum ist er leer geschieden — Herren vom Centrum als Wächter der
Sitten, hätten es nicht gelitten; es wär’
Wer weiss wie das geschah? von den Frommen dann Keiner gekom-
Juchheirassassassa! men, tanzten um des Präsidenten Thron
Belehren kann uns jederzeit die fünf Schwestern Barrisson.
Frau Grossmama! Auch um Diäten war schon gebeten,
aber allerwegen war der Reichstag da-
gegen. Und zwar mit Recht! Denn würde
In Afrika, drauf dacht er, eigens dafür „geblecht“, dann blieben
Da kümmert’s keine Maus — Manche wie angemauert und endlos hätt’
o tempora, o mores! — es gedauert, bis man zu Ende eine Ses-
Im schwarzen Erdtheil ist ja sion bringen könnte.
Dann ist von Freibier die Rede
Der Löwe wie zu Haus’ — gewesen — da störten die Spesen. Zwar
o tempora, o mores! — wird erzählt, es hätt’ nicht viel gefehlt,
Zwei ganze Republuken, dass die Brauer in Bayern bereit sich
Die wollt’ er da verschlucken — erklärten, sie werden gratis liefern das
nöthige Bier, doch sie wollten dafür, dass
Wer weiss wie das geschah? mit neuen Steuern der Gerstensaft auf
Juchheirassassassa! deutscher Erden nimmer dürfe belastet
Bekehren kann uns jederzeit werden. Und auf dies Verlangen sei Herr
Frau Grossmama! von Miquel nicht eingegangen. Dann kam
man auf eine andere Methode: in jeder
Legislaturperiode wollte man dem eine
Doch auch im Kaffernlande Prämie schenken, der am öftesten sass
Schlug man ihn auf die Tatz’, — auf des Reichstags Bänken, vielleicht
o tempora, o mores! — einen Orden, den niederen Adel, eine
Dass er vor Wuth nur wusste Tabatiere, eine Busennadel, eine Windt-
horstbüste, eine gemalte Pfeife, einen
Zu fauchen wie ’ne Katz! — Hofrathstitel, oder eine Achselschleife
o tempora, o mores! — eine schwarz-roth-weisse, mit der In-
Mit eingeklemmtem Schwänze schrift: Dem Fleisse. Doch muss ich ge-
Drückt er er sich weg vom Tanze — stehen, das hätte doch kindlich aus-
gesehen.
Wer weiss wie das geschah? Auch ein Orchestriert wollte man kau-
Juchheirassassassa! fen, zu ergötzen der Abgeordneten Hau-
Belehren kann uns jederzeit fen, um ihrer mehrbeisammen zu finden,
Frau Grossmama! eine Reichstagskneipzeitung gründen,
WILLIAM WAUER. man wollte, damit sie nicht ermatten,
während der Sitzung das Skatspiel ge-
statten, man wollte die Debatten illu-
strieren und lustige Bildlein projicieren
mit der Zauberlaterne auf weisse Lein-
Die wand — doch jeder Vorschlag fand einen
Einwand.
Reichstagsschwänzer Ich wüsste freilich ein Mittel ohne
Prämien und Titel, das die Mitglieder
Im Reichstag ist es ein wahrer Graus, des Parlaments brächte zu stärkerer Fre-
weil im ganzen Haus sitzen der Abgeord- quenz: Dass Jeder sich ehrlich selbst er-
neten kaum ein Dutzend; ihre Freifahrts- zählt, wozu ihn eigentlich die Wähler ge-
karte benutzend, belieben sie ohne Gren- wählt, und dass er sich sagt: Hier handelt
zen die Sitzungen zu schwänzen. Selbst sich’s nicht um ein Vergnügen, sondern
wenn der Herr Graf Mirbach spricht, um Pflicht, und dass die Herrn im hohen
reizt es sie nicht und im hohen Haus Haus weniger sprächen zum Fenster hin-
sieht es kläglich, höchst kläglich aus. aus, sondern nur zu den Collegen. Das
Bald sitzt auf hohem Sessel, gehalten würde ein Segen, denn um ein Drittel
durch seiner Würde Fessel, nur mehr würden durch dieses Mittel kürzer Debat-
der Präsident noch da und liest die Ger- ten und Reden und erträglich für Jeden.
mania. In müssiger Ruh’ schläft ein Saal- So aber bleibt es eine Schande, für
diener auf seinem Stuohl — warte nur die ganzen deutschen Lande, dass, wie
Buol, bald schläfst auch Du! wir als kleine Jungen manchmal hinter
Aber die Sache ist sehr betrüblich die Schule gungen, so die grossen Herrn
und durchaus nicht lieblich, denn es han- ’s Almbacherl. in Berlin zum Reichstag gehören und
delt sich mit nichten um wurschtige Ge- Originalzeichnung von A. Schmidhammer. gehen nicht hin. o. w.
82
1896 JUGEND Nr. 5

Unsere graphologische Ecke.


Den verehrten Lesern steht die bewährte Kraft unsers Hausgrapho-
logen jederzeit unentgeltlich zur Verfügung.

Ihr Wesen ist nüchtern und gesetzt Ihre Schrift im


Zustande vollen Seelengleichgewichtes entstanden. Strenger
_Sie dürften ein Mann zwischen 70 und 80 Jahren sein. Vegetarianer und Temperenzler. Sie sollen diese Sache aber
Starker Schnupfer, wie das eckige u-Häubchen beweist. Die nicht zu weit treiben. Auch der Alkohol hat seine guten
Correcturen in dem Worte „bellt“ verreiben einen lebhaften Seiten.
Geist, der sich mit vielen Dingen gleichzeitig beschäftigt. Be- »
wegte Vergangenheit. Ihre Handschrift verräth den in den
Stürmen des Lebens gereiften Mann. Unbeugsamer, strenger
Charakter. Sie haben vielgeliebt. . (£Uc dt d&Wr
Trotzdem Sie in französischer Sprache schrieben, mein
Fräulein, sind Sie keine geborne Pariserin, was aus Ihrem
grossen E und namentlich aus dem kerndeutsch aufgefassten
i-Tüpfelchen unwiderleglich hervorgeht. Aus Ihrem Aufruf
ungszeichen möchte ich schliessen, dass Sie blond sind.
EDUARD MUMPITZ
Geprüfter und vereidigter Schriftexpert, Professor der Graphomantie
an der Universität Philadelphia, Ober-Leib-Graphologe der Königin
Sanavalona von Madagaskar und fürstlich Montenegrinischer wirk-
Stark ausgeprägter Reinlichkeitssinn. Pflichtgefühl, strenge licher Geheimrath.
Selbstzucht bis zur Peinlichkeit. Hoher sittlicher Ernst. Ihr
grosses 8 verräth direkt dichterische Begabung.

Wahrscheinlich dem geistlichen Stande angehörig. Haupt-


züge des Charakters: Milde Frömmigkeit und asketische Ver-
achtung irdischer Güter. Unverkennbare Merkmale german-
ischer Rasse. Ihre Unterschrift wäre mir persönlich die
Liebste von Allen, die mir bis jetzt zur Prüfung vorliegen:
vielleicht schicken Sie sie mir gelegentlich auf einem weissen
Blatte für meine Sammlung.

Wahrheitsliebend, aber nach dem scharfen und spitz-


igen Charakter Ihrer Buchstaben zu schliessen, nicht immer
höflich. Ehrlich, zur Selbstkritik geneigt, aber ohne Vertrauen
auf Andere. Wenn mich die eigenthümlichen Schlingen Ihrer
h und 1 nicht täuschen, essen Sie gerne Carviol.

'Pfj- i-Y-ir
So viel sich aus Ihrer Unterschrift entnehmen lässt,
liegt der Schwerpunkt Ihres Geisteslebens mehr auf Seite
des Gemüthes, als auf der Seite tiefliegender Kenntnisse.
Schopenhauer lieben Sie nicht, Nietzsche ist Ihrem klaren
und herben Wesen fremd. Ich möchte wetten, dass Sie sich
nie mit Sanskrit beschäftigt haben. Schlichte Kraft ist der
Grundzug Ihrer Art. Intermezzo lirico: Andante con sentimento.

83
Inseraten-Annahme Insertions-Gebühren
durch alleAnnoncen-Expeditionen
sowie durch
G. Hirth’s Verlag in München
und Leipzig. JUGEND™
Die JUGEND erscheint allwöchentlich einmal. Bestellungen werden von allen Buch- und Kunsthandlungen, sowie von allen
für die
4 gespalt. Colonelzeile oder deren
Raum M. i.—.

Postämtern (Bayer. Postzeitungs-Katalog No. 397, Deutsches Reichspostzeitungs Verzeichniss No. 3536) und Zeitungs-Expe-
ditionen entgegengenommen. Preis des Quartals (13 Nummern) 3 Mk., der einzelnen Nummer 30 Pfg. Preis für die viergespaltene
Colonelzeile oder deren Raum (laut aufliegendem Tarif) 1 Mark.

Briefkasten.
München, 18. Januar.
„Germanicus“ Berlin. Warum wir Arbeiten französischer Zeichner
und anderer ausländischer Künstler in der „Jugend“ reproduziren ? Aus
demselben Grunde, aus welchem die Künstler in ihren Ausstellungen
ausländische Bilder ausstellen: um unsern Lesern möglichst Mannigfal-
tiges sehen zu lassen und um unsern Künstlern Gelegenheit zu lehr-
reichen Vergleichen zu geben. Und zum Dritten, weil chauvinistische
Bedenken in Kunstdingen denn doch wohl überhaupt ein Unding sind.
Auch französische Zeitschriften veröffentlichen Arbeiten deutscher
Künstler.
Agnes B. in Frbg. Wir halten es nicht für geschmackvoll, ein
Commentar zu jedem Bilde zu geben; was künstlerischen Werth besitzt,
spricht ja doch dadurch für sich selbst und wenn wir unter ein geistvoll
gezeichnetes Frauenbildniss „Weiblicher Kopf“, oder unter eine intim
gearbeitete Ansicht irgend eines malerischen Erdenwinkels „Landschaft“
schrieben, wäre die Sache dem künstlerischen Verständniss des Lesers
nicht viel näher gerückt.
Unsere Wettbewerbe. Auch der zweite Theil
unseres Preisausschreibens, Wettbewerb I: „Titelblätter der
Jugend“ und Wettbewerb IV: „Carneval Plakate“ hat Resultate
ergeben, die unsere Erwartungen, sowohl was Zahl der Ein-
sendungen, als was Qualität des Gebotenen angeht, weit über-
trafen. Wir haben für die I. Concurrenz von etwa 200 Künstlern
228 Entwürfe, für die IV. von 30 Einsendern 30 Entwürfe erhalten
und darunter sind nicht blos viele hübsche Ideen, sondern die
Zeichnungen sind zum grossen Theil prächtig in ihrer dekora-
tiven Wirkung, tadellos ausgeführt und direkt verwendbar. So-
bald als möglich werden wir mit der Publikation der in der 2.,
Finale: Presto furioso. 3. und 4. Concurrenz prämiirten Entwürfe beginnen. Die Zeich-
nungen für die Titelseite der,Jugend“ erscheinen natürlich erst
G. HIRTH’s Kunstverlag in München und Leipzig. nach und nach an der geeigneten Stelle, wir werden aber wohl
Gelegenheit finden, die schönsten der lins eingereichten Ent-
Jost Amman’s Allegorie auf den Handel. würfe hier in München öffentlich auszustellen. Als Juroren
(Aigentliche Abbildung des gantzen gewerbs der Kaufmannschaft
sambt etslicher der Namhafts und fürnembsten Handelstett Signatur haben Herausgeber und Redakteur der ,Jugend“ einige unserer
und Wappen.) Nach den in der Fürstlich. Wallenstein’schen Biblio- hervorragendsten Künstler cooptirt und gewonnen, deren Namen
thek in Waihingen auf bewahrten Original-Holzstöcken; Text nach wir zugleich mit dem Ergehniss der Wettbewerbe veröffentlichen
dem Originalabdruck im k. bayer. Nationalmuseum. Ausgabe v. 1622.
Grosses 'Tableau in zweifarbigem Kunstdruck, 120 cm h , 85 cm. br. werden. Neue Concurrenzen, auch für den Texttheil der,Jugend“,
In Kartonmappe Mk. 4.50, auf ganz Leinwand gezogen Mk. 6.—. werden in Bälde ausgeschrieben.
für das Freiwilligen-,
II (T Fähnrich-, Primaner- u.
1V Abiturienten-Examen,
Das Deutsche Zimmer der Gothik und Renaissance, des Barock-,
Rococo- und Zopfstils. Anregungen zu häus-
rasch, sicher, billigst. licher Kunstpflege von Georg Hirth. Dritte stark vermehrte Auf 1 age. 464 Seiten hoch 4°
Dresden 6. Moesta, Director. mit 370 Illustrationen. Eleg. brosch. M. 10.—, eieg. geh. M. 15.—.
Uebemahme von
Kunstauetionen
jeder Art, ganzer Sammlungen sowohl
wie einzelner guter Stücke.
Hugo Helbing, München, Christophstr. 2.
Vom Frühjahr ab eigene,
neuerbaute Oberlichträume.

Alte Kupferstiche.
Kataloge gratis und franco durch
Hugo Helbing,
Herausgeber: Dr. GEORG HIRTH; verantwortlicher Redakteur; F. von OS 1 INI; verantwortlich für den Inseratentheil: G. EICHMANN, G. HIRTH’s Kunstverlag; sämmtlich in München*
Druck von KNORR & HIRTH, Ges. m. beschr. Haftung in München.
Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben. — G. Hirth’s Verlag in München & Leipzig.
Nr. 6 JUGEND 1896

Paul Verlaine f. Titel «Sagesse» herausgab. An schlichter Innigkeit


stehen sie in der französischen Literatur, wo Esprit
Paris, Januar. und Rhetorik allgemein die Herzensregung über-
Ein Dichter ist hingeschieden, wie Frankreich wuchern, einzig da. Der rührende Ton der Volks-
keinen zweiten hat, ein echter Lyriker in diesem poesie, der Aufschwung mystischer Frömmigkeit, die
Lande, wo das blaue Blümlcin der Lyrik so spärlich Zerknirschung des reuigen Sünders, die sanfte Schwer-
spriesst. Paul Verlaine ist für immer in den Seelen- muth der Weltverlassenheit, — alles dies klingt er-
frieden eingegangen, nach dem er hienieden vergeblich greifend in seinen Dichtungen zusammen. Dazwischen
rang, da der Sinnenrausch ihn immer wieder über- mischt sich der Galgenhumor des Strafgefangenen,
mannte und gewaltsam niederzwang. Nur zwei Stätten dessen Probe wir der zweiten Sammlung der Verlaine-
auf Erden gewährten ihm den Vorgeschmack des ewi- schen Gefängniss-Dichtungen entlehnen:
Allons, freres, bons vieux voleurs,
gen Friedens, den er ersehnte: das Spital und das
Doux vagabonds,
Gefängniss. Er war nach unsern Begriffen ein Pech-
Filous en fleur,
vogel. Selber klagte er über den Unstern, der die Welt
Mes chers, mes bons,
nicht zu ihm, oder ihn nicht zur Welt passen Hess. Fumons philosophiquement
Suis-je n6 trop tot ou tard? Promenons-nous
Qu’est-ce que je fais dans le monde? Paisiblement:
Aber ein Strahl der Gottesgnade fiel in das Düster Rien faire est doux.
seines Schicksals und durchglühte sein Gemüth. Seine Verlaine hatte mit seinem bösen Streiche alles
Seelenkämpfe verklärten sich in Poesie. Was er in bürgerliche Glück, auch das Glück seiner Ehe ver-
Leiden klagte, was er im Sinnenglück jubelte, geht spielt. Frau und Kind lebten fortan von ihm getrennt.
vom Herzen zum Herzen. Unter allen Lyrikern des Sein Sohn wuchs auf, ohne den Vater zu kennen, dessen
neuzeitigen Frankreichs schlug er den innigsten Ton an. Tod er jetzt erst durch die Zeitungen erfahren hat,
Paul Verlaine war am 30. März 1844 in Metz ge- denn keiner der Freunde des Dichters, die an dem
boren. Er verlebte eine sonnige Jugend im Eltern- Sterbebette standen, wusste, wo er sich aufhielt.
hause, studirte dann die Rechte in Paris, verheirathete Eine Zeit der inneren Ruhe genoss Verlaine in
sich früh aus Liebe und schien, da es ihm an Wohl- Freiheit noch bei seiner Mutter auf einem Bauern-
stand nicht fehlte, zu einem bürgerlich regelrechten, höfe in den Ardennen. Dann kam die Armuth: das
glücklichen Dasein bestimmt. In Studienjahren dich- Gütchen wurde verkauft. Der Dichter zog mit seiner
tete er seine «Poemes saturniens», die den Dichter Mutter nach Paris, die Mutter starb, und Verlaine
von Gottes Gnaden noch nicht voraussehen Hessen. stand allein auf dem Pflaster der Grossstadt, bei Jahren
Die «Fötes galantes», die etwas später erschienen, zwar schon, doch anHcrzenseinfaltein Kind, ein grosses,
zeigten ihn als Mitglied der „parnassischen Gruppe“, herzensgutes und doch ungerathenes Kind.
der Poeten, die mit Theodore de Banville, Leconte Mit den Entbehrungen kam die Krankheit. Im
de Lisle, Catulle Mendös, Franqois Coppee und Sully Leben des Poeten waren fortan die Wochen und Monate,
Prudhommc vor Allem die Formvollendung und den die er im Spital verbrachte, die glücklichsten. Philo-
Wohllaut des Verses anstrebten und ihren hauptsäch- sophisch fügte er sich in sein Schicksal und scherzte
lichen Vorgänger in 1 heophile Gautier hatten. darüber. Wenn im Sommer die elegante Welt die
Verlaine war damals schon Meister der Form; die Stadt verliess, pflegte er zu sagen: „Nach dem Grand
seelische Vertiefung sollte ihm erst unter Schmerzen Prix kann man wirklich nicht anständigerweise mehr
kommen. in Paris bleiben. Ich trete meine Saison in Broussais
Mitten in seinem bürgerlichen Glück und seinen an.“ Das Hospital Broussais war sein Lieblingskranken-
ersten dichterischen Erfolgen, überkam ihn ein dia- haus. Wenn er im Sommer schon seine „Saison“
bolischer Sinnenrausch. Dazu war er durch die Com- antrat, so pflegte er den Winter erst recht dort zu
mune 1871 politisch compromittirt, flüchtete nach Bel- verbringen.
gien — und die Folge war: zweijähriges Gefängniss. Indessen hatten sich seine Werke, die lange nur
In der stillen Zelle kam er zur Besinnung und im engeren Kreise literarischer Feinschmecker ge-
hielt innere Einkehr. Dort schuf er das Hauptwerk schätzt worden waren, Bahn zum grossen Publikum
seines Lebens, die Gedichte, die er später unter dem gebrochen.

86
Paul Verlaine auf dem Todtenbette,
Für die Jugend gezeichnet von F. A. Cazals (Paris).
Spätherbst.
88
1896 JUGEND Nr. 6

Um den Dichter, der in der Boheme des Quartier Von seinen Werken erwähnen wir noch: «La
latin lebte, schaarten sich junge Bewunderer,~-die ihn Bonne Chanson», «Romances sans paroles-, «Les
auf den Schild erhoben als Führer ihrer neuen Poeten- Poetes maudits», «Jadis et Naguöre», und «Les Me-
schule, oft ohne selbst ihn recht zu verstehen. Die moires d’un Veuf».
Gruppe der „Decadenten“ sah in ihm ihren Meister, Am 8. Januar machte ein Lungenschlag dem
obwohl er nichts von ihr wissen wollte. Die klare, Leben des Dichters ein Ende. Keiner seiner Freunde
frische, gut französische Sprache, die er in seinen stand ihm im letzten Stündlein zur Seite, denn keiner
besseren Werken gebrauchte, hat nichts gemein mit hatte geglaubt, dass die Krankheit den, trotz vielen
der dunklen und geschraubten Redeweise, mit welcher Leidens immer noch kräftigen 52 er so rasch hin-
die „Decadents“ die Armuth ihrer Gedanken zu ver- raffen würde. Es gab viel Trauer im Quartier latin,
bergen suchen. Doch ging es ihm wie vielen Grossen: dessen grösster Dichter hingeschieden war, und mit
Seine Verehrer wurden ihm zum Vorwurf gemacht. dem Pariser Schulenviertel trauert jetzt ganz Frank-
Wir sehen dies in einer Karikatur von Emile Cohl reich um den echtesten seiner Lyriker.
angedeutet, die in einem Flugblatt der Vanier’schen Ein Busenfreund Verlaine’s, der Maler Cazals, hat
Buchhandlung, Verlaine’s Verlagsfirma, erschien: wenige Stunden nach dem Tode den Hingeschiedenen
Der Dichter mit Teufelskrallen und der „Decadence“ auf seinem Sterbebett im bescheidenen Miethstübchen
als Schwanz. Als Leier hat er eine Gefängnissmauer, gezeichnet und der „Jugend“ dieses Bild, das einzige
als Saiten die Eisenstäbe eines Fensters. seiner Art, überlassen. Verlaine ruht sanft, wie im
1896
Nr. 6 JUGEND
Schlummer. Die feine, kleine Hand liegt auf dem
Laken, als hielte sie noch die Feder. Durch die
geöffnete Seitenthüre sieht man im Nebenraum eine
Frauengestalt: die Frau des Malers.
Priez pour le pauvre Gaspard! so sang Verlaine
auf Kaspar Hauser, mit dem er sich in seinem Unstern
verglich. Mit Wehmuth sehen wir den armen Pech-
vogel scheiden, der auf Erden keine Ruhe fand und
in dessen Leben der Schmerz den Grundton gab: Ein Fund.
Faschings-Capriccio.
II pleure dans mon coeur
Comme il pleut sur la ville, Eine Larve, federleicht zu wiegen,
Quelle est cette langueur Sah ich einst im Schneegestöber liegen,
Qui penetre mon coeur? Hob es auf, das Harrending, und heute
Prangt es an der Wand als Faschingsbeute.
O bruit doux de la pluie Manch ein Stäublein kam derweil zu sitzen
Par terre et sur les toits! In des Feingewebs durchbroch’ne Spitzen,
Pour un coeur qui s’ennuie Manch ein Gastfreund kam in schnelles Fragen:
O le chant de la pluie! „Wardst Du Tänzer noch in alten Tagen?“
Mancher witterte ein Abenteuer,
II pleure Sans raison Bis am End’ mir selber nicht geheuer
Dans ce coeur qui s’ecoeure. War beim Anblick jenes Schreckgesichtes,
Quoi! nulle trahison? Das beim Flackerschein des Kerzenlichtes,
Ce deuil est sans raison. Grell umkränzt vom Flammenspiel, dem rothen,
Aussah wie der Schädel eines Todten.
C’est bien la pire peine Das unheimliche Visir betrachtend,
De ne savoir pourquoi, Schien mir’s plötzlich, als ob heiss und schmachtend
Sans amour et sans haine, Durch’s Oval der ausgeschnitt’nen Ringe
Mon coeur a tout de peine. Dunkler Feueraugen Gluthstreif dringe,
Und das schwarze Fransenrundgewebe
Eines warmen Mundes Hauch belebe.
Blendend hob sich aus dem Schattendunkel
Arm und Nacken und Geschmeidgefunkel,
Und mit süssem Grau’n und leisem Zittern
Hört’ ich eine Seidenschleppe knittern,
Hörte heimlich einen Fächer rauschen,
Und mir war, als möcht’ ich ewig lauschen.
Und ich sprach: „Du kommst auf weichen Sohlen,
Schönes Weib, den Fund zurückzuholen;
Treulich, siehst Du, thät ich ihn bewahren!
Lass dafür mich, schönste aller Frauen,
Unverhüllt und frei Dein Antlitz schauen!
Schon verzehrt mich sehnendes Verlangen,
Sprich, o sprich! Woher kommst Du gegangen?
Sprich, wer bist Du, überirdisch Wesen?“
„Jetzt Dein Alles, bald bin ich — gewesen!“
.,. . Forschet nicht, was jetzt den Träumer weckte.
Lächelnd sah er, wie die Flamme leckte,
Feurig züngelnd höher sich erstreckte
Aus dem Fastnachtskram mit Spinnwebborden
War ein starr’ Medusenhaupt geworden.
ALFRED BKETSCHEN.

--

Reue.
Schwer ist mein Haupt und schwer ist mein Gewissen
Von Flüsterworten und von heissen Küssen,
Von Küssen schwül, gleich einer Lenznacht Schweigen,
Die blasse Blüthen weckt auf allen Zweigen —
Ungünst’gem Schicksal frevelhaft entrissen-
Schwer ist mein Haupt und schwer ist mein Gewissen.
Paul Verlaine T. RESA.
Nach einem Original F. A. Cazals, (im Besitze des Herrn Dr, Bouland) Paris.

90
1896 . JUGEND . Nr. 6

Schmücke Dein Heim! eine echte Bronzebüste aussah. Um das


Gesicht recht ähnlich zu machen, hatte
Für die ,Jugend“ geschrieben von Theodo- ich mir mehrere grosse Photographien und
retta Rosenblüh. Stahlstiche mit Porträts des Meisters ge-
kauft. Für die echte Büste verlangte der
Nachdem ich aufgefordert worden bin, Gypsfigurenhändler 6 Mark, mir kostete
für Ihre Zeitschrift über meine Erfahrungen die meinige nichts, als um 20 Pfennige
in Bezug auf häusliche Kunst einen Artikel Modellirwachs und um 10 Pfennige Gold-
zu verfassen und dieselbe mir neulich durch bronze.
die Post zugegangen ist, schicke ich, weil Mit Goldbronze lässt sich überhaupt
ich ohnedies die Schriftstellerei auch als Fabelhaftes erreichen. In meinem Rococo-
Liebhaberkunst betreibe, indem dass ver- zimmer habe ich z. B. einen Spiegelrahmen
schiedene Zeitschriften, wie „die Kunst für einfach durch aufgenagelte Salzbretzen stil-
die deutsche Hausfrau“, das „Hausmütter- voll verziert. Kein Mensch kennt das von
chen“ und der „Leimtopf“ Aufsätze von mir einer echten Schnitzerei „Louis XV.“ weg.
gebracht haben und dieselben grossen An- Eine Galosche meiner Schwiegermutter, in
klang gefunden haben, Ihnen Einiges aus die ich eine Kinderbadewanne aus Blech
meiner Praxis und langjährigen Erfahrung, stellte, gab einen wundervollen ovalen
welche ich mir im Laufe der Jahre er- Blumentisch, ein Corsett dergleichen Dame
worben habe. mit Leimwasser steif gemacht und bronzirt
Theure Leserin! Man glaubt gar nicht, mit ist als Behälter für getragene Wäsche jetzt
was man alles sein Heim schmücken kann! die Zierde unseres Schlafgemaches.
ln meinem Hause wird, die Küchenab- Wie gesagt, theure Mitschwester, ich
fälle inclusive mit eingeschlossen. Alles verwende Alles im Haushalt zur Schmück-
zur Schmückung des Heims verwendet und ung unseres Heims: Aus alten Stiefelsohlen
haben wir schon zwei weitere Zimmer mit- meines Mannes habe ich in Lederschnitt
dazumiethen müssen, um Alles unterzu- sehr hübsche Bierglasuntersätzchen ge-
bringen. Ausganz Unscheinbarem kanneine macht, aus alten Gonservenbüchsen, ab-
geschickte Liebhaberkünstlerinnenhand den gelegten Bügeleisen und Blechtöpfen stellte
reizendsten Zimmerschmuck verfertigen. So ich einen Ritterharnisch für unsern Vor-
essen wir z. B. öfters Leberwürste. Ich sorge, platz zusammen, den nur ein Kenner, weil
dass die Häute sorgfältig aufgeschnitten derselbe wirklich hübsch ist, von einem
werden, trockne sie, reinige sie, nähe sie zu- echten Maxemanuelsharnisch weg kennt,
sammen, spanne sie auf Rahmen, bemale wie man sie heisst. Ein reizendes Tinten-
sie mit Wasserfarben und erziele dadurch zeug erhielt mein Gatte von mir zu seinem
einen Fensterschmuck, der, sobald es dunkel letzten Geburtstag; und aus was ist es?
wird, aussieht wie echte Diaphanien. Nur aus abgebrochenen Soxhletflaschen,
Mein Mann hat sich allerdings beklagt, dass Austernschalen und Hummerscheeren. Zu
er jetzt gar so oft Leberwürste essen muss, seinem Namenstag bekam er einen Pfeifen-
aber die schönen Glasfenster-Imitationen ständer — aus was? Aus zwei defekten
in seinem Schreibzimmer haben ihm doch Teppichklopfern und einem zerbrochenen
recht viel Vergnügen gemacht, wozu sich Toilette-Eimer und den Resten einer aus-
die Häute von Blutwürsten weniger eignen, rangirten Bettvorlage — es sieht aus wie
weil sie nicht so durchsichtig sind, und er indisch. Erst jüngst habe ich ihm den Sitz
gab sich schliesslich zufrieden. seines Schreibstuhles mit tiefer Kerb-
Theure Leserin, wie war ich da erfreut! schnittarbeit verziert. Er sagt, er müsse
Unserm Speisezimmer fehlte schon lange nun an mich denken, so oft er darauf sitzt,
ein Lüster. Ich habe aus einem alten Regen- wie ihn überhaupt jedes Stück in unserem
schirmgestell, einigen Kilos alter Glas- Hausrath an meine fleissigen Hände er-
scherben und einer Mischung von verdor- innert.
benen Salzgurken, Kartoffelschalen Asche, Ich glaube, sagen zu dürfen, dass nahe-
Gips und zugrundegegangenen Bücklingen zu nichts mehr ungeschmückt ist in unserm
einen prachtvollen Lüster hergestellt. Die Heim. Bei Einladungen verzieren wir sogar
Stangen des Regenschirms bestrich ich mit Zahnstocher und Streichhölzer mit Holz-
einer aus obigen Ingredienzien gekneteten brand. Ueberhaupt wird mit dem Glühstift
Masse, den Bücklingen nahm ich die Schup- Alles bearbeitet, was aus Holz oder Leder
pen ab, was eine prächtige Vergoldung für ist, wie ich auch alles Porzellan- und Stein-
den Lüster abgab, auf den ich sie klebte, gutgeschirr stilvoll bemale.
und die Glasscherben liess ich schleifen und Dass man alle Stoffreste zu liebhaber-
behängte damit den Lüster, der anfangs nicht künstlichen Arbeiten verwenden kann, ver-
angenehm roch, aber von geradezu präch- steht sich von selbst. Unser grosser Sa-
tiger Erscheinung war; nur das Schleifen lonteppich weist Muster von sämmtlichen
war etwas theuer, nach dessen Preis ich Hosen auf, die mein Mann in den 24 Jahren
vergessen hatte, vorher zu fragen. Der Glas- unserer Ehe getragen. Man hielte denselben
schleifer hat 275 Mark verlangt — aber es für einen echten Perser. Unsere Vorhänge
gibt gewiss Schleifer, die das billiger machen. sind mit der Wolle abgetragener Strümpfe
Lange war es mein sehnlichster Wunsch, und Socken gestrickt und hängen an (bron-
die Büste meines Lieblings-Componisten zirten) Vorhangstangen, die früher Besen ge-
zu besitzen, indem ich auch die Musik als wesen sind. Unsere Stühle sind mit meinen
Liebhaberkunst treibe und mir dieselbe in ehemaligen Seidenkleidern überzogen, un-
echtem Gyps zu kostspielig war. Nun verfiel sere altdeutschen Tischtücher sind ehe-
ich auf einen Gedanken, auf den ich wirklich malige Bettlaken, die ich mit rothem Garn
stolz bin: ich hatte ein Gefäss, welches verziert habe, während unsere Betttücher
überflüssig wurde, da mein Jüngster sozu- aus ehemaligen altdeutschen Tischdecken
sagen daraus wuchs. Dieses setzte ich auf bestehen. Alte Schnupftücher lassen sich
einen abgebrochenen Lampenfuss, schlug mit geschickter Benützung der Löcher und
den Henkel ab, modellirte eine Nase an Flicken in reizende ä jour-Deckchen verwan-
seine Stelle und auch das Uebrige, was deln und sind dieselben für Teller, Brod-
zum Gesicht gehört, bis es dem grossen körbchen sehr verwendbar.
Künstler ähnlich sah und ich mit Gold- Alles lässt sich verwenden, theure Le-
bronze bestrich, wo es dann wirklich wie Zierleiste von F. Hass. serin, wirf ja nichts weg in Deinem Haus-

9i
Nr. 6 jUGK'ND 1896

Ringel'^e>hen. Originalzeichnung von J. Garben,


Nr. 6 JUGEND 1896

halt: Eierschalen, Fischgräten, alte Hand-


schuhe, Geflügelknochen, Cigarrenkisten,
W interlandsdiaft.
Tintenflaschen, Nestle-Büchsen, Zündholz- Der Wald erglänzet schneeig weiss
schachteln, Cartonemballagen, zerbroche- Und steht in tiefem Schweigen,
nes Geschirr jeder Art, Staniolkapseln, Fla- Kristallklar hängt herab das Eis
schenkorke, Alles lässt sich verwenden, Von dunkeln Tannenzweigen.
bronziren, punzen, aussägen, brennen, ver- Das Feld liegt wie ein weisser See
löthen, schneiden, schleifen, graviren, be-
malen, annageln, aufhängen, feilen, lackiren, Und ferne Nebel wallen,
treiben, hämmern, ätzen, bekleben, kerb- Sie steigen auf zur blauen Höh',
schneiden, schnitzen, transparent machen. Sie steigen und sie fallen.
Unser eigenes Heim ist nun allerdings „ Ein Vogel kauert auf dem Baum,
schon so arg als möglich geschmückt. Aber 'y Das Köpfchen im Gefieder,
im nächsten Jahre geht meine Tochter auf Und zwitschert leise wie im Traum
den ersten Ball. Da fang ich jetzt mit ihrer Zukünft’ge Frühlingslieder.
Aussteuer an. Uebrigens fällt mir dabei / So feierlich tönt Glockenschall
ein, dass man abgelegte Ballblumen auch
bronziren kann und sie dann von Kunst- Vom Klosterthurm herunter;
schmiedearbeiten nicht wegzukennen sind. Am Himmelsrand, ein Feuerball,
Was sehr hübsch ist. Geht gross die Sonne unter.
Also schmücke Dein Heim! Originalzeichnung von Julius Adam. E. FRETSCHER.

Der Apfelschuss. E. v. Meissl.

94
1896 JUGEND Nr. 6

„Schau Du!“ bewundert der Bauer, „reinen Luttenberger


hast? Istdoch wohl auch sicherlich ein echter und gerechter,Du?“
Schaut der Wirth schief drein: „Was glaubst denn von
mir, Bauer? Dass ich einen unechten Wein hätt’? Einen
ungerechten Wein hätt’? Einen falschen Wein hätt’? Mein
Lieber! Das kann ich dir schon sagen, keinen echteren Lutten-
berger hast Du wohl dein Lebtag nit getrunken, als wie den da!“
„Hab’ überhaupt noch nie keinen Luttenberger getrun-
ken“, sagt der Bauer, „hab nur alleweil gehört, dass er recht-
schaffen gut soll sein, der Luttenberger.“
„Uh Halbnarr!“ lacht der Wirth auf, „der den guten
Wein beim Ohrwaschel hineinlasst, anstatt bei der Gurgel!
Darf ich noch einmal nachschenken?“
„Halt ja, halt ja! Eins tragt’s noch, ein Krügel“, sagt der
Bauer und trinkt mit Andacht den echten und gerechten Wein.
Und seine Seele hätte er mögen verschwören, der Wirth,
darüber, dass sein Wein ein echter Luttenberger ist. Denn
in seinem Hause hinterwärts wohnt der Bader. Der zahlt
keinen Zins, macht aber den Wein. Und der Bader heisst
Franz Luttenberger. Wie er ihn macht? Wasser und Wurzel-
werk, Zucker und Feigen, Zimmt und anderes Gewürz, ein
wenig Branntwein dazu, was weiss ich ! Er sagt’s ja nieman-
dem, der Bader, wie fein er mischt. In seiner lateinischen
Küche werden noch ganz andere Tränklein ausgekocht, kostet
das Flaschel achtzig Kreuzer, weiter schaden sie nicht viel.
Nun, und dass ich sage: Im Hof steht ein Trog, der ist heute
voller Luttenberger, frisch aufgekocht, glühheiss, just im jesen
(gähren); dass wir bald wieder ein neues Tröpfel zu trinken
kriegen, ein echtes und gerechtes!
Jetzt mit Verlaub zu fragen, wie geht’s dem Esel draussen
an der Planke? Dank der Nachfrag, so weit gut. Nur dass ihm
die Zeit alleweil länger wird und der Durst alleweil grösser. Der
Bauer kommt nicht vor, der sitzt drinnen fest. Die Welt ist
doch nichts nutz. Es ist der Unterschied zu gross. So philo-
sophiert der Esel und beutelt den Kopf. Bei dieser ganz harm-
los gemeinten Bewegung reisst er das Stricklein ab und
jetzt wär’ er frei und könnte gehen wohin er wollt’. — Ja,
Des Esels Ehrentrunk. wenn er gehen kann wohin er will, da geht er durch das Thor
Ein steirischer Schwank, erzählt von Peter Rosegger. hinein in den Hof und sucht den Brunnentrog, damit er sich
Diese Geschichte hat sich zugetragen zu Bruck, in der
den Durst kann löschen. — Na nu! denkt sich der Esel, wie
er aus dem Troge trinkt, was ist denn das da für ein Wasser?
alten Kreisstadt an der Mur. Angespielt haben sie vier Per-
Ich kenn’ mich nit aus, ist das ein schlechtes Wasser oder
sonen: Ein Bauer, ein Bader, ein Richter und ein Esel. Ob
von diesen vieren der letztere nicht thatsächlich der Klügere ein guter Wein! Aber schmecken thut’s nit sper! Gar nit sper
schmeckt’s! Ja, - da hör’ ich auf vom Trinken und heb’ an
gewesen ist, wie es das ehrwürdige Geschlecht der Grauen zum Saufen! .. . .
erheischt, das soll sich zeigrn im Laufe der Begebenheit.
Also hebt es an. Kommt einmal an einem glühheissen Nach einer Weile, wie der Bader kommt, um nachzu-
Sommertage ein Bauer mit seinem Esel in die Bruckerstadt. schauen in seinem hölzernen Weingarten, ob sich der Wein
Als sie bei der Mühle ihre Kornbündel abgelegt gehabt haben wohl gut ausreift in der Sonne, da findet er einen leeren Trog
und nacher drauf über den Marktplatz spazieren selbander, und einen vollen Esel. Nicht bald eine reife Weinbeer’ wird
sagt der Bauer zu seinem Genossen: „Du, verdammt! Die sich so schön bauchig auswachsen, wie sich unser Grauer jetzt
Hitz’, die ich leid!“ gezeitigt hat. Dabei wackelt er mit dem Kopf, fächelt mit den
' „1h ah!“ meint der Esel. Ohren, pustert mit der Schnauze, hüpft mit den Beinen, haut
„Und den Durst, den ich hab!“ mit dem Schwanz nach links und nach rechts und hebt lieb-
„Ih ah!“ singt der Esel. lich an zu singen: „Ih ah!“ gleichsam: Ich auch bring’ es
Nachher kommen sie zum Wirthshaus. zuweg, viechdumm zu werden, wenn ich einen Rausch hab’!“
Wie sie zum Wirthshaus kommen, hängt der Bauer Der über die Maassen entsetzte Bader läuft in die Wirths-
seinen Kameraden mit einem Stricklein an die Planke, die unter stube: „Wem gehört der Esel da draussen?“
der Linde steht und geht hinein in die Stube auf ein frisches Der Bauer hat schon geduselt. Jetzt hebt er seinen
Krügel. Lässt sich ihn schmecken, den Wein. Schön kühl ist Kopf auf: „Esel? Von einem Esel ist die Rede? Das geht
er, schön süss ist er, schön prickeln thut er auf der Zung’. mich an. Der Esel gehört mein“.
„Was ist denn das für einer?“ fragt der Bauer den Wirth. „Recht ist’s“, sagt der Bader mit kaltem Ernst, „Bauer,
„Das ist ein Luttenberger“, antwortet der Wirth. Es ist dann machst Du mir meinen Schaden gut! Verstehst Du?
ja allbekannt, dass bei Luttenberg im Unterland ein gutes Meinen Trog Wein hat er mir ausgesoffen. Die ganze Fexung
Tröpflein reift, ein gottverflucht gutes Tröpflein. ■st beim Teuxel!“

9S
Nr. 6 JUGEND 1896

Pegasusritter. Orißinalteichnnng von Heinrich Schütt.

96
1890 JUGEND Nr. 6

Der Bauer reimt sich das Ding bald zusammen und fragt:
„Hab’ ich’s ihm geschafft, dass er Dir Deinen Pantsch soll
austrinken?“
Hierauf der Bader: „Du hast Dein Vieh anzuhängen,
dass es nicht loskommt und keinen Schaden macht! Hast
mich gehört? Und wenn Dein Esel einen Schaden macht,
so wirst Du dafür hergenommen. Meinen Trog voll Wein
mach’ mir gut. Verstehst?!“
Darauf hin wird der Bauer nüchtern. Langsam bäumt
er sich auf, hoch auf! Mit der Nase pfnaust er und sagt so-
dann in gemessener Würde: „Bader! Hättest Du Deinen Wein
dort gehabt, wohin er gehört, im Keller, und mein Grauer
war’ dazu gekommen, nachher könntest aufbegehren. Wenn
der Bauer im Wirthshaus sitzt und sein Esel derweil in den
Hof geht, so hat er recht. Wenn der Esel Durst hat und zum
Brunnen geht und trinkt, so hat er auch recht. Wenn aber
Die Sittenkommission.
im Brunnentrog das Wasser verdorben ist und das Vieh wird ln der bayrischen Kammer, da grämte sich Einer
krank davon — wer ist dran schuldig? Der das Wasser hat Von Geist ein Grosser, von Körper ein Kleiner
verdorben. Und wenn das Vieh auf so ein Gesüff verreckt, Weil mit der Tugend auf unserer Schau-
wer steht mir gut? Der den Trank hat verdorben. Du stehst Bühne es stünde gar so mau!
mir gut, Bader, und von Dir begehr’ ich einen gesunden Esel, Er sprach:
wenn der besoffene krepirt!“ „Wer, wie ich, als des Volkes Vater
So hat er gesprochen, der Bauer. Und wie der Bader Berufen sich fühlt, kann das deutsche Theater
merkt, dass sein Gegner den Spiess umwendet, da wird er Nur mit verbundenen Augen und Ohren
höllisch wild, geht zum Gericht und verklagt den Esel, den Besuchen, weil ’s allen Anstand verloren.
Esel mitsammt dem Bauern. Na, gut über das. Da sieht man gar Vieles, was sich nicht ziemt,
Jetzt, was wird da herauskommen? Der Richter ruft sie Da wird viel Sittenloses gemimt,
vor. Der Bader ist Gott Lob und Dank gesund, der stellt sich Und wenn sich am Schlüsse mit zierlichem Neigen
ein. Dem Bauer ist heute gewiss so so, er weiss selber nicht Die ausgeschnittenen Damen verbeugen,
recht, wie. Aber vorhanden ist er auch. Der Esel aber, der So lässt dies lächelnde Niederbücken
hat schauderhaftes Kopfweh — der lässt sich entschuldigen. Das Publikum viel zu tief oft blicken.
Der Richter sitzt zu Gericht. Hab’ eigenäugig bestätigt das
„Es ist“, sagt er und nimmt eine Prise, „es ist eine harte Mit einem vortrefflichen Opernglas.“
Sach’. Für diesen Fall finde ich im Gesetz keinen Para- Auch sonst, so sprach er, säh’ man vom Fleische
graphen. Der Esel hat niemanden umgebracht, hat nichts Vieles, was bess’re Bedeckung heische,
gestohlen, hat nicht Ehr abgeschnitten, hat 'kein Wort ge- Und wär’ es auch mit Trikot übersponnen
brochen, hat niemanden verzaubert oder verhext — nicht Er sei darum doch in Scham entbrennen
bald so ein braver Mensch ist mir vorgekommen wie dieser Und hält' sich, so bald der Vorhang fiel,
Esel. Und den soll ich schuldig sprechen? Ich müsste rein Erröthend gewendet von diesem Spiel.
nach dem Zechrecht vergehen, nach dem altgermanischen. Und Dramen würden gegeben, Dramen!
Und da haben wir zwei Fälle: Der zahlende Gast und der Verderblich für Männer, Kinder und Damen,
freie Gast. — Saget mir einmal, lobwerther Herr Bader, hat Für Religion und für Moral,
der Esel den Wein als stehend getrunken oder als sitzend?“ Geschmack und Gesinnung gleich fatal!
„Bank hab’ ich ihm keine hingestellt zum Trog, dem In einem Stücke zum Beispiel, dem „Faust“,
Biest!“ gibt der Bader in seiner Entrüstung zur Antwort. Sei er vor Schrecken gar nicht geblieben,
Darauf der Richter: „Also stehend. Gut. Wenn der So furchtbar habe es ihm gegraust:’
Angeklagte als stehend hat getrunken, so ist’s ein Stehwein Da habe sich einer dem Teufel verschrieben
gewesen, ein Ehrentrunk. Einen Ehrentrunk haben jedoch Und dieser hatte gar Böses zu sagen
die alten Germanen niemandem nachgeredet. Der Stehwein Ueber die heilige Kirche und ihren Magen
ist umsonst, der Herr Esel ist nichts schuldig.“ Und auch die hohe Theologie
Was ist’s weiter? Seit dieser Entscheidung nennt man Verspottete er mit Infamie.
zu Bruck an der Mur einen gepantschten Wein — des Esels Ein anderes Stück, das hab’ ihn verdrossen,
Ehrentrunk. Indessen — der Langohr verzichtete für Weiteres Weil man da drinnen nach Obst geschossen,
auf die Ehre, er hatte einmal getrunken und er trank nicht Und für die lieben Gottesgaben
wieder. Sollt’ man doch mehr Verehrung haben.
Und in einem andern Stück - von Moliere,
Der auch so ein saubrer Moderner wär’
Da käme ein Mann vor, ein frommer Mann,
Der gar nichts Böses nicht leiden kann,
Voll Tugend und Keuschheit bis über die Ohren,
Kurz einer, der so recht geboren
Zu einer Leuchte der Centrumspartei —
Der wär’ dort geradezu vogelfrei
Und würde verfolgt mit tückischem Kniff,
Der Vertreter der Sitte, der arme Tartüffe.

97
Nr. 6 JUGEND 1896

Und wieder ein anderes Stück, der Satan Der sagte zerknirscht, er werde das nun
Hole es gleich! betitelt ist’s „Nathan“, In Zukunft nimmermehr wieder thun.
Verhöhne zu seinem Unbehagen
Ganz ohne Ehrfurcht dogmatische Fragen. Ja, wenn wir nicht Leute im Landtag hätten,
Dann habe ein frecher, schwäbischer Dichter Die unserm Volke die Tugend retten —
Es dargestellt, wie Soldatengelichter Und argusäugig im Kreise späh’n,
Einen Pater bei seiner Predigt Ob nirgends was Sittenloses zu seh’n —
Schlecht behandelt, ja fast beschädigt, Wo kämen wir hin in unserer Zeit
Und von demselben sauberen Herren, Der glaubenslosen Verworfenheit! ki-ki-ki.
Der’s beliebt, das Reine hinabzuzerren,
Wird noch ein schlimmeres Stück gegeben,
Das glorificirt das Räuberleben.
Da wird gleicherweis ein gottseliger Priester
Zum Besten gehalten durch freche Biester
Und ein braver Geselle, Namens Franz,
Der nach dem Geiste Loyola’s ganz
Handelt und denkt in der schnöden Welt,
Wird als Canaille hingestellt.
Den Autor möchte der Redner treffen
Und mit zwei ultramontanen Schöffen
Verhandeln dürfen, heut’ oder morgen,
Dem wollt’ er’s besorgen! —
Jedoch der Schlimmste der Tugendhasser,
Das sei ein englischer Dramenverfasser —
Der Name thu’ nichts zur Sache hier,
Doch sei darin die Rede vom Bier —-
Der hat eine Scene sich ausgedacht,
Wo einer der Mutter Grobheiten macht
Und dann auf dem Kirchhof—unerhört! —
Eine gottesdienstliche Handlung stört
Und, als genügte das Alles nicht,
Am Schluss noch den Stiefpapa ersticht.
Und doch ist dieser ein frommer Mann,
Der gar inbrünstiglich beten kann,
Und theilt auch des Redners Aversion
Gegen der Bühne frivolen Ton.-
Und wenn er so weiter erzählen wollte,
Warum er unserm Theater grollte,
Er spräche bis morgen in einem Zug —
Die Herren aber hatten genug
Und baten mit aufgehobenen Händen,
Er möge doch enden.

Doch gleich hub ein Anderer an mit dem Jammer


Um Sitte und Tugend in unserer Kammer —
Den Namen weiss ich nicht mehr gewiss,
Ich weiss nur, er sprach das, was er hiess.
Des Mannes keusches, braves Gemüth
Ist jüngst in jungfräulicher Scham erglüht,
Weil er auf einem Neubau in München,
Beschäftigt, Mörtel zu tragen zum Tünchen,
Ein Weib geseh’n mit theilweis enormen,
Abgerundeten, üppigen Formen.
Ihr Kleid war dünn und Hess Vieles seh’n,
Drum blieb der Herr Pfarrer entrüstet steh’n
Und sah nach dem Mörtelweib unverwandt,
Bis um die Ecke die Holde schwand.
Und er sah auch die anderen Weiber an,
Die gleichgekleidet das Gleiche gethan
Und alle hatten sie dünne Blousen
Und Röckchen, da sah man Strümpfe und Schuhe
Und da stand nun der Biedere stundenlang Wie der Burger van der Schwiemel in Transvaal von der
Und schämt’ sich bis Sonnenuntergang. Kneipe nach Hause kommt, wenn ihn alkoholische Einflüsse
Und weil man so Sünd’ und Verbrechen schafft, so weit gebracht haben, dass er nicht mehr gehen, nicht mehr
Erbat vom Minister er Rechenschaft. stehen und nicht mehr reiten kann.

98
1896 JUGEND Nr. 6

Zierleiste von J. Carben.

Und wir knobeln es schlichtweg aus, Entwurf mit dem Motto: »Ein Gastmahl des
17 Mann im Reichstag. Wer da komme in’s Reichstaghaus!
Wie sie der Zufall zusammentrug
Königs«. Die Zahl der zweiten Preise ä 60 Mark
wurde auf drei erhöht. Diese erhielten: Bruno
Donnerwetter nocheinmal: Dazu sind sie gescheut genug, /’s«/ (München), Motto: »Schwarz-weiss-roth« ,
Siebzehn Mann im Reichstagssaal! Dass sie nicht in die Sitzung geh’n. Ernst Ewerbeck {München), Motto: »So«, Paul
Haben wir darum die Herrn gewählt? Wie wir’s von unsern Erwählten seh’n! Neuenborn (Düsseldorf) für vier Entwürfe mit
Haben wir darum uns gequält, dem Motto: »Decies repetita placebit«. Auch
Uns in heissen Wahlschlachttagen Donnerwetter nocheinmal: die Zahl der dritten Preise, ä 40 Mark, musste
Mit den Feinden herumgeschlagen, Siebzehn Mann im Reichstagssaal! auf drei erhöht werden. Diese bekamen: Carl
Darum geschrieben, darum geredet, G. HINWEG. Spindler (Sankt Leonhard bei Boersch, Unter-
Darum Nachbar den Nachbarn befehdet, Elsass), Motto: »Tantalus«, Hans Völcker
Darum Partei die Partei gehasst, (München), Motto: »Hähnchen« und Arpad
Darum den glänzenden Reichstagspalast Schmidhammer (München), Motto: »Reigen«.
Aufgebaut für zwei Dutzend Millionen, In der Concurrenz III für Politische Karika-
Dass d’rin siebzehn Herrlein wohnen,
Siebzehn Herrlein von fast vierhundert? -
Die Preisausschreiben turen wurde der I. Preis (SoMk.) Arpad Schmid-
hammer (München), Motto: »Finger weg« zuge-
Ganz Europa steht verwundert der ,Jugend“ sprochen, ferner wurden drei zweite Preise zu-
erkannt an die Herren J. Carben (München),
Und schaut dem Jammer mit Lachen zu:
„Herrlicher deutscher Michel Du! haben, wie schon mitgetheilt, ein unerwartet Motto: »Staatsgewalt her, oder ich fall um!«,
Bist schon ein Vierteljahrhundert wach, erfreuliches Ergebniss gehabt. Für Wettbewerb I: Rudolf Griess (München), Motto: »Durch!« und
Hängst halt wieder dem Schlafe nach!“ Entwürfe fürTitelblätt er der, Jugend“ liefen einem Entwürfe mit dem Motto: »Kürze ist des
Siebzehn Männer, gewählt vom Land, im Ganzen 230 Arbeiten ein. Die Jury verlieh Witzes Seele« (Name unbekannt). WettbewerbIV
Sind noch, wenn man sie braucht, zur Hand, den I Preis (200 Mark) dem Entwürfe von betrafEntwürfefür Carnevalsplakate. I. Preis
Dreihundertundachtzig ist es gleich, Robert Engels (Düsseldorf), Motto: »Pastorale«. Ferdinand G'ötz (München), Motto: »Schwarz-
Wie’s ihm ergeht, dem deutschen Reich! — Ferner wurden zwei zweite Preise ä 150 Mark weiss«, II. Preis Rudolf Wilke (München), Motto :
verliehen an E. R- Witzei (München), Motto: »Carneval frangaise«, zwei dritte Preise: E.
Wenn nun wieder die Zeit mal kommt, «Poesie« und Albert Wimmer (Leipzig), Motto: Laskowsky (Strassburg), Motto: »Maske« und
Dass uns ein neuer Reichstag frommt »Credo« und zwei dritte Preise ä 100 Mark an Eduard Gabelsberger (München), Motto: »Ernst
Braucht es dann wieder der vielen Reden Josef Auchentaller (München), Motto: »Jugend, ist das Leben, heiter die Kunst«. — Die Jury
Und der grimmigen Zeitungsfehden geh’ mit der Zeit« und Adolf Münzer (München), bestand aus den beiden Herrn Präsidenten der
Und der Opfer an Zeit und Geld Motto: »Stier«. Noch etwa fünfzehn weitere grossen Münchener Künstlervereinigungen: Pro-
Denn umsonst ist der Tod in der Welt Entwürfe waren mit in die engere Wahl gekommen fessor Ludwig Dill (»Secession«) und Hugo
All’ der Erregung nah und fern, und wurden zum Ankauf empfohlen. Bei Wett- Bürgel (»Münchener Künstler-Genossenschaft«),
All’ das wieder — um solche Herrn? bewerb II, Entwürfe für Menukarten, erhielt aus den beiden Herrn Akademie-Professoren
Nein, wahrhaftig, das nächste Mal von circa 120 Einsendungen den I. Preis (80 Mark) Marr und Franz Stuck und Herausgeber und
Schenken wir uns die Müh’ der Wahl wieder Robert Engels, (Düsseldorf) für seinen Redakteur der Zeitschrift „fugend“.

-r' '—^.-1—• —
Von Arpad Schmidhammer.
Zukunftsfeuerwehr.

99
Inseraten-Annahme Insertions-Gebühren

JUGEND
durch alle Annoncen-Expeditionen für die
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G. Hirth’s Verlag in München Raum M. I.—
und Leipzig. laut aufliegendem Tarif.

Die JUGEND erscheint allwöchentlich einmal. Bestellungen werden von allen Buch- und Kunsthandlungen, sowie von allen
Postämtern (Bayer. Postzeitungs-Katalog No. 397, Deutsches Reichspostzeitungs-Verzeichniss No. 3536) und Zeitungs-
Expeditionen entgegengenommen. Preis des Quartals (13 Nummern) 3 Mk., der einzelnen Nummer 30 Pf.

Hin und wieder auf Erden, Dass von den Kleinen


So will mir scheinen, Auch mal die Grossen werden
Hat’s doch sich geschickt, An die Wand gedrückt.

Kunst-Auktion in München, Secession München.


Februar 1896 Prinzregentenstrasse.
Centralsäle (Neuthurmstrasse)
einer reichhaltigen Sammlung von
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voiQMitte März bis Ende April.
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Oelgemälden G. HIRTH's Kunstverlag in München und Leipzig.
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Hugo Helbing. M. 6.—, geb. M. 9.—.
Herausgeber; Dr. GEORG HIRTH; verantwortlicher Redakteur; F. von OST1NI; verantwortlich für den Inseratentheil; G. EICHMANN, G. HIRTH’s Kunstverlag; sämmtlichin München*
Druck von KNÖRR & HIRTH, Ges. m. beschr. Haftung in München.
1896 . 15. Februar - JUfiEND 1. Jahrgang • Nr. 7

Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben. — G. Hirth’s Verlag in München & Leipzig.
ALLE RECHTE VORBEHALTEN.
Nr. 7 IUGEND 1896

nichts Neues mehr ist. Unser Gespräch „Lass’ das, sonst komme ich nicht
Ein Aschermittwoch. kam schnell in Fluss und war in einigen wieder!“
Minuten lebhaft und reizvoll; das war Da liess ich es und je öfter wir uns
Wir hatten uns sechs oder sieben Mal schon ein Zeichen dafür, dass unsere trafen, desto mehr liess ich von dem, was
in jenem langen Fasching getroffen, aber Seelen einander verstanden. Wir sprachen ich vorher gewagt. Auch im Reden, ob-
nur da, wo Maskenfreiheit galt und Larven nicht vom Schlittschuhlaufen und nicht wohl da die Versuchung, ein wenig imper-
getragen wurden, denn ich sah sie nie ohne vom Wetter, nicht von Sudermann und tinent zu sein, ziemlich gross war. Drehte
Larve. Vielleicht trafen wir uns auch sonst nicht von Mascagni. Auf Verlegenheits- sich doch unser Gespräch zumeist im Kreise
noch hin und wieder auf einem Ball, auf themen gerieth man gar nicht in ihrer um Herzensfragen. Dass dies nie eintönig
der Strasse, im Theater — ich weiss es Gesellschaft. Als wir zum ersten Male und nie gefährlich wurde, weiss ich heute
nicht und sie hat es mir jedenfalls nicht auseinandergingen, bat ich sie um ein kaum mehr zu fassen. Fing ich je einmal
verrathen. Wiedersehen. an, von schöngeistigen Dingen zu reden,
Sie kam immer im schwarzen Domino „O ja im Domino!“ so gab sie meist eine kurze, oft eine gute
und hatte immer die gleiche Nadel am „Und das Erkennungszeichen?“ Sie Antwort, brach dann aber ah. Es schien,
Busen stecken, an der ich sie erkannte: deutete auf die goldene Mistel. als hätte sie eher Bildung, als Unbildung
ein goldenes Mistelzweiglein mit Perlen- Acht Tage später traf ich sie auf dem zu verbergen.
beeren. Opernball. Wir sprachen wieder nicht vom Natürlich hatte ich sie schon am Schlüs-
Mit dem ersten Blick hatte sie mich Theater oder anderem Nothbehelf; immer se des ersten Ballabends gebeten, die Mas-
gefesselt. Sie war eher klein, als gross. von uns selbst, immer vom lebendigen ke zu lüften. Sie schüttelte lachend den
Von ihrer Gestalt liess das bauschige Leben. Beim Auseinandergehen sagte sie Kopf und entschwand, als es Zeit wurde,
Seidengewand nicht viel mehr erkennen, mir freiwillig, wo sie nächstens zu treffen sich zu demäskiren.
als dass sie geschmeidig und schlank war. sein werde. Immer hinter der Maske na- Gerade so das zweite Mal.
Ein Stückchen Arm, zwischen dem hohen türlich! Auf dem dritten Maskenball waren wir
schwarzen Handschuh und dem Aermel, So begegneten wir uns bald da, bald schon gute Freunde. Damals versprach
war voll und weiss, der Ansatz des Halses dort und wir blieben dann stets zusammen, sie mir, am letzten Abend des Garnevals die
an die Schulter so schön, wie man ihn bis sie nach Hause fuhr. Bis an den Wagen Maske abzunehmen, wenn ich artig bliebe.
selten sieht. Es war zum Entzücken, wenn ging ich mit; ich hatte versprechen müssen, Nun drängte ich nicht mehr. Mit jeder
sie diesen schlanken Hals bewegte und sie ihr aber nie weiter zu folgen. Ob sie meinet- Begegnung freilich wuchs meine Neugier,
drehte das Köpfchen gerne ein wenig kokett wegen kam, weiss ich nicht, doch es mochte aber jedesmal mischte sich auch stärkeres
hin und her, als wüsste sie, wie gut ihr wohl sein. Dass ich ihretwegen kam, weiss Bangen dazu.
das stand. In ihrem Nacken kräuselte sich ich gewiss. Und bald kam ich nur allzu War sie wirklich der mächtigen Re-
dichtes dunkles Haar. Auch ihren Mund gerne! gung werth, die mir das Blut so stürmisch
habe ich gesehen, einen nicht zu kleinen Ich war verliebt in einen Domino! zum Herzen drängte, wenn ich nur von
Mund mit vollen, rothen Lippen, die lachen Wer war sie? Eine Dame der »ganzen« Weitem ihre wohlbekannte, vermummte
konnten, lachen, dass Einem das Herz im Welt oder ein Dämchen der halben? Eine Gestalt auf mich zuschreiten sah? War
Leibe mitlachen musste, auch wenn es Frau? Ein Mädchen? Wenn ich sie fragte, sie schön? War sie jung? War sie ver-
bang und traurig gewesen war. Auch oder gar auf Umwegen eine Auskunft zu blüht? Gut? Schlecht?
schmollen sah ich diese Lippen, und sie ergattern suchte, lachte sie mit ihrem hell- j Dass sie nicht hässlich sein könne,
sind auch dann nicht minder hübsch ge- sten Lachen und gab mir die Antwort: stand in mir fest. Dass sie jung sei, dafür
wesen. „Chi lo sa? Wer weiss es?“ sprach der feingedrechselte Hals — nicht
Sie war immer sehr gut angezogen und Madonna Chilosa nannte ich sie denn mehr siebzehn- oder achtzehnjährig, das
vermied dabei einen übertriebenen Chic auch. bewiesen die frauenhaften Schultern. Das
ebenso geschmackvoll wie alles Spiess- Sie sprach nie ein allzu freies Wort, bewies übrigens auch die Art, wie sie vom
bürgerliche und Alltägliche. Allerliebst verübelte aber auch einen Scherz nicht, der Leben sprach.
waren stets ihre kleinen, feinen Schuhe — kecker war, als das übliche Ballgespräch. Was würde ich inne, wenn die Maske
„ein köstlich Ding an Frauen!“ — frei Als ich einmal in einem unbewachten fiel? Eine solche Frage sollte Einem nicht
nach Lear! Augenblick die Lippen auf ihre Schulter mehr sehr viel Herzklopfen machen, wenn
Zuerst trafen wir uns zufällig und plau- drückte, schlug sie mich weder mit dem man sechsunddreissig Jahre zählt und nicht
derten ungezwungen, wie zwei Leute, denen Fächer in’s Gesicht, noch fuhr sie zornig gerade mehr zum ersten Mal vor einem
der Mummenschanz mit seinen Freiheiten auf. Sie sagte ganz ruhig, bittend fast: holden Räthsel steht. Es gab aber Nächte,

102
1896 JUGEND Nr. 7
in denen ich um dieser Frage willen nicht ein- Zwölf Uhr!
schlafen konnte, es gab eine Nacht, in der ich Dröhnend, langsam, schaurig fast in diesen
meinte, durch sie von Sinnen zu kommen, mir Trubel der Narrheit hinein klangen die zwölf
das Thörichteste vornahm, die unsinnigsten Zu- Schläge vom nahen Thurm des Münsters.
kunftspläne machte. „Zwölf Uhr!“ rief ich.
Aber schliesslich sucht man sich sein Weib „Aschermittwoch!“ gab sie zur Antwort. Ich
doch nicht hinter der Larve! fasste ihre Hand.
Sein Weib! Soweit war ich schon — und „Wirst Du Wort halten und Dich demaskiren?“
ich wusste nicht, ob sie nicht einem Andern, ob „Ja — wenn D u es willst!“
sie nicht — aller Welt gehörte! Gar nichts wusste Einen Augenblick zögerte sie noch, dann
ich von ihr. nestelte sie an ihrem Kopfputz, die Larve loszu-
War ich wieder bei Dame Chilosa, dann war machen. Der Knoten wollte sich nicht öffnen
lassen.
der Sturm vertobt, ich plauderte mit ihr, senkte „Du musst mir schon behilflich sein!“
meinen Blick in die Tiefe ihrer Augen, hörte den Ich stand auf mit hochklopfendem Herzen.
Wohllaut ihrer Stimme und war glücklich. Dann Für mich war das nicht mehr das flüchtige Räthsel
hatte ich auch das bestimmte Gefühl, dass sie
jung, reizend, gut und klug sein müsse. einer Ballnacht, was sich da lösen sollte; es
war eine durch Wochen gesteigerte, geschürte
Ging ich aber ein paar Stunden später nach Leidenschaft, die mich gequält hatte, —• die
Hause durch die Winternacht, deren eisige Luft nun vielleicht ein Ende haben, oder noch un-
Stirne und Gedanken abkühlte, so kam wieder heilvoller auflodern mochte.
das unselige: „Aber wenn doch ... “ über mich. Ein namenloses Bangen überkam mich, nicht
ein Bangen vor Unheil, oder eines vor der Zer-
Es war der letzte Abend des Faschings. Wir störung eines Wahnes, der mir so lieb geworden.
hatten ein Tischlein in einem wundervoll ab- Ich stand neben ihr, sah ihre blitzenden Augen
gelegenen Nebenraum des Ballsaales erobert und zu mir emporgerichtet und hörte sie sagen:
vor uns stand eine Flasche Champagner. Zum „Nun, Du weisst es ja so gewiss, dass ich
ersten Male seit unserer Bekanntschaft. Bisher nicht alt und nicht hässlich bin!“
hatte sie nie eine andere Erfrischung von mir „Das wäre am Wenigsten schlimm und das
angenommen, als ein Glas Limonade, oder eine beste Mittel, mich von diesem thörichten Herz-
Tasse Eis. klopfen zu kuriren!“
„Heute ist es ja doch das letzte Mal,“ hatte „Mit diesem Mittel kann ich aber leider nicht
ich gebeten. dienen!“
„Also zum Abschied!“ „Weisst Du, dass ich versucht bin, Deinen
Mir war es, als ob ihre Stimme zitterte. Ich Schleier ungehoben zu lassen, liebes verschleiertes
schenkte ihr ein; sie hob den Schleier der Larve Bild! Am Ende wäre es klüger!“
ein wenig in die Höhe und mein Blick hing „Am Ende!“
durstig an ihrem Mund. Mit einem Male wurde der Entschluss in mir
„Heute werde ich endlich Dein Gesicht sehen!“ reif, dass meine Unbekannte mir auch unbe-
Ich brachte die Worte kaum heraus vor Erreg- kannt bleiben sollte und je klarer der Entschluss
ung. Sie lachte ganz leise. ward, desto ruhiger strömte mein Blut wieder
„Wenn es zwölf Uhr geschlagen hat — am durch die Adern. Den holdseligen Traum als
Aschermittwoch Morgen“. Traum erhalten — das war das Rechte!
Nun plauderten wir wieder von Anderem. Der ganze magische Reiz, der mich zu dem
Hastiger, unruhiger als sonst, und mit längeren berauschenden Wesen hinzog, konnte mit einem
Pausen. Auch sie schien erregt. Als ich ein- Schlage verflogen sein, wenn ich ihr Gesicht
mal ihre Hand streifte mit der meinigen, hielt sah. Irgend ein böses Fältelten um ihr Auge
sie diese einen Augenblick fest. Nur einen konnte die Illusion zerstören. Und ein Glück,
Augenblick; es war aber doch ein leiser Druck, das Einem hinterher ausgestrichen wird aus dem
den ich spürte. dünnen Büchlein unserer Freuden, das wird zum
Unsere Gläser klangen wieder zusammen. bittern Leid. Jetzt war Dame Chilosa für mich
„Auf das Glück der nächsten Stunde.“ noch lieb, schön und gut! Sie sollte es für
„Auf Dein Glück in dieser und jeder späteren.“ mich bleiben!
„Auf Deins, Du Liebe, Schöne!“ „Ich lasse Dir Deine Maske, vielleicht ist’s
„Lieb, schön?“ das Beste für uns Beide!“
„Ich weiss, dass Du es bist!“ „In irgend einem Sinne'gewiss!“
„Chi lo sa!“ Ich hatte die Gläser wieder voll gegossen und
Nun wurden wir wiederum ganz still mitten wir stiessen an: „Auf ein Wiederbegegnen, irgend-
in dem wüsten, tobenden Treiben der letzten wo, irgendwann, aber in guter Stunde! Es kann
Garnevalsnacht. Um uns schwirrten die Masken. ja sein, dass es sich fügt!“
Am Nebentische presste sich hinter einem Riesen- „Es kann sein! Chi lo sa!“
fächer ein Paar in wildem Begehren aneinander. Sie nickte mir freundlich zu und ihre Augen
Nebendran sass ein einsamer Pierrot, den Katzen- glänzten feucht. Dann hob sie den Schleier der
jammer eines ganzen Garnevals in seinem mehl- Larve hoch, um zu trinken. Ich sah ihren Mund
bestäubten Gesicht und schlief, des Lärms un- wieder und sah, wie er blühend und jung war.
geachtet, den Schlaf des Ungerechten. Ein Clown Wieder ein kleines Toben in der linken Brust-
in gelbem Glanzleinen strich herbei und kniff seite. Dann war’s überwunden.
meine Unbekannte in den Arm. Ich gab dem Nun blieben wir ganz unbefangen noch eine
steifleinenen Humoristen einen Rippenstoss. Weile bei einander und gedachten scherzend der
„Maskenfreiheit!“ brüllte er, nahm es aber wei- vergangenen Wochen, lachten über den Schwarm
ter nicht übel. überhitzter und doch schon halbernüchterter Men-
Immer heisser wurde der Saal, immer schwüler schen im Saal. Auf keinem Gesicht war eine
die Lustigkeit der Menschen, ln der Luft lag reine und ruhige Freude zu lesen. Lieber Allen
der Rausch. lag schon der Schatten der Reue, der Sorge, der
„Hast Du mich lieb?“ Mit dieser thörichten Uebersättigung. Die meisten Frauen hatten jetzt
Frage brach ich das Schweigen. die Larven abgelegt — aber kein einziges von
„Warum antwortest Du nicht! Sag’ wenig- allen diesen Gesichtern kam mir anziehend vor.
stens Nein!“ Unser gelber Clown tänzelte wieder vorbei:
„Ein Ja und ein Nein würden Dir gleich „Demaskiren!“ schrie er.
wenig helfen!“ Fast gleichzeitig erhoben wir uns, Dame Chi-
Zierleiste von F. Hass. losa und ich — wir verstanden uns schon, ohne

105
Nr. 7 JUGEND 1896

zu reden — und gingen. Ich half ihr in


den Pelz mit der freundlichen Sorgfalt WAPPEN Fasching.
eines Gatten, der seiner Pflichten und Dir RO'TM BOLI -OTEN.+++ - Wie eine reife, süsse Dolde
Rechte sicher ist, und geleitete sie an
den Wagen, der ihrer harrte. Ein letzter Hing Deine Güte über mir,
Händedruck. Sie blieb vor dem Wagen Im Rausche griff ich nach dem Golde
noch einen Augenblick zögernd stehen, Und streifte schon an deine Zier.
— ich fühlte, dass sie zum Abschied
irgend etwas thun oder sagen wollte. Da hat ein graugewob’ner Schleier
Dann stieg sie rasch ein — die Räder Mir Deinen Liebreiz jäh vermummt
rollten davon. —
Vorbei! Und unsrer Seelen bunte Feier
Ich selbst ging nach Hause und liess Ist ohne Klagelaut verstummt.
mich von dem Thauwind anwehen, der OTTO ERICH HARTLEBEN.
mächtig hereinbrach. Man spürte die
Luft lind um den Hals, wie ein paar
weiche Arme. Die Gassen waren dicht
G
belebt von maskirten und bürgerlich ge-
kleideten Menschen. Vor mir schwankte Liebeslist.
der gelbe Hanswurst, unser Gespenst Gesegnet soll die Eisenbahn sein! —
dieser Nacht, einher und kröhlte, den
schlaftrunkenen Pierrot vom Nebentisch Verzeih’ ihnen, Herrgott, die Sünde!
mit sich ziehend: Es geben sich täglich dort Stelldichein
„Lass’ zu dem Glauben dich be- Der Max und die Wumbalinde.
kehren:
Es gibt ein Glück, das ohne Reu’!“ Sie üben beide dort argen Betrug,
Arme Teufel! Wie wird es ihnen in Ich finde von ihnen das hässlich, —
ein paar Stunden im Schädel brummen! Sie nehmen Abschied bei jedem Zug
Und wie viele Leute von allen diesen Und küssen und knutschen sich
überhaupt werden sich ihres Ascher- grässlich.
mittwochs freuen? Wüste Köpfe, leere
Börsen, ausgebrannte oder übervolle Man trennt sich dann, übermannt vom
Herzen, bang vor frevelhaft beschwor-
nem Glück und noch bänger vor dem, Gefühl,
was nach ihm kommt! Wie viel Katzen- Doch trifft man sich wieder mit Schläue
jammer um verschwendete Zeit, ver- Und dann beginnt das süsse Spiel
schwendetes Gut, verschwendetes Ge- Beim nächsten Zuge auf’s Neue. -—
fühl! Wieviel gelähmte Kraft, wieviel
Zerstreuung in Gehirnen, die Grund Sie segnen beide die Eisenbahn —
hätten, gesammelt und klar zu bleiben ! Und pfeift es, so weiss ich’s zu deuten:
Jetzt fangen zum Abschied sie wieder an,
Sich zu küssen vor allen Leuten. —
Aschermittwoch! IGNAZ RAVER.
Wie ganz anders endete dieses Mal
für mich der Fasching! Ich war ver-
gnügt, wie ein Verliebter, aber ohne
Bangen, ohne Gewissensbisse, ohne
Eifersucht, ohne Verlangen. Der Gegen- Sprüche.
stand meiner Liebe war nicht mehr,
war in Nebel zerflossen. Wer wird Herz- Frische knusperige Jugend
weh haben um ein Phantom! Hab’ ich immer gut vertragen,
So sollte man sich alle Illusionen Aber altgeback’ne Tugend —
erhalten können im Leben! Die verdirbt mir leicht den Magen.
Und etwas wie eine ganz leise Hoff- ♦x y
nung lebte doch zu tiefst auf dem Grunde Tragt die Nase noch so hoch —
dieser Empfindungen: einmal blitzen Schneuzen müsst ihr sie ja doch!
mir vielleicht dennoch aus dem Gewühl
des Lebens ein paar tiefschwarze, wohl-
bekannte Augen entgegen und aus der Gottesfurcht und Geisselhiebe
wesenlosen Liebe zu einer Maske blüht Sind billiger als Menschenliebe.
am Ende noch ein leibhaftiges Glück *x
auf! Vielleicht, irgendwo, irgendwann! Begeist’rungnennt man es im Lebensmai
Chi lo sa! o. Und im November Jugendeselei.
■*x

Ein jeder Dummkopf kann Respekt


verlangen,
Sobald ihm erst die Haare ausgegangen.

Unter den Gerüchen geht mir nur


Aas und Weihrauch wider die Natur.
*x
Was gibt euch Alten denn das Recht,
Dass ihr verächtlich die Achseln zuckt?
Der Jugend Fehler sind alle echt,
Ein heraldischer Scherz von J. Diez. Oltd eure Tugenden Kunstprodukt. MO.

104
1896 JUGEND Nr. 7

Da muss Ordnung rin!“


105
Nr. 7 i JUGEND 1896

* Sofia, 3. Februar, fcürst Ferdinand


von Bulgarien sandte ein Glückwunschtele-
gramm an den Fürsten von Montenegro,
weil dieser durch einen glücklichen Zufall
derGefahr entging, von einem Paletotmarder
seinesWinterüberziehersberaubtzu werden.
'"London, 5. Februar. Salisbury erklärt
diese Depesche als eine freche Provokation
des englischen Volkes. Im „Standard“ ver-
langt Mr. Austin energische Repressalien
gegen die continentalen Polizei-Institute,
welche von jeher allen englischen Taschen-
dieben und Einbrechern besonders aufsäs-
sig seien. Er wird in Kurzem ein dreibänd-
iges Epos „der Paletotmarder der schwar-
zen Berge“ vollendet haben.
*Rom,6. Februar. Der König von Ita-
lien hat dem König von Griechenland tele-
graphisch zu seinem Geburtstag gratulirt.
* London, 7. Februar. Chamberlain er-
klärt, diese Depesche sei ein Schlag in’s Ge-
sicht der englischen Nation. Der „Punch“
zeigt in einem Bilde den englischen Löwen,
welcher den italienischen Stiefel in Fetzen
reisst. Mr. Austin fordert im „Standard“ die
Beschiessung Roms von Malta aus. Er dich-
tet eben ein Epos, welches u. s. w. u. s. f.
Da capo in infinitum.

Jugend und Wissen.


War einst ein Herr von Reichenbach,
Erforschte die Natur
Und kam gar bald in diesem Fach
^Petersburg, 28. Januar. Der Zar
Jingo-Fieber. hat dem an der Riviera weilenden Gross- Manch’ Neuem auf die Spur.
fürsten Iwan eine Glückwunschkarte ge- Das Paraffin und Kreosot
*jBerlin, 2. Januar. S. M. der Kaiser schickt, weil dieser ungerupft aus der Diebs-
hat den Präsidenten Krüger der südafri- Verdanken ihm ihr Sein,
höhle von Montecarlo entkommen sei.
kanischen Republik telegraphisch dazu be- Doch mit der Lehre von dem Od
glückwünscht, dass die Buren den bewaff- * London, 30. Januar. Lord Salisbury
erklärt bezüglich der Depesche des Zaren, Stand ziemlich er allein.
neten Einfall eines englischen Räuberhaupt-
manns Dr. Jameson tapfer zurückgewiesen England werde auch durch diese neue Be- ln manchem od-magnetischen Brief
haben. leidigung sich nicht abhalten lassen, un- Erklärte er der Welt,
* London, 4. Januar. Lord Salisbury entwegt und überall sein gutes Recht zu
fordern. Der „Punch“ bringt im Bilde den Wie sich der Mensch, der sensitiv.
erklärt, die englische Nation werde sich in
ihren Rechten durch keine Einmischung englischen Löwen, welcher den russischen Zu jenem Od verhält.
einer fremden Macht, wer diese auch sei, Bären zerfleischt. Der poeta laureatus Mr. Doch da nur alles Theorie
beirren lassen. „Punch“ bringt eine Zeich- Austin erklärt im „Standard“, die Heraus-
forderung des Zaren gegen eine Dame, die Und der Beweis gefehlt,
nung, welche die Britannia, gegen alle Welt
in Waffen starrend, darstellt. Der poeta lau- seine Urgrossmutter sein könnte, als gerade- Hat man ihn zur Kategorie
reatus Mr. Austin veröffentlicht im „Stan- zu frivol. Er schreibt an einem fünfbändigen Der Irrenden gezählt.
dard“ einen Artikel, worin er dem deut- Heldengedicht „Black and Red“, welches
schen Kaiser räth, sich in Zukunft immer die moralische Bedeutung der Spielhölle in Da Dubois-Reymond ihn für dumm
erst bei seiner weisen Grossmutter Rath Montecarlo feiert. Und für verrückt erklärt,
zu erholen. Austin wird die Heldenthaten *Paris,31.Januar. Der Präsident Faure Hat sich das liebe Publikum
Jameson’s in einem zweibändigen Epos be- sandte an den Negerhäuptling Wisch! Wa- Nicht zu dem Od bekehrt.
singen. sch! in Dahomey ein Glückwunschschrei-
* Madrid, 25. Januar. Die Königin von ben, weil jener glücklich den Händen ara- Gewendet hat sich jetzt das Blatt.
Spanien hat dem Schah von Persien einen bischer Sklavenjäger entronnen sei. Man hat zu früh gelacht,
telegraphischen Glückwunsch gesandt, weil * London, 1. Februar. Lord Chamber- Denn der Professor Röntgen hat
die Perser jüngst den Einfall räuberischer lain erklärt bezüglich dieses Glückwunsch- Exact Beweis erbracht.
afghanischer Horden mit den Waffen sieg- schreibens, die britische Nation sei nicht
reich zurückschlugen. gesonnen, einen derartigen Schimpf ge- Zwar nennt er die entdeckte Kraft
* London, 27. Januar. Chamberlain duldig einzustecken. „Punch“ bringt eine Den X-Strahl, doch es scheint,
erklärt, das britische Volk sei nicht ge- Zeichnung, darstellend die Britannia, wel- Dass diese gleiche Eigenschaft
willt,diesen Schimpf sich gefallen zu lassen. che sich die ganze Welt auf den Buckel
„Punch“ bringt ein Bild, welches die eng- steigen lässt. Mr. Austin veröffentlicht im Der Reichenbach gemeint.
lische Nation als Stier darstellt, der einen „Standard“ einen Artikel mit der Drohung, Und Dubois-Reymond ist blamirt,
spanischen Torero auf seine Hörner ge- der englische Hof werde in Zukunft seinen Hört wieder mit Verdruss,
spiesst hat. Der poeta laureatus Mr. Austin Cognac anderswoher zu beziehen wissen,
erklärt im „Standard“, die Königin von als aus Frankreich, ganz ohne Rücksicht Dass sich ein Forscher niemals schiert
Spanien thäte besser, sich bei Damen erst darauf, ob hiedurch der französische Han- Um’s Ignorabiriius.
Rath zu holen, die das Regieren schon del empfindlichen Schaden erleidet, oder
länger betreiben, als sie. Der Dichter nicht. Der poeta laureatus schreibt an Nicht folget ihm, wer geistig jung
schreibt an einem Epos „der Räuberhaupt- einem Heldengedicht die „Sklavenjagd“, Des Wissens Schätze mehrt.
mann“, welches die Thaten der Afghanen welches den ruhmreichen Thaten der Araber Drum fort mit allem, was den Schwung
verherrlicht. gewidmet ist. Des Jugendmuths beschwert, h. kühne.

ioü
1896
* JUGEND * Nr. 7

Theaterleute.
Von F. B.
Die Naive. Die Heroine.
Schon dreissig Jahre spielt sie — ach Als Haupterfindung preiset sie
Das liebliche Naivenfach. Vor Allem — die Photographie!
Von nichts noch wissen ist naiv — Entgegen Dir ihr griechisch Bild
Doch Die weiss Alles positiv. Von allen Auslagfenstern quillt.
Der Zopf ist lang, der Busen weit. Stets im Profil, den Arm ge-
Der Fuss ist klein, der Kopf gescheid, schwungen —
Ihr Auge schiesst den Diebespfeil, Wie bei der Wäsche ausgerungen
Sie wackelt mit dem andern Theil! Die Toga mit dem Faltenschmiss,
Ganz pipsig spricht sie wie von Glas, Vier Centimeter ganz gewiss
Jedoch daheim im Schusterbass! Die Haken unter den Sandalen —
Nie kam ihr noch ein Mann zu nah — Ach Gott, wie schön! Es ist zum
„Wie?“ — Auf der Bühne mein ich malen!
„Ah!“ - Sie schreitet stets und
Ihr Name wechselt mit dem Stück zieht einher,
Sonst hat sie stets denselben Trick: Doch ihre Rollen ziehn nicht mehr!
Sie weiss von nichts und thut erschreckt Medea Sapho leeres Haus!
Und hat es doch schon längst bezweckt, O Kunstgeschmack Du lisch’st
Dass sie ihn kriegt und kriegt ihn auch. ja aus;
So ist’s in jedem Lustspiel Brauch! Man räth ihr zu „modernen“ Rollen:
„Nie!“ brüllt sie da mit Donnergrollen:
„Ihr Götter, endet meine Qual
Und schickt mir endlich — — den Gemahl!“
Und richtig kriegt sie einen noch;
Die Salondame. Er macht Stearin, was schadet’s doch!
„Mein Stichwort kommt — herrjeh, macht Platz! Sie spielt noch oft nur in Vereinen
Lasst los die Schlepp’ wie heisst mein Satz? Zum Wohl der lieben Negerkleinen.
Du dumme Gans von Garderobiere, Dann sagt man still: „Sie soll sich hangen!“
Ich bring’ Dich um — rasch eine Scheer! Und laut: „Wie schad, dass sie gegangen!
Ich werde rasend — lauf doch, lauf!“ „Der hohe Stil ist ganz vertrieben
Stichwort! Und lächelnd tritt sie auf. „Wie schad’ dass sie nicht treu
Dort in der ersten Loge links geblieben
Sitzt er — der Herr von Dingsderdings; Der Bühne, ihrem Ideal !“
Er hat den ganzen Kram bezahlt. „Wie schad’!“ seufzt auch der
Na — theuer war’s! — Allein sie Herr Gemahl.
strahlt! —
Sie plappert schnell. So will's der Ton
Der feinsten Konversation. 7)?
Die Schleppe ist sehr hinderlich —
Sie weiss sie prächtig hinter sich
Zu schleudern mit dem einen Fuss,
Die Sentimentale.
Es ist fürwahr ein Hochgenuss!
Der Partner giebt drum peinlich acht, Sie trug dereinst für ihren Vater
Dass er die Schlepp’ nicht schmutzig Zu einem Herrn vom Hoftheater
macht, Die Rechnung für ein Stief^lpaar,
Springt hin und her vor diesem Schwanz, Das längst schon zu bezahlen war.
Steigt drüber auch mit Eleganz! Der Gang natürlich blieb umsunst,
So geht der Akt vergnüglich hin, Jedoch den „Weihekuss der Kunst“
Ach Kinder — welche Künstlerin! Gab jener Herr ihr auf den Mund
Pardautz, jetzt tobt die Claque los — Und nun war’s aus von dieser
Der Dingsderdings, der schmunzelt blos! Stund!

107
1696 . JUGEND . Nr. 7

Jetzt geht zu Ende der Mummenschanz, uie nerzen scmagc.- — wuQer ^usf Als wollten einander in blinder Wuth
Jetzt geht der Fasching zur Neige, Verwelkt von der G*uth der Kerzen’ Vernichten nun alle Beide —
Zum letzten bacchantischen Narrentanz Sind alle die Blumen an weisser Brust Doch sind sich die Feinde nur allzugut
Ruft jauchzend Trompete und Geige. Fahrt hin denn, Blüthen in Herzen! Und Ihnen sich Nichts zu Leide!
Grellgelb im Scheine der Kerzen glüh’n JM-tZtwÜgt SlCh diC SChundind°PpeIte Feih'n - Sie reichen sich gleich nach dem wilden Tanz
Die überwachten Gesichter Mit Hurrahgeschrei una Gestrampfe In Eintracht Herzen und Hände —
Und aus viel funkelnden Aeuglein sprüh’n So stürmen sie aufe,nander ein ' Jetzt geht zur Neige der Mummenschanz,
Gar heisse, begehrliche Lichter. Als galt’ es verzweigtem Kampfe! Jetzt'geht der Fasching zu Ende!

Orlginalzeiclinting von Rudolf Willce (München).


Maskenba^' ^rar^aise.
Nr. 7 JUGEND # j»96
Die Bühne hat ihr’s angethan Mit Dolch, mit Explosion und Dampf
Und Schiller ist ihr Gott fortan, Zermanscht als wie Kartoffelstampf,
„Ach Fe-e-erdinand,“ so seufzt sie blos — Dass Alles weint vor Schmerz gerührt —
Sie hat Talent ganz zweifellos! Der Anstandsdame nichts passirt!
Ein Jahr Con-ser-va-to-ri-um,
Ein Preis! Nun ist der Vater stumm.
Erstes Debüt am Hoftheater
Ganz oben applaudirt der Vater.
&
Louise Millerin das trifft sie
Wie schön zum Beispiel nahm das Gift sie. Die Heldenmutter.
Dann Faustens Gretchen, auch recht
niedlich - - Gefürchtet bei der Direktion
Wenn schon der letzte Akt zu friedlich Vielmehr noch als der Held — ihr Sohn!
Noch einen Goethe will man haben: Denn dieser ist noch zu erweichen,
Als Clärchen hat man sie begraben! Sie aber — sie geht über Leichen!
D’rauf geht sie halt nach Minderstadt, Maria Stuart spielt sie heut
Louise gut, das Gretchen matt, Wie damals voller Schneidigkeit.
Als Clärchen fällt sie wieder durch „Dreht man die Operngläser um.
Und kommt hierauf nach Schundenburg. Dann geht’s“ -- so seufzt das Publikum.
Den Schundenburgern sie gefällt Die Kenner schrei’n: „’s ist ein Skandal,
Doch glaub ich nicht, dass sie sich hält! Nehmt sie ihr weg!“ — Probiert’s
ein mal!

Die Anstandsdame.
Die Nase gross — ein wenig beinig,
Steht auf den Proben meist alleinig.
Wer wagt’s, ihr einen Kuss zu rauben?
Kein Mensch! Nun ja, das will ich
glauben!
Die Tugend ist ihr Repertoire,
Das spielt sie wirklich lebenswahr:
„Mein Herr! Sie küssen dieses Kind!?“ —
„Prinzessin flieht hier Männer sind!“ —
„Wer dringt in diesen Tempel ein?“
„Don Lopez — Ihr seid zu gemein!“
Passirt Malheur — mit feinem Takt
Hat sie’s geahnt im ersten Akt.
Mitunter hat sie zu entsagen
Und weiss mit Würde es zu tragen.
Doch wenn zum Schluss die andern
Fächer
Das Schicksal knickt mit Giftesbecher,

lio
Nr. 7
1896 * JUGEND -

in
Nr. 7 JUGEND 1896

Endlich ist nun aus Makalle, Kriegt ein Kreuz und avancirt! Freudenschüsse hört man knallen —
Endlich ist nun aus der Falle Und Triumph geschnattert wird Mit den Gratulanten allen
Glücklich los der Italiano Von des Kapitols Geflügel Kommen auch wir Münch’ner endlich;
Und der tapfre Galllano In der Stadt der sieben Hügel, Freilich dünkt’s uns selbstverständlich,
Dass die Kerle bn ! gestritten — Weiss der Mensch an andern Plätzen
Aber, dass sie Du st gelitten, Nirgends so wie h er zu schätzen!

Guter Rath. Er schaute mich verduzt an, dachte einen Moment nach,
empfahl sich dann höflich und ging.
Kürzlich besuchte mich ein junger Mann, um sich Rath Wenn er vernünftig ist, hat er sich meinen guten Rath
von mir zu holen. Er sagte, er wolle Schriftsteller werden, zu Herzen genommen. carl arno.
worüber ich ein Wenig erstaunt war, und ich fragte ihn:
„Warum ?“ —
,Ja, sehen Sie,“ meinte er, „heutzutage schreibt fast Jeder,
der Zeit und Talent dazu hat; warum sollte ich es nicht auch
probiren? Wenn man Glück hat, kann man leicht Geld dabei
verdienen.“
„Ja, ja,“ warf ich ein.
„Worüber man schreibt, ist gleichgültig,“ fuhr er fort, „die
Hauptsache ist, dass die Bücher von den Leuten gekauft wer-
den. Zu lesen bräuchten sie sie gar nicht. Allerdings wollen
Viele sie auch lesen, und deshalb ist es nothwendig, die Seiten
seines Werkes mit sinnvoll aneinander gereihten Buchstaben
zu bedecken.“ Ukas.
Ich musste lachen und sagte: „Ja, es ist das gerade der
schwierigste Theil der Schriftstellerei, diese Lautzeichen kunst- Sic volo, sic jubeo! Ich August Bebel gebiete,
gerecht zu vernünftigen Sätzen und Kapiteln zu vereinen.“ Dass hinfüro das Maul jeder Genosse petschiert
„Nun,“ meinte er, „ich werde es also auch unternehmen, Trage mit gluthrothem Lacke, darauf das Siegel gedruckt ist,
eine Menge unschuldweissen Papiers meine schwarze Schuld Das Meine sichere Hand prägte aus blinkendem Blech, a. b.
tragen zu lassen.“
„Es wird sie geduldig tragen, es trug schon viel,“ ent-
gegnen ich.
„Wenn nur gekauft wird,“ sprach er offenherzig weiter,
„der Ruhm ist mir eigentlich Nebensache.“
Ich tröste ihn: „Es gibt genug Bücher, die Niemand voll-
ständig liest, z. B. die ,Messiade‘, das Konversationslexikon',
Im Walde.
,Rembrandt als Erzieher' und viele Andere. Gekauft werden Still im Wald, im schattig-kühlen,
diese Bücher aber doch. Also Muth!“ Einsam schreite ich dahin
Der junge Mann hatte bisher den angebotenen Stuhl ver-
schmäht und war beim Reden nervös vor mir herumgetänzelt; Und die Sonnenstrahlen spielen
jetzt setzte er sich, seufzte und begann: „Sehen Sie, der Stoff Zitternd durch das Tannengrün.
meines ersten Romanes ist der: Der Held — heissen wir ihn Und auf lichten Andachtsschwingen
Franz von Sternau — ist ein untersetzter, brünetter Dreissiger, Hebt die Seele sich empor.
Landwirth und von vielseitiger Bildung. Dieser Franz liebt
schon lange seine schöne Cousine Klara in der nächsten Und mir ist, als hört’ ich’s klingen
grossen Stadt. Klara ist blond“ — Wie ein leiser Engelchor:
„So?“ fragte ich zerstreut. Hier ist des Friedens Aufenthalt,
„Ja,“ bekräftigte er, „sie ist eine sehr interessante Er- Der liebe Gott geht durch den Wald...
scheinung, Doppelwaise, zwar selbst wenig vermögend, erfreut
sich aber des Besitzes eines reichen alten Onkels; das heisst,
sie wird sich dieses Besitzes einmal später zu erfreuen haben. Wiederum auf Waldeswegen
.— Diese Klara wird nun von einem anderen Cousin eben- Zieh’ mit i h r ich, Hand in Hand,
falls geliebt, derselbe ist Lieutenant bei den Ulanen. Sie gibt Stürmisch pochen sich entgegen
eigentlich Keinem den Vorzug, aber die beiden nebenbuhler- Uns’re Herzen, liebentbrannt.
ischen Cousins sind wüthend auf einander. Das muss einen
höllischen Conflikt geben. — Soweit bin ich. Aber wie meinen Beiden ist es zum Ersticken,
Sie, dass sich die Sache nun weiterentwickeln Hesse? Ich Nichts, was unser Schweigen bricht,
könnte ja eigentlich den Verlauf abwarten, denn die Geschichte Nur aus heissen Liebesblicken
spielt in der Wirklichkeit, die Leute leben und ich kenne sie Glühendes Verlangen spricht . . .
persönlich. Was meinen Sie?“
„Da weiss ich nur einen Rath, entgegnen ich, „spielen Da drück’ ich mich an die zarte Gestalt, —
Sie selbst eine Figur Ihres Romans machen Sie den Tertius Der Liebe Gott geht durch den Wald!.. 1.1>.
gaudens.“
Wieso —?«
"Gehen Sie hin und heirathen Sie beiden Nebenbuhlern
die Cousine vor der Nase weg und lassen Sie die Anderen
schreiben!“

112
1896 • JUGEND • Nr. 7

On y va deux, on en revient trois.

Für die „Jugend“ gezeichnet von A. Guillaume (Paris).


HZ
Nr. 7 JUGEND 1896

Und hat er ihn auch nur einmal gefragt?


. . . Das ist der Fehler! Da liegt es d’rin!
Das ist des Tadels verborgenster Sinn.
Als das mächtige Deutsche Reich erstand,
Man keinen von allen den Rednern fand;
Und nirgends ist es etwan zu lesen,
Dass die Siebengescheiden dabei gewesen.
D’rum kommt jetzt der Narr mit klingenden Schellen,
Möcht’ anderen Leuten die Freude vergällen.
Doch Ihr! Im feiertäglichen Kleid,
Die Ihr der Freude Euch ganz geweiht,
Mit pochenden Herzen auf den geschaut,
Der uns gewaltig das Reich gebaut,
Lasst den Schmarotzer nicht in den Saal
Zum festlich zubereiteten Mahl,
Der „Unentwegte“. Der täppisch in alle Schüsseln greift
In der Festrede zur Feier der Begründung des Deutschen Reiches Und Gassenhauer am Tische pfeift!
sagte Baniberger, „wir hätten dem Schicksale zu danken, das uns
den Fürsten Bismarck gab, und einen Kaiser, der uns zur rechten Macht’s, wie’s uns Altmeister Goethe lehrt,
Zeit von diesem Manne befreite/' -— Mit dem, der uns bei Tisch beehrt,
In diesen Tagen, da Alt und Jung Von unserem Mahle sich pumpsatt frisst,
Sich gab in ächtet Begeisterung, Und Dank und Gelt’s Gott und alles vergisst,
Sprach auch so mancher „Unentwegte“ Und sucht, ob nicht etwas zu tadeln gewesen
Von dem — was andere Leute bewegte. Das Weitere mögt Ihr bei Goethe lesen! tu.
Natürlich immer mit Maass und Ziel —
Leicht könnt’ es werden des Lob’s zu viel, BZ-
Und so ein unentwegter Mann
Hängt immer ein „wenn“ und ein „aber“ an. Der schlaue Gläubiger.
’s ist wahr, wir haben nun vor der Hand
Ein grosses, mächtiges Vaterland,
Wir haben nun endlich ein Deutsches Reich,
— Allein, jedoch . . . was sagt er nur gleich?
Ja freilich! Er hat es im Voraus gewusst!
Und was er geborgen in stiller Brust,
Das hat nun ein Andrer zuwege gebracht,
Sonst hätt’ er es sicherlich selber gemacht.
Und dann — Fürst Bismarck! Es ist ja wahr,
Er ist nicht aller Verdienste baar,
Wir haben ihm mancherlei zu verdanken. —
— Allein — das alles hat seine Schranken . . .
Und wenn das Volk ihn begeistert preist
Und „Deutschlands Vater“ ihn rühmend heisst,
So macht das nur die Begeisterung,
Der Seele hyperbolischer Schwung.
Des „Unentwegten“ kühle Vernunft
Sucht vor der Begeisterung Unterkunft.
Er überhitzt sich nicht das Gehirn.
. . . Und — hier legt er den Finger an die Stirn —
Und hat er’s denn wirklich auch so gemacht,
So ganz, wie’s der Unentwegte gedacht?
So wie er’s auf vielen Festen gesagt?

U4
1896
JUGEND Nr. 7
3

Er ist ganz gewiss zu Hause! Na warte nur: Was für ein reizender Käfer — Selbstverständlich:
Dich krieg ich daran! für die sind wir zu Hause.

Spruch.
Ein jeder Mann hat seine Rüpeljahr’,
Der wird kein ganzer Kerl, der nie ein Rüpel war;
Nur freilich, dass es geht, so wie man’s treibt:
Mancher sein Lebtag blos ein Rüpel bleibt.
o. j. u.
Weltlauf.
Die Erde, die Erde, der bunte Ball,
Spektakelt, mirakelt durch’s Weltenall.
Wir taumeln und baumeln spektakelnd mit,
Werden älter, werden kälter, Tante Mors ruft: quitt!
o. j. v. Das sind so Carnevalspossen.

115
Inseraten-Annahme Insertions-Gebühren

JUGEND
durch alle Annoncen-Expeditionen für 'die
sowie durch 4 gespalt. Colonelzeile oder deren
G. Hirth’s Verlag in München Raum M. I.—
und Leipzig. laut aufliegendem Tarif.

Die JUGEND erscheint allwöchentlich einmal. Bestellungen werden von allen Buch- und Kunsthandlungen, sowie von allen
Postämtern (Bayer. Postzeitungs-Katalog No. 397, Deutsches Reichspostzeitungs-Verzeichniss No. 3536) und Zeitungs-
Expeditionen entgegengenommen. Preis des Quartals (13 Nummern) 3 Mk., der einzelnen Nummer 30 Pf.

Die Tragikomödie vom Balkan.

Briefkasten.
An Hans P. in Breslau.
Scherz, Satire, Witz und Schnurre
Sind der „Jugend“ stets willkommen.
Her damit! Je mehr, je besser!
Uns und Ihnen wird es frommen.

Fünf bis zehn Mark für ein Witzlein


Gibt die „Jugend“ gern zum Lohne;
Und für jeden Kapitalwitz
Gicht sie eine Doppelkrone.

Und für hübsche Novelletten,


Die der Leserkreis bewundert,
Gibt die „Jugend“ 6o, 70,
80, 90 Mark — selbst 100!

J. B. in Würzburg. Ihr Vorschlag, nach


Analogie der X-Strahlen, von nun an die X-Beine.
Röntgenbeine zu nennen, ist jedenfalls originell
und für die Betreffenden schmeichelhaft, aber wir
zweifeln, Ob Sie damit durchdringen.
ei v ct o 5»

Unser Titelblatt, Originalzeichnung von Ferdinand G'ötz (München) 1 „ein Trifolium“, deren Autor uns noch unbekannt ist, zählt zu den
hat bei unserm „Wettbewerb für Carnevalsplakate“ den ersten drei mit zweiten Preisen bedachten Blättern. Das Mittelstück „Masken-
Preis erhalten. Das Titelblatt von Robert Fngels (Düsseldorf), welches Franjaise“ von Rudolf Wilke wäre von den Preisrichtern bei der Con-
den ersten Preis in der Concurrenz für Titelblätter der „Jugend“ erhielt, currenz für Carnevalsplakate wegen der eminenten Charakteristik der dar-
wird den Umschlag unserer nächsten Nummer zieren. Die Zeichnung gestellten Typen wohl mit einem ersten Preise bedacht worden, er-
„l'inger weg!“ trug den ersten Preis unter den „politischen Caricaturen“ hielt aber, weil die Propositionen für ein „Plakat“ nicht eingehalten,
davon und ist von Arpad Schmidhammer, die politische Zeichnung, sondern nur zwei „Leisten“ eingeschickt waren, den zweiten Preis.

Zeichner Secession München. Kunst Auktion in München,


für ein österreichisches politisches Februar 1 896
Witzblatt radikaler Tendenz gesucht, Gefl.
Zuschriften womöglich unter Beischluss einer
Prinzregentenstrasse. Centralsäle (Neuthurmstrasse)
Probezeichnung unter Chiffre „Freiheit“ an
Herrn H. Haessel in Leipzig. Frühjahrs-Ausstellung einer reichhaltigen Sammlung von
'II
Uebernahme von voll Mitte März bis Ende April.
Kunst auetionen Oelgemälden
jeder Art, ganzer Sammlungen sowohl
wie einzelner guter Stücke.
CDünchner Kiinstler-©enossenschaft. vorwiegend alter Meister
aus dem
Hugo Helbing, München, Christophstr. 2. Nachlasse des in München t Privatiers
Vom Frühjahr ab eigene,
neuerbaute Oberlicbträume. Jahres-Ausstellung u. ehern. Kunstverlegers u. Kunsthändlers
Herrn Josef Aumüller,
Alte Kupferstiche. von Kunstwerken aller Nationen sowie aus verschiedenem Besitze.
Preis des illustrirten Kataloges M. 3.—,
Kataloge gratis und franco durch
nauuoue grau» um* -
" " • München, im kgl. Glaspalaste der einfache Katalog gratis und franko,
sowie jede nähere Auskunft durch
ugo Helbing, München’
Christophstr. 2. vom 1. Juni bis Ende Oktober 1896.
Hugo Helbing, 32
G. HIRTH's Kunstverlag in München und Leipzig. München, Chrlstofstnisse 2.
Geschichte der Wandteppichfabrikeil SS:
Mit einer Geschichte der Wandteppichverfertigung als Einleitung. Von Dr. Manfred Mayer
Münchener
i8'/a Bogen hoch 4°, mit 21 1 afeln in Lichtdruck. Ladenpreis broschirt 15 Mark. Brauerakademie
Albrecht Dürer’s Aufenthalt in Basel 1492—1494 B^khaSt! Magistrati, genehm. Privatinstitut.

Conservator der öffentlichen Kunstsammlung in Basel. 7 Bogen hoch 40, mit 15 Textillustrationen Beginn d. 4monatl. Kurses 13. April
und 50 Lichtdrucktafeln. Ladenpreis elegant broch. Mk. 20.—. Dr. Doemens.
Herausgeber: Dr. GEORGHIRTH; verantwortlicher Redakteur: F. von OST INI; verantwortlich für den Inseratentheil: G. EICHMANN, G. HIRTH’s Kunstverlag; sämmtlich in München*
Druck von KNORR & HIRTH, Ges. m. beschr. Haftung in München.
1896 - 22. Februar - JUGEND • I. Jahrgang - Nr. 8

Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben. — G. Hirth’s Verlag in München & Leipzig.
ALLE RECHTE VORBEHALTEN.
Nr. 8 JUGEND 1896

Erschreckend ist nur das Schicksal, das mich


dahin brachte. Nun, ich verdanke es einer ein-
zigen Nacht, die mich nicht nur auf siebenundzwanzig
Monate in Wahnsinn stürzte, sondern mich auch in ein
langes Siechthum warf, mich meinem Beruf und meiner Fa-
milie raubte und viele, viele Hoffnungen zerstörte. Hören Sie.
„Vor zwei Jahren war ich an einer staatlichen Anstalt im
badischen Freiburg als Lehrer der Naturwissenschaften ange-
stellt. Die wilde Poesie des Schwarzwalds fesselte mich täglich
mehr und riss mich zu einer Begeisterung hin, wie ich sie
vorher der Natur gegenüber noch nicht empfunden hatte.
Die Berge ringsum scheinen die Stadt zu umarmen; sie scheinen
die Menschen in Gefangenschaft zu halten und fast in alle
Strassen blickt ein Stück des düsteren Bergforsts herein.
„Genug davon; da ich viel freie Zeit hatte, war mir bald
kein Ort der Umgebung mehr fremd. Eines Tages war ich
nebst vier jungen Leuten von dem Sohn eines reichen Indu-
striellen zur Theilnahme an einer Jagdpartie aufgefordert
worden. Gegen sechs Uhr Nachmittags marschirten wir lach-
end und scherzend, denn diese Gesellschaft bildete meinen
täglichen Verkehr, nach St. Valentin hinaus. Wir wollten dort
übernachten, um bei Tagesanbruch gleich auf dem Anstand
zu stehen.
„St. Valentin liegt in einer gelichteten Thalsenkung mitten
im Wald. Es besteht aus dem einzigen Häus’chen des Forst-
warts, und Tag und Nacht, Sommer und Winter herrscht hier
der tiefe Frieden eines weltfernen Winkels. An drei Seiten
steigt der Wald empor; nur in der Richtung nach der fernen
Landstrasse zieht sich eine Mulde hinab gleich dem vertrock-
neten Bett eines Baches. — Wir Hessen uns an einem der
Finsterniss. Tische des kleinen Hausgartens nieder; der Waldhüter be-
Von Jakob Wassermann. grüsste uns mit jener biederen Herzlichkeit, welche den
Schwarzwäldlern eigen ist.
Ich sass an einem schönen Herbstabend fröstelnd im Wart- „Schon begann die Sonne hinabzusinken; wir sahen sie
saal einer kleinen Station, einige Stunden nördlich der Stadt, freilich nicht, aber die Baumkronen schienen geblendet in die
als meiner Einsamkeit durch das Erscheinen eines breitschulter- überwältigende Gluth des Firmaments zu blicken. Ueber uns
igen, muskulösen Fremden ein Ende bereitet wurde. Seufzend lag ein mattblaues Stück Abendhimmel, und wenn man lange
stellte der Ankömmling seinen Koffer auf einen der Tische hinaufstarrte, konnte man das fahle Funkeln winziger Sterne
und rieb sich die erstarrten Finger, während er mit schweren, gewahren. Der letzte Windhauch war entschlummert, aus den
wuchtigen Schritten auf und ab ging. Ich fand es leicht, mit Tiefen des Waldes schaute uns die Dämmerung entgegen wie
dem Fremden ein Gespräch anzuknüpfen, und da ich mich mit lebenden Augen. Der Ruf eines Kärrners schallte bis-
gelangweilt hatte, war mein Benehmen um so liebenswürdiger. weilen von der Chaussee herauf, verschleiert wie durch Mauern.
Person und Wesen meines neuen Bekannten schienen mir den Wir alle waren still geworden; die einen aus Müdigkeit und
Stempel der Nüchternheit und Alltäglichkeit zu tragen; aber Stumpfheit, die andern wie in der halbbewussten Empfindung
bald fiel mir in seinem Mienen- und Geberdenspiel jene Ner- eines Geheimnisses rings um sie, für dessen Wahrnehmung
vosität auf, die man sonst nur bei Künstlern findet; auch Hessen sie sonst blind gewesen.
mich einige absichtlich räthselvolle Anspielungen auf ein selt- „Eine Purpurfluth stieg längs der Mulde herauf und die
sames Schicksal schliessen. Ich wurde neugierig und gleich- braunen, rissigen Stämme färbten sich durchscheinend roth,
wie ich es mühelos gefunden hatte, das Gespräch in Gang als wären sie im Feuer vergoldet. Das Moosgrün, das Grün
zu bringen, traf auch die Befriedigung meiner Neugierde auf der Blätter, des Grases schien satter, blendender, glühender,
wenig Hindernisse. Ja, es schien, als suchte der Fremde eine und dabei wurden wir alle bedrückt von der Dunkelheit, die
Aussprache, und es war mir, als gewahrte ich ein Lächeln der im Walde schlief, und die uns wie etwas Körperliches er-
Befriedigung auf seinen Lippen, als unser Gespräch so weit schien, in dessen Willen es stand sich zu bewegen, sich über
gediehen war, dass es nur zwei Möglichkeiten gab: entweder uns zu stürzen wie ein Raubthier und uns zu vernichten.
jenes vielsagende Verstummen, das den Sturm schwerer Ge- Ich glaube fest, dass fast alle Andern dieses Gefühl mit mir
danken verräth, oder den offenen Bericht der Schicksale. Mein theilten: wie wenn es nun in der Macht des grossen, weithin-
neuer Bekannter wählte das Letztere und da es bis zur Ankunft gedehnten Waldes läge, sich zu rächen für all die Frevel, die
des fahrplanmässigen Zugs noch lange dauerte, begann er also: wir an seinen Geschöpfen verübt.
„Wie Sie mich hier sehen, komme ich direkt aus dem „Nun fing ein Kukuk an zu rufen. In Pausen von zehn bis
Irrenhaus. Erschrecken Sie nicht, ich bin nicht entsprungen. zwanzig Sekunden erklang sein lockender, etwas schmeichler-

118
1896 JUGEND Nr. 8
■scher und geheimnissvoller Schrei. Es war, als , blutrothe Brandstreifen des west-
riefe er unser Unterhaltungsbedürfniss wieder Himmels durch die Stämme wahrzuneh-
wach. Einige unter der Gesellschaft sahen sich men vermocht, aber das hörte auf, als ich tiefer
an, lächelten erstaunt und begannen dann zu in den Wald drang, wie überhaupt jede Farben-
schwatzen: — etwas eilig, als schämten sie sich abtönung ringsumher erstarb.
ihres Schweigens. „In vielen Krümmungen wand sich der
„Bald gerieth das Gespräch auf einen Ge- Weg, nur wenig ansteigend, nur selten sich sen-
genstand, der uns am meisten zu beschäftigen kend. Oft bildete der Pfad einen ganz scharfen
pflegte: eine Russin, die zum Sommeraufenthalt Winkel, zwischen dessen Schenkeln ein kleines
in einer Villa am Russe des Brombergs wohnte, Waldthal wie eine Schale lag, während an der
und die auch mich lebhaft interessirte. Sie war Spitze der Berghang emporstieg in’s Dunkle des
weder schön, noch war sie jung; auch einen Abends. Dann hörte ich die Kirchenglocken von
Ueberfluss von Geist besass sie nicht. Trotz- Güntersthal und stand still, den Klängen lau-
dem, weiss der Himmel wie es gekommen war, schend, die wie fromme Melodieen halblaut durch
hatten wir alle sechs uns ein wenig in sie ver- die Lüfte zogen.
liebt. Freilich hatte sie eine zigeunerische Art, „Doch jetzt wurde es immer finsterer. Und
das Leben leicht zu nehmen und sich um das immer dichter schlossen die Baumkronen ihr
Gerede der Welt den Teufel zu scheeren. Sie Laubdach über mir zusammen, und immer enger
besass jene naive Koketterie, vor der weder Phi- standen die schlanken hohen Stämme beieinan-
losophie noch Menschenkenntniss Stand hält: der, als hätten sie plötzlich begonnen zu wan-
alles das löst sich in ein Lächeln auf. dern, als fürchteten sie einen Verräther zwischen
,Ich könnte Ihnen nun jedes Wort berich- sich, den '-sie nicht entrinnen lassen durften.
ten> das in unserm Kreise fiel. So etwa muss Der Abendsegen war zu Ende geläutet und ein
der Mörder jede Einzelheit vor seiner That in Schweigen lagerte rings, wie ich es niemals im
der Phantasie bewahren. Freilich, diese zwei Leben sonst empfunden habe. Die dürren, ab-
Jahre waren eine lange Nacht und mir ist, als gelegnen, rothen Blätter auf dem Walderdreich,
Ware ich gestern dort gesessen unter den dun- die ich bis vor wenigen Minuten noch zu sehen
keln Stämmen des Schwarzwalds. vermocht hatte und die mir in dem unbestimmten
)Wir könnten eigentlich eine Gesandtschaft Licht wie ein endloses Korallenlager erschienen
an sie abschicken“, grunzte Jost Besenhardt, der waren, umhüllten sich jetzt völlig mit dem schwar-
fette Bureauchef einer Aktiengesellschaft. ,Ich zen Mantel der Nacht.
bitte Euch, eine halbe Stunde Wegs und ihr „Ich stand still. Ich lauschte. Mein Herz
könnt Euch ihre Gunst erschmeicheln . ...‘ klopfte rasch und hörbar. Aber als ich das ein-
„Da sprang ich auf. ,Ach was, Kinder, ich tönige und angenehme Geräusch meiner Schritte
geh!4 rief ich erhitzt und schlug mit der Faust nicht mehr vernahm, überfiel mich eine starke,
auf den Tisch. Ich verstehe nicht, wie ich dazu ausdauernde Furcht. Ich fing an rascher zu
kam> ein solch aberwitziges Vorhaben auszu- gehn, aber bald stand ich wieder lauschend.
tuhren. Aber es packte mich wie ein Rausch. Es Ich überlegte, ob ich nicht umkehren solle,
war durchaus nicht Verliebtheit, die mich dazu aber noch waren die Vorstellungen von dem
tneb. Die seltsamen, harzigen, weichen Düfte Hohn der Freunde so lebhaft in mir, dass ich
des Abends mussten mich narkotisirt haben. . . . mich vor Scham erröthen fühlte. . .. Instinktiv
brst lachten sie alle; dann schrieen sie bunt suchte ich nach Streichhölzern in den Taschen:
durcheinander: es sei Unsinn, ich würde mich ich hatte nicht eines bei mir. Und es ward immer
verirren; ich kennte die Nacht des Waldes noch finsterer. Erschreckt gewahrte ich, bis zu
j'p!?1’ — aber sie schrieen umsonst. Ich hatte welcher Grenze die Tiefe der Nacht gehen könne.
dafür ein heiteres und sorgloses Lachen, das Noch niemals hatte ich diese, die eigentliche
alf ihre Einwände zurückwies. Meine Begierde die gewaltige Finsterniss erschaut. Die Finster-
st,eg vielmehr, wie bei einem Menschen, den niss, die es unmöglich macht, die eigne Hand
roan abhalten will, vergrabene Schätze zu heben. zu sehen, die dem Körper alle Sicherheit der
Nie war mir eine Sache so ernst gewesen. Ja, Bewegung raubt, das Athmen erschwert.
lch empfand es wie eine berechtigte Auflehn- Die Nacht hatte ich nie anders als in der mil-
ung gegen die blinden Mächte der Natur, als den und wohlthuenden Dämmerung eines freien
Ware hier Gelegenheit, Stärke und Muth gegen Himmels erblickt: — diese Nacht war mir fremd.
ein verstandloses Walten der Elemente in’s Feld Sie erfüllte mich mit Grausen, mit Entsetzen.
zu führen. Kurz, was soll ich noch sagen, ich Ich fühlte etwas Schweres auf meinem Schädel
g'ng. Schliesslich wurden sogar die Andern von lasten: das war die Finsterniss.
•deinem Feuer angesteckt. Wussten sie doch, „Aber nun entdeckte jch, dass ich vom Weg
dass die Russin solch tolle Streiche liebe. Es abgekommen, und schon zwischen den Stämmen
War acht Uhr; spätestens um zehn wollte ich umherirrte. Ich blieb stehen und von den Fuss-
zurück sein. Ich rechnete dabei mit der Dunkel- sohlen aus zog eine widerwärtige Kälte über
heit, da ich bei Tag kaum eine Stunde gebraucht meinen Körper. Mir war, als sei ich soeben aus
hatte, den mir wohlbekannten Weg um den Berg dem Bad gestiegen und nassen Leibes in die
zuruckzulegen. Kleider gestürzt. Ich wagte nicht zu rufen. Was
, „Als ich das Gärtchen verliess und mich hätte es auch geholfen, zu rufen? Freilich, nicht
em Walde näherte, ergriff mich eine Angst, die die Einsicht in die Nutzlosigkeit hielt mich da-
Jedoch kaum länger als ein paar Sekunden an- von ab, sondern ich fürchtete mich. Die Finster-
auerte: gerade wie wenn man eine Saite be- niss schien mich zu umarmen, ja, sie schien sich
uhrt, so dass sie noch in leisen Schwingungen anzufühlen; mir war, als ob ich sie greifen könne,
achzittert. Als ich den braunen, weichen Wald- wie man ein Stück Sammt mit den Fingern greift.
eg betrat, umgab mich die Dämmerung, und Der ganze Wald nahm für mich das Wesen einer
usehends sank Schatten auf Schatten, dunkel Person an, ausgerüstet mit teuflischen Mitteln,
nd dunkler herab. Sie wälzten sich her und einen Menschen zu Grunde zu richten.
erbreiteten sich wie die Fluthen eines über- „Ich hörte ein Rascheln im Laub, wie von
fluellenden Stromes, nur dass nichts davon zu hurtigen Tritten, ein Knacken der Zweige, wie
s-en war. — Ich konnte den Weg vor mir noch wenn sich Jemand vom Boden aufrichtet, und
hr gut erkennen, doch verengerte sich mein meine Glieder begannen heftig zu zittern. Wohl
^esichtskreis immer mehr und mehr, gleich als sagte ich mir, — und ich sagte es mir vielleicht
urtfe eine unsichtbare Lampe langsam nieder- hundertmal: das ist ein Reh, irgend ein scheues
° schraubt. Der Kukuk hatte aufgehört zu rufen, Waldthier . . . Aber mein Gemüth war nicht
nd es war so still, wie es auf dem Grund des mehr empfänglich für eine vernünftige Deutung
eeres sein muss. Anfänglich hatte ich bisweilen ,vh umfasste mit den Armen einen herab-

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Originalzeichnung von O. Scitz.

