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ILLUSTRIERTE WOCHENSCHRIFT
FÜR KUNST UND LEBEN
1896
BANDI
NR- 1—29
G. HIRTH’5 KUNSTVERLAG
MÜNCHEN & LEIPZIG
UNIVERSITÄTS
BIBLIOTHEK
HEIDELBERG
i -10
Alt unsere Fremde Des reinen Weizens sonder Spreu,
Des Neuen, das gut, des Guten, das neu,
E^a liegt er nun, unser erster Band, Euch bieten in der Quartale Lauf —
Schmuck und gewichtig in unserer Sand, Verehrte LeserI Die Saud darauf! —
Vierhundert Seiten sind's, die sich da einen, Sat uns auch an Feinden nicht gefehlt.
In einem Einband aus rothem Leinen. Was haben sie alles geklagt und geschmält,
Da wär' es glücklich nun gelandet, In ihren Reden und Blättchen und Schriften!
Gekentert nicht und nicht gestrandet, wir follten das Serz der „Jugend" vergiften,
Das Schifflein mit dem bunten Wimpel, Wir hätten von idealer Runst
Nach Sturm und Fährniß mancher Art, Reine» blassen Schein, keinen blauen Dunst,
Seil und bereit zur nächsten Fahrt. And namentlich sei's ein Skandal
Es hat uns freilich mancher Gimpel Bezüglich der sogenannten Moral,
Und mancher Neidhart prophezeit, Wie nackt und bloß in unseren Spalten
Das Boot der „Jugend", es käm' nicht weit: Gar mancherlei verruchte Gestalten
Denn erstlich nähm' es zu wild den Flug Umtrieben ganz ohne Feigenblätter.
Und nicht nach bewährten nautischen Regeln, Es krachte so manches Donnerwetter
Dann hält' es auch zu viel wind in den Segeln, Bon hoher Ranzel auf uns her,
Und fein Ballast sei nicht schwer genug, wir hatten ja allen Respekt vergessen,
Und auch an Mannszucht fehl' es an Bord — Manch wackerem Schwarzrock was aufgemessen,
Wir aber segelten fröhlich fort, Und manchen politischen Rampfhahn schwer
wir hatten tüchtige Mannschaft geheuert, Geärgert, verhöhnt und im Bild geschildert.
Uns halfen rüstiger Arme viel, Gs hieß: Die „Jugend" sei falsch und schlecht,
Voll frischen Muthes und angefeuert Frivol und frech und total verwildert-
Bon einem schönen und hehren Ziel. Nun — dafür machten wir's Andern recht
Und ging's auch durch tosende, schäumende Fluth, Und zwar den Bessern in deutschen Landen,
Die Fahrt war gesegnet, die Fahrt war gut. Und haben die Bessern uns wohl verstanden,
Wir nehmen recht gerne die Schreier in Rauf!
Da liegt er vor uns, der erste Band, Schlagt nur einmal den Band hier auf
Biel tausend Zeilen von krausen Lettern Und auch ein Gegner inuß gesteh'n,
lind schnurrigen Bildwerks allerhand — Es ist nicht wenig darin zu feh'n.
lind wenn wir die bunten Seiten durchblättern wir lassen es freilich lieber bleiben,
Bon vorn nach rückwärts, gesteh'n wir frei, Einen trockenen Index davon zu schreiben,
Mag sein, es ist mancher Schnitzer dabei; Wer wissen will, was im Buche stünde,
Langweilig aber ist's nicht gewesen, Mag selbst d'rin suchen, auf daß er's finde.
Weder zu schauen noch zu lesen. Da sieht er im fröhlichen Wechselspiel
Ist schließlich ja aller Anfang schwer — Stets wechselnd wie in Raleidoskopen
link daß wir in Zukunft immer mehr Der Bilder, der Verse, der Srosa viel,
Da findet er Scherze vom £)ol und den Tropen, Gar viele Gedichte von Lust und Liebe
Und ernsthafte Kunst in Schwarz und Bunt, Und Stimmungsbilder bald licht, bald trübe,
Schmal, breit und hoch, und kantig und rund, Und (Epigramme, Gedankensplitter,
Symbolische Schnörkel gar fein zu deuten, Novellen, Satiren, harmlos und bitter
Porträts von großen und anderen Leuten, Und manche lustige Parodie,
Manch treffliches Blatt zunr greife des Weibes, Und Lieder sanunt Text und Melodie.
Zum Lobe der Schönheit des Menschenleibes, Und manchen Spott auf die perren Philister —
Poetisch - symbolisch - gedankentiefes, Und damit ist unser Znhaltsregister
Sentimentalisches und Naives, Noch lang nicht zu Tnde — blättert nur heiter,
Und schöner holdseliger Frauen Köpfe, Auf daß Ihr findet, im Buche weiter!
Taricaturcn zum pohn auf die Zöpfe,
Und Blumengeranke von zierlichcin Schwung Wir aber, wir rüsten mit frischer Kraft
Und vaterlandsfrohe Begeisterung, Auf's Neue uns für die Wanderschaft,
Und Zägerschwänke in Bild und Wort. Auf's Neue uns für die fröhliche Fahrt.
Und mancherlei Unsinn und mancherlei Sport, Ts gibt noch Dinge so mancher Art,
Sogar aus der pölle find Bilder zu fchau'n Viel Schönes und Gutes in Bild und Gedanken,
Sammt Spukgeschichten aus Nacht und Grau'n, Womit wir befrachten unsere Planken,
Sogar aus dein Pimmel ist was dabei, Dann schütten wir fröhlich für Tuch zu paus
Zn ernster und heiterer Schilderet, Die bunten, schinnnernden Schätze aus,
Madonnen findet Ihr da und Tngel; Die wir heimgebracht aus der Schönheit Mich —
Sogar aus dem blutrothen Ulars dort oben
Sind Bilder und Szenen mit eingewoben; Nur seid auch fruchtbar und inehret Tuch,
Dann findet Zhr Gigerln und Ladenschwengel, So wie Zhr bis heute wuchs't an Zahl!
Und sonst noch viel schnurrige Menschlein vor, Dann können wir auch mit jedem Mal
Und putzigen, neckischen Mädchenflor, von Woche zu Woche, von Jahr zu Jahr,
pikantes findet Zhr auch, Französisches Tuch reicher bedenken immerdar,
Und Deutsch - bureaukratisch - politisch - chinesisches, Scharfäugig stets nach dem Besten lugend
Dann findet Ihr Blätter für Thic und Mode Vom hohe» Mastkorb über die See —
Und grausige Tänze, getanzt von: Tode, Mit diesem Wunsch sagt Tuch Ade
Plakate, Vignetten und Speisekarten, Zn froher Zuversicht
Und Bilder von hundert anderen Arten, die „Äugend".
München, Juni ;8Y6.
1896 . JUGEND ->
Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben. — G. Hirth’s Verlag in München & Leipzig.
ALi.fi HECHTE VORBEHALTEN.
JVOEND Münchner Wochenschrift für Kunst und Leben
[ie Erwägung, dass unter den zahl- Und wer nur ein warmes Herz für diesen Künstlerische Beiträge zum Bilder-
reichen in Deutschland erscheinen- Gedanken hat, wer dazu beitragen will und schmuck der «JUGEND» haben wir erhalten,
den illustrirten Wochenschriften die Kraft dazu in sich fühlt, mit uns zusammen oder werden wir erhalten von:
sich keine einzige befindet, welche ein lustiges Blatt an der Wende des Jahrhunderts Henry Albrecht, Peter Bauer, Henri Boutet,
den Ideen und Bestrebungen unseres sich immer zu schaffen, das uns den Uebergang in das A. B'öcklin, Otto Bromberger, Fritz Burger,
reicher gestaltenden öffentlichen Lebens ln Neue zu einem Vergnügen machen und die Caran dl Ache, y. Carben, Cazal, L. Corinth,
künstlerisch durchaus freier Weise Bürde der Jahre erleichtern soll, der ist ebenso Maxim. Dasio, yulius Dietz, O. Eckmann,
gerecht wird, hat uns zu dem Versuche er- höflich, als herzlich eingeladen, sich frohen Fritz Erler, yul. Exter, Hans Fechner,
muthigt, diese offenbare Lücke unserer Zeit- Muthes an dem Leben und Werden der Alexander Frenz, E. Grasset, E. Griitzner,
schriftenliteratur auszufüllen. Wir wollen die JUGEND zu betheiligen und, was er etwa an Guillaume, Hugo Freih. v. Habermann, Louis
neue Wochenschrift Zündstoff auf Lager hat, unserm Laboratorium Herzog, ArthurHirth, HugoHoppener (Fidus),
baldigst anzuvertrauen. y. Huber, Ewald Hirsch, Felix Hollenberg,
JUGEND Dank unserer Programmlosigkeit — einem Olaf yernberg, yossot, E.Kneiss, y. Kerschen-
nennen: damit ist eigentlich schon Alles gesagt. «Programm», das wir strikte aufrecht erhalten steiner, Arthur Kampf, F. A.v. Kaulbach, Al-
Selbstverständlich wenden wir uns nicht an wollen — ist das Feld unserer Thätigkeit ein bert Keller, Max Klinger, Franz v. Lenbach,
die Jahrgänge, sondern an das Herz, auch der so unbegrenzt weites, dass eigentlich jeder Max Liebermann, E. Lugo, A. Mareks, Karl
in der Herbstsonne alter Jahrgänge Gereiften, denkende und herzensfrohe Mensch irgend etwas Marr, O. Melly, P. Meyer-Mainz, Vilma
die so glücklich sind von sich zu sagen: «Altes für die «JUGEND» in petto haben müsste. Parlaghy, Radiguet, A. Rietti, Th. Rocholl,
Herz, was glühest du so!» y. Sattler, H. Schlitt, Arpad Schmidhammer,
Er braucht durchaus kein zünftiger Literat
Ein «Programm» im spießbürgerlichen zu sein! Und jeder Künstler, der wirklich einer y. Schmitzberger, Th. Schmuz-Baudiss, Carl
Sinne des Wortes haben wir nicht. Wir ist, hat bestimmt auch etwas für unser Blatt, Schnebel, Otto Seitz, Rudolf Seitz, Max Sle-
wollen Alles besprechen und illustrieren, was vogt, Steinlen, L. Stockmann, C. Strathmann,
oder kann was für uns machen. Je frischer
interessant ist, was die Geister bewegt; wir und freier eine Arbeit ist, je getreuer und un- Franz Stuck, Hans Thoma, W. Trübner,
wollen Alles bringen, was schön, gut, charak- mittelbarer dasWesen des Künstlers in ihr sich Fritz v. Uhde, C. Vetter, Valloton, H. Zügel.
teristisch, flott und — echt künstlerisch ist. Musikalische Beiträge haben wir er-
spiegelt, desto willkommener wird sie uns sein!
Kein Gebiet des öffentlichen Lebens soll halten, oder werden wir noch bekommen von
Also ! Vorwärts mit frischem Muth, «JUGEND»
ausgeschlossen, aber auch keines in den Vorder- sei’s Panier! den Herren:
grund gestellt werden: hohe, höhere und höchste Ernst Baecker, A. Bungert, Hess, H. Sommer,
Ungefähr wird die vorliegende I. Doppel-
Kunst, Ornament, Dekoration, Mode, Sport, R. Strauss u. A.
nummer unserer Zeitschrift ja zeigen, was wir
Politik, Musik und Literatur sollen heute ernst,
wollen — freilich eben nur ungefähr! Denn Georg Hirth, Herausgeber,
morgen humoristisch oder satirisch vorgetragen
werden, wie es die Situation und der Stoff
wir werden uns noch im Laufe der Zeit mit Fritz V. Ostini, Redakteur
gar Vielem beschäftigen, was hier gar nicht der „JUGEND“.
gerade erheischen. Hiezu sollen alle graphi-
angedeutet ist, mit Vielem, was der Tag erst
schen Künste, soll der «stilvolle Strich», die NB. Die zur Aufnahme gelangenden
bringen wird, was das Leben erst noch reift.
ernste Skizze, die Caricatur, die Photographie Zeichnungen und literarischen Beiträge werden
mobil gemacht werden. Und — «wo gute Reden Literarische Beiträge sind uns schon selbstverständlich «honorirt».
sie begleiten», d. h. umschwärmt von einem zugegangen oder in Aussicht gestellt von: Nicht zur Aufnahme gelangende Beiträge
beweglichen Texte, da wird auch die Mitarbeit Conrad Alberti, Hermann Allmers, Ford. werden so bald als möglich an die verehrlichen
unserer frischmuthigen Illustratoren, der alten Bonn, M. G. Conrad, fuliane Dery, Georg Absender zurückgesandt, wenn Umfang und
wie der jungen, munter fortfliessen. Ebers, Franz Evers, K. E. Franzos, Ludwig Werth der Sendung einigermaßen die Mühe
Keine Form literarischer Mitarbeit soll aus- Fulda, Max Halbe, Otto Erich Hartleben, der Rücksendung lohnen. Genaue Adressen-
geschlossen sein, wenn sie sich nur mit der De- Karl Henkell, Wilh. Hertz, Paul Heyse, angabe wird höflich erbeten.
vise verträgt: «Kurz und gut». Jedes Genre — H. v. Hopfen, Otto v. Leixner, Alb. Matthaei, Sendungen an uns wolle man gef. nicht
das Langweilige ausgenommen — ist gastlich Wilh. Raabe, B. Rauchenegger, P.K. Rosegger, unter einem der obenstehenden Namen adres-
willkommen geheissen: Lyrisches, Epigramma- Frieda Schanz, Richard Schrnid- Cabanis, sieren, sondern einfach an die Redaktion
tisches, Novellistisches, Satirisches, Reim und Arthur Schnitzler, L. Soyaux, yoh. Trojan, der „JUGEND“, Färbergraben 24/n in
Prosa. R. v. Seydlitz. München.
Die JUGEND erscheint allwöchentlich einmal. Bestellungen werden von allen Buch-
und Kunsthandlungen, sowie von allen Postämtern (Postzeitungs-Katalog Nr. 391a) und
Zeitungs-Expeditionen entgegengenommen. Preis des Quartals (13 Nummern) 3 Mk., der einzelnen
Nummer 30 Pfg. Preis für Inserate die vicrgespaltene Colonelzeile 1 Mk.
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Gruss an die JUGEND
Der „Jugend“ sei mein Gruss geweiht — Die — ob im Grabe mit einem Fuss —
Der Jugend, die niemals veraltet,
Noch schwebt auf den Schwingen des Falters:
Die unberührt von Stunde und Zeit
Ihr bring’ ich jubelnd einen Gruss —
Im Künstlerbusen waltet;
Der Jugend jeden AltersI —
Der Jugend, die aus der Seele stammt, Und macht sich ihr manch Gegner kund,
Und die trotz weisser Haare Sie bleibt doch unbezwungen
Für alles Grosse sich noch entflammt
Von grünlackirten Greisen und
Und Schöne und Gute und Wahre; Von schimmelgrauen Jungen!
Der Jugend, die ewigen Frühling schafft Dem erster’n von diesem Feindespaar
Uns drinnen tief im Herzen Mit Fäusten, emsig-raschen,
Und deren heilige Kraft entrafft Wird sie das fahle Antlitz klar
All irdische Sorgen und Schmerzen; Von falscher Schminke waschen;
Der Göttin, die uns Kindern gleich — Dem andern aber wird sie kühn
Doch kindisch nie — lässt werden, Durch einen kräftig derben
Damit wir schauen das Himmelreich Handgriff dieHös’chen strammer zieh'n,
Schon hier auf dieser Erden; Sie . . . rücklings aufzufärben.
Richard Schmidt-Cabanis
}
Kr. 1 und ä
Tt) GEN Ö
1896
Jugend! Jugend! Wenn aber so ein Ding von etlichen Aber zurück zu den Flegeljahren! Noch
Das Wort ist einer von den Zauber- Jahren frühreif ist und keine Freude am weinen können, wenn die schillernde Glas-
sprüchen, die uns das Herz aufhellen mit Spiele hat, sich nicht balgt mit den An- kugel eines Ideals in Scherben geht, noch
einem Schlag, bevor wir noch Zeit ge- dern, keine Schläge bekommt und keine jauchzen können, blos weil die Welt so grün
funden, ihrem Sinne nachzudenken. Jede austheilt, keine zerrissenen Jacken und ist und die Sonne so hell und das Leben
Sprache hat ein paar solche Worte. In der blauen Beulen nach Hause trägt, über die so überaus lobenswerth! Jugend in der
deutschen heissen sie: Jugend, Frühling, Märlein der Ammenstube die Nase rümpft, Jugend!
Liebe, Mutter, Heimath! Sie klingen, — keine Phantasie hat, aber dafür schon eine 3x3
man nimmt sie auf — und vor unseren Dosis Klassenhochmuth — den gibt’s näm- Gibt aber auch andere! Kerle, die mit
Blicken öffnet sich eine Welt. Und die lich auch in Lumpen —, die Thiere nicht der Brille auf der Nase und mit Tinten-
weiteste von allen diesen Welten ist jene, lieb hat und den Menschen sich nicht an- fingern auf die Welt gekommen scheinen,
die das Wort Jugend erschliesst. In dieser schmiegt — armes altes Ding! Wenn oft Streber auf der Schulbank, Primajungen,
Welt ist im Grunde Alles mit einbegriffen, die Leute wüssten, was für unglückliche die’s dem Herrn Professor sagen, wenn der
was gut ist und froh, licht und warm, rein Geschöpfe ihre Tugendmuster sind!- Hans die Schule geschwänzt hat und der
und gross. ¥ Max über den Zaun des Pfarrhofgartens
Denn die Jugend ist kein Vorrecht der Jedes Alter im Menschenleben muss gestiegen ist, seinem holden Büschen ein
Leute bis zu dreissig oder fünfunddreissig seine Jugend haben. Büschel Reseden zu stehlen! Bürschlein,
Jahren! Dem Jüngsten kann sie fehlen, der Die Flegeljahre! Die ersten Cigarren die immer die besten Noten und ein sanftes
Aelteste kann sie haben! Es gibt vierjährige rauchen, die ersten Verse machen! Zu- Gewissen haben, die keine verbotenen
Grossstadtgewächse, die nicht mehr jung erst an erdichtete, dann an unerreichbare, Schoppen trinken, Liebes- und Freund-
sind, es gibtAchtziger, die bis zu den Ohren dann endlich an wahlverwandte Huldinnen! schaftsträume mit grinsender Verachtung
in Flanell stecken wegen des Zipperleins, Himmlisch stupides Schwärmen für einen ansehen und die Anwartschaft auf eine glän-
die nicht mehr aus dem Lehnstuhl heraus- Backfisch mit flatternden Zöpfen! Hoffen, zende Laufbahn schon als Quartaner in der
kommen — und die doch noch ihr Theil Träumen dem Leben zu! Die Welt sich Tasche tragen. Kerle, die nie über eine
Jugend im Herzen tragen. ausmalen wie einen Garten voll blauer Hecke springen, weil sie die Hose zerreissen
‘•2* Blumen und goldener Früchte, die alle könnten, die alles Lustige und Verbotene
erreichbar sind, ihm, dem Einen, dem nicht etwa aus Grundsätzen, sondern ein-
Jugend ist Daseinsfreude, Genussfähig-
über die Massen Kühnen: dem Ich des fach aus Scheu vor der Haselruthe liegen
keit, Hoffnung und Liebe, Glaube an die lassen.
Menschen — Jugend ist Leben, Jugend ist Träumers!
Für Freundschaft glühen, Jedem, auch Jugend ohne Jugend!
Farbe, ist Form und Licht.
Wem ist sie eigen? Wer hat sie nicht? dem schäbigsten Gesellen das Herz wie
auf dem Teller entgegen tragen und, zehn
$
Jung im rechten Sinn ist noch das Kind, Mit den Mädchen ist es nicht anders!
das zu spielen weiss, mit einem Holzklotz, Mal betrogen, das elfte Mal wieder glauben! Welch ein Götterreiz umkleidet solch ein
einem Lappen und einem Strohwisch, ge- Ueberhaupt ist’s ein Kennzeichen und viel- Wesen zwischen Fratz und Weib, wenn ihm
rade so wie mit einer Pariser Puppe. Das leicht auch das reinste Glück wahrer Ju- gesunde J ugend aus den Augen blinkt, wenn
Kind, das sich seine Namen erfindet für gend, dass der Schein, der schöne Schein es halb Kobold ist und halb Engel, halb
alle Dinge und Leute, das noch mitten im sich zur rechten Zeit immer wieder über Schwärmerin und halb Spottdrossel in an-
Märchen lebt, das in der Weihnacht das irgendeine bittere Wahrheit hinwegtrügt! genehmer Mischung, rein, aber warmblütig,
Christkind an das Fenster klopfen hört, Und mit dem ersten Flaum auf der kindlich, aber weich. Wenn sein Herzzittert
das mit dem Hofhund plaudert und die Lippe, der ersten Liebe im Herzen, und um jedes erschaute fremde Leid und jubeln
Katze küsst, das seiner Puppe Brei in den vielleicht mit der ersten Heldenschmarre kann um jede geglückte Thorheit!
Mund schmiert und gelegentlich auch ein- im Gesicht im Grunde doch noch mild- Und die Andern, die Frühklugen, früh
mal Papa’s Taschenuhr mitderSchuhbürste herzig, weich, ahnungsvoll und spielerisch, Wissenden, die mit 12 Jahren schon an
reinigt. Jung ist das Kind, für das Alles doch noch ein Kind sein!-— eine gute Partie denken, der Stolz und die
lebt und redet, das Alles wissen muss und
hinter jede Staude guckt und Fragen stellt
K Wonne aller verheirathungslustigen Mütter
sind, nicht schwärmen, aber begehren, nicht
Das ist Jugend: in jeden neuen Lebens-
ohne Ende, und das gelegentlich auch ein- abschnitt das Beste vom Jüngstvergangenen sündigen, aber verstehen, nicht ungezogen
mal herzhaft ungezogen ist. Das aber auch mithinübernehmen! Kinderfrohsinn in die sind, aber hart! Sind die jung?
nachher, wenn der Trotz verraucht ist, die Knabenjahre,dieTreuherzigkeit des Knaben 3x3
Hand wieder liebkost, die es gezüchtigt. in die Jünglingszeit, das offene, zuversicht- Himmlisch kann eine Frauenknospe
Jung ist ein Kind, das ein Kind ist in liche Herz des Jünglings in’s Mannesalter, sein in geschmeidiger Kraft und Frische,
Allem, im Guten und im Schlimmen. die Wärme und Festigkeit des Mannes in’s ein Mädchen, das zu tanzen liebt, und durch
3x3 Greisenthum.- die Welt zu jagen, auf Stahlschuh oder
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1896 JUGEND Nr. 1 und 2
Stahlrad, Pferd oder Boot, ein Mädchen, j ein Verhungernder und dem nichts mehr Und so fort bis in’s Alter, durch die
dem jene Damen vielleicht auch einmal schmeckt, weil sein Magen unrettbar über- Jahre reifer, sicherer Mannheit durch, die
ein shocking! nachrufen, denen nicht mehr fressen ist! Der Narr seines Ich, der Sklave Erntejahre des Lebens, in denen man auf
Alles rein ist! Jugend, Jugend! Und auf seines Schneiders, der Hanswurst seiner Errungenes behaglich niederzusehen an-
der andern Seite wieder die Blüthen ohne Mitmenschen und der Abklatsch seiner Mit- fängt und seine Wünsche mehr auf’s Er-
Duft und Farbe, zu Kochthieren und Dienst- esel! Der arme, arme Mensch, dessen Da- halten richtet, denn auf’s Erwerben!
botenschrecken geboren, von Pensionats- sein mit dem Bewusstsein schon ausgefüllt
vorsteherinnen hochgeschätzt, von Pri- ist, dass er etlichen Pflastertretern heillos
manern nie angehimmelt, eckig bis in die elegant vorkommt! Jugend — sprecht nur
Seele hinein, und im Uebrigen alles Schöne dies schöne Wort nicht aus in einem Athem Die jungen Alten! Alte Gesichter und
und Gute — nur nicht jung! — — — mit dem Namen dieses Gezüchts. junge Herzen! So widerlich und bemit-
leidenswerth ein alter Geck ist, der sich
* * ein paar Jahrzehnte vom Gesicht weg-
Schöner als jede andere fast ist die Was für ein Herrliches ist es um die schminkt und die für seine verspäteten
Jugend in der Zeit der ersten Reife! Stolz Jugendlichkeit des eben erblühten Weibes. Dummejungenstreiche nöthigejugend beim
und Freude am Schaffen hegen, das Wonne- Auch sie lernt nun die erste, wahre Liebe Apotheker kauft, so herrlich ist ein Alter,
gefühl bewusster Kraft gemessen, das herr- kennen. Aber nicht das Bedürfniss, sich dem die Seele frisch geblieben ist und mild,
liche Empfinden, zum ersten Male einen zu versorgen, sondern das Bedürfniss, sich das Auge klar auch für ein Leben, das er
Platz auszufüllen in derWelt! Und die erste, hinzugeben, lenkt ihr das Herz. Mutter- nicht in allen Theilen mehr ganz versteht.
wirkliche Liebe im Herzen nähren nach den schaft! Mutterglück! Dreidoppelte Jugend: Ein Loher des Vergangenen mag er wohl
Eseleien der Tanzstunde! Fähig werden eine junge Mutter! Immer voller erfüllt sein, aber kein Hasser des Neuen. Ein
zu ringen und zu wagen mit Todesmuth sie ihren Beruf, Sonnenschein zu bringen, Schatz an Liebe ist aufgespeichert in seinem
um eines holdseligen Weibes Besitz! Ju- Den jung zu erhalten, dem sie zu eigen Herzen, der sich mehrt, je reichlicher er da-
gend im Mannesalter, wie gut, wie schön! ist, einen Schimmer von Jugendlichkeit auf von gibt! Mit doppeltem Genuss schaut er
Alles zu werfen, was um sie lebt. Sie ist das Schöne um sich her; ist’s doch nicht
fr Alles in Einem in ihrer sieghaften Jugend: mehr für lange Zeit! Ihm ist die Freude
Aber der Andere, der Streber und Krä- Ansporn zum Kampfe und Siegerlohn. Um ein köstlicherTrunk, dem kein Rausch mehr
mer! In Liebe und Hass, Arbeit und Müsse sie, für sie ringt der Mann, sie macht ihn folgt, der die Blicke nur heller macht und
immer Streber und Krämer! Aus Angst treu und beharrlich! Sie schafft ihm ge- den Herzschlag ruhiger. Kein Menschen-
vor einem Schnupfen entsagt er dem Ge- steigerte Pflichten und gesteigerte Kraft alter kann vielleicht so viel Jugend in sich
nuss, von einem Berggipfel aus die Sonne dazu! aufsammeln, als das mit den weissen Haa-
blitzend aufschweben zu sehen aus dem Aber auch das rosige Bild hat sein ren. Ihm kommt sie von aussen und von
Dunst des Morgens! Aus Angst, sich seine Widerspiel: Junge Weiber ohne Jugend! innen. Ihm quillt sie als Erinnerung im
Carriere zu verderben, wagt er es nicht, Blaustrümpfe, Kehrbesenmegären, Männer- Herzen und macht ihm die Seele weit und
den Arm um einen bebenden Frauenleib jägerinnen, berechnende Koketten, eitle froh, ihm drängt sie sich jauchzend um die
zu schlingen! Aus Respekt vor seinen Vor- Närrinnen, die den Zauber ihrer Jugend Knie und stammelt: „Ich hab’ Dich lieb!“
gesetzten würgt er seine politische Ueber- verlieren in dem krankhaften Bestreben, Junges Alter! RosigerSonnenschein über’m
zeugung hinunter! Aus Angst, sich die nur ja nicht älter zu werden! Eis, Weihnachtsrosen unter’m Schnee!
Augen zu verderben, schaut er nicht in die Jugend im Silberhaar, Jugend in gol-
Sonne, aus Angst um seine Stiefel steigt $ denen Locken! Jugend, das Köstlichste aus
er nicht in’s thauige Gras und wenn die Die rechte Jugendlichkeit muss immer jeder Lebenszeit, vom ersten Kinderlachen
schönsten Blumen ihm daraus entgegen- unbewusst sein. Wenn Einer sagt: »heut' bis zum letzten Trunk, den der Greis aus
lachten! Auch Einer! bin ich aber einmal vergnügt!« kommt ihm dem Becher des Lebens thut!
Oder der Lebegreis! Herz, Phantasie das Lachen gewiss nicht von Herzen. Wenn Jugend, Jugend!
und Kopf kahl wie ein Ei! Der Jammer- aber Einer einmal lachen kann und weiss Ein besseres Bannwort hätten wir für
mann, das Rückbildungsprodukt zum Affen, nicht genau warum — der ist sicher froh unser Wagniss nicht finden können! Da-
der Idiot, dessen Ehrgefühl in der Correkt- und fühlt sich jung. Gefühl ist Alles, auch rum sehen wir dem Werdenden mit froher
heit seiner Hosenfalten aufgeht, der Bettler, hier. So ganz mit Worten umzirken lässt Hoffnung entgegen.
der Alles genossen hat und Nichts, der die sich der Begriff nicht! Jung fühlen muss Ganz schlecht kann es nicht ausfallen,
Lebensfreuden in sich hineinschlang wie man sich, nicht jung sein wollen. unser Zeichen ist viel zu gut!
S
Nr. 1 und 2 JUGEND 1896
Vor langer, langer Zeit, da die Geister noch nicht so es war der Berggeist. Der litt an einer Art von Kleptomanie.
selten waren, wie heutzutage, sind einmal dem lieben Gott Der liebe Gott war dem armen Sünder gnädig und erliess
aus seinem Farbenkasten, in dem er die Farben bereit hat ihm die Strafe. Aber wenn Einem einmal das Stehlen im
für’s Abendroth, für Tag und Nacht und die Jahreszeiten, Blute liegt! — Dauerte nicht lange, so hatte der Berggeist die
eine Menge von Farben gestohlen worden. Da gab’s grosse Farben schon wieder und riss aus mit seiner Beute. Die
Untersuchung im Geisterreich und viel Verdruss und der andern Geister ihm nach, als sie es merkten, denn die vier-
liebe Gott sperrte die ganze Geistergesellschaft auf ein paar zehn Tage Fegefeuer hatten sie nicht vergessen! Wie die
Wochen in’s Fegefeuer, bis der Sünder sich gemeldet hätte! wilde Jagd ging’s dahin durch ganz Tirol durch. Der Sünder
Und endlich thaten das böse Gewissen und die Hitze des flüchtete sich schliesslich in eine Hütte — schon glaubten
Fegefeuers ihre Wirkung. Der Schuldige meldete sich — sie ihn zu haben, da fand er noch eine Lücke und sauste
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Kr. 1 und 2
1896 . JUGEND .
Frauen angestellt werden müssen. Aber Skt. Petrus klagt
hinaus. Die Geister wieder hinter ihm her! Endlich fingen über die Leistungen. Sie sind schwach, sehr schwach.
sie ihn, die Farben fanden sie bei ihm aber nicht mehr. In
jener Hütte hatte er sie in aller Eile wieder versteckt. Man Es gibt Männer, die sich wegen unglücklicher Liebe ver-
giften, aufhängen, erschiessen, oder sogar — das muss sehr
brachte den Berggeist vor den lieben Gott, der nun ernstlich bitter sein — Gedichte schreiben. Narren, dreifache Narren!
böse war und mit grausigen Strafen drohte, wenn die ge- Nicht einzusehen, wie gut es das Schicksal mit ihnen gemeint
stohlenen Farben nicht mehr zur Stelle kämen. In seiner hat. Wäre die Liebe erwidert worden, so hätten sie ja ge-
Todesangst war der Berggeist ja gerne bereit, Alles zu thun, heiratet.
was der liebe Gott verlangte. Aber er fand das Haus nicht Es gibt Männer, die zweizüngig sind. Das sind Weiber
mehr, wo er die Farben versteckt hatte. Denn dazumal war’s niemals. Die sind mindestens dreizüngig.
finstere Nacht gewesen und bei dem Tempo, in dem die Der grösste Mann ist auf dem besten Weg, ein sehr klei-
Hetzjagd abgehalten ward, hatte er auch die Hausnummer ner zu werden, sobald er an Schmeicheleien der Frauen Ge-
nicht aufgeschrieben. Der Berggeist aber musste nun suchen fallen zu finden beginnt.
und suchen — er war so lange verdammt und vom Nektar Die schönen und geistreichen Weiber sind niemals ganz
und Ambrosia ausgeschlossen, bis der Raub wieder ein- zufrieden, wenn man nur schön findet, was ihr Mund spricht.
geliefert sei. Und nun suchte er tagaus, tagein, jahraus, Man muss auch die Lippen bewundern.
jahrein jeden Winkel der Welt ab und konnte die Farben
Hat man jemals etwas von des Teufels Grossvater ge-
nicht finden. Mit dieser verzweifelten Beschäftigung brachte hört? Die mühseligsten gelehrten Forschungen haben ur-
er sechzig Jahre hin und in Momenten der Ruhe fluchte er kundlich nur die Grossmutter nachweisen können. Eine
wie ein Husarenwachtmeister. Aber es fiel ihm partout nicht erfreuliche Bestätigung meiner Ansicht, dass der Ursprung
mehr ein, wo er die Farben bei jener nächtlichen Parforce- des Uebels durch Parthenogenesis in die Welt gekommen sei.
jagd durch die Alpen hingebracht hatte. Als ich das „schöne Geschlecht“ nicht kannte, wie hab
Als der Berggeist nun eines Tages, vom Suchen müde, ich damals dafür geschwärmt! Für einen süssen Blick hätte
in einer Felsschlucht einschlief, erschien ihm ein lichter ich mich in das nächste Weltmeer gestürzt. Jetzt durch-
Genius, der einige passende und gefühlvolle Worte sprach
schaue ich es bis in das Fältelten, wo der Satan drinnen
sitzt. Und, Ironie des Schicksals: ich habe sechs Töchter.
und dem Ruhelosen mittheilte, er habe damals in der Hütte Ich werde einen Knaben adoptiren müssen, um ihm meinen
die Farben in einer Wiege versteckt. Darinnen lag ein neu- Weiberhass zu vererben.-Wenn es meine Frau erlaubt.
geborenes Buberl. Nach Kinderart vergnügte es sich bald
Ich habe oft Gelegenheit, viele Männer der geistigen Be-
damit, wie mit buntem Spielzeug, suchte später Thiere, rufe zu sehen. Was macht unsere Zeit aus uns! Entweder
Menschen, Hütten und Berge getreulich nachzubilden, so mergelt sie uns aus, oder sie bläst uns auf. Enge Brust —
gut es ging; es wuchs heran und strebte als Jüngling und Hängebauch, Scylla — Charybdis. Wenige schiffen glücklich
Mann immer eifriger der hohen Kunst des Malens nach. durch. Zuerst ochsen wir und stopfen das Hirn mit allerlei
Und so sei er nach und nach ein weltberühmter Maler voll, was wir zu vergessen verpflichtet sind. Das nennt man
„Gymnastik des Geistes“. Dann wird unser Wissen geaicht
geworden: und nun treten wir in den Beruf. Die einen sitzen den gan-
„Auf den sein Land so stolz und seine Freunde zen Tag in Schreibstuben aller Art; oder auf Lehrstühlen,
Neidlos mit herzlicher Bewund’rung schau’n.“ um den Schülern zu sagen, was diese zwanzig bis dreissig
Jahre später umlernen müssen, weil es nicht mehr wahr ist;
Und das Buberl von damals und der berühmte Maler von andere rennen Trepp’ auf, Trepp’ ab, um gesunde Menschen
heute — sei der Defregger Franzi! krank zu machen, natürlich streng wissenschaftlich u. s. w.
Weil aber des Berggeists Gaunerei so gut ausgeschlagen, So geht es Tage, Jahre, Jahrzehnte. Toll werden die Nerven,
habe ihm der liebe Gott die Strafe in Gnaden erlassen! die Muskeln schlaff. Und das soll ein Mannesleben sein!
Manchmal, wenn ich auf der Strasse gehe, steigt in mir ein
So wird in einem launigen Festspiel erzählt, das die närrisches Verlangen auf, um mich zu schlagen und dem
Münchner „Allotria“ an dem Defregger-Abend aufführte, den Ersten Besten zuzuschreien: „Kerl, jetzt box’ mit mir, bis
sie, den Jubilar zu feiern, diesen Sommer veranstaltet hat. wir Beiden lauter blaue Flecke am Leibe haben!“ Da fühlte
Und zum Ehrenabend des Franz Defregger zeichnete der man doch wieder, dass auch im Hauen Poesie steckt. Aber
das geht nicht; der Schutzmann hätte kein Verständniss für
Franz Stuck mit markigen Strichen das Conterfei dazu, das meine Culturmüdigkeit und der Herr Richter — ob engbrüstig
wir vorstehend nachgebildet haben. Bild und Märlein sind oder dickbäuchig — verdonnerte mich wegen groben Unfugs.
hübsch genug, dass wir sie unseren Lesern mittheilen dürfen.
Oder nicht? O göttliche Grobheit! Die Gebildeten schmähen dich,
ich aber bete dich an. Wie oft sind sie zu mir gekommen,
die Feinen und Glatten, um mich mit schönen Worten zum
Schuften zu machen; mich zur Untreue gegen mich selbst
zu verführen; für meine Ehre boten sie mir Ehren; ein wenig
bücken sollte ich mich; sollte sprechen für das Unrecht, für
die Lüge — ich könne innerlich glauben, was ich wolle. Und
sie kamen immer wieder und waren nicht abzuschütteln. Da
tratest du zu mir und gabst mir Worte, kräftig, klotzig, hain-
buchern, aber deutsch und wahr. Das erst stieg den Feinen
in die Nase. Seitdem gelte ich als „ungebildet“. Aber wenig-
stens haben sie mich nicht in ihren Model gepresst; ich habe
mein Selbst gerettet — und das danke ich dir, göttliche
Grobheit!
Aus dem Nachlasse des H. Jeremias Grobschmied. Mit innerer Empörung heraus*
gegeben von Otto von Leixner.
7
Nr. 1 und 2 JUGEND 1896
Theaterleute.
Von Ferdinand Bonn.
Der Intendant. Der Liebhaber.
Der Höchste ist der In- Der junge Mensch in heisser Gluth
tendant, Gar oftmals etwas Dummes thut
Oft wird er Exzellenz ge- Und geht zu Grunde, wenn er kann.
nannt. Man nennt’s Tragödie dann und wann.
Er schrieb einmal ein Liebhaber auch in unsrer Zeit,
schönes Stück, Vor Allem sei nicht zu gescheid !
Dass man’s nicht gab, das Er spielt sein Fach jahraus, jahrein,
war ein Glück! Fast jedesmal bei Mondenschein.
Novizinnen der hohen Er lächelt immer — auch im Tod,
Kunst Und schminkt sich nur mit weiss
Erfreuen sehr sich seiner und roth.
Gunst. Die Mädchenschaar schwört nur
Er ist nicht stolz und hat bei ihm
sie gern Und schreibt ihm Briefchen anonym,
Trotz seinem grossen Dies macht ihn schliesslich geistes-
Band und Stern ! schwach —
Hat 25 Jahr man ihn Er geht dann in ein ält’res Fach.
Geärgert stets durch Dick und Dünn,
Beschimpft, gezogen hin und her,
Dann-hält sein Jubiläum er! Der Bonvivant.
Das ist der schöne „Bong-vi-vang“,
<6? Ist bei der Bühne meist schon lang,
Denn bis er die Manieren fand,
So manches liebe Jahr entschwand.
Den Rock, den trägt er offen blos
Und eine Hand im Hinterschooss,
Der Regisseur. Denn das beweist ein froh’ Gemüth,
Dann — dass man auch das Futter sieht!
Ist dieser „Ober“, wie gar oft,
Er von der Kunst längst nichts mehr Auch Schnurrbart hat er dann und wann,
hofft. Weil er ihn meistens brauchen kann.
Einst trug er manches Ideal, Er spielt „natürlich“, aber wie!
Jetzt ist ihm alles ganz egal! Versteht man auch die Hälfte nie !
„Kinder!“ ruft er voll Bonhomie — Tragödie hat er auf dem Strich
Geht’s nicht, dann brüllt er wie ein Vieh! Und ärgern thut ihn fürchterlich,
Dass man Tragöden Orden giebt!
\,Gross“ wird er nie — doch „sehr
// beliebt“!
'5r
Der Charakterspieler.
Der Held. Das ist der böse Franz von Moor,
Das ist der Held, der Hauptathlet. Als Intriguant stellt er sich vor.
„Da seht mal, wie ein König geht!“ Er hat ein Weib und Kinder acht.
Die Rollen kann er meistens nicht, Man glaubt es regnet, wenn er lacht.
Was braucht er das mit dem Gesicht! Den Franz von Moor, den lässt er
Da — wie er sagt — ein Antrag lockt, nicht,
Ist er stets mürrisch und verstockt! Bis ihm dereinst das Auge bricht.
Er spielt die grossen Menschen nur, Er reisst stets zwei Coulissen um,
Das sieht man g'eich an der Statur. Verachtet Press’ und Publikum.
Er hat viel Schulden, auch 'ne Frau, Perrücken hat er „eine“ zwar,
Doch dieses weiss man nicht genau. Doch geht er meist im eignen Haar.
Er hat ein mächtiges Organ, Denn, tritt er auf, so weiss man
Das wendet er auch immer an, schon,
Ob leis, ob laut und auch beiseit, Jetzt kommt der wahre Höllensohn.
Dem Helden ist es wurscht — er schreit! Er ist zumeist ein braver Mensch,
Den Shakespeare kennt er „aus-e-
wend’ch“.
<6?
*
8
1896 JUGEND Nr. 1 und 2
Der Inspicient.
Ein Biedermann, der Inspicient,
Der immer denkt: „Wär’s nur zu End“!
Stets macht er „Bst“, auch wenn’s ganz still.
Er blitzt und donnert, wenn man will,
Der Mann im Kasten — oder Frau —- Macht Sturm und Regen, Feuersbrunst
Wird bald vor Zorn und Aerger grau! Und „schickt hinaus“ mit vieler Kunst,
Dem einen, der grad etwas kann Und ist’s bei einer falschen Thür,
Schreit viel zu laut der gute Mann — So kann er niemals was dafür.
Der andere, den’s nicht interessiert, Wenn Beifall tönt — in schnellem Lauf
Sagt: Schreien Sie nur ungeniert! Kommt er und macht die Klappe auf.
Kommt kein Applaus oder nur dünn „Melkt“ er am Vorhang hin und her,
So schimpft und tobt man gegen ihn : So klatscht man dann noch heftiger.
„Das Vorhangzeichen kam zu spät, Und lässt er gar die Klappe offen,
Die Stimmung da zum Teufel geht!“ — Darf man auf weitern Beifall hoffen !
Der Theaterdiener.
Der weiss genau, woher der Wind,
Ob’s Stück gefällt — wieviel drin sind,
Wer nächstens eine Rolle spielt —
Und wer jetzt im Bureau befiehlt —
Mit wem jetzt die Naive geht —
Wie’s mit des Helden Vorschuss steht —
Warum man die nicht engagiert —
Dass sich der neue Gast blamiert!
Trägt er wo eine Rolle hin,
Geht’s im Galopp mit frohem Sinn !
Doch holt er eine Rolle — ha —
Als Leichenbitter steht er da !
Grabschrift
auf einen grossen Arzt.
Hier ruht von falschen Diagnosen
Ein ordentlicher Professor aus:
Nicht schützten grössere Jodkali-Dosen
Ihn vor dem kleinen Bretterhaus.
Er ward an’s eigne Krankenbett berufen,
Doch eh’ sich auf sich selbst besonnen
Der arme so berühmte Mann,
Stand er schon auf den Himmelsstufen.
Er war kein grosser Geist — ein wenig Streber
Er nahm nicht viel und war kein Filz,
Sein letztes Wort war: „’s sitzt mir in der Milz!
Post mortem aber sass es in der Leber! —
Serenissimus: Sehr hübsch, das Porträt von Gräfin Deggen- Fritz Murner.
dorff! Sehr ähnlich!
Der Herr Direktor: Gestatten Ew. Durchlaucht die unmass-
gebliche Bemerkung, dass das Portät eigentlich im Grunde,
sozusagen, nicht die Gräfin Deggendorff, sondern die Gräfin
Meggendorff darstellt —
Serenissimus: Ach! Die Meggendorff? — Auch sehr ähnlich!
9
Nr. 1 und 2 JUGEND 1896
IQ
1896 J U ©E N D Nr. 1 uad 2
Singsang. Und ich fasste ihre Hand | Er kam von einsamer Küste,
Weis- nicht wie’s geschah. Sein Wort übertönte das Meer,
Wie sehnt’ ich dem Schlafe mich nach! — Ganz verlegen an der Wand Viele Tage gingen zur Rüste,
Schon hielt ich das Glück an den Fäden Stand ich vor ihr da. Doch wachend wanderte er.
Da pochte die Sonn’ an die Läden —
.
Wie sehnt’ ich dem Schlafe mich nach! Woher nahm ich nur den Muth, Der Fels riss die Füsse ihm blutig,
Dass ich nach und nach Sein Haupt umheulte der Föhn,
Aus Träumen nur schwebt es empor, Kühner ward, doch weich und gut 1 Seine Seele aber blieb muthig,
Was all’ Du für Wonnen umschliessest, Also zu ihr sprach: Und er ist in Stürmen noch schön.
Dir heimlich in Lieder ergiessest
Aus Träumen nur schwebt es empor. „Traf Dich just dasselbe Leid, Er hat in den Augen den Willen,
Kind, wie Deinen Freund? Der die Feinde sich bändigen kann,
Rings leuchtet die lachende Welt! Stillverschwieg’ne Einsamkeit Mit seinem Lächeln, dem stillen,
Weh’ — wehe, getrennt sind die Herzen, Hat uns ja vereint! Sagt er: Ich werde ein Mann.
Sie schwelgen in suchenden Schmerzen -
Rings leuchtet die lachende Welt! Komm’, wir plaudern in der Still’! Nun kommt er schon auf die Berge,
Ich erzähle Dir, Seine Stimme ward lauter und voll,
Italisches Blüthengepräng! Was ich sehne, was ich will! Und drunten das Heer der Zwerge
O, reib’ Dir den Schlaf aus den Augen! Mädchen, komm’ mit mir!“ Weiss nicht, was da werden soll.
Was können die Nebel Dir taugen? -
Italisches Blüthengepräng! Doch, wir sassen still und stumm; Dem Ziele näher und näher,
Manchmal seufzt’ ich nur, Und keinen Schritt zurück:
Hab’ Dank, Du mein stolzes Florenz! — Eine Katze schlich herum Er ist ein Wolkenspäher
Tags müssen uns Rosen gedeihen, In dem dunklen Flur. Voll Sturm und Sternenglück.
Tags adelt die Freude den Freien
Endlich fand ich’s, und ich sprach Du mit dem Trotze des Bauern,
Hab’ Dank, Du mein stolzes Florenz!
Ganz verlegen nur, Der Königsthrone sich baut,
Florenz, April 1895. OTTO ERICH HARTLEBEN. Bis ich auf den Knien lag Ich fühle Dein Glück wie ein Schauern,
In dem dunklen Flur. Deine Zukunft hab’ ich geschaut!
Antwort war ein Druck der Hand; . FRANZ EVERS.
Ach, ich will’s gesteh’n,
Dass der Mund zum Mund sich fand,
Keiner hat’s geseh’n.
Mein Aschenbrödel. Doch das Kätzchen dann und wann
Schnurrte schmeichelnd nur,
Auf der Treppe stand sie da, Sah uns ganz verwundert an
In dem dunklen Flur. In dem dunklen Flur.
Auf der Wang’ ich schimmern sah LUDWIG SOYAUX
Heller Thränen Spur.
Alles still im weiten Haus,
Kein Gespräch, kein Wort,
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Nur das Knispern einer Maus;
Brüder, Schwestern fort! So seh’ ich ihn.
Draussen fliegen sie zum Tanz, Ich sehe, vom Licht bezwungen,
Vor der Stadt im Wald, Meere links und Felsen rechts,
Flechten Blatt und Blum’ zum Kranz, Heute den Geist des jungen,
Lust und Lied erschallt. Des kommenden Geschlechts.
1896 JUGEND Nr. 1 und 2
ZWEI FREUNDE \■
Demi-vierge.
Sinngedichte
von Ludwig Fulda.
Wer nach Thalia’s Aufenthalt Ein rechter Gottesfechter,
Noch sucht in kunstgeweihten Räumen, Die echte und grosse Liebe ist Am allerbesten ficht er
Der kann den deutschen Dichterwald Der allerglücklichste Kapitalist; Gen Wichter und Gelichter
Nicht sehn vor lauter Purzelbäumen. Sie erntet Zinsen, an die sie nicht Mit schallendem Gelächter.
denkt,
Und wird stets reicher, je mehr sie Lang Ersonnenes
Merk' dir, eh’ dich Erfolge verblenden: verschenkt. Lähmt die Hände;
Um Ehre geizen, heisst Ehre ver- Frisch Begonnenes
schwenden. Drängt zum Ende.
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1896 JUGEND Nr. 1 und 2
war! Ganz wie ein kleiner Hund, wie Toutou mir treu ist!
Und ich hätte genug Andere haben können! Oh ja! — Und
nun hat er mich nicht mehr lieb und lässt mich einfach
laufen!«
Sie warf sich wieder auf die Ottomane und schluchzte:
»Das ist mein Tod! Ich gehe in die Seine. Du wirst
eines Tages an der Morgue Vorbeigehen und mich kalt und
starr hinter den Glasscheiben liegen sehen. Dann wirst Du
Gewissensbisse bekommen und wieder daran denken, wie
lieb Dich die arme Nichette gehabt hat!«
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»Es war nur zu hübsch, liebes Kind, zu hübsch und zu Mit eintönigem Geknatter sauste der Eilzug durch die
viel. Ich muss aufwachen aus diesem Taumel, sonst ist es Gefilde der Champagne. Die schlechte Beleuchtung und das
um meine hellen Augen auf immer gethan. Verstehst Du Stossen des Wagens machten es Hans schwer, zum zehnten
denn das nicht?« Male den Brief zu lesen, den er in Händen hielt, den Brief,
»Ich verstehe nur, dass Du mich los sein willst! Und der ihn aus Nichette’s Armen nach Hause rief. Ein Glück,
dass ich sehr unglücklich bin! Du weisst, wie treu ich Dir dass die Schrift seines Freundes Ferdinand so gediegen und
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1896
Nr. 1 und 2 JUGEND
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leserlich war. Kein Graphologe der Welt hätte aus diesen Mit allzuviel Behagen fand sich Hans allerdings nicht
Zügen dem Schreiber irgend eine bedenkliche Charaktereigen- in die Rolle des verlorenen Sohnes und er wurde Anfangs
schaft zugesprochen. Der Brief lautete: das Gefühl nicht los, dass der Friede nicht von langer Dauer
»Lieber Hans! sein könne. Für’s Erste freilich tröstete ihn über alles Bangen
Im Aufträge Deines Onkels und Vormundes, des Herrn um die Zukunft die unendliche Güte und Lieblichkeit hinweg,
Engelbert Landgraf in Eisenach, schreibe ich Dir diese Zeilen die ihm Margarete entgegentrug. Sie gestand ihm, als er
und bitte Dich von vorne herein, das Unangenehme, welches sich ihr beim ersten Alleinsein mit vollem Herzen näherte,
sie etwa enthalten sollten, mir nicht persönlich zur Last zu rückhaltlos zu, dass sie ihm immer gut gewesen und gut
legen. Also sei mir darum nicht böse, dass ich es sein muss, geblieben sei. Dann freilich hielt sie erröthend inne und
der zunächst die Hand bietet, Dich einem anscheinend sehr ihre Augen wurden feucht. Wie er aber dann, berauscht
interessanten und vergnüglichen Leben zu entreissen. Aber von ihrer unschuldigen und doch hingebenden Art, den Arm
es wird sich ja Alles zum Guten wenden. um sie schlang und den ersten Kuss von ihren Lippen
Und nun gleich in medias res! pflückte, duldete sie diese Liebkosung doch und erwiderte
Der Onkel lässt Dir Folgendes mittheilen: Dein mütter- sie. Hans durchlebte jetzt Tage stiller Wonne, in welcher
liches Erbe ist bis auf Weniges aufgebraucht und zwar bist alle seine trüben Ahnungen und Bedenken untergingen. Ein
Du, wie du zugeben wirst, mit der stattlichen Summe etwas starker Unterschied war freilich zwischen dem ungebundenen
schnell fertig geworden in Paris. Hättest Du als Künstler Zigeunerleben auf dem Montmartre und der starren, pflicht-
etwas Rechtes erreicht — ich spreche die Meinung Deines treuen Regelmässigkeit, nach welcher Onkel Engelbert das
Onkels aus und mafse mir durchaus kein eigenes Unheil Leben in seinem Hause eingerichtet hatte.
an — so würde er Dir gerne die Mittel zu weiterem Studium Hansens Jugendfreund, Ferdinand Rosner, lebte als Pro-
in Paris gegeben haben. So aber will er von einer Fort- kurist des Onkels fast ganz mit in der Familie. Er war ein
dauer Deines dortigen Aufenthaltes nichts wissen und ver- bescheidener, stiller Mensch, klug genug, um seinen Posten
langt kategorisch, dass du möglichst umgehend nach Hause auszufüllen und jedenfalls von der ehrlichsten Freundschaft
kommst und Dir irgendwie ein geordnetes Leben einrichtest. für Hans beseelt. Der Letztere fand in dem Freunde aber
Ich habe es durchgesetzt, dass Dich keine Vorwürfe, keine das nicht mehr, was er früher an ihm gehabt hatte. Der
unangenehmen Abrechnungen erwarten, soweit sich die letz- Gegensatz zwischen der Jugend des Freundes und dessen
teren nur überhaupt vermeiden lassen. Dein Vormund hat sentenzenreicher und etwas kleinlicher Weltanschauung be-
Dich so lieb wie immer, nur will er Dich in einer Situation rührte Hans oft wie ein Missklang und das liess nicht mehr
wissen, die es Dir ermöglicht, einen Hausstand zu gründen. die alte Freundschaft im Verkehr der beiden jungen Männer
Und weisst Du, an wen er in erster Linie dabei denkt? An aufkommen und hin und wieder geriethen sie mit ihren ver-
Margarete, seine Tochter, die, seit Du von hier fort bist, aus schiedenartigen Lebensbegriffen auch etwas heftig aneinander.
einem unbedeutendem Backfischlein ein prächtiges grosses
Mädchen geworden ist. Es müsste sich wohl Jeder glücklich
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Nr. I und 2 JUGEND 1896
Frauen, die Geist und Herz haben, aber nichts von Eurer und will darum noch einmal Milde walten lassen unter der
legitimen Spiessbürgerlichkeit und hausbackenen Tugend. Und folgenden Bedingung:
diese Frauen machen glückselig wie die Andern, aber ohne Du reisest sofort ab und trittst als Musterzeichner in
jede Beimischung von Langeweile. Es ist ein schönes Ding die Fabrik meines Bruders Theodor in Elberfeld ein, eine
um die Tugend — aber Rasse und Anmuth sind auch nicht Stellung, die er Dir schon lange angeboren hat. Du lebst
übel! Allen Respekt vor der Tadellosigkeit und Reinheit dort ein Jahr streng und treu Deiner Pflicht; sie wird nicht
Eurer Familienmütter und Hausengel! Aber unter denen, leicht und nicht heiter sein. Wenn Du aber ausgehalten
die Ihr verachtet, sind auch Frauen, die liebenswerth sind. und damit gezeigt hast, dass Du noch Willenskraft und sitt-
Und Eure Tugend ist ja doch meist nur Mangel an Lebens- lichen Ernst besitzest, dass man Dir das Geschick eines reinen
muth, Eure gesellschaftliche Moral ist einfach Selbstsucht, Weibes anvertrauen kann — gut! Dann soll von heute ab
die sich die Aussicht verdirbt durch eine Mauer um den in einem Jahr Hochzeit sein. Wenn nicht — auch gut!
eigenen Garten, blos damit die Nachbarn nicht hereingucken Dann bist Du frei und kannst Dein Glück versuchen, wo
können. Wenn Ihr wüsstet, wie süss die Dinge sind, die Ihr Du magst. Denk’ an den Preis, den es gilt, wenn Dir die
Euch selber verboten habt, wie heiss die Sünde küssen kann —.« Probe sauer wird!
»Du scheinst Dich ja sehr gut auszukennen in solchen Du sollst weder mein Kind, noch mich erst nochmals
Dingen?« sehen, sondern sofort abreisen. Das Nöthige überbringt Dir
»Ja! Wenn Ihr es wissen wollt! Ich war zwei Jahre Ferdinand, an dem Du Dir übrigens ein Muster nehmen
durch die Liebe eines Weibes glücklich, das Freund Ferdinand kannst in jeder Beziehung. Dein alter Oheim Engelbert,
mit seinen grossen Worten als »Verlorene« bezeichnen würde der Dir trotz Allem so gerne ein väterlicher Freund bleiben
— und sie hat mich geliebt, hat mich keinen Augenblick möchte.« —- — —
gelangweilt, keinen Augenblick betrogen!« Hans willigte in Alles ein! Es ward ihm selbst bange
»Und sie hat Dir Herz und Hirn vergiftet, hat Dir Deine um seine Zukunft. Margareta’s treue Güte rührte ihn tief
Thatkraft gestohlen und Dein Talent —« Also in Gottes Namen nach Elberfeld!
Hans, dem der Wein und der Aerger über Ferdinands
selbstgenugsame Tugend die Sinne verwirrt hatten, so dass
er viel mehr gesagt, als er wollte und als ihm von Herzen
kam, sprang auf und wollte zum Fenster, um frische Luft Mit einer wahren Wuth stürzte sich der Verbannte auf
in die dumpfe Stube zu lassen. Als er sich dabei umwendete, seinen neuen Beruf, er begann mit sich selbst einen Kampf
sah er Margareta unter der Esszimmerthüre stehen. Sie bis auf’s Messer. Die ödesten und ermüdendsten Aufgaben
hatte seinen ganzen Dithyrambus auf die Frauen nach seinem fasste er gerade mit dem grössten Eifer an. Selbst als der
Geschmacke und sein letztes Geständniss mit angehört und, Onkel verlangte, er solle sich durch einen alten Buchhalter
todtblass geworden, lehnte sie am Thürpfosten. Als ihr in die Geheimnisse der doppelten Buchführung einweihen
Hans erschreckt in’s Gesicht sah, eilte sie unter Schluchzen lassen, unterzog er sich auch dem. Er fügte sich darein, zu
hinaus. Jetzt sahen die Anderen auch, wer Zeugin ihres arbeiten, nicht nach Laune und Stimmung, sondern un-
Streites gewesen war. abänderlich von acht bis zwölf, von zwei bis sieben Uhr
Da brach Herr Engelbert los: jeden Tag. In einem kahlen, engen Raume zeichnete er
»Nun ist meine Geduld zu Ende! Wahrhaftig, Du hast Kattunmuster ohne Ende. So zog ein Monat dahin, ein
Langmuth genug erfahren hier. Wir haben Dich ohne Vor- zweiter, ein dritter begann. Aus Margareta’s Vaterhause
würfe aufgenommen, ich habe Dir die Grete trotz allem Vor- kamen nur kurze, geschäftsmässige Zeilen von Ferdinand.
hergegangenen zur Frau geben wollen, weil ich Dich doch Durch diesen hatte ihm vor der Abreise der Onkel noch
im Grunde für einen braven Kerl hielt. Aber jetzt hast Du sein Ehrenwort abgenommen, dass er, Hans, nie an das
Dein wahres Gesicht gezeigt — Du bist verdorben bis in’s Mädchen schreiben wolle.
Mark hinein. Jetzt könnte ich Dir mein Kind nicht mehr Mit jedem Tage fühlte sich der junge Maler unglück-
anvertrauen, auch wenn ich wollte! Das Nähere hörst Du licher in seiner neuen Stellung, immer härteren Kampf
noch! Komm, Ferdinand!« kostete es ihn, die übernommene Pflicht durchzuführen.
Sie verliessen die Stube. Im Hinausgehen machte Fer- Sein neuer Brodherr quälte ihn. Was Hans wirklich gelang,
dinand dem Freunde ein Zeichen: »Es ist nicht so schlimm, war dem alten Herrn nie recht. Was diesem gefiel, kam
lass’ mich nur machen!« Hans wie ein Verrath an der Kunst vor. Und diese ganze
Umgebung von verknöcherten alten Zahlenmenschen, ge-
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• . 1. schniegelten Commis, geschwätzigen Reisenden, die ihm bei
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jeder Gelegenheit freundliche Belehrung zu Theil werden
Hessen, von misstrauischen Verwandten, die ihm seine Sträf-
Spät Nachts brachte man Hans, der in bitterer Reue lingstellung zu fühlen gaben, so oft sie konnten!
seinem so thöricht verscherzten Glück nachdachte, einen Eines Tages hatte er eine Arbeit beendet, die er mit
Brief des Onkels! Er brach ihn mit fiebernden Händen auf ganz besonderem Fleiss durchgeführt. Herr Theodor Land-
und las: graf nannte sie albernes Zeug. Hans wurde heftig, der alte
»Ich habe Dir gesagt, dass Alles zwischen uns, zwischen Fabrikant beleidigend und als ihm der Maler die Arbeit
Grete und Dir zu Ende sei und würde davon kein Jota zurück- schliesslich zerrissen vor die Füsse warf, nannte ihn jener
nehmen, wenn nicht mein Kind auf den Knien Fürbitte für einen Tagedieb, der nie in seinem Leben auf einen grünen
Dich eingelegt hätte. Sie ist aus Kummer über Dein Ge- Zweig kommen werde!
bahren erkrankt und da habe ich es nicht über’s Herz bringen
können, ihr Flehen unerhört zu lassen. Du weisst nicht,
welchen Engel Du in ihr beleidigt hast und welches Mals
von Liebe sie für Dich hat. Ich Kann es nicht glauben, dass Da verlor Hans die Geduld und sagte, dass er nun seine
so viel Liebe und Güte Dir nicht zum Heile werden sollten Wege gehen werde. Er schrieb einen langen Brief an den
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1896 JUGEND Nr. 1 und 2
Onkel, worin er Alles klar legte und mittheilte, er wolle sich ragte das graue saubere Schieferdach über die Bäume her-
auf eigene Faust eine Existenz schaffen bis zu dem be- vor, da war das Gartengitter, über das blühender Goldregen
dungenen Termin. Dann überschlug er seine kleinen Er- und Flieder in Massen niederquoll.
sparnisse und den Rest seines mütterlichen Vermögens — es Vielleicht konnte er Margarete im Garten überraschen.
reichte bei ruhigem, anständigem Leben auf ein Jahr zur Fort- Richtig — ein lichtblaues Kleid! — Er schlich leise
setzung seiner Studien in Paris. Arbeiten hatte er jetzt gelernt. heran! Da kam sie bis nahe ans Gitter her und neben ihr
Seine Koffer waren bald gepackt: vierundzwanzig Stunden ging Ferdinand. Sie sprachen. Von ihm? Er konnte es ja
später stand er in seinem alten Atelier, das er für das hören. Den Athem anhaltend, lauschte er.
laufende Jahr noch voraus bezahlt hatte. Er fand Alles in
altem Zustand. In einer Ecke allerdings hatte der Concierge ---
r-r
ein kleines Depot von Zwiebeln angelegt und etwas Wäsche
war zum Trocknen über die Staffeleien gehängt. Sonst war
nichts verändert. Das Pastellbild der kleinen Nichette, halb »— und nun meine ich, liebe Margarete, Sie könnten
ausgewischt in der Erregung jener Abschiedsstunde stand mich mit gutem Gewissen endlich erhören. Sie haben lange
noch da, sogar die Cigaretten-Endchen lagen noch auf dem genug gewartet — und überdies, wenn er auch jetzt noch
Teppich, wohin sie das schöne Kind damals mit dem ihm käme, Sie wissen, wie der Vater dazu denkt.«
eigenen Ordnungssinn geworfen. Ein Seufzer antwortete; nicht sehr lang, nicht sehr tief!
Am nächsten Morgen fing Hans zu arbeiten an, jetzt »Ach, Ferdinand, ich weiss ja, wie gut Sie es mit mir
mit Ausdauer und wahrem Eifer! Seine Freunde erfuhren meinen! Und doch! Darf ich denn?«
kaum, dass er da war, für keinen tollen Streich war er mehr »Sie dürfen, gewiss Margarete, Sie dürfen! Hans hat
zu haben. Er fühlte mit jeden Tag, dass er vorwärts kam. bewiesen, dass er nicht so viel inneren Halt hat, dass Sie
Oft hätte er aufjubeln mögen vor Freude darüber! Noch Ihr Geschick in seine Hände legen könnten. Die Leiden-
ein halbes Jahr! Und dann mit dem Errungenen vor die schaft allein gibt uns keine Gewähr wahren Glückes. Dazu
Sittenrichter der Heimath hintreten und sagen: »Da seht! gehören doch Achtung und Vertrauen.«
Das bin ich, durch eigene Kraft! In Freiheit und nicht in »Ferdinand, Sie wissen, dass ich Ihnen Beides in un-
Sack und Asche!« Und dann das traute Weib heimführen, begrenztem Maasse zolle.«
das doch liebenswerther war, als alle dunkeläugigen Hetären »Darf ich das zu meinem Gunsten auslegen, Margareta?
von ganz Lutetia zusammen! Da hinten über dem Kirchendache geht eben der Stern der
Noch einmal streckte die Sünde ihre runden Armen nach Liebe auf. Soll es unser Stern sein? Geliebtes Mädchen —
ihm aus. Nichette kam eines Tages wieder in’s Atelier. darf ich jetzt mit Ihnen zu Ihrem Vater gehen?«
Schöner, voller, eleganter als früher. Aber ein Hauch von »Sie sind ein braver, ehrenhafter Mann! Ich will Ihnen
Schminke lag auf ihrem Gesichtchen und ihre Augen brannten ein treues Weib werden. — Gehen Sie zum Vater!«
heisser und unstäter als vordem. Erst plauderte sie, erzählte, Sie beugte ihr Köpfchen gegen seine Brust und er küsste
dass sie damals wirklich mit dem Russen gewesen und jetzt sie auf das reiche Haar.-
mit einem jungen Engländer sei: Hinter den Gaisblattranken, die das Gitter umzogen,
»Er ist so komisch! So lang, so blond und so mager!« schlug Einer eine helle Lache auf, dass die Zwei im Garten
Sie empfand nicht, dass Hans kaum im Stande war, den auf- erschrocken zusammenzuckten! Eine bekannte Stimme rief
richtigen Ekel zu verbergen, den ihre offenherzigen Bekennt, heiser vor Erregung:
nisse ihm einflössten. Auch ein paar Thränlein, die sie der »Ich habe es ja immer gesagt, dass das Stück keinen
Vergangenheit weihte, nahmen ihn nicht gefangen. Als er zeitgemässen Schluss hat. Der Herr Wolfram von Eschen-
ihre Zärtlichkeit so freundlich abwies, als es ihm möglich war, bach und die Elisabeth müssen sich heirathen — und sie
nannte sie ihn lachend einen Narren, der nicht verdiene, passen so schön zusammen! Ich gratulire!«
dass man nett mit ihm sei. Ein eiliger Tritt verklang auf dem Pflaster.
Sie gaben sich schliesslich das Versprechen, gute Kame- Fort war er. Auf Nimmerwiedersehen.
raden bleiben zu wollen. Das gibt man sich in solchen
Fällen stets, wenn man auf immer Abschied nimmt.
Wieder begann die Arbeit, die auch dafür gut war, das
Gefühl wachsender Unruhe zu übertäuben, das Hans jetzt
oft beschlich, weil der Onkel ihn nie einer Antwort auf jenen
Brief aus Elberfeld gewürdigt hatte. Und dann sagte er sich
auch wieder, dass er ein reines Gewissen habe und sich
nicht zu schämen brauche! Kam er nur erst mit einem Er-
folge nach Hause, dann musste ja Alles gut werden.
Und der Erfolg kam: eine Medaille im Salon! Nur die
zweite, aber doch eine Medaille.
Als der Spruch der Jury gefällt war, packte der Glück-
liche seinen Koffer und fuhr der Heimath zu, die Brust voll
von Hoffnung. Wie unbezwingliche Sehnsucht kam es über
ihn. Nach der Geliebten sehnte er sich, nach der Heimath,
selbst nach dem grollenden Onkel und dem tugendhaften
Freunde!
Nun rollte der Zug schon über die Rheinbrücke! Noch
ein paar Stunden — die Vaterstadt! Er Hess sein Gepäck
auf dem Bahnhofe und eilte zu Fuss durch die wohlbekannten
Gassen dem Hause zu, in dem er die Geliebte wusste. Da
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gewordenen Augen der Schwarzenauer. mehr. Die sassen alle schon wegen Ge- keinen Spazierstock, keine Sackuhren, die
Auch der Titian kostete harte Arbeit, aber fährdung der öffentlichen Moral im Ge- nicht ein geheimnissvolles Fach, ein Löch-
sie gelang; und seine ruhende Venus sah fängnisse. lein zum Durchgucken hatten. Und was
denn auch bald aus wie eine in Binden ge- Auch beim Baden wurde die weit- man da sah! Pfui Teufel!
wickelte Mumie. Einer herrlichen alten gehendste Angezogenheit vorgeschrieben, Es kann nicht verschwiegen werden:
Kölner Madonna, die das Jesuskind an die selbst für die Cabinen, nicht blos für’s Die ehemaligen Mitglieder der Sittencom-
Brust gelegt hatte, malte der Meister den Schwimmbassin. Die gewissenhafte Com- mission waren die eifrigsten Sammler.
Spalt im Kleide schön blau wieder zu und mission guckte durch alle Ritzen und Denn wenn der Löwe einmal Blut ge-
liess die heilige Frau ihr Kindlein mit der Schlüssellöcher und wehe dem, der in un- leckt hat.
Flasche stillen. So ging es weiter in jedem sittlichem Costüm betroffen ward. Nach-
Saal. Selbst das Viehzeug auf der Weide gerade kamen sich die Leute aber auch in
erhielt die nöthigen Retouchen und ein ihren Kleidern nackt vor und sahen sich Es ist nur ein Glück, dass Schwarzenau
mächtiger Stier von Paul Potter war mit gegenseitig daraufhin an und construirten örtlich und die Geschichte vom Fischreiter
einem Pinsel voll blauer Himmelsfarbe sich mit ihren Blicken unter den Kleider- und der Hofdame zeitlich uns so ferne liegt,
schnell zum Ochsen degradirt. Und so falten der Andern deren Gliederbau. so ferne! Ki-ki-ki.
fort mit Grazie! Immer weiter kam man so in der Sitt-
In der Skulpturengalerie war die Ar- lichkeit, immer neue Gebiete erschlossen
beit leicht. Man verhüllte alles Gefähr- sich ihren Bestrebungen. Schliesslich durf-
liche mit weissen Leintüchern. Als die ten auch die Fleischer ihre rosigen Hammel
Commission zum Revidiren kam, hoben die und Kälberviertel nicht mehr unverhüllt in
Herren hier und dort die meisten Falten die Auslagen hängen. Hunde und Pferde,
hoch und constatirten noch einmal, wie Stuhl- und Clavierbeine bekamen Hosen.
nothwendig die Verhüllung gewesen. Sie In den Theatern wurde eine strenge Gen
nahmen es genau mit ihrer Aufgabe. sur für die Costüme eingerichtet: selbst die
schöne Helena musste sich wie eine Herren-
Die öffentlichen Denkmäler in der Stadt huterin anziehen. Tricots durfte Niemand
waren auch schnell aptirt für die wieder- mehr tragen — ausgenommen die Ballet-
gewonnene Moral. Alle nackten Genien ratten der fürstlichen Oper, denn S. Durch-
bekamen so viel Palmzweige und Attri- laucht interessirten sich für die Kunst.
bute in die Hand, dass kein Stückchen Endlich war das Werk gethan.
überflüssigen Fleisches sichtbar blieb. Beim Hofball erstattete der Hofcaplan
Jetzt glaubte man, so ziemlich fertig der Dame Adelaide ausführlichen Bericht
zu sein. Da kam ein Brieflein an die Com- und überreichte ihr die Liste der ausge-
mission: sie sollten doch in den Kirchen tilgten Nacktheiten, sauber gedruckt und
einmal gründlich nachsehen, dort sei aller- für die Mitglieder der Commission mit
hand zu finden, was die tapferen Forscher reichlichen Kupfern versehen. Dieser Ka-
angehe. Und — siehe da — es war so! talog enthielt 4785 Nummern. Die Hof-
dame athmete befriedigt auf und ihr Busen
Da gaukelten um Kanzeln und Altäre, wogte in freudiger Erregung. Man konnte
um Friese und Gewölbzwickel nackte Engel das genau wahrnehmen, denn ihr Kleid
und Englein in hellen Schaaren, da standen war ausgeschnitten bis zur 7. Rippe. Und
heilige Sebastiane von Pfeilen durchbohrt alle Damen rings umher waren ähnlich
und an allen Ecken und Enden andere angethan, theils mit, theils ohne Grund, auf
Märtyrer, die nicht viel mehr anhatten, dem Hofballe zu Schwarzenau, der Metro-
als ihren Heiligenschein, da nährten heilige pole der Sittlichkeit.
Mütter wie jene in der Gemäldegallerie
ihre Bambini mit der Nahrung, die der Das Werk also war vollendet! Welch’
liebe Gott den Neugeborenen bestimmt hat. ein Glück für die Stadt, dass das Fräulein
Im Dom stand ein Sankt Borromäus, der Adelaide von der Zipf früher so lustig
war nackter als nackt, denn er hatte sogar gelebt hatte!
die Haut ausgezogen und trug sie wie einen Denn sonst hätte sie am Ende gar nicht
Plaid über dem Arme. Der musste nun gemerkt, dass der Bube auf dem Delphin
zweimal angezogen werden, zuerst in eine
Haut, dann in einen Mantel. In einer alten
nackt und ein so grosses Aergerniss war;
der Bronzebrunnen hätte immer so weiter
(9 e.. L.oc/.'C /
Votivkirche fanden sie nach Hunderten Seelen vergiftet eine nach der andern und
Täfelchen mit den entsetzlichsten Schil- die andern Nuditäten wären auch nicht aus-
dereien; denn die Leute hatten sich dem gespürt und aus der Weit geschafft worden!
Patron der Kapelle in allen erdenklichen
Nöthen versprochen und selbige sauber ab- In Wahrheit sind die Schwarzenauer
malen lassen. Das wurde summarisch be- freilich nicht besser geworden. Im nächsten Sprüche des Konfusius.
handelt. Man schüttete die Täflein auf Jahre gab’s dort genau so viel Wickelkinder
einen Haufen und lustig prasselten die ohne Väter und Frauen ohne Männer, wie Wenn Dich eine Mücke sticht, darfst
Flammen aus dem ausgedörrten Holzwerk vorher. Es wurden noch um etliche Jüng- Du sie umbringen; wenn Dich ein Elephant
und die Gassenbuben tanzten um den ferlein mehr verführt, die Giftmorde und
Scheiterhaufen. Auch die vielen wächsernen anderen Schandthaten aus Eifersucht nah- tritt, musst Du ihn um Verzeihung bitten!
Glieder, die in der Kirche hingen, konnten men auch nicht ab und die Ehe ward auch
nicht so bleiben, denn die Arme hatten nicht von mehr Leuten heilig gehalten, als *
keine Aermel und die Beine keine Hosen
an. Man schmolz sie ein und machte Altar-
sonst. Auch an Putzwuth und Gefallsucht Sprich stets, wie Du denkst; nicht
ward keine Abminderung verspürt. Mäd- Du deshalb hinausge-
kerzen daraus. Der Küster that sich auch chenjäger, Mitgiftspekulanten und Heirats- jedesmal wirst
etliche Pfund auf die Seite für den Haus- schwindler trieben ihr Gewerbe blühender worfen werden!
gebrauch. als je. Und eine neue Art von Delikten kam £
Und Schwarzenau war, wenigstens nach dazu. Es mussten Viele bestraft werden Wenn die Rosen keine Dornen hätten,
der Aussenseite hin, die keuscheste Stadt wegen heimlicher Verbreitung bedenklicher wären sie mit einer Zunge bewaffnet.
von der Welt geworden. Bis herab zu den Bilder und Schriften. Das Geschäft warf
Pfefferkuchenfiguren hatte der Bekleidungs- jetzt reichen Gewinn ab. Ganz andere
drang gewüthet und der Lebzelter verzierte Dinge, als die, die man verboten oder ver-
seine berühmte Gruppe „Adam und Eva“ kleistert hatte, kamen im Stillen in Um- Wohlthun bringt Zinsen; Nichtsthun
mit schöner Toilette aus Zuckerguss. In lauf. Da gab es bald kein Dös’chen mehr,
das nicht zum Abschrauben war, kein Käst- au sserdem noch Dividenden.
keinem Bilderladen gab es mehr was Nack- B. Rauchenegger.
tes; es gab überhaupt keine Bilderhändler chen ohne doppelten Boden, keine Pfeife,
2Z
Nr. 1 und 2 JUGEND 1896
Der Rechte höchstes ist die Pflicht; Die Frau ist am Schönsten, wenn sie liebt;
zugleich das einzige Recht, auf dessen Aus- der Mann, wenn er für eine gerechte Sache
übung zu verzichten wir kein Recht haben. oder eine neue Idee begeistert ist. So wenigstens
scheint es uns Männern, ■—- möglich, dass es
„Man kann nicht zu gleicher Zeit im Frauen gibt, die umgekehrt urtheilen.
hohen Rathe Mäcenas und daheim Dio-
genes sein.“ Dieser Ausspruch ist mir übel
Wohl dem, der nebst gutem Gewissen einen
vermerkt worden, als Hohn auf die Armuth.
Wie mich das schmerzt! Ich wollte damit nur gesunden und kräftigen Leib hat. Denn im
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1896
JUGEND Nr. 1 und 2
Nr. 1 und 2 . JUGEND . 1896
. X.D
Ein Orakel. Nobile Trifolium. Orterer Angesicht — Ist wirklich nicht schwer
zu erkennen! —Wer’s einmal nur photographirt
Früher Lieutenant der Husaren, Abbü, Marquise und Marquis — geseh’n — Der muss es auf immer behalten
Jetzo Fürst von den Bulgaren, Gibt's noch ein Kleeblatt so wie sie?
— Es steht ja das ganze Centrumsprogramm
Sitzt der arme Ferdinand, Vertragen die sich nicht — fürwahr — In seinen verkniffenen Falten!
Sohn der Fürstin Clementine, Erscheint’s dem Weisen wunderbar!
55
Trüb, mit langer Nas’ und Miene Sonst pflegt sich fröhlich zu vertragen
In dem neuen Vaterland. Das Pack, sobald es sich geschlagen. Gross und mächtig ist der Zar aller
Versöhnen werden sich auch diese, Reussen! Unumschränkt gebeut er über
War’ ja schön sich Fürst zu nennen, Menschen, Thiere und Bauern seines weiten
Marquis, Abbü und Frau Marquise. Reiches und er hat kein Gesetz über sich.
Aber freilich — anerkennen
Was war denn weiter auch dabei? Jeder im Lande gehorcht dem leisesten
Müsst’ ihn erst die schnöde Welt!
Ein Bis’chen Heu- und Meuchelei, Wink seiner Brauen, Jedem ist des Herren
Und da hat man ihm gerathen: Wunsch Befehl. Bios Einer thut — und
Ein Bis’chen Meineid und Betrügen,
»Nimm Dir halt den Zar als Pathen, manchmal dem Beherrscher aller Reussen
Auf allen Seiten viele Lügen, zum Trotz — auch in Russland, was ihm
Dann ist Alles wohlbestellt!«
Pikante Spuren alter Sünden gutdünkt — der Klapperstorch!
Angethan in Purpurwindel — Und neuer Sünden (kaum zu künden),
Welch’ ein allerliebstes Kindel! — Ein Schielen nach des Nächsten Frau Als dem verhafteten Aaron (auch Arton
Liegt der Erbprinz in der Box; Und ihrem Geld — jesuitisch schlau, genannt) der Polizeicommissär sein Notiz-
Und der Vater rauft die Haare: buch abnahm, fand er darinnen eine lange
Viel Frömmelei, infames Hetzen Reihe Namen von französischen Abgeord-
»Welcher Glaube ist der wahre — Und Vieles noch, was den Gesetzen neten, Beamten und Senatoren aufgeschrie-
Römisch oder orthodox?« Zuwiderhandelt des Gerichts — ben. „Was sind das für Namen?“ fragte
Von Allem etwas — weiter nichts! strenge der Commissär. — „Ach, das sind
»Lass’ ich ihn auf’s Neue taufen, Sammelvermerke!“ erwiderte der brave
Mir des Zaren Gunst zu kaufen?« Nun ist’s vorbei, des Lebens froh Aaron. „Ich bin Lumpensammler.“
Ruft der Herrscher zweifelnd aus — Sind Nayve’s jetzt und Rosselot.
»Trau der Kukuk diesen Tröpfen!« Und hoffentlich wird dann auch schleunig Im ehemaligen Reichstagsge-
Und er zählt an seinen Knöpfen: Die schöne Trias wieder einig. bäude in Berlin ist jetzt eine Barbier-
»Boris oder Nikolaus?« Nun deckt der Nächstenliebe Schleier stube etablirt — man sagt es sei nicht
Auf die vergangenen Abenteuer
schön vom Fiskus, dass er um ein paar
»Ein Orakel sollst Du fragen —« lumpige Tausender den ehrwürdigen Bau
Und heiter sitzen beim Cafe für so was hergibt! Aber im Grunde ist
Hört er eine Stimme sagen — Marquis, Marquise und Abbe! dem Haus das Metier doch nicht so fremd.
»Diese Windel, blüthenrein, Hier hat der deutsche Michel sich schon so
Sei um Deinen holden Jungen 85 manchem Aderlass unterziehen müssen,
Zehn Minuten lang geschlungen, hier wurde mancher brave Zopf geflochten,
Und dann blickt getrost hinein!
Schrecklich! j hier hat so mancher Volksbeglücker seine
Jüngst ist ein empörendes Faktum ge-
Wähler gründlich über den Löffel bar-
Blieb das Linnen ohne Makel, biert, hier wurde gar oft eine Menge
scheh’n — Am Bahnhofperron zu München, — lauschender Hörer von gewandten Diplo-
Spricht bejahend das Orakel Das lässt sich mit matter Entschuldigung — matenhänden gründlich eingeseift, hier
Und der Pope hat das Wort; Nachträglich nicht übertünchen! — Sie haben sind oft die heterogensten Dinge über
Lest ihr And’res aus dem Kissen, den Doktor Orterer — Belästigt mit kecken einen Kamm geschoren worden und
Will der Prinz davon nichts wissen Mancher hat hier Haare gelassen, der
Fragen, — Sie Hessen den grossen Centrums- es unternahm, sich mit einem Stärkeren
Und man jagt den Popen fort!« mann — Nicht ohne Fahrschein zum Wagen! ' zu — „kampeln“.
So geschieht’s. Man harrt mit Bangen, — Man werfe die ganze Verkehrsdirektion —
Bis die Wartezeit vergangen, Mit faulen Aepfeln und Eiern! — Ihr Personal Das Durchschnitts-Einkommen der
Was das Schicksal künden lässt? erkennt nicht einmal — Den Rektor aller Bayern! preussischen Volksschullehrer soll auf
jährlich 900 Mark „hinaufgeschraubt“ wer-
Und mit aufgeregtem Schnaufen — Der Mann, der’s verstand, von der Oppo- den? Wenn aber das rapide Steigen ihres
Kommt die Kinderfrau gelaufen: sition — Wie Keiner zu profitiren — Er musste Einkommens die preussischen Volksschul-
»Euer Durchlaucht, ein Protest!« sich erst vor dem Condukteur — Als Fahrgast lehrer zu Prass, Völlerei, Börsenspiel und
anderen Lastern verführt — wehe der künf-
legitimiren. — Mit tödtlich beleidigtem Selbst-
K gefühl — Erfüllt von grimmigem Hasse — Be-
tigen Generation der preussischen Jugend!
SXT
Die französischen Parlamentarier müssen stieg er mit seinem Freibillet — Dann grollend In Dingsda feierte die 9jährige Klavier-
die erste Klasse. — Von der alten National- virtuosin Bronislawa Meierfrau ihr zehn-
doch ihr Geld werth sein — sonst krankheit — Ist wieder ein Fall zu melden — jähriges Jubiläum als Wunderkind.
hätten die Herren Panamisten sie nicht Diejubilarin wurde mit Lorbeer und Blumen
Das liebe germanische Vaterland — Misskennt überschüttet.
gekauft. seinen grössten Helden! — So ist es dem Fürsten
Bismarck passirt — Von Seiten gewisser Leute In Wien hat sich ein Greis von etlichen
Herr Bourgeois kennt keinen Scherz, Und jetzt ist dem bayerischen Centrumspapst zwanzig Jahren eine Kugel durch den Kopf
Schon hat er den Aaron fangen lassen Geschehen das Nämliche heute. — Man gejagt — als Grund gab er an: aus langer
Weile. Zu bescheiden; er hat wohl eigent-
Am Ende fasst er sich doch noch das Herz, wage die That am Bahnhofperron — Nur ja lich schreiben wollen: aus Rücksicht
Den Herz zu fassen? nicht entschuldbar zu nennen — Des Doktor auf meine Mitmenschen.
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1896
- JUGEND . Nr. 1 und 2
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Nr. 1 und 2 JUGEND 1896
52
Inseraten-Annahme Insertions-Gebühren
1896
JUGEND
durch alle Annoncen-Expeditionen für die
sowie durch
4gesp3.lt. Colonelzeile oder deren
G. Hirth’s Verlag in München No. 1 & 2 Raum M. i.—.
und Leipzig.
HIRTH’S
FORMENSCHATZ.
Eine Quelle der Belehrung und Anregung
für Künstler und Gewerbetreibende.
Jährlich 12 Hefte ä 16 Tafeln hoch 4°. — Preis per Heft Mk, 1.25.
Jahrgang 1877—1895 mit ca. 3 500 Blättern in Cartonmappe
M. 275, in Leinwandmappe M. 31$, in eieg. Halbfranzband
gebd. M. 341.50.
Jahrgang 1877 und 1878 (Formenschatz der Renaissance)
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Jahrgang 1879—1895 in Cartonmappe je M. 15.—, gebunden
— C’est egal, ma Alle, vous je M. 18.50.
pouvez vous variier d’avoir pro- Jede Serie selbständig mit erläuterndem Text.
fite ä mon Service. Avant, vous Das Werk wird fortgesetzt; auch das bisher Erschienene kann
aviez de la mauvaise graisse. nach und nach bezogen werden.
A present, vous etes tout nerfs. (Einzelne Tafeln werden nicht apart abgegeben.)
(»Rire«, Paris.)
„Hirth’s Formenschatz“ ist 111 Wirklichkeit ein Schatz
für jeden Besitzer des Werkes. Das ganze Werk bietet etwa
3500 Blätter. Sie reichen geschichtlich von der alten Welt bis
zum Beginn des gegenwärtigen Jahrhunderts. Bestimmt, eine
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Quelle der Belehrung und Anregung für Künstler und Ge-
werbetreibende zu sein, erfüllt das Werk seine Aufgabe in
einer Weise, dass es sozusagen auf keine Frage die Antwort
schuldig bleibt. Die Benützung des Werkes wird durch sorg-
V' fältige Register erleichtert. Das Werk ist international. Was
der Herausgeber bei irgend einer der Kulturnationen Werth-
volles findet, wird benützt. Dem Werke kann eine grössere
Empfehlung auf seinem Weg nicht mitgegeben werden als
der Hinweis auf seinen riesigen Umfang und seine erfreuliche
Verbreitung.
(Schwab. Merkur, Stuttgart.)
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Nr. 1 und 2 JUGEND 1896
>. . . . Das Buch ist die Frucht einer reichen Erfahrung und
eines umfangreichen Studiums. Hat doch der Autor die hier vor-
getragenen Anschauungen und Grundsätze alle selbst probirt. Man
braucht bloss die Abbildung der Saalpartie in seinem Hause zu
München anzuschauen, um sich darüber klar zu werden, dass wir
es hier mit einem Fachmann ersten Ranges zu thun haben, der
seine Lehren und Grundsätze zuerst bei sich erprobt und richtig
befunden hat.
Wie der „Formenschatz“ zur Kunst pflege im ganzen
deutschen Volke, so fordert das Deutsche Zimmer
zur Kunstpflege im eigenen Hause auf; ers I er es ist
ein Volksbuch, letzteres ein Haus- und Familien-
buch, beide aber verfolgen das gemeinsame Ziel,
die Pracht und Herrlichkeit der alten Kunst zu ver-
stehen und wiederzugewinnen.«
(Prof. Dr. Stockbauer in »Bayer. Gew.-Zeitung« 1890 No. 4.)
Saalpartie in dera Hause Georg Hirth’s zu München.
Das Buch eignet sich besonders als Fest- u. Gelegenheitsgeschenk für Verlobte, Neuvermählte, xu Weihnachten etc. :
Meister-Holzschnitte
aus vier Jahrhunderten.
Herausgegeben von
Georg Hirth und Richard Muther.
Französische Ausgabe unter dem Titel:
QUATRE SIECLES DE GRAVÜRE SUR BOIS.
Complet in Cartonmappe Mk. 40. — , in Halbfranzband
geh. Mk. 50.—.
(Der frühere Subscriptionspreis 10 Lieferungen ä Mk. 3.50 ist erloschen.
Einzelne Blätter werden nicht apart abgegeben.)
Die Sammlung enthält 120 Tafeln in einfachem, und 33 Tafeln
in Doppelformat auf Büttenpapier, mit erläuterndem Text.
J^ünchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben. — G. Hirth’s Verlag in München & Leip:
Nr. 3 1896
'S ■Itti'iiCl
Im Sachsenwalde, da lebt ein Mann, Gesä’t? In der Deutschen Herzen Gru.id Gemalt? Ein funkelndes Wappenbild,
Der Alles weiss und der Alles kann, Hat er gelegt für den neuen Bund, Das heute vor jedem anderen Schild
Ist klüger als Tausend zusammen: Den Samen nie welkender Treue! Hindräut über Länder und Meere!
Er hat geschneidert und hat genäht, Die Saat ward mit heiligem Blut genetzt, Gereimt? Jawohl: für das alte Lied
Er hat gedroschen, er hat gesä’t, Dass nie sie ein tückischer Wurm verletzt Von schmählicher Zwietracht, die Deutsch-
Geschmiedet in sprühenden Flammen! Und sie immer erblühe auf’s Neue. land schied,
Das Lied von der Eintracht und Ehre.
Er hat gewebt und er hat gefärbt, Geschmiedet? — Jawohl: ein Nothung-
Er hat gemünzt und er hat gegerbt, schwert Gar trübe sah’s aus vor dem grossen Jahr,
Er wusste zu mauern, zu zimmern, Dem Arme, den erst kaum ein Stecken Es waren dem herrlichen Kaiseraar
Er hat gemalt und er hat gereimt bewehrt — Gebrochen Schwingen und Klauen;
Und kunstreich wieder zusammengeleimt, Und wie hat die Klinge gepfiffen! Die Krone die sank ihm vom stolzen
Was morsch war und elend in Trümmern. Begeisterung gab ihm für’s Eisen die Gluth Haupt —
Und am stahlharten Teutonenmuth Und frevelnde Hände hatten geraubt
Hat er die Schneide geschliffen! Die schönsten der rheinischen Gauen!
Gezimmert? — Jawohl: einen stolzen
Thurm,
Dem schadet kein Feuer, den fällt kein Sturm, Gewebt? Ja, ein unzerreissbar Band Und weil unsern Bismarck die Noth be-
Ob Wind ihn und Wölfe umheulen! Und mit gewaltiger Meisterhand drückt,
Gemauert? — Jawohl: und mit Eisen Verknüpft den Süden und Norden! D’rum hat er den Leimtopf an’s Feuer ge-
und Blut Gefärbt? Mit köstlichem Purpurroth rückt;'
Die Steine verbunden! Der Bau ist gut, Den Kaisermantel, der in der Noth An glühender Herzen Flammen,
Er gründet auf ehernen Säulen. Der Zeiten schäbig geworden! Da kochte er sich einen festen Kitt
Und rührte ihn brav und leimte damit
Geschneidert? — Jawohl: ein bräut- Den Aar und die Lande zusammen!
Gemünzt? Der Vaterlandsliebe Erz,
lich Kleid Das tief erfüllte des Volkes Herz,
Germania, seiner geliebten Maid, Doch von Schutt und von Schlacken um- Ein Vierteljahrhundert hält es schon
Statt der alten, buntscheckigen Flicken! woben ! Und nirgend erblickt man die Spur davon,
Gedroschen? — Jawohl auf der Feinde Lang wussten sie nicht, wie reich sie Dass es nicht auf immer sollt’ halten!
Haupt, sei’n — Und wer nur im Lande sein Handwerk kann,
Die uns die Ehr’ und den Frieden geraubt! Da leuchtete er mit der Fackel drein Der sieht das Werk mit Bewund’rung an
Gegerbt? Manch’ bübischen Rücken! Und der herrliche Hort war gehoben! Und segnet den herrlichen Alten!
So lange Ihr Ihn zum Vorbild wählt, Die Gläser herbei — und das Beste hinein!
Ist’s nimmer um guten Rath gefehlt Und donnert es laut über Weichsel und Rhein,
Im Reiche germanischer Geister: Dass Fenster und Wände beben:
Und heute ist just der rechte Tag, Der Held, der die Deutschen des Fürchtens entwöhnt,
Dass man sein in Ehren gedenken mag, Und der uns in Wälschland den Kaiser gekrönt,
Der aller Künste ist Meister! Der alte Bismarck soll leben! F. v. O.
3S
1896 JUGEND Nr. 3
39
Nr. 3 JUGEND 1896
In drei mächtigen Armeen zogen wir Deutsche an unsere »Franzosen sind’s, vom Korps Frossard, sorglos, denn
Westgrenze. Steinmetz mit der ersten und Prinz Friedrich sie halten den rothen Berg für unerstürmbar.«
Carl mit der zweiten sammelten sich an der Saar. Preussens Wenige Stunden später haben Rheinpreussen und West-
Kronprinz mit der dritten in der Rheinpfalz. falen in glühender Hitze die Höhen erstiegen, die französische
Man glaubte die Franzosen längst gerüstet. Sie haben Uebermacht geschlagen, den Feind in die Flucht gejagt.
nur aus Saarbrücken die kleine tapfere Garnison kurze Zeit Nun den Franzosen nach auf Metz!
verdrängt. Weiter kamen sie nicht vor. Es fehlte ihnen noch Bazaine hatte gewaltigen Vorsprung, Ob er entkommt?
an Allem. »Den Feind aufhalten, wo es geht; ihm westlich zuvor-
Wir aber standen am 4. August vollkommen bereit an kommen ; ihn in Metz einschliessen war das Ziel der Deutschen.
der Grenze und griffen natürlich sofort an. Die Bayern Hart- Es wurde marschiert wie toll.
mann’s stürmten auf Weissenburg. Turko und Zuaven wehrten Am 14. August erreichte man sie wieder.
den Marsch. Erschlagen blieben viele von ihnen liegen; der Bei Colombey Nouilly biss Steinmetz mit seinen West-
Rest entfloh. falen und Ostpreussen an.
Nun liess der Kronprinz die Preussen Kirchbach’s und Ging schwer genug. Aber es half.
Bose’s den Gaisberg angreifen. Hart und blutig war die Auf- Bazaine liess sich aufhalten, und dadurch fand die zweite
gabe. Aber sie gelang. deutsche Armee Zeit, Metz südlich zu umgehen. Am 16. wollte
Unterdessen hatten die Bayern Weissenburg selbst er- Bazaine westwärts abmarschiren. Plötzlich stürmten ihm die
obert — der erste Sieg war erfochten, gemeinsam vergossenes Brandenburger in die Flanke, und wie!
Blut hatte die Waffenbrüderschaft von Preussen und Bayern Alles setzten sie ein!
gekittet. Der Rest der geschlagenen feindlichen Division floh Diese braven Truppen, die Vionville eroberten! Diese
gegen Wörth. Dort stand Mac Mahon mit seinem Korps. todesmuthigen Reiter Bredows, die sich opferten! Und doch
Am 6. August stiess die dritte deutsche Armee auf diesen wäre es umsonst gewesen ohne die Hannoveraner. Die setzten
Feind. Beim V. preussischen Korps gings an. Vorpostenkämpfe. den letzten Athemzug daran. Sie kamen rechtzeitig, stürmten
Das II. bayerische wollte die Kameraden unterstützen. — und der Feind wich nach Metz zurück.
»Vor über die Sauer! Hurrah! Drauf!« Zwei Tage später versuchte es Bazaine zum zweiten
Das war zu früh; sie mussten zurück. Male mit seiner ganzen Armee.
Nun stürmten die preussischen Schlesier vor, den Bayern Nun stand aber Friedrich Carl bereit.
zu helfen. Bei Gravelotte begann das Wüthen, Westfalen und Rhein-
So Stands, als der Kronprinz kam. länder gegen fast uneinnehmbare, stark besetzte Stellungen.
Der sah sich um und sprach: »Es geht. Alle Reserven Das kostete entsetzlich Blut.
heran, und vorwärts!« Links davon Schleswigholsteiner gegen Amanvillers, ein
Wie griffen da Preussen, Bayern und Württemberger an! langes hartes Ringen.
Der Gegner wehrte sich wüthend. Half ihm nichts. Der Hauptkampf aber war nördlich bei St. Privat. Dort
Seine Infanterie wich; seine Artillerie war zusammengeschos- wollte Bazaine um jeden Preis durch. Dort aber haben Garden
sen, seine Reiterei fast ganz vernichtet. Gemeinsam haben und Sachsen ihn gepackt und sind über das freie Feld vor-
wir Eisasshausen und Fröschweiler erstürmt, Mac Mahons gegangen, trotzdem Tausende und Abertausende dem Feindes-
Armee war zerschmettert. blei erlagen, und haben gestürmt und wieder gestürmt, bis
Jetzt lag der Weg frei; die dritte deutsche Armee rückte wirklich — fast war die Kraft zu Ende — der rechte fran-
unaufhaltsam durch die Vogesen in das Herz Frankreichs vor. zösische Flügel geworfen, der Sieg errungen wurde.
Am Tage von Wörth überschritten auch die Vortruppen Nun griffen unten bei Gravelotte noch die Pommern
der ersten und zweiten deutschen Armee die Grenze. ein und brachten auch dort den heiss ersehnten Entscheid.
»Wer steht auf den Höhen von Spichern?« Damit war die Armee Bazaines endgültig nach Metz geworfen.
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1896 - JUGEND Nr. 3
Eine langwierige, unendlich mühevolle Cernirung begann. Sachsen und Garden rechts, die Bayern Hartmann’s, Thüringer,
Bei Regen und Kälte, unter den grössten Strapazen hielten die Hessen und Niederschlesier links ihn völlig umfassen und
Preussen Metz umfasst. ihn sogar von der nahen belgischen Grenze abdrängen. Dann
Einige französische Durchbruchsversuche waren ver- geht’s von allen Seiten drauf, ein Kesseltreiben sondergleichen,
gebens. Am 27. Oktober erlag die bis dahin unbesiegte und trotz tapferster Gegenwehr ist Abends die französische
Festung. Metz ward wieder deutsch. Armee zusammengetrieben, umzingelt, zerschmettert, zer-
Des Kronprinzen Armee rückte unterdessen westwärts vor. schlagen, rettungslos verloren.
Hinter ihr belagerte Werder die Festung Strassburg. In der Nacht wird verhandelt.
Mit viel Eisen und Blei ward um die spröde Maid geworben. Moltke und Bismarck beweisen den französischen Ge-
Am 28. September gab sie sich. neralen, dass es kein Heil mehr gibt. Da fügen sie sich.
Auch Strassburg ward nun wieder deutsch. Die ganze französische Armee, und mit ihr der Kaiser, ist
Der Kronprinz kam bis Barle Duc. Plötzlich hiess es: gefangen und wird nach Deutschland gebracht. Dieser ge-
»Mac Mahon hat Chälons verlassen. Er will Metz befreien.« waltige Schlag warf den Thron der Napoleoniden um; Frank-
Nun hat Moltke sein Meisterwerk geschaffen. reich erklärte sich als Republik.
Im Nu bog die dritte deutsche Armee nordwärts ab, Wir dachten an Frieden, die Feinde noch nicht.
den Franzosen den Weg zu verlegen. Gut; also vorwärts nach Paris!
Tag und Nacht wurde marschiert. Am 30. August war Beide Kronprinzen rückten mit ihren Armeen westwärts
es gelungen. weiter. Am 19. September hatte die dritte Armee die Süd-
Die Gegner ahnten nichts. Sie lagerten bei Beaumont. hälfte, die Maasarmee die Nordhälfte der feindlichen Haupt-
Plötzlich regnet es Granaten, deutsche Granaten. Magde- stadt eingeschlossen. Dabei gab’s manchen harten Strauss.
burger und Bayern stürzen die Höhen herab. Diese Lawine Half den Franzosen aber nichts. In kurzer Zeit zog sich ein
erschlägt, was nicht flieht; die Sachsen stossen nach; ein undurchdringlicher Gürtel von befestigten Stellungen um Paris,
Korps Mac Mahon’s ist vernichtet. Er weicht auf Sedan. Dort und alle Versuche, ihn zu durchstossen, scheiterten an der
^ill er einen Tag rasten. Aber Moltke spinnt die Fäden; die tapferen deutschen Gegenwehr.
Truppen marschieren, marschieren. So dauerte es Monate.
Von Metz her ist Sachsens Kronprinz mit drei Korps Die deutschen Truppen Hessen die belagerten Pariser
gekommen, von Süden führte Preussens Kronprinz die dritte nicht aus der Falle, und wenn sie es doch versuchten, wie
Armee heran. bei Bagneux, Malmaison, Le Bourget und Villiers, dann schlugen
Am 1. September geht’s los. jene so kräftig zu, dass die Anderen trotz ihres verzweifelten
Die Bayern Tann s greifen bei Bazeilles an. Ein fürchter- Muthes zum Rückzug gezwungen waren. Freilich aus mancher
liches Ringen entsteht. Aber es hält den Gegner, bis die Wunde floss auch das Blut der braven Belagerer.
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Nr. 3 JUGEND 1896
Die Tage von Le Bourget haben unseren Garden derb zu- herbe’s, Gewehr bei Fuss; im Südosten trieb Manteuffel mit
gesetzt und das dreitägige Ringen um Villiers schlug tiefe Risse den Pommern und der Werder’schen Armee die Franzosen
in die sächsischen, württembergischen und preussischen Li- Bourbaki’s über Pontarlier in die Schweiz.
nien. Aber es lohnte sich herrlich, denn nicht ein einziger So endete der grosse Krieg.
Durchbruch der Pariser gelang. Am 1. März zogen wir triumphierend in Paris ein; am
Nun versuchten es die Provinzen, die bedrängte Haupt- 2. wurden die Friedenspräliminarien unterschrieben.
stadt zu retten. Gambetta organisirte die allgemeine National- Wir haben von 1,113,254 nach Frankreich ausmarschier-
vertheidigung, den Volkskrieg. ten Deutschen 129,700 Mann verloren,
Zuerst rückte eine Armee im Oktober von der Loire vor. Dagegen 383,841 Franzosen gefangen,
Sie gerieth unter die Fäuste der Bayern von der Tanns und 107 Fahnen,
der Thüringer. Orleans ward von Tann erobert; die erste 7,441 Geschütze erobert,
französische Loirearmee hatte aufgehört zu existieren. Un- 5 Milliarden erhalten.
ermüdlich stampfte Gambetta neue Massen aus dem Boden. Die Hauptsache aber war:
Vor diesen musste Tann eine kurze Strecke weichen. Jetzt »Eisass und Lothringen sind wieder deutsch, und wir
kam der Mecklenburger Grossherzog mit seinen Landeskin- haben, was wir so lange ersehnten, einen Kaiser und ein
dern und den Hanseaten den Bayern zu Hilfe, und die Thürin- einiges deutsches Reich.
ger griffen wieder ein. Hurrah !
In harten Kämpfen, unter unglaublichen Strapazen wies
diese tapfere Armeeabtheilung alle Vorstösse der feindlichen
Uebermacht zurück.
Unterdessen rückte Prinz Friedrich Carl mit der zweiten
Armee von Metz heran. Der fasste die Franzosen im Osten.
Bei Beatme la Rolande hat er sie so erschüttert, dass ihnen dort
die Lust zu weiterem Vordringen verging.
Nun marschierte der Mecklenburger abermals gegen Or-
leans vor. Schlacht auf Schlacht — Loigny etc. — folgte,
blut- und leichenbedeckte Schnee- und Eisfelder bezeichneten
den Weg. Aber es gelang.
Orleans wurde von Tann’s Bayern, von Mecklenburgern,
Hanseaten, Thüringern und Preussen zum zweiten Male er-
obert. Abschied.
Und doch hatten die Franzosen noch nicht genug. Chanzy
Scherzend sagt' ich deinen Lippen
drang mit neuen Massen vor. Zuerst zerschellte er aber am
Lebewohl zum letzten Mal,
Widerstand der Deutschen, des Mecklenburgers bei Beaugency
Aber tobend an die Rippen
Cravant. Und dann kam Prinz Friedrich Carl über ihn, warf
Schlug das Herz in stummer Qual.
ihn gegen die Sarthe zurück und machte mit seinen Branden-
burgern, Hannoveranern und Schleswigholsteinern in der Deiner Augen Todesleuchten
dreitägigen blutigen Schlacht bei Le Mans ihm den Garaus. Glänzte wie aus andrer Welt.
Wer diesen Winterfeldzug an der Loire und Sarthe mit- Manchmal sah ich solches Leuchten —
gemacht, vergisst ihn nie. Er war die schwerste Aufgabe Wenn ein Stern vom Himmel fällt.
des ganzen Krieges.
Auch die französischen Nordprovinzen wollten der Haupt-
stadt beistehen. Faidherbe zog über Hamm südwärts. Er stiess
*
auf Goebens Ostpreussen und Rheinländer und wurde an der
Hallue am 23. und 24. Dezember gründlich geschlagen. Vorbei.
Noch immer gab Gambetta nicht nach. Er trieb im Süd- Das Donnerwetter im Herzen
osten um Dijon neue Massen zusammen. Bourbaki sollte mit
Hat ausgegrollt;
ihnen hinter den deutschen Armeen in Deutschland selbst
Von der Wimper die letzte
einfallen, Garibaldi mit der Vogesenarmee ihm die Flanke Zornige Zähre rollt.
decken. Das war kühn erdacht und unternommen, scheiterte
aber gänzlich an der zähen, todesmuthigen Gegenwehr der Schon wehen kühle Gedanken
Badenser und übrigen Deutschen Werder’s, die bei Villersexel Wie Morgenlüfte her;
und an der Lisaine leisteten, was menschenmöglich war. Wenn wir uns Wiedersehen
Nun blieb Paris sich selbst überlassen; es musste fallen. Ich kenn' dich nicht mehr.
Als äusserstes Druckmittel hatte man mit der Beschiess- ALBERT MATTHAEI.
ung der französischen Hauptstadt begonnen. Dies und der
täglich zunehmende Mangel veranlassten die tapferen Ver-
theidiger zum letzten Versuch. Beim Mont Valerien fielen
100,000 Mann aus und wurden am 19. Januar 1871 durch
Niederschlesier gründlich geschlagen.
Am 18. erstand in Versailles der deutsche Kaiserthron.
Am 28. kapitulierte Paris.
In den Provinzen fiel eine Festung nach der andern in
deutsche Hände; im Süden, Westen und Norden standen
entmuthigt die Trümmer der Armeen Chanzy’s und Faid-
42
1896 JUGEND Nr. 3
\ 43
Nr. 3 Soll
Nach uns von dem bewährten Volksbeglücker Schrullenberger zur Verfügung gestellten Entwürfen hat der Zeichner hier
dargestellt, wie es den Soldaten während ihrer Dienstzeit eigentlich ergehen müsste in der Instruktionsstunde, bei
dem in eine Art von Anschauungsunterricht verwandelten Exerzieren, im Mannschaftscasino, auf dem Marsche, in den
Erholungsstunden und im Arrest — wenn dieser nicht besser ganz abgeschafft wird.
44
Haben 1896
Wie nach
Militär den durchaus
wirkliVh glaubwürdigen Schilderungen
kIu « gmuuwuiuigen des besagten
^ci *-~b^krasse
^icrrn Herrn Schrullenberger
schrulienberger die Söhne desdie Söhi ^_ , 1
Landes
Militär wirklich behandelt werden. Einige besonders Fälle von
Herrn in Obip^tr»
Herrn in Obigem —j Einige besonders krasse Fälle von Misshandlungen sind nach den Berichten c
«ft. u . werden-
a f e'sSetreu abgebildet und im klebrigen ist dargestellt, was die Unglücklichen im Manch
zu erdulden haben, wie ihre Menage und ihre Arrestlokale beschaffen sind.
45
Nr. 3 . JUGEND - 1896
Früher war’s so meine Weise, Ach, und doch - - wo ist ein Weiser,
Abenddämmerung Dass ich stets ein Nein ihm bot; Der mir dieses Räthsel deute!
am See. Stupft’ er mich am Arm nur leise, Scheinen will mir, dass ich heute
Immer wurd’ ich feuerroth. Nicht wie einst dir theuer bin.
Weit draussen auf der glatten Welle
Liegt still ein Segel regungslos; Was er jetzt auch mag verlangen, Und ich quäle mich im Stillen,
Wie von der Nacht gebannt zur Stelle, Immer noch, wie sonst geschah, Denk ich jener schönen Zeiten
Der Nacht, die andringt ruhig gross. Feuerroth glühn mir die Wangen, Voll verstohlner Süssigkeiten —
Sie hält das Schiff am Zauberbande Doch mein Mund sagt immer: Ja! Jene Zeiten sind dahin!
Der schönen Ufer, da zugleich
Des Mondes Licht Gebirge, Lande Jene schönen Tage, Liebchen,
Umgibt mit seinem Geisterreich. & Wo, wenn sich die Augen fanden,
HERMANN VON LINGG. Zitternd wir beisammen standen
Mit erröthendem Gesicht.
Nachher und vorher.
Jene Zeit, wo hold erglühend
Seh’ ich dich nur an, so lachst du, Stets dein Mund: Ich will nicht! sagte,
Kehrst dich nicht mehr ab so thörig; Ich darauf: Warum denn? fragte,
Ruf’ ich dich, die Antwort hör’ ich: Und du sagtest: Warum nicht?
Vorher und nachher. Hier, mein Liebster! Ich bin da. AUS DEM ITALIENISCHEN DES RICCARDO
Was der Priester sprach für Worte, Schöner bist du noch, als früher, SELVATICO VON PAUL HEYSE.
Flog mir nur am Ohr vorbei; Täglich neuen Reiz enthüllst du,
Weiss nur, aus der Kirchenpforte Jeden Wunsch von mir erfüllst du,
Gingen Arm in Arm wir Zwei. Stets erwiderst du nur: Ja.
Wie der Herr Hofburgschauspieler N. N. Unterricht erhält in der Aussprache des englischen „th“.
Sprechen Sie „dshzs“! Sprechen Sie „dzshsz“!
46
1896 JUGEND Nr. 3
Carl Strathmann.
Originalzeichnung von
Oie Jungfrau riecht an der Lilie, Der Kohl hat einen tiefen
Dem duftenden Jungfraun-Symbol, Poetisch-mystischen Sinn:
Und denkt dabei an den neusten Es steckt das Liebesgeheimniss
Symbolischen Blumenkohl. Der Symbolisten drin. A. M.
47
Nr. 3 JUGEND 1896
Hugo v. Habermann.
Nr. 3
1896 . JUGEND
Das Gehirn unsrer lieben schaft zu fassen, — was Männer erdachten, kann nur von
Männern begriffen werden. Das ist göttliche Ordnung*) ■
Schwestern. mulier taceat in ecclesia.“
Das eben, liebe Schwestern, will ich heute zu Eurem
*Unter allen höheren Regungen und Bewegungen un- Frommen an den Pranger stellen, auf die Gefahr hin, als
serer Zeit erscheint mir, rein menschlich betrachtet, als die Verräther am Geheimniss „männlicher Wissenschaft“ be-
schönste und interessanteste der Kampf unserer Schwestern trachtet zu werden: Die ganze Lehre von der Inferiorität
um Gleichstellung mit dem starken, dem herrschenden und des weiblichen Gehirns ist eine fromme Mär, ein
unterdrückenden Geschlecht; ja ich halte es für möglich, dass wissenschaftliches Quiproquo, das eben nur beweist, wie lange
nicht etwa die sozialen und wirthschaftlichen Dissidien der und hartnäckig Männer zu irren im Stande sind. Diese Lehre
Männerwelt — zum Theil recht dumme Sachen — dem kom- beruht auf zwei falschen Voraussetzungen, nämlich erstens,
menden Jahrhundert seinen eigenthümlichen Stempel auf- dass das Gewicht des gesammten Gehirnes ganz direkt als
drücken werden, sondern dass dieses Jahrhundert seine Welt- Massstab für die Intelligenz zu nehmen sei, und zweitens,
signatur recht eigentlich von der Lösung der „Frauenfrage“ dass es statthaft sei, mit statistischen Durchschnitten
erhalten wird. aus Massenbeobachtungen einer Frage auf den Leib zu rücken,
Denn was wir bisher davon erlebt, das war und ist nur in welcher nur mit individuellen Begabungen gerechnet
erst Vorpostengefecht. Man kann zwar nicht leugnen, dass werden darf.
unsere Schwestern schon manche Positionen errungen ha- Beginnen wir mit dem zweiten Trugschluss, so ist es
ben, die früher uneinnehmbar schienen, und dass sie diese doch zunächst klar, dass auch unter Denen vom starken Ge-
mit grossem Geschick vertheidigen und befestigen, aber die schlecht gewiss nur ein mässiger Prozentsatz zu wissenschaft-
eigentlichen „Sperrforts“ der Gleichberechtigung — denn sie lichen Studien und Berufsübungen befähigt ist. Dieser Satz ist
wollen „uns“ ja nicht verdrängen, sie begehren nur Einlass! sogar ziemlich gering, er mag 5 bis 10 Prozent ausmachen,
diese Sperrforts sind noch ausschliesslich in den Händen kaum mehr. Nehmen wir nun an, bei den Weiblein seien
der Männer, und immer noch, wenn die muthige Schaar mit es nur 2 bis 3, ja nur 1 Prozent, — mit welchem Rechte
hellklingendem Kriegsgeschrei neuen Ansturm wagt, ertönt will man dieser Minderzahl die Betheiligung an den wissen-
ihr im tiefsten Basse das „Zurück“ der Thorwächter entgegen. schaftlichen Studien, die der Staat ermöglicht, wehren?
Im tiefsten Basse wissenschaftlicher Ueberzeugungs- Lehrt nicht Jeden schon die persönliche Erfahrung, dass es
treue! Dies „Zurück“ klingt so wahr und so bieder, und ist viele Frauen gibt, die an Intelligenz ihre männliche Umgeb-
doch oft, ja zumeist nichts als geschlechtsegoistische Ueber- ung weit überragen? Und ist nicht schon von vielen Frauen
hebung, mit der wir seit Adams Zeiten unsere ach! so lieben der Beweis geliefert, dass sie mit Erfolg der Erforschung
und ach! so unentbehrlichen Schwestern der Schlangenrolle und Verkündigung der Wahrheit zu dienen vermögen?
zu verdächtigen und zur Strafe dafür auch noch zu terrorisiren, Was aber das ominöse Gewicht des Gehirns anbelangt,
mit Eifersucht zu quälen, zu haremisiren und zu kemenati- so ist es ja richtig, dass im Grossen und Ganzen das
siren gewohnt sind, immer unter dem heuchlerischen Vor- weibliche um ein paar Hundert Gramm leichter ist als das
hände der ritterlichen Fürsorge. Als ob sie was davon hätten, männliche, — was nicht ausschliesst, dass Millionen männ-
ass sie uns wie wir so gerne singen — himmlische Rosen licher Spatzengehirne von Millionen weiblichen Gehirnen auch
ins irdische Leben flechten! an Gewicht weit übertroffen werden. Aber die Hauptsache ist,
Da ist denn das Sperrfort der Universität. Zum hundert- dass nach den neuesten Forschungen auf diesem Gebiete
sten ale wird den wissensdurstigen Frauen von Einem im das Gesammtgewicht des Gehirns für die Beurtheilung der
a ar gesagt. „Da habt Ihr nichts zu suchen!“ Und um Intelligenz überhaupt keine nennenswerte Bedeutung
em Woite den rechten zeitgemässen Nachdruck zu geben, hat. Solche Bedeutung kommt nur verhältnissmässig kleinen
hu mit hichtigthuendem Pathos hinzugefügt: „Wie solltet
hr auch? Euer Gehirn ist zu klein, um unsere Wissen- *) Eigenste Worte eines berühmten Professors der Anatomie.
49
Nr. 3 JUGEND 1896
Partien des Gehirns, vor Allem der „Grosshirnrinde“ zu, aus denen sich u. a. auch unsere Stimme zum Bass ent-
und auch hier stehen die dem höheren Denken dienenden wickelt, und welche jenen Brustton der Ueberzeugung zeitigen,
Nervenkörper neben solchen, welche ganz direkt die Sinnes- der so oft nur leerer Schall ist. Ueberall wo raubthierartige
werkzeuge und die Muskulatur im Zentralorgan vertreten. Die Energie, rohe Kraft, Leidenschaft, Brüllen etc. am Platze sind,
genaue Unterscheidung aller dieser Elemente ist äusserst da wird der Mann der Frau stets überlegen bleiben; er ist
schwierig und erst im Werden begriffen. Das Gesammt- kühner und verwegener in allen Dingen, auch im Denken
gewicht des Gehirns aber steht normaler Weise viel eher und Phantasiren. Dafür ist die Frau feiner, geduldiger, sorg-
zur Körpergrösse, zur leiblichen Entwicklung und Kraft, als licher, mitleidsvoller. Wenn sie nicht alle physischen und die
zur Intelligenz im Verhältniss. Das Riesengehirn eines Bis- meisten moralischen Lasten der Fortpflanzung zu tragen hätte
marck erklärt sich zum grössten Theile aus der ganzen wuch- — wer weiss, ob sie nicht längst unsere gefährliche Rivalin
tigen Persönlichkeit des ungewöhnlich grossen und starken auch im staatlichen Leben wäre!
Mannes; dass darin die Denkzentren einen verhältniss- Wer aber meint, dass das „hysteroi'de Denken“ (wie ich
mässig grossen Raum einnehmen, ist zweifellos. Im klebri- ganz allgemein das sprunghafte und durchlöcherte Denken nen-
gen kann auch ein grosser dummer Kerl ein sehr schweres und nen möchte) ein trauriges Vorrecht unserer lieben Schwestern
grosses, ein zartes und gescheidtes Männlein ein sehr kleines sei, der ist gewaltig im Irrthum. Wir müssten denn, — wollten
Gehirn besitzen, und genau so verhält es sich bei unseren wir gewisse Unzulänglichkeiten in Bau, Ernährung und Ver-
Schwestern. Da die meisten unter diesen von kleinerer Statur knüpfung der Denkzellen als „weibliches Prinzip“ bezeichnen,
und weniger raubthierartig beschaffen sind, als die Männer, — uns zu dem ungeheuerlichen, aber tiefsinnigen Satze ver-
so haben auch die meisten ein leichteres Gehirn, — nicht steigert : „Es gibt unter den Männern mehr Weiber, als unter
weil sie dümmer sind, als die Männer! den Weibern Männer.“ Ist doch die Geschichte menschlicher
Jene Gehirnpartien aber, welche speziell der Intelligenz Grausamkeit undZerstörungswuth, menschlichen Irrthums und
als Grundlage dienen, sind in ihrer Ausbreitung nicht blos Aberglaubens im Wesentlichen nur eine Geschichte männ-
das Produkt der Erbanlage, sondern auch der Uebung und licher Geistesumnachtung!
der durch diese bedingten spezifischen Ernährung. Man ver- Also, verehrte liebe Schwestern, vertrauen Sie getrost
statte dem zu höherer geistiger Thätigkeit veranlagten Frauen- dem göttlichen Funken, mit dem auch Ihr Gehirn geladen
hirn die rechtzeitige Uebung und die stolzen Thorwächter ist; aber vergessen Sie nicht, dass die Lehre »von dem
der Sperrforts werden sich wundern, wie viele geschickte Rechte, das mit uns geboren«, in der männlichen Rechts-
Kolleginnen sich ihnen an die Seite stellen werden. philosophie niemals für die Frau gegolten hat. Was Sie in der
Was der Mann trotzdem im Allgemeinen in fast allen Gleichberechtigung mit uns Männern auf den Gebieten geist-
geistigen Thätigkeiten vor der Frau voraus hat und wohl igen Schaffens erreichen werden, werden Sie uns ab trotzen
immer voraus haben wird, das beruht in der~stärkeren An- müssen in heissem Kampfe und unter Anwendung aller er-
griffsfähigkeit, welche ihrerseits wesentlich von geschlecht- denklichen Kriegslisten. Und darin sind Sie uns ja über-
lichen Verhältnissen abhängt, — von jenen Verhältnissen, legen, — wenn Sie wollen. georg hirth.
Drohend starren in Europa Wird der heil’ge Vater schliesslich Bebel mit der rothen Fahne
Millionen Bajonette, Dulden, dass der Portugiesen Klopft schon leis’ an die Kasernen.
Während Frau von Suttner lieblich König in dem Quirinale Und wir wandeln dunkle Wege
Bläst die Friedens-Klarinette. Seine Liebden lassen grüssen? — Trotz elektrischer Laternen.
50
1896
JUGEND Nr. 3
Aller Orten gährt und kocht es
Wie in einem Hexenkessel; Die bayerischen Reichsräthe im Hofbräuhaus.
Nach den Thronen zischt und pocht es, Des Reiches Räthe, sogar die erblichen, D’rauf sprachen in Weisheit des Reiches
Wackelnd stehn Ministersessel. Trinken Bier so gut, wie die anderen Sterb- Räthe:
Ach! was nützt es, wenn voll Eifer lichen. »Wie wär’s, wenn man’s selber verkosten
Fromme, zartgestimmte Seelen Da ward nun behauptet jüngst in der thäte?«
Späh’n umher zum Wohl des Volkes, Kammer, Gesagt — gethan! Wie Sepperl und Natzl
Wo noch Feigenblätter fehlen! Mit dem Hofbräubier da sei es ein Jammer. Schritten die fürnehmen Herren zum Platz!.
5'
Inseraten-Annahme Insertions-Gebühren
durch alle Annoncen-Expeditionen
sowie durch
G. Hirth’s Verlag in München
und Leipzig. JUGEND G. Hirth’s Kunstverlag in München & Leipzig.
fllr die
4 gespalt. Colonelzeile oder deren
Raum JL I.—.
BffS
Uebernahme von
Kunst auctionen
■■nimm ■■■■■■■■in
W
jeder Art, ganzer Sammlungen sowohl
Steinbacher's BRÜNNTHAL Vorzügliche
wie einzelner guter Stücke.
Hugo Helbing, München, Christophstr. 2.
Knr- nndWasser in MÜNCHEN. Heilerfolge
bei Verdauungs-,
Vom Frühjahr ah eigene,
neuerbaute Oberlichträume.
Aerztlicher Director: Dr. Lahusen. Nerven-, Stoffwechsel-
Herausgeber: Dr. GEORG HIRTH; verantwortlicher Redakteur: F. VON OSTINI; verantwortlich für den Inseratentheil: G. EICHMANN; G. HIRTH’S Kunstverlag; sämmthe
München. Druck von KNORR & HIRTH, Ges. m. beschr. Hftg. in München.
1896 25. J A N U A R
JUGEND I. Jahrgang Nr. 4.
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54
Nr. 4
1896 JUGEND
Sieh! die Messe ist zu Ende —
Und die Gläubigen verlassen
Ihre kleine Kirche, deren
Thurm so spitz, wie eine Spindel.
Bunte, sonntägliche Gruppen
Drängen aus der Kirchenpforte
Und verziehen sich allmälig
Bis es leer wird auf dem Platze.
Aber halt! was für ein grelles
Ding liegt an der Kirchhofsmauer?
Ich trat näher, und vor mir
Lag ein buntes Taschentuch.
Zweifellos verlor es eben
Einer jener Kirchengänger. »Du!« ER, der Rechtsanwalt, mit dem moquanten
Richtig! — dorten in der Ferne »Miez?« Lächeln — sein ganzer Witz besteht aus
Naht ein Weiblein, ängstlich suchend. »Arthur! Setze Dich einmal neben mich! diesem Lächeln — und der Major, der
Schnell heb’ ich das Tuch vom Boden, Nicht gar so nahe — so! Ich habe Dir schon immer hüpft wie eine Naive, um seinen
Will’s der Frau entgegentragen — seit Langem Etwas zu sagen.« Rheumatismus wegzuleugnen, der sanfte
Da entdeck’ ich einen Knoten »Himmel, wie ernsthaft! Wird’s eine Lyriker, der Dich fortwährend mit seinen
Und im Knoten fühl’ ich Schätze. Blicken andichtet, dann der Baron mit den
Strafpredigt?« grossen Schulden und dem kleinen Schnurr-
Was mich antrieb, weiss ich selbst nicht — »Nein — ich will Dir nur sagen — bart — Sie alle machen Dir den Hof und
Kurz, ich öffnete den Knoten: dass wir keine Kinder mehr sind.« beneiden mich um das Vorrecht, Dich Du-
Ach, wie traurig, ach, wie rührend! »Wir?« zen zu dürfen. — Und — Miez! Sag’ ein-
Tiefer Armuth Spuren sah ich! »Du brauchst gar nicht so spöttisch zu mal ehrlich — wie kamst Du überhaupt
Wenige kleine Silbermünzen thun! Auch ich bin kein Kind mehr!« darauf?«
Lagen abgesondert, etwas »Natürlich — siebzehn gewesen!« »Ich kam ja gar nicht darauf — oder
Nickel gab’s. Das Andere »Bald achtzehn! Und ich sehe aus wie doch — aber nicht ganz allein! Mama —
War gemeines Kupfergeld. zwanzig, sagt Mama.« und auch Tante Lina —«
Auch ein Amulet von Messing »Du bist herzig!« »Die Mütter! Mütter! — ’s klingt so
Lag dabei, den Schatz zu hüten; »Nun fängst Du schon wieder an! Und wunderlich! Was haben sie also ausge-
Sankt Franziskus! Dieser aber darum geht es wirklich nicht mehr so weiter heckt?«
Scheint es, inspirirte mich. — eben weil wir keine Kinder mehr sind!«
»Mama fand, dass es an der Zeit sei,
Denn, was ja im Leben jedem »Aber was geht denn nicht mehr, dum- dass wir — ich wiederhole nur ihre Worte
me kleine Miez?« — das kindische Verhältniss abbrächen.«
Menschen einmal kann passiren,
Widerfuhr auch mir: ich hatte »Das ist auch so was! Ich heisse Wil- »Ach und es war so reizend! Jetzt,
Einen lichten Augenblick. helmine.« — wo sie uns die Binde von den Augen reissen,
»Von und zu Bergholz! Weiss ich! weiss ich erst, in welch schönem Garten
Einen blanken Silbergulden Aber was will diese überflüssige Bemerk- wir spazieren gingen. Und gerade, weil das
Band ich zu den andern Schätzen ung sagen?«
In das Tüchlein, legte alles Verhältniss kindisch war, ist es schön ge-
»Kurz das: Wir dürfen nicht mehr so wesen! — Aber wenn Mama befiehlt — Da
Auf den alten Platz und ging. wie bisher zusammen verkehren — nicht meine Hand, schlag’ ein! Auf Sie und Sie!«
Ja, da war sie schon! — Ich stand mehr so —- »Auf Sie und Sie! Und nun sage ich
So, dass sie mich nicht bemerkte. »So frere et co—.« nie wieder Du zu Ihnen!«
Eine arme Bäurin war’s, »Sei nicht ungezogen.« »Und ich sage fortan getreulich Sie
Abgehärmt und früh gealtert. »So kameradschaftlich?« zu Dir!«
Als die Hagre, deren Augen »Ja, nicht mehr so kameradschaftlich! »Und dann noch eins!«
Auf dem Boden gierig forschten, Du bist jetzt schon fünfundzwanzig.«
Das Verlorene entdeckt hat, »Ich sehe aus wie vierundzwanzig, sagt
»Wie Sie befehlen, Wilhelmine.«
Schöpft sie Athem wie erlöst. Papa.« »Mit dem Taufnamen — Herr Doktor
»Sei doch einen Augenblick ernsthaft! — das geht auch nicht mehr an!«
Hastig nimmt sie auf das Tuch
Und befühlt in Angst den Knoten. Ich spasse gar nicht! Also höre: Du bist »Gnädiges Fräulein! Mir ist es, als
V’as ist das? — Sie stutzt! das Ding | fünfundzwanzig, ich fast achtzehn; wir sind
gar nicht verwandt und können nicht länger wäre hinter mir eine Thüre zugeschlagen,
Scheint ihr dicker, als es war. eine Thüre, hinter der es warm und hell
Und mit Fingern, welche zittern, mehr die Nachbarskinder spielen.«
war und vor der nun eine Regennacht liegt!
U eff net sje, schreit »Jesus Christus!« »Diese Wendung ist auch von Deiner Das ist ein hässliches Gefühl! Ein bitter
Sinkt in ihre Knie nieder. Mama!« ernstes jedenfalls, wie bei jedem Abschnitt
Schlägt ein Kreuz und betet laut. »Mag sein! Aber sie hat Recht!« im Leben! Wir sind keine Kinder mehr!
Als ich nun vor wenig Wochen, »Also entfremden wir uns! — Und wie Was ist das Mie — Fräulein v. Bergholz?
Nach so vielen vielen Jahren, sollen wir diese unsere Entfremdung zu Das, was da auf Ihrer Wange glänzt, sieht
Wiederum in’s Dörflein kam, sichtbarem oder hörbarem Ausdruck brin- ganz wie ein Thränlein aus!«
Fand ich nah der alten Kirche gen?« »Oh nein! Ich bin mir nur mit dem
Eine neue Altar-Nische »Wir dürfen nicht mehr — Du sagen Fächer in’s Auge gekommen!«
Für den heiligen Franziskus, zu einander.« »Empfinden Sie also nicht auch einen
w*? 5'n ?'tes Bäuerlein, »Nicht einmal das mehr! Und ich war leichten Geschmack von Bitterniss auf der
Welches ich darum befragte, so stolz darauf, und sie beneideten mich Zunge? — Gar nichts?«
Sagte: Ja, der Heil’ge habe so — die Andern, die Dir den Hof ma- »Ich weiss nicht, was Sie meinen —
Einmal einer frommen alten chen —« das heisst, ich weiss jetzt bestimmt, dass
Frau, die Medizinen brauchte »Mir?« meine Mama nicht gar so unrecht hatte.«
Für den kranken Mann zu Hause. »Ja! Ja! Ja! Eine ganze Menge heirats- »Und seit wann wissen Sie das?«
In ein Tuch, das sie verloren, fähiger Biedermänner macht Dir den Hof. »Seit Sie das mit der Bitterniss sag-
Eingelegt das nöthige Geld. Da ist der lange Amtsrichter, der sich auf ten —«
Die Gemeinde aber habe seinen Vollbart und seine I im Staatskon- »Miez!«
Ihm dafür dies Bild gestiftet. kurs so viel einbildet; der schöne Doktor, »Bitte: Fräulein--
der thut, als dürfe ihn überhaupt kein »Lass’ nur, liebe Miez, Du hast ja
A. WOHLMUTH. , Mädchen ausschlagen, weil er es ist, Er, schon so viel verrathen!« —
55
Nr. 4 1896
»Ich verstehe Sie nicht! Was soll denn - Das sehe ich doch nicht ein, Was denn
ich verrathen!« — zum Beispiel.«
-Wie gut ihr das Rothwerden steht! »Dass wir einander nie etwas übel neh-
Goldkind!« men wollten! Den Gontrakt habe ich selbst
»Wenn Sie wollen, dass ich mit Ihnen gebrochen und es Ihnen sehr verübelt, dass
plaudern soll —- Sie heute dem Amtsrichter den Cotillon
»Gut! — Sie haben Recht! Es wäre gaben!«
Schade um dies Plauderstündchen. Was »Oh der! Das ist ja alles nur wegen
liegt auch an dem unverständigen Fürwort! Mama! Sie nickte mir so gebieterisch zu,
Sie oder Du! Soll ich Ihnen was erzählen, als der würdige Mann um den Tanz bat.
gnädiges Fräulein?« Und hinterdrein sagte sie etwas so Kom-
»Wenn es etwas Vernünftiges ist!« isches zu Tante Laura — etwas was ich nicht
»Vernünftig? Nein! Dazu ist es viel verstand — etwas von mehreren Eisen, die
zu hübsch! — Es war zu einer Zeit, da sie im Feuer habe —-
ich Sie noch Miez nennen durfte, Fräulein »Was für eine weitblickende Mama ha-
Wilhelmine, und alle Welt nannte Sie da- ben Sie doch! Und darum das Verbot! —
mals noch Miez, denn Sie waren, verzeihen Und waren Sie mir nicht auch schon oft um
Sie, noch ein Backfisch in des Wortes grün- etwas böse, Mie— gnädiges Fräulein ? War-
ster Bedeutung. Und wie grün war ich! um schmollten Sie denn, als wir neulich
Ich trug die Abiturientenmütze auf den vom Schlittschuhlaufen nach Hause gingen
Locken — oh ja! bitte, damals hatte ich und ich Ihnen die Flügelschuhe tragen woll-
noch Locken —- und hatte das Herz und te? Sie sagten: ,Bitte, ich will Andere Ihrer
den Kopf so voll von Unsinn und über- Galanterie nicht berauben!1 und sagten es
quellendem Gefühl, dass ich meine Em- bitter — wie Galle!«
pfindungen in Reime setzte. Für alles Hohe »Das war, weil Sie sich so viel mit die-
und Ideale schwärmte ich —die Arbeit aus- ser Frau Bartow zu thun machten. Sie ist
genommen — und was meinem Pegasus in eine Sirene, sagt —-
die Quere kam, wurde besungen. Und Sie »Mama!«
waren das einzige Wesen, das Sinn und Ge- »Jawohl! Und alle Welt sagt es! Und
duld für meine Poesien hatte. Und dann! Sie müssen doch nicht glauben, dass dies
Es war ein Abend im Park! Grillengezirp echtes blondes Haar ist! Und ihr Ruf! Der
und Vogelgezwitscher füllte die Luft. Wir kleine Blasswitz von den Husaren soll sich
sassen auf einer Steinbank — sie kann auch ihretwegen erschossen haben — Und sie soll
aus Holz gewesen sein — und schauten zu, gar nicht Wittwe sein — sondern blos ge-
wie der rothe Mond über den flachen Hügeln schieden! Sie hat ihren Mann böswillig ver-
der Ferne heraufstieg. Ich hatte Ihnen eben lassen. Schulden hat sie auch.«
ein Gedicht mit Weltschmerzgedanken vor- »Und mit diesem entsetzlichen Weibe
gelesen, dazu kam der Mond, die Grillen, tanze ich heute den Cotillon!»
der Hollunderduft — und unsere Seelen
wurden weich. Es war nur Freundschaft, »Höhnen Sie nur! — Bis Sie in ihrem
Fräulein Wilhelmine, was wir uns dort Netz zappeln, bis es Ihnen geht wie dem
schworen — aber Freundschaft auf Tod und armen Blasswitz. Ach Arthur — sie wird
Leben.« Sie sehr unglücklich machen, sie ist falsch
»Die will ich Ihnen ja auch —- und so putzsüchtig und sie malt sich —
»Zu viel Güte! — Damals sagten wir ich habe es vorhin ganz deutlich gesehen,
uns, dass wir bis an den Rand des Grabes sie malt sich!«
gute Kameraden bleiben, uns nie etwas »Miez!«
verheimlichen, nichts übel nehmen wollten
unser Leben lang. Wir redeten sehr klug »Ich bitte!«
und sehr geringschätzig von den Leuten, »Das Alles ist schon wieder gegen un-
die eine richtige Freundschaft nicht für mög- sern alten Gontrakt. Wir haben uns doch
lich hielten zwischen Mann und Weib — versprochen, was wir irgend einander mit-
nein, so präcise drückten wir uns nicht aus. zutheilen hätten, gerade heraus zu sagen?«
Wir sagten: zwischen jungen Leuten, wie »Gewiss! Ich thue es ja eben!«
wir. Aber wir wollten es ihnen schon zei- »Sie thuen es nicht und ich habe es
gen ! Alle Welt sollte sehen, dass wir rich- auch nicht gethan. Nun reden wir alle
tige Freunde seien. Und duzen wollten wir Beide schon eine halbe Stunde um die
uns auch, aller Welt zum Trotz — und wenn Sache herum und sagen uns doch nicht,
die Tante Laura darüber explodirte!- was wir uns sagen müssten!«
Wissen Sie noch, wie wir unseren Bund be- »Das verstehe ich nun wirklich nicht!
siegelten? War das hübsch!« Was sagen müssten?«
»Sie sind unartig und waren es damals »Dass es überhaupt mit der alten
auch!« Freundschaftsgeschichte nichts mehr sein
»Aber sie wehrten sich nicht und wir kann!«
meinten es auch so ehrlich und kindisch »Und warum das?«
mit unserm verlegenen Anfängerkuss. So- »Weil — sieh mich einmal an! — weil
gar unsere Nasen gingen uns dabei im Wege wir uns dazu viel zu lieb haben, Herzens-
um, so ungeschickt waren wir.« kind!«
»Wenn Sie nicht aufhören, von so thö- »Aber was Dir einfällt, Arthur —-
richten Dingen zu reden, gehe ich zu Mama »Nein, sind wir dumm, sind wir dumm
hinüber in den Saal!« gewesen! So was nicht glatt weg einzu-
»Ich bin schon zu Ende mit den thörich- sehen! Haben uns lieb und wissen es
ten Dingen und es ist Schade darum! Heim nicht und sagen es einander nicht!«
nun ist eben auch Alles dahin und zu Ende, »Aber ich habe Ihnen —«
was wir uns damals versprochen haben für s »Du, heisst es jetzt, Miez, Du!«
Leben!« »Ich habe ja gar nicht gesagt, dass
»Doch nur, dass wir Du zu einander ich — Sie lieb habe! Es ist auch gar
sagen wollten —« nicht so.«
»Alles Andere auch!« »Und die Eifersucht auf die Sirene?«
Zierleiste von j. Diez.
1896 JUGEND Nr. 4
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Nr. 4 JUGEND 1896
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1896 JUGEND Nr. 4
Gaudeamus-Potpourri.
Wie selbiges der Studiosus philosuffiae Schwuchtibert Sing-
huber auf dem Heimwege vom grossen Scheffel-Kommerse
gedichtet, nachempfunden und in die stille Nacht hinein-
gehaucht hat.