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hängenden Ast und biss die Zähne in’s Den Irrthum nicht gewahrend,rschritt~’ich Finsterniss an meine Brust andrängte, wie
Holz, um zu verhüten, dass ihr Klappern weiter und immer weiter wie" der arme ich die Lider schliessen musste unter der
hörbar würde. Flüchtling des Märchens und schliesslich Gewalt. Und da sprang ich auf und griff mir
„Auf einmal aber sah ich ein Licht. Wenn verlor ich wieder den Pfad unter den Füssen. an den Kopf und wimmerte, winselte . . .
ich sage, dass alle Funktionen des Blutes Mit der Stirn stiess ich an einen Stamm und Gestalten stiegen rings aus dem Erdboden
plötzlich stockten, so sage ich zu wenig. ich jammerte auf vor Schmerz. Der Berg und sahen mich an . . . Nein, das waren
Mein Herz hörte auf zu schlagen, in meine neben mir schien verschwunden, denn nach keine Hallucinationen, das war!... Das
Augen drängte sich eine heisse Nässe, die welcher Richtung ich mich auch wenden sind Dinge, von denen wir nichts wissen,
den Blick gleichsam verhängte. Mit den mochte, der Boden blieb eben. Bald fiel ich von denen wir nichts wissen werden, bis
Füssen fühlte ich mich nicht mehr auf über einen Stein und riss mir die Hände das Ende gekommen ist und die ewige
festem Grund stehend, mir war, als schwebe wund, bald zerrissen die Dornen das Fleisch Finsterniss.
ich in freier Luft. Lieber die Haut des meiner Wangen. „Was soll ich Ihnen noch weiter sagen?
Rückens liefen blitzschnelle, eisigkalte „Und dann beschloss ich, mich nieder- Ich bringe es kaum über mich, dieses Letzte
Schauer und der Gaumen war trocken wie zulegen. Ich wollte das Umherirren auf- zu schildern, diesen letzten Schrecken, der
Leder. Dort drüben, als ob es aus dem geben und auf das Licht des Tages harren. mir den Verstand geraubt. Sehen Sie, wenn
Berg hervorquölle, funkelte ein eigrosses, Ich warf mich auf den trocknen, warmen Sie in nächtlicher Einsamkeit vor Ihrem Bett
silberbleiches, schwankendes Licht. Ich Waldboden und schloss die Augen. Zuerst sitzen, und ein Stuhl, der vor Ihnen steht,
stürzte fort. Ich hörte Gemurmel und verursachte mir die ununterbrochene Stille fängt plötzlich an, sich von selbst zu be-
Geraschel und Gezischei hinter mir; ich eine quälende Unruhe und ich wagte mich wegen, und er steht dann von selbst auf
fühlte Fäuste an meinem Nacken, die mich nicht zu rühren. Ich zog meine Taschenuhr dem Tische, ohne dass Sie nur die Hand
weiterstiessen, und als ich mich umzu- und lauschte ihrem monotonen Ticken. gerührt haben, so mag Ihr Entsetzen viel-
sehen wagte, sah ich immer noch das Aber während ich sie noch am Ohr hielt, leicht ein .ähnliches sein. Da scheint der
Licht . . . Und ich betete! stand sie still. Werden Sie es glauben, dass ganzeKörper zusammenzuschrumpfen, man
„Sie werden freilich lächeln, wenn ich dieser kleine, ja lächerliche Umstand mich fühlt nichts mehr an sich, wo man hintastet,
Ihnen die Quelle dieses spukhaften Lichtes in solch wahnsinnige Aufregung versetzte, greift man ins Leere, Haut und Fleisch sind
angebe. Doch mir verschaffte es nur kurze dass ich dalag, in Schweiss gebadet und Luft geworden für die Zeit dieses Schreck-
Erleichterung, als ich fand, dass es der immer noch horchte . . . horchte, ob es ens.
Mond war, von dem ein kleiner Ausschnitt denn möglich sei, dass dies Räderwerk dem | „Wie ich nun so stand, noch zitternd von
durch ein Loch zwischen den Blättern fiel, lähmenden Einfluss der Finsterniss unter- all dem Ausgestandenen, fällt plötzlich ein
sodass es aussah, als hänge eine bleiche legen . . . Und nun sah ich ein blutrothes heller, gleissendrother Lichtkegel hinein in
Ampel dort . . . Sie dürfen nicht glauben, Gesicht vor mir, das sich abhob aus dem die Tiefen des Waldes. Ich sah es mit den-
dass ich eine furchtsame Seele sei, ein dichten Dunkel wie ein Bluttropfen auf selben Augen, mit denen ich jetzt dieses
pattes, schreckhaftes Herz besitze. Nein, schwarzer Seide. Und gleich daneben noch Fenster sehe. Niemand kann sagen, ich
jm Gegentheil, ich war stets ein sehr that- eines, aber mit grünlicher Färbung und noch hätte geträumt, oder mein Auge, meine über-
kräftiger und muthiger Mensch. Aber diese eins . . . noch eins . . . noch eins ... sie hitzte Phantasie hätte mich betrogen. Nein,
Finsterniss lähmt alles Urtheil, alle Ver- tanzten um mich herum, bliesen mir ihren ich sah es deutlich und die Kraft der Er-
nunft, alle Besonnenheit, alle Kräfte. Es Hauch in’s Gesicht . . . Und da hörte ich innerung an das unverlöschliche Bild des
ist die Finsterniss des unendlichen Raums, auch reden... Worte, schwer hervorgelallte, plötzlich erleuchteten Forstes’ersticken je-
die das Leben erstickt, den Organismus wie hingeseufzt, wie durch eine Schicht den Zweifel in mir. Es war, wie wenn die
verstört. Doch hören Sie weiter! Erde hindurchgesprochen. Und die Nacht Erdrinde zu Glas geworden wäre und die
»Ich kam nun auf einen breiten Fahrweg starrte' mich an, so grausam und unbarm- Feuersbrünste, die im Innern des Planeten
und über mir stand der klare, wolkenlose herzig: ich fühlte deutlich, wie sich die wüthen, hätten für die Dauer von zehn Se-
Himmel. Es war, als ob ich in den lichten kunden ihren Schein heraufgeworfen.
Jag hinausgetreten wäre. Ich konnte über Nun, am Morgen fanden mich meine Freunde
die Baumwipfel, die am Abhang standen, im Fieberdelirium. Ich lag am, Waldrand,
uinausblicken auf eine Landschaft, die be- hundert Schritte von St. Valentin.... Ah,
graben war in nächtlicher Dämmerung. Den nun kommt ja auch unser Zug schon.
Horizont umsäumte wie ein schmales Band „Wollen Sie nicht meinen Koffer tragen
das letzte ersterbende Roth des Sonnen- helfen ? Er ist gar zu schwer. Was ich sagen
untergangs: tief und düster, wollte: wenn Ihnen einmal
glanzlos und verschwommen Jemand zu viel von der Poe-
P°8 es hin, den Rand der sie des Waldes reden soll-
ernen Berge kaum berüh- te, versäumen Sie nicht, ihn
rend. Aber ich hörte keinen ein klein wenig abzukühlen.“
Laut, eine so bedrückende
stille war in aller Gottes-
*Ht. Kein Hund bellte, keine
Lilockr.-
e tönte, kein Stunden-
schlag klang an mein Ohr:
nichts! Der Mond stand seit-
wärts hinter dem Wald, und
Das andre Land.
er war es, der diese graue, Willst Du glücklich sein?
nebelhafte Dämmerung über Komm ich will Dich führen.
alles Land warf. Hinter blauen Bergen
„Ich wusste nicht, wo ich Drüben liegt das Land.
mich befand. Lange zögerte Lächle, lächle doch!
ich weiter zu gehen, aber end- Sollst die Sonne spüren.
lich beschloss ich doch den Gib mir Deine Hand nun;
gefundenen Weg zu verfol- Lass uns glücklich sein!
gen. Und nur zu bald musste
'eh diesen Entschluss be- Oh, das Land ist schön:
reuen. Hätte ich mich doch Lauter stille Hügel;
Hort niedergeworfen in das Voller blüh’n die Wiesen,
Moos, in’s dürre Laub und Wo wir beide geh’n.
wachen Auges das Morgen- Und Dir ist so leicht.
roth erwartet! Glaubst, Du trügest Flügel,
„Wieder schlossen sich Oh, Du fühlst Dich mitten
nie Kronen über mir. Und In den Himmel hinein —
als ich umkehren wollte, von
Grauen erfasst, gerieth ich Komm!
auf einen ganz falschen Weg. FRANZ EVERS.
Originalzelchnung von j Die*.

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Nr. 8
JUGEND
1896
1896 JUGEND Nr. 8

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Nr. 8 JUGEND 1896

Da Hexen, schlottrig, wirren Haars und bleich!


Und sieh: Gespenster aus des Kirchhofs Reich
Im langen Grabhemd, mit dem Todtenkopf —
Wenn’s zwölf Uhr schlägt, so müssen sie zu Bett —
Die fiedeln dort — ein grässliches Sextett!
Der Hackelberger und der Rodensteiner,
Sie zechen, froh vereint an einem Tisch,
Mit Satanellen, rosig voll und frisch —
Und amüsiren sich wie unsereiner!
Landsknechte, breite Wunden auf der Stirn,
Selbstmörder, schreckhaft mit zerschelltem Hirn —
Die Sünde selbst! mit schleppend schwerem Gange,
(Bekleidet nur mit einer Riesenschlange)
Mit bösem Blick nach Deinem Herzen zielend.
Schleicht Dir vorüber; seine Leier spielend
Mit herzzerreissend jammervollem Ach
Sucht Orpheus seiner Eurydike nach.
Und dort die lächelnde Armee des Bösen:
Kokotten und Hetären, Balleteusen,
Nach blöden Opfern suchend, die sie fingen
Dem Satan in berauschendem Umschlingen!
Und hier der Narrheit farbentolles Heer,
Unendlich, zahllos, wie der Sand am Meer.
Pierrots und Clowns mit mehlbestaubter Larve,
Hanswurste — kurzum Narren jeden Stils!
Und Dame Sphynx vom grünen Strand des Nils,
Verrückte Wasserdichter mit der Harfe,
Wildschützen, furchterregende Verbrecher,
Verruchte Spieler mit dem Würfelbecher,
Ein blutgetränkter Geist, Napoleon —
Der ärmste Schatten jetzt vor Pluto’s Thron! —
Aus tiefem Dunkel kalter Klüfte quellen
Stets neue Horden scheusslicher Gesellen,
Wie sie in vielen, vielen hundert Jahren,
Aus Sündenlust zur Unterwelt gefahren. —
Und — blick’ um Dich! — so schrecklich wie die Wesen»
Die es durchtollen, ist das Reich des Bösen! Durch eine Pforte trittst Du ein mit Lachen —
Sieh’ näher zu! — es ist ein Höllenrachen,
Mit unheilvollen Hauern droht es Dir.
Wie eine weisse Steinwand ragt es hier —
Du blickst’s genauer an bei Mondenlicht
’s ist eines Satyrs grinsendes Gesicht!
Und dort, was steigt so schreckhaft in die Luft
In rother Gluth aus düst’rer Felsenklu'ft?
Unheimlich gross, versteinernd starrt Dich’s an
Mit mühlsteingrossen schillernd grünen Augen —
Flieh, guter Freund! Was soll der Anblick taugen! -
Fasst Dich ihr Blick, so ist’s um Dich gethan!
Medusa’s Haupt siehst Du zum Himmel ragen —
Du weisst: Held Perseus hat ihr’s abgeschlagen. — —
Furchtbarer Ort!
— — Und doch: wenn’s mich nicht trügt,
Sind die Gespenster sämmtlich recht vergnügt
Und bei den Teufeln allen und Lemuren,
Dem Hexenvolk, dem schwefelpfuhlentstammten,
Seh’ ich der tollsten Narrenlaune Spuren!
Und war’ die Gluth der Hölle noch so heiss,
Der Steinkrug geht ja fleissig um im Kreis
’s ist Mummenschanz! Und mit dem Hahnenschrei
Nur darf vor Mittag heut’ der Hahn nicht krähen!
Sind sie entzaubert Alle und sie stehen
Im Werktagsrock an ihrer Staffelei.
Ein Malervölkchen hat den Spuk geweckt,
Aus Gips und Latten, Leinwand, Draht und Kleister
War die Medusa, die Dich dort erschreckt,
Und sehr lebendig sind die vielen Geister!
Du merkst es am Geschrei der armen Seelen,
Du merkst es auch am Durste ihrer Kehlen!
Schier ohne Ende quillt vom Fass das Brünnchen,
Das ihrem Andrang kaum genügen lässt
Was sag ich weiter? — Ort der Handlung: München
Und diese Hölle — blos ein Künstlerfest! 0.
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niemals, vor dem Bilde der Gottesmutter auf die Kniee zu
fallen und also zu beten: »Heiligejungfrau, behüte mein Leben,
bis es Gott gefallen wird, es von mir zu nehmen, und wenn ich
dereinst gestorben bin, nimm mich auf in die Freuden des
Paradieses«.

II.
Als er nun eines schönen Abends nach einem Regentag
trübselig und gebückt fürbass schritt, unterm Arm seine Kugeln
und Messer in den Teppich eingewickelt und nach einerScheune
- Der Gaukler unserer lieben Frau. ausschaute, in der er seinen Hunger verschlafen könnte, sah
Nach einem alten Stoff, von Anatol France. er einen Mönch desselben Weges ziehen und grösste ihn in
aller Ehrerbietung. Indem sie zusammen weiterschritten, knüpf-
I. ten sie alsbald ein Gespräch an.
Zu König Ludwigs Zeit lebte in Frankreich ein armer, aus »Gevatter«, sprach der Mönch, »wie kommt’s, dass Ihr
Compiegne gebürtiger Gaukler, Namens Barnabe, der von ganz grün gekleidet seid? Habt Ihr etwa in einem Mysterium
Stadt zu Stadt zog und überall seine Kunststückchen zum den Narren zu spielen?«
Besten gab. »Keineswegs, ehrwürdiger Vater», erwiderte Barnabe. »Wie
An Jahrmarktstagen breitete er auf dem öffentlichen Platz Ihr mich hier seht, heisse ich Barnabö und bin meines Zeichens
einen alten, ganz verschlissenen Teppich aus, und nachdem ein Gaukler. Es wäre dies der schönste Stand der Welt, wenn
er die Kinder und Gaffer durch allerlei Scherzreden ange- man nur dabei satt zu essen hätte.«
zogen, die ihm ein alter Gaukler überliefert hatte und an »Freund Barnabe«, versetzte der Mönch, »überleget wohl,
denen er niemals ein Wörtlein änderte, zwang er seinen Kör- was Ihr sagt. Es gibt keinen schöneren Stand, als den geist-
per in die sonderbarsten Stellungen und liess einen zinnernen lichen; da preist man Gott, die Jungfrau und die Heiligen,
Teller auf seiner Nase tanzen. Anfangs betrachtete ihn die und so ist das Klosterleben dem Herrn ein steter Lobgesang.«
Menge mit gleichgültiger Miene; aber wenn er sich dann auf
die Hände stellte und mit den Füssen sechs kupferne, im
Sonnenlicht glitzernde Kugeln in die Luft warf und wieder auf-
fing, oder gar, sich hintenüberbeugend, bis sein Nacken die
Füsse berührte, ein vollkommenes Rad aus seinem Körper
machte und in dieser Stellung mit zwölf Messern spielte —
da lief ein Gemurmel der Bewunderung durch die Zuschauer
und es regnete Geldstücke auf seinen Teppich.
Und doch hatte Barnabö de Compiögne, wie Alle, die von Da erwiderte Barnabe: »Ehrwürdiger Vater, ich bekenne,
ihrer Kunst leben, grosse Mühe, sein Dasein zu fristen. Er dass ich thöricht geredet habe. Mein Stand lässt sich dem
verdiente sein Brod buchstäblich im Schweisse seines An- Eurigen nicht vergleichen, denn wenn es auch verdienstlich
gesichts und hatte somit von den Plagen, die der Sünde unseres ist, beim Tanzen einen Stock mit einem Geldstück zu balan-
Urvaters Adam anhaften, seinen gehörigen Theil zu tragen. ciren, so reicht doch dies Verdienst nicht an das Eurige hinan.
Ueberdies konnte er nicht einmal arbeiten, so viel er wollte. Ich möchte wohl, wie Ihr, ehrwürdiger Vater, Tag für Tag die
Um seine schönen Künste zu entfalten, brauchte er Sonnen- Messe lesen und besonders das Lob der hl. Jungfrau singen,
wärme und Tageslicht, wie der Baum, um Blüthen und Früchte für die iclfeine ganz besondere Verehrung hege. Mit tausend
zu treiben; im Winter war er nur ein entlaubter, halb abge- Freuden würde ich auf meine Kunst verzichten, die meinen
storbener Stamm. Die gefronte Erde war dem Gauklerhand- Namen in mehr als sechshundert Orten, von Soissons bis
werk nicht förderlich, und wie das Heimchen, von dem Marie Beauvais bekannt gemacht hat, um ein klösterliches Leben
de France erzählt, litt er in der schlechten Jahreszeit unter zu führen.«
Hunger und Kälte. Aber da er einfältigen Herzens war, trug Den Mönch rührte die Einfalt des Gauklers, und da es ihm
er seine Leiden in Geduld. nicht an Menschenkenntniss gebrach, ersah er in Barnabe
Er hatte nie über den Ursprung des Reichthums und einen jener Auserwählten, von denen der Herr gesagt hat:
die Ungleichheit der menschlichen Loose nachgedacht, sondern »Friede sei mit ihnen auf Erden.« Darum sprach er: »Barnabe,
rechnete fest darauf, dass, wenn diese Welt schlecht sei, die mein Freund, kommt mit mir, und ich will Euch Eintritt ver-
andere unfehlbar um so besser sein müsse, und diese Hoff- schaffen in das Kloster, dessen Prior ich bin. Der Herr, der
nung hielt ihn aufrecht. Er machte es nicht wie die Mehrzahl die heilige Maria von Egypten durch die Wüste führte, hat mich
seiner diebischen und ungläubigen Genossen, die ihre Seele auf Euren Weg gesandt, auf dass ich Euch den Pfad des Heils
dem Teufel verkaufen. Er lästerte niemals den Namen Gottes, weise.«
führte ein ehrbares Leben, und obwohl er selbst kein Weib So kam es, dass Barnabö Mönch ward. In dem Kloster,
hatte, begehrte er doch nie die Frau seines Nächsten: denn das wo er aufgenommen wurde, wetteiferten die Mönche im Dienste
Weib ist die Feindin des Starken, wie aus der Geschichte von der hl. Jungfrau und jeder suchte ihr zu dienen mit jeglicher
Samson und Delila erhellt, welche uns die heilige Schrift be- Fertigkeit, die ihm Gott verliehen hatte.
richtet. Der Prior verfasste Bücher, die nach den Regeln der
In Wahrheit war sein Geist den Lüsten des Fleisches nicht Scholastik'von den Tugenden der Mutter Gottes handelten,
zugewandt und es wurde ihm leichter, auf die Frauen, als und der Bruder Moriz übertrug diese Abhandlungen mit
auf den Wein zu verzichten; denn bei aller Mässigkeit liebte kundiger Hand auf Bogen feinsten Pergaments.
er doch nach des Tages Hitze einen guten Trunk. Er war ein Der Bruder Alexander malte darauf zierliche Miniatur-
rechtschaffener Mann, voll Gottesfurcht, und der heiligen Jung- bildchen. Da war zu sehen die Himmelskönigin, auf Salo-
frau innig ergeben. Wenn er in eine Kirche trat, verfehlte er monis Thron sitzend, zu dessen Füssen vier Löwen Wache

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Nr. 8 JUGEND 1896

»Ach«, seufzte er, wenn er einsam in dem schattenlosen


Klostergärtlein umherwandelte, »ich bin recht elend, dass
ich nicht wie meine Brüder vermag, die heilige Gottesmutter
würdig zu preisen, der mein Herz doch so'inniglich zugethan
ist! Ach, ich bin ein unbeholfener und ungeschickter Gesell
und habe zu Deiner Verherrlichung, o gebenedeite Jungfrau,
nichts darzubringen; weder erbauliche Predigten und wohl-
geordnete Abhandlungen, noch feine Malereien; weder sorg-
fältig gemeisselte Bildwerke, noch Verse mit abgezählten
Füssen und rhythmisch gemessenem Gang. Ich allein habe
Dir nichts zu bieten, nichts!«
So seufzte er und überliess sich der Traurigkeit. Da
hörte er eines Abends, als die Brüder sich plaudernd im
Garten ergingen, wie einer von ihnen die Geschichte eines
Mönches erzählte, der nichts anderes konnte und wusste als
das Ave Maria und ob dieser seiner Unwissenheit verachtet
war; als er aber gestorben, sprossen aus seinem Munde fünf
Rosen hervor, zu Ehren der fünf Buchstaben Mariä, und seine
Heiligkeit ward somit offenkundig dargethan.
Als Barnabö dieser Erzählung lauschte, erfüllte ihn die Güte
der heiligen Jungfrau auf’s Neue mit Bewunderung; aber er
fühlte sich nicht getröstet durch das Beispiel dieses glückseligen
Todes, denn sein Herz war voll des Eifers und er wollte etwas
hielten; ihr lichtstrahlendes Haupt umschwebten sieben beitragen zum Ruhme seiner himmlischen Geliebten.
Tauben, als Sinnbild der sieben Gaben des hl. Geistes, so Umsonst sann er auf Mittel und Wege und versank von
da sind: die Gabe der Weisheit, des Verstandes, des Raths, Tag zu Tag mehr in Betrübniss. Doch eines Morgens erwachte
der Stärke, der Wissenschaft, der Frömmigkeit und der Furcht. er fröhlich und guter Dinge, lief in die Kapelle und blieb dort
Ihr zur Seite standen sechs goldhaarige Jungfrauen: Demuth, allein länger als eine Stunde. Auch nach dem Mittagsmahl be-
Klugheit, Einsamkeit, Ehrerbietung, Keuschheit und Gehorsam. gab er sich wieder dorthin.
Ihr zu Füssen knieten zwei kleine, nackte, ganz weisse Und so ging er von Stund an täglich in die Kapelle, zur
Gestalten mit flehender Geberde: das waren Seelen, die für ihr Zeit, da sie verlassen war, und verweilte dort einen grossen
ewiges Heil eifrig und gewiss nicht umsonst ihre allmächtige Theil der Zeit, welche die andern Mönche den schönen Künsten
Fürsprache erbaten. und sonstigen Arbeiten widmeten. Er war nicht mehr traurig
Auf einem anderen Blatte stellte der Bruder Alexander und seufzte nicht mehr.
unsere Mutter Eva dar im Angesicht Mariä, auf dass man zu Ein so sonderbares Gebahren erweckte die Neugier der
gleicher Zeit die Sünde und die Erlösung, das gefallene Weib Mönche und man fragte sich in der Bruderschaft, was wohl die
und die verklärte Jungfrau erblicke. In diesem Buch war häufige Abwesenheit Barnabe’s zu bedeuten habe. Der Prior,
sonst noch mancherlei zu sehen: so die lebendige Quelle, der der im Verhalten seiner Mönche nicht unbemerkt lassen darf,
Brunnen, die Lilie, der Mond, die Sonne und der ver-
schlossene Garten, von dem der Psalmist singt, das Himmels-
thor und die Stadt Gottes und waren das lauter Sinnbilder
der heiligen Jungfrau.
Auch der Bruder Marbod war einer von Mariä Lieblingen.
Ohne Unterlass meisselte er Bilder aus Stein, so dass sein Bart,
seine Brauen und sein Haar ganz weiss bestaubt und seine
Augen stets geschwollen und thränend waren; aber trotz seiner
hohen Jahre war er frohen Muthes und die Himmelskönigin
beschützte sichtbarlich den Lebensabend ihres Kindes. Mar-
bod stellte sie auf einem Thron sitzend dar, das Haupt umgeben
von einem perlengeschmückten Heiligenschein. Er war sorg-
fältig darauf bedacht, dass die Falten des Gewandes ihre Füsse
bedeckten, eingedenk der Worte des Propheten: »Meine Ge-
liebte ist wie ein verschlossener Garten«. — Manchmal trug
sie auch die Züge eines anmuthigen Kindes und schien zu
sagen: »Siehe, ich bin eine Dienerin des Herrn«.
Es fehlte in dem Kloster auch nicht an Poeten, die in
lateinischer Sprache, in Prosa und Dichtung, der gebenedeiten
Jungfrau Maria zu Ehren Loblieder verfassten, und es befand
sich dortselbst sogar ein Picarde, der die Wunderthaten unserer
lieben Frau in der Sprache des Volkes und in gereimten Versen
besang.
III.
Als er eine solche Fülle von Huldigungen und eine so
grosse Reihe schöner Werke erschaute, grämte sich Barnabö
über seine Einfalt und Unwissenheit. —

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beschloss, Barnabe während seiner einsamen Andachten zu be-
obachten. So ging er denn eines Tages, als dieser sich wie ge-
Stürme.
wöhnlich in der Kapelle eingeschlossen hatte, mit den zwei Schnaubst um die Fugen, stöhnender Sturm!
Aeltesten des Klosters Barnabe nach und spähte durch die Thür- Pfeifst in die Luken am Glockenthurm,
spalten, um zu erkunden, was im Innern vorgehe. Zerrst an Angeln und Läden.
Da sahen sie Barnabe vor dem Altar der Jungfrau, den Kopf Hebst von den Dächern die Ziegel hinweg,
nach unten, die Füsse in der Luft, mit sechs Kupferkugeln und Rührst die morschen Hütten vom Fleck,
zwölf Messern spielen. Er machte der heiligen Mutter Gottes Brichst die Bäume wie Fäden.
zu Ehren die Kunststücke, die ihm einst das meiste Lob ein-
getragen. Die beiden Aeltesten, die nicht verstanden, dass dieser Fege nur rein unser Erdenhaus!
Mensch in seiner Herzenseinfalt sein ganzes Können in den Hetze den Wust und die Spreu hinaus,
Dtenst der heiligen Jungfrau stellte, entsetzten sich über das Nimm’, was locker und rissig!
Sakrilegium. Knicke, was morsch ist und faul und schwach!
Der Prior kannte Barnabe’s unschuldige Seele, glaubte Besseres, Kräftiges wächst schon nach —
aber, er habe den Verstand verloren. Sie schickten sich alle Sieches ist überflüssig.
Drei an, ihn mit Gewalt aus der Kapelle zu entfernen, — da sahen
sie, wie die heiligejungfrau die Stufen des Altars herabstieg und Kommen muss öfters über die Welt
mit dem Saume ihres blauen Mantels die Schweisstropfen von So ein Reiniger, gottbestellt,
der Stirne ihres Dieners trocknete. D’rob Kreaturen erzittern;
Da warf sich der Prior auf sein Angesicht nieder und rief So eine Pest, die den Tod rings sät,
aus: »Selig sind, die reinen Herzens sind, denn sie werden So ein Krieg, der die Völker mäht,
Gott schauen !i Reinigt in Ungewittern.
E. STEMPLINGER.

Auf die Locken blickt er trübe, Zur Debatte


Die durch seine Finger gleiten,
Denkt dabei vergang’ner Liebe,
über das „bürgerliche Gesetzbuch“
Sieht ein Bild aus alten Zeiten . . . Die Deutschen wollten ein Rechtsbuch han;
Arbeiteten viele Jahre daran,
... Irrthum war's, als sie sich einten,— Und wie es nun endlich fertig wär,
Ach, es war ein langes Ringen, Kommen die ganz Gescheidten daher:
Beide kämpften, beide weinten. Polen, Dänen und römische Knecht’,
Bis sie auseinander gingen. Reden gar viel über deutsches Recht.
Jeder schüttelt das weise Haupt,
Zur Erinn’rung an sein Liebchen HätP es natürlich ganz anders geglaubt.
An ihr Schelten, Wüthen, Toben, Aber sollt’s doch einmal so sein,
Hat der arme Schelm im Stübchen Brächt’ man noch gerne für sich was ein,
Seine Haare aufgehoben .... Rückt an das offene Feuer hin
IGNAZ PAUER.
Alte Töpfe mit listigem Sinn.
Jeder bringt seine Leibspeis’ her,
Ob sie nicht aufzuwärmen wär’.
Und dann secundum ordinem
Kommt natürlich das „da ut dem“.
Schaut Euch nur den ehrlichen Mann
Und treuen Vertreter des Volkes an!
Stück für Stück, viel gegen mehr,
Gibt er die Ueberzeugung her.
Das Strumpfband. Feilschend hält er noch an der Thür,
Die Sonne lächelt freundlich auf den Strand, Ist dagegen — und auch dafür!
Behende schlüpft es aus dem Badewagen, Wie er die „Stimme“ zu Markte trägt!
Zwei zarte Füsschen trippeln durch den Sana Wie er sie frech zu Münze schlägt!
Wie niedlicher die Erde nie getragen. Und dann im tiefsten Brustton spricht
Viele Worte von Ehr und Pflicht!
Die Wogen suchen schmeichelnd ihre Spur, ’s ist halt wie immer! Wer’s noch nicht weiss:
Jetzt küsst das Meer das Knie der Strandnajade — Angebot bestimmt den Preis!
Der ganze Ozean ist ein Strumpfband nur DR. THOMA,

Für eine holde Mädchenwade! e. bormann.


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Nr. 8 JUGEND 1896

Ein Aus grosser Zeit. Königsstadt. Oh, wie unendlich hat dess-
halb geschämt sich da die Königin Rana-
Zukunfts-Liebeslied. S machen sich jetzt mit der
valona. Es war ein glorreicher Kampf —
doch ohne allen Pulverdampf — weil die
Du hast die rosigsten Lippen grossen Zeit — von anno tapferen Soldaten gar keine Gegner hatten.
siebzig — die Deutschen Mit Speeren und Schilden flohen die nack-
Und Augen wie Sterne, mein Lieb! breit! Da gibt sich doch ten Wilden vor dem Lebelgewehr in die
Und Rippen hast Du — ach Rippen, bessre Gelegenheit, in di- Wildniss her. Das war den Tapfern auch
Wie nie sie ein Dichter beschrieb! thyrambischen Weisen Hel- lieber. Freilich das Fieber haben Viele ge-
denthaten zu preisen. Be- kriegt und das ward nicht besiegt. Dafür
kanntlich war im siebziger ward gebaut eine Strass’ gar auf Mada-
An schneeige Blüthen erinnern Jahr nur ein einziger Krieg gaskar. Die kostete viel Geld und Men-
Die Händchen, so weiss und so fein, und der deutsche Sieg wird schen und desshalb ward vom argwöhn’-
Und alle die Knöchlein im Innern nach einem Vierteljahrhun- schen staatsfeindlichen Zeitungsgesindel
An gedrechseltes Elfenbein! dert noch gefeiert und bewundert. Warum geschrieben, der ganze Feldzug sei Schwin-
denn immer weiter schweifen und nach del. Aber in grosser Freude und Gloria
rückwärts greifen! Erst jüngst doch führten schrie’n die andern Leute Viktoria. Und
Dein Wuchs ist gleich den Zirbeln, drei grosse Nationen, allerdings in heis- die Armeelieferanten, welche nach Mada-
So stolz, so schlank und so schön — seren Zonen, gewaltige Kriege und kamen gaskar sandten so vortreffliche Karren,
zum Siege. freuten sich wie die Narren, denn sie ver-
Mit solchen Rückenwirbeln, So haben die Franzosen einen grossen, dienten am End’ dreihundert Perzent. Und
Wie könnt’ es auch anders gescheh’n! ruhmreichen Feldzug führen lassen gegen die Leut’ schrien weit und breit: „Ja wir
die Madagassen. Die hatten dem Franz- leben in grosser Zeit!“
Mein Herz tobt in stürmischem Pochen, mann zwar nichts gethan, doch das geht Aber beinahe doch etwas gewaltiger noch
Durchblitzt Dir der X-Strahl den Leib: uns nichts an. Der gallische Hahn hatte war der Kampf, den die Briten mit den
Lust, wieder mal zu krähen, darum ist es Aschanti’s gestritten. Mit furchtbarem
Du hast die entzückendsten Knochen, geschehen. Siegreich und stark drang das Geschrei stürzte der englische Leu, stürz-
Du angebetetes Weib! j. j. s. Heldencorps bis Atananarivo vor. Stolz ten die rothröckigen Helden sich auf die
blähte sich und fürchterlich die Fahne der Schwarz-Gefeilten. (Kein Mensch weiss wa-
wälschen Gesellen auf den Wällen der rum aber irgend etwas nahmen sie krumm.)

Die Jagd nach dem Glück, frei nach Henneberg. E. v. Meissl.

130
1896 JUGEND Nr. 8
Die Aschanti’s wehrten sich nicht, mach- Leben. Besonders war da ein grossmäch- sich, wenn er das Geld wolle, entschlos-
ten ein langes Gesicht und versammelten tiger Nachbar, an dessen breiter Brust er sen, seinen zweiten Sohn Butzi zu seiner
ihre Cadaver zu einem Palaver. Aschgrau gern sein Fürstenköpflein mit dem klein- (nämlich des Bär) Religion übertreten zu
und triste auf einer Kiste, darin Bisquit winzigen Krönlein geborgen hätte; aber lassen. Das war eine harte Zumuthung
einst verschickt war, in einer Schwimm- der Nachbar, der Herrscher von Knutolien, für den frommen Fürsten, der ohnehin
hose, die geflickt war, mit einem Cyiinder wollte nichts von Athanasius wissen, so schon einen halben Bannstrahl auf dem
ohne Krempe,sass König Prempe,schmollte schön dieser bat und Männchen machte. Rücken hatte. Aber er dachte wieder an
und grollte, that aber sonst, was man wollte. Endlich aber liess sich der Grosse doch den Vogel Pelikan und ritzte, natürlich
Da erhob der englische Leu wieder ein gros- erweichen — aber nur unter einer Be- metaphorisch gesprochen, wiederum seine
ses Geschrei: „Da seht, die Aschanti e dingung: Athanasius müsse seinen Erst- eigene Brust; er gab nach. Nicht etwa,
tutti quanti fliehen mit Jammergeheul, zei- geborenen, den Prinzen Bibi, in die knuto- weil er sich um jeden Preis auf dem
gen den nördlichen Theil, sobald sie er- lische Religion umtaufen lassen. Nun war wohlgepolsterten Thrönchen erhalten
fuhren, wir nahen, die britischen Sieger!“ aber Bibi’s Papa streng katholisch, er wollte, sondern aus lauter Liebe zu seinem
(Ja, Aschantikrieger sind halt keine Buren!) stammt aus einer Familie, die sozusagen Volke. Prinz Butzi protestirte zwar selbst
So verbreitet John Bulls Nation die Civili- am Busen der Kirche aufgewachsen war. während der Uebertrittsceremonie mit aller
sation mit Ruhm (und mit Rhum) und mit Ihm war es furchtbar, aus Bibi einen Or- Kraft seiner Lungen, aber es half ihm
Feuer und Schwert beim afrikanischen Pub- thodoxen machen zu sollen und der heil- nichts. Er erhielt den Namen Isaak Abi-
likum. Und wer davon hört, ruft weit und ige Vater in Rom zuckte bedenklich mit melech Bärsohn und der Pariser Geld-
h^eit: „Ja, wir leben in grosser Zeit!“ dem Bannstrahl —. mann, der Pathe war, liess beim Fest-
Auch das italische Heer hat sich mit schmaus grossherzig noch ein Prozent
Lorbeern schwer beladen in Afrika, in Abys- von der Anleihe nach. Das Land war
sinien, und man schreit: „Viktoria!“ im gerettet und das Parlament votirte dem
Schatten der Pinien! Es ging zwar nicht so Fürsten einstimmig den Ehrennamen:
friedlich und nicht ganz so gemüthlich bei „der grosse Pelikan“.
diesem Kampfe zu — o Du böser Menelik Etliche Jahre flössen so in Frieden hin
Du! — und mancher Erfolg, von dem man und der Fürst hatte schon ein hübsches
gelesen, sieht aus, als wären’s Schläge ge- Sümmchen von Ersparnissen aus seiner
wesen. Auch ein paar Milliönchen für die Civilliste in der Bank von England liegen.
armen Persönchen, die als Geissein sitzen Da drohten dem Reiche Chikanien neue
blieben — so heisst’s - musste man schwit- Verwicklungen, und zwar waren es dieses
zen. Aber das Volk ging auf den Sumpf Mal Grenzstreitigkeiten mit einem benach-
und schrie Triumph! — Der Herr Crispi, barten grossen mohammedanischen Reiche.
der kluge Mann, schlägt weiter keine De- Dem Lande drohte Krieg, aber Fürst Peli-
peschen mehr an. Natürlich blos, damit kan war durchaus nicht kriegerisch, und
der Trubel und Siegesjubel nicht in’s Un- um Chikanien die Segnungen des Friedens
gemessene steigt, hält er’s für besser, man zu erhalten, war er zu jedem Opfer bereit.
schweigt über die weiteren Siege in diesem Er unterhandelte denn höflich mit dem Kha-
Kriege. Als jüngst die Nachricht zu mel- lifen des Nachbarreiches und auch dieser
den war, die Helden von Makalle seien raus war kein Unmensch. Er versprach, auf alle
aus der Falle, da raufte Crispi vor Freuden billigen Forderungen einzugehen (das Wort
sein Haar (soweit es vorhanden war) und billigen war in seinem Schreiben zwei-
schluchzte voll Jubel, dass Galliano ent- mal unterstrichen), aber eins machte er zur
ronnen: „Au weh! Wir haben gewonnen!“ Bedingung: der Fürst müsse einen Sohn
Ja, es ist eine grosse Zeit insonderheit zum Islam übertreten lassen. „Mit Ver-
ur europäische Waffen, im Lande der Gir- Aber das Wohl des Landes! Und Fürst gnügen“, schrieb der Fürst zurück, „aber
uffen, in Afrika! So was war noch nicht da, Athanasius dachte an den Vogel Pelikan, ich habe keinen dritten Sohn zu versenden.
fürwahr: Drei grosse Kriege in einem hal- der sich bekanntlich zu Zeiten die eigene Meine Gemahlin ist zu Schiff nach Frank-
uen Jahr! x. y. z. Brust zerfleischt, um seine Kinder zufrie- reich und nun weiss ich wirklich nicht, wo
den zu stellen. So zerfleischte der Fürst ich einen jungen Islamcandidaten so schnell
seine eigene katholische Brust und gab hernehmen soll.“ Da schrieb der Khalif zu-
Fürst Pelikan. sein Herzblut hin, d. h. er liess den Prinzen
Bibi aufknutolisch um taufen. Zwar mussten
rück: „Wenn Du keinen Sohn hast, musst
Du, liebwerther Nachbar, schon selbst so
Beinahe kein Märchen. sämmtliche Windeln des Prinzen frisch ein- freundlich sein, ein Türke zu werden. Ich
Es war einmal ein Fürst, der liebte sein gestickt werden, aber auch dies Opfer brach- kann Dich versichern, es hat auch seine
Volk wie ein Vater. Und das wollte etwas te der Fürst. Das that er nicht etwa in lächer- Annehmlichkeiten. Zur Bekehrungsfeier
heissen in diesem Fall, denn es war gar licher Eitelkeit, weil er lieber ein regieren- schicke ich Dir ein halbes Dutzend fesche
U'cht sein Volk, sondern eine an Stamm der, als ein vazierender Fürst sein wollte, Circassierinnen als kleines Scherflein für
und Sprache ihm wildfremde Nation. Durch sondern er that es nur zum Wohl des Deinen künftigen Harem.“
e'n Zeitungsinserat hatte diese einen Für- Landes. In Chikanien aber war grosser Da dachte Fürst Athanasius wiederum
sten gesucht, der „Liebe zu Landeskindern Freudentaumel und der Herrscher von an die Geschichte vom Pelikan und opferte
hat“ und da jener Fürst, er hiess Atha- Knutolien schickte zum Taufschmaus einen sich für sein Volk, kaufte sich einen Tur-
uasius, gerade nichts zu regieren hatte, seiner abgelegten Stiefel. Der ging an der ban und einen Tschibuk, richtete sich ein
nahm er den einträglichen, aber sorgen- Tafel herum und jeder durfte ihn küssen. Serail ein und wurde ein Muselmann.
reichen Posten eines Landesvaters an und Fürst Athanasius aber hatte von nun An die Mächte aber versandte er ein
Wurde Fürst von Chikanien. Er liebte sein ab einen mächtigen Freund und konnte auf Circular, worin er ankündigte, dass er in
Volk bald so sehr, dass er mit Krone und seine Visitenkarten drucken lassen: Von Bälde wieder in der Lage sein werde, allen
*zepter zu Bette ging und stundenlang in Gottes Gnaden. geehrten Aufträgen bezüglich etwaiger Con-
vollem Reichsornat vor dem Spiegel stand. So vergingen einige Jahre. Da gerieth vertirungchikanischer Prinzen im weitesten
Wenn gerade Unruhen, Mord und Todt- das Land in neue Schwierigkeiten. Die Umfange gerecht zu werden.
schlag im Reiche herrschten, so blieb er Hammelernte war schlecht ausgefallen Vorgemerkt sind bereits: ein Sohn für
ausser Landes, bis Alles vorüber war, dem der Tambour der Leibgarde brauchte eine’ die Heilsarmee, einer für dieengüscheHoch-
Volke seinen Vater sicher zu erhalten. Er neue Trommel und der Obersthofmeister kirche eine Tochter für das Mormonen-
war ein weiser Fürst. erklärte, er brauche absolut nothwendig thum, eine andere für die Herrenhuter, ein
. Aber Eins kränkte ihn schwer. Er hätte ein Dutzend Alfenidelöffel für die Hof- Sohn für die Rosenkreuzer (Sar Peladan
steh gerne der Anerkennung der Menschen tafel. Es drohte eine Krisis im Lande wird Pathe) und ein Sohn für den Bud-
und namentlich seiner Berufskollegen, der Geld musste her um jeden Preis. Der dhismus.
^gierenden Fürsten erfreut. Die sahen ihn Fürst wendete sich denn an einen reichen Und solche Opfer hat Fürst Athanasius
aber
immer als eine Art von Parvenü an Geldmann in Paris, Namens Bär und er- von Chikanien dem Wohl seines Volkes ge-
und dachten wohl, er sei ein hergelaufener bat eine Anleihe. Aber Herr von Bär bracht. Verdient er nicht in Wahrheit den
Landesherr und gar nicht von Gottes Gna- arbeitete nach berühmten Mustern. Er Ehrennamen des grossen Pelikan?
uen. Das frass wie ein Geier an seinem schrieb zurück, Fürst Athanasius müsse Kl-KI-KI.

I3I
Inseraten-Annahme Insertions-Gebühren
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sowie durch
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Die JUGEND erscheint allwöchentlich einmal. Bestellungen werden von allen Buch- und Kunsthandlungen, sowie von allen Post-
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ämtern und Zeitungs-Expeditionen entgegengenommen. Preis des Quartals (13 Nummern) bei den Postämtern in Deutschland M. 3.—,
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Secession München.
Prinzregentenstrasse.
Frühjahrs-Ausstellung
von Mitte März bis Ende April.
Internationale Kunst-Ausstellung
vom 1. Juni bis Ende Oktober d. .Ts.

(Dünchner Künstler-Genossenschaft.

Bruder Jonathan freut sich unsagbar darüber, dass dem Jahres-Ausstellung


kleinen Spanier seine Cuba-Zigarre zu stark wird — und schief von Kunstwerken aller Nationen
gewickelt ist sie)auch noch! im kgl. Glaspalaste
vom 1. Juni bis Ende Oktober 1896.
Briefkasten.
Das Höllenfest, von dem wir in
dieser Nummer der „Jugend“ in Wort
und Bild Bericht bringen, wurde von
JULIUS BÖHLER
den Studirenden der Münchener Kunst- 6 Soüenstr. Miindiem Soflenstr. 6
akademie am 5. Februar im Saale des vis-ä-vis des Glaspalast-Einganges.
Münchener Kindl - Kellers veranstaltet. Hof-Antiquar Sr. Majestät des Kaisers und Königs.
Unser Titelblatt, welches ebenfalls auf das An- und Verkauf werthvoller Antiquitäten und
Höllenfest Bezug hat, stammt von einem alter Bilder.
jungen Künstler Namens Lürtzing.
Das bei unserer Concurrenz mit dem Uebernahme von
ersten Preise ausgezeichnete Titelblatt
kommt erst in nächster Nummer an die
J. DREYjunior Kunst auetionen
jeder Art, ganzer Sammlungen sowohl
Reihe. Die obere Zeichnung auf S. 126 wie einzelner guter Stücke.
ist nach A. J a n k’s Plakat für die ge-
nannte Kneipe, die unten, nach dem
Antiquitäten Hugo Helbing, München, Chrlstophstr. 2.
Vom Frühjahr ab eigene,
Titelblatt der dort ausgegebenen Kneip- neuerbaute Oberlichträume.
Max-Josephstrasse 1/1 St.
zeitung von H. Paul.
Diejenigen unserer Freunde, welche
uns künstlerische Beiträge senden wollen,
neben Hotel Continental. Alte Kupferstiche.
Kataloge gratis und franco durch
ersuchen wir, sich vorher wegen der
Zeichnungstechnik mit uns in’s Benehmen
Hup Helbing, Sri*”:
setzen zu wollen, eventuell wäre es uns
(in beiderseitigem Interesse) erwünscht, Specialität: Ideen überZeichenunterricht
Theilweise Mondsfinsterniss. zunächst flüchtige Bleistiftskizzen zu er-
Aus »Scraps« (London). halten, um sich, falls Aenderungen nöthig Ameublement u. künstler. Berufsbildung
werden, überflüssige Mühe zu sparen.
des 18ten Jahrhunderts. von GEORG HIRTH. — 4. Aufl.
3 Bg.gr. Okt. Preis 75 Pfg.

G. HIRTH’s Verlag in München und Leipzig.


Die Freunde und Abonnenten der „Jugend“,
welche die Zeitschrift binden lassen wollen, ersuchen wir
höflichst um sorgfältige Aufbewahrung aller Nummern, da
wir bei der steigenden Nachfrage die Nachlieferung ein-
zelner Nummern nicht garantiren können.
Jedes Semester (26 Nummern) bildet einen
Band. — Besondere Einbanddecken für jeden Band werden
rechtzeitig zu haben sein.
Das verbotene Buch.
{Pick me up, London.)

Herausgeber: Dr. GEORG HIRTH; verantwortlicher Redakteur: F. von OSTINI; verantwortlich für den Inseratentheil: G. EICHMANN, G. HIRTH’s Kunstverlag; sämmtlich in München*
Druck von KNORR Sc HIRTH, Ges. m. beschr. Haftung in München.
26 Nummern bilden einen Band. Preis der Nummer 30 Pfg. Quartalpreis 3 Mark. Vertag von G. Hirtn, München.
Nr. 9 JUGEND 1896

Militaria.
Typen und Bilder von E. Goldbeck (Berlin).

Hauptmann Diensthuber.

Dann kommt er, es weiss sich mein Hauptmann zu


sputen,
Auf ein’ge Minuten noch zu den Rekruten,
Mein Hauptmann ist beim Dienst dabei Er sieht bei dem Turnen und bei dem Fechten
Des Morgens vom ersten Hahnenschrei In aller Geschwindigkeit nach dem Rechten
Und glänzen Abends lichte Sterne, Und en passant auf dem Korridor
So ist er noch in der Kaserne. Da macht er den Leuten den Aufschwung vor.
Schlaftrunken wird ihn schon beim Wecken Er macht in dem Revier die Runde
Der Unteroffizier vom Dienst entdecken: Des Abends in der Lesestunde,
Es muss das vorschriftsmässige Waschen Und er durchwandert die Kaserne
Der Kompagniechef überraschen. Allnächtlich mit der Blendlaterne.
Wird Sonnabends das Revier gereinigt,
Mit den Seinen bleibt er auch hier vereinigt;
Und scheuert die Kompagnie die Spinden,
So ist er ganz gewiss zu finden.
Am Sonntag ist er hoch beglückt,
Wenn die Kompagnie in die Kirche rückt.
Denn ob es zum Drillen geht oder zum Beten,
Die Hauptsache ist: es wird angetreten;
Und Abends entwirft er, des Kommenden froh,
In weiser Voraussicht das Wochentableau.
Auch ausserhalb der Kompagnie
Entzieht er sich dem Dienste nie.
Die Weiber beim Kartoffelschälen,
Sie können auf sein Kommen zählen.

Kann je ein Hauptmann drauf verzichten,


Des Morgens selbst zu unterrichten,
Um, wenn „die Herren“ instruiren,
Persönlich sie zu inspiziren
Und, wenn auch nur in Einzelfällen,
Doch mit Bedauern festzustellen,
Dass die Offiziere sich verspäten,
Indess die Leute schon angetreten,
Weil sie zu schweren Tagewerken
Mit einem Kantinenschnaps sich stärken?
Dann ist er bis zum Paroleappell
Auf dem Kasernenhofe zur Stell’
Und endlich kurz vor dem Mittagbrod
Verlässt er den Hof mit Mühe und Noth.
Das Essen pflegt er schnell zu beenden,
Ein Hauptmann darf keine Zeit verschwenden;
Die Felddienstübung der alten Leute — Er stellt sich ein beim Röckeklopfen,
Was gilts? er überrascht sie heute, Ihn intressirt das Strohsackstopfen.
Er bahnt sich, auf seine Findigkeit stolz, Er pilgert durch den Sonnenbrand
Den Weg durch des dichteste Unterholz. Als Kommission zum Scheibenstand.

U4
1896 . JUGEND Nr. 9

Und vor dem Kriegsspiel, noch ganz alleine,


Enthüllt er die Karten und ordnet die Steine,
Erscheint der Nachmittag ihm gar zu lang,
Begibt er sich schleunigst zum Brodempfang.
Kurzum, es sind seine einzige Plage
Im Dienst des Jahres: die Ruhetage. —
Und ich bemerke an letzter Stelle,
Mein Hauptmann ist nicht etwa Junggeselle.

Und seine Vornehmheit wurde akut,


War er in Gesellschaft von bläulichem Blut.
Besonders liebte er, lange Namen
Aus der Rang- und Quartierliste auszukramen,
Wobei ihn der Name Solm-Reifferscheid-Dyck
Stets wieder von neuem erfüllte mit Glück
Und er vor innerer Wonne erblich,
Lieutenant „Canis finis“. Gewahrt’ er die Zeichen Solms-Hohensolms-Lich.
Er war zwar im Ganzen nicht der Schlauste,
Beim Hauptmann Diensthuber als Lieutenant stund Er kannte aber auf das Genauste
Der Canis finis, der „feine Hund.“ Jedweden Grafen und jeden Baron
War’ er zu uns hereingeschneit In Regiment und Bataillon
Vom „ersten ’Ment der Christenheit“,*) Und, wo sie besonders dicht gesä’t,
Er konnte auch nicht feiner sein. Das war so seine Spezialität;
Schon in der Frühe' war er fein Ja, wenn er sein Lebtag sie nicht erblickt’,
Durch ihr blosses Vorhandensein ward er erquickt.
Hingegen waren sein steter Kummer
Die Regimenter der hohen Nummer.
Es machten vor allem die technischen Waffen
Dem Canis finis erheblich zu schaffen
Und ungern beehrt’ er mit flüchtigem Gruss
Die Herr’n Kameraden der Bombe zu Fuss.

Und'pflegte jeden zu begrüssen ((


Mit schnarrendem: „Leje mich Ihnen zu Fussen.
Dann trank er, jeder Zoll ein Ritter,
Den unvermeidlichen Magenbitter
Mit gespreiztem Finger der linken Hand,
Das fand er höllisch elegant.
Dabei erglänzte am Siegelring Er verkehrte nur in den höchsten Kreisen
Ein gewaltiges Wappen, ein schnurriges Ding. Und um dies auf’s Schlagendste zu beweisen,
Es war allerdings nicht recht erkenntlich So brachte er häufig die Wendung vor:
Und dem Heraldiker unverständlich, „Mein Freund, der Herzog von Ratibor,
Doch ob ein Rhinoceros oder ’ne Lilie, Ein höchst anständiger, vornehmer Mann,
Es bewies jedenfalls die feine Familie. Wir waren zusammen dann und dann.“
Und so verhielt es sich in der That, Natürlich könnt’ er bei jedem Rennen
Denn Canis finis war Aristokrat Von vornherein den Gewinner nennen.
Er vermochte nur in der Gressstadt zu leben,
*) Erstes Garde-Regiment im Jargon. (In den kleinen Nestern verkümmert man eben)

i35
1896
Nr. Ö JUGEND
Hier vertünchte er seine geistige Wirrniss So fand er denn plötzlich mit innerem .Grimm
Mit einem literarischen Firniss, Im Wochenblatt seine Versetzung nach Schrimm
Er hielt auf standesgemässe Lektüre; — Oder war es ein anderer Punkt im Osten
Damit dies aber auch Jeder erführe, Mit höchst beträchtlichen Reisekosten? —
Lag auf seinem Schreibtisch in Permanenz Aus einem „bevorzugten Regiment“
Wolzogens „Kinder der Excellenz.“ Nach einem Nest, wo man Niemand kennt,
Ja, die Noblesse, die war sein Feld, Fern von Theater, Kunst und Sport
Nur hatte er leider nicht viel Geld An einen stillen, sichern Ort.
Und seine Feinheit wirkte im Ganzen Doch tröstet ihn ein Umstand sehr, —
Nicht allzugünstig auf seine Finanzen. Dort ist kein Mensch so fein wie er.

Cantate. Original y«n Alexander Frenz (Düsseldorf).

i)6
1896 JUGEND Nr. 9
Doch illegitimen Küssen
Leuchtest du, mein Zigarrettchen —
Wenn zu zwei’n wir rauchen müssen,
Rollt sich doppelt gern dein Blättchen.
EMIL RECHERT.

Heil ihm!
Er weiss sich in die Welt zu finden,
Heil ihm! er stösst bei Keinem an;
Ob sie ihn plagen, drücken, schinden,
Er weiss sich lächelnd durchzuwinden —
(Mit einem Wort: ein Kautschukmann).
Voll Achtung blickt er stets nach oben,
Heil ihm! er steht sich gut dabei;
Wenn ihn die Vorgesetzten loben,
Fühlt er sich wunderbar gehoben —
(Kurz, er treibt Speichelleckerei).
Und wenn sie einstens ihn begraben,
Heil ihm! dann thut die Zeitung kund:
„Er war ein Mann von reichen Gaben,
Und denen, die gekannt ihn haben . ..“
(Galt er von je als Lumpenhund).
MEPHISTO.

Der Bürgermeister spricht:


Majestät! Dies ist ein historischer Ort,
Wo edle Seelen sich ducken:
Ihr grosser Vorfahr geruhte dort
Historisch auszuspucken!

Woll’n Majestät in Gnaden geruh’n,


— Ich sage das nicht, um zu schmeicheln —
Zur Freude des Volks dasselbe zu thun,
Allerhöchst sich auszuspeicheln:

So gewänne der Platz an historischem


Aus dem gold’nen Lammt des weichen Werth . . .
„Sultan flor“ von zarter Glätte Wir würden uns glücklich schätzen . . .
Dreh ich meinen düftereichen Und hier dem Herrscher allverehrt
Freund, die feine Zigarrette. Uns’re Kinder ein Denkmal setzen!
WIEN. CARL MEISSNER.
Ja, mein Freund vor allen andern
Bist du’s, schlanker Lotusstengel,
Derdem Geiste lehrt das Wandern
In die Welten sonder Mängel.
Leicht bist du und göttlich luftig,
Geistreich sprüh’nde Zigarrette;
Seiden ist dein Kleid und duftig,
Bist der Tabakswelt Soubrette.

Aus der Pfeife krausem Knaster


Mögen Philosophen saugen;
Doch du, leichtbeschwingtes Laster,
Wirst dem frohen Weltkind taugen.

Die Zigarre glimmt verschwiegnen,


Ernsten Männern des Verstandes,
Kaufherrn und den ganz gediegnen
Vätern unsres Vaterlandes.

1J7
Nr. 9 . JUGEND 1896

Eintagsglück.
Weisst Du es noch, wie immer wilder dann
Weisst Du es noch, wie einst am frühen Tag Verschwieg’nes Glück zu hellem Jubel
Ich Dir zuerst in grüner Waldespracht schwoll?
Den Pfad gekreuzt? — Stark wie ein Kaum war ich frei aus Deiner Nähe Bann,
Zauberschlag, So schlug mein Herz schon bang und
Und doch so mild, hat Deiner Augen Macht unruhvoll
Mein junges Herz an Deine Huld gebannt Nach Deinem nächsten Kuss. Dein Auge
Mit Deinem ersten Gruss. Auch Du trank
Hast mir Dein liebes Haupt nicht abgewandt Aus meinen Blicken Sinn und Seele mir;
Und leuchtend flog’s von Herz dem Von Dir verlassen, war mein Denken krank,
Herzen zu. Genesung war und Leben nur bei Dir!
Da ging ein Flüstern durch den Buchenhain, Das war ein Schenken, das sich selbst
Es wob in gold’nem Netz Frau Minne ein vergass,
Uns tief im Wald, der lauten Welt ver- Ein Nehmen war es ohne Reu’ und Mass,
borgen — Wenn ich entrückt in Deinen Armen lag —

Da war es Morgen! Da war’s Mittag!

Dccorative Umrahmung von O. Eckmann.

138
1896 JUGEND Nr. 9

Wir liebten noch, die Herzen brannten fort, Die Monde rollten träge ihren Lauf,
Doch nicht so wild und nicht so ziellos mehr Es war vorbei und keine Hoffnung blieb.
Und hin und wieder fiel ein trübes Wort: Mir nicht zu Liebe ging die Sonne auf,-
„Wohin, wohin?“ Das klang so unheil- Doch wenn sie niedersank, so war mir’s lieb.
schwer. Dann kam der Tag, wo ich Dich wiedersah
Wir fühlten’s Beide, dass das Ende kam — Im weissen Kleid, den Brautkranz auf dem
Es musste sein, sonst starben wir daran! ' Haupt —
O böse Stunde, da ich Abschied nahm — Wie zuckte da mein Herz auf, Dir so nah,
Wie klammerte an Dich mein Herz sich an! Als hätt es immer noch an Glück geglaubt!
Wir hatten’s doch so ehrlich treu gemeint! Wie schwer vom Weine, war mein Sinn
Ich fiel auf’s Kniee, da hat ein Mann verwirrt,
geweint, Durch fremde Gassen bin ich umgeirrt
Sein Angesicht in Dein Gewand ver- Und hab’ die Stunden fieberheiss durch-
grabend — wacht —
Da ward es Abend. Da war es Nacht!
F. V. OSTINI.

Decorative Umrahmung von O. Hckmann.

139
(PH Sch\i _ Original von E. Lugo (München).
Das Märchen vo" anenjungfern.
Nr. 9 JUGEND 1896

Kleine Münze. Anrollt’ im Sonnengoldgespann


Nur Derjenige steht in der Reife des Lebens, Der Frühling, freudetrunken;
der gelernt hat, über das zu lächeln, was er ehemals Da bin ich, ein glücksel’ger Mann,
beweinte. p.bl. Vor ihm auf’s Knie gesunken.
Früher verlor man manchmal vor lauter Liebe Der Wundenzier auf meiner Brust
den Verstand, heute dagegen verliert man vor lauter Hat er gelächelt siegbewusst:
Verstand noch die Liebe. p. bl. Inmitten voller Garben
Muss jedes Weh vernarben!
Schon lockert’s unter meinem Tritt,
Das Schneekleid reisst in Fetzen;
Das Epigramm Was lang mir in die Seele schnitt,
(spricht) Soll keine Wimper netzen!
Ich zeigte meine Spitzen, Kein Rückwärtsschauen kenn’ ich mehr,
Das Nilpferd lachte laut —: Das neue Frühroth purpurschwer
Die feinen Pfeile ritzen
Nur eine feine Haut! r. oe. — Kommt’s morgen mich zu grüssen —
Sieht einen Mann zu Füssen.
Du sollst! So krächzt die Despotie
Der Staats- und Glaubenstollen. Die neue Herzenskönigin
Du sollst? Nein — sollen sollst Du nie, Winkt mir aus Nebeldüften;
Doch selber wuchtig wollen. o. e h. Es gleisst ihr schnee’ger Hermelin
Das Edelmetall — wie gemein macht es doch Weitflatternd in den Lüften.
den Menschen! j. m-z. Du Alpenwelt, titanengross,
Ich flüchte mich in deinen Schooss!
Ein Esel nennt den andern nicht Langohr, Hell schmettern Lenzfanfaren:
wohl aber Schafskopf. j. m-z. Lass’ fahren! — Lass’ fahren!
Mit Gold kann man nicht Alles kaufen — ALFRED BEETSCHEN.
ohne Gold erst recht nicht. r. w.
7k
Nicht was die Welt besass, hat sie beglückt,
Nach Unerreichtem muss sie ewig streben —:
Was immer wieder uns’rer Hand entrückt — Doppelsinnig.
Das Ideal streut Rosen uns in’s Leben! m. kr.
A: „Warum hast Du gestern an unserem Stammtisch
In engen Schranken wandelt stets die Sorge, gefehlt?“
Ein Glücklicher allein umarmt das All. m. kr. B: „Ich konnte nicht kommen, meine Frau hatte
Geburtsta g.“ —
7& A: „So? — Hast Du ihr etwas geschenkt?“
B: „Im Gegentheil! Sie hat mir einen gesunden,
kräftigen Buben geschenkt!“ —
Bundesgesellen.
7k
Ich habe den Stürmen zugeschrie’n:
„Kommt her, ihr wilden Gesellen,
Und lasst eure donnernden Melodie’n Zur Volkstrachtenkunde.
Durch meine Seele schwellen!“ Tourist: „Welche Tracht ist bei Euch da herum
die beliebteste?“
Da sausten die Stürme zu mir heran Holz kn echt: „A Tracht Prügel, gnä’ Herr!“ br.
Wild fegend über’s Gelände,
Und sah’n mich mit flackernden Augen an 7k
Und gaben mir heulend die Hände.
Und da kam in mich eine wilde Kraft, Risiko.
Ein Sausen und Brausen und Schwellen. Aron: „So Levy, nun mach’ Dich fein, und dann
Glückauf, meine donnernde Brüderschaft, werd’ ich Dich zur Braut führen, — vorher aber
nimm noch ein Bad.“ •
Glückauf, meine Bundesgesellen! Levy (erstaunt): „Ein Bad!?“
KARL VANSELOW. Aron: „Es ist besser, — nimm ein Bad.“
Levy: „Ein Bad? — Und wenn aus der Partie
nichts wird?“ b.
7&
Lass’ fahren!
Dein Brieflein kam zur rechten Zeit Der Einfluss der Politik
Mit weisem Rath „lass fahren!“
Was sollt’ mir all’ das Herzeleid auf das Wetter
In meinen jungen Jahren? hat sich in jüngster Zeit einmal ganz eklatant ge-
Nun hat die Liebe freien Pass; zeigt. Bis zum 15. Februar war es klar und sonnig
Was quälend mir im Herzen sass, und der Himmel strahlte im schönsten Blau. Da
Blieb unterwegs wo hangen hielt Bebel seine Rede zum Militäretat — und
Und ist verträumt, — vergangen! Gez. v. O. Eckmann. das Blaue war vom Himmel herunter.
142
Nr. 9
1896

In der oben nachgebildeten Skizze'haben Die beiden Figuren zu Füssen der „mass-
Der wir es mit einem Originalentwurf des gebenden Nanni“ in der Mittelgruppe sind
zwei Münchener Lokalgrössen, Frau Marie
Herrn Finanzministers selbst zu thun. Für
neue Hofbräuhausbrunnen die Ausführung des Modells wird unter Wurzl und Herr Nudlmaier. Die Tritonen
im oberen Brunnenbecken sind Söhne der
deutschen Bildhauern eine Concurrenz aus-
in München. geschrieben, wobei ein kgl. Professor dann
Münchener Alma mater, unten sehen wir
den Preis und die Ausführung des Modells auf originell geformten Postamenten ein
München, 18. Februar. „Radiweib“ und einen „Colporteur“ — alle
zugesprochen bekommt. diese Typen werden porträtähnlich aus-
Kein Opfer scheuend, wenn es gilt,
unseren verehrten Lesern und Abonnenten Die Bedeutung der einzelnen Figuren geführt. Auch eine satirisch gemeinte Fi-
eine angenehme Ueberraschung zu be- ist so klar, dass es einer näheren Be- gur hinter der Mittelgruppe (auf unserm
reiten, haben wir uns erfolgreich bemüht, schreibung eigentlich gar nicht bedarf. Bilde nicht sichtbar) wird den Brunnen
eine eminente Kraft für uns zu gewinnen: zieren: Die Gestalt eines bierkostenden
den Special-Dokumenten-Finder des Ber- Reichsrathes, der das köstliche Nass mit
liner „Vorwärts“. sauerer Miene schlürft und offenbar nichts
Gleich beim ersten Besuch des Herrn „vom Bier“ versteht.
in unserer Redaktion hatten wir Gelegen- Der Brunnen wird für gewöhnlich mit
heit, uns von der erstaunlichen Kunst Wasserleitungswasser gespeist, zu beson-
dieses „Meisters in seinem Fache“ zu über- deren Zeiten aber, bei starkem Fallen der
zeugen. Obwohl er anscheinend ruhig und Gerste- und Hopfenpreise, zur Zeit der
ungezwungen uns gegenüber auf einem Bierdebatten in der Kammer u. s. w. wird
Stuhle Platz genommen hatte und harm- besseres Staubwasser aus den Röhren des
los zu plaudern schien, fehlte bei seinem Brunnens sprühen, wird ein Druckrohr-
Weggange doch eine nagelneue Papier- strang aus dem neuen Hofbräuhause am
scheere, eine Taschenuhr, ein hübscher rechten Isarufer herab den Brunnen mit
Korkzieher und ein Betrag von elf Mark edlerem Nass versehen — ein sinn-
aus unserer Frühstückskasse. iger und zeitgemässer Appell an das
Am nächsten Morgen „jondelte er Volk, das so Gelegenheit findet, selbst
los“, wie ersieh in seinem originellen zu prüfen und sich sein Urtheil über
Berliner Dialekt ausdrückte, und wir das Bier nicht erst durch die Vor-
hatten bis Mittag aus dem geheimenDo- urtheile seiner Vertreter trüben zu
kumentenschrank des Finanzministe- lassen.
riums nebst einigen wichtigen Schrift- In diesem Monumentalwerk be-
stücken eine Skizze in Händen, die weist das bayerische Finanzministe-
wir oben verkleinert reproduciren. rium seinen Kunstsinn wie seine No-
Es handelt sich um ein generöses Pro- blesse gleich glänzend. Der Künstler, der
jekt des bayer. Finanzministers, um den nach erfolgtem Wettbewerbe die Ausführ-
neuen Hofbräuhausbrunnen, den er ung des Brunnens erhalten wird, soll sich
aus Heberschüssen der königlichen Bier- übrigens dahin geäussert haben, er werde
bereitungsanstalt zum Wohle und zur Zier die Züge seiner Excellenz des Herrn Finanz-
unserer Stadt errichten will. Der Platz, auf ministers selbst in einer der Brunnenfiguren
dem das Denkmal errichtet wird, ist noch verewigen.
nicht bestimmt. Wahrscheinlich wird der Unser Special-Dokumenten-Finder wird
Maximiliansplatz als Standort ausersehen, mit Nächstem weitere Jagdzüge unter-
an dessen westlichem Ende sich bereits der nehmen und wir hoffen, unseren Lesern
bekannte „Wittelsbacher-Brunnen“ in ähn- noch sehr interessante Heberraschungen
lichem Aufbau erhebt. durch ihn bereiten zu können.

t43
Nr. 9 1896

Die Waffen nieder!


In der Zeitschrift „Der Amateur-Poli-
tiker“ veröffentlicht Frau Hertha v. Büttner
einen geharnischten Artikel, der das
schnöde Misstrauen zurückweist, mit der
man ihre aus bester Quelle stammende
Mittheilung vom Erhängen eines greisen
Priesters durch die Deutschen im letzten
Kriege aufnahm. „Was bedeutet das Zeug-
niss eines aktiven Kriegsministers“, ruft
die Friedensdame aus, „neben den Versich-
erungen meines Gewährsmannes, dessen
Wahrheitsliebe durch Rücksicht auf die
Oeffentlichkeit in keiner Weise getrübt ist!
Uebrigens habe ich noch andere Pfeile zu
versenden und weil sich die Deutschen mit
lächerlicher Zähigkeit an die Anonymität
meines Gewährsmannes klammern, will ich
das Zeugniss eines Mannes zu Hilfe rufen,
der die Nennung seines Namens nicht scheut
und gleich berühmt ist, als Staatsmann, wie
als Dichter. Er schreibt mir:
Theure Frau!
Die Deutschen leugnen es, dass im
letzten Kriege ein greiser Priester von
ihnen aufgehängt worden sei, wegen einiger
kleiner Meuchelmorde. Ja — ein Priester
ist nicht aufgehängt worden, in Schaaren
hat man sie strangulirt. Die ganze Allee, ,Her mit dem Pfaffenschnitzel, da- versichert sein, dass er auch in diesem
welche in der Länge von 70 Kilometern rauf habe ich mich abonnirt!“ Fall, wenn es sich als wahr herausstelle,
von Strassburg über Bordeaux nach Paris Also das, was so knusprig braun auf der rohen Verletzung religiösen Gefühls
führt, war garnirt mit greisen Abbees, die der Schüssel lag, waren die Ueberreste mit aller Energie entgegentreten werde. —
die Deutschen unter nichtigen Vorwänden eines gebratenen Priesters! Sodann ergreift der Abgeordnete Hohl-
an die Pappeln gehängt hatten. Das ist Seit ich diese Gräuel gesehen, habe ich schädler (Centrum) das Wort, um an
aber einer der kleinsten Gräuel, welche alles Wohlwollen gegen diese teutonische den Minister, dem er im Uebrigen sein
diese Barbaren begangen haben — Ihnen Rasse verloren. In mir lebt nur eine Hoff- Lob wegen gesitteten und fügsamen Be-
gegenüber, gnädige Frau, kann ich mich ja nung: dass Ihre Friedensbestrebungen tragens nicht vorenthalten will, folgende
wohl so ausdrücken. Schlimmeres, viel von Erfolg gekrönt werden. Dann kriegen Anfrage zu richten: ob der nachstehende
Schlimmeres ist geschehen. Glauben Sie wir Metz und Strassburg wieder und dann Fall religiösen Hausfriedensbruches zu
nicht, dass ich diesen Passus meines Briefes — zur Revanche! (Mit einem Mitglied Ohren der Regierung gelangt sei? Die
mit rotherTinte schreibe: meine grüne Aliza- der Friedensliga kann ich ja offen reden.) als wahrhaft fromm bekannten Bauersleute
rintinte ist einfach erröthet über die Schand- Veröffentlichen Sie diese Scheusslich- Dümpflinger in Finstermoching hatten in
taten, die ich melden muss! Hören Sie! keit in Ihren Organen, stellen Sie die Greuel bedauerlichem Versehen ein protestant-
Die deutsche Armee hat in erschrecken- des Krieges gebührend an den Pranger! isches Mädchen in Dienst genommen. Die
der Weise während des Feldzuges Kanni- Mit den Ausdrücken vollkommener junge Ketzerin, mit der Oster-Reinigung
bal ismus getrieben. Ich war selbst Augen- Hochachtung ihr ergebener des Hauses betraut, habe an sämmtlichen
und Ohrenzeuge eines der scheusslichsten Paul Deroulöde. Thüren das am 6. Januar pietätvoll er-
Anthropophagendiners, die je gehalten neuerte f C f M f B f schonungslos ab-
wurden. Paris, Faschingsdienstag 1896.“ gewaschen. Natürlich sei sie sofort unter
Verkleidet, spionirte ich damals im Vorenthalt ihres Lohnes aus dem Haus
deutschen Hauptquartier. Ich hatte mein ——
gewiesen worden, aber an das Ministerium
Ehrenwort gegeben, nichts zu sein, als trete doch die ernste Frage heran, wie
ein einfacher Bürgersmann und die dum- fernerhin ähnlichen Vorkommnissen prin-
men Deutschen glaubten mir und ich Stad, Stad, dass ’s uns net zipiell vorzubeugen sei? Der Minister er-
konnte ungehindert die wichtigsten mili- draht.*) widerte umgehend: Ihm sei zwar von dem
tärischen Geheimnisse belauschen. Eines Fall noch nichts zu Ohren gekommen,
(Original-Kammerbericht der „Jugend“.)
Tages sassen sie bei Tische und ich speiste auch lebe er der Hoffnung, dass es sich
im gleichen Lokal. An der Spitze der Nach Erledigung einiger nebensäch- hier nicht sowohl um einen Akt confessio-
Tafel thronte der berüchtigte General Staff, licher Posten des Kultus-Etat ergreift Ab- neller Gehässigkeit, als vielmehr völliger
widerlich schmatzend, riesige Mengen von geordneter Schwatzinger (Bauernbund) Ignoranz handle. Letzterer entgegen zu
Rothwein vertilgend, in den er Petroleum das Wort zu folgender Anfrage an den treten, erkenne er, als seine heilige Pflicht
und Terpentinöl goss, um ihn seinem Minister Sanftmann: Ob es richtig sei, und werde demgemäss an das protestant-
teutonischen Gaumen noch schmackhafter dass in Salzburg ein Student bei einer ische Consistorium verfügen, dass das-
zu machen. (Mit Ihnen kann ich ja offen Weihnachtsfeier einen marinirten Häring selbe im Religionsunterricht die Kinder
reden, theure Frau!) Die Horde dieser am Christbaum aufgehängt habe? Der mit den Grundlagen des katholischen Be-
gierig fressenden Deutschen gewährte einen Minister erklärt, ihm sei die Sache voll- kenntnisses, zu denen der in Betracht
unsagbar ekelhaften Anblick. Keiner be- ständig unbekannt; er wäre für nähere kommende fromme Brauch unleugbar ge-
diente sich einer Gabel oder eines Löffels, Mittheilung dankbar, um dem Thatbestand höre, näher vertraut mache. Im Uebrigen
alle fuhren sie mit den Händen bis zum nachgehen zu können und event. die Re- hoffe er, dass das Centrum sein stets be-
Ellbogen in die Schüssel und jeder raffte legation des betr. Studenten zu bewirken. reites Entgegenkommen anerkenne und
an sich, was er erwischen konnte. Die Herren vom Centrum würden ihm würdige.
Und wissen Sie, was diese Menschen (dem Minister) zugeben müssen, dass er Noch mehr Sensation erregte ein Vor-
assen? bisher stets mit voller Unparteilichkeit kommniss,dessen nun Abgeordneter L. U tz
Mein Ehrenwort, ich spreche die Wahr- alles vermieden habe, was ihnen irgendwie (Bauernbund) Erwähnung thun zu sollen
heit! unangenehm und folglich für Thron und glaubte. Im vorigen Oktober, bei Gelegen-
Sie assen Menschen fleisch. Ich Altar gefährlich sein könne; man dürfte heit des Trachtenfestes, habe eine Kellnerin
kannte die deutsche Sprache gut genug, sich in einem der grössten Cafes von Ver-
um ihre Unterhaltung zu verstehen! Und ’) „Sachte, Sachte, damit uns kein Unglück passirt.“ schrobenhausen zu folgender, laut und ver-
Anfang eines bekannten bayerischen Volksliedes, das nament-
ganz deutlich hörte ich, wie ein dicker lich im wunderschönen Monat Mai, der Münchener Bock- nehmlich gethaner Aeusserung hinreissen
Major ausrief: saison, gesungen w ird. (Anmerk, für nichtbayerische Leser.) lassen: „So Bauern, so g’scheerte! Wenn’s

144
1896 JUGEND Nr. 9
Monroe-Doctrin, ein fabelhaftes Dings,
’ne Missgeburt Amerikas, Miss Sphinx,
Ist nicht so schlimm, wie die vor Theben war:
Sie lässt sich frei’n und geht zum Traualtar,
Bringt viel Millionen ihrem Ehemann,
Kommt gern als Fürstin in Europa an.
So mischt sich stets, zu Onkel Sams Verdruss,
Ein in Amerika Fürst Oedipus. —

Zeichnung von Arthur Hirtk.

2 Pfennig Trinkgeld geben, meinen’s, sie glänzenden Expektoration machte. Von einer in sichtlicher Ergriffenheit dem Vorredner
hätten noch aufdraht!“*) Wie gedenke sich hiesigen Sängertruppe werde allabendlich für das ihm so freundlich ausgesprochene
her Minister zu einer solchen, den ganzen unter dem johlenden Beifall det Menge, die Vertrauen ,und führt dann des Weiteren
Bauernstand herabsetzenden Redeweise zu natürlich grösstentheils aus Norddeutschen aus, er werde der Sache mit aller Energie
verhalten? — Der Minister: „Der geehrte bestehe, ein Lied vorgetragen mit den An- und persönlich nachgehen, indem er selbst
Herr Vorredner möge mir die Bemerkung fangszeilen: an einem der nächsten Abende den Pro-
verzeihen, dass die von ihm beregte An- „Schön ist’s, mit dem Umgang geh’n!“ duktionen der betreffenden Komikergesell-
gelegenheit eigentlich ausserhalb meines Die X weiteren Strophen auch nur anzu- schaft beizuwohnen gedenke. Bestätige
Bessorts fällt. Doch werde ich mich mit deuten, verbiete ihm Religiosität und Sitt- sich ihm hierbei die nur allzu wahrschein-
rneinem Collegen, dem Justizminister, und lichkeit. Das Eine werde allen Anwesenden lich klingende Mittheilung des Herrn Ab-
PJ* dem Herrn Polizeipräsidenten dahin klar sein, dass es sich da um nichts Anderes geordneten, so werde er vor den schärfsten
ln s Benehmen setzen, dass, wenn irgend handle, als um eine schamlose Verhöhnung Maassregeln nicht zurückscheuen, um so
Möglich, die Schliessung dieses so ausge- der Prozessionen, die schon im vorigen weniger, als auch das Polizeipräsidium auf
sprochen agrarierfeindlichen Cafes verfügt Jahr durch den ketzerischen Blick eines die Singspielhallen, diese gefährlichsten
jverde. Ich persönlich finde es schon takt- akatholischen Amtsrichters entweiht wor- Concurrenten unsres Hoftheaters, ein wach-
*0sj ja unpassend, in solchem Zusammen- den sei, der vom Fenster aus der Fronleich- sames und zum Einschreiten längst be-
hang einen Landmann ,Bauer1 zu nennen.“ namsprozession zuschaute! (Lebhafte Be- reites Auge geworfen habe. Jedenfalls
„ Die tiefste Entrüstung aller noch eine wegung bei allen Anwesenden.) — Er hoffe er (der Minister) auch in diesem
opnr von Religion im Leibe tragenden Aus- (Deggendorfer) richte an den Minister, Falle sich die Anerkennung und das Ver-
schussmitglieder rief nun aber eine That- dem er im klebrigen sein Lob wegen ge- trauen des Centrums voll und ganz ver-
?®che hervor, die Herr Dr. Deggendorfer sitteten und fügsamen Betragens nicht völlig dienen zu können. — Abg. Hohlschädler
\Otr.) zum Ausgangspunkt einer oratorisch vorenthalten will, die Anfrage, wie dieRegier- brachte mit einigen Worten ermuthigender
j 1 tOies letztere Wort tvürdc in unser geliebtes Hoclt-
ung diese fortgesetzten Angriffe auf die hei- Billigung für Minister Sanftmann diese
v>. t5ch übertragen etwa lauten: ,,exzeptionell generense ligsten Güter unserer Nation abzuwehren so inhaltsreiche Sitzung zu einem würdigen
k°usen riskirt.“ (A. f. n. b. L.) gedenke? — Der Minister dankt zunächst und harmonischen Abschluss.

145
Nr. 9 JUGEND 1896

Landsknecht.
Dichtung von CARL SIEBEL.
n Du. Hans Sommer.
COMP. VON

Mit kräftigem Ausdruck.

~-
Was nützet mir mein bischen
Nicht rasch.

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1896
JUGEND Nr. 9

ritcn. a tempo

147
Inseraten-Annahme Insertions-Gebühren
durch alleAnnoncen-Expeditionen
sowie durch
G. Hirth’s Verlag in München
und Leipzig. JUGEND“
Die JUGEND erscheint allwöchentlich einmal. Bestellungen werden von allen Buch- und Kunsthandlungen, sowie von allen Post-
' für die
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ämtern und Zeitungs-Expeditionen entgegengenommen. Preis des Quartals (13 Nummern) bei den Postämtern in Deutschland M. 3.—,
Belgien 3 Eres. 61 cts., Dänemark 2 Kronen 69 Oere, Holland 1 fl. 95 ct., Italien 3 Pres. 88 cts., Oesterreich-Ungarn 1 fl. 90 kr.,
Rumänien 4 Pres. 20 cts., Schweden und Norwegen 2 Kronen 71 Oere, Schweiz 3 Pres. 65 cts., der einzelnen Nummer 30 Pf.

Neue Preisausschreiben der „Jugend“.


Die Redaktion der Illustrierten Wochenschrift Wettbewerb VI betrifft Zeichnungen, welche letzen, sich in ihrer Tendenz in dem durch die
„Jugend“ erlässt fünf neue Preisausschreiben. folgende antike Themen nach Wahl des Künst- bisher erschienenen Nummern der „Jugend“ fest-
Diese umfassen: lers in humorvoll parodirender Weise oder gesetzten Rahmen halten und müssen natürlich
V. Entwürfe für Einbanddecken der Zeit- auch ernsthaft in moderner, neuartiger Auf- Originale sein. Leserliche Schrift, Beschreiben
schrift „Jugend“.
fassung behandeln sollen: „Oedipus und die des Papieres nur auf einer Seite, Bedingung.
Sphinx“, „Die^Pythia zu Delphi, Orakel spen- Einlieferungstermin 20. März. I. Preis
VI. Parodistische Zeichnungen. dend“, „Orpheus und die Thiere“. Grösse 200 Mk. II. Preis 150 Mk. Zwei Preise
VII. Amateurphotographien. der Zeichnung nicht über das Doppelte des ä 100 Mk. (Weitere Entwürfe werden unter
VIII. Novelletten, Satiren, Plaudereien. Formats der „Jugend“; kräftige, scliwarzweisse Umständen um ein Honorar von 50—80 Mark
IX. Einen „Jugend“-Walzer, Originalkom-
Ausführung (bei farbig gedachten Arbeiten mit angekauft. Von den prämiirten Arbeiten
Beigabe einer flüchtigen Farbenskizze), Beding- erhält die kürzeste ausserdem noch eine be-
position. ung. Einlieferungstermin 20. März. I. Preis sondere Prämie von 30 Mark.)
Wettbewerb V. Für jeden Halbjahresband '150 Mk. II. Preis 100 Mk. III. Preis 50 Mk. Wettbewerb IX. Ein „Jugend-Walzer“:
der „Jugend“ soll eine neue Einbanddecke Wettbewerb VII. Amateurphotographien eine frische, flotte, noch in keiner Form ver-
angefertigt werden, welche zu massigem Preise irgend welcher Art — selbstverständlich nur öffentlichte, oder zu Gehör gebrachte Original-
erhältlich sein wird. Die Entwürfe hiezu sollen Naturaufnahmen. Grösse nicht unter Gabinet- komposition, für Clavier, zweihändig arrangirt,
im Format nicht die doppelte Grösse der Zeit- format. Die Photographien müssen auf Carton in deutlicher Notenschrift einzureichen. Keine
schrift übertreffen und in einer mit der Feder gut aufgezogen sein. Arbeiten, die sonst schon lange Introduktion, Hauptsache: Jugendlicher
oder Kreide scharf ausgeführten Zeichnung publizirt sind, bitten wir nicht einzusenden. Schwung! (Die Jury wird aus flotten Tänzern
Schwarz auf VVeiss, sowie einer Farbenskizze Rücksendung der eingeschickten Arbeiten er- und Tänzerinnen bestehen.) Einlieferungs-
eingereicht werden. Kräftige, schöne, dekora- folgt nicht. Die prämiirten oder von uns er- termin 8. April. I. Preis 150 Mk. II. Preis
tive Wirkung, leichte Ausführbarkeit und ge- worbenen Aufnahmen dürfen anderweitig nicht 100 Mk. III. Preis 80 Mk.
schmackvolle Einfachheit sollen die hervor- wieder verwendet werden. Einlieferu ngstermin Die Concurrenzarbeiten für alle Wettbewerbe
ragendsten Eigenschaften der Entwürfe sein. 20. März 1896. Preise: I. Preis 50 Mk. sind ohne Namen, mit Motto’s versehen, ein-
Das Ganze muss in Leinwand- oder Leder- II. Preis 30 Mk. III. Preis 20 Mk. Even- zureichen. Verschlossene, aussen gleichfalls mit
pressung billig hergestellt werden können. Der tuell werden weitere Aufnahmen ä 20 Mk. an- Motto’s versehene Couverts enthalten die Namen
Rücken des Bandes und die Rückseite des Um- gekauft. und Adressen.
schlages sind in der Zeichnung ebenfalls zu be- Wettbewerb VIII. Kurze Prosabeiträge Alle preisgekrönten oder erworbenen Ar-
rücksichtigen. Entwürfe in alterthümlichen Stil- für die „Jugend“, nicht über 300 Druckzeilen beiten gehen in unbeschränkten Besitz der
arten sind bei der Zuerkennung der Preise aus- (zu je 9 Worten) lang: Novelletten, Märchen, Redaktion der „Jugend“ über.
geschlossen. Einlieferungstermin 8. April Plaudereien über allgemein interessante The- Die Zahl der Preise wird bei starker Be-
1896. I. Preis 150 Mk. II. Preis 100 Mk. men, Satiren und Aehnliches. Die Arbeiten theiligung und Einsendung vieler werthvoller
III. Preis 80 Mk. Eventuell werden noch wei- sollen ohne Prüderie, flott, frisch und originell Arbeiten wie bei unserm ersten Wettbewerb
tere Entwürfe ä 50 Mk. angekauft. geschrieben sein, aber den Anstand nicht ver- entsprechend erhöht.

Briefkasten. JULIUS BÖHLER


E. A. S. Schwarze Brillen. „Jugend.“ Im Anzeigentheil finden
6 Sofienstr. München Soflenstr. 6
wir eine Ankündigung der „Jugend“, Münchener illustrierte Wochenschrift vis-ä-vis des Glaspalast-Einganges.
für Kunst und Leben. Da der Text der Ankündigung keinen Anlass zu Hof-Antiquar Sr. Majestät des Kaisers und Königs.
Bedenken bot, ist dieselbe anstandslos aufgenommen worden. Um so An- und Verkauf wertlivoller Antiquitäten und
mehr Bedenken dagegen erregt die Wochenschrift selbst. Nach Durch- alter Bilder.
sicht einiger Nummern können wir vor diesem ,,modernen“ Geistes-
erzeugniss nur warnen.“ „Kölnische Volkszeitung.“
Vorstehenden Artikel sendet uns ein Kölner Freund mit folgenden
Versen:
Das heilige Köllen birgt manchen Schatz,
Für Wissen und Kunst von Bedeutung;
Auch gibt’s eine brave Zeitung dort
Mit ultramontaner Leitung.
Und diese Leitung kämpft schwarzbebrillt
Für Ehrbarkeit und Tugend,
Sie warnt daher alle frommen Leut'
Vor der modernen „Jugend“.
Denn was modern und jung zugleich,
Ist diesen Männern ein Grauen;
Sie glauben, es müsse ein jeder sich
An Weihrauch und Griesgram erbauen.
Was schadet’s, dass sich zu gleicher Zeit
Im Inseratentheile
Ein Stücklein findet, das widerstand
Der redaktionellen Feile. Uebernahme von

Ein Inserätchen nimmt man gern, Alte Kupferstiche. Kunstauetionen


jeder Art, ganzer Sammlungen sowohl
Kommt’s auch von verlorenen Seelen. Kataloge gratis und franco durch wie einzelner guter Stücke.
Man kann ja im sonstigen Texte noch Hugo Helbing. Hugo Helbing, München, Chrlstophstr. 2.
Vom Frühjahr ab eigene,
Genugsam klerikrakehlen. S. neuerbaute Oberlichträume.

Herausgeber: Dr. GEORG HIRTHj verantwortlicher Redakteur; F. von OST1XI; verantwortlich für den Inscratentheil: G. EICHMANN, G. HIRTH’s Kunstverlag; sämmtlich in München
Druck von KNORR & HIRTH, Ges. m. beschr. Haftung in München.
1896 -7. März • JUGEND • I. Jahrgang - Nr. io

Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben. — G. Hirth’s Verlag in München & Leipzig.
Nr. 10 JUGEND 1896

lenden Kissen. Für den Demant allein, der auf ihrem


Pantoffel glänzte, konnte man halb Asien kaufen. Träu-
mend lag sie in ihren Gemächern, die Ambraduft ent-
strömten oder Sklavinnen trugen sie in goldenen Sänften
dahin und fächelten sie mit grossen Palmwedeln. Doch
am liebsten lustwandelte sie in ihren Gärten.
Smaragdfarbene Bäche schlängelten sich zwischen
Ihr Vater war der reichste König, ganz Indien bunten Blüthenbüschen hin. Umflammt von der Sonne,
gehörte ihm vom Himalaya bis zum Ganges, von schien Alles hier zu brennen. Die Farben waren
China bis nach Persien. Ein Himmel wie aus tausend wie Feuer. Springbrunnen plätscherten, Milliarden
Sonnen wölbte sich darüber hin, und himmlisch schön goldener Wasserperlen zerstoben in funkelnden Staub.
war auch die Erde in ihrer Unerschöpflichkeit. Ur- Und die süssen Duftwolken, die gen Himmel stiegen!
wälder von Riesenkakteen blühten da und Palmen, Es war traumhaft schön, ganz zauberhaft. Paradies-
ein jedes Blatt wie eine Ruhematte, mit zentner- vögel Hessen ihre lichtgoldenen Schwanzfedern nieder-
schweren Fruchttrauben und mächtigen Kronen, die wallen, rothe und grüne Papageien wiegten sich in
sich im Windhauch leise bewegten. Und welch’ be- den Zweigen, und tausendfarbige Colibris flatterten
rauschend schöne Bilder boten sich dem Auge dar! in der Luft. Gazellen sprangen umher, und wohin das
Das Meer mit seinen stolzbewimpelten Schiffen, das Auge fiel, sah es blühende Rosen. Schwerglühende
bunte Panorama in den Häfen und die herrlichen Centifolien in fleischi-
Städte an den Ufern der Flüsse mit wasserdurch- gen Kelchen, gross wie
rauschten Gärten und säulengetragenen Pagoden, wo Mädchenköpfe, und in
die Götter mit vergoldeten Bäuchen sassen, fganz allen Farben: lachend
wundervolle Kuppelbauten. roth und traurig roth
Doch noch viel herrlicher war der Palast des wie blutiger Sammtoder
Königs. Das Dach aus Gold, die Wände aus Marmor, glänzend weiss, so wie
und Rubin und Demant zierten Waffen und Geräthe. weisse Seide, ach, so
Eine Treppe führte zum Meer hinab, ein Wunder schön, dass Gül-Bejase
von einer Treppe. Die Stufen aus weissem Alabaster ganz berauscht war. Und
— und gar die Terrasse! Eine solche Mosaik gab’s auf doch sagten ihr die Ro-
der ganzen Welt nicht, aus Amethyst und Saphir, ganz sen: „Du bist noch viel
unbeschreiblich! schöner!“
Den schönsten Flügel bewohnte die Prinzessin. Was die Rosen nicht
Ueberall Trophäen goldfrohen Reichthums. Aufge- alles sagten! Sie leuch-
häuft waren die Schätze. Das Auge war geblendet, teten auf ihren schlan-
so sinnverwirrend war der Juwelenglanz. Der herein- ken Stielen und wiegten
strahlende Sonnenschein wurde mit goldenen Filtern sich leise. Sie fieberten
gefiltert. Sklaven lungerten umher und hohe Mini- schier und dufteten so
ster beugten sich vor der Königstochter bis zur Erde süss. Ganz betäubend
und harrten der Befehle ihrer königlichen Hoheit. Der dufteten sie und schie-
König trug sein Kind auf Händen und auf Aller Lippen nen wie betäubt. Zumal
schwebte es wie ein Gebet: „0 schöne Gül-Bejase!“ eine blassgelbe glühte
In golddurchwirkte Seide war ihr Leib gehüllt und ganz wunderbar. Sie
Perlen und Geschmeide schmückten Hals und Arme. glich einer verzauberten
Ihre Haut war wie warmes Gold. So ruhte sie auf schwel- Prinzessin, und Thau-

i;o
1896 . JUGEND Nr. 10
tropfen glänzten auf ihrem Rosenantlitz. Gül-Bejase
lehnte sich an ihre zarten Wangen: „Warum bist du
so blass und glühst so sehr?“ fragte sie. Blass und
glühend stand sie selber da und ihre Thränen flössen.
„Prinzessin, Du weinst ja!“ riefen die Sklavinnen
bestürzt.
„Ich weiss nicht,“ sagte Gül-Bejase, „ist’s Sehn-
sucht, ist’s Erinnerung? Ich muss an etwas denken,
das ich noch nie besass.“ Und sie hätte sich die spitzen
Dornen in’s Herz stossen mögen, so traurig war sie,
_ selbst eine einsame Rose voll von schmerzlichem Glühn.
Da schenkte ihr der König ein wunderliebes
Kätzchen, damit sein Liebling wieder fröhlich werde.
Das hatte ein seidenweiches Fell und Schelmenaugen.
Gül-Bejase gewann es auch lieb und liess sich von
ihm gern schmeicheln und kosen. So possirlich war
es, dass es sogar bei ihr schlafen durfte, wenn sie
Nachts in ihrem goldenen Bette lag. Selbst die Nacht
hatte Sonnenathem hier, sie war viel schöner, als
anderswo der schönste Tag, nur allzustrahlend, all-
zuglühend, dass man gar nicht schlafen konnte. Die
Welt war so entzückend, man kam nicht zur Ruh'.
Die Rosen dufteten so stark, die kranken Rosen. —
„Ich Arme!“ seufzte Asiens reichste Königstochter.
Nun liess ihr der Vater ein neues Diadem an-
fertigen aus taubeneigrossen Rubinen. Das durfte sie
sich auf’s Haupt setzen und sich damit im Spiegel
besehn, und es stand auch gar herrlich zu ihrem eben-
holzschwarzen Haar. Die Sklavinnen klatschten ent-
zückt in die Hände, doch Wunder that auch die Krone
nicht, und verzagt blickte Gül-Bejase zur ewigen Sonne
empor. — Einmal sass sie auf der Terrasse und starrte
sehnsüchtig in’s Meer hinaus, als sie ein Schiff nahen
sah, wie sie noch nie eines gesehen. So ganz anders
als die einheimischen Boote. Trauerfarben waren seine
Segel und verwittert. Unruhig schlug es mit den
schwarzen Flügeln wie ein dunkler Nachtraubvogel
und als es nun im Hafen einlief, zog es die Segel
nicht ein, als ob es jeden Moment wieder auffliegen
wollte. Ein Mann stieg an’s Land. Seine Kleidung
war von fremdem Schnitt, grau und düster, wie die
Segel seines Schiffs. Sieh, ein ferner Seefahrer! dachte
Gül-Bejase. Doch wie staunte sie, als sie ihn die sie, „bedenk das wohl!“ Und sie zeigte ihm die
Treppe heraufkommen sah und geradewegs auf sie Schätze ihres Vaters.
zu. Rasch liess sie ihren Schleier fallen, da nach Den Palast mit dem Golddach und die marmornen
Landessitte kein Mann ihr Antlitz sehen durfte, doch Hallen. Die herrlichen, mit Rubin und Demant be-
bemerkte sie, dass er hoch von Gestalt war und schön setzten Waffen und all die Kostbarkeiten, bei deren
von Angesicht, wie seine Haut so weiss war und Anblick Einem Hören und Sagen verging. Die pur-
alles an ihm hell: Der kühne Blick, der flachsblonde purnen Teppiche, wahre Wunder persischer Webe-
Bart, der ihm über die Brust herniederwallte, und kunst, die Krystallgefässe und all das Geschmeide aus
dass er trotz seines langen Bartes noch jung und, köstlichem Elfenbein, Juwelen und prangenden Meer-
obgleich derb und schlicht, voll natürlichen Adels korallen. Die singenden Springbrunnen, Papageien, Co-
war. Wie gebannt schritt sie ihm entgegen. libris und die glühenden Rosen. Das berückend schöne
„Wer bist Du?“ fragte sie. — „Ich heisse Ingunar.“ Panorama der Städte, die sich in klaren Stromwellen
„Woher kommst Du?“ — Er zeigte nach Norden. widerspiegelten, die wasserdurchrauschten Gärten, das
„Und was willst Du hier?“ ganze sonnendurchglühte Paradies, ein Entzücken für
„Die Sonne will ich sehen!“ das Auge. Selbst in den Flüssen flössen Goldkörnchen
Da schlug sie ihren Schleier zurück, als könne mit im Sande. Die Erde konnte all den Reichthum
sie nicht anders, und er sah ihr Angesicht. Ein Aus- kaum ertragen und all die Gluth und Schönheit.
ruf des Entzückens entfuhr seinen Lippen, und ge- Doch Ingunar fasste ihre Hand und sagte:
blendet von ihrer Schönheit murmelte er: „Komm mit mir!“
„Ich muss die Sonne haben!“ „Bist Du denn ein König?“ fragte sie.
Da bäumte sich ihr königlicher Stolz. „Nein,“ sagte er stolz, „ich bin ein freier Mann“.
„Weisst Du denn, Fremdling, zu wem Du so „Ist Dein Palast aus Marmor und Gold?“
sprichst? Ich bin die Prinzessin Gül-Bejase!“ sagte „Aus Lehm ist meine Hütte.“

iH
Nr. 10 JUGEND 1896

Und weiter fragte sie:


„Scheint bei Euch die Sonne auch so strahlend?“
„Nein. Eis bedeckt die Erde.“
„Eis? Was ist das?“ fragte sie und dann: „Habt
Ihr duftende Rosen?“
„Nur Eisblumen, duftlos und kalt. Komm!“ rief
er. „Willst Du?“ — Da zitterte sie und bat:
„So lass mich denn Abschied nehmen vom Vater!“
„Thu’ das nicht!“ herrschte er und führte sie von
hinnen. Schon waren sie eine Strecke weit, als Gül-
Bejase lebhaft ausrief: „Mein Diadem! Die Krone hätt’
ich fast vergessen!“ — „Lass die Krone!“ bat er.
Wieder folgte sie ihm ein Stück Weges, als sie
nochmals inne hielt und flehte:
„Lass wenigstens mein Kätzchen mit mir nehmen!“
Doch er wehrte ihr auch dies. Und sie gehorchte
und ging mit ihm und blickte nicht einmal zurück.
In seinen Armen trug er sie auf’s Schiff, das schon
ungeduldig die Segel blähte. Nun breitete es die dunkeln
Schwingen aus und vorwärts ging’s durch Wellen und
Lüfte. Ein Albatros flog voran, der Wind war hinter-
drein. Das Schiff flog, als hätt’ es tausend Flügel.
Viel Tage und Nächte waren sie schon gefahren Wiederum sahen sie das Gestade. Orangen- und
und sie wusste nicht einmal, wie seine Heimat hiess. Pinien-Haine senkten sich in’s Meer hinab, und Granat-
„Wie heisst Deine Heimat?“ fragte sie.] , äpfel glühten aus dem Dunkel.
„Spitzbergen,“ sagte er. „Aber das ist doch Spitzbergen?“
Als sie von fern eine Küste erblickte, rief sie fröhlich: „Nein, Italien“, lautete die Antwort.
„Das ist wohl Spitzbergen?“ „Aber in Italien ist’s schön kühl!“ fand Gül-
„Nein, Cypern.“ Bejase und hüllte sich fester in ihren Schleier ein,

152
1896 JUGEND Nr. 10

denn sie war ja an die tropische Hitze gewöhnt. Noch „O wie mich friert!“ schluchzte Gül-Bejase.
hatten sie nicht Gibraltar erreicht, als sie wieder Ingunar hüllte sie in Pelze ein, die er bei sich
fragte: „Nun aber kommt bald Spitzbergen?“ hatte, sie aber klagte noch immer: „Mich friert!“
„In noch hundert Tagen,“ sagte Ingunar. Da nahm er sie in seine Arme.
Weiter flog das Schiff, ohne zu erlahmen. Der Die Möve flog davon, das Schiff war am Ziel.
Albatros wies das Ziel. So kamen sie bis an die Unter einem Felsenvorsprung stand Ingunars Hütte.
britischen Inseln. Stroh deckte das Dach. „Da sind wir!“ rief er. Doch
„Sieh die Riesenwolke, die das Meer umspült!“ als er sie über die Schwelle trug, war sie schon halb
rief Gül-Bejase. erfroren. In einer Ecke stand ein Herd von Feldsteinen
„Es ist England“, sagte er, „das im Nebel liegt“. aufgebaut. Ingunar hauchte sich auf die Hände und
Sie fröstelte. Von ferne grösste die Sonne. Immer schürte Feuer an. Allmählig erholte sich Gül-Bejase.
fremder ward die Welt, die Nacht lang, der Tag grau. „Sieh die schönen Eisblumen am Fenster!“ rief
„Aber so grau ist’s doch nicht bei Euch?“ fragte er, um sie zu erfreuen.
sie besorgt, dass Ingunar gar nicht wusste, was er „Aber die kann man ja nicht in’s Haar stecken“,
sagen sollte. Eidergänse flogen auf. Schon nahten sie meinte sie. Kein Pelz, kein Feuer konnte sie erwärmen,
der Insel Island. Seehunde lagen im Sand mit rund auf- nur in Ingunars Armen war ihr wohl. Und er suchte
gerissenen Augen. Ob sie wohl bellen? dachte Gül- sie zu trösten: „Wein’ nicht, Gül-Bejase! Wenn der
Bejase. Doch sie blieben stumm wie Fische. Nichts regte Frühling kommt, bring’ ich Dich heim zu Deinen Rosen.“
sich, als wagte nichts zu leben. Eisige Lüfte gingen. Sie schüttelte das Haupt. „Ja, und dann sollst
„O wären wir schon daheim!“ seufzte Gül-Bejase. Du die goldene Krone wieder tragen.“
Aber sie wollte nichts wissen von Krone und
Rosen. Sie war ja kein Kind mehr. Nichts wollte
sie, nichts, als das nackte Leben, so lieb hatte sie ihn.
„Nur leben!“ bat sie und schmiegte sich an ihn,
denn es ward Nacht. Drei Monde lang währte die
Nacht. Als es wieder Morgen war und Frühling und
Ingunar sie fragte: „Willst Du in Dein Sonnenland
zurück?“ rief sie flehend: „Nein! nein!“
Es war aber auch wunderschön hier. Das Feuer
brannte an ihrem Herd, das Glück in ihrem Herzen.
Vor der Hütte blühten jetzt Heidekraut und weisses
Moos. Stumm war die Welt. Das Nordlicht beschien
sie wie eine Ampel eine hohe Halle. Ausgelöscht war
alles Leben. Ihre Herzen waren die einzig fühlenden
Wesen in dieser Oede.
Sie wohnten ja am Ende der Welt, gleichsam an
deren Ausgangspforte. Die verstorbenen Seelen mussten
an ihrer Thür vorbei. „Komm’ mit!“
riefen sie. Doch Gül-Bejase wollte nicht
fort, nicht einmal in den Himmel.
Sie konnte gar nicht
sterben. — — —
Wie kann man mich
nur verlassen? dachte
die Sonne und grämte
sich nach der schönen
Königstochter. Und
machtesichaufund folg-
Ingunar hatte Mitleid mit ihr. te ihr nach, den langen,
»Wollen wir umkehren, Gül-Bejase?“ weiten Weg, bis sie end-
Sie fror ganz jämmerlich, dennoch rief sie: lich matt und müde an-
„Ich will zu Dir, zu Dir!“ kam. Als Gül-Bejase sie
Und weiter ging’s durch rollende Wogen. Schnee- herankriechen sah, er-
wolken hingen da über und hauchten sie an mit kannte sie sie kaum.
kaltem Todesathem. „Ach, Du bist’s!“
Wo blieb der Albatros? Fort war er, verschwunden. rief sie lachend.
Ihm war zu kalt in diesen Regionen. Eine schlichte „Ich will nur sehen,“
Möve flog vor ihnen her zwischen Gletscherfelsen. meinte die Sonne „ob’s
Eisklüfte bildeten Höhlen. Eisbären brüllten. hier gar so schön ist“.
»O Ingunar!“ weinte Gül-Bejase. Bart und Augen- Doch es schien ihr zu
brauen waren ihm erstarrt und hingen ihm wie Eis- gefallen, denn sie kehrte
klumpen im Antlitz. Der Schnee fiel in Ballen. Eis- nun immer wieder, Jahr
riffe ragten gen Himmel, Eisriffe hingen herab. So um Jahr. — So kam der
ging’s durch weisse Finsternisse. Norden zur Sonne.
Nr. 10 JUGEND 1896

Tappe zu mit blinder Wucht,


Reisse lachend mir vom Baum
Seine schönste reife Frucht,
Halte sie und weiss es kaum.
LUDWIG FULDA.

Das Geständniss thut mir leid;


Doch ich gäbe viel darum,
War’ ich nicht so gar gescheidt,
Sondern schlicht und göttlich dumm.
Die verfluchte Bildung hängt
Mir im Nacken wie ein Zopf,
Und von ihrer Last bedrängt
Wankt und wackelt mir der Kopf.
Die Magister meid’ ich längst;
Doch bei seinem Sonnenritt
Schleppt mein armer Flügelhengst
Keuchend noch den Schulsack mit.
Tagebuchnotizen eines aktiven
Weckt zur Nacht mich Irgendwer,
Politikers.
Noch im Halbschlaf sag’ ich gleich Bei jeder Bestechungsgeschichte zerfallen die Schuldigen
Ihm die ganzen Kaiser her in zwei Theile: in jene, die viel — und in jene, die noch
Von dem heil’gen röm’schen Reich. mehr eingesteckt haben.
T»L
Und sofern er nicht entschlüpft, Einige Politiker sorgen für das Wohl, die meisten für
Explicir’ ich stundenlang, das Wehe ihres Landes.
Wie den Weltenlauf verknüpft tsc
Innerster Zusammenhang. Bei jedem Korruptionsscandal sind immer jene am meisten
entrüstet, die noch nicht eingesteckt haben.
Regeln, Formeln und Brevier, CSC
Namen, Daten jeder Art,
Es gibt zwei Arten von Journalisten: dumme und kluge.
Mein Gedächtniss hat sie mir
Unerbittlich aufbewahrt.
Die Dummen handeln nach, die Klugen mit ihrer Ueber-
zeugung.
TSC
Lebensfluth, die mich umringt,
Die beste Kapitalsanlage ist ein Mandat.
Möcht’ ich schau’n mit klarem Blick; TSC
Aber wie ein Tiger springt Ich verabscheue die Käuflichen. Sie verderben die Preise.
Mir die Bildung in’s Genick, TSC

Bleibt dort hocken festgekrallt, Man soll keinen Politiker glücklich preisen, bevor er
Summt mir, wenn ein munt’rer Chor nicht Verwaltungsrath geworden ist.
Ganz in meiner Nähe schallt, esc
Lauter Jahreszahlen vor. „Warum haben Sie gegen das Budget gestimmt?“
„Excellenz, meine Ueberzeugung —“
War’ ich nicht in ihrem Joch, „Aber ich bitte Sie, wir sind unter uns . . .“
Ach ich hätt’ es nie vermisst; LUDWIG BAUER.
Einen Lehrer brauch’ ich noch, TSC
Der mich lehrt, wie man vergisst, Was in den Staatsdienst kommen will, krümmt sich bei
Zeiten.
TSC
Wie man weder forscht noch zählt,
Sondern, in die Welt vernarrt, Unter den Stützen der Gesellschaft gibt es manche
Sich auf gutes Glück vermählt Strebepfeiler.
TSC
Mit der Thörin Gegenwart.
Es gibt Leute, die die Schöpfung der Krone nicht für
Wenn ich deren Liebster bin, die Krone der Schöpfung halten.
Geb’ ich alle Wissenschaft TSC

Und Gelahrtheit gerne hin Wie mancher sieht erst nach seiner Verheirathung, wie
Für ein bischen plumpe Kraft, er sich bei seiner Verlobung versprochen hat. ernst dolfa.

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— Möres, rentrez vos Alles!-Les Faunes sont dehors! —

Für die Jugend gezeichnet von Jossol (Paris.)


(Mütter, bringt Eure Töchter nach Hause, die Faune sind draussen!)
Der berühmte Interieur-Maler Valeurewski hat eben ein Bild „Der Küfer“ für die „grosse Internationale“ fertig gemalt; da besucht ihn
sein Freund, der Herr von Weinbeisser, und klärt den Maler fachmännisch darüber auf, dass sein Küfer total unrichtig am Fasse sitzt.
156
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'f r/Vt-C.
Nr. 10 JUGEND 1896

Militaria .— Der Unt’roffizier steht wie auf Kohlen —


Lässt sich den Griff noch wiederholen
von E. Goldbeck (Berlin). Und lobt und tadelt väterlich.
Der dumme Posten wundert sich.
Der Herr Oberst bevorzugt die Einfachheit! So zeigt in der schwierigen Konjunktur
Was kommt die Ordonnanz gerannt, Sein ganzes Benehmen die höchste Bravour;
Als stände rings die Stadt in Brand? Dem staunenden Offizierskorps beweist es
Was gibt der Adjutant bekannt? Die männliche Fassung des führenden Geistes.
Was lauscht der Hauptmann so gespannt? Denn weiss er, was ihm diese Reise verheisst?
Warum, der sonst so weltgewandt, Auch Du, der als Lieutenant meist noch reist,
Erbleicht vor Schreck der Tischvorstand? Die höheren Chargen des „Schusterns“ zeihst,
„Hat’s wirklich seine Richtigkeit?“ Wie lange währt’s, bis Du selbst entgleist,
So flüstert man mit Wichtigkeit, Zum letzten Mal im Kasino speis’st? —-
„Der Oberst kommt? Wo ist er jetzt? Nun macht er ein ernstes, ein Dienstgesicht,
Was ist für morgen angesetzt? Mit Würde begrüsst er die Seinen und spricht:
Was will er seh’n im Bataillon? „Wie wohl die Herren schon vernommen,
Das Turnen auch? Die Instruktion?“ Wird heute noch der Herr Oberst kommen.
So fragt, so plagt man rings im Kreis Die Herren finden sich Abends ein
Den Adjutanten, der selbst nichts weiss, Zu ungezwungnem Beisammensein.
Als das, was alle schon vernommen, Vollzählig und pünktlich, das fordert schon
Der Oberst werde morgen kommen. Der selbstverständliche gute Ton.
Er werde in der „Krone“ wohnen Und da ich bei Aeusserlichkeiten bin,
(Dies ist das Hotel für Standespersonen!) So weis’ ich auf guten Anzug hin.
Weit’re Befehle Vorbehalten. — Der Herr Oberst duldet die Stiefel nicht spitz
Ein Jeder zieht die Stirn in Falten. Und hält auf korrektesten Mützensitz.
Mit einem Mal verstummt der Kreis, Die Ueberrockknopfreihen nicht parallel
Nur Der und Jener flüstert leis, Die Herren kennen den strengen Befehl —
Denn gellend, mit dem Schrei des Pfau’s, Den Rock nicht zu kurz, nicht das Beinkleid zu weit
Ruft der Kasernenposten: „Raus!“ Der Herr Oberst bevorzugt die Einfachheit.“
Und sieh! es öffnet sich das Thor
Und es erscheint der Herr Major.
Bis auf den Klang des Sporentons
Ganz Kommandeur des Bataillons,
Sehr frisch, kein Mann vom grünen Tisch,
Martialisch und gebieterisch.
Auch über seinem Scheitelhaare
Dem braunen, sind die raschen Jahre
Anscheinend machtlos hingegangen,
Seit er — zu färben angefangen.
Zum Zeichen, dass ihm nichts entgeht,
Dass er den kleinen Dienst versteht,
Umkreist er den Posten um und um.
Bewundernd sieht’s das Publikum.
Dann äussert er: „Der Mann steht schlecht!“
Rückt selbst ihm das Gewehr zurecht
Am andern Tag ist Liebesmahl,
Von Uniformen gleisst der Saal.
Gewiss, dass man lukullisch prasst.
Wie ehrt man wohl den hohen Gast?
Ach, ihm ist Pracht und Prunk verhasst.
Nach dem Menu der Lieut’nant fasst,
Mit Schaudern sieht er den Kontrast.
Nach magerm Süpplein, welche Lust!
Bouillonkartoffeln mit Rinderbrust —
Dann paradirt ein Hammelbraten,
Vortrefflich pflegt er zu gerathen
Und es erscheint zum Magenschluss
Des Schweizerkäses Hochgenuss.
Der Kommandeur trinkt — absit omen! —
Den „Affenthaler“ des Oekonomen.
Und der Major ist auch kein Prasser,
Er trinkt ein Fläschchen Selterswasser,
Doch hat er, um anzustossen, daneben
Ein üppiges Glas mit Saft der Reben.

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1896 JUGEND Nr. 10

Ein kleines Fass ist angestochen,


Manch schönes Wort wird noch gesprochen
Zum Lobe der Solidität. —
Indessen wird es endlich spät
Und als nach stundenlangem Prassen
Der „Alte“ das Lokal verlassen,
Begleitet, nach längerem Höflichkeitszwist
Von Allem, „was irgend ein bischen was ist“,
Da erhebt sich ein unheimlicher Skandal,
Es zittern die Fenster, es dröhnt der Saal,
Da schreien die Lieutenants: Ein Sect! Eine Ale!
Hier Porter, Viel Porter! — „Jawohl! Zu Befehl!“
Dann saufen sie fröhlich in die Runde,
Oer Lieutenant sieht es mit Respekt Bis wieder dämmert die Morgenstunde;
Und schlürft nur heimlich seinen Sekt. Sie singen: Macht Alle die Kehlen weit!
Sodann nach Schluss des zweiten Ganges, Der Herr Oberst bevorzugt die Einfachheit!
Ein Opfer seines hohen Ranges,
Erhebt der Herr Oberst sein Gläschen Krätzer
'— Ein schauderhafter Gaumenätzer —
End äussert: In diesem Bataillon
Befolge man ganz seine Intention
End lebe im trauten Kam'radenkreise
Mit Einfachheit in Trank und Speise.
Oie Einfachheit müsse man sich bewahren,
Oas hab’ er im Feldzuge gründlich erfahren.
?°nst bleibe man bei den Kriegsfatiguen
Als trauriges Beispiel im Graben liegen.
Eies Lieblingsthema erörtert er breit
Mir eindringlicher Beredsamkeit,
Alsbald gestaltet sich sein Toast
Zum Hymnus auf die Hausmannskost
End endlich sind Alle d’rin eingeweiht:
Eer Herr Oberst bevorzugt die Einfachheit.

Der milde Hauptmann.


Mein Kompagniechef war so mild,
Wie Ihr ihn hier erblickt im Bild.
Bei Griffen und bei Einzelmarsch
Stets war er sanft und niemals barsch.
Nie sprach ein strenges Wort sein Mund
Er sagte niemals: Schweinehund!
Doch öfters sprach er: „Liebe Leute,
Vortrefflich exerzirt Ihr heute!“
Abend sind die Herren vereint Und zur Belohnung fing er dann
Zu gemeinsamem Abendbrod und, wie es scheint, Noch einmal mit der Richtung an.
E ühlt sich bei Erbsen und Sauerkohl Wer als verspätet abgefasst,
er Kommandeur besonders wohl. Der hatte stets den „Zug verpasst“
Eunn, wie auf’s Neu sich offenbart, Und nie den „Urlaub überschritten“;
E'er wird die Einfachheit gewahrt. Der Milde Hess sich gern erbitten.
Oarauf legt er ein Hauptgewicht Und selbst bei wiederholten Streichen
Erbsen sind sein Leibgericht. Gelang es bald, ihn zu erweichen.
U^m Ueberfluss schmecken sie ganz genau Mit einer ellenlangen Predigt
le zu Hause bei seiner lieben Frau. Ward selbst der schlimmste Fall erledigt.
0 leuchtet hell die Gnadensonne, Den Leuten bracht’ er ihn zur Kenntniss,
Es schwimmt der Herr Major in Wonne Er wirkte ein auf ihr Verständniss
Nd auch der brave Tischvorstand Und sprach, wenn sich ein Kerl besoffen,
Wlrd heut mit Lob und Preis genannt. In Worten, die von Weisheit troffen.

U9
Nr. 10 JUGEND 1896

Aus dunklen Tiefen der


Menschenseele.*)
Von Eustachius Meier-Kyritz.
(Nachdruck verboten.)

, ?"

„Oll!“
> ?"
So war er denn auch sehr erpicht
Auf sachgemässen Unterricht
Und die Entschuldigung nahm er krumm:
„Nie!“
r?n m-p?«
„Herr Hauptmann, dieser Mann ist dumm“.
„Herr Lieutenant, Dummheit kenn’ ich nicht,
Das liegt allein am Unterricht. II.
Ich werde jetzt mal instruiren,
Dann können Sie sich überführen; ”ü!’—-?“
Der Mann ist meistens nicht dran schuld, „Ah!“
Die Milde fehlt und die Geduld.“ * .2 '
Doch meldet ihm ein Offizier
Als Faulpelz einen Musketier, „? ?“
Streng blickt der Milde dann und spricht:
„Herr Lieutenant, Faulheit kenn’ ich nicht. , » _ I _ j«
Der Mann ist dumm und nichts als dumm, „Au!“
Geh’n Sie recht milde mit ihm um.
Ich werde ihn jetzt gleich belehren.
Ich bitte einmal zuzuhören, (»_!“
f"
Sie überzeugen sich dann leicht,
Wie viel man mit Geduld erreicht.
Der Mann ist meistens nicht dran schuld.
Die Milde fehlt und die Geduld.“
*** „Vielleicht.“
»“
Was dieser kluge Mann bezweckt?
Es bleibt das Strafbuch unbefleckt.
Denn ihm genügt es, den Mann zu belehren
Und höchstens das „Reinigen von
Kammergewehren“.
Beweis, dass auch ohne den strengen Arrest
Die Disziplin sich erhalten lässt.
Der Kompagniechef wird vorpatentirt, *) Wir sind in der angenehmen Lage, unsern Lesern
Weil so und so lange nichts passirt, hiemit das neueste Seelengemälde aus der Feder des gsist-
Denn das bekundet jederzeit vollen Führers der allerneuesten deutschen Schriftsteller'
gruppe ,,Semikolon“ zu Füssen zu legen.
Der Truppe innere Tüchtigkeit.

W
„p. f.“ Zwei Seufzer.
Melodisch leiden — keine Spur —
In schwarzem Frack und schwarzen Hosen!
Ich litte gern, ein Troubadour — Der Mann:
Die blasse Stirn umkränzt mit Rosen; Im Brautstand war sie so reizend,
In der Ehe nur reizbar sie wird;
ln heisse Lieder goss' ich’s aus, Im Brautstand zeigte sie Chic nur,
Gar hold gereimt und süss gerundet, In der Ehe sie nur chicanirt! —
Und sang’ es vor dem Hochzeitshaus, Oh!
Wie tief sie mir das Herz verwundet,
Die Frau:
Wie ich sie hegte gar so lieb, Im Brautstand glich er dem Lamme,
Wie viele Monden treu ich harrte In der Ehe ist er ein Bär;
Du lieber Gott! Statt alles dessen schrieb Im Brautstand Feuer und Flamme,
Ich ihr „p. f.“ auf meine Karte! In der Ehe, da raucht er nur mehr.
W. WALTHER. Gezeichnet von O. Eckmann. Ah! — i. paueR-
160
1896 JUGEND Nr, io

161
Nr. 10 JUGEND 1896

Deutsches Reichspatent Sucht Jemand aus, der secundirt Im besten Falle heut’ noch „Koch fils“,
Und ’s ganze Schauspiel inscenirt. — So arg ist bereits der Nothstand!
Nr. 78,946,317,762,106: Dreh- Pistolen werden inspizirt,
bare Rednertribüne. Und der Paukant noch instruirt
Für’s Vaterland geben wir Leben und Gut,
Bekanntlich schweifen in sämmtlichen Des Reiches treueste Söhne — '
Und auch im Schiessen exercirt,
Doch wenn uns Wer nicht den Willen thut,
Parlamenten (ausgenommen ist nur der Damit er nicht den Kopf verliert,
deutsche Reichstag) sehr viele Abgeordnete Der Arzt rechtzeitig avisirt;
So sagen wir Ihm mit kaltem Blut:
„Kein Kanitz — dann gibts keine Kähne.“
(ausgenommen sind nur die Herren Sozial- Vorsichtig Jeder noch testirt,
demokraten) gerne vom Thema ab und spre- (Man kann nicht wissen, was passirt!) Es könnten wohl Alle im deutschen Gau
chen, sozusagen, „zu den Millionen da draus- Stumm wird am Kampfplatz salutirt, An Vaterlandslieb’ von uns lernen —
sen.“ Das veranlasst die weisen Herrn vom Versöhnungsdusel simulirt, Doch färbt Ihr die Margarine nicht blau,
Präsidium (ausgenommen ist nur der Herr Distance und Waffen kontrolirt, So streichen wir Euch - nun wisst Ihr’s genau
v. Buol) oft, energisch „zur Sache“ zu rufen. Eins, Zwei und — los, dann kommandirt. Die Mittel für neue Kasernen!
Diesem Hebelstand, der (namentlich da, wo Der Eine wankt, ist leicht blessirt
Diäten gezahlt werden) die Parlamentsver- Und, wie der Arzt gleich konstatirt, Der feinste Ton ist uns strenges Gesetz
handlungen empfindlich in die Länge zieht, Der Kampf muss werden jetzt sistirt. Wir dächten, das könntet Ihr wissen!
hilft die neue, von Herrn Berthold Dunkel- Niemand ist desshalb indignirt, Nur ausnahmsweise spricht Herr von Plötz
grau erfundene drehbare Rednertribüne, Man reicht die Hand sich dann blasirt, Und der Herrvon Diestwie der selige Götz
von der wir oben ein Abbild geben, gründ- Und thut, als wär’ nichts arrivirt; Als das Fenster er zugeschmissen!
lich ab. Sobald ein Redner anfängt, mit Wenn der Verletzte bandagirt, Stets sind wir für König und Kaiser da
überflüssigen Schlagwörtern herumzuwer- Freundschaftlich heim wird eskortirt, Doch Manches bedarf erst der Klärung,
fen, auf dass er im Parteiblättchen glor- Fühlt man sich rehabilitirt, Wir lehnen Euch ab — so wollt Ihr es ja
reich erscheine, drückt der jeweilige Prä- Wird von der Welt als Held fetirt. — Im nächsten Jahre den Heeres-Etat,
sident (ausgenommen natürlich ist der Herr S. FRANK.
Verschmäht Ihr die doppelte Währung!
v. Buol) auf einen Knopf und die Tribüne
dreht sich nach der Aussenseite des Ge- Wir sind der einzig verlässige Hort
bäudes, so dass der Redner ruhig zum Des Reiches in Stürmen und Nebeln,
Fenster hinaus reden kann, während
Agrarier-Marseillaise. Doch geht die Sache noch lang so fort
innen ein Anderer das Wort erhält und zur Wir sind die Partei für Altar und Thron Und Mirbach bittet vergeblich um’s Worb
Sache spricht. Und patriotisches Streben, So schlagen wir uns halt zu Bebeln!
Die edelsten Leute der ganzen Nation
Und wir nur kennen den guten Ton Und meint Ihr, dass nach verlor’nem Gefech1
Wir endlich die Streitaxt begraben —
Das Duell. I
In Politik und im Leben.
Ja, Prosit die Mahlzeit! Da kennt Ihr uns
„Mein Herr, Sie haben mich fixirt, Doch selbst die loyalste Geduld zerriss, schlecht —
D’rob fühle ich mich insultirt. Weil zu tief der Preis für das Brod stand, Wir sind die Partei für Sitte und Recht
Hier meine Karte!“ — „Acceptirt.“ Wer gestern noch „Mumm“ trank, trinkt Und wollen auch was davon haben!
Man einigt sich, ’s wird duellirt; gewiss ki-ki-ki.

162
1896 JUGEND Nr. 10

„Schneidiges Hinderniss.“ Auf eins-zwei-drei sind wir drüben!

163
Inseraten-Annahme Insertions-Gebühren
durch alleAnnoncen-Expeditionen 1896 für die
sowie durch 4 gespult. Colonelzeile oder deren
G. Hirth’s Verlag in München Nr. 10 Raum JL i.—.
und Leipzig.

Die JUGEND erscheint allwöchentlich einmal. Bestellungen werden von allen Buch- und Kunsthandlungen, sowie von allen Post-
ämtern und Zeitungs-Expeditionen entgegengenommen. Preis des Quartals (13 Nummern) beiden Postämtern in Deutschland M. 3.—,
Belgien 3 Pres. 61 cts., Dänemark 2 Kronen 69 Oere, Holland 1 fl. 95 ct., Italien 3 Pres. 88 cts., Oesterreich-Ungarn 1 fl. 90 kr.,
Rumänien 4 Pres. 20 cts., Schweden und Norwegen 2 Kronen 71 Oere, Schweiz 3 Pres. 65 cts., der einzelnen Nummer 30 Pf.

Briefkasten.
Zielbewusst. Herrn J. K. Mannheim. Den Brief-
kasten unseres Blattes benutzen wir
nicht zu privaten Mittheilungen, am
allerwenigsten zu Erklärungen, ob wir
das Manuscript des Herrn N. N. ab-
lehnen oder annehmen. Anonymes ver-
schlingt der Papierkorb!
A. H. L. Wir ersuchen freundlich,
jedes Mal die Adresse des Absenders
beizufügen, auch wenn der Betreffende
zum so und so vielten Male sich schrift-
lich an uns gewandt hat.

In G. Hirth’s Kunstverlag in
München ist erschienen:
lllustrirter Katalog
Schack-Galerie
Keiner Seiner Zeit- in München
genossen sollte verkennen, dass August im Besitz Sr. Maj. des Deutschen Kaisers,
des Grossen Auftreten in der Transvaal- Königs von Preussen
sache charaktervoll und zielbewusst war: Mit einem Vorwort von Dr. Paul Seidel,
ist Er doch in dem entschiedenen Anschluss Dirigent in den Kunstsammlungen der
an die „U ntern Zehn tausend“ der eng- Königl. Preuss. Schlösser, und einer
kunstgeschichtlichen Einleitung von
lischen Politiker nur dem Wahlspruch der Prof. Dr. Richard Muther.
Partei gefolgt: Proletarier aller Länder, vereinigt Euch! 8r/4Bg-kI-8° mit 56 autotyp. Abbildungen.
Eieg. brosch.50 Pf., in Leinwand geh IM.

An die verehrlichen Abonnenten


DANK richten wir die freundliche Bitte, das
Als wir die „Jugend“ in’s Leben riefen, hatten wir mehr auf Vor- Abonnement auf das II Quartal (Nr. 14 bis 26) 1896
urtheile aller Art als auf freudige Zustimmung zu rechnen. Wir wussten
wohl, dass eine Gemeinde von Anhängern uns sicher war, aber ob diese gefälligst umgehend bei der bisherigen Bezugsquelle bestellen zu
Gemeinde gross und stark genug sein würde, um unser Unternehmen wollen. Ein Subscriptionsschein liegt dieser Nummer bei.
schon jetzt zu einem gefestigten zu machen, das konnten wir kaum München, Anfang März 1896. ,, , , ,,
Hochachtungsvoll
annehmen: unsere Hoffnungen waren mehr auf die Zukunft, auf die
geistige und künstlerische Propaganda gerichtet. G. Hirth’s Kunstverlag.
Der Erfolg hat indessen schon unsere nächsten Erwartungen weit
übertroffen: Nach kaum zweimonatlichem Bestehen hat die Alte Kupferstiche.
„Jugend“ über g,ooo regelmässige Käufer 1 Davon entfällt aller-
dings reichlich der dritte Theil auf unser liebes München, die eigent-
Kataloge gratis und franco durch
Hugo Helhing,
J. DREYjunior
liche künstlerische Heimat und Pflanzstätte unseres Unternehmens. Aber
auch auswärts, namentlich in Berlin, Wien und in vielen anderen Gress- Uebernahme von Antiquitäten
städten des In- und Auslandes, bürgert sich die „Jugend“ von Tag zu Kunstauctionen
Tag mehr ein, und zahllose Zuschriften und Einsendungen aus weiter jeder Art, ganzer Sammlungen sowohl Max-Josephstrasse 1/1 St.
Ferne beweisen uns, dass Sympathien für unser Werk lebendig sind, wie einzelner guter Stücke.
soweit die deutsche Zunge klingt. Hugo Helbing, München, Christophstr. 2. neben Hotel Continental.
~ Vom Frühjahr ab eigene,
Dass es dabei auch viel zu wünschen und zu tadeln gibt, ist selbst- neuerbaute Oberlichträume.
verständlich: Allen können wirs eben nicht recht machen! Was dem
Einen in hohem Grade missfällt, macht dem Andern riesige Freude, Münehener
und so möge es getrost bleiben. Da heisst’s halt Einander vertragen Specialität:
und nicht gleich bös werden, wenn nicht Alles dem eigenen Geschmack
bis auf’s i-Tüpferl angepasst ist.
Braueraliademie
Es gibt auch leidenschaftliche Feinde der „Jugend“ — Kopf-
Magistrati, genehm. Privatinstitut. Ameublement
hänger, Neidlinge, Unholde und Dunkelmänner aller Schattirungen. Beginn d.lmonatl. Kurses 13. April
Mögen sie sich über uns, wenn es denn nicht anders sein kann, recht Dr. Doemens. des 18 tsn Jahrhunderts.
viel ärgern, oder noch besser, sich an unser „Gift“ con amore gewöhnen.
Unseren Freunden aber sagen wir herzlichen Dank für die gute
Meinung — ihnen, den Gemüthsmenschen, rufen wir zu: „Seid frucht- JULIUS BÖHLER
bar und mehret Euch!“ 6 Soflenstr. München Soüenstr. 6
vis-ä-vis des Glaspalast-Einganges.
Herausgeber, Redaktion und Verlag Hof-Antiquar Sr. Majestät des Kaisers und Königs.
der „Jugend.“ An- und Verkauf werthvoller Antiquitäten und
alter Bilder
Herausgeber: Dr. GEORG HIRTH; verantwortlicher Redakteur: F. von OST1NI; verantwortlich für den Inseratentheil: G. EICHMANN, G. HIRTH’s Kunstverlag; sämmtlich in München.
Druck von KNORR & HIRTH, Ges. m. beschr. Haftung in München.
ALLE RECHTE VORBEHALTEN.
Zehner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben. — G. Hirth’s Verlag in München & Leipzig,
Nr. 11 JUGEND 1896

Gezeichnet von O. Eckmann.

„Mein Haus ist gross, meine Scheuern weit,


Der Fremde. „Ich hab’ für alle noch Platz bereit!“ —'
Ich ging des Morgens hinaus in’s Feld, Wir schritten weiter durch’s Feld fürbass;
Da hat sich Einer mir zugesellt. Der Nachtthau hing sich an Zweig und Gras.
Der schritt mir schweigend zur Seite her, Da blickten Kreuze im Sternenschein;
Fragte nicht, ob er willkommen war, Der Fremde wandte sich querfeldein:
Nannte weder Namen noch Stand, „Du magst alleine hier weitergeh’n!
Grüsste weder mit Mund noch Hand. -- „Ich bin zu Hause.-Auf Wiederseh’n!“ — P. o. eck.
Die lachende Sonne lag auf dem Gras;
Wir beide schritten durch’s Feld fürbass.
Da sass am Wege auf einem Stein
Ein Weib und wiegte ihr Kindchen ein.
Und wiegte emsig und sang’s zur Ruh;
Mit Wohlgefallen schaute ich zu.
Der Fremde sprach: „Lass’ uns weiter geh’n! Die stille Gasse.
„Du solltest mich einmal wiegen seh’n! Im süssen Schlendern musst’ ich einst gelangen
„Ich wiege so weich, ich wiege so sacht, Zu einer Gasse wundersam verloren,
„Keine Mutter ist, die es besser macht. Wo nur die eignen Schritte lässig klangen
„Ich wieg’ der Kinder so viel, so viel, Wie eines Fremden, der dort nicht geboren.
Verlangt kein’s mehr nach Reigen und Spiel. Mir waPs, als ob ich meine Unrast trüge
„Kühl ist mein Garten und still mein Haus, Auf dies ihr Antlitz, das voll stiller Züge.
„Da ruh’n sie gerne, da schlafen sie aus.“ — Drei Kinder sich im Kreise rastlos schwangen
Wir schritten weiter durch’s Feld fürbass; Und eine alte Weise fröhlich laut sie sangen.
Die Mittagssonne lag auf dem Gras. Sonst sah ich nur noch eine alte Frau
Da standen Zweie am Waldesrand, In einem Garten, der von Blumen roth und blau.
Herz am Herzen, und Hand in Hand. Mit mühevoller Hand sie zitternd goss,
Sie wähnten verschwiegen den Liebesort Indess das Auge ihr in Thränen floss.
Und küssten sich selig fort und fort. Ob sie das helle Lied der Drei gerührt
Sie küssten sich und nannten sich „Du“; Und sie in schönen, nun ach! todten Wunsch geführt,
Mit Wohlgefallen schaute ich zu. Ich wusst’ es nicht. Die alten Häuser schwiegen,
Der Fremde sprach: „Lass’ uns weitergeh’n! Wo neben jedem kleine Gärten liegen.
„Du solltest mich einmal küssen seh’n! Verziert mit Löwenköpfen, niedrig sind die Thore,
„Ich küsse so lang, ich küsse so stark, Im Hof strömt Wasser aus metalPnem Rohre
„Ein Kuss von mir geht durch Bein und Mark. Und wie es strömte früher, strömt es heute,
„Ich küsse tief bis in’s Herz hinein, Die Kinder seh’n’s, es sah’n’s die alten Leute,
„Die ich geküsst, sind auf ewig mein. Als sie noch Kinder waren und noch sangen
„Kühl ist mein Garten und still mein Haus, In vielen Liedern, süssen, frohen, bangen.
„Da ruh’n sie von meinem Kusse aus.“ — Sie haben weiter nie daran gedacht,
Wir schritten weiter durch’s Feld fürbass; Es kam der schöne Tag, es wich die Nacht,
Die Abendsonne lag auf dem Gras. Am selben Ort sind alle stets geblieben,
Da stand gebückt nicht ferne dem Pfad Es hat sie nichts hinaus zur Thür getrieben.
Ein Alter und schnitt die reife Saat. Sie starben dort, wo sie dem Tag geboren,
Er schnitt und schnitt ohne Rast und Ruh’; So zwischen Lied und Thränen still verloren.
Mit Wohlgefallen schaute ich zu. Sonst kam kein Wort von ihrem herben Munde,
Der Fremde sprach: „Lass’ uns weiter geh’n! Ihr tiefstes Wesen schlief im tiefsten Grunde.
„Du solltest mich einmal schneiden seh’n! Nur auf die Dinge fällt ein selt’ner Schein
„Ich schneide so schnell, ich schneide so reich, Und schön wird oft, was niedrig und gemein. —
„Tausend Garben auf einen Streich. Da endete das Lied der Kinderschaar
„Ich schneide die vollen, die tauben mit, Und in die Stille dröhnte sonderbar
„Und keines Halmes vergisst mein Schnitt. Der Lärm der Gassen, wo ich früher war. g. gugiz.

i 66
1896 Nr. 11

Erscheinung. Die Letztere ganz besonders.


Zwischen seinem weisen, beängstigend
hohen Hemdkragen und dem funkelnden
Pariser Seidenhut, den er trug, erschien
sein mit Sommersprossen übersätes Ge-
sicht, in dem der Mund immer ein wenig
offen stand und die Nasenlöcher so entsetz-
lich verwundert gegen den Himmel starr-
ten, wie ein lächerliches Zerrbild. Er fühl
in einem reizenden Coupe mit Gummi-
rädern durch die Strassen — aber es sah
aus, als gehörten er und dies Fuhrwerk
nicht zusammen. Er ritt auf einem su-
perben Blutpferd spazieren und ritt gar
nicht schlecht — aber man hielt ihn im
besten Falle für einen Trainer, der dem
Pferde eines Cavaliers Bewegung macht.
Er zechte mit seinen Freunden und Gön-
nern in den theuersten Lokalen der Stadt
und gab fürstliche Trinkgelder — aber die
Kellner machten ihre schönsten Compli-
mente doch vor seinen, von der Natur vor-
nehmer ausgestatteten Zechbrüdern und
über ihn lachten sie, wenn er den Rücken
wandte.
Der Baron van der Week war sein
Ideal an weltmännischem Wesen und Vor-
nehmheit, an ihn schloss er sich in der
ersten Stunde an, da sie zufällig bekannt
wurden und an ihn hängte er sich mit
einer Beharrlichkeit, die sich auch nicht
minderte, als der Edle anfing, ihn auf’s
Schamloseste zu brandschatzen und ihn
Charley Gänsberger’s Glück und Ende. noch obendrein nichts weniger als höflich
Von M. K. Fabricius. behandelte. Van der Week hatte Uebung
darin, seine Füsse unter anderer Leute
»Ein Esel von Gottes Gnaden!“ sagte fragwürdigen Existenzen, denen man im Tisch warm zu erhalten und er kannte die
der Baron und warf dem Charley Gäns- modernen Grossstadtleben kaum aus dem Zähigkeit, mit der Emporkömmlinge sich
berger einen Blick voll auserlesener Ver- Wege gehen kann, von denen man aber be- an die Leute klammern, die sie als Lootsen
achtung nach. stimmt voraus weiss, dass sie eines Tages „in die grosse Welt“ ausersehen haben.
9er mit so unzweideutigem Nachruf Be- mehr oder weniger geräuschvoll, aber ge- Der Baron brachte Gänsberger auch
dachte hatte eben noch an unserm Tische wiss nicht in Ehren aus der anständigen in unsern Kreis. Er war dort selbst nicht
gesessen und mit uns gesprochen, lang- Gesellschaft verschwinden werden. Er war sehr gerne gesehen, aber es lag nichts
Weilig und schüchtern, geziert und albern übrigens kein Baron, der Herr Baron van Greifbares gegen ihn vor, was uns be-
Vlelleicht, aber gutmüthig und höflich bis der Week. Er hatte sich nur aus seinem rechtigt hätte, uns von ihm demonstrativ
lUm Uebermass. Jetzt schritt er durch das holländischen van ein, von Charley Gäns- zurückzuziehen. Charleywardrollig genug,
Restaurant dem Ausgange zu und sah wirk- berger und etlichen Kellnern und Cafehaus- dass wir unsern harmlosen Spass mit ihm
“ch drollig aus mit seinem erkünstelt nymphen anerkanntes „von“ zurechtge- hatten und, trotz des Mangels an jeder
schwerfälligen Gang, den er für cavalier- drechselt, besass das Talent, sich anzu- tieferen Bildung, anständig genug, nie lästig
J^assig halten mochte, und der verwunder- ziehen, trug ein Monocle im Auge und hatte zu werden. Ein paar Mal fanden wir Ge-
.kannt«
den Art, mit der er, seine vielen Be- im Uebrigen noch Niemanden durch irgend legenheit, zu beobachten, dass er ein wirk-
ken grüssend, den Hut im Bogen vom eine Leistung dazu veranlasst, ihn um viele lich gutes Herz besass und wir hatten
*v°pf und wieder zurück bewegte. Stufen höher in der Zoologie einzureihen, ihn gerne trotz seiner Lächerlichkeiten.
R »Ein Esel in Folio! Man kann ihn zum als erCharleyGänsberger classifizirte. Der Besonders hatte ihn ein junger Deutsch-
Besten halten, bis man selber nicht mehr Baron schmarotzte gründlich bei dem jugend- amerikaner in sein Herz geschlossen, ein
^?dg — und er merkt es nicht. Und so lichen Emporkömmling, rauchte dessen Im- Prachtmensch, welcher nur zwei schlechte
e'n Fastnachtsulk der Schöpfung hat Geld porten und ritt dessen Pferde und hatte da- Eigenschaften hatte: überall und für Jeden,
wie Heu!“ für schliesslich nur die eine Entschuldig- den er seit fünf Minuten kannte, die Zeche
Der Baron seufzte und holte eine Ci- ung, dass Charley ihm, dem Baron, nach- bezahlen zu wollen und — sobald er warm
garette aus seinem Etui; es war ein hübsches gelaufen war und nicht er, der Baron, dem wurde, auch ein wenig sentimental zu
nglisches Etui aus gehämmertem Silber, Charley. werden. Das steigerte sich mit der Anzahl
i mct*as 'ch am Tage vorher den „Esel Der Letztere, Held dieser kurzen und der Gläser, die er trank und er war im
d Folio“ noch beneidet hatte. Den nun- keineswegs humoristischen Geschichte, Stande, während er einen ausgesucht tollen
ehrigen Besitzer des hübschen Gegen- war der letzte Träger eines in der Stadt Streich vollführte, von Todesahnungen zu
andes hatte ich übrigens auch im Ver- wohlbekannten Namens, dessen Inhaber reden und Gespenstergeschichten zu er-
?cnt, eben mit Charley Gänsberger und sich seit Urväterzeiten durch die Herstell- zählen, an die er fest glaubte. Er hatte
hab 6r ^essen Kosten gefrühstückt zu ung wohlschmeckender Fleischwaaren die den Karl Gänsberger zuerst „Charley“ ge-
Sympathie und den Zuspruch weiter Kreise rufen und man kann sich denken, wie gierig
Ich verabschiedete mich von dem Herrn, erworben hatten. Charley erbte von seinem der gute Junge nach dem exotischen Kose-
tr ff se'ne Mitmenschen so präcis und Vater, einer Tante und einem Onkel und namen griff. Das war ja beinahe so viel
hal en<^ zu charakterisiert wusste und war mit 21 Jahren im Besitz eines Ver- als ein „von“ und alsbald stand es auf
^ he es für mehr als wahrscheinlich, dass mögens, das ihn in den Stand setzte, auf seiner Visitenkarte.
j dtir auf meinen kurzen Gruss hin auch sehr grossem Fusse zu leben, oder, um Unser Amerikaner, Mister Klein nannte
•j.p?nd einen hübschen Namen aus der das Endziel seines gesammten Strebens er sich auf gut Deutsch, hegte einen aus-
■erwelt nachschickte, sobald ich ausser mit einem Worte klarzulegen — ein Ca- gesprochenen Hass gegen den Baron, dem
Horweite war. valier zu werden. Das Geld hatte er dazu gp bedingungslos misstraute, mit dem In-
li dem Esel und Charley hatte es frei- den Willen auch, einen leidenschaftlichen’ stinkt den sehr oft gerade und starke Natu-
st *e'ne Richtigkeit. Nicht zum Wenig- opferbereiten Willen sogar. Aber sonst ren verlogenen und unsauberen Existenzen
haf? ^|ssba'b> weil er sich um die zweifel- fehlte ihm Alles, was zum Berufe eines gegenüber haben. Van der Week fürchtete
Ereundschaft des Herrn Baron van eleganten Pflastertreters gehört: Umgangs- den Amerikaner und war ihm gegenüber
eck bemühte. Dieser gehörte zu jenen formen, Menschenkenntnis, Geschmack, von aalglatter Höflichkeit.

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Nr. 11 JUGEND 1896

„Ich fürchte, dass ich ihm noch einmal am Gedeihen des Geschäftes und des Ver- Er war glücklich und gewann sehr an
in den Gesicht schlagen werde“, sagte mögens betheiligt, sie stand hinter dem Selbstachtung in jenen Wochen, er strahlte
Mr. Klein einst zu mir. Die deutsche Ladentisch und schnitt einen Schinken um vor Wonne, wenn er in seinem Tilbury mit
Grammatik war seine schwächste Seite. — den andern in dünne Scheiben — 40 Jahre der schönen Else ausfuhr, wenn er mit ihr
Unter des Barons Anleitung hatte Char- ihr Lebenslang. Ihrer Virtuosität im Schnei- im Theater sass und kaum die übliche bla-
ley manchen Fortschritt gethan im Cavalier- den und Wiegen des Schinkens verdankte sirte Miene zu Stande bringen konnte in
werden. Er hatte sich die grossen Brillant- Charley nicht zum kleinsten Theile seine seinem Stolz darüber, dass sich bei ihrem
hemdknöpfe ab- und eine wohlthuende glückliche Lage und das that genug dazu, sein Eintritt sofort alle Operngläser nach ihrer
Einfachheit in seiner Eleganz angewöhnt; Frauenideal in der Richtung zu suchen, in Proszeniumsloge — es war die theuerste im
er bestellte den Champagner nicht mehr derdas Wesen seiner Mutter gewachsen war. Hause — richteten.
ausschliesslich nach dem Preis, sondern Angst vor allem Skandal, vor jeder Dass Fräulein Else dem ungeliebten
kannte auch die Marken, sprach sach- Unerquicklichkeit hatte er auch, und seines Menschen gegenüber, der durch Nichts auf
kundig von Hennessy, Märtel u. s. w., auch unvortheilhaften Aeussern war er sich eben- sie Eindruck machte, nicht durch Rang,
kannte er die wichtigsten englischen Sports- falls bewusst. noch durch Manieren oder Chic, dass dieses
ausdrücke und sprach sie richtig aus. Was Indessen — ein Lebemann ohne ein Weib gegen den dummen Charley nicht ge-
der Baron wusste und kannte, brachte er flottes Weib — der Baron hatte ganz recht rade die vortheilhaftesten Seiten ihres We-
seinem Zögling bei — nicht aus irgend — es ging wirklich nicht! sens herauskehrte, kann man sich denken.
welchem Interesse für Charley, sondern Und gütig, wie er stets gepflegt, schaffte Sie gab sich keine Mühe, es irgendwie zu
weil sothaner Unterricht stets ausreichende van der Week auch dieses Mal Rath. Er verbergen, dass es ihr nur um sein Geld
Gelegenheit bot, von der wohlgespickten machte seinen Zögling mit einer schlanken zu thun sei, und waren Andere zugegen, so
Börse des „Emporkömmlings“ Gewinn zu blonden Schönheit bekannt, einer Choristin, Hess sie es Jenen in der verletzendsten
ziehen. Der Baron war nicht der einzige die in der Kunst, Männer auszubeuten, An- Weise verstehen, dass ihr nichts an ihm lag,
Schmarotzer Charley Gänsbergers, aber er spruch auf jede Meisterschaft der Welt dass sie sich an einen Proletarier weg-
war der gründlichste. hatte und cynisch genug war, mit Vorliebe geworfen, der sie nicht zu würdigen wusste.
Und er war ein Lump. von ihrer Vollkommenheit in dieser Kunst Er litt Alles geduldig und nahm die scham-
Er hatte dem albernen Jungen eines zu reden. Schön war sie wohl — so schön, lose Impertinenz der Choristin als nothwen-
schönen Tages eingeredet, ein Mann wie als ein Weib sein kann, das frech und digen Bestandteil des Verhältnisses mit
er müsse sich auch ein flottes Weib halten. temperamentlos zugleich ist. einem flotten Weibe hin. Schlecht behandelt
Auf das warCharleyschwereingegangen. An diese Prima-Adresse empfahl van der zu werden von Creaturen, welche von ihm
Familienüberlieferung war so etwas nicht Week seinen Schützling und kurz darauf zehrten — Du lieber Himmel, das war er
bei den Gänsbergers. Bis zur vorletzten hatte Charley das unbestrittene Recht, sei- ja gewöhnt. Er litt Alles geduldig, wie ge-
Generation hatten sie Mühe genug gehabt, nen übrigen Ruhmestiteln als Lebemann sagt und war sogar stolz darauf, wie etwa
ihren legitimen Frauen ausreichend und auch noch den hinzuzufügen, dass er die ein jugendlicher Athlet stolz darauf ist,
gut zu essen zu schaffen. In der letzten hübscheste und eleganteste Maitresse in Schläge und Verletzungen nicht zu spüren.
Generation noch war die Frau sehr lebhaft i der Stadt besass. „Wenn man die Weiber kennt, nimmt

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man ihnen nichts mehr übel“, sagte er ein- sollte.“ Er hörte das so gerne und es war genug zu klatschen und zu staunen, durch
mal, als wir ihn seiner übergrossen Sanft- so leicht, ihm die kleine Freude zu machen. seinen Luxus und seine Extravaganzen.
muth halber zum Besten hielten. Charley Charley’s Augen leuchteten. Immer wei- Charley prahlte mit ihr, wo er konnte, schien
~~ und die Frauen kennen! Ebenso gut ter machte er sein Herz vor mir auf. glücklich, wenn man ihr den Hof machte
kannte er die Marsbewohner. „Nach und nach hat man wohl gelernt, und war „korrekt“ genug, es lächelnd hin-
An jenem Abend fügte es der Zufall, sich zu benehmen. Ich gebe ja viel Geld zunehmen, wenn Einige darin recht weit
dass wir allein noch am Tische sassen und aus, aber nicht wahr, das bin ich nicht, gingen. — Auch in diese neue Rolle hatte
6in weiterer Zufall mag es gefügt haben, was man einen Protzen heisst?“ er sich mit dem bewunderswerthen Fleiss
uass Charley — der überhaupt das Herz „Gewiss nicht — im Gegentheil! Sie eingelebt, mit dem ef seinen Bestrebungen
auf der Zunge trug — offen und ehrlich sind oft sogar ein wenig zu bescheiden — nachging, ein echter und rechter Cavalier
selbst von allen seinen Lächerlichkeiten zum Beispiel dem Baron gegenüber.“ zu werden.
2u sprechen anfing. „Ja der — das ist eine eigene Sache! Bios eins hätte er nicht thun sollen:
. »Sehen Sie, ich weiss ganz gut, dass Er ist mir so furchtbar überlegen in Allem Sich in Else verlieben!
mich die Leute oft auslachen, weil ich, der und so sarkastisch! So sarkastisch! Und Und das that er. Seine „vornehme
Metzgerssohn, der keine Figur macht und er hat mir doch manchen guten Rath ge- Kälte“ war eine mühsam aufrechterhaltene
U'chts gelernt hat, nun einmal ein Lebe- geben und Manches genützt. — Uebrigens Komödie. Wer ihm aufmerksam zusah,
mann sein will. Aber Neid ist auch genug — wissen Sie, dass ich einen ganz ver- musste bald vernehmen, wie leidenschaft-
uabei, wenn sie lachen, denn ich kann mir rückten Wunsch habe — lachen Sie mich lich stets seine Blicke an ihr hingen, wel-
uas Alles gönnen und es kommt schliess- nur aus! Ich möchte mich auch einmal im chen harten Kampf sein vornehm geduldiges
>ch Niemand zu kurz damit. Ich auch Leben duelliren —“ Lächeln oft mit dem Ausdrucke hoffnungs-
muht, ich weiss recht gut, wie weit ich „Mit wem?“ loser Verzweiflung auszufechten hatte, be-
,ann. Und gerade weil mich die Leute „Mit Irgend einem! Es müsste ja gar vor es herrschen durfte auf seinem Gesicht,
beneiden, will ich es ihnen zeigen, dass nicht auf Tod und Leben sein. Aber erstens wie ihn mit jedem Tag ihre Rohheiten
man ein Cavalier werden kann, auch wenn hat doch jeder Lebemann so was einmal tiefer verwundeten, wie ihm zuletzt doch
man nicht dazu geboren ist. Ich habe so mit durchgemacht und dann meine ich die Schamröthe aufstieg, wenn sie ihn de-
'Uentlich Alles erreicht, was ein Lebemann man würde mich eher für voll nehmen’ müthigte. Und man sah, wie sehr es ihn
aben kann: kein Prinz fährt und reitet wenn man wüsste, dass ich mich geschlagen glücklich machte, wenn erihreinen Wunsch
essere Pferde; ich habe die Welt gesehen habe.“- erfüllen konnte, wenn er für eine kostbare
nd jedes Vergnügen mitgemacht, das auf Ja wahrhaftig, er war ein Esel in Folio Gabe einmal einen freundlichen Dank erhielt
rden zu haben ist; ich habe die beste Jagd der gute Charley, dem war nicht abzuhelfen! _ denselben Dank, der einem Andern zu
b der Gegend — und dann die Else! Sie * Theil wurde, wenn er ihr den Handschuh
“ssen doch selbst sagen, dass es kein ** vom Boden aufhob oder einen Stuhl zu-
unoneres Weib in der ganzen Stadt gibt.“ Ein paar Monate hatten unseres Freun- recht rückte.
lh we'ss allerdings auch nicht, was des Beziehungen zur schönen Else schon Er liebte die schöne gelbhaarige Bestie
nen zum Vollblutlebemann noch fehlen gedauert und das Weib gab der Stadt Stoff mit einer Liebe ohne Halt und ohne Mass,

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Nr. 11 JUGEND 1896

läppisch und ungeschlacht, voll Angst und „Sie hätten ältere Rechte ein wenig re- Wir sprangen hinzu. Vor Schmerzen
Scham und Selbstquälerei. spektiren sollen, Herr Gänsberger.“ Der zusammengekrümmt lag der Arme da und
Eines Abends sassen wir — Charley, sprang jäh auf, dass ein paar Gläser um- was sich in seinen Zügen malte, war we-
Mr. Klein und ich zusammen in einem fielen — das verstand er doch! niger Todesangst, als ein massloses Staunen.
Restaurant. Der Erstere blass, unruhig und „Was soll das heissen?“ rief er, heiser „Mit mir ist’s aus“, flüsterte er und griff
zerstreut, sah zum Erbarmen aus. Selbst vor Wuth. nach seiner Brust und das rothe Blut rie-
auf sein Aeusseres hatte er nicht mehr „Dass Else meine Geliebte war, bevor selte ihm zwischen den Fingern durch; der
die gewohnte Sorgfalt verwendet, seine ich sie Ihnen abgetreten habe. Jedermann’s Arzt riss ihm das Hemd auf und schüttelte
Cravatte sass schief, sein Haar war nicht Geschmack ist’s freilich nicht, mit dem sofort den Kopf.
so wohlgescheitelt wie sonst. vorlieb zu nehmen, was andere Leute nicht „Nichts mehr zu wollen!“
Plötzlich fragte er heiser, wie man in mehr mögen!“ Charley’s Kopf sank zurück, sein Ge-
grosser Erregung spricht, abrupt, mitten Bebend, zehnfach in seinem Empfinden sicht wurde leichenblass. Mister Klein bet-
in einem Gespräch über politische Vor- gekränkt, sprang der Andere auf, und was tete das Haupt des Sterbenden auf einen
fälle: „Was würden Sie sagen, wenn ich er nun that, war nicht cavaliermässig und zusammengerollten Ueberrock und sagte,
die Else heirathete?“ durchaus nicht korrekt. Klatschend fiel jenem fast zärtlich die Stirne streichend:
Da war nicht gut antworten. Charley Charley’s mächtige Hand ein paar Mal auf „Sie haben sich geschlagen wie eine
fuhr fort: das Gesicht seines Gegners und bevor sich echte Cavalier.“
„Ich weiss Alles, was man dagegen einer in’s Mittel legen konnte, zappelte das Der Verwundete lächelte dankbar. Das
einwenden kann. Sie hat kein gutes Vor- zierliche Herrlein blutend auf der Diele. Lob that ihm wohl. Aber ein ehrlicher Kerl
leben — aber wie soll ein schönes Mädel, Man sprang dazwischen, wusch dem war er immer gewesen und dies zeigte er
arm wie sie, zu einem solchen kommen? Baron die Nase und brachte Gänsbergers auch jetzt. Mit Anstrengung brachte er die
Sie ist jetzt oft nicht lieb gegen mich — Fäuste zur Ruhe. Worte heraus:
aber das wird sie als meine Frau schon Und dann — erledigten wir das Uebrige „Unter uns gesagt — ich habe es wirk-
werden. Ich schaffe ihr doch eine Position in der herkömmlichen Weise. lich nicht geglaubt, dass ein Mensch den
- das dankt sie mir auch!“ Als wir am andern Morgen um elf Uhr Andern — so ohne Weiteres über den
„Es wird Ihnen furchtbar viel Geld Charley die Bedingungen seines Gegners Haufen knallt — wenn er ihm so viel —
kosten, wenn Sie sich wieder von ihr mittheilten, war jener ruhig, fast heiter. Geld schuldig ist. Ich habe auf den Baron
scheiden lassen,“ sagte Klein. „Und es „Also auf morgen früh!“ sagte er bei’m gar nicht geschossen.“
wird gewiss so kommen, glauben Sie!“ Auseinandergehen. „Nur keine Aufregung! Er gab uns Beiden die Hand. Mit ver-
Der Verliebte starrte ihn rathlos an Unter Lebemännern kann so was ja ein- löschendem Lächeln blickte er mich an.
und seufzte dann mit dem Ausdrucke voll- mal Vorkommen. Wenn man es dann nur „Sehen Sie — nun hab’ ich doch —
kommener Hilflosigkeit: korrekt austrägt! Uebrigens — der Baron mein Duell!“
„Aber ich kann mir einfach nicht mehr hat geflunkert gestern — und Else hat mir Seine Augen wurden gläsern, er sah
helfen. Ich gehe zu Grunde so, vor Ver- geschworen, dass kein wahres Wort an dem uns nicht mehr.
liebtheit und Eifersucht und Zweifel!“ ist, was er sagte.“ — Und nach wenigen Minuten sagte der
In diesem Augenblicke trat van der Er war unverbesserlich dumm ! Arzt, der sich über den Gefallenen gebeugt
Week ein, dem wir seit Langem thunlichst hatte: „Es ist zu Ende“!-
aus dem Wege gingen. Auch Charley war Der arme Charley! Wenn er wenig-
in den letzten Wochen nicht mit ihm ge- Wir fuhren durch den herrlichen Früh- stens die Notiz noch hätte lesen können,
sehen worden. Das fiel mir jetzt plötzlich jahrsmorgen vor die Stadt hinaus. Die welche am andern Tage die Zeitungen
ein. Der Baron schritt zu unserem Tisch Sonne schien goldig über die Rasenplätze brachten über den „Zweikampf zwischen
her. Das unvermeidliche Glas im Auge, der Anlagen, deren ersten grünen Schimmer zwei bekannten hiesigen Lebemännern!“
geschniegelt wie immer, aber ein wenig Primeln und weisse Anemonen in Massen
unsicher im Gang. Er hatte getrunken. durchstickten. Frisch und scharf ging der
„Na, Herr Gänsberger, was machen Sie Frühwind über uns hin. ,
denn? Man sieht Sie ja gar nicht mehr. Unser Duellant war munter; der Ameri-
Immer in Minnediensten — was?“ kaner, der ihm sekundiren sollte, bleich
„Lassen Sie mich zufrieden!“ gab ihm und erregt. Er hatte den Pistolenkasten
der Andere grob zur Antwort, — grob zum auf seinem Schooss und sprach in den
ersten Male, seit wir ihn kannten. kräftigsten Ausdrücken über den Baron Die Philosophen.
„Er ist böse auf mich,“ näselte van im Speziellen und über europäische Ehr-
der Week. begriffe im Allgemeinen. Sie tranken Bier und hielten Rath
„Ich will mit Ihnen überhaupt nichts Als wir auf dem verabredeten Platze, Am Wirthstisch hinterm Ofen.
mehr zu thun haben.“ An Charley’s Schlä- einer breiten Lichtung in den Auen des Der Eine war ein Mann der That,
fen schwollen die Adern an. Ich hatte Flusses, angekommen waren, wickelten sich Die Andern Philosophen.
ihn bis jetzt nie erregt gesehen und fühlte, die üblichen Ceremonien glatt und schnell
dass Ungewöhnliches in ihm vorging. ab. Der Baron hatte einen Sekundanten, Man sprach natürlich von der Frau,
„Pah!“ machte der Andere und schlürfte der genau so geziert und albern aussah, Dem räthselhaften Wesen,
seinen Cognac, mit affektirter Grazie den wie er selbst. Der Unparteiische, ein ha- Der Eine kannte sie genau,
kleinen Finger der Rechten ausspreizend —
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gerer, trockener Herr mit martialischem Die Andern nur vom Lesen.
„pah! Weibergeschichten, meine Herren! Schnurrbart, vollzog seine Obliegenheiten Der Eine lobte ihr Geschlecht,
Wenn Einer seine schöne Else ansieht “ mit gemachter Gleichgültigkeit, wie ein Ball- Weil er ihr Glück genossen,
„Sie waren einfach unverschämt neu- ordner, der eine Franpaise kommandirt. Die Andern räsonnirten recht
lich —,“ brauste Charley auf. „Und dies steht Hart und schnarrend fiel das Kommando. Und machten bitt’re Glossen.
Ihnen schlechter an als jedem Andern.“ Charley schoss sofort, hastig, ohne zu
Wir Alle wussten, dass es dem Baron zielen. Er fehlte. Van der Week, der asch- Die Kellnerin liess alle Vier
wirklich schlecht anstund, gegen Charley fahl mit verbissenem Gesicht dagestanden Am selben Abend warten,
unverschämt zu sein. Das fühlte Jener hatte, rückte bis zur Barriere vor und schoss Die Philosophen auf ihr Bier,
auch. Er wurde dunkelroth und sagte dann dann sicher und ruhig den guten Charley Den Andern hinterm Garten.
mit seinem süffisantesten Gesicht: Gänsberger nieder. FERDINAND V. HORNSTEIN.

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Der Malerinnen-Stammtisch im „Mauen Strumpf“,
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Originolzeichnung von Felix Hellenberg (Stuttgart).


Verblühter Ginster und verkrümmte Föhren Des Herzens PoCJ|7/l7leln fav!fte Klang, Kaum noch gebeut der Glieder Kraft Dein Wille,
Und Haidekraut — und Schweigen weit und breit. U1C zwischen Kie«Ä<Je’' gj p, starren,
Die Die stumme Oede lähmt sie mehr und mehr —
Kein Käfer raschelt und kein Vogel schreit — Eintönig fort im b^n'rd Dej^^n - Und auf dem Herzen liegt Dir zentnerschwer
Des eignen Herzens Pochen kannst Du hören! Und Schritt um ^ oeele bang. Die dumpfe Last der fürchterlichen Stille! w. o.
Nr. 11 I! JUGEND 1896
I

man selbst dabei geworden, wie man sich selbst Rechnung


Ein froher Tag. getragen, danach fragt ja kein Mensch. Man ist abgethan,
hat nichts mehr zu erwarten als — und der wird auch noch
(Zur Psychologie der Schwiegermutter.) kommen. —
Sie war angelangt.
Von Georg Borchardt. Rasch ging sie herauf. Ohne nur Licht anzuzünden, im
An der Garderobe drängte man sich. dunkeln Zimmer riss sie sich beinah die Sachen vom Leibe.
Die Damen rafften ihre langen Seidenkleider auf, hüllten Die alte Dame, sie fühlte sich so todmüde — so — nur zu Bett!
sich in die schwanverbrämten Tücher und Ueberwürfe, bastel- „Das kann ja alles morgen nachgesehen werden.“ —
ten und nadelten an einander umher, gaben ihren Männern Als sie über den Seidenstoff des Kleides strich, ging es
die Fächer zu halten mit der Weisung, sie ja nicht zu ver- ihr bis in die Haarwurzeln.
lieren, sie wüssten ja selbst, wie kostbar sie wären. Sie warf sich in’s Bett und zog die Decke über sich.
Die Männer zogen ihre Pelze an und alle waren miss- Ah — sie fühlte sich so entsetzlich einsam. Niemand
muthig, wie die Trinkgfeldgesichter der Lohndiener, miss- bei ihr, niemand. Wenn sie nun jetzt stürbe. Wenn — sie
muthig, wie ältere Leute stets Bälle und Hochzeiten zu ver- nun — jetzt — stürbe!
lassen pflegen.
Drinnen im Saal setzte die Musik von Neuem ein und Sie dachte an ihre Tochter und es schien ihr plötzlich
die tanzenden Paare glitten wie Marionetten an der breiten so eine grenzenlose Niedertracht, so eine ausgesuchte Bos-
heit, sie zu verlassen, sie eines solchen Kerls wegen so ganz
Thüre vorüber, doch eine fröhliche Stimmung wollte auch allein zu lassen. Jetzt mit einem Mal zu jenem zu gehören
hier nicht mehr einkehren. Die Pausen der Musiker wurden und nicht mehr zu ihr. Was hatte sie ihr denn Böses gethan?
länger und länger, die Tänze desto kürzer. Es ging zum Schluss.
lieber Allem lag eine Liebersättigung und Müdigkeit. Sie dachte an sich selbst, dachte an ihren seligen Mann,
Das Brautpaar war auch schon fort, und ein Jeder dachte er war nun schon sechs Jahre todt, sie hatten sich stets gut
sich das Nothwendige. vertragen, sie hatte ihn sogar einmal sehr lieb gehabt, das
Die Gespräche erlahmten und schienen, nach den ge- hatte sich nun auch mit den Jahren abgeschwächt.
langweilten Gesichtern zu schliessen, mehr und mehr banal Sie sah ihre ganze Vergangenheit vorüberrollen; es war
zu werden, nur in einer Ecke versuchte man noch zu geist- alles stets am Schnürchen gegangen, Noth und Sorge hatte
reicheln und zu lächeln. sie nie gekannt und doch war es so entsetzlich öde, nichts,
Ein älterer Herr, der des Guten zu viel gethan hatte, wie geboren werden, heiraten, gebären, verheiraten und
machte kindliche Gehversuche, setzte sich aber, als er sich sterben, nein — nein — absterben.
bemerkt glaubte, schnell wieder hin. — — Und im Augenblick erfasste sie, sie wurde sich selbst
„Ach, auch ich werde nach Hause gehen, man wird nicht klar darüber wie es geschehen konnte, ein so ungerecht-
mich nicht vermissen,“ dachte die alte Frau. „Nun hätte ich fertigter Zorn gegen ihre undankbare Tochter, gegen dieses,
auch das hinter mir.“ dieses — widerliche Mannsbild, das ihr die Tochter genommen,
Das sollte nun mit der glücklichste Tag ihres Lebens dass sie mit aller Kraft die dicken, kleinen Füsse gegen die
sein. Ach! sie fühlte sich missgestimmt, so matt, so zer- Bettwand stemmte, die Hände zusammenballte in ungerecht-
schlagen! Es war ihr, als ob man mit kleinen Hämmern fertigter Wuth, laut aufschluchzte.
auf ihrem Kopf herumtrommle. Ja — wenn ihr Seliger
noch lebte!
Das war also jener ersehnte Tag, dem sie in Sorgen
und Freuden 23 Jahre entgegengesehen, der Tag, zu dem
sie ihre Tochter erzogen, der Tag--
Fort! Hinaus! Nur allein sein, nicht mit all' diesen
Menschen zusammen!
Und wie ein Dieb stahl sie sich fort zur Garderobe. Vor-
sichtig, dass sie nur von niemandem bemerkt werde, eilte sie
die Treppe hinab und winkte ihrem Kutscher.
So — so.
— Jetzt war sie wenigstens allein.
Wenn sie nur erst zu Haus wäre! —
Sie liess sich in die Kissen zurückfallen und schloss die
Augen.
— Das war die letzte. Nun war sie allein, ganz allein,
hatte niemanden mehr auf der Welt, sie war abgethan, nie-
mand bekümmerte sich jetzt noch um sie. Ach — Warum
war sie kein Mann. Fünfzig Jahr und todt sein! Nichts thun
können, nichts im Leben gelernt haben, nichts können, nichts
wissen. Mit 50 Jahren seine Pflicht gethan haben, seine
Kinder erzogen, verheiratet und jetzt allein dasteh’n. Was

174
1896 JUGEND Nr. 11

„Das Ringlein am Finger hat


bindende Kraft.“
Das Ringlein am Finger, wie glänzt es so hell! —
Ach gütiger Himmel, wie halt' ich so schnell
Das Ringlein, das Ringlein am Finger!
Nun bring’ ich das Ringelein nimmer herab,
Und wenn ich auch stürbe: müsst’ nehmen in’s Grab
Das Ringlein, das Ringlein am Finger.
Wohl ging ich und klopfte beim Pfarrer an:
„Herr Pfarrer, Ihr habt mir’s angethan
Das Ringlein, das Ringlein am Finger;
Nun seid auch so gut und nehmt’s wieder zurück,
Es bringt mir kein’ Segen, es bringt mir kein Glück
Das Ringlein, das Ringlein am Finger!“
Der Gottesmann runzelt’ die Stirne gar sehr:
„Da hilft dir kein Gott und kein Teufel nicht mehr
Vom Ringlein, vom Ringlein am Finger;
D’rum gehe und sei getrost, mein Sohn,
Gross wird einst sein im Himmel dein Lohn
Für’s Ringlein, für’s Ringlein am Finger!“
Dess war ich zufrieden und klagte nicht mehr.
Erzähl’fdie Geschichte nur Andern zur Lehr
Vom Ringlein, vom Ringlein am Finger.
Und wer’s noch nicht hat — ihm sei’s nicht verwehrt!
Doch mein ich, der Himmel ist keinem versperrt
Auch ohne das Ringlein am Finger. liber

Für die „Jugend" gezeichnet von George Delaw (Paris).


— Monsieur, ce sont des creanciers, ils sont plus de vingt que faut-il leur dire?
— Dis leur que les rassemblements sont interdits!
(„Gnädiger Herr, es sind Gläubiger da, mehr als zwanzig — was soll man ihnen sagen?“
„Sag’ ihnen, dass Menschenaufläufe verboten sind!“)

»7J
Nr. 11 JUGEND 1896

Herren!
Und ich schwör’s beim Gott der Stärke:
Ich zerbreche meine Laute,
Wenn mich auch das weiche Girren
Wohl zu Zeiten sehr erbaute.
Ich zerbreche meine Laute —
Will mit schmetternden Trompeten
Künftig durch das Leben reiten
Und mit neuen Musageten.
Denn wir wollen sein die Jünger
Jener kühnen, neuen Lehre,
Frank und frei von jedem Unmutb,
Jeder Feigheit, jeder Schwere.
Als ein leichtes Volk der Sieger
Stehn wir auf, die Banner fliegen,
Und in’s blanke Kleid aus Eisen
Wollen wir die Glieder schmiegen.
Herrschen wollen wir und künden
Herrisch auf jedwede Knechtung,
Und verfallen soll die Schwäche
Uns’rer grausam stolzen Aechtung!
EMIL RECHERT.

&
Zu Zweien.
Leg’ Deine Hand in meine Hand
Und sei mein Weib und mein Gesell.
Ich führe Dich in’s Sonnenland,
Dort fliebn die Jahre taubenschnell.
Und fürchtest Du die finst’re Nacht,
Sollst Du an meiner Schulter ruhn,
Die beiden Augen zugemacht,
Wie tieferschrockene Kinder thun . . .
Am Himmel steh’n die Sterne dicht;
Durch stumme Kronen streicht der Wind.
Ich lächle leis . . .
... Du siehst ja nicht,
Dass wir schon längst im Dunkeln sind.
LUDWIG JACOBOWSKY.

Manches in den Wind gesproch’ne Wort


Kleine Münze. Trägt der Wind zu fernen Hörern fort.
Und wärest Du auch noch so klug, M V. S.
Der Dümmste ist gescheidt genug,
Wenn Du einmal gestolpert bist,
Den Stein zu zeigen, der Schuld d’ran ist. Daheim.
DR. B. W.
CO Müde, verstimmt
Ueber meine vielen Pläne Komm ich nach Haus. —
Thut doch nicht verwundert. Und jetzt noch Kinderlärm!
Tausende Blüthen schmücken den Baum. Wer hält das aus? — -—
Früchte? — Oft nicht hundert. Da schaut durch die Thür ein rund Gesich
Würde jede Blüthe zur Frucht — Der Jüngste ist’s. - Ein putziger Wicht -
Nimmer könnt’s der Baum ertragen. Und lacht. ..
Lass getrost den Wind zum Spiel Da wird mir so rührend dumn
Blüthen lustig von dannen jagen. DR. b. w. Ich tanz mit ihm in der Stube herum,
CO Dass die Diele dröhnt — und die Mutte
Wer zu sich selber stets die Wahrheit staunt:
spricht, „Ei, Mann, Du bist ja gut gelaunt!“
Ist gegen And’re auch sehr höflich nicht. DR. b. w.

176
1896
JUGEND Nr. 11

Für die „Jugend1' gezeichnet von Otto Seitz


Ein junges Weib — Ein alter Mann Eine harte Nuss — Ein hohler Zahn.
Nr. 11
JUGEND 1896

Ein Reiseabenteuer. uns der eherne Himmel, welcher seine sengenden Gluth-
„Ja, meine Herren“, begann der Gutsherr von Lugers- strahlen herabsandte — das war der trostlose Anblick, der
hausen zu den Honoratioren am Stammtisch, „wenn Sie so sich uns täglich bot. Was Wunder, dass unsere Wasser-
in aller Gemüthsruhe beim schäumenden Glas Bier sitzen vorräthe trotz ängstlicher Sparsamkeit bald zu Ende gingen
und das köstliche Nass schlürfen, werden Sie kaum begreifen und nun der Durst unser steter Begleiter wurde. Unsere
können, wie sehr der Durst den Menschen peinigen und zur Pferde und Kameele waren zu Grunde gegangen oder ver-
Verzweiflung treiben kann. Ich weiss davon ein Lied zu singen! schmachtend liegen geblieben; wir aber schleppten uns, vom
Es ist Ihnen doch bekannt, dass ich vor circa fünf Jahren Schreckgespenst des Verdurstens gepeinigt, an einer Rettung
eine Afrikareise gemacht habe, und da hatten wir — ich und fast verzweifelnd, weiter. —
meine Begleiter — leider genug Gelegenheit, den bösen Gast Da, als die Noth auf das Höchste gestiegen war, erinnerte
hinreichend kennen zu lernen. — ich mich glücklicherweise, in meinen Mantelsack, den ich nun
Sehen Sie dies kleine Fläschchen hier — ich trage es selbst schleppen musste, ein Fläschchen Wein gesteckt zu
als theuere Reliquie stets bei mir — dies winzige Fläschchen, haben. Ich griff darnach und förderte es zu Tage. Ursprüng-
gefüllt mit altem, trefflichem Burgunder, hat mich nebst sechs lich dachte ich daran, den Wein mit meinen Gefährten zu
Reisegenossen, durch drei Tage gelabt und uns alle vor dem theilen. Bald aber besann ich mich eines Anderen. Was
entsetzlichen Tode des Verdurstens gerettet.-- Allerdings würde dies Fläschchen nützen für sieben dürstende Kehlen?
bedurfte es zu diesem Kunststückchen einer grossen Geistes- Ein Tropfen Wasser auf einen brennenden Kessel! Damit
gegenwart, Kaltblütigkeit und einer seltenen Erfindungsgabe, wäre uns nicht geholfen gewesen, höchstens unser Ende um
durchaus Eigenschaften, welche jeder Afrika-Reisende vollauf einige Stunden hinausgeschoben worden. — Da fiel mir zu
besitzen sollte und die, wie Sie wohl wissen, auch mir keines- unserem Heile eine glückliche Idee ein, die ich allsogleich
wegs ermangeln. verwirklichte.
Ich sehe Ihre erstaunten Gesichter und Ihr ungläubiges Ich hiess meine Unglücksgenossen zu mir treten und zeigte
Kopfschütteln, so dass ich ohne alle Umschweife in medias ihnen das entdeckte Flächchen voll herrlichen Burgunderweins.
res gelangen will. Ha, wie ihre Augen wieder glänzten und ihre Mienen sich
Unsere Karawane war von Kairo aufgebrochen, um west- belebten! Dann entkorkte ich es langsam, setzte es an den
wärts marschirend das Land zu erforschen und schliesslich Mund und machte mit sichtlichem Behagen einen langen Zug.
nach Tripolis zu gelangen. Um sie noch mehr zu reizen, schnalzte ich sogar mit der
Einige Tagereisen ging es recht glücklich von statten. Zunge.
Schliesslich aber geriethen wir in eine Wüste, aus der wir Meine Begleiter schauten zu mit einer Begier, wie ich
keinen Ausweg mehr finden konnten. Unsere Lage war eine solche noch nicht gesehen. Vor heisser Gier und brennen-
überaus missliche. Unter uns das glühende Sandmeer, über dem Verlangen floss ihnen das Wasser reichlich im
178
1896 JUGEND Nr. 11

Munde zusammen, und das eben war’s, was ich bezwecken Ein dritter suchte was unter dem Tisch’
wollte. — Nun hatte ich ihnen auf künstliche Weise Und würgte an einer Gräte vom Fisch.
Wasser geschaffen, wenn auch in geringer Menge. Doch Den Vierten machte der Wein schon faul;
schluckten sie es beständig und waren darnach sichtlich ge- Verlegen hält er die Hand vor’s Maul.
labt, so dass sie ihren Marsch fortsetzen konnten. Diese Man rückt die Stühle — ein bischen Gesumm,
Procedur wiederholte ich mehreremale und ermöglichte es Dann sitzt man wieder am Tische herum,
auf die Weise, dass wir am Abend des dritten Tages eine Und kann sich mit munterem Lächeln gesteh’n:
Oase erreichten, wo wir reichlich Wasser fanden und von Gottlob! Das wäre nun auch gescheh’n! dr. thoma.
unserer Noth erlöst wurden. Es war aber schon höchste
Zeit, denn mein Wein war eben zur Neige gegangen und ich
hätte-meinen Genossen kein Wasser mehr schaffen können. — Parabase zu Ehren gelehrter Frauen.
Nun, was sagen Sie dazu, meine Herren? Ja, so was Viel Gründe gibt es, weshalb und warum hinfüro dem
kann Einem passiren im schwarzen Afrika!“ — schönen Geschlechte zum akademischen Studium der Staat
M. WINTERSTEIN.
soll gewähren die Rechte. — Am originellsten sprach jeden-
falls in der zweiten Kammer Bavaria’s Professor Günther,
Wie es werden wird. ein Herr aus der Pfalz, zu Gunsten der weiblichen Parias. —
Er sagte: Nicht schadet es, sondern es nützt, wenn unter
Zum Bankette vom 21. März 1896.
Motto: Welch’ ein Gefühl musst Du, o grosser Mann, und neben Studenten ein anders geartetes Wesen sitzt, d’ran
bei der Verehrung dieser Menge haben. jene sich bilden könnten. — Die Nähe des Ewig-Weiblichen
q Faust I.
bo nach dem fünften bis sechsten Gang, würd’ sicher die Wirkung üben, dass jene den unbeschreib-
Da blickt der Präses die Tafel entlang. lichen Salamander nicht mehr rieben — Den unterirdischen,
Er stochert eifrig im hohlen Zahn. wie er sich nennt, erdröhnend mit Donnergepolter, wenn die
Jetzt geht’s nicht länger, jetzt muss ich d’ran; Kanzel betritt ein beliebter Dozent — o scheussliche Ohren-
Verlegen rutscht er am Sitze herum, folter! — Auch Hessen die Herren gewiss unterwegs das
Dann klopft er an’s Glas. — Silentium! Bummeln und Saufen und Schwänzen, versäumeten nie den
Meine Herren! Sie wissen, ich habe die . . . Pflicht Besuch des Collegs, wenn fleissige Mädchen d’rin glänzen. —
Am . . . heutigen Tag zu vergessen nicht, Es folgte dem guten Exempel alsdann, wetteifernd mit Gret-
Dass der erste Kanzler Fürst Bismarck war, chen und Käthchen, manch’ Einer und würde der passende
• - Die Thatsache ist uns ja Allen klar. — Mann für das neben ihm sitzende Mädchen.
• - Weil nun die Stellung es mit sich bringt . . o-asv)
Ond . . gewissen Zusammenhang . . bedingt . .
So dürfte — ich lade Sie hiezu ein . . . Warum immer weiter schweifen,
Der Toast auf den Fürsten . . entschuldbar sein. sieh’ das Gute liegt so nah! .
Er blieb nicht stecken! Sieh’ da, es ging! Von ministerieller Seite wird in Rom zugegeben, dass
Der Beifall freilich war sehr gering. der Krieg der Italiener mit Abyssinien bereits so etwas wie
Herr Lieber bekam das Nervenzucken, 80 Millionen koste — für das Geld könnte man in Europa
Den Nachbar musste das Kopffell jucken, auch schon ganz hübsche Keile kriegen.

Die Verhandlungen gegen Dr. Jameson — vor und hinter den Coulissen.
179
Inseraten-Annahme Insertions-Gebühren
durch alleAnnoncen-Expeditionen
sowie durch
G. Hirth’s Verlag in München
und Leipzig. JUGEND 1896
Nr. 11

Die JUGEND erscheint allwöchentlich einmal. Bestellungen werden von allen Buch- und Kunsthandlungen, sowie von allen Post-
^ ' für die
4gespalt. Colonelzeile oder deren
Raum JL i —.

ämtern und Zeitungs-Expeditionen entgegengenommen. Preis des Quartals (13 Nummern) beiden Postämtetn in Deutschland M. 3.—,
Belgien 3 Eres. 61 cts., Dänemark 2 Kronen 69 Oere, Holland 1 fl. 95 ct., Italien 3 Eres. 88 cts., Oesterreich-Ungarn 1 fl. 90 kr.,
Rumänien 4 Eres. 20 cts., Schweden und Norwegen 2 Kronen 71 Oere, Schweiz 3 Eres. 65 cts., der einzelnen Nummer 30 Pf.
1

um einen frivolen Uebergriff in englische


Oberhoheitsrechte. Das Polarland, voraus-
gesetzt, dass ein solches vorhanden sei,
stehe unzweifelhaft unter der Souzeränität
der weisesten aller Grossmütter und die
britische Nation werde sich ihr gutes Recht
durch ausländische Anmassung nicht be-
einträchtigen lassen. Wie verlautet, wird
für Dr. J amesonin London jetzteine frische
Räuberbande ausgerüstet durch ein Comite,
an dessen Spitze Lord Salisbury steht.
Diese Bande wird dann (natürlich gegen
den Willen der englischen Regierung) im
Polarland, wo es keine Buren gibt, einfallen
und eine englische Kolonie gründen, so-
wie eine Gesellschaft mit beschränkter
Achtung zur Gewinnung des Eisens der
Erdachse, die ja am Nordpol leicht zu fin-
den sein muss. Mr. Austin, der poeta
Ein neuer Conflikt in Sicht! laureatus und Mitarbeiter des „Standard“,
Chamberlain hat im englischen Unterhause erklärt, wenn wirklich Nansen den dichtet bereits an einer Ode „Die Wacht
Nordpol und ein dortselbs! befindliches Land entdeckt habe, so handle es sich offenbar am Pol“.

Die kleine Excellenz. JULIUS BÖHLER


6 Soflenstr. München Soflenstr. 6
Herr Windthorst war ein Mann voll Herz,
vis-ä-vis des Glaspalast-Einganges.
Deshalb trieb er zuweilen Scherz.
Ja selbst in der Parteischlacht Hitze Hof-Antiquar Sr. Majestät des Kaisers und Königs.
Macht gute er und andere Witze. An- und Verkauf werthvoller Antiquitäten und alter Bilder
In Köln stritt er für Wahrheit und Recht
Und sagt nachher: Heut log ich nicht schlecht!
Das war ein Scherz! es ging nichts drüber,
Drum schrieb ihn sorgsam auf Herr Lieber.
„Germania“ noch manch Beispiel gibt
Von Scherzen, wie er sie geliebt:
Seine Base gebar ein Mägdelein.
Er sagt': Werft’s doch in’s Wasser hinein!
So war, heisst es, bekanntermassen
Seine gemüthvolle Art zu spassen.
„Germania“ bittet drum mit Grämen,
Den Mann beileibe nicht ernst zu nehmen.
Ganz recht! Wer wird ihm darob grollen!
Nur hätt’ sie’s früher sagen sollen. b. w.

Alte Kupferstiche.
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Hugo Helbing, 3$ad ^Brünnthal Vorzügliche


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Herausgeber: Dr. GEORG HIRTH: verantwortlicher Redakteur: F. von OSTINI; verantwortlich für den Inseratentheil: G. EICHMANN, G. HIRTH’s Kunstverlag; sämmtlich in München»
B ' ' Druck von KNORR & HIRTH, Gesi m. beschr. Haftung in München.
ALLE RECHTE VORBEHALTEN.
1896 - 21. März - JUGEND • I. JAHRGANG • NR. 12

l/’U

'<0 9uartai.pREi^ 3 Mark.


Prei^ per Nummer 30 pfg.
Ir
Verlag von O.^irth, München.

erausgeber: Georg Hirth. — Redakteur: Fritz v. Ostini. — Alle Rechte Vorbehalten.


Nr. 12 JUGEND 1896

Hans und Marie


iuiumuiiiiimi Eine durchausTnormaleTLiebesgeschichte.
iisiuumiuiiu
Es war Frühling. Die Obstbäume blühten und unter den Aufregend ist diese Liebesgeschichte nicht Besonders
Hecken die Veilchen. Es war ein Frühling, so schön, dass romantisch ist sie auch nicht.
ihm auch die Menschen ihre Herzen aufthaten. Der Himmel Aber eines ist sie gewiss: vollkommen normal.
blaute, die Sonne schien, die jungen Leute gingen ohne Paletot Und noch eins: — für den Hans und die Marie — die
spazieren und auf den Gassen spielten jauchzend die Kinder. schönste Liebesgeschichte, die sie überhaupt erleben konnten.
Die Alten aber sassen vor den Häusern in der Sonne und auch Darüber ist nicht zu streiten. Sich wollen, sich kümmern
die ältesten von ihnen konnten sich an einen Frühling, so und sich kriegen — das ist ein Rezept für’s Glück, unfehlbar
schön wie der, der eben war, schlechterdings nicht erinnern. und klar wie „Citronen, Rhum und Zucker“ zum Punsch.
Auch die Jungen hatten natürlich ihr Theil an dem wunder- Wenn die Ingredienzien gut sind, muss das Resultat er-
vollen Frühling und ihre Herzen wurden weit— so weit! nuicklich sein'. —. —
es ist gar nicht zu sagen. — — Und wem die Sache zu einfach ist, der kann sich aus
Am offenen Fenster des schönsten Hauses in der kleinen den Bestandtheilen dieser Liebesgeschichte ungezählte Varia-
Stadt sass ein junges Mädchen mit seiner Näharbeit, ein tionen zusammensetzen.
Mädchen, so hübsch wie der ganze Frühling, der draussen Da kann z. B. die Marie im armen Hause wohnen und
blühte. Aber ganz so sonnig wie dieser schien ihr Gesicht- der Hans im reichen, die Geschichte kann im Winter spielen,
lein nicht. Wie Wolkenschatten lag’§ drüber und die grossen statt im Frühling, der halsstarrige Vater kann auch eine hoch-
blauen Augen schimmerten feucht. näsige Mutter, oder ein spekulativer Vormund sein. Der
Was aber dies Lenzgewitter zusammengezogen hatte über Hans kann die Marie auch nicht kriegen, oder die Marie
dem Herzen der armen kleinen Marie, das war die Liebe! den Hans nicht mögen. Oder der Hans die Marie nicht.
Dem reichen Hause gegenüber in der gleichen Gasse Oder die Beiden schlagen ein abgekürztes Verfahren ein,
lag ein recht unansehnlicher und altersschwacher Bau mit überspringen den ganzen Passus von „Herzensnoth“ bis Ver-
vielen Rissen und Sprüngen und niederen Fenstern. Und zweifeln und gehen zusammen durch. Oder Mariechen trägt
hinter einem von diesen Fenstern sass Tag um Tag ein junger ihren Buben schon im Winter zur Taufe — vielleicht sogar
braver Handwerksgesell an seiner Arbeit. schon im Herbst. Der Schustergesell kann auch ein Schneider-
Da flogen denn die Blicke hinüber und herüber — und gesell sein, ein Assessor, ein Weinreisender oderein Einjährig-
eines Tages hatten sie sich lieb, der Hans und die Marie. freiwilliger. Die schöne Marie kann eine Brünette sein statt
Sie sagten sich’s auch eines Abends hinter den Stachelbeer- eine Blondine — auch im Charakter. Der Hans kann ein
hecken des Gartens. Filou sein, statt eines braven Kerls, und sein Lieb wenigstens
Nun wäre für die Beiden die Welt so voller Jubel und hektisch oder erblich belastet mit Weissgottwas. Vielleicht
Glückseligkeit gewesen, wie der Kirschbaum, unter dem sie kann das Mädchen auch über des Vaters Kasse kommen.
sich zum ersten Male küssten, voll von .Blüthen war. Aber Ebenso gut könnte die Marie eine Gräfin sein und der Hans
da war ein alter Zwist zwischen dem alten und dem neuen ein Lieutenant, ein armer junger Edelmann, ein Trapezkünstler,
Hause, ein alter Zwist und eine alte Schuld und ein hals- oder ein Jokey. Oder der Hans kann ein Graf sein und die
starriger und geldstolzer Vater, der „Nein“ sagte. Marie eine arme Näherin, die eine greise Mutter und fünf
Herzensnoth und Thränen kamen, Wirren und Sorgen, unmündige Geschwister mit ihrer Nadel erhält. Am Ende
Langen und Bangen, bittere Reden und süsser Trost, Argwohn ist vielleicht die Marie auch liederlich und Hans ist ein Bieder-
und List, Hoffen und Harren, Schluchzen und Verzweifeln. mann, wie sie in den alten französischen Rührstücken wachsen.
Aber irgend Etwas hat zu guter Letzt Mariens Vater doch Er grämt sich um sie zu Tode — oder nimmt sie schliesslich
weich gemacht — das Schicksal, oder die Gicht, oder die in namenlosem Edelmuth, wenn alle Welt sie verlassen hat,
treue Liebe der Beiden, Gewissensbisse, oder eine edle Thal doch noch zur Frau. So etwas ist immer sehr rührend. Oder
des Schustergesellen oder das Alles zusammen. sie ist brav und tugendhaft, er aber fasst einen Argwohn
Da sagte er ja und Amen und legte der schönen Marie und muss sich erst blamiren, bevor sie sich kriegen. Oder
den wackeren Hans in die Arme. sie nimmt aus Seelengrösse den Schein einer Schuld auf sich,
Und über’sjahr, als die Bäume wieder blühten und die um ihre Mutter zu retten, oder sie heiratet einen hektischen
alten Leute, die darunter sassen, sich wiederum keines Früh- Lebegreis, um ihren Vater vor dem Bankrott zu bewahren.
lingssonnenscheins erinnern konnten, so warm wie der, der Wie gesagt, das Thema lässt sich variiren bis in’s Un-
eben auf ihre runzligen Gesichter fiel, — über’s Jahr trug endliche. Bios die drei Hauptsachen müssen immer da sein:
Frau Marie ihren ersten Buben zur Taufe. — Der Hans, die Marie und die Liebe! m. w.
i8j
Originalzeichnung von Fidus.
Nr. 12 JUGEND 1896

„Ich bin die Flamme —" Zweifel Wie’s geht


Ich bin die Flamme, ich bin das Schwert, Des Zweifels Gipfel Befehde das Falsche und Schlechte —
Der eherne Reiter auf schwarzem Pferd, Hat er erreicht! Sie sagen, Du suchest nur Streit;
Der Mutter Thräne, der Väter Fluch, Nun sitzt er und sinnt Steh’ ein für das Echte und Rechte —
Das siebenzigmal versiegelte Buch — Gedankenbeschwert, Heisst’s: „Er geht nicht mit der Zeit!“
Ich bin die Sünde, ich bin der Reiz, Ob die Wurst beginnt
Ich bin die Quelle des tiefsten Leids Beim rechten Zipfel, Sei wahr — so lästert Dich prüde
Die Unruh’ der grossen Weltenuhr, Oder vielleicht Noch selber die saubere Zunft —
Der leere Raum in der Allnatur — Und wirst Du dann endlich müde,
Ich heisse Gracchus und Ahasver, Gar umgekehrt. v- H-
So heisst es: „Er kam zur Vernunft.“
Ich führe Wotans rasendes Heer, D. HAEK.
Ich heisse Ahriman, heisse Kain,
Ich bin das nie verstummende „Nein“,
Ich bin der Ketzer, der Antichrist,
Die Sorge um Alles, was noch nicht ist,
Ich bin der Leib, der ewig kreist:
Gelegenheit
Ich bin der Menschheit unsterblicher Geist! In meines Freundes Haus, des strengen
CONRAD ALBERTI. Herrn,
Da wohnt zugleich im Erdgeschoss
Ein Mädchen schön und anspruchslos;
Und diesen Freund besuch ich gern,
Um im Vorübergehen
Das hübsche Kind zu sehen.
Aus Freundschaft, wie er sagt, begleitet mich
Die Treppe bis hinab der Freund;
Er meint, man glaub’ ihm, doch mir scheint,
So artig zeigt er einzig sich,
Um im Vorübergehen
Das hübsche Kind zu sehen.
HERMANN VON L1NGG.

1S4
1896 JUGEND Nr. 12

#|p Legende von der Korall


1

Tiefpurpurn blaut das ewige Meer,


Im schmeichelnden Lenzwind rauschend,
Am Felsen spielend und ringsumher
Die tändelnden Wellen bauschend.
Darüber segeln im tiefen Azur
Verschwimmende Schleierwölkchen
Und auf kristallener Wogenflur
Weissschimmernde Mövenvölkchen.
Ein holdes Ahnen erfüllt die Welt,
Ein süssgeheimes Erwarten.
Ein Regen von Rosenblättern fällt,
Verweht aus cyprischem Garten.
Und unter wallendem Duft daher,
Umhallt von lockenden Liedern,
Ziehn Nymphen über das blaue Meer
Mit schneeig schimmernden Gliedern.
Es tönen Hymnen von hehrer Lust
Goldrosig glühen die Fluthen,
Als wollten an schwellender Meeresbrust
Die Rosen trunken verbluten.
Und sieh’ — den Wellen entsteigt ein Weib
Von unbeschreiblicher Schöne,
Das Meer gebar den herrlichen Leib
Mit wonnevollem Gestöhne.
Das ist Cythere, die holde Frau,
Das lichte Idol alles Schönen!!
Dank, dass du der göttlichen Glieder Bau
Enthüllt den irdischen Söhnen!
Da ritzt ein kantiges Felsengestein
Das Knie, das blendende, runde,
Und malt auf lebendem Elfenbein
Die zarteste, rosigste Wunde.
Hinab zum schillernden Meeresgrund
Die purpurnen Tropfen fallen:
Da wächst ein Zweiglein zur selben Stund
Von rothen Edelkorallen.
Sie flicht es in Goldhaar, wo’s wonnig ruht,
Das trug der Seewind nach Norden. —
So ist die Koralle, das Venusblut,
Der Schmuck der Schönheit geworden.
Ludwig Soyaux.

Zeichnung von Theo Schmuz-Baudiss.

-8;
Nr. 12 JUGEND 1896

Sonnenuntergang
Von Carl Busse.
Es war ein alterthiimliches Haus in einer nord-
deutschen Stadt, mit Wendeltreppen, die im Halbdunkel
lagen, und grossen niedrigen Zimmern. Eine sonder-
bare Luft herrschte drinnen; es roch nach alten Seiden-
kleidern, welche in schweren Schränken jahrelang auf-
bewahrt werden, es roch nach getrockneten Balsaminen
und anderen Kräutern, wie man sie früher wohl für die
Hausapotheke hielt. Die modernen Korridore fehlten
ebenso wie die elektrischen Klingeln, man trat vom Treppen Er war am Tische stehen geblieben und trommelte mit
flur sofort in die Stuben. den Fingern auf der Decke herum.
In eine Stube dieses sonderbaren Hauses trat an einem Das junge Mädchen war bei seinem Anblick in jähe
Dezembernachmittag Peter Karst, der junge Maler. Angst nach dem Fenster getreten, dass ein grosser Zwischen
„Du musst es nicht übelnehmen, Hedwig,“ sagte er und raum beide trennte. Eine Blutwelle nach der andern ging
legte den Hut fort, während er den Mantel anbehielt: „Ich über ihr volles Gesicht.
wollte nur noch einmal kommen und da dacht’ ich: es ist Warum kamst Du?“ fragte sie. Ihre Stimme war belegt
wohl besser, wenn Du der Nase nach g rade in ihr Zimmer und ohne Sicherheit.
gehst. Sonst siehst du sie überhaupt nicht mehr.“ „Ich war gestern mit Lorenz zusammen“, sagte er nur.

186
1896 JUGEND Nr. 12

Ihr Haupt sank mit schnellem Ruck hint- vollen Becher trank ich aus, Hedwig. Hebe,
über, ihre Hände fassten das schmale Fenster- man ist so dumm, wahrhaftig, ich hab’ ge-
brett, dass sich die Kanten tief in das Fleisch dacht, das müsst’ ich thun, um zu beweisen,
drückten. Einmal öffnete sie den Mund, wie wie sehr ich Dich . . lieb habe. Ja, so dumm
um etwas hervorzuschreien. Aber es gab kaum ist man noch!
einen Laut. Und so starrte sie ihn an. Und dann fragte ich. Und dann schrie er
„Hast Du mir gar nichts zu sagen?“ unter- auf und als ich sah, wie er den Becher an
brach er plötzlich das Schweigen. Doch er be- die Lippen setzte — ich hätt’ ihm den Becher
kam keine Antwort. Da setzte er sich langsam, aus der Hand schlagen mögen, denn er hatte
knöpfte sich den Mantel auf und sprach: auch Deinen Namen genannt. ,Siehst Du“,
„Glaubst Du, dass Lorenz lügt?“ sagte er, ,das ist mein Geheimniss. Bau nicht
„Nein,“ sagte sie. auf Weibertreue, Junge. Ist ein schlechtes
Er antwortete: „Es ist also wahr.“ Einen Ding darum. Dein Mädel — er hat Mädel ge-
Augenblick schien es, als schüttle ihn eine sagt, Hedwig — ist Dir doch gewiss sicher,
Wuth am ganzen Körper. Aberdas ging schnell wenigstens meinst Du so. Aber ich hab’ sie
vorüber; er sass bald so ruhig wie früher. gestern geküsst, jawohl, alter Junge, und sie
Das Mädchen stand noch immer fast reg- hat tapfer mitgehalten und in meinen Armen
ungslos am Fenster. Als sie ihn jedoch so gelegen, hier in diesen beiden Armen, und
ganz ruhig sah, kam es wie Trotz in ihr Ge- deshalb keine Feindschaft auch — was meinst
sicht. Du? — Das hat er gesagt.“
„Was willst Du eigentlich? Warum küm- Das Mädchen am Fenster war ein paar Mal
merst Du Dich noch um mich ? Warum schlugst zusammengeschauert. Ihre Hände umkrampf-
Du nicht die Thür zu? Du weisst doch nun, ten jetzt den metallenen Riegel.
dass es wahr ist! Willst Du mich zur Rede „Und was hast Du gethan?“ fragte sie dann
stellen? Ich bin doch kein Schulmädchen ieise.
mehr.“ „Was geht es Dich an“, fuhr er rauh em-
Da hob er den Kopf. por. „Das ist meine Sache.“ Und ruhiger
„Es steht Dir nicht, Hedwig — Du solltest setzte er hinzu: „Ich kam, um Abschied zu
mir die letzte Stunde nicht verbittern.“ nehmen und Dich zu fragen, wesshalb Du
Und während er aufstand und schwankend nich belogen und betrogen hast.“
®>n paar Schritte auf sie zuthat: „Warum hast Eine lange Pause entstand.
Du mir nicht die Wahrheit gesagt, Hedwig?“ „Ich muss es Dir erzählen“, begann das
Mit gesenktem Haupte schwieg sie lange. Mädchen endlich. „Lorenz kam vorgestern.
„Ich habe die Wahrheit gesagt,“ redete sie Du weisst, wie er ist. Er hatte wohl etwas
dann. getrunken. Seine Augen — er hat so heisse.
„Du hast mir gesagt, dass Du mich liebst.“ Augen, der Mensch ! Immer wenn ich ihn an-
„Ja.“ sah, hatte ich Furcht. Aber immer hatte ich
„Und als Beweis dafür wirfst Du Dich auch ein Gefühl: Du kannst nichts gegen ihn.“
Dorenz in die Arme?“ Sie holte tief Athem.
Eine Bitterkeit sondergleichen lag in sei- „Ich hatte Dich lieb, Peter, und ich habe
nem Ton. Sie wollte wieder trotzig werden. Dich lieb. Ich weiss, dass es so ist. Ich lüge
Aber sie erwiderte doch nichts, sondern wandte nicht, denn ich weiss, Du gehst und kommst
|'ch um und legte die Stirn gegen die kalten nicht wieder. Sieh 'mal, hier — oh ich habe
Scheiben. Durst gehabt, Jahr um Jahr! Du hast mich
Draussen war der Garten, Schnee auf den geküsst, Peter, einmal, wenn Du kamst, einmal,
wegen, Schnee auf den Bäumen. Hier und da wenn Du gingst. Aber ich hatte Durst trotz-
mgte feucht und schwarz auf den Beeten ein dem. Und da kam Lorenz. Ich habe ihn nie-
greifen Erde hervor. Und bis zum Horizonte mals lieb gehabt, keine Minute und keine Se-
dasselbe eintönige Winterbild, Grau undWeiss kunde. Vorgestern nun sprach er viel, wir stan-
Und Weiss und Grau. Die Sonne war halb den am Fenster. Ich wollte die Mutter rufen,
schon gesunken, nur ein paar letzte Strahlen doch ich konnte es nicht. Mir war heiss und
zitterten durch feinen Schneestaub und Dunst kalt. Seine Augen sind furchtbar.“
herüber. Er zog den Fuss zurück, es gab ein schar-
„Was hat er Dir erzählt?“ fragte das Mäd- rendes Geräusch. Draussen verzückte die arme
chen leise. Ihr Gesicht presste sich in Scham Wintersonne.
Ur*d Gluthen fester gegen das leichte Glas. „Ich weiss nicht mehr“, fuhr sie fast keuch-
„Wir waren zusammen,“ hub er an, „wir end fort und ihre Nasenflügel zitterten, während
sollten Abschied feiern. Wenn ich nach Bres- ihre Lippen geöffnet waren. „Er sagte: die Men-
,?u gehe, meinte er noch, und Du nach Ber- schen hier oben können nicht küssen. Wissen
ln, wer weiss ob wir uns dann so bald wieder Sie, wie man bei uns küsst? Und da nahm er
reffen. So wollen wir noch lustig sein. mich, Peter, und dann war alles alles so . .
Ob wir’s waren! An mein Talent glaub ich, so . . ich kann Dir das nicht sagen.“
.le Sorgen halt' ich mir schon vom Leibe und Ein langsamer Schritt schleifte die Wendel-
ann dacht’ ich, Hedwig, dass Du doch . . Du treppe hinauf. Er hielt im Flur vor der Thür
.°ch mich lieb hattest. Was fehlte mir also? an. Dann begann das Schleifen treppauf von
nd Lorenz war ebenso aufgeräumt. Seine neuem.
pugen — Du kennst ja seine Augen, die leuch- „Ist das Alles?“ fragte Peter Karst.
eten nur so. Er ist ja reich, und wir mussten „Nein“, antwortete sie. „Es ist ja gleich.
Silberbechern trinken, es waren ganz alte Du sollst auch noch wissen . - auch das letzte
. die goss er mit rothem Wein voll, so oft noch wissen. Er hat mich geküsst und ich hab
eiI,er leer war. ihm betäubt am Halse gelegen, hab ihn wieder-
Dr hat mich umarmt und geküsst — Gott geküsst, Peter, weil mich noch Keiner so ge-
erzeih> ihm die Sünde. Und dann war es wohl küsst hat, so toll, so verrückt, weil mein Durst
p° zwölf Uhr und wir hatten rothe Köpfe. — da hatte ich keinen Durst mehr, Peter!“
r lachte, tollte, sang. Und mit einem Male Er sass ganz still. Er dachte an Lorenz.
chwang er mir den Becher zu. ,Ich will kein Die Frechheit, fiel ihm ein, die Frechheit siegt
P^heimniss vor Dir haben, Peter“, sagte er. immer. Sie können nicht widerstehn, die nicht
]. . fing an zu singen: ,Bruder, Deine Liebste und andere auch nicht. Und ich wollte sie zu
r: Nun, er wusste es ja doch und so meinem Weibe machen.
e‘ >ch Deinen Namen und trank. Den ganzen

187
Nr. 12 JUGEND 1896

„Es ist kalt hier“, sprach er laut und erhob sich.


Sie schritt an ihm vorbei zum Ofen. „Ausge-
brannt,“ erwiderte sie.
,Ja“, sagte er mechanisch und knöpfte seinen
Mantel zu, „ausgebrannt.“
Die Dämmerung kam in’s Zimmer. Wie auf
Katzenpfoten schlich sie herein. Er stellte sich an's
Fenster hin, wo das Mädchen vorher gestanden
hatte und sah hinaus. Er wusste: es war eine Wende
in seinem Leben angebrochen. Und blitzschnell zog
noch einmal in bunter Mannigfaltigkeit alles an ihm
vorbei: seine Kindheit hier im Norden, sein schweig-
samer Vater, seine strenge Mutter mit dem herben,
hoheitsvollen Gesicht, seine ersten Malversuche,
der Besuch der Akademie, seine Rückkehr. Er er-
innerte sich, wie sie Alle seinen Bildern eine starre
Schlichtheit nachredeten. Und dann hatte er Hed-
wig kennen gelernt. Er wäre ihr treu geblieben,
ewig. Es lag nicht in seiner Natur, flatterhaft zu
sein. Und nun war es so gekommen. Er musste
gehen. Ob sie ihn liebte — wie sollte er die hei-
lige Scheu vor ihr haben, jetzt, wo er das alles
wusste. Seit gestern konnte er sie sich nicht mehr
als die Mutter seiner Kinder denken. Seit gestern
wagte er seine eigene Mutter nicht mehr mit ihr
zusammenzudenken.
Jetzt war die Sonne ganz untergegangen. Die Kälte
draussen schien zuzunehmen. Da wandte er sich um.
Er erstaunte, wie finster die Stube war. Sein
Blick wollte sich gar nicht daran gewöhnen.
„Die Sonne ist unter,“ sagte er.
„Es ist dunkel hier,“ antwortete sie. Nach einer
Pause setzte sie hinzu: „Ich kann nicht Licht machen.“
Wieder Schweigen.
„Leb’ wohl, Hedwig,“ presste er hervor.
Sie kam nahe heran; sie tastete nach seiner
Hand. Aber sie sagte nicht Leb’ wohl.
Und plötzlich fühlte er, wie etwas auf die Hand
fiel, die sie gefasst hielt: eine Thräne.
Da schwoll es in ihm auf; er nahm sie in seine
Arme. Sie schauerte zusammen; ihre Lippen bogen
sich. Doch er küsste sie nicht auf die Lippen, nur
auf die Stirn.
Und dann ging er. Sie redete kein Wort darein.
Er schloss die Thür, er stieg die Stufen der Wendel-
treppe hinab, er öffnete das Hausthor.
Es friert, dachte er und schlug den Kragen in
die Höhe. Dann schritt er schnell aus. Und er
fühlte, wie es für ihn unmöglich wäre, über das,
was er gestern und heut gehört, hinwegzukommen.
Sein Weib, die Mutter seiner Kinder, durfte vor
keinem Menschen auf der weiten Gotteswelt den
Blick niederschlagen! Es war einmal so.
Gestern Nacht — wenn er an die Nacht zurück-
dachte. Nun, sie hatte nichts gemerkt. Es war gut.
Er segnete heute, dass es ihm nicht gegeben war,
Leid und Glück so auszuströmen wie andere.
Noch ein paar Schritte lang blieb sein Haupt
geneigt. Dann hob er es. Jawohl, es musste auch
so geh’n und es würde geh’n! Die Kunst — die
ging doch über Weibergunst und Weiberliebe. Und
während er die kühle Abendluft tief einathmete,
schritt er durch Schnee und Winter seinem Heim
und seiner Arbeit zu.

Gedankenbalken Der Plagiator ist 'ein literarischer Schurke, der den Ge-
dankensplitter aus dem Auge seines Nächsten zieht, während
Noth kennt kein Gebot, lehrt beten und bricht Eisen; er im eigenen keine Balken, sondern nur die Bretter daraus
der Teufel aber frisst Fliegen in ihr. vor dem Kopfe hat.
Der Schalk hat statt des Steines der Weisen den des An- Manche alte Jungfer hat als Ei, welches klüger sein wollte,
stosses in dem Brette, welches die Welt vernagelt und bedeutet. als die Henne, demjenigen einen Korb gegeben, der jetzt, wo
sie Henne ist, Hahn darin wäre.
Jeder ist seines Glückes Schmied, glücklich allein ist
die Seele, die liebt, — Liebe macht blind und — eine blinde Ernst ist das Leben, heiter die Kunst, — Kunst geht
Henne findet auch manchmal ein Korn, wohingegen blinder nach Brod und — Wer nie sein Brod mit Thränen ass, der
Eifer nur schadet, — welch’ eine Fülle tiefer Gedanken- kennt euch nicht, ihr himmlischen Mächte. — — Weine,
kombinationen, von Schiller so genial zusammengefasst in weine, du heitere, brodessende Kunst, auf dass du etwas
die sechs Worte: „Drum prüfe, wer sich ewig bindet!“ himmlischer werdest! fleo und abnoba.
188
h

1896 . JUGEND - Nr. 12

Line frijr traurige Geschichte, in lustigen Verlrn


erzählt non Liber.

ßiittrr Kurt von Grirrktrin


Sibt still in keinem
Kämmerlein,
Lr ktübt die schmer-
gefurchte Stirn
Auf beide Mutte; es And eines schönen Lagrs kah
bucht kein Hirn. — Lr marschbereit im Schlakgrlah.
Jach fährt er auf, ge- Sicht kchwrrt' ihn, traun! die habe kein;
quält uun Lwrikel: Sir war rin einzig Läbelrin.
„hol' doch die ganze Welt der — Teufel!" Das wog er linnrnd in den Händen,
Wir's noch am Ißrftm zu verwenden.
— Geneigte Björrr, alt und jung!
Ich bitte um Lutlchuldigung „Was braucht's da wohl rin lang Lrlinnrn?"
Mr diese Worte meines Helden. Wollt' schon Versuchung ihn umspinnen.
Lu keiner Lhre muh ich's melden: Doch kiel zum Glück ihm plühlich rin:
Lr fluchte konkt ko Kannibalisch „Jetzt muh bald ihr Geburtstag lein!" —
Sicht oft; und mar meist lehr moralisch. „ha," rief er aus, „den lebten Laben
Weih' ich der Jungfrau von der Katzen!"
Kurt hatte einkt drei stolze Schlösser,
Lr ritt die allrrschönsten Kölker, Das Mäulrin Lrude von der katz,
Lr trank den allerbesten Wein, Das war kein hrihgeliebter Schab;
And schenkte gern auch Andern rin. Denn Keine Kam im ganzen Krich
And Lag und Sacht und Sacht und Lag An Länge ihr und Lugend gleich.
Mar stets bei Kurten Saukgelag. An dieses Mägdlein dachte er
Doch quält' ihn ein Gedanke lehr:
„Was willst der Jungfrau du, der hehren,
Am einen Lätzen denn brkchrrren? " —
Amkoukt zerbrach der arme Lropf
Im Schwrih des Angrfjchts den Kopf.
Gab's doch im billigsten Lazare
Mr einen Laben Keine Maare.
And dennoch, als der Lag erschien,
Da ging er freudestrahlend hin.
Mit krischgepubtem Schwert und Speer
And sprach: „Ich gratulire kehr.
And es urrgingen nicht drei Wochen,
Mar's Irhte Mhlrin angrktochrn;
And es vergingen nicht drei Jahr,
Das lebte Koh versoffen war.
Dir Schlüsfrr wurden auch verpfändet. —
So hat das Llättlrin sich gewendet.
Da sprach Kurt lachenden Gesichts:
.'Draus macht rin Kittrrsmann sich nichts!
Denn Schwert und Schild, womit er ficht.
Verfehl er und verkauft er nicht,
Lieht muthig in dir Welt hinaus, —
Kaubt Heiden und Philister aus "
189
1896
Nr. 12 . JUGEND
ßDflS blifb mir noch vom Ifbtm Saufen; Doch ehevür ich geh' van hier,
SDii magft dir frlbft dafür was Kaulen." Mehm' ich mir noch ein Souvenir."

Erkannt lah Lruüe von der Katzen


Lald Kurten an und bald den Laben. —
„Herr Kitter l Li wie generös!
Merri, das Illpker ilt zu grolz! Sprach's, zog lich einen Kettig aus
Gehaben Sie lich wohl, Monlieur! And ging in eines Wirthes Haus,
Ich habe jetzt zu thun — Wien!" Wo er ihn lchnitt mit seinem Schwerte,*)
Lum Tod gekränkt, zog Kurt nun 8b; And ihn mit Appetit verzehrte.
Lr münlchte lich sofort das Grab. And von dem letzten Laben loff
„Weh," rief er aus, „weh, Spott und hohn Kurt, dal; lein rother Schnurrbart troff
And Andank ilt der Liebe Lohn! Von braunem Lier. Lr trank und trank,
Mir ilt mein her; lo bang und schwül — Lis dal? er todt zu Loden lank-
Ich bring' mich um aus Ehrgefühl!" Denn damals war das Lier nicht theuer;
Man kaufte viel um einen Dreier. —

And als zur Jacht am Horizont


heraufgestiegen Kam der Mond,
Stieg Kurt in Lrudens Garten ein, Als Fräulein Lrude das vernahm,
Grad unter ihrem Lenlterlein. Ihr augenblilks die Keue kam.
hier, zwilchen Kettigen und Kolen, Sie weinte täglich — ach, wer dacht's! —
Wollt' er lich mit dem Schwert erltolzen. Von acht Ahr krüh'bis elf Ahr Jachts.
Mit Lhränen falzte lie ihr Lrod,
Er rief.- „L herzlos kallche Maid, And eines Lages war lie todt.
Ich trag' es nicht, dies Herzeleid!
Ich Kürz' mich in mein treues Schwert, Geliebte Hörer, die ihr zittert,
Das Hiera lteckt in dieser Erd'- Von Mitgefühl für Kurt erschüttert,
Fahr hin, fahr hin, o Lieb' und Leben!" — D lehrt euch das Änhril an,
Lr rief's und kürzte lich daneben. Das lo das Kleingeld ltikten Kann.
And bleibt rin letzter Lätzen Luch —
Da lag nun unler Kitter gut
Lelinnt Luch nicht — verbneipt ihn gleich!
And hielt lich kür total Kaput. —
Wielo das kam, das wollen wir *) (Den fettig. D. 0l.)
Sicht näher untersuchen hier. -
kurz, als die neue Sonne lachte,
Gelchah's, dalz wieder er erwachte.
Ls dämmerte in feinem Hirn,
Lr schlägt lich dreimal an die Stirn.-
„D weh', dalz Kurt von Geierltein
Lin lolcher Llel mulzte lein; —
Lahr' hin, o Jungfer von der Katzen,
Du bilt ihn gar nicht werth, den Laben!
190
1896
JUGEND Nr. 12

Reisespruch.
Bunte Dörfer, bunte Kühe,
Ackerpracht und Ackermühe,
Reichen Lebens frischer Lauf.
Dreht sich alles weit im Kreise,
Mittendurch geht Deine Reise,
Thu’ nur Herz und Augen auf!
O. J. BIERBAUM.

Krieg und Friede Um ihn in ihren Dienst zu stellen,


Sein irdisch Auge zu erhellen
Wenn Missgunst mich verfolgt und Neid
Und Hass mir häufet Leid auf Leid,
Eine Epistel an Frau Bertha v. Suttner. Für ihrer Gaben Wunderkraft. Auf meinem Rechte kühn bestehn?
Verzeihen Sie, verehrte Frau, Die erste sprach voll Mark und Saft: Werd’ ich nie Schächerwege gehn?
Geschichten sind’s, ich weiss genau, „Ich mache Dich zum Krieger, Helden — Stets bleiben, der ich bin, ein Mann?—“
Lie ich aufs Neu’ in Reime bringe, Ich unterwerfe Dir die Welten Da schwieg der „Friede“, schwieg und
So alt — so alt, wie — alle Dinge. Führ’ Dich zur Höh’, zu allem Grossen, sann.
Loch drängt’s mich, einem Friedensengel, Zum Abgrund auch, dem bodenlosen! Der Mensch jedoch mit trotz’gem Sinn
Ler so wie Sie in dem Gedrängel Ob Ungeheures drunten schliefe: Strekt’ seine Faust dem „Kriege“ hin.
Ler schnöden Welt mit ihren Leiden Wo Höhe ragt, da gähnt die Tiefe — So wählte er und als er wählte,
Lem Frieden Stätte zu bereiten, So werde wissend ihrer froh : Ich weiss es nicht, ob er da fehlte.
Vor keinem Mittel rückwärts scheut, Wo Grosses wächst, da wächst es so —!“ Auch scheint mir, dass ich sicher bin,
Auch 'mal die Meinung andrer Leut, — „O schliess Dein Ohr dem grausen Wort, Die Wahl war nicht nach Eurem Sinn.
Lie sich so gerne wie Sie „vertragen“, Er predigt Krieg, er predigt Mord —“ Doch eines weiss ich ganz genau:
*n ein’gen Worten frei zu sagen. So unterbrach ihn alsobald Ein Lump, der anders wählt gnä’ Frau!
Die zweite göttliche Gestalt. w. WAUER.
Vor vielen tausend, tausend Jahren „Ich biete Dir des Friedens Gaben:
La war der Mensch noch unerfahren Wohlsein und Wohlfahrt wird Dich laben, 7k
*n Tugend, Frömmigkeit und Laster, Verweilest Du auf meinen Wegen.
Ein ahnungsloser Vorwärtstaster.
Vom Bösen schied er nicht das Gute,
Der Demuth Glück, des Wohlthuns Segen Sprüche
Soll duldend, liebend All’ umfangen,
Lenn unerschlossen in ihm ruhte Bis dass wir wieder sie errangen, Willst Du froh durch’s Leben gehen,
Noch die Erkenntniss und das Wissen, Wie Gott aus seiner Hand sie Hess — Lern zwei schwere Künste üben:
Erfahrung nebst Gewissensbissen. Die ganze Welt als Paradies!“ Wie sie ist, die Welt verstehen,
^e>n Leben, Streben schien nichts Klares, Und sinnend stand der Mensch vor beiden Wie sie ist, die Welt zu lieben. h.
Nur Suchen und Versuchen war es. Und liess die Blicke niedergleiten.
Lrum stand er oft an Scheidewegen Gar mancher hat des Lebens Ziel erreicht,
Als ob er sich in sich verlor. Ein weiser Mann und dennoch freudenleer:
Ai’t sich in zaudernden Gesprächen. Doch plötzlich reckt er sich empor
Es weiss von auserles’nen Helden Erfahrung machen ist gar leicht,
Und hastig klingt aus seinem Munde Doch macht sie oft das Leben schwer.
Lerlei die Sage noch zu melden.
So Die schnelle Frage in die Runde:
ist es auch dereinst gescheh’n, „Wenn, holde Gottheit, Dir zu eigen Mühe, Verdienst, Verschuldung des Ahnen
Lass aus des Himmels lichten Höh’n Anbetend sich mein Herz wird neigen. bleiben das Erbtheil
Erdwärts zwei göttliche Gestalten Kann ich mit hocherhobnem Haupte, Stets des Enkels, und er ruhet, geniesset
^Um ersten Menschen niederwallten. Wenn Niedertracht die Ehr’ mir raubte, und — tyisst. h.—
191
Der fortgesetzte Ahnensaal des
Hauses ^immelburg
Meine Herren! Ich habe die Ehre> dazu erworben, welche von dem
Ihnen jetzt den Ahnensaal mit de11 Oralen Johannes, dessen Kammer-
he
Rüstungen des hochgräflich Wimrnel' -rtnmontur Sie da hinten
burgischen Hauses zu zeigen. Im Gegd1" Nieder unter die Leute gebracht wurden.
satz zu anderen Waffen- und Ahnensäle” Oraf Theodor verspielte dann in einer Nacht
ist dieser bis auf die jüngste Zeit fortgesetzt das Schloss Weinstein, Graf Balduin schenkte
Das ganz vorne ist die Rüstung des Ahnherr11 dle Burg Schiefeck der schönen Rosalinde Meier,
Husso, der nach der Schlacht im Teutoburger Walde Tänzerin bei der Oper in Berlin und Graf Sebastian
zum Ritter geschlagen wurde. Dann kommt die Rüstung Ertrank im Bremer Rathskeller die Herrschaft Greifen-
des Grafen Udo, der das Stammschloss Wimmelburg er- ^rg und einen Theil der Herrschaft Hohenfels. Der erste
baute und gegen die Hunnen wahre Wunder der Tapferkei' ^riegsheld aus dem Wimmelburgischen Geschlechte in diesem
verrichtete. Er spaltete einmal mit einem Streich fünf Hunne” Jahrhundert war Graf Josef, Generalissimus der Fürstlich
Lichtensteinischen Armee, dessen Uniform Sie da sehen. Er er-
von oben bis unten. Hierauf folgt der Harnisch des Grafen Bod®>
- dieser hat sich in den Kreuzzügen ausgezeichnet und bekam di* ^arb sich die höchsten Auszeichnungen. Auf ihn folgte Gra J°na‘
Herrschaft Unkenstein zum Lehen als Lohn für seine Tapferkeit; def than> der sich mit Feuereifer der Agrikultur hingab und durch lan vir -
nächste Harnisch mit der Turnierstange ist der des Grafen Helmbrecht, de< ^haftliche Verbesserungen auch noch den Rest des Gutes Ho en e *
in 286 Turnieren seinen Gegner gestreckt und der Familie das Schloss Hohen- ^ein Sohn, Graf Botho, dessen Mentschikoff hier aufgestellt ist,ver Schloss
fels erbaut hat; er war so tapfer, dass man es blos glauben konnte, wenn es vo” Club beim Knobeln die Herrschaft Unkenstein und zog sich d
^immeTburg zurück; dieses kam unter seinem Sohn Alfred, einem charmanten
drei zuverlässigen Zeugen bestätigt war; genau so tapfer war der Graf Rasso.
erbaute sich das Schloss Greifenberg an der Landstrasse und frühstückte nie, ohn£ Malier und Rennstallbesitzer, unter Sequester, cber dessen pross^fc grossartige
vorher einen Krämer erstochen und ausgeraubt zu haben — an den Sonntagen mindesten* der Garde diente, heiratete eine reizende Amerikanerin, deren grossartige
_ Güter
cbWeinezüchtereien besitzt. Graf Karl kaufte die - --- -der
• —&iussartige
Familie wieder zusammen und
Ok C*" verc^en*e sicb ein grosses Vermögen. Nach ihm kommt der Kürass des Grafe”
vio, der den dreißigjährigen Krieg als achtzehnjähriger Jüngling mitmachte und einer def ^arb durch geistige Ueberanstrengung nach einem Souper bei Dressei in Berlin. Der derzeitige
. «vuviuuou vuguug uiu.ii
, ^Or&tshprr Clraciiiciii
P A oouper
^^ uci uicsaci ui joeriin. Der derzeitige
n Pappenheimer war, die es je gegeben hat. Auch er vergrößerte den Famil'el1 Graf Athanasius hat einige dieser Besitzungen bereits wieder verkauft und ist
besitz um ein Schloss, die Burg Schiefeck im Spessart. Dem Folgenden, dem Grafen Friedrich Ab> mt durch seine Beziehungen zu den sechs Schwestern Harrisson, wie durch seine Reden im
schenkte für seine Tapferkeit und Ausdauer im Trinken der grosse Kurfürst das Schloss Weinstei” §e°rdnetenhause, wo er stets für die nothleidende Landwirtschaft eine warme Lanze einlegt.
am Rhein. Die beiden Nächsten Graf Wilhelm und Graf Max von Wimmelburg haben unter dem alten Fritz t>e) Vv- Meine Herrschaften! das sind die Namen und die Rüstungen von den berühmtesten Mitgliedern des Hauses
Seydlitz und bei Ziethen gedient und sich durch Tapferkeit, Sparsamkeit und Eheschliessung noch etliche Rittergüte1 nielturg und jetzt bitte ich um ein kleines Trinkgeld, ohne der Wohltätigkeit Schranken setzen zu wollen.
Nr. 12 JUGEND 1896

Spiel drum machen wir gute Mienen, — und sagen: Unsere


Diplomatie ist einfach ohne Gleichen! Wir müssen als
Meister uns jetzt — und wie! in der Beschränkung zeigen!“
***_,
So haben die Briten trotzigen Muth's all’ ihre Feinde
verdroschen! Und jeden Sieg ihres Heldenbluts verkündigen
laut ihre — Goschen! w.
*
„Er“ an „Ihn“
d. h. den Kanzleistil.
Ich bitt’ mir’s aus: ich bin nicht „Dieser“,
Der „Letzt’re“ nicht, der Lückenbüsser,
Bin auch nicht „Solcher“ oder „Jener“',
Keine Nummer, weder Einer, noch Zehner;
„Derselbe“ nicht, die wandelnde Leiche,
Oder „NN“ gar, die Vogelscheuche;
Nicht der „Oben- oder Untengenannte“,
Der „Rubrikat“ nicht, noch der „Bekannte“,
Nicht der „Ebengedachte“ und ,,-Aufgefüh rte, —“
Bin auch nicht gern der — „Angeführte“,
Irdische Grösse. Nicht „Besagtes Individuum“, —
Oder irgend sonst ein Drum herum,
Auch nicht der „Endesunterschrieb’ne“ — —!
Bin — der Euch stets Inderfedergeblieb’ne, —
Ich bin — —
Und Goschen sprach ! „Nun denn, wer bist du, wer?“ —
Ich bin der ganz gewöhnliche — „Er!“ —
„Old England for ever! Nie wird die Macht der stolzen
Auch meine Frau, vergesst es nie,.
Britannia verlöschen! Stets haben ihm seine Gegner gebracht
Ist eine wohlgeborne — „Sie“,
nur Siege!“ — so spricht Herr Goschen. — — „Ich bin Und unser Kind, sei’n Sie nicht bös,
Minister, und muss es darum vor allen Anderen sagen, wie Empfiehlt sich Ihnen als ehrsames „Es“! robert oechsi.er.
wir die Feinde rings herum, auch diesmal besiegt und ge-
schlagen. — Betrachtet nur, wie tapfer wir Armenien heraus-
gerissen! Nur dreissigtausend haben hier durch uns in’s
Gras gebissen! — Begeistert haben sie alle ihr Blut in Strömen
für uns vergossen — sie fühlen es ja, wie sicher und gut
Britannias Schutz sie genossen! — Dann haben zur Monroe-
Doktrin Amerika wir gezwungen. Ein stolzer Sieg, den
Herr Austin kilometerweise besungen! — Und weiter die
Boeren, wie haben wir die sammt Deutschland zu Paaren
getrieben! Bald lagen wir unten, bald oben sie, — und so
ist es bis heute geblieben! — Wie festgenagelt haben wir
nicht die Franzosen in unserem Siam! Von diesem Er-
folge staunend spricht sogar der Nyam-Nyam! — Die Russen
sind von uns nicht allein im Orient überflügelt, wir haben
sie,-stets klug und fein, auch in Ostasien geprügelt! —
Korea zu nehmen in ihre Hut jetzt haben wir sie genöthigt —
dort sitzen sie sicher und sitzen gut auf immer! — Das
wäre erledigt. — Der schönste Sieg steht aber bevor dem-
nächst noch dem Vaterlande! Ein Sieg an dem indischen
Einfallsthor im Pharaonenlande. — Da haben wir uns
festgesetzt, seit Jahren mann- und standhaft. Doch wünschen
verschiedene Freunde jetzt dort uns’re entfernt’re Bekannt-
schaft. — Wir werden drum, ob’s schwer mich fällt bald aus Lauschend schdand ich in der Nähe,
Egypten weichen — England besiegt sich selbst — Sah vor mir de frohe Schaar;
ein Held! Wer kann einen grösseren zeigen? — Viel Feind’, Dass die ihwer Liewe quakde,
viel Ehr’! — Wir würden zwar auf die letztere gerne pfeifen, War mir ogenblicklich klar. —
Wenn uns nur ein Andrer, wie’s früher war, die Feinde
wollte greifen! — Wenn uns nur Jemand, wie sichs gebührt’, „Quakd, ihr Luderchen!“ so dachd’ ich,
vollbrächte der Gegner Fällung! Doch die Dummen sind Als ich langsam weider schridd;
all’ — wir sind isolirt — Pardon! in Sonderstellung! — „Ich bin sälbst verliebd, weess Gnebbchen!
Ein schönes Wort! Doch nützt’s nicht viel, weit besser Alli- „Und — am liebsten quakd ich mid!“
anzen uns schienen. Man will uns nicht! — zum bösen O. BROMBERGER.

194
1896 JUGEND Nr. 12

Eine gar trübselige Ballade von der


verderbten „Jugend“
mit tröstlichem Schluss.
Nun lausche, grüne Jugend, dem Lied von jenem Mann,
Der Deine Teufelskünste belegt mit schwerem Bann —
Lass’ Pinsel und Palette, verlass’ Dein Malgeräth,
Wirf von Dir Stift und Nadel, noch eh’ es gar zu spät. —
Ich will die Saiten greifen, dass Ihr erschrocken schaut
Mit grossen nassen Augen, und banger Gänsehaut
Ich will die Leier rühren — wie dröhnt sie unheilschwer
Wenn das nicht zieht, oh Jugend, nun dann zieht gar nichts
mehr. —-
Es lebt ein Mann in Hamburg, am schönen Elbestrand,
Der handelt (und wer dort nicht?) mit Büchern allerhand;
Auch wohnt daselbst ein Kaufmann, (das ist nicht schwer ge-
dacht!) —
Weiss nicht, ob er in Schmieröl, ob er in Fenchel macht!
Der Kaufmann ging des Sonntags einst in den „Kunst-Verein;“
Doch wollt’ihm der Artikel wie sag'ich? - nicht recht ein.
Und weil ihn das verdrossen, geht er in sein Gontor
Und nimmt sich seinen Ganskiel und ein Fakturblatt vor,
Und schreibt dem Lieferanten pardon! dem Kunstverein:
„Wie heisst? Soll das ä Schmieröl - pardon ä Kunstwerk
sein ?
Die neue Kunst: Pfui Teufel! Was Richtung! Reiner Hohn!
Nur dann vor Allem eins noch: Wo bleibt die Tradition?“ —
Der Kaufmann hat’s gerufen — der Buchmann hat’s gehört,
Und alsobald der Eine dem Andern Sippschaft schwört.
Der Buchmann spricht: „Ich schrieb doch schon über das
und dies,
Warum denn über Kunst nicht?— Knapp’, reiche mir den
Spiess!“
Der Lehrling schleppt den Ganskiel vom Laden in’s Gontor
Stirnrunzelnd nimmt der Buchmann ein leer Prospektblatt vor
Und kaut an seinem Kiele, — da kommt’s ihm allgemach,
Und was der Kaufmann kaute, das kaut der Buchmann nach:
„Ich greife in die Saiten, als Laie, tief und fest
Und geh' Euch, Ihr „Modernen“, allnun den letzten Rest!
Vox populi — vox Dei die Stimme des, Gottlob
Noch nicht verirrten Volkes, ist’s, die ich laut erhob!
Und Ihr da von der „Jugend“ und Ihr da von dem „Pan“,
Ich klag’ als Unheilstifter Euch laut und drohend an!
Euch weise jeder Buchmann verächtlich seine Thür —
Krankhaft - so seid gemieden von nun an für und für.
Zum Kampfe mit uns Allen! Hört unser schreckhaft Droh’n:
Euch gänzlich zu vernichten, ist unsere Mission!“-
Und wie des Wack’ren Feder sich also tief empört,
Hat man des Lehrbub’s Stimme im Laden bang gehört —
Die Ladenklingel schellte — da eilt der Prinzipal,
Bewillkommt tief die Käufer und ist als wie ein Aal:
Man abonnirt die „Jugend“ — der Buchmann lächelt fein
Und trägt vergnügt den Auftrag in sein Bestellbuch ein. —
Dann aber fällt er wieder mit Wucht in’s „Saitenspiel“
Und knirschend schliesst den Bannstrahl sein fürchterlicher Kiel

Da lacht Ihr noch verächtlich und werft noch stolz den Kopf?
Da sprecht Ihr noch von „Blechschmied“ und von Philisterzopf?
Und pfeifen könnt Ihr gar noch auf solche Melodei n? -
Weiss Gott! So arg vermessen kann nur die Jugend sein!-
Fahr’ hin, Du Unglücks-Leier — vergebliches Bemüh’n;
Und seid Ihr denn verloren, so lasst mich mit Euch zieh’n.
Für die „Jugend“ gezeichnet von M. Kleiter Und wenn von Eurem Harnisch aufsprüht Lenz-Sonnenschein,
und ihren Feinden in fröhlicher Nichtachtung gewidmet
von der „Jugend.“ So reicht auch mir ein Schlückchen von Eurem Maienwein!
F. L., LEIPZIG.
195
Inseraten-Annahme Insertions-Gebühren
durch alleAnnoncen-Expeditionen
sowie durch
G. Hirth’s Verlag in München
und Leipzig. JUGEND:-,
Die JUGEND erscheint allwöchentlich einmal. Bestellungen werden von allen Buch- und Kunsthandlungen, sowie von allen Post-
für die
4 gespult. Colonelzeile oder deren
Raum JL i.—

ämtern und Zeitungs-Expeditionen entgegengenommen. Preis des Quartals (13 Nummern) bei den Postämtern in Deutschland M. 3.—,
Belgien 3 Eres. 61 cts., Dänemark 2 Kronen 69 Oere, Holland 1 fl. 95 ct., Italien 3 Eres. 88 cts., OesterreichJUngarn 1 fl. 90 kr.,
Rumänien 4 Eres. 20 cts., Schweden und Norwegen 2 Kronen 71 Oere, Schweiz 3 Eres. 65 cts., der einzelnen Nummer 30 Pf.
G. Hirth’s Kunstverlag in München und Leipzig.

Neue Briefe mit alten Bildern.


Sechs Serien. Jede Serie 24 Briefbogen und
Couverts mit altdeutschen Vignetten von
Dürer, ‘Burgkmair, Amman, Cranach, “Be-
liam, Aldegrever, Franfois ‘Boucher etc.
Preis der Serie in Carton M. 3.—.

Neue
Briefe mit religiösen Bildern.
Zwei Serien ä 24 Briefbogen (ohne Cou-
verts) ä Serie M. 2.—.
»Dem Bedürfniss nach apart eleganten und
geschmackvollen Ausschmückungen von Briefen
und Briefcouverts entgegenzukommen, hat der Heraus-
geber des »Formenschatzes« eine Reihe von Serien
Briefbogen mit alten Bildern nach Originalien von
Der amerikanische Senat hat mit 64 gegen Dürer, Burgkmair u. s. w. publizirt. Der allerliebste
Gedanke, der einer guten Aufnahme sicher ist, wurde
6 Stimmen beschlossen, die cubanischen In- sehr praktisch durchgeführt, indem auf dem besten
surgenten als kriegsführende Macht anzuerkennen. Handpapier sowohl die Bogen wie die Enveloppen
mit den verschiedenartigen Darstellungen der genannten
Meister geschmückt sind.« (Dresdener Journal.)

Secession München.
Prinzregen tenstrasse.
Frühjahrs-Ausstellung
von Mitte März bis Ende April.
Internationale Kunst-Ausstellung
vom 1. Juni bis Ende Oktober d. Js.

Unsere Titelblätter. Das,. Titelblatt von Nr. 9 .der „Jugend1


ist die mit dem ersten Preis gekrönte Arbeit von' Robert Engels (Dünchner Künstler-Genossenschaft.
(Düsseldorf); das Titelblatt von Nr. 10 hat J. R. Witzei hier, das
zu Nr. 11 Otto Eckmann hier und das zu dieser Nummer der
„Jugend“ (Nr. 12) Ludwig v. Zumbusch hier gezeichnet.
Herrn O. K. Berlin. Bei der grossen Arbeitslast, welche das Jahres-Ausstellung
Ordnen und Zurücksenden der für unsere Wettbewerbe eingesandten
Entwürfe macht, müssen wir die verehrten Einsender und Einsenderinnen
um etwas Geduld bitten. Es ist uns schlechterdings unmöglich, wegen
von Kunstwerken aller Nationen
jeder einzelnen Arbeit Correspondenz zu führen und bitten Sie höflich, im kgl. Glaspalaste
sich so lange freundlich gedulden zu wollen, bis Ihr Beitrag verpackt vom 1. Juni bis Ende Oktober 1896.
und abgesendet ist. Viele Einsender haben uns überdies dadurch, dass
sie ihre Arbeiten ungenügend oder unklar bezeichnten, das Heraus-
finden ihrer Adressen schwer, Manche einfach unmöglich gemacht.
Soweit es an uns liegt, wird gewiss jede Einsendung, die nicht prämiirt
wurde oder angekauft wird, franco zurückgesendet. —
JULIUS BÖHLER
Die Redaktion der „Jugend“ bittet Jene, welche sich an den fol- 6 Sofienstr. München Sofienstr, 6
genden Wettbewerben unseres Blattes betheiligen, um recht genaue vis-ä-vis des Glaspalast-Einganges.
Befolgung der Vorschriften: Motto auf die Arbeit und ein verschlossenes
Couvert, das die Adresse enthält. Anonyme Arbeiten mit dem Wunsch Hof-Antiquar Sr. Majestät des Kaisers und Königs.
eingesendet, wir möchten Antwort u. s. w. irgendwie postlagernd An- und Verkauf werthvoller Antiquitäten und alter Bilder
aufgeben, können nicht berücksichtigt werden.

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GEORG HIRTH • verantwortlicher~Redakteur: F. von OST1NI; verantwortlich für den Inseratenteil: G. EIC11MANN, G. HIRTH’s Kunstverlag; sämmtlich in München.
® ' Druck von KNORR & HIRTH, Ges. m. beschr. Haftung in München.
Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben. — G. Hirth’s Verlag in München & Leipzig.
ALLE RECHTE VORBEHALTEN
Nr. 13 JUGEND 1896

Gezeichnet von Theo Schmnz-Baudiss.

Das Carroussel Dafür erlangt ihn jener,


Der auf dem Esel sitzt;
Die Hoffnung, das verzog’ne Kind,
Wirft'Blüthenzweige in die Fluth,
Der Dämmerung grauer Schleier Seht nur, wie stolz der Graue Es kost der laue Frühlingswind
Hat sich herabgesenkt, Die langen Ohren spitzt. Und wärmt sich an der Sonne Gluth.
Und hat die heissen Farben
Des Tages dicht verhängt. Die Meisten zielen emsig Und willst Du, dass aus dieser Pracht,
Nach Beuteln gross und klein, Dem Zauber solcher Märchenwelt,
Das Leben, das ging schlafen, Wer einen grossen Beutel fängt, Mein Herz zurück in seine Nacht,
Müde vom schnellen Lauf. Kriegt einen Heiligenschein. Zurück in seinen Winter fällt?
Nun stellt sich wie aus Dünsten So dreht sich unablässig
Sein spukhaft Abbild auf. Das graue Carroussel, II.
Macht viel Geknarr und viel Gequitsch (Sechs Wochen später)
Auf einem weiten Plane Und kommt nicht von der Stell’. Dein Herz ist doch nur ein Hotel,
Dreht sich ein Carroussel, OTTO JULIUS BIERBAUM. Da geht es toll und lustig her.
Nach einem Leierkasten Wer anklopft, dem wird aufgethan
Dreht es sich rasselnd schnell. Marquis und Commis voyageur.

Auf Pferden, Löwen, Eseln, Dein Auge ist das blanke Schild,
Auch auf dem lieben Schwein Das jeden Gast zur Einkehr lädt,
Sitzt männiglich und dreht sich Und Deine Lippen der Pokal,
Im grauen Ringelreihn. Der stets von Mund zu Munde geht.

Der sticht nach einem Herzen, Ein jeder von den Gästen meint,
Das glüh im Laube winkt, — Dass er der Herr im Hause sei;
Er hat zu weit sich ausgelegt, Längst ist das Gasthaus überfüllt
Und doch sind immer Zimmer frei.
Dass er vom Pferde sinkt. Zwei Lieder an dieselbe
I. Da alle nur Passanten sind,
Sein Nächster, auf dem Schweine, So gibt’s bei Tag und Nacht nicht Ruh’
Du bist der milde Sonnenstrahl,
Trifft’s trefflich mittenein, — Der freundlich in mein Leben dringt Und nur Mama, die Pförtnerin,
Nun gallopirt das Herzchen Und meiner Brust mit einem mal Drückt zärtlich oft ein Auge zu.
Mit auf dem süssen Schwein.
Glück, Lenz und Kindheit wiederbringt,
Wer heut hinausgeworfen ist,
Ach, auf dem Flügelrösse Dass wie ein liebliches Idyll Kehrt morgen wieder fröhlich ein
Sitzt Einer gar und sticht Mein junges Leben vor mir liegt, Und doch möcht’ von den Gästen all’
Nach einem Lorbeerkranze, — Ein Meeresspiegel klar und still, Nicht Einer der Besitzer sein.
Indess, er trifft ihn nicht. Von Deiner Schönheit eingewiegt. FERDINAND V. HORNSTEIN

198
1896 Nr. 13

Das höchste Glück des Menschen


S geschah im Anfänge der Zeiten, Lachen. Aber die Seligkeit währte
daß die Menschen zu Gott schrieen nicht lange — es kam der Kampf der
und riefen: „kscrr, sieh wir sind elend Männer um das Weib und der Kampf
auf Erden, mach' uns glückliche Herr! " der Uleiber um den Mann, Haß und
Und Gott, der Barmherzige, der Eifersucht kamen im Gefolge der Liebe,
Mitleid hatte mit den Menschen, gab Dualen ohne Maß und Leiden ohne
ihnen das Gold, Hei, wie das glänzte Ende, verbrechen, Sünde und Laster.
und gleißte! Und die Menschen be- Freund stand gegen Freund, Bruder
gannen das Gold zu suchen, stiegen gegen Bruder, Volk gegen Volk, und
in die dunkle Erde hinab, um es zu des Jammers war kein Ende auf
finden und waren glücklich in seinem Erden.
Besitze. Als aber Jene, die genuß- Und Gott, der Langmüthige, der
süchtig und leichtsinnig ihr Gold ver- seine Menschen liebte, berührte ihre
than hatten, sahen, wie die Klugen Stirn und gab ihnen die Weisheit.
und vorsichtigen es in Kisten und Und die Menschen begannen einsam
Kästen sperrten und sie zu Knechten zu wandeln, sie forschten dem Wesen
machten, erhoben sie sich wider jene der Dinge nach, blickten in die Werk-
und es war ein großes Morden auf stätten der Natur und zweifelten in
Erden — und die verwundeten und ihrer großen Weisheit an Gott und
Sterbenden schrieen zu Gott und läster- seinen Werken und — waren elender
ten ihn. denn je.
Und Gott, der Allgütige, der sah, Aber sie schrieen nicht mehr zu
daß die Menschen elend waren, sandte Gott, sondern sie blickten klugen Auges
ihnen die Liebe. Da ward cs Früh- himmelwärts und schüttelten die weisen
ling auf Erden mit einem Schlag und Häupter.
Frühling in den Herzen der Menschen, Und Gott, den Allweisen, dauerten
und sie sahen die Erde so schön, wie die armen, weisen Menschen, und er
einst den Garten Eden, und der Fluch berührte ihre Stirn abermals und gab
schien ausgelöscht, den die Sünde auf ihnen — die Dummheit.
sie geladen hatte in jenem Garten. Und siehe — da war das Glück
Wie Roscnkcttcn trugen sie die Mühen unter den Menschen — und es starb
des Lebens mit Jauchzen und mit | nickt mchrl du. th. k.

199
1896
Nr. 13 JUGEND

200
1896 JUGEND Nr. 13

Der Keller-Asra
Täglich ging der bleiche Mime
Um die Abendzeit zum Keller,
Spülte seine Mass am Troge,
Wo die weissen Wasser rauschen.