Mel.: »Alt Heidelberg, du feine —«
und zwar behaupten böse Zungen, der Edle habe das Lied
aus Fisis-Moll und in s/7 Takt gesungen.
Wohlauf, die Luft geht frisch und rein,
Fahr’ wohl, mein grauer Hut!
Gibt’s nirgend mehr ’nen Tropfen Wein?
Mir ist so kreidig zu Muth.
Alt Heidelberg, du feine,
'Raus da! Rem blemm! Hollaheh!
Schon friert’s mich an die Beine
Im Lamm zu Niniveh.
Augustus sass im Kaisersaal,
An Durste riesengross:
O Welt, du Katzenjammerthal,
Du süsse, halbvergess’ne Stunde Wir kleben und kommen nicht los.
Alt Heidelberg, du feine
Im grünen Uferlaubgerank, Im schweigenden Ocean,
Wo ich zuerst von ihrem Munde, Ich pfeif’ auf die saueren Weine,
Der Liebe holden Zauber trank! Wir pumpen niemand mehr an.
Ein Windhauch ging durch Liebchens Locken
Zwölf Palmen ragten am Meeresstrand,
So mild, so weich — ein Frühlingstraum Blauäuglein blitzen drein,
Und streute leichte Blüthenflocken Da sprach der Hausknecht aus Nubierland:
Auf uns herab vom alten Baum. Es hat nicht sollen sein!
Alt Heidelberg, du feine,
Die grüne Laube sah ich wieder, Der Schwed’, der Schwed’ ist da!
Den alten Blüthenbaum dabei, Die Wahrheit liegt im Weine,
Wie damals duftete der Flieder, Sit vino gloria!
EDWIN BORMANN.
Wie damals schimmerte der Mai.
Doch meine heissen Augen riefen
Die todte Liebe nicht zurück.
Versunken wie in ferne Tiefen
Lag jene Stunde und ihr Glück.
Der Tag verblich, die Schatten sanken
Und Nebel dampften aus der See,
Schwer lag der Nachtthau auf den Ranken,
Wie auf der Seele stummes Weh,
Es kam die Nacht auf leichten Sohlen —
Da klang’s vom Fischerhause her:
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Nr. 4
1896
ifaiS t-T'h.
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LSMMWWLS2I 'ZssasanoB*.
Märkische Stimmung.
Wenn die Wolke graut, die Sonne sticht,
Bleiern der Himmel brütet:
Wand’rer, hab’ Acht! Lang währt es nicht,
Bis der Donner poltert und wüthet.
Der Himmel wird ein Feuermeer,
Der Sturm knickt Fichtenäste —
Und unter Dir und um Dich her
Nur Sümpfe und Moräste.
Doch wie’s gekommen, zieht’s vorbei
Und die Vögel im Laube frohlocken;
Die Erde, die Sonne glänzen wie neu,
Dein Fuss geht sicher und trocken.
D’rum brauchst Du vor dem märkischen
Sand
Nicht wie vor den Alpen zu zittern:
Im Ganzen ist’s ein trock’nes Land —
Trotz seinen schnellen Gewittern.
CONRAD ALBERTI.
Die „Loreley“.
Ich weiss nicht, was soll es bekunden,
Die Jahre orgeln rasch sich ab, Ich hoff’, dass reine Melodei’n Was heute so traurig mich stimmt:
Ich orgle fort bis an mein Grab; Für heuer auf der Walze sei’n! Ich denk an ein Kriegsschiff, das unten
Am fernen Bosporus schwimmt.
Die Luft ist kühl, es will dunkeln
Und glatt liegt bei Stambul die Fluth —
Die „Loreley“ — höre ich munkeln —
Sei lang’ schon zu gar nichts mehr gut.
Die Kanonen — in sichern Verliessen
Des Schiffsraums liegen sie stumm:
Man wagt es,nicht, oben zu schiessen,
Sonst kippte die „Loreley“ um.
So liegt sie seit uralten Zeiten
Vor Anker am nämlichen Fleck,
Der grosse Brummkreisel schien ge- ich so wenig Chic besässe! Weisst Du über-
waltig erbost zu sein, obwohl er eigentlich haupt, was Chic ist! — Du siehst ja aus Das Moos wächst ihr längst an den Seiten
wenig Ursache hatte, und der hölzerne liess wie ein umgekehrter Kirchthurm — hähähä! Und Schwammerln und Seegras auf Deck’
all die hitzigen Vorwürfe stumm über sich — Du hast ja nicht einmal einen anständigen
ergehen. Aber der Brummkreisel schimpfte Bauch!-Ach Gott! Ich vergeude wahr- Die allerunschuldigste Bö’ macht,
und tobte immer weiter wie ein altes Wasch- haftig meine kostbare Zeit und meine kost- Dass sie die Balance verliert:
weib. — bare Lunge an dieses Lumpenpack! Die ver- So stolz wird germanische Seemacht
„Ach Du — Du Lump! — Du hast gar dienend ja gar nicht, dass man sich mit ihrer
keine Berechtigung neben mir zu existiren! Beglückung abgibt!“ Im Ausland repräsentirt.
-Du denkst wohl gar, Du bist meines- Der Holzkreisel war ganz starr, denn
gleichen, Du elender Proletarier Du! Bist er fühlte im Innersten, dass all diese Schelt- Ich glaube, die Wellen verschlingen
Du vielleicht auf die drei blanken Knöpfe worte berechtigt wären und wagte keinen Das Schifflein mit Mann noch und Mans>
da an Deiner Mütze stolz? Oder darauf, Ton zu erwidern; der andere aber fühlte Drum ist es am Besten, wir bringen
dass Du von Holz bist? — pfui Teufel: von sich durch seine wuchtige Rede gewaltig
Holz! — Bettelpack! — Sieh mich einmal Den Kasten bei Zeiten nach Haus!
gekräftigt und erhoben: diesem Gesindel
an: ich bin von Blech! — Du mit Deinem hatte er’s endlich einmal gründlich gegeben! Und kann er soweit nicht mehr laufen,
platten Schädel erkennst natürlich nicht den Da scheuchte ihn eine Hand empor; er
gewaltigen Unterschied! — Ich kann auch musste sich drehen, unermüdlich drehen Ist nicht viel Schaden dabei:
singen, dass alle Menschen entzückt lau- und dazu sein eintöniges Lied brummen, Wir streichen es frisch und verkaufen
schen; ich habe auch goldene, rosenfarbene wie er’s schon tausendmal gethan hatte. Den Türken das Prachtstück für neu.
und dunkelblaue Bänder über Brust und Und neben ihm wirbelte der „pöbelhafte“ KI-KI-Kl’
Bauch — und ein silbernes um den Hals, Holzkreisel. — Freilich nach dem Schlage
während Du — Du dummer Pöbel Du! — einer Peitsche. Aber tanzen mussten sie
Dich mit schmutzigen rothen und grünen beide, so lange ihr Herr—der kleine Knabe —
Streifchen brüstest! — Und Deine ganze es wünschte-höchstens durftedergrosse
Figur! Ich würde mich ja schämen, wenn dabei ärgerlich brummen. l. wetzlar.
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1896
. JUGEND -. Nr. 4
Appartement ä louer.
64
1896 JUGEND Nr. 4
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Und wärst Du mein Weib und wärst Du mein
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Lieb, wie wollt’ ich Dich jauch-zend um - schlin - gen, ich wüss-te ja nicht wo das
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Nr. 4. JUGEND 1895
66
Nr. 4 JUGEND 1895.
67
Inseraten-Annahme Insertions-Gebühren
durch alleAnnoncen-Expeditionen
sowie durch
G. Hirth’s Verlag in München
und Leipzig. JUGEND 1896
No. 4
für die
4 gespult. Colonelzeile oder deren
Raum Ji. —.
f-Haf.
Da stehen John und Jonathan, Ja, wenn sie nichts auf dem Kopfe trügen,
Sie schauen sich gar feindlich an — Sie wollten sich schön beim Wickel kriegen.
x. 2. Wdeshacher, Berchtesgadener,
Brief Masten, T\vo\ev
Unsere Wettbewerbe. Am 8. Januar sind die Termine für zwei
von unseren künstlerischen Wettbewerben abgelaufen, Wettbewerb II, der z. B. lAUerihaler, Meraner,
Entwürfe für Tischkarten und Wettbewerb III, der Entwürfe für poli-
tische Karikaturen verlangt. Die Theilnahme an der erstgenannten Ternsche
Concurrenz war eine besonders rege: von 54 Einsendern erhielten wie
114 Entwürfe, darunter prächtige Blätter, sehr erfreuliche Proben
modernen Dekorationsstils. Weniger zahlreich war die Betheiligung an
dem Wettbewerb für politische Karikaturen. Das trockene Gebiet der sowohl zum Bezüge für feanze Gruppen a\s auch für e\nze\r&
Politik scheint der Mehrzahl der Künstler eben ein wenig fern zu liegen. GosfümfeUe und sichere feefreue und soffde Ausführunfe zu.
fifusferhhder und Brefscouranf feraffs und franco.
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Nr. 5 JUGEND 1896
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1896 JUGEND Nr. 5
71
1896
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Kind hält sie noch fest mit der kleinen, welken Hand; mit Das Weib sieht sehr heruntergekommen aus. Graue
der andern hat es sich in einer Haarsträhne eingekrallt, welche Schatten lagern um Augen und Mund. Und diese Brust!
ihr unter dem Kopf heruntergeglitten, ist. Heide schlafen tief Man sieht ihr es an, wie sie sich gequält hat, dem armseligen
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1896 JUGEND Nr. 5
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Geschöpfchen mit dem greisenhaften Gesicht Nahrung zu »Aber wie machen Sie’s denn, dass das Kind nicht gesehn
spenden. Mater dolorosa in elendester Gestalt! wird, wenn Sie herkommen und fortgehen?«
Leise will ich ihr ein Geldstück in den Schooss legen, Sie lachte leise vor sich hin und sagte dann verschmitzt
da fährt sie jäh in die Höhe und starrt mich mit weit ge- und wichtig:
öffneten Augen an, das Kind, das zu schreien anfangen will, »Ja, wissen Sie, ich hab’ immer so ein grosses Tuch um
krampfhaft an sich drückend. und sie haben schon so viel gelacht, dass ich mich bei der
»Liebe Frau, ich habe Sie nicht stören wollen, bleiben Hitz’ so einwickle. Und Abends können wir uns manchmal
Sie ruhig sitzen!« ein Stück altes Holz mitnehmen, da merken sie schon gar
»Ach Gott, ach Gott, was bin ich erschrocken!« Sie sagt nicht, dass ich das Kind bei mir hab’. Das machen wir ganz
es fast athemlos. geschickt, nicht wahr, mein gold’ner Schatz?« Sie nickte dem
»Aber warum denn, ich thue Ihnen Nichts zu Leide; ich Kind glückselig zu.
gehe schon wieder, habe nur den Garten beseh’n wollen, aber Ich fahre dem armen Wurm liebkosend über’s Gesicht,
hier —« ich stecke ihr ein Geldstück in die Hand; sie scheint was die Frau ganz glücklich zu machen scheint, gebe ihr
es nicht zu bemerken. meine Adresse mit der Weisung, sie solle sich an mich wen-
»Ach sagen Sie doch nicht —- den, wenn sie etwas brauchen sollte, und gehe fort. —
»Was denn?« — Ich trat eine grössere Reise an und kehrte im Spät-
»Ach sagen Sie doch nicht, dass — dass ich das Kind herbst zurück. Als ich zu Herrn Architekt Wenden ging,
bei mir habe.« hörte ich, dass die betreffende Wohnung vermiethet wäre. Es
»Ja, wissen denn das die Andern nicht?« war meine Schuld, ich hätte mich früher melden sollen; aber
»Nein, nein — ach um Gotteswillen nicht; sie würden ich konnte nicht umhin, mein Bedauern auszudrücken.
Alle lachen, und ich möcht’s doch so gerne bei mir haben »Wie schade! Es waren schöne Räume; und dann der
und satt machen.« Gar . . .
»Ist Ihr Mann auch hier bei dem Bau beschäftigt?« Plötzlich sah ich vor mir die Frau mit dem Kinde auf
»Ich — ich hab’ ja gar keinen.« Verwirrt streicht sie sich dem Schoosse. Ich hatte sie längst vergessen.
die Haarsträhne aus dem Gesicht und wiegt das Kind leise im »Ach, verzeihen Sie . . ., können Sie mir nicht sagen,
Arm hin und her. »Es ist so gut und brav und schreit gar wo eine Frau« — ich beschrieb sie näher — »die auf Ihrem
nicht so viel, wie Andere«, sagt sie wie entschuldigend. »Zu Bau arbeitete, geblieben ist?«
Hause ist kein Mensch, der nach ihm seh’n würd’, und hier,« »Bedaure unendlich. Ich habe mit den Leuten selbst
sie deutet in den halbdunkeln Schuppen, »hier hat’s so gute nichts zu thun und kenne sie persönlich so gut wie gar nicht.
Luft und es kommt Keiner her.« Das ist Sache des Bauführers. Wünschen Sie seine Adresse?»
7)
Nr. 5 JUGEND 1896
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1896 JUGEND Nr. 5
ich Ihnen schon besorgen; übri- Ich öffne. Dasselbe^Mädchen, das mir beim ersten Anblick so
gens — ich habe Zeit, ich werde abstossend erschien, tanzt wie toll im Zimmer umher — im
es gleich thun.« Unterrock — im rosawollenen.
An der nächsten Strassen- »Was soll das heissen? Wie kommst Du zu dem Rock?«
ecke ist ein Laden, wie ich ihn »Jessas! Schrei’n S’mich doch net gleich so an! Was ist
brauche; ich lasse einige Röcke denn los?«
zusammenpacken, nehme den »Wie kommst Du zu dem Rock?«
Burschen mit und in kurzer Zeit »Ja, was meinen denn Sie? Das wär’ doch schad’ ge-
liegen die Sachen vor ihr auf wesen, um den schönen, neuen Rock. Was soll denn ’ne
dem Bett. Nach langem Lieber- Todte damit?«
legen wählt sie einen Rock aus »Todt! — Wann ist sie gestorben?«
blassrosa Wolle: »Das wäre ganz »Na, vorgestern Abend. Sie waren ja Mittags noch da.
'was wunderschönes.« Sie streicht Das war a Schererei! Wir haben so keinen Platz, da haben
unaufhörlich mit den mageren wir’s gleich ’nausschaffen lassen.«
Händen über den weichen Stoff »Und den Rock — den hast Du ihr fortgenommen?«
dann giebt sie mir die Hand: »Ja freilich! Was denn sonst? Den kann ich gut brauchen.
»Ach sind Sie gut; ich will Da schaun’s her, wie es mir passt!«
auch recht für Sie beten. Jetzt Ich kann das grinsende Gesicht nicht mehr seh’n und
fürcht’ ich mich nicht mehr; jetzt werfe die Thüre zu; hinter mir her gelles Gelächter.
werd’ ich nicht mehr frieren.« — Wie ich Abends in der warmen Stube sitze und der
Damit legt sie sich still und nasse Schnee an die Fenster schlägt, werde ich die verrückte
zufrieden in die Kissen zurück. Idee nicht los, dass das arme Weib — nun doch friert —.
— Am zweiten Tage danach,
gehe ich in der Nachmittagsstunde
wieder hin. Vor der Thüre angekommen, höre ich von drin-
nen lautes Stampfen und Lachen; mein Klopfen wird überhört.
Fünf Sprüche.
Der Dir Deine Liebe genommen hat,
Der ist geschickt zu Werke gegangen.
Oder — der Schmetterling war schon matt.
Sonst hätt’ er sich nicht gefangen.
im Tanzsaal ringsum lauern die Hyänen, Die ihr glückloser Liebe Sklaven seid,
Zum Fang von Schwiegersöhnen ausgerüstet, Und könntet ihr’s, ihr würdet nicht entsagen.
Die Dummheit bläht sich und der Reichthum brüstet Wie manche tiefe Liebe ist nur Leid
Mit falschen Haaren sich und falschen Zähnen. Und doch ein theures Leid und süss zu tragen!
Die Herren schwitzen und die Damen gähnen; Das Glück ist wie sonniges Wetter,
Kein Jüngling naht sich, den’s zu frei’n gelüstet, Das Glück ist wie ein feinseidenes Kleid,
Und manche Jungfrau, ach, schon halb verwüstet, Es kleidet Jeden viel netter,
Welkt einsam hin in ungestilltem Sehnen. Als Noth und Leid! frida schanz.
Wie ich sie hasse, diese Kuppler-Reigen,
Die Läster-Mäuler, die Pikantes munkeln,
Die jeden Strandklatsch flüsternd weiter tragen!
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Nr. 5
j(jl.END
1896
TvH<2/4‘
Augurengesang.
Bei Hofe sind wir nur geachtet, Am Schmollen erkennt man den Laien, Mit der modernisirenden Jugend,
Und was wir auch schreiben, gefällt! An der albernen Grämlichkeit — Sind wir fertig je und je
Wir haben die Schönheit gepachtet Wir singenden Lakaien Es fehlt ihr die höhere Tugend,
Und tragen die Leuchte der Welt. Sind voll von Zufriedenheit. Der Sinn für das Ewige.
Was schert uns das Flüstern der Fama? Wir schielen beseligt nach oben Drum fort mit den jungdeutschen Rangen!
Wir bekommen ja so wie so Und spucken entrüstet hinab; Sie kennen kein Heiligthum —
Für jedes misslungene Drama Und gegenseitig loben Kommt ein sittiger Jüngling gegangen,
Einen Orden auf den —! Thun wir uns bis an das Grab. Wir besorgen ihm eilig den Ruhm
Und wo sind denn Euere Orden? Wir singen von Feen und Helden, Den Lorbeer hinter die Ohren
Wo steh’n Eure Tressen parat? Von Elfen im dämmernden Hain, Und eine Citrone in’s Maul:
Was seid Ihr, o sagt nur, geworden Und um das Neu’ste zu melden, Die Spesen sind unverloren —
Mit Eurer „befreienden That“? Auch von dem Blaublümelein! Er lobt uns hernach auch nicht faul
MAURICE V. STERN.
1896 . JUGEND . Nr. 5
79
Nr. 5 JUGEND 1896
Das Lied
vom englischen Löwen.
(N. d. Mel.: „Ein lustger Musikante“.)
Der Leu von Engellanden
Spazierte jüngst umher —
o tempora, o mores! —
Und schaute heissen Hungers,
Wo was zu fressen wär’, —
o tempora, o mores! —
Am liebsten schnell den Türken
Thät er hinunterwürken —
Wer weiss wie das geschah?
Juchheirassassassa!
Belehren kann uns jederzeit
Frau Grossmama!
8,
Nr. 5 JUGEND 1896
'Pfj- i-Y-ir
So viel sich aus Ihrer Unterschrift entnehmen lässt,
liegt der Schwerpunkt Ihres Geisteslebens mehr auf Seite
des Gemüthes, als auf der Seite tiefliegender Kenntnisse.
Schopenhauer lieben Sie nicht, Nietzsche ist Ihrem klaren
und herben Wesen fremd. Ich möchte wetten, dass Sie sich
nie mit Sanskrit beschäftigt haben. Schlichte Kraft ist der
Grundzug Ihrer Art. Intermezzo lirico: Andante con sentimento.
83
Inseraten-Annahme Insertions-Gebühren
durch alleAnnoncen-Expeditionen
sowie durch
G. Hirth’s Verlag in München
und Leipzig. JUGEND™
Die JUGEND erscheint allwöchentlich einmal. Bestellungen werden von allen Buch- und Kunsthandlungen, sowie von allen
für die
4 gespalt. Colonelzeile oder deren
Raum M. i.—.
Postämtern (Bayer. Postzeitungs-Katalog No. 397, Deutsches Reichspostzeitungs Verzeichniss No. 3536) und Zeitungs-Expe-
ditionen entgegengenommen. Preis des Quartals (13 Nummern) 3 Mk., der einzelnen Nummer 30 Pfg. Preis für die viergespaltene
Colonelzeile oder deren Raum (laut aufliegendem Tarif) 1 Mark.
Briefkasten.
München, 18. Januar.
„Germanicus“ Berlin. Warum wir Arbeiten französischer Zeichner
und anderer ausländischer Künstler in der „Jugend“ reproduziren ? Aus
demselben Grunde, aus welchem die Künstler in ihren Ausstellungen
ausländische Bilder ausstellen: um unsern Lesern möglichst Mannigfal-
tiges sehen zu lassen und um unsern Künstlern Gelegenheit zu lehr-
reichen Vergleichen zu geben. Und zum Dritten, weil chauvinistische
Bedenken in Kunstdingen denn doch wohl überhaupt ein Unding sind.
Auch französische Zeitschriften veröffentlichen Arbeiten deutscher
Künstler.
Agnes B. in Frbg. Wir halten es nicht für geschmackvoll, ein
Commentar zu jedem Bilde zu geben; was künstlerischen Werth besitzt,
spricht ja doch dadurch für sich selbst und wenn wir unter ein geistvoll
gezeichnetes Frauenbildniss „Weiblicher Kopf“, oder unter eine intim
gearbeitete Ansicht irgend eines malerischen Erdenwinkels „Landschaft“
schrieben, wäre die Sache dem künstlerischen Verständniss des Lesers
nicht viel näher gerückt.
Unsere Wettbewerbe. Auch der zweite Theil
unseres Preisausschreibens, Wettbewerb I: „Titelblätter der
Jugend“ und Wettbewerb IV: „Carneval Plakate“ hat Resultate
ergeben, die unsere Erwartungen, sowohl was Zahl der Ein-
sendungen, als was Qualität des Gebotenen angeht, weit über-
trafen. Wir haben für die I. Concurrenz von etwa 200 Künstlern
228 Entwürfe, für die IV. von 30 Einsendern 30 Entwürfe erhalten
und darunter sind nicht blos viele hübsche Ideen, sondern die
Zeichnungen sind zum grossen Theil prächtig in ihrer dekora-
tiven Wirkung, tadellos ausgeführt und direkt verwendbar. So-
bald als möglich werden wir mit der Publikation der in der 2.,
Finale: Presto furioso. 3. und 4. Concurrenz prämiirten Entwürfe beginnen. Die Zeich-
nungen für die Titelseite der,Jugend“ erscheinen natürlich erst
G. HIRTH’s Kunstverlag in München und Leipzig. nach und nach an der geeigneten Stelle, wir werden aber wohl
Gelegenheit finden, die schönsten der lins eingereichten Ent-
Jost Amman’s Allegorie auf den Handel. würfe hier in München öffentlich auszustellen. Als Juroren
(Aigentliche Abbildung des gantzen gewerbs der Kaufmannschaft
sambt etslicher der Namhafts und fürnembsten Handelstett Signatur haben Herausgeber und Redakteur der ,Jugend“ einige unserer
und Wappen.) Nach den in der Fürstlich. Wallenstein’schen Biblio- hervorragendsten Künstler cooptirt und gewonnen, deren Namen
thek in Waihingen auf bewahrten Original-Holzstöcken; Text nach wir zugleich mit dem Ergehniss der Wettbewerbe veröffentlichen
dem Originalabdruck im k. bayer. Nationalmuseum. Ausgabe v. 1622.
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Hugo Helbing,
Herausgeber: Dr. GEORG HIRTH; verantwortlicher Redakteur; F. von OS 1 INI; verantwortlich für den Inseratentheil: G. EICHMANN, G. HIRTH’s Kunstverlag; sämmtlich in München*
Druck von KNORR & HIRTH, Ges. m. beschr. Haftung in München.
Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben. — G. Hirth’s Verlag in München & Leipzig.
Nr. 6 JUGEND 1896
86
Paul Verlaine auf dem Todtenbette,
Für die Jugend gezeichnet von F. A. Cazals (Paris).
Spätherbst.
88
1896 JUGEND Nr. 6
Um den Dichter, der in der Boheme des Quartier Von seinen Werken erwähnen wir noch: «La
latin lebte, schaarten sich junge Bewunderer,~-die ihn Bonne Chanson», «Romances sans paroles-, «Les
auf den Schild erhoben als Führer ihrer neuen Poeten- Poetes maudits», «Jadis et Naguöre», und «Les Me-
schule, oft ohne selbst ihn recht zu verstehen. Die moires d’un Veuf».
Gruppe der „Decadenten“ sah in ihm ihren Meister, Am 8. Januar machte ein Lungenschlag dem
obwohl er nichts von ihr wissen wollte. Die klare, Leben des Dichters ein Ende. Keiner seiner Freunde
frische, gut französische Sprache, die er in seinen stand ihm im letzten Stündlein zur Seite, denn keiner
besseren Werken gebrauchte, hat nichts gemein mit hatte geglaubt, dass die Krankheit den, trotz vielen
der dunklen und geschraubten Redeweise, mit welcher Leidens immer noch kräftigen 52 er so rasch hin-
die „Decadents“ die Armuth ihrer Gedanken zu ver- raffen würde. Es gab viel Trauer im Quartier latin,
bergen suchen. Doch ging es ihm wie vielen Grossen: dessen grösster Dichter hingeschieden war, und mit
Seine Verehrer wurden ihm zum Vorwurf gemacht. dem Pariser Schulenviertel trauert jetzt ganz Frank-
Wir sehen dies in einer Karikatur von Emile Cohl reich um den echtesten seiner Lyriker.
angedeutet, die in einem Flugblatt der Vanier’schen Ein Busenfreund Verlaine’s, der Maler Cazals, hat
Buchhandlung, Verlaine’s Verlagsfirma, erschien: wenige Stunden nach dem Tode den Hingeschiedenen
Der Dichter mit Teufelskrallen und der „Decadence“ auf seinem Sterbebett im bescheidenen Miethstübchen
als Schwanz. Als Leier hat er eine Gefängnissmauer, gezeichnet und der „Jugend“ dieses Bild, das einzige
als Saiten die Eisenstäbe eines Fensters. seiner Art, überlassen. Verlaine ruht sanft, wie im
1896
Nr. 6 JUGEND
Schlummer. Die feine, kleine Hand liegt auf dem
Laken, als hielte sie noch die Feder. Durch die
geöffnete Seitenthüre sieht man im Nebenraum eine
Frauengestalt: die Frau des Malers.
Priez pour le pauvre Gaspard! so sang Verlaine
auf Kaspar Hauser, mit dem er sich in seinem Unstern
verglich. Mit Wehmuth sehen wir den armen Pech-
vogel scheiden, der auf Erden keine Ruhe fand und
in dessen Leben der Schmerz den Grundton gab: Ein Fund.
Faschings-Capriccio.
II pleure dans mon coeur
Comme il pleut sur la ville, Eine Larve, federleicht zu wiegen,
Quelle est cette langueur Sah ich einst im Schneegestöber liegen,
Qui penetre mon coeur? Hob es auf, das Harrending, und heute
Prangt es an der Wand als Faschingsbeute.
O bruit doux de la pluie Manch ein Stäublein kam derweil zu sitzen
Par terre et sur les toits! In des Feingewebs durchbroch’ne Spitzen,
Pour un coeur qui s’ennuie Manch ein Gastfreund kam in schnelles Fragen:
O le chant de la pluie! „Wardst Du Tänzer noch in alten Tagen?“
Mancher witterte ein Abenteuer,
II pleure Sans raison Bis am End’ mir selber nicht geheuer
Dans ce coeur qui s’ecoeure. War beim Anblick jenes Schreckgesichtes,
Quoi! nulle trahison? Das beim Flackerschein des Kerzenlichtes,
Ce deuil est sans raison. Grell umkränzt vom Flammenspiel, dem rothen,
Aussah wie der Schädel eines Todten.
C’est bien la pire peine Das unheimliche Visir betrachtend,
De ne savoir pourquoi, Schien mir’s plötzlich, als ob heiss und schmachtend
Sans amour et sans haine, Durch’s Oval der ausgeschnitt’nen Ringe
Mon coeur a tout de peine. Dunkler Feueraugen Gluthstreif dringe,
Und das schwarze Fransenrundgewebe
Eines warmen Mundes Hauch belebe.
Blendend hob sich aus dem Schattendunkel
Arm und Nacken und Geschmeidgefunkel,
Und mit süssem Grau’n und leisem Zittern
Hört’ ich eine Seidenschleppe knittern,
Hörte heimlich einen Fächer rauschen,
Und mir war, als möcht’ ich ewig lauschen.
Und ich sprach: „Du kommst auf weichen Sohlen,
Schönes Weib, den Fund zurückzuholen;
Treulich, siehst Du, thät ich ihn bewahren!
Lass dafür mich, schönste aller Frauen,
Unverhüllt und frei Dein Antlitz schauen!
Schon verzehrt mich sehnendes Verlangen,
Sprich, o sprich! Woher kommst Du gegangen?
Sprich, wer bist Du, überirdisch Wesen?“
„Jetzt Dein Alles, bald bin ich — gewesen!“
.,. . Forschet nicht, was jetzt den Träumer weckte.
Lächelnd sah er, wie die Flamme leckte,
Feurig züngelnd höher sich erstreckte
Aus dem Fastnachtskram mit Spinnwebborden
War ein starr’ Medusenhaupt geworden.
ALFRED BKETSCHEN.
--
Reue.
Schwer ist mein Haupt und schwer ist mein Gewissen
Von Flüsterworten und von heissen Küssen,
Von Küssen schwül, gleich einer Lenznacht Schweigen,
Die blasse Blüthen weckt auf allen Zweigen —
Ungünst’gem Schicksal frevelhaft entrissen-
Schwer ist mein Haupt und schwer ist mein Gewissen.
Paul Verlaine T. RESA.
Nach einem Original F. A. Cazals, (im Besitze des Herrn Dr, Bouland) Paris.
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1896 . JUGEND . Nr. 6
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1896 JUGEND Nr. 6
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Nr. 6 JUGEND 1896
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1890 JUGEND Nr. 6
Der Bauer reimt sich das Ding bald zusammen und fragt:
„Hab’ ich’s ihm geschafft, dass er Dir Deinen Pantsch soll
austrinken?“
Hierauf der Bader: „Du hast Dein Vieh anzuhängen,
dass es nicht loskommt und keinen Schaden macht! Hast
mich gehört? Und wenn Dein Esel einen Schaden macht,
so wirst Du dafür hergenommen. Meinen Trog voll Wein
mach’ mir gut. Verstehst?!“
Darauf hin wird der Bauer nüchtern. Langsam bäumt
er sich auf, hoch auf! Mit der Nase pfnaust er und sagt so-
dann in gemessener Würde: „Bader! Hättest Du Deinen Wein
dort gehabt, wohin er gehört, im Keller, und mein Grauer
war’ dazu gekommen, nachher könntest aufbegehren. Wenn
der Bauer im Wirthshaus sitzt und sein Esel derweil in den
Hof geht, so hat er recht. Wenn der Esel Durst hat und zum
Brunnen geht und trinkt, so hat er auch recht. Wenn aber
Die Sittenkommission.
im Brunnentrog das Wasser verdorben ist und das Vieh wird ln der bayrischen Kammer, da grämte sich Einer
krank davon — wer ist dran schuldig? Der das Wasser hat Von Geist ein Grosser, von Körper ein Kleiner
verdorben. Und wenn das Vieh auf so ein Gesüff verreckt, Weil mit der Tugend auf unserer Schau-
wer steht mir gut? Der den Trank hat verdorben. Du stehst Bühne es stünde gar so mau!
mir gut, Bader, und von Dir begehr’ ich einen gesunden Esel, Er sprach:
wenn der besoffene krepirt!“ „Wer, wie ich, als des Volkes Vater
So hat er gesprochen, der Bauer. Und wie der Bader Berufen sich fühlt, kann das deutsche Theater
merkt, dass sein Gegner den Spiess umwendet, da wird er Nur mit verbundenen Augen und Ohren
höllisch wild, geht zum Gericht und verklagt den Esel, den Besuchen, weil ’s allen Anstand verloren.
Esel mitsammt dem Bauern. Na, gut über das. Da sieht man gar Vieles, was sich nicht ziemt,
Jetzt, was wird da herauskommen? Der Richter ruft sie Da wird viel Sittenloses gemimt,
vor. Der Bader ist Gott Lob und Dank gesund, der stellt sich Und wenn sich am Schlüsse mit zierlichem Neigen
ein. Dem Bauer ist heute gewiss so so, er weiss selber nicht Die ausgeschnittenen Damen verbeugen,
recht, wie. Aber vorhanden ist er auch. Der Esel aber, der So lässt dies lächelnde Niederbücken
hat schauderhaftes Kopfweh — der lässt sich entschuldigen. Das Publikum viel zu tief oft blicken.
Der Richter sitzt zu Gericht. Hab’ eigenäugig bestätigt das
„Es ist“, sagt er und nimmt eine Prise, „es ist eine harte Mit einem vortrefflichen Opernglas.“
Sach’. Für diesen Fall finde ich im Gesetz keinen Para- Auch sonst, so sprach er, säh’ man vom Fleische
graphen. Der Esel hat niemanden umgebracht, hat nichts Vieles, was bess’re Bedeckung heische,
gestohlen, hat nicht Ehr abgeschnitten, hat 'kein Wort ge- Und wär’ es auch mit Trikot übersponnen
brochen, hat niemanden verzaubert oder verhext — nicht Er sei darum doch in Scham entbrennen
bald so ein braver Mensch ist mir vorgekommen wie dieser Und hält' sich, so bald der Vorhang fiel,
Esel. Und den soll ich schuldig sprechen? Ich müsste rein Erröthend gewendet von diesem Spiel.
nach dem Zechrecht vergehen, nach dem altgermanischen. Und Dramen würden gegeben, Dramen!
Und da haben wir zwei Fälle: Der zahlende Gast und der Verderblich für Männer, Kinder und Damen,
freie Gast. — Saget mir einmal, lobwerther Herr Bader, hat Für Religion und für Moral,
der Esel den Wein als stehend getrunken oder als sitzend?“ Geschmack und Gesinnung gleich fatal!
„Bank hab’ ich ihm keine hingestellt zum Trog, dem In einem Stücke zum Beispiel, dem „Faust“,
Biest!“ gibt der Bader in seiner Entrüstung zur Antwort. Sei er vor Schrecken gar nicht geblieben,
Darauf der Richter: „Also stehend. Gut. Wenn der So furchtbar habe es ihm gegraust:’
Angeklagte als stehend hat getrunken, so ist’s ein Stehwein Da habe sich einer dem Teufel verschrieben
gewesen, ein Ehrentrunk. Einen Ehrentrunk haben jedoch Und dieser hatte gar Böses zu sagen
die alten Germanen niemandem nachgeredet. Der Stehwein Ueber die heilige Kirche und ihren Magen
ist umsonst, der Herr Esel ist nichts schuldig.“ Und auch die hohe Theologie
Was ist’s weiter? Seit dieser Entscheidung nennt man Verspottete er mit Infamie.
zu Bruck an der Mur einen gepantschten Wein — des Esels Ein anderes Stück, das hab’ ihn verdrossen,
Ehrentrunk. Indessen — der Langohr verzichtete für Weiteres Weil man da drinnen nach Obst geschossen,
auf die Ehre, er hatte einmal getrunken und er trank nicht Und für die lieben Gottesgaben
wieder. Sollt’ man doch mehr Verehrung haben.
Und in einem andern Stück - von Moliere,
Der auch so ein saubrer Moderner wär’
Da käme ein Mann vor, ein frommer Mann,
Der gar nichts Böses nicht leiden kann,
Voll Tugend und Keuschheit bis über die Ohren,
Kurz einer, der so recht geboren
Zu einer Leuchte der Centrumspartei —
Der wär’ dort geradezu vogelfrei
Und würde verfolgt mit tückischem Kniff,
Der Vertreter der Sitte, der arme Tartüffe.
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Nr. 6 JUGEND 1896
Und wieder ein anderes Stück, der Satan Der sagte zerknirscht, er werde das nun
Hole es gleich! betitelt ist’s „Nathan“, In Zukunft nimmermehr wieder thun.
Verhöhne zu seinem Unbehagen
Ganz ohne Ehrfurcht dogmatische Fragen. Ja, wenn wir nicht Leute im Landtag hätten,
Dann habe ein frecher, schwäbischer Dichter Die unserm Volke die Tugend retten —
Es dargestellt, wie Soldatengelichter Und argusäugig im Kreise späh’n,
Einen Pater bei seiner Predigt Ob nirgends was Sittenloses zu seh’n —
Schlecht behandelt, ja fast beschädigt, Wo kämen wir hin in unserer Zeit
Und von demselben sauberen Herren, Der glaubenslosen Verworfenheit! ki-ki-ki.
Der’s beliebt, das Reine hinabzuzerren,
Wird noch ein schlimmeres Stück gegeben,
Das glorificirt das Räuberleben.
Da wird gleicherweis ein gottseliger Priester
Zum Besten gehalten durch freche Biester
Und ein braver Geselle, Namens Franz,
Der nach dem Geiste Loyola’s ganz
Handelt und denkt in der schnöden Welt,
Wird als Canaille hingestellt.
Den Autor möchte der Redner treffen
Und mit zwei ultramontanen Schöffen
Verhandeln dürfen, heut’ oder morgen,
Dem wollt’ er’s besorgen! —
Jedoch der Schlimmste der Tugendhasser,
Das sei ein englischer Dramenverfasser —
Der Name thu’ nichts zur Sache hier,
Doch sei darin die Rede vom Bier —-
Der hat eine Scene sich ausgedacht,
Wo einer der Mutter Grobheiten macht
Und dann auf dem Kirchhof—unerhört! —
Eine gottesdienstliche Handlung stört
Und, als genügte das Alles nicht,
Am Schluss noch den Stiefpapa ersticht.
Und doch ist dieser ein frommer Mann,
Der gar inbrünstiglich beten kann,
Und theilt auch des Redners Aversion
Gegen der Bühne frivolen Ton.-
Und wenn er so weiter erzählen wollte,
Warum er unserm Theater grollte,
Er spräche bis morgen in einem Zug —
Die Herren aber hatten genug
Und baten mit aufgehobenen Händen,
Er möge doch enden.
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1896 JUGEND Nr. 6
Und wir knobeln es schlichtweg aus, Entwurf mit dem Motto: »Ein Gastmahl des
17 Mann im Reichstag. Wer da komme in’s Reichstaghaus!
Wie sie der Zufall zusammentrug
Königs«. Die Zahl der zweiten Preise ä 60 Mark
wurde auf drei erhöht. Diese erhielten: Bruno
Donnerwetter nocheinmal: Dazu sind sie gescheut genug, /’s«/ (München), Motto: »Schwarz-weiss-roth« ,
Siebzehn Mann im Reichstagssaal! Dass sie nicht in die Sitzung geh’n. Ernst Ewerbeck {München), Motto: »So«, Paul
Haben wir darum die Herrn gewählt? Wie wir’s von unsern Erwählten seh’n! Neuenborn (Düsseldorf) für vier Entwürfe mit
Haben wir darum uns gequält, dem Motto: »Decies repetita placebit«. Auch
Uns in heissen Wahlschlachttagen Donnerwetter nocheinmal: die Zahl der dritten Preise, ä 40 Mark, musste
Mit den Feinden herumgeschlagen, Siebzehn Mann im Reichstagssaal! auf drei erhöht werden. Diese bekamen: Carl
Darum geschrieben, darum geredet, G. HINWEG. Spindler (Sankt Leonhard bei Boersch, Unter-
Darum Nachbar den Nachbarn befehdet, Elsass), Motto: »Tantalus«, Hans Völcker
Darum Partei die Partei gehasst, (München), Motto: »Hähnchen« und Arpad
Darum den glänzenden Reichstagspalast Schmidhammer (München), Motto: »Reigen«.
Aufgebaut für zwei Dutzend Millionen, In der Concurrenz III für Politische Karika-
Dass d’rin siebzehn Herrlein wohnen,
Siebzehn Herrlein von fast vierhundert? -
Die Preisausschreiben turen wurde der I. Preis (SoMk.) Arpad Schmid-
hammer (München), Motto: »Finger weg« zuge-
Ganz Europa steht verwundert der ,Jugend“ sprochen, ferner wurden drei zweite Preise zu-
erkannt an die Herren J. Carben (München),
Und schaut dem Jammer mit Lachen zu:
„Herrlicher deutscher Michel Du! haben, wie schon mitgetheilt, ein unerwartet Motto: »Staatsgewalt her, oder ich fall um!«,
Bist schon ein Vierteljahrhundert wach, erfreuliches Ergebniss gehabt. Für Wettbewerb I: Rudolf Griess (München), Motto: »Durch!« und
Hängst halt wieder dem Schlafe nach!“ Entwürfe fürTitelblätt er der, Jugend“ liefen einem Entwürfe mit dem Motto: »Kürze ist des
Siebzehn Männer, gewählt vom Land, im Ganzen 230 Arbeiten ein. Die Jury verlieh Witzes Seele« (Name unbekannt). WettbewerbIV
Sind noch, wenn man sie braucht, zur Hand, den I Preis (200 Mark) dem Entwürfe von betrafEntwürfefür Carnevalsplakate. I. Preis
Dreihundertundachtzig ist es gleich, Robert Engels (Düsseldorf), Motto: »Pastorale«. Ferdinand G'ötz (München), Motto: »Schwarz-
Wie’s ihm ergeht, dem deutschen Reich! — Ferner wurden zwei zweite Preise ä 150 Mark weiss«, II. Preis Rudolf Wilke (München), Motto :
verliehen an E. R- Witzei (München), Motto: »Carneval frangaise«, zwei dritte Preise: E.
Wenn nun wieder die Zeit mal kommt, «Poesie« und Albert Wimmer (Leipzig), Motto: Laskowsky (Strassburg), Motto: »Maske« und
Dass uns ein neuer Reichstag frommt »Credo« und zwei dritte Preise ä 100 Mark an Eduard Gabelsberger (München), Motto: »Ernst
Braucht es dann wieder der vielen Reden Josef Auchentaller (München), Motto: »Jugend, ist das Leben, heiter die Kunst«. — Die Jury
Und der grimmigen Zeitungsfehden geh’ mit der Zeit« und Adolf Münzer (München), bestand aus den beiden Herrn Präsidenten der
Und der Opfer an Zeit und Geld Motto: »Stier«. Noch etwa fünfzehn weitere grossen Münchener Künstlervereinigungen: Pro-
Denn umsonst ist der Tod in der Welt Entwürfe waren mit in die engere Wahl gekommen fessor Ludwig Dill (»Secession«) und Hugo
All’ der Erregung nah und fern, und wurden zum Ankauf empfohlen. Bei Wett- Bürgel (»Münchener Künstler-Genossenschaft«),
All’ das wieder — um solche Herrn? bewerb II, Entwürfe für Menukarten, erhielt aus den beiden Herrn Akademie-Professoren
Nein, wahrhaftig, das nächste Mal von circa 120 Einsendungen den I. Preis (80 Mark) Marr und Franz Stuck und Herausgeber und
Schenken wir uns die Müh’ der Wahl wieder Robert Engels, (Düsseldorf) für seinen Redakteur der Zeitschrift „fugend“.
-r' '—^.-1—• —
Von Arpad Schmidhammer.
Zukunftsfeuerwehr.
99
Inseraten-Annahme Insertions-Gebühren
JUGEND
durch alle Annoncen-Expeditionen für die
sowie durch 4gespalt. Colonelzeile oder deren
G. Hirth’s Verlag in München Raum M. I.—
und Leipzig. laut aufliegendem Tarif.
Die JUGEND erscheint allwöchentlich einmal. Bestellungen werden von allen Buch- und Kunsthandlungen, sowie von allen
Postämtern (Bayer. Postzeitungs-Katalog No. 397, Deutsches Reichspostzeitungs-Verzeichniss No. 3536) und Zeitungs-
Expeditionen entgegengenommen. Preis des Quartals (13 Nummern) 3 Mk., der einzelnen Nummer 30 Pf.
Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben. — G. Hirth’s Verlag in München & Leipzig.
ALLE RECHTE VORBEHALTEN.
Nr. 7 IUGEND 1896
nichts Neues mehr ist. Unser Gespräch „Lass’ das, sonst komme ich nicht
Ein Aschermittwoch. kam schnell in Fluss und war in einigen wieder!“
Minuten lebhaft und reizvoll; das war Da liess ich es und je öfter wir uns
Wir hatten uns sechs oder sieben Mal schon ein Zeichen dafür, dass unsere trafen, desto mehr liess ich von dem, was
in jenem langen Fasching getroffen, aber Seelen einander verstanden. Wir sprachen ich vorher gewagt. Auch im Reden, ob-
nur da, wo Maskenfreiheit galt und Larven nicht vom Schlittschuhlaufen und nicht wohl da die Versuchung, ein wenig imper-
getragen wurden, denn ich sah sie nie ohne vom Wetter, nicht von Sudermann und tinent zu sein, ziemlich gross war. Drehte
Larve. Vielleicht trafen wir uns auch sonst nicht von Mascagni. Auf Verlegenheits- sich doch unser Gespräch zumeist im Kreise
noch hin und wieder auf einem Ball, auf themen gerieth man gar nicht in ihrer um Herzensfragen. Dass dies nie eintönig
der Strasse, im Theater — ich weiss es Gesellschaft. Als wir zum ersten Male und nie gefährlich wurde, weiss ich heute
nicht und sie hat es mir jedenfalls nicht auseinandergingen, bat ich sie um ein kaum mehr zu fassen. Fing ich je einmal
verrathen. Wiedersehen. an, von schöngeistigen Dingen zu reden,
Sie kam immer im schwarzen Domino „O ja im Domino!“ so gab sie meist eine kurze, oft eine gute
und hatte immer die gleiche Nadel am „Und das Erkennungszeichen?“ Sie Antwort, brach dann aber ah. Es schien,
Busen stecken, an der ich sie erkannte: deutete auf die goldene Mistel. als hätte sie eher Bildung, als Unbildung
ein goldenes Mistelzweiglein mit Perlen- Acht Tage später traf ich sie auf dem zu verbergen.
beeren. Opernball. Wir sprachen wieder nicht vom Natürlich hatte ich sie schon am Schlüs-
Mit dem ersten Blick hatte sie mich Theater oder anderem Nothbehelf; immer se des ersten Ballabends gebeten, die Mas-
gefesselt. Sie war eher klein, als gross. von uns selbst, immer vom lebendigen ke zu lüften. Sie schüttelte lachend den
Von ihrer Gestalt liess das bauschige Leben. Beim Auseinandergehen sagte sie Kopf und entschwand, als es Zeit wurde,
Seidengewand nicht viel mehr erkennen, mir freiwillig, wo sie nächstens zu treffen sich zu demäskiren.
als dass sie geschmeidig und schlank war. sein werde. Immer hinter der Maske na- Gerade so das zweite Mal.
Ein Stückchen Arm, zwischen dem hohen türlich! Auf dem dritten Maskenball waren wir
schwarzen Handschuh und dem Aermel, So begegneten wir uns bald da, bald schon gute Freunde. Damals versprach
war voll und weiss, der Ansatz des Halses dort und wir blieben dann stets zusammen, sie mir, am letzten Abend des Garnevals die
an die Schulter so schön, wie man ihn bis sie nach Hause fuhr. Bis an den Wagen Maske abzunehmen, wenn ich artig bliebe.
selten sieht. Es war zum Entzücken, wenn ging ich mit; ich hatte versprechen müssen, Nun drängte ich nicht mehr. Mit jeder
sie diesen schlanken Hals bewegte und sie ihr aber nie weiter zu folgen. Ob sie meinet- Begegnung freilich wuchs meine Neugier,
drehte das Köpfchen gerne ein wenig kokett wegen kam, weiss ich nicht, doch es mochte aber jedesmal mischte sich auch stärkeres
hin und her, als wüsste sie, wie gut ihr wohl sein. Dass ich ihretwegen kam, weiss Bangen dazu.
das stand. In ihrem Nacken kräuselte sich ich gewiss. Und bald kam ich nur allzu War sie wirklich der mächtigen Re-
dichtes dunkles Haar. Auch ihren Mund gerne! gung werth, die mir das Blut so stürmisch
habe ich gesehen, einen nicht zu kleinen Ich war verliebt in einen Domino! zum Herzen drängte, wenn ich nur von
Mund mit vollen, rothen Lippen, die lachen Wer war sie? Eine Dame der »ganzen« Weitem ihre wohlbekannte, vermummte
konnten, lachen, dass Einem das Herz im Welt oder ein Dämchen der halben? Eine Gestalt auf mich zuschreiten sah? War
Leibe mitlachen musste, auch wenn es Frau? Ein Mädchen? Wenn ich sie fragte, sie schön? War sie jung? War sie ver-
bang und traurig gewesen war. Auch oder gar auf Umwegen eine Auskunft zu blüht? Gut? Schlecht?
schmollen sah ich diese Lippen, und sie ergattern suchte, lachte sie mit ihrem hell- j Dass sie nicht hässlich sein könne,
sind auch dann nicht minder hübsch ge- sten Lachen und gab mir die Antwort: stand in mir fest. Dass sie jung sei, dafür
wesen. „Chi lo sa? Wer weiss es?“ sprach der feingedrechselte Hals — nicht
Sie war immer sehr gut angezogen und Madonna Chilosa nannte ich sie denn mehr siebzehn- oder achtzehnjährig, das
vermied dabei einen übertriebenen Chic auch. bewiesen die frauenhaften Schultern. Das
ebenso geschmackvoll wie alles Spiess- Sie sprach nie ein allzu freies Wort, bewies übrigens auch die Art, wie sie vom
bürgerliche und Alltägliche. Allerliebst verübelte aber auch einen Scherz nicht, der Leben sprach.
waren stets ihre kleinen, feinen Schuhe — kecker war, als das übliche Ballgespräch. Was würde ich inne, wenn die Maske
„ein köstlich Ding an Frauen!“ — frei Als ich einmal in einem unbewachten fiel? Eine solche Frage sollte Einem nicht
nach Lear! Augenblick die Lippen auf ihre Schulter mehr sehr viel Herzklopfen machen, wenn
Zuerst trafen wir uns zufällig und plau- drückte, schlug sie mich weder mit dem man sechsunddreissig Jahre zählt und nicht
derten ungezwungen, wie zwei Leute, denen Fächer in’s Gesicht, noch fuhr sie zornig gerade mehr zum ersten Mal vor einem
der Mummenschanz mit seinen Freiheiten auf. Sie sagte ganz ruhig, bittend fast: holden Räthsel steht. Es gab aber Nächte,
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1896 JUGEND Nr. 7
in denen ich um dieser Frage willen nicht ein- Zwölf Uhr!
schlafen konnte, es gab eine Nacht, in der ich Dröhnend, langsam, schaurig fast in diesen
meinte, durch sie von Sinnen zu kommen, mir Trubel der Narrheit hinein klangen die zwölf
das Thörichteste vornahm, die unsinnigsten Zu- Schläge vom nahen Thurm des Münsters.
kunftspläne machte. „Zwölf Uhr!“ rief ich.
Aber schliesslich sucht man sich sein Weib „Aschermittwoch!“ gab sie zur Antwort. Ich
doch nicht hinter der Larve! fasste ihre Hand.
Sein Weib! Soweit war ich schon — und „Wirst Du Wort halten und Dich demaskiren?“
ich wusste nicht, ob sie nicht einem Andern, ob „Ja — wenn D u es willst!“
sie nicht — aller Welt gehörte! Gar nichts wusste Einen Augenblick zögerte sie noch, dann
ich von ihr. nestelte sie an ihrem Kopfputz, die Larve loszu-
War ich wieder bei Dame Chilosa, dann war machen. Der Knoten wollte sich nicht öffnen
lassen.
der Sturm vertobt, ich plauderte mit ihr, senkte „Du musst mir schon behilflich sein!“
meinen Blick in die Tiefe ihrer Augen, hörte den Ich stand auf mit hochklopfendem Herzen.
Wohllaut ihrer Stimme und war glücklich. Dann Für mich war das nicht mehr das flüchtige Räthsel
hatte ich auch das bestimmte Gefühl, dass sie
jung, reizend, gut und klug sein müsse. einer Ballnacht, was sich da lösen sollte; es
war eine durch Wochen gesteigerte, geschürte
Ging ich aber ein paar Stunden später nach Leidenschaft, die mich gequält hatte, —• die
Hause durch die Winternacht, deren eisige Luft nun vielleicht ein Ende haben, oder noch un-
Stirne und Gedanken abkühlte, so kam wieder heilvoller auflodern mochte.
das unselige: „Aber wenn doch ... “ über mich. Ein namenloses Bangen überkam mich, nicht
ein Bangen vor Unheil, oder eines vor der Zer-
Es war der letzte Abend des Faschings. Wir störung eines Wahnes, der mir so lieb geworden.
hatten ein Tischlein in einem wundervoll ab- Ich stand neben ihr, sah ihre blitzenden Augen
gelegenen Nebenraum des Ballsaales erobert und zu mir emporgerichtet und hörte sie sagen:
vor uns stand eine Flasche Champagner. Zum „Nun, Du weisst es ja so gewiss, dass ich
ersten Male seit unserer Bekanntschaft. Bisher nicht alt und nicht hässlich bin!“
hatte sie nie eine andere Erfrischung von mir „Das wäre am Wenigsten schlimm und das
angenommen, als ein Glas Limonade, oder eine beste Mittel, mich von diesem thörichten Herz-
Tasse Eis. klopfen zu kuriren!“
„Heute ist es ja doch das letzte Mal,“ hatte „Mit diesem Mittel kann ich aber leider nicht
ich gebeten. dienen!“
„Also zum Abschied!“ „Weisst Du, dass ich versucht bin, Deinen
Mir war es, als ob ihre Stimme zitterte. Ich Schleier ungehoben zu lassen, liebes verschleiertes
schenkte ihr ein; sie hob den Schleier der Larve Bild! Am Ende wäre es klüger!“
ein wenig in die Höhe und mein Blick hing „Am Ende!“
durstig an ihrem Mund. Mit einem Male wurde der Entschluss in mir
„Heute werde ich endlich Dein Gesicht sehen!“ reif, dass meine Unbekannte mir auch unbe-
Ich brachte die Worte kaum heraus vor Erreg- kannt bleiben sollte und je klarer der Entschluss
ung. Sie lachte ganz leise. ward, desto ruhiger strömte mein Blut wieder
„Wenn es zwölf Uhr geschlagen hat — am durch die Adern. Den holdseligen Traum als
Aschermittwoch Morgen“. Traum erhalten — das war das Rechte!
Nun plauderten wir wieder von Anderem. Der ganze magische Reiz, der mich zu dem
Hastiger, unruhiger als sonst, und mit längeren berauschenden Wesen hinzog, konnte mit einem
Pausen. Auch sie schien erregt. Als ich ein- Schlage verflogen sein, wenn ich ihr Gesicht
mal ihre Hand streifte mit der meinigen, hielt sah. Irgend ein böses Fältelten um ihr Auge
sie diese einen Augenblick fest. Nur einen konnte die Illusion zerstören. Und ein Glück,
Augenblick; es war aber doch ein leiser Druck, das Einem hinterher ausgestrichen wird aus dem
den ich spürte. dünnen Büchlein unserer Freuden, das wird zum
Unsere Gläser klangen wieder zusammen. bittern Leid. Jetzt war Dame Chilosa für mich
„Auf das Glück der nächsten Stunde.“ noch lieb, schön und gut! Sie sollte es für
„Auf Dein Glück in dieser und jeder späteren.“ mich bleiben!
„Auf Deins, Du Liebe, Schöne!“ „Ich lasse Dir Deine Maske, vielleicht ist’s
„Lieb, schön?“ das Beste für uns Beide!“
„Ich weiss, dass Du es bist!“ „In irgend einem Sinne'gewiss!“
„Chi lo sa!“ Ich hatte die Gläser wieder voll gegossen und
Nun wurden wir wiederum ganz still mitten wir stiessen an: „Auf ein Wiederbegegnen, irgend-
in dem wüsten, tobenden Treiben der letzten wo, irgendwann, aber in guter Stunde! Es kann
Garnevalsnacht. Um uns schwirrten die Masken. ja sein, dass es sich fügt!“
Am Nebentische presste sich hinter einem Riesen- „Es kann sein! Chi lo sa!“
fächer ein Paar in wildem Begehren aneinander. Sie nickte mir freundlich zu und ihre Augen
Nebendran sass ein einsamer Pierrot, den Katzen- glänzten feucht. Dann hob sie den Schleier der
jammer eines ganzen Garnevals in seinem mehl- Larve hoch, um zu trinken. Ich sah ihren Mund
bestäubten Gesicht und schlief, des Lärms un- wieder und sah, wie er blühend und jung war.
geachtet, den Schlaf des Ungerechten. Ein Clown Wieder ein kleines Toben in der linken Brust-
in gelbem Glanzleinen strich herbei und kniff seite. Dann war’s überwunden.
meine Unbekannte in den Arm. Ich gab dem Nun blieben wir ganz unbefangen noch eine
steifleinenen Humoristen einen Rippenstoss. Weile bei einander und gedachten scherzend der
„Maskenfreiheit!“ brüllte er, nahm es aber wei- vergangenen Wochen, lachten über den Schwarm
ter nicht übel. überhitzter und doch schon halbernüchterter Men-
Immer heisser wurde der Saal, immer schwüler schen im Saal. Auf keinem Gesicht war eine
die Lustigkeit der Menschen, ln der Luft lag reine und ruhige Freude zu lesen. Lieber Allen
der Rausch. lag schon der Schatten der Reue, der Sorge, der
„Hast Du mich lieb?“ Mit dieser thörichten Uebersättigung. Die meisten Frauen hatten jetzt
Frage brach ich das Schweigen. die Larven abgelegt — aber kein einziges von
„Warum antwortest Du nicht! Sag’ wenig- allen diesen Gesichtern kam mir anziehend vor.
stens Nein!“ Unser gelber Clown tänzelte wieder vorbei:
„Ein Ja und ein Nein würden Dir gleich „Demaskiren!“ schrie er.
wenig helfen!“ Fast gleichzeitig erhoben wir uns, Dame Chi-
Zierleiste von F. Hass. losa und ich — wir verstanden uns schon, ohne
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ioü
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* JUGEND * Nr. 7
Theaterleute.
Von F. B.
Die Naive. Die Heroine.
Schon dreissig Jahre spielt sie — ach Als Haupterfindung preiset sie
Das liebliche Naivenfach. Vor Allem — die Photographie!
Von nichts noch wissen ist naiv — Entgegen Dir ihr griechisch Bild
Doch Die weiss Alles positiv. Von allen Auslagfenstern quillt.
Der Zopf ist lang, der Busen weit. Stets im Profil, den Arm ge-
Der Fuss ist klein, der Kopf gescheid, schwungen —
Ihr Auge schiesst den Diebespfeil, Wie bei der Wäsche ausgerungen
Sie wackelt mit dem andern Theil! Die Toga mit dem Faltenschmiss,
Ganz pipsig spricht sie wie von Glas, Vier Centimeter ganz gewiss
Jedoch daheim im Schusterbass! Die Haken unter den Sandalen —
Nie kam ihr noch ein Mann zu nah — Ach Gott, wie schön! Es ist zum
„Wie?“ — Auf der Bühne mein ich malen!
„Ah!“ - Sie schreitet stets und
Ihr Name wechselt mit dem Stück zieht einher,
Sonst hat sie stets denselben Trick: Doch ihre Rollen ziehn nicht mehr!
Sie weiss von nichts und thut erschreckt Medea Sapho leeres Haus!
Und hat es doch schon längst bezweckt, O Kunstgeschmack Du lisch’st
Dass sie ihn kriegt und kriegt ihn auch. ja aus;
So ist’s in jedem Lustspiel Brauch! Man räth ihr zu „modernen“ Rollen:
„Nie!“ brüllt sie da mit Donnergrollen:
„Ihr Götter, endet meine Qual
Und schickt mir endlich — — den Gemahl!“
Und richtig kriegt sie einen noch;
Die Salondame. Er macht Stearin, was schadet’s doch!
„Mein Stichwort kommt — herrjeh, macht Platz! Sie spielt noch oft nur in Vereinen
Lasst los die Schlepp’ wie heisst mein Satz? Zum Wohl der lieben Negerkleinen.
Du dumme Gans von Garderobiere, Dann sagt man still: „Sie soll sich hangen!“
Ich bring’ Dich um — rasch eine Scheer! Und laut: „Wie schad, dass sie gegangen!
Ich werde rasend — lauf doch, lauf!“ „Der hohe Stil ist ganz vertrieben
Stichwort! Und lächelnd tritt sie auf. „Wie schad’ dass sie nicht treu
Dort in der ersten Loge links geblieben
Sitzt er — der Herr von Dingsderdings; Der Bühne, ihrem Ideal !“
Er hat den ganzen Kram bezahlt. „Wie schad’!“ seufzt auch der
Na — theuer war’s! — Allein sie Herr Gemahl.
strahlt! —
Sie plappert schnell. So will's der Ton
Der feinsten Konversation. 7)?
Die Schleppe ist sehr hinderlich —
Sie weiss sie prächtig hinter sich
Zu schleudern mit dem einen Fuss,
Die Sentimentale.
Es ist fürwahr ein Hochgenuss!
Der Partner giebt drum peinlich acht, Sie trug dereinst für ihren Vater
Dass er die Schlepp’ nicht schmutzig Zu einem Herrn vom Hoftheater
macht, Die Rechnung für ein Stief^lpaar,
Springt hin und her vor diesem Schwanz, Das längst schon zu bezahlen war.
Steigt drüber auch mit Eleganz! Der Gang natürlich blieb umsunst,
So geht der Akt vergnüglich hin, Jedoch den „Weihekuss der Kunst“
Ach Kinder — welche Künstlerin! Gab jener Herr ihr auf den Mund
Pardautz, jetzt tobt die Claque los — Und nun war’s aus von dieser
Der Dingsderdings, der schmunzelt blos! Stund!
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1696 . JUGEND . Nr. 7
Jetzt geht zu Ende der Mummenschanz, uie nerzen scmagc.- — wuQer ^usf Als wollten einander in blinder Wuth
Jetzt geht der Fasching zur Neige, Verwelkt von der G*uth der Kerzen’ Vernichten nun alle Beide —
Zum letzten bacchantischen Narrentanz Sind alle die Blumen an weisser Brust Doch sind sich die Feinde nur allzugut
Ruft jauchzend Trompete und Geige. Fahrt hin denn, Blüthen in Herzen! Und Ihnen sich Nichts zu Leide!
Grellgelb im Scheine der Kerzen glüh’n JM-tZtwÜgt SlCh diC SChundind°PpeIte Feih'n - Sie reichen sich gleich nach dem wilden Tanz
Die überwachten Gesichter Mit Hurrahgeschrei una Gestrampfe In Eintracht Herzen und Hände —
Und aus viel funkelnden Aeuglein sprüh’n So stürmen sie aufe,nander ein ' Jetzt geht zur Neige der Mummenschanz,
Gar heisse, begehrliche Lichter. Als galt’ es verzweigtem Kampfe! Jetzt'geht der Fasching zu Ende!
Die Anstandsdame.
Die Nase gross — ein wenig beinig,
Steht auf den Proben meist alleinig.
Wer wagt’s, ihr einen Kuss zu rauben?
Kein Mensch! Nun ja, das will ich
glauben!
Die Tugend ist ihr Repertoire,
Das spielt sie wirklich lebenswahr:
„Mein Herr! Sie küssen dieses Kind!?“ —
„Prinzessin flieht hier Männer sind!“ —
„Wer dringt in diesen Tempel ein?“
„Don Lopez — Ihr seid zu gemein!“
Passirt Malheur — mit feinem Takt
Hat sie’s geahnt im ersten Akt.
Mitunter hat sie zu entsagen
Und weiss mit Würde es zu tragen.
Doch wenn zum Schluss die andern
Fächer
Das Schicksal knickt mit Giftesbecher,
lio
Nr. 7
1896 * JUGEND -
in
Nr. 7 JUGEND 1896
Endlich ist nun aus Makalle, Kriegt ein Kreuz und avancirt! Freudenschüsse hört man knallen —
Endlich ist nun aus der Falle Und Triumph geschnattert wird Mit den Gratulanten allen
Glücklich los der Italiano Von des Kapitols Geflügel Kommen auch wir Münch’ner endlich;
Und der tapfre Galllano In der Stadt der sieben Hügel, Freilich dünkt’s uns selbstverständlich,
Dass die Kerle bn ! gestritten — Weiss der Mensch an andern Plätzen
Aber, dass sie Du st gelitten, Nirgends so wie h er zu schätzen!
Guter Rath. Er schaute mich verduzt an, dachte einen Moment nach,
empfahl sich dann höflich und ging.
Kürzlich besuchte mich ein junger Mann, um sich Rath Wenn er vernünftig ist, hat er sich meinen guten Rath
von mir zu holen. Er sagte, er wolle Schriftsteller werden, zu Herzen genommen. carl arno.
worüber ich ein Wenig erstaunt war, und ich fragte ihn:
„Warum ?“ —
,Ja, sehen Sie,“ meinte er, „heutzutage schreibt fast Jeder,
der Zeit und Talent dazu hat; warum sollte ich es nicht auch
probiren? Wenn man Glück hat, kann man leicht Geld dabei
verdienen.“
„Ja, ja,“ warf ich ein.
„Worüber man schreibt, ist gleichgültig,“ fuhr er fort, „die
Hauptsache ist, dass die Bücher von den Leuten gekauft wer-
den. Zu lesen bräuchten sie sie gar nicht. Allerdings wollen
Viele sie auch lesen, und deshalb ist es nothwendig, die Seiten
seines Werkes mit sinnvoll aneinander gereihten Buchstaben
zu bedecken.“ Ukas.
Ich musste lachen und sagte: „Ja, es ist das gerade der
schwierigste Theil der Schriftstellerei, diese Lautzeichen kunst- Sic volo, sic jubeo! Ich August Bebel gebiete,
gerecht zu vernünftigen Sätzen und Kapiteln zu vereinen.“ Dass hinfüro das Maul jeder Genosse petschiert
„Nun,“ meinte er, „ich werde es also auch unternehmen, Trage mit gluthrothem Lacke, darauf das Siegel gedruckt ist,
eine Menge unschuldweissen Papiers meine schwarze Schuld Das Meine sichere Hand prägte aus blinkendem Blech, a. b.
tragen zu lassen.“
„Es wird sie geduldig tragen, es trug schon viel,“ ent-
gegnen ich.
„Wenn nur gekauft wird,“ sprach er offenherzig weiter,
„der Ruhm ist mir eigentlich Nebensache.“
Ich tröste ihn: „Es gibt genug Bücher, die Niemand voll-
ständig liest, z. B. die ,Messiade‘, das Konversationslexikon',
Im Walde.
,Rembrandt als Erzieher' und viele Andere. Gekauft werden Still im Wald, im schattig-kühlen,
diese Bücher aber doch. Also Muth!“ Einsam schreite ich dahin
Der junge Mann hatte bisher den angebotenen Stuhl ver-
schmäht und war beim Reden nervös vor mir herumgetänzelt; Und die Sonnenstrahlen spielen
jetzt setzte er sich, seufzte und begann: „Sehen Sie, der Stoff Zitternd durch das Tannengrün.
meines ersten Romanes ist der: Der Held — heissen wir ihn Und auf lichten Andachtsschwingen
Franz von Sternau — ist ein untersetzter, brünetter Dreissiger, Hebt die Seele sich empor.
Landwirth und von vielseitiger Bildung. Dieser Franz liebt
schon lange seine schöne Cousine Klara in der nächsten Und mir ist, als hört’ ich’s klingen
grossen Stadt. Klara ist blond“ — Wie ein leiser Engelchor:
„So?“ fragte ich zerstreut. Hier ist des Friedens Aufenthalt,
„Ja,“ bekräftigte er, „sie ist eine sehr interessante Er- Der liebe Gott geht durch den Wald...
scheinung, Doppelwaise, zwar selbst wenig vermögend, erfreut
sich aber des Besitzes eines reichen alten Onkels; das heisst,
sie wird sich dieses Besitzes einmal später zu erfreuen haben. Wiederum auf Waldeswegen
.— Diese Klara wird nun von einem anderen Cousin eben- Zieh’ mit i h r ich, Hand in Hand,
falls geliebt, derselbe ist Lieutenant bei den Ulanen. Sie gibt Stürmisch pochen sich entgegen
eigentlich Keinem den Vorzug, aber die beiden nebenbuhler- Uns’re Herzen, liebentbrannt.
ischen Cousins sind wüthend auf einander. Das muss einen
höllischen Conflikt geben. — Soweit bin ich. Aber wie meinen Beiden ist es zum Ersticken,
Sie, dass sich die Sache nun weiterentwickeln Hesse? Ich Nichts, was unser Schweigen bricht,
könnte ja eigentlich den Verlauf abwarten, denn die Geschichte Nur aus heissen Liebesblicken
spielt in der Wirklichkeit, die Leute leben und ich kenne sie Glühendes Verlangen spricht . . .
persönlich. Was meinen Sie?“
„Da weiss ich nur einen Rath, entgegnen ich, „spielen Da drück’ ich mich an die zarte Gestalt, —
Sie selbst eine Figur Ihres Romans machen Sie den Tertius Der Liebe Gott geht durch den Wald!.. 1.1>.
gaudens.“
Wieso —?«
"Gehen Sie hin und heirathen Sie beiden Nebenbuhlern
die Cousine vor der Nase weg und lassen Sie die Anderen
schreiben!“
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U4
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Er ist ganz gewiss zu Hause! Na warte nur: Was für ein reizender Käfer — Selbstverständlich:
Dich krieg ich daran! für die sind wir zu Hause.
Spruch.
Ein jeder Mann hat seine Rüpeljahr’,
Der wird kein ganzer Kerl, der nie ein Rüpel war;
Nur freilich, dass es geht, so wie man’s treibt:
Mancher sein Lebtag blos ein Rüpel bleibt.
o. j. u.
Weltlauf.
Die Erde, die Erde, der bunte Ball,
Spektakelt, mirakelt durch’s Weltenall.