Täglich füllte ihm die dicke


Zenzi still auf Pump den Masskrug —
Stets vertröstete der Gast sie
Auf den Tag der Gagenzahlung.

Endlich ward’s zu dumm der Zenzi;


Arm’ in Hüften, trat sie vor ihn:
„Ihren Namen will ich wissen!
Strasse! Nummer und Etage!“

Und er sprach: „Ich heisse Pumpen- Erzählung von Paul Bliss.


heimer — spiele Heldenväter —
„Natürlich, Mädel, wirst Du mitfahren,“ sagte die Mutter, „hast ja so gut wie gar
Stammgast werd’ ich nur bei Damen, nichts vom Leben“.
Welche sterben, eh’ sie mahnen!“ Aber Else schwieg und sah nachdenklich zum Fenster hinaus.
FRANZ HELD. Nun begann die Nachbarin von neuem.
„Immer kommen Sie man mit, Fräulein Else, Sie werden
sich schon amüsiren; wir fahren nach dem Grunewald und
da ist immer was los.“
Auch jetzt noch sagte Else nichts. Aber die Mutter
winkte der Nachbarin zu, — sie könne darauf rechnen, dass
Else mitmache, damit war diese zufrieden und ging.
Als die Beiden allein waren, trat die alte Frau zu ihrer
Tochter hin, streichelte zärtlich das blonde Haar ihres Lieb-
lings und fragte: „Warum willst Du denn nicht mitfahren,
mein Kind?“
Else sah der Mutter in’s Gesicht. „Wenn du es gern
hast, Mütterchen, fahre ich natürlich mit.“
„Aber, Mädel, ich hab’ doch nichts davon, Deinetwegen
habe ich doch nur zugeredet, damit Du auch mal ’ne kleine
Abwechselung hast. Du kannst doch nicht alle Tage hinter
Deiner Nähmaschine sitzen, siehst so schon ganz blass aus.
Was soll denn das werden, wenn Du Dir nicht einmal diese
kleine Erholung gönnen willst!“
Else schwieg. Die Augen waren voll Thränen und um
den Mund kam ein Zug von bitterm Weh, dann sagte sie:
„Ich werde mitfahren, Mutter.“ Und dann umfasste sie die
alte Frau und küsste sie heiss und innig. Dann ging sie in
ihre Kammer, um sich fertig zu machen.
Voll Betrübniss sah die Mutter ihr nach. Das arme Mädel,
dachte sie, wahrhaftig, es war schrecklich, — alle Tage, vom
frühen Morgen bis in die sinkende Nacht, sass sie und stichelte,
und dabei für so ein bischen Geld, aber es ging doch nicht
anders, die kleine Pension aus der Wittwenkasse reichte doch
nicht für den Unterhalt von zwei Menschen, wenngleich man
schon mehr als eingeschränkt lebte, zum Gott-Erbarmen
war es.
Nach einigen Minuten kam Else wieder; sie hatte ihr
Sonntagskleid angezogen, ein helles Mantelet umgenommen
Aphorismen und den neuen schwarzen Tüllhut aufgesetzt, — alles war
nur einfach und schlicht, aber es war kleidsam und gc-
Masslos — nun, das ist immer noch besser als ziellos. schmachvoll.
D. H. Die Mutter lächelte stolz. „Gut siehst Du aus, mein Kind,
Nur Wenige können lachen; die Meisten veilachen nur. und wer es nicht weiss, wie knapp es uns geht, der kann es
D. H. Dir weiss Gott nicht ansehen. Na, nun geh 'rüber zur Frau
Schwarz und amüsirt euch gut. Ich werde aufbleiben, bis
Jeder Mensch hat mehr Unterlassungssünden als Begeh- Du zurück bist.“ Sie gab der Tochter einen Kuss und be-
ungssünden auf dem Gewissen. D- H- gleitete sie an die Thür, dann ging sie zurück in ihren Kranken-
stuhl.
Weiter Blick? — O nein, mein Freund, Eine Viertelstunde später fuhr Else mit der Familie Schwarz
Lange Beine vor allen Dingen —: ab; sie kannte alle Fahrgenossen, die im Kremser sassen, es
Mancher, den Du weit übersiehst, waren Bekannte und Verwandte der Nachbarin, kleine Leute,
Wird Dich ebensoweit überspringen! Handwerker und Subalternbeamte mit ihren Frauen und Kin-
ROBERT OECHSLER. dern, aber es waren brave und redliche Menschen.

201
Nr. 13 * JUGEND
So fuhren sie durch die Strassen, plaudernd noch nicht verdorben war. Nach ihrem Namen
und lachend, als man aber im Thiergarten war, fragte er nicht. Von einem Freund, der sie be-
wurde gesungen, laut und fröhlich, aus voller obachtet, hatte er alles erfahren, auch dass sie
Kehle. für ein Geschäft in der Hojzmarktstrasse feine
Es war ein Frühlingstag voll Lust und Sonnen- Wäsche nähte, wusste er schon. Damit war er
schein, ein Singen und Klingen ging durch den vorerst zufrieden. Er ging mit Methode vor,
Wald, die Bäume und Striiucher im ersten herr- wenn er ein kleines Mädchen erobern wollte.
lichen Grün, auf den Rasenmatten tausende von Nach einer Stunde nahm man Abschied.
Gänseblümchen und an den Haselsträuchern lange Als Else spät Abends heimkam, sagte sie
Kätzchen. der Mutter nur flüchtig „Guten Abend“ und „Gute
Else sass da wie im Traum und sah in die Nacht“ und entschuldigte sich mit Kopfschmerz.
lachende Sonnenwelt, — so neu war ihr das alles, Und erst als sie im Bett lag, fand sie all’ ihre
so ganz ungekannt, nie war sie hinausgekommen, Kraft wieder. Nun stürmte alles, was sie heute
nie hatte sie sich Zeit genommen, weil sie arbeiten durchlebt hatte, auf sie ein, nun erst dachte sie
musste, immer nur arbeiten und verdienen, und über Alles klar nach, aber immer durch Waldes-
nun auf einmal sah sie die grosse Herrlichkeit grün und Sonnenschein, durch all’ den bunten
eines solchen Frühlingsmorgens, und nun erfasste Trubel des schönen Tages sah sie ein Gesicht
sie eine Sehnsucht nach Einsamkeit, eine Sehn- mit männlich ernsten, schönen Zügen und hörte
sucht nach dem Glück, das sie sich erträumt hatte sie eine Stimme, die sie zittern und beben
in ihren schlaflosen Nächten, wenn sie an ihre Zu- machte ....
kunft dachte, — eine Sehnsucht nach Liebe, nach Am nächsten Tage, als sie eben ihre Arbeit
heisser inniger Liebe, von der sie noch nichts abgeliefert hatte und aus dem Geschäft kam, trat
wusste, trotz ihrer zweiundzwanzig Jahre. er ihr entgegen.
So kamen sie nach dem Grunewald. Im Zufällig, sagte er, käme er desselben Weges,
Hundekehlen-Restaurant wurde Halt gemacht. und ob er sie begleiten dürfe?
Dort assen sie zu Mittag. Und dann ging es zu Da sie nicht nein sagte, ging er an ihrer
Fuss weiter. Seite; sie plauderten vom gestrigen Tage und
Um fünf Uhr waren sie in Halensee. Die von vielem Anderen noch. Er lachte und
Alten blieben im Garten. Die Jugend wollte scherzte, und bald lachte sie auch. Dann lud
tanzen. Auch Else wurde mit in den Saal gezogen. er sie auf ein halbes Stündchen zum Spazier-
Zum ersten Mal sah sie das; wohl hatte sie gang. So wurden sie bekannt.
schon viel davon erzählen hören, nun aber fand Langsam gingen sie durch den Park. Die
sie es doch ganz anders, als sie es sich vorgestellt Sonne schien. Die Bäume grünten. Die Blumen
hatte. Still, fast ängstlich, stand sie in einer Ecke, blühten. Und die Vögel sangen und sangen.
ihr Herz pochte, ihr Blut jagte durch die Adern, Am Wasser blühten die Weiden.
hochroth war sie im Gesicht, — Herrgott, was Und er sprach immerzu, und lachte und
war dies hier! — sie fühlte, wie ein Schauer sie scherzte, und sie ward gesprächiger und heiterer,
durchrieselte, wie die Angst sie erzittern machte, und lachte mit ihm um die Wette.
als sie alle diese Pärchen sah, — eng aneinander- Von da an trafen sie sich fast jeden Tag.
geschmiegt, mitgluthrothen Gesichtern, mit liebe- Er immer der. Galante, -— ein Sträusschen
heischenden Blicken, so jagten sie alle durch für sie, und liebenswürdiger von Mal zu Mal,
den übervollen Saal dahin--— krampfhaft aber nie aufdringlich. Und sie immer zutraulicher
klammerte sie sich an einen Stuhl und starrte und lustiger, denn das nie gekannte Gefühl der
angstvoll in den Trubel. Mit einmal stand ein Glückseligkeit erfasste sie mehr und mehr.
Herr vor ihr. Gross, breitschulterig, mit gesundem Nach zehn Tagen trafen sie sich zum ersten
Gesicht und dunklem Schnurrbart. Er machte Mal Abends.
eine Verbeugung und sagte: „Darf ich bitten, Es war Vollmond. Eine heilige Stille rings-
mein Fräulein!“ umher. Und der blaue Flieder blühte. Ganze
Sie antwortete nichts, denn sie war wie er- Wogen von süssem Duft zogen heran. Im Unter-
starrt, hörte nichts, sah nichts und wusste von holz schlug eine Nachtigall.
nichts, Alles um sie herum wirbelte bunt durch- Und sie sassen auf einer Bank, ganz nahe
einander, nur sein Gesicht starrte sie an, sein bei einander, und er hatte ihre Hände erfasst
gesundes, männlich schönes Gesicht. und sie innig gedrückt, und sie sass da wie
Dann wiederholte er seine Frage noch ein- traumverloren und sah in die stille Nacht.
mal, und da sie nicht ablehnte, nahm er sie in Minutenlang so — — — aber mit einmal
seinen Arm und zog sie in den Strudel der hatte er sie im Arm und drückte sie an sich und
Tanzenden hinein. Er hielt ihren schlanken Leib presste ihr Küsse auf, heisse wilde Küsse, auf
fest umfasst und eng an sich gepresst, er fühlte Mund und auf Augen, immerzu, immerzu.
ihren heissen Athem, hörte ihr Herz pochen und Traumverloren, selig lag sie an seiner Brust.
sah erstaunt und begehrlich in ihr glühendes Ge-
sicht, — sie aber merkte nichts von alledem, sie Und von da an trafen sie sich nur noch
flog durch den Saal und um sie herum wirbelte Abends.
Alles durcheinander, summend und surrend, sie Es war eine wonnevolle Zeit für sie. Was
war wie betäubt, und als der Tanz zu Ende war, sie seit Jahren heiss ersehnt, nun endlich hatte sie
sank sie schlaff hin auf ihren Stuhl. es gefunden — Liebe, Liebe.
Lächelnd stand er neben ihr und unterh elt Die Tage schwanden ihr dahin. IhreArbeit that
sie. Sie antwortete auch, aber sie wusste nicht, sie im Traum; nur den Abend sehnte sie herbei.
was sie ihm antwortete. Von nun an wich er nicht Nach wiederum zehn Tagen war er zärtlicher,
von ihrer Seite. Jeden Tanz nahm er nur mit ihr, liebevoller als sonst, und er nahm sie in seine
und je öfter er sie im Arm hielt, desto begehr- Arme, presste sie an sich und unter glühenden
licher'wurden seine Blicke. Gerade ihre Verwirr- Küssen hauchte er ihr in’s Ohr: „Kann ich denn
ung fesselte ihn, denn er merkte bald, dass sie nie einmal mit Dir, allein sein, ganz allein?“

202
1896 • JUG END 4 Nr. 13

Ein Schauer durchrieselte sie, aber sie schwieg. er war der Herr, und sie war ihm ja unterthan, — Alles,
Doch er liess nicht nach mit Bitten und Drängen, und Alles sollte geschehen! so bat und flehte sie in wahnsinniger
er wurde'zärtlicher und stürmischer, und er flehte und beschwor Angst und sehnender Erregung.
sie, und küsste sie wilder und wilder. Sie aber, mit einmal, Da drang Musik an ihr Ohr — ein Leiermann war im
sprang auf, — drei Worte nur —. »Ich schreibe Dir» — dann Hof -— !,Nurfeinmal blüht im Jahr der Mai, nur einmal im
entfloh sie. Lächelnd sah er ihr nach, siegessicher. Leben die Liebe“ — und da überkam sie eine tiefe Wehmuth,
Eine Nacht durchlebte sie, wie noch nie. Angst, Scham, und voll stiller Traurigkeit liess sie den Kopf in die Kissen
Reue und zurückgehaltene Leidenschaft machten sie erbeben. sinken und weinte bitterlich.
Wie im Fieber lag sie. Die Schläfen hämmerten und das Als am Abend die Mutter heimkam, fand sie Else im
Herz schlug zum Zerspringen. Und sie umklammerte den Fieber liegen, mit unheimlich glänzenden Augen und unter
Bettpfosten und drückte das heisse Gesicht in die Kissen und wirren zusammenhanglosen Worten. Und als der Arzt sie
schluchzte und schluchzte. untersucht hatte, konstatirte er ein schweres Nervenfieber. —
Zwei Tage lief sie herum, immer in höchster Aufregung und Nach acht Tagen bekam Elsens Liebhaber den bewussten
immer mit blutendem Herzen. Aber sie schrieb ihm nicht und Brief. Das dünne Couvertchen war im Briefkasten in den
Abends zum Stelldichein ging sie auch nicht. Sie schämte sich. Umschlag einer an den Seiten offenen Zeitung gerathen und
Am dritten Tag kam die Nachbarin und lud sie wieder hatte die Reise nach Nordfrankreich mitgemacht, erst jetzt
zu einer Landpartie für den nächsten Tag. Diesmal wollte kam es an seine Adresse.
auch die alte Mutter mit, denn jetzt fühlte sie sich besser. Eine Stunde später erkundigte sich der junge Mann beim
Da mit einmal durchzuckte es Else — dann also wäre sie Portier des Hauses, in dem Else wohnte, nach dem kleinen
morgen allein zu Hause, auch die Nachbarsleute wären ja Mädchen, und da erfuhr er, dass sie todtkrank im Hospital
dann nicht daheim, — dann, dann-— läge. „Schade,“ sagte er im Fortgehen, „unglücklicher Zu-
Am selben Tag noch schrieb sie ihm, dass er morgen fall, — war ein ganz patentes Mädel.“ Damit war die Sache
um Fünf kommen möge — sie wäre mutterseelenallein. Dann für ihn abgethan.-—-—
warf sie den Brief in den Kasten. Zwei Jahre später.
Jetzt athmete sie auf, jetzt war sie frei, — länger konnte Else ist die Frau des Arztes geworden, der sie im Kranken-
sie diese fiebernde Ungeduld nicht mehr ertragen, — mochte haus behandelt hat. Er hatte das einfache schlichte Mädchen
es nun geschehen! liebgewonnen und lebt nun schon seit zwei Jahren mit ihr
So fuhr am andern Tage die Mutter mit den Nachbars- in der glücklichsten Ehe.
leuten fort. Else blieb zu Hause, sie schützte Unwohlsein vor. Und sie ist ihm eine treue hingebende Gattin geworden,
Als sie allein war, überfiel sie wieder die grausige Angst, die in der Ehe das Glück ihres Daseins gefunden hat. Sie ist
und sie rannte durch die Zimmer und warf sich in’s Sopha das Muster einer Frau, rein, keusch und voll hehrer grosser
und schluchzte, mitten durch aber zog es wie ein Freude- Tugend, all' der Schmutz der kleinlichen Welt ist für sie nicht
leuchten, das jäh aufflammte für einen Augenblick und sie da. Sie ist die aufopferndste Mutter ihrem kleinen Knaben,
erbeben liess vor heisser Glückseligkeit. Und je näher es den sie für das Hohe, für das Erhabene dereinst erziehen
auf fünf ging, desto fieberhafter wurde ihre Erregung. will; sie ist die umsichtige Hausfrau, die mit Argusaugen
Endlich! Die Uhr tickte fünfmal. Jetzt konnte er jeden über den tugendhaften Lebenswandel ihres Gesindes und ihrer
Augenblick kommen. Sie blieb auf dem Corridor und sah Untergebenen wacht, und die unerbittlich und unnachsichtig
durch das Guckloch, um ihn sogleich, ohne Aufsehen zu er- jedes Vergehen gegen die gute Sitte rügt und straft.
regen, herein zu lassen. Athemlos stand sie da und wartete. Man nennt sie allgemein die heilige Frau, und man be-
Aber Minute auf Minute verrann und er kam nicht, bald gegnet ihr allerorten mit der grössten Hochachtung.
war es ein Viertel nach Fünf, und er kam noch immer nicht. Einmal entdeckte sie den Fehltritt ihrer Näherin, der sie
Wie gehetzt lief sie umher, athemlos vor Angst und mit Rath und That stets zur Seite gestanden war, und nun
wusste sich keinen Rath. verurtheilte sie das arme Ding Knall und Fall, und wollte ihr
Und es wurde Sechs, und er kam noch immer nicht. Alles entziehen.
Nun sank sie zusammen wie gebrochen, — er kam über- Aber ihr Mann sprach dagegen: „Du bist zu hart, Else,
haupt nicht! — Das fühlte sie jetzt. Und nun kam ein Du darfst nicht vergessen, welcher Gefahr solche armen Mäd-
anderes Gefühl über sie. Sie hasste ihn, hasste ihn wüthend, chen ausgesetzt sind; sie stehen allein da, haben nichts von
denn er hatte sie genarrt. Eine wahnsinnige Wuth ergriff sie. ihrem Leben, von ihrer Jugend, tagtäglich nur arbeiten und
Mit der letzten Kraft schleppte sie sich in ihre Kammer verdienen, und sie sind doch auch jung; wenn so ein armes
und warf sich hin auf ihr Lager, und nun überliess sie sich Mädel rein bleibt, dann ist’s oft nur ein Zufall. Und darum
ihren Schmerzen. Und sie schluchzte laut auf, und krallte sei milder und verdamme sie nicht.“
die Nägel sich in das Fleisch ihrer Arme, und biss in ohn- Diese Worte trafen sie wie ein Schlag.
mächtiger Wuth auf die Bettdecke los, und jammerte und Sie ging in ihr Zimmer und versank in Nachdenken. -
weinte — warum, warum hatte er ihr das gethan! Draussen war es Frühling. Die Sonne schien. Die Bäume
Und dann mit einmal hatte sie das Gefühl der grenzen- grünten. Der Flieder blühte und duftete. Und die Vögel sangen
losen Einsamkeit, — sie war verlassen, ausgeschlossen von undfsangen.
allen Freuden dieser Welt, — und sie sehnte sich doch so Ein Leiermann spielte. „Nureinmal'blühtimJahr'derMai.“
heiss nach wilder Liebe, — ach, wenn er jetzt doch hier Blitzhell stand das Bild aus der Vergangenheit vor ihr.
wäre! Alles, Alles sollte geschehen, was er befahl, denn — — Und von dem Tage an wurde sie milder.
Zeichnung von Fidus.
C^ÜST
frühliN
Nr. 13 JUGEND ‘ 1896

„Ich verstehe Dich nicht“, sagte die „Was ist das nur heute —“ fing
Kröte mit den grossen gelben Augen das Nixchen wieder an zu fragen
zu der kleinen Brunnennixe, „ich ver- „Was denn?“
stehe Dich nicht. Wir sitzen hier so „Die Bäum$ und die Blumen schla-
angenehm kühl und nass und haben fen gar nicht ein und es ist doch Nacht?“
es so ausserordentlich gut. Du hättest „Ja“ — sagte der Mond — „aber
alle Ursache, sehr zufrieden zu sein. Frühlingsnacht; da haben sie keine Zeit
Aber sobald durch die Thürritze oben zum Schlafen, weisst Du.“
das dumme, weisse Licht scheint, bist „Es ist •auch gar zu schön“ —
Du nicht mehr zu halten!“ flüsterte das Nixchen.
„Es ist herrlich da oben, komm doch — — — Auf einmal schien dem
mit —“ Mond ein guter Gedanke zu kommen
„Das sollte mir fehlen! Aus dem er leuchtete ordentlich auf.
Herumgegucke und Geseufze kommt „Was hast Du?“ fragte sie.
nie was Gescheidtes heraus. So was „Das wirst Du schon seh’n!“ und
ist unnatürlich. Mit Deiner Nixen- er blinzelte ihr freundlich zu.
haftigkeit ist’s so schon nicht weit her, Drüben im Gehölz hatte er einen
sonst hättest Du einen schönen, schil- jungen Gesellen bemerkt, mit blondem
lernden Fischschwanz — na, ich will Haar und verträumten Augen. Der
nichts gesagt haben. Aber sollte da wanderte einsam seines Weges und
mal ein Mensch in die Nähe kommen, schaute unverwandt in die glänzende
wird’s was Schönes geben, das kannst Scheibe.
Du mir glauben.“ Der Mond betrachtete ihn genau:
„Was ist das: ein Mensch?“ „Na, du schaust mich ja auch so fra-
„Frag’ den Mond, der wird’s schon gend an? Soll Dir wohl auch auf allerlei
wissen!“ Antwort geben?“ Ersah zum Nixchen
Das Nixchen stieg herauf, setzte sich herunter und lachte heimlich. „Ich
auf den Brunnenrand und sah den Mond glaube, es wird das Beste sein, Ihr
so sehnsüchtig und fragend an, dass fragt und antwortet Euch gegenseitig.“
dieser ganz verliebt wurde und ihre Leise lockte er mit seinen Strahlen den
ganze Gestalt liebkosend mit seinen Knaben bis in die Nähe des Brunnens;
hellsten Strahlen umfing. dann versteckte er sich hinter einer
„Du armes, kleines, weisses Ding,“ Wolke. — — — —
sagte er, „musst immer da drunten so „Das hab’ ich mir gleich gedacht,“
allein im Kalten und Dunkeln sitzen! sagte die kluge Kröte.
Wie haben es da die Meernixen gut, „Lass’ sie laufen“, grollte der Brun-
die so lustig in den Wellen tanzen, nen; „sie gehörte nie recht zu uns.“
und gar die Nixen im Rhein!“ Und Oben küssten sich Zwei und der
er erzählte ihr lauter schöne, stille Baum streute Blüthen auf sie herab.
Geschichten; die Bäume und Blüthen L. LINDEMANN-KÜSSNER.
lauschten und dufteten schwer und süss.
Das Nixchen seufzte.
„Warum seufzest Du denn?“ fragte
der Mond.
„Ach — ich — ich weiss nicht. Es
Verheissung.
ist nur so warm hier oben; das wird’s Bist Du arm, mein Sohn, so spiele
wohl sein. Das macht mich so be- Unverdrossen in Papieren,
klommen.“ Denn das Gold liegt auf der Gasse —
„So — so —“ meinte der Mond und Und bald fährst Du aus mit Vieren.
machte ein merkwürdiges Gesicht.
Nach einer Weile fing er wieder an:
Aber bist Du arm im Geiste,
„Mir scheint, Nixchen, Du hast Deinen Sieh’, Dir winken reiche Schätze,
Beruf verfehlt.“ Und bald sprichst Du Gold und Perlen
Und schreibst angestaunte Sätze.
Sie sah ihn gross verwundert an
und verstand ihn nicht. Aufgespeichert in den Gassen
„Du bist doch viel lieber hier oben, Liegt der reichste Schmuck des
als da unten im Wasser?“
Geistes —
,Ja, ach ja! die Kröte meint auch, Drum ein wenig nur sich bücken,
das wäre sehr unrecht von mir.“ Söhnchen, und zugreifen heisst es.
Der Mond sah sie lange an. „Hm —
ja — so wie man’s nimmt“ — sagte er. Phrasen sind’s! wie glänzend winken
Sie schwiegen und ringsumher war Sie dem klugen Mann und gleissen:
ein geheimes Leben und Weben, und Schwör auf sie, und Dir ist Alles —
die Sterne funkelten. — Alles ist Dir hier verheissen!
Gezeichnet von M. Eichler.
EMIL RECHERT.
206
JUGEND Nr. 13

Zeichnung von A- V.imme,.


Leipc'ß*

Du bist wie eine Blume —.


207
Nr. 13 JUGEND 1896

Aus grünen Bäumen


Reckt sich ein Steinbau
Himmelhochragend,
Weiss und blendend
In’s Blau des Himmels.
Und auf dem Giebel
Steht eine Göttin,
Den Helm auf dem Haupt,
Den Speer in der Hand,
Und weis’t in die Weite,
Wo duftig im Blau
Die Berge verschwimmen;
Und zeigt auf das Land
Die Bockbeinigen Mit Aeckern und Feldern Ueberlistet
Und Wäldern und Dörfern
Zwei Stund hocken’s schon so da, der Und den gleissenden Strom Der Anwalt zum Oedlbauer: „Also hat
Wirth neben sei’m Fassl, das auf’m Kopf Und der wimmelnden Menschen der böse Nachbar doch den streitigen Zaun
steht, und die Gast’, jeder vor einem klei- Wogende Menge: machen lassen und seine Hühner werden
nen Rest im Glas. Keiner trinkt aus, bis All’ dieses weis’t Euren Garten nun nicht mehr zerkratzen?
Mit deutender Hand
net frisch angezapft ist, und der Wirth Minerva, die hehre Aber, wie war denn das möglich, ohne
zapft net an, bis das Fassl net leer ist. Göttin der Kunst, Klage, ohne Prozess?“
Schwitzen thun’s, gähnen thun’s, schon Dort auf der Höhe Oedlbauer: „Wie mich der Nachbar
lang wären’s eingeschlafen, wenn’s net so Des weissen Hauses, — mit meinen Beschwerden über seine Hüh-
Und unten sitzen im weissen
viel Durst gehabt hätten. Ein jeder thät Hause ner ausgelacht hat, habe ich ihm alle paar
gern noch ein Glas vom alten Fassl trinken, In kahlen Sälen fleissige Leute Tage ein Dutzend Eier geschickt und ihm
aber es ist halt so fest ausgemacht worden Und nennen sich Künstler sagen lassen, die seien von seinen Hühnern.
und keiner traut sich. Und zeichnen schwitzend Und als ich ihm einige Zeit später keine
Gipsköpfe! Eier mehr schickte, Hess er den neuen Zaun
Den grössten Durst aber hat der Wirth
selber, dem ist es, als wär’ seine Zung’ Gipsköpfe! G. RADISCH. aufführen. In acht Tagen war er fertig.“
acht Tag’ im Rauchfang gehängt, schon REINHOLD KÖNIG.
kann er kaum mehr „Papp!“ sagen, ganz
fuchtig schaut er die Revolutionär’ an,
brummt so was wie „elendige Bande“ vor
sich hin, steht auf, wirft’s Fassl ’runter,
dreht sich um und schreit: Hübsche Aussicht
„Der G’scheidter gibt nach!“ h. g. Meier: „Ich sage Dir, Kohn, in dem
Laden machst Du Pleite in sechs Monat.“
Kohn: „Red’ nischt, Du willst mer blos
schmeicheln. w ,
Ein Plaidoyer
i Gotteswillen, wie bläst er sich auf,'
; holt er’s brunnentief herauf, —
-t ihr sein Zetern, hört ihr sein Variante
Schrei’n?- In der Beschränktheit zeigen sich die
muss nicht viel dahinter sein! Meisten. fleo.
robf.rt oechsler.
Die meisten Mütter können alle Kinder
der Welt erziehen — nur nicht ihre eignen!

208
1896
JUGEND Nr, 13
Die Sirene

Pastell von Hugo Freilierrn v. Habermann.

Durch dämmrige Tiefen Ihr eigenes Herz ist Die fiebernden Thoren,
Sendet sie Blicke Kühl wie die Welle — Die bebenden Opfer
Aus blinkenden Augen So lockt sie, die Holde, In dämmrige Tiefen,
Zu Tage empor. Die schöne Sirene, In’s güldene Netz.
Nr. 13 JUGEND « 1896

Die kleinen Zunftmeister von Nürnberg


Sitzung des Plakatausschusses. Der Referent: „Meine überhaupt, — — man fürchtet nämlich, dass in andern ^Ländern
Herren! Ich habe die Genugthuung, Ihnen mitzutheilen, dass der und Städten, wo die Prüderie sich auf das kindlichste Lebensalter
Hauptausschuss das von uns preisgekrönte Ausstellungsplakat an- erstreckt;-nun. Sie verstehen mich schon! So habe ich denn den
genommen und eine möglichst ausgiebige Verbreitung desselben Künstler ersucht, seine Zunftmeisterlein so zu bekleiden, dass man sie
beschlossen hat. Man verspricht sich von der originellen Idee des bei einiger Phantasie auch für Meisterinnen halten kann. Ich hoffe, Sie
Künstlers, unsere uralten Zunftmeister so als jugendliche Nacktfrösche werden mit dieser Metamorphose umsomehr einverstanden sein, als
aufmarschiren zu lassen; grossen Erfolg. Heute will ja alle 'Welt dieselbe ganz und gar belanglos ist, auch der heitere Eindruck des
„Jugend“ haben. Auch die drolligen Stellungen und altklugen, Plakates nicht geändert wird, wogegen allerdings die wichtigsten Be-
schlauen Gesichter der Buberln gefallen sehr wohl. Nur Eines,- denken des öffentlichen Wohles nunmehr als definitiv und äusserst
aber das ist nicht wegen des Anschlages in München oder in Bayern glücklich beseitigt erscheinen.“

„Apräs la lettre“.
1896 JUGEND Nr. 13

Neu-Afrikanische Idole
Unser Spezialartist am Kilima Ndscharo
sendet uns die nebenstehende Abbildung
von zwei neu-afrikanischen Idolen. Die An-
beter dieser Idole pflegen allmorgendlich
an die Bilder, die sieWau-Wau und Au-Weh
heissen, ein Gebet zu richten, das auf
Deutsch etwa lautet:
„Oh Du grosser, gütiger, weisser Geist!
Wir danken Dir aus tiefster Seele dafür, dass
Du uns dummen, unmoralischen Negern die
Segnungen der Cultur zu Theil werden Mes-
sest. Du hast uns befreit von den bösen
arabischen Sklavenjägern, welche unsere
Dörfer niedergebrannt und uns in Gefangen-
schaft fortgeschleppt haben. Du bist milde
und gütig, und wendestDuFeuerund Schwert
gegen uns an, so thust Du’s gewiss mit
schwerem Herzen, blos wegen der Civili-
sation. Du hast uns von der thörichten An-
massung geheilt, dass der Boden, auf dem
wir wohnen, unser eigen sei, dass unsere
Frauen und Kinder uns gehören, Du hast
uns von dem behaglichen Stumpfsinn be-
freit, in dem wir dahin lebten, wie Kinder,
Du hast uns das Menschenfressen abge-
wöhnt und das Schnapstrinken gelehrt;
durch Dich wissen wir, dass ein Neger, der
eine Cigarre gestohlen hat, aufgehängt wer-
den muss und dass trägen Weibern die
Knute gebührt. Das Alles wüssten wir
nicht ohne Dich.
Grosser, gütiger, weisser Geist! Schicke
uns nur recht Viele von Deines Gleichen,
dass die Cultur immer tiefer über uns herein-
breche und wir bald so gut, so gerecht und
so milde werden wie Du — vorausgesetzt,
dass bis dahin noch Einer von uns übrig ist!“

Militärischer Kirchenbesuch „Also jetzt hat man nicht einmal mehr Kopf! Is, -nur gut, dass der Mann im
Sonntags Ruhe vor den Karnallien. In zweiten Glied steht, dass ihn unser Herr-
Münchner Blätter schreiben: die Kirche muss man sie führen, damit gott nicht gleich sieht — sonst thät’ er
sie nicht während der Gottesdienstzeit in sich den ganzen militärischen Kirchen-
..Als Folge der seitens der Ultramontanen
111 der bayerischen Abgeordnetenkammer vor- den Wirthshäusern ihre Löhnung ver- besuch verbitten. Der* vierte Mann soll
jNbrachten Querelen über den Kirchenbesuch prassen! Saubere Gesellschaft. — Meier, seinen Kartoffelbauch nicht so vorstrecken
eim Militär ist ein Ministerialreskript zu be- wollen Sie gleich ein frömmeres Gesicht ja freilich, Sie müssen sich auch noch
achten, das den Kirchenbesuch der Soldaten machen! Der Knochen hat auch nicht breit machen, Kurzbichler! Sie sind ja
Allerdings regelt. Weil man aber die Er- einen Funken religiöses Gefühl im Leibe! wohl aus dem Wahlkreis, dessen Abgeord-
llhrung gemacht hat, dass eine Freigabe des Ist das Andacht, Bierhuber, Sie Kameel?
°nntags behufs Kirchenbesuches von den neter uns die Suppe da eingebrockt hat!
Ich werd’ Ihnen nach den Mäderln schauen Na, freuen Sie sich morgen auPs Detail-
°'daten zum Wirthshausbesuch benützt wird, warten Sie nur! Jetzt lacht der Kerl
urde die zwangsweise Führung der Abtheil- exerziren! Ich lass’ Sie langsamen Schritt
ngen in die Kirche erforderlich. Da nun die auch noch! Na, Ihnen treibt man die Reli- üben, dass Sie sich die Füsse bis aufs
lchaelskirche nicht im entferntesten die Masse giosität schon noch ein! Der Herr Oberst Knie durchlaufen. — Ja — Himmel —
Soldaten zu fassen vermag, hat das Publi- hats befohlen, dass jeder Mannsein stummes Herrschaft — Donnerwetter — Paraplui!
'V® lln den Sonntagen das erbauliche Schau- Gebet verrichtet— passt auf jetzt! Wenn Was schauen da für anderthalb Schuh
Del, die Hälfte der Mannschaft vor der Kirche es läutet, legt jeder Mann die Hand an Nase aus dem Glied heraus? Zum Teufel,
aufgestellt zu sehen."
den Helm, zählt langsam — aber nicht das ist ja der Moses Goldsteiner! Wie
Sergeant Rauhfuss hat die Aufsicht laut, Ihr Schafsköpfe — bis Sechsund- kommt denn der zum Kirchenbesuch und
er die vor der Kirche stehenden Sol- dreissig und macht ein anständiges, reli- verschandelt mir die ganze Abtheilung?
,aten- Mit grossen Schritten umkreist er giöses Gesicht dazu. Ihnen wird’s freilich Ja, das könnte Ihnen passen! Sich mir
das Häufl schwer fallen, Hintermüller, mit dem | nichts dir nichts für einen Katholiken
ein der andächtigen Krieger:

211
Inseraten-Annahme Insertions-Gebühren
durch alleAnnoncen-Expeditionen
sowie durch
G. Hirth’s Verlag in München
und Leipzig. JUGEND für die
4 gespalt. Colonelzeile oder deren
Raum JL i.—

Die „JUGEND“ erscheint allwöchentlich einmal. Bestellungen werden von allen Buch- Mk. 3.—, Belgien 3 Eres. 61 cts , Dänemark 2 Kronen 69 Oere, Holland r fl. 95 et-, Italien
und Kunsthandlungen, sowie von allen Postämtern und Zeitungs-Expeditionen ent- j 3 Eres. 88 cts., Oesterreich-Ungarn I fl. 90 kr., Rumänien 4 Frcs. 20 cts., Schweden und
gegengenommen. Preis des Quartals (13 Nummern) bei den Postämtern in Deutschland j Norwegen 2 Kronen 71 Oere, Schweiz 3 Frcs. 65 cts., der einzelnen Nummer 30 Pfg.

Das Centrum wünscht, dass die Regierung den Sinn für Religion ' und dass an den Gymnasien freiwillige Andachtsübungen
unter den Soldaten nach Möglichkeit fördert > jeden Sonntag Nachmittag abgehalten werden.
ausgeben — es glaubt’s Ihnen ja doch — nicht so viel! Jetzt sehen Sie wieder zu beten, Sie Hohn auf die Schöpfung!
Keiner! Aber das ist freilich bequemer, aus, als ob Sie beim Aepfelstehlen er- Solche Knöpfe! Ganz München könnte
in einer funkelnagelneuen Montur vor der wischt worden wären. Huber, was haben man mit dem Grünspan vergiften, der d’ran
Kirche stehen und Maulaffen feil halten, Sie für Stiefel — sind die gewichst? Ich ist. Gnad'"Ihnen Gott, Sie Schweinpelz,
statt Gewehr putzen und Stiefel wichsen. lasse Sie wegen Religionsfrevel prozessiren, wenn wir heimkommen! — So — Obacht
— Brummler, schauen Sie nicht so frech wenn Sie noch einmal mit solchem Fuss- jetzt! Jetzt läutets — also bis sechsund-
drein, sonst holt sie am Ende der Teufel werk zur Kirche kommen. Und die Knöpfe! dreissig zählen — Sie auch Meier! — Aber
aus dem Glied heraus und ich muss mit So lang ist die Ewigkeit gar nicht, dass Sie weiter als bis fünf kann’s das Kameel ja
einer blinden Rotte heimmarschiren! Mar- im Fegfeuer ihre Faulheit und Schlamperei doch nicht! U. s. w. u. s. f.“
kiren Sie wenigstens etwas Zerknirschung abbüssen könnten! Sie haben allen Grund DL)

Mit der nächsten Nummer (14) beginnt das II. Quartal der „Jugend“. Die verehrl. Abonnenten
werden höflichst ersucht, ihre Bestellungen getälligst umgehend erneuern zu wollen.
Briefkasten. Bayr. Vorgebirge,
Unser heutiges Titelblatt ist von Bössenroth gezeichnet und ge-
währt einen Blick in das eben seiner Schneedecke entkleidete Isarthal
südlich von München (Aussichtspunkt unweit Hohenschäftlarn).
Traunstein 600 |M. ü. d. M.
Bahnlinie
Das originelle und hübsche Plakat der Nürnberger Ausstellung, das wir München - Salzburg.
auf Seite 210 in zweierlei Fassung abdrucken, ist von Richard Riemer-
schmid in München gezeichnet. Wir bringen es „theils mit ohne, theils
mit mit als kleinen Beitrag zur Geschichte der Sittsamkeit im Dezennium Kneipp’sche Wasserheilanstalt.
der — Brunnenbuberlstürme. In der „oberen“ Fassung sehen unsere Leser
das Plakat, wie es aus der Phantasie des Künstlers hervorgegangen ist, in
der „unteren“ finden sie es in zeitgemässerer Gewandung wieder.
Soole- und Moorbäder.
Rationelle Behandlung und Verpflegung unter ärztl. Leitung
Wir hoffen, demnächst in der Lage zu sein, unseren Lesern und Be- des Besitzers
schauern das Wappen des Ritters von Röntgen im Bilde vorzuführen. Dr, med. G. Wolf.
Letzt erschienene Antiquariats-Kataloge: Uebernahme von
No. 47: Genealogie. Heraldik. Ordens-
wesen. Burgen. Schlösser. Ruinen.
Kunst auctionen
Parks. Aufzüge. Turniere. Duell. jeder Art, ganzer Sammlungen sowohl
Fechtkunst. Jagd. Reitkunst, etc. wie einzelner guter Stücke.
No. 48: Schach. Kartenspiel, etc. Hugo Helbing, München, Christophstr. 2.
No 49: Kriegsgeschichte und Militaria.
' Revolutionsgesch. Militäruniformen.
Weber’s Carlsbader Kaffeegewürz Vom Frühjahr ab eigene
Reitkunst und Pferdewesen. ist das edelste Kaffeeverbesserungsmittel der Welt. neuerbaute Oberlichträume.
No. 50: Musikwissenschaft.
No. 51: Austriaca und Hungarica.
Unsere monatlichen Bulletins enthalten
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Gratis und franko zu beziehen von _ Brfuuden und fabricirt von
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Alte Kupferstiche.
Kataloge gratis und franco durch
München, Mittererstr. Nr, 3.
München, — Neuer Catalog auf Verlangen gratis. —
Hugo Helbing, Christophstr.
Herausgeber: Dr. GEORG HIRTH; verantwortlicher Redakteur: F. von OSTINI; verantwortlich für den Inseratentheil: G. EICHMANN, G. HIRTH’s Kunstverlag; sämmtlich in München*
Druck von KNORR & HIRTH, Ges. m. beschr. Haftung in München.
Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben. — G. Hirth’s Verlag in München & Leipzig.
Für die „Jugend“ gezeichnet von Barascudts.
214
1896 JUGEND Nr. 14

Die Madonna Halb-Blut


Nicht vom reinen Stamm der Asra,
mit den Mandarinen Welche an der Liebe sterben,
Von Ferdinando Russo (Neapel). Doch von Seiten-Stammverwandten,
Führt ein Engelchen im Himmel Die den Fluch nur theilweis erben!
Sich nicht auf, wie sich’s gebührt, Nicht der Tod — doch seine Schmerzen
Wird es auf Befehl des Herren Und sein Grausen sind geblieben —
In ein dunkles Loch geführt. Und mein Stamm sind jene Narren,
Welche leiden, wenn sie lieben!
Und der Herr spricht zu ’nem andern w. WALTHER.
Ruf mir gleich Sanct Peter her!
Und Sanct Peter kommt gelaufen:
*
Was giebt’s Neues, lieber Herr?
Stille Liebe
— Einen kleinen Engel sperrt’ ich Er thut Kaffee in blaue Düten,
In ein dunkles Zellchen ein. Von Morgens früh bis Abends spät,
Setz’ ihn mir auf Brod und Wasser, Verkauft Taback und Lindenblüthen,
Denn er ist ein Sünderlein. Thee, Zucker, jede Quantität.

Und Sanct Peter senkt die Stirne, Die Kunden stets mit zarter Glosse
Murmelt: Ja Herr! vor sich hin, Umschmeichelt er und wird nur stumm
Und der Herrgott: Vierundzwanzig Hoch auf der Leiter kühnster Sprosse,
Stunden — hörst du — bleibt er drin. Hinlangend zum Petroleum.
So spricht aus seinem ganzen Schalten
Doch das Englein in der Zelle Trotz aller Sanftmuth schöner Stolz,
Lamentirt und jammert sehr. Und streng legt er die Stirn in Falten,
Lieber Hergott, sagt Sanct Peter, Abwägend Asiens Farbenholz.
Nehmt’s für diesmal nicht so schwer.
Doch heute strahlt aus seinen Blicken
— Nein, so ist mein fester Wille, Glückselige Versunkenheit;
Sagt der liebe Gott, schweig still! Mein Freund, Dich muss ein Traum
Drüber ging’ es sonst und drunter — erquicken,
Hier geschieht nur, was ich will. Ein Hoffen, stille Seligkeit.
Ja, heute! Säule im Tenore
Und Sanct Peter Schleicht von hinnen.
Des Singvereins, steh Deinen Mann
In dem dunklen Kämmerlein
Und schmettre, Wonne meinem
Hört man den gefang’nen Kleinen
Ohre —,
Weinen und um Gnade schrei’n.
Zu mir herüber, zum Sopran!
Aber die Madonna, wiegt die Noch herrscht Merkur mit Kram
Nacht das Paradies in Ruh’, und Würze,
Steckt ihm heimlich und verstohlen Bis Helios dem Sinken nah;
Ein paar Mandarinen zu. Dann weg mit dir, du grüne Schürze:
(DEUTSCH VON PAUL HEYSE.) Erato spricht und Polyhymnia!
« ERNST FLFJSCHHAUER.

Hochlandslied Morgens
Her Berge Zackenrand versinkt, Kathrinchen, frisch, Dein Liebster kommt,
Hurch’s Hochthal geht das Schweigen, Steht' drunten im Garten.
Her laue Nachtwind rauscht im Korn — Lass ihn doch nicht, verschlafnes Kind,
Wo Lilien bliihn und Rosen sind,
Hie Heimchen geigen, geigen. Im Thau so lange warten!
Jetzt noch ein ferner Rüdenlaut, Lavendel duftet, Nelken glülin,
Hann nur noch aus den Zweigen Schwankirschen glänzen;
Das Myrthenstöckchen nickt so fein,
Her reifen Birnen dumpfer Fall — Möcht’ wohl zur Krone gebogen sein,
Hie Heimchen geigen, geigen. Dein liebes Haupt kränzen.
Hurchs offne Fenster sehe ich Kommst Du nicht gleich, so klettr ich, eins
Zwei drei an s Lädchen,
Hes Mondes spätes Steigen, Und stoss es auf, schwing mich hinein;
*n stiller Feier denk’ ich Dein — Dann sollst Da bald munter geherzet sein,
Hie Heimchen geigen, geigen. Du liebes verträumtes Mädchen.
Hans Gerhard Graf.
PAUL RASSNITZ.

215
Nr. 14 JUGEND 1896

Gedicht \on A, Bungert. Zeichnung von' J. <;R. 'Witzei.


2l6
1896 JUGEND Nr. 14

Bald über hochleitenden Pfaden weg, bald unter


Das Liebesspiel weissblühendem Buschicht durch gleiten die Band-
Von Victor Hardung schleifen der Mädchen, lustige Wimpel. Und Herr
Der Herr Geometer Aloysius Plazidus Häfeli Aloysius folgt ihnen unverdrossen. Wo der Pfad
stand am Fenster und schaute in die leuchtende niederspringt und Nussbäume mit schwellem Ge-
Welt, wo der Mai mit weichen Netzen umging, Jung- wipfel auf den Fluss schatten, bietet eine Kloster-
herrn und Jungfräulein zu kapern und ein Pärlein nach wirthschaft Rast im Grünen. Hier will die frohe
dem anderen in süssen Banden zappeln zu lassen. Schaar den Sonntag in Lust begehen. Und die jungen
Eine hell gewandete Schaar zog des Weges, Stimmen fliegen zu den Zellen der frommen Frauen
und der Herr Geometer sah ihr nach, wie sie hinüber und verfangen sich in den Ranken, womit
gleich einem Schwarme von bunten Schmetterlingen der Frühling blinde Scheiben umblüht.
dahinfalterte. Und ihm, der doch an diesem Sonn- Ein loser Bursch ist auf einen Tisch gestiegen,
tagmorgen die gewohnte und geschätzte Müsse hatte, stösst dreimal derb mit dem Stocke auf und heischt
s>ch auf die drei Fleisch und drei Gemüs zu freuen, mit würdigem Munde und lachenden Augen Stille.
die es heute an Stelle der werktäglichen zwei gab, Und dann verkündet er, da sich einer ihrer guten
kam ein anderer, vergessener Duft in die Nase. Bruderschaft nicht eingestellt habe, so mache sich
Als junger Bursch hatte er den Tanz gar geliebt, das Bedürfniss geltend und dringe darauf, dass
aber diese seine Liebe vor dem gestrengen Herrn eine überzählige Jungfer an den Mann gebracht
'Erzeuger geheim halten müssen. Dennoch war ihm werde, und dafür schlug er den Weg der öffent-
der Alte immer wieder auf die verbotenen Sprünge lichen Versteigerung vor. Ein jedes Pärlein könne
gekommen, und endlich wurden allabendlich die durch Mitbieten dieser bösen Welt beweisen, dass
Sonntagshosen des Jungen unter besondere Obhut es heuer nichts im Schilde führe, was mehr als
genommen. Tanzbeine aber wollen ihre Bewegung, vier Augen scheue und sich das verlassene Frauen-
kind so stahl sich denn der Bursch nächstens in zimmerlein hinzu erwerben. Da es indess nirgends
den abgeschabten und durchgerutschten Alltäglichen Brauch sei, dass der ausbietende Beamte mithalte,
k°rt und walzte darin in gar klein und zierlich be- und er nicht der Mann sei, eine gute, alte Sitte aus
sessenen Kreisen, um die langen Schösse des krasser Eigennützigkeit umzustossen, so wolle er
Einsegnungsfrackes nicht aufzustören, die denn auch für seine Person und sein Paar kein Vorrecht in An-
Neulich über der Stätte der Verwüstung wachten. spruch nehmen. Worauf ein schmuckes Mädchen
Den Herrn Geometer meistert die Erinnerung. mit einem kecken Satze zu ihm auf den Tisch sprang,
k*at ihn etwa wer gefragt, woher er die Gewohnheit ihn mit seinem eigenen Spazierstecken hinunter-
s° kleiner Schrittlein habe? Eine Röthe geht über trieb und lachend betheuerte, es wolle, weil über-
sein verwittertes Gesicht und bleibt an der Nasen- zählig, nicht als Spielverderberin gelten und sich
spitze hängen, gleich dem Abendschein an einem für eines Einzelnen Unthat am ganzen Geschlechte
Eeri
gzinken. Und eine fremde Demuth beugt sein rächen. Denn zu zweien seien sich Männlein und
ha
gestoizes Gemüth. Weiblein gerade genug, um trotz allem Trubel ein
Ihm ist, als thue sich ein verstecktes Thürlein Paradiesgärtlein einzuhegen — ein Drittes könne
.u‘) als schreite er durch einen kühlen, dämmer- da nur über das Gatter lugen. Wenn es schon
s ?n. Oang zu einem heimlichen Winkel, wo eine überzählig sei, so wolle es wenigstens zu eins über-
hone Jungfer hause. Und vor der müsse er sich zählig sein, und sich umthun — vielleicht lese es
'gen und ihr Lächeln heischen. unterwegs einen Hagestolzen auf, der einsam dahin-
Eier Herr Geometer schnalzt und macht ein zottele. „Samuel erscheine!“ schloss die Uebermüth-
^aulchen, als wolle sich ein Igel in Rosen wälzen, ige und schwang den Stecken.
hd dann rafft er den Hut vom Schrankbord und Der Herr Geometer aber stand unweit am Hof-
Pert mit seinen langen Beinen feldein, den thor des Wirthshauses und sein Haupt leuchtete
^'hietterlingen nach. Der Frühlingswind tändelt aus wirrem Bartgestrüppe wie ein Distelkopf zu dem
dem Lachen, das er von rosigen Mädchenlippen lustigen Volke herüber. Und ehe sich der Säumende
gepfl
sn' , kt hat, fügt es zu einem silbernen Glocken- dessen versah, hatten sie ihn eingefangen und zum
(jef und lässt das unserem Aloysius Plazidus unter Hüter und Gesellen der Verlassenen bestellt.
hatt ^ase erklingen. Und wo ein Jauchzen auf- Und so ward dem Herrn Geometer eine Sonntags-
da 6rt> hohwebt es für eine Weile im Blauen, sinkt bescheerung. Ein schönes Mädchen hing an seinem
dem* V°r ‘*lm "'Uder und bettet sich mit gurren- Arm und braune Augen lachten ihm in’s vertrocknete
Nachhall in die weiche Stille, Herz. Wohlige Schauer rieselten ihm über den
den l^Uc*1 'n Aloysii verstaubtes Herz hat der Mai Rücken und ihm deuchte, so müsse einem Schmetter-
goldenen Schlüssel gesteckt und möcht ein linge über dem Auskriechen zu Muthe sein. Noch
merlein erschliessen zu artiger Kurzweil. Gei. t. ]• Berchtold. halb in der hässlichen Hülle, fühlt er doch schon die

217
Nr. 14 • JUGEND 1896

Sonne, wie sie, schönheitsdurstig, die Stäub- — auch die drüben sollen’s wissen — alle,
lein auf seinen Schwingen sucht. alle — und auf unser Glück anstossen!“
Ja, ein neues Leben sollte werden. Eine Ach; der Wein und der Frühling hatten
warme Milde strömte aus seinem Herzen, ihn so zuversichtlich gemacht!
stieg ihm in die Augen und legte einen „Bleibt!“ hält das-Mädchen zurück. Ein
weichen, verklärenden Schleier vor seine Zucken umirrt den Mund und besiegt ein
Blicke. Selig sass er vor seinem Glase mit Lächeln. „Aber ich bitt Euch, wie könnt’
dem Landwein. Er sah zurück und sah Ihr denn Ernst nehmen, was nur ein
vieles, was er unterlassen — er sah vor- Spiel war?“
wärts und sah eines und in ihm alles, was „Spiel?“ ächzte der Geometer. Seine
er gut zu machen hatte. Sollte das liebe Augen tasten sich wieder in die Wirklich-
Ding an seinem Tische auch arm sein an keit und er sieht sich — einen wind- und
Geld und Gut, wofür hatte er denn sein wetterzerzausten Dornbusch, dem der Mai
artiges Einkommen? Wohl war er gewohnt, mitleidig eine letzte Blüthe gegeben.
von Vierteljahr zu Vierteljahr eine Ein Schatten fällt auf den Weg. Das
behäbigere Zahl in seinem Bank- Mädchen hat einem jugendschlanken Ge-
büchlein zu beherbergen. Aber zur sellen die Hand gereicht, und unser Aloy-
Stunde dünkte es ihm köstlich, um sius möchte seinem Schutzheiligen Unehre
todten Mammon jung pulsendes Le- machen und mit Toben und Wüthen unter
ben zu tauschen. Wie Verachtung das Pärlein fahren. Aber er bringt es nur
quoll es in ihm auf, wenn er so zu einem Gurgeln und Husten und zu
manches Gesellen gedachte, welcher einer dicken, dicken Thräne.
sich an der schönsten Blume Gottes, „Ich — hol’ mich der Teufel — ich ..
an einem lieben Mädchen, vorbei- Ein heiseres Gelächter fährt dem Mäd-
gedrückt und ihr habsüchtig eine chen in’s Herz. Mit einer schier gewalt-
schlaffe Mistbeetpflanze des Teufels samen Bewegung tritt es auf das unselige
vorgezogen hatte. Es kam ihm nicht Gespiel zu, beugt sich vor und küsst das
in den Sinn, dass er selber solcher steif Starrende auf die borstigen Lippen.
Schuld nicht bar, dass er in Ge- Und dann schaut es ihm mit schimmern-
danken oft genug daran gewesen war, den Blicken in die zwinkernden Augen,
gerade so zu schachern. lächelt und zieht seinen verdutzten, stirn-
Unter den Nussbäumen ward ge- runzelnden Geliebten mit sich fort.
täfelt. Der Wein verbündete sich Der Herr Geometer steht reg-
dem Maien, und wer ein begnadetes ungslos. Eine Rosenflocke dünkt er
Ohr hatte, der hörte aus dem Becher- gespürt zu haben und doch einen
läuten der Beiden Gelächter. Schlag, der unter all’ die falschen
Unser Aloysius machte ihren Propheten und Götzen seines engen
lustigsten Herold. Ihm war, als sei Lebens gefahren ist und sie gestürzt
seine Jugend, die sich nicht ausgelebt hatte, hat, um eine wüste Leere zu lassen.
aus langem, tiefem Winterschlafe erstanden. Er schaut in die Sonne, den jungen
Ein Tänzlein ward gewagt, wozu nach Gestalten nach, und sieht nur das
seiner Weisung einer auf einem Schlüssel Mädchen, in dessen Kraushaar das Licht
zu pfeifen und ein zweiteraufeinem Kamme nistet. Doch die Augen sind ihm wund.
zu pusten hatte. Als der Reigen über den Er wendet sich. Und er schneuzt und
Rasen walzte, fuhr ihm das Glückverlangen schneuzt, als könne er alle Trübsale dieser
in die Arme und er umstrickte sein Part Welt durch die Nase blasen.
fester und fester bei dem altmodischen Am Frühlingshimmel schwimmt ein
Ländler, den er auf dem Grase beschrieb. goldumsäumtes Wölklein. Und der junge
Doch vor seinem Uebermuthe scheute der Traum unseres armen alten Aloysii Plazi-
des Mädchens. Und als die Musikanten dus gleitet mit ihm in die Ferne.
schwiegen und abgelöst zu werden ver- Er selbst aber trottelt der Stadt zu, über
langten, entwandt es sich, wie des Athmens deren Thürmen der Abend hängt, schüttelt
bedürftig, und ward heimlich auf einem den Staub von den Schuhen und das böse
Pfädlein, das eigenwillig zwischen krausen Liebesspiel aus dem Herzen.
Hecken stak, flüchtig.
Der Herr Geometer kniff die Augen
zusammen und blinzelte dem blühenden
Haupte nach, das, einer gelösten Rose
gleich, über der grünen Schanze des
Schwarzdorns schwebte. Und er nahm
den Weg unter die Füsse, beachtete nicht, Frühlingssturm
dass ein neuer Ankömmling sich einge- Schluchzender Geigen süsses Gewirr,
funden hatte, jubelnd begrüsst von den
Genossen, machte lange Schritte und fand Flöten und Cymbeln von blauen Altanen;
sich bald wieder in der Nähe des Mäd- Grünes Geleuchte verdattert und irr —
chens, das sein Herz mit weichen Fäden Frühling stürmt mit fliegenden Fahnen.
umsponnen hielt.
„Ihr entwischt mir nicht, Jüngferlein!“ Träumendes Kind, hab’ acht, hab’ acht!
keuchte der Verliebte. „Nicht heute, nicht Aus der Knospe drängt er die Blume,
morgen — nimmer! Denn, dass Ihr’s nur Zündet die Fackel der Liebesnacht,
wisst: was Liebes ist mir lange genug ab- Löscht die Ampel im Heiligthume.
gegangen und ich heirath Euch! Kommt Gezeichnet von A. Wimmer. VICTOR HARDUNG.

2l8
1896
JUGEND Nr. 14

219
Zeichnung von R. Riemerschmid,
Nr. 14 JUGEND 1896

Der trauernden Italia


Reich an farbigem Schmelz, lieblicher Düfte voll So in der Fülle der Kraft, so in der Jugend Glanz,
Schliesst die Knospe sich auf schmeichelndem Frühlingshauch — Heiss vom Feuer durchglüht rühmlichen Thatendrangs:
Doch die prangenden Blüthen Von Italiens Söhnen
Rafft ein mächtiger Reif dahin! Fanden tausende frühen Tod!
Hoch vom Aethergezelt leuchtet der Sterne Heer Statt zu des Lebens Höh’ führte hinab ihr Pfad
Und gefestet daran scheint es für Ewigkeit; Tief in’s Dunkel der Nacht, tief in der Erde Schooss;
Aber jählings hernieder Statt des Lorbeers umkränzt die
Schiesst verlöschend die Himmelspracht! Dornenkrone die bleiche Stirn.
Wie aus Riesengeschlecht hebt sich der Eiche Stamm. Gramvoll gebeugt das Knie, schmerzlich verhüllt das Haupt,
Ob des Waldes Gezweig ragt sie mit stolzem Haupt; Deiner Kinder gedenkest, trauernde Mutter, Du
Doch vom zuckenden Blitzstrahl Und dem Auge entquillt der
Jach getroffen, zerschellt ihr Mark! Thränen endlose herbe Fluth ....
Aber im tiefsten Leid bleibt Dir ein sichrer Trost:
Fasse die treue Hand, die Dir die Schwester beut —
Bergen an Deutschlands Herzen
Magst, am fühlenden, Du die Brust!
RICHARD SCHMIDT-CABANIS

Der Zacherl ruft: „Ihr Herrn Collegen!


Braut, was Euch gut dünkt, meinetwegen,
Ich geh’ mit Euch nicht in’s Gericht!
Nur blos: Salvator nennt es nicht!
Der Name, den Ihr wählt, ist mein —
Missbraucht ihn nicht, sonst geht Ihr ein!"
Das bringt der Andern Blut in Gährung,
Erklärung folgt nun auf Erklärung;
Die Concurrenz des Zacherl ruft:
„So wie die blaue Himmelsluft
Für Jeden lächelt, wer es sei,
Ist des Salvators Name frei!“
So scholl’s im Osten, scholl’s im Westen,
In Inseraten und Protesten.
Und bange um den lieben Tropfen
Aus dürren Birnen, Malz und Hopfen,
Salvator Da sieden es mit Kunst und Schläue Besucht ich einen weisen Greis,
Der viel von Bier und Trinken weiss.
Die Zacherl-, Spaten-, Löwen-Bräue,
Im bierberühmten Bayerland, Und manche and’re Bierfabrik Der, als ich höflich ihn befragte,
Da ist ein wilder Kampf entbrannt, Braut noch Salvator mit Geschick, That einen tiefen Zug und sagte:
Ein Kampf um eines Namens Klang, Sobald im Hain der Lenz sich regt „I woass net, was s’ scho wieda ham —
Der ruhmreich um die Erde drang; Und man die Frühjahrshüte trägt. Die Hauptsach is do net der Nam’!
Wenn der ertönt, so lächelt milde, Dem braven Münchner schmeckt das Nass, Die Hauptsach is und bleibt das Bier,
Vergnüglich, gleich dem Monden Schilde, D’rum trinkt er- stets noch eine Mass, Mein lieber Herr, dös glaubens mir!
Jedweden Zechers Angesicht. Die ersten still, die letzten laut, Da Münchna trinkt und fragt si g’wiss
Der Name — ach, wer kennt ihn nicht, Bis er die Dinge doppelt schaut. Net lang, wia’s hoasst, na, blos wia’s is!
Den unbesiegten Triumphator! — In diese friedlich-feuchte Stille, I moan a, darauf kemmat ’s an —
Der Name — nun, er heisst: Salvator. — In diese Frühlingsfest-Idylle, Pass auf, an was ma’s kenna kann:
Man siedet das Salvatorbier Des Bierjahrs wonnevollen Mai, An Wiederwillen soll’s erreg’n —
Bekannterweis in München hier. Ertönt nun plötzlich Kampfgeschrei. Denn immer wieder muasst oans mög’n;

222
1896 JUGEND Nr. 14

An Satz soll ’s machen, ’s Bier, verstehst: Er muass do sag’n, dös Bier is guat, »Ist Euer Trunk nur gut und fein,
Dass d’ sitzen bleibst und net gern gehst; Es macht Ein’m warm und löscht den Durscht, »Und nur bekömmlich, frisch und rein,
Und grabein muass ’s — no ja, dös heisst, Doch wia ma’s nennt, dös is mirwurscht!“— »Ist jeder Name ihm zu gönnen,
Dass’s oan auf d’ Letzt in Graben schmeisst, Er sprach’s, that wieder einen Zug, »Könnt’s Nektar, könnt’s Salvator nennen.
AGschmackerla soll’s harn — koa wild’s, Sah mir in’s Auge mild und klug, »Doch ist, was ihr gekocht, verdächtig,
A guat’s, a rund’s, a süass’s, a mild’s! Wies auf den Steinkrug hin und lachte. »Schaal, sauer, matt und niederträchtig,
Wann’s so is, nacha kann da Mag’n, Und sprach: „Da schaug’ns, dös is die achte!“ »Verbiet ich Euch, es Bier zu taufen —
A elf bis fufzehn Mass vertragn. Und wenn ich nun der Kadi war’ »Wer’sthut, der muss es selber — trinken!«
Und wenn da Mensch a wackeln thuat, So fällt ich einen Spruch wie der: KI-KI-KI.

denn in das Hundevieh gefahren sein? Draussen war das


Der kluge Waldl herrlichste Wetter — was veranlasste ihn also, nach Hause
„Sie haben keine Idee, meine Herren, was für ein Pfiffikus zu rennen und meinen Schirm zu holen? „Na, Kerl da
mein Dackl ist! Da hat er mir unlängst wieder 'mal einen hast du gleich den wohlverdienten Lohn!“ rief’ich’und appli-
Streich gespielt, über den Sie gewiss staunen werden cirte ihm mit dem Paraplui ein Paar derbe .Hiebe. Winselnd
Sitz’ ich da eines Sonntags mit einigen Bekannten drüben und mit vorwurfsvollen Blicken verkroch sich der Hund unter
beim „braunen Bären“. Waldl, mein treuer Begleiter, ist die Bank im Wirthshaus.
selbstverständlich auch dabei. Das nächstgelegene Fenster- Nun setzten wir uns zu einem Tarock zusammen. Es
brett hatte er sich zur Ruhestätte auserkoren und von da mochte aber gar nicht lange gedauert haben, da verdunkelt
aus schaute er gemächlich auf unseren Tisch herunter. In sich plötzlich der Himmel, finstere Wolken ballen sich zu-
der Hitze der Unterhaltung achte ich gar nicht meinen Hund sammen, ein Wirbelwind saust daher und aus der Ferne er-
und wie ich dann nach längerer Zeit mich endlich nach ihm tönen die ersten Donnerschläge. Bald geht auch ein heftiger
umseh’, — Schockschwerenoth! — da war das Fensterbrett Gewitterregen nieder. - - Es war gerade die Stunde, wo ich
leer, der Racker verschwunden. Ich rufe, ich pfeife, ich sonst nach Hause zu gehen pflegte. Leid wäre mir um mein
suche — von meinem Waldl keine Spur! Ich durchsuchte neues Sonntagsgewand gewesen, aber durch Waldl’s Fürsorge
gründlich Haus und Hof — von meinem Dackl war nichts hatte ich ja einen Schirm! Wir schauten einander verdutzt
zu erblicken! Ich trete auf die Gasse, ein wenig Umschau an. Wie, um Alles in der Welt, hatte der Tausendsassa das
zu halten, da auf einmal kommt mein lieber Waldl in ge- Unwetter voraussehen können?! Der Fall machte mir nicht
strecktem Laufe dahergerannt und zwar — mit meinem Regen- geringes Kopfzerbrechen. Immerhin musste ich aber um
schirm. Ich stand vor einem neuen Räthsel! Was mochte jeden Preis der Sache auf den Grund kommen, nicht eher

223
Nr. 14 JUGEND 1896

rührte ich mich von der Stelle! Doch, wie? — Spähend


lasse ich die Augen umherschweifen und — „Halt, ich hab’s!“
rief ich frohlockend aus. Meine Partner schauten mich mit
vor Neugier gespannten Mienen fragend an. „Hier, meine
Herren!“ rief ich endlich, auf das Fensterbrett zeigend, „hier
haben Sie des Räthsels Lösung! An dieser Stelle ist mein
Waldl die ganze Zeit über gelegen und gleich daneben sehen
Sie ein Glas mit einem Laubfrosch! Das kluge Thier
hat einfach die Wetterprognose des Fröschleins, das schon
lange vor dem Wetterstürze am Boden gehockt haben muss,
verstanden und daraus die Conseauenzen gezogen! —
„Nun, was sagen Sie dazu, geehrte Herren? Kann man
Ach höre nur, Mann, wie der arme Junge schreit!
da noch von „thierischem Instinkt“ sprechen? Nein! Ich Lass’ ihn schreien, Elise! „Geheulter Schmerz ist halber Schmerz.“
glaube, das ist viel mehr, das ist einfach Vernunft!“ —

Gedankensplitter
Die Einen setzen ihre Berühmtheit daran, um ihre Eitel-
keit zu befriedigen; die Andern setzen ihre Eitelkeit daran
und werden berühmt.

Die Kunst geht allerdings nach Brod; aber das Brod


nicht nach der Kunst.

Im Anfang war das Wort; am Ende wird die Phrase sein.

De mortuis nil nisi bene; zu deutsch: eine tote Maus


schmeckt der Katze nicht. h. s.

In der bayrischen Kammer hat. ein Abgeordneter gelegentlich der^Debatten über die Zulassung der Frauen zum Universitäts-
studium gemeint, es könne nichts schaden, wenn die rauhen Sitten der Studenten

224
1896
JUGEND . Nr. 14

dadurch gemildert werden, wenn „etwas anders Geartetes“ in den Hör-


sälen zwischen Jenen sässe. Das wäre freilich ganz hübsch, —
Nr. 14 JUGEND 1896

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Haben die Franzosen uns


Deutsche immer ,,tetes car-
rees“ genannt! Jetzt ist es in
Paris die neueste Mode, tete
carree zu tragen, nämlich Ca-
notierhiite mit viereckigem
Kopf. Man garnirt sie mit
Bandschleifen, Rabenfedern,
auch mit Abzeichen des Sports, z. B.
Tennis-Schlägern mit Paillettes benäht.
Der grosse, runde Hut bleibt nach wie
vor: Glänzendes Geflecht aus breitem,
grobem Stroh oder auch Gewebe von
Rosshaar mit Perlen. Facon mit Vor-
liebe hinten hochgeklappt, so dass der
cache-peigne (die Blumen-, Band- oder
Tüllgarnitur um den Chignon) recht zur Geltung
kommt. Paillettes in Unmasse. Ferner als Garni-
tur: Tüll in allen Farben und Gewebearten, viel
tulle-illusion in duftigen Wolken und tulle grec mit kräftigerem Faden;
in Schleifen gebundene Mullstreifen mit Stroheinfassung; ganze Paradies-
vögel mitten auf dem Hut, oder Paradiesvögelschwänze an den Seiten.
Vorne mächtige Schliessen mit Perlen-Imitation, Strass oder Paillettes
verziert, bis zu 25 Centimeter breit. Als Blumen weniger Lilien als im
vorigen Jahre, dafür umsomehr Iris in phantastischen Formen, orchi-
deenartig und märchenhaft; viel Mohn, Narcissen, Schlüsselblümchen,
|^
Blätter vom Rosenstrauch. Beliebteste Grundfarben: Grün und Blau,
Grün und Weiss, Grün und Schwarz, Schwarz und Weiss. —
Theaterhüte in Toque-Form, byzantinische Silberstickerei. —
Der Cache-peigne hat allgemein den Chignon nicht zu ver-
decken, sondern ihn hufeifenförmig einzurahmen. Der Chignon
wird hoch getragen, das Haar locker, die Ohren frei und über
den Ohren Puffen.
Zeichnung von Arthur Hirth.
226
Zeichnung von J. Diez.

Dort hoch auf dem Berge steht jetzt ein Hotel, Versunken ist alles im Zeitengrab,
Wo einst Raubritter gehaust
Und schweres Geld hat manch’ wüster Gesell’ — Es wechselt des Lebens Lauf, —
Den Reisenden abgemaust. — Einst kamen die Pliind’rer vom Berge herab
Heut’ steigt man zu ihnen hinauf! — I. PAUER.
227
Inseraten-Annahme Insertions-Gebühren
durch alleAnnoncen-Expeditionen
sowie durch
G. Hirth’s Verlag in München
und Leipzig. JUGEND
Die „JUGEND“ erscheint allwöchentlich einmal. Bestellungen werden von allen Buch-
1896
Nr. 14
für die
4 gespalt. Colonelzeile oder deren
Raum JL i.—

Mk. 3.—, Belgien 3 Pres. 6r cts , Dänemark 2 Kronen 69 Oere, Holland 1 fl. 95 ct., Italien
und Kunsthandlungen, sowie von allen Postämtern und Zeitungs-Expeditionen ent- 3 Pres. 88 cts., Oesterreich-Ungarn 1 fl. 90 kr., Rumäirien 4 Pres. 20 cts., Schweden und
gegengenömmen. Preis des Quartals (13 Nummern) bei den Postämtern in Deutschland Norwegen 2 Kronen 71 Oere, Schweiz 3 Pres. 65 cts., der einzelnen Nummer 30 Pfg.

Uebernahme von

Kunst auctionen
jeder Art, ganzer Sammlungen sowohl
wie einzelner guter Stücke.
Hugo Helbing, München, Christophstr. 2
Vom Frühjahr, ab eigene
neuerbaute Oberlichträume.

Die französische Presse ist, trotz ihrer Verurtheilung Crispi’s, einhellig in ihrer
Antheilnahme an der blutigen Niederlage der Italiener in Abyssinien.
Dass Frankreich an dieser Niederlage einen grossen Antheil hat, davon ist alle
Welt überzeugt.

Secession München.
Prinzregentenstrasse.
Frühjahrs-Ausstellung
von Mitte März bis Ende April.
Internationale Kunst-Ausstellung
vom 1. Juni bis Ende Oktober d. Js.

CDünchner Tfünstler-(Öenossenschaft.

Die Theilnahme an den Wettbewerben VI, VII, VIII ist zu unsrer


Freude wiederum eine äusserst rege gewesen. Zunächst allen Einsendern Jahres-Ausstellung
unsern herzlichen Dank für das Interesse und Vertrauen, das sie unserm
Unternehmen bewiesen haben. — Die Einsendungen zum Wettbewerb VIII ( von Kunstwerken aller Nationen
(Kurze Prosabeiträge) haben die stattliche Zahl von 225 erreicht. —| im kgl. Glaspalaste
Zum Wettbewerb VII (Amateurphotographien) sind von 54 Einsendern 1 vom I. Juni bis Ende Oktober 1896.
über 200 Nummern eingeschickt worden. — Am Wettbewerb VI (Zeich-
nungen, die antike Themen parodierend oder ganz ernst, aber neuartig j
und modern behandeln) haben 49 Künstler mit 60 Blättern theilgenommen.
— Wir bitten, was die Rücksendung der Manuscripte und Zeichnungen j
JULIUS BÖHLER
betrilft, die verehrlichen Einsender vor allem um Geduld. Denn es ist 6 Sofienstr. Münclien Sofienstr. 6
klar, dass wir das gewaltige Pensum Arbeit, das mit der gewissenhaften
vis-ä-vis des Glaspalast-Einganges.
Sichtung und Prüfung des gesammten Materials verbunden ist, nicht in
ein paar Wochen bewältigen können. Die Bekanntgabe der Preise er- Hof-Antiquar Sr. Majestät des Kaisers und Königs.
folgt so bald als möglich. und Verkauf werthvoller Antiquitäten und alter Bilder
Wir bitten dringend, uns Zeichnungen und Manuscripte nicht in
Rollen zu senden. Die Sachen leiden dabei immer sehr, werden
beim Oeffnen der Rollen leicht beschädigt und ihre Aufbewahrung ver-I Farben-, Maltucli- Alte Kupferstiche-
Kataloge gratis und franco durch
ursacht uns ganz überflüssige Unbequemlichkeiten.
Nota bene! Wer uns Einsendungen machen will, beliebe es zu
u. Malrequisiten-Fabrik Hugo Helhing, **ieZZ*j
thun, ohne vorher überflüssiger Weise anzufragen, ob er es tliun dürfe. s
Selbstverständlich darf er es! Anfragen, ob man so frei sein dürfe, so > Richard Wurm Carl Seck
frei zu sein u. s. w., können wir beim besten .Willen nicht beantworten,
da wir durch wichtigere Geschäfte vollständig in Anspruch genommen sind. München, Mittererstr. Nr. 3. modern, Antiquariat
Das Titelblatt dieser Nummer ist von Otto Eckmann (München) — Neuer Catalog auf Verlangen gratis. — Münclien, Windenmacherstr. 6.
gezeichnet. Katalog auf Ycrluugcn gratis u. frank'1'

tlciAusgeber: Dr. GEORG HIRTH; verantwortlicher Redakteur: F. von OST1NI; verantwortlich für den hiseratentheil: G. EICHMANN, G HIRTH’s Kunstverlag; sämmtlich in München«
o Druck von KNORR & HIRTH, Ges. m. besehe. Haftung in München.
ALLE HECHTE VORBEHALTEN.
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Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben. — G. Hirth’s Verlag in München & Leipzig,
Nr. 15 JUGEND 1896

Zeichnung von O. Ubbelohde.


2)0
1896 JUGEND Nr. 15

in dem Acanthusblätterschmucke der Kapitäle ihre Nester ge-


baut und Rosenbüsche auf dem verlassenen Altäre Wurzeln
geschlagen.
Verlassen, öde steht der Tempel am Waldessaume und
scheint ernst, als gedächte er längst entschwundener Tage,
auf die üppigen Auen nieder zu blicken, wo die Schnitter
munter singend die goldenen Aehren in Garben binden.
Der Tag geht1 zur Rüste und die Sonne übergiesst das
Land und den verlassenen Tempel mit goldenen Lichtern.
ES warbereits
in der besiegt
Zeit, alshatte.
das Christenthum die alten Götter Doch noch ist der alte Tempel nicht ganz vergessen. Ein
--.iTrüb der Himmel und trüb das Meer, das seine alter Mann kommt den steilen Waldpfad heran, schiebt die
schaumgekrönten Wogen tosend dem Gestade zu- nickenden Ranken zur Seite und tritt zum Altäre. Mit zittern-
wälzte und ein düsterwildes Lied von Tod und Verderben der Hand streift er das dürre Laub von den heiligen Steinen
zu singen schien. und legt Zweige und dürres Holz darauf. Dann schlägt er
Auf einem Felsen am Ufer sass Pan und blickte über Feuer und wie die Flamme aufprasselt, wirft er Obst und
die Fluthen hin. Der stürmende Wind spielte mit dem Haare Feldfrüchte hinein, dass der Opferdampf kräuselnd zur mor-
des Gottes und der Schaum der Wellen sprühte zu ihm hin, schen Decke emporsteigt.
als wollte das Meer dem von den Menschen verlassenen — Der muntere Gesang der Schnitter tönt näher und
Gotte seine Perlen zu Füssen legen. näher. —
Pan aber achtete dessen nicht und sein Auge starrte Der Alte aber hört ihn nicht, er sinkt vor dem Altäre auf
düster auf die Wogen. die Knie und hebt die Hände zum Gebete empor.
Da stand mit einem Male ein Mönch vor ihm: die dunkle „Pan, o grosser Pan!“ spricht er. „Du Gott meiner El-
Kutte flatterte im Winde und aus den Augen 'blitzte wilde tern und Ahnen, der Du die Fluren segnest und die Heer-
Begeisterung. den! Siehe, der letzte bin ich in diesem Thale, der Dich
ehrt: zu alt bin ich für ihren neuen Gott! Du hast den from-
„Hinweg!“ rief er und hielt ihm sein Kreuz entgegen. men Glauben meiner Väter mit tausendfältiger Blüthe und
„Weiche, Satan, diesem Zeichen, vor dem die Hölle zittert!“ Frucht gesegnet: Pan, o grosser Pan, gesegnet seist Du und
Doch der Gott wich nicht. Er Hess sein dunkles Auge segne auch mich!“
traurig auf dem Priester ruhen und sprach: „Was quälst Du — Und näher, immer näher tönt der Schnittergesang. —
mich? — Lass’ mich in Frieden sterben!“ Der Greis aber neigt im Gebete sein Haupt, und als er
„Sterben?“ rief der Mönch. „Das lügst Du, böser Feind! es wieder hebt, da — steht Pan vor ihm. Er blickt milde zu
Unsterblich ist das Böse — unsterblich bist auch Du!“ dem erschrockenen Alten nieder und spricht: „Fürchte nichts,
„Unsterblich?“ versetzte Pan und lächelte schmerzlich. Du Letzter, der an mich glaubt! Gesegnet sei das Feld, das
„Unsterblich -— ja, wenn Du anbetend vor mir niederfällst Du bebaust, gesegnet die Heerde, die Du hütest und geseg-
und die Menschen lehrest, mich anzubeten wie vordem!“ net seiest auch Du!“
„Dich anzubeten?“ und der Mönch lachte grimmig auf. „Pan, o grosser Pan!“ stammelte der Alte-
„Ha, Versucher, daran erkenne ich Dich! Dich anzubeten? Da tönen plötzlich Schritte und verworrene Stimmen hin-
Niemals, Teufel, niemals!“ ter ihm.
Pan aber richtete sich stolz vor dem Priester auf. „Der Teufel! Der Teufel!“ ruft es gellend.
„Ich will es auch nicht!“ rief er, „ich bettele nicht um „Die Hölle ist los!“ schreien die Stimmen durcheinander.
Andacht! Ich gehe mit dem Letzten, der mich gläubig ehrt, „Fliehet! Fliehet!“
zu sterben. Du aber denke der Milde, die Dein Meister lehrt „Halt, sag ich! Nein!“ übertönt eine mächtige Stimme
und lass’ mich in meinem Walde in Frieden sterben!“ das Gewirre. „Stehet: Der Herr ist mit uns!“
So sprach der grosse Pan und verschwand. Der Greis ist erschrocken aufgesprungen und sieht die
Das Meer schrie wild auf und stürmte mit seinen Wogen Schaar Schnitter.
an die Felsenufer, als wollte es die schöne blühende Welt in „Da ist er!“ tönt es aus dem Haufen. „Sehet, da ist der
Trümmer schlagen. Teufelsanbeter! Nieder mit ihm, nieder!“
Der Alte flüchtet zu Pan und umfasst in Todesangst die
Dort, wo die blauenden Sabinerberge freundlich grüssend Knie des Gottes: „Schütze mich, o Pan! ruft er, „Pan,
auf die üppigen Fluren Latium’s niederblicken, steht am Wal- schütze mich!“
dessaume ein verfallener Tempel. Und der Gott breitet schirmend seine Hände über ihn.
Unkraut wuchert auf dem Dache, die schlanken Säulen- Aber schon fliegen Steine gegen sie, dass die getroffenen
schäfte umschlingt wilder Wein und lässt seine Ranken mit Ranken und Blätter umherstieben und der Marmor der alten
den herbstrothen Blättern im Winde flattern, Schwalben haben Säulen splittert.

2)1
Gezeichnet von Bruno Paul.

„Haltet das Kreuz hoch!" tönt die ge- schimmerte im Westen wie ein blitzender Mit jedem Schritt, der Dich weiter führt,
bietende Stimme aus dem Haufen, „und Diamant der duftgeschwängerte Wind flü- Ist irgend ein Unhold aufgespürt,
Tod dem Teufelsbanner!“ sterte leise in den Kronen der Bäume und Erschreckt Dich ein Laut, ein Funkeln,
„Tod! Tod!“'brüllte die grimmige Schaar. süsse, beseligende Harmonie herrschte Gespenstisch raschelt’s im Dunkeln
Pan will seinen Schützling mit sich fort- zwischen Himmel und Erde — der grosse Und Flämmchen tanzen auf schwarzer
ziehen — doch dieser bricht laut aufschrei- Pan aber war todt. dr. th. Kirchner. Fluth —
end unter dem Hagel der Steine in seinen Sei auf der Hut
Armen zusammen. Und halte das Kreuzlein im Busen fest!
„Ich sterbe, Pan!“ ruft er und sinkt zu Es lauert der Nachtmahr im Weidengeäst,
den Füssen des Gottes auf den Estrich Nacht im Moor Er will Dich packen,
nieder. Dumpf brütet die Nacht auf dunklem Moor, Springt Dir in den Nacken
Pan beugt sich über den Gefallenen, Aus Schilf und Binsen flüstert’s Und krallt sich mit eisigen Fingern ein,
da saust ein Stein durch die Luft trifft Und zischelt und kichert und droht hervor, Jagt Dir das Grausen durch Mark und Bein.
die Schläfe des Gottes und blutüberströmt, Im Röhricht rauscht es und knistert’s. D’rum sieh’ Dich vor! — —
dumpfen Falles stürzt der grosse Pan zur Wie Sturm und Unheil webt’s in der Luft, Dumpf brütet die Nacht auf dunklem Moor
Erde.- Wie Spuk und teuflische Künste, Und mit der Nacht
Lieber den blauenden Sabinerbergen Und böse, schweflige Dünste Ist Schrecken und Schauder aufgewacht!
wob mattgoldener Duft, der Abendstern Qualmen empor aus tiefer Kluft. w. o.

232
1896
JUGEND Nr. 15

Zeichnung von F. Kozics


Nacht im Moor.
Kr. 15 JUGEND 1896

Nach Paul Verlaine


i.
Das ros’ge Grau des Abends webt im Zimmer;
Ich sehe noch der schlanken Hände Schimmer,
Die wie im Traum berühren das Klavier.
Und eine alte, kindisch-holde Weise
Durchstreift auf sanften Schwingen, schüchtern leise,
Den Raum, so lang bewohnt, beseelt von Ihr.
Welch fern’ Erinnern weckst Du schmeichelnd wieder,
Du zärtlichstes der alten, süssen Lieder,
In dem ein Hauch verlornen Glückes weht?
Womit hast Du die Seele mir bezwungen?
Und bist nun schon durch’s Fenster hin verklungen,
Das nach dem kleinen Garten offen steht. —

II.
Der Himmel über meinem Haupt,
Wie tief, wie rein er blaut!
Die alte Linde, jung belaubt,
Wie rauscht sie leis und traut!

Hell durch den blauen Himmel klingt


Der Glocke frommer Klang,
Ein Vogel in den Zweigen singt
Den lieben alten Sang.

O Gott, wie ist das Leben hier


So friedevoll, so keusch!
Wie ruhig Atmen dringt zu mir
Der fernen Stadt Geräusch.

— Dass Du in solcher Himmelsruh


Musst weinen Tag und Nacht,
Sprich, wie um Glück und Unschuld Du,
UnseTger, Dich gebracht!
Dr. k.

csCeder
GM» in Sftonv
Qdn den dun fein cdSuxu.x-ld'&eclcen
oJte/ven er/uxte, hohe
dder/ie von der oft/'ctjden drunten,
oJgielen lcla.00 iochieO* Dlrj tec/cesv.

Sankt Schlendrian tddolde (oüuXandceit der Dillen,


Df de oicJi deine ofchatten freiten/
Rühre nur leis am geheiligten Wahn,
Sieh’ mal ein Ding etwas anders an, dhutloo die dffcerten gleiten
Als es die Zunft seit Jahrzehnten gethan dum. (gezug- verotecfter (grillen.
Unterm Schutzpatron Sankt Schlendrian. —
Gleich wirst Du im Chor überbrüllt, überschrie’n, dfn die dOlhr ehafe
Der schändlichsten Felonie gezieh’n,
Als frecher Empörer, Ufaiuxend fderlen die Ilde lg hi inen.
Staatsuhrwerkstörer, Ddnd ein Sde on tS/llrnorinen
Als Hochverräther dhchend fdi/' dlLuchen >
Und Attentäter
Gegen die heilige Autorität
Der Zunftinfallibilität,
Gemeiner Meinung Majestät,
Rührst Du nur leis am geheiligten Wahn
Und seinem Patron Sankt Schlendrian!
Gezeichnet von 0. Eckmann.
ROBERT OECHSLER.

214
1896 JUGEND Nr. 15

Citate im Munde der Thiere


Von M. Winterstein.
„Ein Pferd! Ein Pferd! Ein Königreich für ein Pferd!“
brüllte der hungernde Löwe.
„Blut ist ein besondrer Saft“, sagte schnalzend der Tiger.
„Es kann der Frömmste nicht im Frieden bleiben, wenn
es dem bösen Nachbar nicht gefällt“, klagte der Wolf.
„Die Kunst geht nach Brod“, seufzte der Tanzbär.
„Wohlauf, Kameraden, auf’s Pferd, auf’s Pferd!“ riefen
kampflustig die Bremsen.
„Mit der Dummheit kämpfen Götter selbst vergebens“,
tröstete sich der Esel.
„Das Glück ist die Liebe, die Lieb’ ist das Glück....“,
flötete der Ochs.
„Es ist nicht immer möglich, im Leben sich so kinderrein
zu halten, wie’s uns die Stimme lehrt im Innersten“, ent-
oJilesi tiurjv schuldigte sich das Schwein.
„Vorsicht ist die Mutter der Weisheit“, meinte der Strauss,
f)Po. der jGorleer mit denv 0fluide- und steckte den Kopf in den Sand.
de/' cfßaho trade hos et, „Deines Geistes hab’ ich einen Hauch verspürt“, sagte
das Schaf zum Rindvieh.
odafs ich trauniverlore/v c_ Ollen ds
„Gefährlich ist’s, ein Mordgewehr zu tragen, und auf den
dO/tit CosUuum, meutern, Olmde. Schützen springt der Pfeil zurück“, höhnten die Hasen den
lOlllicr i/v /cii/ler t^OlVarmorschiale, Sonntagsjäger.
„Glücklich, wem doch Mutter Natur die rechte Gestalt gab“,
cfc/uvinuiberv Cfold- und ofdlerfisc/ve, sprach, sich im Wasserspiegel betrachtend, das Kameel.
O/ad der Cfe/iius des Ortes „Ich denke einen langen Schlaf zu thun“, gähnte das
Olivc/elte oonv Liedes täte. Murmelthier.
„oJdcp, was sollen> doese cOische ?
„Mit solchem Gesindel muss ich mich herumschlagen!“
klagte der Igel, als er in den Kampf gegen die Russen zog.
O/nd der holde (jölter/uiale „Ich bin besser als mein Ruf“, behauptete der Storch.
jG’qt derv fOt/iacr auf die cfu^P-en, „Mein Vater war ein dunkler Ehrenmann“, krächzte
( )(fn. der gfeuclten- t. /uru/1/l cal.~ c yLis eile . der Rabe.
„Die goldene Kette gib mir nicht“, bat flehend der Papagei.
„S)lta/st Stein, S/upfchen zu mir- neigen.
„Glücklich, wem der Gattin Treue rein und keusch das
„ (Silentium ist hier .daro/e / Haus bewahrt“, lachte der Kukuk, als er sein Ei in’s fremde
typzs- S2)n sagst und hörst undg/u/dest, Nest legte.
tyPas. u>ü- thun, sollst Pta verschweigen. /" „Heb’ immer Treu’ und Redlichkeit, bis an dein kühles
Grab!“ ermahnte die Elster ihr Junges.
„Bleibe im Lande und nähre Dich redlich!“ belehrte die
Krähe die ziehende Schwalbe.
<SPrs lo ■tga „Arbeit ist des Blutes Balsam, Arbeit ist der Tugend
Quell“, philosophirten die Drohnen.
Pur C- tl/nnagnu zogen P)rete-, „Dein Weg ist krumm, er ist der meine nicht!“ sagte
(Pdj.ua ductcn. malt der (Sine, die Schlange zum Regenwurm.
‘Sind der Streund im. heil■dg
tjen „Denn eben, wo Begriffe fehlen, da stellt ein Wort zur
rechten Zeit sich ein“, meinte der Fisch.
Po rmendlldter.
{Scrtiaa- war <do,
„Die Noth bringt Einen zu seltsamen Schlafgesellen“,
sprach die Wanze.
Ptiesem^a/lt in, s c ddug <Ptunetta, „Der Casus macht mich lachen!“ kicherte die Käsemilbe.
fyfle sie ihre Pftsii/ten. Heulet „Ein Augenblick, verlebt im Paradiese, wird nicht zu
Pln d den. c dluSen. licht und senlets theuer mit dem Tod gebüsst“, lispelte, als er von schöner
Hand geknickt wurde, der Floh.
S,1. dem (garten, der ofpelunle. „Eilende Wolken, Segler der Lüfte! Wer mit Euch wanderte,
wer mit Euch schiffte!“ rief sehnsuchtsvoll die Schnecke.
„(Pdrie fonga-eita hrese l — „Erröthen macht die Hässlichen so schön“, tröstete der
S2)enlt der SSieclt heim i.Moccm - 0fielen, Krebs seinen gesottenen Kameraden.
tylnd die- dtnlcltv SPSugen sc/lie/en, „Gekeilt in drangvoll fürchterliche Enge“, klagte der
Häring.
SySufs dftilet in, seiner S/äscle. „Es .kann die Spur von meinen Erdentagen nicht in
Carl Voss. Aeonerj>untergeh’n!“ rief stolz die Eintagsfliege.
„O Gott! das Leben ist so schön!“ quackten aus dem
Sumpfe die Frösche.
„Freut Euch des Lebens, weil noch das Lämpchen glüht“,
sagte der Fleischerhund zu den Kälbern.

Gezeichnet von O. Eckmann.

2?S
1896
Nr. 15 - JUGEND

Verkehrte Welt Jetzt verstand ich ihn allgemach. Die


„vierSensitiven“waren überihn gekommen
Als ich meinen Freund Bob Stone im und da konnte er nicht mit.
Hotel aufsuchte, lag er im Bett und hatte „Also erzähle mir,“ sagte ich, denn ich
Kopfweh. Mit seinem gelblich - blassen wusste, das würde ihn erleichtern und mir
Leidensgesicht und dem Turban aus weis- Spass machen. Und er erzählte — einige
sen Handtüchern, den er aufhatte, ent- hinterwäldlerische Rauheiten habe ich na-
sprach er durchaus nicht dem Bilde, das türlich aus seiner Erzählung weggeschliffen.
meine Phantasie sich von dem gewesenen „Also ich traf die Viere gestern Nach-
Lieutenant und späteren amerikanischen mittag auf der Strasse und wir verabredeten
Reitlehrer, Cowboy und Viehzüchter ge- uns für den Abend. Ich war zuerst da.
macht hatte. Wegen einer tollen Spiel- Dann kam Langhans — der Maler! Wie
geschichte war er in die neue Welt ge- er schon aussah! Er ging, als wenn er
schickt worden, hatte sich durch tiefes mit den Füssen die Erde nicht berühre
Elend und brutale Verwilderung durch- und doch sind sie gross genug dazu. Sein
geschlagen, kehrte jetzt nach zehn Jahren Hemd war von orangegelber Seide, seine
als wohlhabender Rinderheerdenbesitzer Binde türkisblau und aus der Rocktasche
aus dem wilden Westen zurück, lag nun als quoll ein burgunderrothes Foulard. Ertrug
beturbantes Jammerbild vor mir im Bette auf dem Kopfe einen Hut aus Plüsch und
und hatte Kopfweh zum Steinerbarmen. an den Beinen Pumphosen aus Sammt.
Wir schüttelten uns die Hände und dann ,Also, Du bist Maler? frage ich
sagte ich: „Armer Junge!“ und deutete auf Und was malst Du denn eigentlich?“
seinen kühlen Umschlag. „Die Reise ist ,Die Frage ist etwas derb“, sagte er,
wohl Schuld daran?“ offenbar gekränkt. ,Das lässt sich so direkt
Er verneinte mit einem stummen Kopf- und geradezu kaum beantworten.“
schütteln. ,Sei nur wieder gut! Was versteht unser-
„Das Klima?“ einer davon! Ich habe in acht Jahren nur
Er schüttelte weiter. einen Maler gesehen. Es war in Kentuky.
„Was dann? Soll man Dir einen Arzt Er malte einen Pfau auf ein Wirthsschild.
holen?“ Vielleicht auch eine Schildkröte oder auch
Mit einer drohenden Grimasse verbat einen Büffel — man konnte es so genau
er sich diese Fürsorge und dann stöhnte er: nicht erkennen. Du bist wohl Einer
„Ich habe gestern die vier alten Kerle von den ganz Idealen?“
Langhans, Schmellau, Bergen und Kor- Jetzt blickte er ganz schmerzlich auf.
wik — getroffen; wir waren bis drei Uhr Dann flötete er: ,Für mich gibt es nur Eins:
zusammen und sie haben mich — oh!“ die Musik der Farbe, den Ton, ich gehe
Er deutete stöhnend auf seinen Kopf nur auf Klänge aus! Alles andere ist roh
und verständnissinnig sagte ich: „Sie haben und materiell. Die Kunst muss über die
Dir ein Bischen zuviel zugetrunken?“ Materie siegen. Das ist Dir doch klar?“
Er aber mit einer Miene unsäglicher ,Aufrichtig gesagt, nicht ganz!“
Verachtung: „Mein lieber Freund! Ich habe Er deutete auf die vorher genannten,
in einem Monat drüben mehr Brandy ohne farbigen Bestandteile seiner Toilette:
Soda intus gekriegt, als die vier Jungens ,Was ist das?“
brauchten, um sich zusammen drin zu ba- ,Ein Hemd, eine Halsbinde und ein
den! Und da sollen mich die paar Flaschen Schnupftuch alles pikfein, von Seide
Zuckerwasser-Mousseux — nein, mein und sehr bunt. Das haben wir drüben
Lieber! Von den Kerlen selber habe ich auch gerne. Als Cowboy hatte ich des
Kopfweh! Von ihrem Reden, von ihrem Sonntags ein zinnoberrotes Hemd und
Flunkern, von ihrer Verdrehtheit! Ich bin eine hellgrüne Binde. Das machte sich
das Nachdenken und das Lügen nicht mehr sehr gut zu dem gelben Ledergürtel und
gewohnt — das ist Alles!“ den blauen Hosen.“

238
1896 JUGEND Nr. 15

Immer schmerzlicher schaute mich der Werthe verstanden hat. Und doch war ich Ich citirte ihn an meine Seite:
Maler all, deutete noch einmal auf die drei damals noch nicht auf der Höhe meines ,Nun was bildhauerst denn Du eigent-
Stücke und sagte: Ich! — Nein, nein, widerspreche mir nicht! lich, alter Junge?“ fragte ich.
,Das ist ein Farbenakkord!' Heute bin ich weiter. Schopenhauer, Hart- ,Ich weiss nicht, ob Du mich verstehen
,Ah!‘ mann, das war für mich nicht genug! Alles wirst,“ sagte er mit einer Stimme, weich
Ja, eine Harmonie! Und solche Har- zu bedingt, zu kleinlich, zu grübelnd, zu wie Watte. ,Ich vertiefe die Plastik nach
monien sind die Seele meiner Bilder. Mein bissig, zu wenig präcis in der Negation. So innen. Ich suche sie, so zu sagen, zur
höchstes Streben geht dahin, die Malerei kam ich zu Nietzsche. Dem Uebermenschen. Poesie zu machen. Was ich anstrebe, ist
vollständig zur Tonkunst zu machen.^ Dem Umwerther aller Werthe. Der Ne- das, dass der Beschauer meiner Figuren
,Ah‘, sagte ich wieder; es war das Ein- gation im Grossen. Ich denke, von meinem aus diesen alles das wieder herausempfinde,
zige, was ich zu antworten wusste und Orchesterwerke: »Jenseits von Gut und was ich hineinempfunden habe. Und das
jedenfalls das Beste! Er fuhr fort: Böse« wird man in dreihundert Jahren ist viel. Lange, sehnsüchtige Lieder, trübe
,Ein Concert in Gelb, das ich im Vor- auch noch reden. Willst Du mein »Herren- herzzerreissende Geschichten sprechen
jahre gemalt hatte, machte viel Aufsehen. Motiv« hören?“ aus meinen Statuen!“
Aber ich gehe noch weiter — ich muss ,Natürlich!“ ,Ah!“ sagte ich wieder mit einem Ton
noch weiter kommen! Weisst Du, mit was Er ging an ein Pianino, das in der zwischen Frage und Bewunderung. ,Aber
ich mich jetzt befasse?“ Ecke stand und griff ein paar Takte. Es erkläre mir’s ein wenig näher.“
,Mit einem Concert in Grün?“ klang furchtbar! Dann sagte er: Er zog die Photographie einer Statue
,Nein! Mit einer Abendstimmung, der ,Der verminderte Septimakkord am An- aus der Tasche. Sie stellte eine merk-
ein Trio von Pedalharfe, Bassclarinette fang und der kühne unvermittelte Ueber- würdig dünnbeinige weibliche Figur dar,
und Oboe zu Grunde liegt!“ gang von Gdur in Fis moll spricht mit welche die Arme ausreckte, wie Jemand,
,Ah!“ elementarer Deutlichkeit die Verneinung der noch nicht ausgeschlafen hat.
,Nicht wahr, das habt ihr drüben noch aller bestehenden Ordnung'aus — das wirst ,Was — glaubst Du — stellt diese Ge-
nicht gehabt?“ Du doch auch als Laie begreifen!“ stalt vor?“
,Nein! Drüben musiziren die Maler nicht ,Aber ja! Es ist ja so einfach!“ Warum ,Den Hunger“, sagte ich in Anbetracht der
mit dem Pinsel, da malen sie blos, so viel sollte ich den auch entrüsten! trübseligen Körperverhältnisse der Dame.
ich weiss.“ Er war sichtlich erfreut und klopfte mir ,Die Sehnsucht nach der Sonne!“ cor-
Mein Freund Langhans setzte sich. Er auf die Schulter: rigirte mich mein Plastiker. Es handelt
war offenbar über meine Verständniss- ,Du hast entschieden ein musikalisches sich um ein Werk novellistischer Art! Ein
losigkeit entrüstet. Jetzt kam Schmellau, Ohr. Der gewöhnliche Hör-Pöbel steht Weib, durch eigene Sünde und fremde
der Musikus. Er hatte ganz lange Haare den Harmonien der Disharmonie sonst Schuld in die Schatten gebannt, wo sie
wie Franz Liszt, sogar Warzen wie Jener. ziemlich verständnisslos gegenüber. Jetzt mühsam und trübe ihr Leben vertrauert
Wo er die Letzteren hernahm, weiss ich sollst Du dafür auch noch das Zarathustra- breitet die Arme aus nach den Phantomen
nicht; früher hatte er keine. Auf ein Stück Motiv hören!“ aus lichterer Welt, die aufsteigen vor ihrem
Unsinn war ich schon gefasst, als ich ihn Er tappte wieder über die arme Claviatur: inneren Auge, ruft der holden Gestalt in
fragte: ,Hörst Du die überlegene Ironie in der Vergangenheit die Erinnerung an die
,Also Du bist Musikus, Klavierspieler?“ diesen Triolen? Klingt es nicht wie das reine, freudige Kinderzeit zurück, sieht
,lch komponire!“ trockene Lachen eines weltumfassenden, sich im Garten wieder spielen unter blüh-
,Ach das muss hübsch sein! Und was weltverachtenden Riesengeistes?“ enden Apfelbäumen, sieht sich im ersten
denn? Walzer — Opern?“ ,Genau so.“ Mir schwindelte. Gott Liebesrausch erglühen — und dann kommt
Er sah mich ruhig mit grossen Augen sei Dank — da kam Bergen, der Bild- die Gegenwart wieder über sie, und wie
an und sagte, als wäre es etwas ganz Selbst- hauer. Der mit seiner greifbaren, reellen auf nächtigen, einsamen Gestaden steht
verständliches: ,Nietzsche!“ Kunst konnte doch nicht so verrückt sein, sie da und sehnt sich nach der Sonne, die
,Aber das ist ja, soviel ich weiss, eine wie der Maler und der Musikus! Er sah ferne über’m wilden Meer erstrahlt.“
Art Phi —‘ auch nicht so transscendental aus, wie die ,Grossartig“, sagte ich; schon wegen
,— losoph, ganz Recht! Aber mein Guter, beiden Anderen. Im Gegentheil, der ganze der oratorischen Leistung. ,Und das ist
über die Plattheiten einer zweck- und ideen- Mensch schien frisch aus dem Rahmen Alles da drinnen?“ Ich deutete auf die
losen Melodik sind wir denn doch hinaus! eines Modejournals gestiegen; ein Seiden- Photographie.
Sinn muss herein in die Kunst! Prinzip! hut nach der Mode von 1830, Rock- und ,Alles — und vielleicht noch mehr. —
Und ich denke, ich kann was in meinem Beinkleider aus dem Jahre 1848, der Rock Zur Zeit modellire ich an einer Goethe-
Fach! Meine grosse symphonische Dicht- oben zu eng und unten zu weit, die Hosen büste — in die kommt »Wahrheit und Dicht-
ung: »Die Philosophie des Unbewussten« oben zu weit und unten zu eng. Licht- ung« ganz hinein. Die Idylle von Sesen-
hat die Welt einfach verblüfft. Ich habe graue Handschuhe mit schwarzen Raupen; heim ist schon drinnen, aber mit der Af-
die Genugthuung, sagen zu können, dass in der Hand hatte er etwas wie die Seele faire Lili hapert’s noch ein wenig. Recht
diesesTonwerk nicht Einer in seinem vollen eines schwindsüchtigen Regenschirmes. gut geglückt ist mir auch mein »Napoleon«

239
Nr. 15 JUGEND 1896

— eine durchaus epische Arbeit. Meine genie’s fragte mich nach meiner Farm und den Andern muss es noch besser geh’n,
Freunde behaupten freilich, ich hätte den meinte, was ich eigentlich züchte: namentlich die Ochsen wollen sich nicht in
russischen Feldzug weniger betonen und ,Allerhand“, sagte ich vergnügt, denn ihre neue Aufgabe finden.“
mehrGewichtaufWaterloo legen müssen —‘ jetzt war mein Augenblick gekommen. ,Ich ,Es ist wohl sehr heiss drüben in
Also der Mann modellirt Poesie und ist züchte Rindvieh und Pferde, Schweine und Amerika?“ fragte der Maler.
noch toller als die zwei Andern! — Da kam Hühner. Aber ich züchte auf Vertiefung, ,Du solltest .jetzt doch eine Flasche
zu guter Letzt Korwik zur Thüre herein, jedes der Biester muss in seinen Leist- Giesshübler dazwischen trinken“, meinte
Korwik, der unter die Dichter gegangen ungen über die herkömmlichen Grenzen der Componist.
ist. Er sah nicht ganz so aus, wie ich mir seiner Art hinaus: Die Pferde schlachte Der Bildhauer wünschte sich ein Junges
einen Dichter vorstellte. Einen Hut hatte ich und mache Corned Beef daraus, die von jeder meiner Thiergattungen.
er, der in allen Farben spielte, eine grobe Hühner lasse ich scheeren und verkaufe Und der Dichter — er war auch sonst
Lodenjoppe, Stiefel wie ein Wasserarbeiter. die Wolle, die Schweine spanne ich vor immer noch der Verständigste von den
Und durchaus keine wallenden Schiller- Pflug und Wägen und das Rindvieh muss Vieren gewesen — sagte:
locken hatte er, sondern Haare wie eine mir fleissig Eier legen. Mit den Leistungen ,Du bist ein Grobian!““
Kleiderbürste. Er setzte sich neben mich. der Pferde bin ich schon zufrieden, bei DICK.
Die Unterhaltung begann von Neuem und
ich war schon auf das Schlimmste gefasst,
als ich fragte: ,Also ein Dichter bist Du ge-
worden. Darf man fragen, was Du dichtest?“
,Farben!1 sagte er, ziemlich scharf.
,Meine »Lieder in Violett« solltest Du doch
eigentlich gelesen haben. Ich denke, dass
meine Farbenlyrik auch in Amerika ziem-
lich bekannt sein dürfte. Kennst Du wenig-
stens mein Lied: »der rothe Abend?«
In erdbeerfarbne Wogen taucht sich
glühend
Die rothe Sonne, eine Blutorange
Von Märchenschönheit, Purpur-Funken
sprühend.
— Ist das nicht wirklich roth?“
,Den Scharlach könnte man davon krie-
gen“, gab ich zur Antwort.
Dann deklamirte er mir etwas Blaues,
dann etwas Gelbes.
,Weisst Du“, sagte er, ,das grosse Ge-
heimniss der wahren Lyrik ist es, in der
Seele des Lesers, des Hörers, Bilder zu
wecken. Die Gedanken kommen von sel-
ber, wenn die Bilder da sind. Der Dichter
muss malen, nicht erfinden! Und der Leser
empfängt von ihm blos eine Stimmung, die
Grundfarbe. Der Dichter suggerirt dem
Leser nur den Zwang zu eigener poetischer
Empfindung.“ Waldesidyll Und sprichtvollStolz: „Es gleichet fürwahr,
Und so ging der Unsinn weiter — die Mein Schweif dieser Palme auf ein Haar!“—
halbe Nacht fort! Jeder schwatzte von der
Es ruht an der grossen Wüste Saum
Vertiefung seiner Kunst nach irgend einer Ein Löwenpaar unter dem Dattelbaum. Das Löwenbaby, das solches sah,
anderen Dimension, und je später es wurde, Die Löwin sieht zu wie ihr Kleiner hopst, Klatscht in die Pfoten und ruft: „Papa!
desto wahnwitziger wurden ihre Ideen. Indessen ihr Alter sich gräulich mopst. Genau wie die Palme! Nur fällt mir auf:
Endlich kam doch einmal auch die Rede Nun aber, dreht er den mächtigen Schädel, Datteln wachsen doch keine drauf!“
auf mich. Einer von den vier Zukunfts- Streckt gerade empor den Schweif mit Wedel KOZIAN.

Wenn Zwei sich streiten, freut sich der Dritte.

240
1896
• JUGEND • Nr. 15

Für die „Jugend“ gezeichnet von Jeanniot (Paris).

Visite de noce: Mon bsbs, je raconte a ces jeunes gens nos Premiers jours de bonheur.
(Brautvisite: Mein liebes Kind! Ich erzähle eben diesen jungen Leutchen von unserem Flitterwochen-Glück.)

241
Nr. 15 JUGEND 1896

Gezeichnet von Fidus.

Der Undankbare Die an die Deinen


Hingebend sich schmiegen,
Und weisen verwundert
Auf Dein altes, vergrämtes
Der Undankbare! Wie zag er sichziert! Und dünkst Dich ein Gott, Grollendes Antlitz,
Wie mit verlegenem Groll Wenn eine Huldin Umschlingen mit Jauchzen
Er sich der zärtlichen Arme, Ihr klopfendes Herzlein Der schlanken Gespielen
Die ihn liebkosen, erwehrt! An Deines drängt! Geschmeidige Hüften
Wie er die schläfrigen Augen schliesst Und wieder ein Weilchen, Und bieten die Lippen,
Vor all’ dem Liebreiz und all' der Huld, Du Undankbarer: Die rothen, dem Liebsten
Die ihn umschmeichelt! Dann harrst Du vergeblich Und kosen und lachen
Mit sehnenden Sinnen Und tanzen vorbei. — —
Warte ein Weilchen, Du Undankbarer! So seliger, süsser, So nütze die Stunde,
Bald lebt Dir im Busen Barmherziger Huld! Du Undankbarer!
Das rechte Verständniss, Dann flattern im Fluge Sie naht Dir mit solchem,
Dann sehnst Du Dich selber Die hübschen, die holden, So vielfachem Segen
Nach weichen Armen, Die munteren Mägdlein Nie wieder wie heut’!
Nach warmen Wangen, Vorüber an Dir, W. WALTER.

242
1896 JUGEND Nr. 15

Der Ausrufer Dieselben! Denn Ideale, liebe Leute,


Sind nur den Wenigen bekannt,
Ä Leibz’ger Messbild. Ihr Männer aus dem vierten Stande Die man verfolgt hat, einst wie heute,
Preist euch die Helden uns’rer Zeit, Die man gegeisselt und verbrannt.
»Hier meine Herrn, mal hergeschaut,
Und dass ihr frei von Bürgerschande
Vicdoricha, de „Schlangenbraut“! Den reinen Fahnen gebt Geleit. Dieselben seid ihr noch wie weiland.
Uiss feeenhafde Wesen is Weil ihr die blöde Menge seid,
ne durch un durch gebcrne Miss. Ich glaub’ euch nicht - ihr seid dieselben Die heut „Hosiannah!“ ruft dem Heiland
S'e mechden zweifeln?! Gluum Se mir, Wie jene Satten auf ein Haar; Und morgen ihn dem Kreuze weiht.
Gee Beffsteck is ze englisch ihr! Nur kämpft ihr noch um ihre gelben WIEN. EMIL RECHERT.
Un neilich gam ä richt’ger Lurd, Kornfelder und die Rinderschaar.
M't den verstand se sich sufurt.
Unnn is de „Geenigin der Luft“. Wer kämpft, der hat die schöne Geste,
Dem lodert Flammenschein im Blick
Ihr Vurleb’n schwimmt in Märchenduft; Doch feiert ihr erst Siegesfeste,
Mer weess vun ihr nich wie un wo, Dann schlägt euch Adam in’s Genick. ]
Se kleidh sich mehrschdens in Trigut
Un
exercirt fer’sch Lewen gern Dann wird sich’s treulich offenbaren :
Uf ännen Seil se dinn wie 2warn. Ihr seid vom alten Menschenschlag
Un hier, Verehrt’ste, Nummer Drei, Ein Bourgeois, ihr einzig Wahren,
»Ernesto Gere“ frisch, früh un frei! War Adam schon am ersten Tag.
^ei Blick is wie ä Ungewidder,
^ei Biceps schleegt än Diger nidder. Und Bourgeois, ihr guten Leute,
Eer’sch Musgelfleesch vun seinen Armen Wenn ihr erst sitzt beim frohen Mahl
Dhat Und besitzt, was euch mangelt heute —
bestens äne Gräfin schwärmen; Bourgeois seid ihr dann allzumal.
Lie:
Ss Schluss un Gadden, Schreib- un
Nehdisch Dann werdet ihr behaglich dehnen
Un Wurde speeder selbst athledisch. — Euch auf dem weichen, trägen Pfühl,
°eh,wenn’s wen mehr nach Geist’gen zieht, Und euer ganzes reiches Sehnen
'er haw’ ich euch was fer’sch Gemüth. Befriedigt dann ein Kartenspiel.
ee Mensch noch in de Zugunft sah
ie unsre „Delphische Bydhia“. Ihr seid ja Masse, und die Massen,
Sie ködert nur ein Massenglück;
01 s Jahr sehen sagt’s voraus die Gude,
Merkriegden
' Ja, leben wollt ihr, leben lassen —
heit ’ne volle Bude. Ihr gleicht den Andern Stück für Stück.
D rum
nn.
^ verehrt’stes Buwligum!
as stehn Se denn hier haussen rum? Ich schelt’ euch nicht, nur will ich mahnen:
Jetzt liegt’s an Sie bloss, ’s is doch klar, Missbraucht nicht dumm ein grosses Wort!
b ihr Oragel richdig war.“ „Gut Essen!“ schreibt auf eure Fahnen Mucha: Affiche für den „Salon der Hundert“
EDWIN BOKMANN. Und lasst „die Ideale“ fort. in Paris.

243
Inseraten-Annahme Insertions-Gebühren
durch alle Annoncen-Expeditionen
sowie durch
G. Hirth’s Verlag in München
und Leipzig. JUGEND
Die „JUGEND“ erscheint allwöchentlich einmal. Bestellungen werden von allen Buch-
für die
4 gespalt. Colonelzeile oder deren
Raum Jt. i.—.

Mk. z.—, Belgien 3 Eres. 61 cts., Dänemark 2 Kronen 69 Oere, Holland 1 fl. 95 ct., Italien
und Kunsthandlungen, sowie von allen Postämtern und Zeitungs-Expeditionen ent- 3 Eres. 88 cts., Oesterreich-Ungarn 1 fl. 90 kr., Rumänien 4 Eres 20 cts., Schweden und
gegengenommen. Preis des Quartals (13 Nummern) bei den Postämtern in Deutschland Norwegen 2 Kronen 71 Oere, Schweiz 3 Eres. 6$ cts., der einzelnen Nummer 30 Pf.

von Kindern und Erwachsenen bei allgemeinen Schwächezustiinden, Bleichsucht, Herzschwäche, Nervenschwäche
Statt Eisen (Neurasthenie), Lungenleiden, geistiger u. körperl. Erschöpfung, Appetitlosigkeit, Magen- 11. Darmkrankhe'iteii, In-
fluenza — Erkrankungen, bei welchen der Eisen-Mangangehalt des Blutes stets vermindert ist —, ferner bei lthachitis
(sog. engl. Krankheit, Knochen-Erweichung), Scrophulose (sog. unrein. Blut, Drüsen-Anschwellungen u. -Entzünd-
ungen! — Leiden, bei denen ausserdem noch die Blutsalze stark reduzirt sind, ^
Statt Lebertliran Sehr angenehmer Geschmack. Mächtig ' mit grossem Erfolge angewandt.
appetitanregend._
Dr. RommeFs Haematogen ist konzentrirtes, gereinigtes Haemoglobin (D. R. Pat. No. 81391), in seiner leicht
verdaulichsten flüssigen Form. Haemoglobin ist die natürliche organische Eiseii-Maiigan Salzverbindung der Nahrungs-
w*rd mittel, also kein Spezialmittel gegen irgend eine bestimmte Krankheit, sondern ein aus Nahrungsmitteln gewonnenes
llr Ifiorl Ummmol’e UQOIIIQfnnOn Produkt> welches als Kräftigungsmittel für kränkliche und schwächliehe Kinder, sowie Erwachsene, rein
Ul, lllcu. Hümmel 5 ndulUd&Uyun oder als Zusatz zu Getränken ständig genommen werden kann. Die ausserordentlichen Resultate, welche
" ™"IN mit Dr. Hommel’s Haematogen erzielt worden sind, beruhen auf seiner Eigenschaft, den Gehalt des
Organismus an Eisen-Mangan, sowie an Blutsalzen automatisch zureguliren resp. zur Norm zu ergänzen, (ÖGt“ Von der grössten Wichtigkeit ist der Gebrauch
desselben im Kindesalter und in den höheren Lebensjahren. In ersterem, weil fehlerhafte Blutzusammensetzung in der Entwickelungsperiode
von entscheidendem Einfluss für das ganze Leben ist, in letzteren, weil im Alter die blutbildenden Organe erschlaffen und einer Anregung bedürfen
welche das Lehen im wahren Sinne des Wortes zu verlängern im Stande ist. Preis per Flasche (250 Gr.) Mk. 3.—. In Oesterreich-Ungarn Fl. 2.— ö. W.
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Herausgeber: Dr. GEORG HIRTH; verantwortlicher Redakteur; F. von OST1NI; verantwortlich für den Inseratentheil: G. EICHMANN, G. illKTH's huiiotverLg • sämmtlich in München
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1896 - 18. April • JUGEND . I. Jahrgang • Nr. 16

G. Hirth’s Verlag in München & Leipzig.


Nr. 16 • JUGEND ' 1896

Eine sonderbare Geschichte ärgerlich und drehte sich nur langsam und mit strengem
Gesicht um. Allein seine Züge nahmen einen völlig anderen
Von W. von Reiswitz. Ausdruck an, als er die Person die ihn zu stören gewagt,
in’s Auge fasste. Er fühlte sich von einem unangenehmen
Man mag sagen, was man will, aber die ganze Geschichte Schrecken erfasst, so ungefähr, als qb 6r im Traum von
behält unter allen Umständen etwas sehr Eigenartiges und einem sehr hohen Thurm herabspringen müsse, — denn
wenn auch die Ansichten über die Natur derartiger Vorkomm- Derjenige, der ihm gegenüberstand, war kein Anderer, als
nisse getheilt sind, so hat man immerhin schon viel selt- er selbst.
samere Sachen erzählt, für welche eine allseitig befriedigende Er selbst, der gestrenge Herr Bürgermeister! Da war
Erklärung durchaus nicht gefunden werden konnte. Schliess- seine Nase mit der goldenen Brille darüber, da war die Zahn-
lich muss es ja doch jedem Einzelnen überlassen bleiben, lücke in der obern Reihe links, da war das glattrasirte Doppel-
wie er sich mit dergleichen Dingen am besten abfindet. — kinn . . tär
Auch der Anzug stimmte genau. Ein Irrthum war aus-
geschlossen. Vom Hut bis zu den Stiefeln herab stand da
Nicht, dass es gerade ausnahmsweise heiss war; im eine getreue Kopie des ersten Würdenträgers der Stadt . . .
Gegentheil, die Sonne hatte sich den ganzen Tag über nur Der Bürgermeister fühlte eine Anwandlung von Schwindel.
ein einziges Mal sehen lassen, und das nur auf einige Minuten. Mit gepresster Stimme brachte er die Worte hervor:
Als sie nämlich die Gattin des Herrn Schulrektors ansichtig „Was — wollen Sie hier?“
geworden war, die gerade aus dem geöffneten Fenster nach Sein Gegenüber that sehr verwundert.
dem Wetter sah, da hatte sie sich wieder hinter einer ganz „Was ich hier will —? Ja, es liegt doch eher an mir
besonders dicken, grauen Wolke verkrochen. Wenigstens be- zu fragen, was Sie Ihrerseits hier wollen.“
hauptete das der Stadtverordneten-Vorsteher, der schräg gegen- „Erlauben Sie, — ich bin der Bürgermeister!“
über wohnte und als Hagestolz die Damen im Allgemeinen „Erlauben Sie, — der bin ich selbst, soweit mir bekannt!“
nicht leiden mochte. Kurz, es war kein heller, warmer „Aber mein Gott, bin ich denn verrückt?“ ächzte nunmehr
Sommertag, wie man ihn eigentlich erwarten durfte, nachdem auf’s Aeusserste erschreckt der wirkliche Inhaber dieses wich-
es schon wochenlang geregnet hatte; aber es herrschte trotz- tigen Postens, — soweit wir ihn nämlich der längeren Be-
dem eine eigenthümliche, drückende Schwüle, die Mensch kanntschaft halber dafür zu halten berechtigt sind. Er fuhr sich
und Thier unruhig und verdriesslich machte. Die Blätter mit den bebenden Fingern über die von Schweisstropfen be-
hingen an den Zweigen, als ob sie aus Blei gegossen wären, deckte Stirn, um sich zu überzeugen, ob er nicht am Ende
und kein Hauch kräuselte die Oberfläche der zahlreichen träume. Das war doch sicher noch das Wahrscheinlichere;
schwarzen Pfützen auf dem Marktplatz, die von der langen er lag jetzt auf seinem Sopha und vermochte nicht aufzu-
Regenzeit herrührten. wachen, wie es ihm schon öfters gegangen war, wenn seine
Vom Kirchthurm herab schlug die Glockenuhr zuerst Frau Klösse zu Mittag gekocht hatte ,. . er wollte sich diese
vier hohe Töne und dann, nach einer kleinen Pause, drei Klösse schon lange ernstlich verbitten, aber seine Frau ....
tiefe Töne an, was eine Dohle, die sich auf dem wagrecht „Nein, — davon kommt es nicht!“ sagte der Andere plötz-
stehenden Stundenzeiger niedergelassen hatte, in grossen lich, als ob er die Gedanken seines Gegenübers errathen hätte.
Schrecken versetzte. Zugleich öffnete sich die Thür des Dem Geängstigten war esf wie wenn Jenes Züge dabei ein
Hauses Am Markt Nr. 1, und heraus trat der Herr Bürger- höhnisches Lächeln überflöge. Er kannte dies Lächeln; so
meister, welcher um diese Zeit seinen täglichen Nachmittags- hatte er selbst in seinen Rasirspiegel hineingelächelt, als es
spaziergang zu unternehmen pflegte. Er zog seine dicke gol- ihm damals gelungen war, die Opposition für den Bau eines
dene Uhr hervor und verglich sie mit der Thurmuhr. Als neuen Rathhauses zu bestimmen, welches zufällig genau dort
er sah, dass die Zeit übereinstimmte, nickte er mit der Miene hinkam, wo sein Freund, der Kaufmann Meier, soeben einen
eines Mannes, der es gern sieht, wenn Alles am Schnürchen Neubau begonnen hatte. Sollte das am Ende die StrafeS® .
geht. Mit bedächtigen Schritten wandelte er alsdann den „I bewahre!“ rief der Andere halb unwillig. „Sie scheinen
Bürgersteig hinab, um von der Marktecke aus einen kurzen mich durchaus für Jemand zu halten, der ich nicht bin. Jch
Blick nach der gegenüber liegenden Häuserreihe zu werfen würde an Ihrer Stelle das Grübeln aufgeben und mich: in’s-
und dann darauf in die schmale Gasse einzubiegen, die am Unvermeidliche schicken. Kommen Sie, lassen Sie uns weiter-
Kirchhof vorbei in’s Freie führte. Einzelne Leute, die ihm gehen und ein wenig plaudern; es könnte auffallen, wenn man
entgegenkamen, grüssten höflich, was er stets mit einem uns so beieinander stehen sähe.“
kurzen Nicken und einer ausdrucksvollen Schwenkung der Seufzend fügte sich der Bürgermeister, und sie schritten
linken Hand beantwortete, gerade als ob er sagen wollte: dem Walde zu.
„Ja, ja; ich bin’s wirklich, — ich, der Bürgermeister. Ihr Worüber die Beiden dort plauderten, entzieht sich leider
könnt Euch was darauf einbilden, mir begegnet zu sein!“ unserer Kenntniss. Sicher ist jedoch, dass nach beinahe einer
Endlich lag die Stadt hinter dem einsamen Spaziergänger. Stunde der Bürgermeister in ziemlicher Eile der Stadt zuschritt.
Dort, wo die Chaussee mit dem Verbindungsweg vom nächsten *
Dorf sich kreuzt, machte er Halt und betrachtete die wogen-
den Kornfelder, welche sich bereits gelblich zu färben be- Warum sollte in einer kleinen Stadt, welche zwar nicht
gannen. Diese Kornfelder gehörten zum Theil der Stadt und an der Eisenbahn liegt, aber doch zahlreiche äusserst ge-
deswegen interessirten sie ihn. Im Allgemeinen war ihm bildete Leute unter ihren Bewohnern zählt, nicht auch ein
nämlich nichts gleichgiltiger, als die Landwirthschaft, die er Buchhändler sein Fortkommen finden? Ein Solcher wohnte
in seinem Innern für ein nothwendiges Uebel erklärte. Am in einer sehr belebten Gasse, nicht weit vom Marktplatz; er
liebsten hätte er auch den Stadtacker an die -ffinwohnenden beschäftigte sich neben dem Buchhandel, welcher trotz des
Bauern verkauft; das litt aber die Oppo^jtwn^in der Gemeinde- Bildungstriebes seiner Mitbürger nicht genug zum Leben ab-
vertretung nicht, die zum grossen Theil aus Ackerbürgern warf, mit noch riianchen anderen Dingen, so zum Beispiel
bestand. gab es in seinem Laden auch Siegellack und Bleistifte zu
Weit und breit war kein Mensch zu sehen; eine einsame' kaufen. Ausserdem war er mindestens ebenso musikalisch,
Grille zirpte im Grase, und das Trillern der Feldlerche er- wie der Herr Schulrektor, und wusste überhaupt recht an-
scholl in der Ferne. genehm über Kunst und Wissenschaft zu plaudern.
„Ich habe die Ehre, Ihnen einen guten Tag zu wünschen!“ T Als der Bürgermeister das Schild, auf welchem geschrieben
Der Bürgermeister war einigermassen verdutzt über diese stand: Buchhandlung und Leihbibliothek, zu Gesichte bekam,
Anrede, da er doch geglaubt hatte, ganz allein zu sein. Weil durchfuhr ihn eine Idee. Einen Augenblick zauderte er, dann
er es aber nicht liebte, sich verblüffen zu lassen, so war er betrat er den Laden, dessen Thüre der warmen Witterung

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.5V Nr. 16
1896 > JUGEND
Aber die Stadträthe hatten ihre Gedanken für sich und
halber offen stand. Der Buchhändler empfing ihn mit vielen tauschten bedenkliche Blicke mit einander aus. —
Verbeugungen Auch die Frau Bürgermeisterin war in ängstlicher Auf-
„Hm - “ machte der Bürgermeister, während er sich die regung. Was fehlte ihrem sonst so ruhigen, behäbigen Gatten,
Stirne trocknete; „ich habe da — das heisst, ich wollte eigent- der sich durch Nichts so leicht aus der Fassung bringen liess?
• lieh — übrigens' wäre ich Ihnen sehr verbunden,; wenn ich Sie musste es erleben, dass er seine Lieblingsgerichte unbe-
Sie einen Augenblick ungestört —i(| rührt auf dem Teller liegen liess, und sie selbst zornig an-
„Gewiss, Herr Bürgermeister! schnautwe/gls sie ihn fragte, ob er nicht wohl sei. Schon
Belieben hier herein zu spazieren? — Muss um Verzeihung wollte sie sich ein solches Betragen ernstlich verbitten, als
bitten, dass es so unordentlich — wollen Sie nicht ablegen, es ihr einfiel,"dass dahinter am Ende irgend ein Geheimniss
Herr Bürgermeister?“ ' ste.cken könnte. Und Geheimnisse zu ergründen, dazu war
Man nahm im Stübchen hinter dem Laden Platz, und der te.
Buchhändler starrte erwartungsvoll auf den Besuch. K, „Justus“, begann sie nach kurzem Ueberlegen. Der Bürger-
„Heiss heute!“ meister hiess närnlichjustus; alle Bürgermeister sollten eigent-
„Wird wohl noch mehr Gewitter geben!“ • , ' :• lich Justus heissen. ,Justus! Hast Du es schon gehört? Die
*,Hm — sagen Sie mal — Sie entsinnen sich wohl noch Frau Kreisphysikus war heut hier und erzählte —“
des Abends, als der Weinreisende da war — der Berliner, Der Bürgermeister trommelte unruhig mit d^fi..-'Fingern
Sie wissen doch, der alle die verrückten Gespenstergeschichten auf den Tisch. Sollte es,irgend wie bekannt gewordenem?
erzählte?“ Das wäre schrecklich. Sein Herz klopfte ihm zum Zerspringen.
„Gewiss, ich erinnere mich sehr gut, es war „ - und erzählte mir eine ganz merkwürdige Geschichte.
gebildeter Mann.“ Was ist Dir nur, mein Justus, Du wirst ja ganz roth ?"
„Das war besonders merkwürdig, was er da vort* den „Ach, ich denl^e nicht daran!“
Spiritisten vorbrachte. Schliesslich sollen jetzt ja wohl ganz „Doch, doch, mein Justus. Aber nein, jetzt bist Du auf
gelehrte Leute sich mit solchen Spukgeschichten abgeben?“ einmal ganz blass geworden! Du wirst mir doch nicht etwa
Der Buchhändler machte ein wichtiges und ernstes Ge- krank werden wollen? Hast Du Kopfweh ?, Oder ist Dir am
sicht. Dass der Gebieter der Stadt um sein Urtheil nach- Ende im Magen nicht recht? Justus, ich lasse den Physikus
suchte, erfüllte ihn mit Rührung und Stolz. kommen, - ich ängstige mich sonst zu Tode um Dich!“
„Schon Hamlet sagt: es gibt mehr Dinge zwischen Himmel- „Nein, nein, zum Teufel - ich denke nicht daran, mir
und Erde, als Euere Schulweisheit siel} träumen lässt - mir; fehlPnicht das Geringste, ich schwöre eis Dir; ich will lieber
allem Respekt natürlich — Herr Bürgermeister. Ich muss etwas hinaus in. dieLuft;
rische 1 **esictti/n cason-
ist,so wie meine Äüs-
gestehen, dass ich selbst mich nicht erst seit jenem Abend
mit der Sache befasste; ich habe mir da einige Bücher kommen gehzeit \ / M
Er-stürmte hinaus, ohne seiner Storglichen Hausfrau RedgLS
lassen, die von diesen Dingen handeln, und —“ und Antwortet?stehen, was ihm diese sehr übel nahm, da
,Würden Sie mir diese Bücher auf kurze Zeit überlassen sie sich vor Neugier beinahe in ihre einzelnen Bestandtheile
können?“ konnte ihren Gatten nur so erregen? Sie grübelte
„Aber mit dem grössten Vergnügen, hin und her. Sollte er am Ende gar — doch nein! das war
Eilig steckte der Bürgermeister dietempfangenen Heftchen ja Unsinn. Erstens war eben erst Rechnungsablage gewesen
ein und verabschiedete sich, um nach Hause zu und dieaStadtkasse hatte vollkommen gestimmt, und sie selbst
gelangt, schloss er Lieh in seinen Arbeitszimmer ein, ver- hatte ja auch die Schlüssel in Verwahrung, und zweitens war
stopfte das Schlüsselloch und fing an zu lesen. Es war keine ihm eine solche Thorheit überhaupt nicht zuzutrauen. Aber
kleine Arbeit für ihn, sich in den krausen Stil, in die kühnen sie wollte über die Sache schon ins Klare kommen, das ver-
Gedankensprünge und Ideenverbindungen der Abhandlungen sprach sie sich fest.
hineinzufinden, nnd er seufzte oft kläglich, wenn ihm irgend Ihr Nachsinnen wurde durch das Oeffnen der Thür unter-
etwas gar nicht einleuchten wollte. brochen.
Endlich schien er auf einen Abschnitt gestossen zu sein, „Da bist Du ja wieder, Justus!“ rief sie erstaunt.
der; mit dem, was er suchte, in irgend einem Zusammenhang ,Ja, da bin ich wieder. Und warum sollte ich denn nicht
stand. Sein Gesichtsausdruck wurde immer gespannter; er wieder da sein?“ Der Bürgermeister legte Hut und Stock ab
murmelte das Gelesene halblaut vor sich hin, indem er die und warf |fcich lachend auf’s Sopha. Die würdige Dame traute
Worte mit dem Zeigefinger verfolgte. ihr^n Augdn nicht. Die kurze Zeit der AlMsenheit hatte ge-
„Der Mensch -K^so las er — „lebt gleichzeitig im Jenseits nügt, um dpn unruhigen, bleichen uhd hohläugigen Bürger-
als <transscendentales|Subjekt und im Diesseits als irdischer meister von heute früh in den äusserstwbhlhäbig und selbst-
Mensch. Die beiden Daseinsweisen sind verschieden in Be- zufrieden dreinblickenden Bürgermeister; von ehgdem umzu-
auf Erkenntnissform und Wirkungsweise.“ wandeln. Aber anstatt dass dieser Umstand sie beruhigte,
:fer hielt einen Augenblick inne, wie um sich der Trag- diente er im Gegentheil dazu, sie noch argwöhnischer zu
weite dieser gewichtigen Behauptung bewusst zu werden. .11 dl, 11 machen. ^ M.; f &BF5S.
CU« xj\ //rWV-w? .v*} iti? *5
• y. ,
Dann fuhr er fort: „warum siehst Du mich denn so sonderbar an?“ erklang
„Wir begegnen dem Leibe des künftigen Lebens, dem ;s jetzt vom Sopha her. Sie fuhr ordentlich zusammen beim
Astralleib, schon innerhalb der irdischen Erfahrung und Klang seiner Stimme. Aber sie fasste sich schnell. Er sollte
nennen ihn alsdann Doppelgänger —“ — — — — — nd musste ihr Rede stehen; war sie denn nicht seine an-
etraute Frau, die Frau des Bürgermeisters, vor der sich die
Als der Herr Bürgermeister am anderen Tage zur Raths- anze
anze Bewnhnnroov.«11 • .t. „ .. noch mehr bückte, wie vor
Bewohnerschaft beinahe
S'tzung kam, wollte ihn der älteste der Stadträthe wie gewöhn- dem Bürgermeister selbst?
’eh mit den Worten begrüssen: „Justus begänne mit einem Ton, dessen Schärfe noch
„Wohl geruht zu haben. Brieschen gefällig?“ Aber ihm me seinen Zweck verfehlt hatte, „ich wünsche zu wissen, was
lieben die Worte im Halse stecken. Wie sah der sonst so mit Dir geschehen ist. Den ganzen Tag hast Du dagesessen
räftige und gesunde Mann aus! Bleich, eingefallen, dunkle und ausgesehen, wie: ein Klageweib, welches den Schnupfen
lnge um die Augen — er war um zehn Jahr gealtert. hat, hastjpichts gegessen und mich grob angefahijen, und nun
Der Bürgermeister bemerkte das Erstaunen seines Mit- kommst Du plötzlich in’s Zimmer gehüptz mit einem Gesicht,
erathers und fuhr ihn zornig an: als ob Ostemlund Pfingsten auf einen Tag falfefife^dch bin
»Schon gut, schon gut; wir wollen anfangen. — Es handelt nicht gewohnt’ derartige Dinge zu ertragen; und besonders,
■ch also um die Ausbesserung und den Anstrich des Zaunes ich will sie nicht ertragen. Also habe die Güte, mir zu er-
111 städtischen Viehmarkt —“ klären, was Dein Benehmen zu bedeuten hat!“
Zeichnungen von A. Schmidhammer.
247
Nr. 16 t
JUGEND i ifiÖÖ
„Du möchtest wissen, was mein Benehmen zu bedeuten „Aber es macht mir keine Freude!“ stiess der Bürger-
hat, he?“ meister hervor. „Ich bitte Sie, gehen Sie fort!“
Die Bürgermeisterin war starr über den Hohn, mit dem „Das steht, wie Sie ja selbst wissen, — Sie lasen es ja
diese Worte ausgesprochen wurden. Ihre Ueberraschung sollte erst neulich bei Aksakow, wenn ich nipht'irre, — nicht in
indessen noch grösser werden. Denn erstens steckte sich ihr meiner Macht. Uebrigens ist es recht undankbar von Ihnen,
Gemahl mit grosser Unverfrorenheit seine Pfeife an, was er mich los sein zu wollen. Habe ich Sie nicht nach besten
doch nur in seinem Studierzimmer thun durfte, und zweitens Kräften in Ihrem schwierigen Amt unterstützt? Seit wir uns
starrte er sie mit einem überaus unbotmässigen, ja tückischen zum ersten Male sahen, ist es Ihnen gelungen, eine Menge
Lächeln an, welches ihr, wie sie nachher dem Dienstmädchen Reformen durchzuführen. Die Stadt nimmt einen neuen,
anvertraute, geradezu das Blut in den Adern erstarren machte. ungeahnten Aufschwung —“
Sie wollte sich aufraffen, um ihn ihre ganze Strenge fühlen „Ich bitte Sie noch einmal, — gehen Sie!“
zu lassen, aber vergebens: diesem herzlosen Lächeln war sie „Bedauere; ich muss und werde bleiben!“
nicht gewachsen. Weinend verliess sie das Zimmer, während Ein Krampf schien die Züge des Bürgermeisters zu
vom Sopha her ein höhnisches Kichern erscholl. verzerren.
„Sie wollen also nicht?“ zischte er, während seine Rechte
einen Gegenstand umklammerte, den er in der Rocktasche
Noch immer herrschte dieselbe bleierne Schwüle, als der verbarg. „Nun wohl denn! So tragen Sie die Folgen.“
Bürgermeister einige Tage später seinen gewohnten Nach- Ein kurzer scharfer Knall, dem ein schrilles Hohngelächter
mittagspaziergang antrat. Er vermied es nach Möglichkeit, folgte. Dem Bürgermeister wurde es schwarz Vor den Augen;
irgendjemandem zu begegnen und blickte scheu die Strasse er liess den rauchenden Revolver fallen und sank schwer-
hinab, um bei Zeiten ausweichen zu können, falls ein Be- fällig zu Boden.
kannter des Weges daherkäme. Aber an den Fenstern der
Häuser musste er doch vorbei, und diese Fenster pflegten
zumeist mit Vorrichtungen versehen zu sein, die aus zwei Die Vorhänge im Schlafzimmer des Bürgermeisters waren
schräg gestellten Spiegeln bestehen, den zweckentsprechenden herabgelassen. Mit Mühe konnte der Kranke erkennen, dass
Namen „Spion“ führen und den im Zimmer Befindlichen Alles die dunkle Gestalt neben dem Bett seine Frau war. Ihm
verrathen, was auf der Strasse vorgeht. So kam es denn auch, war trotz seiner Schwäche so leicht und wohl um’s Herz,
dass wenige Augenblicke später die Frau Aktuarius ohne Hut wie seit Langem nicht.
und Handschuhe zur Frau Stadtschreiber hinüberhuschte und „Klotilde?“ riefer mit schwacher Stimme. Seine Frauhiess
ihr zuflüsterte: nämlich Klotilde. Alle Bürgermeistersfrauen sollten eigentlich
„Nein, haben Sie ihn denn wirklich gesehen? Eben ging Klotilde heissen. „Klotilde, was ist mit mir geschehen?“
er vorbei! Mein Gott, wie sieht der Mann nur aus!“ „Sie fanden Dich am Wegkreuz auf der Chaussee; der
„Gewiss habe ich ihn gesehen, und ich habe es Ihnen Revolver lag neben Dir, und sie glaubten schon, Du seiest
ja schon neulich gesagt: Passen Sie auf, das nimmt kein gutes todt. Der Kreisphysikus sagte aber, es sei nur ein leichter
Ende! Mein Mann sagt —“ Streifschuss, und Du würdest in ein paar Tagen aufstehen
„Mein Mann sagt, im Rathhaus soll es nicht mehr zum können!“ berichtete sie ihm weinend.
Aushalten mit ihm sein! Einmal sitzt er da ganz still und „Und — der Andere?“
bleich und sagt kein Wort, und das andere Mal macht er „Der Mörder? Der ist entflohen; er hatte nicht einmal
schlechte Witze und lacht über Alles, was die Herren vom Zeit, Dir Uhr und Geld zu nehmen —“
Rath Vorbringen. Und es ist geradezu schrecklich: Alles soll Nun kam auch der Kreisphysikus. Frau Klotilde ging
anders werden, als es bis jetzt gewesen ist; lauter Neuerungen hinaus, um Licht zu besorgen.
sollen eingefüfhrt werden, der Nachtwächter soll ein neues „Na, alter Freund, die Sache ist glücklicher abgelaufen,
Tuthorn bekommen, und dem zweiten Hilfslehrer von der als ich dachte. Der Blutverlust hat Dich gerettet; Du wärest
Gemeindeschule sind zwei Mark fünfzig Pfennig monatliche sonst ohne Gnade und Barmherzigkeit verrückt geworden;
Zulage bewilligt worden, und —“ es war schon nicht mehr zum Aushalten mit Dir.“
„Und wissen Sie, was mein Mann noch sagt? Mein Mann „Du glaubst doch nicht etwa, dass ich selbst —“
sagt —“ „Bürgermeister, mir gegenüber sind solche Flausen nicht
Hier verl.or sich die Stimme der Dame in ein unhörbares, angebracht. Meinst Du, dass ich den Revolver nicht kenne?
geheimnissvolles Wispern. Aber es musste etwas Schreck- Es ist derselbe, den wir im vorigen Jahre bei dem erschlagenen
liches sein, was die Freundin erfuhr, denn sie erachtete es Müllergesellen konfiszirten!“
augenscheinlich für ein Gebot strengster Pflichterfüllung, sofort „Bester Freund, so lass Dir doch nur erzählen! Ich
ihrerseits aufzubrechen und zur Frau Schulrektor hinüber- hatte ja einen Doppelgänger —“
zulaufen, um dieselbe um ihre Meinung in der Sache zu „Frau Bürgermeister — bitte endlich um Licht und einen
fragen. frischen Eisbeutel! Wo habe ich denn nur den Schnepper —“
Der Gegenstand dieser Berathungen schritt unterdessen Nur schwer entging der Kranke einem rfeuen Aderlass.
mit gesenktem Haupte dem Walde zu. Er gab es auf, den alten Skeptiker zu überzeugen; und
Als er sich demselben näherte, sah er sich scheu um, schliesslich war es ja auch am Besten, wenn Niemand die
als ob er etwas suche. Längere Zeit schienen seine Erwart- dumme Geschichte erfuhr.
ungen unerfüllt zu bleiben, denn er schüttelte missmuthig Einige Wochen später, als er völlig genesen war, wurde
den Kopf. Plötzlich aber fuhr er wie erschreckt zusammen; ihm ein Fackelzug gebracht und der Stadtverordneten-Vor-
sein Gesicht nahm einen starren Ausdruck an, seine Zähne steher überreichte ihm die Glückwünsche der Bürgerschaft
klapperten hörbar, er zitterte wie im Fieber. zu seiner Rettung. Er war tiefgerührt und begann ein sehr
„Da sind Sie ja!“ stammelte er. erklärliches Gefühl der Hochachtung vor sich selbst zu ver-
„Ja, da bin ich. Hatten Sie etwa geglaubt, ich würde spüren. Die Kunde von dem Attentat durchlief natürlich
nicht wiederkommen?“ alle Blätter; er bekam einen schfönen Orden und der Regier-
„Oh — nein. Durchaus nicht. Nicht im Mindesten. Aber—“ ungspräsident ass bei ihm zu Mittag.
„Aber?“ „Im Vertrauen gesagt, Herr Bürgermeister, man hat es
„Ich wollte mich nur erkundigen, natürlich ohne Sie Ihnen hoch angerechnet, dass Sie sich selbst durch die An-
irgendwie verletzen zu wollen, ob Sie noch lange —“ schläge feiler Meuchelmörder njcjit von Ihren thatkräftigen
„Ob ich Ihnen noch lange Gesellschaft leisten will, nicht Reformen zum Wohle der Bürgerschaft abschrecken Hessen.
wahr? Warum denn nicht? Wenn es Ihnen Freude Ich kann Ihnen schon jetzt die erfreuliche Mittheilung machen,
macht —“ dass man an höherer Stelle aufmerksam auf Sie geworden

348
1896 JUGEND Nr. 16

ist. Solche Leute kann der Staat gebrauchen.


Nun aber würde ich es einstweilen genug
sein lassen; zu viel Neuerungen auf einmal
erregen Unsicherheit und Bestürzung —“
Eine hässliche Klatscherei, als deren Ur-
heberin die Frau Aktuarius ermittelt wurde
und die beinahe ein für dieselbe sehr be-
trübendes Nachspiel gehabt hätte, verzieh
der Bürgermeister grossmüthigst.
Im Rathskeller aber sprach man lange
Zeit von nichts Anderem: „Wisst Ihr noch,
damals die Geschichte mit dem Atten-
tat auf den Bürgermeister?“
Schliesslich kamen anderewichtigeDinge
an die Tagesordnung, und nur hie und da
erzählte der Rathskellerwirth durchreisen-
den Fremden, „dass auf diesem Platz der
b»kannte Bürgermeister von Dingsda immer
gesessen hat, der früher hier Bürgermeister
war und den sie ermorden wollten, weil er
die Eisenbahn an der Stadt vorbeiführen
wollte.“

Was aber sollen wir von der ganzen Ge-


schichte denken? Wie soll man das Alles
erklären? Hatte der Bürgermeister wirklich
einen Doppelgänger, oder war die Annahme
des Kreisphysikus doch nicht ohne allen
Grund? Aber nein, dagegen spricht wieder
die Thatsache, dass der Bürgermeister in
Wahrheit niemals besser regierte, als ge-
rade zu jener Zeit!
Jedenfalls ist das Eine sicher: es passiren
zuweilen äusserst merkwürdige Dinge!

72
Erst dann!
Hat Einer einst ein sanftes Lied gesungen,
Her laute Strassenbraus hat es ver-
schlungen.
Dann sang laut-flehend er in allen Landen,
Sie hörten’s wohl, doch hatten’s nicht
verstanden.
Erst als er dreist und schrill gepfiffen,
Da haben sie’s — zu spät begriffen, d. haek.

7&
Der Wirthin Töchterlein
O, scheltet nicht Frau Mutter,
Verzeihet gnädig mir!
Ich hab’Jihn küssen müssen,
Kann wirklich nichts dafür.
Er hat mich nicht gefraget,
Und nicht gebeten drum;
Ich hab’ ihn küssen müssen,
Weiss selber nicht warum.
Sein Rösslein stand gesattelt,
Gezäumet stand es schon,
Ich hab’ ihn ktissen müssen,
Sonst ritt’ er mir davon.
„Ade, du junger Reiter!
Fahr’ wohl, behüt’ Dich Gott!“ —
Ich hab’ ihn küssen müssen,
Und wäre es mein Tod. A- Mr
249
Nr. 16 JUGEND 1896

An ein Mädchen Am Strand


gnr Eröffnung der Ballsnison Ich liege am Strand;
I. Es spielen die schnellen
Muthwilligen ,Weilen,
Nun will ich ernstlich mit Dir reden. Wie Kinder im Sand.
Du weisst, mein Kind, ich mein' es gut:
Vor allen Dingen meide Jeden, Ohne Rast, ohne Ruh
Der gar nichts will und doch so thut. Sie nahen, sie necken
Und schütteln die kecken
Dü luirst die Zeit mit ihm verlieren, Krauslocken dazu.
Die Einfalt und den guten Ton,
Er wird sich mir hei Dir blamieren — Schon netzet den Fuss
Und ihr habt Beide nichts davon. Mir einer der Wichte
Und spritzt in’s Gesichte
II. Den Schaum mir zum Gruss.
Weniger steht auf dem Spiele
Wenn ein echter Taugeniehl Und sie kichern im Chor
Gleich erklärt, worauf er feie, Und ducken sich nieder;
Und auch hält, was er verspricht. Doch gleich sind sie wieder
So dreist wie zuvor.
Wer so planvoll, klar und ehrlich
Und reell \u Werke geht, Brav, junges Geschlecht!
Ist den Damen nicht gefährlich. Nicht bangen, nicht beben!
Weil er %art ist und diskret. Die Freude ist Leben,
Der Kühne hat recht.
A. Mo.
III.
Eins war noch v or au si^i sein eben:
Tritt Dir Einer liebend nah,
M
Fessle ihn mit sanften Blicken, Den Strebern
Aber sprich nicht von Mama!
Wie sie sich ungebärdig gebärden,
Denn sie ist so leicht \u. finden. Wieder und wieder etwas zu werden,
Wenn man sie nur recht begehrt, Und fällt dabei keinem von ihnen ein —:
Doch der Jüngling kann verschwinden, Die Hauptsach’ war' doch, - etwas zu sein!
Dass er niemals wiederkehrt. ROBERT OECHSLER.

IV.
Wenn Du jetf noch Zweifel hast,
Lenke ~ur Mama die Schritte,
Sie entscheidet, was sich passt,
Nach Gewissen, Zweck und Sitte.
teir) ]g>uc1)
Sie ist milde, brav und klug Ein selfsen^ jSuclp, Jets sie ir) i^rer) y einer),
Und sie war im selben Falle,
iBerin^ler) Rindern \)ir) und Ijer bev$e^1:
Als sie ihre Mutter frug;
Und die Mutier war wie alle \X/ie d retus so ®^1 ein cjelles Racl'jen '
Glnd miller) d runlep lj®rl man leise u$e ir
Mütter: weise, brav und mild
Und entschied in gleichen Sachen, Rieder sind s! Icl) ej<alz> 1 ^u derr) ein
Und Du wirst ihr Ebenbild (find anderr) selber des lT)odell. Br l^ecjl
Einst bei Deiner Tochter machen. 0ie eile dumme Riebe n®cl) — decl) Ireejl
FERDINAND v. HORNSTI N Er mif p.umer seii) §>ol)ie^sed) vSill mir
stjeir
scheinen.

Wunsch Cfnd 5®rne d rir) seir) ]Bild! 0ie tjelje £>lirr)


Möchte einmal noch im Leben 0urcl)j\ircl-)f und früb j die \S/<zmejen efu$<as
So recht leichten Sinnes sein, scbjmeR* •
Aller Würde mich begeben, 0es dunkle c/üuej’ ^or) seinen) Glücl} er^elH-
Jubeln in den Tag hinein.

So mit allen Fiebern lachen, 0u \a?underliot)es F^eiltjsel, l/R)ensol)enl)iri)! ^


Jugendselig, thorengleich; 0® blellerl er seir) ^er^ eu^^®r der ^/ell: ^
Einmal noch begeistert machen ^.elb^ren^ mil Q®ldscl}nill. Einer) Derlei) ^1)^^^
Einen echten dummen Streich, a. Mo. Zierleiste von O. Eckmann. F. v. OST1N1.

250
1896
JUGEND Nr. 16

Sein Buch Zeichnung von Bennewitz von Loefen (jr.>


Nr. 16 JUGEND 1896

>- Der Bauer Ein neuer Todten-Tanz 2- Uie Hökerin


Allerhand Gedanken O des heiligen, wehmüthigen Zaubers, der über der
leicht verhüllten und doch durch jedes Wort, durch jeden
von H. Rossin-Rosenfeld. Blick leuchtenden Neigung zweier Menschen liegt, die sich
Unsinnige Sitte, nach einem Erfolge Jemandem Glück nicht sagen dürfen, dass sie sich lieben.
zu wünschen; vor demselben wäre es angebracht.
Wir lassen uns von den Verhältnissen kneten und freuen
Unglückliche Menschen sprechen ohne Modulation. uns noch, wie lächerlich elastisch wir bereits geworden sind.
Aller Anfang ist schwer? Fortsetzen ist schwerer.
Bei eigenen Schmerzen, und mögen sie noch so grausam
Man ist nie liebenswürdiger, als wenn man sich geliebt in Deinem Innern wühlen, auch für den Jammer der Mensch-
glaubt. heit ein warmes Herz zu behalten, das unterscheidet die
Nicht das Glück allein, auch das Unglück hat die Gabe, edlen Naturen von den gemeinen.
uns nachsichtig, liebenswürdig zu machen. Aber die Liebens-
würdigkeit und Geduld, welche das Unglück verleiht, erfreut Veranlasse einen Menschen zu einer Nothlüge — in den
unsere Mitmenschen nicht, denn ihr fehlt der grosse Reiz meisten Fällen wird er sich skrupulös zeigen, Einwendungen
der Heiterkeit. machen. Es geniert ihn aber weniger, dass er lügen soll,
Gib viel darauf, wenn eine edle Frau von einem Menschen als dass ein anderer darum weiss.
sagt: Er ist mir nicht sympathisch.
Wer gut versteht aus den Mienen Zu lesen, wird über
Sollte man nicht meinen, wir lernten einen Menschen die Aufrichtigkeit eines Menschen bald gut unterrichtet sein,
gut kennen, wenn wir längere Zeit isolirt mit ihm leben? — denn die schwerste aller Verstellungskünste ist: Mit Mienen
Dem ist aber nicht so. Beobachte ihn, wenn er sich in Ge- zu lügen.
sellschaft befindet, wenn er gefallen will, und Du bist über
seinen Charakter ein gutes Stück weitergekommen.
O Lust des Schaffens! Heiliger Augenblick! Weg mit
Nicht die liebenswürdigen Aufmerksamkeiten, die dir ein dem kritischen Zweifelblick, ob Dein Werk auch Werth hat.
Mensch erweist — der Eindruck, den eine Kränkung von Würde eine Mutter beim ersten Anblick ihres Kindes wohl
ihm auf Dich ausübt, zeigt Dir erst, was er Dir werth ist. daran denken, ob es schön sei?
Würde und Takt gehen Hand in Hand; Würde ist die
Kunst, verdiente Ehre sich, Takt, sie andern zu erweisen. Hast Du ein wundes Herz, so bette es wie einen kranken
Wer keine Würde hat, besitzt gewöhnlich auch keinen Takt. Vogel in Güte und Weichheit.

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1896 JUGEND Nr. 16

3. Der Letzte Ein tlCllßf'


„Die Nacht bricht an, mein Schatz, Du musst nun gehn“,
Sehnsucht Klagt die Geliebte, der die Trennung peinlich,
Das Gras verdorrt und die Blume verblüht „Weit vorgeschritten ist wohl schon die Zeit?!“
Das Leid entschwindet nimmer; Der Don Juan erwidert nur: „Wahrscheinlich!“ —
Der Traum zerrinnt und der Rausch verfliegt;
Die Sehnsucht nur bleibt immer. „Warum, anstatt mir zur Beruhigung
Mit rascher Hand die Taschenuhr zu ziehen,
Das Gras verdorrt und die Blume verblüht Erwiderst Du so seltsam unbestimmt,
Und kann es doch nimmer verwinden; Als sehntest Du Dich schon, mir zu entfliehen?“
Die Monde, die Jahre zieh’n d’rüber hin.
Kann die Ruhe nicht wieder finden. „Weil... weil!... Geliebte, dieses Zwiegespräch
Im bleichen Mondlicht sei nun rasch beendet!
Das Gras verdorrt und die Blume verblüht Du hieltest mich für reich, so wisse denn:
Das Herz verkümmert in Sehnen; Ich habe meine Taschenuhr verpfändet!“
Dein Blick, Dein Hauch und Dein süsser Kuss,
Und all’ die heimlichen Thränen! „Verpfändet!“ wiederholt gerührt die Maid
Und nähert ihre Lippen seinem Munde.
Und immer dasselbe, jahraus, jahrein,
„O, tröste Dich! Was soll Dir eine Uhr?
Die nagende Sehnsucht im Herzen, —
Das Gras verdorrt und die Blume verblüht Du weisst, dem Glücklichen schlägt keine Stunde!“
Und immer und immer die Schmerzen .... „Gewiss! Drum hab’ den Mangel einer Uhr
PAUL BUSS.
In Deiner Nähe ich auch nicht empfunden;
Bedenke aber, kurz ist unser Glück,
Scheinglück Der Tag jedoch hat vierundzwanzig Stunden!
Grossstadt-Romanze von Maximilian Bern, Und all’ die Stunden, da ich fern von Dir,
still der Gressstadt letzte Häuser steh’n, Die müssten mir gleich andern Menschen schlagen,
°st traut ein Liebespaar in einer Laube. Sonst schein’ ich glücklich, auch wenn ich’s nicht
iy.S 'St Bew'ss schon spät!“ ruft bang die Maid; bin.
er Don Juan erwidert nur: „Ich glaube!“ Bloss weil die Uhr in’s Leihamt ich getragen!“....

*53
1896
Nr. 16 JUGEND
Die Bäume malt mit Grün man nur,
Dieweil sie grün sind von Natur.
Der Himmel ist gewöhnlich blau,
In manchen Fällen aber grau.
Die Wellen schillern gleichfalls grünlich,—
Doch ist auch hier das Blaue dienlich.
Die Nacht jedoch wird schwarz geschildert,
Falls nicht der Mond die Schwärze
mildert;
Kurz: Seht Euch meine Bilder an,
Beachtet sie und malt sodann,
Weil nämlich auf der weiten Welt
Mein Malen männiglich gefällt
Und einzig ihr auf diese Weise
Gelangen könnt zu Ruhm und Preise! Prof. Wiedehopf: Porträt des Malers Hans Meier.
Hans Meier: Porträt des Professor Wiedehopf
(Kitter hoher Orden). Das Andere ist dummes Zeug,
Vertraut nur mir, das sag ich Euch!“ Dann wallen, im weissen Mittagsglanze
Die Wellen, wie heit’re Frau’n zum Tanze,
Der berühmte Wiedehopf Die Wellen, die bei des Donners Krachen
Der grosse Meister Wiedehopf Losrasen, wilde, gelbe Drachen,
Neigt sehr bedenklich seinen Kopf; Und mehr als Sturm und Donner schrei’n,
Zwei Schüler kamen nämlich an, Und weissen Schaum zum Himmel spei’n.
Verneigten sich und sprachen dann: Doch wenn des Frühlingsabends Gluth
„Wir möchten unser Leben eben Heiss küsst die Fluth, so mild, so gut,
Fortan der Kunst zum Opfer geben, Kommt iiber’s grosse, stille Meer
Und bitten um Belehrung halt, Der grosse, stille Geist daher
Wie man die bessren Bilder malt. Der Geist, das ist’s! Den muss man malen!
Zeigt Ihr uns so den Anfang nur, Der Teufel hole die banalen
So kommen wir schon auf die Spur! Nachtreter manierirten Trottes!!“ —
Wir werden brave Schüler sein, So spricht der Fritze, leider Gottes,
Und werden so wie Sie gedeih’n, Und spricht’s nicht nur, er malt auch so;
Wir werden malen spät und früh, Die Farben lodern lichterloh
Wir werden einst berühmt, wie Sie; Auf seiner kolossalen Leinwand.
Heil Pinsel, Farben, Firnisstopf, Was schert ihn Wiedehopfen’s Einwand.
Heil dem berühmten Wiedehopf!“ Der ruft voll Grausen: „Ei Du mein,
Fritz, Du bist ein verruchtes Schwein!
Herr Wiedehopf, der grosse Mann, Der brave Hans meint auch: Ich finde,
War sehr erfreut, und sprach: Solch’ Bild zu malen, das ist Sünde;
„Wohlan,
Ach nein, der Fritz hat kein Genie;
So merket denn und habet Acht, Herr Wiedehopf, bitte, kommen Sie!
Fritz X.: Selbstbildniss.
Wie man die bessren Bilder macht:
Die beiden Buben, Hans und Fritze,
Die malen los in Hast und Hitze,
Und Hans hat einen hellen Kopf,
Er hört auf Meister Wiedehopf,
Er malt die Bäume grün wie der,
Und blau den Himmel, blau das Meer.
Die Nacht er schier noch schwärzer
schildert,
Falls nicht der Mond die Schwärze mildert.
So kommt er bald zu Ruhm und Geld,
Man sieht, der Hans passt in die Welt,
Rings ist man von dem Hans entzückt,
Und auch er selbst ruft hochbeglückt:
„Heil Pinsel, Farben, Firnisstopf,
Heil dem berühmten Wiedehopf!“

Fritz aber ist ein arger Tropf!


Was spricht er von Herrn Wiedehopf?
»Der gute Mann (sagt er voll Hohne),
Der Wiedehopf malt nur Schablone!
Mir glänzt die Nacht voll blauer Wunder,
Er kennt sie nur als schwarzen Plunder.
Das Meer rauscht auf in Morgengluth,
„Mädchen mit Blume“, geaxuiV von Prof. Wiedehopf? Eine mächtige Schale voll brausendem Blut.

254
1896 JUGEND Nr. 16

Verlassen wir die Sudelei!“ — Wie anders ging’s dem braven Hans!
Entrüstet gingen fort die Zwei Der reifte in des Meisters Glanz
Und Hessen Fritz, der höhnisch lachte Sein liebenswürdiges Talent,
Und frech von Freund und Lehrer dachte. — Das heut’ der halbe Erdkreis kennt.
Die Strafe blieb ihm nicht geschenkt, Und was er malte, fand man recht —
Dass er den Meister so gekränkt: Es schrieben Doktor Quietsch und Specht:
Ob er sich auch das Haar gerauft, „Da seht nur, welch ein Hochgenuss!
Niemals hat er ein Bild verkauft, Wie reizend! Dieser Linienfluss!
Und hatte nie Erfolg und Glück Die edle Anmuth! Diese Wahrheit!
Mit der hochlöblichen Kritik. Der Farben wunderbare Klarheit!
Man sieht es, dieser junge Mann,
Sah sich die alten Meister an!“
Und wenn des Sommers alle Jahr’
Die grosse Kunstausstellung war,
Dann drängte sich die Menge wild
Um Hansen’s letztgemaltes Bild,
Man sah durch Brillen, Operngucker,
Und rief entzückt: „Der reine Zucker!“
Die Bilderhändler stritten sich
Um Hansen’s Bilder fürchterlich.
Die Sammler zierten seine Werke
Durch extra-deutliche Vermerke!
Medaillen fielen dicht wie Schnee
In Hansen’s schönes Atelier,
Im Knopfloch glänzte ihm was Rothes,
Und als sein Meister starb des Todes,
Ward Hans, er wusste selbst nicht wie,
Professor der Akademie.
Er schwamm in Gold und schwamm in Ehren —
Warum? Weil er des Meisters Lehren
Beherzigt hatte jederzeit
Und sich der rechten Kunst geweiht,
Und nicht wie Fritz, der arme Tropf,
Gemalt hat nach dem eig’nen Kopf!
R. NEUBAUER.

Nach einem Oelbild von Fritz X. (Refüsirt !)

Die Kenner Doktor Quietsch und Specht,


Die fanden seine Bilder schlecht,
Verzeichnet, ruppig, karikirt,
Stillos, verrückt und manierirt,
Verfehlt von Composition,
Hart in der Farbe, roh im Ton,
Auch gegenständlich höchst gemein
Und bald zu gross und bald zu klein-
Sie Hessen nie ein gutes Haar
An Fritzen, ihrer bete noire.
D’rum wies ihn stets die Jury ab,
Wenn’s eine Kunstausstellung gab
Mit jedem Tage sprach man kühler
Von Wiedehopfs missrath’nem Schüler.
Das war dem Maler nicht rentabel,
Es ging ihm schliesslich miserabel.
Noch malt’ er eine Zeitlang hin
In ungebroch’nem Eigensinn,
Dann sprach er: „Liebes Publikum,
Jetzt wird’s mir endlich doch zu dumm!“
Strich sich Schweinfurtergrün auf’s Brod —
Das ass er und man fand ihn todt.
Der Nachbar, der ihn Hegen sah,
Sprach gramgebeugt: „Ich sagt es ja:
Wer nichts auf weise Lehren gibt,
Hat Pech und macht sich unbeliebt!“

255
Nr. 16 JUGEND 1896

In des Lehnstuhls Lederkissen Um den Lehnstuhl drchn und schwingen


Ruht der Chef der Redakteure, Sie sich Alle wild im Kreise,
Dass der Schlummer ihm verscheuche Dreh’n und schwingen sich und singen
Der Bureauzeit öde Leere. Dem Entschlaf’nen diese Weise:
Vor ihm stehet der Papierkorb, „Doktor! Doktor! Dem Papierkorb
Der mit Stickerei geschmückte, Hast du uns geopfert schnöde,
Der mit vielen Manuskripten Dem Vergessen zu verfallen
Bis zum Rande vollgespickte. Hier in dieser dumpfen Oede.
Brütend hat sich dumpfe Schwüle O, wie hegten uns so selig
Durch die Redaktion ergossen, Uns’re Dichter in dem Busen,
Denn der Sommer scheucht die Kühle, Jünger und auch Jüngerinnen
Und die Fenster sind verschlossen. Des Apollo und der Musen
Stille rings und tiefes Schweigen; — Schrieben uns mit glüh’nden Wangen,
Plötzlich, horch! ein leises Flüstern, Drückten zärtlich uns an’s Herze,
Im Papierkorb fängt’s auf einmal Sandten uns zu dir; wir träumten
An zu rascheln und zu knistern. Ach, schon von der Druckerschwärze I
Aus den Manuscripten steigen Und du lasest uns, und spöttisch,
Geistergleiche Dunstgebilde, Höhnisch tönte deine Lache,
Ihre Augen funkeln grässlich, Warfest uns in den Papierkorb,
Böses führen sie im Schilde. Darum trifft dich uns’re Rache!“ —
Aus den Blättern der Novelle, Der Gesang verstummt, die Geister
Die zu oberst liegt von Allen, Sinken rauschend, knisternd nieder;
Hebt sich eine stolze Schönheit; In der Tiefe des Papierkorbs
Ihre schwarzen Locken wallen. Legen sie zur Ruh’ sich wieder.
Und aus einem Heldenepos, Doch der Chef der Redakteure
Umfangreich, in zwölf Gesängen, Fährt aufstöhnend aus dem Schlummer,
Sieht man einen kühnen Ritter Schlecht, sehrschlechtistihm zuMuthe,
Sich an’s Licht des Tages drängen. Niederdrückt ihn schwerer Kummer.
Aus den Lyrischen Gedichten, Furchtbar brummt es ihm im Schädel,
Herzlich — schmerzlich, sinnig — innig, Ach! Ein Schmerz kaum auszuhalten,
Schwebt hervor im weissen Kleide Gleich als ob von Hämmerschlägen
Eine Jungfrau, blond und minnig. Würd’ sein armer Kopf gespalten!
Doch aus einem Trauerspiele, Schwer und lange muss er dulden,
Streng historisch, in fünf Akten, Und er hat nicht, was ihn rette —
Kommt ein König mit Gefolge, Schier verzweifelnd ruft er endlich:
Würdevoll in Jambentakten. „Wenn ich einen Hering hätte!“
Aus der Realistik Blättern BEKT1IA GINSBERG.
Ist ein flottes Corps gestiegen, —
Elegante junge Damen,
Gigerl mit verlebten Zügen_

Zeichnung von Bruno Paul.

256
Für die ,,Jugend“ gezeichnet von E. I<ne iss.
Nr. 16 * JUGEND 1896

das pique bleu Mediterrannee, das uns


mit dem Abglanz des blauen Mittelmeers
bezaubert!
Aber in unsex- kleines Frühlingslied
klingt noch ein anderer Freudenton hinein.
Was ist das liebliche Geläute? Horch’!
Es ist das Abschiedsgeläute der Glocken
rocke.
Mit den Glocken, die in der Charwoche
nach Rom fliegen, werden die robes-cloches
uns Adieu sagen — hoffentlich auf Nimmer-
wiedersehen! Sie sind weder bequem, noch
sonderlich schön, eigentlich nur ein Ver-
such, die alte Crinoline wieder einzuführen.
Ein Glück, dass der Anschlag misslungen
ist! Mit einem Male werden sie freilich
nicht verschwinden: die Mode liebt keine
streut wie mit Diamantstaub, die reizend- brüsken Sprünge, sondern bewegt sich in
ste Neuschöpfung auf dem Gebiet der sanften Uebergängen. Die godets am Rock-
starkgerippten Stoffe. Die Phantasie-Che- saum bilden sich in Falten und Fransen
viottes zu Costumes tailleurs entrinnen um, die hauptsächlich nach hinten und an
endlich den neutralen Tonlagen, auf die der Seite liegen; vornherunter glatte Bahn.
sie sich bisher beschränkten, und ergehen Das Uebermass der Weite schwindet, und
sich in frischen Farben, Wassergrün, Cre- der Rock kehrt zu Dimensionen zurück,
me, Türkisblau, Havanabraun. Wir sehen die zierlich und bequem zugleich sind.
sie auch mit Creme-Grund und
Pariser Mode wassergrünem Oberfaden, der
Paris, Anfang April. kleine Quadrate bildet; auf letz-
teren oft moosartige Tupfen weis-
Leise zieht durch mein Gemüth ser oder farbiger Wolle, zum Bei-
Liebliches Geläute — spiel auf vieux rose-Grund blass-
Mein kleines Frühlingslied gilt den grüne Tupfen.
Neuigkeiten, die uns der Lenz bringt, vor Für die wärmeren Tage, die uns
Allem den Stoffen, in denen sich der dieFrühlingssonne lächelnd schon
Jugendglanz des Jahres mit Sonnenstrah- verheisst, finden wir eine Reihe
len, spriessendem Grün und Blumenflor neuer durchbrochener Stoffe, die
verwebt. Die Losung des Tages ist Uni! auf Seidentransparent getragen
Aber welchen Reichthum der Nuancen werden, namentlich Etamine in
entfalten die neuen Unis, und welche Far- Ecru. Segeltuch, nicht blos grau
benakkorde von überraschender, zarter und ecru, sondern auch blau, wird zujackets
Harmonie lassen sich ihrer Tonleiter ent- gewählt und mit mächtigen Phantasieknö-
lehnen! pfen garnirt. Die köstlichste Auswahl bieten
Für die noch kühle Uebergangssaison die Tennis-Stoffe, auf deren blauem, matt-
haben wir die seidenweichen Mohairs, deren grünem, rosa-odermalvenfarbenem Grunde
Faltenwurf so elegant und mollig fällt; so- leichte, seidige Wolltupfen wie Schnee-
dann die Alpagos; die einen wie die andern flocken glänzen. Entzückend sind auch die
vorzugsweise gesprenkelt oder getippelt, Stoffe gleicher Art, die, anstatt mit Flocken
die Alpagos auch glacirt, wie sie schon besät, mit zarten Oberfäden, wie mit Spinn-
im vorigen Sommer waren, doch in neuen weben, überzogen sind. Vergessen wir nicht
reicheren Nuancen. An Rauhreif, der in die Battiste, Uni-Grund mit Erbsen, Strei-
der Märzsonne glitzert, erinnert eine Gote fen, Rococoblumen oder Haarnetz, und die
de cheval, halb Seide, halb Wolle, über- Pique’s von neuen Farben, namentlich

Auch der Ballon des Aermels schrumpft


zusammen. Welches Glück für uns alle,
sofern die Natur uns nicht stiefmütterlich
bedacht hat. Der Aermel schliesst sich eng
bis oben an und verräth nicht nur, sondern
zeichnet treu den zarten Linienschwung des
Armes, den die Bauschfalten bisher schnöde
verbargen. Nur der Schulteransatz behält
noch einen Rest der bisherigen Formen,
einen Tambour oder „Jockey“ aus kunst-
voll chiffonnirter Seide mit Spitzen. Am
Handgelenk wird der Aermel garnirt Spitzen-
volant oder Zacken mit Spitzen, entsprech-
end denjenigen, die auch am Kragen ge-
tragen werden.
Aber bemerken wir wohl, dass wir da
ein bischen Zukunftsmusik hören. Noch
stecken wir tief in den Glockenröcken und
Ballonärmeln, die sich in Soiree und Be-
suchstoiletten sogar breiter als jemals ma-
chen. Auf dem Ball des Präsidenten der
Republik, am 26. Februar, herrschten sie
noch vor. Indess erschienen
schon hie und da Vorläufer- >
innen der kommenden Mode,
Radiguet (Paris). Vorkämpferinnender ersehnten
Rockreform. , CHS „
258
1896
JUGEND Nr. 16

Zeichnung von' H. R. Kaeser.

Die Abiturientin Lasst die Andern kochen, Suppen, Fleisch und Knochen,
(In Berlin haben 6 Abiturientinnen-das Examen bestanden.) O, der himmelweite Unterschied.
’s gibt kein schöner Leben als Gymnasienleben Fürderhin beim Kaffee wird sacht Autodafe!
Wie es uns die Lene Lange gibt; Das Gespräch lateinisch nur geführt,
In die Kurse rennen, wissensdurstig brennen, Wer geräth in’s Stocken, wes Disput zu trocken,
Sprecht nur, Schwestern: Ist das nicht „geliebt?“! Der wird unbarmherzig relegirt.
Heut die Mädchenschule liegt uns fern wie Thule,
Das Gymnasium ist Paradies, Dann nach vier Semestern, Männer lasst das Lästern!
Wahrhaft ernstes Streben nur die Jahre geben, Steigt man in’s Examen comme il faut.
Und wir prangen bald im Cerevis. Ausgeschnitt’ne Kleider, Schluss wenn aus dem Schneider
Wird ein kreuzfideler Studio.
Gleich mit „Unbekannten“, äusserst int’ressanten, Wenn vorher sich findet, der sich uns verbindet,
Steh’n wir im vertrautesten Verkehr, Nehm ich gern den Doktor oder Rath,
Körper, die gleichschenklich, Gott wie unverfänglich Denn aus Mauerblümchen werden alte Mühmchen,
Uns doch amüsirt das Alles sehr. Und ich hab’ doch so den Doktor g’rad! e. hall.
Finden bald, wer weiss es? Quadratur des Kreises,
Ja sogar des Winkels Trisektion,
Auch den Werth der Pflanzen, wie der Hauptsubstanzen,
Im gekochten Zustand oder roh’n. Seufzer eines Ehemanns!
Kennen wir die Formen, rechten wie abnormen, Als sie, ein Mägdlein noch, auf meinem Knie
Lesen wir den Gajus Julius, In bräutlich holder Zärtlichkeit gesessen,
Wie er sah und siegte, Gallien bekriegte, Mit meinen Blicken fast verschlang ich sie,
Roms Conditor auch im Livius, Vor Liebe hält' ich beinah sie gefressen.
Und die rechte Schätzung einer Uebersetzung,
Die erhält man erst in unsrer Zeit. — Nun ist sie mein — verschwunden ist'der Wahn,
Wenn das Konstruiren thut uns ennuyiren, Ihr zänkisch Thun vergiftet mir das Leben —
Hilft ein „Freund“ uns oder Langenscheidt. Ach, warum hab’ ich damals nicht gethan,
Was meine Zärtlichkeit mir eingegeben! l ....
Ist uns erst beschieden Kenntniss der Liquiden,
Offen steht Homer und Thucydid,

"Unter dem. ^Protektorate Br. D^gl. 3Coheit des Brinsregenten Buitpold von Bayern, des D^önigreicHs Bayern 'Verweser

bayerischeLandes-Industrie-, Gewerbe 111nrr


und Kunst-c^|^USSLCIlUng
ln den grossen städtischen Parkanlagen
vom 15. Mai bis 15. Oktober 1896

259
Inseraten-Annahme Insertions-Gebühren
durch alleAnnoncen-Expeditionen
sowie durch
G. Hirth’s Verlag in München
und Leipzig. JUGEND™.
Die „JUGEND“ erscheint allwöchentlich einmal. Bestellungen werden von allen Buch-
für die
4 gespalt. Colonelzeile oder deren
Raum JL i.—

Mk. 3.—, Belgien 3 Eres. 61 cts., Dänemark 2 Kronen 69 Oere, Holland 1 fl. 95 ct., Italien
und Kunsthandlungen, sowie von allen Postämtern und Zeitungs-Expeditionen ent- 3 Eres. 88 cts., Oesterreich-Ungarn 1 fl. 90 kr., Rumänien 4 Eres. 20 cts., Schweden und
gegengenommen. Preis des Quartals (13 Nummern) bei den Postämtern in Deutschland Norwegen 2 Kronen 71 Oere, Schweiz 3 Eres. 65 cts., der einzelnen Nummer 30 Pfg.

Die Schmutzpresse (Aus dcm Yorker > Lifte.)


Uebernahme von
Kuns tauet io nen
jeder Art, ganzer Sammlungen sowohl
JULIUS BÖHLER
wie einzelner guter Stücke. 6 Soflenstr. München Soflenstr. 6
Hugo Helbing, München, Christophstr. 2 vis-ä-vis des Glaspalast-Einganges.
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kunft durch Hugo Helbing, München, Christofstr. 2.
Hugo Helbing.
Herr Geh. Sanitätsrath Dr. med. Klein in Berlin schreibt: „Die mir gesandten Proben Dr. Hommel’s

Blutarmut
Haematogen sind mit dem erwünschten Erfolge angewendet worden und zwar bei einem Mädchen von
21 Jahren, das seit vorigem Winter an allgemeiner zunehmender Schwäche, Verdauungs-
störungen, grosser Blässe, überhaupt den Erscheinungen der Leukämie, auch
beständigem Hüsteln, mit Abmagerung gelitten hat. Nach Verbrauch von 4 Eiaschen, die ohne die
geringsten unangenehmen Nebenerscheinungen konsumirt wurden, hat sich der Zustand der Patientin auf’s
Erfreulichste gebessert, und kann ich sagen, dass dieselbe als ganz wieder hergestellt zu bezeichnen ist.
Ich habe mich von der Trefflichkeit des Mittels zu meiner grossen Freude auf’s
Bleichsucht Ernsteste überzeugt und werde selbstverständlich in geeigneten Fällen wieder zu diesem erprobten
Mittel greifen".
Herr Geheimrat Prof. Dr. med. Victor Meyer in Heidelberg: „Ihr Haematogen hat in
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Litteratur mit hunderten von ärztlichen Gutachten gratis und franko. i.llLUlllj' 4X/ Laboratorium,
Herausgeber : Dr. GliORGHIRTH; verantwortlicher Redakti F. vnv OSTTNI • verantwortlich fiir den Inseratentlieil: G. KICHMANN. G. lllRTll’s Kunstverlag: sämmtlich in Münch«**
25. April
I. Jahrgang > Nr. 17

Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben. — G. Hirth’s Verlag in München & Leipzig,
ALLE RECHTE VORBEHALTEN.
Nr. 17 . JUGEND - 1896

Kopfleiste von L. Kayser.

Kaiser Wilhelm II
an den Gräbern der Hohenstaufen
Wo porphyrne Sarkophage bergen staufisches Gebein,
In Palermos Kathedrale trat der Hohenzoller ein,
Um bei den erlauchten Vettern, vor den stolzen Marmortruhn
Sinnend eine kleine Weile vom Regieren auszuruhn.
Welche Ruhstatt für Monarchen! Zur Betrachtung welch ein Ort,
Wo der Genius der Geschichte predigt sein gewalt’ges Wort!
Hohenzoller! Hohenzoller! Lernen kannst Du hier genug,!
Wo der grösste Staufer modert, welcher, sieben Kronen trug,
Kaiser Friedrich, jener Zweite, den Natur zum Herrn gemacht,
Den sie reich mit Gabenfülle,r überschwänglich reich bedacht.
Durch die Nacht des Aberglaubens, der die Welt mit Blindheit schlug,
Blitzte kühn und morgenhelle seines Geistes Adlerflug.
Vier Jahrzehnte hat der Erdkreis seinen Herrschertritt verspürt,
Hat sein Dämon in den Herzen Hass- und Liebesgluth geschürt,
Ungeheure Kraft vergeudet für der Weltherrschaft Phantom
Und gekämpft mit Schlangenklugheit gegen seinen Todfeind, Rom.
Doch das Ende all des Ringens? Ein gerechter Untergang!
Denn er hat des besten Freundes sich beraubt sein'Lebenlang,
Jenes trotzigen Freiheitsinnes, der den Fürsten bleibt verhasst,
Weil er fühlt sich ebenbürtig einem Haupt mit gold’ner Last.
Und so ward die Kraft der Städte, ihrer Blüthe stolze Pracht
Jammervoll in Staub getreten von der kaiserlichen Macht;
Und so ward der Geist der Freiheit, edler, kühner Ketzergeist,
Den die Kirche stets verdammte, den sie Sohn des Teufels heisst,
Ueberliefert römischen Schergen von der kaiserlichen Macht;
Denn es hat’s der Hohenstaufe bis zum Büttel Roms gebracht.
Und so ist er unterlegen als ein überschlauer Thor,
Der den besten Freund sich raubte in dem Kampfe mit Gregor. ALBERT MATTHAEI.

Vignette von J. Berchthold.


1896 JUGEND Nr. 17

Gezeichnet von O. Eckmann.

war eine zärtlich ängstliche Frage. - Bist Fleisch Johann! Wenn Sie so anfangen —“
Das junge Paar
am See hatte welche
bezogen, die kleine Villa
Melanie’s du es denn noch? — Dann irrte ihr sprach er bei Seite zu dem Diener.
Eltern gehörte. — Hochzeitsreise feuchter Blick im Zimmer umher, blieb ,Jetzt sässen wir in einem langweiligen
Geschmacklosigkeit. — Ein glorreicher an der Uhr mit dem gelben Hermes auf Hotelzimmer, in Salzburg, oder irgendwo “
Morgen. — Im Garten lockeres Leben, in dem Emailgehäuse haften, an den alten „Und doch — Franz —“ Melanie nestel-
allen Büschen, auf allen Zweigen, Knospen- Kupfern. Seid ihr es denn noch? An dem te an ihren Spitzen, „so ganz unberechtigt
sprengen und Duften. Bilde der Mutter, bist Du es denn noch ? — der Uebergang ist so unvermittelt,
Im gelben Zimmer, mit der Flügel- Dann trat sie unter die Garienthüre, und gerade das Bekannte ringsum — ich
thüre in’s Freie, war das Frühstück gedeckt, umwogt vom jungen Lichte. Die Ver- dächte, das Fremde, das keine Seele hat
das erste Frühstück! Goldiger Honig, ein stecke der Kindheit, der kleine Pavillon, für uns — es würde mich weniger —
Butterwecklein auf frischen Blättern, Zwie- der Apfelbaum, den sie selbst gepflegt, das Franz —“ Sie legte erregt den Arm um
back und Hörnchen. Lieber der Spiritus- Staarenhaus, — seid ihr es denn noch? — den Nacken des Gatten. „Nicht wahr, um
flamme brodelte das Theewasser. Da brach sie in Schluchzen aus und in den sich das zu sein, was wir uns jetzt sind
Das Tischtuch war mit gelbem Dessin nassen Augen zitterte der herrliche Morgen. — muss man sich unendlich lieben?“
durchwirkt, in Liebereinstimmung mit dem Die Thüre ging — rasch drückte sie „Thun wir ja, mein Liebling, und ob
ganzen Ton des Raumes. In der einen, das Taschentuch vor, — wendete sich — wir’s thuen. — Du bist so erregt, in die-
kunstvoll aufgestellten Serviette stak eine ihr Gatte. — ser idyllischen Ruhe. — Begreife Dich
Theerosenknospe, welche vom Früh- „Thränen, Melanie, heute?“ gar nicht. — Gieb mir einen Kuss! So,
sonnenscheine getroffen, leise sich öffnete Er strahlte in Gesundheit und Kraft, und jetzt lass’ Dir’s schmecken!“
und Ruck auf Ruck das Köpfchen senkte. keine Spur von Befangenheit, nur Behagen. Franz kaute mit aller Ruhe. Für Me-
Ein Diener rückte an Allem und Jedem. Sein Blick schweifte über den Frühstücks- lanie war er ein Räthsel.
Er kannte sichtlich noch nicht die kleinen tisch. Er rieb sich die Hände. „Wo hat Er war derselbe geblieben, kein leises
Gewohnheiten der Herrschaften. Als er denn der Kerl das Fleisch — ?“ Wölkchen trübte seine Seele, nichts zitterte
die Serviette mit dem Röschen berührte, Melanie sah ihn starr an. Ist es denn in ihm nach. Wie war es nur möglich?
fiel ein Blatt auf den Teller. möglich? In diesem Augenblicke, den Und sie in ihrem Innersten verkehrt, ein
Die Thüre ging. — Melanie trat ein, sie so sehr gefürchtet. völlig neues Wesen. Das war ihr unheim-
lr> cremefarbigem Negligee. „Du isst doch auch etwas Fleisch zum lich. Das grosse Geheimniss, das ihre
Sie stutzte, als sie den Diener erblickte. Thee?“ Mädchenseele schon so beunruhigte, das
Er war der erste Mann, den sie sah — ivja — ja — wenn Du meinst —“ die ganze Welt durchdrang, das die Mutter
als Frau. Sie hatte eine unangenehme ”,Also!“ — Er läutete. so sorgsam bewahrte, bis zum letzten Augen-
Ernpfindung. Man soll keine fremden Ge- „Guten Morgen, Melanie!“ Er küsste blicke, es war noch immer nicht enthüllt,
wehter sehen an solchem Morgen. sie auf den Mund und sah sie sonderbar es drängte sich von Neuem zwischen sie
Der Bursche zog sich mit einer tiefen an, mit seinen grossen schwarzen Augen. und ihren Gatten. Das durfte nicht sein.
Verbeugung zurück, nicht ohne einen Sie musste den Blick davor senken. Sie dürstete nach Klarheit.
frechen Seitenblick, wie sie sich einbildete. Nur ein Wort, das die Kluft nothdürf- „Warum isst Du denn nicht, Melanie?“
Melanie trat hastig vor den Wandspiegel tig überbrückt’, zwischen heut und gestern. „Sage mir nur Eines, Franz. Siehst Du
ganz nahe. Ihr Antlitz war tief geröthet „Ein Prachtmorgen, was? War doch die Welt noch mit denselben Augen, wie
aus Verdruss über den Bedienten. eine gute Idee von Papa! So, in Deinem gestern?“
Aus Verdruss? — Da erröthete sie eigenen Heim, in dem Dir alles von Deiner „Viel schöner, mein Kind, viel schöner
n°ch tiefer. Melanie — Melanie? — Es Kindheit erzählt, jeder Gegenstand — Das natürlich. Du nicht?“

Gezeichnet von O. Eckmann.


265
Nr. 17 J UGEND 1896

„Doch — auch aber, — wie soll ich „Aber, Kind, ich bin ein reifer Mann, „Lass’ sie doch,“ meinte Melanie und
Dir das nur erklären ? Nicht mehr so unbe- der mitten im Leben steht. Du warst gestern stiess sie mit der Fussspitze weg. „Wir
fangen. Der Gesang der Vögel, die Blüthen, noch ein unerfahrenes Mädchen, die Toch- holen uns eine aufgeblühte im Treibhause.“
der Duft, die Blumen, all’ das ist nicht ter Deiner Mutter. Den Unterschied musst Sie schritten dupch den Garten, dicht
mehr das für mich, was es gestern war —" Du doch begreifen, — wenn wir schon ein- aneinander geschmiegt.
„Und was ist denn dann so Furchtbares mal —“ Melanie musste lachen, es war wirklich
geschehen seit gestern?“ fragte Franz, ein Melanie drehte die Rosenknospe zwi- Alles beim Alten. Die Verstecke, der Pa-
Honigbrod aufstreichend. schen ihren schlanken Fingern. villon, der Apfelbaum, das Rindenhäus-
Melanie gab es einen Stich, mitten durch „Ich begreife ihn nicht,“ sagte sie ge- chen — nur konnte sie nicht begreifen,
das Herz. — Das war die Lösung. — dankenverloren vor sich hinstarrend, „und wie man sein Herz hängen konnte an solche
„Franz!“ doch,wenn ich ihn gestern begriffen hätte—“ Dinge. Das kam eben auch von dem thör-
Was lag nicht alles in diesem Tone, — Sie liess die Knospe fallen und bedeckte ichten „Hineingeheimnissen“. Franz küsste
die ganze Leidensgeschichte des Weibes. ihr Antlitz mit beiden Händen. jeden ihrer Finger, die zarten goldigen
„Aber Kind, davon spricht man doch Franz legte den Arm um ihre Hüfte und Härchen im Nacken. Er lachte und scherzte
nicht —“ zog sie sanft an sich. wie ein Kind.
Er sah sie fast unwillig an und erröthete „Närrchen, nimm’ es nicht so tragisch Nur nichts tragisch nehmen, am aller-
stark, während auf Melanie’s jetzt bleichem — und nicht zu viel Hineingeheimnissen wenigsten den ersten schönen Morgen!
Antlitz keine Spur von Farbe erschien. in so klare Dinge. Es kommt nichts dabei Als Franz die junge Frau wieder in
heraus und stört nur ein freies Gemessen.“ seine Arme schloss, erwiderte sie seine
Das Unbehagen war jetzt an ihm und
Da nahm sie das Taschentuch von den Zärtlichkeit.
das Räthsellösen.
„Auch die Ehe darf den Schleier nicht verweinten Augen, in denen sonderbare Zwei Jahre darauf ging Franz am Stock,
völlig lüften, der über gewisse Dinge wohl- Lichter spielten. „Ich glaube, Du hast allein, eine Pistolenkugel hatte ihm das
weislich gebreitet. Erst recht nicht —“ recht und ich will Dir folgen.“ Hüftgelenk zerschmettert.
Als sie sich erhoben, um in den Garten
Er sprach es in verweisendem Tone. Nachdem er Alles »herausgeheimnisst«
„Du hast ihn eben gelüftet, mit Deiner zu gehen, bückte sich Franz nach der aus seiner Ehe, wurde sie Melanie zu
Rosenknospe, die auf dem Boden lag. Sie
Frage; mehr, — zerrissen hast Du ihn.“ langweilig und sie wollte sich das „freie
war völlig entblättert.
„Melanie! Welche Frage?“ Gemessen“, das er ihr als des Lebens
„Was ist denn so Furchtbares geschehen, Kern gepredigt, nicht stören lassen.
seit gestern? — Für Dich nichts, — für
mich Alles.“

Brave Buben
Sprüche der Weisheit Zieht meinetwegen folgsame Kinder,
Es ist eine alte Erfahrung, Ihr Mütter, für die Kinderstuben, —
Dass der am weisesten räth, Aber erzieht um’s Himmelswillen
Der in dem eigenen Leben Für’s Leben keine „braven Buben“!
ROBERT OECHSLER.
Die dümmsten Streiche begeht.

Die Thorheit ganz ergründen, 4fr


Kann nur ein ganzer Thor.
D’rum willst Du ein Weiser werden, Der neue Miether
So werde ein Narr zuvor. Alles war so friedlich hier,
FRIEDRICH CORSSEN.
So von Frohsinn eingenommen,
Bis der Säugling über mir
Zwecklos auf die Welt gekommen.
Bescheidenheit Ach, der Kleine schreit so wüst,
Bescheidenheit, Bescheidenheit, Dass die Miether rings gekündigt
Wer möchte ihren Werth ermessen! Und ich alles abgebüsst,
So mancher rühmt sich ihrer nur, Was ich auf der Welt gesündigt.
Weil Sauerkraut sein Lieblingsessen.
D. HAEK.
Wenn die blonde Nachbarin
Ihn besucht, dann lacht er gerne
Still, voll Bosheit vor sich hin.
Wer geträumt am lichten Tage, Weiss er, dass ich dann nicht lerne?
Nichts getlian hat, nichts vollbracht.
FERDINAND V. HORNSTEIN.
Darf sich füglich nicht verwundern, Vignette von Hegenbart.
Wenn im Dunkeln er — erwacht! W.W.
2Ö4
Am Schlehdorn, am Schlehdorn —
Wisst ihr, wo der steht?
Da sprach eine junge Dirne
Ihr Abendgebet.
Und der Wind kam von der Heiden
Und küsste ihres Kleides Saum . . .
Die beiden, die beiden
Träumten den ersten Traum.
FRANZ EVERS.

26S
Nr. 17 - JUGEND - 1896

Und weil sich’s immer dreht und rollt, Beim Tanz


Treu wie Gold So magst Du daran schauen:
Es sprach ein Mädchen falsch und schön: Es ist das Weib so treu wie Gold, Wenn Du Dein Köpfchen an mich legst.
.Ich werde Dein gedenken. Das Gold so treu wie Frauen! Dann hör’ ich kaum die Geigen spielen.
Zum Pfand, dass wir uns wiederseh’n, RUDOLF HIRSCHBERG. Ich seh nur Dich und kann nur fühlen,
Lass’ Dir dies Ringlein schenken.“ Wie Du mich ganz in Händen trägst.
Der Knabe gern das Ringlein nahm öö Weiss nicht wohin mit meiner Lust,
Und küsst es oft beim Wandern — — Denn selig strömen jetzt zusammen
Als über’s Jahr er wiederkam, Schnelle Strafe Zwei Herzen und zwei gold’ne Flammen,
Da war sie eines Andern. Und heimlich drängt sich Brust an Brust.
Mein Liebchen sucht mich abzukühlen,
Der And’re war ein reicher Mann; Wenn ich ein feurig Wort verbrach, LUDWIG JACOBOWSKI.
Doch ob mit Geld und Habe Und als ich jüngst vom Küssen sprach,
Er auch das Mädchen ganz gewann, Da hielt sie sich die Ohren zu!
Den Ring behielt der Knabe. Ich küsste sie in aller Ruh;
Denn: Wer nicht hören will, muss fühlen! Vierzigtausend Meilen!
Er thät das Stückchen Weibertreu
JOSEF SCHÄNDER!..
Zum Prägemeister tragen Da macht die Finsterniss sich breit,
Und liess ein Goldstück blank und neu Als dürfte sie ewig verweilen,
Sich aus dem Ringlein schlagen. Das Nachtgesindel schickt sich an,
Das gab er hin für süssen Wein, Behaglich die Welt zu vertheilen, —
Und nun muss mit den andern
Sprichwort-Varianten Doch stets ist ihm das Licht auf der Spur,
Wer die Tochter freien will, darf der
Dukaten auch das Ringelein Im Sturmschritt es zu ereilen —:
Von Hand zu Händen wandern. Köchin nicht den Hof machen. j. m.
Es macht in der Secunde nur,
Es wandert schneller durch die Welt, Viel Geld, viel Ehr’. ]• M- Nur — Vierzigtausend Meilen!
Als wie der schnellste Reiter; Im Dunkeln ist gut funkeln. kr. ROBERT OECHSLER.
Kaum, dass man’s in den Händen hält,
So rollt es auch schon weiter. L. &
206
1896
• JUGEND • Nr. 17

M jlt der Jammer, so alt beinahe, als Udsms Geschlecht ift,


Dsh rin lebendiges Secht keinem Lebendigen wird.
Drückt Ihr mit blühender krakt such die Schgie der Woge nach unten
Schwerer als Luer Gewicht drückt der papierene Kram!
267
1896
Nr. 17 JUGEND
In dem Geschoss lag:
Ein Brief
eine photographische Momentaufnahme, welche den Augen-
blick darstellt, da unsere Post im Mars ankommt;
Eine amtliche Urkunde, mit dref Kreuzen unterzeichnet,
welche die Echtheit der beiden andern Dokumente bestätigte;
ein Strafmandat mit 4 Mark 50 Pfennigen wegen unbefugter
Verbreitung von Zeitschriften.
Der Brief war englisch abgefasst — wie die Marsbewohner
zu dieser Sprache kommen, ist im Briefe erklärt. Die Ein-
leitung brachte uns einige Abonnementbestellungen und krit-
ische Aeusserungen über die „Jugend.“ Dann folgten Auf-
Wir haben keine Kosten gescheut. schlüsse über den Mars und seine Insassen. Der interessan-
Krupp in Essen hat die Kanone aus dem besten Bromchlor- teste Passus lautete:
silbernickelaluminiumstahl gegossen mit einem Kaliber von Der Mars ist eine Kugel. Unsere Gelehrten haben aus-
40 Lentimetern und 236 Kaliber lang. Herr Meline in gerechnet, dass er sich um die Sonne bewegt; da aber unser
Paris hat eigens für uns ein besonders scharfes Pulver er- Schulwesen in den Händen der hohen Clerisei liegt und diese
funden, das aus schwefelsaurem Pikrin mit einem starken findet, dass der Marsmensch nicht Alles zu wissen brauche,
Zusatz von spanischem Pfeffer besteht. Und Professor lehrt man bei uns in der Schule, dass der Mars ein Würfel
Schiaparelli war so ausserodentlich liebenswürdig, auf unsere ist und in der Mitte des Weltensystems sitzt. Wer anders
Aufforderung hin aus Mailand herbeizureisen, um die Kanone schreibt und lehrt, wird mit Strafarbeiten beim Kanalgraben
zu richten. Wir steckten in das aufklappbare Cylindergeschoss beschäftigt.
einige Exemplare der ,Jugend“, ein Münchener Adressbuch Der ganze Mars ist ein Staat. Steuern haben wir nicht.
und einige Postkarten mit bezahlter Rückantwort, eine Photo- Alle Staatskosten werden aus dem Erlös einer kolossalen Lot-
graphie der 5 Barrisons und ein Gruppenbild der bayerischen terie bestritten, vermittels deren alljährlich die Mars-Königs-
Centrumsabgeordneten, damit die Marsbewohner einen Begriff Würde ausgespielt wird. Unser derzeitiger Regent ist Jockel
vom Aussehen der von der Natur bevorzugteren Erdenmenschen der Achtzehnte. Da er zufällig nicht schreiben kann, hat er
bekämen; brachten unser Schiesszeug vor die Stadt auf einen unter beiliegendes Beglaubigungsschreiben seine drei Kreuze
einsamen Anger und am 1. ds. Mts., Nachmittags um 3 Uhr, (er nennt sich „Jockel, der Kreuzeischreiber“) gemalt, so schön
krachte der Schuss. Da wir ungefähr 3000 Kilo Pulver in er konnte. Er ist ein milder und gerechter Fürst, kümmert sich
die Kanone gestopft hatten, krachte der Schuss sehr vernehm- nie um Regierungsgeschäfte und huldigt in der Zeit, welche
lich und warf zunächst alle verehrten Gäste und Freunde ihm sein Beruf frei lässt, dem Kegelschieben. Uebrigens hat
unseres Blattes, die wir zu dem Ereigniss geladen hatten, auf es neulich einen Regierungsconflikt gegeben, weil König Jockel
den Rücken. das Grosskreuz des grünen Bohnenordens in Smaragden, un-
Professor Schiaparelli hatte auf einen dunklen Fleck des sere höchste Auszeichnung, als Prämie beim Preispartein aus-
Mars nahe an zwei Parallelkanälen gezielt, eine Stelle, die er für setzen wollte. Ordenvertheilen ist seine schwache Seite. Wir
eine bewohnte Stätte der Marsbewohner hielt. Als der Schuss haben einen hohen Hofbeamten, der seine zwei Drillings-
gefallen war, begaben wir uns in Windeseile auf dem Zweirad, brüder mitnehmen und mitdekoriren muss, wenn er mit sämmt-
den grossen Astronomen an der Spitze, nach der Sternwarte lichen Dekorationen anrücken will.
und blickten mit den schärfsten Instrumenten nach dem Mars. Der Mars steht im Uebrigen unter englischer Oberhoheit.
Nach etwa einer Viertelstunde erblickten wir einen auf- Das kam so: als vor etwa 100 Jahren der Teufel einige britische
fallenden rothen Lichtschein, der einige Sekunden währte, auf Staatsmänner holte, Hess er, am Mars vorbeifliegend, einen da-
der Marsoberfläche, dann folgte zweimaliges kurzes Aufblitzen von fallen. Dieser machte unsern Planeten zur englischen Co-
des gleichen Lichtes, dann eine kurze, dann wieder eine lang lonie und führte seine Sprache hier ein. Da er nicht marsisch
währende Lichterscheinung, Pause, zwei lange, eine kurze, lernen wollte, mussten eben die 50 Millionen Marsbewohner
zwei lange Lichtblicke — und dann sagte Professor Schiaparelli: englisch lernen. Er sagte, so machen es seine Landsleute auf
„Sie telegrafiren uns mit Morseschrift!“ So war es auch der Erde auch. Ist das wahr?
und das Telegramm lautete: Ueber unser Aussehen klärt beiliegende Photographie auf.*)
„Dankend erhalten. In Bälde mehr. Servus!“ Im Grossen und Ganzen sehen wir aus wie ihr Menschen. Bios
Der Beweis, dass der Planet Mars bewohnt sei, war geliefert, hat der Marse ausgebildetere Seh-, Hör- und Riechwerkzeuge
und dass ihn ein in der Kultur ziemlich hochstehendes Volk und mehr Beine als Ihr; die Mehrzahl hat drei, eine Marsrasse
bewohnte, war auch klar; kannten sie doch die Telegrafen- hat aber fünf Beine; als chic gilt das bei uns nicht. Die
schrift und sogar das Lateinische. Gigerln der fünfbeinigen Rasse helfen sich einfach durch
Wir waren in höchster Aufregung auf das „in Bälde Amputation. Wir sind entschieden hübscher, als Ihr Erden-
mehr“ hin. menschen und stehen überhaupt auf höherer Entwicklungs-
Acht Tage später hielt ein kleiner Bauernwagen vor unserer stufe. Wie z. B. Euere Zeitschrift beweist, treibt ihr noch
Redaktion. Ein freundlicher Herr in Lederhosen, die bis Buchdruckerei. Bei uns ist diese längst wieder abgeschafft,
zur Achsel reichten, um dort oben erst einer kurzen Tuch- seit die klerikale Regierungspartei am Ruder ist; und der
jacke Platz zu machen, stapfte die Treppe herauf und gab etwas Führer derselben arbeitet eben einen Gesetzentwurf aus, der
für die Redaktion der ,Jugend“ ab. Es wäre unserm Redak- die Eisenbahnen und die Elektrizität u. s. w. verbietet. Unser
tionsfaktotum beinahe aus der Hand gefallen, denn es wog Referent für das Kultusbudget hat ein sehr einfaches Mittel,
achtundzwanzig Centner und war — das so seelengefährdende Inskrautschiessen übertriebener
Die Bombe, die wir in den Mars geschossen Geistesbildung zu hintertreiben; er streicht an den Forde-
hatten rungen für Schulzwecke so viel, bis er sicher ist, dass die
Unsere Adresse war auf den Mantel des Geschosses gemalt. Leute nicht zu gescheidt werden.
Wir klappten das Geschoss auf: Die Antwort der Mars- Von ihm stammt der Ausspruch: „Durch eine zielbewusste
bewohner! Rückbildung des Geistes, kann in hundert Jahren ein Zustand
Sie hatten etwa fünf Kilometer neben unsere Adresse ge- erreicht werden, der die Unbotmässigkeiten der Aufklärung
schossen und das war uns gar nicht so unangenehm. Das einfach unmöglich macht.“ Seine Partei nennt ihn den grössten
Bäuerlein hatte die gusseiserne Depesche auf seinem Felde Staatsmann des Jahrhunderts.
gefunden und brachte sie uns mit der dazu gehörigen Rech-
nung über Flurschaden und Transportkosten. *) Wir haben sie der Deutlichkeit halber umzeichnen lassen. D. R.

*70
1896 JUGEND Nr. 17

Gezeichnet von Kr^ Schraidharamer

271
Nr. 17 JUGEND 1896

Wir sind sehr moralisch auf dem Ich kenne Fälle, wo man Einem, der
Mars. So schön wir auch gebaut sind, gut kriechen konnte, sogar sein Talent
verfolgen wir die Darstellung des verziehen hat.
Nackten mit unerbittlicher Strenge. CO
Alle Brunnenbuberln haben bei uns Bankier X..r. fiat sich eine Villa am
Feigenblätter, Jedes sogar zwei! Auch Comersee gekauft. Der Nationalwohl-
die ganz kleinen Kinder kommen schon
stand hebt sich.
mit ganz kleinen Feigenblättern auf die
Welt. SC
Die Ankunft Euerer Botschaft auf So mancher Ordensjäger verdiente
dem Mars hat viel Aufsehen gemacht. ein hänfenes Halsband.
Das zeigt Euch schon unser Bild. Leider CO
hat das leitende Organ unserer Regier- Um den Diebstahl in gesetzliche
ungspartei „Das Ferkel“, die „Jugend“ Formen zu bringen, erfand man die
sofort wegen verschiedener Linsen- Börsengesetzgebung.
losigkeiten denunzirt und das Blatt ist CO
bereits verboten.
Einige haben auf Barrikaden die
Schreiber dieses ist Euch aber wohl-
Freiheit gesucht und ein Portefeuille
geneigt und gibt Euch einen guten gefunden.
Rath: Lasst doch für unsern Ober-
sittenrichter,dessen Adresse ich beilege, GO
hie und da eine wirklich pikante Num- Für Geld kann man bekanntlich Alles
mer drucken und schickt sie ihm unter kaufen. Am billigsten den ehrlichen
Couvert. So was hat er gerne. Ihr Namen.
könnt da recht weit gehen. Dann gibt CO
er das Blatt auch der Oeffentlichkeit Wenn das Gold noch so schmutzig
wieder frei.
erworben wurde, — es glänzt doch
Also lebt wohl und schiesst bald immer.
wieder! Dann sende ich Euch neuen
WIEN. LUDWIG BAUER.
Bericht über die Marsverhältnisse, über
unser Militär, unsere Frauen, unsere
Politik und so weiter. Ihr könnt da
Manches von uns lernen, denn wir sind,
wie gesagt, in Vielem weiter als Ihr.
Euer wohlaffektionirter Nachtstück
Nikodemus Dreibein,
Marsbewohner. Als Du in meinen Armen lagst,
P. 8. Der Mann mit dem Dackel Von Sehnsucht überwunden,
(prämiirte Rasse) und dem langen Zopf Da glaubt’ im Stillen ich zu Gott,
auf dem Bilde bin ich. Der Zopf ist Dass ich mein Glück gefunden.
mein Gradabzeichen als wirklicher Ge-
heimrath. Die Landschaft schwamm im Monden-
licht;
Beim wilden Küssetauschen
Begann das silberschwere Laub
Tagebuchblätter Zu flüstern und zu rauschen.
eines aktiven Politikers
Und wie ich nochmals dich umfing
Wenn ein Geldsack noch so voll Und Deinen Hauch verspürte,
ist, so viel Platz ist immer noch frei, Kam’s über mich wie Geisterhand,
dass man die „öffentliche Meinung“ in Die leis’ an’s Herz mir rührte.
ihn hineinstecken kann.
©0 Und wie ich Dir in’s Auge sah
Keine verlässlicheren Stufen gibt Und auf die blassen Wangen,
es auf der Leiter des Erfolges als die War insgeheim in meiner Brust
Leiber verunglückter Vorgänger. Ein Zauber vorgegangen:
CO
Eine Parlamentsmajorität ist im Dass meine Küsse — süsses
Wesentlichen eine reine Geldfrage. Und Grau’n! —
die paar, die man nicht gegen materi- Nun einer andern galten,
elle Interessen erhalten kann, gewinnt Die all’ mein Denken an sich zog
man durch ihre Eitelkeit. Mit himmlischen Gewalten.
CO
Eine geschlagene Oppositionspartei Was ich in meinen Armen hielt
ist in der Regel zu Ausverkaufspreisen Im Laubversteck der Eiche,
zu haben. Warst nicht mehr Du, betrog’nes Kind,
War eine weisse Leiche.
ALFRED BEETSCHEN.

272
1896
JUGEND Nr. 17

Im Wirthshaus „zum goldenen Himmelbrand“ Der Wirth hat ein liebliches Mägdelein,
Da hängt eine Tafel an der Wand. Das küsst’ ich, weil es so hold und fein.
O Tafel, schwarze Tafel! O Mägdlein, feines Mägdlein!
Drauf stehen viel Strichlein schön gereiht, Das merkte der Alte, das war ihm nicht recht,
Davon mein eigener Name nicht weit. Er ging hinaus, und herein kam der Knecht. —
O Kreide, weisse Kreide! O Hausknecht, gemeiner Hausknecht!
Die Wirthin, das ist eine gute Frau; Nun sitz’ ich im Trocknen — o grausam Geschick! —
Gibt Manchem zu trinken und nimmt’s nicht genau, Und denk’ an die fröhlichen Zeiten zurück.
O Wirthin, gute Wirthin! O Zeiten, fröhliche Zeiten! —
Der Brandwirth jedoch ist ein schäbiger Lump, Ohne Bier, ohne Liebe! . . . Mein Herz klopft so bang;
Er reicht nicht einen Becher auf Pump. Mir schwant, es dauert mit mir nimmer lang —
O Brandwirth, schäbiger Brandwirth! O Ende, trauriges Ende! liber....

Der Kampf mit dem Drachen, modernisirt von w. Schultz

27;
Nr. 17 JUGEND 1896

Zeichnung von J. B. Engl.


Die beiden alten Aampfhähne Udo und Hadebrand-oder^ das Turnier in Lehnstühlen.

274
1896 JUGEND Nr. 17

Die beste Empfehlung von ...


Backfisch lesend: Das ist doch das langweiligste Lieutenant von A. (auf Besuch hei einem Freunde
Buch, das ich je gelesen habe und so etwas eine Gipsbüste betrachtend): Aeh, äh — wie
konnte mir Mama — verbieten! p-K. sagten doch Kamerad, habe Namen nicht
verstanden — —
«•©
Lient. von B.: Apollo von Belvedere —
Mangelnde Selbsterkenntniss Lieut. von A.\ Aeh —richtig, von Belvedere
— schneidige Familie, die Belvedere’s —
Herr am Rende^vousplat^: Das ist — heute die kenn’ ich!
Dritte, auf die ich vergeblich warte — wirklich
ein treuloses Corps, die Weiber! p k. "6

Die Deutschen in Bayern wollen dem Fürsten


Bismarck zu Ehren an den Ufern des schönen
Starnberger See’s einen Bismarckthurm errich-
^en- Das nehmen die Römer in Bayern sehr
übel. Aus ihren Kreisen sendet man uns oben- Gezeichnet von R. Griess.
stehenden Entwurf für einen „Thurm des Cen-
trums“, der sich am Starnberger See mindestens
sehr dekorativ ausnehmen würde.
O, ui stacklig ist diese garstige afrikanische Kaktus!

Herr Oberstabsarzt Dr. med. Ruff in Möhringen (Baden) schreibt: „Trotz


der kurzen Zeit, während der ich das Haematogon in seiner Wirkung beobachtet,
habe ich so auffällige Heil-Resultate wahrgenommen, dass loh Ihr Präparat
unter allen tonischen in die erste Reihe stelle. Ich fand besonders

Lungenleiden eklatante Erfolge bei einem infolge chronischen Bronchialkatarrhs mit schlimmsten
Erscheinungen ganz herabgekommenen 58jährigen Manne, der jetzt nach -1 Wochen
fast nicht mehr hustet und wieder frische Gesichtsfarbe bekam“.
Herr Sanitätsrat Dr. med. Nicolai in Greussen (Thüringen): „Ich kam.
Ihnen nur wiederholen, dass Ihr llaematogen speziell bei Lungensohwlnd-
süchtigen von ausgezeichnetem und Überraschendem Erfolge
war. Ich werde es gerne empfehlen, da die Empfehlung aus meiner vollen Ueber-
zeugung Btammt“.
ist konz.entrirtes, gereinigtes Haemoglobin (H. R. Rat. No. 81391). Haomoglobin
Dr. med. Hommel’s Haematogen ist die natürliche organische Eisen-Manganverbindung der Nahrungsmittel. Preis
per Flasche (250 gr.) Jik. 3.—. In Oestcrreich-Ungarn II. 2.— ö. \\. Depots in
cliemiscli-pharmaceut.
[den Apotheken.
hltteratur Wenn nicht
mit hunderten von erhältlich,
ärztlichen directer Versandt
Gutachten durch
gratis und uns.
franco. Nicolay & Co., Laboratorium, Hanau.

275
Inseraten-Annahme Insertions-Gebühren
durch alleAnnoncen-Expeditionen
sowie durch
G. Hirth’s Verlag in München
und Leipzig. JUGEND
Die „JUGEND“ erscheint allwöchentlich einmal. Bestellungen werden von allen Buch-
nnd Kunsthandlungen, sowie von allen Postämtern und Zeitungs-Expeditionen ent-
1896
Nr. 17
für die
4 gespalt. Colonelzeile oder deren
Raum JL I.—

Mk. 3.—, Belgien 3 Pres. 61 cts., Dänemark 2 Kronen 69 Oere, Holland 1 fl. 95 ct., Italien
3 Pres. 88 cts., Oesterreich-Ungarn 1 fl. 90 kr., Rumänien 4 Pres. 20 cts., Schweden und
gegengenommen. Preis des Quartals (13 Nummern) bei den Postämtern in Deutschland Norwegen 2 Kronen 71 Oere, Schweiz 3 Pres. 65 cts., der einzelnen Nummer 30 Pfg.

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Herausgeber: Dr. GEORG HIRTH; verantwortlicher Redakteur; F. von OST1N1; verantwortlich für den Inseratentheil: G. EICHMANN, Q. HIRTH’s Kunstverlag; San,unlieb in München!
Druck von KNORR & HIRTH, Ges. m. beschr. Haftung in München. b
ALLE RECHTE VORBEHALTEN.
Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben. — G. Hirth’s Verlag in München & Leipzig.
Nr. 18 • JUGEND 1896

278
g/ßM
M

Gezeichnet von J. Dietz.

Süsse Liebe liebt im Mai Das'Männchen war blond, Haar und Bart waren gebrannt,
parfümirt und frisirt. Auf dem Kopfe trug es ein Sammt-
Es war im Mai. barett mit wallender Straussenfeder, vor der Brust ein Spitzen-
Oder vielmehr: es wird im Mai sein, denn die Geschichte jabot, ein lang hinabwallender Rockschooss deckte die Glieder.
spielt im zwanzigsten Saeculum, genau hundert Jahre]nach dato. Das Weib hiess Eustachia, das Männchen Mucki.
Aber der Bequemlichkeit des Erzählens halber, wollen wir Eustachia fasste ihren Gefährten bei der Hand und sagte:
die Sache doch lieber im Imperfektum, Perfektum und nöthigen- „Es war sehr lieb von Ihnen, dass Sie gekommen sind,
falls im Plusquamperfectum vortragen. Also: Sie lieber schöner Mensch!“
Es war im Mai. Die Bäume grünten. Der Flieder blühte. Mucki flötete:
Der Bach murmelte. Die Nachtigall sang. Das Abendroth „Ach, wenn es nur Papa nicht erfährt! Er ist so strenge.“
flammte. Die Natur sah genau so aus, wie sie am schönsten Eustachia beruhigte ihn:
Abend des kommenden Mai im Jahre des Heils 1896 aussehen „Sie können an die Ehrlichkeit meiner Absichten glauben,
wird. Einen schönen Abend wird er ja doch haben, dieser Mai? holdes Männchen! Ach wenn Sie wüssten, wie ich den Augen-
Am Bach stand eine Weide und unter der Weide stand eine blick herbeigesehnt habe, wo ich sagen kann: Ich kann einen
Bank. Auf der Bank da sassen Zwei — süsse Liebe liebt im Mai! Mann ernähren! Jetzt endlich ist es so weit! Ich bin Bezirks-
Vergebung für diesen Reim! er ist das einzig Poetische, welches arztin geworden und habe gleichzeitig ein schönes Fixum als
in dieser wahrscheinlichen Geschichte Vorkommen soll! Redaktrice einer Fachzeitschrift für Embryologie “
Auf der Bank sassen Zwei, ein Mann und ein Mädchen. „Aber Fräulein Eustachia!“
Oder wie man im zwanzigsten Jahrhundert sagen wird, ein „Vergeben Sie! Ich wollte Ihr keusches Ohr nicht kränken!
Weib und ein Männchen. Ich wollte Ihnen nur sagen, dass Sie mir Ihr Schicksal ruhig
Das Weib war nicht mehr jung, aber noch in den besten anvertrauen können — oh Mucki, beglücken Sie mich mit
Mannesjahren. Ihr kurzgeschnittenes Haar deckte ein etwas einem Jawort!“
struppiger Cylinderhut. Mächtige Convexgläser funkelten vor „Oh Eustachia!“ hauchte Mucki, „Ihr Antrag ist mir sehr
ihren Augen. Das Gesicht war zwar farblos wie Leder, aber ehrenvoll und die Versorgung, die Sie mir bieten, ist glänzend.“
schmal und eckig. Ein gerade herunterhängendes Jacket deckt „Es versteht sich von selbst, dass Sie ein anständiges
die Taille, weite Pumphosen das Wenige, was an Beinen zu Cigarrettengeld zur Verfügung haben und Ihre Toiletten sollen
bedecken war. Ihrer Schönheit würdig sein —“

279
Nr. 18 JUGEND 1896

Immer süsser und holdseliger lächelte Mucki aber „Doch! den Hausschlüssel!“
er hätte kein Männchen sein müssen, hätte er sich nicht ,Nein, gewiss nicht!“
noch geziert: „Nun, was ist denn das?“ Er drückte heftig auf den
„Das ist ja Alles sehr lieb und gut gemeint, aber —" harten Gegenstand, der seine Wange ,beleidigt hatte. Sie
„Ich weiss sehr wohl, dass ich nicht hübsch und nicht schrie leicht auf.
mehr jung bin. Aber kommt es denn darauf an bei einer „Das ist meine sechste Rippe
Frau? Ich meine, wenn nur ihr Charakter gereift und zu- „Ach so! Verzeihen Sie. Aber was weiss ein unschuldiger
verlässig ist, das ist mehr werth als Reize, die so schnell Jüngling — ich dachte immer —“
verblühen!“ „Sie sind ein Kind, ein thörichtes Kind“, flötete sie.
Mucki machte ein furchtbar dummes Gesicht, was theils Wieder sassen sie eine Weile •still.
in seiner allgemeinen geistigen Beschaffenheit, theils in Er- Endlich rief sie ihn leise beim Namen.
wägungen und Betrachtungen des Augenblicks begründet war. „Mucki!“
Dann flötete er: „Eustachia!“
„Ich schätze Sie ja sehr hoch - aber bedenken Sie meine „Mucki — gewähren Sie mir den ersten Kuss.“
Jugend! Ich bin erst achtzehn.“ Verschämt reichte er ihr die Lippen.
Er log, denn er war vierundzwanzig. „Noch einen!“ bat sie.
„Ich bin achtundvierzig,“ sagte F.ustachia ehrlich. „Glau- „Nein,“ sagte er, „morgen Abend. Aber Sie müssen mir
ben Sie, dass Sie mit einer jungen Springinsfeldin, die mit etwas versprechen!“
Mühe und Noth ein paar Jahre älter ist, als Sie, glücklich „Was denn?“
werden würden? Meiner Treue sind Sie sicher. Nie wird „Dass Sie sich morgen Früh rasiren lassen!“
mein Herz einem Anderen gehören!“ „Holder Spötter!“
Sogar Mucki dachte sich was Ironisches bei dieser Be- Sie versprach es. Wieder sassen sie stumm. Eustachia
merkung; aber er sprach es nicht aus, theils aus männlichem holte endlich etwas aus der Hosentasche; ein rothes Saffian-
Zartgefühl, theils weil zwischen dem Finden und dem For- Etui. Sie legte es in Mucki’s Hände.
muliren eines Gedankens bei ihm noch ein weiter Weg lag. „Nimm dies kleine Zeichen meiner innigen Liebe!“
Das Weib fuhr fort: „Können Sie mich nicht lieben, Mucki?“ „Ach wie reizend! Wie entzückend! Dies Armband! Tür-
Erröthend senkte er das Köpfchen: kisen und Perlen! Ach, Du bist lieb! So was hab’ ich mir
„Ich achte Sie sehr hoch. Es muss unmenschlich schwer schon lange gewünscht. Der Mann der Rechtsanwaltin Meier
sein, Alles zu lernen, was Sie gelernt haben. Und Ihr weib- hat auch eins — aber es ist nicht so schön wie das. Wie der
lich sicheres Auftreten imponirt mir — ich glaube wohl, sich ärgern wird!“
dass ein Jüngling getrost sein Schicksal in Ihre Hände legen, Er streifte das Armband entzückt über die Hand und
sein Haupt an Ihrem Herzen betten kann —“ freute sich, wie der erste Strahl des Mondes, der eben auf-
„Oh betten Sie!“ drängte Eustachia. gegangen war, auf den Steinen blitzte.
Er bettete es. Zärtlich strich sie über seine duftenden und Dann neigte er sein schönes Haupt wieder zur Brust der
wohlgepflegten Locken und bemerkte nicht, dass er dabei selbst Geliebten hin und flüsterte: „Eustachia, ich liebe Dich!“
ängstlich die Hand auf sein Haupt drückte. Die Locken
waren nämlich falsch und_es hätte entschieden die Stimmung
des Augenblicks verdorben, wären sie jetzt locker geworden.
„Oh Mucki! Sie wollen mein eigen sein?“
„Sprechen Sie mit meinem Papa!“
Die Nachtigall schlug in den Büschen.
„Lusciola Philomela“, sagte schwärmerisch das Weib.
„Was heisst das — ich kann nicht englisch“, meinte Mucki.
Süsses, dummes Männchen!“ Er war entzückend in seiner
Naivität. „Es ist die Nachtigall, meinte ich.“
„Nicht die Lerche?“ — Mit diesem schelmischen Scherz-
wort, das zugleich seine feine Erziehung erwies, schmiegte
er sein Köpfchen wieder an ihre Brust. Plötzlich fuhr er
empor: „Was haben Sie da in Ihrer Brusttasche?“
„Nichts“, sagte sie.
„Oh doch! Etwas Hartes! Warum streiten Sie mir das ab?“
„Aber ich habe gewiss nichts in meiner Brusttasche.“

Nothbrücke im dunklen Erdtheil. Gezeichnet von O. Bromberger.

280
Das Urtheil des Paris
Nr. 18 JUGEND 1896

Gezeichnet von Leo Prochownik.

An die Tugendsamen
Beim Sonnenuntergang Selbst die prüdeste Miss auf Erden
Der Föhn
Zerrissene Wolken goldbeglänzt Weiss dass die Kinder — geboren werden. Tiefgrün rollt heran und brausend
Am Abendhimmel blinken; DL Wog’ um Woge vor dem Föhn,
Der Sonne Widerschein verräth, Antwort geben Wipfel sausend
Dass fern sie im Versinken- Auf den Tod Von den dunklen Tannenhöh’n.
eines Theater-Intendanten
So ist die Sonne meines Glücks, So bitterlich weinen die Ballerinen, Schiffe, selbst die grössten, schwanken,
Erwartet endlos lange, Als war’ jetzt verwittwet jedwede von ihnen. Und es stürzt manch’ alter Baum,
— Nach herbsttagkurzem Leuchten nur — DO Von der Mauer Epheuranken
Auch schon im Niedergange!... Verdienst Sprüht der Brandung weisser Schaum.
Hoch über mir, im öden Wald, Wie er zu einem Orden gekommen? Föhn, den Schall entfernter Glocken
Mit schwerem Flügelwehen Er hatihn zugleich mit der Frau genommen. Trägst Du her an unsern Strand,
Zieht unheilkündend eine Schaar DL Kosend fängst Du Jugendlocken,
Blauschwarzer Rabenkrähen. Der Sprosse Blumen und ein flatternd Band!
Verdienter Vorfahren einziger Sohn! HERMANN LINGG.
Ich hör’ ihr Krächzen: „Grr-ab... Zum Vater selbst kam er durch Protektion.
Grr-ab ... Grr-ab!“
Wie eine Mahnung schallen, DO
Indes von dürren Aesten rings Recept Lebenssprüche
Die letzten Blätter fallen. Ihr Leiden bessert sich wesentlich,
MAXIMILIAN BERN. von Julius Lohmeyer
Sie nimmt statt der Arznei den Arzt zu sich.
Herrschen bleibt ein Recht
SO Der Seelen nur und Geister:
Beruhigung Gold sei Euer Knecht,
Kukuk Ein Trunkener tobt. Nicht Euer Herr und Meister.
Steht die schöne Frau am Fenster, Gott sei gelobt, L©
Spielt mit ihrem Ringelein, Der Alkohol Ein jeder Prasser
Dreht es um den schlanken Finger, Ist Monopol. Wird zum Verbrecher:
Schaut gedankenvoll darein. SO Er zeugt die Hasser,
Klage Er ruft die Rächer.
Und wie sich das Ringlein windet, . ö©
Schleichen sich durch ihren Sinn Er geht zu Gericht sich beschweren;
Sie will ihn nicht länger ernähren, m. sch. Nicht Nothgesetze, nicht Schlummerlieder,
Tausend gleissende Gedanken,
Nicht Staatsdecrete heilen die Zeit,
Wie ein güld’nes Schlänglein hin. Es heilen den Wahn verirrter Brüder
Plötzlich durch die schwüle Stille Nur Liebesthat und Gerechtigkeit.
Klingt’s herüber von dem Flur, L©
Einmal, zweimal, dreimal: Kukuk. Ich lasse mir die grosse Zeit nicht schelten;
Ruft die alte Kukuksuhr. Was sie uns raubt, das werden wir
verschmerzen;
Und die Fraue senkt die Wimper, Sie rüttelt mächtig an der Menschen Herzen
Neigt das schöne Haupt und lacht, Und dient der Wahrheit, — darum wird
Führt das Ringlein an die Lippen — sie gelten.
Uhr, das hast du gut gemacht, h. freise.
282
Südwärts über die Berge geschritten
Kommt der Frühling, Veilchen im Haar.
Länger nicht hat es ihn träumend gelitten.
All' unser Klagen und Sehnen und Bitten
Zaubert ein neues Blüthenjahr-.
' Aebcr das modernde, graue Gefilde
Schreiten die Stapfen des Lebens hin.
Splitternde Schwerter, brechende Schilde —
Blumen und Hoffnung und Glauben und Milde
Streut uns Jugend, die Trösterin.
Ueber das Sterbende, über das Todte
Schlägt sie den schimmernden Schleier des Lichts.
Flügel schweben im Morgenrothe
Ueber die ächzende, kranke, verrohte,
Untergangsmüde Welt des Gerichts.
Aus den verschattetsten Winkeln und Ecken
Brechen die Blumen der Zukunft hervor.
Rosiger Glieder Dehnen und Strecken,
Mandelblüthen an dürren Stecken,
Aus dem verderben leuchtender Flor!
Jugend, Dir ruf' ich die jubelnden Grütze
Meiner unsterblichen Hoffnung in's Herz!
Halt Dein Panier, Du tapfere, sütze,
Lenk' Deine wanderlustigen Fütze
Singend nur sonnenwärts!
Nicht aus gleitzenden Gläsern und Flaschen
Trinkst Du, Heilige, Freude^zum Licht.
Latz' die Verlorenen Schatten Haschen,
Latz' sie die Häupter bestreuen mit Aschen, —
Veilchen beschatten Dein Angesicht.
Maurice von Stern.

•A

ri«e-l>a>° Ton Schraidt-Helmbrechts (München)

283
Für weiss-gelb-weiss in Kampf und Tod zu gelin!“

Silentium! Wir präpariren den Cantus: „Den Burschen reisst es fort mit Sturmesweh’n,
Zeichnung von R. Wilke,
Nr. 18 JUGEND 1896

Regnen .... nichts gethan, sie ist nur schöner geworden, eine kleine
liebe Frau ist sie, die nicht umsonst auf der Welt ist. Sie
Der Abend kam und es regnete noch immer. Es hatte schluchzte und weinte in sich hinein. Das schlechte Wetter
den ganzen Tag schon geregnet. Immer nur in feinen dünnen war schuld. Jetzt wird er natürlich wieder allein fortgehen
Schnüren, aber es war trostlos. Eine endlose Langweile legte sich und sie muss zu Hause bleiben. Es war abscheulich lang-
über alle Dinge, nicht als ob sie anders geworden wären, aber weilig, die glitzernden Abenteuer der Liebe fehlten, alles ging
weil man nicht wusste, was man mit ihnen anfangen sollte. den einen Weg und die letzten Zauber verloren sich.
Karla sass im dunklen Zimmer und träumte. Sie fühlte Fred war eingetreten. Sie rührte sich nicht, als ob sie
sich sehr einsam und der Regen machte sie traurig. Fred nichts gehört hätte. Sie erhoffte einen diebischen Kuss.
arbeitete im andern Zimmer und nur wenig kam er zu ihr Aber es war nichts.
herüber. Er schien sie nicht mehr zu kennen. Oh wo waren „Guten Abend, Schatz!“ sagte er. Das war alles. Dann
die schönen Abende des vorigen Winters, des ersten Winters gähnte er noch.
ihrer ersten Ehe! Und dann die innigen verschämten Tage „Du bist wohl müde?“ kam es zornig.
des neuen Frühlings, wo sie jubelnd durch die Gassen der „Verzeihe, ich habe gearbeitet. Auch meine Stimmung
Vorstadt hinaus mit Tausenden in’s Freie zogen. Jetzt aber ist weg. Das ewige Regnen . . Ich werd’ noch ein Narr . .
war Fred schläfrig und mürrisch, wenn sie um einen Gang man hat gar nichts mehr vom Leben. Ich werde jetzt in
in die lieben alten Gassen bettelte, in denen sie Schutz den Club gehen, man muss sich aufheitern.“
ihrer zagen Liebe einst gefunden. Und er wollte auch nicht Sie sagte kein Wort. Er ging wieder in das andere
auf den Corso, die Leute genirten ihn so sehr und sie müsste Zimmer und holte seinen Rock. Als Fred wieder zurück-
doch endlich auch das Haus lieben lernen. kam, war Licht in ihrem Zimmer. Karla hatte schon einen
Ein leichter Schauer überkam sie. Es steckte noch immer Hut auf und suchte emsig unter den Handschuhen.
der erste Walzer in ihr, den sie mit ihm in den Sophien- „Du gehst fort bei dem Wetter?!“ frug er erstaunt.
sälen getanzt hatte. Und dann dachte sie an die ewige Auf- „Ja, glaubst Du, ich bleib’ so lang allein! Ich geh’ zur
regung, an die verbotenen Briefe und die grosse Seligkeit Kathi, die den . . .“
erster heimlicher Gänge. Wie sie oft mit ihm unter die „Ich weiss, die den herzigen Buben hat . . . Glück auf
Hausthore wischte und zitterte, wie sie den Schleier doppelt den Weg! Leb wohl!“
nahm, doch entdeckt wurde und schliesslich den lieben Fred Sie sah ihm bös nach; hätte er nicht besser mit ihr
bekam. Sie wäre ja sonst gestorben und da war doch schade! spazieren gehen können?
Und er? Ja, er hatte sich ganz verändert. Früher voll Langsam und etwas gebeugt stieg der junge Mann die
Eifer und mit dem schönen Muthe eines Kriegers fast, der Treppe hinunter. Seine Lippen waren krampfhaft aufeinander-
um seine Fahne kämpft, immer zärtlich und werbend um gebissen und er ärgerte sich. Er wusste ja, sie that ihm’s
sie, der schnelle Sklave ihrer Wünsche, Hess er sie jetzt, da zu Fleiss, dieses launische, mürrische ... hübsche Geschöpf.
er sie hatte, allein laufen. Früher ging er, wenn sie mit Hübsch war sie ja. Na ja, andere auch. Was sie eigentlich
der Köchin auf den Markt schaute, gleich mit, weil das Bureau jetzt nur hatte! Und hätte sie ihn nicht bei diesem Wetter
auf dem Wege lag. Das war doch ein Stolz und die Leute zurückhalten können? Aber immer diese Kathi, die den
sahen auf das Paar. Das war nun alles vorbei und sie durfte herzigen Buben hat! Zaubern kann er auch nicht. Immer
allein gehen. Wie das bitter war! Und sie hat ihm gar spielen, sie kennt keinen Ernst.

286
1896 JUGEND Nr. 18
Immer mehr schmähte er Karla. Schon rannte er die
Leute auf der Gasse an und manches Schimpfwort flog. Ja,
wohin wollte er eigentlich. In den Club? Das war schon
das Allerlangweiligste. Ewig Kartenspielen und schlechte
Witze ... Er lief noch ein wenig durch die Gassen, indess
ihn der Regen nässte und landete endlich in einem Kaffee-
haus. Aber er sah nicht in die Zeitung, trank nicht den
Schwarzen.
Ja, so geht es. Jetzt sitzt er da, allein, in diesem Dampf,
unter den Unbekannten wie als Junggeselle. Und er hat
doch ein Heim und ein liebes . . ein Weib. Ja, das Weib!
Das war jetzt ganz anders. Oh dieser süsse Winter, wo
keines das andere nur eine Minute lassen wollte, wo sie bei
der Thür schon wartete, wenn er kam. Und dann der Früh-
ling, als ob die Romantik nie enden wollte! Es war alles
wie ein vergessener Duft, der nun doppelt stark die Sinne
umfloss, da er hervorbrach. Er dachte an einen schönen
Kamin mit hellem Feuer, sie aber wollte in der Kälte spa-
ziren gehen. Wenn er sie zu Hause haben wollte, wurde
sie langweilig. Und war sie nicht früher in seinem Zimmer,
wenn er arbeitete? Jetzt war er allein. Wie hatte er heute,
als er in’s Zimmer trat, gewartet, dass sie ihm entgegen-
kommen und ihn küssen werde. Aber nichts von dem. Sie
verstanden sich nicht mehr oder es war die Trübsal des Wet-
ters schuld.
Er wischte den Thau von dem Fenster weg und blickte
hinaus. Wenige gingen draussen. Ein paar Geschäftsleute,
eilige Dienstmänner und noch flinkere Modistinnen, die heim-
zogen und fröhlich durch die Lachen patschten. Melancho-
lisch sah er manchem zierlichen Füsschen nach, das sich
vom Dunkel geschützt glaubte. Und sinnend blieben auch
draussen manche Herren stehen und blickten nach den
Schritten der Eilenden.
Fred rief den Kellner und zahlte. Ein Geist des Ueber-
muths war über ihn gekommen und er pfiff leise vor sich
hin. Er dachte an seine letzte freie Jugend, an die letzten
dummen Streiche und an manches süsse Mädel. Es waren
lauter Episoden, flüchtig wie der Tag. Und schliesslich, was
war Karla eigentlich, nur eine längere. Ja, und hatte er nicht
soviel gehalten, warum gab sie sich nicht auch ein kleines
bischen Mühe um ihn? Jetzt war sie so langweilig und wie
entzückend hatte sie Walzer getanzt. Es musste wieder irgend
ein Abenteuer in ihre Liebe kommen.
Die kleinen verwaschenen Häuser der Vorstadt zogen
vorüber, bunte Vorhänge leuchteten in die Nacht und verhüllten
Abenteuer. Und wie oft waren er und seine Freunde da durch-
gelaufen, während würdige Bürger den Studentenunfug an-
brummten. Das gab es jetzt nicht mehr.
Und plötzlich, da vor ihm trippelte es in kurzen, schnellen
und stechenden Schritten. Es war ein Mädel. Freilich zogen
sich Nebel, aber Fred sah ihre Eleganz und Anmuth. Wie
unwillkürlich lief er nach. In weichen Rhythmen wuchs ihr
Leib und ein leises Parfüm zog nach. Sie war schlank und
doch von Fülle, seine Art. Das liebte er. Und wie in alten
Tagen, aber nur unbewusster, folgte er unermüdlich. Sie
hatte einen Schleier, auch konnte er nicht recht vor, denn
sie ging sehr schnell- Ein bischen bekannt kam sie ihm vor,
einmal hatte sie sich flüchtig umgesehen. Ob das ihm galt?
Aber etwas war ein gütiges Zeichen. Sie raffte sehr un-
bekümmert den Rock und aus der Wolke von Spitzchen glitt
ein kleiner netter Fuss in schwarzer Seide. Das war das Sug-
gestive und es gab nur ein blindes Gehorchen. Und so lief
er durch die Gassen wie nach dem rollenden Glück und hörte
und sah nichts. Aber er war so fröhlich wie nie und brummte
einen Vers:
... lorsqu’on voit le pied, la jambe se devine.
Et tout le monde sait qu’elle a le pied charmant.
Hm, vielleicht war sie doch eine Frau! Und wer war denn
der Glückliche, Gemahl oder Liebhaber, wer hatte das Recht?!
Das war noch nicht so sicher. Entschieden war sie sehr lieb.
Uebrigens man konnte ja sehen... Das konnte noch eine ver-
gnügliche Geschichte geben, die seine Langeweile kürzte. Und
Gezeichnet von Reznicek.

287
Nr. IS t
JUGEND * 1896

er dachte nun an lustige Abende, aber wo waren die alle, die Und die (Englein rief er vom pimmelszelt
sie mitgemacht! Das war auch gleich, eilig folgte er der lock- Und zeigte ihnen die junge Welt.
enden Spur. Sie sahen darein mit klugem Blick
Die junge Dame öffnete plötzlich das Thor eines Hauses Und lobten des Meisters Schöpfergeschick
und trat ein. Er that dasselbe. Und wer hätte es denn nicht
Und sie sahen die nackenden Menschen dorten,
thun sollen? Den Muthigen gehört die Welt. Er gönnte es
übrigens dem andern. Warum gab er nicht besser auf sein Doch Reiner von ihnen ist schamrotst geworden:
Kleinod acht, warum hütete er nicht? Dem geschah nur Grad so, wie er war, so ganz ohne — ohne,
Recht. Jawohl, da war kein Zweifel. Schien ihnen der Mensch der Schöpfung Krone,
Die Stiege kam ihm bekannt vor, aber er sah nur sie Sie guckten mit lachenden Augen drein,.
vor ihm, nur sie... Mit keiner Bewegung hatte die Dame Denn ihnen, den Reine», war Alles rein!
sich sein Folgen verbeten. Endlich hörte er sie bei einer
Thür klingeln. Er ging langsamer. Die Thür öffnete sich
und sie wandte sich um... Du lieber Gott! Wie die Welt jtd; drehtI
„Lassen Sie gleich offen, Fanny, der Herr kommt auch!“ Wie der Sinn sich ändert, die Zeit vergeht!
„Je, der gnä’ Herr! Na ja, das schlechte Wetter....“ Don (Eden sind wir nun weit entfernt,
Fred fuhr aus seinen Träumen, es war Karla, es war Der Mensch hat die Sünde kennen gelernt,
seine Wohnung! Donnerwetter! So blind und verrannt! — Und vielfach über sie uachgedacht
Er hat trotzdem keinen üblen Geschmack, schau, den hat Und sich daraus ein System gemacht,
er nicht und er hat eine entzückende Frau. Schweigend legten Das ihm Alles vergiftet und Alles vergällt,
beide ihre Sachen im Zimmer ab. Oh Fred tobte im Innern Und Alles verwirrt hat in Leben und Welt,
fürchterlich und er nannte sich. Er hat sich ja selbst Den Blick ihm getrübt und den Sinn verkehrt,
den Schaden gegönnt. Wie wenn jetzt ein anderer, dieses
Und des Schöpfers herrlichstes Werk entehrt.
Kleinod, das ja ihm... Und sie, wenn sie_Es presste et-
was sein Herz. Da gibt's nun besondere Spezialisten —
„Du Karla, aber ich glaubte ...“ (Es gibt sie bei Inden, Türken und Thristen —,
„Ja, und ich meinte, Du wärst im Club?!“ Die sehen auf (Erden kein Ding mehr rein,
„Hm. Und ich, Du wärst bei der Kathi....“ Fällt ihnen sofort was Sündhaftes ein,
„Hm.“ — Und sie zupfte an den Handschuhen und sah Und überall wittern sie Krankheit und Gift,
ihn mit den grossen Augen an. Ihr Blick macht schmutzig, was er trifft,
„Karla, Du bist aber schon reizend ...“ Der (Quell wird trübe, daraus sie getrunken,
„Ja, Du bist mir ja auch eine halbe Stunde nachgelaufen...“ Sie wähnen fid; tief schon und tiefst versunken
„Karla!“ - Es ist der altejubel aus der Tiefe des Herzens. -
Die Tropfen schlagen noch immer an die Fenster und ein I», Sündenpsuhl und in pöllenslamme»,
lustiges Feuer beginnt im Kamin empor zu lecken. Fred hält Sie jammern und winseln und schaudern znsammen
Karla bei der Hand und er weiss nur vorläufig das eine, an Und säsimpfen und toben und schreien und wettern
einem Regentag darf sie nicht mehr ohne ihn fort. Es könnten Rack) der Polizei und nach Feigenblättern,
mehr einen guten Geschmack haben.... Wenn ihnen lebendig entgegenquillt
GUSTAV GUGITZ. Der Jugend unverhülltes Bild,
In sieghafter Schönheit, hold und gesund
Mit lackenden Augen und rothem Mund! —
perr, geh' mit dem Volk nicht in's Gericht!
Die armen Kranken, sie wissen es nicht,
Daß man an der Nacktheit von Weib und Mann
And) bessere Freude haben kann,
Als die traurigen Kerle sie selber fühlten,
Als vor dem letzten Schöpfungstag Die mit Behagen im Schlamme wühlten,
Das fertige Werk vor dem Herrgott lag, wenn's nur der perr Nachbar nicht wissen möcht'.
Und er sah das Land und das blaue Neer Sie suchen im Nackten das nackte Geschlecht
Und oben der Sonnen kreisendes Peer Und denken, es denke sich Jeder dann,
Und unten der Blumen duftige Zier, was sie fid; denke», schauen sie's an.
Und das taufendgestaltige, bunte Gethier, In Wahrheit madft's ihnen großes Vergnügen,
Das die welle, die Luft uud die (Erde trug — Doch heißt sie ihr Handwerk auch hier wieder lügen.
War s dem Schöpfer noch immer nid}t schön genug. Nur zwischen den Fingern durch schielen sie hin
(Er nahm seine ganze, unendliche irtadjt Und während sie zetern, schmunzelt ihr Sinn.-
3n Lins zusammen — in Göttcrpracht Für diese vermaledeite Rotte
Ließ er des Menschen Gestalt ersteh',, — ward freilich damals vom lieben Gotte
Die war schöner als alles Andre zu seh'n. Die Krone der Schöpfung nicht aufgebaut,
Gott setzte sie ohne Fell „ud Vließ Die die (Engel bewundert und angeschant.
Und Schuppen und Federn in's Paradies was thut's!
Und ohne Posen nnd ohne Mieder — Drum bleibt doch die Schönheit guten Muths,
Die leuchtende Pracht der weißen Glieder Blüht weiter, so frei, wie die Rosen blüh'»,
Sdjiett „„verhüllt durch (Edens Paine, Strahlt weiter, so hell, wie die Sterne glüh'»
In reiner Schönheit, in schöner Reine. Und sieht in erhabener göttlicher Ruh'
Und als er dies Werk z» (Ende gethau, Den borstigen, schmatzenden Feinden zu,
Sah Gott der perr seine Arbeit an Sie weiß: „den Reinen ist Alles rein" —
Und lächelnd sprach er mit hohem Muth: Den Leutchen da drunten mag's anders fein I"
„wahrhaftigI Was ich erschuf, ist gutl"
o.

aSS
1896 JUGEND Nr. 18

Den Reinen ist Alles rein, den — _ .—


289
Sin afrikanischer Remfall

t. Durch die wüste geh'n zwei Matabcle 2. Mpwa spricht: „Da sieh die beiden Weißen!"
Und nach Blute dürstet ihre Kehle. „Ja," grinst wmxo, „da gibt's was zu beißen!"