Wir taumeln und baumeln spektakelnd mit,
Werden älter, werden kälter, Tante Mors ruft: quitt!
o. j. v. Das sind so Carnevalspossen.
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Inseraten-Annahme Insertions-Gebühren
JUGEND
durch alle Annoncen-Expeditionen für 'die
sowie durch 4 gespalt. Colonelzeile oder deren
G. Hirth’s Verlag in München Raum M. I.—
und Leipzig. laut aufliegendem Tarif.
Die JUGEND erscheint allwöchentlich einmal. Bestellungen werden von allen Buch- und Kunsthandlungen, sowie von allen
Postämtern (Bayer. Postzeitungs-Katalog No. 397, Deutsches Reichspostzeitungs-Verzeichniss No. 3536) und Zeitungs-
Expeditionen entgegengenommen. Preis des Quartals (13 Nummern) 3 Mk., der einzelnen Nummer 30 Pf.
Briefkasten.
An Hans P. in Breslau.
Scherz, Satire, Witz und Schnurre
Sind der „Jugend“ stets willkommen.
Her damit! Je mehr, je besser!
Uns und Ihnen wird es frommen.
Unser Titelblatt, Originalzeichnung von Ferdinand G'ötz (München) 1 „ein Trifolium“, deren Autor uns noch unbekannt ist, zählt zu den
hat bei unserm „Wettbewerb für Carnevalsplakate“ den ersten drei mit zweiten Preisen bedachten Blättern. Das Mittelstück „Masken-
Preis erhalten. Das Titelblatt von Robert Fngels (Düsseldorf), welches Franjaise“ von Rudolf Wilke wäre von den Preisrichtern bei der Con-
den ersten Preis in der Concurrenz für Titelblätter der „Jugend“ erhielt, currenz für Carnevalsplakate wegen der eminenten Charakteristik der dar-
wird den Umschlag unserer nächsten Nummer zieren. Die Zeichnung gestellten Typen wohl mit einem ersten Preise bedacht worden, er-
„l'inger weg!“ trug den ersten Preis unter den „politischen Caricaturen“ hielt aber, weil die Propositionen für ein „Plakat“ nicht eingehalten,
davon und ist von Arpad Schmidhammer, die politische Zeichnung, sondern nur zwei „Leisten“ eingeschickt waren, den zweiten Preis.
Conservator der öffentlichen Kunstsammlung in Basel. 7 Bogen hoch 40, mit 15 Textillustrationen Beginn d. 4monatl. Kurses 13. April
und 50 Lichtdrucktafeln. Ladenpreis elegant broch. Mk. 20.—. Dr. Doemens.
Herausgeber: Dr. GEORGHIRTH; verantwortlicher Redakteur: F. von OST INI; verantwortlich für den Inseratentheil: G. EICHMANN, G. HIRTH’s Kunstverlag; sämmtlich in München*
Druck von KNORR & HIRTH, Ges. m. beschr. Haftung in München.
1896 - 22. Februar - JUGEND • I. Jahrgang - Nr. 8
Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben. — G. Hirth’s Verlag in München & Leipzig.
ALLE RECHTE VORBEHALTEN.
Nr. 8 JUGEND 1896
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1896 JUGEND Nr. 8
■scher und geheimnissvoller Schrei. Es war, als , blutrothe Brandstreifen des west-
riefe er unser Unterhaltungsbedürfniss wieder Himmels durch die Stämme wahrzuneh-
wach. Einige unter der Gesellschaft sahen sich men vermocht, aber das hörte auf, als ich tiefer
an, lächelten erstaunt und begannen dann zu in den Wald drang, wie überhaupt jede Farben-
schwatzen: — etwas eilig, als schämten sie sich abtönung ringsumher erstarb.
ihres Schweigens. „In vielen Krümmungen wand sich der
„Bald gerieth das Gespräch auf einen Ge- Weg, nur wenig ansteigend, nur selten sich sen-
genstand, der uns am meisten zu beschäftigen kend. Oft bildete der Pfad einen ganz scharfen
pflegte: eine Russin, die zum Sommeraufenthalt Winkel, zwischen dessen Schenkeln ein kleines
in einer Villa am Russe des Brombergs wohnte, Waldthal wie eine Schale lag, während an der
und die auch mich lebhaft interessirte. Sie war Spitze der Berghang emporstieg in’s Dunkle des
weder schön, noch war sie jung; auch einen Abends. Dann hörte ich die Kirchenglocken von
Ueberfluss von Geist besass sie nicht. Trotz- Güntersthal und stand still, den Klängen lau-
dem, weiss der Himmel wie es gekommen war, schend, die wie fromme Melodieen halblaut durch
hatten wir alle sechs uns ein wenig in sie ver- die Lüfte zogen.
liebt. Freilich hatte sie eine zigeunerische Art, „Doch jetzt wurde es immer finsterer. Und
das Leben leicht zu nehmen und sich um das immer dichter schlossen die Baumkronen ihr
Gerede der Welt den Teufel zu scheeren. Sie Laubdach über mir zusammen, und immer enger
besass jene naive Koketterie, vor der weder Phi- standen die schlanken hohen Stämme beieinan-
losophie noch Menschenkenntniss Stand hält: der, als hätten sie plötzlich begonnen zu wan-
alles das löst sich in ein Lächeln auf. dern, als fürchteten sie einen Verräther zwischen
,Ich könnte Ihnen nun jedes Wort berich- sich, den '-sie nicht entrinnen lassen durften.
ten> das in unserm Kreise fiel. So etwa muss Der Abendsegen war zu Ende geläutet und ein
der Mörder jede Einzelheit vor seiner That in Schweigen lagerte rings, wie ich es niemals im
der Phantasie bewahren. Freilich, diese zwei Leben sonst empfunden habe. Die dürren, ab-
Jahre waren eine lange Nacht und mir ist, als gelegnen, rothen Blätter auf dem Walderdreich,
Ware ich gestern dort gesessen unter den dun- die ich bis vor wenigen Minuten noch zu sehen
keln Stämmen des Schwarzwalds. vermocht hatte und die mir in dem unbestimmten
)Wir könnten eigentlich eine Gesandtschaft Licht wie ein endloses Korallenlager erschienen
an sie abschicken“, grunzte Jost Besenhardt, der waren, umhüllten sich jetzt völlig mit dem schwar-
fette Bureauchef einer Aktiengesellschaft. ,Ich zen Mantel der Nacht.
bitte Euch, eine halbe Stunde Wegs und ihr „Ich stand still. Ich lauschte. Mein Herz
könnt Euch ihre Gunst erschmeicheln . ...‘ klopfte rasch und hörbar. Aber als ich das ein-
„Da sprang ich auf. ,Ach was, Kinder, ich tönige und angenehme Geräusch meiner Schritte
geh!4 rief ich erhitzt und schlug mit der Faust nicht mehr vernahm, überfiel mich eine starke,
auf den Tisch. Ich verstehe nicht, wie ich dazu ausdauernde Furcht. Ich fing an rascher zu
kam> ein solch aberwitziges Vorhaben auszu- gehn, aber bald stand ich wieder lauschend.
tuhren. Aber es packte mich wie ein Rausch. Es Ich überlegte, ob ich nicht umkehren solle,
war durchaus nicht Verliebtheit, die mich dazu aber noch waren die Vorstellungen von dem
tneb. Die seltsamen, harzigen, weichen Düfte Hohn der Freunde so lebhaft in mir, dass ich
des Abends mussten mich narkotisirt haben. . . . mich vor Scham erröthen fühlte. . .. Instinktiv
brst lachten sie alle; dann schrieen sie bunt suchte ich nach Streichhölzern in den Taschen:
durcheinander: es sei Unsinn, ich würde mich ich hatte nicht eines bei mir. Und es ward immer
verirren; ich kennte die Nacht des Waldes noch finsterer. Erschreckt gewahrte ich, bis zu
j'p!?1’ — aber sie schrieen umsonst. Ich hatte welcher Grenze die Tiefe der Nacht gehen könne.
dafür ein heiteres und sorgloses Lachen, das Noch niemals hatte ich diese, die eigentliche
alf ihre Einwände zurückwies. Meine Begierde die gewaltige Finsterniss erschaut. Die Finster-
st,eg vielmehr, wie bei einem Menschen, den niss, die es unmöglich macht, die eigne Hand
roan abhalten will, vergrabene Schätze zu heben. zu sehen, die dem Körper alle Sicherheit der
Nie war mir eine Sache so ernst gewesen. Ja, Bewegung raubt, das Athmen erschwert.
lch empfand es wie eine berechtigte Auflehn- Die Nacht hatte ich nie anders als in der mil-
ung gegen die blinden Mächte der Natur, als den und wohlthuenden Dämmerung eines freien
Ware hier Gelegenheit, Stärke und Muth gegen Himmels erblickt: — diese Nacht war mir fremd.
ein verstandloses Walten der Elemente in’s Feld Sie erfüllte mich mit Grausen, mit Entsetzen.
zu führen. Kurz, was soll ich noch sagen, ich Ich fühlte etwas Schweres auf meinem Schädel
g'ng. Schliesslich wurden sogar die Andern von lasten: das war die Finsterniss.
•deinem Feuer angesteckt. Wussten sie doch, „Aber nun entdeckte jch, dass ich vom Weg
dass die Russin solch tolle Streiche liebe. Es abgekommen, und schon zwischen den Stämmen
War acht Uhr; spätestens um zehn wollte ich umherirrte. Ich blieb stehen und von den Fuss-
zurück sein. Ich rechnete dabei mit der Dunkel- sohlen aus zog eine widerwärtige Kälte über
heit, da ich bei Tag kaum eine Stunde gebraucht meinen Körper. Mir war, als sei ich soeben aus
hatte, den mir wohlbekannten Weg um den Berg dem Bad gestiegen und nassen Leibes in die
zuruckzulegen. Kleider gestürzt. Ich wagte nicht zu rufen. Was
, „Als ich das Gärtchen verliess und mich hätte es auch geholfen, zu rufen? Freilich, nicht
em Walde näherte, ergriff mich eine Angst, die die Einsicht in die Nutzlosigkeit hielt mich da-
Jedoch kaum länger als ein paar Sekunden an- von ab, sondern ich fürchtete mich. Die Finster-
auerte: gerade wie wenn man eine Saite be- niss schien mich zu umarmen, ja, sie schien sich
uhrt, so dass sie noch in leisen Schwingungen anzufühlen; mir war, als ob ich sie greifen könne,
achzittert. Als ich den braunen, weichen Wald- wie man ein Stück Sammt mit den Fingern greift.
eg betrat, umgab mich die Dämmerung, und Der ganze Wald nahm für mich das Wesen einer
usehends sank Schatten auf Schatten, dunkel Person an, ausgerüstet mit teuflischen Mitteln,
nd dunkler herab. Sie wälzten sich her und einen Menschen zu Grunde zu richten.
erbreiteten sich wie die Fluthen eines über- „Ich hörte ein Rascheln im Laub, wie von
fluellenden Stromes, nur dass nichts davon zu hurtigen Tritten, ein Knacken der Zweige, wie
s-en war. — Ich konnte den Weg vor mir noch wenn sich Jemand vom Boden aufrichtet, und
hr gut erkennen, doch verengerte sich mein meine Glieder begannen heftig zu zittern. Wohl
^esichtskreis immer mehr und mehr, gleich als sagte ich mir, — und ich sagte es mir vielleicht
urtfe eine unsichtbare Lampe langsam nieder- hundertmal: das ist ein Reh, irgend ein scheues
° schraubt. Der Kukuk hatte aufgehört zu rufen, Waldthier . . . Aber mein Gemüth war nicht
nd es war so still, wie es auf dem Grund des mehr empfänglich für eine vernünftige Deutung
eeres sein muss. Anfänglich hatte ich bisweilen ,vh umfasste mit den Armen einen herab-
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hängenden Ast und biss die Zähne in’s Den Irrthum nicht gewahrend,rschritt~’ich Finsterniss an meine Brust andrängte, wie
Holz, um zu verhüten, dass ihr Klappern weiter und immer weiter wie" der arme ich die Lider schliessen musste unter der
hörbar würde. Flüchtling des Märchens und schliesslich Gewalt. Und da sprang ich auf und griff mir
„Auf einmal aber sah ich ein Licht. Wenn verlor ich wieder den Pfad unter den Füssen. an den Kopf und wimmerte, winselte . . .
ich sage, dass alle Funktionen des Blutes Mit der Stirn stiess ich an einen Stamm und Gestalten stiegen rings aus dem Erdboden
plötzlich stockten, so sage ich zu wenig. ich jammerte auf vor Schmerz. Der Berg und sahen mich an . . . Nein, das waren
Mein Herz hörte auf zu schlagen, in meine neben mir schien verschwunden, denn nach keine Hallucinationen, das war!... Das
Augen drängte sich eine heisse Nässe, die welcher Richtung ich mich auch wenden sind Dinge, von denen wir nichts wissen,
den Blick gleichsam verhängte. Mit den mochte, der Boden blieb eben. Bald fiel ich von denen wir nichts wissen werden, bis
Füssen fühlte ich mich nicht mehr auf über einen Stein und riss mir die Hände das Ende gekommen ist und die ewige
festem Grund stehend, mir war, als schwebe wund, bald zerrissen die Dornen das Fleisch Finsterniss.
ich in freier Luft. Lieber die Haut des meiner Wangen. „Was soll ich Ihnen noch weiter sagen?
Rückens liefen blitzschnelle, eisigkalte „Und dann beschloss ich, mich nieder- Ich bringe es kaum über mich, dieses Letzte
Schauer und der Gaumen war trocken wie zulegen. Ich wollte das Umherirren auf- zu schildern, diesen letzten Schrecken, der
Leder. Dort drüben, als ob es aus dem geben und auf das Licht des Tages harren. mir den Verstand geraubt. Sehen Sie, wenn
Berg hervorquölle, funkelte ein eigrosses, Ich warf mich auf den trocknen, warmen Sie in nächtlicher Einsamkeit vor Ihrem Bett
silberbleiches, schwankendes Licht. Ich Waldboden und schloss die Augen. Zuerst sitzen, und ein Stuhl, der vor Ihnen steht,
stürzte fort. Ich hörte Gemurmel und verursachte mir die ununterbrochene Stille fängt plötzlich an, sich von selbst zu be-
Geraschel und Gezischei hinter mir; ich eine quälende Unruhe und ich wagte mich wegen, und er steht dann von selbst auf
fühlte Fäuste an meinem Nacken, die mich nicht zu rühren. Ich zog meine Taschenuhr dem Tische, ohne dass Sie nur die Hand
weiterstiessen, und als ich mich umzu- und lauschte ihrem monotonen Ticken. gerührt haben, so mag Ihr Entsetzen viel-
sehen wagte, sah ich immer noch das Aber während ich sie noch am Ohr hielt, leicht ein .ähnliches sein. Da scheint der
Licht . . . Und ich betete! stand sie still. Werden Sie es glauben, dass ganzeKörper zusammenzuschrumpfen, man
„Sie werden freilich lächeln, wenn ich dieser kleine, ja lächerliche Umstand mich fühlt nichts mehr an sich, wo man hintastet,
Ihnen die Quelle dieses spukhaften Lichtes in solch wahnsinnige Aufregung versetzte, greift man ins Leere, Haut und Fleisch sind
angebe. Doch mir verschaffte es nur kurze dass ich dalag, in Schweiss gebadet und Luft geworden für die Zeit dieses Schreck-
Erleichterung, als ich fand, dass es der immer noch horchte . . . horchte, ob es ens.
Mond war, von dem ein kleiner Ausschnitt denn möglich sei, dass dies Räderwerk dem | „Wie ich nun so stand, noch zitternd von
durch ein Loch zwischen den Blättern fiel, lähmenden Einfluss der Finsterniss unter- all dem Ausgestandenen, fällt plötzlich ein
sodass es aussah, als hänge eine bleiche legen . . . Und nun sah ich ein blutrothes heller, gleissendrother Lichtkegel hinein in
Ampel dort . . . Sie dürfen nicht glauben, Gesicht vor mir, das sich abhob aus dem die Tiefen des Waldes. Ich sah es mit den-
dass ich eine furchtsame Seele sei, ein dichten Dunkel wie ein Bluttropfen auf selben Augen, mit denen ich jetzt dieses
pattes, schreckhaftes Herz besitze. Nein, schwarzer Seide. Und gleich daneben noch Fenster sehe. Niemand kann sagen, ich
jm Gegentheil, ich war stets ein sehr that- eines, aber mit grünlicher Färbung und noch hätte geträumt, oder mein Auge, meine über-
kräftiger und muthiger Mensch. Aber diese eins . . . noch eins . . . noch eins ... sie hitzte Phantasie hätte mich betrogen. Nein,
Finsterniss lähmt alles Urtheil, alle Ver- tanzten um mich herum, bliesen mir ihren ich sah es deutlich und die Kraft der Er-
nunft, alle Besonnenheit, alle Kräfte. Es Hauch in’s Gesicht . . . Und da hörte ich innerung an das unverlöschliche Bild des
ist die Finsterniss des unendlichen Raums, auch reden... Worte, schwer hervorgelallte, plötzlich erleuchteten Forstes’ersticken je-
die das Leben erstickt, den Organismus wie hingeseufzt, wie durch eine Schicht den Zweifel in mir. Es war, wie wenn die
verstört. Doch hören Sie weiter! Erde hindurchgesprochen. Und die Nacht Erdrinde zu Glas geworden wäre und die
»Ich kam nun auf einen breiten Fahrweg starrte' mich an, so grausam und unbarm- Feuersbrünste, die im Innern des Planeten
und über mir stand der klare, wolkenlose herzig: ich fühlte deutlich, wie sich die wüthen, hätten für die Dauer von zehn Se-
Himmel. Es war, als ob ich in den lichten kunden ihren Schein heraufgeworfen.
Jag hinausgetreten wäre. Ich konnte über Nun, am Morgen fanden mich meine Freunde
die Baumwipfel, die am Abhang standen, im Fieberdelirium. Ich lag am, Waldrand,
uinausblicken auf eine Landschaft, die be- hundert Schritte von St. Valentin.... Ah,
graben war in nächtlicher Dämmerung. Den nun kommt ja auch unser Zug schon.
Horizont umsäumte wie ein schmales Band „Wollen Sie nicht meinen Koffer tragen
das letzte ersterbende Roth des Sonnen- helfen ? Er ist gar zu schwer. Was ich sagen
untergangs: tief und düster, wollte: wenn Ihnen einmal
glanzlos und verschwommen Jemand zu viel von der Poe-
P°8 es hin, den Rand der sie des Waldes reden soll-
ernen Berge kaum berüh- te, versäumen Sie nicht, ihn
rend. Aber ich hörte keinen ein klein wenig abzukühlen.“
Laut, eine so bedrückende
stille war in aller Gottes-
*Ht. Kein Hund bellte, keine
Lilockr.-
e tönte, kein Stunden-
schlag klang an mein Ohr:
nichts! Der Mond stand seit-
wärts hinter dem Wald, und
Das andre Land.
er war es, der diese graue, Willst Du glücklich sein?
nebelhafte Dämmerung über Komm ich will Dich führen.
alles Land warf. Hinter blauen Bergen
„Ich wusste nicht, wo ich Drüben liegt das Land.
mich befand. Lange zögerte Lächle, lächle doch!
ich weiter zu gehen, aber end- Sollst die Sonne spüren.
lich beschloss ich doch den Gib mir Deine Hand nun;
gefundenen Weg zu verfol- Lass uns glücklich sein!
gen. Und nur zu bald musste
'eh diesen Entschluss be- Oh, das Land ist schön:
reuen. Hätte ich mich doch Lauter stille Hügel;
Hort niedergeworfen in das Voller blüh’n die Wiesen,
Moos, in’s dürre Laub und Wo wir beide geh’n.
wachen Auges das Morgen- Und Dir ist so leicht.
roth erwartet! Glaubst, Du trügest Flügel,
„Wieder schlossen sich Oh, Du fühlst Dich mitten
nie Kronen über mir. Und In den Himmel hinein —
als ich umkehren wollte, von
Grauen erfasst, gerieth ich Komm!
auf einen ganz falschen Weg. FRANZ EVERS.
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Nr. 8
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1896 JUGEND Nr. 8
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Nr. 8 JUGEND 1896
II.
Als er nun eines schönen Abends nach einem Regentag
trübselig und gebückt fürbass schritt, unterm Arm seine Kugeln
und Messer in den Teppich eingewickelt und nach einerScheune
- Der Gaukler unserer lieben Frau. ausschaute, in der er seinen Hunger verschlafen könnte, sah
Nach einem alten Stoff, von Anatol France. er einen Mönch desselben Weges ziehen und grösste ihn in
aller Ehrerbietung. Indem sie zusammen weiterschritten, knüpf-
I. ten sie alsbald ein Gespräch an.
Zu König Ludwigs Zeit lebte in Frankreich ein armer, aus »Gevatter«, sprach der Mönch, »wie kommt’s, dass Ihr
Compiegne gebürtiger Gaukler, Namens Barnabe, der von ganz grün gekleidet seid? Habt Ihr etwa in einem Mysterium
Stadt zu Stadt zog und überall seine Kunststückchen zum den Narren zu spielen?«
Besten gab. »Keineswegs, ehrwürdiger Vater», erwiderte Barnabe. »Wie
An Jahrmarktstagen breitete er auf dem öffentlichen Platz Ihr mich hier seht, heisse ich Barnabö und bin meines Zeichens
einen alten, ganz verschlissenen Teppich aus, und nachdem ein Gaukler. Es wäre dies der schönste Stand der Welt, wenn
er die Kinder und Gaffer durch allerlei Scherzreden ange- man nur dabei satt zu essen hätte.«
zogen, die ihm ein alter Gaukler überliefert hatte und an »Freund Barnabe«, versetzte der Mönch, »überleget wohl,
denen er niemals ein Wörtlein änderte, zwang er seinen Kör- was Ihr sagt. Es gibt keinen schöneren Stand, als den geist-
per in die sonderbarsten Stellungen und liess einen zinnernen lichen; da preist man Gott, die Jungfrau und die Heiligen,
Teller auf seiner Nase tanzen. Anfangs betrachtete ihn die und so ist das Klosterleben dem Herrn ein steter Lobgesang.«
Menge mit gleichgültiger Miene; aber wenn er sich dann auf
die Hände stellte und mit den Füssen sechs kupferne, im
Sonnenlicht glitzernde Kugeln in die Luft warf und wieder auf-
fing, oder gar, sich hintenüberbeugend, bis sein Nacken die
Füsse berührte, ein vollkommenes Rad aus seinem Körper
machte und in dieser Stellung mit zwölf Messern spielte —
da lief ein Gemurmel der Bewunderung durch die Zuschauer
und es regnete Geldstücke auf seinen Teppich.
Und doch hatte Barnabö de Compiögne, wie Alle, die von Da erwiderte Barnabe: »Ehrwürdiger Vater, ich bekenne,
ihrer Kunst leben, grosse Mühe, sein Dasein zu fristen. Er dass ich thöricht geredet habe. Mein Stand lässt sich dem
verdiente sein Brod buchstäblich im Schweisse seines An- Eurigen nicht vergleichen, denn wenn es auch verdienstlich
gesichts und hatte somit von den Plagen, die der Sünde unseres ist, beim Tanzen einen Stock mit einem Geldstück zu balan-
Urvaters Adam anhaften, seinen gehörigen Theil zu tragen. ciren, so reicht doch dies Verdienst nicht an das Eurige hinan.
Ueberdies konnte er nicht einmal arbeiten, so viel er wollte. Ich möchte wohl, wie Ihr, ehrwürdiger Vater, Tag für Tag die
Um seine schönen Künste zu entfalten, brauchte er Sonnen- Messe lesen und besonders das Lob der hl. Jungfrau singen,
wärme und Tageslicht, wie der Baum, um Blüthen und Früchte für die iclfeine ganz besondere Verehrung hege. Mit tausend
zu treiben; im Winter war er nur ein entlaubter, halb abge- Freuden würde ich auf meine Kunst verzichten, die meinen
storbener Stamm. Die gefronte Erde war dem Gauklerhand- Namen in mehr als sechshundert Orten, von Soissons bis
werk nicht förderlich, und wie das Heimchen, von dem Marie Beauvais bekannt gemacht hat, um ein klösterliches Leben
de France erzählt, litt er in der schlechten Jahreszeit unter zu führen.«
Hunger und Kälte. Aber da er einfältigen Herzens war, trug Den Mönch rührte die Einfalt des Gauklers, und da es ihm
er seine Leiden in Geduld. nicht an Menschenkenntniss gebrach, ersah er in Barnabe
Er hatte nie über den Ursprung des Reichthums und einen jener Auserwählten, von denen der Herr gesagt hat:
die Ungleichheit der menschlichen Loose nachgedacht, sondern »Friede sei mit ihnen auf Erden.« Darum sprach er: »Barnabe,
rechnete fest darauf, dass, wenn diese Welt schlecht sei, die mein Freund, kommt mit mir, und ich will Euch Eintritt ver-
andere unfehlbar um so besser sein müsse, und diese Hoff- schaffen in das Kloster, dessen Prior ich bin. Der Herr, der
nung hielt ihn aufrecht. Er machte es nicht wie die Mehrzahl die heilige Maria von Egypten durch die Wüste führte, hat mich
seiner diebischen und ungläubigen Genossen, die ihre Seele auf Euren Weg gesandt, auf dass ich Euch den Pfad des Heils
dem Teufel verkaufen. Er lästerte niemals den Namen Gottes, weise.«
führte ein ehrbares Leben, und obwohl er selbst kein Weib So kam es, dass Barnabö Mönch ward. In dem Kloster,
hatte, begehrte er doch nie die Frau seines Nächsten: denn das wo er aufgenommen wurde, wetteiferten die Mönche im Dienste
Weib ist die Feindin des Starken, wie aus der Geschichte von der hl. Jungfrau und jeder suchte ihr zu dienen mit jeglicher
Samson und Delila erhellt, welche uns die heilige Schrift be- Fertigkeit, die ihm Gott verliehen hatte.
richtet. Der Prior verfasste Bücher, die nach den Regeln der
In Wahrheit war sein Geist den Lüsten des Fleisches nicht Scholastik'von den Tugenden der Mutter Gottes handelten,
zugewandt und es wurde ihm leichter, auf die Frauen, als und der Bruder Moriz übertrug diese Abhandlungen mit
auf den Wein zu verzichten; denn bei aller Mässigkeit liebte kundiger Hand auf Bogen feinsten Pergaments.
er doch nach des Tages Hitze einen guten Trunk. Er war ein Der Bruder Alexander malte darauf zierliche Miniatur-
rechtschaffener Mann, voll Gottesfurcht, und der heiligen Jung- bildchen. Da war zu sehen die Himmelskönigin, auf Salo-
frau innig ergeben. Wenn er in eine Kirche trat, verfehlte er monis Thron sitzend, zu dessen Füssen vier Löwen Wache
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Nr. 8 JUGEND 1896
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1896 JUGEND Nr. 8
beschloss, Barnabe während seiner einsamen Andachten zu be-
obachten. So ging er denn eines Tages, als dieser sich wie ge-
Stürme.
wöhnlich in der Kapelle eingeschlossen hatte, mit den zwei Schnaubst um die Fugen, stöhnender Sturm!
Aeltesten des Klosters Barnabe nach und spähte durch die Thür- Pfeifst in die Luken am Glockenthurm,
spalten, um zu erkunden, was im Innern vorgehe. Zerrst an Angeln und Läden.
Da sahen sie Barnabe vor dem Altar der Jungfrau, den Kopf Hebst von den Dächern die Ziegel hinweg,
nach unten, die Füsse in der Luft, mit sechs Kupferkugeln und Rührst die morschen Hütten vom Fleck,
zwölf Messern spielen. Er machte der heiligen Mutter Gottes Brichst die Bäume wie Fäden.
zu Ehren die Kunststücke, die ihm einst das meiste Lob ein-
getragen. Die beiden Aeltesten, die nicht verstanden, dass dieser Fege nur rein unser Erdenhaus!
Mensch in seiner Herzenseinfalt sein ganzes Können in den Hetze den Wust und die Spreu hinaus,
Dtenst der heiligen Jungfrau stellte, entsetzten sich über das Nimm’, was locker und rissig!
Sakrilegium. Knicke, was morsch ist und faul und schwach!
Der Prior kannte Barnabe’s unschuldige Seele, glaubte Besseres, Kräftiges wächst schon nach —
aber, er habe den Verstand verloren. Sie schickten sich alle Sieches ist überflüssig.
Drei an, ihn mit Gewalt aus der Kapelle zu entfernen, — da sahen
sie, wie die heiligejungfrau die Stufen des Altars herabstieg und Kommen muss öfters über die Welt
mit dem Saume ihres blauen Mantels die Schweisstropfen von So ein Reiniger, gottbestellt,
der Stirne ihres Dieners trocknete. D’rob Kreaturen erzittern;
Da warf sich der Prior auf sein Angesicht nieder und rief So eine Pest, die den Tod rings sät,
aus: »Selig sind, die reinen Herzens sind, denn sie werden So ein Krieg, der die Völker mäht,
Gott schauen !i Reinigt in Ungewittern.
E. STEMPLINGER.
Ein Aus grosser Zeit. Königsstadt. Oh, wie unendlich hat dess-
halb geschämt sich da die Königin Rana-
Zukunfts-Liebeslied. S machen sich jetzt mit der
valona. Es war ein glorreicher Kampf —
doch ohne allen Pulverdampf — weil die
Du hast die rosigsten Lippen grossen Zeit — von anno tapferen Soldaten gar keine Gegner hatten.
siebzig — die Deutschen Mit Speeren und Schilden flohen die nack-
Und Augen wie Sterne, mein Lieb! breit! Da gibt sich doch ten Wilden vor dem Lebelgewehr in die
Und Rippen hast Du — ach Rippen, bessre Gelegenheit, in di- Wildniss her. Das war den Tapfern auch
Wie nie sie ein Dichter beschrieb! thyrambischen Weisen Hel- lieber. Freilich das Fieber haben Viele ge-
denthaten zu preisen. Be- kriegt und das ward nicht besiegt. Dafür
kanntlich war im siebziger ward gebaut eine Strass’ gar auf Mada-
An schneeige Blüthen erinnern Jahr nur ein einziger Krieg gaskar. Die kostete viel Geld und Men-
Die Händchen, so weiss und so fein, und der deutsche Sieg wird schen und desshalb ward vom argwöhn’-
Und alle die Knöchlein im Innern nach einem Vierteljahrhun- schen staatsfeindlichen Zeitungsgesindel
An gedrechseltes Elfenbein! dert noch gefeiert und bewundert. Warum geschrieben, der ganze Feldzug sei Schwin-
denn immer weiter schweifen und nach del. Aber in grosser Freude und Gloria
rückwärts greifen! Erst jüngst doch führten schrie’n die andern Leute Viktoria. Und
Dein Wuchs ist gleich den Zirbeln, drei grosse Nationen, allerdings in heis- die Armeelieferanten, welche nach Mada-
So stolz, so schlank und so schön — seren Zonen, gewaltige Kriege und kamen gaskar sandten so vortreffliche Karren,
zum Siege. freuten sich wie die Narren, denn sie ver-
Mit solchen Rückenwirbeln, So haben die Franzosen einen grossen, dienten am End’ dreihundert Perzent. Und
Wie könnt’ es auch anders gescheh’n! ruhmreichen Feldzug führen lassen gegen die Leut’ schrien weit und breit: „Ja wir
die Madagassen. Die hatten dem Franz- leben in grosser Zeit!“
Mein Herz tobt in stürmischem Pochen, mann zwar nichts gethan, doch das geht Aber beinahe doch etwas gewaltiger noch
Durchblitzt Dir der X-Strahl den Leib: uns nichts an. Der gallische Hahn hatte war der Kampf, den die Briten mit den
Lust, wieder mal zu krähen, darum ist es Aschanti’s gestritten. Mit furchtbarem
Du hast die entzückendsten Knochen, geschehen. Siegreich und stark drang das Geschrei stürzte der englische Leu, stürz-
Du angebetetes Weib! j. j. s. Heldencorps bis Atananarivo vor. Stolz ten die rothröckigen Helden sich auf die
blähte sich und fürchterlich die Fahne der Schwarz-Gefeilten. (Kein Mensch weiss wa-
wälschen Gesellen auf den Wällen der rum aber irgend etwas nahmen sie krumm.)
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Die Aschanti’s wehrten sich nicht, mach- Leben. Besonders war da ein grossmäch- sich, wenn er das Geld wolle, entschlos-
ten ein langes Gesicht und versammelten tiger Nachbar, an dessen breiter Brust er sen, seinen zweiten Sohn Butzi zu seiner
ihre Cadaver zu einem Palaver. Aschgrau gern sein Fürstenköpflein mit dem klein- (nämlich des Bär) Religion übertreten zu
und triste auf einer Kiste, darin Bisquit winzigen Krönlein geborgen hätte; aber lassen. Das war eine harte Zumuthung
einst verschickt war, in einer Schwimm- der Nachbar, der Herrscher von Knutolien, für den frommen Fürsten, der ohnehin
hose, die geflickt war, mit einem Cyiinder wollte nichts von Athanasius wissen, so schon einen halben Bannstrahl auf dem
ohne Krempe,sass König Prempe,schmollte schön dieser bat und Männchen machte. Rücken hatte. Aber er dachte wieder an
und grollte, that aber sonst, was man wollte. Endlich aber liess sich der Grosse doch den Vogel Pelikan und ritzte, natürlich
Da erhob der englische Leu wieder ein gros- erweichen — aber nur unter einer Be- metaphorisch gesprochen, wiederum seine
ses Geschrei: „Da seht, die Aschanti e dingung: Athanasius müsse seinen Erst- eigene Brust; er gab nach. Nicht etwa,
tutti quanti fliehen mit Jammergeheul, zei- geborenen, den Prinzen Bibi, in die knuto- weil er sich um jeden Preis auf dem
gen den nördlichen Theil, sobald sie er- lische Religion umtaufen lassen. Nun war wohlgepolsterten Thrönchen erhalten
fuhren, wir nahen, die britischen Sieger!“ aber Bibi’s Papa streng katholisch, er wollte, sondern aus lauter Liebe zu seinem
(Ja, Aschantikrieger sind halt keine Buren!) stammt aus einer Familie, die sozusagen Volke. Prinz Butzi protestirte zwar selbst
So verbreitet John Bulls Nation die Civili- am Busen der Kirche aufgewachsen war. während der Uebertrittsceremonie mit aller
sation mit Ruhm (und mit Rhum) und mit Ihm war es furchtbar, aus Bibi einen Or- Kraft seiner Lungen, aber es half ihm
Feuer und Schwert beim afrikanischen Pub- thodoxen machen zu sollen und der heil- nichts. Er erhielt den Namen Isaak Abi-
likum. Und wer davon hört, ruft weit und ige Vater in Rom zuckte bedenklich mit melech Bärsohn und der Pariser Geld-
h^eit: „Ja, wir leben in grosser Zeit!“ dem Bannstrahl —. mann, der Pathe war, liess beim Fest-
Auch das italische Heer hat sich mit schmaus grossherzig noch ein Prozent
Lorbeern schwer beladen in Afrika, in Abys- von der Anleihe nach. Das Land war
sinien, und man schreit: „Viktoria!“ im gerettet und das Parlament votirte dem
Schatten der Pinien! Es ging zwar nicht so Fürsten einstimmig den Ehrennamen:
friedlich und nicht ganz so gemüthlich bei „der grosse Pelikan“.
diesem Kampfe zu — o Du böser Menelik Etliche Jahre flössen so in Frieden hin
Du! — und mancher Erfolg, von dem man und der Fürst hatte schon ein hübsches
gelesen, sieht aus, als wären’s Schläge ge- Sümmchen von Ersparnissen aus seiner
wesen. Auch ein paar Milliönchen für die Civilliste in der Bank von England liegen.
armen Persönchen, die als Geissein sitzen Da drohten dem Reiche Chikanien neue
blieben — so heisst’s - musste man schwit- Verwicklungen, und zwar waren es dieses
zen. Aber das Volk ging auf den Sumpf Mal Grenzstreitigkeiten mit einem benach-
und schrie Triumph! — Der Herr Crispi, barten grossen mohammedanischen Reiche.
der kluge Mann, schlägt weiter keine De- Dem Lande drohte Krieg, aber Fürst Peli-
peschen mehr an. Natürlich blos, damit kan war durchaus nicht kriegerisch, und
der Trubel und Siegesjubel nicht in’s Un- um Chikanien die Segnungen des Friedens
gemessene steigt, hält er’s für besser, man zu erhalten, war er zu jedem Opfer bereit.
schweigt über die weiteren Siege in diesem Er unterhandelte denn höflich mit dem Kha-
Kriege. Als jüngst die Nachricht zu mel- lifen des Nachbarreiches und auch dieser
den war, die Helden von Makalle seien raus war kein Unmensch. Er versprach, auf alle
aus der Falle, da raufte Crispi vor Freuden billigen Forderungen einzugehen (das Wort
sein Haar (soweit es vorhanden war) und billigen war in seinem Schreiben zwei-
schluchzte voll Jubel, dass Galliano ent- mal unterstrichen), aber eins machte er zur
ronnen: „Au weh! Wir haben gewonnen!“ Bedingung: der Fürst müsse einen Sohn
Ja, es ist eine grosse Zeit insonderheit zum Islam übertreten lassen. „Mit Ver-
ur europäische Waffen, im Lande der Gir- Aber das Wohl des Landes! Und Fürst gnügen“, schrieb der Fürst zurück, „aber
uffen, in Afrika! So was war noch nicht da, Athanasius dachte an den Vogel Pelikan, ich habe keinen dritten Sohn zu versenden.
fürwahr: Drei grosse Kriege in einem hal- der sich bekanntlich zu Zeiten die eigene Meine Gemahlin ist zu Schiff nach Frank-
uen Jahr! x. y. z. Brust zerfleischt, um seine Kinder zufrie- reich und nun weiss ich wirklich nicht, wo
den zu stellen. So zerfleischte der Fürst ich einen jungen Islamcandidaten so schnell
seine eigene katholische Brust und gab hernehmen soll.“ Da schrieb der Khalif zu-
Fürst Pelikan. sein Herzblut hin, d. h. er liess den Prinzen
Bibi aufknutolisch um taufen. Zwar mussten
rück: „Wenn Du keinen Sohn hast, musst
Du, liebwerther Nachbar, schon selbst so
Beinahe kein Märchen. sämmtliche Windeln des Prinzen frisch ein- freundlich sein, ein Türke zu werden. Ich
Es war einmal ein Fürst, der liebte sein gestickt werden, aber auch dies Opfer brach- kann Dich versichern, es hat auch seine
Volk wie ein Vater. Und das wollte etwas te der Fürst. Das that er nicht etwa in lächer- Annehmlichkeiten. Zur Bekehrungsfeier
heissen in diesem Fall, denn es war gar licher Eitelkeit, weil er lieber ein regieren- schicke ich Dir ein halbes Dutzend fesche
U'cht sein Volk, sondern eine an Stamm der, als ein vazierender Fürst sein wollte, Circassierinnen als kleines Scherflein für
und Sprache ihm wildfremde Nation. Durch sondern er that es nur zum Wohl des Deinen künftigen Harem.“
e'n Zeitungsinserat hatte diese einen Für- Landes. In Chikanien aber war grosser Da dachte Fürst Athanasius wiederum
sten gesucht, der „Liebe zu Landeskindern Freudentaumel und der Herrscher von an die Geschichte vom Pelikan und opferte
hat“ und da jener Fürst, er hiess Atha- Knutolien schickte zum Taufschmaus einen sich für sein Volk, kaufte sich einen Tur-
uasius, gerade nichts zu regieren hatte, seiner abgelegten Stiefel. Der ging an der ban und einen Tschibuk, richtete sich ein
nahm er den einträglichen, aber sorgen- Tafel herum und jeder durfte ihn küssen. Serail ein und wurde ein Muselmann.
reichen Posten eines Landesvaters an und Fürst Athanasius aber hatte von nun An die Mächte aber versandte er ein
Wurde Fürst von Chikanien. Er liebte sein ab einen mächtigen Freund und konnte auf Circular, worin er ankündigte, dass er in
Volk bald so sehr, dass er mit Krone und seine Visitenkarten drucken lassen: Von Bälde wieder in der Lage sein werde, allen
*zepter zu Bette ging und stundenlang in Gottes Gnaden. geehrten Aufträgen bezüglich etwaiger Con-
vollem Reichsornat vor dem Spiegel stand. So vergingen einige Jahre. Da gerieth vertirungchikanischer Prinzen im weitesten
Wenn gerade Unruhen, Mord und Todt- das Land in neue Schwierigkeiten. Die Umfange gerecht zu werden.
schlag im Reiche herrschten, so blieb er Hammelernte war schlecht ausgefallen Vorgemerkt sind bereits: ein Sohn für
ausser Landes, bis Alles vorüber war, dem der Tambour der Leibgarde brauchte eine’ die Heilsarmee, einer für dieengüscheHoch-
Volke seinen Vater sicher zu erhalten. Er neue Trommel und der Obersthofmeister kirche eine Tochter für das Mormonen-
war ein weiser Fürst. erklärte, er brauche absolut nothwendig thum, eine andere für die Herrenhuter, ein
. Aber Eins kränkte ihn schwer. Er hätte ein Dutzend Alfenidelöffel für die Hof- Sohn für die Rosenkreuzer (Sar Peladan
steh gerne der Anerkennung der Menschen tafel. Es drohte eine Krisis im Lande wird Pathe) und ein Sohn für den Bud-
und namentlich seiner Berufskollegen, der Geld musste her um jeden Preis. Der dhismus.
^gierenden Fürsten erfreut. Die sahen ihn Fürst wendete sich denn an einen reichen Und solche Opfer hat Fürst Athanasius
aber
immer als eine Art von Parvenü an Geldmann in Paris, Namens Bär und er- von Chikanien dem Wohl seines Volkes ge-
und dachten wohl, er sei ein hergelaufener bat eine Anleihe. Aber Herr von Bär bracht. Verdient er nicht in Wahrheit den
Landesherr und gar nicht von Gottes Gna- arbeitete nach berühmten Mustern. Er Ehrennamen des grossen Pelikan?
uen. Das frass wie ein Geier an seinem schrieb zurück, Fürst Athanasius müsse Kl-KI-KI.
I3I
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Frühjahrs-Ausstellung
von Mitte März bis Ende April.
Internationale Kunst-Ausstellung
vom 1. Juni bis Ende Oktober d. .Ts.
(Dünchner Künstler-Genossenschaft.
Herausgeber: Dr. GEORG HIRTH; verantwortlicher Redakteur: F. von OSTINI; verantwortlich für den Inseratentheil: G. EICHMANN, G. HIRTH’s Kunstverlag; sämmtlich in München*
Druck von KNORR Sc HIRTH, Ges. m. beschr. Haftung in München.
26 Nummern bilden einen Band. Preis der Nummer 30 Pfg. Quartalpreis 3 Mark. Vertag von G. Hirtn, München.
Nr. 9 JUGEND 1896
Militaria.
Typen und Bilder von E. Goldbeck (Berlin).
Hauptmann Diensthuber.
U4
1896 . JUGEND Nr. 9
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1896
Nr. Ö JUGEND
Hier vertünchte er seine geistige Wirrniss So fand er denn plötzlich mit innerem .Grimm
Mit einem literarischen Firniss, Im Wochenblatt seine Versetzung nach Schrimm
Er hielt auf standesgemässe Lektüre; — Oder war es ein anderer Punkt im Osten
Damit dies aber auch Jeder erführe, Mit höchst beträchtlichen Reisekosten? —
Lag auf seinem Schreibtisch in Permanenz Aus einem „bevorzugten Regiment“
Wolzogens „Kinder der Excellenz.“ Nach einem Nest, wo man Niemand kennt,
Ja, die Noblesse, die war sein Feld, Fern von Theater, Kunst und Sport
Nur hatte er leider nicht viel Geld An einen stillen, sichern Ort.
Und seine Feinheit wirkte im Ganzen Doch tröstet ihn ein Umstand sehr, —
Nicht allzugünstig auf seine Finanzen. Dort ist kein Mensch so fein wie er.
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1896 JUGEND Nr. 9
Doch illegitimen Küssen
Leuchtest du, mein Zigarrettchen —
Wenn zu zwei’n wir rauchen müssen,
Rollt sich doppelt gern dein Blättchen.
EMIL RECHERT.
Heil ihm!
Er weiss sich in die Welt zu finden,
Heil ihm! er stösst bei Keinem an;
Ob sie ihn plagen, drücken, schinden,
Er weiss sich lächelnd durchzuwinden —
(Mit einem Wort: ein Kautschukmann).
Voll Achtung blickt er stets nach oben,
Heil ihm! er steht sich gut dabei;
Wenn ihn die Vorgesetzten loben,
Fühlt er sich wunderbar gehoben —
(Kurz, er treibt Speichelleckerei).
Und wenn sie einstens ihn begraben,
Heil ihm! dann thut die Zeitung kund:
„Er war ein Mann von reichen Gaben,
Und denen, die gekannt ihn haben . ..“
(Galt er von je als Lumpenhund).
MEPHISTO.
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Nr. 9 . JUGEND 1896
Eintagsglück.
Weisst Du es noch, wie immer wilder dann
Weisst Du es noch, wie einst am frühen Tag Verschwieg’nes Glück zu hellem Jubel
Ich Dir zuerst in grüner Waldespracht schwoll?
Den Pfad gekreuzt? — Stark wie ein Kaum war ich frei aus Deiner Nähe Bann,
Zauberschlag, So schlug mein Herz schon bang und
Und doch so mild, hat Deiner Augen Macht unruhvoll
Mein junges Herz an Deine Huld gebannt Nach Deinem nächsten Kuss. Dein Auge
Mit Deinem ersten Gruss. Auch Du trank
Hast mir Dein liebes Haupt nicht abgewandt Aus meinen Blicken Sinn und Seele mir;
Und leuchtend flog’s von Herz dem Von Dir verlassen, war mein Denken krank,
Herzen zu. Genesung war und Leben nur bei Dir!
Da ging ein Flüstern durch den Buchenhain, Das war ein Schenken, das sich selbst
Es wob in gold’nem Netz Frau Minne ein vergass,
Uns tief im Wald, der lauten Welt ver- Ein Nehmen war es ohne Reu’ und Mass,
borgen — Wenn ich entrückt in Deinen Armen lag —
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1896 JUGEND Nr. 9
Wir liebten noch, die Herzen brannten fort, Die Monde rollten träge ihren Lauf,
Doch nicht so wild und nicht so ziellos mehr Es war vorbei und keine Hoffnung blieb.
Und hin und wieder fiel ein trübes Wort: Mir nicht zu Liebe ging die Sonne auf,-
„Wohin, wohin?“ Das klang so unheil- Doch wenn sie niedersank, so war mir’s lieb.
schwer. Dann kam der Tag, wo ich Dich wiedersah
Wir fühlten’s Beide, dass das Ende kam — Im weissen Kleid, den Brautkranz auf dem
Es musste sein, sonst starben wir daran! ' Haupt —
O böse Stunde, da ich Abschied nahm — Wie zuckte da mein Herz auf, Dir so nah,
Wie klammerte an Dich mein Herz sich an! Als hätt es immer noch an Glück geglaubt!
Wir hatten’s doch so ehrlich treu gemeint! Wie schwer vom Weine, war mein Sinn
Ich fiel auf’s Kniee, da hat ein Mann verwirrt,
geweint, Durch fremde Gassen bin ich umgeirrt
Sein Angesicht in Dein Gewand ver- Und hab’ die Stunden fieberheiss durch-
grabend — wacht —
Da ward es Abend. Da war es Nacht!
F. V. OSTINI.
139
(PH Sch\i _ Original von E. Lugo (München).
Das Märchen vo" anenjungfern.
Nr. 9 JUGEND 1896
In der oben nachgebildeten Skizze'haben Die beiden Figuren zu Füssen der „mass-
Der wir es mit einem Originalentwurf des gebenden Nanni“ in der Mittelgruppe sind
zwei Münchener Lokalgrössen, Frau Marie
Herrn Finanzministers selbst zu thun. Für
neue Hofbräuhausbrunnen die Ausführung des Modells wird unter Wurzl und Herr Nudlmaier. Die Tritonen
im oberen Brunnenbecken sind Söhne der
deutschen Bildhauern eine Concurrenz aus-
in München. geschrieben, wobei ein kgl. Professor dann
Münchener Alma mater, unten sehen wir
den Preis und die Ausführung des Modells auf originell geformten Postamenten ein
München, 18. Februar. „Radiweib“ und einen „Colporteur“ — alle
zugesprochen bekommt. diese Typen werden porträtähnlich aus-
Kein Opfer scheuend, wenn es gilt,
unseren verehrten Lesern und Abonnenten Die Bedeutung der einzelnen Figuren geführt. Auch eine satirisch gemeinte Fi-
eine angenehme Ueberraschung zu be- ist so klar, dass es einer näheren Be- gur hinter der Mittelgruppe (auf unserm
reiten, haben wir uns erfolgreich bemüht, schreibung eigentlich gar nicht bedarf. Bilde nicht sichtbar) wird den Brunnen
eine eminente Kraft für uns zu gewinnen: zieren: Die Gestalt eines bierkostenden
den Special-Dokumenten-Finder des Ber- Reichsrathes, der das köstliche Nass mit
liner „Vorwärts“. sauerer Miene schlürft und offenbar nichts
Gleich beim ersten Besuch des Herrn „vom Bier“ versteht.
in unserer Redaktion hatten wir Gelegen- Der Brunnen wird für gewöhnlich mit
heit, uns von der erstaunlichen Kunst Wasserleitungswasser gespeist, zu beson-
dieses „Meisters in seinem Fache“ zu über- deren Zeiten aber, bei starkem Fallen der
zeugen. Obwohl er anscheinend ruhig und Gerste- und Hopfenpreise, zur Zeit der
ungezwungen uns gegenüber auf einem Bierdebatten in der Kammer u. s. w. wird
Stuhle Platz genommen hatte und harm- besseres Staubwasser aus den Röhren des
los zu plaudern schien, fehlte bei seinem Brunnens sprühen, wird ein Druckrohr-
Weggange doch eine nagelneue Papier- strang aus dem neuen Hofbräuhause am
scheere, eine Taschenuhr, ein hübscher rechten Isarufer herab den Brunnen mit
Korkzieher und ein Betrag von elf Mark edlerem Nass versehen — ein sinn-
aus unserer Frühstückskasse. iger und zeitgemässer Appell an das
Am nächsten Morgen „jondelte er Volk, das so Gelegenheit findet, selbst
los“, wie ersieh in seinem originellen zu prüfen und sich sein Urtheil über
Berliner Dialekt ausdrückte, und wir das Bier nicht erst durch die Vor-
hatten bis Mittag aus dem geheimenDo- urtheile seiner Vertreter trüben zu
kumentenschrank des Finanzministe- lassen.
riums nebst einigen wichtigen Schrift- In diesem Monumentalwerk be-
stücken eine Skizze in Händen, die weist das bayerische Finanzministe-
wir oben verkleinert reproduciren. rium seinen Kunstsinn wie seine No-
Es handelt sich um ein generöses Pro- blesse gleich glänzend. Der Künstler, der
jekt des bayer. Finanzministers, um den nach erfolgtem Wettbewerbe die Ausführ-
neuen Hofbräuhausbrunnen, den er ung des Brunnens erhalten wird, soll sich
aus Heberschüssen der königlichen Bier- übrigens dahin geäussert haben, er werde
bereitungsanstalt zum Wohle und zur Zier die Züge seiner Excellenz des Herrn Finanz-
unserer Stadt errichten will. Der Platz, auf ministers selbst in einer der Brunnenfiguren
dem das Denkmal errichtet wird, ist noch verewigen.
nicht bestimmt. Wahrscheinlich wird der Unser Special-Dokumenten-Finder wird
Maximiliansplatz als Standort ausersehen, mit Nächstem weitere Jagdzüge unter-
an dessen westlichem Ende sich bereits der nehmen und wir hoffen, unseren Lesern
bekannte „Wittelsbacher-Brunnen“ in ähn- noch sehr interessante Heberraschungen
lichem Aufbau erhebt. durch ihn bereiten zu können.
t43
Nr. 9 1896
144
1896 JUGEND Nr. 9
Monroe-Doctrin, ein fabelhaftes Dings,
’ne Missgeburt Amerikas, Miss Sphinx,
Ist nicht so schlimm, wie die vor Theben war:
Sie lässt sich frei’n und geht zum Traualtar,
Bringt viel Millionen ihrem Ehemann,
Kommt gern als Fürstin in Europa an.
So mischt sich stets, zu Onkel Sams Verdruss,
Ein in Amerika Fürst Oedipus. —
2 Pfennig Trinkgeld geben, meinen’s, sie glänzenden Expektoration machte. Von einer in sichtlicher Ergriffenheit dem Vorredner
hätten noch aufdraht!“*) Wie gedenke sich hiesigen Sängertruppe werde allabendlich für das ihm so freundlich ausgesprochene
her Minister zu einer solchen, den ganzen unter dem johlenden Beifall det Menge, die Vertrauen ,und führt dann des Weiteren
Bauernstand herabsetzenden Redeweise zu natürlich grösstentheils aus Norddeutschen aus, er werde der Sache mit aller Energie
verhalten? — Der Minister: „Der geehrte bestehe, ein Lied vorgetragen mit den An- und persönlich nachgehen, indem er selbst
Herr Vorredner möge mir die Bemerkung fangszeilen: an einem der nächsten Abende den Pro-
verzeihen, dass die von ihm beregte An- „Schön ist’s, mit dem Umgang geh’n!“ duktionen der betreffenden Komikergesell-
gelegenheit eigentlich ausserhalb meines Die X weiteren Strophen auch nur anzu- schaft beizuwohnen gedenke. Bestätige
Bessorts fällt. Doch werde ich mich mit deuten, verbiete ihm Religiosität und Sitt- sich ihm hierbei die nur allzu wahrschein-
rneinem Collegen, dem Justizminister, und lichkeit. Das Eine werde allen Anwesenden lich klingende Mittheilung des Herrn Ab-
PJ* dem Herrn Polizeipräsidenten dahin klar sein, dass es sich da um nichts Anderes geordneten, so werde er vor den schärfsten
ln s Benehmen setzen, dass, wenn irgend handle, als um eine schamlose Verhöhnung Maassregeln nicht zurückscheuen, um so
Möglich, die Schliessung dieses so ausge- der Prozessionen, die schon im vorigen weniger, als auch das Polizeipräsidium auf
sprochen agrarierfeindlichen Cafes verfügt Jahr durch den ketzerischen Blick eines die Singspielhallen, diese gefährlichsten
jverde. Ich persönlich finde es schon takt- akatholischen Amtsrichters entweiht wor- Concurrenten unsres Hoftheaters, ein wach-
*0sj ja unpassend, in solchem Zusammen- den sei, der vom Fenster aus der Fronleich- sames und zum Einschreiten längst be-
hang einen Landmann ,Bauer1 zu nennen.“ namsprozession zuschaute! (Lebhafte Be- reites Auge geworfen habe. Jedenfalls
„ Die tiefste Entrüstung aller noch eine wegung bei allen Anwesenden.) — Er hoffe er (der Minister) auch in diesem
opnr von Religion im Leibe tragenden Aus- (Deggendorfer) richte an den Minister, Falle sich die Anerkennung und das Ver-
schussmitglieder rief nun aber eine That- dem er im klebrigen sein Lob wegen ge- trauen des Centrums voll und ganz ver-
?®che hervor, die Herr Dr. Deggendorfer sitteten und fügsamen Betragens nicht völlig dienen zu können. — Abg. Hohlschädler
\Otr.) zum Ausgangspunkt einer oratorisch vorenthalten will, die Anfrage, wie dieRegier- brachte mit einigen Worten ermuthigender
j 1 tOies letztere Wort tvürdc in unser geliebtes Hoclt-
ung diese fortgesetzten Angriffe auf die hei- Billigung für Minister Sanftmann diese
v>. t5ch übertragen etwa lauten: ,,exzeptionell generense ligsten Güter unserer Nation abzuwehren so inhaltsreiche Sitzung zu einem würdigen
k°usen riskirt.“ (A. f. n. b. L.) gedenke? — Der Minister dankt zunächst und harmonischen Abschluss.
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Nr. 9 JUGEND 1896
Landsknecht.
Dichtung von CARL SIEBEL.
n Du. Hans Sommer.
COMP. VON
~-
Was nützet mir mein bischen
Nicht rasch.
i 4
f
marcato
1I
ps»-
s
s: * -5- r
•): 3
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1896
JUGEND Nr. 9
ritcn. a tempo
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Herausgeber: Dr. GEORG HIRTHj verantwortlicher Redakteur; F. von OST1XI; verantwortlich für den Inscratentheil: G. EICHMANN, G. HIRTH’s Kunstverlag; sämmtlich in München
Druck von KNORR & HIRTH, Ges. m. beschr. Haftung in München.
1896 -7. März • JUGEND • I. Jahrgang - Nr. io
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Nr. 10 JUGEND 1896
i;o
1896 . JUGEND Nr. 10
tropfen glänzten auf ihrem Rosenantlitz. Gül-Bejase
lehnte sich an ihre zarten Wangen: „Warum bist du
so blass und glühst so sehr?“ fragte sie. Blass und
glühend stand sie selber da und ihre Thränen flössen.
„Prinzessin, Du weinst ja!“ riefen die Sklavinnen
bestürzt.
„Ich weiss nicht,“ sagte Gül-Bejase, „ist’s Sehn-
sucht, ist’s Erinnerung? Ich muss an etwas denken,
das ich noch nie besass.“ Und sie hätte sich die spitzen
Dornen in’s Herz stossen mögen, so traurig war sie,
_ selbst eine einsame Rose voll von schmerzlichem Glühn.
Da schenkte ihr der König ein wunderliebes
Kätzchen, damit sein Liebling wieder fröhlich werde.
Das hatte ein seidenweiches Fell und Schelmenaugen.
Gül-Bejase gewann es auch lieb und liess sich von
ihm gern schmeicheln und kosen. So possirlich war
es, dass es sogar bei ihr schlafen durfte, wenn sie
Nachts in ihrem goldenen Bette lag. Selbst die Nacht
hatte Sonnenathem hier, sie war viel schöner, als
anderswo der schönste Tag, nur allzustrahlend, all-
zuglühend, dass man gar nicht schlafen konnte. Die
Welt war so entzückend, man kam nicht zur Ruh'.
Die Rosen dufteten so stark, die kranken Rosen. —
„Ich Arme!“ seufzte Asiens reichste Königstochter.
Nun liess ihr der Vater ein neues Diadem an-
fertigen aus taubeneigrossen Rubinen. Das durfte sie
sich auf’s Haupt setzen und sich damit im Spiegel
besehn, und es stand auch gar herrlich zu ihrem eben-
holzschwarzen Haar. Die Sklavinnen klatschten ent-
zückt in die Hände, doch Wunder that auch die Krone
nicht, und verzagt blickte Gül-Bejase zur ewigen Sonne
empor. — Einmal sass sie auf der Terrasse und starrte
sehnsüchtig in’s Meer hinaus, als sie ein Schiff nahen
sah, wie sie noch nie eines gesehen. So ganz anders
als die einheimischen Boote. Trauerfarben waren seine
Segel und verwittert. Unruhig schlug es mit den
schwarzen Flügeln wie ein dunkler Nachtraubvogel
und als es nun im Hafen einlief, zog es die Segel
nicht ein, als ob es jeden Moment wieder auffliegen
wollte. Ein Mann stieg an’s Land. Seine Kleidung
war von fremdem Schnitt, grau und düster, wie die
Segel seines Schiffs. Sieh, ein ferner Seefahrer! dachte
Gül-Bejase. Doch wie staunte sie, als sie ihn die sie, „bedenk das wohl!“ Und sie zeigte ihm die
Treppe heraufkommen sah und geradewegs auf sie Schätze ihres Vaters.
zu. Rasch liess sie ihren Schleier fallen, da nach Den Palast mit dem Golddach und die marmornen
Landessitte kein Mann ihr Antlitz sehen durfte, doch Hallen. Die herrlichen, mit Rubin und Demant be-
bemerkte sie, dass er hoch von Gestalt war und schön setzten Waffen und all die Kostbarkeiten, bei deren
von Angesicht, wie seine Haut so weiss war und Anblick Einem Hören und Sagen verging. Die pur-
alles an ihm hell: Der kühne Blick, der flachsblonde purnen Teppiche, wahre Wunder persischer Webe-
Bart, der ihm über die Brust herniederwallte, und kunst, die Krystallgefässe und all das Geschmeide aus
dass er trotz seines langen Bartes noch jung und, köstlichem Elfenbein, Juwelen und prangenden Meer-
obgleich derb und schlicht, voll natürlichen Adels korallen. Die singenden Springbrunnen, Papageien, Co-
war. Wie gebannt schritt sie ihm entgegen. libris und die glühenden Rosen. Das berückend schöne
„Wer bist Du?“ fragte sie. — „Ich heisse Ingunar.“ Panorama der Städte, die sich in klaren Stromwellen
„Woher kommst Du?“ — Er zeigte nach Norden. widerspiegelten, die wasserdurchrauschten Gärten, das
„Und was willst Du hier?“ ganze sonnendurchglühte Paradies, ein Entzücken für
„Die Sonne will ich sehen!“ das Auge. Selbst in den Flüssen flössen Goldkörnchen
Da schlug sie ihren Schleier zurück, als könne mit im Sande. Die Erde konnte all den Reichthum
sie nicht anders, und er sah ihr Angesicht. Ein Aus- kaum ertragen und all die Gluth und Schönheit.
ruf des Entzückens entfuhr seinen Lippen, und ge- Doch Ingunar fasste ihre Hand und sagte:
blendet von ihrer Schönheit murmelte er: „Komm mit mir!“
„Ich muss die Sonne haben!“ „Bist Du denn ein König?“ fragte sie.
Da bäumte sich ihr königlicher Stolz. „Nein,“ sagte er stolz, „ich bin ein freier Mann“.
„Weisst Du denn, Fremdling, zu wem Du so „Ist Dein Palast aus Marmor und Gold?“
sprichst? Ich bin die Prinzessin Gül-Bejase!“ sagte „Aus Lehm ist meine Hütte.“
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denn sie war ja an die tropische Hitze gewöhnt. Noch „O wie mich friert!“ schluchzte Gül-Bejase.
hatten sie nicht Gibraltar erreicht, als sie wieder Ingunar hüllte sie in Pelze ein, die er bei sich
fragte: „Nun aber kommt bald Spitzbergen?“ hatte, sie aber klagte noch immer: „Mich friert!“
„In noch hundert Tagen,“ sagte Ingunar. Da nahm er sie in seine Arme.
Weiter flog das Schiff, ohne zu erlahmen. Der Die Möve flog davon, das Schiff war am Ziel.
Albatros wies das Ziel. So kamen sie bis an die Unter einem Felsenvorsprung stand Ingunars Hütte.
britischen Inseln. Stroh deckte das Dach. „Da sind wir!“ rief er. Doch
„Sieh die Riesenwolke, die das Meer umspült!“ als er sie über die Schwelle trug, war sie schon halb
rief Gül-Bejase. erfroren. In einer Ecke stand ein Herd von Feldsteinen
„Es ist England“, sagte er, „das im Nebel liegt“. aufgebaut. Ingunar hauchte sich auf die Hände und
Sie fröstelte. Von ferne grösste die Sonne. Immer schürte Feuer an. Allmählig erholte sich Gül-Bejase.
fremder ward die Welt, die Nacht lang, der Tag grau. „Sieh die schönen Eisblumen am Fenster!“ rief
„Aber so grau ist’s doch nicht bei Euch?“ fragte er, um sie zu erfreuen.
sie besorgt, dass Ingunar gar nicht wusste, was er „Aber die kann man ja nicht in’s Haar stecken“,
sagen sollte. Eidergänse flogen auf. Schon nahten sie meinte sie. Kein Pelz, kein Feuer konnte sie erwärmen,
der Insel Island. Seehunde lagen im Sand mit rund auf- nur in Ingunars Armen war ihr wohl. Und er suchte
gerissenen Augen. Ob sie wohl bellen? dachte Gül- sie zu trösten: „Wein’ nicht, Gül-Bejase! Wenn der
Bejase. Doch sie blieben stumm wie Fische. Nichts regte Frühling kommt, bring’ ich Dich heim zu Deinen Rosen.“
sich, als wagte nichts zu leben. Eisige Lüfte gingen. Sie schüttelte das Haupt. „Ja, und dann sollst
„O wären wir schon daheim!“ seufzte Gül-Bejase. Du die goldene Krone wieder tragen.“
Aber sie wollte nichts wissen von Krone und
Rosen. Sie war ja kein Kind mehr. Nichts wollte
sie, nichts, als das nackte Leben, so lieb hatte sie ihn.
„Nur leben!“ bat sie und schmiegte sich an ihn,
denn es ward Nacht. Drei Monde lang währte die
Nacht. Als es wieder Morgen war und Frühling und
Ingunar sie fragte: „Willst Du in Dein Sonnenland
zurück?“ rief sie flehend: „Nein! nein!“
Es war aber auch wunderschön hier. Das Feuer
brannte an ihrem Herd, das Glück in ihrem Herzen.
Vor der Hütte blühten jetzt Heidekraut und weisses
Moos. Stumm war die Welt. Das Nordlicht beschien
sie wie eine Ampel eine hohe Halle. Ausgelöscht war
alles Leben. Ihre Herzen waren die einzig fühlenden
Wesen in dieser Oede.
Sie wohnten ja am Ende der Welt, gleichsam an
deren Ausgangspforte. Die verstorbenen Seelen mussten
an ihrer Thür vorbei. „Komm’ mit!“
riefen sie. Doch Gül-Bejase wollte nicht
fort, nicht einmal in den Himmel.
Sie konnte gar nicht
sterben. — — —
Wie kann man mich
nur verlassen? dachte
die Sonne und grämte
sich nach der schönen
Königstochter. Und
machtesichaufund folg-
Ingunar hatte Mitleid mit ihr. te ihr nach, den langen,
»Wollen wir umkehren, Gül-Bejase?“ weiten Weg, bis sie end-
Sie fror ganz jämmerlich, dennoch rief sie: lich matt und müde an-
„Ich will zu Dir, zu Dir!“ kam. Als Gül-Bejase sie
Und weiter ging’s durch rollende Wogen. Schnee- herankriechen sah, er-
wolken hingen da über und hauchten sie an mit kannte sie sie kaum.
kaltem Todesathem. „Ach, Du bist’s!“
Wo blieb der Albatros? Fort war er, verschwunden. rief sie lachend.
Ihm war zu kalt in diesen Regionen. Eine schlichte „Ich will nur sehen,“
Möve flog vor ihnen her zwischen Gletscherfelsen. meinte die Sonne „ob’s
Eisklüfte bildeten Höhlen. Eisbären brüllten. hier gar so schön ist“.
»O Ingunar!“ weinte Gül-Bejase. Bart und Augen- Doch es schien ihr zu
brauen waren ihm erstarrt und hingen ihm wie Eis- gefallen, denn sie kehrte
klumpen im Antlitz. Der Schnee fiel in Ballen. Eis- nun immer wieder, Jahr
riffe ragten gen Himmel, Eisriffe hingen herab. So um Jahr. — So kam der
ging’s durch weisse Finsternisse. Norden zur Sonne.
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Bleibt dort hocken festgekrallt, Man soll keinen Politiker glücklich preisen, bevor er
Summt mir, wenn ein munt’rer Chor nicht Verwaltungsrath geworden ist.
Ganz in meiner Nähe schallt, esc
Lauter Jahreszahlen vor. „Warum haben Sie gegen das Budget gestimmt?“
„Excellenz, meine Ueberzeugung —“
War’ ich nicht in ihrem Joch, „Aber ich bitte Sie, wir sind unter uns . . .“
Ach ich hätt’ es nie vermisst; LUDWIG BAUER.
Einen Lehrer brauch’ ich noch, TSC
Der mich lehrt, wie man vergisst, Was in den Staatsdienst kommen will, krümmt sich bei
Zeiten.
TSC
Wie man weder forscht noch zählt,
Sondern, in die Welt vernarrt, Unter den Stützen der Gesellschaft gibt es manche
Sich auf gutes Glück vermählt Strebepfeiler.
TSC
Mit der Thörin Gegenwart.
Es gibt Leute, die die Schöpfung der Krone nicht für
Wenn ich deren Liebster bin, die Krone der Schöpfung halten.
Geb’ ich alle Wissenschaft TSC
Und Gelahrtheit gerne hin Wie mancher sieht erst nach seiner Verheirathung, wie
Für ein bischen plumpe Kraft, er sich bei seiner Verlobung versprochen hat. ernst dolfa.
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— Möres, rentrez vos Alles!-Les Faunes sont dehors! —
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Nr. 10 JUGEND 1896
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„Oll!“
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So war er denn auch sehr erpicht
Auf sachgemässen Unterricht
Und die Entschuldigung nahm er krumm:
„Nie!“
r?n m-p?«
„Herr Hauptmann, dieser Mann ist dumm“.
„Herr Lieutenant, Dummheit kenn’ ich nicht,
Das liegt allein am Unterricht. II.
Ich werde jetzt mal instruiren,
Dann können Sie sich überführen; ”ü!’—-?“
Der Mann ist meistens nicht dran schuld, „Ah!“
Die Milde fehlt und die Geduld.“ * .2 '
Doch meldet ihm ein Offizier
Als Faulpelz einen Musketier, „? ?“
Streng blickt der Milde dann und spricht:
„Herr Lieutenant, Faulheit kenn’ ich nicht. , » _ I _ j«
Der Mann ist dumm und nichts als dumm, „Au!“
Geh’n Sie recht milde mit ihm um.