3- In die Hütte flieh'n die Europäer Und die Nasen strecken freudetrunken
Und die Ulatabele schleichen näher. Durch die Fenster gierig die Halunken,

6. Und der Andre öffnete die Pforte,


Beider Menschenfresser Nasenring an Nahm den Knüppel, machte nicht viel Worte,
290
1896 JUGEND Nr. 18

Aus der Zeitung


München, io. April. Heute gelang es unserer rührigen Po-
lizei, zwei Studentenverbindungen abzufassen, in dem Moment,
als sie eine ihrer gewöhnlichen Paukereien begonnen hatten.
Einen der in die rohe Schlägerei Verwickelten fand man furchtbar
zerfleischt. Er hatte eine grauenhafte, zweieinhalb Centimeter lange
Hiebwunde zwischen dem linken Ohr und der Nase. Das Lokal,
in welchem die Schlächterei stattfinden sollte, war schon lange ver-
dächtig und wurde längst Tag und Nacht sorgfältig überwacht.
Ehre den wackeren Männern, welche in edlem Pflichteifer
alles aufboten, unnützes Blutvergiessen, das schon so oft schweres
Unheil über zahlreiche Familien gebracht, zu verhindern und dem
Gesetze Achtung zu verschaffen!
Wann endlich, fragen wir, wird es gelingen, diesen der Ver-
nunft, der Moral, der Religion, dem Gesetze hohnsprechenden
Unfug endgiltig auszurotten?
Berlin, io. April. Seit einer Woche schon wurde die Reichs-
hauptstadt in leichtbegreiflicher Spannung erhalten durch die An-
kündigung des Duells zwischen Herrn von M. und Herrn von L.
Namentlich in den höchsten Kreisen der Gesellschaft war das
Interesse ein äusserst lebhaftes.
Heute endlich fand das Duell statt. Herr von L. wurde durch
einen Schuss mit bewundernswerther Präcision in’s Herz getroffen
und sank todt zu Boden.
7. Drosch mit liebevollem (Eifer nieder Dieser Ausgang ist um so freudiger zu begrüssen, als da-
Auf der Neger nördliches Gefieder. durch dem Volke wieder einmal klar vor Augen geführt wird,
dass es doch noch eine Gerechtigkeit auf Erden gibt. Ist es doch
dadurch Herrn von M., dem so bitter verfolgten und so schwer
verleumdeten Manne endlich gelungen, vor aller Welt seine Ehre
völlig wiederherzustellen und sich von dem auf ihm lastenden
unwürdigen Verdachte gänzlich zu reinigen 1 H. G.
oayj
Briefkasten
Briefe und sonstige Sendungen, welche für uns bestimmt
sind, bitten wir lediglich „An die Redaktion der „Jugend“,
Färbergraben 24, München“ zu adressiren, nicht aber an eine be-
stimmte Persönlichkeit.
E. A. in Köln. Wir üben gegen Sie unverdiente Rück-
sicht, wenn wir Ihren Namen als den eines unverfrorenen Schrift-
stehlers höflichst verschweigen. Das Gedicht „Sascha“, für dessen
Autor Sie sich ausgeben, ist im wesentlichen nichts anderes als eine
gekürzte Verschlimmbesserung des schönen Gedichtes: „Türkische
Justiz“ von Strachwitz. Wir werden Ihr Manuskript ausnahmsweise
nicht dem Papierkorb überliefern, sondern als Curiosität unserm
Archiv einverleiben.
Herrn M. L. Berlin. Wie können Sie glauben, dass wir mit
dem alten Herrlein auf unseren Plakaten und dem Titelblatt von
Nr. 12 den Altmeister Menzel oder den verstorbenen Centrums-
führer Windthorst gemeint haben ? Das sind nur sehr oberflächliche
und zufällige Aehnlichkeiten. Einen Todten verhöhnen wir nicht in
8. Bis die Biedern wimmernd und geschwollen solcher Weise und wenn wir seiner Gesinnung noch so fremd gegen-
Schwören, daß sie's „nimmer thuen wollen". überstehen ; einem so grossen Lebendigen, wie Menzel aber, bringen
wir wohl recht gerne einmal eine künstlerische Huldigung dar,
gewiss aber werden wir ihn nicht karrikiren. Auch die Albernheit
dürfen Sie uns nicht Zutrauen, dass wir ihn, den ewig Jungen, als
Repräsentanten grämlichen Alters hinstellen!

Gedächtnis
Das „Wiener Fremdenblatt“ schreibt in No. 32o
vom 26. November:
„Der bekannte Gedächtnislehrer Herr Christof Ludwig
Poehlmann in München hat sich mit seiner nun in zweiter
Auflage erschienenen „Gedächtnislehre“ um das „zerstreute Jahr-
hundert“ wirklich verdient gemacht. Wie wir die erste Auflage
empfohlen haben, so können wir auch von der zweiten durchaus
nur Gutes sagen. Poehlmann gibt mit seiner „Gedächtnislehre“
in der That ein der physiologischen Gehirnthätigkeit angepasstes
System. Seine Lehre zeigt uns in kurzer und dennoch leicln
verständlicher Form wie wir auf eine natürliche und ungekünstelte
Weise eine Auffassung und ein Gedächtnis heranbilden können,
die jeder Anforderung gewachsen sind.“ —- Prospect mit Zeug-
nissen nebst zahlreichen Zeitungsrecensionen gratis und franco
y. Und die Neger, die vor?Schmerzen rasen, durch L. Pöhlmann, Weinstrasse 6/1, München A. 60.
Ziel>en,schließlich ab mit — langen Nasen.
291
Inseraten-Annahme Insertions-Gebühren

JUGEND 1896
durch alle Annoncen-Expeditionen für die
sowie durch
4 gespalt. Colonelzeile oder deren
G. Hirth’s Verlag in München Nr. 18 Raum Ji i.—.
und Leipzig.

Die „JUGEND“ erscheint allwöchentlich einmal. Bestellungen werden von allen Buch- Mk. 3.—, Belgien 3 Pres. 61 cts., Dänemark 2 Kronen 69 Oere, Holland i fl. 95 ct., Italien
und Kunsthandlungen, sowie von allen Postämtern und Zeitungs-Expeditionen ent- 3 Pres. 88 cts., Oesterreich-Ungarn 1 fl. 90 kr., Rumänien 4 Pres 20 cts., Schweden und
gegengcnommeii. Preis des Quartals (13 Nummern) bei den Postämtern in Deutschland Norwegen 2 Kronen 71 Oere, Schweiz 3 Pres. 65 cts., der einzelnen Nummer 30 Pf.

Geschmackvolle

Einbanddecke
für das erste Semester 1896
'(Nr. 1—26) der
— Jugend —
befindet sich in Vorbereitung und
kann gegen Mitte Mai d. J. zu dem
Preise von Mk. 1.50 durch jede
Buch- und Kunsthandlung bezogen
werden.
G. Hirth’s
Kunstverlag in München und Leipzig.

Uobernahme von
S Kunstauetionen
_ .... . rr>i • r 1 i\ E. Retemeyer. jeder Art, ganzer Sammlungen sowohl
Zwielichtpolitik (Bruchstuck aus einer 1 hierfabel). wie einzelner guter Stücke.
Der Löwe spricht: ,,Bist Du so friedfertig von Gesinnung, wie Du sagst, Mann, und hast Hugo Helbing, München, Chrlstophstr. 2.
gegen mich guten Löwen nichts Böses vor, so komm’ heraus zu mir, Vom Frühjahr ab eigene,
dass ich mit Dir das Friedensfest feiere . . neuerbaute Oberlichträume.

Herr Dr. med. Merten in Berlin schreibt: „Ihr Haematogen hat in einem Fall
Rhachitis von linrlnäickiger Rhachitis bei einem zweijährigen Kinde vortrefflich gewirkt.
Das Kind, welches vordem nicht gehen konnte, begann schon nach Verbrauch einer
Flasche zu laufen, und sein Schwächezustand besserte sich während des Gebrauches
(sog. englische Krankheit) der zweiten Flasche zusehends.“
Herr Dr. med. Weher, Spezialarzt für Ohren-, Nasen- und Halsleiden, in Leipzigs

Scrophulose „Dr. Homxnel’s Haematogen habe ich bei drei durch Ohrenfluss herabgekommenen
Kindern angewendet. Der Erfolg war ein geradezu eklatanter. Die Kinder be-
kamen rote frische Gesichtsfarbe, die Eiterung hörte auf; sie waren schon über ein
(Drüsenleiden, sog. unreines Blut.) Jahr in anderweitiger ärztlicher Behandlung.“
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Herausgeber: Dr. GEORG HIRTH; verantwortlicher Redakteur; F. von OST1NI; verantwortlich für den Inseratentheil: G. EICHMANN, G. HIRTH’s Kunstverlag; sämmtlich in München.
Druck von KNORR & HIRTH, Ges. m. beschr. Haftung in München,
ALLE RECHTE VORBEHALTEN.
1896 - 9. MAI - JUGEND - I. Jahrgang . Nr. 19

Herausgeber: Georg Hirth. — Redakteur: Fritz v. Ostini. — Alle Rechte Vorbehalten.


Gezeichnet von Egersdörfer.

Siebzehn Jahre köstlich wichtig aufdrehn, wenn er dastand Sie schaukelte rascher: Nein, nein,
und mit Jemandem sprach ... als er dort nein.in der Dunkelheit.nie im
Von Karl Larsen. beim Stadtvogt mit dem Doktor redete . .. Leben... und allein mit ihm —
Margrete sass in der Schaukel ihrer Er war so lieb gewesen ... und hatte so Sie haben doch nicht Angst vor mir?
kleinen Geschwister draussen im Garten gut ausgesehen im Frack. Und sie konnte Ja, das hatte sie — das hatte sie. Das
und schaukelte sich. Mehrere Male hatte es ihm an den Augen ansehen, wie gerne heisst, eigentlich nicht vor ihm.aber
ihr die Mutter aus dem Küchenfenster zu- er sie Abends nach Hause begleitet hätte. sie war doch schrecklich bange, so wie nie
gerufen, sie sollte doch endlich einmal Es waren die merkwürdigsten Augen, zuvor in ihrem Leben. Es sollte um sechs
hereinkommen — es hatte doch gar keinen die sie jemals im Leben gesehen hatte. — Uhr sein — wenn sie von ihrer Tante weg-
Sinn, da zu hängen und sich in der schar- Der Kapellan, damals, als sie konfirmirt ging .er hatte ihr eine ganze kleine
fen Luft zu erkälten. wurde, hatte braune Augen gehabt, wirk- Geschichte zusammengebraut, der Ab-
Aber Margrete setzte nur die Schaukel lich schöne, grosse, braune Augen, aber scheuliche — und sie zum Lachen ge-
in etwas sanftere Bewegung und liess die Henrik Bangs Augen konnten sich verän- bracht. Sie sollte lügen, bei ihrer Tante
Busse den Boden berühren, und dann ant- dern .. . ebenso wie die Stimme — ja die und zu Hause. Das hatte sie im Verlaufe
wortete sie, ohne auch nur zum Hause Stimme. — Die war so sicher, wenn er dieser zwei Wochen schon ein paar Mal
hinüber zu sehen, als wäre es eine Stimme so einherging und erzählte; man hörte gethan. Aber nur, weil er es war — sonst
von irgendwo in der Luft: schon, dass das richtig sein musste, was war es nicht schön, zu lügen. Tante Elise
„Ja, aber ich komme nicht... ich komme er sagte . . . aber sie konnte auch so still und die Eltern würden nicht darauf ver-
... nicht... ich komme durchaus nicht...“ sein — damals nach Tische .. . dort in der fallen, zu besprechen, um welche Zeit sie
Und das Küchenfenster fiel mit einem Fensterecke ... hatte er so gesprochen. von dort weggegangen war, so dass es ent-
dumpfen Laut zu, wie in weiter Entfern- gleichsam so weit weg, gedämpft.- deckt werden konnte. Um acht Uhr sollte
ung — Mutter war doch nicht so böse, Und sie war es, die die Stimme so er reisen. Und dann würde er für’s Erste
desshalb herauszukommen. weich machen konnte ... und so tief — nicht wiederkommen, sagte er.... es war
Es war schön, sich ab und zu wieder sie dazu bringen konnte, sich noch mehr ein reiner Zufall, dass er sich über Ostern
stärkeren Schwung zu geben und dann nach so lange hatte freimachen können — ein
zu senken.
und nach langsamer zu werden, bis die reiner Zufall, sagte er so schelmisch meh-
Sie schloss die Augen.
Schaukel beinahe stille stand, und man . . Denn ich möchte doch so ungerne rere Male. Das hatte sie genau bemerkt
blos am Brette hing, die Arme hoch längs — oh, er war so pfiffig: Es konnte sehr
nach Kopenhagen zurückreisen, ohne Ihnen
der Stricke ausgestreckt, und in einer Be-
ordentlich Lebewohl gesagt zu haben. — lange dauern, bis er wieder kam. Hm, das
wegung, die ganz wenig wiegte — glaubte sie eigentlich nicht — er kam schon
Da konnte man prachtvoll weiterdenken. „Der liebe, liebe, süsse Junge!“
Sie hatte es laut gesagt und erschrak wieder!
Die Vögel piepten überall ... Die Luft
war blau, und die Sonne schien auf ihr ganz, schlug die Augen auf und wurde roth. Wenn er sie nur nicht dort in Kopen-
Sie setzte die Schaukel in stärkere Be- hagen vergass....
Kleid ... aber die Zweige waren nackt, und
es war noch nicht grün, nur die schwarze wegung und sah sich um. Ach, da waren Die Schaukel hielt inne.
Erde, die aufgehackt und umgegraben war, nur Sperlinge — gute alte Sperlinge, die ....wo es so viele Frauen gab.
konnte man riechen. — nicht plaudern konnten. Vor den Sper- Es gab dort schreckliche Frauen-
Nun wird es bald Frühling, hatte er ge- lingen brauchte man sich nicht zu geniren Ah, aber er war gut. Er konnte ihr
sagt — und seine Augen wurden so gross ... ganze Mengen von ihnen waren gestern nicht den Schmerz bereiten .... aber es
und licht, als er hinaus über die Felder auf dem Amtmannsweg gewesen; sie flogen gab viele Andere. —
blickte. Sie konnten auch ganz dunkel sein in ganzen Schaaren über die Felder auf, Nein-nein — das durfte nicht ge-
... ganz dunkelblau, als er sie ansah, wie als er und sie bei der Biegung umdrehten schehen.
sie nebeneinander denAmtmannsweg hinab- - - • aber heute Abend durfte sie ihn nicht Du grosser Gott! — Wenn es nun doch
gingen ... Und dann wurden sie klar, wenn treffen. Nein, sie durfte nicht. geschähe -
er lachte — mit all den winzig kleinen, Er hatte so innig gebeten:.... an der Sie war von der Schaukel aufgestanden.
lieben Fältchen um den Mund hinter dem Villa des Consuls vorbei, über den Feld- Die Gedanken wirbelten in ihrem Kopf
kleinen Schnurrbart... den konnte er so es ... nach links — durcheinander, so dass sie für einen Augen-

294 '
1896 JUGEND Nr. 19

blick ganz verschwanden. Sie fühlte ihr Sie fühlte den Kuss auf ihrer Wange,
Herz klopfen und klopfen. Jetzt war es und sie ergriff seinen Arm, um ihn weg-
bald drei Uhr_in ein paar Stunden fuhr zudrängen; und mit einem Male spürte sie
er fort. Und sie sah ihn vielleicht nie seine Wange an der ihren, und ihre Lippen
mehr —... er wollte vielleicht fort, wollte berührten die seinen, und sie liess die
weg von ihr .... zu einer Anderen nach Arme sinken.
Kopenhagen. Er stützte sie, so dass sie nicht fiel. Er
Ach nein — nein, das konnte nicht mög- zog sie ganz an sich. Und sie fühlte Kuss
lich sein.... so, wie er sie gebeten hatte, auf Kuss mit ganz geschlossenen Augen. —
Abends zu kommen -— mit dieser Stimme. So waren sie die halbe Stunde lang auf
Und sie würde auch kommen — das und ab gegangen und jeden Augenblick
konnte er glauben. Er sollte nicht ver- stille gestanden, und sie nannte ihn beim
gebens warten — der liebe gute Junge.- Vornamen, und wenn sie umwendeten, legte
Margrete ging zum Hause hinüber. Die sie sich in seinen Arm, und er drehte. Sie
Mutter kam aus der Thüre. mussten Platz zum Wenden haben — ebenso
„Ja, jetzt komme ich und helfe Dir, wie ein Fahrzeug, sagte er. Und sie lachten,
Mutter.“ und er küsste sie, und sie küsste ihn wieder,
— „Liebe, kleine Mutter“, sagte sie auf und sie standen lange stille.
einmal und küsste sie auf die Wange. -- Aber dann griff er in die Tasche
und sah beim Licht eines Zündhölzchens
* m. * auf die Uhr.
Sie lief beinahe den kleinen Weg über Nein! dass sie sich schon von ihm
den Abhang hinauf, wo die Häuser auf- trennen sollte! Ach nein-aber es
hörten. Nichts als Dunkelheit und ein musste sein.-
Stück Landstrasse — und diese undeut- Er begleitete sie bis zum Hügel, so
lichen Bäume gerade daneben, im Garten brauchte sie nur den kleinen Weg hinab-
des Consuls. zuhuschen und war wieder am Anfang der
Sie entdeckte seine Gestalt, die dort Strasse. Und er sagte viele Male Lebe-
stand. Im selben Moment kam er hastig wohl — und lange. Und er zündete eine
auf sie zu. Als sie Guten Abend erwiderte, Cigarre an, wie er versprochen hatte, so
klang ihre Stimme ihr gleichsam ganz fremd dass sie stehen konnte und ihn gleichsam
und weit weg. noch ein wenig sehen, während er den
„Danke, dass Sie gekommen sind“, sagte anderen Weg hinablief, der von der nörd-
er dann leise zu ihr hinabgebeugt. lichen Seite in die Stadt führte. Er sollte
Sie konnte nichts antworten — nicht sich mehrere Male umdrehen, so dass sie
gleich. die Gluth sehen konnte. — Und das hatte
Und er schwieg auch. er auch gethan, aber nun war nicht das
Dann sagte er: „Hier ist es dunkel...“ Allermindeste mehr zu sehen, und sie
und bald darauf: „Wollen Sie nicht meinen sollte nach Hause. —
Arm nehmen?.... weil es hier so dunkel Sich zu denken: sie sollte nach Hause,
ist,“ wiederholte er. wo sie Vormittag in der Schaukel ge-
Sie legte ihren Arm in den seinen .... sessen und sich geschaukelt hatte ... zu
ihr Herzklopfen wollte nicht aufhören. den kleinen Geschwistern, zu Henriette,
Sie gingen einige Schritte. Er schwieg. die dreizehn Jahre alt war . . . und noch
— Jetzt konnte sie schon besser im Dun- mit Puppen spielte. Sie lagen im selben
keln sehen. Zimmer . . . wenn sie nur die Nachtlampe
„Nein, den anderen Weg,“ sagte sie. der Eltern bekommen konnte, denn dann
Dann begann er draussen am Feldweg: wollte sie, wenn Henriette eingeschlafen
»Fräulein! — Sie wissen, dass ich reisen war, den kleinen Tisch ganz rückwärts in
s°ll.“ Aber da musste sie wirklich die Ecke stellen und die Lampe darauf
lachen — seine Stimme klang so ganz und dann in dem matten Schein daliegen
schrecklich hochtrabend. und denken . . . denken bis zum lichten
„Sie lachen?“ Morgen. —
Und sie konnte an einem leisen Zucken ***
des Armes merken, dass sie ihn vielleicht „Du bist aber schrecklich lange bei
verletzt hatte. Tante Elise geblieben,“ sagte die Mutter,
„Ach, aber ich meine es ja gar nicht so“, als sie eintrat.
sagte sie. „Ja“ — erwiderte Margrete und fühlte,
Er hatte ihren Arm losgelassen. Sie dass sie roth wurde, aber die Mutter war
standen einander dicht gegenüber — ihr schon damit beschäftigt, das Tischzeug zu
Herzklopfen fing wieder an — es wehte ein überzählen.
starker Wind oben auf der Landstrasse. Am andern Ende des Esstisches sass
Er ergriff ihre Hand, aber sie entzog Henriette und sah zu. Kai wollte in nordi-
sie ihm und ging ein Paar Schritte vor- scher Geschichte überhört werden. Von da
wärts, dann blieb sie stehen und wusste an, zeigte er mit dem Nagel. Dazu wurde
n>cht, ob sie stand, oder wie es war, aber Margrete angestellt.
sie hörte ihn ihren Namen sagen und liess Nun: Inzwischen war man in Däne-
ihn die Hand behalten, und auf einmal mark immer unzufriedener mit Erik von
fühlte sie, dass er den Arm um ihre Schul- Pommern geworden —“ begann sie.
ter hatte, und er sagte den Namen wieder Und der Knabe fuhr fort: Man klagte
— aber anders, und es durchfuhr sie, dass über die schlechte Münze, die er prägen
dieser Mund sie jetzt küssen würde. liess, über . ..

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Nr. 19 JUGEND 1896

Aber da musste Margrete lachen. Sie^konnte nicht anders Sie stand aus dem Bette auf, ging zum Fenster hin und
— nein, es war doch zu komisch, das Ganze. Sie schüttelte zog die Gardine weg. Es war dunkel und nur ein paar dürf-
sich vor Lachen. tige, kleine Sterne am Himmel — aber es regnete doch nicht.
„Nein,“ sagte die Mutter ärgerlich, „Du bist doch zu aus- Er war gut nach Hause gekommen.
gelassen. Ist es so lustig bei Tante Elise gewesen?“ Ihr fröstelte, sie liess die Gardine wieder hinabfallen —
„Ja,“ sagte Margrete. „Und dann war der Weg nach Hause dann ging sie wieder zurück, löschte das Licht und legte sich
so schön,“ fügte sie hinzu — um nicht zu lügen. in ihr Bett ... sie wollte im Dunkeln liegen ... so wie, als
Als sie Thee tranken, sah Margarete hinüber auf die Uhr. sie ihn traf . . . Henrik-... der schöne Name ...-
Es war neun. „Wie lange fährt man eigentlich von hier nach Sie Schlief. Aus tjem Dänischen von FRANCIS MARS.
Kopenhagen?“ fragte sie den Vater.
„Man ist um 10 Uhr 30 dort,“ sagte er.
„Wo ist man jetzt?“
„Ach, das weiss ich wirklich nicht — in Slagelse,“ fügte
er dann auf gut Glück hinzu. „Beabsichtigst Du vielleicht,
nach Kopenhagen zu reisen?“
„Nein,“ sagte Margrete. Ich nicht — wollte sie sagen,
aber es war gut, dass sie stille schwieg, denn sonst hätte
sie leicht etwas von dem Geheimniss verrathen können, und
es sollte ganz geheim sein, hatte er gesagt. Aber zu Pfingsten
kam er wieder. Es war furchtbar, dass es so lange bis
Pfingsten dauerte . . . aber er hatte versprochen, zum Aller-
mindesten zweimal in der Woche zu schreiben — unter der
Adresse seiner Schwester.
Auhuuuh! — Sie zog die Schultern in die Höhe bei dem
Gedanken.-Als der Tisch abgedeckt war, wollte sie
gleich zu Bett gehen; aber es war ja Samstag, und sie musste
Mutter bei der Wochenrechnung helfen. Mutter sass und
diktirte aus den kleinen Zetteln, während sie Kais Kleider
nachsah, und Margrete sollte zusammenzählen und in das
braune Buch schreiben. Das war die unerträglichste Arbeit
in der ganzen Woche; man musste so aufpassen — und wenn
man sich nur sehnte, endlich hinaufzukommen und allein
zu sein . . . und zu denken.
Und war es nicht auch irritirend, wenn man endlich los-
kam und die Stiege hinaufging, dass Henriette dasass und
an dem Geburtstagsgeschenk für die Mutter stickte?
***
„Ach, Du bist es nur“, sagte Henriette und nahm wieder
ihren Lampenteller hervor, auf den sie sich beinahe gesetzt
hatte, um ihn zu verstecken. —
„Du, Grete“, fragte sie und hielt den Lampenteller in die
Höhe, „findest Du nicht, dass sich der Plattstich gut macht?“
Nun hatte Margrete den Plattstich gewiss zwanzig Male
angesehen. „Ja“, sagte sie nur und begann die Decke von
ihrem Bett abzunehmen.
„Du gehst schon schlafen?“
„Ja, das thue ich allerdings.“
Henriette sah sie ein bischen an, dann stickte sie weiter.-
Abendlichter in blauer Tiefe glimmen-
„Henriette“, sagte Margrete bald darauf, während sie ihre
Schuhe auf knöpfte, „hast Du nicht gesehen, ob Fräulein Bording , Feuerwölklein um dunkelnde Hügel schwimmen;
schöne Muster für Zeitungshalter hat — aber wirklich schöne.“ — Weisse Zelter dem duftigen Rauch entschreiten
„Ja, ich glaube schon — das heisst, ich weiss nicht recht. Darauf goldgegürtete Knaben reiten. V
ah“, sagte Henriette und liess den Lampenteller sinken und
gähnte: „ich bin übrigens so müde.“ Zwei der Rösslein hinter dem Zuge säumen.
»Ja, Du solltest schauen, in’s Bett zu kommen.“ Eines, leuchtende Rosen in den Zäumen,
„Ja, aber glaubst Du, dass ich dann bis zum 19. fertig Tänzelt, und Flammen entsprühen dem Hufes-
werden kann?“ — — hiebe,
Henriette brauchte unerträglich lange zum Auskleiden, Der es reitet, ist der Traum der Liebe.
und dabei fuhr sie fort, zu schwätzen.
„Du bist so verdriesslich,“ sagte sie, als Margrete nicht Und das andere hebt das feine Köpflein,
antwortete, sondern nur ganz stille in ihrem Bette lag. „Bist Auf der Stirne prunkt ein purpurnes Tröpflein,
Du müde?“ Bläht die Nüstern und schnaubt in’s Abendroth -
„Ach, ich bin heute so viel in der Luft gewesen.“ Der es reitet, ist der Tod.
Als Henriette schlief, konnte Margrete schwer die Augen
offen halten — aber sie fand doch, sie müsse noch ein wenig
liegen bleiben und fühlen, wie still es war ... und den Schatten
der Lichtflamme leise auf der Wand auf- und niederflackern
sehen, und ganz allein sein mit ihren . . . Gedanken. —
Die Uhr unten schlug — sehr laut. Sie richtete sich im
Bett auf. Es war halb elf. — Also jetzt war er zu Hause!
Ob er wohl gutes Wetter auf der Reise gehabt hatte? Zeichnung von O. Eckmann.

296
Originalzeichnung von Fidu*.

Vie O^ugellauferin
Zierleiste von R. Eddelbüttel.

-o>
cp
edic/ii s l/l oZ>/VJO- „ 2/nd warum öchfaflt fl2hr alle ?
£2a- öetzte öleh der hlel/ie 2>nge2m der grflöcn fl3lume
fort- Griff -Jß/ij.u-.
aufl alö ol er nachdachte.
., 2)f2r öchlafln alle- , öagte er dann, ,,und £2n wiröt auch
d/)/a dluel c/er oSchiy
Üqcri gleich öchlafln. 2)Peiflt £2n denn nicht, dafl die oJellghelt
QJic- /ulte- tue/ Jo daraitprjep'cut, l/r'/jan lr,l dfe/ren. d/nrl öchlüflig macht?
mifv endlich durfle öle mit weuuxen ötlllen 222lilgelt nach der t/nd damit ötrechte er öleh wieder hin, legte den fl2{2gfl
ö eigen fld/iöel zieh en. aufl die weiflcn ölille/t t_dlllgel und öchhefl weiter.
£2)de <22fl war trab uni/ warnt. (23röt älter de nt i£3/2eere £2er neue wifl/te nicht, wie ihnt geöchah. £2de fldider
ward öle fllöc/er. 2lud wte dte welööe/t ötillen 22lügel ölcl wurde/t ihm öchwer. Qd/lit magnetlöchcr 222/afl zog. ihn etwaö
lauttoö■ lo le/t und öenhten , tauchte d'üle/t langöant die leral. (23rglaubte, er^ flöge noch Immer. 2222ber er lag dabei öchon
o222iöef au fl ln einer groflen weiflen <fl3lume und träumte.
2/nuncr wärmer und perl harter war inzwiöchen die 22flt 22)£m war able-t ötil2. 223Zur die öiiflxe fliöt unhörbare
geworden, Intnier blauer daö- 223l(ecr. 2)f2iööe oJeeroöen wiegten Q.-lCuöih war und blieb /toch über der fl2/iöel de/' dfellgen.
ölcl dirauflmit auögebreiteten fl3lüttern, und a/t de/t welööe/t
öe/t vorbei ötlegen rothe £223)/'alle/illöte auö- den blauen
II.
1^dluthen. od)er ganze d/trand war war voll
vollvon öeltöamen t_23h-
nte/t. oJle öclaueleiten- ölcl veröc.dilfl/t mit müden, öchweren dlrurar/u/iq.
lorla QJlngen
Bewegungen, und ein flöt unhorbarcö- oJln ■idCdLUngcn
und 2ül/ii) 222eflende 2222lder von allen oJelten; die 2222iße und2222u t
öchlen von ihnen aitözugehe/i, daö- die <j22/flt erfllllte — £22)ü der beöchwertcn iflflalnte brecht öleh an ein ent 22222iig el 22er-
jQflt ölen öo gut, wie die <222flt unten. oJonöt ötaubte er überwuchern ihn; mit gehnlmmten oJte/igeln
22o(]e2; nur wte Int bräunt tönte manchmal ein öta/hereö öchmlegt öleh gelber fl2oiven zahn ln öelnen 2221aöe/t.
d22ln gen und veröcholl bald Int lelöen 222auöchcn dcö 223/2eereö. 22222ufldieöent iflhugcl ötehit gran und regun göloö el/ie
£22)e.r neue (22/i/jel fllhlte ln öelnen 22'llgcln gfotzdlclt tyflndnähle. oJie mit fl alt öcln; viel einzelte (t/t/arren ölnd
eine öüööe, wohlige 22HaltigIcelt, und flaöt öchwe/flalllg fl0*/' er öchon auö ihren tfllü/jcln heranögebrochen. *2l/id die alte
weiter. 22r lonnte öleh gar nicht mehr recht ln der 2222ohie 223/l2ähle wartet.
halten und öanh flaöt unmerleideh Immer tiefler, daöö- öelne C3/nwclt von ihr aufl einc/n runden 2223/l2iihlötein öltzt ein
welööen Cjewander öchon- die tfllronen all der *fl3dumen ötrcifl- gungeö 2223/lüdchen. oJte öltzt mit vorijcbcuglcnt <23 ib, die halb-
ten. (Sin £22)ufl, nicht aitözuöagen, war überall/ öchwul und nachten 2222rme- laflig aufl den fll/ilcn. oJte öltzt, alö ob öle
betäubend, und die iP3lüthen wurden Immer gröööer. (22röt horche. ^3l/id die hclfle oJonne bre/i/it aufl ihr unbedechteö
waren öle- tcllergroöö, aler la/d dehnten öle- öleh öö weit, 2223augt.
daöö- öte den ganten tfl3oden declcten. (23ö löt i—//lltlag. und glitzernd liegt die fluflt
fl/mmer tiefler öchwelte der neue (Sage 2. 222221ch, die Iller den t^d'efdern. 2)3man öchwanht der blaue 22222.111 erögor/t
öcho/ic, öcho/ie 22)/2uöllc rlngö, und der 22/fl und die tfl3lumcn unter der <fl3iöt einer dtche/t el; g/'u/iyla/tzende c_Vliegen
d daö 222auö chien —l cdlotzDeh ale/' öah er ln al2 den öetzen öleh ofl aufl den dürren fl3ode/v. 2/nd liberal2 löt el/t
’iflen hon lg liehen 22/0 nen etwa ö fielen und cö wa/'en genau
wer
uni/'diöcheö 222a uö eben, ln den 222lilern und darüber; dte
öolche (23/igcl, wie auch er einer war. £/)lc- ötllle/t wetflen i2luged 2222ehrcn berühren öleh und zittern; eö löt, alö öt/'elflten öchen
ha/ten öle ijeflallet, daö flflbgflhen darattflgelegt und öchheflen und verloren dte dangen öchleggende/t ^ewäider öellgcr Cflciöter
mit gehaßten 22/äuöten und cl/ient 22acheln um die flüggen. darüber. dielten, d<ifl tn dleöcö veröchollene 2222/2auö c/i en der
222213 öch/leflen öle; hel/t ci/t tlg er, der ötch geregt hätte. £2ent 2)Pa chte/hon lg- öelnen- 222htfl wlrflt.
neuengaflte daö nicht; er ötlejö einen an und Wechte ihn aufl £/)ie ölllde Q/lluhl’c öteht hoch und wartet. oJchauernd
„ 2Paö wl/löt £2u ?" flragte der andre Int föraunu wartet daö iflhorn und löchert öelne c/ige 2222)11112. *3lnd mit
,, £2aö löt doch hier die 22/iöel der ofellgen ? verirrten fl3fichen öleht daö gunije 223/1ädehen darübe/' hin.
7 ofla, nlchte der undIconnte haunt che 23£ugen £2)aö junge (2- ilüdehen-, daö- aufl dem QyJCählötein öltzt, alö
oflen lehalten. ob eö horche . .,

298
1896
JUGEND Nr. 19

Auf blanker Wehr, wohin ich seh', hei! in dem sonst so stillen Wald
Blitzt Frühroths lichter Schein; Regt sich's in Busch und Strauch!
Nun denk' ich an des Scheidens Weh Dort liegen sie im Hinterhalt
Und an der Trennung Pein: heimtückisch auf dem Bauch!
Ich ließ zurück ein liebes Rind Doch von der höhe Schuß auf Schuß
In Treuen mir vereint; Verderben über sie! —
Gott zähl die Thränc, die da rinnt! Brüllt sieghaft ihren Donnergruß
Herrgott, vergelt's dem Feind I Die reitende Batt'rie.

Nun braust ihr Rosse über's Feld, Den Schlachtendonner übertönt


Mit sturmbeschwingtem Huf! x Mein Lied und ruft Dir zu:
Dem Feinde in die Mhren 4 Du, Minne, die mein Leben
gellt, « krönt,
Trompeter euren Ruf! Mein Aampfesziel bist Du!
Nr. 19
1896

Mariage d’amour
ln der Stunde „französische Literatur“
Moralisch
Hört sie ’s zuerst: «mariage d’amour», Wir haben uns tief in die Augen geschaut,
Als Beispiel für »de« und den Genitiv — Es schlugen daraus zwei Flammen,
Da erwachte etwas das in ihr schlief. Der Anstand hat Barrikaden gebaut,
Sie zählte eben fünfzehn Jahr’ — So schlug denn die Gluth nicht zusammen.
Ihre Seele war blond, gleich ihrem Haar.
Was sie that und dachte und fühlte, war fein, Wir haben uns süsse Worte gesagt,
Wie sich’s geziemt für ein Jungfräulein. Von heissem verlangendem Lieben,
Sie sah den Lehrer sinnend an. Doch akademisch, Gott sei es geklagt,
Als „Ideal von einem Mann“ Sind’s immer nur Worte geblieben!
Ward er vom Pensionat verehrt —
Wie Jeder, der Literatur dort lehrt. Wir haben uns Verse dediziert —
Und dabei blieb’s. Bisweilen nur Oh Gott, wenn ein Andrer sie fände!
Zog’s durch ihr Herz: mariage d’amour.. Er hat mich auf dem Papier verführt,
Das hatte so einen süssen Klang Oder ich ihn am Ende!
Wie Quellenrauschen und Vogelsang,
Das hatte so einen holden Schein Nun hat uns das Schicksal zum Scheiden
Wie Mondstrahl und glitzernde Sternelein, verdammt,
Das hatte so einen berauschenden Duft Denn wir sind arm zum Erbarmen,
Wie blühende Blumen und Frühlingsluft. Nun führt mich ein Andrer auf’s Standesamt
Nicht viele Jahre gingen in’s Land, Und wird mich als Gatte umarmen.
Bis man ihr einen Gatten fand.
Sie wollte nicht — man sprach ihr zu — Wir hatten beide zu viel Moral,
Man frug sie: „Worauf wartest Du?“ Es konnte zu gar nichts kommen —
Sie wusste nicht Antwort. Es klang ihr nur Oh Adam und Eva von dazumal,
Im Herzen leis: mariage d’amour... Wo habt Ihr’s nur hergenommen?
Er war ein Mann in Würd’ und Amt,
Aus untadligem Haus entstammt, Ja richtig: Ihr fürchtetet nicht den Spott,
Selber untadlig in jedem Stück. Der Menschen Verachten und Hassen,
Und mit ihm in untadligem Glück Damals war Richter der liebe Gott,
Gingen die langen Jahre hin. Heut sind es die
Sie fühlte das Leben vorüberzieh’n, „besseren Klassen“!
Wie Wasser rann es ihr aus der Hand. KORY TOWSKY.
Gefestigt ward das heilige Band:
Kinder kamen. Spät und früh
Pflegt und lehrt sie mit eifriger Müh’.
Auch Französisch. Als Beispiel nur Sprüche
Für den Genitiv: mariage d’amour . . .
Der Vater starb, sie wurden gross — Erfahrung ist ein kostbar Ding
Werden und Welken ist Menschenloos. Und gilt doch keinen Pfifferling,
Und endlich kam der letzte Tag, Dieweil wir im Leben sie erst erlangen,
Da auf dem Sterbebett sie lag. Wenn nichts mehr damit anzufangen.
Die Kinder trauernd um sie her —
Sie aber kannte keines mehr. Die Blumen sind zu vielem gut;
So müde schaut sie vor sich hin, Der steckt sie jauchzend auf den Hut,
Als zog’ ihr das Leben durch den Sinn, Der weihet sie dem Gotteshaus,
Untadlig, ach, untadlig nur — Der macht ein heilsam’ Tränklein d’raus,
Ein letzter Hauch: mariage d’amour... Der mäht sie ab und dörret sie
MAX BERNSTEIN.
Als Futter für das liebe Vieh.

Heute lacht man über gestern,


Junge Weisheit Morgen über heut’;
i. Jeden Tag wird man gescheidter,
Wunderbar Aber nie gescheidt.
Ist ein Zopf von blondem Haar,
Und am wunderbarsten dann, Es gibt in uns’rer Lebenszeit
Hängt ein frecher Backfisch dran! So glückliche Momente,
Dass man des Daseins ganzes Leid
II.
Dabei vergessen könnte.
Für die Kunst: Sturm und Streit,
In der Kunst: Gelassenheit, ^ Wir glauben und hoffen und lieben so leicht,
Heisses Herz und stille Kraft Weil unser Erkennen nirgends reicht.
Das ist die Jugend, die Grosses
Wenn ich das Leben ernsthaft erfass,
HI. , Erscheint es wie ein sinnloser Spass;
Wenn mich Gott und die Welt verlasst,
Drück ich kühn die Mütze fest, Betracht’ ich es aber mit Humor,
Preis, vergnüglich früh und späte So kommt es mir ganz vernünftig vor.
Das Plak„ der Nürnberger Ausstellung nach Vorschlag A. Mo.
Deutschen Trutz und deutsche State. der „Jugend“ in Höhenformat ubersetat.
CARL BUSSE.

JOO
1896
JUGEND Nr. 19

Für die „Jugend“ gezeichnet von P. W. Keller-Reutlingen.

Abenöfmöe
^ic Abendröthe leuchtet aus dein See, ^erklärte Stille heiligt die Natur —
Lind eingerahmt von: Spiegelbild der Bäume, Und solchen Frieden wünsch' ich Deiner Seele:
Die regungslos und schattenhaft Die hehre, wundersame Ruh
Am Ufer steh'n wie todte Träume. Des Herzens, frei von Schuld und Fehle. mak!>». B»n.

;oi
Zeichnung von Fritz Rhein.

Angst. Sense und Sichel ruhten, die Schenken waren voller


Die Rosenkranzjungfer denn je; mochte die Ernte dauern — man sass und dis-
von C. Viebig. Berlin. curirte von der fremden Krankheit und goss Branntwein die
Die Luft ist schwül. Im Feld liegen die Aehren wie trockene Kehle hinunter und erhitzte sich und lärmte und
niedergemäht von Regengüssen; der Himmel ist bleigrau, hieb mit der Faust auf den Tisch.
durchzuckt von fernen Blitzen. Unter den Hecken am Weg Die Weiber lagen auf den Fliesen der Kirche, heulten
spriessen giftige Pilze, langstenglige, mit braunen schuppigen im Chor und schlugen die Brüste. In der eisigen Kirchen
Spitzdächelchen. Drüben unter dem hohen Gras an den dämmerung quollen Weihrauchwolken, qualmten geweihte
Sumpflachen raschelt es — Nattern sind’s, sie züngeln und Kerzen, die Heiligenbilder an den Wänden schauten wie durch
ringeln sich zusammen und ruhen wohlig im treibhauswarmen, dicken Flor. Draussen war’s wie ein Backofen, drinnen wie
durchbrüteten Versteck. ein Keller — draussen war das Sterben, aber hier das ewige
Ueber dem Dorf schwebt ein Brodem. Ein unsichtbares Leben. Und Jung und Alt liess die glühenden Backen ver-
Etwas mit schwarzen, schweren Flügeln hockt auf den tief- kühlen und lag auf den Knieen, bis fröstelnde Schauer über
hängenden Strohdächern. Es geht um im Dorf; es guckt in den Rücken rieselten.
die niedrigen Fenster; es klopft an die blinden Scheiben; es Am Ende des Dorfes, wo der Weg in die Wiesen schlängelt,
rührt das Glöcklein im Kirchthurm, bis das wimmert. Es steht das Haus des Ende-Lange. Tritt man hinter den halb-
spricht den Leuten aus den gelben Gesichtern; es sieht aus verfallenen Schuppen, so sieht man erst über den Pfuhl mit
den tiefliegenden Augen; es tippt ihnen an die Schläfen, dass grünem schleimigen Entengries bezogen, dann über die üppige
die stechen und hämmern; es stellt den Menschen ein Bein, Grasfläche und zuletzt den schwarzblauen Saum des Kiefern-
dass sie Umfallen matt, wie die Fliegen. waldes.
Das starke „Es“! Der Ende-Lange ist wohlhabend, er hat eine reiche Bäuerin
Im Dorf ist das Sterben. Der Typhus wüthet. Woher er geheiratet. Er ist ein hübscher junger Mensch; sie ist hager
gekommen ist, man weiss es nicht — wohin er gehen wird, und knochig und hält ihren Mann knapp — man weiss warum,
wann er gehen wird, auch das weiss man nicht. Ueber Nacht sagen die Leute. Der Ende-Lange pfeift sich gern eins und
war er da; er fiel den Mann an, der aus der Schenke nach betreibt ein Leben im Hof und in den Ställen; jetzt ist nichts
Hause taumelte durch die weissen Nebel, die von den feuchten davon zu spüren. Im Koben grunzen die Schweine und
Wiesen in die Gassen huschen. Neun Tage raste das Blut, stossen mit den borstigen Schnauzen wüthend gegen die
fieberten alle Pulse, wurden die Lippen schwarzblau und Klappe des Trogs, im Stall brüllen dumpf die Kühe — wun-
trocken — dann war’s aus, und die Frau legte sich in das dern sie sich, dass ihr lustiger Herr nicht kommt? Aber
noch warme Bett des Todten und zog das rothblaue Feder- auch sonst Niemand, und es ist doch Futterzeit. Vom Kirch-
bett abergläubisch furchtsam über die Ohren. Nach wenigen thurm bimmelt es Mittag. Heut sind sie vergessen — zum
Tagen war’s wiederum aus, man schaufelte auf dem Kirchhof, ersten Mal!
mitten im Ort, neben dem frischen Grab ein noch frischeres. Drinnen in der dunstigen Stube lag der Ende-Lange im
Der alte Kirchhof war seitdem schon voll geworden man Sterben.
musste an den neuen, draussen neben der Landstrasse, denken. Eben hatte der Herr Propst das Haus verlassen, hinter
Es packte die Leute mit den wetterharten Zügen doch wie sich die scheu blickenden Messjungen. Er hatte die Sterbe-

302
Sakramente ertheilt nun konnte die arme Seele in Frieden alles fertig — aber immer noch nicht, immer noch nicht!
Fahren; aber sie fuhr nicht ab. Die Stola war längst um die Den Wartenden wurde die Zeit lang.
Ecke verschwunden, der Weihrauchduft im niedern Zimmer Die alte, verkindete Mutter sass, blöd vor sich hinnickend,
verweht; die weise Frau, die Neuberten, hatte schon das am Fenster Im Schatten des Bettes lehnte die Bäuerin, die
Kopfkissen unter’m Haupt des Kranken weggezogen, es war Arme unter der Brust gekreuzt; seit drei Tagen trug sie schon

3°3
Nr. 19 JUGEND 1896

ein schwarzes raschelndes Trauerkleid. Mitten im Zimmer, is, die nich mehr rein an Leib und Seel thut sein da kann
hinter der weisen Frau, die jeden Zug im Antlitz des Kranken der Kranke nich sterben. Sie hält mit ihrer Lüg die Seel
belauerte, knieten die Rosenkranzjungfern, zwölf an der Zahl. auf — — alle Strafen der Höll über die Betrügerin — ewige
Sie hatten schon gestern hier auf den Knieen gelegen, heute Verdamniss — mag sie im Fegfeuer brennen!“ Sie schwieg
waren sie wieder da. Sie beteten und beteten. wieder und presste die Lippen zusamrpen!
„Vater unser, der Du bist in dem Himmel —“ Eilfertig glitten die Fliegen auf und ab — sum sum, surr
„Gegrüsset seist Du, Maria, voll der Gnaden, der Herr surr, ss....— das einzige Fenster war fest geschlossen, die
ist mit Dir-—“ Thür auch; die Luft dick zum Schneiden, geschwängert von
Vaterunser — gegrüsset — Kügelchen auf Kügelchen Miasmen. Eine lähmende Mattigkeit kroch aus den Ecken.
rollte am Rosenkranz, schläfrig lallten die Lippen. Es summte Das Röcheln im Bett wurde stärker, die Augen des Liegenden
und surrte mit den Fliegen um die Wette, die schwarz an verdrehten sich, die Nase so spitz, das Kinn sank herunter. —
der Stubendecke klebten und in Schwärmen über dem Kranken „Nu stirbt er! Bäuerin, tretet’ran“, sagte die Neuberten.
sich drehten. Sie klebten auf den schweissgetränkten Haaren, „Er kann nicht!“ Die Bäuerin rührte sich nicht.
auf dem gewürfelten Bettzeug, auf den armen Händen, die Da — plötzlich ein dumpfer Schrei! Die blonde Maria,
angstvoll über die Decke fingerten. Niemand jagte die surren- vorn in der ersten Reihe, Hess rasselnd den Rosenkranz zur
den Quälgeister fort — für was auch? er fühlte ja nichts mehr. Erde fallen; mit verstörtem Blick schaute sie irr um sich,
Und sie glitschten auf und ab mit den dünnen Beinchen, schlug mit den Händen wild in die Luft, sprang taumelnd
über die halbgebrochenen Augen, über die vertrockneten Lippen auf und stürzte vorwärts wieder zusammen, die Stirn auf die
— jetzt röchelte der Mund — die weise Frau beugte sich Bettkante schlagend.
über’s Bett — — Allgemeiner Tumult! Wie eine Schaar verschüchterter
„Noch nicht“, seufzte sie nach einer Weile, „er thut Gänse drängten sich die Mädchen auf einander — bange Se-
schwer sterben! Wundert mich, wundert mich“, setzte sie kunden verstrichen. Endlich rafften die zwei Nächsten die
kopfschüttelnd hinzu, „es sein doch die zwölf tugendhaftsten Gefährtin auf; sie fassten sie unter die Arme, zerrten sie
Jungfern aus em Dorf, an keiner en Makel — Jesus Maria empor und schleiften sie zur Thür. Der hübsche Kopf war
Joseph! Betet Kinder, betet fleissig, dass die arme Seel ab- der Ohnmächtigen auf die Schulter gesunken, alle sahen die
scheiden kann!“ fahle Blässe auf den weichen Zügen und den perlenden
Wieder rollten die Kügelchen, die Häupter senkten sich, Schweiss auf der Stirn.
emsiger murmelten die Lippen. Niemand hatte des Sterbenden acht. Vom Gepolter an
Sie waren sich alle ihrer Aufgabe bewusst; sie waren die seinem Lager noch einmal zurückgerufen, riss er die Lider
zwölf tugendhaftesten Jungfrauen im Dorf, rein an Leib und in die Höh, ohne zu sehen ; er bäumte sich mit geballten
Seele. Sie waren der Stolz der Gemeinde; sie trugen die Fäusten, seine Lippen versuchten noch ein letztes unartiku-
Marienfahne bei der Prozession; sie schmückten den Altar Iirtes Stöhnen — „Mar“-
der Hochheiligsten; sie knieten vorn in der Messe, und wo „Still!“ sagte die Bäuerin und legte die eiseskalte Hand
eine Seele abscheiden wollte, da wurden sie gerufen. Auf den fest auf den zuckenden Mund — noch ein Bäumen — —!
Schwingen ihrer reinen Gebete stieg sie leicht zum Himmel. Die Thür schloss sich hinter der wankenden Gestalt der
Nur hier nicht. Blonden — der Bauer war nicht mehr, seines Weibes Finger
Der Blick der Ende-Lange-Bäuerin ruhte finster auf den drückten ihm eben die gebrochenen Augen zu.
Betenden. Er bohrte sich förmlich in das Gesicht der Einen,
der Blonden, da vorn in der ersten Reihe — Maria Lenack,
nur eine Häuslerstochter, aber die schönste, die frömmste Bei dem Begräbniss des Ende-Lange weinte seine Wittwe
aus dem Rosenkranz — wie bleich sie jetzt war! nicht. Sie war ein starkes Weib. Die Lippen fest aufeinander
Des Weibes knochige Hand streckte sich aus, als wolle gepresst, das Gebetbuch im weissen gestickten Taschentuch
sie die Blonde, da vorne, wegzerren, wegstossen. gegen das Herz gedrückt, schritt sie gemessen, in neuen
„Du Königin der Jungfrauen! knarrenden Lederschuhen hinter dem Sarge drein. Ohne mit
„Du Königin des hochheiligen Rosenkranzes! der Wimper zu zucken, hörte sie die Erdschollen nieder-
„Gegrüsset seist Du —!“ prasseln. Schweren Tritts wandelte sie dann langsam wieder
— Die Hand sank wieder herab und hing schlaff in den heim, und während drinnen Verwandte und Gefreundte bei
Falten des schwarzen Trauerkleides. Aber der finstre, düster Bier, Schnaps, Braten und Kuchen dem Bauer die letzte
drohende Blich hielt an. Er schoss stechend hin und her, Ehre anthaten, ging sie hinaus in den Stall und fütterte
vom Bett des Kranken bis zu dem jungen blonden Gesicht. ihr Vieh.
Wenn die Ende-Lange-Bäuerin hätte reden wollen! Aber Hinter den halbverfallnen Schuppen warf sie einen Blick
sie blieb stumm; nur nach langer Weile sagte ihre harte ein- — da grünte das Gras, da blaute der Wald in der Ferne —
tönige Stimme: sie dachte an ihren Mann, den Ende-Lange, aber keine Thräne
„Se erzählen sich en alte Geschieht — ich weiss nich kam in ihre Augen.
ob se wahr is — wann unter den Rosenkranzjungfern eine Sie hatte ihn längst verloren — hier waPsl

Gezeichnet von Hegenbart.

*04
1896
• JUGEND • Nr. 19

«C’est mon portrait, quand j’avais dix-huit ans.»


— „Votre excellence n’a pas change...
(„Das Portrait stellt mich als Achtzehnjährige dar.“
— „Excellenz haben sich nicht verändert.“)

305
Nr. 19 JUGEND 1896

Nur selten für ein fromm' Gcmüth gibt's so ein Schauspiel mehr,
Drum inszenirt Aloysius in seiner Lhristenlehr'
Jm Hinblick auf die Ewigkeit — thut's auch ein wenig weh —
Sein lustiges, klein winziges Sxezialautod>afs.

Ain Berghang nah am Pfarrhaus dort zu Kundl in Tirol,


Da wüßt ich einen Haselbusch mit schlanken Gerten wohl..
Und nebendran steht eine Bank — der Platz ist kühl und still.
Es findet hier Gelegenheit, wer Einen prügeln will.
Und haut er sieben Stecken ab, ist weiter drum nicht schad,
Ls hält der gute Haselbusch den Achten schon parat.
Und wenn Dem, der gehauen wird, der Sitztheil etwas brennt -
Ls kann ihm ja nur dienlich sein, wenn er den Rummel kennt,
Er nehin' die Sache christlich ans und ziehe d'raus die Lehr:
„Genau so brennt die Höllcngluth, blos noch ein Bisserl mehrl"
D.

Ad majorem Dei gloriam


„In der höheren Klasse der Volksschule zu Kundl
in Tirol verbreitete sich unlängst der Katechet und
Kooperator Alois Schiestl in längerem Scrmoit über die
Dualen der Hölle und des Fegefeuers und lud dabei die
Mädchen ein, sich in sein Zimmer zu begeben, wo er
ihnen diese Dualen noch besser veranschaulichen wolle.
Einige Mädchen gingen wirklich mit. Der Herr Koo-
perator zündete eine Kerze an und hielt die Finger der
Mädchen über die Flamme. (I) Nun fühlte sich ein Mäd-
chen, durch den Schmerz gezwungen, veranlaßt, das
„Fegefeuer", i. e. die Flamme, auszublasen. Darüber
erbost, nahm der Herr Katechet das Mädchen zwischen
die Knie und hielt dessen Finger so lange über das Licht,
bis es Blasen und eine Entzündung bekam, so daß die
Hilfe des Arztes in Anspruch genommen werden mußte."

Gedanken
Das ist der Herr Aloysius zu Kundl in Tirol, Wie glücklich wäre Mancher, wenn er von Nützlichem
Der sorgt als frommer Katechet für der Gemeinde Wohl; soviel wüsste, als er von Unnützem zu viel weiss. r. gr.
Wenn er zu kleinen Mägdelein von: Fegefeuer spricht, Ebenso wichtig wie das Lernen, ist das Verlernen, r.gr.
So hält er ihnen Stück um Stück die Finger über's Licht. Ein halber Erfolg ist auch ein halber Misserfolg, j. m.
Und wenn die armen Würmer dann vor Schmerzen Zeter schrei'n,
Dann schaut der Herr Aloysius mit sanftem Schmunzeln drein. Die geizige Tante
Und spricht: „(Seit Maderln, das thut weh? Nun zieht daraus Mama: Nun, Elsclien, was hat Dir die Tante denn geschenkt zum
Geburtstage?
die Lehr: Elsclien: Oh Mama! Sie hat mich einmal an ihrem Migränestift
Genau so brennt die Höllengluth, blos noch ein Bisserl mehr!" — riechen lassen. * w. w.
Grob
Zu Kundl Herr Aloysius ist gar ein feiner Christ, Der kleine Otto: „Papa, warum weinen denn die Leute eigentlich
Verbindet das, was angenehm, mit dem, was nützlich ist. bei der Hochzeit?“
Daß das Exempel nützlich wirkt, ist jedem Biedern klar, Vater (der sich eben mit seiner Frau gezankt hat): „Weil sie sich
Respekt kriegt vor der Hölle so schon früh die Kindcrschaar
verheirathen.“
Und ferner kitzclts angenehm den wackern Gottesmanu, Die Ungläubige
Weil er sich mit den Kindlein so viel Spaß bereiten kann; Backfisch: Sieh mal, Toni, den Storch!
Verschwunden ist die schöne Zeit Sankt Torquemada's, da Freundin: Ach geh', — ich glaub’ doch nicht an den Storch.
Man Ketzer noch am Spieße briet und die Hexen brennen sah. J. M.

306
uer bcnmetterling aber lächelte ___
zur Antwort turnte er
Mistkäferschwärmerei sich gar nicht veranlasst — und flatterte fort; hinauf zum
Schloss, zu den duftenden Rosen.
Ein Schmetterling flog an dem Dunghaufen vorbei, in „Was liegt denn da auf unserem Hügel?“ fragte nach
den sich gerade ein behäbiger Mistkäfer langsam und faul einigen Tagen der Mistkäfer die Schnecke. „Ich glaube gar
einwühlte. „Wo willst Du hin?“ rief ihm der Käfer zu. das ist der Schmetterling von vor-
„Droben zum Gipfel, wo die duftenden Rosen blühen!“ er- gestern. Das hat er nun von sei-
widerte der Falter. „Du hast wohl nicht so grosse Eile; warte nem unnatürlichem Leben! Wes-
also ein wenig, bis ich alles, was ich auf dem Herzen trage, halb musste er auch
gefragt habe. Weshalb willst Du dort hinauf? Ist’s nicht hier fliegen, wo ein verstän-
auf dem duftigen Hügel ebenso schön? Höheres gibt es über- diges Thier kriecht,
haupt nicht! — Ich glaube gar, Du willst mich zum Narren hübsch bedächtig kriecht?
halten! — Was soll das eigentlich heissen, dass Du fliegst? Eigensinniges Geschöpf!
Kannst Du nicht ebenso kriechen, wie wir? Fliegen ist un- Jetzt ist er draussen erfroren,
natürlich ; das Normale ist kriechen: dafür habe ich den Regen- während wir warm in unserem
wurm, die Schnecke und den Egel als Autoritäten. Ich könnte Mist gesessen haben. Ich kann
es doch auch, aber thue ich’s denn? — Seid doch wie wir, ihn gar nicht einmal bemitleiden:
dann fehlt Euch nichts zum Glück. Ist der Dunghaufen nicht er hat ja sein Unglück selbstver-
geradezu ein Paradies?“ schuldet!“ L. WETZLAR.

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verdaulichsten flüssigen Form. llaemoglobin ist die natürliche organische Eisen-Mangan-Salzverhindung der Nahrungs-
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Herausgeber: Dr. GEORG HIRTH; verantwortlicher Redakteur; F. von OSTINI; verantwortlich für den Inseratentheil: G. EICHMANN, G. HIRTH’s Kunstverlag; sämmtlich in München.
Druck von KNORR Sc HIRTH, Ges. m. beschr. Haftung in München.
I. Jahrgang • Nr. 20

Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben. — G. Hirth’s Verlag in München & Leipzig,
Nr. 20 JUGEND 1896

's war ein Bild, die schöne schlanke Paul versuchte indess mit männlicher
Frau, wie sie so vor ihrem Schmuck- Energie, Mamas neues Bracelet zu zer-
tische stand, die rosigen Fingerspitzen brechen, aber Mama wies ihn nicht wie
auf den weichen Peluche gestemmt, das feine gewöhnlich mit einer unwilligen Beweg-
Köpfchen mit dem vollen Haar ein wenig ung zurecht, sie war heute milde gestimmt,
übergeneigt, und mit glückseligem Lächeln so dass sie den Krauskopf des Jungen an
niederschaute auf all’ die zarten Aufmerk- sich zog und streichelte, was dieser wieder
samkeiten, die man ihr zum heutigen Ge- dazu benützte, sie in den Seidenärmel zu
burtstage geschenkt. Da standen Körbe beissen.
hellfarbiger Blumen, rund um den Tisch Währenddem stiess das Fräulein die
aufgestellt, von Geschäftsfreunden ihres kleine Fritzi einigemale an; diese nahm
Mannes geschickt, da lagen Sträusse, in dann immer wieder einen Anlauf, als wolle
vornehme weisse Manschetten gepresst, sie ein Regierungsprogramm entwickeln
von den vielen Leuten, die sich die Kund- und öffnete krampfhaft den Mund, wie
schaft ihres Hauses erhalten wollten, da ein Fisch im Sande. Schliesslich aber
lag auch ein Bouquet hellfarbiger Rosen, mochte sie einsehen, dass sie ihrer Stell-
von ihrem jungen Hausarzt geschickt, da ung im Hause schuldig sei, ihren beiden
stand ein Teller mit einer feinen Hand- Brüdern, die sie bemutterte, ein Beispiel
malerei, von ihrer jungen Nichte, die ja zu geben und sie begann: „Hochverehrte
so viel Talent hatte, und auf dem Teller Eltern . . . .“
lag eine ganze Menge von farbigen duft- „Mais oü penses-tu? Woran denkst
igen Briefchen, geschrieben von ihren Du wieder“, sagte das Fräulein wüthend.
vielen lieben Freundinnen, die sich nie Fritzi war entrüstet: „Es steht doch
ihren Geburtstag entgehen Hessen, ohne so im Buch!“
ihr zu gratuliren; — da war schliesslich „Im Buch’ ist’s doch eine Neujahrs-
ein Bracelet von seltener Geschmacklosig- gratulation.“
keit, das ihr der liebe Papa geschenkt, und „Schon gut! Schon gut!“ sagte die
vor allem lag da — die Krone all’ dieser schöne Frau begütigend. „Sei nur recht
Herrlichkeiten — das sinnige Geschenk brav, Fritzi, und kneip’ den Hans nicht
des praktischen Gemahls, der den Traum immer in die Beine. Das ist mir das
ihres Herzens zu errathen gewusst: Eine liebste Geburtstagsgeschenk.“
Geldbanknote von verheissungsvollem Um- Paul musste unbedingt etwas auf dem
fange. Träumerisch sah die schöne Frau Herzen haben. Er schlang beide Arme
auf diese Banknote hernieder, und träu- um Mamas Taille und drückte sie an sich,
merisch lächelnd hob sie den Blick und so fest er konnte. Leider gelang es ihm
sah zwischen den dunkelrothen Portieren nicht, Mama schreien zu machen, wie er
hinaus auf die frischbeschneiten Bäume beabsichtigt hatte: Entweder war Mama
ihres Gartens, auf denen die Strahlen der an solche Umarmungen schon gewöhnt
Sonne bläulich blitzten. — oder er war noch zu schwach! — Nun
Jetzt kamen die Kinder. schaute er spitzbübisch lächelnd zum Fräu-
„Wir gratuliren!“ riefen drei helle Stim- lein hinüber, die in diesem Blicke schon
men, und mit verlegener Lustigkeit stürm- ein Unheil ahnte, und fragte dabei zu
ten die Kleinen herein, gefolgt von dem zum Mama hinauf: „Du, Mama, sag’ einmal,
Ernste mahnenden Fräulein. Die schöne wie alt bist Du denn eigentlich heute?“
Frau küsste sie alle ab, den ältesten, den „Ja, Mama, wie alt bist Du?“ rief auch
Paul, der schon 12 Jahre war, und die zehn- Fritzi.
jährige blonde Fritzi, und den sechsjährigen „Wie alt, Mama —?“ fragte der kleine,
Hans, der noch nicht die erfahrene Lebens- aber dicke Hans.
klugheit und den sicheren Takt seiner Ge- Die schöne Frau suchte zu lächeln.
schwister besass, und, die grossen unschul- Sie zog eine Düte aus dem Sacke und
digen Augen starr auf Mamas linken Mittel- hielt sie hoch in die Luft: „Seht Ihr, das
Zierleiste finger gerichtet, ganz unnöthiger Weise noch hab ich Euch gestern mitgebracht — ver-
gezeichnet von J. Berchtold. einmal wiederholte: Wir gratuliren. zuckerte Kastanien!“


1896 JUGEND Nr. 20

Auf dem See Zeichnung von Max Eichler

Nunmehr betheiligte sich auch der alle Jahre, alle Jahre_und mit ihnen wird auf und näherte es ihrem rosigen Gesicht-
dumme Hans an der Diskussion. Er zappel- auch sie älter, unaufhaltsam, unaufhaltsam. chen. Und dabei besah sie sich wieder im
te nämlich. Sie trat vor den venetianischen Putz- Spiegel. Man könnte sie auch ganz leicht
„Pst! Jeder eine!“ sagte Mama war- spiegel und lächelte melancholisch: Un- für noch jünger halten. Ueberhaupt im
nend. „Sonst esst Ihr zu Mittag nichts!“ aufhaltsam. — Nein, wenn sie so melan- Profil. Mit Hilfe eines zweiten Spiegels
Paul verzehrte mit aller Ruhe seine cholisch lächelte, da war sie entzückend besah sie sich nun im Profil. Da sah sie
Kastanie, und nachdem er das letzte Stäub- schön, das kleidete sie sehr gut! und vor aus, als wäre sie zwanzigjährig. Und über-
chen sorgfältig ausgesaugt hatte, fragte er: Vergnügen lächelte sie gleich noch einmal haupt dieser Nacken und der Hals. Sie
„Also sag’, Mama, wie alt bist Du?“ melancholisch. öffnete ein wenig den Kragen, um den Hals
Die schöne Frau runzelte ein wenig Um aber den richtigen Effekt heraus- besser sehen zu können. Wie blendend
die Brauen. Aber sofort wurde sie wieder zubringen, sprach sie dazu die Worte: „Ich weiss und zart! Sie hatte nie einen schö-
lieb und freundlich. bin ja schon alt!-Ich bin ja schon neren Hals gesehen! —
„Morgen geh’ ich mit Euch auf’s Eis, alt! — Ich bin eine alte Frau — — —!“ Und nun lächelte sie stolz. Aber man
Kinder“, sagte sie, „aber wer wird mich Ja, so machte sie Sklaven. So hatte sie im vergötterte sie auch, wo sie sich zeigte.
führen?“ vorigen Jahre einem jungen und schüch- Ueberhaupt die Männer. Keiner wider-
„O, ich führ’ Dich ganz allein!“ ver- ternen Arzt geantwortet, der ihr versicherte, stand ihrem Zauber. So ein Blick, oder
sicherte Paul ein wenig geringschätzig. er hätte noch niemals eine schönere Frau so ein Lächeln, und ein jeder war ihr
„So, wirklich!?... Na...“ entgegnete gesehen, als sie. „Ach Gott!“ hatte sie Sklave. Und auch der Herr Doctor, ja, ja,
Mama und bemühte sich, ungläubig zu melancholisch geseufzt, „ich bin ja schon der sie für 28 Jahre hielt. O, manchmal
lächeln. alt_!“ verräth er sich, wenn er ihr den Puls fühlt,
„O ja, Mama.Aber wie alt bist Du ?“ Und derselbe schüchterne, hübsche Doc- oder wenn er ihr die Hand küsst, was er
„Sag’ Mama!“ tor hatte ihr versichert, er kenne das Alter ihr aus Schüchternheit nie einzugestehen
Das Antlitz der schönen Frau ward ernst: einer Frau sofort, ihm gegenüber gäbe es wagte. Und das freute sie, denn er
„Eine Dame fragt man nie nach ihrem Alter, keine Verstellung. Da hatte sie gelächelt. war ein sehr hübscher, junger Mann_
merk’ Dir das, Paul. — Das ist eine grosse, So hatte sie gelächelt, mit solch’ einem Nicht etwa, dass sie ihn liebte, — o, sie
grosse Ungezogenheit.“ Blick — nein, übrigens nicht so — so! war viel zu gut erzogen, als dass sie je in
Paul setzte sich darüber hinweg. „Du Schalkhaft und ungläubig. Ja, so. ihrem Leben jemanden geliebt hätte! —
musst mir’s sagen“, beharrte er. „Papa ist „Nun — Herr Doctor — für wie alt hal- oder, dass sie ihm je die kleinste Gunst
44. Bist Du auch 44?“ ten Sie mich?“ hatte sie schelmisch gefragt. gewährt hätte, oh! oh! (diese Entrüstung
„Ja!“ sagte Mama und lächelte wieder. Der schüchterne, junge Mann wurde augen- steht ihr auch sehr gut). Sie ist ja eine
„Wer weiss?!“ meinte die kleine Fritzi scheinlich verlegen — das hatte sie so gerne, anständige Frau; sie war ja, Gott sei Dank,
misstrauisch. wenn die jungen Männer in Verlegenheit immer in der Lage, es sein zu können, —
Das Fräulein erkannte das Gefährliche kamen- doch erbeharrte: „Auch bei Ihnen, aber, dass ein Mann in sie verliebt sei, das
der Lage; und rasch gefasst, sagte sie: schöne Frau, bin ich meiner Sache ganz freute sie dennoch. — Und er hält sie für
>,U faut parier frangais, mes cheris.“ sicher_“ „Nun, sprechen Sie!“ hatte sie 28 Jahre, ha — Ha —, und ist noch stolz
„Oui, oui“, begann Mama, um ein Bei- ihn ermuthigt. „Meine Gnädige“, erwiderte auf seinen Kennerblick!
spiel zu geben. er, „mein Urtheil ist nicht galant.“ „Ich Ja, wenn er wüsste, wie alt sein Ideal
Aber Paul war heute verwegen; er fragte: bin nicht eitel!“ versicherte sie. „Nun in Wahrheit ist, der gute Doctor; — wenn
„Eh bien, raaman, quel äge as-tu?“ denn“, wagte er schliesslich, „auf die Ge- sie so eines Augenblicks vor ihn hinträte
Die Schöne hob ihre schönen Augen zur fahr, Ihnen zu missfallen, — Sie zählen — und spräche: Ja, mein lieber junger Doctor,
Decke und seufzte ein wenig verzweifelt; Sie sind 28 Jahre alt!“ „Das ist wissen Sie, wie alt ich wirklich bin, ich,
da konnte nur noch Energie helfen. unheimlich!“ hatte sie gelacht, „das ist un- diese schöne, schlanke Frau, mit den
„Ich habe jetzt keine Zeit für Eure heimlich. Sie sind ein gefährlicher Mensch, schwarzen, heissen Augen, mit den blut-
Dummheiten“, sagte sie streng, „ich muss Herr Doctor! — hahaha!“ Und so hatte sie rothen Lippen, mit den rosigen Wangen
jetzt wirthschaften. Lasst mich allein.“ Und gelächelt, mit erschreckten, verwundenen und der weissen Stirn — wissen Sie, Herr
mit werkthätiger Unterstützung des Fräu- Augen, und ihre Perlenzähne gezeigt. — Doctor, dass ich eine alte Frau bin — ja
leins schob sie die drei zur Thüre hinaus, Und seither ward der junge Doctor ihr eine alte Frau —, dass ich heute 34 Jahre
zuletzt Paul, der noch in der Thüre die Hausarzt. — Uebrigens ein sehr netter, bin! Jawohl — 34 Jahre.
entschlossene Versicherung abgab: junger Mann, der Herr Doctor — Das hell- Und in bester Laune lächelte sie traurig
„Du musst mir’s sagen, Mama!“ farbige Rosenbouquet, das er ihr heute ge- und träumerisch in den Spiegel, und wieder-
Und ein wenig wehmütig blickte sie schickt, und das aus 29 Rosen bestand, holte mit einem tiefen Seufzer ganz laut:
ihnen nach. Sie wurden älter und grösser, war wirklich reizend! Sie hob das Bouquet Jawohl, ich bin heut’ 34 Jahre!

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1896
Nr. 20 . JUGEND •
über ältere Frauen, die die Jugend krampfhaft
„Na, siehst Du, Mama, jetzt weiss ich’s!“ spielen wollten. Mein Gott! Das ist das
rief Paul, das lachende Gesicht zwischen der ewige Recht der Jugend. Sie weiss ja nicht,
Thüre. wie traurig es ist, Abschied zu nehmen, von
Da verzerrte sich das melancholische Jugend, Kraft und Schönheit, wie unendlich
Lächeln um den Mund der schönen Frau, traurig für eine schöne Frau es ist, zu ster-
ihre Perlenzähne knirschten, eine Blutwelle ben und sich selbst zu überleben!
stieg in ihr rosiges Antlitz, mit wilder Geberde Die schöne Frau schaute mit feuchtem
ergriff sie eine elfenbeinerne Kopfbürste und Blick hinüber nach dem mit Blumen und
stürzte auf den Kleinen zu, der vergnüglich Schmuck bedeckten Tischchen. Ach, alle diese
Mamas Aufregung mit ansah. Rosen und alle diese Glückwünsche und all’
„Willst Du wohl schweigen, Bengel!?“ der heitere Tand verdecken diese kleinen
schrie die schöne Frau, die feine Hand drohend Runzeln nicht, die da, unter den Augen. —
erhoben. Und Paul spielte mit Fritzi und Hans
Nun hatte die Sache für Paul erst Inter- „Familie.“ Paul war der gestrenge Papa, Hans,
esse. Wie ein Kannibale stürzte er in’s Vor- der zu jeder anderen gesellschaftlichen Funk-
zimmer, mit dem Kriegsgeheul: „Mama ist tion unbrauchbar, war das Kind und Fritzi war
34 Jahre alt!“ die Mama und war 34 Jahre alt. Und sie
Mama stand hinter der Thüre — eine jubelte darüber: 34 Jahre, 34 Jahre!
Medea. Erst wollte sie dem Verräther nach- Die schöne Frau aber begrub ihr Antlitz
eilen; aber sie erinnerte sich, dass sie das in dem weissen Felle der Chaiselongue, vor-
vor dem Fräulein blamieren würde. Sie ist sichtig, um die Frisur zu schonen, und weinte
also völlig machtlos, sie muss es dulden, so bitterlich als es ihr enges Mieder erlaubte.
dass ihr eigenes Kind ein Geheimniss ver- So fand sie auch der heimkehrende Gemahl.
fällt, das sie so ängstlich gehütet. Da stieg „Was hast Du denn, Schatz?“ fragte er
es ihr heiss in die Augen. in Angst um seine häusliche Ruhe.
Das ist der Dank der Kinder, dachte sie Da warf ihm die schöne Frau einen un-
mit Bitterkeit, dafür opfert man seine Jugend, gewöhnlich gereizten Blick zu.
dafür wacht man an ihrem Bette, wenn sie „Was ich habe?“ fuhr sie auf, „hörst Du
krank sind, und weint sich die schönen Augen denn nicht den Paul, wie er im ganzen Hause
wund. — Das ist der Dank. herumläuft und schreit: Mamaist34Jahre alt! —
Und tief verstimmt, mit zusammenge- Das geht doch niemanden etwas an! — Warum
zogenen Brauen schritt sie langsam dem erziehst Du Deine Kinder nicht besser?“
hohen Wandspiegel zu, der am Fenster stand. „Ja, um Gotteswillen!“ versetzte er tief-
Dabei horchte sie gespannt auf Pauls Stimme erschrocken, „wie hat er denn das heraus-
im Nebenzimmer, der seinen Geschwistern gebracht?“
jubelnd das überraschende Resultat seiner „Mein Gott! Er hat mich belauscht. Ich
Expedition verkündete: Mama ist 34 Jahre überdachte so bei mir, dass ich schon eine
alt! Um Mama’s Mund zuckte es wie bitterer alte Frau bin, und meinem lieben Mann doch
Hass. Es war zum ersten Male, dass sie ihr gar nicht mehr gefallen könnte!...“
Alter aus fremdem Munde erfuhr; und es war „Aber!“
der Mund des eigenen Kindes! — Traurig hob „Ja, ja! Und da sprach ich so vor mich
sie das Haupt und schaute in den Spiegel. hin: Wie könnte ich ihm auch gefallen, ich
Da stieg ihr eine dunkle Blutwelle in’s Ge- bin ja schon 34 Jahre alt! — Und das hat der
sicht, um Gottes Willen, wie hässlich sie Schlingel gehört!“
war! Sie stand hier so, dass von der einen Und bekümmert presste sie ihr Spitzen-
Seite das helle Schneelicht einfiel, während taschentuch vor die Augen.
auf der anderen das Dunkel des Zimmers „Dieses entartete Kind !“ entrüstete er sich,
gespenstische Furchen in ihr Antlitz zog. und umschlang die schöne Frau mit der ge-
Unter den Augen lagen unregelmässige tiefe läufigen Zärtlichkeit des langjährigen Gatten.
Schatten, um den Mund hatte das melan- „Aber schliesslich, tröste Dich, Kind! Sieh’,
cholische Lächeln einige melancholische kleine es ist ja noch ein Glück, dass Du Dich in
Falten zurückgelassen. Die Wangen waren Deinem Selbstgespräch nicht soweit hast hin-
durch die Aufregung, in der sie sich befand, reissen lassen, Dein wahres Alter anzugeben,
dunkelroth, was sich ungemein trivial aus- denn sonst würde der Paul doch gar im ganzen
nahm .... Hause ausschreien: Mama ist 37 Jahre alt!“
Mit einem schweren Seufzer liess sie sich
auf die Chaiselongue gleiten; zum ersten-
male in ihrem Leben wehte sie der Hauch dt*
des Todes an, dass sie erschrak. Sie ist
also alt! —
Heute nur bei scharfer Schneebeleuchtung; Die bösen Zungen
nächstes Jahr an allen hellen Tagen, in fünf
Jahren auch am Abend bei verjüngendem Zu Fulda über den Marktplatz
Lampenlicht. Sie ist also alt, — älter vielleicht Ging einer um Mitternacht,
als sie selber annimmt. Andere Leute haben Der war von seiner Frau Mutter
die Runzeln vielleicht schon so und so lange Sonntags zur Welt gebracht.
bemerkt, und haben sich über sie lustig ge-
macht, dass sie die Jugendliche spiele. Es Der sah in der Geisterstunde
gibt ja nichts, was lächerlicher wäre als eine Ein lustiges Strafgericht:
alternde Schönheit. Wie oft hatte sie selbst Hell liegt die Rathhaustreppe
als Mädchen, als junge Frau, Thränen gelacht Gezeichnet von L. Corinth. In feuerrothem Licht;

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1896 JUGEND Nr. 20

Zeichnung von Jtraiu Naagcr.


Die bösen Zungen
Nr. 20 JUGEND 1896

Und um den Brunnen stehen Nun reden die bösen Zungen Sie müssen lecken, schlecken,
Weibsen mit Eimer und Krug, Kein Sterbenswörtchen mehr; Bis dass die Treppe rein;
Die stecken die Köpfe zusammen Zur Treppe gehn die Weibsen, Sie Hessen es lieber bleiben,
Und raunen Lug und Trug; Der Gang wird ihnen schwer. Sie sehen sauer d’rein.

Sie lehnen sich über die Brüstung Sie steigen und netzen die Stufen Doch auf der obersten Stufe
Und beugen sich zum Grund, Und lassen sich nieder auPs Kniee — Der Teufel sitzt und lacht,
Doch schöpfen sie nicht mit den Eimern, Und mit den bösen Zungen Sieht zu dem Höllenspasse,
Sie schöpfen mit dem Mund. Die Treppe waschen sie. Der ihm Vergnügen macht.
ALBERT MATTHAEI.

Es soll ein Zeichen unserer Beschränktheit sein, dass


Gedanken einer Frau wir gar kein Verständniss für Politik haben. Wir kennen eben
noch etwas Höheres, aber ich will es für mich behalten und
Schwestern, seid vorsichtig: bleibt ernst, wenn die Männer
euch nicht eingebildet machen.
vom schwachen Geschlechte reden, und lächelt nicht, wenn
ihr sie das starke nennt! Manchmal begehen wir auch Dummheiten; aber nur, wenn
wir lieben.
Wenn man mit den Männern richtig umzugehen weiss,
so ist eine schwache Seite gerade so viel werth, wie ein Den hingeworfenen Fehdehandschuh der Gegnerin heben
gutes Herz. wir auf, um ihre — Handschuhnummer zu erfahren.
ERNST FLEISCHHAUER.
Durch vieles Geld kommen wir nur auf unnütze Ge-
danken, und wir sind viel glücklicher, wenn ihr nichts habt
und uns zu imponiren wisst.
Es ist nicht unwürdig, den Mann anzubeten, der uns mit
der Reitpeitsche schlägt; aber es ist namenlos gemein, sich
einen neuen Hut ausreden zu lassen.

Wenn ihr nur wüsstet, wie gut euch so ein Bisschen


Brutalität und Grausamkeit steht; ihr würdet es dann nicht
immer wieder mit dem unglückseligen Werthergesicht probiren. Der Jugend dies Glas!
Ihr mögt es glauben oder nicht: kokett — sind wir alle; Der Jugend dies Glas, der beflügelten Schaar,
freilich ist manche von uns klug genug, es euch nicht merken Mit dem leuchtenden Blick, mit dem wallenden Haar,
zu lassen. Mit der Lippe, die singt, weil der Odem sie hebt,
Mit der Seele, die jauchzt, weil sie athmet und lebt,
Goethe, der grosse Frauenkenner, — oder war es Schiller? — Weil die Welt ihr noch leuchtet im lachenden Schein,
sagt einmal irgend wo sehr treffend: Derbrave Mann denkt Denn die Jugend ist Glück, und ist Glück nur allein!
an sich selbst zuletzt. Der Jugend dies Glas!
Denkt nur nicht, dass wir eine einheitliche grosse Liga
gegen euch bilden; so wie Frauen sich hassen können, hassen Dem Reigen, der durch die Geschlechter hinschwebt,
sich Männer nie. So lange die Woge des Lebens sich hebt;
Aus des Ewigen Mund dem lebendigen Hauch,
Kriegführen und Heiraten ist ganz zweierlei, wenn auch Wie der Quell, wie der Strahl, wie die Rose am Strauch,
die meisten Menschen das Geld bei beiden für die Haupt- Dem Jubelaccord in dem Hochlied vom Sein!
sache halten. Zur Ehe gehört: erstens Liebe, zweitens Liebe, Denn die Jugend ist Glück, und ist Glück nur allein!
drittens Liebe. Der Jugend dies Glas! julius lohmeyer.
3i4
1896 JUGEND Nr. 20
Und ein Fünfter sprach endlich: „Es
kommt mir vor,
Die Sache gehört in ein anders Ressort,
Was schlagen wir uns um die Frage herum,
Dem Cultusministerum
Wollen wir zu gewogenem Entscheiden
Die Sache devotest mal erst unterbreiten!“
Dem hohen Ministerio
Erschien die Affaire zunächst „soso“,
Die Fakultät überlegte es sich Weil erstens derartige neue Sachen
Zu ernster Berathung — gelegentlich —, Sehr viel unnöthige Arbeit machen
Ob man in ihren geheiligten Schooss, Und zweitens, weil für diese vertrackten
Aufnehme ein Wesen, das doch blos, Geschichten in sämmtlichen früheren Akten
Nachweislich, offenbar und gewiss Kein Präcedenzfall zu finden war,
Nur feminin! generis. Der ohne Bedenken, klipp und klar
Es sei auch des Weitern doch sehr zu be- Aus der schwierigen Wirrniss den
sinnen, Ausweg zeigte
Wohin man käme, wenn Doktorinnen Und ferner, weil man zur Ansicht neigte,
Zu den allzuvielen Doktoren kämen, Dass, wenn man die Frau der Familie entzieht,
Die Praxis diesen wegzunehmen. Was doch sicher auf solche Weise geschieht
Und dann sei’s doch auch um die Moral: Und wär’s auch zum Nutzen der Schwachen
Man denke sich nur, welch’ ein Skandal, und Kranken,
Der Instanzenweg Wenn junge Studentinnen und Studenten, So kommt doch ein Pfeiler des Staates
Es war einmal ein Jungfräulein, Junge Aerztinnen und junge Patienten in’s Wanken;
Das wollte gern Fräulein Doktor sein, In oft recht heikler Situation Und in unseren Zeiten fortdauernder
Und drum studirte es Tag und Nacht, Zusammenkämen — das kenne man schon, Gährung,
Genau wie’s die männliche Jugend macht. Was da sich am Ende erwarten Hess 1 Und übertriebener Volksaufklärung
Dann stieg sie, wo das erlaubt ist für Damen, Und viertens und fünftens und überdies — Sei das sehr bedenklich! — Aufanderer Seite
Irgendwo in’s Maturitätsexamen, Am Ende beschloss man: die Sache geht Wär’ es nicht richtig, wenn man bestreite,
Und die Lehrer gaben dem Fräulein Zunächst zum Senat der Universität. Dass auch ein Schimmer natürlichen Rechts
Gertraude Spräche zu Gunsten des Frauengeschlechts.
Die Note I, summa cum laude. Und man dürfe die Frauen im Ganzen
Und von Begeisterung für die Musen und Grossen
Schwoll ihr der jungfräuliche Busen, Nicht gar zu sehr vor die Köpflein stossen,
Sie reiste sofort im schärfsten Trab Und aus diesen und etlichen andern
Nach X. X. der Universitätsstadt ab. Gründen
Und gab zunächst dort beim Quästor ein. Sei gar nicht so leicht eine Antwort zu finden,
Sie möchte gar gerne Studentin sein, Und zunächst sei die Polizeidirektion
Und zwar läge zunächst in ihrem Sinn Zu’fragen um ihre Opinion.
Das Studium der Medizin.
Auch der trat zusammen nach Monatsfrist,
Und da sprach der Eine: die Sache ist
Nicht ohne Bedenken. Man überlege,
Wie weit wir da kommen vom alten Wege!
Und ein Anderer sprach: „Unmassgeblich,
Der Grund erscheint mir denn doch nicht
erheblich!
Es ist in den letzten Jahren schon
Mit manch’ ehrwürdiger Institution
Gebrochen worden — die neue Zeit Auch die ist mit der, seit Alters gewohnten
Hat neue Rechte! Insonderheit'-“ Wuptizität nach etlichen Monden
Da jedes Ding seine Ordnung hat, Da fuhr ein Dritter erzürnt herum: Zu fernerer Berathung zusammen-
Kam die Sache zunächst an’s Rektorat. Herr College, wo bleibt das Christenthum ? gekommen
Da zogen die weisen Herren, die alten, Recht deutlich steht es geschrieben ja Und hat den Fall in Erwägung genommen.
Die weisen Stirnen in weise Falten Dass mulier in ecclesia« Sie hat zum ersten die rechtliche Frage
Und überlegten hin und her, Den Schnabel fein säuberlich halten möge -“ Ventilirt durch einige Tage,
Ob die Genehmigung rathsam wär’. Und dann rief ein vierter Herr College, Dann auch die Punkte alle erwogen,
Denn, erstlich sei da doch zu erwägen: Die Frauen sind nie und nimmer geboren Die auf die Sittlichkeit sich bezogen,
A priori sei schon die Natur dagegen, Zum schweren Berufe der Doktoren, Und mit weiser Vorsicht sodann bedacht,
Die Weiber hätten zu klein das Hirn Dazu sind die Schönen zu hold und zart, Was es auf den Clerus für Eindruck macht!
Und Nerven so dünn, wie der dünnste Zu leicht und gebrechlich ist ihre Art, Und vor Allem hat sie, wie sichs’s gebührt,
Zwirn. Die näheren Gründe, die finden Sie Erst höheren Orts die Stimmung sondirt —
Und ferner: wenn sich die weiblichen Wesen In meinem „Handbuch der Physiologie“. Und dann hat die Polizeidirektion
Gelehrte Lebensberufe erlesen, Gefunden, es ford’re der gute Ton,
So bedürfe ein Punkt noch besonders der Dass man den berufenen Landesvätern,
Klärung: D. h. in der Kammer den Volksvertretern,
Es würden den Zwecken der Menschheits- Bevor man sich definitiv entscheidet,
vermehrung Die Sache gebührend unterbreitet.
Die allerwichtigsten Kräfte geraubt — So kam denn der Casus vor’s Parlament.
Und viertens und fünftens und überhaupt — Da berieth sie zuerst der Herr Referent,
Und endlich beschloss man, die Sache geht Dann kam der Ausschuss der Finanzen,
Am Besten zunächst an die Fakultät. Dieweil dieselben im Grossen und Ganzen,
Nr, 20 JUGEND 1896

Seit der Eingab’ Gertraudens verflossen war „An einer schönen Brust zu ruh’n, das
Höchstens ein und ein halbes Jahr. ist ein Trost“, rief stolz die Nelke, als ein
Gigerl sie in’s Knopfloch steckte.
Das Fräulein Gertraude schrieb aber zurück:
„Ach, wie igt’s'möglich dann, dass ich
Sie bedanke sich sehr für das hohe Glück, Dich lassen kann!“ rief die Klette und
Doch käm’ es zu spät, was man jetzt ihr be- klammerte sich an den Wanderer.
richtet:
Sie habe auf’s „Fräulein Doktor“ verzichtet, „Schön war ich auch, und das war mein
Und vorgezogen, auf dieser Erden Verderben“, jammerte der Giftpilz, als ein
Doch Alles angeht im weiten Staat, Eine simple — „Frau Doktorin“ zu werden, Knabe ihn köpfte. m. w.
Dann war die Geschichte für’s Plenum Und sie befinde sich vor der Hand
parat. Sehr wohl und behaglich in diesem Stand. „Ach des Lebens schönste Feier endigt
Da gab es sehr erhitzte Debatten. ki-ki-kj. auch des Lebens Mai“, seufzte der Wald-
In’s Kleinste erörtert ward Licht und meister, als man ihn abriss und in die
Schatten, Bowle warf.
Gekrittelt, gefragt, um Erklärunggebeten — „Divide et impera“, dachte der Spaltpilz.
(So ein Zwischenfall bringt was ein an
Diäten —,) „Die Müh’ ist klein, der Spass ist gross“,
Beinahe wär d’rum ein Minister gestürzt. sagte die Weissdornhecke und zerriss dem
Auch mit Witz und Humor ward die Sache Wanderer die Hose.
gewürzt. „Das ist die Art, mit Hexen umzugeh’n“,
Und Einem, der ganz links drüben gesessen, sagte der Haselstrauch, als sich der Bauer
Dem war die Sache gefundenes Essen, einen Stecken abschnitt, sein böses Weib
Er wetterte wild und donnergleich damit zu prügeln.
Auf die Bürgermoral im deutschen Reich,
Er kannte die Rechte des Weibes genau, „Sei im Besitze und Du wohnst im
Citirte fleissig aus Bebel’s „Frau“ Recht!“ dachte die Mistel und sog dem
Apfelbaum das Mark aus.
Und sprach zuletzt mit grimmigen Hohne
Vom Tritte der Arbeiter-Bataillone. „Hier der Hollunderstrauch verbirgt
Ein anderer „Linkser“, der aber mehr mich ihm“, meinte der Champignon, als
Von Eugen Richter’scher Couleur, der Junge kam zum Schwammerlsuchen.
Der brachte die Sache mit feiner Empfindung „Ach, die Erscheinung war so riesen-
Mit Fragen des Fortschritts in Verbindung, gross, dass ich mich recht als Zwerg em-
Und war mit seiner Rede im Nu pfinden sollte“, sagte der Kommabaccillus,
Beim alten Herrn von Friedrichsruh. da sah er die Nase des Naturforschers
Er liess an ihm nicht drei gute Haare, durch’s Mikroskop.
Er schwur, dass der Freisinn, der echte,
wahre, „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein
„Das ist; das Loos des Schönen auf der sei“, sagte der Floh.
Das Haupt erhebe mannhaft und frei
Vor Bismarcks stupider Tyrannei, Erde!“ seufzte die Distel, als sie von einem ,Der Menschheit ganzer Jammer fasst
Und sagte, die Schuld an aller Noth Esel gefressen wurde. mich an“, sagte der Häring.
In Deutschland trüge dieser Despot. „Verstand ist stets bei wen’gen nur ge- „Ich versprach Dir einmal spanisch zu
Ein Conservativer mit Grundbesitz wesen“, tröstete sich das Gänseblümchen. kommen“, sagte das Rohr zum ungezogenen
Traktirte die Frage mit Geist und Witz, „Die Menschen sind nicht immer, was Jungen.
Und krönte die Rede mit der Erklärung,
Bewillige man die Doppelwährung,
sie scheinen“, philosophirte die Myrthe.
So sehe er keinen Grund, warum „Schön bist Du, doch gefährlich auch“,
Die Frauen nicht sollten zum Studium. sprach die Tollkirsche zur Kamille.
Dann knüpfte ein grosser Centrumsmann „Keine Rose ohne Dornen“, so ent-
Für seine Partei die Bedingung d’ran, schuldigte sein Stachelkleid der Kaktus.
„Wenn wir das Frauen-Studium litten,
Verlangen wir eins dafür: die Jesuiten“.— „Unsinn, Du siegst, und ich muss unter-
Und nach dreitägigem Ueberlegen geh’n!“ klagte die Orakelblume, als sie von
War die Kammer nicht absolut dagegen. einem Verliebten zerzupft wurde.
Da hatte denn auch die Polizei „An ihren Früchten sollt ihr sie er-
Weiter kein schlimmes Bedenken dabei. kennen“, docirte der Dornstrauch.
Die theilte es dem Minister mit, „O, rühret, rühret nicht daran“, warnte
Der nun seinerseits zur Genehmigung die Brennessel.
schritt,
Der gab dem Senate der alma mater „O, was ist Menschengrösse!“ spottete
Die Sache zurück und der was that er? die hohe Tanne.
Er hatte absolut nichts dagegen, „Ohne Wahl vertheilt die Gaben, ohne
Das Fräulein sollte nur, seinetwegen, Billigkeit das Glück“, seufzte der Lorbeer,
Studiren, soviel ihm’s gelüsten thät’, als sich ein eitler Tenorist einen Kranz
Das Gleiche sagte die Fakultät, werfen liess.
Zuletzt kam’s wieder an’s Rektorat, „Hier fühl’ ich, dass ich bitter werde“,
Das ebenfalls weiter nicht Einspruch that, sprach der Wermuth.
Und es hat der Herr Quästor dem Mägd-
lein jetzt „Ich sage wenig, denke desto mehr“,
In einem Brief auseinandergesetzt, meinte der Krautkopf.
Dass sie unbehindert fürderhin „Die Rache ist mein, ich will vergelten“,
Studiren könne die Medizin.- erklärte die Birke.

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Nr. 20 JUGEND 1896

Kehrte zum Scheine


An den Leichtsinn Zu deiner Thorheit Jugendlied
Göttlicher Leichtsinn! Einmal zurück noch Die Brust von Glück so voll,
Blühender Knabe! Am nahen Ziel. Ich möchte jauchzen toll —
Kommst du mir endlich, O stürmisches Blut!
Da es zu spät! Göttlicher Leichtsinn! Lenzeszeit, Maienzeit, wachsende Gluth!
Siehst mir in’s Auge Blühender Knabe!
Schon ist mir freier, Ob in mir Liebe blüht?
Mit schelmischem Lachen,
Während die Seele Seit ich dich sah. Ob mir der Mai durchglüht
Wenn ich der Lockung Die schwellende Brust?
In Thränen steht!
Noch widerstanden, Maienzeit, Liebeszeit, alles ist Lust.
Schnürst mir das Bündel Locke nur weiter!
Bleibe nur da! Mein Arm ist kraftgeschwellt,
Froh und behende
FERDINAND VON HORNSTEIN. Ich zwinge Dich, Blüthenwelt,
— Gegen die Sorge Du sonniges Sein:
Ein selig Gewicht — Liebesglück, Maienglück, alles ist mein!
Da das Gemüth mir
OTTO VON LEIXNER.
Das greisenhafte
Bloss von Erinn’rung
Zusammenbricht.

Wärst du gekommen,
Eh’ der Gedanke Nach dem Regen
Die Stirn mir durchfurchte Grauer Nebel am Waldesrand,
Mit emsigem Pflug, Wäss’riger Himmel darüber gespannt.
Zeitig am Morgen Hinten die Kirchthurmspitze,
Als ich noch träumte, Und ein Storchnest im Scheunengebälk.
Was hilft dem Wachen Eine Pappel, struppig und welk,
Dein holder Betrug! Spiegelt sich in der Pfütze.
Heber die kotige Landstrasse her
Hätt’ ich die Kraft nur, Tönt’s, wie das Knarren von Rädern . . .
Dir noch zu folgen, Nur eine Krähe krächzt laut und schwer
Gerne betrog’ ich Drüben, — und putzt sich die Federn. —
Dich selbst im Spiel, L. LESSEN.

318
1896 JUGEND Nr. 20

ON langem Wandern müde kehrt ich heim, Durch den zerfall’nen Raum und raschelt
Den Berg hinab den Weg in’s Thal ver- leise
folgend. In den papier’nen Rosen auf dem Haupt
Am fernen Waldsaum ging die Sonne unter, Der Muttergottes.
Das Aveläuten grösste fromm herüber; Mit weit offnen Augen
Die Bergesspitzen glühten auf, die Ferne So schaute sie auf mich, gross und
War dämmerhaft in tiefes Blau gehüllt, erschreckt;
Und hell darüber stand der Abendstern. Auf ihrem Schoosse lag das Christuskind,
In tiefen Träumen schritt ich lange fort. Das sie wie schützend hielt. Ihr Blick
Die friedevolle wundersame Schönheit traf mich /
Hielt allgewaltig mir das Herz umfangen.— So trostlos klagend, grad als wollte sie
Da raschelt’s neben mir; ich wende mich Mich fragen: „Wo sind all’ die Menschen,
Und seh’ am Felsen angelehnt ein Die hier gekniet und heiss gebetet haben,
Kirchlein Bin ich denn nicht mehr ihre Mutter-
Mit festverschloss’ner Thür. Ich blick’ gottes ?“
hinein — Ich pflückte Blumen, die am Wege
Und bleib’ verwundert stehen — welch standen,
ein Bild! Doch da durchfuhr’s mich: kannst ja
In wirrer Unordnung Geräth und Bänke, nicht hinein.
Die Decke eingestürzt und durch der Noch trauriger sie blickte als zuvor,
Fenster Die Schatten huschten trüber durch den
Zerbroch’ne Scheiben zieht der Abendwind Raum,

Gezeichnet von C. Bösenroth.

V9
Nr. 20 JUGEND 1896

Sie schien zu regen sich und leis’ zu flüstern: Hier beisammen wohnen.
„Du sieh’st ’s, Du sieh’st ’s! Kein Men- Will nur still gemessen
schenkind darf mehr Diese Offenbarung
Zu mir, kein Beter darf mich fürder Heilig hehrer Gottheit
schmücken; In so holder Form:
Ich bin allein — verlassen — so ver-
lassen!“ — — Gibt es etwas Süsseres
— Ich brachte jeden Tag ihr frische Als eine Kinderhand? —
Blumen AUGUST BUNGERT.
Und wand sie um die Eisenstäb’am Fenster.
Dann fuhr ich fort und sah viel schöne «OC
Kirchen,
Marienbilder, die gar reich geschmückt, 2\n
Voll Hoheit blickten auf die Schaar der
Beter — Heil Dir Gewaltiger,
Doch auch nicht eines hatte solch ein Antlitz, Göttergcstaltiger,
So holde Augen und so süsse Lippen, Siegeerriugeuder,
Wie die verlass’ne droben im Gebirg! Herzenbezwiugeuder,
E. LINDEMANN. Silberfpornflingett&er,
Seligfeitbriugeuder,
-ZV? Walzertaktwirbelnder,
Schnurrbärtleinzwirbeluder,
Feuriger, schneidiger,
Kinderhand Landesvertheidigcr!
Gibt es etwas Süsseres (Dl> Du vermögen hast
Als eine Kinderhand? Bdcr blos Gläubiger,
Bb Du den Degen hast
Halt ich so ein Händchen, Bdcr den Säbel schwer,
Will es mich bedünken. Bb Du im rauhen Lrz
Dass des Tages Lasten, Funkelst als Kürassier,
Alle Lebens-Kämpfe Jegliches Frauenherz
Hinter mir versinken; Zieht es mit Macht zu Dir.
Und ich seh die Hand Bb Du in Attila,
Zart in meiner haltend, Bdcr Ulanka bist,
Bb es Amalia
Eine kleine Insel Bder Mariaufa ist,
Vor den Augen aufblüh’n, lieberall wallt für Did;
Schwimmen fern im Meere: Glühend der Frauen Blut,
Bunte Blumen duften, Bb sie nun bürgerlich
Schmetterlinge gaukeln, Bder vom blauen Blut,
Vögel musiciren, Gb sie mosaisch sind,
Silberquellen rauschen, Bb protestantisch sind,
Und es ist die Insel Bb sie prosaisch sind,
Bder romantisch sind!
Der Glückseligkeit! Bb beim Llitcbalt
Gibt es etwas Süsseres Du Did; im Tanze drehst,
Als eine Kinderhand? Bder im Tattersall
In vollem Glanze stehst.
Welche heil’ge Zukunft Adder ob Preise Du
Ruht in Dir geschrieben! Reuueuder weise kriegst,
Welche Lust und Scherze Bb auf dem Life Du
Lachen aus den Grübchen! Zierliche Kreise fliegst,
Was wird für Geschichten Bb Du beim Ballsouper
Glänzende Witze sprühst,
Einst das Händchen schreiben. Bb aus dem Blick beim Thee
Welche Wunden mag es Zündende Blitze sprühst —
And’ren Menschen schlagen; In Liebesweho ganz
Wie viel Liebkosungen Müssen zerronnen sein,
Schlafen hier verborgen; Die Deiner Bähe Glanz
Welch’ dumpfe Qualen, Trifft wie der Sonnenschein,
Wenn die Schläfen pochen, wonnig und selig ist
Wird das Händchen fühlen, Sämmtlichen Frau’»,
Unwiderstehlich bist
Kommen einst die Sorgen. Stets Du zu schau’n.
Ach! und wie viel Worte Did; liebt die Trine, die
Hold unausgesprochen — Morgens die Stiefel schmiert,
Sagt im langen Leben Did; liebt die Mine, die
Dieses Händchens Druck! — Dir den Taffee servirt,
Streckst Du die Finger, dann
Doch ich will’s nicht wissen, Zappeln an jedem schon
Und ich will’s nicht denken, Zehn arme Dinger dran,
Wie viel Glück und Wehe Zierleiste von A. Halmi. Flehen um Liebeslohu,

;ro
Frei nach f. Lccmpocls „Schicksal der Menschheit" gezeichnet van Fritz Dcgcnbart.
Jede, die Dich erblickt, Mb sic den Dalles hat ' sie der Jugend Mund Du bist ihr Schicksal, Du,
Faßt cs wie Zauberbann, Und keine Mark besitzt l-ehrt, wie er englisch red' Dir sind sie Alle gut,
Ist fürchterlich entzückt, Mder auch Alles hat, Mb sie beim Tugendbund, Dir jauchzt die Schicksel zu,
will Dich zum Mann I Und von Brillanten blitzt, Ist, oder beim Ballet, wie's die Prinzessin thut,
Mb sie den Backfischzopf Mb sie zu Pose geht, Mb sie das Zweirad minnt, Im unbeschreiblichen
Noch überm Rücken trägt, Mb sie mit Bieren fährt. Vder den Tennis-Schlag, Brennenden Liebesweh —
Mb auf ergrautem Kopf Mb sie als Zofe geht, Mb sic auf peirath sinnt, Des Ewig weiblichen
Sic schon Perrücken trägt, Rinder fpaziren fährt, Mder blos flirten mag, — höchste Idee! f. w.
Nr. 20 JUGEND 1896

Das höchste Wunder der Dressur:


Känguruh und Pfau tanzen den „Schuhplattler"!

Z22
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Geschmackvolle

Einbanddecke
für das erste Semester 1896
(Nr. 1—26) der

=Jugend-
befindet sich in Vorbereitung und
kann gegen Mitte Mai d. J. zu dem
Preise von Mk. 1.50 durch jede
Buch- und Kunsthandlung bezogen
werden.

M»'1 l>. fi’i T7r,yi|


ac.
J (Paris.) G. Hirth’s Kunstverlag
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Herausgeber: Dr. GEORG HIRTH; verantwortlicher Redakteur: F. von OSTINI; verantwortlich für den Inseratcutheil: G. EICHMANN, G. HIRTH’s Kunstverlag: säraratlich in München.
Druck von KNORR & HIRTH, Ges. m. beschr. Haftung in München.
ALLE RECHTE VORBEHALTEN.
1896 . 23. Mai JUGEND . I. JAHRGANG . NR. 21

Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben. — G. Hirth’s Verlag in München & Leipzig.
Nr. 21 JUGEND 1896

Der Storch
Ihr Boudoir. Elegante Einrichtung. Die Lampe brennt. Das Ehepaar am Theetischchen.
ER. Aber liebes Kind, komm’ doch in Kunstfragen nicht immer SIE. Du scheinst eine Vorliebe für dieses Bild mit dem Storch
gleich mit „Moral“! zu haben.
SIE (weiss, dass er ärgerlich ist, wenn er „liebes Kind“ sagt — also ER. Weil es bezeichnend ist. Was Du verlangst, geht darauf
nachgiebig.) Ich versteh’s vielleicht nicht besser. Viel- hinaus, dass einer den Glauben an den Storch nicht ver-
leicht liegt das an der Erziehung. Wir Mädchen — letzt —
ER. Ihr Mädchen! Ihr Mädchen wisst ganz genau, dass der SIE. Den Glauben an das Ideal!
Storch die kleinen Kinder nicht bringt. ER. Was verstehst Du unter dem Ideal?
SIE. So? Woher weisst Du, dass wir das wissen? SIE. Die Tugend, die Anständigkeit, alles, was sich gehört.
ER (gibt aus guten Gründen keine Antwort hierauf.) Moral! Ich ER. Dass man Fische nicht mit dem Messer isst, oder bei
versichere Dir, dass das langweilig ist, jedes zweite Wort: einem Begräbniss einen Cylinder trägt?
die Moral! Ich schmeichle mir, etwas von Kunst zu ver- SIE. Dein Spott rührt mich nicht. Das Ideal ist eben —
stehen; ich sage Dir, das Buch ist gut, ich erkläre Dir, ER. Das Ideal.
warum ich es gut finde, aus zehn, aus hundert Gründen. SIE. Ja, das muss man fühlen. Ihr modernen Männer habt
Der Mann ist ein Dichter. Und was antwortest Du mir? eben das Gefühl dafür verloren. Wenn so ein Buch
Aber die Moral!“ Das mit der Moral, das hast Du von einem jungen Mädchen in die Hand fällt!
Deiner Mutter! ER. So versteht sie’s nicht, dann ist’s ihr chinesisch und
SIE. Hast Du gegen meine Mutter eine Einwendung zu machen? kann nicht schaden. Oder sie versteht’s, dann geht’s in
ER (nimmt einen Schluck Thee — dann): Deine Mutter gehört Einem hin. Uebrigens können sich die grossen Künstler
nicht nach den kleinen Mädchen richten. Und dem Reinen
nicht zu den Frauen, gegen die man Einwendungen macht. ist Alles rein. (Er steht auf und bereitet sich \um Fortgehen.)
SIE. Gerade Du solltest ihr ewig dankbar sein, dass sie mir SIE. Die Polizei hat ganz Recht, wenn sie alles confiscirt, was
die Grundsätze eingeprägt hat, die sich für eine anständige gegen — gegen —
Frau geziemen. ER. Gegen den Storch ist.
ER. Warum gerade ich? SIE. Und die Leute, die so etwas schreiben oder malen, ge-
SIE. Nach Deiner Vergangenheit... Deine Vergangenheit hat hören in’s Gefängniss.
Dich doch zur Ertheilung solcher Lehren ganz unge- ER. Ja, aus der Welt machen wir eine Kinderstube und —
eignet gemacht. (Sieht auf die Uhr.) Ah, ich muss eilen, sonst komm’ ich
ER. Ich habe gelebt wie alle jungen Männer. Nicht mehr zu spät zur Sitzung. (Küsst sie auf die Stirne.) Adieu, mon
und nicht weniger. enfant, du storchgläubiges.
SIE. Besonders nicht weniger. SIE. (Kokett.) Bist Du mir böse desshalb?
ER (dem dieses Thema unbehaglich ist.) Wenn ein Kunstwerk ER. Aber im Gegentheil! (Er gehl ab.)
als Kunstwerk gut ist, so hat Eure Salonmoral weiter SIE (bleibt eine IVeile hinausblickend am Fenster stehen, bis sie sich
nichts d’rein zu reden. Wenn ein Dichter die Welt schil- überzeugt hat, dass er in die Droschke gestiegen und weggefahren
dert, wie sie ist, so kann er freilich darin dem Storch ist. Dann tippt sie auf die Tischglocke und sagt iu der aus einem
nicht die Rolle zutheilen, welche ihm in der Kinderstube Nebenzimmer erscheinenden Zofe): Lassen Sie ihn eintreten.
zugewiesen wird. MAX BERNSTEIN.
Arnold Böcklin.
Ariißling
1896
Nr. 21 . JUGEND

Ker Aunö
Lin Poggfrcd-Lantus von Detlev v. Liliencron.
In ineinem Lohholz lag er, an der Eiche,
Aühl durch die Stille plätscherte das Wehr,
Die Blätterschatten huschten auf der Leiche I

wer war der Fremde? und wo kam er her?


Der sich, aittik, Öen Dolch in's Herz getrieben.
Oeseickner von A. Jank.
War ihnt der Lebensweg zu lebensschwer?
Wer waren seine Freunde, seine Lieben? Dann klang mir's immer deutlicher zu Dhr,
Rein Brief, kein Zeichen seiner letzten Stunde? Es war kein Flehn, cs waren ruhige Sätze,
Doch! Auf dem Zettel da steht was geschrieben: Sie sang: „Leb wohl, mein edler Garde du Eorps.
„Ich machte auf der Erde meine Runde, Das Leben gab dir alle seine Schätze:
Ich bin durch vieler Herren Land gezogen, Araft, Wannheit, Schönheit, vornehme Geburt,
Ich sah nur stets die große Wcnschenwunde. Des Reichthums goldbeperlte Fischernetze!
Gleichgültig treiben Wolkenzug unö Wogen, Was rittest du nicht fröhlich zum Buhurt?
Bringt auch die Schwalbe ab und zu den Frieden, Genoffest nicht den Zufall deiner Rechte?
Nie baute sie an meinem Fensterbogen." Was suchtest du nach Grund bei jeder Furt?
Ich hätte gern den blutigen Grt gemieden, Ach! Grübelei zerfraß dein Hirngeflechte,
Doch bannte mich die Pflicht, ich blieb und bog Beständig gabst du dich Gedanken hin,
Wich nieder zu dem Wann, der hier verschieden. Das machte dich vom Ritterherrn zum Unechte.
Um die gebrochnen offnen Augen flog Die Schärpe, deines Wuths Begleiterin,
Und zitterte noch das verglaste Leid, Den Helm, den Unraß schobst du in die Ecke,
Der letzte Schmerz, der sic um's Licht betrog. Und wem zu Liebe? Wonach stand dein Sinn?
Still! Seine Seele floh ihr pilgerkleid, Wie Don Quijote' zogst du, armer Recke,
Ich sah, sie küßte seine weißen Wangen, Ein Narr der Freiheit, über Berg und Thal,
Bereit zum Fluge in die Ewigkeit. Bis du, dein eigner Sklave, kannst zur Strecke.
Doch eh sie in die Ewigkeit gegangen, Was trieb dich denn nach Spanien, Wann der Qual?
Umschwebte sie den Drt noch, wabernd, wehte Da schoß Don Amor Dir in's Herz den Pfeil,
Auf einen Ast, da faß sie wie gefangen. Du aber warst ein tumber Parsifal.
Wir graute, denn es summte wie Gebete, Leb wohl, du zolltest deinem Fleisch sein Theil,
Als schwächte jeden Laut ein dichter Flor, Die Erde wird dein Irdisches zerstören,
Ich hörte anfangs nicht, um was sie flehte. Ich aber schwebe auf zu meinem Heil."

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1896 JUGEND Nr. 21

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Gezeichnet von

Die Seele wich, es wollte mich empören, Ncit ihren schwarzen haaren spielt der wind,
Wie schamlos sie von ihrem Bruder schied; Tin Stahlhelm schützt sie vor deit Sonnenstrahlen,
Muß selbst der Tod noch Sittenpredigt hören? wie Schnee der Sierra gleißt ihr Brustgebind.
Verklungen war das sonderbare Lied, Ihr brauner hals trägt reich von Milchopalen
Da schob sich vor die Sonne feuchtes Grau, Tin schwarzblau Band; die Arme sind geschmückt
Tin plumper Nebelballen sank rapid. Mit Saphirstangen, die gen Himmel prahlen.
Ich kenn mein nordisch Wetter sehr genau, Die Menge neigt sich, bis zum Knie gebückt,
And Hab mich d'ran gewöhnt; doch seit ich denke, Ihr Selter, Andalusiens Tdelstute,
So schnell wie heute siel noch nie der Thau. Bäumt aus, von seiner stolzen Last entzückt.
Und immer dunkler wurde das Gesenke, Plötzlich: was giert sie unterm Tisenhute?
Bis Finsterniß mich manteldicht umschloß; Die straffe Hand, weßhalb? ergreift den Speer,
Da plötzlich färbt ein Bild die Wolkenbänke: Der eben zierlich noch am Sattel ruhte?
Granada! Auf befranztem Berberroß Erspäht ihr Funkelblick ein Löwenheer?
Seh ich Aischa, Ab ul Hassans Kind, Ist's Don Tellez, der sie zum Kampfe reizt?
Der Gothenfürstin Tgilone Sproß. Der fremde Don mit Augen wie das Meer.
Nr. 21 JUGEND 1896

Ist's Liebe, ist es Ruhm, wonach sie geizt?


Ach, Weiberlaunen! Wie die Lippen spielen I
Wie sie graziös sich nun im Sattel spreizt I
Sie lacht I Die märchenmächtigen Augen zielen,
Nach wem? Sie lacht, sie wiegt sich, und sie lacht,
Und galoppirt auf bunten Arokusdielen.
Sie galoppirt durch ernste Lorbeernacht,
Durch frohe, frühlingstolle Wandelbäums,
Der Gießbach stürzt durch Goldorangenpracht.
Sie fällt in Schritt, und fällt in Traum und Träume,
Verheißung, wem? wein gilt ihr Wondesblick,
Nach Tag und Thau und Abendrothgesäume?
Venus geht auf; es knüpft sich ein Geschick.
Lautlos. Ts lärmen nur noch die Fontänen.
Träg blinzelt Sphinx hinauf in's Stcrngestick.
Ich bin nicht mehr im Land der Sarazenen,
Wein Frösteln mahnt, daß ich in Holstein bin,
Wo sich die dicken, dummen Nebel dehnen.
Die Sonne, eine matte Siegerin,
Dringt mühsam wieder durch die Wolkendeiche,
Ich nahm ihr Licht mit Dank und Ruhe hin.
In meinem Lohholz lag er, an der Tiche;
Wer mag der Fremde sein, wo kam er her?
Die Blätterschatten huschten auf der Leiche.
Aühl durch die Stille plätscherte das Wehr.

Ein Sommertraum. Auf lichtverklärten Wiesen


Besuch Gingen im Reigen schlanke nackte Mädchen
Und waren selig. Falter flimmerten.
Brennet nicht die Lampe trüber, Die dunklen Rosenbüsche glühten auf,
Und sie warf doch hellen Schein?
Trunken vor Licht. Und hinter ihnen stand
Hebt sich dort nicht die Gardine, Im Purpurrock ein junger Königssohn.
Gleich als kam’ ein Hauch herein?
Der schaute auf den nackten Mädchenreigen
Und rief ihn an. Sie aber sah’n ihn nicht.
Eben knisterte das Feuer
Er rief und winkte — rief... Sie aber sangen
Noch im Ofen — jetzt nicht mehr. Und hörten nicht den jungen Königssohn.
Niemand spricht im Nebenzimmer!
Ist das ganze Haus denn leer? Da ward ihm so vor lauter Schauen heiss,
Und zitternd warf er von sich Rock und Ring,
Da _ da wandelt sich ja plötzlich Und stand nun da, ein nackter schöner Traum.
Auch Dein Bildchen an der Wand; Die Mädchen schraken auf, und sah’n ihn steh’n,
’s ist als glitte sanft darüber Und fühlten ihn in ihrer Seligkeit
Eine weisse Geisterhand. Trunken wie sich. Ein Jubel nahm ihn auf.
Sie schmiegten sich an seinen jungen Leib
Jetzt — jetzt senkt sich auf dem Sopha Und küssten seine weissen stolzen Hände
Leis das Polster neben mir! Und nannten ihn Freund.
Ja! ich weiss’, Du bist gekommen Die Schönheit aber stand
Und ich fühle, Du bist hier An einem Birkenbaum und lächelte.
c. A. PIPER. FRANZ EVERS.

330
Nr. 21

Die Bekehrung
Nach einem allen Schwank erzählt von Carl Busse.
Die Gemeinde Siebenschloss machte einer hohen Kirchen-
behörde schon seit Jahren arge Kopfschmerzen. Man hatte es
mit strengen und milden, dünnen und dicken, gelehrten und
ungelehrten Pfarrherrn versucht, aber es war vergeblich ge-
wesen. Die Kirche blieb Sonntags so gut wie leer, die Ab-
gaben an den Seelsorger wurden gar nicht oder nur nach allen
möglichen Drohungen entrichtet und es war nicht abzusehen,
wann das einmal anders werden sollte. Da kam schliesslich
ein feistes Pfäfflein, das darum bat, auch einmal sein Heil ver-
suchen zu dürfen. So war er vor zwei Tagen in Siebenschloss
eingezogen.
Der Sonntag rückte heran und einen Tag vorher wusste
der gute Pfarrer noch nicht, wie er die Siebenschlosser zu
guten Christen machen sollte. Er hatte sich gedacht: gelingt
es mir, dann hab’ ich eine reiche Pfarre, auf der ich mit
Gottes Hilfe bis an mein selig End aushalten kann; gelingt
es nicht, dann muss ich die Beine in die Hand nehmen und
mich in irgend ein armes Dörflein hinsetzen lassen. So sin-
nulirte er auch am Sonnabend Früh, als er seinen Morgen-
spaziergang durch die Felder machte. Es war ein schöner
Tag, und die Bauern mit ihren Mägden und Knechten rührten
überall wacker die Hände. Fleissig waren sie überhaupt, das
musste man ihnen schon lassen! Die Ernte gedieh auch Jahr
für Jahr, und mit etwas Frömmigkeit wäre dieses Siebenschloss
ein Musterdorf gewesen.
Aber wie sehr der brave Hirte sich auch anstrengte, es
wollte ihm kein Mittel einfallen, seine verirrten Schäflein auf
den rechten Weg zu führen. Schliesslich wischte er sich den
Schweiss von der Stirne, den die warme Sonne und noch mehr
das ungewohnte Nachdenken verschuldet hatten, bekreuzte
sich und dachte: Den Seinen schenkt es der liebe Gott im
Schlafe. Wenn sie nur morgen in die Kirche kommen —
bis dahin wird mir schon etwas einfallen!
Nun begab es sich, dass am Nachmittag dieses Tages
eine grosse Versammlung der Dorfleute stattfand. Am Freitag
Abend nämlich war Schmuei gestorben, der Dorfjude, der nach
guter alter Sitte für die Bauern mancherlei besorgte, womit
sie sich nicht selber befassen wollten, und der dafür geduldet
wurde und auch seinen kleinen Verdienst hatte. Es sollte nun
an seine Stelle ein neuer treten und man pflog viel Käthes,
wer dieser Ehre theilhaftig werden sollte. Da ging plötzlich
die Thüre auf und herein trat der Pfarrer. Ohne auch nur
einen Gruss zu sagen, sprach er: „Meine Lieben, morgen wird
in unserer ehrwürdigen Kirche ein gross Wunder geschehen,
davon die Enkel noch zeugen werden. Sammelt Euch in Gebet
und Andacht, thuet fein die Augen auf, verstopfet Eure Ohren
nicht wenn morgen die Glocken läuten. Denn grade morgen
— morgen —
Der geistliche Herr streckte den Arm aus und lief, wieder
ohne Gruss, geradenwegs zur Thür hinaus.
Nr. 21

Wie erstarrt sassen die Dorfleute da. liche Paradies muss er! Hat wohl gedacht,
„Is da Kerl varückt?“ fragte schliesslich er könnte mit Euch auch in der Ewigkeit
der Eine und schob den Stiel der kurzen droben noch weiter Geschäftchen machen,
Pfeife in den andern Mundwinkel. Und der Schmuei!
dann ging’s los und immerzu hörte man: Richtig! klopfen die neun Seelen also an
ein Wunder — morgen — ein Wunder1 die Himmelsthür und Schmuei hält sich
Der Herr Pfarrer jedoch war ebenso an der einen hinten fest. Nun denkt Ihr,
in die Häuser gestürzt, hatte dort die meine Lieben: jetzt kommt Petrus, macht
Frauen und Mägde rebellisch gemacht und auf und sagt,Guten Tag!1 Oho, so schnell
wenigstens das Eine erreicht, dass eine geht das nicht! Wann ist der Schmuei ge-
Stunde später überall Gruppen umher- storben? Um Glock’ Acht. Und so zwei,
standen und sich über ihn und das morgige drei Stunden dauert’s doch, bis man da 'rauf
Wunder unterhielten. kommt, selbst wenn man die schnellsten
Als er am nächsten Tage jedoch zum Flügel hat. Also es war schon spät und das
ersten Mal auf die Kanzel stieg, schmun- Himmelsthor doppelt verschlossen. Petrus
zelte er über das ganze breite Gesicht: die jedoch — he, rathet einmal? Der Petrus
Bänke waren vollgepfropft mit Menschen, sass bei Paulus und ass Klösse mit Zwetsch-
wie es seit Jahren in Siebenschloss nach gen, so schöne, wie sie in ganz Sieben-
übereinstimmendem Zeugniss seiner Vor- schloss keine Frau machen kann. Und
gänger nicht erhört worden. Und dann dazu tranken sie ein Weinchen — ich
holte der würdige Seelsorger tief Athem möcht’s wohl haben und Ihr auch. Na,
und begann: da erging’s dem Petrus wie Euch, wenn
„Wack’re Männer von Siebenschloss! Ihr im Wirthshaus sitzt. Der Kopf wird
Wack’re Frauen, Mädchen und Mägde des- roth und Ihr habt die Gedanken nicht
gleichen! immer da, wo sie hingehören.
Es ist gestern eine betrübliche Affaire ,Keinen Augenblick Ruhe!“ brummte
im Himmel gewesen, davon Sankt Peter Petrus also und steht ein bischen schwer-
mir, seinem gehorsamsten Knecht, hat Mit- fällig auf, alldieweil es ihm schon in die
theilung gemacht. Lasst Euch erzählen. Beine gegangen ist — das lange Sitzen.
Ihr wisst alle, dass Freitag Abend Schmuei, Und um ja nun recht schnell wieder zu
der Dorfjud, gestorben ist. Um dieselbigte Paulus und zu den Zwetschgen und Klös-
Zeit jedoch starben hier herum in Lena- sen zurückzukommen, schliesst er auf und
brück, in Grossdorf, in Raden, in Weilers lässt alle ein, ohne recht nach Pass und
lust, Ihr kennt sie ja, noch eine Menge Legitimation zu fragen.
andrer Leute und zwar gute Christenseelen. Am nächsten Morgen wacht Petrus mit
Wie sie nun also ihres Weges zum Himmel einem ganz kleinen Katerchen auf und sagt
zogen, kommt zu ihnen — na, wer meint zu Paulus: Paulus, sagt er, geh’n wir mal
Ihr wohl? Ein Engel? Nein, meine Wack- ’n bisschen in die Morgenluft. Na, der ist’s
eren, sondern Schmuei, unser Schmuei. auch zufrieden und wandeln also beide gott-
Das war von jeher seine Spezialität, dass er gefällig durch’s himmlische Gefild. Plötz-
immer die Nase am Liebsten in Dingen lich bleibt Paulus steh’n. ,Du‘, sagt er,
stecken hatte, die ihn nichts angingen. ,Petrus, riechst Du nichts?1
Hält' ja in den israelitischen Himmel kön- Petrus schnüffelt links, rechts, vorn,
nen, da war ihm noch einer der bessern hinten.
Plätze aufgehoben — nein, nein, in’s christ- ,Das riecht ja beinah —
1896

Und ob!‘ sagt Paulus. ,Nach Knob- ,Und ich etwa?1 fuhr Petrus mit blitz-
lauch.1
enden Augen auf. ,Ich bin ebenso gut
He, meine Lieben, der Schmuei wai wie Du ein Apostel, verstehst Du mich?
e'a ehrlicher Jud, das werdet Ihr sagen Ich fass’ den Schmuei nicht an !‘
müssen. Ich sehe da ein paar Gesichter, ,Na‘, sagte Paulus besänftigend, ,nur
sich _verziehn. Na ja, er hat mal den keine Aufregung. Dann müssen ihn halt
:r jenen über’s Ohr gehauen, aber ich die Seelen an die Luft befördern, mit denen
™e'ne, so im Grossen und Ganzen. Nur er sich eingeschmuggelt hat/
"at er immer Knoblauch gegessen. Und War das kein guter Rath? Aber hört
Slfzt er im Himmel unter einem sil- nur: die von Lenabrück, Grossdorf, Raden,
rnen Baum, wo lauter goldene Sterne Weilerslust, das sind auch die Richtigen!
an hangen, wie im Herbst beim Schul- dünken sich wunder was, und als Petrus
*en die Aepfel, jedoch — er holt sich nun zu ihnen sagt: ,Na Kinder, wie ist
Knoblauch vor. Denkt Euch, im christ- das?' da fangen diese Grossmäuler an auf
ka'holischen Himmel! Euch, auf die wackeren Siebenschlosser
. >Nanu‘, sagt Paulus, ,ich werde doch zu schimpfen, dass man’s in einem Gottes-
nicht einen Israeliten ’reingelassen haben, hause nicht gut wiederholen kann, und
'er in den christkatholischen Himmel. meinen: ,Die schlechten Kerle geh’n Sonn-
per soll in seinen Himmel gehen, ist tags nich mal in die Kirche und dafür
,atz genug drüben! Wart mal: gestern sollen wir aus Lenabrück, Grossdorf, Ra-
cnd kam ja ein ganzer Trupp, da kann den, Weilerslust noch ihren Schmuei ’raus-
? Ende — — o weh, o weh werfen? Nein, lieber Petrus, dafür sind
Und fort lief er, dass sein Bäuchlein wir doch zu gut, im Himmel die Haus-
und dass Paulus kaum folgen konnte. knechte zu machen. Lass’ doch die hier
less sich sogleich die neuen Seelen kom- im Himmel lebenden Siebenschlosser kom-
®u und richtig: war auch unser Schmuei men, die können das ja besorgen!“
t|abei! s He, was sagt Ihr nun? So muss man
Ja‘, sagte Petrus und kratzte sich ver- Euch wackere Leute beschimpfen lassen!
egen
Wied,
den Kopf, ,der muss schleunigst Aber was will man machen? Dass Ihr
"’as
er 'raus, ehe die heilige Dreieinigkeit nicht in die Kirche geht, das ist schon
Get rnerkt- Geh, Paulus, thu’ mir den richtig!
tal'en, setz’ ihn vor die Thür/ O weh, o weh, meine Lieben — ist das
Und nicht schrecklich? Unser Herr Schulze
hir’. zu Schmuei gewandt: ,Nimm’
>nstä
nicht übel, Schmuei, Du bist ein
andiger Kerl, aber Ordnung muss sein
Sonst
gingen die Streitigkeiten da heroben
1,cht aus!'
.. ^Un hielt sich jedoch Paulus nicht
anger.
p >Was fällt Dir denn eigentlich ein,
,etrus — he? Du hast den Mann ein-
aasen, D u musst ihn auch 'rauswerfen.
enkst wohl, ich werd’ mich an ihm ver-
seifen !<

IN
Nr. 21 JUGEND 1896

braucht sich doch nicht gefallen zu lassen, von einem Hosen- die Alten fürchteten sich vor der eigenen Verdammniss, die
matz aus Lenabrück oder einem alten Weibe aus Weilerslust ihnen plötzlich so greifbar nahe rückte.
verhöhnt und verspottet zu werden! O weh, o weh! Aber Nur einer schmunzelte: der neue Seelenhirt. Am näch-
was will man machen? sten Sonntag war die Kirche wieder gepresst voll, und die
Schliesslich also meint Petrus: ,Du, Paulus, mit den Siebenschlosser wurden von Stund an eifrige Christen. Nach
Siebenschlossern ist das eine ganz gute Idee. Schlag doch einem Vierteljahr jedoch nahm sich der Schulze den Pfarrer
mal im Register nach, — wen haben wir denn von denen hier?* auf die Seite.
Mein Paulus setzt sich auch hin, blättert, sucht, sucht, „Herr Pfarrer“, meinte er, „nischt für ungut, abbersch
blättert, bis er endlich den Buchstaben 8 hat. Sa - Se - Si - mer sollten doch e Wunder säh’n, dunnemal as wi in de Kirch’
Si - Siebenlust, Siebenberg, Siebenthal, alles ist vertreten, aber ging’n.“
Siebenschloss? „Hm“, brummte der Geistliche, „jawohl.“ Und dann
,Paulus*, sagt Petrus lächelnd, ,es scheint, Du thust Dir lächelte er: „Na Schulze, als Ungläubige seid ihr hinein-
ein wenig schwer mit dem Lesen! Gib mal her!* gekommen, als Gläubige fortgegangen. Das war doch bei den
Nun ist das ein dicker Foliant, müsst Ihr wissen. In Siebenschlossern wirklich ein Wunder.“
Schweinsleder gebunden für die Ewigkeit. Petrus sucht, dass Verdutzt starrte ihn der Bauer an. Endlich begriff er.
ihm der Schweiss von der Stirne läuft. „Da hatt’r Recht“, murmelte er vor sich hin. „Na abbersch,
,Hm, Hm*, meint er endlich, ,von Siebenschloss, Ge- Herr Pfarrer“, stiess er dann hervor, „ich mecht’ Sie man
meinde Siebenschloss ist noch nicht ein einziger im ganzen fragen: könnten Sie nich ein Wunner thun as wi — as wie
Himmel. Die schmoren alle drunten beim bösen Feind!*“— in der Küch’ gebrauchen können?“
Der feiste Pfarrer hatte mit Donnerstimme diese Worte
gerufen. In der Kirche war es mäuschenstill; Keiner schlief,
kaum wagte Jemand zu athmen. Dann ein tiefer Seufzer,
ein Stöhnen; von den Frauenbänken ein leises Weinen.
Der weise Hirte trocknete sich die Stirn und begann
von neuem.
„Paulus jedoch, meine Lieben, fragte den Petrum: ,Ist
denn dieses Siebenschloss ein Sodom und Gomorrha?* Und
was, meint Ihr, sagte da Petrus? Er sagte: ,Mit Nichten, Paule;
die Leute sind fleissig und wacker, die Frauen sind brav, aber
diese Lumpenhunde gehn niemals in die Kirche. Aber nun
soll sie die Strafe treffen. Ich geh jetzt schnurstracks zum
lieben Gott. Nämlich die Siebenschlosser sollen folgender-
massen büssen. Sie werden alle an die Himmelsthür gestellt
und Alles, was sich künftig hereinschmuggelt, Heiden, Türken
und Juden, die werden von jetzt in den Himmel hinein-
gelassen. Verstanden? Und dann müssen die Siebenschlosser
jeden einzelnen wieder hinauswerfen, ihren Schmuei zuerst. Kleine Münze
Die von Lenabrück, Grossdorf, Raden und Weilerslust aber,
die sonst viel schlechtere Kerle sind, dürfen im Kreise herum- Dass nie die Bäume in den Himmel ragen,
stehn und die Siebenschlosser auslachen. Basta!* Dafür ist wahrlich fast zu viel gescheh’n.
,Lasse noch einmal Gnade für Recht ergehen, Petrus*, — Uns bleibt auf Erden nur noch drauf zu seh’n,
bat der brave Paulus da, den wir jetzt immer dafür in unser Dass sie nicht allzutief hier Wurzeln schlagen.
Gebet einschliessen wollen. FLEO.
Petrus wollte erst nicht recht; schliesslich aber dachte
er: Der liebe Gott hat mir auch oft verzieh’n und was dem Essen hält Leib und Seele zusammen,
Einen recht ist, ist dem Andern billig. Und laut sagte er: Trinken bringt sie wieder auseinander.
Gut, es sei noch einmal versucht. Ich hab’ den Sieben- h. s.
schlossern eben einen neuen Seelsorger geschickt. Das ist
ein braver Mann, mit dem können sie zufrieden sein — (liebe Niemals nach berühmten Mustern
Gemeinde, das sag’ ich sündiger Mensch nicht von mir, son- Bilde Deine Geisteskinder,
dern das sagte Petrus); wenn diese Lumpenbagage aber auch Lieber sei ein kleiner Schöpfer
zu dem nicht in die Kirche kommt, dann ist es mit meiner Als ein grosser Nachempfinder! n.
Geduld aus. Nun will ich mal abwarten. Dann sollen sie erst
alle Ungläubigen hinauswerfen, sodann sollen sie vom ganzen
Kunst bringt Gunst, ein wahres Wort,
Himmel ausgelacht werden, am meisten aber von den Leuten
Allen zum Sporn gesagt!
aus Lenabrück und Umgegend, und zuletzt sollen sie zer-
stückelt und im höllischen Feuer die ganze Ewigkeit geschmort Aber sprecht, wann hätt’ uns Gunst
werden, ohne sterben zu können.* Jemals Kunst gebracht? h s.
Seht mal — das ist gestern im Himmel passirt, und Petrus
hat mir’s die Nacht offenbart. Da hab’ ich zu ihm gesagt: Lass Dich’s nicht zu sehr verdriessen,
„Was? Denkst Du, die Siebenschlosser lassen sich lumpen Dass Du nicht verstanden wirst;
vor den Kerlen aus Lenabrück, Grossdorf, Raden und Weilers' Wer’s nicht merkt, wo Du im Recht bist,
lust? Denkst Du, die wollen sich auslachen lassen? Nein, Merkt auch nichts wo Du Dich irrst! n.
hab’ ich gesagt, dazu sind sie viel zu stolz und vernünftig,
schelf mir meine Siebenschlosser nicht, die werden schon
in die Kirche kommen. Und nun zeigt, dass ich recht habe!“ — Und kehrst Du zurück mit blutigem Kopf,
Also schloss der biedere Pfarrherr. Am ganzen Sonntag Verzehre Dich nicht in Reue!
jedoch gab es im Dorf erregte Gespräche. Besonders im Geflickter Rock und gekitteter Topf —
Wirthshaus. Ein Bauer aus Grossdorf wäre beinahe geprügelt Die halten besser als neue.
worden. Die Frauen weinten, dass ihre armen Eltern und HERMANN ABNOBA.
Grosseltern in der Hölle sassen, die Männer ärgerten sich
über die ihnen in der Ewigkeit zugedachte Beschäftigung, —SHäks—

354
Das Weib vor, hinter und auf dem Rade, gezeichnet von Br. Paul.
Der alte Koraz in neuer ZerdeutsAung
von Christian Morgenstern, Berlin.
II, IS.
Gambrinus selber sah ich am Nock herberg Du zähmst, Gambrinus, selbst ein Barbarenherz .—:
Aneipliedcr lehren — Glaub' es, ungläubig Volk! — 3n eines Theologen Gestalt charmierst
Vor saubrer Münchner Aellcrmadeln Mit hübscher Aellnerin Gelock Du,
Und der Studenten gespitzten Ohren. Ziehst ihr die Schleife des Schürzenbands auf.
Rum plum! noch bebt der Leib mir vom Biergenuß, Zn eines Mediziners Gestalt einmal
Und aus mir redet stürmisch der Gerstensaft — lhast Du den chaufen drängender Gläubiger
Rum plum! oh schone mein, Gambrinus, Mit Maßkrugsalven aus dem Tempel
Gott mit dem schrecklichen Thier im Mappen! Deines olympischen Reichs getrieben.
Die Radiwciber laßt mich besingen laut, Obschon man Dich für stärker im Rundgesang
Das lhofbräuhaus, die Bretzel mit Salz beschneit, Und Rcnommiren als in dem Faustkampf hält,
Das Bockbier, das aus Steincylindern So zeigst Du doch, gereizt, so wild Dich,
Velig wie ponig den Schlund hinabläuft! U)ie Du gemüthlich Dich giebst im Frieden.
Besingen auch die wartende Ehefrau, Der Nachtpolyp mit goldenem Tutehorn —
Die cingeworfncn Fenster des Mannes, der Lin Auge drückt er schmunzelnd, der Brave, zu,
Dem Morgenschoppen Feind gewesen, Sieht Arm in Arm er Deine Söhne
Und die bicrfeindlichen Philosophen! Johlend durch nächtliche- Gassen traben.
II, IS.
Bacchum in remotis carminarupibus Fas pervicacis est mihi thyiadas, Tu fiectis amnis tu mare barbarum, Quamquam choreis aptior et iocis
Vidi docentem, credite posteri, Vinique fontem lactis et uberes Tu separatis uvidus in iugis Ludoque dictus, non sat idoneus
Nymphasque discentes et auris Cantare rivos atque truncis Nodo coerces viperino Pugnae ferebaris; sed idem
Capripedum satyrorum acutas ■ Lapsa cavis iterare mella; Bistonidum sine fraude crinis; Pacis eras mediusque belli!

Euhoe recenti mens trepidat metu, Fas et beatae coniugis additum Tu, cum parentis regna per arduum Te vidit insons Cerberus aureo
Plenoque Bacchi pectore turbidum Stellis honorem, tectaque Penthei Cohors Gigantum scanderet inpia, Cornu decorum, leniter atterens
Laetatur! Euhoe parce Liber, Disiecta non leni ruina Rhoetum retorsisti leonis Caudam, et recedentis trilingui
Parce gravi metuende thyrso! Thracis et exitium Lycurgi. Unguibus horribilique mala: Ore pedes tetigitque crura.

') Da ist die berühmte 5alvator-Brauerei in München.


MGL -56

Stillleben. Gezeichnet von J. B. Engl.


III, 21.
Heut soll der Zweiundscchziger endlich dran, Gin Weinchen! oh, ich sag' Dir: ein Meinchen, Freund!
Der jenes jal^r, da Bismarck Minister ward, Bei dem ein Klotz Gkstatiker werden muß,
Gleich mir sich zum Geburtsjahr wählte! Bei dem die kniffigsten Schlaumeier
Mag er in Melancholie mich stürzen, In ihre Karten sich gucken lassen.
Mag Scherz und Spott, mag hitzige Händelsucht, Gin Saft, der jede Sorge zur Hölle jagt,
Blag Liebeswuth, mag friedlichen Schlummer er Der jeden Tropfen Blutes Dir glühend macht,
Bus bringen!.. Bitte schön, Frau Lehmann! Daß stolz Du wirst vor Königsthronen
Hier sind die Schlüssel: die Flasche Rheinwein! Und vor des Staatsanwalts Auge furchtlos.
Ich denke, Karl, Du wirst doch kein Unmensch sein, Vor fünf Uhr Morgens geh'n wir heut nicht zu Bett.
Gbzwar Dozent der Philosophie Du bist. — So lang das Gel im Becken der Lampe reicht,
Berwarf's doch selbst der strenge Kant nicht, Laß froh die Stunden uns verplaudern!
Manchmal ein Gläschen vergnügt zu trinken. Prosit amico! Auf „was wir lieben"!
III, 21.
O nata mecum consule Manlio, Non ille, quaniquam Socraticis niadet Tu spem reducis mentibus anxiis,
Seu tu querellas sive geris iocos, Sermonibus, te negleget horridus; Viresque et addis cornua pauperi,
Seu rixant et insanos amores, Narratur et prisci Catonis Post te neque iratos trementi
Seu facilent, pia testa, soninum; Saepe mero caluisse virtus. Regum apices neque militum arma:
Quocumquelectum nomine Massicum Tu lene tormentum ingenio admoves Te Liber et si laeta aderit Venus,
Servas, ntoveri digna bono die, Plerumque duro, tu sapientium Segnesque nodum solvere gratiae,
Descende, Corvino iubente Curas et arcanum iocoso Vivaeque producent lucernae,
Proniere languidiora vina: Consilium retegis Lyaeo; Dum rediens fugat astra Phoebus.
I, 33.
Albert, kränke Dich nicht allzusehr um ein U)cib! Darf man kecklich vertrau'n, daß sich ein Schmetterling
Sei nicht sentimental! Hat Friederike sich Gher init einem Mops bräutlich verbinden wird,
In den Stutzer verliebt, weil er der hübschere war —: Als ihn diese erhört. Ja, wie die Liebe spielt,
Trost' Dich! andern geht's ebenso. Ist ein langes Kapitel, Freund!
Schau, der niedliche Balg, Betty von Roscnberg, Stand ich selber doch einst vor der Verlobung schon,
Ist in Gduard Schmidt bis über's Ghr verknallt —: - Exquisite Partie! — als eine Nähterin
Dieser aber poussirt Glse, die spröde Maid. Mir mein Herz überfiel und es in Fesseln schlug —
Doch soweit ich die Glse kenn', 's war fatal, aber schön war's doch!
I, 33.
Albi, ne doleas plus nimio memor Insignem tenui fronte Lycorida Quam turpi Pholoe peccet adultero. Ipsum memeiior cum peteret Venus,
Inmitis Glycerae, neu miserabilis Cyri torret amor, Cyrus in asperam Sic visum Veneri, cui placet inparis Grata detinuit compede Myrtale
Decantes elegos cur tibi iunior Declinal Pholoen: sed prius Apulis Formas atque animus sub iuga aenea Libertina, fretis acrior Hadriae
Laesa praeniteat fide. Iungentur capreae lupis, Saevo mittere cum ioco. Curvantis Calabros sinus.

Gezeichnet von A Halmi.

337
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.'',!'fe.ii: MEKAZME-

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K^WUW

Für die „Jugend“ gezeichnet von Radiguet (Paris).


—. Madame est lä? . . .
—. Attendez Monsieur, que j’y voie clair . . . car si Monsieur est le vieux Monsieur a perruque, Madame n’est pas lä.
(Ist die gnädige Frau Zu Hause?
warten Sie, mein Herr, daß ich ordentlich sehen kann . . . denn wenn der Herr der alte Herr mit der Perrücke ist, dann ist
die gnädige. Frau nicht zu Hause.)
;;8
1896 JUGEND Nr. 21

Der berühmte bayerische Centrums-


abgeordnete Dr. Öfterer, einer der geist-
vollsten Parlamentarier unserer Zeit, der
nicht nur, gleichwie der liebe Gott, Alles
weiss, sondern sogar Alles besser, hat un-
längst als enthusiastischer Kunstfreund in
der bayerischen Abgeordnetenkammer für
die „Jugend“ Reklame gemacht. Wir quit-
tirten ihm durch ein Inserat sofort unsern
Dank mit dem Wunsche, dass ihm das
Eintreten für unser frivoles, glauben- und
sittenloses Unternehmen nicht höher im
Jenseits möge angerechnet werden, als die
Weisswurst, die er am selbigen Tage, einem
Freitag, im Abgeordnetenrestaurant ver-
zehrt hatte. Parteiblätter glaubten mit Un-
recht, ihn wegen der mannhaft und mit
Appetit verzehrten Weisswurst in Schutz
nehmen zu müssen; immer weitere Kreise
„zog die Wurst mit jedem Tage, ja sie wuchs
sich allgemach zu einem Symbol unseres
Kulturzustandes am Ende des 19. Jahr-
hunderts aus, die Weisswurst strahlt heute
sozusagen als Glorienschein um das Haupt
des aufgeklärten, weisen und wahrheits-
liebenden Kämpen für Religion, Recht und
Moral, sie wird als leuchtender Ehren-
schmuck sein Wappenschild zieren bis in
späte Tage. Diese Wurst versinnbild-
licht besser als irgend etwas Anderes, was
dieser seltene Mann uns isst und bleiben
wird. Wie er sich persönlich zur Weiss-
wurst stellt, wie innig er ihr Wesen er-
fasst hat, wie warm er für sie empfindet,
für sie, die er aus medizinischen Gründen
auch am Freitag essen darf, nur um sich trotz
seines schwachen Magens dem bayrischen
Volke zu erhalten, beweist am Besten das
folgende, ihr, der Weisswurst gewidmete
kleine, duftige Lied, das uns eben zwar
pseudonym zuging, aber sicher auf dem Pe-
gasus, des berühmten Pädagogen, Staats- Frei nach Sascha Schneider.
manns, Parlamentariers und unerreichten
Virtuosen in der Kunst, Carriere zu machen,
gewachsen ist. Die Redaktion. Magasin d’Antiquites
Weisswurst-Lied
(frei nach Schiller.)
Vier Elemente, Allerhand Würze
Innig gesellt, Wählet dann klug.
Bilden die Weisswurst,
Bauen die Welt.
Sonst ist die Wurst nicht Adolf Steinharter
Schmackhaft genug.
8 Briennerstrasse 8
Erst von dem Schweine Jetzt bringt die Därme
Nehmet ein Stück, Eilends herbeil Cafd Luitpold (Eckladen)
Putzet es sauber, Stopft sie bis oben München
Wiegt’s mit Geschick I Voll mit dem Brei!
Gerichtlich beeidigter Expert
Aber auch Kalbfleisch Theilet die Würste, und Schätzer.
Wieget hinein I Kochet sie gar;
Denn allzu fett war’ Nur wenn sie frisch sind, -#-
Schweinfleisch allein. Schmecken Sie rar!
DR. O. R. TERER. Ein- und Verkauf
werthvoller
Ein junges Mädchen aus den feinsten Kreisen.
Alterthümer. (Aus „ScrapsLondon.)

Sinter dem 'Protektorate Sr. D\gl. StoHeit des Prinsregenten Puitpold von Bayern, des Dpnigreichs Bayern Perweser

Bayerische Landes-Industrie-, Gewerbe-1


-- und Kunst usstellung
in <len grossen städtischen Parkanlagen
vom 15. Mai bis 15. Oktober 1396

339
Inseraten-Annahme Insertions-Gebühren
durch alle Annoncen-Expeditionen
sowie durch
G. Hirth’s Verlag in München
und Leipzig. JUGEND»“
Die „JUGEND“ erscheint allwöchentlich einmal. Bestellungen werden von allen Buch- und Kunsthandlungen, sowie von allen Postämtern
für die
4 gespalt. Colonelzeile oder deren
Raum Jk l.—.

und Zeitungs-Expeditionen entgegengenommen. Preis des Quartals (iz Nummern) z Mk., der einzelnen Nummer 30 Pf.

Bayrisch-Parlamentarisches
Einst hob die mächtige Hand die Kirche, die Bildung zu schirmen Jetzt ist es anders: vereint sind Junker und Pfaffen im Kampfe
Und seine schneidige Wehr lieh ihr der Adel dazu — Wider die Bildung, die kühn — Vollmar, der Rothe, beschützt.

051 v c t x u t v rX) rt t f tlj c AB v Ijr nt c v & Jt ü 11 v


verbunden mit theoretischen Vorträgen. Die beste Ausbildimgsmethode
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Litteratur mit hunderten von ärztlichen Gutachten gratis und franco. Nicolay & Co., ch0SS“'ut Hanau.
Herausgeber: Dr. GEORG HIRTH; verantwortlicher Redakteur: F. von OST1NI; verantwortlich für den Inseratentheil: G. EICHMANN, G. HlRTII’s Kunstverlag; sämmtlich in München.
Druck von KNORR & HIRTH, Ges. m. besclir. Haftung in München.
ALLE RECHTE VORBEHALTEN.
• JUGEND -

Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben.


Es jubeln's die Glocken Lang helfe der ksimmel Die Lüge, den Schwindel,
In Hellem Frohlocken Im V ö l k e r g e w i m m e l Das Lumpengesindel
In's Land hinaus: Dein Frieden zum Sieg! — Im Lande umher!
„Ein Vierteljahrhundert — Uns aber im Engcrn, Und wenn die Gesellen
Wie Alles sich wundert! — Uns mög' er verlängern Auch geifern und bellen —
Ist Friede im bjaus!" Auf lang noch den Krieg! Viel Feinde, viel Ehr!
Es flattern die Fahnen Der Krieg nur führt weiter Je gröber sie schelten,
Von Dach und Altanen; Die fröhlichen Streiter, Je schlimmer wir gelten
Mit Vivatschrei'n Des Lichtes allein. Den Worden der Nacht;
Beim rauschenden Feste Von Feinden umgeben, Je dichter die Reihen
Trinken die Gäste Blüht ihnen nur Leben Der Feinde uns dräuen —
Des Friedens Gedeih'n. Und wahres Gedeih'n! Je froher die Schlacht!
Kanonen knallen, Auf muthigen Rosien,
Wir müssen uns schlagen,
Die kjüllcn fallen Umschwirrt von Geschossen,
Daß dumpfes Behagen
Von Bildern aus Erz; Der Vollkraft bewußt,
Die Herrschaft nicht kriegt;
Festlieder erklingen, Im wildesten Toben
Wir müssen's besorgeii,
Ein Klingen und Eingen Die Arme zu proben —
Daß über das „Morgen"
Tönt allerwärts! Du himmlische Lust!
Das „Gestern" nicht siegt!
Ist auch ein Segen, Schon winken von ferne
Daß allerwegen Wir dienen auf Erden Uns glückliche Sterne
Der Friede blüht! Dem Sprossen und Werden, Mit magischem Glanz;
Beiin Klang der Schwerter Dem strahlenden Tag; Schon nahen die Schönen,
Ward Alles härter — Die Falschen, die Faulen, Die Helden zu krönen
Sinn und Genrüth! Die nörgeln und maulen, Mit ewigem Kranz —
Bedroht unser Schlag!
Wie schlug der Wandel Wir werden's erreichen,
Gewerken und Handel Es klingen die Speichen,
So prächtig an! Es funkelt die wehr;
Wie hat sein Dauern Wir jauchzen, wir jagen
Dem Bürger, dein Bauern Als Sieger im Wagen
So wohl^gethan! Der Zukunft einher!
lh>96 JUGEND Nr. 22

Zufällig war es gerade 12 Uhr in der Stadt Dingsda und die


Kinder kamen aus der Schule. Lärmend und lachend umgaben sie
das Paar und folgten ihm in immer stärker anschwellenden Massen,
zu denen sich Lehrlinge, Arbeiter und zahlreiche unbeschäftigte Per-
sonen gesellten.
Jetzt däuchte es dem Teufel an der Zeit zu sein, für eine kleine
Abwechslung in seinem Vergnügen zu sorgen. Er hat bekanntlich
die Macht, sich in jede beliebige Gestalt zu verwandeln und dieser
Macht bediente er sich jetzt. Anfangs glaubte der Polizist, sein
nobler Gefangener sei ihm entwischt, als statt seiner ein polnischer
Jude mit Seitenlocken und langem schmierigen Kaftan gar demüthig
neben ihm hertrottelte; er sah sich um, wo der Baron geblieben
sei, und als er nach vergeblicher Umschau wieder auf seinen Ge-
fangenen blickte, war der polnische Jude verschwunden und an seine
Stelle ein Geheimrath in prachtvoller goldgestickter Uniform ge-
treten. Packan wollte sich in grosser Bestürzung bei diesem Herrn
entschuldigen und hatte schon angefangen: „Excellenz ...“, als schon
wieder ein anderes Gesicht ihm entgegenlachte, das eines zerlump-
ten Musikanten mit entsetzlich langer kupferrother Nase. Plötzlich
fiel dieser vornüber auf seine Hände und sah nun einem
Kameel so täuschend ähnlich, dass alle Kinder vor Ent-
zücken laut aufschrieen; denn sie glaubten nicht anders,
als dass der Fremde ein geschickter Taschenspieler sein
müsste. Erst aus dem Kameel verwandelte sich der Teufel
wieder in die Gestalt zurück, worin er die
Stadt betreten hatte.
Mit seiner grossen Perrücke gar stattlich
angethan, stand der Bürgermeister von Dings-
da am Fenster seines Zimmers im Rathhause
und schaute seelenvergnügt hin-
Der Teufel war eines Tages sehr guter aus; denn die Magistratssitzung
Laune; das kam daher, dass die
Kohlen sehr billig geworden waren, und war eben zu Ende und er wollte
er in Folge dessen seinen Bedarf für das nach Hause gehen, wo ihn heute
ganze folgende Jahr zu überaus niedrigen sein Lieblingsessen, Hasenbraten
Preisen eingekauft hatte. In seiner ver- mit Apfelmus, erwartete. Gerade
gnügten Stimmung beschloss er, sich einen da hörte er das lärmende Ge-
lustigen Tag zu machen; er sagte daher zu tümmel und sah die Menschen-
seiner Grossmutter, er habe einen kleinen Aus menge, die sich auf das
flug vor, sie brauchte mit dem Mittag- und Abend- Rathhauszuwälzte.Ver-
essen nicht auf ihn zu warten; dann steckte driesslich schob ersieh
er den Hausschlüssel zu sich und fuhr durch die die Perrücke aufs Ohr
Krateröffnung des Vesuv seelenvergnügt auf die und brummte: „Was ist
Oberfläche der Erde hinaus. denn da wieder für eine
Weil es ihn aber schon oft geärgert hatte, dass
die Deutschen von einem „armen Teufel“ oder
einem „dummen Teufel“ reden, so beschloss er,
sich nach Deutschland zu wenden, und dort irgend einen
recht hinterlistigen Streich auszuüben. Er flog also über die
Alpen, und als er mitten über Deutschland war, Hess er sich in
Dingsda, einem mittelgrossen und wohlhabenden Städtchen nieder,
und überlegte nun, was er thun sollte. Er war sehr elegant nach
der neuesten Mode gekleidet, trug einen rabenschwarzen, funkel-
nagelneuen Hut, papageigrüne Handschuhe, karrirte Hosen, ein
zierliches Spazierstöckchen und sah aus wie ein Baron.
Das war es nun gerade, was ihn in ein Abenteuer verwickelte,
wie er es sich gewünscht hatte. Denn vor einigen Tagen war von
einem Gauner in der Hauptstadt des Landes ein arger Betrug ver-
übt worden, und diesen Gauner suchte man; er war ebenfalls ein
feingekleideter Herr mit Cylinder, papageigrünen Handschuhen,
karrirter Hose und Spazierstock gewesen, und so stand er in dem
Steckbrief beschrieben, der an sämmtliche Polizeibehörden des
Landes ergangen war.
Wie der Teufel also gemächlich durch die Strassen von Dings
da spazierte, bemerkte ein Polizist seine Aehnlichkeit mit der Be-
schreibung des feinen Betrügers. Der Polizist, der den hübschen
Namen „Packan“ trug, näherte sich also dem verdächtigen Frem-
den und fragte ihn sehr höflich: „Entschuldigen Sie, mein Herr, darf
ersuchen, mir Ihren Namen zu nennen?“
Der Teufel grinste ihn so an, dass Packan förmlich erschrak, und ant-
wortete: „Ich heisse Beelzebub.“ — Packan nahm ihn darauf sofort mit festem
Griff beim Arme und sprach: „Aha, ich sehe. Sie wollen sich irrsinnig stellen,
aber das nützt Ihnen nichts. Sie sind verhaftet im Namen des Gesetzes!“
Gezeichnet von Arpad Schmidliammer.
Nr. 22 JUGEND 1896

niederträchtige Geschichte im „Ihn ist der Accusativ von er,“ sagte der Teufel.
Gang? Muss denn so etwas „Lassen Sie Ihre Dummheiten, sage ich Ihnen zum
immer um 12 Uhr passiren, letzten Male!“ schrie jetzt erbost der Polizeihauptmann.
wenn ich gerade zum Mittag- „Wer sind Sie?“ '
essen gehen will?“ „Ich bin der Teufel,“ antwortete dieser und überreichte
Indem erkannte er unter dem Fragenden höflich seine Karte, worauf sehr zierlich ge-
der lärmenden Menschenmen- druckt war: „Luzifer Beelzebub, erster der Teufel und Be-
ge seinen Polizisten, und das herrscher der Hölle.“
Fenster öffnend, rief er hinaus: Nun geriet auch der Polizeihauptmann in die grösste
„Wen bringt Ihr denn da, Wut; eine solche Unverschämtheit war ihm noch gar nicht
Packan?“ vorgekommen; er schrie den Verbrecher an, worauf dieser
Aber bevor noch Packan noch lauter schrie; dazwischen tobte der Bürgermeister und
antworten konnte, rief der schimpfte der Polizist, kurz es war ein solcher Höllenlärm,
Teufel, indem er sehr ehrer- dass die Fenster klirrten und sich draussen vor dem Rath-
bietig seinen Hut abzog, hin- hause eine grosse Menschenmasse ansammelte, die ganz ver-
auf: „Habe die Ehre, Herr wundert dem immer lauter werdenden Gebrülle lauschte.
Bürgermeister! Wie geht es Der Teufel wurde endlich des Gezänkes müde und be-
Ihnen und Ihrer werthen Frau schloss, sich auf würdige Weise zu verabschieden. Er nahm
Gemahlin? Ich habe Ihnen Grüsse vom Kaiser von Marokko, plötzlich seine eigene Gestalt mit Hörnern und Schweif an,
vom Grossmogul in Delhi und vom obersten Häuptling der riss dem Bürgermeister die Perrücke vom Kopfe und schlug
Papuas zu bestellen.“ sie Packan um die Ohren, dass der Mehlstaub umherflog,
-J Die Menge brach in schallendes Gelächter aus, der nahm das Tintenfass, goss es dem Polizeihauptmann über
Bürgermeister aber warf wutschnaubend das Fenstei zu dessen Glatze und stülpte darüber das Sandfass —, dann war
und eilte in das Sitzungszimmer des Polizeihauptmannes, er plötzlich verschwunden, ehe die drei sich von ihrem
wohin der Arrestant gebracht werden musste. Schreck erholt hatten; nur ein hässlicher Schwefelgeruch
Gleich darauf trat auch schon Packan mit dem Teufel erinnerte noch an ihren höllischen Besuch. Als sie wieder
ein und meldete: „Habe gehorsamst zu berichten, dass ich etwas zur Besinnung gekommen waren, beschlossen sie recht
ein ganz gefährliches, bedenkliches und verdächtiges, ja so- kleinlaut, über den ganzen unangenehmen Vorfall strenges
gar höchst miserables und unangenehmes Individium fest- Schweigen zu beobachten und weiter nichts anzugeben, als dass
genommen habe. Dasselbige freche .. . .“ der verdächtige Fremde sich als ein ganz harmloser Mensch
Hier unterbrach ihn der Teufel, indem er mit hoch- entpuppt habe und darum wieder freigelassen worden sei.
mütiger Gebärde die Hand in den Westenausschnitt steckte Der Teufel aber hatte die Stadt nicht verlassen, ohne
und sagte: „Ich verbitte mir solche Insulten von einem ganz einen tückischen Streich zu verüben, was der Bürgermeister
gewöhnlichen Häscher und Packan. Mir kommt anständige alsbald zu seinem Schaden erfahren sollte. Denn als er,
Behandlung zu, und wird sie mir nicht zu Theil, so werde noch ganz verdutzt und bestürzt über das soeben Erlebte,
ich mich bei der Regierung beschweren.“^ nach Hause ging, bemerkte er in einem Hutladen, an dem
Der Bürgermeister, ausser sich vor Wut, schrie ihn ihn sein Weg vorbeiführte, eine Kopfbedeckung, die ihm
an: '„Räsonniren Sie nicht, und warten Sie, bis Sie gefragt ganz ausserordentlich wohlgefiel. Es war eine sogenannte
werden. Wir werden Ihnen gleich zeigen, wie man sich Ballonmütze, eine hohe graue Mütze, deren weiches Ober-
gegen den hochedlen und wohlweisen Bürgermeister von teil ballonartig über den hohen steifen Unterteil hervor-
Dingsda zu verhalten hat!“ ragte, und eigentlich war sie unnennbar scheusslich; aber
„Sie sind ein Narr!“ sagte der Teufel mit höhnischer dem Bürgermeister kam sie wie ein Meisterwerk eleganter
Gelassenheit, indem er aus der Schnupftabaksdose, die der Feinheit vor, und er konnte dem Antriebe nicht widerstehen,
Bürgermeister in der Hand hielt, eine gewaltige Prise nahm. in den Laden hineinzutreten und sie zu kaufen. Das war
Diese neue unerhörte Frechheit brachte den eben die listige Bosheit des Teufels, dass er über diese greu-
Bürgermeister dermassen aus der Fassung, liche Mütze einen Zauberspruch gemurmelt hatte, in Folge
dass er kirschrot im Gesichte auf seinen dessen sie vier Wochen von Jedermann
Stuhl zurücksank und mit dem Munde in der Stadt Dingsda für wunderschön
auf- und zuschnappte wie ein Karpfen, gehalten wurde. Nur für Auswärtige
ohne ein Wort hervorbringen zu können. hatte der Zauberspruch keine Kraft;
Der Polizeihauptmann musste heim denn sonst wäre ja der Scherz des
lieh lachen, nahm aber äusserlich Teufels nicht so lustig gewesen.
eine sehr strenge Miene an und Als der Bürgermeister mit dieser
fragte den Teufel: „Was ist Er?“ pöbelhaften Kopfbedeckung zu Hause er-
„Er ist ein persönliches Für- schien, war seine Frau anfangs heftig er-
wort der dritten Person,“ ant- schrocken, aber dann wirkte der Teufels-
wortete der Teufel, ohne eine zauber und verwandelte ihren Schreck
Miene zu verziehen. in Wohlgefallen. Das Eigentümliche
„Herr, Sie wollen mich zum bei diesem Zauber war aber, dass die
Besten haben!“ rief der Polizei- Verblendung wich, sobald man die Mütze
chef zornig. „Wer ist Er, frage nicht mehr vor Augen hatte; so kam es,
ich -—; Ihn meine ich, Ihn!‘‘
1896 JUGEND Nr. 22

dass bei Tische die Bürgermeisterfrau, indem ihr einfiel, umherstolzierten. Als der Abend herankam, hatten schon alle
wie ihr Mann ausgesehen hatte, ihn fragte: ihre Bekannten das Beispiel nachgeahmt; am nächsten Tage
„Sage mir nur um Gotteswillen, Mann, was ist dir nur kauften immer mehr Leute die Kopfbedeckung, die in ihren
angekommen, dass Du eine so schauderhafte Mütze auf- Augen wunderhübsch war, und die Ladeninhaber schickten
setzen konntest?“ Eilboten nach der nächsten grösseren Stadt, um alle Ballon-
„Findest Du sie so hässlich?“ fragte er verwundert. mützen, deren sie habhaft werden konnten, anzukaufen, weil
„Ganz scheusslich“, sagte sie. ihre Vorräthe auf die Neige gingen.
Der Bürgermeister dachte nach und musste seiner Frau Am dritten Tage liefen alle männlichen Einwohner von
Recht geben. „Ich weiss nicht, wie es gekommen ist“, sagte Dingsda mit den greulichen Mützen auf dem Kopfe umher,
er kleinlaut. „Ich fand sie wunderhübsch —, aber im Grunde und die Fremden, welche dorthin kamen, wussten sich vor
sehe ich niederträchtig darin aus. Du kannst sie dem Schorn- Erstaunen über die närrische Mode gar nicht zu fassen.
steinfeger schenken“. Diejenigen, welche ihre Reisen in Zeitungen und Büchern
„So ein Ungethüm trägt kein halbwegs anständiger Schorn- beschrieben, erzählten mit Spott und Hohn von der Ge-
steinfeger“, schalt die Frau ergrimmt. „Ich werde sie in die schmacksverirrung der Einwohner des mitteldeutschen Städt-
Kehrichttonne werfen“. chens Dingsda, und in diesem schlechten Rufe blieben die
Sie ging hinaus, um diesen Vorsatz sofort zur Aus- armen Dingsdaer, lange nachdem sie ihre Thorheit einge-
führung zu bringen. Aber als sie die Mütze erblickte, schlug sehen hatten und die Zeit, welche der boshafte Teufel für
ihr Zorn abermals in Wohlgefallen um; sie nahm sie vom ihre Verzauberung bestimmt hatte, abgelaufen war.
Kleiderständer, betrachtete sie vergnügt, und hängte sie Weil nun dem Erzfeind der Menschheit dieser nieder-
wieder hin. trächtige Streich so über die Maassen wohl gelungen war,
„Es wäre doch Schade um die theure Mütze“, sagte sie, beschloss er, ihn in ausgedehnterem Umfange zu wiederholen
als sie wieder in’s Zimmer trat; indem sie sich niedersetzte, und, wenn es anginge, alle Erdenbewohner mit der lächer-
ärgerte sie sich freilich schon wieder über sich selbst, aber lichen Thorheit der Dingsdaer anzustecken. Er beauftragte
sie sagte nichts. Denn sie war eine kluge Frau, und es ver- einen seiner Unterteufel, der sich durch besondere List, Ver-
dross sie immer, wenn der Bürgermeister sein Lieblingswort schlagenheit und Tücke auszeichnete, mit dieser Arbeit, und
anwandte: „Die Weiber wissen nicht, was sie wollen.“ der Unterteufel ging mit Feuereifer an’s Werk.
Der Bürgermeister ass, that sein Schläfchen und wollte Als Ausgangspunkt für seine Teufelei schien ihm eine
dann wieder nach dem Rathhause gehen, um weiter zu re- recht grosse Stadt am geeignetsten, und da er bemerkte,
gieren. Als er auf den Gang kam und dort die Mütze noch dass man sich nirgends mehr auf den eigenen Geschmack
hängen sah, rief er verdriesslich: „Ist das infame Ding noch einbildete, als in Paris, so schlug er in Paris seinen Wohn-
da?.... Aber im Grunde sieht sie doch ganz hübsch aus. sitz auf. Denn der Unterteufel wusste sehr gut, da er ein
Ich meine immer, sie steht mir recht gut.“ kluger Teufel war, dass niemand leichter eine Dummheit
Er sah sich verstohlen um, ob seine Frau in der Nähe und Geschmacklosigkeit begeht, als wer sich auf seine Klug-
wäre, holte seine Mütze herunter, setzte sie auf, und eilte heit oder seinen Geschmack recht viel zu gute thut. In
dann, so schnell er konnte, aus dem Hause. Die ihm be- Paris fing er also an, das tollste Zeug zu erfinden, und es
gegnenden Leute sahen ihm erst verwundert, dann aber wohl- dauerte nicht lange, so stand die ganze Welt unter dem
gefällig nach. Auf dem Markte traf er mit dem Eisenbahn- Zauberbanne seiner unerschöpflichen Erfindungsgabe. Die
direktor und dem Landgerichtspräsidenten zusammen und kam Pariser machten zuerst alle Narrheiten, die er ihnen eingab,
mit beiden Herren in’s Gespräch. und den Parisern machte es die ganze übrige Welt nach.
„Wo haben Sie denn die schöne Mütze gekauft?“ fragte Kein Kleidungsstück blieb von den Künsten des Teufels
ihn der Direktor. verschont, und keiner seiner Einfälle war so dumm, abge-
„Ein prächtiges kleidsames Ding!“ setzte der Präsident schmackt und lächerlich, dass er nicht in der ganzen Welt
hinzu. bewundert und nachgeahmt worden wäre. Die Damen
„Gefällt sie Ihnen?“ fragte der Bürgermeister sehr zu- schwärmten für Hüte, die bald so gross wie Wagenräder,
frieden, und beide Herren überboten sich in Ausdrücken des bald klein wie das Nest eines Zaunkönigs waren, bald ganz
Lobes über die Mütze. Das Ende vom Liede war, dass der hinten im Nacken, bald ganz vorn in der Stirn sassen, bald
Bürgermeister beide in den Laden führte, wo er das schauder- grossen Blumenbeeten, bald wandernden Straussen glichen,
hafte Ding gekauft hatte, und dass Direktor und Präsident Noch schlimmer ging es mit den Kleidern; in einem Jahre
sich ebensolche Mützen anschafften und damit in der Stadt sahen die Frauen wie riesige Tonnen aus, im nächsten Jahre
Nr. 22 JUGEND 1896

wie in nasse Handtücher eingewickelt. Sie schien ihr schimmernd durch’s Gewaw
Hässliche Auswüchse verunstalteten Dass sie gar lieblich vor ihm stand,
Schultern und Hüften, den Wuchs und In Züchten ganz und sonder Noth,
die Arme, die Taille sass entweder dicht Nicht wi^serid, was sie ihm entbot.
unter den Achselhöhlen oder lief in Dann flog es über ihr' Härlein fein,
riesigen Schnebben bis zu den Knieen Wob ihr aus Gold ein Krönelein,
hinunter: kurz, es war kein Ende der Ein Krönelein aus Sonnenstrahlen,
unsinnigen Dinge, aber alles erschien Wie die Maler die heilige Jungfrau male;
den Frauen wundervoll und entzückend; Und als der Ritter das geseh’n,
sie wurden auch nicht dadurch von ihrer Sein’ Augen Hess er stille steh’n,
Thorheit geheilt, dass ihnen ein Jahr Er zog ein Ringlein von der Hand
später abscheulich vorkam, was sie, so Und gab der Maid den güldnen Tand:
lange es Mode gewesen war, ganz rei- „Nimm hin, Du Jungfrau hold und rein
zend und prächtig gefunden hatten. Du sollst fortan mein Eigen sein!“
Auch nützte es nichts, dass verständige Er hob sie auf sein flinkes Ross
und wohlmeinende Männer auftraten Und führt sie mit sich auf sein Schlos
und die närrischen Tollheiten, die zahl- H. FRE1SE.
losen Verstösse gegen Geschmack und
Anstand, zu denen die unbegreifliche
Verzauberung der Frauen Veranlassung
gab, bald mit heissendem Hohne ver- Träumerei
spotteten, bald mit ernsten und straf-
enden Worten tadelten. Die Birke neigt sich, licht und schlank
Aber freilich ging es mit vielen Und strählt ihr langes Lfaar im winde.
Männern nicht um ein Haar besser; Ich liege ans der Rasenbank
sie trugen Hüte und Stiefel, Röcke und Und träum’ von meinem blonden Kinde.
Hosen, Westen und Halsbinden von den
unmöglichsten Formen, von den un-
sinnigsten Farbenzusammenstellungen, Ihr kleines Zimmer denk' id; mir
von der schauderhaftesten Hässlich- Utit seinen blau bczog’nen wänden:
keit. Und während sie mehr abschreck- Ringsum gefällig — bunte Zier
enden Vogelscheuchen als vernunftbe- Oeriheilt von flinken Ukädchenhänden.
gabten Menschen ähnlich sahen, waren
sie unbegreiflicherweise in dem Wahne Und an den Spiegel denk' id? mich:
befangen, von unwiderstehlicher Schön- Sie tritt herzu auf leidsten Füßen
heit zu sein. Und sieht mit holder Freude sich
Im Grossen und Ganzen ist es auch
Ihr eigen Bild entgegengrüßen.
noch heutigen Tages ebenso, der Unter-
teufel ist noch immer an der Arbeit und
macht klugen Frauen, sittsamen Mäd- Sie löst der Ejaare blaues Band;
chen und verständigen Männern das Zum Gürtel fließt cs frei hernieder,
Leben sehr sauer. Und darum ist es Und wie ein königlich Gewand
gut, dass die wahre Geschichte des Umwallt es ihre schlanken Glieder.
Teufels, der einen so widerwärtigen Un-
fug angestiftet hat, allgemein bekannt Sie tänzelt scherzend hin und her
werde. Der Teufel ist aber mit den Er- Und hebt ftd; lächelnd auf die Zehen,
folgen seines Unterteufels so zufrieden, Um in dem blanken Glase mehr
dass er ihn im Range erhöht und mit
Don ihrem holden Bild zu sehen.
einem besonderen Titel versehen hat,
was bei den Teufeln ähnlich wie auf
der Erde als eine besondere Auszeich- Und wie sie so beschäftigt steht,
nung gilt. So kommt es, dass sich jetzt Drück' id; behutsam auf die Klinke.
neben dem Spielteufel, dem Geizteufel Und wie die Thüre leise geht
und anderem unsaubem Gelichter noch Und wie ich ihr im Spiegel winke —
einer breit macht, der früher unbe-
kannt war: Der Modeteufel. In freud’gem Schrecken sie erbebt;
Umfangen halten wir uns beide:
Ihr duftig’ Märchenhaar nmwebt
Jungfer Unschuld Uns wie mit Gold und weicher Seide —• '
Es ritt ein Ritter Wohlgestalt,
Wollt jagen in dem grünen Wald. So bin ich Tag für Tag bereit
Und als er kam zum Wald hinein, IlTid; in Lrinn’rnng zu versenken
Begegnet ihm ein Mägdelein. Und mir in stiller Heimlichkeit
Der Ritter trat ihr in den Weg: Die schön’re Zukunft auszudenken.
„Was machst Du hier im Waldgeheg?
Leicht bringen Wurzeln Dich zu Fall, Id; liege auf der Rasenbank
Und Dornen gibt es überall“. Und träum’ von meinem blonden Kinde.
Das Mägdlein an zu weinen fing:
Die Birke wiegt sich, licht und schlank
„Ich bin ein arm’ unwissend Ding.“ —
Und als das Mägdlein also sprach, Und strählt ihr langes Haar im winde. ""
Da schien die Sonne durch den Hag, K. W

546
1896 JUGEND Nr. 22
——

Mein lieber Mann nimmt eine führ-


ende Stellung im Staatsdienste ein.
(Jawohl: als Lokomotivführer.)

Mein Sohn Felix weilt zur Zeit auf


der Universität in N.
(Und flickt dort das Blechdach.)
Meine Tochter Julie hätte täglich
Gelegenheit zur Verbindung mit
hochgestellten Personen.
(Am Telephon.)

Und meine Tochter Anna hat jüngst


©ine hervorragende Partie gemacht!
(Auf die „gache Wand“.)

Auch meine Tochter


Liese hat ihren eigenen
Wagen. (Hm 1 Hm!)

Meine beiden
Brüder bekleiden
die höchsten
Chargen
heim Militär.
(Als
Uniformschneider.)

Grössenwahn
Fragment aus einem Briefe der Frau Wilhelmine Frosch an eine Jugendfreundin.

347
Nr. 22 JUGEND 1896

Oho!
Es ist nicht alles thöricht, was die Dummköpfe denken,
aber auch nicht alles klug, was die Weisen sagen.
Sterbliche sind’s, welche die Unsterblichkeit zu- oder ab-
erkennen.
Mancher weiss erst dann, wie er über eine Sache denkt,
wenn er von einem Anderen das Gegentheil gehört hat.
Es gibt auch Maler, die eher an Raphael erinnern würden,
wenn sie ohne Hände geboren worden wären.
Um seine Ueberzeugung ändern zu können, muss man
erst eine haben. Das sollte manchen hindern, sich stolz in
die Brust zu werfen.
So schlecht denkt kein Mann von den Frauen, wie diese
von einander sprechen.
Es grenzt fast an das Unmögliche, was alles möglich ist.
Von der Mathematik abgesehen, ist 2X2 für die Einen:
fünf, für die Anderen: drei und nur für die Wenigsten: vier.
Kann es etwas Unkeuscheres geben, als wenn sich ein
Weib seiner Tugendhaftigkeit rühmt?
Veraltet? Warte zehn Jahre und es kann die neueste
Mode sein. g. engelsmann, wien.

Gezeichnet von Schmuz-Baudiss.

Spruch
Und kannst Du nicht segeln auf hoher Fluth
Mit stolzen, ragenden Masten,
So wähle ein Boot und zwei Ruder gut
Und rudere ohne Rasten.
Und ist Dein Schiff zu schwach und klein
Zur Reise nach fernem Lande,
So richte zur Küstenfahrt Dich ein —
Und hocke nicht faul am Strande!
HERMANN ABNOBA.

Veränderung
Mit einer Maske bargst Du Dich den Blicken,
Doch ich erkannte gleich Dich mit Entzücken —
Nicht birgt mehr eine Maske Dein Gesicht —
Ich sehe Dich, doch Dich erkenn’ ich nicht. Kl-e.
GO
Ihr habt von je die Seher blind gescholten,
Der Weise hat Euch stets ein Narr gegolten:
Weh’ ihm, was nutzt ihn alle seine Grütze,
Geht er mit Narren — ohne Narrenmütze.
Weh’ dem, der unter Esel sich verloren,
Kam auf die Welt er ohne — Eselsohren!
ROBERT OECHSLER. Gezeichnet von O. Eckmann.
1896 • JUGEND • Nr. 22

Zeichnungen von tz. Roßmann.

Ein ifiillfT stolz und fturrmt, fo zog der ßrijmrr? rintjrr, And näher Kam mir nun drr dütt're Kritersmann,
Lr hat mein altrs üjrr? durchbohrt mit scharfem Speer. Lr sprang vom Okerd und rührt' mit schwrrrr Hand
Mein Herzblut sprang rum Licht, rin rother Strahl, rmpor mich an.
And rann versiegend hin durch Gras und lölumenffor. In meine Wunde drang die Rechte, ttahlumschient:
Stacht sank um meinen Llick, rin Schrei noch rang sich So Kündet' er mir rauh, womit ich dies verdient.
los, — Da — unter'm Griff der Mutt, aus rh'rnrr Lodespein
Dann brach mein altrs Herz non mildrr Dualen Stosz. Wuchs mir rin neues Herz, verjüngt und stolz und rein.
Nach Paul Verlaine.

349
Sport

Für die „Jugend“ gezeichnet von A. v. Meissl.


Nr. 22 • JUGEND - 1896

„wen denn, was denn?I"


„Aber, mein Bester, die Herrlichkeit des
Himmels erschien!-Sie kommt alle tausend
Jahre, und dann bebt ein wonnevolles Er-
schauern durch alle Räume der Seligen!"
„Dummes Zeug! Lin ganzer Bogen ist
mir verdorben I"
Aergerlich schlug er die Thür zu und notirte
sich das Datum, um das nächste Mal auf der
Hut zu sein.
Bald war er wieder beim Rechnen. Ls
ging immer besser, wenn nichts dazwischen
kommt, hofft er, in ungefähr 20,000 Jahren
auch die Kometen richtig rubriziren zu können.
Das sind nämlich die schlimmsten von allen.

(Er war wirklich ein ungewöhnlich ordent- unter die lockere Schaar, wie die auseinander
licher Mann. Als sie kamen, um ihn zu be- stoben! Aber der Herr Registrator wußte, was
graben, fanden sie auf dein Nachttischchen zu sich schickte: devot zog er den Hut und sagte:
häupten einen säuberlich gesiegelten Brief mit „Gehorsamsten Dank, Exzellenz!" Jetzt lachte
der Aufschrift: „Lctztwillige Bestimmungen be- auch der «Erzengel; unbegreifliche Leute!
treffs meiner Beisetzung"; darin war genau Endlich kam der Audienztag. Der Regi-
vorgeschrieben, was zur Beerdigung zu be- strator war pünktlich da und bekam No. 2. Eulenspiegel
schaffen sei, wie theuer und wo am besten und Als er aber seinen Rlagesermon beginnen Ein schwarzer Punkt am Himmelsrand!
billigsten zu kaufen. Da zogen sie dem Todten wollte, winkte der liebe Gott gnädig mit der Das Auge starret unverwandt;
den neuen Frackanzug an, der schon auf dem Hand und sprach: „Laß nur, ich kenne Deine Ringsum das gold’ne Sonnenlicht,
Stuhl am Bett bereit lag, und bestatteten ihn Schmerzen. hier hast Du Deine Bestallung Den blauen Himmel seh’ ich nicht,
nach Vorschrift. Alles klappte tadellos; und als als Geheimrath in meine Rechnungskammer." Ich sehe nur mit Angst und Schreck
er mit dem silberknäufigen Rohrstock und dem Und er rief einem Engel, welcher den Be- Am Horizont den dunklen Fleck.
frisch aufgebügelten Lylinder an der Himmels- glückten fortführte. Doch wächst das kleine Wölkchen dann
thür erschien, da machte ihm St. Petrus eine Na, das war doch ein ander Bild! Vrdcnt- Zum wilden Ungewitter an,
ehrfurchtsvolle Verbeugung und sagte höflich: liche Regale und darauf säuberlich neben- Das recht auf mich hernieder tost,
„Schön guten Tag, Herr RegistratorI" einander Rolle an Rolle. Sogar ein grün- So fass’ ich Muth und schau getrost
Run war er im Fimmel. <Er hatte das beschlagenes Pult, ein Drchschcmel und ein Nach einem schwachen Streifen Licht,
eigentlich nicht anders erwartet, aber es gefiel riesiges Tintenfaß. Das war hier sein Spczial- Der ferne durch die Wolken bricht.
A. MO.
ihm absolut nicht. Ls war ja gräßlichI Rein büreau. wahrhaftig, Arbeit für eine Ewig-
regelmäßiger weg, die Lilien standen wirr her- keit I himmlische Güte! Zwei- und sünfstrahl-
um und die (Engel — heiliger Schreck! Nichts ige Sterne durcheinander notirt, hier sogar
auf dem Leibe, rein gar nichts! — In sprach- ein Fixstern mit einem Planeten verwechselt.
loser (Entrüstung inachte er sich den zweiten Sogleich begann er zu arbeiten, es ging Einer jungen Sängerin
Frackknopf zu und ging weiter, ohne sich um- recht flott, nach Tagen hatte er die erste Entperlen im Gesänge
zusehe». Auf einmal zupfte ihn was an den Rolle bereits erledigt.' Blieben immer noch Die Töne Deiner Kehle,
Rockschößen. Wahrhaftig, da baumelten ein 999,999/999/999»999- Da durfte nicht gefeiert Gleich schwingen meiner Seele
paar von den nackten Bausbacken und kreisch- werden. Geheimste Saiten mit.
ten vor Vergnügen. (Empört hob er den Stock Er war im besten Rechnen, als auf einmal Gestimmt nach Deinem Klange,
— wutsch, saßen sie mollig in einem vorüber- ein Zittern durch den ganzen Raum ging. Erwachen' sie zum Leben,
ziehenden Rosenwölkchen und machten ihm eine Alles gerietst in Schwanken, und das große Wenn kaum Dein Fuss mit Beben
lange Nase. Nette Zustände! Tintenfaß ergoß plötzlich seinen schwarzen Die Scene scheu betritt.
Aber da war vorläufig nichts zu machen. Strom über den halbbeschricbenen Bogen. Er Wenn dann Dein Lied beendet,
Den schriftlichen Beschwerdeweg kannte man riß die Thür auf, da schwebten und flogen un- Dann klingen, leise schlitternd
unbegreiflicher weise nicht; heut' war Mittwoch zählige Schaaren an ihm vorüber in festlichem Die Saiten nach, verzitternd,
und erst am Freitag die große Audienz für Zuge und ein wunderbares Läuten klang da- Von Deinem Hauch bewegt:
alle, die irgend ein Anliegen hatten. Mühsam her in silberklarcm Akkord. Dann steht, wenn Beifall spendet
gefaßt schlich der Geplagte herum, ein Schwarm „was ist denn los?!" Mit lautem Ruf die Menge,
von himmlischen Gassenjungen hinterdrein. Da Da wandte ihm der Nächste das strahlende Ein Träumer im Gedränge,
erkannte sich der «Erzengel Gabriel des Un-- Antlitz zu: Der nicht die Hände regt.
glücklichen und kam mit seiner goldenen Ruthe „hast Du sie denn gar nicht gesehen?" PRAG. HUGO SALUS.

352
Wie die Sommerfrischler in X die Ernte einbringen müssen,

damit die Bauern ihre — Rollen studiren können! Für die „Jugend“ gezeichnet von A. Roeseier.

353
Nr. 22 JUGEND 1896

Zeichnung von Sion Wenban.

Wetternacht Hoffnung
Am Himmel düst’re, dunkle Wolken zieh’n,
Des Wetters Athem wühlt in dem Jasmin, Die Hoffnung ist ein thöricht’ Kind
Die weissen Dolden schwanken hin und her Und lässt sich immer wieder narren,
Dumpfschwül die Nachtluft und von Düften schwer. — So viel Enttäuschungen sie auch voll Leid erfahren.
Manchmal von fern ein schwacher Donner grollt. Der kluge Zweifel aber gleicht
Es flammt der Horizont in blassem Gold Gar nie dem Liebreiz dieses Kindes,
Die fahle Lohe durch das Fenster bricht Dem schon als volle Aehre glänzt
Und überzuckt die Wand mit grellem Licht. — Ein Saatkorn, das noch Spiel des Windes.
Ich schaue reglos in die finst’re Nacht MAXIMILIAN BERN.
Einsam allein bei mir die Sorge wacht
Mein Haupt liegt müd’ und matt in
ihrem Schooss
&
Und draussen gellt des Sturms Fan-
fare los. —
WILHELM MÜLLER-WEILBURG. Wegblume
OTO
Heiss glüht und gleisst die Felsenwand,
Räthsel Im Schatten träumt der Flieder —
»Dunkle räthselhafte Augen
Da flattert mir von weisser Hand
Gebt von eurer Tiefe Kunde! Ein grünes Zweiglein nieder.
Räthselhafte dunkle Wasser
Sagt, was bergt ihr auf dem Grunde? Ei ho! Was trägst Du, seltne Blüth’,
Sind es Schätze, edle Perlen? Du duftig Laubgelände —
Will versuchen sie zu heben; Wie das von dunklen Sternen glüht!-
Ist’s ein schauriges Geheimniss? Da küss’ ich schon zwei Hände,
Will’s verschweigen und vergeben.«
Kam ein Sturm; —den Grund aufwühlend Da zwing ich schon ein süsses Gut
Löste er die Räthsel beider: In’s hohe Berggras nieder ....
Dunkle Wasser, dunkle Augen — Die Halde zuckt in Mittagsgluth —
Schlamm verbargen sie, nichts weiter. Im Schatten träumt der Flieder.
A. MO. Zeichnung von Harrach. LANGHEINICH.

354
Gezeichnet von O. Eckmann.

355
Nr. 22 • JUGEND 1896

Kmtfi Titelblatt dieser Nummer


In die enge alte Gasse „Mutz ich nn verborgnen finden ibt die Zeichnung der
Ragt ein langes Schild. was ich sucht' nmsunst?
Drauf gemaltjjvon Künstlerhänden Daller, hier erblick ich endlich
Krängt ein hohes Bild. Rechte Münchner Kunst? Einbanddecke
Links und rechts zwei rothe Schinken, wie so reinlich es gemalt ist!
Dann die Leberwurst, Die Idee so nett! für den ersten. Halbjahrsband der
Rn- ein Kretzsack! Man empfindet Sehen Sie die frischen Farben
„JUGEND“ wieder. Die Zeich-
Schon beim Anseh'n Durst. An des Schinkens Fett!"
nungwird auf den Leinwanddecken
wandelnd durch die alte Gasse „Grterer, Sie haben immer,
Kamen zwei zu geh'n, wirklich immer Recht. dunkelgrün auf lichtrothcm Grunde
vor dem Kunstwerk blieben beide Dieser Kretzsack, dietz Geselchte erscheinen, durch reichliche Gold-
Lange sinnend steh'n. Diese Kunst ist acht!"
pressung gehöht. Der Preis der
Und die Guten gingen weiter
Ihres weg's fürbatz. Einbanddecken sowie der Sammel-
kauften sich in hoher Freude mappen in gleicher Ausstattung ist
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35<$
1896 JUGEND Nr. 22

\in\e? dem P?o\ec\o?a\e Lerne? ^öm^mYveTY HoY\eW


des Wmire^erden Lu\\po\d vcm Bauern, des VmmtzremVvs Bauern Xerlese?.

\Wb§ \%*b§
Wndes-\tvdus\m-, Oe^werbe- a.Yw\ms\--Jmss\eW\m|l
:M/ ••
Mom \b.To'\s\b.Od. ^omlb.MaÄ b\s\b.Oo\.

557
Nr. 22 JUGEND 1896

i. Für die zahlreichen und rührenden Zeichen freundlicher Gesinnung, die die Familie Spleen ihrem Nachbar diesseits des Kanals in letzter
Zeit gesandt hatte, erwartet sie im Lauf des Sommers seinen ,,Quittanzbesuch“.

UEBERALL ZU HABEN
* f AULHORNs NÄHRKAKAO
¥M\GL. UOYLYLYLmWT

3.1

•Kt\- \md V epk&xtf


seWeuev und 'VjerWwoWer -hnWquWalen.
Schokoladen
w Steinbacher’s F cc.Petzqld & Aulhorn
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Herr Dr. med. Rosenfeld in Berlin schreibt: „Bei einem sehr herabgekommenen Patienten,
Allgemeine der lange Zeit verschiedene Eisenpräparate ohne irgend welche Besserung angewandt, habe ich Ihr Haema-
togen mit so gutem Erfolge gebraucht, dass nach der ersten Flasche der Appetit, welcher ganz darniederlag,
und der Kräftezustand sich merklich besserten. Namentlich hob der Kranke den angenehmen Geschmack
des Präparates sehr hervor. Nach der zweiten Flasche waren die Kräfte bereits so
weit gehoben, dass er seinem Berufe, dem er sieh seit langer Zeit hatte ent-
ziehen müssen, wieder vorstehen konnte.“
Herr Dr. med. Offergeld in Köln a. Rh.: „Was mir an der Wirkung besonders aufgefallen,
war die in allen Fällen eingetretene, stark appetitanregende Wirkung und insbesondere bei älteren
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358
1896 JUGEND Nr. 22

2. In Deutschland ist man aber der Ansicht, dass, wie die Sachen liegen, eine Landung in England unmöglich ist.

Vormittags neun Uhr wurde auf dem Marktplatz ein Denk-


mal für Jacques Offenbach in Gegenwart der Grossherzogin
enthüllt. Dieser Theil der Feier war besonders sinnig ange-
ordnet. Die Mitglieder des Vereins zur Hebung der künst-
lichen Fischzucht bildeten Spalier. Dann ergriff Bürgermeister
Müller das Wort, gedachte in längerer, patriotisch begeisterter
Rede der Verdienste seiner Amtsvorgänger, ging dann in ge-
schickter Weise zu den Thaten eines im dreißigjährigen Kriege
verdienten Grossherzogs von Gerolstein über und schloss mit
einem Hoch auf die Landesmutter. Hierauf trat Frln. Rosa
Mollig von der grossherzoglichen Hofbühne vor und dekla-
mirte mit wahrhaft herzergreifendem Ausdruck „des Sängers
Fluch“ und als Zugabe „Johann, der muntere Seifensieder“.
Als sie geendet hatte, intonirte der „Männergesangverein
Gerolstein“ das schöne, immer wieder auf’s Neue so sehr
zum Herzen sprechende Lied: „Wer hat Dich, Du schöner
Wald“ und dann fiel unter den Klängen des Fatinitza-Marsches
die Hülle des Denkmals. Ihre Hoheit die Frau Grossherzogin
geruhten hierauf das Denkmal für enthüllt zu erklären und
forderten Höchst Ihr geliebt; i Volk auf, in dieser Weise auf
dem Pfade aufopfernder Vaterländchensliebe fortzuschreiten.
Dann folgte Rückfahrt durch die festlich geschmückten Stras-
sen der Stadt, wobei es leider zu einigen Verhaftungen wegen
unterlassener Hochrufe kam. Das französische Menu der nun
folgenden Galatafel im N. Schloss war, stilistisch wie culi-
narisch betrachtet, ein Meisterstück.
Abends fand Festvorstellung im grossherzoglichen Hof-
theater statt — einfach grossartig! Ein vaterländischer Dichter
hatte einen Prolog zum Preise des grossen Römers Mucius
Gerolstein, am n. Mai. Scaevola gedichtet, dann spielte das Hoforchester die Fest-
hymne: „Voici le sabre de mon pere“ und dann begann das
Gestern feierten wir hier unter rauschenden, glänzenden Festspiel — eine glänzende Vorstellung von „Madame sans
Festlichkeiten die fünfundzwanzigjährige Wiederkehr des Gene“. Zum Schlüsse stieg der Darsteller des Napoleon auf
Tages, an dem 1871 zu Frankfurt a. M. der Friede geschlossen den Souffleurkasten und brachte ein Hoch auf Ihre Hoheit die
wurde. Eine ganze Reihe höchst origineller Veranstaltungen Frau Grossherzogin aus. Diese überraschende und so über-
wurde der Bedeutung des Tages gerecht. aus sinnige Wendung fand allgemeinen Beifall.
Morgens um sieben Uhr verkündete Glockengelaute von Neben Ihrem Berichterstatter sass in der Loge ein höherer
allen Thürmen der Residenzstadt den Anbruch der Feier. Staatsbeamter, den ich über die Bedeutung des Festes als ge-
Hundert in die Gerolstein’schen Nationalfarben, blau und wissenhafter Referent sofort interviewte. Er sagte:
grün, gekleidete Waisenkinder erhielten unentgeltlich >e eine „Ja, jetzt sind es fünfundzwanzig Jahre her, dass der
halbe Flasche Gerolsteiner Sprudel zum Frühstück. Es war blutige gerolsteinisch- französische Krieg beendet würbe
ein erhebender Moment, kein Auge blieb trocken. Von allen ein grosser Moment!“ Er hüstelte fein — diplomatisch.
Dächern wehten blaugrüne Wimpel. Porträts der Gross Ich sagte: „Meiner bescheidenen Ansicht nach hat doch
herzogin und Tafeln mit passenden Inschriften: wie „UeD aber eigentlich nicht Gerolstein den Krieg mit Frankreich ge-
immer Treu’ und Redlichkeit!“ oder „Lang lebe die Gross- führt, sondern Deutschland.“
herzogin!“ oder „Gott schütze die Landwirtschaft und die Mein Nachbar wurde todtenblass, schaute sich verlegen
Gewerbe in Gerolstein!“ oder „Freut Euch des Lebens, weil um und gerieth in’s Wanken. Ich fragte, was ihm fehle:
noch das Lämpchen glüht!“ — zierten die Häuser. Berittene „Junger Mann“ gab er zur Antwort, „Sie hätten sich
Gensdarmen sprengten durch die Strassen und überritten aber auch etwas vorsichtiger ausdrücken können, so was sagt
zwei kleine Kinder und einen pensionirten Kanzleirath. Die man doch nicht laut!“ Sprach’s und verliess, immer noch un-
ältesten Leute konnten sich an einen so schönen Tag nicht
erinnern.
sicheren Schrittes, die Loge.

559
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durch alle Annoncen-Expeditionen 1896 für die
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Die „JUGEND“ erscheint allwöchentlich einmal. Bestellungen werden von allen Buch- und Kunsthandlungen, sowie von allen Postämtern
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Herausgeber: Dr. GEORG HIRTH; verantwortlicher Redakteur: F. von OST1NI; verantwortlich für den Inseratentheil: G. EICHMANN, G. HlRTIl’s Kunstverlag; sämmtlich in München.
Druck von KNORR & HIRTH, Ges. m. beschr. Haftung in München.
^AÜtvcVvner $uStn ^/0cVve^sChr& W Ko„stun4^ben- &u^-
Nr. 23 JUGEND 1896

Iugenöklang Verführung
Hem klingr's wie Lerchenlieder Der Tag, der schwüle,
verblasst und nun
Durch meine Traurigkeit. An dieser Düble
Rchrst du mir niemals wieder Wegehrt zu ruh'n,
(!) meine Jugendzeit V Mas sich ergehen
Dem Fest der Lust.
(!) schmerzlich süßes Sehnen Dun schnjiegt mit Weben
Sich Wrust au Wrust.
Im goldigen Frührorhgianz!
(!) zärtlich heiße Thranen Ls hebt der Dachthauch
vlach durchgestürmtem Tanz! Die Schwingen weit:
„Mer lieht, der wacht auch
(!) weltengroß' Umfassen! Lu dieser Leit!" . . .
(D werdesüßer Drang! Lr Küsst die Melle
Lind sie ergibt
(!) jubelndes verprassen Sich ihm zur Stelle,
Die Maiennächte lang! Mcii sie ihn licht. .

(!) seliges Erbarmen © grosses Feiern!


Inmitten Hohn und Spott! © schönste Dachl!
Dun wird entschleiern
Die Welt in deinen Armen, Sich alle Pracht,
(!) Teufel du und Gott! Die Tag's verborgen
An Lweiteln lag,
(!) Morgensonnenrhaler! An Angst und Sorgen —
(!) Fernen ahndevoll I Aetzt wird es Tag!
(!) schwärmender Pennäler! Still stösst vom Strande
(!) Herz so voll und roll! Lin schwankes Woot —
Verlässt die Lande
Heut klingr's wie Lerchenlieder Der Mörder Tod?
Durch meine Traurigkeit. Lr ward vergebens
Dtcrhcr bestellt:
Rchrst du mir niemals wieder, Der Gott des Lebens
O meine Jugendzeit i max lfALBE Wcherrscht die Mell!

Melch' stürmisch Flüstern


Den Gang entlang? —
Mer liebt so lüstern? —
Frühlingsfeier Mas seutzt so bang? —
Lin Diegchörtes
Blattgeriesel der Weiden, Dort nun dein ©hr —
Klingend plaudert der Bach. Mic Gilt bethört cs —:
Hirten jodeln und schneiden Mas gehl hier vor?! —
Flötenholz. In den Haiden
Grünt es gemach. Der Sinn der Töne
Schluchzend zur Wellenreise Asl mir bekannt,
Weidenflötengetön. D'rum gib', du Schöne,
Dumpfe, selige Weise:
Mir deine Dand:
Träumend mahnt sie mich leise — Der ich zu rühren
Frühling ist schön!
Dein Dcrz verstand,
Ach will dich lübrcn
Knospenschimmernder Schleier An's Munderland!
Senkt sich zart auf den VI ald.
Zitternd klingt meine Leier Mit süssem Schauder»
Lieder der Veilchenfeier Deisst du dich los. . .
Frühling ist bald! Mas htllt dein Landern?
Dir kiel dein Loos!
Strecke selig die Hände Die Slimmcn schweigen -
Sehnend dem Lichte zu. Ls licht, wer wacht . . .
Süss ist Deine Legende, Du wirst mein eigen
Frühling; o dass ich fände Doch diese Dacht! . . .
In Dir die Ruh! Zeichnung von R. Engels (Düsseldorf .
JOHN HENRY MACKAY.
MAURICE VON STERN.

;6r
1896 JUGEND Nr. 23

verflixtes Kack! Zeichnung von L. v. Zumbusch.

Bewegte See Lied


Aut^einem junge» IRoscnbiatt
Noch Einmal so! Im Nebel durch den Sturm, Mein Licbsterlmir geblasen dar
Das Segel knatterte, die Schiffer schrieen, Mobl eine Melodei.
Das Bugspriet stand im Wasser wie ein Thurm, Ls gab mir Dinge viele kund
Ich fühlte Deine Angst in meinen Knieen Das Nosenblatt am rolben Mund,
Und sah Dein stolz und fremd Gesicht. T3ud war kein Mort dabei-
l!Iud als das Jßlatt zerbiasen war,
Noch Einmal wollte mir Dein Auge dröhn, gab icb meinen /llMmd tbm dar
Wie eine Flamme stand Dein Haar im Winde, tliiö küsst' an lbm micb satt,
Und in den Wellen rang ein Ton tluö viel mehr Dinge gab noch kund
Wie das Gewein von einem Kinde, Der rotbe Mund dem rotben Mund
Da wehrtest Du mir nicht: selbst als das IRosenblatt otto juuus bierbau.m
Um meine Lippen lag Dein nass wild Haar,
Um Deine Schulter lag mein Arm gezogen.
Und unsern Kuss versüsste wunderbar Augenblicksbild
Der Schaum der salzigen Sturzwogen, Vorn im Spiegel steckt die Pfauenfeder
Regungslos im bunten Glanz der Farben,
Da schrie ich laut vor Freude auf.
Vor den Spiegel tritt mein kleines Mädchen,
Noch Einmal so! Was thust Du jetzt so kalt, Kämmt sich singend ihrer Locken Fülle.
Hast Du denn Furcht vor’m offnen Meere? Singend grüsst sie selber sich im Glase,
Es peitscht Dich warm! Komm bald, komm bald, Wippt und wiegt sich nach dem Takt der Lieder,
Im Hafennebel tanzt die Fähre — Und dazu klirrt leise jetzt der Spiegel
Hinaus! Hinauf! Richard Dhhmel. Und die Feder zittert auf und nieder. carl bussf.
1896
Nr. 23 . JUGEND

Zeichnung von O. Eckmann.

364
1896 JUGEND Nr. 23

glotzlich hat dein (diuge mich ersgaht,


QyfÜJv acA / — bannt Ich nur (liehen, (Kehn /
wildem <d(ramgfe- tobt der alle- oJchmerz, —
dch welss, ich welss, du darfst mir nie- verzeihen /
(doch wie- ?/ Aalt ein l aufgauchzend stocht das
(du lachst, — de windest — de breitest hebeseAuiend
(die schlanben (Kl'nie Jubelnd nach mir aus
^Kie ln den, langen süssen- oSommertagen ?/
qJo- soll vergeben und vergessen- sein
(das böse ^((ort, das böse ty(ort von einst
(das ln- des Kidands (tusch ger dljei/t dich heit
ddur die dygressen und (dlatanen hörten-1
(d, mich umbraust das (fluch — IcA bomm, (geliebte /

(dch sgrlnge Jauchzend ln mein fuibes d(oot;


dchon trägt s der ddu derstoss vo/n l-/frfort,
td(ald wird mein
mein(Olachen an- der dsel landen — —
yyl acne/i an- >
brlcdit ein oJtur/n (osl °l/nd wie prassetAid wiHd
(dr aufs (fräst der alten c_(Siuime stürzt,
^O^erwandelt sich die dichte dS^ütterwand
%dn grüne oJegel, die der ln dgeschwellt.
Km hohen- Odflaslbaum- wird der (daggelsta/nm
d/n-d wie ein- oJc/ilff das seine (Kn/ccr löst,
dährt stlK und stolz dis dl (in d — ach/— von dannen.

^Kold wuilt nach sehnend von des oJchiffes <d(ug


Qyfllr die (geliebte; durch de hflKngagt
((Kein ydoot ln ängstlich wildem diuderschlig/
(doch die (Platanen und (gg ressen schwellen
Kn tyduth und dorn za- lautier neuen Kegeln,
Qdftit ofturn
(dach zag Ich nicht — nein, nein — bald muss die Knsel
Kelsenufer ihre (K/ilcer werfen.
(dann bist du mein, dann bann uns nichts mehr trennen/
(da glötzlich äffiet sich die (Klsenwand
du nobeldlstreai, wildem (Keseath*
^l/nd stolz- und groK/vd fährt die Knsel ein. — — —
(der oJturm- verstummt. (die (?lore fallen zu,
dlang eh mein KSoot den ^l/ferhang erreicht.
Kn wildern oJchmerze ruf Ich deinen c(Kamen
*dde in den Jungen süssen qJo mmertagen —
(die (Klswand ruft den olchiaK mir dumgf zurllcb
^lind dichte (KeJie( senhen sich hernieder.
HANS TERBERG.

;6z
Nr. 23 6
JUGEND 6
1896

Zeichnung von Egersdörfer.

Tragikomödie Spitznamen „der Auchmensch“ davontrug; Knut Olaf, der von


der Turnstunde dispensirt werden musste, weil er von jedem
Nachts halb zwei Uhr hatte ich irgendwie die Bekannt- Gerüst fiel und immer auf den Kopf; Knut Olaf, der bis zu
schaft des Commissionsraths gemacht, eines dicken, kleinen Untersekunda immer noch von seiner Frau Mutter haus-
Herrn mit bleicher Gesichtsfarbe und ein wenig absichtlich gemachte kurze Hosen trug; der auf der Universität durch
jovialem Lächeln. Um zwei Uhr nahmen wir im „American Zufall mein Hausgenosse wurde und dessen rührende An-
Bar“ unter den Linden zusammen einen Whisky-Coctail nach spruchslosigkeit mir manchen Gewissensbiss in Anbetracht
des Commissionsraths selbst verbessertem Rezept und am meines Mangels an Talent zum Haushalten verschaffte —
nächsten Abend um acht Uhr fuhr ich in schwarzer Galatracht Knut Olaf, der mir —
vor seinem Hause in der Thiergartenstrasse vor, um einen „Ja bist Du’s denn wirklich, alter Freund?“ rief ich,
„Löffel Suppe“ zu essen. genau so stark verwundert, als erfreut, und der Commissions-
Der Hausherr lächelte noch jovialer als am Tage vorher. rath war entzückt und sagte:
Die Hausfrau, eine schüchtern-kleine und übertrieben elegante „Aber das ist ja reizend, dass Sie unsern Schultze-
Frau von etwa fünfunddreissig Jahren, die jedenfalls an der Castelloni kennen, unsern geistvollen Satiriker, den neuen
ganzen Suppenesserei keine tiefgehende und innerliche Freude Stern am Berliner Literaturhimmel —“
hatte, „freute sich sehr“ und dann wurde ich einem Schwarm Allmächtiger Gott! Freund Schnitze ein geistvoller
von ziemlich gleichgültigen Menschen vorgestellt. Unter den Satiriker — war ich denn recht bei Sinnen? — Was kann
Damen gab’s manche rassige Schönheit und viel mehrSchmuck man Alles erfahren, wenn man drei Jahre im Ausland war!
als nöthig war; unter den Herren Vieles mit Kneifern und Er lächelte mich merkwürdig scheu und verlegen an
kleinen literarischen Namen, Einiges in Uniformen und so- und machte eine abwehrende Handbewegung. —
gar Etliches mit langen Haaren. Der Letzte, dem mich der „So ist er immer, so bescheiden — und dabei führt
Hausherr vorstellte, hiess — der langgestreckte Name wurde er eine so scharfe Feder. Uebrigens werden Sie ja selber
mit jener breiten Feierlichkeit ausgesprochen, wie etwa ein hören!“
wohlgezogener Bedienter bei Tafel einen seltenen Jahrgang Immer röther wurde Knut Olaf. So roth und so ver-
,Chateau la Rose1 oder ,Mouton Rothschild1 ankündigen würde legen, dass es über das Maass natürlicher Schüchternheit
— er hiess Knut Olaf Schultze-Castelloni. hinausging.
Knut Olaf Schnitze — der Mann war der Erste von den Unser Gastgeber flüsterte mir noch ins Ohr:
Vorgestellten, dem ich mit einiger Aufmerksamkeit in’s Ge- „Er wird was zum Besten geben —.“ Dann ging er,
sicht sah — „hocherfreut“ über die Ankunft eines neuen Gastes.
Richtig, das war er! Knut Olaf, unser alter, vielgehänsel- Knut Olaf aber verabschiedete sich mit einem geist-
ter, blöder, schüchterner, gutmüthiger Schnitze, mein Schütz- vollen „Ja, ja, so trifft man sich“, von mir, schlingerte
ling in Prima, den ich einst mit der Betheuerung „Schnitze über das glatte Parkett auf einen schwarzen, spitzbärtigen
ist auch ein Mensch!“ gegen die Rohheiten unserer Mitflegel jungen Mann zu, der in der entlegensten Ecke des Saales
so unglücklich vertheidigt hatte, dass er noch überdies den stand und ging schliesslich an dessen Frackknöpfen vor Anker.

366
1896 JUGEND Nr. 23

; Zeichnung von Otto Ubbelohde.

Die ganze Geschichte war mehr als räthselhaft. Und Schöngeistern und berufsmässiger Dinerstaffage zusammen
am allerräthselhaftesten erschien mir des guten Menschen — Herrgott schon wieder das Intermezzo aus der Cavalleria!“
Aeusseres. Er war tadellos elegant gekleidet, sein Frack Mein Nachbar kam hinter dem Busch hervor und ich
konnte nicht besser sitzen, seine Lackschuhe waren, in An- sah, dass sein Aeusseres recht angenehm war. Der frühere
betracht der umfangreichen Aufgabe, der sie genügten, bei- Kriegsmann in Civil war unschwer zu erkennen — das kräftig-
nahe zierlich zu nennen, seine Wäsche war von fraglosester rothe, verwetterte Gesicht, der gewaltige Schnauzbart, die
Weisse. Schäbig, fleckig in schiefsitzenden Kleidern, die zu ganze Haltung — und ein paar grosse, lustige Augen sahen
weit oder zu eng waren, mit derben, nach oben gekrümmten mich lachend an.
Philisterstiefeln, so konnte ich mir ihn vorstellen, so wäre „Dornberg! Donner und Doria, Sie Dornberg — und in
er mir vertraut erschienen — aber Knut Olaf in tadelloser Civil!“
Eleganz, das war einfach grotesk! „Ja natürlich! Die Uniform habe ich schon seit zwei
Man ging zu Tische und ass, ass lauter theuere Dinge Jahren ausgezogen und nicht einmal den Rittmeister erster
und trank theure Weine dazu. Theater-Ratsch bildete das Classe abgewartet. Der bunte Rock hat mir auswendig besser
hauptsächlichste Tischgespräch, dann kamen die Personalien gepasst, als inwendig. — Wollen Sie einen Cognac haben,
einzelner Literaturgrössen an die Reihe und es war nun merk- Leidensgefährte? Das ist ein Hennessy mit vier Sternen!
würdig, wie da die Herren mit den Kneifern warm wurden und Frech, wie ich bin, habe ich gleich die ganze Flasche vom
Jeden in Grund und Boden niederzogen, der Erfolg hatte und Cabaret genommen. — Guter Tropfen, was? Ja, wenn unser-
namentlich klingenden. Die schärfste Zunge hatte dabei jener eins, das dies zu würdigen versteht, nicht in solche Häuser
schwarzbärtige junge Mann, in dessen Arme sich vorher käme, es wäre Schade um das schöne Geld!“
Freund Knut Olaf vor meinem Erscheinen geflüchtet hatte Ich sagte ihm, wie ich mich freue, ihn in dieser Wüstenei
Doktor Steinberg, oder so ähnlich hiess er. Er besass ein angetroffen zu haben, war er doch immer ein charmanter
Talent zu schimpfen und Illusionen zu zertrümmern, das Gesellschafter gewesen. Und dann fuhr ich fort:
ohne Gleichen war; zu loben verstand er freilich auch. „Ich habe freilich noch einen Bekannten aus früheren
Aber er lobte nur Leute, die ausser ihm keiner voll zu wür- Zeiten hier, aber ich bin noch nicht damit fertig, über dies
digen wusste, wie er durch alle seine Reden durchblicken Wiederbegegnen den Kopf zu schütteln.“
Hess. Und sehr bald wusste ich nun auch, dass er Knut „Na, und?“
Olafs Entdecker gewesen. „Knut Olaf Schultze, ein Schulfreund —“
Die Tafel war aufgehoben, man hatte sich die Hände „Das dort? Quand on parle du loup —“
müde geschüttelt und rund um den Tisch »Mahlzeit!« ge- Im Nebenraum las eben der neuentdeckte grosse Satiriker
wünscht und nun zerstreuten wir uns in kleinere Räume. etwas vor, ein neues Opus — nein, .es war kein neues Opus!
Der Hausherr lief überall mit einem Diener umher, der auf Manchmal kommen Erinnerungen blitzartig über den Men-
silberner Platte einen Berg von Cigarrenkistchen und Ciga- schen; ich sah mit einem Male den hagern, lächerlichen
rettenschachteln trug: Kameraden in unserer Studienzeit auf dem Fussende meiner
»Das ist eine Manuel Garcia, hier eine Bock — die kleine Bettstatt sitzen mit lange herabbaumelnden Beinen und hörte
Henry Clay kann ich Ihnen sehr empfehlen —, oder die ihn ein Gedicht lesen, dasselbe, das er da drinnen zum Besten
Uppmann, wenn Sie etwas Kräftiges wollen!« Weg war er gab. Aber damals las er mit leuchtenden Augen, begeistert
und pries einem Anderen seine duftige Waare.an. doppelt grotesk in seiner Begeisterung. Heute klang seine
Ich blies den blauen Rauch meiner Importirten in die Stimme trocken, knarrend, widerspenstig. Er las so schlecht
Luft und wollte anfangen zu träumen. Da klang hinter einem wie möglich und die jammervollen Verse kamen noch jammer-
Lorbeerbusch, der neben mir stand, eine Stimme vor. voller heraus dabei.
„Jetzt wird gleich die Klaviertrommelei losgehen. Halten „Haben Sie jemals eine bessere Parodie auf Redwitz ge-
Sie sich an mich — Sie mopsen sich ja doch auch — hört?“ schnarrte ein Organ, das ich an diesem Abend schon
„Oh bitte! Seien Sie nur ehrlich — zudem bin ich einer mehrfach mit Missbehagen vernommen. Man klatschte, man
von den Intimen des Hauses und gestehe es Ihnen zuerst lachte. Knut Olaf musste noch was zum Besten geben und
ein, dass mir die Zeit lange wird. Der gute Commissions- die Stimme seines Mentors erläuterte es wieder:
rath lädt sich ja immer ein schauerliches Sammelsurium von „Geibel, wie er leibt und lebt!“
367
Nr. 23 JUGEND 1896

Und dann noch eins: „Scheffel, wie er im Buche steht!“ wohl auch die Menge, was für eines Geistes Kind sie be-
Ja Redwitz, Geibel, Scheffel, wie sie im Buche standen! wundert hat — aber er ist dann doch einmal berühmt ge-
Das war ja immer seine Schwäche gewesen, dass seine lyr- wesen. Und das ist mein Werk — ein gutes Werk!“
ischen Herzensergüsse nichts waren als täppische Nach- Er wurde weich und trank den Rest meines Champag-
empfindeleien. Aber sie waren dem guten Knut Olaf immer ners aus. Dann steckte er noch ein paar Cigarren ein und
blutiger Ernst gewesen und nichts weniger als bewusste ging. Das ist die Geschichte der Berühmtheit Ihres Schul-
Satire. Aus jedem seiner Gedichte konnte man erkennen, freunds Knut Olaf Schultze — erbaulich, nicht?“
was er zuletzt gelesen hatte. „Das ist hässlich,“ sagte ich. „Wie schlecht seine Ge-
Und das gab er jetzt als geistvolle Persiflage aus — ja, dichte auch sind, sie entsprangen einst doch einem tiefen,
wie kam er denn dazu? Ich fragte den Rittmeister: aufrichtigen Gefühl, einer schönen und starken Liebe zu
„Haben Sie je Näheres über — diesen neuen Stern des einem wackeren Mädchen. Wie hat er für sie geschwärmt,
Berliner Literatenhimmels gehört?“ wie hoch hat er sie gehalten, echte Thränen um sie geweint!
Er lachte: Und es war etwas Rührendes, wie er in der Ferne bewun-
„Sie sehen ja merkwürdig verblüfft aus? Haben Sie Ihrem dernd stehen blieb, seiner unvorteilhaften Persönlichkeit
Schulfreund dies Talent nicht zugetraut?“ bewusst, entschlossen, lieber stumm zu verzichten, als sich
„Talent! — Der und Talent?“ nur der Möglichkeit einer Abweisung auszusetzen, die den
„Sie halten ihn — um mich knapp und klar auszudrücken Himmel seiner Träume hätte in Scherben gehen lassen.
— für ein Kameel?“ So schrieb er Lied um Lied zusammen, las die Sachen einem
„Ich halte ihn nicht dafür — ich weiss dass er eins ist.“ oder dem anderen geduldigen Freunde vor und nun! Es
„Na, Offenheit für Offenheit — das sind gar keine Pa- wäre zum Lachen, wenn’s nicht so traurig wäre.“
rodien, was der Herr dort vorträgt — purer Schwindel!“ „Pfui Teufel!“ rief der Rittmeister. „Es macht doch
„Auch das weiss ich — er hat mir das Zeug ja unbarm- nichts den Menschen so schäbig, als die liebe Eitelkeit. Da
herzig vorgelesen, als wir beide noch in jenen Jahren standen, hat Einer das Glück der Erinnerung an ein grosses und
wo man ohne Rücksicht auf die Mitmenschen seine Empfind- reines Empfinden, ein Glück ohne Reue und ohne Ekel!
ungen in Lyrik auszugiessen pflegt. Kennen Sie ihn auch Aber statt die Blüthen dieses Gefühls — so curios sie sein
aus dieser Zeit?“ mögen, Blüthen sind’s doch — wie was Heiliges zu hüten —
„Nein! Ihn kenne ich überhaupt nicht und verdanke trampelt das Rhinozeros vor versammeltem Volke darauf herum
die Kenntniss dieses Geheimnisses lediglich dem Champagner und schmunzelt, wenn sie ihm für das Getrampel Compli-
des Commissionsraths. — Es war ein Abend wie der heutige mente machen.“ —
— viel Gesellschaft und wenig Menschen. Auch diese satirische Als wir bald darauf aufbrachen, kam ich an dem Gegen-
Grösse war da, verschonte uns aber mit seinen Vorträgen. Man stand unseres Gespräches vorbei. Knut Olaf wandte sich
sprach nur von ihm. Damals hiess er nur „der neue ab und sprach eifrig mit einer Dame —
Mauthner“, jetzt hat ePs, glaube ich, schon bis zum neuen Er schämte sich —- f. walther.
Aristophanes gebracht. Es war spät und ich sass in diesem
meinem Schmollwinkel, von dem sich’s so köstlich auf die
Affenkomödie da draussen blicken lässt. Der Hausherr, der
meine Lust an solcher stiller Beschaulickeit kennt, hatte mir
ganz sachte eine Flasche Pommery hersteilen lassen und
ich fing eben an, mich an meinem Alleinsein zu vergnügen,
als der schwarzbärtige Herr herein kam, den Sie als Bären-
führer Meister Knut Olafs gesehen haben. Er setzte sich
zu mir, nahm eine von den Brevas da, stellte sich mir als
Doktor Steinberg vor und fing ein Gespräch an, über sich
selbst, über seine Bedeutung, seine Erfolge in der Berliner
Presse. Ich schenkte ihm sehr wenig Aufmerksamkeit, die
betrunkene Zudringlichkeit des Gesellen war mir zuwider.
Das focht ihn weiter nicht an; er hatte, weiss Gott, meinen Erinnerung
Pommery herausgekriegt, holte sich ein Glas und trank mit. Mir liegt das Alles weit, so weit:
Mit jedem Schluck bekam er eine höhere Ansicht von sich Das kleine Haus am Tanngehege,
und verwechselte sich nach und nach mit der öffentlichen
Die wundervolle Einsamkeit,
Meinung überhaupt.
,Sehen Sie, Rittmeisterchen“, sagte er, ,im Grunde machen Das stille Glück versteckter Wege.
wir doch Alles, wir, Kerle wie ich. Unter uns gesagt — da Doch hab’ ich noch im Ohr den Gruss
ist da draussen diese neue literarische Erscheinung, Knut Olaf
Der Vögel, die im Garten sangen,
Schnitze. Wer hat ihn gemacht? Ich! Ich allein. Es war Und ist es mir, als wär mein Fuss
eine grandiose Idee. Er kam zu mir mit einem Stoss Lyrik —
gegen meine Gewohnheit las ich das Zeug, denn es war wirk- Erst gestern durch den Wald gegangen.
lich ulkig. In allen Farben schillerten diese Liebeslieder, vom
Meister Wolfgang in Weimar bis zum Meister Detlev in Hol- Und mach’ ich beide Augen zu,
stein waren alle unsere Dichter in unfreiwillig komischen Ganz still in mich hineinzulauschen,
Copien vertreten. Es war zum Wälzen. Mir zuckt’s wie ein Hör’ ich, und komm um alle Ruh,
Blitz durch’s Hirn. Knut Olaf, sage ich, ihre Lieder gebe Den Bach leis durch die Buchen rauschen.
ich heraus und schreibe eine Einleitung dazu. Er strahlt.
Gesagt, gethan. Ich schreibe ein fulminantes Vorwort, redi- Und höre, Frieda, noch den Klang
gire noch einige Glanzlichter und Schlager hinein, füge ein Des einen Wort’s aus Deinem Munde.
paar geistvolle Fussnoten und Parenthesen dazu, präsentire Denkst Du noch an den Abendgang,
den dilettantischen Blödsinn, den der Gute zusammengereimt, An diese eine süsse Stunde?
einem verehrten Publikum als pikfeine Satire — und der Mann
ist gemacht! Anfangs war der Herr Autor freilich nicht wenig Wie liegt das Alles weit zurück,
verblüfft über das, was ich mit seinen Musenkindern anstellte, Was ich besass, was du besessen,
als aber der Erfolg kam, gab er sich willig in seine neue Rolle Das kleine Haus, das grosse Glück.
als — Parodist! Lang wird’s ja nicht dauern, dann merkt es Doch könntest du es je vergessen? gustav falke.

;68
1896 JUGEND Nr. 23

Schlaf, Heilig’ Heute


du trauriges Kameel Ich lebe! Alle Grösse des Vergang’nen
Reicht nicht an dieser einen Stunde Glanz!
Schlaf, du trauriges Kameel! Versunk’ne Völker, Götter, Sonnenwelten -
Hast auf deinem Wiegerücken Was sind sie gegen mich heut’, da ich lebe,
Aus der lieblichsten Oase Ein athmend Blüthenblatt im Sonnenkranz!
In die Wüste mich getragen . . . JULIUS LOHMEYER.

Hielt, ein sieggewohnter Pascha,


Hielt im Arm das rappelnd lustige
Mädchen, das sich nicht verhüllte, Die Welt urtljcilt, wie sie’s versteht,
Das so frech und kindlich tollte, Und eh’ sie sagt, daß sie’s nidst versteht,
Mir die müden Augen küsste Da urtheilt sie, wie sie's halt — nicht v erste h t.
Und ich schlief an ihrem Herzchen,
Im Besitze reich mich dünkend,
Selig ein eh’ meine Sinne Zweierlei Bedingung
Die erregten, sich ersättigt.
Willst D» die Menge bei Stimmung erhalten,
Da - es drang ein rauhes Lärmen Zweierlei mußt Du stets gontiren:
Von der Strasse ich erwachte, Ihre Bewunderung alles Alten,
Rieb verdrossen mir die Augen, Ihre Lust zu rcformircn. k. t.
Sah der Sonne frechen Frühblick Als Keiner es sah,
Doch kein Weib an meiner Seite. War’s and; schon da.
Draussen hört ich auf dem Gange Nun’s Einer bewundert,
Wie sich fremde Stimmen kreuzen,
Begeistert’s hundert. k. t.
Und da klopft es — Gott verdamm mich! -
Tritt ein Vetter vor mein Lager, SO
Mahnt mich, das es höchste Zeit sei,
Einen andren trocknen Vetter,
weltlauf
Wie’s versprochen, aufzusuchen . So geht’s allhier auf dieser Welt
Gar rücksichtslos von statten,
Schlaf, du trauriges Kameel! Daß man Dich gewiß in den Schatten stellt.
Hast auf deinem Wiegerücken Stellst Dn nicht and’re in Schatten. k. t.
Aus der lieblichsten Oase
Daß Du im Recht — fein Zweifel ist,
In die Wüste mich getragen! Du hast’s bewiesen recht und schlecht.
OTTO ERICH HARTLEBEN.
Doch eben, daß Du im Rechte bist,
Das finden sie furchtbar ungerecht. k. t.
wir gerathen immer außer uns über den
Egoismus anderer, wenn er — den unsrigen
Kleine Münze verletzt. K. T>
Politische Märtyrer Die Roth wirkt auf die Entwicklung des
Talents wie das Salz auf die Speise: Etwas
Wie herbe Euer Loos auch sei, würzt, zuviel verdirbt. D. h
Eins dürft Ihr Euch zum Tröste sagen:
Ihr könnt zwar schlecht die Tyrannei, Illau kann auch mit der Wahrheit schmeicheln.
Doch sie noch schlechter Euch vertragen! SIRIUS.
k. T-a.
Jm Zylinder wird mehr gelogen als im Filzhiit.
LO
SIRIUS.
Wunder Bei trefflichen Männern und würdigen Frau’u
Worüber die meisten Leute sich wundern, Vergißt man erbaulich das Werkeltagsleben;
Das sind Bagatellen und Plündern; Doch rath’ id;, will einer das Verz fidj erheben,
Das wirklich Wunderbare auf Erden In glückliche Ainderaugen zu schau'n. eleo.
Wird stets nur Wenigen offenbar werden.

SO
k. T-a. *
Uebermenschler Blasirt
Nied’re Bestien-Instinkte Wie ist ihm die Welt so ennuyant,
Seh’n zur Tugend sich erhöht, Er Hesse sich gähnend begraben, -
Uebermensch fühlt sich am ersten, Fand’ er sich nicht selber noch int’ressant
Wer noch unterm Menschen steht. Und seine Blasirtheit erhaben.
OSKAR WILDA. OSKAR WILDA.
Nr. 23 JUGEND 1896

WMm

Zeichnung von Fidus.

§> ci) linej pjlctn^ ®:9

3/0
1896 JUGEND Nr. 23

Röntgen-Blicke
In der bayerischen Abgeordnetenkammer, in Es gibt nur eine Erklärung: der betreffende
der verschiedene Perlen des Centrumsthurms über Abgeordnete ist ein medizinisch-physiologisch-
Kunst und Theater, Moral und Leben, Religiosität, optisch-chemisch-elektrisches Phänomen. Er leidet
Landwirtschaft und Viehzucht so wundervolle Be- an X-Blicken, die wir analog den Röntgenstrahlen
hauptungen aufzustellen lieben, hat neulich einmal dem wackeren deutschen Gelehrten zu Ehren
einer von diesen Herren erklärt: ,,R öntgen-Blicke" nennen wollen. Er sieht
„In München braucht man Nuditäten nicht durch Rock und Hosen, Taille, Mieder und Strumpf-
zu suchen, sondern man findet sie überall. Man bänder durch bis auf die Haut — nicht bis auf
braucht nicht einmal eigens hinzuschauen, sie be- die Knochen. Aber diese interessiren ihn auch
gegnen einem überall, manchmal in sehr skandalöser weniger. Ein Physiologe, den wir um die Ursache
Weise.“ dieser Erscheinung fragten, sagte, die Sache sei
Darob war zunächst allgemeines Schütteln des sehr einfach und erkläre sich durch ausserordent-
Kopfes, denn was der Herr Abgeordnete da be- liche — Hebung und hochgespannte Intensität
hauptet hatte, war selbst den übrigen gewiegten des Willens. Unser Zeichner hat die Szene dar-
und vereidigten Nuditätenkennern des Hauses bis gestellt, wie der biedere Landesbote durch die
dato noch nicht aufgefallen gewesen. Entweder Strassen des neuen Sodom wandelt und ,,ohne
hatte der Herr geflunkert, oder den puren Blöd- eigens hinzuschauen, in skandalöser Weise den
sinn geredet — und das war doch von einem Nuditäten begegnet“.
Mann aus der Partei für Gottesfurcht und Sitte Im unteren Bildlein ist dargestellt, wie der oben
nicht vorauszusehen — oder aber: er hatte etwas bezeichnet^ Herr an der Spitze einer Schaar männ-
vor seinen Collegen voraus, um dessen Allein- licher und weiblicher Mitglieder der von ihm eigens
besitz ihm diese ein wenig neidig sein mochten. zu diesem Zwecke gegründeten „Vereinigung
Aber was? christlich gesinnter Nuditätenforscher“ ausrückt,

um alle vorhandenen Obszönitäten aufzufinden, zu Protokoll zu^nehmen hat sich sehr ausgedehnte Aufgaben gesetzt, die demnächst in einem
und mit Pinsel und Tünche, Hammer, Meisel und Sägen, Badehosen besonderen Gongress erörtert werden sollen. Unter Anderem be-
und Feigenblättern aus der Welt zu schaffen. Die Gesellschaft absichtigt sie die Ausfüllung der Meer-Busen.

371
und rad'ln uns die Steiner wieder z'ammenl"
Kruzitürken noch einmalI Da fahr',, wir mit der größten Müh' die schönen Steiner auf die Straßen und dann kommen die Malefizferen mit armsdicke Gummiradeln

372
1896 JUGEND Nr. 23

Schdossseifzer Nu warsch kenug. Des ächden Ginsdlers Feier


Erschdickd kee Unglück — de Blamage nur.
ännes deitschen Boeden Da riss mer änne Saide meiner Leier
Zum Nachdheil uns’rer deitschen Lidd’radur.
Ä deitscher Dichter, der hat nischt ze lachen,
Das is doch wohl hassadel festgestelld: Un gäm’ de Fenus selwer hergegangen
Mer gann de härrlichsden Sonedde machen, Un schdinde mer Modell zur Boesie,
Unschdärwlich wird mer — awer ohne Geld. Ich sacht’ r: nee, mich sollste nich mehr fangen.
Am Ände heesste doch noch Eischenie.
Wärsch das alleen, mer gännt sich iwerwinden,
Nee, beeser scheint mer noch än andrer Fall:
Fers forsche Dichten muss mer Jemand finden, Wurst wider Wurst
Was Weibliches, mer sacht auch Ideal.
Lin Jesuit und ein Kapuziner treffen fidj aus einem Spazier-
Nu bin ich, Kott sei Dank, soweit gerathen, gange und knüpfen ein Gespräch an. Bald aber überkommt letztere»
Kurasche fehlt mer nich un Bosidur, eine unwiderstehliche Lust, den Jesuiten zu necken. Ihre Worte
Un bei de genichlichen Dränsoldaten werden immer heftiger und spitzer, bis endlich der Kapuziner zum
Da sachden se: Der Mann, der hat Figur. Jesuiten sagt: „Na. seien Sie nur ganz still! Sie haben Ihren Bor
gänger ja fdjojt in Judas, der den Herrn Jesus verrieth; denn es
Wenn nu de Harzen so endgechen fliechen, heißt in der heiligen Schrift, es sei einer von der Gesellschaft Jesu
Fern ärschten Anblick scheint’s da gar nich schwer, gewesen." „Da scheinen Sie mir die Sache aber dock) nicht genau
De wunderbarschden Fersche rauszekriechen; studirt zu haben", entgegnete der Jesuit, „sonst müßten Sie wissen,
Erschd de a be da zeichd sich das Maler. daß Judas ein Kapuziner war. Denn es heißt nachher ausdrück-
Ze Fastnachd war’sch — ich will se nich verfluchen, lid;: er ging hi» und nahm den Strick." (Die Kapnzinermönche
Se war de erschde un gann nischd dafir; tragen bekanntlich einen Strick um’s Gewand).
PAUL ZSCHÖRL1CH.
Da schlug se mer mit drei Schdick Fannenguchen «*K
Ihr heesses Harz in blaues Backbabier.
Variante
Nu gierig de Gunst ins Grandiose, Breite,
De Fersche schdremden mer nur zu wie nie, Bettler: „Sie verzeihen, mein Herr, haben Sie vielleicht eine Hose
Un erschd Agrosticher, mei schdarke Seite: übrig?"
Liest mer’sch herunder, heest es Eischenie. Student: „Ja, lieber Main:, ich bin selber nicht auf Hosen
gebettet!"
Na, mit der Zeid da war de Liewe alle,
Fersch Neie war ich schepferisch gesinnd ;
Da mach ich heemwärds vom Gasinoballe
Und dreff’ Sie so ä wunderhibsches Gind.
Ä Rächen, reene Sindflud, dass ich Sache,
BFUTELTHiP-fvE '
Nadierlich borchd’ ich ’r mei Barablui;
uenchhessbar iiiiT ISnopf- !
Ärst wie ich nass war, fickt se mit der Schbrache,
Heesst Se des Gärrlchen wieder Eischenie.
Ich war verschdimmt un denk m’r, lasst se loofen,
De scheensten Reime haste nu barad,
Wer wärd sich wohl dei neiste Lirik koofen,
De zweete Eischenie wärd Jedem fad.
Mach ich än Monad druff gewissermassen
Nach Loschwitz naus fer ä Gedichd davon,
Da fand ich was, Se gännen sich verlassen,
Ich Sache nur: De Fenus in Berson!
Nu denk’ ich m’r: heid lechein d’r de Musen,
Die fasste an mit hährer Boesie;
Proschd Mahlzeid: Eene oder zwee Fladdusen,
Da gam es raus: De dridde Eischenie.
Nu wurd’ ich eklich, wortlos zu verzichden
Wer ganns am Ände, weess Kott, ’s war zu dumm,
Uff Eischenie is kee bequemes Dichten
Un egal fort bringd’s jeden Dichder um.
Da denk’ ich m’r, wie nah is oft das Scheene,
Im Gardenrestaurang bei Gahnemann
Der blonde Gäfer — heesst se nich Irene?
Da haste was, nu fix, nu mach dich ’ran.
A seldnes Mädchen warsche, nich ze Sachen,
Än Abbedid, ä Freide zuzesehn,
Was ich ’r zahlde, gonnde se verdrachen
Un meine Fersche fand se wunderscheen.
Da ännes Dachs — ich gloobe doch ich stärwe —
Ferfuschd se mer de ganse Boesie:
Irene hiess se nur im Schankgewärwe,
Von Haus aus, sacht’ se, hiess’ se Eischenie. Vom australischen Novitätenmarkt.

373
1896
Nr. 23 JUGEND

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374
1896 JUGEND Nr. 23

Es war einmal ein Pfarrer....


Es war einmal ein Pfarrer,
Der Pfarrer der hiess Kohl,
Der mochte das Nackte nicht leiden —
Sonst aber war er wohl.

Und weil er’s nicht leiden mochte,


Verfolgt’ er’s, wo er kunnt’,
Sucht’s überall zu finden —
Sonst aber war er g’sund.

Er erfreute für Nuditäten


Sich eines besonderen Blick’s
Und hatte sie stets im Auge —
_Sonst aber fehlt’ ihm nix.

Ein Gang durch Bayerns Hauptstadt


Empörte ihm das Blut
Vor Zorn über all das Nackte —
Sonst aber ging’s ihm gut.

Er sprach darüber im Landtag


Und Alles rief staunend: „O Kohl!“ —
Er hat sich sehr blamiret —
Sonst aber ist er wohl.
Tscliü.

Der Nebenbuhler.

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sich unter dem Einflüsse seiner geistvollen Darstellung in unser Verständniss einschmeicheln, sei es nun, dass er eine Erklärung der zwie-
spältigen Charaktere versucht, oder dass er sich an die höchsten Probleme des Rechts, den Irrtum, die Zurechnungsfähigkeit oder gar an
die Todesstrafe heranwagt. Das Buch referieren zu wollen, heisst eigentlich, ihm Unrecht thun, und so bleibt uns nichts übrig, als es —
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hunderten von ärztlichen Gutachten gratis und franco.
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Herausgeber: Dr. GEORG HIRTH; verantwortlicher Redakteur: F. von OST1NI; verantwortlich für den Inseratentheil: G. EICHMANN, G. HIRTH’s Kunstverlag; sämmtlich in München.
Druck von KNORR & HIRTH, Ges. m. beschr. Haftung in München.
ALLE RECHTE VORBEHALTEN.
r* sMMW-.'.;«Ki■;*■ ;'• -••:
A . ; />'->' '! - ■ ' .' •. I ' '.i .'• ■"" '.. , •'
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Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben. — C. Hirth’s Verlag in München & Leipzig.
Nr. 24 JUGEND 1896

Gezeichnet von J. Garden.

Reisen in fremde Länder und unter andere Aus der Thür treten jetzt Alle, welche
Das alte Haus am Wall Völker hatten mir die Kinderjahre sehr vorhin hineingegangen sind. Mit besorgter,
Von Nell lang erscheinen lassen und mein junges theilnehmender Miene stehen sie umher.
Es war um das Jahr 1878. Gemüth für alle Eindrücke sehr empfind- Ein hoher, weisshaariger General, der dem
Ich ging, damals noch ein kleines sam gemacht. alten Kaiser Wilhelm sehr ähnlich sieht,
Mädchen, in die Töchterschule, die in H. Auch an jenem warmen, dunstigen fährt sich oft mit dem Taschentuch über
am Walle steht. Einige mächtige, alte Linden Frühlingsnachmittage schweifte mein Blick die Augen und über den Bart, auf den
ragten auf dem breiten Wege, der sich in öfters nach drüben, als unten auf der Strasse die Thränen hinabperlen. Viele stehen
der Mitte der Strasse entlang zog, hoch in etwas meine Aufmerksamkeit erregte: in Gruppen und flüstern und blicken hin-
die Luft hinein und warfen grosse Schatten Offiziere in voller Gala — Generäle auf, und flüstern-
auf die drei altmodischen Häuser, die das mit Federbusch und blitzenden Orden, Plötzlich wird oben mit raschen Händen
Gegenüber unserer Schule bildeten, und Herren im Frack und Cylinder kamen und ein Rouleau in die Höhe gezogen. Hastig
die, trotz ihrer drei Stockwerke, so niedrig verschwanden nacheinander in dem Hause schieben sie die weissen Gardinen zur
waren, dass wir in der zweiten Etage gut in vis-ä-vis. Seite, und eine in tiefe Trauer gekleidete
jene Stuben hätten hinein schauen können, In dem ersten Stock waren die Rouleaux Gestalt erscheint am Fenster; sie hat den
wenn die Entfernung es nicht verhindert heruntergezogen, — aber als Kind com- langen Florschleier zurückgeschlagen und
hätte. biniert man nicht so schnell... ihre thränenströmenden Augen unten auf
Sie mochten wohl zu Anfang des Jahr- Da — um die Ecke kommt ein Trauer- die Strasse gerichtet.
hunderts nicht den einfachen Eindruck ge- wagen mit vier Pferden bespannt, welche Nie werde ich dieses Bild des Jammers
macht haben, den sie damals wachriefen; hohe, schwarze Federn auf dem Kopfe vergessen.
— aber gerade diese Einfachheit gab ihnen haben. — Sie schien der Verzweiflung nahe, und
etwas Ehrbares, und oft schweiften meine Dann rücken Soldaten heran. Laute ihr Körper bebte in wildem, aufgelöstem
Blicke und meine Gedanken drüben nach Commandos ertönen, Gewehrkolben stos- Schluchzen . . .
den eng aneinander stehenden Fenstern, sen prasselnd auf das Steinpflaster — da- Fest an das Fensterkreuz geklammert,
denen jetzt noch steif geplättete Gardinen zwischen Pferdegetrappel und neue Com- nickte sie hinunter auf das, was jetzt
ein Air von Correctheit verliehen. mandorufe; — eine Schwadron Ulanen langsam aus der Thür getragen wurde . .
Diese drei Häuser hatten aber noch ist herangerückt und hat Aufstellung ge- um dann, mit einem Aufschrei, rücklings
aus einem anderen Grund mein Interesse nommen. — in die Arme einer Dame zu fallen, welche
erweckt, — und dieser wird auch wohl Inzwischen war unsere ganze Klasse die Aermste liebevoll umfing.
zuerst die Veranlassung gewesen sein, dass in Aufregung gerathen — in Anbetracht Jetzt wusste ich auch, wer der Ver-
sich überhaupt meine kindlichen Gedanken dessen der Lehrer es vorzog, den Unter- storbene war. — In der Dame hatte ich
mit ihnen befassten, — von meiner Mutter richt zu unterbrechen und uns zu erlauben, Fräulein von D., die Hofdame der Fürstin
wusste ich, dass ich in einem derselben von den drei Klassenfenstern „das Be- erkannt, und er, den man jetzt dorthin
das Licht der Welt erblickt hatte. gräbniss“ mit anzusehen. trug, war ihr Verlobter.
Damals schon schien es mir, als müsse „Das muss irgend ein hoher Offizier Zwei Tage zuvor schon hatte man in
das sehr lange her sein — denn weite sein“, meinte unser Lehrer. allen Zeitungen von der tragischen Be-

Gezeichnet von Schmidt-Helmbrechts.

3/8
1896 JUGEND Nr. 24
gebenheit lesen können, die sich in Hof- Ein kühler Frühlingsnachtwind weht
kreisen zugetragen hatte, — und auch ich durch die Luft — er bringt einen Duft
hatte zu Hause davon reden hören, wie wie von Blumen und von thauigen, blüh-
jener Gardeoffizier, — den Morgen nach enden Wiesen. —
seiner am Abend vorher im Schlosse ge- Neben ihm, hinter dem alten Garten-
feierten Verlobung, — todt — eine Kugel zaun steht ein Fliederbusch in voller
durch den Kopf geschossen, den Revolver Blüthe, — und drüben tönt das Rauschen
in der Hand, — in seinem Zimmer auf- und Brausen des Wassers in der Mühle.
gefunden wurde . . . Man hebt den Sarg Silberne Lichter wirft der Mond auf die
auf den 'Vagen . . . Dumpf wirbeln die schäumenden Wellen; sie tanzen auf und
frömmeln, — die Truppen präsentiren — nieder — bis an den tiefen, schwarzen
das Musikcorps spielt einen Choral; und Schatten, welcher unter der Mühle gähnt.
langsam setzt sich der Trauerzug zu den Er nimmt den Helm ab, lehnt sich mit
feierlich ernsten Klängen in Bewegung. den Ellenbogen auf das Geländer und
Die Ahnung von etwas schrecklich schaut in die Nacht hinein. —
Traurigem erfüllt unbewusst mein Kinder- Um ihn ist Ruhe — tiefer Frieden;
- herz, — es strömt über in Weh um den nur von Ferne ertönt das Lied einer Nach-
unbekannten Todten, den man dort zu tigall . . .
seiner letzten Ruhe begleitet, und auf- Ein unerklärliches Gefühl überkommt
weinend berge ich mein Gesicht auf die ihn, in dieser Minute möchte er sterben,
Schulter einer Freundin. — er fühlt sich so gut — fast fromm-
Von jener Zeit ab betrachtete ich die Woher kam diese Regung?
Fenster drüben mit ahnungsvollem Grauen Seine Seele scheint weit weg zu schwe-
und grübelte oft darüber nach, was wohl ben . . .
den jungen, schönen Offizier in den Tod Dann ist es mit einem Mal vorüber.
getrieben haben möchte. Wo war er nur?
Dann kam ich in eine andere Klasse, Kam er wirklich von seiner Verlobung?
die auf den Schulhof hinaussah — und so- Ein Schauder durchzittert seine Gestalt.
mit waren jene geheimnissvollen Fenster Das Rauschen des Wassers dringt unauf-
meinem Blicke und mit der Zeit auch mei- hörlich an sein Ohr.
nen Gedanken entrückt. Wie damals —
Bald nachher verbessert meine Eltern Auch schien der Mond genau so —
H. und ich sagte der Schulbank in dem und die Nachtigall drüben — wie damals
lieben, rothen Gebäude auf immer Lebe- vor zwei Jahren. —
wohl. Zwei Jahre! Und die hatten genügt,
Auch die alten Linden und jene Häuser ihn Alles vergessen zu machen.
sah ich lange Jahre nicht mehr wieder. Hatte er denn vergessen?
In fernem Lande dann — viele Jahre Und nun war ein Unabänderliches ge-
nachher, erfuhr ich von einer Lands- schehen und er musste die Liebe zu jener
männin das, was unaufgeklärt dereinst Anderen ewig begraben.
mein Kinderherz schon so bewegt hatte. Würde er das fertig bringen, an der
Seite deren, die seine Braut — ? —
*##
Ein neuer Schauer durchbebt ihn.
Es war kein freudiges Gefühl, was den Wie hatte er nur einwilligen können!
Freiherrn von R .. . so hoch aufathmen Nicht nur, dass er sie nicht liebte, —
machte, als er an jenem Abend seiner Ver- nein, in ihm empörte sich jetzt Alles gegen
lobung das Schloss verliess — ein tiefer sie.-
Seufzer war es, der fast wie ein Stöhnen Und er kam von seiner Verlobung!
klang. Wie würde es da sein, wenn er erst
Er bleibt einen Moment stehen und Hochzeit halten müsste. — —
fährt sich mit der Hand über die Augen, Hochzeit —!
wie um einen bösen Spuk zu vertreiben. Ein Lachen entfährt ihm.
Dann schweifen seine Blicke rückwärts Er setzt den Helm wieder auf und bittere
zu den noch erleuchteten Fenstern des Gedanken sind es, die ihn auf seinem Nach-
Schlosses, wo er eben in Huld und hauseweg begleiten. —
Gnade von den hohen Herrschaften ent- Ziemlich unsanft wirft er die Hausthür
lassen worden ist. in’s Schloss; auch ist es ihm einerlei, dass
War er doch dem direkten Wunsche sein'Degen gegen das Geländer klappert,
seines Fürsten gefolgt, als er sich mit der als er die kleine, alte Treppe empor steigt.
Hofdame der Prinzessin verlobte; er hatte In ihm ist eine Wuth. Er verwünscht
allerdings nicht geglaubt, sich so schnell sein Schicksal — sich selber.
entschliessen zu müssen, als er einige- Da, auf dem Tisch !
male mit der stolzen Blondine auf den Ja, träumt er denn-?
Hofbällen getanzt hatte. — Da war es ihm Oder ist das nicht ein Brief von ihr?-
Plötzlich nahe gelegt worden, und ehe er Und heute, gerade heute musste er
noch Zeit zum Ueberlegen fand, stand er kommen!
selbst vor einem fait accompli. Man hatte Er nimmt ihn auf und besieht die feine,
es ja auch gut gemeint mit dem char- kindliche Schrift. Fast zaghaft berührt er
manten Gardehauptmann, der noch immer ihn, — ein weicher Ausdruck gleitet über
keine Anstalten machte, sieh dauernd in seine Züge, und zärtlich dreht er das
die Fesseln einer Schönen zu begeben. Vas Bild »0» Sais. Schreiben um und um.
Von Theo Schmuz-Baudiss.
Man wusste ja nicht-
379
Nr. 24 JUGEND 1896

Apollonias Originalradirung von Maxim. Das io (München).