Ich werde ihn jetzt gleich belehren.
Ich bitte einmal zuzuhören, (»_!“
f"
Sie überzeugen sich dann leicht,
Wie viel man mit Geduld erreicht.
Der Mann ist meistens nicht dran schuld.
Die Milde fehlt und die Geduld.“
*** „Vielleicht.“
»“
Was dieser kluge Mann bezweckt?
Es bleibt das Strafbuch unbefleckt.
Denn ihm genügt es, den Mann zu belehren
Und höchstens das „Reinigen von
Kammergewehren“.
Beweis, dass auch ohne den strengen Arrest
Die Disziplin sich erhalten lässt.
Der Kompagniechef wird vorpatentirt, *) Wir sind in der angenehmen Lage, unsern Lesern
Weil so und so lange nichts passirt, hiemit das neueste Seelengemälde aus der Feder des gsist-
Denn das bekundet jederzeit vollen Führers der allerneuesten deutschen Schriftsteller'
gruppe ,,Semikolon“ zu Füssen zu legen.
Der Truppe innere Tüchtigkeit.
W
„p. f.“ Zwei Seufzer.
Melodisch leiden — keine Spur —
In schwarzem Frack und schwarzen Hosen!
Ich litte gern, ein Troubadour — Der Mann:
Die blasse Stirn umkränzt mit Rosen; Im Brautstand war sie so reizend,
In der Ehe nur reizbar sie wird;
ln heisse Lieder goss' ich’s aus, Im Brautstand zeigte sie Chic nur,
Gar hold gereimt und süss gerundet, In der Ehe sie nur chicanirt! —
Und sang’ es vor dem Hochzeitshaus, Oh!
Wie tief sie mir das Herz verwundet,
Die Frau:
Wie ich sie hegte gar so lieb, Im Brautstand glich er dem Lamme,
Wie viele Monden treu ich harrte In der Ehe ist er ein Bär;
Du lieber Gott! Statt alles dessen schrieb Im Brautstand Feuer und Flamme,
Ich ihr „p. f.“ auf meine Karte! In der Ehe, da raucht er nur mehr.
W. WALTHER. Gezeichnet von O. Eckmann. Ah! — i. paueR-
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Deutsches Reichspatent Sucht Jemand aus, der secundirt Im besten Falle heut’ noch „Koch fils“,
Und ’s ganze Schauspiel inscenirt. — So arg ist bereits der Nothstand!
Nr. 78,946,317,762,106: Dreh- Pistolen werden inspizirt,
bare Rednertribüne. Und der Paukant noch instruirt
Für’s Vaterland geben wir Leben und Gut,
Bekanntlich schweifen in sämmtlichen Des Reiches treueste Söhne — '
Und auch im Schiessen exercirt,
Doch wenn uns Wer nicht den Willen thut,
Parlamenten (ausgenommen ist nur der Damit er nicht den Kopf verliert,
deutsche Reichstag) sehr viele Abgeordnete Der Arzt rechtzeitig avisirt;
So sagen wir Ihm mit kaltem Blut:
„Kein Kanitz — dann gibts keine Kähne.“
(ausgenommen sind nur die Herren Sozial- Vorsichtig Jeder noch testirt,
demokraten) gerne vom Thema ab und spre- (Man kann nicht wissen, was passirt!) Es könnten wohl Alle im deutschen Gau
chen, sozusagen, „zu den Millionen da draus- Stumm wird am Kampfplatz salutirt, An Vaterlandslieb’ von uns lernen —
sen.“ Das veranlasst die weisen Herrn vom Versöhnungsdusel simulirt, Doch färbt Ihr die Margarine nicht blau,
Präsidium (ausgenommen ist nur der Herr Distance und Waffen kontrolirt, So streichen wir Euch - nun wisst Ihr’s genau
v. Buol) oft, energisch „zur Sache“ zu rufen. Eins, Zwei und — los, dann kommandirt. Die Mittel für neue Kasernen!
Diesem Hebelstand, der (namentlich da, wo Der Eine wankt, ist leicht blessirt
Diäten gezahlt werden) die Parlamentsver- Und, wie der Arzt gleich konstatirt, Der feinste Ton ist uns strenges Gesetz
handlungen empfindlich in die Länge zieht, Der Kampf muss werden jetzt sistirt. Wir dächten, das könntet Ihr wissen!
hilft die neue, von Herrn Berthold Dunkel- Niemand ist desshalb indignirt, Nur ausnahmsweise spricht Herr von Plötz
grau erfundene drehbare Rednertribüne, Man reicht die Hand sich dann blasirt, Und der Herrvon Diestwie der selige Götz
von der wir oben ein Abbild geben, gründ- Und thut, als wär’ nichts arrivirt; Als das Fenster er zugeschmissen!
lich ab. Sobald ein Redner anfängt, mit Wenn der Verletzte bandagirt, Stets sind wir für König und Kaiser da
überflüssigen Schlagwörtern herumzuwer- Freundschaftlich heim wird eskortirt, Doch Manches bedarf erst der Klärung,
fen, auf dass er im Parteiblättchen glor- Fühlt man sich rehabilitirt, Wir lehnen Euch ab — so wollt Ihr es ja
reich erscheine, drückt der jeweilige Prä- Wird von der Welt als Held fetirt. — Im nächsten Jahre den Heeres-Etat,
sident (ausgenommen natürlich ist der Herr S. FRANK.
Verschmäht Ihr die doppelte Währung!
v. Buol) auf einen Knopf und die Tribüne
dreht sich nach der Aussenseite des Ge- Wir sind der einzig verlässige Hort
bäudes, so dass der Redner ruhig zum Des Reiches in Stürmen und Nebeln,
Fenster hinaus reden kann, während
Agrarier-Marseillaise. Doch geht die Sache noch lang so fort
innen ein Anderer das Wort erhält und zur Wir sind die Partei für Altar und Thron Und Mirbach bittet vergeblich um’s Worb
Sache spricht. Und patriotisches Streben, So schlagen wir uns halt zu Bebeln!
Die edelsten Leute der ganzen Nation
Und wir nur kennen den guten Ton Und meint Ihr, dass nach verlor’nem Gefech1
Wir endlich die Streitaxt begraben —
Das Duell. I
In Politik und im Leben.
Ja, Prosit die Mahlzeit! Da kennt Ihr uns
„Mein Herr, Sie haben mich fixirt, Doch selbst die loyalste Geduld zerriss, schlecht —
D’rob fühle ich mich insultirt. Weil zu tief der Preis für das Brod stand, Wir sind die Partei für Sitte und Recht
Hier meine Karte!“ — „Acceptirt.“ Wer gestern noch „Mumm“ trank, trinkt Und wollen auch was davon haben!
Man einigt sich, ’s wird duellirt; gewiss ki-ki-ki.
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Inseraten-Annahme Insertions-Gebühren
durch alleAnnoncen-Expeditionen 1896 für die
sowie durch 4 gespult. Colonelzeile oder deren
G. Hirth’s Verlag in München Nr. 10 Raum JL i.—.
und Leipzig.
Die JUGEND erscheint allwöchentlich einmal. Bestellungen werden von allen Buch- und Kunsthandlungen, sowie von allen Post-
ämtern und Zeitungs-Expeditionen entgegengenommen. Preis des Quartals (13 Nummern) beiden Postämtern in Deutschland M. 3.—,
Belgien 3 Pres. 61 cts., Dänemark 2 Kronen 69 Oere, Holland 1 fl. 95 ct., Italien 3 Pres. 88 cts., Oesterreich-Ungarn 1 fl. 90 kr.,
Rumänien 4 Pres. 20 cts., Schweden und Norwegen 2 Kronen 71 Oere, Schweiz 3 Pres. 65 cts., der einzelnen Nummer 30 Pf.
Briefkasten.
Zielbewusst. Herrn J. K. Mannheim. Den Brief-
kasten unseres Blattes benutzen wir
nicht zu privaten Mittheilungen, am
allerwenigsten zu Erklärungen, ob wir
das Manuscript des Herrn N. N. ab-
lehnen oder annehmen. Anonymes ver-
schlingt der Papierkorb!
A. H. L. Wir ersuchen freundlich,
jedes Mal die Adresse des Absenders
beizufügen, auch wenn der Betreffende
zum so und so vielten Male sich schrift-
lich an uns gewandt hat.
In G. Hirth’s Kunstverlag in
München ist erschienen:
lllustrirter Katalog
Schack-Galerie
Keiner Seiner Zeit- in München
genossen sollte verkennen, dass August im Besitz Sr. Maj. des Deutschen Kaisers,
des Grossen Auftreten in der Transvaal- Königs von Preussen
sache charaktervoll und zielbewusst war: Mit einem Vorwort von Dr. Paul Seidel,
ist Er doch in dem entschiedenen Anschluss Dirigent in den Kunstsammlungen der
an die „U ntern Zehn tausend“ der eng- Königl. Preuss. Schlösser, und einer
kunstgeschichtlichen Einleitung von
lischen Politiker nur dem Wahlspruch der Prof. Dr. Richard Muther.
Partei gefolgt: Proletarier aller Länder, vereinigt Euch! 8r/4Bg-kI-8° mit 56 autotyp. Abbildungen.
Eieg. brosch.50 Pf., in Leinwand geh IM.
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„Ich fürchte, dass ich ihm noch einmal am Gedeihen des Geschäftes und des Ver- Er war glücklich und gewann sehr an
in den Gesicht schlagen werde“, sagte mögens betheiligt, sie stand hinter dem Selbstachtung in jenen Wochen, er strahlte
Mr. Klein einst zu mir. Die deutsche Ladentisch und schnitt einen Schinken um vor Wonne, wenn er in seinem Tilbury mit
Grammatik war seine schwächste Seite. — den andern in dünne Scheiben — 40 Jahre der schönen Else ausfuhr, wenn er mit ihr
Unter des Barons Anleitung hatte Char- ihr Lebenslang. Ihrer Virtuosität im Schnei- im Theater sass und kaum die übliche bla-
ley manchen Fortschritt gethan im Cavalier- den und Wiegen des Schinkens verdankte sirte Miene zu Stande bringen konnte in
werden. Er hatte sich die grossen Brillant- Charley nicht zum kleinsten Theile seine seinem Stolz darüber, dass sich bei ihrem
hemdknöpfe ab- und eine wohlthuende glückliche Lage und das that genug dazu, sein Eintritt sofort alle Operngläser nach ihrer
Einfachheit in seiner Eleganz angewöhnt; Frauenideal in der Richtung zu suchen, in Proszeniumsloge — es war die theuerste im
er bestellte den Champagner nicht mehr derdas Wesen seiner Mutter gewachsen war. Hause — richteten.
ausschliesslich nach dem Preis, sondern Angst vor allem Skandal, vor jeder Dass Fräulein Else dem ungeliebten
kannte auch die Marken, sprach sach- Unerquicklichkeit hatte er auch, und seines Menschen gegenüber, der durch Nichts auf
kundig von Hennessy, Märtel u. s. w., auch unvortheilhaften Aeussern war er sich eben- sie Eindruck machte, nicht durch Rang,
kannte er die wichtigsten englischen Sports- falls bewusst. noch durch Manieren oder Chic, dass dieses
ausdrücke und sprach sie richtig aus. Was Indessen — ein Lebemann ohne ein Weib gegen den dummen Charley nicht ge-
der Baron wusste und kannte, brachte er flottes Weib — der Baron hatte ganz recht rade die vortheilhaftesten Seiten ihres We-
seinem Zögling bei — nicht aus irgend — es ging wirklich nicht! sens herauskehrte, kann man sich denken.
welchem Interesse für Charley, sondern Und gütig, wie er stets gepflegt, schaffte Sie gab sich keine Mühe, es irgendwie zu
weil sothaner Unterricht stets ausreichende van der Week auch dieses Mal Rath. Er verbergen, dass es ihr nur um sein Geld
Gelegenheit bot, von der wohlgespickten machte seinen Zögling mit einer schlanken zu thun sei, und waren Andere zugegen, so
Börse des „Emporkömmlings“ Gewinn zu blonden Schönheit bekannt, einer Choristin, Hess sie es Jenen in der verletzendsten
ziehen. Der Baron war nicht der einzige die in der Kunst, Männer auszubeuten, An- Weise verstehen, dass ihr nichts an ihm lag,
Schmarotzer Charley Gänsbergers, aber er spruch auf jede Meisterschaft der Welt dass sie sich an einen Proletarier weg-
war der gründlichste. hatte und cynisch genug war, mit Vorliebe geworfen, der sie nicht zu würdigen wusste.
Und er war ein Lump. von ihrer Vollkommenheit in dieser Kunst Er litt Alles geduldig und nahm die scham-
Er hatte dem albernen Jungen eines zu reden. Schön war sie wohl — so schön, lose Impertinenz der Choristin als nothwen-
schönen Tages eingeredet, ein Mann wie als ein Weib sein kann, das frech und digen Bestandteil des Verhältnisses mit
er müsse sich auch ein flottes Weib halten. temperamentlos zugleich ist. einem flotten Weibe hin. Schlecht behandelt
Auf das warCharleyschwereingegangen. An diese Prima-Adresse empfahl van der zu werden von Creaturen, welche von ihm
Familienüberlieferung war so etwas nicht Week seinen Schützling und kurz darauf zehrten — Du lieber Himmel, das war er
bei den Gänsbergers. Bis zur vorletzten hatte Charley das unbestrittene Recht, sei- ja gewöhnt. Er litt Alles geduldig, wie ge-
Generation hatten sie Mühe genug gehabt, nen übrigen Ruhmestiteln als Lebemann sagt und war sogar stolz darauf, wie etwa
ihren legitimen Frauen ausreichend und auch noch den hinzuzufügen, dass er die ein jugendlicher Athlet stolz darauf ist,
gut zu essen zu schaffen. In der letzten hübscheste und eleganteste Maitresse in Schläge und Verletzungen nicht zu spüren.
Generation noch war die Frau sehr lebhaft i der Stadt besass. „Wenn man die Weiber kennt, nimmt
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man ihnen nichts mehr übel“, sagte er ein- sollte.“ Er hörte das so gerne und es war genug zu klatschen und zu staunen, durch
mal, als wir ihn seiner übergrossen Sanft- so leicht, ihm die kleine Freude zu machen. seinen Luxus und seine Extravaganzen.
muth halber zum Besten hielten. Charley Charley’s Augen leuchteten. Immer wei- Charley prahlte mit ihr, wo er konnte, schien
~~ und die Frauen kennen! Ebenso gut ter machte er sein Herz vor mir auf. glücklich, wenn man ihr den Hof machte
kannte er die Marsbewohner. „Nach und nach hat man wohl gelernt, und war „korrekt“ genug, es lächelnd hin-
An jenem Abend fügte es der Zufall, sich zu benehmen. Ich gebe ja viel Geld zunehmen, wenn Einige darin recht weit
dass wir allein noch am Tische sassen und aus, aber nicht wahr, das bin ich nicht, gingen. — Auch in diese neue Rolle hatte
6in weiterer Zufall mag es gefügt haben, was man einen Protzen heisst?“ er sich mit dem bewunderswerthen Fleiss
uass Charley — der überhaupt das Herz „Gewiss nicht — im Gegentheil! Sie eingelebt, mit dem ef seinen Bestrebungen
auf der Zunge trug — offen und ehrlich sind oft sogar ein wenig zu bescheiden — nachging, ein echter und rechter Cavalier
selbst von allen seinen Lächerlichkeiten zum Beispiel dem Baron gegenüber.“ zu werden.
2u sprechen anfing. „Ja der — das ist eine eigene Sache! Bios eins hätte er nicht thun sollen:
. »Sehen Sie, ich weiss ganz gut, dass Er ist mir so furchtbar überlegen in Allem Sich in Else verlieben!
mich die Leute oft auslachen, weil ich, der und so sarkastisch! So sarkastisch! Und Und das that er. Seine „vornehme
Metzgerssohn, der keine Figur macht und er hat mir doch manchen guten Rath ge- Kälte“ war eine mühsam aufrechterhaltene
U'chts gelernt hat, nun einmal ein Lebe- geben und Manches genützt. — Uebrigens Komödie. Wer ihm aufmerksam zusah,
mann sein will. Aber Neid ist auch genug — wissen Sie, dass ich einen ganz ver- musste bald vernehmen, wie leidenschaft-
uabei, wenn sie lachen, denn ich kann mir rückten Wunsch habe — lachen Sie mich lich stets seine Blicke an ihr hingen, wel-
uas Alles gönnen und es kommt schliess- nur aus! Ich möchte mich auch einmal im chen harten Kampf sein vornehm geduldiges
>ch Niemand zu kurz damit. Ich auch Leben duelliren —“ Lächeln oft mit dem Ausdrucke hoffnungs-
muht, ich weiss recht gut, wie weit ich „Mit wem?“ loser Verzweiflung auszufechten hatte, be-
,ann. Und gerade weil mich die Leute „Mit Irgend einem! Es müsste ja gar vor es herrschen durfte auf seinem Gesicht,
beneiden, will ich es ihnen zeigen, dass nicht auf Tod und Leben sein. Aber erstens wie ihn mit jedem Tag ihre Rohheiten
man ein Cavalier werden kann, auch wenn hat doch jeder Lebemann so was einmal tiefer verwundeten, wie ihm zuletzt doch
man nicht dazu geboren ist. Ich habe so mit durchgemacht und dann meine ich die Schamröthe aufstieg, wenn sie ihn de-
'Uentlich Alles erreicht, was ein Lebemann man würde mich eher für voll nehmen’ müthigte. Und man sah, wie sehr es ihn
aben kann: kein Prinz fährt und reitet wenn man wüsste, dass ich mich geschlagen glücklich machte, wenn erihreinen Wunsch
essere Pferde; ich habe die Welt gesehen habe.“- erfüllen konnte, wenn er für eine kostbare
nd jedes Vergnügen mitgemacht, das auf Ja wahrhaftig, er war ein Esel in Folio Gabe einmal einen freundlichen Dank erhielt
rden zu haben ist; ich habe die beste Jagd der gute Charley, dem war nicht abzuhelfen! _ denselben Dank, der einem Andern zu
b der Gegend — und dann die Else! Sie * Theil wurde, wenn er ihr den Handschuh
“ssen doch selbst sagen, dass es kein ** vom Boden aufhob oder einen Stuhl zu-
unoneres Weib in der ganzen Stadt gibt.“ Ein paar Monate hatten unseres Freun- recht rückte.
lh we'ss allerdings auch nicht, was des Beziehungen zur schönen Else schon Er liebte die schöne gelbhaarige Bestie
nen zum Vollblutlebemann noch fehlen gedauert und das Weib gab der Stadt Stoff mit einer Liebe ohne Halt und ohne Mass,
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läppisch und ungeschlacht, voll Angst und „Sie hätten ältere Rechte ein wenig re- Wir sprangen hinzu. Vor Schmerzen
Scham und Selbstquälerei. spektiren sollen, Herr Gänsberger.“ Der zusammengekrümmt lag der Arme da und
Eines Abends sassen wir — Charley, sprang jäh auf, dass ein paar Gläser um- was sich in seinen Zügen malte, war we-
Mr. Klein und ich zusammen in einem fielen — das verstand er doch! niger Todesangst, als ein massloses Staunen.
Restaurant. Der Erstere blass, unruhig und „Was soll das heissen?“ rief er, heiser „Mit mir ist’s aus“, flüsterte er und griff
zerstreut, sah zum Erbarmen aus. Selbst vor Wuth. nach seiner Brust und das rothe Blut rie-
auf sein Aeusseres hatte er nicht mehr „Dass Else meine Geliebte war, bevor selte ihm zwischen den Fingern durch; der
die gewohnte Sorgfalt verwendet, seine ich sie Ihnen abgetreten habe. Jedermann’s Arzt riss ihm das Hemd auf und schüttelte
Cravatte sass schief, sein Haar war nicht Geschmack ist’s freilich nicht, mit dem sofort den Kopf.
so wohlgescheitelt wie sonst. vorlieb zu nehmen, was andere Leute nicht „Nichts mehr zu wollen!“
Plötzlich fragte er heiser, wie man in mehr mögen!“ Charley’s Kopf sank zurück, sein Ge-
grosser Erregung spricht, abrupt, mitten Bebend, zehnfach in seinem Empfinden sicht wurde leichenblass. Mister Klein bet-
in einem Gespräch über politische Vor- gekränkt, sprang der Andere auf, und was tete das Haupt des Sterbenden auf einen
fälle: „Was würden Sie sagen, wenn ich er nun that, war nicht cavaliermässig und zusammengerollten Ueberrock und sagte,
die Else heirathete?“ durchaus nicht korrekt. Klatschend fiel jenem fast zärtlich die Stirne streichend:
Da war nicht gut antworten. Charley Charley’s mächtige Hand ein paar Mal auf „Sie haben sich geschlagen wie eine
fuhr fort: das Gesicht seines Gegners und bevor sich echte Cavalier.“
„Ich weiss Alles, was man dagegen einer in’s Mittel legen konnte, zappelte das Der Verwundete lächelte dankbar. Das
einwenden kann. Sie hat kein gutes Vor- zierliche Herrlein blutend auf der Diele. Lob that ihm wohl. Aber ein ehrlicher Kerl
leben — aber wie soll ein schönes Mädel, Man sprang dazwischen, wusch dem war er immer gewesen und dies zeigte er
arm wie sie, zu einem solchen kommen? Baron die Nase und brachte Gänsbergers auch jetzt. Mit Anstrengung brachte er die
Sie ist jetzt oft nicht lieb gegen mich — Fäuste zur Ruhe. Worte heraus:
aber das wird sie als meine Frau schon Und dann — erledigten wir das Uebrige „Unter uns gesagt — ich habe es wirk-
werden. Ich schaffe ihr doch eine Position in der herkömmlichen Weise. lich nicht geglaubt, dass ein Mensch den
- das dankt sie mir auch!“ Als wir am andern Morgen um elf Uhr Andern — so ohne Weiteres über den
„Es wird Ihnen furchtbar viel Geld Charley die Bedingungen seines Gegners Haufen knallt — wenn er ihm so viel —
kosten, wenn Sie sich wieder von ihr mittheilten, war jener ruhig, fast heiter. Geld schuldig ist. Ich habe auf den Baron
scheiden lassen,“ sagte Klein. „Und es „Also auf morgen früh!“ sagte er bei’m gar nicht geschossen.“
wird gewiss so kommen, glauben Sie!“ Auseinandergehen. „Nur keine Aufregung! Er gab uns Beiden die Hand. Mit ver-
Der Verliebte starrte ihn rathlos an Unter Lebemännern kann so was ja ein- löschendem Lächeln blickte er mich an.
und seufzte dann mit dem Ausdrucke voll- mal Vorkommen. Wenn man es dann nur „Sehen Sie — nun hab’ ich doch —
kommener Hilflosigkeit: korrekt austrägt! Uebrigens — der Baron mein Duell!“
„Aber ich kann mir einfach nicht mehr hat geflunkert gestern — und Else hat mir Seine Augen wurden gläsern, er sah
helfen. Ich gehe zu Grunde so, vor Ver- geschworen, dass kein wahres Wort an dem uns nicht mehr.
liebtheit und Eifersucht und Zweifel!“ ist, was er sagte.“ — Und nach wenigen Minuten sagte der
In diesem Augenblicke trat van der Er war unverbesserlich dumm ! Arzt, der sich über den Gefallenen gebeugt
Week ein, dem wir seit Langem thunlichst hatte: „Es ist zu Ende“!-
aus dem Wege gingen. Auch Charley war Der arme Charley! Wenn er wenig-
in den letzten Wochen nicht mit ihm ge- Wir fuhren durch den herrlichen Früh- stens die Notiz noch hätte lesen können,
sehen worden. Das fiel mir jetzt plötzlich jahrsmorgen vor die Stadt hinaus. Die welche am andern Tage die Zeitungen
ein. Der Baron schritt zu unserem Tisch Sonne schien goldig über die Rasenplätze brachten über den „Zweikampf zwischen
her. Das unvermeidliche Glas im Auge, der Anlagen, deren ersten grünen Schimmer zwei bekannten hiesigen Lebemännern!“
geschniegelt wie immer, aber ein wenig Primeln und weisse Anemonen in Massen
unsicher im Gang. Er hatte getrunken. durchstickten. Frisch und scharf ging der
„Na, Herr Gänsberger, was machen Sie Frühwind über uns hin. ,
denn? Man sieht Sie ja gar nicht mehr. Unser Duellant war munter; der Ameri-
Immer in Minnediensten — was?“ kaner, der ihm sekundiren sollte, bleich
„Lassen Sie mich zufrieden!“ gab ihm und erregt. Er hatte den Pistolenkasten
der Andere grob zur Antwort, — grob zum auf seinem Schooss und sprach in den
ersten Male, seit wir ihn kannten. kräftigsten Ausdrücken über den Baron Die Philosophen.
„Er ist böse auf mich,“ näselte van im Speziellen und über europäische Ehr-
der Week. begriffe im Allgemeinen. Sie tranken Bier und hielten Rath
„Ich will mit Ihnen überhaupt nichts Als wir auf dem verabredeten Platze, Am Wirthstisch hinterm Ofen.
mehr zu thun haben.“ An Charley’s Schlä- einer breiten Lichtung in den Auen des Der Eine war ein Mann der That,
fen schwollen die Adern an. Ich hatte Flusses, angekommen waren, wickelten sich Die Andern Philosophen.
ihn bis jetzt nie erregt gesehen und fühlte, die üblichen Ceremonien glatt und schnell
dass Ungewöhnliches in ihm vorging. ab. Der Baron hatte einen Sekundanten, Man sprach natürlich von der Frau,
„Pah!“ machte der Andere und schlürfte der genau so geziert und albern aussah, Dem räthselhaften Wesen,
seinen Cognac, mit affektirter Grazie den wie er selbst. Der Unparteiische, ein ha- Der Eine kannte sie genau,
kleinen Finger der Rechten ausspreizend —
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gerer, trockener Herr mit martialischem Die Andern nur vom Lesen.
„pah! Weibergeschichten, meine Herren! Schnurrbart, vollzog seine Obliegenheiten Der Eine lobte ihr Geschlecht,
Wenn Einer seine schöne Else ansieht “ mit gemachter Gleichgültigkeit, wie ein Ball- Weil er ihr Glück genossen,
„Sie waren einfach unverschämt neu- ordner, der eine Franpaise kommandirt. Die Andern räsonnirten recht
lich —,“ brauste Charley auf. „Und dies steht Hart und schnarrend fiel das Kommando. Und machten bitt’re Glossen.
Ihnen schlechter an als jedem Andern.“ Charley schoss sofort, hastig, ohne zu
Wir Alle wussten, dass es dem Baron zielen. Er fehlte. Van der Week, der asch- Die Kellnerin liess alle Vier
wirklich schlecht anstund, gegen Charley fahl mit verbissenem Gesicht dagestanden Am selben Abend warten,
unverschämt zu sein. Das fühlte Jener hatte, rückte bis zur Barriere vor und schoss Die Philosophen auf ihr Bier,
auch. Er wurde dunkelroth und sagte dann dann sicher und ruhig den guten Charley Den Andern hinterm Garten.
mit seinem süffisantesten Gesicht: Gänsberger nieder. FERDINAND V. HORNSTEIN.
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Der Malerinnen-Stammtisch im „Mauen Strumpf“,
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1896 JUGEND Nr. 11
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Nr. 11 JUGEND 1896
Herren!
Und ich schwör’s beim Gott der Stärke:
Ich zerbreche meine Laute,
Wenn mich auch das weiche Girren
Wohl zu Zeiten sehr erbaute.
Ich zerbreche meine Laute —
Will mit schmetternden Trompeten
Künftig durch das Leben reiten
Und mit neuen Musageten.
Denn wir wollen sein die Jünger
Jener kühnen, neuen Lehre,
Frank und frei von jedem Unmutb,
Jeder Feigheit, jeder Schwere.
Als ein leichtes Volk der Sieger
Stehn wir auf, die Banner fliegen,
Und in’s blanke Kleid aus Eisen
Wollen wir die Glieder schmiegen.
Herrschen wollen wir und künden
Herrisch auf jedwede Knechtung,
Und verfallen soll die Schwäche
Uns’rer grausam stolzen Aechtung!
EMIL RECHERT.
&
Zu Zweien.
Leg’ Deine Hand in meine Hand
Und sei mein Weib und mein Gesell.
Ich führe Dich in’s Sonnenland,
Dort fliebn die Jahre taubenschnell.
Und fürchtest Du die finst’re Nacht,
Sollst Du an meiner Schulter ruhn,
Die beiden Augen zugemacht,
Wie tieferschrockene Kinder thun . . .
Am Himmel steh’n die Sterne dicht;
Durch stumme Kronen streicht der Wind.
Ich lächle leis . . .
... Du siehst ja nicht,
Dass wir schon längst im Dunkeln sind.
LUDWIG JACOBOWSKY.
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1896
JUGEND Nr. 11
Ein Reiseabenteuer. uns der eherne Himmel, welcher seine sengenden Gluth-
„Ja, meine Herren“, begann der Gutsherr von Lugers- strahlen herabsandte — das war der trostlose Anblick, der
hausen zu den Honoratioren am Stammtisch, „wenn Sie so sich uns täglich bot. Was Wunder, dass unsere Wasser-
in aller Gemüthsruhe beim schäumenden Glas Bier sitzen vorräthe trotz ängstlicher Sparsamkeit bald zu Ende gingen
und das köstliche Nass schlürfen, werden Sie kaum begreifen und nun der Durst unser steter Begleiter wurde. Unsere
können, wie sehr der Durst den Menschen peinigen und zur Pferde und Kameele waren zu Grunde gegangen oder ver-
Verzweiflung treiben kann. Ich weiss davon ein Lied zu singen! schmachtend liegen geblieben; wir aber schleppten uns, vom
Es ist Ihnen doch bekannt, dass ich vor circa fünf Jahren Schreckgespenst des Verdurstens gepeinigt, an einer Rettung
eine Afrikareise gemacht habe, und da hatten wir — ich und fast verzweifelnd, weiter. —
meine Begleiter — leider genug Gelegenheit, den bösen Gast Da, als die Noth auf das Höchste gestiegen war, erinnerte
hinreichend kennen zu lernen. — ich mich glücklicherweise, in meinen Mantelsack, den ich nun
Sehen Sie dies kleine Fläschchen hier — ich trage es selbst schleppen musste, ein Fläschchen Wein gesteckt zu
als theuere Reliquie stets bei mir — dies winzige Fläschchen, haben. Ich griff darnach und förderte es zu Tage. Ursprüng-
gefüllt mit altem, trefflichem Burgunder, hat mich nebst sechs lich dachte ich daran, den Wein mit meinen Gefährten zu
Reisegenossen, durch drei Tage gelabt und uns alle vor dem theilen. Bald aber besann ich mich eines Anderen. Was
entsetzlichen Tode des Verdurstens gerettet.-- Allerdings würde dies Fläschchen nützen für sieben dürstende Kehlen?
bedurfte es zu diesem Kunststückchen einer grossen Geistes- Ein Tropfen Wasser auf einen brennenden Kessel! Damit
gegenwart, Kaltblütigkeit und einer seltenen Erfindungsgabe, wäre uns nicht geholfen gewesen, höchstens unser Ende um
durchaus Eigenschaften, welche jeder Afrika-Reisende vollauf einige Stunden hinausgeschoben worden. — Da fiel mir zu
besitzen sollte und die, wie Sie wohl wissen, auch mir keines- unserem Heile eine glückliche Idee ein, die ich allsogleich
wegs ermangeln. verwirklichte.
Ich sehe Ihre erstaunten Gesichter und Ihr ungläubiges Ich hiess meine Unglücksgenossen zu mir treten und zeigte
Kopfschütteln, so dass ich ohne alle Umschweife in medias ihnen das entdeckte Flächchen voll herrlichen Burgunderweins.
res gelangen will. Ha, wie ihre Augen wieder glänzten und ihre Mienen sich
Unsere Karawane war von Kairo aufgebrochen, um west- belebten! Dann entkorkte ich es langsam, setzte es an den
wärts marschirend das Land zu erforschen und schliesslich Mund und machte mit sichtlichem Behagen einen langen Zug.
nach Tripolis zu gelangen. Um sie noch mehr zu reizen, schnalzte ich sogar mit der
Einige Tagereisen ging es recht glücklich von statten. Zunge.
Schliesslich aber geriethen wir in eine Wüste, aus der wir Meine Begleiter schauten zu mit einer Begier, wie ich
keinen Ausweg mehr finden konnten. Unsere Lage war eine solche noch nicht gesehen. Vor heisser Gier und brennen-
überaus missliche. Unter uns das glühende Sandmeer, über dem Verlangen floss ihnen das Wasser reichlich im
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1896 JUGEND Nr. 11
Munde zusammen, und das eben war’s, was ich bezwecken Ein dritter suchte was unter dem Tisch’
wollte. — Nun hatte ich ihnen auf künstliche Weise Und würgte an einer Gräte vom Fisch.
Wasser geschaffen, wenn auch in geringer Menge. Doch Den Vierten machte der Wein schon faul;
schluckten sie es beständig und waren darnach sichtlich ge- Verlegen hält er die Hand vor’s Maul.
labt, so dass sie ihren Marsch fortsetzen konnten. Diese Man rückt die Stühle — ein bischen Gesumm,
Procedur wiederholte ich mehreremale und ermöglichte es Dann sitzt man wieder am Tische herum,
auf die Weise, dass wir am Abend des dritten Tages eine Und kann sich mit munterem Lächeln gesteh’n:
Oase erreichten, wo wir reichlich Wasser fanden und von Gottlob! Das wäre nun auch gescheh’n! dr. thoma.
unserer Noth erlöst wurden. Es war aber schon höchste
Zeit, denn mein Wein war eben zur Neige gegangen und ich
hätte-meinen Genossen kein Wasser mehr schaffen können. — Parabase zu Ehren gelehrter Frauen.
Nun, was sagen Sie dazu, meine Herren? Ja, so was Viel Gründe gibt es, weshalb und warum hinfüro dem
kann Einem passiren im schwarzen Afrika!“ — schönen Geschlechte zum akademischen Studium der Staat
M. WINTERSTEIN.
soll gewähren die Rechte. — Am originellsten sprach jeden-
falls in der zweiten Kammer Bavaria’s Professor Günther,
Wie es werden wird. ein Herr aus der Pfalz, zu Gunsten der weiblichen Parias. —
Er sagte: Nicht schadet es, sondern es nützt, wenn unter
Zum Bankette vom 21. März 1896.
Motto: Welch’ ein Gefühl musst Du, o grosser Mann, und neben Studenten ein anders geartetes Wesen sitzt, d’ran
bei der Verehrung dieser Menge haben. jene sich bilden könnten. — Die Nähe des Ewig-Weiblichen
q Faust I.
bo nach dem fünften bis sechsten Gang, würd’ sicher die Wirkung üben, dass jene den unbeschreib-
Da blickt der Präses die Tafel entlang. lichen Salamander nicht mehr rieben — Den unterirdischen,
Er stochert eifrig im hohlen Zahn. wie er sich nennt, erdröhnend mit Donnergepolter, wenn die
Jetzt geht’s nicht länger, jetzt muss ich d’ran; Kanzel betritt ein beliebter Dozent — o scheussliche Ohren-
Verlegen rutscht er am Sitze herum, folter! — Auch Hessen die Herren gewiss unterwegs das
Dann klopft er an’s Glas. — Silentium! Bummeln und Saufen und Schwänzen, versäumeten nie den
Meine Herren! Sie wissen, ich habe die . . . Pflicht Besuch des Collegs, wenn fleissige Mädchen d’rin glänzen. —
Am . . . heutigen Tag zu vergessen nicht, Es folgte dem guten Exempel alsdann, wetteifernd mit Gret-
Dass der erste Kanzler Fürst Bismarck war, chen und Käthchen, manch’ Einer und würde der passende
• - Die Thatsache ist uns ja Allen klar. — Mann für das neben ihm sitzende Mädchen.
• - Weil nun die Stellung es mit sich bringt . . o-asv)
Ond . . gewissen Zusammenhang . . bedingt . .
So dürfte — ich lade Sie hiezu ein . . . Warum immer weiter schweifen,
Der Toast auf den Fürsten . . entschuldbar sein. sieh’ das Gute liegt so nah! .
Er blieb nicht stecken! Sieh’ da, es ging! Von ministerieller Seite wird in Rom zugegeben, dass
Der Beifall freilich war sehr gering. der Krieg der Italiener mit Abyssinien bereits so etwas wie
Herr Lieber bekam das Nervenzucken, 80 Millionen koste — für das Geld könnte man in Europa
Den Nachbar musste das Kopffell jucken, auch schon ganz hübsche Keile kriegen.
Die Verhandlungen gegen Dr. Jameson — vor und hinter den Coulissen.
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Nr. 11
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1896 - 21. März - JUGEND • I. JAHRGANG • NR. 12
l/’U
1S4
1896 JUGEND Nr. 12
-8;
Nr. 12 JUGEND 1896
Sonnenuntergang
Von Carl Busse.
Es war ein alterthiimliches Haus in einer nord-
deutschen Stadt, mit Wendeltreppen, die im Halbdunkel
lagen, und grossen niedrigen Zimmern. Eine sonder-
bare Luft herrschte drinnen; es roch nach alten Seiden-
kleidern, welche in schweren Schränken jahrelang auf-
bewahrt werden, es roch nach getrockneten Balsaminen
und anderen Kräutern, wie man sie früher wohl für die
Hausapotheke hielt. Die modernen Korridore fehlten
ebenso wie die elektrischen Klingeln, man trat vom Treppen Er war am Tische stehen geblieben und trommelte mit
flur sofort in die Stuben. den Fingern auf der Decke herum.
In eine Stube dieses sonderbaren Hauses trat an einem Das junge Mädchen war bei seinem Anblick in jähe
Dezembernachmittag Peter Karst, der junge Maler. Angst nach dem Fenster getreten, dass ein grosser Zwischen
„Du musst es nicht übelnehmen, Hedwig,“ sagte er und raum beide trennte. Eine Blutwelle nach der andern ging
legte den Hut fort, während er den Mantel anbehielt: „Ich über ihr volles Gesicht.
wollte nur noch einmal kommen und da dacht’ ich: es ist Warum kamst Du?“ fragte sie. Ihre Stimme war belegt
wohl besser, wenn Du der Nase nach g rade in ihr Zimmer und ohne Sicherheit.
gehst. Sonst siehst du sie überhaupt nicht mehr.“ „Ich war gestern mit Lorenz zusammen“, sagte er nur.
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1896 JUGEND Nr. 12
Ihr Haupt sank mit schnellem Ruck hint- vollen Becher trank ich aus, Hedwig. Hebe,
über, ihre Hände fassten das schmale Fenster- man ist so dumm, wahrhaftig, ich hab’ ge-
brett, dass sich die Kanten tief in das Fleisch dacht, das müsst’ ich thun, um zu beweisen,
drückten. Einmal öffnete sie den Mund, wie wie sehr ich Dich . . lieb habe. Ja, so dumm
um etwas hervorzuschreien. Aber es gab kaum ist man noch!
einen Laut. Und so starrte sie ihn an. Und dann fragte ich. Und dann schrie er
„Hast Du mir gar nichts zu sagen?“ unter- auf und als ich sah, wie er den Becher an
brach er plötzlich das Schweigen. Doch er be- die Lippen setzte — ich hätt’ ihm den Becher
kam keine Antwort. Da setzte er sich langsam, aus der Hand schlagen mögen, denn er hatte
knöpfte sich den Mantel auf und sprach: auch Deinen Namen genannt. ,Siehst Du“,
„Glaubst Du, dass Lorenz lügt?“ sagte er, ,das ist mein Geheimniss. Bau nicht
„Nein,“ sagte sie. auf Weibertreue, Junge. Ist ein schlechtes
Er antwortete: „Es ist also wahr.“ Einen Ding darum. Dein Mädel — er hat Mädel ge-
Augenblick schien es, als schüttle ihn eine sagt, Hedwig — ist Dir doch gewiss sicher,
Wuth am ganzen Körper. Aberdas ging schnell wenigstens meinst Du so. Aber ich hab’ sie
vorüber; er sass bald so ruhig wie früher. gestern geküsst, jawohl, alter Junge, und sie
Das Mädchen stand noch immer fast reg- hat tapfer mitgehalten und in meinen Armen
ungslos am Fenster. Als sie ihn jedoch so gelegen, hier in diesen beiden Armen, und
ganz ruhig sah, kam es wie Trotz in ihr Ge- deshalb keine Feindschaft auch — was meinst
sicht. Du? — Das hat er gesagt.“
„Was willst Du eigentlich? Warum küm- Das Mädchen am Fenster war ein paar Mal
merst Du Dich noch um mich ? Warum schlugst zusammengeschauert. Ihre Hände umkrampf-
Du nicht die Thür zu? Du weisst doch nun, ten jetzt den metallenen Riegel.
dass es wahr ist! Willst Du mich zur Rede „Und was hast Du gethan?“ fragte sie dann
stellen? Ich bin doch kein Schulmädchen ieise.
mehr.“ „Was geht es Dich an“, fuhr er rauh em-
Da hob er den Kopf. por. „Das ist meine Sache.“ Und ruhiger
„Es steht Dir nicht, Hedwig — Du solltest setzte er hinzu: „Ich kam, um Abschied zu
mir die letzte Stunde nicht verbittern.“ nehmen und Dich zu fragen, wesshalb Du
Und während er aufstand und schwankend nich belogen und betrogen hast.“
®>n paar Schritte auf sie zuthat: „Warum hast Eine lange Pause entstand.
Du mir nicht die Wahrheit gesagt, Hedwig?“ „Ich muss es Dir erzählen“, begann das
Mit gesenktem Haupte schwieg sie lange. Mädchen endlich. „Lorenz kam vorgestern.
„Ich habe die Wahrheit gesagt,“ redete sie Du weisst, wie er ist. Er hatte wohl etwas
dann. getrunken. Seine Augen — er hat so heisse.
„Du hast mir gesagt, dass Du mich liebst.“ Augen, der Mensch ! Immer wenn ich ihn an-
„Ja.“ sah, hatte ich Furcht. Aber immer hatte ich
„Und als Beweis dafür wirfst Du Dich auch ein Gefühl: Du kannst nichts gegen ihn.“
Dorenz in die Arme?“ Sie holte tief Athem.
Eine Bitterkeit sondergleichen lag in sei- „Ich hatte Dich lieb, Peter, und ich habe
nem Ton. Sie wollte wieder trotzig werden. Dich lieb. Ich weiss, dass es so ist. Ich lüge
Aber sie erwiderte doch nichts, sondern wandte nicht, denn ich weiss, Du gehst und kommst
|'ch um und legte die Stirn gegen die kalten nicht wieder. Sieh 'mal, hier — oh ich habe
Scheiben. Durst gehabt, Jahr um Jahr! Du hast mich
Draussen war der Garten, Schnee auf den geküsst, Peter, einmal, wenn Du kamst, einmal,
wegen, Schnee auf den Bäumen. Hier und da wenn Du gingst. Aber ich hatte Durst trotz-
mgte feucht und schwarz auf den Beeten ein dem. Und da kam Lorenz. Ich habe ihn nie-
greifen Erde hervor. Und bis zum Horizonte mals lieb gehabt, keine Minute und keine Se-
dasselbe eintönige Winterbild, Grau undWeiss kunde. Vorgestern nun sprach er viel, wir stan-
Und Weiss und Grau. Die Sonne war halb den am Fenster. Ich wollte die Mutter rufen,
schon gesunken, nur ein paar letzte Strahlen doch ich konnte es nicht. Mir war heiss und
zitterten durch feinen Schneestaub und Dunst kalt. Seine Augen sind furchtbar.“
herüber. Er zog den Fuss zurück, es gab ein schar-
„Was hat er Dir erzählt?“ fragte das Mäd- rendes Geräusch. Draussen verzückte die arme
chen leise. Ihr Gesicht presste sich in Scham Wintersonne.
Ur*d Gluthen fester gegen das leichte Glas. „Ich weiss nicht mehr“, fuhr sie fast keuch-
„Wir waren zusammen,“ hub er an, „wir end fort und ihre Nasenflügel zitterten, während
sollten Abschied feiern. Wenn ich nach Bres- ihre Lippen geöffnet waren. „Er sagte: die Men-
,?u gehe, meinte er noch, und Du nach Ber- schen hier oben können nicht küssen. Wissen
ln, wer weiss ob wir uns dann so bald wieder Sie, wie man bei uns küsst? Und da nahm er
reffen. So wollen wir noch lustig sein. mich, Peter, und dann war alles alles so . .
Ob wir’s waren! An mein Talent glaub ich, so . . ich kann Dir das nicht sagen.“
.le Sorgen halt' ich mir schon vom Leibe und Ein langsamer Schritt schleifte die Wendel-
ann dacht’ ich, Hedwig, dass Du doch . . Du treppe hinauf. Er hielt im Flur vor der Thür
.°ch mich lieb hattest. Was fehlte mir also? an. Dann begann das Schleifen treppauf von
nd Lorenz war ebenso aufgeräumt. Seine neuem.
pugen — Du kennst ja seine Augen, die leuch- „Ist das Alles?“ fragte Peter Karst.
eten nur so. Er ist ja reich, und wir mussten „Nein“, antwortete sie. „Es ist ja gleich.
Silberbechern trinken, es waren ganz alte Du sollst auch noch wissen . - auch das letzte
. die goss er mit rothem Wein voll, so oft noch wissen. Er hat mich geküsst und ich hab
eiI,er leer war. ihm betäubt am Halse gelegen, hab ihn wieder-
Dr hat mich umarmt und geküsst — Gott geküsst, Peter, weil mich noch Keiner so ge-
erzeih> ihm die Sünde. Und dann war es wohl küsst hat, so toll, so verrückt, weil mein Durst
p° zwölf Uhr und wir hatten rothe Köpfe. — da hatte ich keinen Durst mehr, Peter!“
r lachte, tollte, sang. Und mit einem Male Er sass ganz still. Er dachte an Lorenz.
chwang er mir den Becher zu. ,Ich will kein Die Frechheit, fiel ihm ein, die Frechheit siegt
P^heimniss vor Dir haben, Peter“, sagte er. immer. Sie können nicht widerstehn, die nicht
]. . fing an zu singen: ,Bruder, Deine Liebste und andere auch nicht. Und ich wollte sie zu
r: Nun, er wusste es ja doch und so meinem Weibe machen.
e‘ >ch Deinen Namen und trank. Den ganzen
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Nr. 12 JUGEND 1896
Gedankenbalken Der Plagiator ist 'ein literarischer Schurke, der den Ge-
dankensplitter aus dem Auge seines Nächsten zieht, während
Noth kennt kein Gebot, lehrt beten und bricht Eisen; er im eigenen keine Balken, sondern nur die Bretter daraus
der Teufel aber frisst Fliegen in ihr. vor dem Kopfe hat.
Der Schalk hat statt des Steines der Weisen den des An- Manche alte Jungfer hat als Ei, welches klüger sein wollte,
stosses in dem Brette, welches die Welt vernagelt und bedeutet. als die Henne, demjenigen einen Korb gegeben, der jetzt, wo
sie Henne ist, Hahn darin wäre.
Jeder ist seines Glückes Schmied, glücklich allein ist
die Seele, die liebt, — Liebe macht blind und — eine blinde Ernst ist das Leben, heiter die Kunst, — Kunst geht
Henne findet auch manchmal ein Korn, wohingegen blinder nach Brod und — Wer nie sein Brod mit Thränen ass, der
Eifer nur schadet, — welch’ eine Fülle tiefer Gedanken- kennt euch nicht, ihr himmlischen Mächte. — — Weine,
kombinationen, von Schiller so genial zusammengefasst in weine, du heitere, brodessende Kunst, auf dass du etwas
die sechs Worte: „Drum prüfe, wer sich ewig bindet!“ himmlischer werdest! fleo und abnoba.
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h
Reisespruch.
Bunte Dörfer, bunte Kühe,
Ackerpracht und Ackermühe,
Reichen Lebens frischer Lauf.
Dreht sich alles weit im Kreise,
Mittendurch geht Deine Reise,
Thu’ nur Herz und Augen auf!
O. J. BIERBAUM.
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1896 JUGEND Nr. 12
Da lacht Ihr noch verächtlich und werft noch stolz den Kopf?
Da sprecht Ihr noch von „Blechschmied“ und von Philisterzopf?
Und pfeifen könnt Ihr gar noch auf solche Melodei n? -
Weiss Gott! So arg vermessen kann nur die Jugend sein!-
Fahr’ hin, Du Unglücks-Leier — vergebliches Bemüh’n;
Und seid Ihr denn verloren, so lasst mich mit Euch zieh’n.
Für die „Jugend“ gezeichnet von M. Kleiter Und wenn von Eurem Harnisch aufsprüht Lenz-Sonnenschein,
und ihren Feinden in fröhlicher Nichtachtung gewidmet
von der „Jugend.“ So reicht auch mir ein Schlückchen von Eurem Maienwein!
F. L., LEIPZIG.
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Inseraten-Annahme Insertions-Gebühren
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Die JUGEND erscheint allwöchentlich einmal. Bestellungen werden von allen Buch- und Kunsthandlungen, sowie von allen Post-
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G. Hirth’s Kunstverlag in München und Leipzig.
Neue
Briefe mit religiösen Bildern.
Zwei Serien ä 24 Briefbogen (ohne Cou-
verts) ä Serie M. 2.—.
»Dem Bedürfniss nach apart eleganten und
geschmackvollen Ausschmückungen von Briefen
und Briefcouverts entgegenzukommen, hat der Heraus-
geber des »Formenschatzes« eine Reihe von Serien
Briefbogen mit alten Bildern nach Originalien von
Der amerikanische Senat hat mit 64 gegen Dürer, Burgkmair u. s. w. publizirt. Der allerliebste
Gedanke, der einer guten Aufnahme sicher ist, wurde
6 Stimmen beschlossen, die cubanischen In- sehr praktisch durchgeführt, indem auf dem besten
surgenten als kriegsführende Macht anzuerkennen. Handpapier sowohl die Bogen wie die Enveloppen
mit den verschiedenartigen Darstellungen der genannten
Meister geschmückt sind.« (Dresdener Journal.)
Secession München.
Prinzregen tenstrasse.
Frühjahrs-Ausstellung
von Mitte März bis Ende April.
Internationale Kunst-Ausstellung
vom 1. Juni bis Ende Oktober d. Js.
Auf Pferden, Löwen, Eseln, Dein Auge ist das blanke Schild,
Auch auf dem lieben Schwein Das jeden Gast zur Einkehr lädt,
Sitzt männiglich und dreht sich Und Deine Lippen der Pokal,
Im grauen Ringelreihn. Der stets von Mund zu Munde geht.
Der sticht nach einem Herzen, Ein jeder von den Gästen meint,
Das glüh im Laube winkt, — Dass er der Herr im Hause sei;
Er hat zu weit sich ausgelegt, Längst ist das Gasthaus überfüllt
Und doch sind immer Zimmer frei.
Dass er vom Pferde sinkt. Zwei Lieder an dieselbe
I. Da alle nur Passanten sind,
Sein Nächster, auf dem Schweine, So gibt’s bei Tag und Nacht nicht Ruh’
Du bist der milde Sonnenstrahl,
Trifft’s trefflich mittenein, — Der freundlich in mein Leben dringt Und nur Mama, die Pförtnerin,
Nun gallopirt das Herzchen Und meiner Brust mit einem mal Drückt zärtlich oft ein Auge zu.
Mit auf dem süssen Schwein.
Glück, Lenz und Kindheit wiederbringt,
Wer heut hinausgeworfen ist,
Ach, auf dem Flügelrösse Dass wie ein liebliches Idyll Kehrt morgen wieder fröhlich ein
Sitzt Einer gar und sticht Mein junges Leben vor mir liegt, Und doch möcht’ von den Gästen all’
Nach einem Lorbeerkranze, — Ein Meeresspiegel klar und still, Nicht Einer der Besitzer sein.
Indess, er trifft ihn nicht. Von Deiner Schönheit eingewiegt. FERDINAND V. HORNSTEIN
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Nr. 13 JUGEND
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1896 JUGEND Nr. 13
Der Keller-Asra
Täglich ging der bleiche Mime
Um die Abendzeit zum Keller,
Spülte seine Mass am Troge,
Wo die weissen Wasser rauschen.
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Nr. 13 * JUGEND
So fuhren sie durch die Strassen, plaudernd noch nicht verdorben war. Nach ihrem Namen
und lachend, als man aber im Thiergarten war, fragte er nicht. Von einem Freund, der sie be-
wurde gesungen, laut und fröhlich, aus voller obachtet, hatte er alles erfahren, auch dass sie
Kehle. für ein Geschäft in der Hojzmarktstrasse feine
Es war ein Frühlingstag voll Lust und Sonnen- Wäsche nähte, wusste er schon. Damit war er
schein, ein Singen und Klingen ging durch den vorerst zufrieden. Er ging mit Methode vor,
Wald, die Bäume und Striiucher im ersten herr- wenn er ein kleines Mädchen erobern wollte.
lichen Grün, auf den Rasenmatten tausende von Nach einer Stunde nahm man Abschied.
Gänseblümchen und an den Haselsträuchern lange Als Else spät Abends heimkam, sagte sie
Kätzchen. der Mutter nur flüchtig „Guten Abend“ und „Gute
Else sass da wie im Traum und sah in die Nacht“ und entschuldigte sich mit Kopfschmerz.
lachende Sonnenwelt, — so neu war ihr das alles, Und erst als sie im Bett lag, fand sie all’ ihre
so ganz ungekannt, nie war sie hinausgekommen, Kraft wieder. Nun stürmte alles, was sie heute
nie hatte sie sich Zeit genommen, weil sie arbeiten durchlebt hatte, auf sie ein, nun erst dachte sie
musste, immer nur arbeiten und verdienen, und über Alles klar nach, aber immer durch Waldes-
nun auf einmal sah sie die grosse Herrlichkeit grün und Sonnenschein, durch all’ den bunten
eines solchen Frühlingsmorgens, und nun erfasste Trubel des schönen Tages sah sie ein Gesicht
sie eine Sehnsucht nach Einsamkeit, eine Sehn- mit männlich ernsten, schönen Zügen und hörte
sucht nach dem Glück, das sie sich erträumt hatte sie eine Stimme, die sie zittern und beben
in ihren schlaflosen Nächten, wenn sie an ihre Zu- machte ....
kunft dachte, — eine Sehnsucht nach Liebe, nach Am nächsten Tage, als sie eben ihre Arbeit
heisser inniger Liebe, von der sie noch nichts abgeliefert hatte und aus dem Geschäft kam, trat
wusste, trotz ihrer zweiundzwanzig Jahre. er ihr entgegen.
So kamen sie nach dem Grunewald. Im Zufällig, sagte er, käme er desselben Weges,
Hundekehlen-Restaurant wurde Halt gemacht. und ob er sie begleiten dürfe?
Dort assen sie zu Mittag. Und dann ging es zu Da sie nicht nein sagte, ging er an ihrer
Fuss weiter. Seite; sie plauderten vom gestrigen Tage und
Um fünf Uhr waren sie in Halensee. Die von vielem Anderen noch. Er lachte und
Alten blieben im Garten. Die Jugend wollte scherzte, und bald lachte sie auch. Dann lud
tanzen. Auch Else wurde mit in den Saal gezogen. er sie auf ein halbes Stündchen zum Spazier-
Zum ersten Mal sah sie das; wohl hatte sie gang. So wurden sie bekannt.
schon viel davon erzählen hören, nun aber fand Langsam gingen sie durch den Park. Die
sie es doch ganz anders, als sie es sich vorgestellt Sonne schien. Die Bäume grünten. Die Blumen
hatte. Still, fast ängstlich, stand sie in einer Ecke, blühten. Und die Vögel sangen und sangen.
ihr Herz pochte, ihr Blut jagte durch die Adern, Am Wasser blühten die Weiden.
hochroth war sie im Gesicht, — Herrgott, was Und er sprach immerzu, und lachte und
war dies hier! — sie fühlte, wie ein Schauer sie scherzte, und sie ward gesprächiger und heiterer,
durchrieselte, wie die Angst sie erzittern machte, und lachte mit ihm um die Wette.
als sie alle diese Pärchen sah, — eng aneinander- Von da an trafen sie sich fast jeden Tag.
geschmiegt, mitgluthrothen Gesichtern, mit liebe- Er immer der. Galante, -— ein Sträusschen
heischenden Blicken, so jagten sie alle durch für sie, und liebenswürdiger von Mal zu Mal,
den übervollen Saal dahin--— krampfhaft aber nie aufdringlich. Und sie immer zutraulicher
klammerte sie sich an einen Stuhl und starrte und lustiger, denn das nie gekannte Gefühl der
angstvoll in den Trubel. Mit einmal stand ein Glückseligkeit erfasste sie mehr und mehr.
Herr vor ihr. Gross, breitschulterig, mit gesundem Nach zehn Tagen trafen sie sich zum ersten
Gesicht und dunklem Schnurrbart. Er machte Mal Abends.
eine Verbeugung und sagte: „Darf ich bitten, Es war Vollmond. Eine heilige Stille rings-
mein Fräulein!“ umher. Und der blaue Flieder blühte. Ganze
Sie antwortete nichts, denn sie war wie er- Wogen von süssem Duft zogen heran. Im Unter-
starrt, hörte nichts, sah nichts und wusste von holz schlug eine Nachtigall.
nichts, Alles um sie herum wirbelte bunt durch- Und sie sassen auf einer Bank, ganz nahe
einander, nur sein Gesicht starrte sie an, sein bei einander, und er hatte ihre Hände erfasst
gesundes, männlich schönes Gesicht. und sie innig gedrückt, und sie sass da wie
Dann wiederholte er seine Frage noch ein- traumverloren und sah in die stille Nacht.
mal, und da sie nicht ablehnte, nahm er sie in Minutenlang so — — — aber mit einmal
seinen Arm und zog sie in den Strudel der hatte er sie im Arm und drückte sie an sich und
Tanzenden hinein. Er hielt ihren schlanken Leib presste ihr Küsse auf, heisse wilde Küsse, auf
fest umfasst und eng an sich gepresst, er fühlte Mund und auf Augen, immerzu, immerzu.
ihren heissen Athem, hörte ihr Herz pochen und Traumverloren, selig lag sie an seiner Brust.
sah erstaunt und begehrlich in ihr glühendes Ge-
sicht, — sie aber merkte nichts von alledem, sie Und von da an trafen sie sich nur noch
flog durch den Saal und um sie herum wirbelte Abends.
Alles durcheinander, summend und surrend, sie Es war eine wonnevolle Zeit für sie. Was
war wie betäubt, und als der Tanz zu Ende war, sie seit Jahren heiss ersehnt, nun endlich hatte sie
sank sie schlaff hin auf ihren Stuhl. es gefunden — Liebe, Liebe.
Lächelnd stand er neben ihr und unterh elt Die Tage schwanden ihr dahin. IhreArbeit that
sie. Sie antwortete auch, aber sie wusste nicht, sie im Traum; nur den Abend sehnte sie herbei.
was sie ihm antwortete. Von nun an wich er nicht Nach wiederum zehn Tagen war er zärtlicher,
von ihrer Seite. Jeden Tanz nahm er nur mit ihr, liebevoller als sonst, und er nahm sie in seine
und je öfter er sie im Arm hielt, desto begehr- Arme, presste sie an sich und unter glühenden
licher'wurden seine Blicke. Gerade ihre Verwirr- Küssen hauchte er ihr in’s Ohr: „Kann ich denn
ung fesselte ihn, denn er merkte bald, dass sie nie einmal mit Dir, allein sein, ganz allein?“
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1896 • JUG END 4 Nr. 13
Ein Schauer durchrieselte sie, aber sie schwieg. er war der Herr, und sie war ihm ja unterthan, — Alles,
Doch er liess nicht nach mit Bitten und Drängen, und Alles sollte geschehen! so bat und flehte sie in wahnsinniger
er wurde'zärtlicher und stürmischer, und er flehte und beschwor Angst und sehnender Erregung.
sie, und küsste sie wilder und wilder. Sie aber, mit einmal, Da drang Musik an ihr Ohr — ein Leiermann war im
sprang auf, — drei Worte nur —. »Ich schreibe Dir» — dann Hof -— !,Nurfeinmal blüht im Jahr der Mai, nur einmal im
entfloh sie. Lächelnd sah er ihr nach, siegessicher. Leben die Liebe“ — und da überkam sie eine tiefe Wehmuth,
Eine Nacht durchlebte sie, wie noch nie. Angst, Scham, und voll stiller Traurigkeit liess sie den Kopf in die Kissen
Reue und zurückgehaltene Leidenschaft machten sie erbeben. sinken und weinte bitterlich.
Wie im Fieber lag sie. Die Schläfen hämmerten und das Als am Abend die Mutter heimkam, fand sie Else im
Herz schlug zum Zerspringen. Und sie umklammerte den Fieber liegen, mit unheimlich glänzenden Augen und unter
Bettpfosten und drückte das heisse Gesicht in die Kissen und wirren zusammenhanglosen Worten. Und als der Arzt sie
schluchzte und schluchzte. untersucht hatte, konstatirte er ein schweres Nervenfieber. —
Zwei Tage lief sie herum, immer in höchster Aufregung und Nach acht Tagen bekam Elsens Liebhaber den bewussten
immer mit blutendem Herzen. Aber sie schrieb ihm nicht und Brief. Das dünne Couvertchen war im Briefkasten in den
Abends zum Stelldichein ging sie auch nicht. Sie schämte sich. Umschlag einer an den Seiten offenen Zeitung gerathen und
Am dritten Tag kam die Nachbarin und lud sie wieder hatte die Reise nach Nordfrankreich mitgemacht, erst jetzt
zu einer Landpartie für den nächsten Tag. Diesmal wollte kam es an seine Adresse.
auch die alte Mutter mit, denn jetzt fühlte sie sich besser. Eine Stunde später erkundigte sich der junge Mann beim
Da mit einmal durchzuckte es Else — dann also wäre sie Portier des Hauses, in dem Else wohnte, nach dem kleinen
morgen allein zu Hause, auch die Nachbarsleute wären ja Mädchen, und da erfuhr er, dass sie todtkrank im Hospital
dann nicht daheim, — dann, dann-— läge. „Schade,“ sagte er im Fortgehen, „unglücklicher Zu-
Am selben Tag noch schrieb sie ihm, dass er morgen fall, — war ein ganz patentes Mädel.“ Damit war die Sache
um Fünf kommen möge — sie wäre mutterseelenallein. Dann für ihn abgethan.-—-—
warf sie den Brief in den Kasten. Zwei Jahre später.
Jetzt athmete sie auf, jetzt war sie frei, — länger konnte Else ist die Frau des Arztes geworden, der sie im Kranken-
sie diese fiebernde Ungeduld nicht mehr ertragen, — mochte haus behandelt hat. Er hatte das einfache schlichte Mädchen
es nun geschehen! liebgewonnen und lebt nun schon seit zwei Jahren mit ihr
So fuhr am andern Tage die Mutter mit den Nachbars- in der glücklichsten Ehe.
leuten fort. Else blieb zu Hause, sie schützte Unwohlsein vor. Und sie ist ihm eine treue hingebende Gattin geworden,
Als sie allein war, überfiel sie wieder die grausige Angst, die in der Ehe das Glück ihres Daseins gefunden hat. Sie ist
und sie rannte durch die Zimmer und warf sich in’s Sopha das Muster einer Frau, rein, keusch und voll hehrer grosser
und schluchzte, mitten durch aber zog es wie ein Freude- Tugend, all' der Schmutz der kleinlichen Welt ist für sie nicht
leuchten, das jäh aufflammte für einen Augenblick und sie da. Sie ist die aufopferndste Mutter ihrem kleinen Knaben,
erbeben liess vor heisser Glückseligkeit. Und je näher es den sie für das Hohe, für das Erhabene dereinst erziehen
auf fünf ging, desto fieberhafter wurde ihre Erregung. will; sie ist die umsichtige Hausfrau, die mit Argusaugen
Endlich! Die Uhr tickte fünfmal. Jetzt konnte er jeden über den tugendhaften Lebenswandel ihres Gesindes und ihrer
Augenblick kommen. Sie blieb auf dem Corridor und sah Untergebenen wacht, und die unerbittlich und unnachsichtig
durch das Guckloch, um ihn sogleich, ohne Aufsehen zu er- jedes Vergehen gegen die gute Sitte rügt und straft.
regen, herein zu lassen. Athemlos stand sie da und wartete. Man nennt sie allgemein die heilige Frau, und man be-
Aber Minute auf Minute verrann und er kam nicht, bald gegnet ihr allerorten mit der grössten Hochachtung.
war es ein Viertel nach Fünf, und er kam noch immer nicht. Einmal entdeckte sie den Fehltritt ihrer Näherin, der sie
Wie gehetzt lief sie umher, athemlos vor Angst und mit Rath und That stets zur Seite gestanden war, und nun
wusste sich keinen Rath. verurtheilte sie das arme Ding Knall und Fall, und wollte ihr
Und es wurde Sechs, und er kam noch immer nicht. Alles entziehen.
Nun sank sie zusammen wie gebrochen, — er kam über- Aber ihr Mann sprach dagegen: „Du bist zu hart, Else,
haupt nicht! — Das fühlte sie jetzt. Und nun kam ein Du darfst nicht vergessen, welcher Gefahr solche armen Mäd-
anderes Gefühl über sie. Sie hasste ihn, hasste ihn wüthend, chen ausgesetzt sind; sie stehen allein da, haben nichts von
denn er hatte sie genarrt. Eine wahnsinnige Wuth ergriff sie. ihrem Leben, von ihrer Jugend, tagtäglich nur arbeiten und
Mit der letzten Kraft schleppte sie sich in ihre Kammer verdienen, und sie sind doch auch jung; wenn so ein armes
und warf sich hin auf ihr Lager, und nun überliess sie sich Mädel rein bleibt, dann ist’s oft nur ein Zufall. Und darum
ihren Schmerzen. Und sie schluchzte laut auf, und krallte sei milder und verdamme sie nicht.“
die Nägel sich in das Fleisch ihrer Arme, und biss in ohn- Diese Worte trafen sie wie ein Schlag.
mächtiger Wuth auf die Bettdecke los, und jammerte und Sie ging in ihr Zimmer und versank in Nachdenken. -
weinte — warum, warum hatte er ihr das gethan! Draussen war es Frühling. Die Sonne schien. Die Bäume
Und dann mit einmal hatte sie das Gefühl der grenzen- grünten. Der Flieder blühte und duftete. Und die Vögel sangen
losen Einsamkeit, — sie war verlassen, ausgeschlossen von undfsangen.
allen Freuden dieser Welt, — und sie sehnte sich doch so Ein Leiermann spielte. „Nureinmal'blühtimJahr'derMai.“
heiss nach wilder Liebe, — ach, wenn er jetzt doch hier Blitzhell stand das Bild aus der Vergangenheit vor ihr.
wäre! Alles, Alles sollte geschehen, was er befahl, denn — — Und von dem Tage an wurde sie milder.
Zeichnung von Fidus.
C^ÜST
frühliN
Nr. 13 JUGEND ‘ 1896
„Ich verstehe Dich nicht“, sagte die „Was ist das nur heute —“ fing
Kröte mit den grossen gelben Augen das Nixchen wieder an zu fragen
zu der kleinen Brunnennixe, „ich ver- „Was denn?“
stehe Dich nicht. Wir sitzen hier so „Die Bäum$ und die Blumen schla-
angenehm kühl und nass und haben fen gar nicht ein und es ist doch Nacht?“
es so ausserordentlich gut. Du hättest „Ja“ — sagte der Mond — „aber
alle Ursache, sehr zufrieden zu sein. Frühlingsnacht; da haben sie keine Zeit
Aber sobald durch die Thürritze oben zum Schlafen, weisst Du.“
das dumme, weisse Licht scheint, bist „Es ist •auch gar zu schön“ —
Du nicht mehr zu halten!“ flüsterte das Nixchen.
„Es ist herrlich da oben, komm doch — — — Auf einmal schien dem
mit —“ Mond ein guter Gedanke zu kommen
„Das sollte mir fehlen! Aus dem er leuchtete ordentlich auf.
Herumgegucke und Geseufze kommt „Was hast Du?“ fragte sie.
nie was Gescheidtes heraus. So was „Das wirst Du schon seh’n!“ und
ist unnatürlich. Mit Deiner Nixen- er blinzelte ihr freundlich zu.
haftigkeit ist’s so schon nicht weit her, Drüben im Gehölz hatte er einen
sonst hättest Du einen schönen, schil- jungen Gesellen bemerkt, mit blondem
lernden Fischschwanz — na, ich will Haar und verträumten Augen. Der
nichts gesagt haben. Aber sollte da wanderte einsam seines Weges und
mal ein Mensch in die Nähe kommen, schaute unverwandt in die glänzende
wird’s was Schönes geben, das kannst Scheibe.
Du mir glauben.“ Der Mond betrachtete ihn genau:
„Was ist das: ein Mensch?“ „Na, du schaust mich ja auch so fra-
„Frag’ den Mond, der wird’s schon gend an? Soll Dir wohl auch auf allerlei
wissen!“ Antwort geben?“ Ersah zum Nixchen
Das Nixchen stieg herauf, setzte sich herunter und lachte heimlich. „Ich
auf den Brunnenrand und sah den Mond glaube, es wird das Beste sein, Ihr
so sehnsüchtig und fragend an, dass fragt und antwortet Euch gegenseitig.“
dieser ganz verliebt wurde und ihre Leise lockte er mit seinen Strahlen den
ganze Gestalt liebkosend mit seinen Knaben bis in die Nähe des Brunnens;
hellsten Strahlen umfing. dann versteckte er sich hinter einer
„Du armes, kleines, weisses Ding,“ Wolke. — — — —
sagte er, „musst immer da drunten so „Das hab’ ich mir gleich gedacht,“
allein im Kalten und Dunkeln sitzen! sagte die kluge Kröte.