Er hat so lange keinen Brief mehr von Langsam wie ein Nachtwandler geht er Und die Schuld ist mein.
ihr gehabt, — fast zwei Jahre sind es her. — an den Schrank; — dort holt er eine kleine Vergib mir, mein Lieb, denn ich
Er muss sich erst sammeln, — vorhin Kiste her, die er auf den Tisch stellt... gehe ja in den Tod für Dich — —
da war er ja so verstört, — und dann bricht Dann setzt er sich hin. Er fährt sich Gibt es eine grössere Liebe?
er ihn langsam auf. — — mit der Hand zum Herzen, — er fühlt Ich liebe Dich — o Lotti — ich liebe
Mein Gott — mein Gott — — —! einen Krampf. — Dich! Ferdinand.
Vorhin da war es ihm ja gewesen, als Die Hausthür knarrt schon zum dritten
*##
ob dort etwas zersprang . . . Male in dieser Nacht. — Es ist Ferdinand,
Er sitzt schon lange so da — den Kopf „Lotti — Lotti —!“ wie ein Schrei ent- welcher von dem Briefkasten zurückkommt,
tief auf der Brust; die Hand mit dem Brief fährt es ihm — dann nimmt er die Feder in den er ein Schreiben warf. —
der Geliebten hängt schlaff auf der Seite_ und schreibt: Nur ein kleines, viereckiges Couvert,
Dieses hatte er gelesen: Mein Lieb! — aber es birgt das Schicksal zweier
Geliebter! Wenn Du diese Zeilen empfängst, Menschenleben.
Kannst Du ahnen, weshalb ich dann wird der, welcher sie schrieb, längst Und morgen, wenn es in dem kleinen,
schreibe? — Nein? So komme und höre ruhigen Städtchen ankommt, das zwischen
todt sein.
das, was ich Dir jetzt nur kurz andeuten Mein Lieb — sei nicht traurig des- den Bergen liegt, wird ein weiches, tapferes,
will! — Ein alter Onkel meiner Mutter wegen — denn es konnte nicht anders kleines Herz langsam brechen.
hat mir sein ganzes Vermögen vermacht. sein . . . Aber vergieb mir — denn ich *. * *
Ferdinand, — nicht nur ist das Hin- allein trage die Schuld, Lotti — und die Die Thurmuhr schlägt drei. Zur selben
derniss unserer Vereinigung dadurch war gross, — so gross, dass ich sie mit Zeit fährt der Wirth in dem alten Hause
überwunden, sondern wir werden auch dem Tode sühnen muss. plötzlich aus tiefem Schlaf indie Höhe.-
reich sein. — O, mein Liebling — komm Wenn Du dann hörst, wie Alles kam, War das nicht ein Schuss?
bald! dann habe Mitleid mit mir, der ich ver- Aber alles bleibt still.
Ich weiss, dass Du mich noch liebst gass, dass sich Liebe nicht zwingen Nur der Hofhund fängt nach einiger
noch innig liebst — und die Zeit war so lässt, und meinte, sie in der Pflicht be- Zeit laut an zu heulen — schaurig dringen
lang! graben zu können. die Töne in die Nacht hinein.
Ich will wieder Deine lieben Augen Da müsste man Dich nicht geliebt Gleichzeitig erlischt hinter einem Fen-
sehen, die ich küsse in dem Bewusstsein, haben, Lotti — ster in der ersten Etage der flackernde Licht-
dass nun Alles gut ist. Und nun, da wir hätten glücklich sein schein einer Kerze —und tiefe Dunkelheit
Ewig Deine Lotti. können, da ist^es zu spät. — umgibt wieder die alten Häuser am Wall.

380
Nr. 24
1896
Der Kuss'
An eine Berlinerin (Nach Fratifois Coppee.)
• bei ihrer Heimkehr aus Italien Ich war nicht oft beglückt auf dieser
Erde,
I. Doch pflückte ich als lieblichen Ge-
nuss
In staubige gedrückte Räume,
Wo keuchend sich die Paare dreh’n, Von manchen Lippen einen süssen
Kehrst Du zurück vom Land der Kuss,
Träume, Der mir das trübe Dasein hold ver-
klärte.
Vom Glanz, den Du als Kind Der Reiz des Kusses war mir auf-
geseh’n.
gegangen,
Zwar sind die Menschen hier Als Kind schon in der Mutter treuem
sehr h eile Arm,
Mein kleines Herz ward dabei froh
Und sprichst Du von der Schönheit und warm.
Land,
Man küsste damals immer meine
So wissen sie genau die Stelle, Wangen.
Wo jeder alte Torso stand. Die Kindheit sch wand; mein Weg ging
über Klippen
Es sprühen ihre Geistesfunken Und streifte selbst den dunklen Ab-
Beim Contretanze und bei Tisch, grund oft,
Und wenn sie etwas Sekt getrunken— Doch mich erquickte manchmal un-
Dann werden sie noch verhofft
schwärmerisch. Ein Kuss von süssen heissersehnten
Lippen.
O selig, so vereint zu schwärmen Ich ward geküsst in schönen Jugend-
Und selbst umschwärmt vom Militär! tagen
Kasernen — Caracallathermen — Von manchem Weib in flücht’gem
O Mädchenherz, was willst Du mehr? Liebesbund,
Man küsste damals immer meinen
Mund
II.
In heisser Lust, in Thränen und in
Ich will Dir nicht die Freude rauben, Zagen.
Geh’ in die Welt und mache Glück Vorüber ist die holde Zeit der Rosen,
So lang die Mittel es erlauben! Vorüber ohne Trostund Wiederkehr.
Dann kehre von den Pickelhauben Es küsst schon lange niemand, nie-
Zur «Schule von Athen» zurück! mand mehr
Auf Mund und Wange mich in süs-
Wie himmlisch, dann in Abend- sem Kosen.
stunden Mich überlebt kein Sprosse und ich
Durch Säulengänge hinzugeh’n frage
Und, wenn der Jugend Drang ent- Mich wehmuthsvoll, seitdem die
schwunden, Liebe schwand,
Was man zu stürmisch einst Wenn mich der Tod erfasst mit kalter
empfunden, Hand,
Vergeistigt dann vor sich zu seh’n! Wer küsst die Stirne mir am letzten
Tage?
Und untertags im Sonnenbrände N. GÜTHNER.
Sanft durch die Gallerie zu zieh’n DL
Mit einem dicken Leinwandbande,
Den Du in Deinem Vaterlande Märchen
Von einer Freundin ausgelieh’n! Die Mittagsonne brütet heiss,
Im Trahme liegt der Wald,
Ich seh’ Dich im Kostüm von Loden Ein Glockenton erzittert leis,
Vor Venus steh’n im Vatikan Der mählig dann verhallt;
Im Zeugschuh auf dem Marmor-
Und wunderklare blaue Luft
boden
Rings über Feld und Heide,
Und Verse lispeln, Sapph’sche Oden,
Und würzig schwerer Sommerduft
Wenn Dir der Gott cs angethan. Vom reifenden Getreide;
Und erst die Bilder und die Skizzen Und Bienen, Käfer, glänzend bunt,
Und was man vor der Welt versteckt, Das surrt und summt ganz leise,
Ute Tagebücher und Notizen — ! Im Schatten schläft der Schäferhund,
Doch fort jetzt mit den schlechten Im Riedgras zirpt die Meise;
Witzen, Am Waldbach träumt das Hüterkind
Ou weisst ja, Engel: Was sich Von Liebeslust und Qual,
neckt — — — Und märchenheimlich rauntderWind
FERDINAND VON HORNSTEIN.
Es war — Es war einmal ....
PAUL DL1SS.

J8l
Nr. 24 JUGEND 1896

Die disciplinlose Malerei, wie sie auf Es ist grossartig, was durch diese Me-
der Erde gepflegt zu werden scheint, gibt thode bei den Schülern erreicht wird! Schon
es auf dem Mars nicht. Bei uns wird die nach wenigen Wochen sind sie dem Meister
jeweilige Kunstrichtung durch das Parla- ebenbürtig — selbst die Talentlosesten —
ment geregelt und es erlaubt sich kein und andererseits kommt auch der wider-
Marskünstler so einfach nach Belieben wärtige und die Disziplin so schwer schädig-
seinem eigenen beschränkten Unterthanen- ende Fall, dass ein Schüler besser malt, wie
verstand nachzumalen. An der Spitze des sein Lehrer, bei uns nie vor. Ueberhaupt
ganzen Kunstwesens steht eine dreiglieder- ist bei uns, Gott sei Dank, mit den soge-
ige Kunstkommission, die aus den Mit- nannten Talenten, deren Vorhandensein
gliedern des Marsparlamentes auserlesen auf der Erde so viel Wirrniss in die Kunst-
wird. Originell wie jeder Wahlmodus auf verhältnisse bringt, schon lange gründlich
unserem auserwählten Gestirn ist auch aufgeräumt. Wer Talent hat, der hütet sich
die Wahl des Parlamentes und der be- wohl, Künstler zu werden, denn die Dis-
treffenden Kunstkommission. Das Erstere ziplinarstrafen für Zuwiderhandeln gegen
wird aus jenen Marsbewohnern zusammen- den oben „herrschenden“ Kunstgeschmack
gestellt, welche auf ihren Aeckern die sind sehr streng. Neulich musste ein hart-
grössten Kartoffeln haben — gegen- näckiger, rückfälliger Pleinairist fünfzigmal
wärtig ist bekanntlich das Centrum in den grossen, figurenreichen van der Werff
starker Majorität. Von den Parlamentariern unserer National-Galerie copiren. Der Mann
wird nun wieder ein Kleeblatt auserlesen: ist gründlich bekehrt und wird jetzt mit
Ein Marskünstler „alter“ Richtung.- diejenigen Herren, welche die drei dick- Stolz der Nathan Sichel des Mars genannt.
sten Köpfe besitzen. Und der Besitzer Aktmalen und-Zeichnen gibt es hierna-
Ein Brief aus dem Mars des dicksten Kopfes von diesen Dreien türlich nicht. Weiter fortgeschrittene Aka-
Vielleicht erinnert sich der freundliche wiederum wird Präsident der Kommission demiker studiren im Modellsaal die Gips-
Leser an unsern Bericht aus Nummer 17 — das ist der Mann, an dessen Schädel Ihre köpfe unserer Kammermajorität. Ob der
dieses Blattes, worin von einer Corre- verehrliche Spitzkugel sich plattdrückte. Künstler nun später Thier- oder Historien-
spondenz mit den Marsbewohnern die Dieser Rath der Drei — wir schicken maler wird, hier geniesst er die richtige
Rede war. Wir sandten das Projektil in- Ihnen seine Photographie — bestimmt nach Vorbildung.
zwischen mit einem Exemplar des steno- seinem eigenen Geschmack die jeweilig In den Ausstellungen werden alle Nu-
graphischen Berichtes über die bayerischen „herrschen zu habende“ Kunstrichtung, er- ditäten in besonderen Kammern unterge-
Kammerverhandlungen, einer Beschreib- nennt die Akademieprofessoren, nicht wie bracht, deren Zugang durch Vorlege-
ung der Friedensfeier in München und es bei Ihnen stellenweise üblich sein soll, schlösser, Riegel und Selbstschüsse wohl
ähnlichen Curiositäten abermals in den nach sogenanntem Talent u. s. w., sondern verwahrt ist. Die Kammern haben nur
Mars, und gestern lieferte uns der Land- nach der Qualifikation des betreffenden versteckte Hinterpförtchen für die Herren
mann Aloysius Hinterhupfer aus Unter- Stadtpfarrers. Demnächst soll ein Marse, von der Commission und ihre Parteigenos-
haching bei München wie damals das Ge- der es in einem Jahre auf 4876 Beicht- sen, die hin und wieder einige Stunden
schoss wieder ab, das uns die Marsbe- zettel gebracht hat, Akademiedirektor wer- dort zubringen, um durch tiefgehende Ent-
wohner zurückgeschickt hatten. den für den derzeitigen Vertreter dieses rüstung ihr Sittlichkeitsgefühl zu stärken.
Es enthielt: Amtes, der nur 365 aufweisen konnte. Einige der Herrn verbringen den halben
einen Brief, Von der Kunstkommission werden auch Tag in diesen Räumen, trotzdem solche
einige Photographien, die wir „um- die Kunstkritiken verfasst und verviel- für sie förmliche Schreckenskammern sein
gezeichnet“ wiedergeben, fältigt an die Zeitungen hinausgegeben, müssen. Man glaubt nicht, was ein Mars-
wieder ein Strafmandat und zwar die Bilder in den Ausstellungen gehängt bewohner der Moral zu Liebe Alles aus-
dieses Mal wegen Schiessens ohne Jagd- und prämiirt, die Ankäufe für die Staats- halten kann!
karte.*) sammlungen gemacht. Bei allen diesen Die Bilder werden, wie gesagt, in den
Der Brief lautete: Werthungen ist natürlich das Leumunds- Ausstellungen je nach dem Führungsattest,
Verehrliche Redaktion! zeugniss und der Gesinnungstüchtigkeits- das der betreffende Künstler aufzuweisen
Sie werden Ihr Geschoss dieses Mal nachweis allein massgebend. Von einem hat, gehängt. In den Ehrensaal kommen
in etwas defektem Zustand Wiedersehen, Künstler, der das Glück hat, gleichzeitig die Kegelbrüder 8. M. König Jockels des
mit abgeplatteter Spitze. Doch das ist Vetter, Tauf- und Firmpathe je eines der Achtzehnten, an die Rampe der übrigen
nicht unsere Schuld. Als die Spitzkugel drei Kommissionsmitglieder zu sein, be- Säle die Künstler, die nachweislich einer
auf dem Mars eintraf, fiel sie zufällig einem sitzt unsere National-Galerie allein viele frommen Brüderschaft angehören u. s. w.
der angesehensten Marsen, dem Präses hundert Bilder. Bilder von Künstlern, die im Verdachte
unserer parlamentarischen Kunstkommis- Unsere Kunstakademie ist einfach gross-
sion, Herrn Krautkopf, auf den Kopf. Da- artig mit allen Chikanen der Neuzeit ein-
durch wurde das Geschoss deformirt und gerichtet. Eine beigelegte Momentaufnahme
wir bitten, uns die Sache nicht falsch aus- zeigt Ihnen den Anblick eines „Meister-
zulegen. Dem Kopf des Herrn Präses hat ateliers“. Der Meister sitzt in der Mitte
es weiter nichts geschadet, aber der Schlag und „malt vor“ und mit seiner Hand sind
war so stark, dass der Herr — Plattfüsse durch elektrische Drähte die Hände der
bekam. Schüler verbunden, so dass Letztere ge-
Das führt mich zu dem eigentlichen zwungen sind, jede Bewegung der Meister-
Thema dieses Briefes. Da Ihr Blatt, wie hand mathematisch genau nachzumachen.
ich sehe, sich viel oder hauptsächlich mit Die Farben werden durch Commando’s
Kunst beschäftigt, interessiren Sie gewiss bestimmt, so dass man z. B. aus dem
unsere hochentwickelten Kunstverhältnisse Munde des Lehrers die Ordre vernimmt:
in erster Linie. «Ganzes Atelier Lichtocker undKremser-
weiss!“ oder
*) Wir finden das, um uns stark auszudrücken, ein
wenig sonderbar, da wir nicht auf dem, sondern auf den «Ganzes Atelier Asphaltlasur mit Sicca-
Mars geschossen haben. (D. R.) tiv de Courtray!“ Ein Marskünstler von den ,Ultramodernen‘.

53z
1896 JUGEND Nr. 24
Nr. 24 JUGEND c»
1896

eines Lebenswandels stehen, kommen unter


den Plafond, und ist der betreffende Leu-
Kleine Münze
mund sehr trüb, so kommt es sogar vor, Der Siebter an den iPbilosopben
dass die Bilder des Künstlers verkehrt an
die Wand gehängt werden. Dies thut na- TÜIlas wülstTEu alles wissen?
türlich der Verkäuflichkeit dieser Bilder ©b Weiser, sei kein Thor!
einen gewissen Eintrag, obwohl es etliche Wer klug ist, zieht dem Leven
frivole Marsen gibt, die behaupten, jene Lind einen Schleier vor.
Bilder seien die Besten.
Die Bildhauerkunst auf unserem Stern Das Machte ist das Leere,
steht aufsehr hoher Stufe, denn die sämmt- Wenn Dn es nicht verklärst,
lichen Aufträge für Denkmäler und dekora- Dnd keine Schönheit wäre,
tive Arbeiten an Bauten u. s. w. werden Wenn Dn kein Seher wärst.
unter die drei Akademielehrer für Bild- OTTO JULIUS BIHUBAUM.
hauerei vertheilt, kommen also immer in ©o
bewährte Hände. Unsere öffentliche Kunst
hat dadurch einen hohen Grad vornehmer So ist auch der Geringste recht.
Gleichmässigkeit erhalten und alles frivole Und also ist er wohlgelitten,
Entfalten von Individualität wird vermieden. Wenn dankbar er die Hände küsst
Natürlich gibt es unter unserer Künstler- Dem, der die Ohren ihm abgeschnitten.
schaft zwei feindliche Gruppen, von denen H. FREISS.
sich jede wieder in eine arbeitende und CO
eine schreiende Hälfte theilt. Die arbei-
tenden Mitglieder der beiden Gruppen Adam lebte im Paradiese, als er noch
sehen einander merkwürdig ähnlich und Junggeselle war. Als er aber eine Frau
unterscheiden sich auch in ihrem Wesen bekam, — lag er gar bald draussen. e. gl.
nicht viel von den übrigen Marsen —
die schreienden Mitglieder der Gruppe, Selbstbeherrschung ist der sicherste
die „Alten“, tragen lange, nicht immer Weg zur— Unterwerfung anderer, e. gl.
ganz vertrauenerweckende Haare, gewal- Die Phrase ist das Feigenblatt der
tige Hüte, flatternde Halsbinden und hin Ignoranz.
und wieder etwas ausgefranste Hosen. Sie
trinken viel Bier, sehen Alles braun und „Scheiden thut weh!“ — Sich scheiden
schimpfen fürchterlich über die Jungen. lassen, — nicht immer! e. gl.
Die Schreienden von den „Jungen“ zeich- ©O
nen sich durch kolossale Eleganz aus, reden
ein wenig durch die Nase, trinken viel Wenn Du tiefer gräbst, als and’re,
Bier, sehen Alles violett und schimpfen Nennen sie Dich oberflächlich.
fürchterlich über die Alten. Das ist sehr Dringst Du in den Kern der Sache,
toll, nicht? Rufen sie: „Wie nebensächlich!“
Das Publikum theilt sich in gleicher
Weise in zwei Hälften. Der weitaus grös- Die in dumpfen Wahnes Käfig
sere Theil ist zur Zeit bei den Alten und Sitzen, finsternissumhangen —
wird erst dann bei den Jungen sein, wenn Tret’, ein Freier, vor ihr Gitter,
diese die Alten sein werden. Das ist so Und sie rufen —: „Wie befangen!“
der Lauf des Mars! Aber das interessirt ROBERT OECHSLER.
Sie kaum, bei Ihnen auf der Erde ist das ©o
ja Alles ganz anders.
Die private Kunstpflege wird hier haupt- Du klagst und sagst, es wäre viel
sächlich durch die Kunstvereine betrieben. Zu bessern noch auf Erden. —
Diese haben Ausstellungssäle, in welche Merk’ Dir: Wenn Du nicht anders wirst,
man an schönen Nachmittagen kommt, Wird es nicht anders werden, j. münz.
um die andern Leute auszurichten, Rendez-
©Q
vous’ abzumachen, die Toiletten der Mit-
marsen zu bekritteln, über das Wetter zu Es gibt Männer, die nichts für sich be-
reden und für kunstverständig gehalten zu halten können, — nicht einmal ihre Frauen.
werden.
Durch diese Einrichtung ist das Kunst- Ein allzu Leichtgläubiger wird allzu
leben auf dem Mars schon enorm geför- leicht Gläubiger.
dert worden, Mode nennt man die Uniform für Civil-
womit ich verbleibe personen. J- E r-
©0
Ihr ergebenster
Nikodemus Dreibein. Aus eigener Erfahrung
Wer Mönch bereits geworden,
Und früher Novize war,
>r W W-K -ä' Figurales Ornament Frühlings-Idyll
Weiss, wie die Knaben spielen
Selbst hinter’m Hochaltar.
MAXIM BERN.
ans der aktstndienfreien Kunstgewerbeschule auf dem Mars Zeichnung von M. Kleiter
(Preisarbeit).

384
Somtner-Eag* Für die „Jngend“ gezeichnet von Fritz Rehra*

385
Nr. 24 JUGEND 1896

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2e!cIinunA von H. 1^. Kseser.

Maiblumen

Ootturno Der „Geistreiche“


Aus nächtigem Gurten zum Altan
Dankt flüsternd Metnluuh keuebt hinan. Schau, schau, — er gleicht ja dem Champagner fast.
Leeuut die Düktescbleier steigen. So geistreich, sprudelnd, blendend, witzig plauscht er. —-
Der lange liegen ist müd verrsuscbt. Ganz recht, — wenn man mit ihm sich nur befasst
Ls luuscbt mein Aug', meine Seele lauscht Ein paar Minuten, prickelt und berauscht er,
Dinuus, — dineln in das utbmende Schweigen! Doch müssen wir d’ran schlürfen ein paar Stunden,
Dann wird er schal und will uns nimmer munden.
ABNOISA.
Du molkenscbmsrze, heilige Dacht,
Mie ziebt's mit beisser Derzensmucbt
Mied ganz in Deine weicben Arme!
Wie lockt und ludet so vertraut
Der Lrdensttlle Gcisterlaut Stilles Glück
Aucd beut' zu träumend süssem Darme! Wir sitzen am Tisch beim Lampenschein
Und sehn in dasselbe Buch hinein;
So weit mein Mick in's Dunkel dringt, Und Wange an Wange und Hand in Hand,
So weit der Schlummer die Welt umschlingt, Eine stille Zärtlichkeit uns umspannt.
Dur meiner Lumpe freundliche Strahlen-! Ich fühle ruhig Dein Herzchen pochen.
Dur meine Stirne teuchtgeküblt. Eine Stunde schon hat Keines gesprochen
Dur meine Locken minddurcbmüblt, Und Keins dem andern in’s Auge geblickt:
Dur ich bin mach in holden Dualen-; Wir haben die Wünsche schlafen geschickt
WILLY RATH. PRAG. HUGO SALUS.

586
Die Reise ins Wunderland und zurück.^ Für -><- Jugend gezeichnet von Gräfin Olga Kraszewska.
Nr. 24 JUGEND 1896

l)68 80NNtLZ8
frük 80 um viertel sieben
Um viertel Lieben des Sonntags trüb,
Das ist mir die liebste Zeit in der Woche;
Da weckt nicht der Wirthin laut Gepoche
Zu des Tages Last und des Tages Müh’.
Aus der ganzen sechstägigen Alltagsfrist
Ist mir keine einz’ge Minute geblieben,
Wo die Seele so still und so glücklich ist
Als Sonntags früh so um viertel Sieben.
Tagtäglich seh’ ich es anders nie:
Stets steht ein gebietendes „Muss“ vor dem Bette,
Das schirrt in’s Joch und zwingt in die Kette:
„Zieh, Lastthier, zieh! — Zieh, Lastthier, zieh!“ —
So bin ich auch heut’ aus dem Schlaf erwacht;
Schon fühle ich mich gepeitscht und getrieben
In saurer Fron nach verwichener Nacht —
Des Sonntags früh so um viertel Sieben.
Mit hastigem Griffe die Uhr von der Wand: —
Da wird mi'r’s klar: heut’ ist Sonntag auf Erden. .
Da fallen die Fesseln, da ruh’n die Beschwerden ...
. . Und die Uhr bleibt tickend in meiner Hand.
Und das Auge folgt dem Zeiger entzückt,
Der über die Ziffer, die da geschrieben,
— Auch über die Drei — immer weiter rückt —
Des Sonntags früh so um viertel Sieben.
Das ist ein Stück von der Seligkeit:
Tief eingebettet in weiche Kissen
Heut der Minute nicht folgen zu müssen,
Was meines Lebens tägliches Leid . . .
Aus der ganzen sechstägigen Alltagsfrist
Ist mir keine einz’ge Minute geblieben,
Wo die Seele so still und so glücklich ist
Als Sonntags früh so um viertel Sieben,
OTTO RÜHLE.

Der Wahrheitsucher
Freund, hier ist mein neuer Reim.
Prüfe seinen Werth und Adel
Ohne ungerechten Tadel,
Ohne falschen Honigseim.
Sage offen, ob er recht;
Denn ich bin nicht von den Narren,
Die nur Lob zusammenscharren —
Doch, nicht wahr, er ist nicht schlecht?
Ehrlichkeit ist Freundespflicht,
Ehrlichkeit verlang ich heute;
Doch wir sind geschied’ne Leute,
Tadelst Du mir dies Gedicht.
Ich war nie ein eitler Thor
Und erkenne Dich als Richter,
Aber kränkst Du mich als Dichter,
Dann, mein Freund, dann’ sieh Dich vor!
„Matt jibst Du denn ejentlich dein ksühneraujust, Deinem
Schwiejersohn, for Iist mit?" Nun, mein Lieber, komm und höre;
„Ick denke den Thierjarten und Lharlottenburg, außerdem Deinem Unheil halt’ ich still,
datt Stummelsammeln unter'» Linden. Mir bleibt ja immer noch Denn Du siehst ja und ich schwöre,
der meine bliilde Mann' bci's (Dperubaus und datt warme Essen Dass ich nur die Wahrheit will!
for'sServieren beiAulicke, bürgerlicher Mittagstisch for 20 Fenn’ge." KORY •gO\VSK\.

388
1896
Nr. 24 JUGEND

JULIUS BÖHLER
6 Soflenstr. München Soflenstr. 6
vis-ä-vis des Glaspalast-Einganges.
Hof-Antiquar Sr. Majestät des Kaisers und Königs.
Motto: Und Marmorbilder steh’n und seh’n mich an. An- und Verkauf werthvoller Antiquitäten und alter Bilder.
Goethe. (Mignon.)
Du blonder Knabe, ward Dir die Wange heiss,
Als Vater rühmend zeigte der Helden Bild,
Die schweigend über allem Volke
Ragen in’s heitere Blau des Himmels?
Und pocht’ mit rascher’m Schlage das junge Herz,
Als staunend Du die Reih’n der Edlen sah’st?
Als von des Vaterlandes Ruhm Du
Kunde vernahmst, von der Heimat Grösse?
Nun fragst Du schüchtern: Vater, wer ist der Mann
In schlichtem Rocke? Unten am Sockel steht er
In Erz: „Des Simon Blad gedenkend,
Stellte die dankbare Stadt dies Bildniss“.
Der? Kind, komm weiter! Bist Du erwachsen einst,
Wird Dir sein Anblick röthen die Stirn in Scham.
Der Schande Denkmal wird dereinst noch
Zornigen Ekel in Euch erregen!
Ihr werdet hören, wie sich in uns’rer Zeit
Der Pöbel wehrte, als wir dem besten Mann,
Der uns das Vaterland gegeben,
Schmückten in Liebe sein hohes Alter.
Ihr werdet hören, wie sich ein frecher Faun
Die höchste Ehre kaufte mit schnödem Geld,
Der höhnisch lachend seiner Erben
Schmutzigen Sinn auf die Probe stellte. Copyright 1895 fay Franz Hantstsengl.

Komm’ weiter, Knabe! Möge Dein junges Herz


Niemals verstehen diesen gemeinen Sinn,
Franz Stuck: Sphinx
Verlag von FRANZ HANFSTzENGL in München.
Der uns’rer Zeit das Brandmal aufdrückt, Erschien in: Gravüre, Plattengrösse 52:61 cm., Bildgrösse 44:49 cm.
Gieriger Habsucht ein dauernd’ Zeichen! Preis 15 Mk., ausserdem in photographischen Reproductioncn zum
DR. THOMA. Preise von Mk. 18—, 7.50, 4.—, 3.—, 1.—.

Unter dem 'Protektorate Sr. D^gl- 3toheit des Prinzregenten Puitpold von Payern, des D^önigreicHs Payern 'Perweser

BayerischeLandes-Industrie-, Gewerbe-SS,„1^
und Kunst-^USStellUng
in den grossen städtischen Parkanlagen
vom 15. Mai bis 15. Oktober 1396
1896 JUGEND Nr. 24

Unsere Titelblätter. Das Titelblatt von Nr. 20 der Süddeutsche


»Jugend« ist von J. Witzei (München), das von Nr. 21 von Georges
Delaw (Paris), das von Nr. 22 von Hans Pfaff (Dresden), das von Electroteclmische Lehrwerkstätte
Nr. 2Z von Gabelsberger (München) und das Titelblatt dieser Nummer verbunden mit theoretischen Vorträgen. Die beste Ausbildungsmethode
von J. Witzei (hier). dieses Faches. Im kommenden Schuljahr werden nur 20 Schüler aus-
Die Reproduktion des Bildes »Frühling« von Böcklin, erfolgte genommen. Anmeldung zeitlich erbeten.
mit Genehmigung der »photographischen Union« in München. JNiv jVirrsrtirrn. MHHrrrherr, l&nfTlrttt 5/1
QV Die Redaktion der »Jugend« bittet die verehrten Herren Schrift- nimmt dieselben jetzt schon entgegen. 10.4
steller und Verleger, keine Bücher u. s. w. zur Recension an uns
einsenden zu wollen, da wir Bücherbesprechungen nicht bringen
und uns der Mühe der Rücksendung nicht unterziehen können.
Wir bitten dringend, an uns einzusendende Zeichnungen nicht zu
rollen ! Die Blätter werden dadurch erstens sehr leicht beschädigt, sind
U. §, mix
schwer aufzubewahren und nehmen in unsern Redaktionsräumen unver-
hältnissmässig viel Raum ein. Verpackung zwischen Pappetafeln ist das
Beste und Einfachste. Ferner bitten wir die Herren Einsender, auf jeder
Arbeit, sei es Zeichnung oder Manuskript, Namen und Adresse des
Autors gütigst bemerken zu wollen. Bei der enormen Masse von
Zusendungen, die wir erhalten, ist es uns sonst einfach unmöglich, für
Pünktliche Erledigung und Ordnung in diesen Dingen zu garantieren.
Herrn A. K., Berlin. Eine Empfangsbestätigung im Briefkasten
crtheilen wir nicht. Wir haben ausgerechnet, dass es für uns in jeder Num-
mer etwa 7 Seiten engen Drucks bedürfte, um jede eingetroffene Zu-
sendung festzustellen. 3.2

Unsere Wettbewerbe. Die Erledigung unserer Wett-


bewerbe wird wahrscheinlich noch im Laufe des Monats Juni erfolgen.
Auf einzelne Anfragen in dieser Sache Bescheid zu ertheilen, ist uns
nicht möglich.
seWener und ^ct\\wo\W
Bestand 1700. Bad-Heilanstalt Neueingerichtet 1890.

im r = DER AKT
100 Modell Studien in Lichtdruck nach Naturaufnahmen
Besteingerichtete Heilanstalt für Kaltwasser-Heil verfahren, vorzugs- nach künstlerischen und wissenschaftlichen Gesichtspunkten
weise nach Kneipp. Alle Arten Bäder. Aerztliche Leitung Dr. med. gestellt und herausgegeben von
Friedrich Bernhuber. Näheres die Prospecte (gratis und franco). Max Koch, Historienmaler, Otto Rieth,
am Kgl. Kunstgewerbe-Musoum zu U erlin. Architekt und Bildhauer. |
io-4 Die Badeverwaltung. 10 Hefte a IQ Tafeln 24 : 32 cm h Mk. 5.— pro Heft,
• T j, heilt sofort durch sein specillsches Mittel. Wirkung Durch alle Buch- und Kunsthandlungen oder bei Einsendung von M. 55.-
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und Leipzig. JUGEND 1896
Nr. 24

Die „JUGEND“ erscheint allwöchentlich einmal. Bestellungen werden von allen Buch- und Kunsthandlungen, sowie von allen Postämtern
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Herausgeber: Dr. GEORG HIRTH; verantwortlicher Redakteur; F. von OSTiNI; verantwortlich für den Inseratentheil: G. EICIiMANN, G. HIRTH’s Kunstverlag; sämmtlich in München.
Druck von KNORR & HIRTH, Ges. m. beschr. Haftung in München.
ALLE RECHTE VORBEHALTEN.
• JUGEND • I. JAHRGANG - NR. 25

Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben. — G. Hirth’s Verlag in München & Leipzig.
ULI RECHTE VORBEHALTEN.
1896
Nr. 25 JUGEND

Gezeichnet von J. Bretz.


Bitter wunderlich! — Als nur ein Abglanz, Du machtest sehend
Abends
Dann werd' ich Dein Auge, Lin schwacher Abglanz- Die blinden Augen,
Abend! es treten Dein grüßendes Auge, Icner fernen, verborgenen, Du machtest gläubig
Die Berge näher, Nimmermehr sehen. Aus tiefer Nacht Dies todte Gemüth.
Ls steigen Nebel, Dann wirst Du, Geliebte Dem, der sie sieht,
huschen Schatten Des Freundes Auge ' Leuchtenden Sonne. Nun erscheint mir Alles
vom Feld zum lvaldc, Nimmermehr sehen. — chier nur ein Gleichniß,
Ueber zackigen Wipfeln (D wunderlich bitter
Hab' Dank, Hab' Dank! Ein Gleichniß von dem,
Tanzt die Sonne. Sonne — Freundin! was drüben wartet.
Nun starb die Sonne Hab' Dank, Ich sehne, sehn' mich
Abendschweigen I Nun ist wohl auch- Ich verstehe! Zum Tode — zu Dir,
Wie redet die Einsamkeit, Gestorben die Liebe? Der Sonne nach.
Spricht eherne Worte V Du, o Weib!
»»»
Zur Mannesseele. Seit Deine Seele, © komme, Du große
Ein Leuchten da, Deine keusche Seele, Herbe Liebe!
Die Sonne glüht, Ein schwaches Leuchten! Mir sich ergeben, Ans lichtem Fittich
Die scheidende Sonne, Geküßt vom Strahle ward lichter Morgen, Nimm' mich, trag' mich
wie im Tode ein Großer Der schon Entschwundenen ward Heller Mittagsglanz Zur neuen Sonne.
In aller Glorie Eine Wolke leuchtet, Meines Lebens Nacht. W. VON POLENZ.
Einmal noch aufstrahlt. Eine kleine, stille,
Rosige Wolke,'
Dann sinkt sie schnell;
Wie aus
kjoch am ksiinmel,
Die Dämmerung schleicht, Am dunklen Himmel. einem Paar Socken der Schäfer ist worden
Ein grauer Wolf, Ein Gschichtel aus dem „Stoansteirisclien“ von Peter Rosegger.
Durch nächtliche Thäler. ksab' Dank für das Zeichen! Der alte Gräderer kommt ins Städtlein und besucht seinen
Nicht todt die Sonne, Herrn Vetter. Anfangs, als er eiugetreten, spricht er lauter
Ich weiß, ich weiß: Nicht todt die Liebe — ewige Wahrheiten: dass das Wetter alleweil gar so unbeständig
Nun kommt die Nacht, Sonne und Liebe ist, dass der Berg aufwärts schnaufen und abwärts „knie-
Die lange Nacht, Können nicht sterben. schnappen“ macht und dass der liebe Gesund halt ’s Beste
„Da niemand wirken, wäre! Allmählich geht er weiter, rückt heraus mit einem
Da niemand lieben kann" — versteh' ich das Zeichen? Geheimniss und er möchte den Herrn Vetter frei so viel
Ich weiß, ich weißl Dies Leben ist nichts gern um Rath fragen. — Und duschelt ihm Eins hin.

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1896 JUGEND Nr. 25

vom Paul Pinggelbaum, so wie der müsst ihr’s


machen, so ist’s recht, so haben es die Weiber gerne.
Höret zu mit Fleiss und Aufmerksamkeit.
Der Paul hat ein junges feines Weibsen gehabt.
Sie ist etwas jünger gewesen als er, wofür Niemand
verantwortlich gemacht werden kann, sie hat das
rechtzeitige Aufdieweltkommen versäumt um sechs-
undzwanzig Jahre, sonst könnte sie genau so alt sein
als er. Und der Paul hat sein junges Trauderl ganz
unmöglich lieb gehabt. Und natürlich sie ihn auch —
ganz unmöglich lieb. Denn weil er ihr jedesmal, so
oft er vom Dorf oder vom Städtlein heimgekommen,
etwas mitgebracht hat, etwas Schönes, oder etwas
Gutes, oder beides nebeneinander. Sie hat es gar
holdselig angenommen und stets gesagt: „Brav bist,
Paul! — So und jetzt kannst schon wieder gehen.“
Und dass die Sach’ in guter Ordnung vorgebracht
wird: Einmal geht der Paul auf den Jahrmarkt und
bringt dem Weiblein — weil der kalte Winter schon
über die Berge pfeift—ein paar wollene Socken heim.
Entzückt ruft die Trauderl: „Aber nein! Aber so
schöne Socken! Und diese Wolle! Diese blühweisse
Wolle! Brav bist, Paul! Aber sag’mir doch, wo be-
kommt man denn so eine wunderschöne Wolle? Da-
von möcht ich gleich ein paar Pfund haben zu Hand-
schuhen, zu einem Unterjöppel, zu einem Nacht-
häubel. Mein liebes Mannerl wärst wohl, wenn Du
mir mehr solche Wolle thätst bringen.“
„Werden halt trachten“, sagt der Paul. Dann geht
er nachfragen bei der alten Strickerin, der er die
Socken abgekauft, woher sie die Woll’ bezieht? Die
nimmt sie beim Kaufmann. Er frägt beim Kaufmann.
Der hat sie vom Juden. Er geht zum Juden, und
der sagt es nicht, wo man die schöne wohlfeile
Wolle kriegt. Drei Tage lang geht der Paul umher,
da erfährt er schier zufällig denselbigen Schafstall,
wo gerade wieder das weisse Schäflein geschoren
wird. Gleich kauft er die Wolle und eilt damit
„Was! Heiraten wollt ihr?“ schreit der Vetter zurück. voller Freuden heim zu seiner Trauderl.
„Jetzt hab’ ich gemeint, ihr hättet schon lange geheiratet!“ „Herr Jesselas!“ ruft sie aus, die Liebste, die Herzige,
„Das wohl, das wohl. Ei freilich, geheiratet wohl. Aber „eine solche Wolle! Wie druderlweich und wie seidenfein!
auch schon lang’ wieder gestorben. Weil ich das erstemal Das gibt ein Strickzeug! Brav bist, Paul! Aber was hab ich
eine Alte hab’ derwischt. Diesmal probir ich’s mit einer dann, wenn diese Wolle verstrickt ist? Und die Socken wieder
Jungen. Gelt, jetzt schaut der Herr Vetter!“ hin sind! Oder glaubst, die werden’s alleweil halten? Ja,
Dieser guckt dem Alten in das runzlige Gesicht und fragt: pfeifen werden sie was! Und meinst, dass ich nachher mein
„Wie steht’s mit der Gesundheit?“ Lebtag in den alten Hadernfetzen umzaschen soll? Dodel, Du
„Vergelts Gott. Soweit passabel,“ anwortet der Gräderer. alter! Geh sei so gut und heb’ einmal Deinen alten Knochen-
.„Und schlecht hat’s bei mir Keine. Müsst’ wohl lügen, wenn schrägen und schau, dass Du das Schaf heimbringst mit der
ich thät sagen, dass es Eine bei mir schlecht hätt’. Alles Schur, und nit alleweil alles nur halb machen. Hast gehört?“
kann sie haben, was ihr Herz verlangt. Wenn ich Eine ein- „Ist schon recht, Trauderl“, sagt der Paul, „sei nur gut,
mal gern’ hab’, da lass’ ich mich nicht spotten, ich! — Also, Schatzerl, ich will Dir auch das weisse Schäflein bringen.“
was sagt der Herr Vetter dazu?“ Schiebt sein Geldbeutlein in den Sack und geht, um das
Der Vetter sagt: „Thut Ihr gern Geschichten lesen? Ja? schöne feinwollige Schaf zu kaufen. — Was ihm nicht ein-
'Nun also, dann nehmt einmal dieses Büchel mit.“ Er zieht fällt? wird er angeschnauzt, die beste Gattung verkauft man
aus der Tischlade ein braunes Bändchen hervor, thut ein nicht. Aber wenn er sie zwiefach zahlt! meint der Paul.
wenig mit demselben um und steckt es dem Gräderer in den Solle schauen, dass er weiterkommt, heisst es, die besten
Rocksack. „So. Unterwegs auf derHeimfahrt zum Zeitvertreib.“ Schafe verkauft man nicht. — Weiterkommen! Gesagt ist es
„Schön Dank. Und des Heiratens wegen?“ — Sagt der leicht. Wohin soll er denn gehen, der Paul? Heim zum
Vetter: „Ist schon recht. In solchen Sachen red’ ich nichts drein.“ lieben Trauderl? Wer’s wagt. Er nicht. Sie hat Kochlöffel
Gut ist’s. Und auf der Heimreise, wie der Gräderer so und Feuerzangen und Töpfe und Wasserkübel in der Küche,
hübsch bequem im Wagen sitzt und über die schöne Zeit alte Schuhe und den Stiefelknecht in der Stube; das alles
nachdenkt, die jetzt anrücken soll, greift er um die Tabacks- und was sonst noch da ist in einem ordentlichen Haushalt,
pfeife in den Sack und ertappt das braune Büchlein. An einer schickt sie ihm an den Kopf oder auf den Rücken, wenn er
bestimmten Stelle ist ein erklecklich grosses Eselsohr ein- ohne Schäflein heimkommt. — Den ganzen Tag schleift der
gebogen, und da steht gerade die Geschichte: ,Wie aus einem Paul im Walde umher, im schönen grünen Walde! Was nur die
Paar Socken der Schäfer ist worden1. Leute dran haben! Lauter kellerkalter Schatten überall. Die
Ein spassiger Titel. Wird wieder einmal was Sauberes Aeste kratzen, im Gestrüpp lauert der Fuchs, auf den Wipfeln
sein; hat lauter so Sachen, der Vetter. Die Brillen heraus. krächzt der Geier. — So irrt der Paul umher und aus der Ferne
Werden wir’s halt sehen. — Und also stand’s geschrieben: — schaut er hin auf sein Haus, wo über dem Schornstein still und
Ehemänner allesammt, kommt zu mir, ich will euch etwas sagen. lieblich der blaue Rauch in die Höhe steigt. Holzäpfel sucv
Will euch ein gutes Beispiel zeigen, wie ihr Euch zu verhalten er im Wald, sauer sind sie, aber immer noch süsser als
habt gegen Euere Ehegesponsinen. Will euch erzählen Trauderl, wenn er heimkommt ohne Schäflein.

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Nr. 25 JUGEND 1896

Nun fängt sachte auch der Waldschatten an und macht So gehen sie allzweibeide miteinand. Der Paul hat eine
Geschichten. Zuerst spielt er sich auf das Düstere, dieses närrische Freud’, dass er seiner Traudel, der liebesten, den
auf das Dunkeln und Dämmern, dieses auf die Finsterniss, Wunsch kann erfüllen. Weil sie halt gar so viel herzig ist! —
und die Finsterniss spielt sich auf die kohlrabenschwarze Sie kommen an’s Haus, da sieht der Schäfer die Trauderl.
Nacht. Nun, die Nacht wäre das Schlimmste noch immer Er schaut sie an — sie ihn. Haben .flieh lang angeschaut
nicht gewesen, in der schwarzen Nacht hätte der Paul mög- und gesagt haben sie nichts.
licherweise auf das weisse Schäflein vergessen. Wie er nun „Du Schäfer!“ sagt der Paul und deutet auf das Schaf,
aber im Moose ruht und anfangen will zu schlafen, da fängt das im Gärtlein munter graset, „da ist es.“
die hautfalsche Finsterniss an und wird wieder licht. Zuerst Die beiden schauen sich immer noch an. Als ob sich
flimmert sie ein wenig, nachher steigt hinter den Bergen schwer die Augen in einander verhackelt hätten, so stehen sie da.
und massig ein ganzes Gericht Gottes auf. Wetterleuchten, Und jetzt wird dem Paul auf einmal angst und bang.
blitzen — murren, donnern, krachen, schnalzen — tröpfeln, „Schäfer!“ sagt er, „siehst es denn nicht! Das weisse
schnürlen, giessen, hageln. Auch das Lüfterl wird Streber: Die Schaf!“ Und wie das Thier jetzt blockt, da hört es der Bursch
Zweiglein fächeln, die Aeste rauschen und schlagen aufeinander und ruft aus: „Da ist es ja! Das ist mir gestohlen worden!
wie Gassenbuben, die Wipfel pfeifen, die Stämme brechen. Der Wer hat denn das gethan?“
arme Paul schauert und wimmert und denkt: Unangenehm ist „Der da!“ sagt die Trauderl und zeigt mit beiden Zeige-
es, aber für das liebe Weib leidet man alles gern. fingern auf den Paul.
Nun steht er auf einmal vor einer Hütte. Daneben der „Gut ist’s!“ sagt der Schäfer. „Die Diebe muss man
Schafstall mit dem weissen Schäflein. Auch gut, denkt sich einsperren lassen!“ Eine Stunde drauf ist der Landsknecht
der Paul, nass bin ich ohnehin schon, jetzt stehle ich das da, der packt den Paul, schliesst ihm die Hände zusammen
Schäflein. Das Gewitter ist so gut und macht Lärm, dass mit einem eisernen Kettlein und treibt ihn davon.
man des Thieres meckernden Hilferuf nicht hört und so Da hebt die Trauderl, die liebeste, das Schürzlein auf
macht sich’s. — Waschnass bis auf die Haut und zerschlagen bis zu den Augen und klagt: „Meinen Alten treiben sie fort.
bis auf die Knochen, so kommt er am Morgen mit dem Wen werde ich jetzt haben?“ Und thut weinen.
Schäflein heim zu seinem Weib. — Nun das hätte man sehen Tritt ihr der Schäfer um einen Schritt näher und schaut
müssen. Dieses Gethu mit dem lieben Vieh! Gehalst und ge- sie wieder an. Und sie thut bitterlich weinen. Da tritt er
küsst über und über — dem armen Paul, die Zähne haben ihm noch näher, zwickt sie am Kinn, nimmt sie um den Hals,
gewässert, aber deren nur drei, mehr hat er nicht im Munde. da thut sie schon ein klein Bissele lachen. — Sehet und so
Und wie er so am Bettstaffel lehnt, fährt ihn die Trauderl — so ist aus einem Paar Socken der Schäfer worden . . .
an: „Was stehst denn Du noch da? Gehst denn Du heut’ wieder Nämlich diese Geschichte hat der alte Gräderer, der
nicht schlafen? Ich denk, Zeit wär’s dazu um fünf! in der Früh! Bräutigam gelesen. Darauf hin guckt er eine Weile so etwas
Diese Nachtfuchtlerei ist mir zuwider bis auf den Tod. Morgen unsicher vor sich hin, trommelt mit dem Finger auf das
wenn es zum Arbeiten ist, wirst wieder stinkfaul sein. Und wie Fensterglas und murmelt endlich: „Ist doch ein vertrackter
das Fletz ausschaut. Du heilige Sankt Katharina! Fadelt nur Schelm, der Herr Vetter.“ —
grad so hinab, das Wasser, von Deinen Gewandfetzerl! Mar Vier Wochen später, als Vater Gräderer mit seinem jungen
und Josef, so ein altes Mannsbild!“ Weibchen die Ringe tauscht, schreibt ihm der Vetter: „Gra-
Er bleibt noch stehen, streichelt den Bettstaffel und sagt: tuliere zum heiligen Ehestand, welcher das Alter ehrt, indem
„Trauderl, liebstes! Ein gutes Wörtel, wenn Du mir wolltest er die grauen Häupter — krönt.“
sagen! Eins hält’ ich heut’ wohl verdient.“
„So!“ sagt das Weib. „So!“ sagt sie.
„Es ist eine ungute Nacht gewest, Traudel!“
„Ah, da schau man her!“ lacht sie auf, „das ist nicht
schlecht. Des Schäfleins wegen meinst Du wohl! Weil Du
mir das Vieh hast gebracht! Alter Tepp, Du! Wenn Dir Dein
Gehirn nicht schon ganz herausgeronnen wär bei der Nase,
so könntest Du Dirs wohl denken, dass Eins mit dem Schäf-
lein allein nichts anzufangen weiss. Oder verstehst etwan Du
umzugehen damit? Du schon gewiss nicht. Du! Soll ich es jetzt
verderben lassen, das arme Thier? Hab’ ich Zeit, dass ich dabei
steh’ und es füttere und pflege? Was hilft mir das Schaf, wenn
ich keinen Schäfer hab? Wärst Du ein Ehemann, wie sich’s
gehört, so brächtest mir auch den Schäfer mit, anstatt dass
Du jetzt dastehst wie das Kind beim Scherben!“
„Aber Traudel, liebestes!“
„Ich bitt’ Dich, lass’ mich in Ruh!“
Der Paul steht da, kratzt sich hinter den Ohren und
sagt: „Jetzt bin ich bös auf Dich, Du schlimmes Trauderl, Du!“
„Dummes Eselein, Du!“ sagt auf einmal das Weibchen und
versetzt ihm einen Klatsch an die Wange. Dieser Klatsch — er
thut schier ein wenig bremsein, aber es ist ein Liebestascherl
gewest! Denkt sich der Paul: o meine Trauderl, die liebeste...
Und am andern Tage — noch kaum ausgeschlafen hat er,
der brave Paul, geht er hinaus in den Gau. Er ist verzagt und
hochgemuth zugleich. Er sucht zum Schäflein das Zugehör.
Und jetzt hat er Glück — er begegnet dem Schäfer. Der
ist ein junger, fester Kerl, geht in seinem stramm gespannten
Beinkleid langsam daher und sagt, er suche ein Schaf. Ein
weisses Schaf hätte er verloren.
Das ist eine wahre Schickung, denkt sich der brave Paul und
sagt: „Du, Schäferbua! Das Schaf, das Du suchst, das weiss ich.
Geh mit mir, ich führ’ Dich, es geschieht Dir nichts. Kannst
verbleiben bei mir, wenn Du willst, es wird Dir nichts fehlen.“

396
Mein Kerz ist gar ein stolzes Schloss
Mit Giebeln und mit Zinnen,
Da thürmt Geschoss sich auf Geschoss
Hat prächt’ge Säle innen.

Das Thor ist offen Tag und Nacht,


Kein Gitter sperrt die Brücke —
Ein Postillon hält Schildewacht
Und bläst die schönsten Stücke.

Und d’rin ist immer Spiel und Tanz,


Bei Geige, Bass und Flöte,
Von der Frau Venus erstem Glanz
Bis zu der Morgenröthe.

Man singt und tollt nach Herzenslust,


Man schmaust und pokuliret:
Da gibPs kein herrisches „Du musst“,
Dieweil sich Keiner zieret.

Es führt ein jeder Treppengang


In hundert lausch’ge Zimmer.
In jedem Zimmer tönt Gesang,
M o, Glüht zauberhafter Schimmer.

Und ruht auf seid’nem Polster fein


Bei rother Ampel Blinken
Ein wunderschönes Mägdulein
Gewärtig meinen Winken.

Die eine lockt der Vöglein Schaar


Und streut den frömmsten Krumen.
Die andre kämmt ihr Rabenhaar
Und zieht die rarsten Blumen.

Die dritP und vierte spielen Brett,


Die fünfte schlägt die Zither —
Die sechste stickt ein Amulet
Für ihren Herzensritter . . .

Ein einz’ges Zimmer grad’ ist leer.


Gibt’s denn so wenig Frauen?
Mein Kind, kommst recht des Weges her
Willst’s nicht einmal beschauen?...
CONRAD ALBER TI.

Für die „Jugeud“ gezeichnet von Otto Eckmann.

397
Nr. 25 - JUGEND ' 1896

% Am Sie Statur Auf der Lreuchtthurmsmole


Schaumig kommen die Wogen all,
Gicht. frwgff du mich — du riefst mich aus dem Schimmernd im Abendscheine;
Gichcs, Plätschernd klettert der Wasserschwall
Allcw'ge, auf zu dir in's Reich des Lichts; Zwischen die schlüpfrigen Steine.
Gacur, du kannst dein eig'nes Werk nicht Haffen: Möven kreisen am Molenthurm;
So nimm mich hin und schalte frei mit mir! Ueber die hohe Mauer
Ich bin dein Rind, zutraulich folg' ich dir Jagt zuweilen der Frühlingssturm
Blitzende Tropfenschauer.
Bis in der Gterncmvclten fernste Gaffen —
Ich bin dein Werk, du kannst mich nicht verlaffen! Aengstlich bleiben die Mädchen steh’n,
JULIUS LOHMEYER. Wollen nicht weiter wandern,
Wenn sie den klatschenden Regen seh’n, —
Lachend winken die andern.
Eilig während der Zwischenzeit,
Wo sich die Wogen verschnaufen,
Kommen sie, zierlich gerafft das Kleid,
Ueber die Mole gelaufen.
Ihre Hüte von gelbem Stroh
Baumeln an langem Bande.
Pfeifend schlendert ein Studio
Grade zurück zum Strande.
Lustig flattert der Mädchen Haar
Bei dem hastigen Rennen;
Aus der übermüthigen Schaar
Scheint er eine zu kennen.
Stille steht er, zurückgewandt
Sieht er sie neckisch winken. —
Ihm zu Häupten am Mauerrand
Drohend die Wasser blinken.
Lachen sieht er das böse Weib,
Auf ihn zeigen und spotten,-
Keinen trock’nen Faden am Leib,
Muss er nach Hause trotten. — a. rehtz.
Zeichnung von R. Hoberg.
QO
Dorfabendstille Ein Mädchen weiss ich in dieser Stadt;
Das liebt sich von Herzen mit manchem Knaben.
Still ist’s im Dorf. — Der Arbeit Lärmen schweigt, Und ob sie den Besten zum Liebsten hat,
Verträumt rauscht sacht der Brunnen seine Weise; Sie muss ihren Liebsten zum Besten haben. R
Die graue Dämm’rung durch die Gärten schleicht,
Auf hohem Schlage girrt ein Tauber leise.

An ferner Bergwand hängt Gewölke schwer.


Ein brand’ger Dunst schwelt aus der Schmiede beizend.
Ein später Falter fliegt die Gasse her,
Die sonnenmüden Flügel lautlos spreizend.

Aus einer Scheune klingt ein altes Lied:


Wie sich zum Hass wand Liebe und zum Leide
Und durch die abendstumme Weite zieht
. -- - Seide.
Die Nacht ihr Zelt von duft’ger blauer -- /
W. MÜLLER-WEILBURG.

Begriffstützig
Dass uns die Liebe den Verstand verdreht,
Darüber kann uns jede Maid belehren:
Wenn sich ein Liebespaar schon längst versteht,
Muss Er sich immer eigens noch — erklären. x. y. Zeichnung von R. Hoberg.
Nach der Originalradirung von Valire Bernard.
DER KRIEG
Nr. 25 . JUGEND . 1896

Hymnus auf Hymen Und die Quartierfrau spricht gedrückt:


Wenn nicht verlobt, ist der verrückt!
Wohlthätig ist der Ehe Brauch, Und schliesslich kommt der grosse Tag;
Denn wen Gott liebt, den straft er auch; Cylinder, lichte Handschuh’ — Frack —
Und sicher gibt es wunde Stellen Der Pfarrer predigt ihm Gewöhnen,
Im Leben jedes Junggesellen, Der Bräutigam schluckt fremde Thränen,
Wo Manches sich als Mangel zeigt, Sehr salzig — mit Champagner geht es,
Was jeder Biograph verschweigt. Dann noch die Hochfluth des Geredes,
Ein graues Haar, das man erspäht, Gedichte, Toaste — furchtbar lang.
Ein Knopf, an dem man hilflos näht, Ein End hat alles — Gott sei Dank! —
Die Hand beim Morgenthee verbrüht, letzt kommt der. Zeitpunkt weitr’er
Das alles redet zu Gemüth: Wendung,
Tollkühnheit wird hier Menschenpflicht, Die höh’re Stufe der Vollendung.
Die Sache geht so weiter nicht. Der schrankenlosen Freiheit Spuren
Bekanntlich dauert nichts auf Erden, Verlieren kräftige Naturen
Das schönste Schwein muss Schinken werden. Nur widerstrebend — aber doch —
Granitgebirge wird zersetzt, Im heil’gen schweren Ehejoch.
Es freit der schönste Mann zuletzt. Allmählig zeigt sich mancherlei,
Zwar naht er lang mit Widerstreben Was leider nicht in Ordnung sei;
Den Leuten, welche Bälle geben, Die Mutter sagt’s — die Gattin auch,
Doch irgendwo kreuzt seinen Pfad Bedenklich scheint so mancher Brauch,
Die Mutter, welche Töchter hat; Der Nahrung, Kleidung, Lagerstatt
Sie prüft mit unverhohl’ner Freude Bisher ihm liebgewonnen hat;
Die Aechtheit seiner Eingeweide, Hinwieder spürt er Unbehagen
Er ringt nach Fassung, und sie spricht: An allen Wasch- und Ausstaubtagen;
Der Mann ist tauglich — oder nicht. Denn nichts ist so verschieden meist,
Der Kraftmensch aber sagt sich gerne, Als was man ein Vergnügen heisst.
Hier ist nur Rettung in der Ferne Der Eine rudert in Tricot,
Und, ob’s auch süsse Worte regnet, Den Andern macht das Brauhaus froh,
Entflieht er in gesünd’re Gegend. Der schwärmt für unerstieg’ne Klippen,
Die wunderschönsten Qualitäten Der für Probirmamsellen-Lippen,
Sind oft an solchem Mann vertreten, Und Karpfenfang, Thierschutzverein
Nur sprosst im Junggesellenheim Soll auch recht unterhaltlich sein,
Der schlechte bei dem guten Keim; Hingegen meint ein anderer Herr:
Und wie einmal die Dinge liegen, Posaunenblasen noch weit mehr;
Moralisches macht kein Vergnügen, Da, spricht der Dritte, dank’ ich schön,
Die Liebe lobt man als Erfindung, Ich züchte Tulpen und Cacteen,
Die Ehe kostet Ueberwindung. Und schliesslich staunt doch Jedermann,
Begreiflich nun, wie segensvoll Wie man dergleichen treiben kann.
Die Hand, die da regieren soll, Da ist die Ehe radical,
Damit wenn er in Treue wedelt, Sie trennt die Schlacken vom Metall,
Der Mensch zum Gatten sich veredelt. Und so begreift der Ehemann:
Notorisch sind in allen Landen Man darf nicht Alles, was man kann.
Nun leider Männer auch vorhanden, Die Liebe spielt mit Mond und Sternen,
Die, ohne was im Schild zu führen, Doch in der Ehe gilt’s zu lernen.
Den Stand des Bräutigam’s probiren, Und zeigt ihm gegen Monatsende
Die skrupellos — und sich zu Ehren Die Hausfrau ernst die leeren Hände,
Die köstlichsten Diners verzehren, Er greift ans Herz nach Dulderart,
Und schliesslich, statt sich zu vermählen, Wo er sein Porte-monnaie verwahrt.
Sich eines Tages sanft empfehlen. — Und hat das liebe Kind Migrän’,
Wie anders nun der bess’re Mann, Und kann das Rauchen nicht aussteh’n,
Der ehrlich thun will, was er kann! Den Stengel zieht er aus dem Hals,
Im Gegensätze zum Verräther Und geht in’s Wirthshaus nöth’genfalls.
Steigt bei ihm stets das Thermometer, Im unbewachten Augenblick
Bescheiden im Familienkreise Da denkt er freilich auch zurück,
Geniesst er seine Lieblingsspeise, Um sehr bekümmert anzustellen
Und sagt der „Jüngste“ Verse her, Die sonderbarsten Parallelen.
Er hört sie an und lobt sie sehr; Erkenntniss ist ein schönes Ding:
Ist eine Tante in der Näh’, Die Raupe wird zum Schmetterling.
Er weiss ihr einen Hustenthee, Beim Männchen ist es umgekehrt:
Wird der Kanarienvogel krank, Als Schmetterling kommt er zur Erd’,
Er kennt ein Mittel — Gott sei Dank; Erst wenn der Ehebund besiegelt,
Auch ein Recept für Dunstobst hat er, Ist das Insekt nicht mehr geflügelt
Politisch denkt er wie der Vater, Und kapselt sich dann meist zu zwei’n
Und ist begeistert, wenn zuletzt In einer stillen Wohnung ein,
Das Fräulein sich zum Flügel setzt Bis es vielleicht die Hülle sprengt,
Und ihn in’s Reich der Töne führt, Als Raupe nach dem Wirthshaus drängt.
Denn dann — das weiss er — wird soupirt. Und die Moral erscheint ihm hie:
Und eines Tages ist’s gescheh’n, Wer Flügel hat, der brauche sie;
Man sieht ihn schwarzgekleidet geh’n, Urplötzlich kommt ihm in die Quere
Man sieht ihn schwarzgekleidet kommen, Zeichnung von A. Halml. Die Schwiegermutter mit der Scheere!
Begeistert halb und halb beklommen, Im Variötötheater M. HELF.

400
1896 JUGEND Nr. 25

Zeichnung von F. Kozics.

Feuchte Blicke Ich athmete förmlich auf und blickte mit der Gluth
jugendlicher Empfindung in die schönen, feucht schimmern-
von Ernst Rügen.
den Augen, die mich so mild, so gnädig anschauten . . . .
Damals war ich noch sehr jung und hatte viele franzö- Ja — fuhr es mir durch den Sinn — es gibt eine Liebe,
sische Romane gelesen. Dies zu meiner Entschuldigung, — die sich an dem ersten Blick entzündet, wie die lodernde
wenn es überhaupt einer solchen bedarf — denn die Ge- Flamme an dem Funken .... Vielleicht regten sich in ihrem
schichte endete beträchtlich harmloser als sie begann! Herzen ähnliche Empfindungen.
Hier ist sie übrigens und Jeder möge selbst urtheilen. . . Ein halbschmerzliches, engelhaftes Lächeln umspielte
Vor Jahren — ich hatte mich damals dem Buchhandel ihre Lippe, und hütete das Geheimniss ihrer opferwilligen
gewidmet — reiste ich für ein lexikalisches Unternehmen und Seele .... aber nein! Jetzt beugte sie sich etwas vor und
es war auf einer meiner ersten Touren, als ich in Aschaffen- sprach leise:
burg das Coupe bestieg, um nach Mainz zu fahren. Ein „Ich hätte eine Bitte, eine grosse Bitte an Sie, aber mein
Herr und eine Dame — anscheinend ein Ehepaar — rückten Mann darfs nicht hören . . . .“
verdriesslich in ihre Eckplätze zurück und sahen mich an, Ich war wie versteinert. Mein Gott, dachte ich, Du sollst
als hätten sie sagen wollen: „Na, der hat uns gerade gefehlt.“ ihr Retter sein, sie aus unwürdigen Sklavenketten befreien ...
Der Empfang liess also an Frostigkeit nichts zu wünschen es sei!
übrig, aber im Laufe der Fahrt rückten wir doch etwas näher Eine nie empfundene Seligkeit durchbebte mein Inneres
und es entspann sich das herkömmliche Reisegespräch über und kaum meiner Sinne mächtig, blickte ich sie leidenschaft-
das „Woher“ und „Wohin“. Schliesslich stellten wir uns lich an und sagte mit einer Stimme, die heiser war vor Er-
einander vor. Er war ein Geschäftsmann Namens Müller regung: „Sprechen Sie, ich bin zu Allem bereit!“
aus Bremen, jeder Zoll ein Durchschnittsmensch, mit einem In demselben Augenblick zog Herr Müller den Kopf aus
Dutzendgesicht, das ich schon unzählige Male gesehen zu dem offenen Fenster zurück: „Sieh 'mal den vielen, schönen
haben glaubte. Weit mehr fesselte meine Aufmerksamkeit Weisskohl, der hier wächst, das Wasser läuft einem ordent-
allerdings seine Frau, eine sanfte Blondine, deren Augen mich lich im Munde zusammen!“ hörte ich ihn sagen, das heisst,
vom ersten Moment an bezaubert hatten. Ach, was für Augen! ich hörte es, wie das Ohr vernimmt, wenn das Gehirn andere
Vom zartesten Blau waren sie und dabei umflorte ein feuchter Arbeit verrichtet und das meinige arbeitete mit fieberhafter
Schimmer ihre Sterne, als wollten sie eine lange Geschichte Eile. Wenn sie entschlossen war, diesem Barbaren, wie ich
erzählen von unerwiederter Liebe und ... für mich war es ihn insgeheim nannte, zu entfliehen, dann war jede Minute
nämlich über jeden Zweifel erhaben, dass diese Frau un- von unermesslichem Werthe und es hiess energisch und
glücklich war, dass sie unverstanden, ungeliebt an der Seite kaltblütig handeln. Meine Baarschaft reichte für die ersten
dieses Mannes einherging. Ich brauchte ihn ja nur anzu- Anforderungen hin und hatten wir erst einmal das Meer
sehen, mit seinem bärtigen Alltagsgesicht, brauchte nur seine hinter uns, so war ich jung und kräftig genug, um Brod für
banalen, nüchternen Redensarten zu hören und ich errieth, uns Beide zu schaffen-mochte kommen was da wollte,
dass diese himmlischen Augen feucht schimmerten vom Weh ich war entschlossen, Allem die Stirne zu bieten .... nur
über ein verfehltes Dasein . . . Und wenn ich ihren Blicken eine Minute lang sie sprechen, mich vergewissern, ob sie
begegnete, durchrieselte mich jedesmal ein seliger Schauer ... sich zu dem Muth der That aufraffen würde! Der Tyrann
Wir plauderten vom Reisen und als sie meinen Beruf erfuhr, blieb hartnäckig sitzen und rührte sich nicht von der Stelle.
legte sie ein ungewöhnliches Interesse an den Tag und meinte, Da hiess es denn mit List zum Ziel gelangen. Wir wechselten
wie schön und edel es sei, für die Verbreitung des Wissens eine Weile verständnissinnige Blicke, dann aber bezwang ich
zu wirken. meine leidenschaftliche Aufregung und fragte möglichst gleich-
Wie unvergleichlich sie das aber sagte! Und dabei blickte gütig. «Halten sich die Herrschaften in Mainz auf?“
sie mich an, dass mir ganz warm um’s Herz wurde . - - Das Aufleuchten ihrer Blicke sagte mir, dass sie meine
ach, diese Augen redeten eine eigene Sprache und ich fühlte Taktik verstand und billigte.
es so deutlich, diese Sprache hätte ich gar rasch zu erlernen „Ne, wir machen gleich weiter“, antwortete ihr Bedrücker,
vermocht, wenn nur .... ihr Mann freilich riss mich gleich „aber wir werden wohl ’ne gute halbe Stunde auf den nächsten
wieder aus allen Himmeln. Zug warten müssen.“
,Ja, Ihr Geschäft geht immerfort und Sie verdienen wohl „So, so“, meinte ich in anscheinender Gleichgiltigkeit
ganz nett, nicht?“ sagte er und trommelte mit den Fingern und suchte ihr durch Blicke ein Zeichen des Einverständ-
auf seinen feisten Schenkeln. Ich beruhigte ihn dahin, dass nisses zu entreissen. Ich fühlte ihr Füsschen auf meinem
ich mein anständiges Auskommen hatte, worauf er seine Auf- Fuss ruhen und hätte vor Freude aufjauchzen mögen, denn
merksamkeit wieder der Landschaft zuwendete, welche pfeil- mein Kriegsplan war fix und fertig. Auf dem grossen Bahn-
schnell an uns vorüberflog. Jetzt liess er das Fenster her- hofe würde es ein Leichtes sein, die letzte Verabredung zu
unter und steckte den Kopf hinaus. treffen und dann . . . - dann fort auf Amors Schwingen in

401
Nr. 25 JUGEND 18S6

die weite Welt! .... Mein Kopf glühte.Unser Zug „Nu ja, mein Mann .... und da dachte ich, Sie könnten
näherte sich der Station Mainz und wir bereiteten uns zum mir wohl den kleinen Meyer recht billig verschaffen — mein
Aussteigen vor. Mann ist so sehr für die Bildung!“
„Ich habe auch einen Geschäftsfreund in der Bahnhofs- „Was!“ rief ich übermässig laut und starrte sie mit
halle zu erwarten“, warf ich gesprächsweise hin. grossen Augen an.
„Dann können Sie uns ja noch Gesellschaft leisten.“ „Sie wollen wohl nicht, ’s ist Ihnen wegen der Provision?“
Mit diesen Worten kam sie mir zu Hilfe und blickte mich meinte sie sichtlich betrübt und enttäuscht.
vielsagend an. Ich fühlte mich einer Ohnmacht nahe. Die Arme sanken
„Mit Vergnügen“, sagte ich mit bebender Stimme, während mir herab und wie ernüchtert aus berauschtem Zustand
wir das Coupe verliessen und dem Wartesaal zuschritten. glotzte ich vor mich hin.
Meinen neuen Regenschirm hatte ich glücklich liegen lassen, „Das wollten Sie mir also sagen“, murmelte ich tonlos
aber ich hütete mich, davon zu reden, denn jetzt musste ich „Ja, was glaubten Sie denn?“ — meinte sie piquirt. —
dem himmlischen Weibe nahebleiben und keine Sekunde „Nein, nein, ich glaubte gar nichts“ — stotterte ich. ,—
ungenützt verstreichen lassen. Müller musste ohnedies zum „Und was den kleinen Meyer anbelangt, den werde ich Ihnen
Schalter, um die Karten abstempeln zu lassen, wie er an- mit Vergnügen zum Selbstkostenpreise überlassen, meine
kündigte, und da konnten wir Zeit gewinnen, um über unser Gnädige . . .“
zukünftiges Leben schlüssig zu werden. Er war auch kaum „Ach, wie nett von Ihnen!“ rief sie . . .
zur Thüre hinaus, als sie ihr Händchen auf meinen Arm Eben kam Müller mit den abgestempelten Karten zurück
legte und mich innig anblickte. und meinte: „Wollen wir nicht ’ne Kleinigkeit gemessen?“
Ich hätte vor ihr niederknien können! „Ja, ich dachte auch daran,“ flötete sie, ging an’s Buffet
„Sprechen Sie!“ drängte ich ungestüm und verschlang und kam mit zwei Buttersemmeln zurück.
sie förmlich mit meinen Blicken. „Nee, wie dünn sie das für zwanzig Pfennige drauf
„Ich will nicht lange Worte machen“, flüsterte sie und schmieren“ — sprach sie nachdenklich und ihre feucht-
ihr Athem streifte meine Wange, so nahe war sie mir — schimmernden Blicke ruhten lange auf den beiden Brodelten
„nächste Woche hat Fränzchen Geburtstag.“ . . . just so verheissend und vielsagend, wie sie auf mir
„Fränzchen!“ wiederholte ich erstaunt. geruht hatten . . .

Zeichnung von R. Wilke


Der Triumph des Realismus Zeichnung von J. B. Engl.

403
Nr. 25 JUGEND 1896

Traumland.
Gedicht von Paul Gutmann.
Etwas langsam, %art tind schwermüthig. comp. v. Anton Beer.
—-

Sopran od.Tenor m
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->-■< O d~ 4- M 7 . ' Hi
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-a-H- -0- *'

Pedal. ljI

404
1896 JUGEND Nr. 25
Nr. 25 JUGEND 1896

Zwecklos Eine Begegnung


(Ein Lieutenant sieht zur Zeit des Eisgangs an einem Fluß un-
(Fabel)
geheure Massen großer Eisstückc sich aufeinander thürmen; lächelnd
sagt er: „Ah, was nützt mich all' das schöne Eis, wenn kein Sekt Zwei Esel treffen sich im Nachtrag.
darin kalt gestellt ist." b. Auf hohen Krügen schimmern dis Gesichter.
„V sehen Sie, wie dort die Lampenlichter
Auch ein Blitzableiter Don rothen Plüsch besxrengeln, gelb wie Schnee."
Erster Dienstiuanu: „Donnerwetter! So nobel? Im Frack?"
Der eine Esel sagt es fast mit weh.
Zweiter: „Ja, ich soll bei Assessors am Diner als Dreizehnter
theilnehmen, damit den Gästen der Appetit vergeht." Der andere: „„Sehr richtig, wohl auch Dichter?""
„Ja, D^cadentl" Und jener nickt, dann spricht er:
„„Ich bin ein SymbolistI"" Sie schlürfen Thee.
Boshaft
Fräulein: Wie habe ich das Lied gesungen „Frühmorgens, wenn „Beweisen Sie!" — „„Mein Lied gibt einen weichen,
die pähne kräh'n" ? Blutrothen Ton, der riecht nach blauen Rosen
perr: V, recht täuschend! ooo. Und sickert durch die Luft in müden Tropfen.""

Abgeschreckt „Und meines duftet süß nach weißen Leichen."


Polizeikommissär: Sind Sie schon polizeilich bestraft worden? ,Und Luch', brummt Brummbär, .sollte man die Posen
Mit einem dicken paselstock verklopfen.'
perr: Lin Mal; weil ich an verbotener Stelle gebadet hatte!
EMANUEL VON BODMAN.
Kommissär: Ist das alles?
perr: Ja. . . später habe ich nicht mehr gebadet! ooo.

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Herausguhor: Dr. GEORG HIRTH; verantwortlicher Redakteur: F. von OSTINI; verantwortlich für den Inseratentheil: G. EICHMANN, G. HIRTH’s Kunstverlag; s innntlich in München.
Druck von KNORR & HIRTH, Ges. m. beschr. Haftung in München.
1896 27. J U N I JUGEND I. Jahrgang Nr. 26

Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben. — G. Hirth’s Verlag in München «St Leipzig.
ALLE RECHTE VORBEHALTEN.
Nr. 26 JUGEND 1896

Das Hermelin iger Entfernung vor einem Erdloch, wahr-


scheinlich einem alten Hamsterstollen,
Von Wilhelm Jemen. drollig durcheinander tummelnde Beweg-
Um die Sommersonnenwende trat ich ung. Das Hermelinweibchen spielte dort
eines Mittags auf meinen Balcon. Schwere, mit fünf oder sechs Jungen, allerliebsten
brütende Hitze lag auf Allem rundumher, Geschöpfchen. Es legte sich auf den Rücken
keine Hand rührte sich zur Feldarbeit, in und Hess den Schwarm über sich klettern,
den entfernten, da und dort zerstreuten herunterkugeln und wieder hinaufkrabbeln.
Häusern sassen die Leute um die Ess- Ab und zu sprang die Mutter plötzlich auf,
schüssel oder ruhten auf den Wandbänken. fasste vorsichtig eines aus dem Gewimmel
Duftschleier überhüllten die hohen Felsen mit den scharfen Zähnen am Nacken und
krönen der Berge, weissleuchtende Wolken trug’s eine Strecke weit fort. Dann machte
hielten wie festgebannt darüber an, und sie sich in grossen Sprüngen zu den andern
von der hauchlosen Luft ging keine leiseste zurück, und es erregte den Eindruck, als ob
Bewegung für den Blick aus; kein Laut alle sich daran belustigten und in ihrer
traf an’s Ohr, selbst die Grillen rasteten. Art darüber lachten, wie das kleine aus-
Ganz regungslos stand das schon gold- gesetzte Ding noch unbeholfen sich Mühe
farbig werdende Winterkorn aufrecht, auch gab, ängstlich und möglichst hurtig wieder
die Roggenmuhme schlief, ihre grau wall- heranzuwusseln.
ende Schleppe ward nirgendwo sichtbar. Da änderte sich die Scene. Von der
In diese Mittagsschweigsamkeit schaute Seite her erschien plötzlich das Männchen
ich hinaus, aber dann zog doch einmal durch das Ginstergewirr, ein junges Hühn-
eine kleine Bewegung meine Augen auf chen im Maul tragend und nun mitten
sich. Nur eben merkbar war sie; wie wenn zwischen seine Nachkömmlinge hinein auf-
eine winzige, schmale Luftwelle durch die tischend. Im Nu Hessen sie vom Spiel ab,
Röggenhalme gleite, schwankten leis einige wimmelten um den Abendimbiss und zeig-
Aehren und beruhigten sich wieder. Doch ten, dass sie sich schon gut darauf ver-
die Regung pflanzte sich fort, gegen mich standen, mit den spitzen Zähnchen jeder
heran, auf den Gartenhag zu, wo er vom seinen Antheil von der Mahlzeit an sich
Kornfeld begrenzt ward. zu nehmen und eilig zu verspeisen. Die
Wie von der Einbildungskraft erzeugt beiden Alten hockten zuschauend daneben;
schien’s, ein Traumgesicht trotz der blen- es konnte nicht Zweifel lassen, sie er-
denden Tageshelle oder eben durch diese freuten sich an der Hungerbefriedigung
gaukelnd vorgespielt. Aber auch in dieser der Jungen.
mittägigen Geisterstunde ergab’s sich, dass An einem der folgenden Tage hörte
jede Wirkung einer Ursache entspringe, ich, in der Nähe eines Landgehöfts vor-
denn nun schlüpfte aus dem Aehrenrand überkommend, einen Knall und sah gleich
etwas hervor, ein spitzes Köpfchen, dem danach den mir bekannten bäurischen In-
ein langgestreckter, schmal-graziöser Leib haber mit einer Flinte in der Rechten, in
nachfolgte. Ein kleines Vierfüsslerthier der Linken etwas Weissschimmerndes hal-
mit röthlich braunem Rücken, weisser tend. Er rief mir entgegen: „Diesmal habe
Kehle und Brust und schwarzer Endhälfte ich den Hallunken, seit zwei Wochen lauer’
der Ruthe. Klugäugig-aufmerksam sah’s ich ihm auf.“ Zu ihm hintretend erkannte
umher, schnellte sich dann behenden ich das todte, durch den Kopf getroffene
Sprung’s am Hag empor und herüber Hermelinmännchen, und unwillkürlich kam
nach dem Brunnentrog. Weitum mochten mir vom Mund: „Der arme Kerl —“. Doch
von der Trockenheit der letzten Wochen der Bauer fiel ein! „Da ist nichts zu be-
Quellen und Tümpel versiegt sein, be- dauern, dem geschieht's recht. Ein blut-
gierig stillte es seinen Durst. Unverkenn- dürstigeres Räuber- und Mördergesindel
bar war’s eine Viverra candida, ein Her- gibt’s nicht; in einer Nacht hat er mir
melin im sommerlichen Kleid. fast ein Dutzend Tauben im Schlag um-
Ein kurzes Weilchen, da kam ein zweites gebracht, nur eine weggeschleppt, aber den
hinzu, das Weibchen schien’s zu sein. andern die Hälse durchgebissen, ihnen das
Hatten sie verabredet, sich auf ihren Streif- Blut auszutrinken. So, mein Freund, nun
zügen hier zu treffen? Ob sie mich ge- ist’s mit deinem Durst still.“
wahrten, Hess sich nicht erkennen; scheu- Darauf konnte ich vernünftiger Weise
los, bald getrennt, bald sich nah aneinander nicht viel erwidern, sagte nichts als, dem
gesellend, löschten sie den Durst, ein Ge- Erschossenen einmal mit der Hand über
fühl in mir weckend, es erfreue sie, dass die weisse Brust streichend: „Es ist nur,
sie zusammengekommen seien. Dann ver- wenn man Jemand persönlich gekannt hat“,
schwanden sie gleichzeitig über den Hag und ging weiter. Doch der schöne, zur
zurück, die Aehren schwankten wieder leis, Abendstille neigende Tag sah mich ver-
doch nebeneinander in gerader Linie fort. ändert an, ich wusste mir nicht recht zu
Ich blickte den unsichtbar Gewordenen sagen, wie. Das Knallen des Schusses hatte
nach, offenbar schlugen sie gemeinsamen einen disharmonischen Klang aufgeweckt,
Weg ein, vermuthlich ihrem Bau zu. Die der mir auch durch die Natur und in mir
Jahreszeit war’s, in der sie heranwachsende selbst seine Schwingungen fortsetzte. Es
Junge haben mussten. war so in der Welt und konnte nicht anders
Das bestätigte sich durch Zufall am näch- sein; die Daseinsbedingungen des Thier-
stenAbend meinem Blick. Auf meinem Gang lebens brachten es mit sich, wie gleicher-
kam ich an einem ginsterverwachsenen Ab- weise das der Menschheit. Nur stellte es
hang vorbei und gewahrte unter mir in ein- Zierleiste von Leo Prochownik. sich in der Einfachheit des ersteren nackter

410
^\äd©nn<a
Nr. 26 . JUGEND - 1896

zur Schau, ward im andern, unter bergenden Hm NDeere


Gewändern verhüllt. Der Zwang der Natur,
der die Härte und Herrschaft des Stärkeren tlcber’m Daupte Maldesrauschen,
schuf. Das Hermelin und der Bauer hatten /IIMr zu Füssen schäumt bas /Iheer;
in der Nothwehr gegen diesen Zwang das flhetn Seele beredt, zu lauschen
Gleiche gethan; Recht und Unrecht, Selbst- Melodicen dumpf und schwer.
sucht und Grausamkeit waren falsche Be-
zeichnungen dafür. Der letzteren konnte Und mein Auge sieht dem Meere,
man nur die Natur beschuldigen; doch auch Sieht dein Spiel der Mellen zu,
an ihr, als an etwas Fühllosem, fiel das Wort Ammer üeue Mogenheere
inhaltsleer ab. IRolleu ohne Mast und Muh'.
Mir kam im Weitergehen der Gedanke,
die Jungen des Hermelinpaares würden Lieh! se rollt des Lehens Melle
jetzt verhungern. Indess das war eine un- Line nach der andern hin,
begründete Befürchtung; von Hunger ge- Schäumet und verschäumet schnelle,
trieben, vermochten sie wohl sich selbst Und das Spiel hat keinen Sinn.
schon zu helfen, und wenn ihnen dazu
die rechte Behendigkeit noch für einige Menschen sind wie Meereswogen,
Zeit abging, sorgte jedenfalls die Mutter Won den Stürmen des Geschicks
für ihre Ernährung. Nutgewühlt und tortgczogeu,
War es wieder die Natur, welche diesen Flücht'ge Form des Augenhlicks.
Trieb in sie gelegt? Man nannte es so.
Aber woher erschuf die Fühllose, die keine Seelchen, lass die eiteln Träume,
Grausamkeit empfand, den Drang der Träume von Unsterblichkeit!
Mutterliebe? Denn die Träume sind nur Schäume,
Eine linde, wundersame Vollmondnacht Mie Du selbst, Phantom der Leit!
folgte dem Tag, weissbeglänzt, klar und zu-
gleich silbern umschleiert lag Nähe und Doch Du darfst daroh »lebt hebe»!
Weite. Ich trat noch einmal auf den Balcon Denn was ist es» das uns droht? —
hinaus und sah dem hüpfenden Spiel der Furchtbar ist allein das Lehen;
Strahlen auf dem Brunnenwasser zu.
Meine Sehrecken hat der Tod.
Davon ging’s mir wohl mit einer Ver- ALBERT MATTHAEt
knüpfung in dem Schlaf nach, dass ich,
einmal aufwachend, deutlich wie in Wirk- •K
lichkeit den Ginsterabhang mit dem Ein-
gang in den alten Hamsterbau vor mir ge- Das verkaufte Geschlecht
wahrte. Die jungen Hermeline schliefen
Sie verkaufen ihre Seelen
vermuthlich zusammengekrochen in der
Erdhöhle; vor dieser hockte nur das Weib- Und verkaufen ihre Leiber.
chen, achtsam in das Mondgeflimmer hin- Kaufe! kaufe! hört sie rufen,
ausblickend und bei jeder leisen Regung Wie die Männer so die Weiber.
eines Gezweigs den Kopf dorthin wendend.
Dachte sie etwas? Und was dachte sie? Und gekauft ist, was sie denken,
Vielleicht: Was sie wirken, was sie sprechen.
,Er bleibt heut’ Nacht lange aus — Und ich späh’ am Horizonte,
Er ist wohl weit auf der Jagd fort und Nach den Blitzen, welche rächen.
bringt mühsam schwere Beute mit — WIEN. EMIL RI.CHEKT.
Aber so spät ist er selbst damals mit «*K
dem Kaninchen nicht gekommen —
Es fiel ein Schuss heute Nachmittag Ende
drüben bei dem Haus, wo er neulich die
Taube geholt — Und hast Du mich vergessen,
Wenn ihm ein Unglück zugestossen Und liebst Du mich nicht mehr,
wäre und er käme nicht mehr wieder — Ich habe Dich besessen
Dann müsste ich allein für die Jungen Und gebe dich nicht her.
sorgen —
Wir würden nicht mehr zusammen Und willst Du mich verlassen,
durch’s Korn schleichen, uns locken und Und hast Du Dich versteckt,
necken — Ich fahre durch die Gassen,
Das ist so fröhlich, und er freut sich Bis ich Dein Haus entdeckt.
so, wenn er nach Hause kommt, an den
Jungen, und ich freue mich auch immer, In wildem Liebeswerben
wenn ich seinen Kopf durch den Ginster Reiss’ ich Dein Herz zurück;
tauchen sehe — Und wär es auch zum Sterben,
Käme er doch! Wo bleibt er —? Mir gilt kein andres Glück.
Mir wird’s so bange zu Sinn — —‘
Denkt ein Hermelin so mit Vorstell- Ich kann kein Recht befragen
ungen in einer wortlosen Sprache? Ich In meiner Liebesnoth —
weiss es nicht; aber es rührt mich sonder- Ich werde Dich erjagen
bar an, dass der kenntnissstolze Mensch Und küsse Dich zu Tod!
nichts von den Gedanken und Empfind- Von G. Liberali. RUDOLF HIRSCHBERG.
ungen seiner Mitgeschöpfe weiss. Liebesorakel

412
'MM.
Originalskizze von Arturo Rietti (Triest).
Ztui> ienkopf
413
Nr. 26 k
JUGEND 1896

Gezeichnet von K. Kneiss.

Richtig dort schleicht er hin mit nieder- Spielmann, der Dienst- und Schutzmann
All Heil! geschlagenen Augen, ängstlich und voll der Backfisch und die Eierfrau, der Kamin-
Die Welt stellt im Zeichen des Zwei- Scham, wie einer der mit halbgeschornem feger, der Lieutenant, der General, die Naive
rads! Es ist ein Massenwahnsinn ohne Kopf frisch aus dem Bagno kommt, wie und die Heldenmutter, der Weinreisende
Gleichen über die Menschen gekommen. ein schuldbewusstes Gigerl, das bemerkt und der lyrische Dichter, die hohe Finanz
Man hat gewiss im Laufe der Jahr- hat, dass es ohne Hemdkragen aus dem und der Bruder Straubinger, die professio-
hunderte schon die herrlichsten Dinge an Hause gegangen ist! Da schleicht er hin, nelle Schönheit und die züchtige Familien-
epidemischer Unvernunft erlebt: dieVölker- als wär’ er plötzlich splitternackt vor den mutter— diese nur mit kleinen, etwa halb-
wanderungen, die Kreuzzüge, die Inqui- Augen eines verehrten Publikums — ge- jährigen Unterbrechungen, der Droschken-
sition und die Hexenprozesse, die Gold- drückt, blass oder roth in seines Nichts kutscher sobald er dienstfrei ist, derStaats-
macherei,dieAllongeperrücken, die Geissel- durchbohrendem Gefühle — anwalt, der Advokat und der Berufsgauner,
prozessionen, das Cri-Cri, das Volapük, Der letzte Fussgänger! der letztere sogar mit ganz besonderer ziel-
die „Cavalleria-Rusticana“, die Amateur- Für heute mag diese Momentaufnahme bewusster Vorliebe.
photographie, die Schinkenärmel, den Spiri- noch wie eine kleine Uebertreibung aus- Es wäre ein Thema, würdig einer Doktor-
tismus, die Holzbrandmalerei, das Brief- sehen; aber wartet nur — in drei Jahren! dissertation, die Gründe darzulegen,welche
markensammeln, den General Boulanger, Heute sind die Leute, die nicht auf dem die sündfluthartige Ausbreitung des Rad-
den Schunkelwalzer und Ta-ra-ra-bum-diäh, Zweirad fahren, schon schneller gezählt, fahrens veranlassten.
man hat sich den glorreichsten Verrückt- als die, welche radeln. Die Sache wird Da ist erstens der Nachahmungstrieb,
heiten hingegeben, aber so allgemein hat vorläufig überhaupt nur dadurch einen Still- den der Mensch nach den bekannten Grund-
doch noch keine um sich gegriffen, wie stand erfahren, dass die Händler keine sätzen für die Entwicklung der Arten nicht
das Radeln. Maschinen mehr zu verkaufen haben. Es gestohlen hat und der bei allen andern
Fragt man heute einen Menschen — kann Einem heute schon passiren, dass er epidemisch auftretenden Liebhabereien ja
Mann oder Weib — zwischen 10 und 95 vor den Fahrradhändler mit dem Wunsche auch immer in erster Linie massgebend
Jahren, ob er Zweirad fahre, so bekommt tritt: „Ich möchte ein Zweirad haben“, und gewesen ist.
man zur Antwort: „Natürlich!“ Nicht ein- dass ihm dieser schnöde zur Antwort gibt: Dann die liebe Eitelkeit, sehr stark be-
mal „Ja!“ — sondern „Natürlich!“ Es gibt „Ja! das glaub’ ich — .ich auch!“ stimmend für Frauen und Männer. Für die
aber schon Leute, welche diese Frage ebenso Wer fährt heute nicht? Ausser den Ersteren erschliesst das Radeln ein ganz
übelnehmen würden, wie die, ob sie lesen Kranken und Invaliden etwa noch der neues Toilettengebiet, es leiht den von der
könnten, oder ob sie in dem Besitze der höhere Klerus vom „geistlichen Rath“ und Natur hiezu Begnadeten Gelegenheit, in
bürgerlichen Ehrenrechte seien. Superintendenten aufwärts, ein paar Men- durchaus ehrbarer Weise Reize zu ent-
Wie lange noch? Dann entsteht eines schen von mehr als zweihundert Kilo Ge- hüllen, die sonst ängstlich unter den Falten
schönen Tages in den Strassen irgend einer wicht, für die sich eine tragfähige Maschine des Glockenrockes verborgen bleiben, es
Stadt ein kolossaler Auflauf. Man läuft an nicht bauen lässt, Stiftsdamen, Leichen- ist überhaupt ein neues wirksames Mittel,
die Fenster, man steigt auf die Ecksteine, frauen und solche Vertreterinnen des schö- „gesehen zu werden“ und es gibt schliess-
man drückt Auslagenscheiben ein, man nen Geschlechtes, deren Schuhnummer lich wieder einmal eine prächtige Veran-
klettert auf die Laternen, man zischelt, über 56 hinaufreicht. Aber sonst fährt so lassung, den Herren der Schöpfung zu
lacht, ruft, deutet! Zu einem Brausen ziemlich Alles, der-sorgenvolle Kaufmann, zeigen, dass sie Nichts für sich allein haben
wachsen die Stimmen an... Was denn? der leichtgeschürzte Pilger, der andächtige sollen. Ein besonders schneidiger Haudegen
Dort — drüben auf dem Trottoire — Mönch, der düstre Räuber und der heitre des Frauenemancipationsheeres hat das

414
1896 JUGEND Nr. 26

Radeln schon darum warm empfohlen, ist die flotte,' freie Bewegung in frischer
weil es dem schönen Geschlechte in die Luft für unsere Gesellschaft von Stuben-
Hosen und damit der ganzen Bewegung hockern und Bureaumenschen im höchsten
auf die Strümpfe helfe. Auch für den Mann Grade zuträglich. Ein einigermassen nor-
ist die Hosenfrage beim Radfahren wohl maler Beinbruch heilt, dank unserer fort-
nicht ganz nebensächlich. Er kann die Kraft geschrittenen medizinischen Wissenschaft
und Geschmeidigkeit seiner Glieder im schon in wenigen Wochen, eingeschlagene
schönsten Lichte zeigen, wenn er auf dem Zähne bekommt man schnell und billig
Rad sitzt, und die dürftigsten Waden be- durch neue und viel weissere ersetzt, Riss-,
kommen in dicken englischen Strümpfen, Schnitt- und Quetschwunden schliessen
die oben umgeschlagen sind und „doppelt sich in unserem Jahrhundert der Carbol-
wirken“, ein ganz respektables Ansehen. säure und desjodoforms im Handumdrehen
Käme das Männergeschlecht durch den ohne Schmerzen undWundfieber. DieAerzte
Radfahrsport am Ende gar wieder dazu, sind sehr für das Radfahren. Und dann
seine Beine in die praktisch und ästhetisch höre man nur die maassgebenden Stimmen
so empfehlenswerthen Pumphosen statt in von Bicycle-Fabrikanten, Tricotagewaaren-
die üblichen infamen, schlauchförmigen händlern, Sportschneidern, Witzblatt-Re-
Hülsen zu stecken, so hätte der Erfinder dakteuren — sie Alle treten aufs Wärmste
des Zweirads damit allein schon eine Cultur- für unseren Sport ein!
mission erfüllt, die ihn würdig an die Seite Kein Wunder also, dass dieser jede
von Johannes Gutenberg und Berthold Alters- und Gesellschaftsklasse für sich
Schwarz stellte. Das Radeln leiht übrigens eingenommen hat. Im Boudoir und am
auch älteren Herren, wenn sie nicht allzu Biertisch, im Bureau und beim Mahle
ängstlich und verzweifelt an die Lenkstange spricht man von nichts Anderem als vom
geklammert im Sattel sitzen, einen ge- Fahrrad. Früher schwatzte man vom Wetter,
wissen Schein von Jugendlichkeit. vom Theater, von Toiletten, von gesell-
Dann kommen die vielen praktischen schaftlichen Scandalen — heute spricht
Gründe, die für das Radfahren sprechen: man von Rekords und Straßenzuständen,
man kann, da heute ja auch die Eisen- von Touren, Rennen, Stürzen, man lästert
bahnen für den Transport von Rädern über die Waden der Andern, man erörtert
schon gut eingerichtet sind, wenn das die Vorzüge der verschiedenen Fabrikate
Wetter nicht zu heiss ist, nicht zu windig, und dabei stellt es sich dann heraus, dass
nicht zu schwül und nicht regnerisch, der Jeder eine Maschine des allerbesten Sy-
Pneumatik die Luft hält und auch sonst stems fährt. In Dingsda duellirten sich
das Rad wie der Fahrer in Ordnung ist, neulich der Besitzer einer Swift-Maschine
wenn man nicht das Malheur hat in einen, und der eines Ichneumon-Fahrrades auf
von dem dazu gehörigen Bauern getrennten 10 Schritte Barriere wegen einer derart-
Schuhnagel zu fahren, wenn das Terrain igen Meinungsverschiedenheit. Ein Schuss,
nicht durch Steigungen, Polizeiverbote, den der Letztere in den Schenkel bekam,
Hunde, Kinder, Bierwagen und Sonntags- erwies den Vorzug des ersteren Fabrikates
reiter beinträchtigt, die Strasse nicht frisch zur Evidenz.
beschottert, nicht durchweicht, nicht von Tief, tief schneidet heute der Radfahr-
tiefen Geleisen durchzogen, nicht aus an- sport auch in den behaglichen Gang des
deren Gründen schlecht oder gar nicht Familienlebens ein. Eine Familie, die,Fährt1,
fahrbar ist, wenn man die richtige Gesell- verträgt sich mit einer radlosen Familie
schaft hat, keinen Wadenkrampf bekommt, nur schlecht; Todfeindschaften entstehen
nicht auf falschen Weg geräth und auch um einen Strassenrekord oder um Meinungs-
im klebrigen von vorhersehbaren und un- verschiedenheiten über eine neupatentirte
vorhersehbaren Hindernissen nicht auf- Kettenölungsvorrichtung oder die Frage,
gehalten wird — unglaubliche Strecken in ob Handgriffe aus Holz, Horn, Kork,Gummi,
fabelhaft kurzer Zeit zurücklegen. Heut- Metall, Celluloid, Granit oder Papiermache
zutage ist Zeit mehr Geld wie je. Wie vorzuziehen seien. Eine Mutter, die in
lange brauchte man früher, um in der Stadt weiten Röcken fährt, widersetzt sich gewiss
einen Weg von drei Kilometern hinter sich wüthend der Verbindung ihres Sohnes mit
zu bekommen? Volle fünfundzwanzig Mi- einer hosentragenden Bicyclistin. Aber
nuten. Und jetzt: man vertauscht einfach auch vereinigt werden Herzen durch das
seine bürgerliche Kleidung mit dem Rad- Rad, nicht nur entzweit. Es bandelt sich
fahreranzug, putzt und ölt seine Maschine, so hübsch an bei einer Fahrt ums Morgen-
pumpt die Luftschläuche auf, füllt vorsichts- roth in schattigen Hainen, man hilft der
halber die Laterne frisch ein, schiebt das Angebeteten auf die, und von der Maschine,
Rad behutsam durch die dem Radlerverkehr man hebt sie zärtlich und behutsam auf,
noch nicht geöffneten Stadttheile, steigtauf wenn sie auf den Kopf gefallen ist, man
und strampelt dann gemüthlich mit kleinen, schiebt ihr Rad die Berge hinan, pumpt
durch die Qualität der Strassen bestimmten ihm Luft ein und stillt seinen Durst nach
Umwegen, seinem Ziel entgegen. In einer Oel, wenn es quietscht — es gibt tausend
knappen Stunde ist man dort. Gelegenheiten, sich da nützlich und lieb
Für alle, die zu einer über das Maass zu machen. Ferner ist das „Tandem“ der
wohlthuender Molligkeit hinausgehenden herrlichste Apparat zum Durchgehen, den
Rundung neigen, ist das Radfahren freilich es gibt; im Uebrigen aber kann das doppel-
der helle Segen — schade nur, dass es sitzige Rad nur für voreheliche Liebe em-
auch im entsprechenden Grade wieder pfohlen werden. Unter Gatten führt es
Durst und Appetit fördert. Und auch sonst Gezeichnet von E. Kneiss. weit eher zu Unfrieden — er tritt, sie

4Q
Zeichnung von A Halmi.
Wenn sie Besuch haben
Zeichnung von A. Halmi,
wenn sie allein sind
Nr. 26 • JUGEND . 1896

tjiut nichts, er transpirirt, sie amiisirt Also nicht einmal die Bürgermeister-
sich, er keucht, sie lacht, er bekommt kette hilft gegen die Zweiradseuche, weder,
die Schwindsucht und sie wundert sich sie, noch irgend ein anderes Amulet der
darüber, wie schnell und bequem ein Erde. Man sieht Menschen vergnügt die
Menschenpaar auf dem Tandem vorwärts Strasse her strampeln, die früher über
kommt. Und fallen sie schliesslich in Nichts so intensiv zu schimpfen wussten,
einen Graben, so ist immer er schuldig, als über die Rad-Fexe. Kein Alter schützt
auch wenn sie die Lenkstange führt. Er- vor dieser Thorheit, kein Stand, keine
schwerend ist für ein verheiratetesTandem- Körperconstitution, keine schlimme Er-
Paar auch der Umstand, dass man sich fahrung hält davon ab. Schöne Frauen, die
über das „Wohin?“ immer in vollständiger sonst wegen einer stecknadelkopfgrossen
Harmonie befinden muss. Furchtbar aber Sommersprosse Arsenik genommen hätten,
kann die Sache freilich werden, wenn fallen mit lächelndem Gleichmuthe vom
ihre Frau Mama die Anschaffung eines Rad und riskiren die anmuthigen Linien
Dreisitzers fordert und mitfährt. Dann ist ihrer Nase; gravitätische, umfangreiche
er ein todter Mann. — Spiessbürger erlernen im Schweisse des
Die vollkommene, ideale Ausbreitung Angesichts ihrer Velozipedlehrer die fröh-
des Zweiradfahrens wird in den Städten liche Kunst und plumpsen wie Gummi-
allerdings noch immer in beklagenswerther bälle auf dem Boden der Fahrschule um-
Weise aufgehalten durch Fussgänger und her, dürre Staatshämmorrhoidarii steigen in
Wagen. Hier muss gründlich Remedur den Sattel und klappern über das Strassen-
geschaffen werden und sie wäre leicht zu pflaster, Stabsoffiziere der Infanterie ver-
schaffen — man brauchte nur Pferde und gessen über dem Rade das Reiten, das
Nichtradler auf’s Trottoir zu beschränken sonst ihre Leidenschaft war, die Mutter
und die Strassen dem Stahlross freizuhalten. verlässt ihre Kinder, der Maler seine
Statt dessen benachtheiligt man heutzutage Staffelei, die Jungfrau ihr Piano, Jeder
in jeder Weise noch den Radler und im verlässt sein altes Steckenpferd und greift
Polizeibureau einer mittelgrossen Stadt wer- nach dem Neuen, dem Steckenpferd auf
den täglich einige Diurnisten rein aufge- Rädern.
brauchtdurch Ueberanstrengung beim Aus- Es ist kein Ende abzusehen, wohin das
fertigen von Strafmandaten wegen Ueber- noch führen mag, Alles ist angesteckt von
tretung der Fahrvorschriften. Das wird nur der verrückten Passion, strampelnd und
besser dadurch, dass das Radfahren auch die eigenen Knochen, wie die der Mit-
die für solche Dinge massgebenden Fak- menschen gefährdend durch die Welt zu
toren immer mehr ansteckt: Gensdarmen, fliegen, Alles, Alles —
Polizei-Commissäre, -Räthe und -Präsi- ich auch! bob
denten, Magistrats- und Gemeinderäthe
u. s. w. Erst neulich hat mein Gewährs-
mann einen wirklichen, leibhaftigen, rechts-
kundigen Bürgermeister auf dem s.v. Bauche
liegen sehen und zwar nicht etwa vor sei- Ikobolb
nem allergnädigsten Landesherrn, sondern Scbalftbeft spricht aus Deinem Mund,
neben einer seelenlosen, frischgekauften Arglist aus den Micken,
Non plus ultra-Maschine mit Tangent-Spei-
chen und zweiundsechzigzölliger Ueber-
JBist ein kleines Teukelcben»
setzung. Die Radfahrer der betreffenden Durch und durch voll Tücke».
Stadt erhoffen demnächst die Verfügung, Wist ein kleines Teukeleben,
dass jeder die Schnelligkeit der Bicyclisten ,'Vesbakt und durchtrieben —
durch rücksichtsloses Spazieren auf dem Allen» Du liebenswürdig wärst,
Fahrdamm beeinträchtigende Fussgänger Mürd' ich Dieb nicht lieben.
wegen groben Unfugs bestraft wird. TH. STERNBERG.

Gezeichnet von E. Kneiss. Studentenmumie, gefunden in Memphis


Gezeichnet von J. Diez.

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1896 JUGEND . Nr. 26

Der alte Koraz in neuer Nerdeutsgung


von Christian Morgenstern (Berlin)

l, 9. I, 22.
Du sichst, wie weiß, im glänzenden Schneegcwand, Wer ein . braver, ehrlicher Gottesmcnsch ist,
Der Ureuzberg steht, und wie der Viktoriapark Braucht nicht Degenstöcke, noch Ochsenziemer,
Tief eiugeschneit, wie Spree und Pauke Noch amerikanische Schlagringwaffen,
Mäntel von Lis auf den Leib gezogen. Noch auch Revolver, —
Drum heize, Freundchen, spare die Uohlen nicht, Ob er die unwirthliche pasenhaide
Und laß' uns im behaglichen Stübchen dann Oder den Thiergarten des Nachts durchwandert,
Aus schönem altem Rum — was meinst Du? — Oder nach dem Norden Berlins geht, wo die
Tinen urkräftigen Steifen brauen! Panke sich schlängelt.

Laß pan die Welt verwalten, dem Wintersturm, Stiefle ich im Grunewald jüngst nach Schildhorn,
Der mit dem Lenzwind heulende Schlachten schlägt, Pfeife lustig „Anne-Marie, erhör' mich!"
Gebieten! —: Beide werden schweigen, Als ein pirsch zwölf Schritte vor mir sich regt und —
Daß sich kein Zweig mehr am Baume rüttelt. Fort wie der Satan I
Was kann Dich kümmern, was Dir der Morgen bringt, 's war ein Uapitalkerl, ein Achtzehnender,
Des Lebens freue jeglichen Tag Dich neu, Wie so groß ich keinen zuvor gesehen!
Und walze froh mit süßen Mädchen Ucine Waffe halt' ich — und doch! er forcht sich! —:
Draußen in Walensee oder Treptow, Fort wie der Satan!
Solang zu Tanz und Uuß Du noch jung genug! Laß' am Nordpol mich zu den Robben gehen
Zum Tircus wand're, sieh' Dir ein Lustspiel an! Und im ew'gen Tise den Eisbär treffen —
Vielleicht auch knüpf' ein zart Verhältniß Glaubst Du, daß mir einer ein leides thäte?
An in dem Dämmer der Gaslaterne I Ebensowenig!

Und sitz'st Du dann bei Dresse! beim Dejeuner Wär ich in der Wüste, im Löwenviertel
Und Deine Uleine hält die Serviette vor — Afrika's, ich würde mich doch nicht fürchten!
Wie köstlich, wenn der scherzhaft Spröden Pfeifen würd' ich „Anne-Marie, erhör' mich!"
Endlich den Uuß Du, den süßen, raubtest! Pfeifen, ja pfeifen. Christian MORGENSTERN.

I, 9. I, 22.
Vides ut alta stet nive candiJum Quid sit futurum cras fuge quaerere, et Integer vitae scelerisque purus Quäle portentum neque militaris
Soracte, nec iam sustineant onus Quem fors dierunt cumque dabit lucro Non eget Mauris iaculis neque arcu, Daunias latis alit aesculetis,
Silvae laborantes, geluque Adpone, nec dulcis arnores Nec venenatis gravida sagittis, Nec Iubae tellus generat leonuni
Flumina constiterint acuto: Sperne puer neque tu choreas, Fusce, pharetra: Arida Nutrix.
Dissolve frigus ligna super loco Donec virenti canities abest Sive per Syrtis iter aestuosas, Pone me pigris ubi nulla campis
Large reponens, atque benignius Morosa. Nunc et campus et areae, Sive facturus per inliospitalem Arbor aestiva recreatur aura,
Depronie quadrimum Sabina, Lenesque sub noctem susurri Caucasum vel quae loca fabulosus Quod latus niundi nebulae malusque
O Thaliarche, merum diota. Composita repetantur bora; Lambit Hydaspes. Iuppiter urguet;
t enniite divis cetera: qui sim'ul Nunc et latentis proditor intimo Nantque me silva lupus in Sabina, Pone sub curru nimium propinqui
bravere ventos aequore fervido Gratus puellae risus ab angulo, Dum nieam canto Lalagen et ultra Solls, in terra domibus negata:
Deproeliantes, nec cupressi Pignusque dereptum lacertis Terminum curis vagor expeditis, Dulce ridentem Lalagen amabo,
Nec veteres agitantnr orni. Aut digito male pertinaci. Fugit inermem: Dulce loqucntsm.

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Nr. 26 JUGEND 1896

Dass er dann später inaneberlei,


Als: Murin, Libelle, Datzenbai,
Ampbibium, Grünspeebt, Alle war,
Ast ausgemaebt und offenbar. '
verfeinert fast bis zum Spmbol,
Westebt er heutzutage wohl
Doch immer gleieb so vielen Tbieren,
Aus /Ibagen, IKopf und alle» Vieren,
Doeb er allein Kann weinen,-laeben,
Sieb Iaiicjeweilen, Verse maeben,
Lrrötben, mit der Linken essen
And noeb so einige Finessen.
/Iba» trifft ibn überall auf Lrden,
Vereinzelt, paarweis und in Derdeu,
Stt weiss, oft rotb, oft sebwarz sebattirt,
Gesprenkelt, seltener karrtrt.
Lr näbrt sieb niebt aussebliesslieb zwar,
Doeb metstentbeils von'Gaviar,
And weil das Masser ibm niebt sebmeekt,
So trinkt er iffifer und öfter Sekt.
Davon bekoinmt er Lebwung und Geist
And was man Sebopkergabe heisst;
Das Metbeben trinket niebt genug,
Drum fehlt ibm eben dieser Lug.
(Da aueb sebon Frauen so betroffen,
j» li \! f So bat man allen Grund zu hoffen»
Dass sieb in Kälde Aäeib und /Ibann
Selbst niebt mehr untersebeiden kann,

DER. O And so der Frauenfrage Twist


Auf's einfachste geschlichtet ist.)
ME-NSCH Gezeichnet von Ewerbeck.
Der /Ibenseb ist meistens mittelgross;
Lr bat auch Feder», aber blos
Lum Schreiben; zu Wekleidungszweeke»
Eine ltaturIjiftorifdjc Skizze von A. Mo. Lenutzt er Dose, Dock und Stecken.
Der /lbCHSCb, micb Homo sapiens, Lr bringt unglaublich wenig Dützen:
Ast aller Mesen Quintessenz. Die Daare dienen nur zum Stutzen
Lr ist, man weiss niebt wie's gelungen, And werden selten, nach und nach,
Ans einer Teile einst entsprungen. Das Fleisch ist leider Gottes sebwaeb.
Das Fell wird zwar gegerbt, doch nie
verwendet in der Andustrie.
Der /ibenseb wird ungeheuer alt,
Gebt's aber »lebt, so stirbt er bald.

Oer Oreidunä in Afrika.


Französische Blätter begeistern sich für den Gedanken eines neuen
afrikanischen Dreibundes, dessen Theilnehmer Frankreich, Russland und
Abj-ssinien wären. Eine glorreiche Idee, deren Verwirklichung der Aus-
breitung der Cultur im dunklen Erdtheil gewaltige Dienste leisten würde!

Zeichnung von E. v. Baumgarten.


420
1896 JUGEND Nr. 26

4-i
Nr. 26 JUGEND 1896

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Plakat - Concurrenz ausgeschrieben von

* 1896 * Giesecke & Devrient.


Das Unterzeichnete Typographische Institut beabsichtigt eine Herr Professor Max Honegger, Leipzig,
Reihe von Entwürfen zu Plakaten hersteilen zu lassen und veran- Herr Max Klinger, Leipzig,
staltet zu diesem Zweck ein Herr Hofrath Prof. Dr. Schreiber, Leipzig,
denen sich als Vertreter der Unterzeichneten Firma anschliessen
Preisausschreiben, Herr Kommerzienrath Hermann Giesecke, und
dessen Bedingungen hiemit veröffentlicht werden. Herr Alphonse Devrient, Leipzig.
Es handelt sich vorerst um zwei getrennte Konkurrenzen: Im Fall der Behinderung eines der Herren Preisrichter wählen die
1. ein Plakat für die Fahrrad-Industrie erschienenen Hefren einen Obmann, dem dann 2 Stimmen zustehen.
mit Aufschrift: Fahrrad „Sicher & Schnell , Das Preisrichter-Kollegium hat die Befugniss, unter Umständen,
z. B. bei ungenügender Betheiligung oder nicht ausreichender künst-
2. ein Plakat für die Nähmaschinen - Industrie lerischer Leistung, von Verleihung einzelner Preise überhaupt ab-
Mit Aufschrift: „O pti m a“-Nähmaschine. zusehen oder ganze Preise in Theilbeträgen an verschiedene Ent-
Die Entwürfe sollen in einfachem, vornehmen Stil gehalten sein; würfe zu vergeben. Das Unterzeichnete Institut behält sich vor, neben
eine bestimmte künstlerische Richtung wird nicht zur Bedingung ge- den prämiirten noch weitere je 3 Entwürfe aus beiden Konkurrenzen
macht ; es werden vielmehr neben Entwürfen in dem sog. modernen für je M. 200.— anzukaufen.
Stile, auch Entwürfe in dem älteren strengen Stile volle Berücksichtigung Die prämiirten und die angekauften Entwürfe gehen mit dem
finden, sofern sie nur den hauptsächlichsten Erfordernissen eines Plakats: ausschliesslichen Urheber- und Vervielfältigungsrecht in den Besitz
Erregung der Aufmerksamkeit, leichte Fasslichkeit der Darstellung und der'Unterzeichneten Firma über; die Verfertiger der mit Preisen be-
der Aufschrift, sowie möglichste Fernwirkung, Rechnung tragen. Bei dachten Entwürfe sind verpflichtet, auf Wunsch etwaige Veränder-
sämmtlichen Entwürfen ist die oben unter I und 2 angegebene fingirte ungen ohne besondere Entschädigung auszuführen.
Aufschrift mit anzubringen. Für beide Konkurrenzen ist ein Hoch- Die Konkurrenzarbeiten sind bis '
format 65: g8 cm angenommen und die Zahl der zur Vervielfältigung
erforderlichen Farben auf sechs beschränkt, wobei etwaige Broncen 15. Oktober 1896, Abends 6 Uhr
als zwei Farben zu rechnen wären. Die Vervielfältigung soll mittelst mit einem Motto versehen an die Unterzeichnete Firma, nach Leipzig,
Steindruck in etwa 3/4 Grösse des Entwurfs erfolgen. Als ein Vorzug Nürnbergerstr. 12, franko einzusenden. Ein den Namen und die
wird es angesehen werden, wenn die künstlerische Ausführung des Ent- Adresse des Verfertigers enthaltendes und mit gleichem Motto über-
wurfs die bei derVervielfältigung anzuwendende lithographischeTechnik schriebenes Kouvert ist der Sendung verschlossen beizulegen. Die
ersichtlich macht, wenn also der Entwurf in dem Maasse auf die Eigen- Sitzungen des Preisrichter-Kollegiums finden in der Zeit vom 20. bis
art der Technik Rücksicht nimmt, dass er auch in den Einzelheiten eine 31. Oktober statt.
originalgetreue, gewissermassen facsimilirte Wiedergabe erfahren kann. Das Resultat der Prämiirung wird den mit Preisen bedachten
Die drei besten Plakate beider Konkurrenzen werden prämiirt mit Künstlern sofort mitgetheilt im IJebrigen auch durch die Zeitungen
je einem Preise von M. 1000.—, M. 500.—, M. 300.—, sodass dem- veröffentlicht werden. Die Unterzeichnete Firma behält sich vor,
nach insgesammt 2 Preise ä Mark 1000 sämmtliche eingegangene Entwürfe öffentlich auszustellen.
2 ,, „ „ 500 Die nicht prämiirten oder angekauften Entwürfe stehen vom
2 „ „ ,, 300 30. November ab zur Rückgabe bereit.
zur Verfügung stehen. LEIPZIG und BERLIN, 1. Juni 1896.
Das Preisrichteramt haben giftigst übernommen:
Herr Professor Hans von Bartels, München, Giesecke & Devrient.
Herr Professor E. Doepler d. J., Berlin, Typographisches Institut. — Abtheilung für Kunstdruck.

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Inseraten-Aunahme Insertions-Gebühren
durch alle Annoncen-Expeditionen
sowie durch
G. Hirth’s Verlag in München
und Leipzig. JUGEND
Die „JUGEND“ erscheint allwöchentlich einmal. Bestellungen werden von allen Buch- und Kunsthandlungen, sowie von allen Postämtern
für die
4 gespalt. Colonelzeile oder deren
Raum M. I.—.

und Zeitungs-Expeditionen entgegengenommen. Preis des Quartals (13 Nummern) 3 Mk., der einzelnen Nummer 30 Pf.

Mit deristvorliegenden No. 26 schliesst


der Xitel mit Vorwort das
beigefügt. WirII.bitten
Quartal
die und der I. Band
verehrliehen der „Jugend“;
Abonnenten, derselben
das mit No. 27
beginnende III Quartal geh. sofort bestellen zu wollen, damit keine Unterbrechung in der Zustellung
der Fortsetzung erfolgt. Ein Bestellschein liegt dieser Nummer bei.
Bestand 1700. Bad-Heilanstalt Neueingerichtet 1890.
Hotel und Pension
am Koclielsee
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Besteingerichtete Heilanstalt für Kaltwasser-Heilverfahren, vorzugs-
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deckte Kegelbahn, Billard. Lawn-Temiis- u. Croquet-Platz.
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4.2 Jos. Küpfer, Pächter. Hof-Antiquar Sr. Majestät des Kaisers und Königs.
An- und Verkauf werthvoller Antiquitäten und alter Bilder.

Verein für Alpen-Hotels I. Ranges in Tirol.

Das Karersee-Hotel in Tirol


an der neuen Dolomiten-Strasse bei Bozen 1670 m über Meer, in
nächster Nähe der grossartigsten Dolomiten der Rosengartengruppe des
kleinen Karersees und ausgedehnter Spaziergänge in Hochwald und
auf aussichtsreichen Alpenmatten.

Das Trafoi-Hötel in Tirol


an der berühmten Stilfserjochstrasse 1650 m über Meer, von wo selbst
der Bequemste in wenigen Minuten von der Fahrstrasse ganz mühelos
und ohne irgendwelche Gefahr zu den Gletschern gelangen kann. U. B. HEIDELBEBG

Das Solden-Hötel in Tirol


am Fusse des Ortlers 2000 m über Meer, das „Chamonix Tirol“ im
Herzen der grossartigsten Eiswelt.
Alle drei Häuser ITÖtclS I. Kclllg’GS mit allem modernen
Comfort 150 Zimmer, grosse Gesellschaftsräume, elektr. Licht, Bäder,
photogr. Dunkelkammer, Lift, Post u. Telegraph, Arzt u. Apotheke ,im
Hause, Tennis und andere Spielplätze.
von den Eisenbahnstationen Bozen, Meran u. Landeck
per Wagen (auch Omnibus) bequem zu erreichen.
Telegramm-Adresse während der Saison
(20. Juni bis Ende September)
Karersee-Hotel Tirol; Trafoi-Hötel Tirol; Sulden-Hötel Tirol.
Prospecte während des ganzen Jahres durch
8. Pötzelbergeps Buehhandlung (F. W. Ellmenpeich)
in Meran, Tirol.

Herr Dr. med. Meyer in Rotenburg a. Fulda schreibt: „Dr. Ilommel’s Haematogen
Bleichsucht wandte ich bei einer jungen Dame an, die seit mehreren Monaten an allen gewohnten Mitteln
trotzender hochgradiger Bleichsucht litt. Der Erfolg war ein geradezu ungewöhn-
licher. Alle Beschwerden schwanden in kurzer Zeit, die junge Dame bekam ein blühendes Aus-
sehen und konnte als vollkommen geheilt betrachtet werden. Ich bin Ihnen zu grossem Dank ver-
pflichtet und werde bei Bleichsucht jetzt nur noch Ihr Präparat anwenden."

Nervenschwäche Herr Dr. med. Erdmann in Charlottenburg: „Von der vortrefflichen Wirkung von
Dr. Hommel’s Haematogen habe ich mich in meiner eigenen Familie überzeugt, wo durch Gebrauch
von 4 Flaschen eine neurasthenische junge Dame, die ihre Ernährung durch anstrengendes Studium
der Musik etc. total ruinirt hatte, ihren früheren Appetit und ihre frühere Frische
(Neurasthenie) völlig wieder erlangt hat."
ist 70,0 konzentrirtes, gereinigtes Haemoglobin (D. K. Pat. No. 81391). Haemo-
Dr. med. Hommers Haematogen globin ist die natürliche organische Eisen-Manganverbindung der Nahrungsmittel.
Geschmackszusätze: Glyc. puriss. 20,0. Vin. malac. 10,0. Preis per Flasche (250 gr.)
Mk. 3.—. In Oesterreich-Ungarn fl. 2.— ö. W. Depots in den Apotheken. Wenn nicht erhältlich, directer Versandt durch uns. Litteratur mit
hunderten von ärztlichen Gutachten gratis und franco. kr chemisch-pharmaoeut. Hanau a/M.
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Herausgeber: Dr. GEORG HIRTH; verantwortlicher Redakteur: F. von OSTINI; verantwortlich für denInseratentheil: G. EICHMANN, G. HIRTH’s Kunstverlag; sämmtlich in München.
Druck von KNORR & HIRTH, Ges. m. beschr. Haftung in München.

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