Wie haben es da die Meernixen gut, „Lass’ sie laufen“, grollte der Brun-
die so lustig in den Wellen tanzen, nen; „sie gehörte nie recht zu uns.“
und gar die Nixen im Rhein!“ Und Oben küssten sich Zwei und der
er erzählte ihr lauter schöne, stille Baum streute Blüthen auf sie herab.
Geschichten; die Bäume und Blüthen L. LINDEMANN-KÜSSNER.
lauschten und dufteten schwer und süss.
Das Nixchen seufzte.
„Warum seufzest Du denn?“ fragte
der Mond.
„Ach — ich — ich weiss nicht. Es
Verheissung.
ist nur so warm hier oben; das wird’s Bist Du arm, mein Sohn, so spiele
wohl sein. Das macht mich so be- Unverdrossen in Papieren,
klommen.“ Denn das Gold liegt auf der Gasse —
„So — so —“ meinte der Mond und Und bald fährst Du aus mit Vieren.
machte ein merkwürdiges Gesicht.
Nach einer Weile fing er wieder an:
Aber bist Du arm im Geiste,
„Mir scheint, Nixchen, Du hast Deinen Sieh’, Dir winken reiche Schätze,
Beruf verfehlt.“ Und bald sprichst Du Gold und Perlen
Und schreibst angestaunte Sätze.
Sie sah ihn gross verwundert an
und verstand ihn nicht. Aufgespeichert in den Gassen
„Du bist doch viel lieber hier oben, Liegt der reichste Schmuck des
als da unten im Wasser?“
Geistes —
,Ja, ach ja! die Kröte meint auch, Drum ein wenig nur sich bücken,
das wäre sehr unrecht von mir.“ Söhnchen, und zugreifen heisst es.
Der Mond sah sie lange an. „Hm —
ja — so wie man’s nimmt“ — sagte er. Phrasen sind’s! wie glänzend winken
Sie schwiegen und ringsumher war Sie dem klugen Mann und gleissen:
ein geheimes Leben und Weben, und Schwör auf sie, und Dir ist Alles —
die Sterne funkelten. — Alles ist Dir hier verheissen!
Gezeichnet von M. Eichler.
EMIL RECHERT.
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JUGEND Nr. 13
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1896
JUGEND Nr, 13
Die Sirene
Durch dämmrige Tiefen Ihr eigenes Herz ist Die fiebernden Thoren,
Sendet sie Blicke Kühl wie die Welle — Die bebenden Opfer
Aus blinkenden Augen So lockt sie, die Holde, In dämmrige Tiefen,
Zu Tage empor. Die schöne Sirene, In’s güldene Netz.
Nr. 13 JUGEND « 1896
„Apräs la lettre“.
1896 JUGEND Nr. 13
Neu-Afrikanische Idole
Unser Spezialartist am Kilima Ndscharo
sendet uns die nebenstehende Abbildung
von zwei neu-afrikanischen Idolen. Die An-
beter dieser Idole pflegen allmorgendlich
an die Bilder, die sieWau-Wau und Au-Weh
heissen, ein Gebet zu richten, das auf
Deutsch etwa lautet:
„Oh Du grosser, gütiger, weisser Geist!
Wir danken Dir aus tiefster Seele dafür, dass
Du uns dummen, unmoralischen Negern die
Segnungen der Cultur zu Theil werden Mes-
sest. Du hast uns befreit von den bösen
arabischen Sklavenjägern, welche unsere
Dörfer niedergebrannt und uns in Gefangen-
schaft fortgeschleppt haben. Du bist milde
und gütig, und wendestDuFeuerund Schwert
gegen uns an, so thust Du’s gewiss mit
schwerem Herzen, blos wegen der Civili-
sation. Du hast uns von der thörichten An-
massung geheilt, dass der Boden, auf dem
wir wohnen, unser eigen sei, dass unsere
Frauen und Kinder uns gehören, Du hast
uns von dem behaglichen Stumpfsinn be-
freit, in dem wir dahin lebten, wie Kinder,
Du hast uns das Menschenfressen abge-
wöhnt und das Schnapstrinken gelehrt;
durch Dich wissen wir, dass ein Neger, der
eine Cigarre gestohlen hat, aufgehängt wer-
den muss und dass trägen Weibern die
Knute gebührt. Das Alles wüssten wir
nicht ohne Dich.
Grosser, gütiger, weisser Geist! Schicke
uns nur recht Viele von Deines Gleichen,
dass die Cultur immer tiefer über uns herein-
breche und wir bald so gut, so gerecht und
so milde werden wie Du — vorausgesetzt,
dass bis dahin noch Einer von uns übrig ist!“
Militärischer Kirchenbesuch „Also jetzt hat man nicht einmal mehr Kopf! Is, -nur gut, dass der Mann im
Sonntags Ruhe vor den Karnallien. In zweiten Glied steht, dass ihn unser Herr-
Münchner Blätter schreiben: die Kirche muss man sie führen, damit gott nicht gleich sieht — sonst thät’ er
sie nicht während der Gottesdienstzeit in sich den ganzen militärischen Kirchen-
..Als Folge der seitens der Ultramontanen
111 der bayerischen Abgeordnetenkammer vor- den Wirthshäusern ihre Löhnung ver- besuch verbitten. Der* vierte Mann soll
jNbrachten Querelen über den Kirchenbesuch prassen! Saubere Gesellschaft. — Meier, seinen Kartoffelbauch nicht so vorstrecken
eim Militär ist ein Ministerialreskript zu be- wollen Sie gleich ein frömmeres Gesicht ja freilich, Sie müssen sich auch noch
achten, das den Kirchenbesuch der Soldaten machen! Der Knochen hat auch nicht breit machen, Kurzbichler! Sie sind ja
Allerdings regelt. Weil man aber die Er- einen Funken religiöses Gefühl im Leibe! wohl aus dem Wahlkreis, dessen Abgeord-
llhrung gemacht hat, dass eine Freigabe des Ist das Andacht, Bierhuber, Sie Kameel?
°nntags behufs Kirchenbesuches von den neter uns die Suppe da eingebrockt hat!
Ich werd’ Ihnen nach den Mäderln schauen Na, freuen Sie sich morgen auPs Detail-
°'daten zum Wirthshausbesuch benützt wird, warten Sie nur! Jetzt lacht der Kerl
urde die zwangsweise Führung der Abtheil- exerziren! Ich lass’ Sie langsamen Schritt
ngen in die Kirche erforderlich. Da nun die auch noch! Na, Ihnen treibt man die Reli- üben, dass Sie sich die Füsse bis aufs
lchaelskirche nicht im entferntesten die Masse giosität schon noch ein! Der Herr Oberst Knie durchlaufen. — Ja — Himmel —
Soldaten zu fassen vermag, hat das Publi- hats befohlen, dass jeder Mannsein stummes Herrschaft — Donnerwetter — Paraplui!
'V® lln den Sonntagen das erbauliche Schau- Gebet verrichtet— passt auf jetzt! Wenn Was schauen da für anderthalb Schuh
Del, die Hälfte der Mannschaft vor der Kirche es läutet, legt jeder Mann die Hand an Nase aus dem Glied heraus? Zum Teufel,
aufgestellt zu sehen."
den Helm, zählt langsam — aber nicht das ist ja der Moses Goldsteiner! Wie
Sergeant Rauhfuss hat die Aufsicht laut, Ihr Schafsköpfe — bis Sechsund- kommt denn der zum Kirchenbesuch und
er die vor der Kirche stehenden Sol- dreissig und macht ein anständiges, reli- verschandelt mir die ganze Abtheilung?
,aten- Mit grossen Schritten umkreist er giöses Gesicht dazu. Ihnen wird’s freilich Ja, das könnte Ihnen passen! Sich mir
das Häufl schwer fallen, Hintermüller, mit dem | nichts dir nichts für einen Katholiken
ein der andächtigen Krieger:
211
Inseraten-Annahme Insertions-Gebühren
durch alleAnnoncen-Expeditionen
sowie durch
G. Hirth’s Verlag in München
und Leipzig. JUGEND für die
4 gespalt. Colonelzeile oder deren
Raum JL i.—
Die „JUGEND“ erscheint allwöchentlich einmal. Bestellungen werden von allen Buch- Mk. 3.—, Belgien 3 Eres. 61 cts , Dänemark 2 Kronen 69 Oere, Holland r fl. 95 et-, Italien
und Kunsthandlungen, sowie von allen Postämtern und Zeitungs-Expeditionen ent- j 3 Eres. 88 cts., Oesterreich-Ungarn I fl. 90 kr., Rumänien 4 Frcs. 20 cts., Schweden und
gegengenommen. Preis des Quartals (13 Nummern) bei den Postämtern in Deutschland j Norwegen 2 Kronen 71 Oere, Schweiz 3 Frcs. 65 cts., der einzelnen Nummer 30 Pfg.
Das Centrum wünscht, dass die Regierung den Sinn für Religion ' und dass an den Gymnasien freiwillige Andachtsübungen
unter den Soldaten nach Möglichkeit fördert > jeden Sonntag Nachmittag abgehalten werden.
ausgeben — es glaubt’s Ihnen ja doch — nicht so viel! Jetzt sehen Sie wieder zu beten, Sie Hohn auf die Schöpfung!
Keiner! Aber das ist freilich bequemer, aus, als ob Sie beim Aepfelstehlen er- Solche Knöpfe! Ganz München könnte
in einer funkelnagelneuen Montur vor der wischt worden wären. Huber, was haben man mit dem Grünspan vergiften, der d’ran
Kirche stehen und Maulaffen feil halten, Sie für Stiefel — sind die gewichst? Ich ist. Gnad'"Ihnen Gott, Sie Schweinpelz,
statt Gewehr putzen und Stiefel wichsen. lasse Sie wegen Religionsfrevel prozessiren, wenn wir heimkommen! — So — Obacht
— Brummler, schauen Sie nicht so frech wenn Sie noch einmal mit solchem Fuss- jetzt! Jetzt läutets — also bis sechsund-
drein, sonst holt sie am Ende der Teufel werk zur Kirche kommen. Und die Knöpfe! dreissig zählen — Sie auch Meier! — Aber
aus dem Glied heraus und ich muss mit So lang ist die Ewigkeit gar nicht, dass Sie weiter als bis fünf kann’s das Kameel ja
einer blinden Rotte heimmarschiren! Mar- im Fegfeuer ihre Faulheit und Schlamperei doch nicht! U. s. w. u. s. f.“
kiren Sie wenigstens etwas Zerknirschung abbüssen könnten! Sie haben allen Grund DL)
Mit der nächsten Nummer (14) beginnt das II. Quartal der „Jugend“. Die verehrl. Abonnenten
werden höflichst ersucht, ihre Bestellungen getälligst umgehend erneuern zu wollen.
Briefkasten. Bayr. Vorgebirge,
Unser heutiges Titelblatt ist von Bössenroth gezeichnet und ge-
währt einen Blick in das eben seiner Schneedecke entkleidete Isarthal
südlich von München (Aussichtspunkt unweit Hohenschäftlarn).
Traunstein 600 |M. ü. d. M.
Bahnlinie
Das originelle und hübsche Plakat der Nürnberger Ausstellung, das wir München - Salzburg.
auf Seite 210 in zweierlei Fassung abdrucken, ist von Richard Riemer-
schmid in München gezeichnet. Wir bringen es „theils mit ohne, theils
mit mit als kleinen Beitrag zur Geschichte der Sittsamkeit im Dezennium Kneipp’sche Wasserheilanstalt.
der — Brunnenbuberlstürme. In der „oberen“ Fassung sehen unsere Leser
das Plakat, wie es aus der Phantasie des Künstlers hervorgegangen ist, in
der „unteren“ finden sie es in zeitgemässerer Gewandung wieder.
Soole- und Moorbäder.
Rationelle Behandlung und Verpflegung unter ärztl. Leitung
Wir hoffen, demnächst in der Lage zu sein, unseren Lesern und Be- des Besitzers
schauern das Wappen des Ritters von Röntgen im Bilde vorzuführen. Dr, med. G. Wolf.
Letzt erschienene Antiquariats-Kataloge: Uebernahme von
No. 47: Genealogie. Heraldik. Ordens-
wesen. Burgen. Schlösser. Ruinen.
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Fechtkunst. Jagd. Reitkunst, etc. wie einzelner guter Stücke.
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München, — Neuer Catalog auf Verlangen gratis. —
Hugo Helbing, Christophstr.
Herausgeber: Dr. GEORG HIRTH; verantwortlicher Redakteur: F. von OSTINI; verantwortlich für den Inseratentheil: G. EICHMANN, G. HIRTH’s Kunstverlag; sämmtlich in München*
Druck von KNORR & HIRTH, Ges. m. beschr. Haftung in München.
Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben. — G. Hirth’s Verlag in München & Leipzig.
Für die „Jugend“ gezeichnet von Barascudts.
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1896 JUGEND Nr. 14
Und Sanct Peter senkt die Stirne, Die Kunden stets mit zarter Glosse
Murmelt: Ja Herr! vor sich hin, Umschmeichelt er und wird nur stumm
Und der Herrgott: Vierundzwanzig Hoch auf der Leiter kühnster Sprosse,
Stunden — hörst du — bleibt er drin. Hinlangend zum Petroleum.
So spricht aus seinem ganzen Schalten
Doch das Englein in der Zelle Trotz aller Sanftmuth schöner Stolz,
Lamentirt und jammert sehr. Und streng legt er die Stirn in Falten,
Lieber Hergott, sagt Sanct Peter, Abwägend Asiens Farbenholz.
Nehmt’s für diesmal nicht so schwer.
Doch heute strahlt aus seinen Blicken
— Nein, so ist mein fester Wille, Glückselige Versunkenheit;
Sagt der liebe Gott, schweig still! Mein Freund, Dich muss ein Traum
Drüber ging’ es sonst und drunter — erquicken,
Hier geschieht nur, was ich will. Ein Hoffen, stille Seligkeit.
Ja, heute! Säule im Tenore
Und Sanct Peter Schleicht von hinnen.
Des Singvereins, steh Deinen Mann
In dem dunklen Kämmerlein
Und schmettre, Wonne meinem
Hört man den gefang’nen Kleinen
Ohre —,
Weinen und um Gnade schrei’n.
Zu mir herüber, zum Sopran!
Aber die Madonna, wiegt die Noch herrscht Merkur mit Kram
Nacht das Paradies in Ruh’, und Würze,
Steckt ihm heimlich und verstohlen Bis Helios dem Sinken nah;
Ein paar Mandarinen zu. Dann weg mit dir, du grüne Schürze:
(DEUTSCH VON PAUL HEYSE.) Erato spricht und Polyhymnia!
« ERNST FLFJSCHHAUER.
Hochlandslied Morgens
Her Berge Zackenrand versinkt, Kathrinchen, frisch, Dein Liebster kommt,
Hurch’s Hochthal geht das Schweigen, Steht' drunten im Garten.
Her laue Nachtwind rauscht im Korn — Lass ihn doch nicht, verschlafnes Kind,
Wo Lilien bliihn und Rosen sind,
Hie Heimchen geigen, geigen. Im Thau so lange warten!
Jetzt noch ein ferner Rüdenlaut, Lavendel duftet, Nelken glülin,
Hann nur noch aus den Zweigen Schwankirschen glänzen;
Das Myrthenstöckchen nickt so fein,
Her reifen Birnen dumpfer Fall — Möcht’ wohl zur Krone gebogen sein,
Hie Heimchen geigen, geigen. Dein liebes Haupt kränzen.
Hurchs offne Fenster sehe ich Kommst Du nicht gleich, so klettr ich, eins
Zwei drei an s Lädchen,
Hes Mondes spätes Steigen, Und stoss es auf, schwing mich hinein;
*n stiller Feier denk’ ich Dein — Dann sollst Da bald munter geherzet sein,
Hie Heimchen geigen, geigen. Du liebes verträumtes Mädchen.
Hans Gerhard Graf.
PAUL RASSNITZ.
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Nr. 14 JUGEND 1896
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Nr. 14 • JUGEND 1896
Sonne, wie sie, schönheitsdurstig, die Stäub- — auch die drüben sollen’s wissen — alle,
lein auf seinen Schwingen sucht. alle — und auf unser Glück anstossen!“
Ja, ein neues Leben sollte werden. Eine Ach; der Wein und der Frühling hatten
warme Milde strömte aus seinem Herzen, ihn so zuversichtlich gemacht!
stieg ihm in die Augen und legte einen „Bleibt!“ hält das-Mädchen zurück. Ein
weichen, verklärenden Schleier vor seine Zucken umirrt den Mund und besiegt ein
Blicke. Selig sass er vor seinem Glase mit Lächeln. „Aber ich bitt Euch, wie könnt’
dem Landwein. Er sah zurück und sah Ihr denn Ernst nehmen, was nur ein
vieles, was er unterlassen — er sah vor- Spiel war?“
wärts und sah eines und in ihm alles, was „Spiel?“ ächzte der Geometer. Seine
er gut zu machen hatte. Sollte das liebe Augen tasten sich wieder in die Wirklich-
Ding an seinem Tische auch arm sein an keit und er sieht sich — einen wind- und
Geld und Gut, wofür hatte er denn sein wetterzerzausten Dornbusch, dem der Mai
artiges Einkommen? Wohl war er gewohnt, mitleidig eine letzte Blüthe gegeben.
von Vierteljahr zu Vierteljahr eine Ein Schatten fällt auf den Weg. Das
behäbigere Zahl in seinem Bank- Mädchen hat einem jugendschlanken Ge-
büchlein zu beherbergen. Aber zur sellen die Hand gereicht, und unser Aloy-
Stunde dünkte es ihm köstlich, um sius möchte seinem Schutzheiligen Unehre
todten Mammon jung pulsendes Le- machen und mit Toben und Wüthen unter
ben zu tauschen. Wie Verachtung das Pärlein fahren. Aber er bringt es nur
quoll es in ihm auf, wenn er so zu einem Gurgeln und Husten und zu
manches Gesellen gedachte, welcher einer dicken, dicken Thräne.
sich an der schönsten Blume Gottes, „Ich — hol’ mich der Teufel — ich ..
an einem lieben Mädchen, vorbei- Ein heiseres Gelächter fährt dem Mäd-
gedrückt und ihr habsüchtig eine chen in’s Herz. Mit einer schier gewalt-
schlaffe Mistbeetpflanze des Teufels samen Bewegung tritt es auf das unselige
vorgezogen hatte. Es kam ihm nicht Gespiel zu, beugt sich vor und küsst das
in den Sinn, dass er selber solcher steif Starrende auf die borstigen Lippen.
Schuld nicht bar, dass er in Ge- Und dann schaut es ihm mit schimmern-
danken oft genug daran gewesen war, den Blicken in die zwinkernden Augen,
gerade so zu schachern. lächelt und zieht seinen verdutzten, stirn-
Unter den Nussbäumen ward ge- runzelnden Geliebten mit sich fort.
täfelt. Der Wein verbündete sich Der Herr Geometer steht reg-
dem Maien, und wer ein begnadetes ungslos. Eine Rosenflocke dünkt er
Ohr hatte, der hörte aus dem Becher- gespürt zu haben und doch einen
läuten der Beiden Gelächter. Schlag, der unter all’ die falschen
Unser Aloysius machte ihren Propheten und Götzen seines engen
lustigsten Herold. Ihm war, als sei Lebens gefahren ist und sie gestürzt
seine Jugend, die sich nicht ausgelebt hatte, hat, um eine wüste Leere zu lassen.
aus langem, tiefem Winterschlafe erstanden. Er schaut in die Sonne, den jungen
Ein Tänzlein ward gewagt, wozu nach Gestalten nach, und sieht nur das
seiner Weisung einer auf einem Schlüssel Mädchen, in dessen Kraushaar das Licht
zu pfeifen und ein zweiteraufeinem Kamme nistet. Doch die Augen sind ihm wund.
zu pusten hatte. Als der Reigen über den Er wendet sich. Und er schneuzt und
Rasen walzte, fuhr ihm das Glückverlangen schneuzt, als könne er alle Trübsale dieser
in die Arme und er umstrickte sein Part Welt durch die Nase blasen.
fester und fester bei dem altmodischen Am Frühlingshimmel schwimmt ein
Ländler, den er auf dem Grase beschrieb. goldumsäumtes Wölklein. Und der junge
Doch vor seinem Uebermuthe scheute der Traum unseres armen alten Aloysii Plazi-
des Mädchens. Und als die Musikanten dus gleitet mit ihm in die Ferne.
schwiegen und abgelöst zu werden ver- Er selbst aber trottelt der Stadt zu, über
langten, entwandt es sich, wie des Athmens deren Thürmen der Abend hängt, schüttelt
bedürftig, und ward heimlich auf einem den Staub von den Schuhen und das böse
Pfädlein, das eigenwillig zwischen krausen Liebesspiel aus dem Herzen.
Hecken stak, flüchtig.
Der Herr Geometer kniff die Augen
zusammen und blinzelte dem blühenden
Haupte nach, das, einer gelösten Rose
gleich, über der grünen Schanze des
Schwarzdorns schwebte. Und er nahm
den Weg unter die Füsse, beachtete nicht, Frühlingssturm
dass ein neuer Ankömmling sich einge- Schluchzender Geigen süsses Gewirr,
funden hatte, jubelnd begrüsst von den
Genossen, machte lange Schritte und fand Flöten und Cymbeln von blauen Altanen;
sich bald wieder in der Nähe des Mäd- Grünes Geleuchte verdattert und irr —
chens, das sein Herz mit weichen Fäden Frühling stürmt mit fliegenden Fahnen.
umsponnen hielt.
„Ihr entwischt mir nicht, Jüngferlein!“ Träumendes Kind, hab’ acht, hab’ acht!
keuchte der Verliebte. „Nicht heute, nicht Aus der Knospe drängt er die Blume,
morgen — nimmer! Denn, dass Ihr’s nur Zündet die Fackel der Liebesnacht,
wisst: was Liebes ist mir lange genug ab- Löscht die Ampel im Heiligthume.
gegangen und ich heirath Euch! Kommt Gezeichnet von A. Wimmer. VICTOR HARDUNG.
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JUGEND Nr. 14
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Zeichnung von R. Riemerschmid,
Nr. 14 JUGEND 1896
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An Satz soll ’s machen, ’s Bier, verstehst: Er muass do sag’n, dös Bier is guat, »Ist Euer Trunk nur gut und fein,
Dass d’ sitzen bleibst und net gern gehst; Es macht Ein’m warm und löscht den Durscht, »Und nur bekömmlich, frisch und rein,
Und grabein muass ’s — no ja, dös heisst, Doch wia ma’s nennt, dös is mirwurscht!“— »Ist jeder Name ihm zu gönnen,
Dass’s oan auf d’ Letzt in Graben schmeisst, Er sprach’s, that wieder einen Zug, »Könnt’s Nektar, könnt’s Salvator nennen.
AGschmackerla soll’s harn — koa wild’s, Sah mir in’s Auge mild und klug, »Doch ist, was ihr gekocht, verdächtig,
A guat’s, a rund’s, a süass’s, a mild’s! Wies auf den Steinkrug hin und lachte. »Schaal, sauer, matt und niederträchtig,
Wann’s so is, nacha kann da Mag’n, Und sprach: „Da schaug’ns, dös is die achte!“ »Verbiet ich Euch, es Bier zu taufen —
A elf bis fufzehn Mass vertragn. Und wenn ich nun der Kadi war’ »Wer’sthut, der muss es selber — trinken!«
Und wenn da Mensch a wackeln thuat, So fällt ich einen Spruch wie der: KI-KI-KI.
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Nr. 14 JUGEND 1896
Gedankensplitter
Die Einen setzen ihre Berühmtheit daran, um ihre Eitel-
keit zu befriedigen; die Andern setzen ihre Eitelkeit daran
und werden berühmt.
In der bayrischen Kammer hat. ein Abgeordneter gelegentlich der^Debatten über die Zulassung der Frauen zum Universitäts-
studium gemeint, es könne nichts schaden, wenn die rauhen Sitten der Studenten
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1896
JUGEND . Nr. 14
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Dort hoch auf dem Berge steht jetzt ein Hotel, Versunken ist alles im Zeitengrab,
Wo einst Raubritter gehaust
Und schweres Geld hat manch’ wüster Gesell’ — Es wechselt des Lebens Lauf, —
Den Reisenden abgemaust. — Einst kamen die Pliind’rer vom Berge herab
Heut’ steigt man zu ihnen hinauf! — I. PAUER.
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Inseraten-Annahme Insertions-Gebühren
durch alleAnnoncen-Expeditionen
sowie durch
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und Leipzig. JUGEND
Die „JUGEND“ erscheint allwöchentlich einmal. Bestellungen werden von allen Buch-
1896
Nr. 14
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Mk. 3.—, Belgien 3 Pres. 6r cts , Dänemark 2 Kronen 69 Oere, Holland 1 fl. 95 ct., Italien
und Kunsthandlungen, sowie von allen Postämtern und Zeitungs-Expeditionen ent- 3 Pres. 88 cts., Oesterreich-Ungarn 1 fl. 90 kr., Rumäirien 4 Pres. 20 cts., Schweden und
gegengenömmen. Preis des Quartals (13 Nummern) bei den Postämtern in Deutschland Norwegen 2 Kronen 71 Oere, Schweiz 3 Pres. 65 cts., der einzelnen Nummer 30 Pfg.
Uebernahme von
Kunst auctionen
jeder Art, ganzer Sammlungen sowohl
wie einzelner guter Stücke.
Hugo Helbing, München, Christophstr. 2
Vom Frühjahr, ab eigene
neuerbaute Oberlichträume.
Die französische Presse ist, trotz ihrer Verurtheilung Crispi’s, einhellig in ihrer
Antheilnahme an der blutigen Niederlage der Italiener in Abyssinien.
Dass Frankreich an dieser Niederlage einen grossen Antheil hat, davon ist alle
Welt überzeugt.
Secession München.
Prinzregentenstrasse.
Frühjahrs-Ausstellung
von Mitte März bis Ende April.
Internationale Kunst-Ausstellung
vom 1. Juni bis Ende Oktober d. Js.
CDünchner Tfünstler-(Öenossenschaft.
tlciAusgeber: Dr. GEORG HIRTH; verantwortlicher Redakteur: F. von OST1NI; verantwortlich für den hiseratentheil: G. EICHMANN, G HIRTH’s Kunstverlag; sämmtlich in München«
o Druck von KNORR & HIRTH, Ges. m. besehe. Haftung in München.
ALLE HECHTE VORBEHALTEN.
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Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben. — G. Hirth’s Verlag in München & Leipzig,
Nr. 15 JUGEND 1896
2)1
Gezeichnet von Bruno Paul.
„Haltet das Kreuz hoch!" tönt die ge- schimmerte im Westen wie ein blitzender Mit jedem Schritt, der Dich weiter führt,
bietende Stimme aus dem Haufen, „und Diamant der duftgeschwängerte Wind flü- Ist irgend ein Unhold aufgespürt,
Tod dem Teufelsbanner!“ sterte leise in den Kronen der Bäume und Erschreckt Dich ein Laut, ein Funkeln,
„Tod! Tod!“'brüllte die grimmige Schaar. süsse, beseligende Harmonie herrschte Gespenstisch raschelt’s im Dunkeln
Pan will seinen Schützling mit sich fort- zwischen Himmel und Erde — der grosse Und Flämmchen tanzen auf schwarzer
ziehen — doch dieser bricht laut aufschrei- Pan aber war todt. dr. th. Kirchner. Fluth —
end unter dem Hagel der Steine in seinen Sei auf der Hut
Armen zusammen. Und halte das Kreuzlein im Busen fest!
„Ich sterbe, Pan!“ ruft er und sinkt zu Es lauert der Nachtmahr im Weidengeäst,
den Füssen des Gottes auf den Estrich Nacht im Moor Er will Dich packen,
nieder. Dumpf brütet die Nacht auf dunklem Moor, Springt Dir in den Nacken
Pan beugt sich über den Gefallenen, Aus Schilf und Binsen flüstert’s Und krallt sich mit eisigen Fingern ein,
da saust ein Stein durch die Luft trifft Und zischelt und kichert und droht hervor, Jagt Dir das Grausen durch Mark und Bein.
die Schläfe des Gottes und blutüberströmt, Im Röhricht rauscht es und knistert’s. D’rum sieh’ Dich vor! — —
dumpfen Falles stürzt der grosse Pan zur Wie Sturm und Unheil webt’s in der Luft, Dumpf brütet die Nacht auf dunklem Moor
Erde.- Wie Spuk und teuflische Künste, Und mit der Nacht
Lieber den blauenden Sabinerbergen Und böse, schweflige Dünste Ist Schrecken und Schauder aufgewacht!
wob mattgoldener Duft, der Abendstern Qualmen empor aus tiefer Kluft. w. o.
232
1896
JUGEND Nr. 15
II.
Der Himmel über meinem Haupt,
Wie tief, wie rein er blaut!
Die alte Linde, jung belaubt,
Wie rauscht sie leis und traut!
csCeder
GM» in Sftonv
Qdn den dun fein cdSuxu.x-ld'&eclcen
oJte/ven er/uxte, hohe
dder/ie von der oft/'ctjden drunten,
oJgielen lcla.00 iochieO* Dlrj tec/cesv.
214
1896 JUGEND Nr. 15
2?S
1896
Nr. 15 - JUGEND
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1896 JUGEND Nr. 15
Immer schmerzlicher schaute mich der Werthe verstanden hat. Und doch war ich Ich citirte ihn an meine Seite:
Maler all, deutete noch einmal auf die drei damals noch nicht auf der Höhe meines ,Nun was bildhauerst denn Du eigent-
Stücke und sagte: Ich! — Nein, nein, widerspreche mir nicht! lich, alter Junge?“ fragte ich.
,Das ist ein Farbenakkord!' Heute bin ich weiter. Schopenhauer, Hart- ,Ich weiss nicht, ob Du mich verstehen
,Ah!‘ mann, das war für mich nicht genug! Alles wirst,“ sagte er mit einer Stimme, weich
Ja, eine Harmonie! Und solche Har- zu bedingt, zu kleinlich, zu grübelnd, zu wie Watte. ,Ich vertiefe die Plastik nach
monien sind die Seele meiner Bilder. Mein bissig, zu wenig präcis in der Negation. So innen. Ich suche sie, so zu sagen, zur
höchstes Streben geht dahin, die Malerei kam ich zu Nietzsche. Dem Uebermenschen. Poesie zu machen. Was ich anstrebe, ist
vollständig zur Tonkunst zu machen.^ Dem Umwerther aller Werthe. Der Ne- das, dass der Beschauer meiner Figuren
,Ah‘, sagte ich wieder; es war das Ein- gation im Grossen. Ich denke, von meinem aus diesen alles das wieder herausempfinde,
zige, was ich zu antworten wusste und Orchesterwerke: »Jenseits von Gut und was ich hineinempfunden habe. Und das
jedenfalls das Beste! Er fuhr fort: Böse« wird man in dreihundert Jahren ist viel. Lange, sehnsüchtige Lieder, trübe
,Ein Concert in Gelb, das ich im Vor- auch noch reden. Willst Du mein »Herren- herzzerreissende Geschichten sprechen
jahre gemalt hatte, machte viel Aufsehen. Motiv« hören?“ aus meinen Statuen!“
Aber ich gehe noch weiter — ich muss ,Natürlich!“ ,Ah!“ sagte ich wieder mit einem Ton
noch weiter kommen! Weisst Du, mit was Er ging an ein Pianino, das in der zwischen Frage und Bewunderung. ,Aber
ich mich jetzt befasse?“ Ecke stand und griff ein paar Takte. Es erkläre mir’s ein wenig näher.“
,Mit einem Concert in Grün?“ klang furchtbar! Dann sagte er: Er zog die Photographie einer Statue
,Nein! Mit einer Abendstimmung, der ,Der verminderte Septimakkord am An- aus der Tasche. Sie stellte eine merk-
ein Trio von Pedalharfe, Bassclarinette fang und der kühne unvermittelte Ueber- würdig dünnbeinige weibliche Figur dar,
und Oboe zu Grunde liegt!“ gang von Gdur in Fis moll spricht mit welche die Arme ausreckte, wie Jemand,
,Ah!“ elementarer Deutlichkeit die Verneinung der noch nicht ausgeschlafen hat.
,Nicht wahr, das habt ihr drüben noch aller bestehenden Ordnung'aus — das wirst ,Was — glaubst Du — stellt diese Ge-
nicht gehabt?“ Du doch auch als Laie begreifen!“ stalt vor?“
,Nein! Drüben musiziren die Maler nicht ,Aber ja! Es ist ja so einfach!“ Warum ,Den Hunger“, sagte ich in Anbetracht der
mit dem Pinsel, da malen sie blos, so viel sollte ich den auch entrüsten! trübseligen Körperverhältnisse der Dame.
ich weiss.“ Er war sichtlich erfreut und klopfte mir ,Die Sehnsucht nach der Sonne!“ cor-
Mein Freund Langhans setzte sich. Er auf die Schulter: rigirte mich mein Plastiker. Es handelt
war offenbar über meine Verständniss- ,Du hast entschieden ein musikalisches sich um ein Werk novellistischer Art! Ein
losigkeit entrüstet. Jetzt kam Schmellau, Ohr. Der gewöhnliche Hör-Pöbel steht Weib, durch eigene Sünde und fremde
der Musikus. Er hatte ganz lange Haare den Harmonien der Disharmonie sonst Schuld in die Schatten gebannt, wo sie
wie Franz Liszt, sogar Warzen wie Jener. ziemlich verständnisslos gegenüber. Jetzt mühsam und trübe ihr Leben vertrauert
Wo er die Letzteren hernahm, weiss ich sollst Du dafür auch noch das Zarathustra- breitet die Arme aus nach den Phantomen
nicht; früher hatte er keine. Auf ein Stück Motiv hören!“ aus lichterer Welt, die aufsteigen vor ihrem
Unsinn war ich schon gefasst, als ich ihn Er tappte wieder über die arme Claviatur: inneren Auge, ruft der holden Gestalt in
fragte: ,Hörst Du die überlegene Ironie in der Vergangenheit die Erinnerung an die
,Also Du bist Musikus, Klavierspieler?“ diesen Triolen? Klingt es nicht wie das reine, freudige Kinderzeit zurück, sieht
,lch komponire!“ trockene Lachen eines weltumfassenden, sich im Garten wieder spielen unter blüh-
,Ach das muss hübsch sein! Und was weltverachtenden Riesengeistes?“ enden Apfelbäumen, sieht sich im ersten
denn? Walzer — Opern?“ ,Genau so.“ Mir schwindelte. Gott Liebesrausch erglühen — und dann kommt
Er sah mich ruhig mit grossen Augen sei Dank — da kam Bergen, der Bild- die Gegenwart wieder über sie, und wie
an und sagte, als wäre es etwas ganz Selbst- hauer. Der mit seiner greifbaren, reellen auf nächtigen, einsamen Gestaden steht
verständliches: ,Nietzsche!“ Kunst konnte doch nicht so verrückt sein, sie da und sehnt sich nach der Sonne, die
,Aber das ist ja, soviel ich weiss, eine wie der Maler und der Musikus! Er sah ferne über’m wilden Meer erstrahlt.“
Art Phi —‘ auch nicht so transscendental aus, wie die ,Grossartig“, sagte ich; schon wegen
,— losoph, ganz Recht! Aber mein Guter, beiden Anderen. Im Gegentheil, der ganze der oratorischen Leistung. ,Und das ist
über die Plattheiten einer zweck- und ideen- Mensch schien frisch aus dem Rahmen Alles da drinnen?“ Ich deutete auf die
losen Melodik sind wir denn doch hinaus! eines Modejournals gestiegen; ein Seiden- Photographie.
Sinn muss herein in die Kunst! Prinzip! hut nach der Mode von 1830, Rock- und ,Alles — und vielleicht noch mehr. —
Und ich denke, ich kann was in meinem Beinkleider aus dem Jahre 1848, der Rock Zur Zeit modellire ich an einer Goethe-
Fach! Meine grosse symphonische Dicht- oben zu eng und unten zu weit, die Hosen büste — in die kommt »Wahrheit und Dicht-
ung: »Die Philosophie des Unbewussten« oben zu weit und unten zu eng. Licht- ung« ganz hinein. Die Idylle von Sesen-
hat die Welt einfach verblüfft. Ich habe graue Handschuhe mit schwarzen Raupen; heim ist schon drinnen, aber mit der Af-
die Genugthuung, sagen zu können, dass in der Hand hatte er etwas wie die Seele faire Lili hapert’s noch ein wenig. Recht
diesesTonwerk nicht Einer in seinem vollen eines schwindsüchtigen Regenschirmes. gut geglückt ist mir auch mein »Napoleon«
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Nr. 15 JUGEND 1896
— eine durchaus epische Arbeit. Meine genie’s fragte mich nach meiner Farm und den Andern muss es noch besser geh’n,
Freunde behaupten freilich, ich hätte den meinte, was ich eigentlich züchte: namentlich die Ochsen wollen sich nicht in
russischen Feldzug weniger betonen und ,Allerhand“, sagte ich vergnügt, denn ihre neue Aufgabe finden.“
mehrGewichtaufWaterloo legen müssen —‘ jetzt war mein Augenblick gekommen. ,Ich ,Es ist wohl sehr heiss drüben in
Also der Mann modellirt Poesie und ist züchte Rindvieh und Pferde, Schweine und Amerika?“ fragte der Maler.
noch toller als die zwei Andern! — Da kam Hühner. Aber ich züchte auf Vertiefung, ,Du solltest .jetzt doch eine Flasche
zu guter Letzt Korwik zur Thüre herein, jedes der Biester muss in seinen Leist- Giesshübler dazwischen trinken“, meinte
Korwik, der unter die Dichter gegangen ungen über die herkömmlichen Grenzen der Componist.
ist. Er sah nicht ganz so aus, wie ich mir seiner Art hinaus: Die Pferde schlachte Der Bildhauer wünschte sich ein Junges
einen Dichter vorstellte. Einen Hut hatte ich und mache Corned Beef daraus, die von jeder meiner Thiergattungen.
er, der in allen Farben spielte, eine grobe Hühner lasse ich scheeren und verkaufe Und der Dichter — er war auch sonst
Lodenjoppe, Stiefel wie ein Wasserarbeiter. die Wolle, die Schweine spanne ich vor immer noch der Verständigste von den
Und durchaus keine wallenden Schiller- Pflug und Wägen und das Rindvieh muss Vieren gewesen — sagte:
locken hatte er, sondern Haare wie eine mir fleissig Eier legen. Mit den Leistungen ,Du bist ein Grobian!““
Kleiderbürste. Er setzte sich neben mich. der Pferde bin ich schon zufrieden, bei DICK.
Die Unterhaltung begann von Neuem und
ich war schon auf das Schlimmste gefasst,
als ich fragte: ,Also ein Dichter bist Du ge-
worden. Darf man fragen, was Du dichtest?“
,Farben!1 sagte er, ziemlich scharf.
,Meine »Lieder in Violett« solltest Du doch
eigentlich gelesen haben. Ich denke, dass
meine Farbenlyrik auch in Amerika ziem-
lich bekannt sein dürfte. Kennst Du wenig-
stens mein Lied: »der rothe Abend?«
In erdbeerfarbne Wogen taucht sich
glühend
Die rothe Sonne, eine Blutorange
Von Märchenschönheit, Purpur-Funken
sprühend.
— Ist das nicht wirklich roth?“
,Den Scharlach könnte man davon krie-
gen“, gab ich zur Antwort.
Dann deklamirte er mir etwas Blaues,
dann etwas Gelbes.
,Weisst Du“, sagte er, ,das grosse Ge-
heimniss der wahren Lyrik ist es, in der
Seele des Lesers, des Hörers, Bilder zu
wecken. Die Gedanken kommen von sel-
ber, wenn die Bilder da sind. Der Dichter
muss malen, nicht erfinden! Und der Leser
empfängt von ihm blos eine Stimmung, die
Grundfarbe. Der Dichter suggerirt dem
Leser nur den Zwang zu eigener poetischer
Empfindung.“ Waldesidyll Und sprichtvollStolz: „Es gleichet fürwahr,
Und so ging der Unsinn weiter — die Mein Schweif dieser Palme auf ein Haar!“—
halbe Nacht fort! Jeder schwatzte von der
Es ruht an der grossen Wüste Saum
Vertiefung seiner Kunst nach irgend einer Ein Löwenpaar unter dem Dattelbaum. Das Löwenbaby, das solches sah,
anderen Dimension, und je später es wurde, Die Löwin sieht zu wie ihr Kleiner hopst, Klatscht in die Pfoten und ruft: „Papa!
desto wahnwitziger wurden ihre Ideen. Indessen ihr Alter sich gräulich mopst. Genau wie die Palme! Nur fällt mir auf:
Endlich kam doch einmal auch die Rede Nun aber, dreht er den mächtigen Schädel, Datteln wachsen doch keine drauf!“
auf mich. Einer von den vier Zukunfts- Streckt gerade empor den Schweif mit Wedel KOZIAN.
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• JUGEND • Nr. 15
Visite de noce: Mon bsbs, je raconte a ces jeunes gens nos Premiers jours de bonheur.
(Brautvisite: Mein liebes Kind! Ich erzähle eben diesen jungen Leutchen von unserem Flitterwochen-Glück.)
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Nr. 15 JUGEND 1896
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1896 JUGEND Nr. 15
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gegengenommen. Preis des Quartals (13 Nummern) bei den Postämtern in Deutschland Norwegen 2 Kronen 71 Oere, Schweiz 3 Eres. 6$ cts., der einzelnen Nummer 30 Pf.
von Kindern und Erwachsenen bei allgemeinen Schwächezustiinden, Bleichsucht, Herzschwäche, Nervenschwäche
Statt Eisen (Neurasthenie), Lungenleiden, geistiger u. körperl. Erschöpfung, Appetitlosigkeit, Magen- 11. Darmkrankhe'iteii, In-
fluenza — Erkrankungen, bei welchen der Eisen-Mangangehalt des Blutes stets vermindert ist —, ferner bei lthachitis
(sog. engl. Krankheit, Knochen-Erweichung), Scrophulose (sog. unrein. Blut, Drüsen-Anschwellungen u. -Entzünd-
ungen! — Leiden, bei denen ausserdem noch die Blutsalze stark reduzirt sind, ^
Statt Lebertliran Sehr angenehmer Geschmack. Mächtig ' mit grossem Erfolge angewandt.
appetitanregend._
Dr. RommeFs Haematogen ist konzentrirtes, gereinigtes Haemoglobin (D. R. Pat. No. 81391), in seiner leicht
verdaulichsten flüssigen Form. Haemoglobin ist die natürliche organische Eiseii-Maiigan Salzverbindung der Nahrungs-
w*rd mittel, also kein Spezialmittel gegen irgend eine bestimmte Krankheit, sondern ein aus Nahrungsmitteln gewonnenes
llr Ifiorl Ummmol’e UQOIIIQfnnOn Produkt> welches als Kräftigungsmittel für kränkliche und schwächliehe Kinder, sowie Erwachsene, rein
Ul, lllcu. Hümmel 5 ndulUd&Uyun oder als Zusatz zu Getränken ständig genommen werden kann. Die ausserordentlichen Resultate, welche
" ™"IN mit Dr. Hommel’s Haematogen erzielt worden sind, beruhen auf seiner Eigenschaft, den Gehalt des
Organismus an Eisen-Mangan, sowie an Blutsalzen automatisch zureguliren resp. zur Norm zu ergänzen, (ÖGt“ Von der grössten Wichtigkeit ist der Gebrauch
desselben im Kindesalter und in den höheren Lebensjahren. In ersterem, weil fehlerhafte Blutzusammensetzung in der Entwickelungsperiode
von entscheidendem Einfluss für das ganze Leben ist, in letzteren, weil im Alter die blutbildenden Organe erschlaffen und einer Anregung bedürfen
welche das Lehen im wahren Sinne des Wortes zu verlängern im Stande ist. Preis per Flasche (250 Gr.) Mk. 3.—. In Oesterreich-Ungarn Fl. 2.— ö. W.
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des Besitzers Dr. med. q, Wolf.
Herausgeber: Dr. GEORG HIRTH; verantwortlicher Redakteur; F. von OST1NI; verantwortlich für den Inseratentheil: G. EICHMANN, G. illKTH's huiiotverLg • sämmtlich in München
Druck von KNORR & HIRTH, Ges. m. beschr. Haftung in München.
ALLE RECHTE VORBEHALTEN.
1896 - 18. April • JUGEND . I. Jahrgang • Nr. 16
Eine sonderbare Geschichte ärgerlich und drehte sich nur langsam und mit strengem
Gesicht um. Allein seine Züge nahmen einen völlig anderen
Von W. von Reiswitz. Ausdruck an, als er die Person die ihn zu stören gewagt,
in’s Auge fasste. Er fühlte sich von einem unangenehmen
Man mag sagen, was man will, aber die ganze Geschichte Schrecken erfasst, so ungefähr, als qb 6r im Traum von
behält unter allen Umständen etwas sehr Eigenartiges und einem sehr hohen Thurm herabspringen müsse, — denn
wenn auch die Ansichten über die Natur derartiger Vorkomm- Derjenige, der ihm gegenüberstand, war kein Anderer, als
nisse getheilt sind, so hat man immerhin schon viel selt- er selbst.
samere Sachen erzählt, für welche eine allseitig befriedigende Er selbst, der gestrenge Herr Bürgermeister! Da war
Erklärung durchaus nicht gefunden werden konnte. Schliess- seine Nase mit der goldenen Brille darüber, da war die Zahn-
lich muss es ja doch jedem Einzelnen überlassen bleiben, lücke in der obern Reihe links, da war das glattrasirte Doppel-
wie er sich mit dergleichen Dingen am besten abfindet. — kinn . . tär
Auch der Anzug stimmte genau. Ein Irrthum war aus-
geschlossen. Vom Hut bis zu den Stiefeln herab stand da
Nicht, dass es gerade ausnahmsweise heiss war; im eine getreue Kopie des ersten Würdenträgers der Stadt . . .
Gegentheil, die Sonne hatte sich den ganzen Tag über nur Der Bürgermeister fühlte eine Anwandlung von Schwindel.
ein einziges Mal sehen lassen, und das nur auf einige Minuten. Mit gepresster Stimme brachte er die Worte hervor:
Als sie nämlich die Gattin des Herrn Schulrektors ansichtig „Was — wollen Sie hier?“
geworden war, die gerade aus dem geöffneten Fenster nach Sein Gegenüber that sehr verwundert.
dem Wetter sah, da hatte sie sich wieder hinter einer ganz „Was ich hier will —? Ja, es liegt doch eher an mir
besonders dicken, grauen Wolke verkrochen. Wenigstens be- zu fragen, was Sie Ihrerseits hier wollen.“
hauptete das der Stadtverordneten-Vorsteher, der schräg gegen- „Erlauben Sie, — ich bin der Bürgermeister!“
über wohnte und als Hagestolz die Damen im Allgemeinen „Erlauben Sie, — der bin ich selbst, soweit mir bekannt!“
nicht leiden mochte. Kurz, es war kein heller, warmer „Aber mein Gott, bin ich denn verrückt?“ ächzte nunmehr
Sommertag, wie man ihn eigentlich erwarten durfte, nachdem auf’s Aeusserste erschreckt der wirkliche Inhaber dieses wich-
es schon wochenlang geregnet hatte; aber es herrschte trotz- tigen Postens, — soweit wir ihn nämlich der längeren Be-
dem eine eigenthümliche, drückende Schwüle, die Mensch kanntschaft halber dafür zu halten berechtigt sind. Er fuhr sich
und Thier unruhig und verdriesslich machte. Die Blätter mit den bebenden Fingern über die von Schweisstropfen be-
hingen an den Zweigen, als ob sie aus Blei gegossen wären, deckte Stirn, um sich zu überzeugen, ob er nicht am Ende
und kein Hauch kräuselte die Oberfläche der zahlreichen träume. Das war doch sicher noch das Wahrscheinlichere;
schwarzen Pfützen auf dem Marktplatz, die von der langen er lag jetzt auf seinem Sopha und vermochte nicht aufzu-
Regenzeit herrührten. wachen, wie es ihm schon öfters gegangen war, wenn seine
Vom Kirchthurm herab schlug die Glockenuhr zuerst Frau Klösse zu Mittag gekocht hatte ,. . er wollte sich diese
vier hohe Töne und dann, nach einer kleinen Pause, drei Klösse schon lange ernstlich verbitten, aber seine Frau ....
tiefe Töne an, was eine Dohle, die sich auf dem wagrecht „Nein, — davon kommt es nicht!“ sagte der Andere plötz-
stehenden Stundenzeiger niedergelassen hatte, in grossen lich, als ob er die Gedanken seines Gegenübers errathen hätte.
Schrecken versetzte. Zugleich öffnete sich die Thür des Dem Geängstigten war esf wie wenn Jenes Züge dabei ein
Hauses Am Markt Nr. 1, und heraus trat der Herr Bürger- höhnisches Lächeln überflöge. Er kannte dies Lächeln; so
meister, welcher um diese Zeit seinen täglichen Nachmittags- hatte er selbst in seinen Rasirspiegel hineingelächelt, als es
spaziergang zu unternehmen pflegte. Er zog seine dicke gol- ihm damals gelungen war, die Opposition für den Bau eines
dene Uhr hervor und verglich sie mit der Thurmuhr. Als neuen Rathhauses zu bestimmen, welches zufällig genau dort
er sah, dass die Zeit übereinstimmte, nickte er mit der Miene hinkam, wo sein Freund, der Kaufmann Meier, soeben einen
eines Mannes, der es gern sieht, wenn Alles am Schnürchen Neubau begonnen hatte. Sollte das am Ende die StrafeS® .
geht. Mit bedächtigen Schritten wandelte er alsdann den „I bewahre!“ rief der Andere halb unwillig. „Sie scheinen
Bürgersteig hinab, um von der Marktecke aus einen kurzen mich durchaus für Jemand zu halten, der ich nicht bin. Jch
Blick nach der gegenüber liegenden Häuserreihe zu werfen würde an Ihrer Stelle das Grübeln aufgeben und mich: in’s-
und dann darauf in die schmale Gasse einzubiegen, die am Unvermeidliche schicken. Kommen Sie, lassen Sie uns weiter-
Kirchhof vorbei in’s Freie führte. Einzelne Leute, die ihm gehen und ein wenig plaudern; es könnte auffallen, wenn man
entgegenkamen, grüssten höflich, was er stets mit einem uns so beieinander stehen sähe.“
kurzen Nicken und einer ausdrucksvollen Schwenkung der Seufzend fügte sich der Bürgermeister, und sie schritten
linken Hand beantwortete, gerade als ob er sagen wollte: dem Walde zu.
„Ja, ja; ich bin’s wirklich, — ich, der Bürgermeister. Ihr Worüber die Beiden dort plauderten, entzieht sich leider
könnt Euch was darauf einbilden, mir begegnet zu sein!“ unserer Kenntniss. Sicher ist jedoch, dass nach beinahe einer
Endlich lag die Stadt hinter dem einsamen Spaziergänger. Stunde der Bürgermeister in ziemlicher Eile der Stadt zuschritt.
Dort, wo die Chaussee mit dem Verbindungsweg vom nächsten *
Dorf sich kreuzt, machte er Halt und betrachtete die wogen-
den Kornfelder, welche sich bereits gelblich zu färben be- Warum sollte in einer kleinen Stadt, welche zwar nicht
gannen. Diese Kornfelder gehörten zum Theil der Stadt und an der Eisenbahn liegt, aber doch zahlreiche äusserst ge-
deswegen interessirten sie ihn. Im Allgemeinen war ihm bildete Leute unter ihren Bewohnern zählt, nicht auch ein
nämlich nichts gleichgiltiger, als die Landwirthschaft, die er Buchhändler sein Fortkommen finden? Ein Solcher wohnte
in seinem Innern für ein nothwendiges Uebel erklärte. Am in einer sehr belebten Gasse, nicht weit vom Marktplatz; er
liebsten hätte er auch den Stadtacker an die -ffinwohnenden beschäftigte sich neben dem Buchhandel, welcher trotz des
Bauern verkauft; das litt aber die Oppo^jtwn^in der Gemeinde- Bildungstriebes seiner Mitbürger nicht genug zum Leben ab-
vertretung nicht, die zum grossen Theil aus Ackerbürgern warf, mit noch riianchen anderen Dingen, so zum Beispiel
bestand. gab es in seinem Laden auch Siegellack und Bleistifte zu
Weit und breit war kein Mensch zu sehen; eine einsame' kaufen. Ausserdem war er mindestens ebenso musikalisch,
Grille zirpte im Grase, und das Trillern der Feldlerche er- wie der Herr Schulrektor, und wusste überhaupt recht an-
scholl in der Ferne. genehm über Kunst und Wissenschaft zu plaudern.
„Ich habe die Ehre, Ihnen einen guten Tag zu wünschen!“ T Als der Bürgermeister das Schild, auf welchem geschrieben
Der Bürgermeister war einigermassen verdutzt über diese stand: Buchhandlung und Leihbibliothek, zu Gesichte bekam,
Anrede, da er doch geglaubt hatte, ganz allein zu sein. Weil durchfuhr ihn eine Idee. Einen Augenblick zauderte er, dann
er es aber nicht liebte, sich verblüffen zu lassen, so war er betrat er den Laden, dessen Thüre der warmen Witterung
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1896 > JUGEND
Aber die Stadträthe hatten ihre Gedanken für sich und
halber offen stand. Der Buchhändler empfing ihn mit vielen tauschten bedenkliche Blicke mit einander aus. —
Verbeugungen Auch die Frau Bürgermeisterin war in ängstlicher Auf-
„Hm - “ machte der Bürgermeister, während er sich die regung. Was fehlte ihrem sonst so ruhigen, behäbigen Gatten,
Stirne trocknete; „ich habe da — das heisst, ich wollte eigent- der sich durch Nichts so leicht aus der Fassung bringen liess?
• lieh — übrigens' wäre ich Ihnen sehr verbunden,; wenn ich Sie musste es erleben, dass er seine Lieblingsgerichte unbe-
Sie einen Augenblick ungestört —i(| rührt auf dem Teller liegen liess, und sie selbst zornig an-
„Gewiss, Herr Bürgermeister! schnautwe/gls sie ihn fragte, ob er nicht wohl sei. Schon
Belieben hier herein zu spazieren? — Muss um Verzeihung wollte sie sich ein solches Betragen ernstlich verbitten, als
bitten, dass es so unordentlich — wollen Sie nicht ablegen, es ihr einfiel,"dass dahinter am Ende irgend ein Geheimniss
Herr Bürgermeister?“ ' ste.cken könnte. Und Geheimnisse zu ergründen, dazu war
Man nahm im Stübchen hinter dem Laden Platz, und der te.
Buchhändler starrte erwartungsvoll auf den Besuch. K, „Justus“, begann sie nach kurzem Ueberlegen. Der Bürger-
„Heiss heute!“ meister hiess närnlichjustus; alle Bürgermeister sollten eigent-
„Wird wohl noch mehr Gewitter geben!“ • , ' :• lich Justus heissen. ,Justus! Hast Du es schon gehört? Die
*,Hm — sagen Sie mal — Sie entsinnen sich wohl noch Frau Kreisphysikus war heut hier und erzählte —“
des Abends, als der Weinreisende da war — der Berliner, Der Bürgermeister trommelte unruhig mit d^fi..-'Fingern
Sie wissen doch, der alle die verrückten Gespenstergeschichten auf den Tisch. Sollte es,irgend wie bekannt gewordenem?
erzählte?“ Das wäre schrecklich. Sein Herz klopfte ihm zum Zerspringen.
„Gewiss, ich erinnere mich sehr gut, es war „ - und erzählte mir eine ganz merkwürdige Geschichte.
gebildeter Mann.“ Was ist Dir nur, mein Justus, Du wirst ja ganz roth ?"
„Das war besonders merkwürdig, was er da vort* den „Ach, ich denl^e nicht daran!“
Spiritisten vorbrachte. Schliesslich sollen jetzt ja wohl ganz „Doch, doch, mein Justus. Aber nein, jetzt bist Du auf
gelehrte Leute sich mit solchen Spukgeschichten abgeben?“ einmal ganz blass geworden! Du wirst mir doch nicht etwa
Der Buchhändler machte ein wichtiges und ernstes Ge- krank werden wollen? Hast Du Kopfweh ?, Oder ist Dir am
sicht. Dass der Gebieter der Stadt um sein Urtheil nach- Ende im Magen nicht recht? Justus, ich lasse den Physikus
suchte, erfüllte ihn mit Rührung und Stolz. kommen, - ich ängstige mich sonst zu Tode um Dich!“
„Schon Hamlet sagt: es gibt mehr Dinge zwischen Himmel- „Nein, nein, zum Teufel - ich denke nicht daran, mir
und Erde, als Euere Schulweisheit siel} träumen lässt - mir; fehlPnicht das Geringste, ich schwöre eis Dir; ich will lieber
allem Respekt natürlich — Herr Bürgermeister. Ich muss etwas hinaus in. dieLuft;
rische 1 **esictti/n cason-
ist,so wie meine Äüs-
gestehen, dass ich selbst mich nicht erst seit jenem Abend
mit der Sache befasste; ich habe mir da einige Bücher kommen gehzeit \ / M
Er-stürmte hinaus, ohne seiner Storglichen Hausfrau RedgLS
lassen, die von diesen Dingen handeln, und —“ und Antwortet?stehen, was ihm diese sehr übel nahm, da
,Würden Sie mir diese Bücher auf kurze Zeit überlassen sie sich vor Neugier beinahe in ihre einzelnen Bestandtheile
können?“ konnte ihren Gatten nur so erregen? Sie grübelte
„Aber mit dem grössten Vergnügen, hin und her. Sollte er am Ende gar — doch nein! das war
Eilig steckte der Bürgermeister dietempfangenen Heftchen ja Unsinn. Erstens war eben erst Rechnungsablage gewesen
ein und verabschiedete sich, um nach Hause zu und dieaStadtkasse hatte vollkommen gestimmt, und sie selbst
gelangt, schloss er Lieh in seinen Arbeitszimmer ein, ver- hatte ja auch die Schlüssel in Verwahrung, und zweitens war
stopfte das Schlüsselloch und fing an zu lesen. Es war keine ihm eine solche Thorheit überhaupt nicht zuzutrauen. Aber
kleine Arbeit für ihn, sich in den krausen Stil, in die kühnen sie wollte über die Sache schon ins Klare kommen, das ver-
Gedankensprünge und Ideenverbindungen der Abhandlungen sprach sie sich fest.
hineinzufinden, nnd er seufzte oft kläglich, wenn ihm irgend Ihr Nachsinnen wurde durch das Oeffnen der Thür unter-
etwas gar nicht einleuchten wollte. brochen.
Endlich schien er auf einen Abschnitt gestossen zu sein, „Da bist Du ja wieder, Justus!“ rief sie erstaunt.
der; mit dem, was er suchte, in irgend einem Zusammenhang ,Ja, da bin ich wieder. Und warum sollte ich denn nicht
stand. Sein Gesichtsausdruck wurde immer gespannter; er wieder da sein?“ Der Bürgermeister legte Hut und Stock ab
murmelte das Gelesene halblaut vor sich hin, indem er die und warf |fcich lachend auf’s Sopha. Die würdige Dame traute
Worte mit dem Zeigefinger verfolgte. ihr^n Augdn nicht. Die kurze Zeit der AlMsenheit hatte ge-
„Der Mensch -K^so las er — „lebt gleichzeitig im Jenseits nügt, um dpn unruhigen, bleichen uhd hohläugigen Bürger-
als <transscendentales|Subjekt und im Diesseits als irdischer meister von heute früh in den äusserstwbhlhäbig und selbst-
Mensch. Die beiden Daseinsweisen sind verschieden in Be- zufrieden dreinblickenden Bürgermeister; von ehgdem umzu-
auf Erkenntnissform und Wirkungsweise.“ wandeln. Aber anstatt dass dieser Umstand sie beruhigte,
:fer hielt einen Augenblick inne, wie um sich der Trag- diente er im Gegentheil dazu, sie noch argwöhnischer zu
weite dieser gewichtigen Behauptung bewusst zu werden. .11 dl, 11 machen. ^ M.; f &BF5S.
CU« xj\ //rWV-w? .v*} iti? *5
• y. ,
Dann fuhr er fort: „warum siehst Du mich denn so sonderbar an?“ erklang
„Wir begegnen dem Leibe des künftigen Lebens, dem ;s jetzt vom Sopha her. Sie fuhr ordentlich zusammen beim
Astralleib, schon innerhalb der irdischen Erfahrung und Klang seiner Stimme. Aber sie fasste sich schnell. Er sollte
nennen ihn alsdann Doppelgänger —“ — — — — — nd musste ihr Rede stehen; war sie denn nicht seine an-
etraute Frau, die Frau des Bürgermeisters, vor der sich die
Als der Herr Bürgermeister am anderen Tage zur Raths- anze
anze Bewnhnnroov.«11 • .t. „ .. noch mehr bückte, wie vor
Bewohnerschaft beinahe
S'tzung kam, wollte ihn der älteste der Stadträthe wie gewöhn- dem Bürgermeister selbst?
’eh mit den Worten begrüssen: „Justus begänne mit einem Ton, dessen Schärfe noch
„Wohl geruht zu haben. Brieschen gefällig?“ Aber ihm me seinen Zweck verfehlt hatte, „ich wünsche zu wissen, was
lieben die Worte im Halse stecken. Wie sah der sonst so mit Dir geschehen ist. Den ganzen Tag hast Du dagesessen
räftige und gesunde Mann aus! Bleich, eingefallen, dunkle und ausgesehen, wie: ein Klageweib, welches den Schnupfen
lnge um die Augen — er war um zehn Jahr gealtert. hat, hastjpichts gegessen und mich grob angefahijen, und nun
Der Bürgermeister bemerkte das Erstaunen seines Mit- kommst Du plötzlich in’s Zimmer gehüptz mit einem Gesicht,
erathers und fuhr ihn zornig an: als ob Ostemlund Pfingsten auf einen Tag falfefife^dch bin
»Schon gut, schon gut; wir wollen anfangen. — Es handelt nicht gewohnt’ derartige Dinge zu ertragen; und besonders,
■ch also um die Ausbesserung und den Anstrich des Zaunes ich will sie nicht ertragen. Also habe die Güte, mir zu er-
111 städtischen Viehmarkt —“ klären, was Dein Benehmen zu bedeuten hat!“
Zeichnungen von A. Schmidhammer.
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Nr. 16 t
JUGEND i ifiÖÖ
„Du möchtest wissen, was mein Benehmen zu bedeuten „Aber es macht mir keine Freude!“ stiess der Bürger-
hat, he?“ meister hervor. „Ich bitte Sie, gehen Sie fort!“
Die Bürgermeisterin war starr über den Hohn, mit dem „Das steht, wie Sie ja selbst wissen, — Sie lasen es ja
diese Worte ausgesprochen wurden. Ihre Ueberraschung sollte erst neulich bei Aksakow, wenn ich nipht'irre, — nicht in
indessen noch grösser werden. Denn erstens steckte sich ihr meiner Macht. Uebrigens ist es recht undankbar von Ihnen,
Gemahl mit grosser Unverfrorenheit seine Pfeife an, was er mich los sein zu wollen. Habe ich Sie nicht nach besten
doch nur in seinem Studierzimmer thun durfte, und zweitens Kräften in Ihrem schwierigen Amt unterstützt? Seit wir uns
starrte er sie mit einem überaus unbotmässigen, ja tückischen zum ersten Male sahen, ist es Ihnen gelungen, eine Menge
Lächeln an, welches ihr, wie sie nachher dem Dienstmädchen Reformen durchzuführen. Die Stadt nimmt einen neuen,
anvertraute, geradezu das Blut in den Adern erstarren machte. ungeahnten Aufschwung —“
Sie wollte sich aufraffen, um ihn ihre ganze Strenge fühlen „Ich bitte Sie noch einmal, — gehen Sie!“
zu lassen, aber vergebens: diesem herzlosen Lächeln war sie „Bedauere; ich muss und werde bleiben!“
nicht gewachsen. Weinend verliess sie das Zimmer, während Ein Krampf schien die Züge des Bürgermeisters zu
vom Sopha her ein höhnisches Kichern erscholl. verzerren.
„Sie wollen also nicht?“ zischte er, während seine Rechte
einen Gegenstand umklammerte, den er in der Rocktasche
Noch immer herrschte dieselbe bleierne Schwüle, als der verbarg. „Nun wohl denn! So tragen Sie die Folgen.“
Bürgermeister einige Tage später seinen gewohnten Nach- Ein kurzer scharfer Knall, dem ein schrilles Hohngelächter
mittagspaziergang antrat. Er vermied es nach Möglichkeit, folgte. Dem Bürgermeister wurde es schwarz Vor den Augen;
irgendjemandem zu begegnen und blickte scheu die Strasse er liess den rauchenden Revolver fallen und sank schwer-
hinab, um bei Zeiten ausweichen zu können, falls ein Be- fällig zu Boden.
kannter des Weges daherkäme. Aber an den Fenstern der
Häuser musste er doch vorbei, und diese Fenster pflegten
zumeist mit Vorrichtungen versehen zu sein, die aus zwei Die Vorhänge im Schlafzimmer des Bürgermeisters waren
schräg gestellten Spiegeln bestehen, den zweckentsprechenden herabgelassen. Mit Mühe konnte der Kranke erkennen, dass
Namen „Spion“ führen und den im Zimmer Befindlichen Alles die dunkle Gestalt neben dem Bett seine Frau war. Ihm
verrathen, was auf der Strasse vorgeht. So kam es denn auch, war trotz seiner Schwäche so leicht und wohl um’s Herz,
dass wenige Augenblicke später die Frau Aktuarius ohne Hut wie seit Langem nicht.
und Handschuhe zur Frau Stadtschreiber hinüberhuschte und „Klotilde?“ riefer mit schwacher Stimme. Seine Frauhiess
ihr zuflüsterte: nämlich Klotilde. Alle Bürgermeistersfrauen sollten eigentlich
„Nein, haben Sie ihn denn wirklich gesehen? Eben ging Klotilde heissen. „Klotilde, was ist mit mir geschehen?“
er vorbei! Mein Gott, wie sieht der Mann nur aus!“ „Sie fanden Dich am Wegkreuz auf der Chaussee; der
„Gewiss habe ich ihn gesehen, und ich habe es Ihnen Revolver lag neben Dir, und sie glaubten schon, Du seiest
ja schon neulich gesagt: Passen Sie auf, das nimmt kein gutes todt. Der Kreisphysikus sagte aber, es sei nur ein leichter
Ende! Mein Mann sagt —“ Streifschuss, und Du würdest in ein paar Tagen aufstehen
„Mein Mann sagt, im Rathhaus soll es nicht mehr zum können!“ berichtete sie ihm weinend.
Aushalten mit ihm sein! Einmal sitzt er da ganz still und „Und — der Andere?“
bleich und sagt kein Wort, und das andere Mal macht er „Der Mörder? Der ist entflohen; er hatte nicht einmal
schlechte Witze und lacht über Alles, was die Herren vom Zeit, Dir Uhr und Geld zu nehmen —“
Rath Vorbringen. Und es ist geradezu schrecklich: Alles soll Nun kam auch der Kreisphysikus. Frau Klotilde ging
anders werden, als es bis jetzt gewesen ist; lauter Neuerungen hinaus, um Licht zu besorgen.
sollen eingefüfhrt werden, der Nachtwächter soll ein neues „Na, alter Freund, die Sache ist glücklicher abgelaufen,
Tuthorn bekommen, und dem zweiten Hilfslehrer von der als ich dachte. Der Blutverlust hat Dich gerettet; Du wärest
Gemeindeschule sind zwei Mark fünfzig Pfennig monatliche sonst ohne Gnade und Barmherzigkeit verrückt geworden;
Zulage bewilligt worden, und —“ es war schon nicht mehr zum Aushalten mit Dir.“
„Und wissen Sie, was mein Mann noch sagt? Mein Mann „Du glaubst doch nicht etwa, dass ich selbst —“
sagt —“ „Bürgermeister, mir gegenüber sind solche Flausen nicht
Hier verl.or sich die Stimme der Dame in ein unhörbares, angebracht. Meinst Du, dass ich den Revolver nicht kenne?
geheimnissvolles Wispern. Aber es musste etwas Schreck- Es ist derselbe, den wir im vorigen Jahre bei dem erschlagenen
liches sein, was die Freundin erfuhr, denn sie erachtete es Müllergesellen konfiszirten!“
augenscheinlich für ein Gebot strengster Pflichterfüllung, sofort „Bester Freund, so lass Dir doch nur erzählen! Ich
ihrerseits aufzubrechen und zur Frau Schulrektor hinüber- hatte ja einen Doppelgänger —“
zulaufen, um dieselbe um ihre Meinung in der Sache zu „Frau Bürgermeister — bitte endlich um Licht und einen
fragen. frischen Eisbeutel! Wo habe ich denn nur den Schnepper —“
Der Gegenstand dieser Berathungen schritt unterdessen Nur schwer entging der Kranke einem rfeuen Aderlass.
mit gesenktem Haupte dem Walde zu. Er gab es auf, den alten Skeptiker zu überzeugen; und
Als er sich demselben näherte, sah er sich scheu um, schliesslich war es ja auch am Besten, wenn Niemand die
als ob er etwas suche. Längere Zeit schienen seine Erwart- dumme Geschichte erfuhr.
ungen unerfüllt zu bleiben, denn er schüttelte missmuthig Einige Wochen später, als er völlig genesen war, wurde
den Kopf. Plötzlich aber fuhr er wie erschreckt zusammen; ihm ein Fackelzug gebracht und der Stadtverordneten-Vor-
sein Gesicht nahm einen starren Ausdruck an, seine Zähne steher überreichte ihm die Glückwünsche der Bürgerschaft
klapperten hörbar, er zitterte wie im Fieber. zu seiner Rettung. Er war tiefgerührt und begann ein sehr
„Da sind Sie ja!“ stammelte er. erklärliches Gefühl der Hochachtung vor sich selbst zu ver-
„Ja, da bin ich. Hatten Sie etwa geglaubt, ich würde spüren. Die Kunde von dem Attentat durchlief natürlich
nicht wiederkommen?“ alle Blätter; er bekam einen schfönen Orden und der Regier-
„Oh — nein. Durchaus nicht. Nicht im Mindesten. Aber—“ ungspräsident ass bei ihm zu Mittag.
„Aber?“ „Im Vertrauen gesagt, Herr Bürgermeister, man hat es
„Ich wollte mich nur erkundigen, natürlich ohne Sie Ihnen hoch angerechnet, dass Sie sich selbst durch die An-
irgendwie verletzen zu wollen, ob Sie noch lange —“ schläge feiler Meuchelmörder njcjit von Ihren thatkräftigen
„Ob ich Ihnen noch lange Gesellschaft leisten will, nicht Reformen zum Wohle der Bürgerschaft abschrecken Hessen.
wahr? Warum denn nicht? Wenn es Ihnen Freude Ich kann Ihnen schon jetzt die erfreuliche Mittheilung machen,
macht —“ dass man an höherer Stelle aufmerksam auf Sie geworden
348
1896 JUGEND Nr. 16
72
Erst dann!
Hat Einer einst ein sanftes Lied gesungen,
Her laute Strassenbraus hat es ver-
schlungen.
Dann sang laut-flehend er in allen Landen,
Sie hörten’s wohl, doch hatten’s nicht
verstanden.
Erst als er dreist und schrill gepfiffen,
Da haben sie’s — zu spät begriffen, d. haek.
7&
Der Wirthin Töchterlein
O, scheltet nicht Frau Mutter,
Verzeihet gnädig mir!
Ich hab’Jihn küssen müssen,
Kann wirklich nichts dafür.
Er hat mich nicht gefraget,
Und nicht gebeten drum;
Ich hab’ ihn küssen müssen,
Weiss selber nicht warum.
Sein Rösslein stand gesattelt,
Gezäumet stand es schon,
Ich hab’ ihn ktissen müssen,
Sonst ritt’ er mir davon.
„Ade, du junger Reiter!
Fahr’ wohl, behüt’ Dich Gott!“ —
Ich hab’ ihn küssen müssen,
Und wäre es mein Tod. A- Mr
249
Nr. 16 JUGEND 1896
IV.
Wenn Du jetf noch Zweifel hast,
Lenke ~ur Mama die Schritte,
Sie entscheidet, was sich passt,
Nach Gewissen, Zweck und Sitte.
teir) ]g>uc1)
Sie ist milde, brav und klug Ein selfsen^ jSuclp, Jets sie ir) i^rer) y einer),
Und sie war im selben Falle,
iBerin^ler) Rindern \)ir) und Ijer bev$e^1:
Als sie ihre Mutter frug;
Und die Mutier war wie alle \X/ie d retus so ®^1 ein cjelles Racl'jen '
Glnd miller) d runlep lj®rl man leise u$e ir
Mütter: weise, brav und mild
Und entschied in gleichen Sachen, Rieder sind s! Icl) ej<alz> 1 ^u derr) ein
Und Du wirst ihr Ebenbild (find anderr) selber des lT)odell. Br l^ecjl
Einst bei Deiner Tochter machen. 0ie eile dumme Riebe n®cl) — decl) Ireejl
FERDINAND v. HORNSTI N Er mif p.umer seii) §>ol)ie^sed) vSill mir
stjeir
scheinen.
250
1896
JUGEND Nr. 16
251
1896 JUGEND Nr. 16
*53
1896
Nr. 16 JUGEND
Die Bäume malt mit Grün man nur,
Dieweil sie grün sind von Natur.
Der Himmel ist gewöhnlich blau,
In manchen Fällen aber grau.
Die Wellen schillern gleichfalls grünlich,—
Doch ist auch hier das Blaue dienlich.
Die Nacht jedoch wird schwarz geschildert,
Falls nicht der Mond die Schwärze
mildert;
Kurz: Seht Euch meine Bilder an,
Beachtet sie und malt sodann,
Weil nämlich auf der weiten Welt
Mein Malen männiglich gefällt
Und einzig ihr auf diese Weise
Gelangen könnt zu Ruhm und Preise! Prof. Wiedehopf: Porträt des Malers Hans Meier.
Hans Meier: Porträt des Professor Wiedehopf
(Kitter hoher Orden). Das Andere ist dummes Zeug,
Vertraut nur mir, das sag ich Euch!“ Dann wallen, im weissen Mittagsglanze
Die Wellen, wie heit’re Frau’n zum Tanze,
Der berühmte Wiedehopf Die Wellen, die bei des Donners Krachen
Der grosse Meister Wiedehopf Losrasen, wilde, gelbe Drachen,
Neigt sehr bedenklich seinen Kopf; Und mehr als Sturm und Donner schrei’n,
Zwei Schüler kamen nämlich an, Und weissen Schaum zum Himmel spei’n.
Verneigten sich und sprachen dann: Doch wenn des Frühlingsabends Gluth
„Wir möchten unser Leben eben Heiss küsst die Fluth, so mild, so gut,
Fortan der Kunst zum Opfer geben, Kommt iiber’s grosse, stille Meer
Und bitten um Belehrung halt, Der grosse, stille Geist daher
Wie man die bessren Bilder malt. Der Geist, das ist’s! Den muss man malen!
Zeigt Ihr uns so den Anfang nur, Der Teufel hole die banalen
So kommen wir schon auf die Spur! Nachtreter manierirten Trottes!!“ —
Wir werden brave Schüler sein, So spricht der Fritze, leider Gottes,
Und werden so wie Sie gedeih’n, Und spricht’s nicht nur, er malt auch so;
Wir werden malen spät und früh, Die Farben lodern lichterloh
Wir werden einst berühmt, wie Sie; Auf seiner kolossalen Leinwand.
Heil Pinsel, Farben, Firnisstopf, Was schert ihn Wiedehopfen’s Einwand.
Heil dem berühmten Wiedehopf!“ Der ruft voll Grausen: „Ei Du mein,
Fritz, Du bist ein verruchtes Schwein!
Herr Wiedehopf, der grosse Mann, Der brave Hans meint auch: Ich finde,
War sehr erfreut, und sprach: Solch’ Bild zu malen, das ist Sünde;
„Wohlan,
Ach nein, der Fritz hat kein Genie;
So merket denn und habet Acht, Herr Wiedehopf, bitte, kommen Sie!
Fritz X.: Selbstbildniss.
Wie man die bessren Bilder macht:
Die beiden Buben, Hans und Fritze,
Die malen los in Hast und Hitze,
Und Hans hat einen hellen Kopf,
Er hört auf Meister Wiedehopf,
Er malt die Bäume grün wie der,
Und blau den Himmel, blau das Meer.
Die Nacht er schier noch schwärzer
schildert,
Falls nicht der Mond die Schwärze mildert.
So kommt er bald zu Ruhm und Geld,
Man sieht, der Hans passt in die Welt,
Rings ist man von dem Hans entzückt,
Und auch er selbst ruft hochbeglückt:
„Heil Pinsel, Farben, Firnisstopf,
Heil dem berühmten Wiedehopf!“
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1896 JUGEND Nr. 16
Verlassen wir die Sudelei!“ — Wie anders ging’s dem braven Hans!
Entrüstet gingen fort die Zwei Der reifte in des Meisters Glanz
Und Hessen Fritz, der höhnisch lachte Sein liebenswürdiges Talent,
Und frech von Freund und Lehrer dachte. — Das heut’ der halbe Erdkreis kennt.
Die Strafe blieb ihm nicht geschenkt, Und was er malte, fand man recht —
Dass er den Meister so gekränkt: Es schrieben Doktor Quietsch und Specht:
Ob er sich auch das Haar gerauft, „Da seht nur, welch ein Hochgenuss!
Niemals hat er ein Bild verkauft, Wie reizend! Dieser Linienfluss!
Und hatte nie Erfolg und Glück Die edle Anmuth! Diese Wahrheit!
Mit der hochlöblichen Kritik. Der Farben wunderbare Klarheit!
Man sieht es, dieser junge Mann,
Sah sich die alten Meister an!“
Und wenn des Sommers alle Jahr’
Die grosse Kunstausstellung war,
Dann drängte sich die Menge wild
Um Hansen’s letztgemaltes Bild,
Man sah durch Brillen, Operngucker,
Und rief entzückt: „Der reine Zucker!“
Die Bilderhändler stritten sich
Um Hansen’s Bilder fürchterlich.
Die Sammler zierten seine Werke
Durch extra-deutliche Vermerke!
Medaillen fielen dicht wie Schnee
In Hansen’s schönes Atelier,
Im Knopfloch glänzte ihm was Rothes,
Und als sein Meister starb des Todes,
Ward Hans, er wusste selbst nicht wie,
Professor der Akademie.
Er schwamm in Gold und schwamm in Ehren —
Warum? Weil er des Meisters Lehren
Beherzigt hatte jederzeit
Und sich der rechten Kunst geweiht,
Und nicht wie Fritz, der arme Tropf,
Gemalt hat nach dem eig’nen Kopf!
R. NEUBAUER.
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Nr. 16 JUGEND 1896
256
Für die ,,Jugend“ gezeichnet von E. I<ne iss.
Nr. 16 * JUGEND 1896
Die Abiturientin Lasst die Andern kochen, Suppen, Fleisch und Knochen,
(In Berlin haben 6 Abiturientinnen-das Examen bestanden.) O, der himmelweite Unterschied.
’s gibt kein schöner Leben als Gymnasienleben Fürderhin beim Kaffee wird sacht Autodafe!
Wie es uns die Lene Lange gibt; Das Gespräch lateinisch nur geführt,
In die Kurse rennen, wissensdurstig brennen, Wer geräth in’s Stocken, wes Disput zu trocken,
Sprecht nur, Schwestern: Ist das nicht „geliebt?“! Der wird unbarmherzig relegirt.
Heut die Mädchenschule liegt uns fern wie Thule,
Das Gymnasium ist Paradies, Dann nach vier Semestern, Männer lasst das Lästern!
Wahrhaft ernstes Streben nur die Jahre geben, Steigt man in’s Examen comme il faut.
Und wir prangen bald im Cerevis. Ausgeschnitt’ne Kleider, Schluss wenn aus dem Schneider
Wird ein kreuzfideler Studio.
Gleich mit „Unbekannten“, äusserst int’ressanten, Wenn vorher sich findet, der sich uns verbindet,
Steh’n wir im vertrautesten Verkehr, Nehm ich gern den Doktor oder Rath,
Körper, die gleichschenklich, Gott wie unverfänglich Denn aus Mauerblümchen werden alte Mühmchen,
Uns doch amüsirt das Alles sehr. Und ich hab’ doch so den Doktor g’rad! e. hall.
Finden bald, wer weiss es? Quadratur des Kreises,
Ja sogar des Winkels Trisektion,
Auch den Werth der Pflanzen, wie der Hauptsubstanzen,
Im gekochten Zustand oder roh’n. Seufzer eines Ehemanns!
Kennen wir die Formen, rechten wie abnormen, Als sie, ein Mägdlein noch, auf meinem Knie
Lesen wir den Gajus Julius, In bräutlich holder Zärtlichkeit gesessen,
Wie er sah und siegte, Gallien bekriegte, Mit meinen Blicken fast verschlang ich sie,
Roms Conditor auch im Livius, Vor Liebe hält' ich beinah sie gefressen.
Und die rechte Schätzung einer Uebersetzung,
Die erhält man erst in unsrer Zeit. — Nun ist sie mein — verschwunden ist'der Wahn,
Wenn das Konstruiren thut uns ennuyiren, Ihr zänkisch Thun vergiftet mir das Leben —
Hilft ein „Freund“ uns oder Langenscheidt. Ach, warum hab’ ich damals nicht gethan,
Was meine Zärtlichkeit mir eingegeben! l ....
Ist uns erst beschieden Kenntniss der Liquiden,
Offen steht Homer und Thucydid,
"Unter dem. ^Protektorate Br. D^gl. 3Coheit des Brinsregenten Buitpold von Bayern, des D^önigreicHs Bayern 'Verweser
259
Inseraten-Annahme Insertions-Gebühren
durch alleAnnoncen-Expeditionen
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G. Hirth’s Verlag in München
und Leipzig. JUGEND™.
Die „JUGEND“ erscheint allwöchentlich einmal. Bestellungen werden von allen Buch-
für die
4 gespalt. Colonelzeile oder deren
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und Kunsthandlungen, sowie von allen Postämtern und Zeitungs-Expeditionen ent- 3 Eres. 88 cts., Oesterreich-Ungarn 1 fl. 90 kr., Rumänien 4 Eres. 20 cts., Schweden und
gegengenommen. Preis des Quartals (13 Nummern) bei den Postämtern in Deutschland Norwegen 2 Kronen 71 Oere, Schweiz 3 Eres. 65 cts., der einzelnen Nummer 30 Pfg.
Blutarmut
Haematogen sind mit dem erwünschten Erfolge angewendet worden und zwar bei einem Mädchen von
21 Jahren, das seit vorigem Winter an allgemeiner zunehmender Schwäche, Verdauungs-
störungen, grosser Blässe, überhaupt den Erscheinungen der Leukämie, auch
beständigem Hüsteln, mit Abmagerung gelitten hat. Nach Verbrauch von 4 Eiaschen, die ohne die
geringsten unangenehmen Nebenerscheinungen konsumirt wurden, hat sich der Zustand der Patientin auf’s
Erfreulichste gebessert, und kann ich sagen, dass dieselbe als ganz wieder hergestellt zu bezeichnen ist.
Ich habe mich von der Trefflichkeit des Mittels zu meiner grossen Freude auf’s
Bleichsucht Ernsteste überzeugt und werde selbstverständlich in geeigneten Fällen wieder zu diesem erprobten
Mittel greifen".
Herr Geheimrat Prof. Dr. med. Victor Meyer in Heidelberg: „Ihr Haematogen hat in
meiner Familie bei Bleichsucht sehr gut gewirkt."
ist konzentrirtes, gereinigtes Haemoglobin (D. R. Pat. No. 81391). Haemoglobin
Or. med. Hommel’s Haematogen ist die natürliche organische Eisen-Manganverbindung der Nahrungsmittel. Preis
per Flasche (250 gr.) Mk. 3.—. In Oesterreich-Ungarn II. 2.— ö. W. Depots in
den Apotheken. Wenn nicht erhältlich, directer Versandt durch uns. TVif^Ol^lV chemisch-pharmaceut. Hanau.
Litteratur mit hunderten von ärztlichen Gutachten gratis und franko. i.llLUlllj' 4X/ Laboratorium,
Herausgeber : Dr. GliORGHIRTH; verantwortlicher Redakti F. vnv OSTTNI • verantwortlich fiir den Inseratentlieil: G. KICHMANN. G. lllRTll’s Kunstverlag: sämmtlich in Münch«**
25. April
I. Jahrgang > Nr. 17
Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben. — G. Hirth’s Verlag in München & Leipzig,
ALLE RECHTE VORBEHALTEN.
Nr. 17 . JUGEND - 1896
Kaiser Wilhelm II
an den Gräbern der Hohenstaufen
Wo porphyrne Sarkophage bergen staufisches Gebein,
In Palermos Kathedrale trat der Hohenzoller ein,
Um bei den erlauchten Vettern, vor den stolzen Marmortruhn
Sinnend eine kleine Weile vom Regieren auszuruhn.
Welche Ruhstatt für Monarchen! Zur Betrachtung welch ein Ort,
Wo der Genius der Geschichte predigt sein gewalt’ges Wort!
Hohenzoller! Hohenzoller! Lernen kannst Du hier genug,!
Wo der grösste Staufer modert, welcher, sieben Kronen trug,
Kaiser Friedrich, jener Zweite, den Natur zum Herrn gemacht,
Den sie reich mit Gabenfülle,r überschwänglich reich bedacht.
Durch die Nacht des Aberglaubens, der die Welt mit Blindheit schlug,
Blitzte kühn und morgenhelle seines Geistes Adlerflug.
Vier Jahrzehnte hat der Erdkreis seinen Herrschertritt verspürt,
Hat sein Dämon in den Herzen Hass- und Liebesgluth geschürt,
Ungeheure Kraft vergeudet für der Weltherrschaft Phantom
Und gekämpft mit Schlangenklugheit gegen seinen Todfeind, Rom.
Doch das Ende all des Ringens? Ein gerechter Untergang!
Denn er hat des besten Freundes sich beraubt sein'Lebenlang,
Jenes trotzigen Freiheitsinnes, der den Fürsten bleibt verhasst,
Weil er fühlt sich ebenbürtig einem Haupt mit gold’ner Last.
Und so ward die Kraft der Städte, ihrer Blüthe stolze Pracht
Jammervoll in Staub getreten von der kaiserlichen Macht;
Und so ward der Geist der Freiheit, edler, kühner Ketzergeist,
Den die Kirche stets verdammte, den sie Sohn des Teufels heisst,
Ueberliefert römischen Schergen von der kaiserlichen Macht;
Denn es hat’s der Hohenstaufe bis zum Büttel Roms gebracht.
Und so ist er unterlegen als ein überschlauer Thor,
Der den besten Freund sich raubte in dem Kampfe mit Gregor. ALBERT MATTHAEI.
war eine zärtlich ängstliche Frage. - Bist Fleisch Johann! Wenn Sie so anfangen —“
Das junge Paar
am See hatte welche
bezogen, die kleine Villa
Melanie’s du es denn noch? — Dann irrte ihr sprach er bei Seite zu dem Diener.
Eltern gehörte. — Hochzeitsreise feuchter Blick im Zimmer umher, blieb ,Jetzt sässen wir in einem langweiligen
Geschmacklosigkeit. — Ein glorreicher an der Uhr mit dem gelben Hermes auf Hotelzimmer, in Salzburg, oder irgendwo “
Morgen. — Im Garten lockeres Leben, in dem Emailgehäuse haften, an den alten „Und doch — Franz —“ Melanie nestel-
allen Büschen, auf allen Zweigen, Knospen- Kupfern. Seid ihr es denn noch? An dem te an ihren Spitzen, „so ganz unberechtigt
sprengen und Duften. Bilde der Mutter, bist Du es denn noch ? — der Uebergang ist so unvermittelt,
Im gelben Zimmer, mit der Flügel- Dann trat sie unter die Garienthüre, und gerade das Bekannte ringsum — ich
thüre in’s Freie, war das Frühstück gedeckt, umwogt vom jungen Lichte. Die Ver- dächte, das Fremde, das keine Seele hat
das erste Frühstück! Goldiger Honig, ein stecke der Kindheit, der kleine Pavillon, für uns — es würde mich weniger —
Butterwecklein auf frischen Blättern, Zwie- der Apfelbaum, den sie selbst gepflegt, das Franz —“ Sie legte erregt den Arm um
back und Hörnchen. Lieber der Spiritus- Staarenhaus, — seid ihr es denn noch? — den Nacken des Gatten. „Nicht wahr, um
flamme brodelte das Theewasser. Da brach sie in Schluchzen aus und in den sich das zu sein, was wir uns jetzt sind
Das Tischtuch war mit gelbem Dessin nassen Augen zitterte der herrliche Morgen. — muss man sich unendlich lieben?“
durchwirkt, in Liebereinstimmung mit dem Die Thüre ging — rasch drückte sie „Thun wir ja, mein Liebling, und ob
ganzen Ton des Raumes. In der einen, das Taschentuch vor, — wendete sich — wir’s thuen. — Du bist so erregt, in die-
kunstvoll aufgestellten Serviette stak eine ihr Gatte. — ser idyllischen Ruhe. — Begreife Dich
Theerosenknospe, welche vom Früh- „Thränen, Melanie, heute?“ gar nicht. — Gieb mir einen Kuss! So,
sonnenscheine getroffen, leise sich öffnete Er strahlte in Gesundheit und Kraft, und jetzt lass’ Dir’s schmecken!“
und Ruck auf Ruck das Köpfchen senkte. keine Spur von Befangenheit, nur Behagen. Franz kaute mit aller Ruhe. Für Me-
Ein Diener rückte an Allem und Jedem. Sein Blick schweifte über den Frühstücks- lanie war er ein Räthsel.
Er kannte sichtlich noch nicht die kleinen tisch. Er rieb sich die Hände. „Wo hat Er war derselbe geblieben, kein leises
Gewohnheiten der Herrschaften. Als er denn der Kerl das Fleisch — ?“ Wölkchen trübte seine Seele, nichts zitterte
die Serviette mit dem Röschen berührte, Melanie sah ihn starr an. Ist es denn in ihm nach. Wie war es nur möglich?
fiel ein Blatt auf den Teller. möglich? In diesem Augenblicke, den Und sie in ihrem Innersten verkehrt, ein
Die Thüre ging. — Melanie trat ein, sie so sehr gefürchtet. völlig neues Wesen. Das war ihr unheim-
lr> cremefarbigem Negligee. „Du isst doch auch etwas Fleisch zum lich. Das grosse Geheimniss, das ihre
Sie stutzte, als sie den Diener erblickte. Thee?“ Mädchenseele schon so beunruhigte, das
Er war der erste Mann, den sie sah — ivja — ja — wenn Du meinst —“ die ganze Welt durchdrang, das die Mutter
als Frau. Sie hatte eine unangenehme ”,Also!“ — Er läutete. so sorgsam bewahrte, bis zum letzten Augen-
Ernpfindung. Man soll keine fremden Ge- „Guten Morgen, Melanie!“ Er küsste blicke, es war noch immer nicht enthüllt,
wehter sehen an solchem Morgen. sie auf den Mund und sah sie sonderbar es drängte sich von Neuem zwischen sie
Der Bursche zog sich mit einer tiefen an, mit seinen grossen schwarzen Augen. und ihren Gatten. Das durfte nicht sein.
Verbeugung zurück, nicht ohne einen Sie musste den Blick davor senken. Sie dürstete nach Klarheit.
frechen Seitenblick, wie sie sich einbildete. Nur ein Wort, das die Kluft nothdürf- „Warum isst Du denn nicht, Melanie?“
Melanie trat hastig vor den Wandspiegel tig überbrückt’, zwischen heut und gestern. „Sage mir nur Eines, Franz. Siehst Du
ganz nahe. Ihr Antlitz war tief geröthet „Ein Prachtmorgen, was? War doch die Welt noch mit denselben Augen, wie
aus Verdruss über den Bedienten. eine gute Idee von Papa! So, in Deinem gestern?“
Aus Verdruss? — Da erröthete sie eigenen Heim, in dem Dir alles von Deiner „Viel schöner, mein Kind, viel schöner
n°ch tiefer. Melanie — Melanie? — Es Kindheit erzählt, jeder Gegenstand — Das natürlich. Du nicht?“
„Doch — auch aber, — wie soll ich „Aber, Kind, ich bin ein reifer Mann, „Lass’ sie doch,“ meinte Melanie und
Dir das nur erklären ? Nicht mehr so unbe- der mitten im Leben steht. Du warst gestern stiess sie mit der Fussspitze weg. „Wir
fangen. Der Gesang der Vögel, die Blüthen, noch ein unerfahrenes Mädchen, die Toch- holen uns eine aufgeblühte im Treibhause.“
der Duft, die Blumen, all’ das ist nicht ter Deiner Mutter. Den Unterschied musst Sie schritten dupch den Garten, dicht
mehr das für mich, was es gestern war —" Du doch begreifen, — wenn wir schon ein- aneinander geschmiegt.
„Und was ist denn dann so Furchtbares mal —“ Melanie musste lachen, es war wirklich
geschehen seit gestern?“ fragte Franz, ein Melanie drehte die Rosenknospe zwi- Alles beim Alten. Die Verstecke, der Pa-
Honigbrod aufstreichend. schen ihren schlanken Fingern. villon, der Apfelbaum, das Rindenhäus-
Melanie gab es einen Stich, mitten durch „Ich begreife ihn nicht,“ sagte sie ge- chen — nur konnte sie nicht begreifen,
das Herz. — Das war die Lösung. — dankenverloren vor sich hinstarrend, „und wie man sein Herz hängen konnte an solche
„Franz!“ doch,wenn ich ihn gestern begriffen hätte—“ Dinge. Das kam eben auch von dem thör-
Was lag nicht alles in diesem Tone, — Sie liess die Knospe fallen und bedeckte ichten „Hineingeheimnissen“. Franz küsste
die ganze Leidensgeschichte des Weibes. ihr Antlitz mit beiden Händen. jeden ihrer Finger, die zarten goldigen
„Aber Kind, davon spricht man doch Franz legte den Arm um ihre Hüfte und Härchen im Nacken. Er lachte und scherzte
nicht —“ zog sie sanft an sich. wie ein Kind.
Er sah sie fast unwillig an und erröthete „Närrchen, nimm’ es nicht so tragisch Nur nichts tragisch nehmen, am aller-
stark, während auf Melanie’s jetzt bleichem — und nicht zu viel Hineingeheimnissen wenigsten den ersten schönen Morgen!
Antlitz keine Spur von Farbe erschien. in so klare Dinge. Es kommt nichts dabei Als Franz die junge Frau wieder in
heraus und stört nur ein freies Gemessen.“ seine Arme schloss, erwiderte sie seine
Das Unbehagen war jetzt an ihm und
Da nahm sie das Taschentuch von den Zärtlichkeit.
das Räthsellösen.
„Auch die Ehe darf den Schleier nicht verweinten Augen, in denen sonderbare Zwei Jahre darauf ging Franz am Stock,
völlig lüften, der über gewisse Dinge wohl- Lichter spielten. „Ich glaube, Du hast allein, eine Pistolenkugel hatte ihm das
weislich gebreitet. Erst recht nicht —“ recht und ich will Dir folgen.“ Hüftgelenk zerschmettert.
Als sie sich erhoben, um in den Garten
Er sprach es in verweisendem Tone. Nachdem er Alles »herausgeheimnisst«
„Du hast ihn eben gelüftet, mit Deiner zu gehen, bückte sich Franz nach der aus seiner Ehe, wurde sie Melanie zu
Rosenknospe, die auf dem Boden lag. Sie
Frage; mehr, — zerrissen hast Du ihn.“ langweilig und sie wollte sich das „freie
war völlig entblättert.
„Melanie! Welche Frage?“ Gemessen“, das er ihr als des Lebens
„Was ist denn so Furchtbares geschehen, Kern gepredigt, nicht stören lassen.
seit gestern? — Für Dich nichts, — für
mich Alles.“
Brave Buben
Sprüche der Weisheit Zieht meinetwegen folgsame Kinder,
Es ist eine alte Erfahrung, Ihr Mütter, für die Kinderstuben, —
Dass der am weisesten räth, Aber erzieht um’s Himmelswillen
Der in dem eigenen Leben Für’s Leben keine „braven Buben“!
ROBERT OECHSLER.
Die dümmsten Streiche begeht.
26S
Nr. 17 - JUGEND - 1896
*70
1896 JUGEND Nr. 17
271
Nr. 17 JUGEND 1896
Wir sind sehr moralisch auf dem Ich kenne Fälle, wo man Einem, der
Mars. So schön wir auch gebaut sind, gut kriechen konnte, sogar sein Talent
verfolgen wir die Darstellung des verziehen hat.
Nackten mit unerbittlicher Strenge. CO
Alle Brunnenbuberln haben bei uns Bankier X..r. fiat sich eine Villa am
Feigenblätter, Jedes sogar zwei! Auch Comersee gekauft. Der Nationalwohl-
die ganz kleinen Kinder kommen schon
stand hebt sich.
mit ganz kleinen Feigenblättern auf die
Welt. SC
Die Ankunft Euerer Botschaft auf So mancher Ordensjäger verdiente
dem Mars hat viel Aufsehen gemacht. ein hänfenes Halsband.
Das zeigt Euch schon unser Bild. Leider CO
hat das leitende Organ unserer Regier- Um den Diebstahl in gesetzliche
ungspartei „Das Ferkel“, die „Jugend“ Formen zu bringen, erfand man die
sofort wegen verschiedener Linsen- Börsengesetzgebung.
losigkeiten denunzirt und das Blatt ist CO
bereits verboten.
Einige haben auf Barrikaden die
Schreiber dieses ist Euch aber wohl-
Freiheit gesucht und ein Portefeuille
geneigt und gibt Euch einen guten gefunden.
Rath: Lasst doch für unsern Ober-
sittenrichter,dessen Adresse ich beilege, GO
hie und da eine wirklich pikante Num- Für Geld kann man bekanntlich Alles
mer drucken und schickt sie ihm unter kaufen. Am billigsten den ehrlichen
Couvert. So was hat er gerne. Ihr Namen.
könnt da recht weit gehen. Dann gibt CO
er das Blatt auch der Oeffentlichkeit Wenn das Gold noch so schmutzig
wieder frei.
erworben wurde, — es glänzt doch
Also lebt wohl und schiesst bald immer.
wieder! Dann sende ich Euch neuen
WIEN. LUDWIG BAUER.
Bericht über die Marsverhältnisse, über
unser Militär, unsere Frauen, unsere
Politik und so weiter. Ihr könnt da
Manches von uns lernen, denn wir sind,
wie gesagt, in Vielem weiter als Ihr.
Euer wohlaffektionirter Nachtstück
Nikodemus Dreibein,
Marsbewohner. Als Du in meinen Armen lagst,
P. 8. Der Mann mit dem Dackel Von Sehnsucht überwunden,
(prämiirte Rasse) und dem langen Zopf Da glaubt’ im Stillen ich zu Gott,
auf dem Bilde bin ich. Der Zopf ist Dass ich mein Glück gefunden.
mein Gradabzeichen als wirklicher Ge-
heimrath. Die Landschaft schwamm im Monden-
licht;
Beim wilden Küssetauschen
Begann das silberschwere Laub
Tagebuchblätter Zu flüstern und zu rauschen.
eines aktiven Politikers
Und wie ich nochmals dich umfing
Wenn ein Geldsack noch so voll Und Deinen Hauch verspürte,
ist, so viel Platz ist immer noch frei, Kam’s über mich wie Geisterhand,
dass man die „öffentliche Meinung“ in Die leis’ an’s Herz mir rührte.
ihn hineinstecken kann.
©0 Und wie ich Dir in’s Auge sah
Keine verlässlicheren Stufen gibt Und auf die blassen Wangen,
es auf der Leiter des Erfolges als die War insgeheim in meiner Brust
Leiber verunglückter Vorgänger. Ein Zauber vorgegangen:
CO
Eine Parlamentsmajorität ist im Dass meine Küsse — süsses
Wesentlichen eine reine Geldfrage. Und Grau’n! —
die paar, die man nicht gegen materi- Nun einer andern galten,
elle Interessen erhalten kann, gewinnt Die all’ mein Denken an sich zog
man durch ihre Eitelkeit. Mit himmlischen Gewalten.
CO
Eine geschlagene Oppositionspartei Was ich in meinen Armen hielt
ist in der Regel zu Ausverkaufspreisen Im Laubversteck der Eiche,
zu haben. Warst nicht mehr Du, betrog’nes Kind,
War eine weisse Leiche.
ALFRED BEETSCHEN.
272
1896
JUGEND Nr. 17
Im Wirthshaus „zum goldenen Himmelbrand“ Der Wirth hat ein liebliches Mägdelein,
Da hängt eine Tafel an der Wand. Das küsst’ ich, weil es so hold und fein.
O Tafel, schwarze Tafel! O Mägdlein, feines Mägdlein!
Drauf stehen viel Strichlein schön gereiht, Das merkte der Alte, das war ihm nicht recht,
Davon mein eigener Name nicht weit. Er ging hinaus, und herein kam der Knecht. —
O Kreide, weisse Kreide! O Hausknecht, gemeiner Hausknecht!
Die Wirthin, das ist eine gute Frau; Nun sitz’ ich im Trocknen — o grausam Geschick! —
Gibt Manchem zu trinken und nimmt’s nicht genau, Und denk’ an die fröhlichen Zeiten zurück.
O Wirthin, gute Wirthin! O Zeiten, fröhliche Zeiten! —
Der Brandwirth jedoch ist ein schäbiger Lump, Ohne Bier, ohne Liebe! . . . Mein Herz klopft so bang;
Er reicht nicht einen Becher auf Pump. Mir schwant, es dauert mit mir nimmer lang —
O Brandwirth, schäbiger Brandwirth! O Ende, trauriges Ende! liber....
27;
Nr. 17 JUGEND 1896
274
1896 JUGEND Nr. 17
Lungenleiden eklatante Erfolge bei einem infolge chronischen Bronchialkatarrhs mit schlimmsten
Erscheinungen ganz herabgekommenen 58jährigen Manne, der jetzt nach -1 Wochen
fast nicht mehr hustet und wieder frische Gesichtsfarbe bekam“.
Herr Sanitätsrat Dr. med. Nicolai in Greussen (Thüringen): „Ich kam.
Ihnen nur wiederholen, dass Ihr llaematogen speziell bei Lungensohwlnd-
süchtigen von ausgezeichnetem und Überraschendem Erfolge
war. Ich werde es gerne empfehlen, da die Empfehlung aus meiner vollen Ueber-
zeugung Btammt“.
ist konz.entrirtes, gereinigtes Haemoglobin (H. R. Rat. No. 81391). Haomoglobin
Dr. med. Hommel’s Haematogen ist die natürliche organische Eisen-Manganverbindung der Nahrungsmittel. Preis
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cliemiscli-pharmaceut.
[den Apotheken.
hltteratur Wenn nicht
mit hunderten von erhältlich,
ärztlichen directer Versandt
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franco. Nicolay & Co., Laboratorium, Hanau.
275
Inseraten-Annahme Insertions-Gebühren
durch alleAnnoncen-Expeditionen
sowie durch
G. Hirth’s Verlag in München
und Leipzig. JUGEND
Die „JUGEND“ erscheint allwöchentlich einmal. Bestellungen werden von allen Buch-
nnd Kunsthandlungen, sowie von allen Postämtern und Zeitungs-Expeditionen ent-
1896
Nr. 17
für die
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Mk. 3.—, Belgien 3 Pres. 61 cts., Dänemark 2 Kronen 69 Oere, Holland 1 fl. 95 ct., Italien
3 Pres. 88 cts., Oesterreich-Ungarn 1 fl. 90 kr., Rumänien 4 Pres. 20 cts., Schweden und
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/fz
{ Steinüacüer’s BAD BRUNNTHAL Vorzügliche
'Walter Crane
Forderungen der decorativen Kunst.
Autor. Uebersetzung. 214 8. 8°. Pr. 2 Mk.
Verlag von Georg Siemens in Berlin W. 30.
Sie werden es niemals Uebcrnahme von
Kunst auctionen
lernen jeder Art, ganzer Sammlungen sowohl
wie einzelner guter Stücke.
Hugo Helbing, München, Christophstr. 2
eine gute Tasse Kaffee herzustellen, falls Sie Vom Frühjahr ab eigene —«Äf*
neuerbaute Oberlichträume.
nicht Webers Garlsbader Kaffeegewürz dabei
verwenden.
278
g/ßM
M
Süsse Liebe liebt im Mai Das'Männchen war blond, Haar und Bart waren gebrannt,
parfümirt und frisirt. Auf dem Kopfe trug es ein Sammt-
Es war im Mai. barett mit wallender Straussenfeder, vor der Brust ein Spitzen-
Oder vielmehr: es wird im Mai sein, denn die Geschichte jabot, ein lang hinabwallender Rockschooss deckte die Glieder.
spielt im zwanzigsten Saeculum, genau hundert Jahre]nach dato. Das Weib hiess Eustachia, das Männchen Mucki.
Aber der Bequemlichkeit des Erzählens halber, wollen wir Eustachia fasste ihren Gefährten bei der Hand und sagte:
die Sache doch lieber im Imperfektum, Perfektum und nöthigen- „Es war sehr lieb von Ihnen, dass Sie gekommen sind,
falls im Plusquamperfectum vortragen. Also: Sie lieber schöner Mensch!“
Es war im Mai. Die Bäume grünten. Der Flieder blühte. Mucki flötete:
Der Bach murmelte. Die Nachtigall sang. Das Abendroth „Ach, wenn es nur Papa nicht erfährt! Er ist so strenge.“
flammte. Die Natur sah genau so aus, wie sie am schönsten Eustachia beruhigte ihn:
Abend des kommenden Mai im Jahre des Heils 1896 aussehen „Sie können an die Ehrlichkeit meiner Absichten glauben,
wird. Einen schönen Abend wird er ja doch haben, dieser Mai? holdes Männchen! Ach wenn Sie wüssten, wie ich den Augen-
Am Bach stand eine Weide und unter der Weide stand eine blick herbeigesehnt habe, wo ich sagen kann: Ich kann einen
Bank. Auf der Bank da sassen Zwei — süsse Liebe liebt im Mai! Mann ernähren! Jetzt endlich ist es so weit! Ich bin Bezirks-
Vergebung für diesen Reim! er ist das einzig Poetische, welches arztin geworden und habe gleichzeitig ein schönes Fixum als
in dieser wahrscheinlichen Geschichte Vorkommen soll! Redaktrice einer Fachzeitschrift für Embryologie “
Auf der Bank sassen Zwei, ein Mann und ein Mädchen. „Aber Fräulein Eustachia!“
Oder wie man im zwanzigsten Jahrhundert sagen wird, ein „Vergeben Sie! Ich wollte Ihr keusches Ohr nicht kränken!
Weib und ein Männchen. Ich wollte Ihnen nur sagen, dass Sie mir Ihr Schicksal ruhig
Das Weib war nicht mehr jung, aber noch in den besten anvertrauen können — oh Mucki, beglücken Sie mich mit
Mannesjahren. Ihr kurzgeschnittenes Haar deckte ein etwas einem Jawort!“
struppiger Cylinderhut. Mächtige Convexgläser funkelten vor „Oh Eustachia!“ hauchte Mucki, „Ihr Antrag ist mir sehr
ihren Augen. Das Gesicht war zwar farblos wie Leder, aber ehrenvoll und die Versorgung, die Sie mir bieten, ist glänzend.“
schmal und eckig. Ein gerade herunterhängendes Jacket deckt „Es versteht sich von selbst, dass Sie ein anständiges
die Taille, weite Pumphosen das Wenige, was an Beinen zu Cigarrettengeld zur Verfügung haben und Ihre Toiletten sollen
bedecken war. Ihrer Schönheit würdig sein —“
279
Nr. 18 JUGEND 1896
Immer süsser und holdseliger lächelte Mucki aber „Doch! den Hausschlüssel!“
er hätte kein Männchen sein müssen, hätte er sich nicht ,Nein, gewiss nicht!“
noch geziert: „Nun, was ist denn das?“ Er drückte heftig auf den
„Das ist ja Alles sehr lieb und gut gemeint, aber —" harten Gegenstand, der seine Wange ,beleidigt hatte. Sie
„Ich weiss sehr wohl, dass ich nicht hübsch und nicht schrie leicht auf.
mehr jung bin. Aber kommt es denn darauf an bei einer „Das ist meine sechste Rippe
Frau? Ich meine, wenn nur ihr Charakter gereift und zu- „Ach so! Verzeihen Sie. Aber was weiss ein unschuldiger
verlässig ist, das ist mehr werth als Reize, die so schnell Jüngling — ich dachte immer —“
verblühen!“ „Sie sind ein Kind, ein thörichtes Kind“, flötete sie.
Mucki machte ein furchtbar dummes Gesicht, was theils Wieder sassen sie eine Weile •still.
in seiner allgemeinen geistigen Beschaffenheit, theils in Er- Endlich rief sie ihn leise beim Namen.
wägungen und Betrachtungen des Augenblicks begründet war. „Mucki!“
Dann flötete er: „Eustachia!“
„Ich schätze Sie ja sehr hoch - aber bedenken Sie meine „Mucki — gewähren Sie mir den ersten Kuss.“
Jugend! Ich bin erst achtzehn.“ Verschämt reichte er ihr die Lippen.
Er log, denn er war vierundzwanzig. „Noch einen!“ bat sie.
„Ich bin achtundvierzig,“ sagte F.ustachia ehrlich. „Glau- „Nein,“ sagte er, „morgen Abend. Aber Sie müssen mir
ben Sie, dass Sie mit einer jungen Springinsfeldin, die mit etwas versprechen!“
Mühe und Noth ein paar Jahre älter ist, als Sie, glücklich „Was denn?“
werden würden? Meiner Treue sind Sie sicher. Nie wird „Dass Sie sich morgen Früh rasiren lassen!“
mein Herz einem Anderen gehören!“ „Holder Spötter!“
Sogar Mucki dachte sich was Ironisches bei dieser Be- Sie versprach es. Wieder sassen sie stumm. Eustachia
merkung; aber er sprach es nicht aus, theils aus männlichem holte endlich etwas aus der Hosentasche; ein rothes Saffian-
Zartgefühl, theils weil zwischen dem Finden und dem For- Etui. Sie legte es in Mucki’s Hände.
muliren eines Gedankens bei ihm noch ein weiter Weg lag. „Nimm dies kleine Zeichen meiner innigen Liebe!“
Das Weib fuhr fort: „Können Sie mich nicht lieben, Mucki?“ „Ach wie reizend! Wie entzückend! Dies Armband! Tür-
Erröthend senkte er das Köpfchen: kisen und Perlen! Ach, Du bist lieb! So was hab’ ich mir
„Ich achte Sie sehr hoch. Es muss unmenschlich schwer schon lange gewünscht. Der Mann der Rechtsanwaltin Meier
sein, Alles zu lernen, was Sie gelernt haben. Und Ihr weib- hat auch eins — aber es ist nicht so schön wie das. Wie der
lich sicheres Auftreten imponirt mir — ich glaube wohl, sich ärgern wird!“
dass ein Jüngling getrost sein Schicksal in Ihre Hände legen, Er streifte das Armband entzückt über die Hand und
sein Haupt an Ihrem Herzen betten kann —“ freute sich, wie der erste Strahl des Mondes, der eben auf-
„Oh betten Sie!“ drängte Eustachia. gegangen war, auf den Steinen blitzte.
Er bettete es. Zärtlich strich sie über seine duftenden und Dann neigte er sein schönes Haupt wieder zur Brust der
wohlgepflegten Locken und bemerkte nicht, dass er dabei selbst Geliebten hin und flüsterte: „Eustachia, ich liebe Dich!“
ängstlich die Hand auf sein Haupt drückte. Die Locken
waren nämlich falsch und_es hätte entschieden die Stimmung
des Augenblicks verdorben, wären sie jetzt locker geworden.
„Oh Mucki! Sie wollen mein eigen sein?“
„Sprechen Sie mit meinem Papa!“
Die Nachtigall schlug in den Büschen.
„Lusciola Philomela“, sagte schwärmerisch das Weib.
„Was heisst das — ich kann nicht englisch“, meinte Mucki.
Süsses, dummes Männchen!“ Er war entzückend in seiner
Naivität. „Es ist die Nachtigall, meinte ich.“
„Nicht die Lerche?“ — Mit diesem schelmischen Scherz-
wort, das zugleich seine feine Erziehung erwies, schmiegte
er sein Köpfchen wieder an ihre Brust. Plötzlich fuhr er
empor: „Was haben Sie da in Ihrer Brusttasche?“
„Nichts“, sagte sie.
„Oh doch! Etwas Hartes! Warum streiten Sie mir das ab?“
„Aber ich habe gewiss nichts in meiner Brusttasche.“
280
Das Urtheil des Paris
Nr. 18 JUGEND 1896
An die Tugendsamen
Beim Sonnenuntergang Selbst die prüdeste Miss auf Erden
Der Föhn
Zerrissene Wolken goldbeglänzt Weiss dass die Kinder — geboren werden. Tiefgrün rollt heran und brausend
Am Abendhimmel blinken; DL Wog’ um Woge vor dem Föhn,
Der Sonne Widerschein verräth, Antwort geben Wipfel sausend
Dass fern sie im Versinken- Auf den Tod Von den dunklen Tannenhöh’n.
eines Theater-Intendanten
So ist die Sonne meines Glücks, So bitterlich weinen die Ballerinen, Schiffe, selbst die grössten, schwanken,
Erwartet endlos lange, Als war’ jetzt verwittwet jedwede von ihnen. Und es stürzt manch’ alter Baum,
— Nach herbsttagkurzem Leuchten nur — DO Von der Mauer Epheuranken
Auch schon im Niedergange!... Verdienst Sprüht der Brandung weisser Schaum.
Hoch über mir, im öden Wald, Wie er zu einem Orden gekommen? Föhn, den Schall entfernter Glocken
Mit schwerem Flügelwehen Er hatihn zugleich mit der Frau genommen. Trägst Du her an unsern Strand,
Zieht unheilkündend eine Schaar DL Kosend fängst Du Jugendlocken,
Blauschwarzer Rabenkrähen. Der Sprosse Blumen und ein flatternd Band!
Verdienter Vorfahren einziger Sohn! HERMANN LINGG.
Ich hör’ ihr Krächzen: „Grr-ab... Zum Vater selbst kam er durch Protektion.
Grr-ab ... Grr-ab!“
Wie eine Mahnung schallen, DO
Indes von dürren Aesten rings Recept Lebenssprüche
Die letzten Blätter fallen. Ihr Leiden bessert sich wesentlich,
MAXIMILIAN BERN. von Julius Lohmeyer
Sie nimmt statt der Arznei den Arzt zu sich.
Herrschen bleibt ein Recht
SO Der Seelen nur und Geister:
Beruhigung Gold sei Euer Knecht,
Kukuk Ein Trunkener tobt. Nicht Euer Herr und Meister.
Steht die schöne Frau am Fenster, Gott sei gelobt, L©
Spielt mit ihrem Ringelein, Der Alkohol Ein jeder Prasser
Dreht es um den schlanken Finger, Ist Monopol. Wird zum Verbrecher:
Schaut gedankenvoll darein. SO Er zeugt die Hasser,
Klage Er ruft die Rächer.
Und wie sich das Ringlein windet, . ö©
Schleichen sich durch ihren Sinn Er geht zu Gericht sich beschweren;
Sie will ihn nicht länger ernähren, m. sch. Nicht Nothgesetze, nicht Schlummerlieder,
Tausend gleissende Gedanken,
Nicht Staatsdecrete heilen die Zeit,
Wie ein güld’nes Schlänglein hin. Es heilen den Wahn verirrter Brüder
Plötzlich durch die schwüle Stille Nur Liebesthat und Gerechtigkeit.
Klingt’s herüber von dem Flur, L©
Einmal, zweimal, dreimal: Kukuk. Ich lasse mir die grosse Zeit nicht schelten;
Ruft die alte Kukuksuhr. Was sie uns raubt, das werden wir
verschmerzen;
Und die Fraue senkt die Wimper, Sie rüttelt mächtig an der Menschen Herzen
Neigt das schöne Haupt und lacht, Und dient der Wahrheit, — darum wird
Führt das Ringlein an die Lippen — sie gelten.
Uhr, das hast du gut gemacht, h. freise.
282
Südwärts über die Berge geschritten
Kommt der Frühling, Veilchen im Haar.
Länger nicht hat es ihn träumend gelitten.
All' unser Klagen und Sehnen und Bitten
Zaubert ein neues Blüthenjahr-.
' Aebcr das modernde, graue Gefilde
Schreiten die Stapfen des Lebens hin.
Splitternde Schwerter, brechende Schilde —
Blumen und Hoffnung und Glauben und Milde
Streut uns Jugend, die Trösterin.
Ueber das Sterbende, über das Todte
Schlägt sie den schimmernden Schleier des Lichts.
Flügel schweben im Morgenrothe
Ueber die ächzende, kranke, verrohte,
Untergangsmüde Welt des Gerichts.
Aus den verschattetsten Winkeln und Ecken
Brechen die Blumen der Zukunft hervor.
Rosiger Glieder Dehnen und Strecken,
Mandelblüthen an dürren Stecken,
Aus dem verderben leuchtender Flor!
Jugend, Dir ruf' ich die jubelnden Grütze
Meiner unsterblichen Hoffnung in's Herz!
Halt Dein Panier, Du tapfere, sütze,
Lenk' Deine wanderlustigen Fütze
Singend nur sonnenwärts!
Nicht aus gleitzenden Gläsern und Flaschen
Trinkst Du, Heilige, Freude^zum Licht.
Latz' die Verlorenen Schatten Haschen,
Latz' sie die Häupter bestreuen mit Aschen, —
Veilchen beschatten Dein Angesicht.
Maurice von Stern.
•A
283
Für weiss-gelb-weiss in Kampf und Tod zu gelin!“
Silentium! Wir präpariren den Cantus: „Den Burschen reisst es fort mit Sturmesweh’n,
Zeichnung von R. Wilke,
Nr. 18 JUGEND 1896
Regnen .... nichts gethan, sie ist nur schöner geworden, eine kleine
liebe Frau ist sie, die nicht umsonst auf der Welt ist. Sie
Der Abend kam und es regnete noch immer. Es hatte schluchzte und weinte in sich hinein. Das schlechte Wetter
den ganzen Tag schon geregnet. Immer nur in feinen dünnen war schuld. Jetzt wird er natürlich wieder allein fortgehen
Schnüren, aber es war trostlos. Eine endlose Langweile legte sich und sie muss zu Hause bleiben. Es war abscheulich lang-
über alle Dinge, nicht als ob sie anders geworden wären, aber weilig, die glitzernden Abenteuer der Liebe fehlten, alles ging
weil man nicht wusste, was man mit ihnen anfangen sollte. den einen Weg und die letzten Zauber verloren sich.
Karla sass im dunklen Zimmer und träumte. Sie fühlte Fred war eingetreten. Sie rührte sich nicht, als ob sie
sich sehr einsam und der Regen machte sie traurig. Fred nichts gehört hätte. Sie erhoffte einen diebischen Kuss.
arbeitete im andern Zimmer und nur wenig kam er zu ihr Aber es war nichts.
herüber. Er schien sie nicht mehr zu kennen. Oh wo waren „Guten Abend, Schatz!“ sagte er. Das war alles. Dann
die schönen Abende des vorigen Winters, des ersten Winters gähnte er noch.
ihrer ersten Ehe! Und dann die innigen verschämten Tage „Du bist wohl müde?“ kam es zornig.
des neuen Frühlings, wo sie jubelnd durch die Gassen der „Verzeihe, ich habe gearbeitet. Auch meine Stimmung
Vorstadt hinaus mit Tausenden in’s Freie zogen. Jetzt aber ist weg. Das ewige Regnen . . Ich werd’ noch ein Narr . .
war Fred schläfrig und mürrisch, wenn sie um einen Gang man hat gar nichts mehr vom Leben. Ich werde jetzt in
in die lieben alten Gassen bettelte, in denen sie Schutz den Club gehen, man muss sich aufheitern.“
ihrer zagen Liebe einst gefunden. Und er wollte auch nicht Sie sagte kein Wort. Er ging wieder in das andere
auf den Corso, die Leute genirten ihn so sehr und sie müsste Zimmer und holte seinen Rock. Als Fred wieder zurück-
doch endlich auch das Haus lieben lernen. kam, war Licht in ihrem Zimmer. Karla hatte schon einen
Ein leichter Schauer überkam sie. Es steckte noch immer Hut auf und suchte emsig unter den Handschuhen.
der erste Walzer in ihr, den sie mit ihm in den Sophien- „Du gehst fort bei dem Wetter?!“ frug er erstaunt.
sälen getanzt hatte. Und dann dachte sie an die ewige Auf- „Ja, glaubst Du, ich bleib’ so lang allein! Ich geh’ zur
regung, an die verbotenen Briefe und die grosse Seligkeit Kathi, die den . . .“
erster heimlicher Gänge. Wie sie oft mit ihm unter die „Ich weiss, die den herzigen Buben hat . . . Glück auf
Hausthore wischte und zitterte, wie sie den Schleier doppelt den Weg! Leb wohl!“
nahm, doch entdeckt wurde und schliesslich den lieben Fred Sie sah ihm bös nach; hätte er nicht besser mit ihr
bekam. Sie wäre ja sonst gestorben und da war doch schade! spazieren gehen können?
Und er? Ja, er hatte sich ganz verändert. Früher voll Langsam und etwas gebeugt stieg der junge Mann die
Eifer und mit dem schönen Muthe eines Kriegers fast, der Treppe hinunter. Seine Lippen waren krampfhaft aufeinander-
um seine Fahne kämpft, immer zärtlich und werbend um gebissen und er ärgerte sich. Er wusste ja, sie that ihm’s
sie, der schnelle Sklave ihrer Wünsche, Hess er sie jetzt, da zu Fleiss, dieses launische, mürrische ... hübsche Geschöpf.
er sie hatte, allein laufen. Früher ging er, wenn sie mit Hübsch war sie ja. Na ja, andere auch. Was sie eigentlich
der Köchin auf den Markt schaute, gleich mit, weil das Bureau jetzt nur hatte! Und hätte sie ihn nicht bei diesem Wetter
auf dem Wege lag. Das war doch ein Stolz und die Leute zurückhalten können? Aber immer diese Kathi, die den
sahen auf das Paar. Das war nun alles vorbei und sie durfte herzigen Buben hat! Zaubern kann er auch nicht. Immer
allein gehen. Wie das bitter war! Und sie hat ihm gar spielen, sie kennt keinen Ernst.
286
1896 JUGEND Nr. 18
Immer mehr schmähte er Karla. Schon rannte er die
Leute auf der Gasse an und manches Schimpfwort flog. Ja,
wohin wollte er eigentlich. In den Club? Das war schon
das Allerlangweiligste. Ewig Kartenspielen und schlechte
Witze ... Er lief noch ein wenig durch die Gassen, indess
ihn der Regen nässte und landete endlich in einem Kaffee-
haus. Aber er sah nicht in die Zeitung, trank nicht den
Schwarzen.
Ja, so geht es. Jetzt sitzt er da, allein, in diesem Dampf,
unter den Unbekannten wie als Junggeselle. Und er hat
doch ein Heim und ein liebes . . ein Weib. Ja, das Weib!
Das war jetzt ganz anders. Oh dieser süsse Winter, wo
keines das andere nur eine Minute lassen wollte, wo sie bei
der Thür schon wartete, wenn er kam. Und dann der Früh-
ling, als ob die Romantik nie enden wollte! Es war alles
wie ein vergessener Duft, der nun doppelt stark die Sinne
umfloss, da er hervorbrach. Er dachte an einen schönen
Kamin mit hellem Feuer, sie aber wollte in der Kälte spa-
ziren gehen. Wenn er sie zu Hause haben wollte, wurde
sie langweilig. Und war sie nicht früher in seinem Zimmer,
wenn er arbeitete? Jetzt war er allein. Wie hatte er heute,
als er in’s Zimmer trat, gewartet, dass sie ihm entgegen-
kommen und ihn küssen werde. Aber nichts von dem. Sie
verstanden sich nicht mehr oder es war die Trübsal des Wet-
ters schuld.
Er wischte den Thau von dem Fenster weg und blickte
hinaus. Wenige gingen draussen. Ein paar Geschäftsleute,
eilige Dienstmänner und noch flinkere Modistinnen, die heim-
zogen und fröhlich durch die Lachen patschten. Melancho-
lisch sah er manchem zierlichen Füsschen nach, das sich
vom Dunkel geschützt glaubte. Und sinnend blieben auch
draussen manche Herren stehen und blickten nach den
Schritten der Eilenden.
Fred rief den Kellner und zahlte. Ein Geist des Ueber-
muths war über ihn gekommen und er pfiff leise vor sich
hin. Er dachte an seine letzte freie Jugend, an die letzten
dummen Streiche und an manches süsse Mädel. Es waren
lauter Episoden, flüchtig wie der Tag. Und schliesslich, was
war Karla eigentlich, nur eine längere. Ja, und hatte er nicht
soviel gehalten, warum gab sie sich nicht auch ein kleines
bischen Mühe um ihn? Jetzt war sie so langweilig und wie
entzückend hatte sie Walzer getanzt. Es musste wieder irgend
ein Abenteuer in ihre Liebe kommen.
Die kleinen verwaschenen Häuser der Vorstadt zogen
vorüber, bunte Vorhänge leuchteten in die Nacht und verhüllten
Abenteuer. Und wie oft waren er und seine Freunde da durch-
gelaufen, während würdige Bürger den Studentenunfug an-
brummten. Das gab es jetzt nicht mehr.
Und plötzlich, da vor ihm trippelte es in kurzen, schnellen
und stechenden Schritten. Es war ein Mädel. Freilich zogen
sich Nebel, aber Fred sah ihre Eleganz und Anmuth. Wie
unwillkürlich lief er nach. In weichen Rhythmen wuchs ihr
Leib und ein leises Parfüm zog nach. Sie war schlank und
doch von Fülle, seine Art. Das liebte er. Und wie in alten
Tagen, aber nur unbewusster, folgte er unermüdlich. Sie
hatte einen Schleier, auch konnte er nicht recht vor, denn
sie ging sehr schnell- Ein bischen bekannt kam sie ihm vor,
einmal hatte sie sich flüchtig umgesehen. Ob das ihm galt?
Aber etwas war ein gütiges Zeichen. Sie raffte sehr un-
bekümmert den Rock und aus der Wolke von Spitzchen glitt
ein kleiner netter Fuss in schwarzer Seide. Das war das Sug-
gestive und es gab nur ein blindes Gehorchen. Und so lief
er durch die Gassen wie nach dem rollenden Glück und hörte
und sah nichts. Aber er war so fröhlich wie nie und brummte
einen Vers:
... lorsqu’on voit le pied, la jambe se devine.
Et tout le monde sait qu’elle a le pied charmant.
Hm, vielleicht war sie doch eine Frau! Und wer war denn
der Glückliche, Gemahl oder Liebhaber, wer hatte das Recht?!
Das war noch nicht so sicher. Entschieden war sie sehr lieb.
Uebrigens man konnte ja sehen... Das konnte noch eine ver-
gnügliche Geschichte geben, die seine Langeweile kürzte. Und
Gezeichnet von Reznicek.
287
Nr. IS t
JUGEND * 1896
er dachte nun an lustige Abende, aber wo waren die alle, die Und die (Englein rief er vom pimmelszelt
sie mitgemacht! Das war auch gleich, eilig folgte er der lock- Und zeigte ihnen die junge Welt.
enden Spur. Sie sahen darein mit klugem Blick
Die junge Dame öffnete plötzlich das Thor eines Hauses Und lobten des Meisters Schöpfergeschick
und trat ein. Er that dasselbe. Und wer hätte es denn nicht
Und sie sahen die nackenden Menschen dorten,
thun sollen? Den Muthigen gehört die Welt. Er gönnte es
übrigens dem andern. Warum gab er nicht besser auf sein Doch Reiner von ihnen ist schamrotst geworden:
Kleinod acht, warum hütete er nicht? Dem geschah nur Grad so, wie er war, so ganz ohne — ohne,
Recht. Jawohl, da war kein Zweifel. Schien ihnen der Mensch der Schöpfung Krone,
Die Stiege kam ihm bekannt vor, aber er sah nur sie Sie guckten mit lachenden Augen drein,.
vor ihm, nur sie... Mit keiner Bewegung hatte die Dame Denn ihnen, den Reine», war Alles rein!
sich sein Folgen verbeten. Endlich hörte er sie bei einer
Thür klingeln. Er ging langsamer. Die Thür öffnete sich
und sie wandte sich um... Du lieber Gott! Wie die Welt jtd; drehtI
„Lassen Sie gleich offen, Fanny, der Herr kommt auch!“ Wie der Sinn sich ändert, die Zeit vergeht!
„Je, der gnä’ Herr! Na ja, das schlechte Wetter....“ Don (Eden sind wir nun weit entfernt,
Fred fuhr aus seinen Träumen, es war Karla, es war Der Mensch hat die Sünde kennen gelernt,
seine Wohnung! Donnerwetter! So blind und verrannt! — Und vielfach über sie uachgedacht
Er hat trotzdem keinen üblen Geschmack, schau, den hat Und sich daraus ein System gemacht,
er nicht und er hat eine entzückende Frau. Schweigend legten Das ihm Alles vergiftet und Alles vergällt,
beide ihre Sachen im Zimmer ab. Oh Fred tobte im Innern Und Alles verwirrt hat in Leben und Welt,
fürchterlich und er nannte sich. Er hat sich ja selbst Den Blick ihm getrübt und den Sinn verkehrt,
den Schaden gegönnt. Wie wenn jetzt ein anderer, dieses
Und des Schöpfers herrlichstes Werk entehrt.
Kleinod, das ja ihm... Und sie, wenn sie_Es presste et-
was sein Herz. Da gibt's nun besondere Spezialisten —
„Du Karla, aber ich glaubte ...“ (Es gibt sie bei Inden, Türken und Thristen —,
„Ja, und ich meinte, Du wärst im Club?!“ Die sehen auf (Erden kein Ding mehr rein,
„Hm. Und ich, Du wärst bei der Kathi....“ Fällt ihnen sofort was Sündhaftes ein,
„Hm.“ — Und sie zupfte an den Handschuhen und sah Und überall wittern sie Krankheit und Gift,
ihn mit den grossen Augen an. Ihr Blick macht schmutzig, was er trifft,
„Karla, Du bist aber schon reizend ...“ Der (Quell wird trübe, daraus sie getrunken,
„Ja, Du bist mir ja auch eine halbe Stunde nachgelaufen...“ Sie wähnen fid; tief schon und tiefst versunken
„Karla!“ - Es ist der altejubel aus der Tiefe des Herzens. -
Die Tropfen schlagen noch immer an die Fenster und ein I», Sündenpsuhl und in pöllenslamme»,
lustiges Feuer beginnt im Kamin empor zu lecken. Fred hält Sie jammern und winseln und schaudern znsammen
Karla bei der Hand und er weiss nur vorläufig das eine, an Und säsimpfen und toben und schreien und wettern
einem Regentag darf sie nicht mehr ohne ihn fort. Es könnten Rack) der Polizei und nach Feigenblättern,
mehr einen guten Geschmack haben.... Wenn ihnen lebendig entgegenquillt
GUSTAV GUGITZ. Der Jugend unverhülltes Bild,
In sieghafter Schönheit, hold und gesund
Mit lackenden Augen und rothem Mund! —
perr, geh' mit dem Volk nicht in's Gericht!
Die armen Kranken, sie wissen es nicht,
Daß man an der Nacktheit von Weib und Mann
And) bessere Freude haben kann,
Als die traurigen Kerle sie selber fühlten,
Als vor dem letzten Schöpfungstag Die mit Behagen im Schlamme wühlten,
Das fertige Werk vor dem Herrgott lag, wenn's nur der perr Nachbar nicht wissen möcht'.
Und er sah das Land und das blaue Neer Sie suchen im Nackten das nackte Geschlecht
Und oben der Sonnen kreisendes Peer Und denken, es denke sich Jeder dann,
Und unten der Blumen duftige Zier, was sie fid; denke», schauen sie's an.
Und das taufendgestaltige, bunte Gethier, In Wahrheit madft's ihnen großes Vergnügen,
Das die welle, die Luft uud die (Erde trug — Doch heißt sie ihr Handwerk auch hier wieder lügen.
War s dem Schöpfer noch immer nid}t schön genug. Nur zwischen den Fingern durch schielen sie hin
(Er nahm seine ganze, unendliche irtadjt Und während sie zetern, schmunzelt ihr Sinn.-
3n Lins zusammen — in Göttcrpracht Für diese vermaledeite Rotte
Ließ er des Menschen Gestalt ersteh',, — ward freilich damals vom lieben Gotte
Die war schöner als alles Andre zu seh'n. Die Krone der Schöpfung nicht aufgebaut,
Gott setzte sie ohne Fell „ud Vließ Die die (Engel bewundert und angeschant.
Und Schuppen und Federn in's Paradies was thut's!
Und ohne Posen nnd ohne Mieder — Drum bleibt doch die Schönheit guten Muths,
Die leuchtende Pracht der weißen Glieder Blüht weiter, so frei, wie die Rosen blüh'»,
Sdjiett „„verhüllt durch (Edens Paine, Strahlt weiter, so hell, wie die Sterne glüh'»
In reiner Schönheit, in schöner Reine. Und sieht in erhabener göttlicher Ruh'
Und als er dies Werk z» (Ende gethau, Den borstigen, schmatzenden Feinden zu,
Sah Gott der perr seine Arbeit an Sie weiß: „den Reinen ist Alles rein" —
Und lächelnd sprach er mit hohem Muth: Den Leutchen da drunten mag's anders fein I"
„wahrhaftigI Was ich erschuf, ist gutl"
o.
aSS
1896 JUGEND Nr. 18
t. Durch die wüste geh'n zwei Matabcle 2. Mpwa spricht: „Da sieh die beiden Weißen!"
Und nach Blute dürstet ihre Kehle. „Ja," grinst wmxo, „da gibt's was zu beißen!"
3- In die Hütte flieh'n die Europäer Und die Nasen strecken freudetrunken
Und die Ulatabele schleichen näher. Durch die Fenster gierig die Halunken,
Gedächtnis
Das „Wiener Fremdenblatt“ schreibt in No. 32o
vom 26. November:
„Der bekannte Gedächtnislehrer Herr Christof Ludwig
Poehlmann in München hat sich mit seiner nun in zweiter
Auflage erschienenen „Gedächtnislehre“ um das „zerstreute Jahr-
hundert“ wirklich verdient gemacht. Wie wir die erste Auflage
empfohlen haben, so können wir auch von der zweiten durchaus
nur Gutes sagen. Poehlmann gibt mit seiner „Gedächtnislehre“
in der That ein der physiologischen Gehirnthätigkeit angepasstes
System. Seine Lehre zeigt uns in kurzer und dennoch leicln
verständlicher Form wie wir auf eine natürliche und ungekünstelte
Weise eine Auffassung und ein Gedächtnis heranbilden können,
die jeder Anforderung gewachsen sind.“ —- Prospect mit Zeug-
nissen nebst zahlreichen Zeitungsrecensionen gratis und franco
y. Und die Neger, die vor?Schmerzen rasen, durch L. Pöhlmann, Weinstrasse 6/1, München A. 60.
Ziel>en,schließlich ab mit — langen Nasen.
291
Inseraten-Annahme Insertions-Gebühren
JUGEND 1896
durch alle Annoncen-Expeditionen für die
sowie durch
4 gespalt. Colonelzeile oder deren
G. Hirth’s Verlag in München Nr. 18 Raum Ji i.—.
und Leipzig.
Die „JUGEND“ erscheint allwöchentlich einmal. Bestellungen werden von allen Buch- Mk. 3.—, Belgien 3 Pres. 61 cts., Dänemark 2 Kronen 69 Oere, Holland i fl. 95 ct., Italien
und Kunsthandlungen, sowie von allen Postämtern und Zeitungs-Expeditionen ent- 3 Pres. 88 cts., Oesterreich-Ungarn 1 fl. 90 kr., Rumänien 4 Pres 20 cts., Schweden und
gegengcnommeii. Preis des Quartals (13 Nummern) bei den Postämtern in Deutschland Norwegen 2 Kronen 71 Oere, Schweiz 3 Pres. 65 cts., der einzelnen Nummer 30 Pf.
Geschmackvolle
Einbanddecke
für das erste Semester 1896
'(Nr. 1—26) der
— Jugend —
befindet sich in Vorbereitung und
kann gegen Mitte Mai d. J. zu dem
Preise von Mk. 1.50 durch jede
Buch- und Kunsthandlung bezogen
werden.
G. Hirth’s
Kunstverlag in München und Leipzig.
Uobernahme von
S Kunstauetionen
_ .... . rr>i • r 1 i\ E. Retemeyer. jeder Art, ganzer Sammlungen sowohl
Zwielichtpolitik (Bruchstuck aus einer 1 hierfabel). wie einzelner guter Stücke.
Der Löwe spricht: ,,Bist Du so friedfertig von Gesinnung, wie Du sagst, Mann, und hast Hugo Helbing, München, Chrlstophstr. 2.
gegen mich guten Löwen nichts Böses vor, so komm’ heraus zu mir, Vom Frühjahr ab eigene,
dass ich mit Dir das Friedensfest feiere . . neuerbaute Oberlichträume.
Herr Dr. med. Merten in Berlin schreibt: „Ihr Haematogen hat in einem Fall
Rhachitis von linrlnäickiger Rhachitis bei einem zweijährigen Kinde vortrefflich gewirkt.
Das Kind, welches vordem nicht gehen konnte, begann schon nach Verbrauch einer
Flasche zu laufen, und sein Schwächezustand besserte sich während des Gebrauches
(sog. englische Krankheit) der zweiten Flasche zusehends.“
Herr Dr. med. Weher, Spezialarzt für Ohren-, Nasen- und Halsleiden, in Leipzigs
Scrophulose „Dr. Homxnel’s Haematogen habe ich bei drei durch Ohrenfluss herabgekommenen
Kindern angewendet. Der Erfolg war ein geradezu eklatanter. Die Kinder be-
kamen rote frische Gesichtsfarbe, die Eiterung hörte auf; sie waren schon über ein
(Drüsenleiden, sog. unreines Blut.) Jahr in anderweitiger ärztlicher Behandlung.“
ist konzentrirtes, gereinigtes Haemoglobin (D. R. Pat. No. 81891). Haemoglobin
Dr. med. Hommel’s Haematogen ist die natürliche organische Eisen-Manganverbindung der Nahrungsmittel. Preis
per Flasche (250 gr.) Blk. 3.—. In Oesterreich-Ungarn fl. 2.— ö. W. Depots in
den Apotheken. Wenn nicht erhältlich, directer Versandt durch uns. kr chemisch-pharmaceut.
Tiitteratur mit hunderten von ärztlichen Gutachten gratis und franko. ItlvUltlj 4X> Laboratorium, Hanau.
Siebzehn Jahre köstlich wichtig aufdrehn, wenn er dastand Sie schaukelte rascher: Nein, nein,
und mit Jemandem sprach ... als er dort nein.in der Dunkelheit.nie im
Von Karl Larsen. beim Stadtvogt mit dem Doktor redete . .. Leben... und allein mit ihm —
Margrete sass in der Schaukel ihrer Er war so lieb gewesen ... und hatte so Sie haben doch nicht Angst vor mir?
kleinen Geschwister draussen im Garten gut ausgesehen im Frack. Und sie konnte Ja, das hatte sie — das hatte sie. Das
und schaukelte sich. Mehrere Male hatte es ihm an den Augen ansehen, wie gerne heisst, eigentlich nicht vor ihm.aber
ihr die Mutter aus dem Küchenfenster zu- er sie Abends nach Hause begleitet hätte. sie war doch schrecklich bange, so wie nie
gerufen, sie sollte doch endlich einmal Es waren die merkwürdigsten Augen, zuvor in ihrem Leben. Es sollte um sechs
hereinkommen — es hatte doch gar keinen die sie jemals im Leben gesehen hatte. — Uhr sein — wenn sie von ihrer Tante weg-
Sinn, da zu hängen und sich in der schar- Der Kapellan, damals, als sie konfirmirt ging .er hatte ihr eine ganze kleine
fen Luft zu erkälten. wurde, hatte braune Augen gehabt, wirk- Geschichte zusammengebraut, der Ab-
Aber Margrete setzte nur die Schaukel lich schöne, grosse, braune Augen, aber scheuliche — und sie zum Lachen ge-
in etwas sanftere Bewegung und liess die Henrik Bangs Augen konnten sich verän- bracht. Sie sollte lügen, bei ihrer Tante
Busse den Boden berühren, und dann ant- dern .. . ebenso wie die Stimme — ja die und zu Hause. Das hatte sie im Verlaufe
wortete sie, ohne auch nur zum Hause Stimme. — Die war so sicher, wenn er dieser zwei Wochen schon ein paar Mal
hinüber zu sehen, als wäre es eine Stimme so einherging und erzählte; man hörte gethan. Aber nur, weil er es war — sonst
von irgendwo in der Luft: schon, dass das richtig sein musste, was war es nicht schön, zu lügen. Tante Elise
„Ja, aber ich komme nicht... ich komme er sagte . . . aber sie konnte auch so still und die Eltern würden nicht darauf ver-
... nicht... ich komme durchaus nicht...“ sein — damals nach Tische .. . dort in der fallen, zu besprechen, um welche Zeit sie
Und das Küchenfenster fiel mit einem Fensterecke ... hatte er so gesprochen. von dort weggegangen war, so dass es ent-
dumpfen Laut zu, wie in weiter Entfern- gleichsam so weit weg, gedämpft.- deckt werden konnte. Um acht Uhr sollte
ung — Mutter war doch nicht so böse, Und sie war es, die die Stimme so er reisen. Und dann würde er für’s Erste
desshalb herauszukommen. weich machen konnte ... und so tief — nicht wiederkommen, sagte er.... es war
Es war schön, sich ab und zu wieder sie dazu bringen konnte, sich noch mehr ein reiner Zufall, dass er sich über Ostern
stärkeren Schwung zu geben und dann nach so lange hatte freimachen können — ein
zu senken.
und nach langsamer zu werden, bis die reiner Zufall, sagte er so schelmisch meh-
Sie schloss die Augen.
Schaukel beinahe stille stand, und man . . Denn ich möchte doch so ungerne rere Male. Das hatte sie genau bemerkt
blos am Brette hing, die Arme hoch längs — oh, er war so pfiffig: Es konnte sehr
nach Kopenhagen zurückreisen, ohne Ihnen
der Stricke ausgestreckt, und in einer Be-
ordentlich Lebewohl gesagt zu haben. — lange dauern, bis er wieder kam. Hm, das
wegung, die ganz wenig wiegte — glaubte sie eigentlich nicht — er kam schon
Da konnte man prachtvoll weiterdenken. „Der liebe, liebe, süsse Junge!“
Sie hatte es laut gesagt und erschrak wieder!
Die Vögel piepten überall ... Die Luft
war blau, und die Sonne schien auf ihr ganz, schlug die Augen auf und wurde roth. Wenn er sie nur nicht dort in Kopen-
Sie setzte die Schaukel in stärkere Be- hagen vergass....
Kleid ... aber die Zweige waren nackt, und
es war noch nicht grün, nur die schwarze wegung und sah sich um. Ach, da waren Die Schaukel hielt inne.
Erde, die aufgehackt und umgegraben war, nur Sperlinge — gute alte Sperlinge, die ....wo es so viele Frauen gab.
konnte man riechen. — nicht plaudern konnten. Vor den Sper- Es gab dort schreckliche Frauen-
Nun wird es bald Frühling, hatte er ge- lingen brauchte man sich nicht zu geniren Ah, aber er war gut. Er konnte ihr
sagt — und seine Augen wurden so gross ... ganze Mengen von ihnen waren gestern nicht den Schmerz bereiten .... aber es
und licht, als er hinaus über die Felder auf dem Amtmannsweg gewesen; sie flogen gab viele Andere. —
blickte. Sie konnten auch ganz dunkel sein in ganzen Schaaren über die Felder auf, Nein-nein — das durfte nicht ge-
... ganz dunkelblau, als er sie ansah, wie als er und sie bei der Biegung umdrehten schehen.
sie nebeneinander denAmtmannsweg hinab- - - • aber heute Abend durfte sie ihn nicht Du grosser Gott! — Wenn es nun doch
gingen ... Und dann wurden sie klar, wenn treffen. Nein, sie durfte nicht. geschähe -
er lachte — mit all den winzig kleinen, Er hatte so innig gebeten:.... an der Sie war von der Schaukel aufgestanden.
lieben Fältchen um den Mund hinter dem Villa des Consuls vorbei, über den Feld- Die Gedanken wirbelten in ihrem Kopf
kleinen Schnurrbart... den konnte er so es ... nach links — durcheinander, so dass sie für einen Augen-
294 '
1896 JUGEND Nr. 19
blick ganz verschwanden. Sie fühlte ihr Sie fühlte den Kuss auf ihrer Wange,
Herz klopfen und klopfen. Jetzt war es und sie ergriff seinen Arm, um ihn weg-
bald drei Uhr_in ein paar Stunden fuhr zudrängen; und mit einem Male spürte sie
er fort. Und sie sah ihn vielleicht nie seine Wange an der ihren, und ihre Lippen
mehr —... er wollte vielleicht fort, wollte berührten die seinen, und sie liess die
weg von ihr .... zu einer Anderen nach Arme sinken.
Kopenhagen. Er stützte sie, so dass sie nicht fiel. Er
Ach nein — nein, das konnte nicht mög- zog sie ganz an sich. Und sie fühlte Kuss
lich sein.... so, wie er sie gebeten hatte, auf Kuss mit ganz geschlossenen Augen. —
Abends zu kommen -— mit dieser Stimme. So waren sie die halbe Stunde lang auf
Und sie würde auch kommen — das und ab gegangen und jeden Augenblick
konnte er glauben. Er sollte nicht ver- stille gestanden, und sie nannte ihn beim
gebens warten — der liebe gute Junge.- Vornamen, und wenn sie umwendeten, legte
Margrete ging zum Hause hinüber. Die sie sich in seinen Arm, und er drehte. Sie
Mutter kam aus der Thüre. mussten Platz zum Wenden haben — ebenso
„Ja, jetzt komme ich und helfe Dir, wie ein Fahrzeug, sagte er. Und sie lachten,
Mutter.“ und er küsste sie, und sie küsste ihn wieder,
— „Liebe, kleine Mutter“, sagte sie auf und sie standen lange stille.
einmal und küsste sie auf die Wange. -- Aber dann griff er in die Tasche
und sah beim Licht eines Zündhölzchens
* m. * auf die Uhr.
Sie lief beinahe den kleinen Weg über Nein! dass sie sich schon von ihm
den Abhang hinauf, wo die Häuser auf- trennen sollte! Ach nein-aber es
hörten. Nichts als Dunkelheit und ein musste sein.-
Stück Landstrasse — und diese undeut- Er begleitete sie bis zum Hügel, so
lichen Bäume gerade daneben, im Garten brauchte sie nur den kleinen Weg hinab-
des Consuls. zuhuschen und war wieder am Anfang der
Sie entdeckte seine Gestalt, die dort Strasse. Und er sagte viele Male Lebe-
stand. Im selben Moment kam er hastig wohl — und lange. Und er zündete eine
auf sie zu. Als sie Guten Abend erwiderte, Cigarre an, wie er versprochen hatte, so
klang ihre Stimme ihr gleichsam ganz fremd dass sie stehen konnte und ihn gleichsam
und weit weg. noch ein wenig sehen, während er den
„Danke, dass Sie gekommen sind“, sagte anderen Weg hinablief, der von der nörd-
er dann leise zu ihr hinabgebeugt. lichen Seite in die Stadt führte. Er sollte
Sie konnte nichts antworten — nicht sich mehrere Male umdrehen, so dass sie
gleich. die Gluth sehen konnte. — Und das hatte
Und er schwieg auch. er auch gethan, aber nun war nicht das
Dann sagte er: „Hier ist es dunkel...“ Allermindeste mehr zu sehen, und sie
und bald darauf: „Wollen Sie nicht meinen sollte nach Hause. —
Arm nehmen?.... weil es hier so dunkel Sich zu denken: sie sollte nach Hause,
ist,“ wiederholte er. wo sie Vormittag in der Schaukel ge-
Sie legte ihren Arm in den seinen .... sessen und sich geschaukelt hatte ... zu
ihr Herzklopfen wollte nicht aufhören. den kleinen Geschwistern, zu Henriette,
Sie gingen einige Schritte. Er schwieg. die dreizehn Jahre alt war . . . und noch
— Jetzt konnte sie schon besser im Dun- mit Puppen spielte. Sie lagen im selben
keln sehen. Zimmer . . . wenn sie nur die Nachtlampe
„Nein, den anderen Weg,“ sagte sie. der Eltern bekommen konnte, denn dann
Dann begann er draussen am Feldweg: wollte sie, wenn Henriette eingeschlafen
»Fräulein! — Sie wissen, dass ich reisen war, den kleinen Tisch ganz rückwärts in
s°ll.“ Aber da musste sie wirklich die Ecke stellen und die Lampe darauf
lachen — seine Stimme klang so ganz und dann in dem matten Schein daliegen
schrecklich hochtrabend. und denken . . . denken bis zum lichten
„Sie lachen?“ Morgen. —
Und sie konnte an einem leisen Zucken ***
des Armes merken, dass sie ihn vielleicht „Du bist aber schrecklich lange bei
verletzt hatte. Tante Elise geblieben,“ sagte die Mutter,
„Ach, aber ich meine es ja gar nicht so“, als sie eintrat.
sagte sie. „Ja“ — erwiderte Margrete und fühlte,
Er hatte ihren Arm losgelassen. Sie dass sie roth wurde, aber die Mutter war
standen einander dicht gegenüber — ihr schon damit beschäftigt, das Tischzeug zu
Herzklopfen fing wieder an — es wehte ein überzählen.
starker Wind oben auf der Landstrasse. Am andern Ende des Esstisches sass
Er ergriff ihre Hand, aber sie entzog Henriette und sah zu. Kai wollte in nordi-
sie ihm und ging ein Paar Schritte vor- scher Geschichte überhört werden. Von da
wärts, dann blieb sie stehen und wusste an, zeigte er mit dem Nagel. Dazu wurde
n>cht, ob sie stand, oder wie es war, aber Margrete angestellt.
sie hörte ihn ihren Namen sagen und liess Nun: Inzwischen war man in Däne-
ihn die Hand behalten, und auf einmal mark immer unzufriedener mit Erik von
fühlte sie, dass er den Arm um ihre Schul- Pommern geworden —“ begann sie.
ter hatte, und er sagte den Namen wieder Und der Knabe fuhr fort: Man klagte
— aber anders, und es durchfuhr sie, dass über die schlechte Münze, die er prägen
dieser Mund sie jetzt küssen würde. liess, über . ..
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Nr. 19 JUGEND 1896
Aber da musste Margrete lachen. Sie^konnte nicht anders Sie stand aus dem Bette auf, ging zum Fenster hin und
— nein, es war doch zu komisch, das Ganze. Sie schüttelte zog die Gardine weg. Es war dunkel und nur ein paar dürf-
sich vor Lachen. tige, kleine Sterne am Himmel — aber es regnete doch nicht.
„Nein,“ sagte die Mutter ärgerlich, „Du bist doch zu aus- Er war gut nach Hause gekommen.
gelassen. Ist es so lustig bei Tante Elise gewesen?“ Ihr fröstelte, sie liess die Gardine wieder hinabfallen —
„Ja,“ sagte Margrete. „Und dann war der Weg nach Hause dann ging sie wieder zurück, löschte das Licht und legte sich
so schön,“ fügte sie hinzu — um nicht zu lügen. in ihr Bett ... sie wollte im Dunkeln liegen ... so wie, als
Als sie Thee tranken, sah Margarete hinüber auf die Uhr. sie ihn traf . . . Henrik-... der schöne Name ...-
Es war neun. „Wie lange fährt man eigentlich von hier nach Sie Schlief. Aus tjem Dänischen von FRANCIS MARS.
Kopenhagen?“ fragte sie den Vater.
„Man ist um 10 Uhr 30 dort,“ sagte er.
„Wo ist man jetzt?“
„Ach, das weiss ich wirklich nicht — in Slagelse,“ fügte
er dann auf gut Glück hinzu. „Beabsichtigst Du vielleicht,
nach Kopenhagen zu reisen?“
„Nein,“ sagte Margrete. Ich nicht — wollte sie sagen,
aber es war gut, dass sie stille schwieg, denn sonst hätte
sie leicht etwas von dem Geheimniss verrathen können, und
es sollte ganz geheim sein, hatte er gesagt. Aber zu Pfingsten
kam er wieder. Es war furchtbar, dass es so lange bis
Pfingsten dauerte . . . aber er hatte versprochen, zum Aller-
mindesten zweimal in der Woche zu schreiben — unter der
Adresse seiner Schwester.
Auhuuuh! — Sie zog die Schultern in die Höhe bei dem
Gedanken.-Als der Tisch abgedeckt war, wollte sie
gleich zu Bett gehen; aber es war ja Samstag, und sie musste
Mutter bei der Wochenrechnung helfen. Mutter sass und
diktirte aus den kleinen Zetteln, während sie Kais Kleider
nachsah, und Margrete sollte zusammenzählen und in das
braune Buch schreiben. Das war die unerträglichste Arbeit
in der ganzen Woche; man musste so aufpassen — und wenn
man sich nur sehnte, endlich hinaufzukommen und allein
zu sein . . . und zu denken.
Und war es nicht auch irritirend, wenn man endlich los-
kam und die Stiege hinaufging, dass Henriette dasass und
an dem Geburtstagsgeschenk für die Mutter stickte?
***
„Ach, Du bist es nur“, sagte Henriette und nahm wieder
ihren Lampenteller hervor, auf den sie sich beinahe gesetzt
hatte, um ihn zu verstecken. —
„Du, Grete“, fragte sie und hielt den Lampenteller in die
Höhe, „findest Du nicht, dass sich der Plattstich gut macht?“
Nun hatte Margrete den Plattstich gewiss zwanzig Male
angesehen. „Ja“, sagte sie nur und begann die Decke von
ihrem Bett abzunehmen.
„Du gehst schon schlafen?“
„Ja, das thue ich allerdings.“
Henriette sah sie ein bischen an, dann stickte sie weiter.-
Abendlichter in blauer Tiefe glimmen-
„Henriette“, sagte Margrete bald darauf, während sie ihre
Schuhe auf knöpfte, „hast Du nicht gesehen, ob Fräulein Bording , Feuerwölklein um dunkelnde Hügel schwimmen;
schöne Muster für Zeitungshalter hat — aber wirklich schöne.“ — Weisse Zelter dem duftigen Rauch entschreiten
„Ja, ich glaube schon — das heisst, ich weiss nicht recht. Darauf goldgegürtete Knaben reiten. V
ah“, sagte Henriette und liess den Lampenteller sinken und
gähnte: „ich bin übrigens so müde.“ Zwei der Rösslein hinter dem Zuge säumen.
»Ja, Du solltest schauen, in’s Bett zu kommen.“ Eines, leuchtende Rosen in den Zäumen,
„Ja, aber glaubst Du, dass ich dann bis zum 19. fertig Tänzelt, und Flammen entsprühen dem Hufes-
werden kann?“ — — hiebe,
Henriette brauchte unerträglich lange zum Auskleiden, Der es reitet, ist der Traum der Liebe.
und dabei fuhr sie fort, zu schwätzen.
„Du bist so verdriesslich,“ sagte sie, als Margrete nicht Und das andere hebt das feine Köpflein,
antwortete, sondern nur ganz stille in ihrem Bette lag. „Bist Auf der Stirne prunkt ein purpurnes Tröpflein,
Du müde?“ Bläht die Nüstern und schnaubt in’s Abendroth -
„Ach, ich bin heute so viel in der Luft gewesen.“ Der es reitet, ist der Tod.
Als Henriette schlief, konnte Margrete schwer die Augen
offen halten — aber sie fand doch, sie müsse noch ein wenig
liegen bleiben und fühlen, wie still es war ... und den Schatten
der Lichtflamme leise auf der Wand auf- und niederflackern
sehen, und ganz allein sein mit ihren . . . Gedanken. —
Die Uhr unten schlug — sehr laut. Sie richtete sich im
Bett auf. Es war halb elf. — Also jetzt war er zu Hause!
Ob er wohl gutes Wetter auf der Reise gehabt hatte? Zeichnung von O. Eckmann.
296
Originalzeichnung von Fidu*.
Vie O^ugellauferin
Zierleiste von R. Eddelbüttel.
-o>
cp
edic/ii s l/l oZ>/VJO- „ 2/nd warum öchfaflt fl2hr alle ?
£2a- öetzte öleh der hlel/ie 2>nge2m der grflöcn fl3lume
fort- Griff -Jß/ij.u-.
aufl alö ol er nachdachte.
., 2)f2r öchlafln alle- , öagte er dann, ,,und £2n wiröt auch
d/)/a dluel c/er oSchiy
Üqcri gleich öchlafln. 2)Peiflt £2n denn nicht, dafl die oJellghelt
QJic- /ulte- tue/ Jo daraitprjep'cut, l/r'/jan lr,l dfe/ren. d/nrl öchlüflig macht?
mifv endlich durfle öle mit weuuxen ötlllen 222lilgelt nach der t/nd damit ötrechte er öleh wieder hin, legte den fl2{2gfl
ö eigen fld/iöel zieh en. aufl die weiflcn ölille/t t_dlllgel und öchhefl weiter.
£2)de <22fl war trab uni/ warnt. (23röt älter de nt i£3/2eere £2er neue wifl/te nicht, wie ihnt geöchah. £2de fldider
ward öle fllöc/er. 2lud wte dte welööe/t ötillen 22lügel ölcl wurde/t ihm öchwer. Qd/lit magnetlöchcr 222/afl zog. ihn etwaö
lauttoö■ lo le/t und öenhten , tauchte d'üle/t langöant die leral. (23rglaubte, er^ flöge noch Immer. 2222ber er lag dabei öchon
o222iöef au fl ln einer groflen weiflen <fl3lume und träumte.
2/nuncr wärmer und perl harter war inzwiöchen die 22flt 22)£m war able-t ötil2. 223Zur die öiiflxe fliöt unhörbare
geworden, Intnier blauer daö- 223l(ecr. 2)f2iööe oJeeroöen wiegten Q.-lCuöih war und blieb /toch über der fl2/iöel de/' dfellgen.
ölcl dirauflmit auögebreiteten fl3lüttern, und a/t de/t welööe/t
öe/t vorbei ötlegen rothe £223)/'alle/illöte auö- den blauen
II.
1^dluthen. od)er ganze d/trand war war voll
vollvon öeltöamen t_23h-
nte/t. oJle öclaueleiten- ölcl veröc.dilfl/t mit müden, öchweren dlrurar/u/iq.
lorla QJlngen
Bewegungen, und ein flöt unhorbarcö- oJln ■idCdLUngcn
und 2ül/ii) 222eflende 2222lder von allen oJelten; die 2222iße und2222u t
öchlen von ihnen aitözugehe/i, daö- die <j22/flt erfllllte — £22)ü der beöchwertcn iflflalnte brecht öleh an ein ent 22222iig el 22er-
jQflt ölen öo gut, wie die <222flt unten. oJonöt ötaubte er überwuchern ihn; mit gehnlmmten oJte/igeln
22o(]e2; nur wte Int bräunt tönte manchmal ein öta/hereö öchmlegt öleh gelber fl2oiven zahn ln öelnen 2221aöe/t.
d22ln gen und veröcholl bald Int lelöen 222auöchcn dcö 223/2eereö. 22222ufldieöent iflhugcl ötehit gran und regun göloö el/ie
£22)e.r neue (22/i/jel fllhlte ln öelnen 22'llgcln gfotzdlclt tyflndnähle. oJie mit fl alt öcln; viel einzelte (t/t/arren ölnd
eine öüööe, wohlige 22HaltigIcelt, und flaöt öchwe/flalllg fl0*/' er öchon auö ihren tfllü/jcln heranögebrochen. *2l/id die alte
weiter. 22r lonnte öleh gar nicht mehr recht ln der 2222ohie 223/l2ähle wartet.
halten und öanh flaöt unmerleideh Immer tiefler, daöö- öelne C3/nwclt von ihr aufl einc/n runden 2223/l2iihlötein öltzt ein
welööen Cjewander öchon- die tfllronen all der *fl3dumen ötrcifl- gungeö 2223/lüdchen. oJte öltzt mit vorijcbcuglcnt <23 ib, die halb-
ten. (Sin £22)ufl, nicht aitözuöagen, war überall/ öchwul und nachten 2222rme- laflig aufl den fll/ilcn. oJte öltzt, alö ob öle
betäubend, und die iP3lüthen wurden Immer gröööer. (22röt horche. ^3l/id die hclfle oJonne bre/i/it aufl ihr unbedechteö
waren öle- tcllergroöö, aler la/d dehnten öle- öleh öö weit, 2223augt.
daöö- öte den ganten tfl3oden declcten. (23ö löt i—//lltlag. und glitzernd liegt die fluflt
fl/mmer tiefler öchwelte der neue (Sage 2. 222221ch, die Iller den t^d'efdern. 2)3man öchwanht der blaue 22222.111 erögor/t
öcho/ic, öcho/ie 22)/2uöllc rlngö, und der 22/fl und die tfl3lumcn unter der <fl3iöt einer dtche/t el; g/'u/iyla/tzende c_Vliegen
d daö 222auö chien —l cdlotzDeh ale/' öah er ln al2 den öetzen öleh ofl aufl den dürren fl3ode/v. 2/nd liberal2 löt el/t
’iflen hon lg liehen 22/0 nen etwa ö fielen und cö wa/'en genau
wer
uni/'diöcheö 222a uö eben, ln den 222lilern und darüber; dte
öolche (23/igcl, wie auch er einer war. £/)lc- ötllle/t wetflen i2luged 2222ehrcn berühren öleh und zittern; eö löt, alö öt/'elflten öchen
ha/ten öle ijeflallet, daö flflbgflhen darattflgelegt und öchheflen und verloren dte dangen öchleggende/t ^ewäider öellgcr Cflciöter
mit gehaßten 22/äuöten und cl/ient 22acheln um die flüggen. darüber. dielten, d<ifl tn dleöcö veröchollene 2222/2auö c/i en der
222213 öch/leflen öle; hel/t ci/t tlg er, der ötch geregt hätte. £2ent 2)Pa chte/hon lg- öelnen- 222htfl wlrflt.
neuengaflte daö nicht; er ötlejö einen an und Wechte ihn aufl £/)ie ölllde Q/lluhl’c öteht hoch und wartet. oJchauernd
„ 2Paö wl/löt £2u ?" flragte der andre Int föraunu wartet daö iflhorn und löchert öelne c/ige 2222)11112. *3lnd mit
,, £2aö löt doch hier die 22/iöel der ofellgen ? verirrten fl3fichen öleht daö gunije 223/1ädehen darübe/' hin.
7 ofla, nlchte der undIconnte haunt che 23£ugen £2)aö junge (2- ilüdehen-, daö- aufl dem QyJCählötein öltzt, alö
oflen lehalten. ob eö horche . .,
298
1896
JUGEND Nr. 19
Auf blanker Wehr, wohin ich seh', hei! in dem sonst so stillen Wald
Blitzt Frühroths lichter Schein; Regt sich's in Busch und Strauch!
Nun denk' ich an des Scheidens Weh Dort liegen sie im Hinterhalt
Und an der Trennung Pein: heimtückisch auf dem Bauch!
Ich ließ zurück ein liebes Rind Doch von der höhe Schuß auf Schuß
In Treuen mir vereint; Verderben über sie! —
Gott zähl die Thränc, die da rinnt! Brüllt sieghaft ihren Donnergruß
Herrgott, vergelt's dem Feind I Die reitende Batt'rie.
Mariage d’amour
ln der Stunde „französische Literatur“
Moralisch
Hört sie ’s zuerst: «mariage d’amour», Wir haben uns tief in die Augen geschaut,
Als Beispiel für »de« und den Genitiv — Es schlugen daraus zwei Flammen,
Da erwachte etwas das in ihr schlief. Der Anstand hat Barrikaden gebaut,
Sie zählte eben fünfzehn Jahr’ — So schlug denn die Gluth nicht zusammen.
Ihre Seele war blond, gleich ihrem Haar.
Was sie that und dachte und fühlte, war fein, Wir haben uns süsse Worte gesagt,
Wie sich’s geziemt für ein Jungfräulein. Von heissem verlangendem Lieben,
Sie sah den Lehrer sinnend an. Doch akademisch, Gott sei es geklagt,
Als „Ideal von einem Mann“ Sind’s immer nur Worte geblieben!
Ward er vom Pensionat verehrt —
Wie Jeder, der Literatur dort lehrt. Wir haben uns Verse dediziert —
Und dabei blieb’s. Bisweilen nur Oh Gott, wenn ein Andrer sie fände!
Zog’s durch ihr Herz: mariage d’amour.. Er hat mich auf dem Papier verführt,
Das hatte so einen süssen Klang Oder ich ihn am Ende!
Wie Quellenrauschen und Vogelsang,
Das hatte so einen holden Schein Nun hat uns das Schicksal zum Scheiden
Wie Mondstrahl und glitzernde Sternelein, verdammt,
Das hatte so einen berauschenden Duft Denn wir sind arm zum Erbarmen,
Wie blühende Blumen und Frühlingsluft. Nun führt mich ein Andrer auf’s Standesamt
Nicht viele Jahre gingen in’s Land, Und wird mich als Gatte umarmen.
Bis man ihr einen Gatten fand.
Sie wollte nicht — man sprach ihr zu — Wir hatten beide zu viel Moral,
Man frug sie: „Worauf wartest Du?“ Es konnte zu gar nichts kommen —
Sie wusste nicht Antwort. Es klang ihr nur Oh Adam und Eva von dazumal,
Im Herzen leis: mariage d’amour... Wo habt Ihr’s nur hergenommen?
Er war ein Mann in Würd’ und Amt,
Aus untadligem Haus entstammt, Ja richtig: Ihr fürchtetet nicht den Spott,
Selber untadlig in jedem Stück. Der Menschen Verachten und Hassen,
Und mit ihm in untadligem Glück Damals war Richter der liebe Gott,
Gingen die langen Jahre hin. Heut sind es die
Sie fühlte das Leben vorüberzieh’n, „besseren Klassen“!
Wie Wasser rann es ihr aus der Hand. KORY TOWSKY.
Gefestigt ward das heilige Band:
Kinder kamen. Spät und früh
Pflegt und lehrt sie mit eifriger Müh’.
Auch Französisch. Als Beispiel nur Sprüche
Für den Genitiv: mariage d’amour . . .
Der Vater starb, sie wurden gross — Erfahrung ist ein kostbar Ding
Werden und Welken ist Menschenloos. Und gilt doch keinen Pfifferling,
Und endlich kam der letzte Tag, Dieweil wir im Leben sie erst erlangen,
Da auf dem Sterbebett sie lag. Wenn nichts mehr damit anzufangen.
Die Kinder trauernd um sie her —
Sie aber kannte keines mehr. Die Blumen sind zu vielem gut;
So müde schaut sie vor sich hin, Der steckt sie jauchzend auf den Hut,
Als zog’ ihr das Leben durch den Sinn, Der weihet sie dem Gotteshaus,
Untadlig, ach, untadlig nur — Der macht ein heilsam’ Tränklein d’raus,
Ein letzter Hauch: mariage d’amour... Der mäht sie ab und dörret sie
MAX BERNSTEIN.
Als Futter für das liebe Vieh.
JOO
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JUGEND Nr. 19
Abenöfmöe
^ic Abendröthe leuchtet aus dein See, ^erklärte Stille heiligt die Natur —
Lind eingerahmt von: Spiegelbild der Bäume, Und solchen Frieden wünsch' ich Deiner Seele:
Die regungslos und schattenhaft Die hehre, wundersame Ruh
Am Ufer steh'n wie todte Träume. Des Herzens, frei von Schuld und Fehle. mak!>». B»n.
;oi
Zeichnung von Fritz Rhein.
302
Sakramente ertheilt nun konnte die arme Seele in Frieden alles fertig — aber immer noch nicht, immer noch nicht!
Fahren; aber sie fuhr nicht ab. Die Stola war längst um die Den Wartenden wurde die Zeit lang.
Ecke verschwunden, der Weihrauchduft im niedern Zimmer Die alte, verkindete Mutter sass, blöd vor sich hinnickend,
verweht; die weise Frau, die Neuberten, hatte schon das am Fenster Im Schatten des Bettes lehnte die Bäuerin, die
Kopfkissen unter’m Haupt des Kranken weggezogen, es war Arme unter der Brust gekreuzt; seit drei Tagen trug sie schon
3°3
Nr. 19 JUGEND 1896
ein schwarzes raschelndes Trauerkleid. Mitten im Zimmer, is, die nich mehr rein an Leib und Seel thut sein da kann
hinter der weisen Frau, die jeden Zug im Antlitz des Kranken der Kranke nich sterben. Sie hält mit ihrer Lüg die Seel
belauerte, knieten die Rosenkranzjungfern, zwölf an der Zahl. auf — — alle Strafen der Höll über die Betrügerin — ewige
Sie hatten schon gestern hier auf den Knieen gelegen, heute Verdamniss — mag sie im Fegfeuer brennen!“ Sie schwieg
waren sie wieder da. Sie beteten und beteten. wieder und presste die Lippen zusamrpen!
„Vater unser, der Du bist in dem Himmel —“ Eilfertig glitten die Fliegen auf und ab — sum sum, surr
„Gegrüsset seist Du, Maria, voll der Gnaden, der Herr surr, ss....— das einzige Fenster war fest geschlossen, die
ist mit Dir-—“ Thür auch; die Luft dick zum Schneiden, geschwängert von
Vaterunser — gegrüsset — Kügelchen auf Kügelchen Miasmen. Eine lähmende Mattigkeit kroch aus den Ecken.
rollte am Rosenkranz, schläfrig lallten die Lippen. Es summte Das Röcheln im Bett wurde stärker, die Augen des Liegenden
und surrte mit den Fliegen um die Wette, die schwarz an verdrehten sich, die Nase so spitz, das Kinn sank herunter. —
der Stubendecke klebten und in Schwärmen über dem Kranken „Nu stirbt er! Bäuerin, tretet’ran“, sagte die Neuberten.
sich drehten. Sie klebten auf den schweissgetränkten Haaren, „Er kann nicht!“ Die Bäuerin rührte sich nicht.
auf dem gewürfelten Bettzeug, auf den armen Händen, die Da — plötzlich ein dumpfer Schrei! Die blonde Maria,
angstvoll über die Decke fingerten. Niemand jagte die surren- vorn in der ersten Reihe, Hess rasselnd den Rosenkranz zur
den Quälgeister fort — für was auch? er fühlte ja nichts mehr. Erde fallen; mit verstörtem Blick schaute sie irr um sich,
Und sie glitschten auf und ab mit den dünnen Beinchen, schlug mit den Händen wild in die Luft, sprang taumelnd
über die halbgebrochenen Augen, über die vertrockneten Lippen auf und stürzte vorwärts wieder zusammen, die Stirn auf die
— jetzt röchelte der Mund — die weise Frau beugte sich Bettkante schlagend.
über’s Bett — — Allgemeiner Tumult! Wie eine Schaar verschüchterter
„Noch nicht“, seufzte sie nach einer Weile, „er thut Gänse drängten sich die Mädchen auf einander — bange Se-
schwer sterben! Wundert mich, wundert mich“, setzte sie kunden verstrichen. Endlich rafften die zwei Nächsten die
kopfschüttelnd hinzu, „es sein doch die zwölf tugendhaftsten Gefährtin auf; sie fassten sie unter die Arme, zerrten sie
Jungfern aus em Dorf, an keiner en Makel — Jesus Maria empor und schleiften sie zur Thür. Der hübsche Kopf war
Joseph! Betet Kinder, betet fleissig, dass die arme Seel ab- der Ohnmächtigen auf die Schulter gesunken, alle sahen die
scheiden kann!“ fahle Blässe auf den weichen Zügen und den perlenden
Wieder rollten die Kügelchen, die Häupter senkten sich, Schweiss auf der Stirn.
emsiger murmelten die Lippen. Niemand hatte des Sterbenden acht. Vom Gepolter an
Sie waren sich alle ihrer Aufgabe bewusst; sie waren die seinem Lager noch einmal zurückgerufen, riss er die Lider
zwölf tugendhaftesten Jungfrauen im Dorf, rein an Leib und in die Höh, ohne zu sehen ; er bäumte sich mit geballten
Seele. Sie waren der Stolz der Gemeinde; sie trugen die Fäusten, seine Lippen versuchten noch ein letztes unartiku-
Marienfahne bei der Prozession; sie schmückten den Altar Iirtes Stöhnen — „Mar“-
der Hochheiligsten; sie knieten vorn in der Messe, und wo „Still!“ sagte die Bäuerin und legte die eiseskalte Hand
eine Seele abscheiden wollte, da wurden sie gerufen. Auf den fest auf den zuckenden Mund — noch ein Bäumen — —!
Schwingen ihrer reinen Gebete stieg sie leicht zum Himmel. Die Thür schloss sich hinter der wankenden Gestalt der
Nur hier nicht. Blonden — der Bauer war nicht mehr, seines Weibes Finger
Der Blick der Ende-Lange-Bäuerin ruhte finster auf den drückten ihm eben die gebrochenen Augen zu.
Betenden. Er bohrte sich förmlich in das Gesicht der Einen,
der Blonden, da vorn in der ersten Reihe — Maria Lenack,
nur eine Häuslerstochter, aber die schönste, die frömmste Bei dem Begräbniss des Ende-Lange weinte seine Wittwe
aus dem Rosenkranz — wie bleich sie jetzt war! nicht. Sie war ein starkes Weib. Die Lippen fest aufeinander
Des Weibes knochige Hand streckte sich aus, als wolle gepresst, das Gebetbuch im weissen gestickten Taschentuch
sie die Blonde, da vorne, wegzerren, wegstossen. gegen das Herz gedrückt, schritt sie gemessen, in neuen
„Du Königin der Jungfrauen! knarrenden Lederschuhen hinter dem Sarge drein. Ohne mit
„Du Königin des hochheiligen Rosenkranzes! der Wimper zu zucken, hörte sie die Erdschollen nieder-
„Gegrüsset seist Du —!“ prasseln. Schweren Tritts wandelte sie dann langsam wieder
— Die Hand sank wieder herab und hing schlaff in den heim, und während drinnen Verwandte und Gefreundte bei
Falten des schwarzen Trauerkleides. Aber der finstre, düster Bier, Schnaps, Braten und Kuchen dem Bauer die letzte
drohende Blich hielt an. Er schoss stechend hin und her, Ehre anthaten, ging sie hinaus in den Stall und fütterte
vom Bett des Kranken bis zu dem jungen blonden Gesicht. ihr Vieh.
Wenn die Ende-Lange-Bäuerin hätte reden wollen! Aber Hinter den halbverfallnen Schuppen warf sie einen Blick
sie blieb stumm; nur nach langer Weile sagte ihre harte ein- — da grünte das Gras, da blaute der Wald in der Ferne —
tönige Stimme: sie dachte an ihren Mann, den Ende-Lange, aber keine Thräne
„Se erzählen sich en alte Geschieht — ich weiss nich kam in ihre Augen.
ob se wahr is — wann unter den Rosenkranzjungfern eine Sie hatte ihn längst verloren — hier waPsl
*04
1896
• JUGEND • Nr. 19
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Nr. 19 JUGEND 1896
Nur selten für ein fromm' Gcmüth gibt's so ein Schauspiel mehr,
Drum inszenirt Aloysius in seiner Lhristenlehr'
Jm Hinblick auf die Ewigkeit — thut's auch ein wenig weh —
Sein lustiges, klein winziges Sxezialautod>afs.
Gedanken
Das ist der Herr Aloysius zu Kundl in Tirol, Wie glücklich wäre Mancher, wenn er von Nützlichem
Der sorgt als frommer Katechet für der Gemeinde Wohl; soviel wüsste, als er von Unnützem zu viel weiss. r. gr.
Wenn er zu kleinen Mägdelein von: Fegefeuer spricht, Ebenso wichtig wie das Lernen, ist das Verlernen, r.gr.
So hält er ihnen Stück um Stück die Finger über's Licht. Ein halber Erfolg ist auch ein halber Misserfolg, j. m.
Und wenn die armen Würmer dann vor Schmerzen Zeter schrei'n,
Dann schaut der Herr Aloysius mit sanftem Schmunzeln drein. Die geizige Tante
Und spricht: „(Seit Maderln, das thut weh? Nun zieht daraus Mama: Nun, Elsclien, was hat Dir die Tante denn geschenkt zum
Geburtstage?
die Lehr: Elsclien: Oh Mama! Sie hat mich einmal an ihrem Migränestift
Genau so brennt die Höllengluth, blos noch ein Bisserl mehr!" — riechen lassen. * w. w.
Grob
Zu Kundl Herr Aloysius ist gar ein feiner Christ, Der kleine Otto: „Papa, warum weinen denn die Leute eigentlich
Verbindet das, was angenehm, mit dem, was nützlich ist. bei der Hochzeit?“
Daß das Exempel nützlich wirkt, ist jedem Biedern klar, Vater (der sich eben mit seiner Frau gezankt hat): „Weil sie sich
Respekt kriegt vor der Hölle so schon früh die Kindcrschaar
verheirathen.“
Und ferner kitzclts angenehm den wackern Gottesmanu, Die Ungläubige
Weil er sich mit den Kindlein so viel Spaß bereiten kann; Backfisch: Sieh mal, Toni, den Storch!
Verschwunden ist die schöne Zeit Sankt Torquemada's, da Freundin: Ach geh', — ich glaub’ doch nicht an den Storch.
Man Ketzer noch am Spieße briet und die Hexen brennen sah. J. M.
306
uer bcnmetterling aber lächelte ___
zur Antwort turnte er
Mistkäferschwärmerei sich gar nicht veranlasst — und flatterte fort; hinauf zum
Schloss, zu den duftenden Rosen.
Ein Schmetterling flog an dem Dunghaufen vorbei, in „Was liegt denn da auf unserem Hügel?“ fragte nach
den sich gerade ein behäbiger Mistkäfer langsam und faul einigen Tagen der Mistkäfer die Schnecke. „Ich glaube gar
einwühlte. „Wo willst Du hin?“ rief ihm der Käfer zu. das ist der Schmetterling von vor-
„Droben zum Gipfel, wo die duftenden Rosen blühen!“ er- gestern. Das hat er nun von sei-
widerte der Falter. „Du hast wohl nicht so grosse Eile; warte nem unnatürlichem Leben! Wes-
also ein wenig, bis ich alles, was ich auf dem Herzen trage, halb musste er auch
gefragt habe. Weshalb willst Du dort hinauf? Ist’s nicht hier fliegen, wo ein verstän-
auf dem duftigen Hügel ebenso schön? Höheres gibt es über- diges Thier kriecht,
haupt nicht! — Ich glaube gar, Du willst mich zum Narren hübsch bedächtig kriecht?
halten! — Was soll das eigentlich heissen, dass Du fliegst? Eigensinniges Geschöpf!
Kannst Du nicht ebenso kriechen, wie wir? Fliegen ist un- Jetzt ist er draussen erfroren,
natürlich ; das Normale ist kriechen: dafür habe ich den Regen- während wir warm in unserem
wurm, die Schnecke und den Egel als Autoritäten. Ich könnte Mist gesessen haben. Ich kann
es doch auch, aber thue ich’s denn? — Seid doch wie wir, ihn gar nicht einmal bemitleiden:
dann fehlt Euch nichts zum Glück. Ist der Dunghaufen nicht er hat ja sein Unglück selbstver-
geradezu ein Paradies?“ schuldet!“ L. WETZLAR.
Mk. 3.—, Belgien 3 Pres. 61 cts., Dänemark 2 Kronen 69 Oere, Holland 1 fl. 95 ct., Italien
nnd Kunsthandlungen, sowie von allen Postämtern und Zeitungs-Expeditionen ent- 3 Pres. 88 cts., Oesterreich-Ungarn 1 fl. 90 kr., Rumänien 4 Pres. 20 cts., Schweden und
gegengenommen. Preis des Quartals (r z Nummern) bei den Postämtern in Deutschland Norwegen 2 Kronen 71 Oere, Schweiz 3 Pres. 65 cts., der einzelnen Nummer 30 Pfg.
In Dingsda ist des Franz Stuck „Sphinx“ in polizeilichen Gewahrsam genommen worden, weil sie der Schamhaftigkeit und
Sittsamkeit gefährlich. Selbstverständlich wurde die Dame vor der Ueberführung in das Arrestlokal „entsprechend“ bekleidet.
JULIUS BÖHLER
6 Sofienstr. München Soflenstr. 6
vis-ä-vis des Glaspalast-Einganges.
Hof-Antiquar Sr. Majestät des Kaisers und Königs.
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Litteratur mit hunderten von ärztlichen Gutachten gratis und franco. Nicolay & Co., cnÄa“*- Hanau.
Herausgeber: Dr. GEORG HIRTH; verantwortlicher Redakteur; F. von OSTINI; verantwortlich für den Inseratentheil: G. EICHMANN, G. HIRTH’s Kunstverlag; sämmtlich in München.
Druck von KNORR Sc HIRTH, Ges. m. beschr. Haftung in München.
I. Jahrgang • Nr. 20
Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben. — G. Hirth’s Verlag in München & Leipzig,
Nr. 20 JUGEND 1896
's war ein Bild, die schöne schlanke Paul versuchte indess mit männlicher
Frau, wie sie so vor ihrem Schmuck- Energie, Mamas neues Bracelet zu zer-
tische stand, die rosigen Fingerspitzen brechen, aber Mama wies ihn nicht wie
auf den weichen Peluche gestemmt, das feine gewöhnlich mit einer unwilligen Beweg-
Köpfchen mit dem vollen Haar ein wenig ung zurecht, sie war heute milde gestimmt,
übergeneigt, und mit glückseligem Lächeln so dass sie den Krauskopf des Jungen an
niederschaute auf all’ die zarten Aufmerk- sich zog und streichelte, was dieser wieder
samkeiten, die man ihr zum heutigen Ge- dazu benützte, sie in den Seidenärmel zu
burtstage geschenkt. Da standen Körbe beissen.
hellfarbiger Blumen, rund um den Tisch Währenddem stiess das Fräulein die
aufgestellt, von Geschäftsfreunden ihres kleine Fritzi einigemale an; diese nahm
Mannes geschickt, da lagen Sträusse, in dann immer wieder einen Anlauf, als wolle
vornehme weisse Manschetten gepresst, sie ein Regierungsprogramm entwickeln
von den vielen Leuten, die sich die Kund- und öffnete krampfhaft den Mund, wie
schaft ihres Hauses erhalten wollten, da ein Fisch im Sande. Schliesslich aber
lag auch ein Bouquet hellfarbiger Rosen, mochte sie einsehen, dass sie ihrer Stell-
von ihrem jungen Hausarzt geschickt, da ung im Hause schuldig sei, ihren beiden
stand ein Teller mit einer feinen Hand- Brüdern, die sie bemutterte, ein Beispiel
malerei, von ihrer jungen Nichte, die ja zu geben und sie begann: „Hochverehrte
so viel Talent hatte, und auf dem Teller Eltern . . . .“
lag eine ganze Menge von farbigen duft- „Mais oü penses-tu? Woran denkst
igen Briefchen, geschrieben von ihren Du wieder“, sagte das Fräulein wüthend.
vielen lieben Freundinnen, die sich nie Fritzi war entrüstet: „Es steht doch
ihren Geburtstag entgehen Hessen, ohne so im Buch!“
ihr zu gratuliren; — da war schliesslich „Im Buch’ ist’s doch eine Neujahrs-
ein Bracelet von seltener Geschmacklosig- gratulation.“
keit, das ihr der liebe Papa geschenkt, und „Schon gut! Schon gut!“ sagte die
vor allem lag da — die Krone all’ dieser schöne Frau begütigend. „Sei nur recht
Herrlichkeiten — das sinnige Geschenk brav, Fritzi, und kneip’ den Hans nicht
des praktischen Gemahls, der den Traum immer in die Beine. Das ist mir das
ihres Herzens zu errathen gewusst: Eine liebste Geburtstagsgeschenk.“
Geldbanknote von verheissungsvollem Um- Paul musste unbedingt etwas auf dem
fange. Träumerisch sah die schöne Frau Herzen haben. Er schlang beide Arme
auf diese Banknote hernieder, und träu- um Mamas Taille und drückte sie an sich,
merisch lächelnd hob sie den Blick und so fest er konnte. Leider gelang es ihm
sah zwischen den dunkelrothen Portieren nicht, Mama schreien zu machen, wie er
hinaus auf die frischbeschneiten Bäume beabsichtigt hatte: Entweder war Mama
ihres Gartens, auf denen die Strahlen der an solche Umarmungen schon gewöhnt
Sonne bläulich blitzten. — oder er war noch zu schwach! — Nun
Jetzt kamen die Kinder. schaute er spitzbübisch lächelnd zum Fräu-
„Wir gratuliren!“ riefen drei helle Stim- lein hinüber, die in diesem Blicke schon
men, und mit verlegener Lustigkeit stürm- ein Unheil ahnte, und fragte dabei zu
ten die Kleinen herein, gefolgt von dem zum Mama hinauf: „Du, Mama, sag’ einmal,
Ernste mahnenden Fräulein. Die schöne wie alt bist Du denn eigentlich heute?“
Frau küsste sie alle ab, den ältesten, den „Ja, Mama, wie alt bist Du?“ rief auch
Paul, der schon 12 Jahre war, und die zehn- Fritzi.
jährige blonde Fritzi, und den sechsjährigen „Wie alt, Mama —?“ fragte der kleine,
Hans, der noch nicht die erfahrene Lebens- aber dicke Hans.
klugheit und den sicheren Takt seiner Ge- Die schöne Frau suchte zu lächeln.
schwister besass, und, die grossen unschul- Sie zog eine Düte aus dem Sacke und
digen Augen starr auf Mamas linken Mittel- hielt sie hoch in die Luft: „Seht Ihr, das
Zierleiste finger gerichtet, ganz unnöthiger Weise noch hab ich Euch gestern mitgebracht — ver-
gezeichnet von J. Berchtold. einmal wiederholte: Wir gratuliren. zuckerte Kastanien!“
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1896 JUGEND Nr. 20
Nunmehr betheiligte sich auch der alle Jahre, alle Jahre_und mit ihnen wird auf und näherte es ihrem rosigen Gesicht-
dumme Hans an der Diskussion. Er zappel- auch sie älter, unaufhaltsam, unaufhaltsam. chen. Und dabei besah sie sich wieder im
te nämlich. Sie trat vor den venetianischen Putz- Spiegel. Man könnte sie auch ganz leicht
„Pst! Jeder eine!“ sagte Mama war- spiegel und lächelte melancholisch: Un- für noch jünger halten. Ueberhaupt im
nend. „Sonst esst Ihr zu Mittag nichts!“ aufhaltsam. — Nein, wenn sie so melan- Profil. Mit Hilfe eines zweiten Spiegels
Paul verzehrte mit aller Ruhe seine cholisch lächelte, da war sie entzückend besah sie sich nun im Profil. Da sah sie
Kastanie, und nachdem er das letzte Stäub- schön, das kleidete sie sehr gut! und vor aus, als wäre sie zwanzigjährig. Und über-
chen sorgfältig ausgesaugt hatte, fragte er: Vergnügen lächelte sie gleich noch einmal haupt dieser Nacken und der Hals. Sie
„Also sag’, Mama, wie alt bist Du?“ melancholisch. öffnete ein wenig den Kragen, um den Hals
Die schöne Frau runzelte ein wenig Um aber den richtigen Effekt heraus- besser sehen zu können. Wie blendend
die Brauen. Aber sofort wurde sie wieder zubringen, sprach sie dazu die Worte: „Ich weiss und zart! Sie hatte nie einen schö-
lieb und freundlich. bin ja schon alt!-Ich bin ja schon neren Hals gesehen! —
„Morgen geh’ ich mit Euch auf’s Eis, alt! — Ich bin eine alte Frau — — —!“ Und nun lächelte sie stolz. Aber man
Kinder“, sagte sie, „aber wer wird mich Ja, so machte sie Sklaven. So hatte sie im vergötterte sie auch, wo sie sich zeigte.
führen?“ vorigen Jahre einem jungen und schüch- Ueberhaupt die Männer. Keiner wider-
„O, ich führ’ Dich ganz allein!“ ver- ternen Arzt geantwortet, der ihr versicherte, stand ihrem Zauber. So ein Blick, oder
sicherte Paul ein wenig geringschätzig. er hätte noch niemals eine schönere Frau so ein Lächeln, und ein jeder war ihr
„So, wirklich!?... Na...“ entgegnete gesehen, als sie. „Ach Gott!“ hatte sie Sklave. Und auch der Herr Doctor, ja, ja,
Mama und bemühte sich, ungläubig zu melancholisch geseufzt, „ich bin ja schon der sie für 28 Jahre hielt. O, manchmal
lächeln. alt_!“ verräth er sich, wenn er ihr den Puls fühlt,
„O ja, Mama.Aber wie alt bist Du ?“ Und derselbe schüchterne, hübsche Doc- oder wenn er ihr die Hand küsst, was er
„Sag’ Mama!“ tor hatte ihr versichert, er kenne das Alter ihr aus Schüchternheit nie einzugestehen
Das Antlitz der schönen Frau ward ernst: einer Frau sofort, ihm gegenüber gäbe es wagte. Und das freute sie, denn er
„Eine Dame fragt man nie nach ihrem Alter, keine Verstellung. Da hatte sie gelächelt. war ein sehr hübscher, junger Mann_
merk’ Dir das, Paul. — Das ist eine grosse, So hatte sie gelächelt, mit solch’ einem Nicht etwa, dass sie ihn liebte, — o, sie
grosse Ungezogenheit.“ Blick — nein, übrigens nicht so — so! war viel zu gut erzogen, als dass sie je in
Paul setzte sich darüber hinweg. „Du Schalkhaft und ungläubig. Ja, so. ihrem Leben jemanden geliebt hätte! —
musst mir’s sagen“, beharrte er. „Papa ist „Nun — Herr Doctor — für wie alt hal- oder, dass sie ihm je die kleinste Gunst
44. Bist Du auch 44?“ ten Sie mich?“ hatte sie schelmisch gefragt. gewährt hätte, oh! oh! (diese Entrüstung
„Ja!“ sagte Mama und lächelte wieder. Der schüchterne, junge Mann wurde augen- steht ihr auch sehr gut). Sie ist ja eine
„Wer weiss?!“ meinte die kleine Fritzi scheinlich verlegen — das hatte sie so gerne, anständige Frau; sie war ja, Gott sei Dank,
misstrauisch. wenn die jungen Männer in Verlegenheit immer in der Lage, es sein zu können, —
Das Fräulein erkannte das Gefährliche kamen- doch erbeharrte: „Auch bei Ihnen, aber, dass ein Mann in sie verliebt sei, das
der Lage; und rasch gefasst, sagte sie: schöne Frau, bin ich meiner Sache ganz freute sie dennoch. — Und er hält sie für
>,U faut parier frangais, mes cheris.“ sicher_“ „Nun, sprechen Sie!“ hatte sie 28 Jahre, ha — Ha —, und ist noch stolz
„Oui, oui“, begann Mama, um ein Bei- ihn ermuthigt. „Meine Gnädige“, erwiderte auf seinen Kennerblick!
spiel zu geben. er, „mein Urtheil ist nicht galant.“ „Ich Ja, wenn er wüsste, wie alt sein Ideal
Aber Paul war heute verwegen; er fragte: bin nicht eitel!“ versicherte sie. „Nun in Wahrheit ist, der gute Doctor; — wenn
„Eh bien, raaman, quel äge as-tu?“ denn“, wagte er schliesslich, „auf die Ge- sie so eines Augenblicks vor ihn hinträte
Die Schöne hob ihre schönen Augen zur fahr, Ihnen zu missfallen, — Sie zählen — und spräche: Ja, mein lieber junger Doctor,
Decke und seufzte ein wenig verzweifelt; Sie sind 28 Jahre alt!“ „Das ist wissen Sie, wie alt ich wirklich bin, ich,
da konnte nur noch Energie helfen. unheimlich!“ hatte sie gelacht, „das ist un- diese schöne, schlanke Frau, mit den
„Ich habe jetzt keine Zeit für Eure heimlich. Sie sind ein gefährlicher Mensch, schwarzen, heissen Augen, mit den blut-
Dummheiten“, sagte sie streng, „ich muss Herr Doctor! — hahaha!“ Und so hatte sie rothen Lippen, mit den rosigen Wangen
jetzt wirthschaften. Lasst mich allein.“ Und gelächelt, mit erschreckten, verwundenen und der weissen Stirn — wissen Sie, Herr
mit werkthätiger Unterstützung des Fräu- Augen, und ihre Perlenzähne gezeigt. — Doctor, dass ich eine alte Frau bin — ja
leins schob sie die drei zur Thüre hinaus, Und seither ward der junge Doctor ihr eine alte Frau —, dass ich heute 34 Jahre
zuletzt Paul, der noch in der Thüre die Hausarzt. — Uebrigens ein sehr netter, bin! Jawohl — 34 Jahre.
entschlossene Versicherung abgab: junger Mann, der Herr Doctor — Das hell- Und in bester Laune lächelte sie traurig
„Du musst mir’s sagen, Mama!“ farbige Rosenbouquet, das er ihr heute ge- und träumerisch in den Spiegel, und wieder-
Und ein wenig wehmütig blickte sie schickt, und das aus 29 Rosen bestand, holte mit einem tiefen Seufzer ganz laut:
ihnen nach. Sie wurden älter und grösser, war wirklich reizend! Sie hob das Bouquet Jawohl, ich bin heut’ 34 Jahre!
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Nr. 20 . JUGEND •
über ältere Frauen, die die Jugend krampfhaft
„Na, siehst Du, Mama, jetzt weiss ich’s!“ spielen wollten. Mein Gott! Das ist das
rief Paul, das lachende Gesicht zwischen der ewige Recht der Jugend. Sie weiss ja nicht,
Thüre. wie traurig es ist, Abschied zu nehmen, von
Da verzerrte sich das melancholische Jugend, Kraft und Schönheit, wie unendlich
Lächeln um den Mund der schönen Frau, traurig für eine schöne Frau es ist, zu ster-
ihre Perlenzähne knirschten, eine Blutwelle ben und sich selbst zu überleben!
stieg in ihr rosiges Antlitz, mit wilder Geberde Die schöne Frau schaute mit feuchtem
ergriff sie eine elfenbeinerne Kopfbürste und Blick hinüber nach dem mit Blumen und
stürzte auf den Kleinen zu, der vergnüglich Schmuck bedeckten Tischchen. Ach, alle diese
Mamas Aufregung mit ansah. Rosen und alle diese Glückwünsche und all’
„Willst Du wohl schweigen, Bengel!?“ der heitere Tand verdecken diese kleinen
schrie die schöne Frau, die feine Hand drohend Runzeln nicht, die da, unter den Augen. —
erhoben. Und Paul spielte mit Fritzi und Hans
Nun hatte die Sache für Paul erst Inter- „Familie.“ Paul war der gestrenge Papa, Hans,
esse. Wie ein Kannibale stürzte er in’s Vor- der zu jeder anderen gesellschaftlichen Funk-
zimmer, mit dem Kriegsgeheul: „Mama ist tion unbrauchbar, war das Kind und Fritzi war
34 Jahre alt!“ die Mama und war 34 Jahre alt. Und sie
Mama stand hinter der Thüre — eine jubelte darüber: 34 Jahre, 34 Jahre!
Medea. Erst wollte sie dem Verräther nach- Die schöne Frau aber begrub ihr Antlitz
eilen; aber sie erinnerte sich, dass sie das in dem weissen Felle der Chaiselongue, vor-
vor dem Fräulein blamieren würde. Sie ist sichtig, um die Frisur zu schonen, und weinte
also völlig machtlos, sie muss es dulden, so bitterlich als es ihr enges Mieder erlaubte.
dass ihr eigenes Kind ein Geheimniss ver- So fand sie auch der heimkehrende Gemahl.
fällt, das sie so ängstlich gehütet. Da stieg „Was hast Du denn, Schatz?“ fragte er
es ihr heiss in die Augen. in Angst um seine häusliche Ruhe.
Das ist der Dank der Kinder, dachte sie Da warf ihm die schöne Frau einen un-
mit Bitterkeit, dafür opfert man seine Jugend, gewöhnlich gereizten Blick zu.
dafür wacht man an ihrem Bette, wenn sie „Was ich habe?“ fuhr sie auf, „hörst Du
krank sind, und weint sich die schönen Augen denn nicht den Paul, wie er im ganzen Hause
wund. — Das ist der Dank. herumläuft und schreit: Mamaist34Jahre alt! —
Und tief verstimmt, mit zusammenge- Das geht doch niemanden etwas an! — Warum
zogenen Brauen schritt sie langsam dem erziehst Du Deine Kinder nicht besser?“
hohen Wandspiegel zu, der am Fenster stand. „Ja, um Gotteswillen!“ versetzte er tief-
Dabei horchte sie gespannt auf Pauls Stimme erschrocken, „wie hat er denn das heraus-
im Nebenzimmer, der seinen Geschwistern gebracht?“
jubelnd das überraschende Resultat seiner „Mein Gott! Er hat mich belauscht. Ich
Expedition verkündete: Mama ist 34 Jahre überdachte so bei mir, dass ich schon eine
alt! Um Mama’s Mund zuckte es wie bitterer alte Frau bin, und meinem lieben Mann doch
Hass. Es war zum ersten Male, dass sie ihr gar nicht mehr gefallen könnte!...“
Alter aus fremdem Munde erfuhr; und es war „Aber!“
der Mund des eigenen Kindes! — Traurig hob „Ja, ja! Und da sprach ich so vor mich
sie das Haupt und schaute in den Spiegel. hin: Wie könnte ich ihm auch gefallen, ich
Da stieg ihr eine dunkle Blutwelle in’s Ge- bin ja schon 34 Jahre alt! — Und das hat der
sicht, um Gottes Willen, wie hässlich sie Schlingel gehört!“
war! Sie stand hier so, dass von der einen Und bekümmert presste sie ihr Spitzen-
Seite das helle Schneelicht einfiel, während taschentuch vor die Augen.
auf der anderen das Dunkel des Zimmers „Dieses entartete Kind !“ entrüstete er sich,
gespenstische Furchen in ihr Antlitz zog. und umschlang die schöne Frau mit der ge-
Unter den Augen lagen unregelmässige tiefe läufigen Zärtlichkeit des langjährigen Gatten.
Schatten, um den Mund hatte das melan- „Aber schliesslich, tröste Dich, Kind! Sieh’,
cholische Lächeln einige melancholische kleine es ist ja noch ein Glück, dass Du Dich in
Falten zurückgelassen. Die Wangen waren Deinem Selbstgespräch nicht soweit hast hin-
durch die Aufregung, in der sie sich befand, reissen lassen, Dein wahres Alter anzugeben,
dunkelroth, was sich ungemein trivial aus- denn sonst würde der Paul doch gar im ganzen
nahm .... Hause ausschreien: Mama ist 37 Jahre alt!“
Mit einem schweren Seufzer liess sie sich
auf die Chaiselongue gleiten; zum ersten-
male in ihrem Leben wehte sie der Hauch dt*
des Todes an, dass sie erschrak. Sie ist
also alt! —
Heute nur bei scharfer Schneebeleuchtung; Die bösen Zungen
nächstes Jahr an allen hellen Tagen, in fünf
Jahren auch am Abend bei verjüngendem Zu Fulda über den Marktplatz
Lampenlicht. Sie ist also alt, — älter vielleicht Ging einer um Mitternacht,
als sie selber annimmt. Andere Leute haben Der war von seiner Frau Mutter
die Runzeln vielleicht schon so und so lange Sonntags zur Welt gebracht.
bemerkt, und haben sich über sie lustig ge-
macht, dass sie die Jugendliche spiele. Es Der sah in der Geisterstunde
gibt ja nichts, was lächerlicher wäre als eine Ein lustiges Strafgericht:
alternde Schönheit. Wie oft hatte sie selbst Hell liegt die Rathhaustreppe
als Mädchen, als junge Frau, Thränen gelacht Gezeichnet von L. Corinth. In feuerrothem Licht;
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1896 JUGEND Nr. 20
Und um den Brunnen stehen Nun reden die bösen Zungen Sie müssen lecken, schlecken,
Weibsen mit Eimer und Krug, Kein Sterbenswörtchen mehr; Bis dass die Treppe rein;
Die stecken die Köpfe zusammen Zur Treppe gehn die Weibsen, Sie Hessen es lieber bleiben,
Und raunen Lug und Trug; Der Gang wird ihnen schwer. Sie sehen sauer d’rein.
Sie lehnen sich über die Brüstung Sie steigen und netzen die Stufen Doch auf der obersten Stufe
Und beugen sich zum Grund, Und lassen sich nieder auPs Kniee — Der Teufel sitzt und lacht,
Doch schöpfen sie nicht mit den Eimern, Und mit den bösen Zungen Sieht zu dem Höllenspasse,
Sie schöpfen mit dem Mund. Die Treppe waschen sie. Der ihm Vergnügen macht.
ALBERT MATTHAEI.
Seit der Eingab’ Gertraudens verflossen war „An einer schönen Brust zu ruh’n, das
Höchstens ein und ein halbes Jahr. ist ein Trost“, rief stolz die Nelke, als ein
Gigerl sie in’s Knopfloch steckte.
Das Fräulein Gertraude schrieb aber zurück:
„Ach, wie igt’s'möglich dann, dass ich
Sie bedanke sich sehr für das hohe Glück, Dich lassen kann!“ rief die Klette und
Doch käm’ es zu spät, was man jetzt ihr be- klammerte sich an den Wanderer.
richtet:
Sie habe auf’s „Fräulein Doktor“ verzichtet, „Schön war ich auch, und das war mein
Und vorgezogen, auf dieser Erden Verderben“, jammerte der Giftpilz, als ein
Doch Alles angeht im weiten Staat, Eine simple — „Frau Doktorin“ zu werden, Knabe ihn köpfte. m. w.
Dann war die Geschichte für’s Plenum Und sie befinde sich vor der Hand
parat. Sehr wohl und behaglich in diesem Stand. „Ach des Lebens schönste Feier endigt
Da gab es sehr erhitzte Debatten. ki-ki-kj. auch des Lebens Mai“, seufzte der Wald-
In’s Kleinste erörtert ward Licht und meister, als man ihn abriss und in die
Schatten, Bowle warf.
Gekrittelt, gefragt, um Erklärunggebeten — „Divide et impera“, dachte der Spaltpilz.
(So ein Zwischenfall bringt was ein an
Diäten —,) „Die Müh’ ist klein, der Spass ist gross“,
Beinahe wär d’rum ein Minister gestürzt. sagte die Weissdornhecke und zerriss dem
Auch mit Witz und Humor ward die Sache Wanderer die Hose.
gewürzt. „Das ist die Art, mit Hexen umzugeh’n“,
Und Einem, der ganz links drüben gesessen, sagte der Haselstrauch, als sich der Bauer
Dem war die Sache gefundenes Essen, einen Stecken abschnitt, sein böses Weib
Er wetterte wild und donnergleich damit zu prügeln.
Auf die Bürgermoral im deutschen Reich,
Er kannte die Rechte des Weibes genau, „Sei im Besitze und Du wohnst im
Citirte fleissig aus Bebel’s „Frau“ Recht!“ dachte die Mistel und sog dem
Apfelbaum das Mark aus.
Und sprach zuletzt mit grimmigen Hohne
Vom Tritte der Arbeiter-Bataillone. „Hier der Hollunderstrauch verbirgt
Ein anderer „Linkser“, der aber mehr mich ihm“, meinte der Champignon, als
Von Eugen Richter’scher Couleur, der Junge kam zum Schwammerlsuchen.
Der brachte die Sache mit feiner Empfindung „Ach, die Erscheinung war so riesen-
Mit Fragen des Fortschritts in Verbindung, gross, dass ich mich recht als Zwerg em-
Und war mit seiner Rede im Nu pfinden sollte“, sagte der Kommabaccillus,
Beim alten Herrn von Friedrichsruh. da sah er die Nase des Naturforschers
Er liess an ihm nicht drei gute Haare, durch’s Mikroskop.
Er schwur, dass der Freisinn, der echte,
wahre, „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein
„Das ist; das Loos des Schönen auf der sei“, sagte der Floh.
Das Haupt erhebe mannhaft und frei
Vor Bismarcks stupider Tyrannei, Erde!“ seufzte die Distel, als sie von einem ,Der Menschheit ganzer Jammer fasst
Und sagte, die Schuld an aller Noth Esel gefressen wurde. mich an“, sagte der Häring.
In Deutschland trüge dieser Despot. „Verstand ist stets bei wen’gen nur ge- „Ich versprach Dir einmal spanisch zu
Ein Conservativer mit Grundbesitz wesen“, tröstete sich das Gänseblümchen. kommen“, sagte das Rohr zum ungezogenen
Traktirte die Frage mit Geist und Witz, „Die Menschen sind nicht immer, was Jungen.
Und krönte die Rede mit der Erklärung,
Bewillige man die Doppelwährung,
sie scheinen“, philosophirte die Myrthe.
So sehe er keinen Grund, warum „Schön bist Du, doch gefährlich auch“,
Die Frauen nicht sollten zum Studium. sprach die Tollkirsche zur Kamille.
Dann knüpfte ein grosser Centrumsmann „Keine Rose ohne Dornen“, so ent-
Für seine Partei die Bedingung d’ran, schuldigte sein Stachelkleid der Kaktus.
„Wenn wir das Frauen-Studium litten,
Verlangen wir eins dafür: die Jesuiten“.— „Unsinn, Du siegst, und ich muss unter-
Und nach dreitägigem Ueberlegen geh’n!“ klagte die Orakelblume, als sie von
War die Kammer nicht absolut dagegen. einem Verliebten zerzupft wurde.
Da hatte denn auch die Polizei „An ihren Früchten sollt ihr sie er-
Weiter kein schlimmes Bedenken dabei. kennen“, docirte der Dornstrauch.
Die theilte es dem Minister mit, „O, rühret, rühret nicht daran“, warnte
Der nun seinerseits zur Genehmigung die Brennessel.
schritt,
Der gab dem Senate der alma mater „O, was ist Menschengrösse!“ spottete
Die Sache zurück und der was that er? die hohe Tanne.
Er hatte absolut nichts dagegen, „Ohne Wahl vertheilt die Gaben, ohne
Das Fräulein sollte nur, seinetwegen, Billigkeit das Glück“, seufzte der Lorbeer,
Studiren, soviel ihm’s gelüsten thät’, als sich ein eitler Tenorist einen Kranz
Das Gleiche sagte die Fakultät, werfen liess.
Zuletzt kam’s wieder an’s Rektorat, „Hier fühl’ ich, dass ich bitter werde“,
Das ebenfalls weiter nicht Einspruch that, sprach der Wermuth.
Und es hat der Herr Quästor dem Mägd-
lein jetzt „Ich sage wenig, denke desto mehr“,
In einem Brief auseinandergesetzt, meinte der Krautkopf.
Dass sie unbehindert fürderhin „Die Rache ist mein, ich will vergelten“,
Studiren könne die Medizin.- erklärte die Birke.
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Nr. 20 JUGEND 1896
Wärst du gekommen,
Eh’ der Gedanke Nach dem Regen
Die Stirn mir durchfurchte Grauer Nebel am Waldesrand,
Mit emsigem Pflug, Wäss’riger Himmel darüber gespannt.
Zeitig am Morgen Hinten die Kirchthurmspitze,
Als ich noch träumte, Und ein Storchnest im Scheunengebälk.
Was hilft dem Wachen Eine Pappel, struppig und welk,
Dein holder Betrug! Spiegelt sich in der Pfütze.
Heber die kotige Landstrasse her
Hätt’ ich die Kraft nur, Tönt’s, wie das Knarren von Rädern . . .
Dir noch zu folgen, Nur eine Krähe krächzt laut und schwer
Gerne betrog’ ich Drüben, — und putzt sich die Federn. —
Dich selbst im Spiel, L. LESSEN.
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1896 JUGEND Nr. 20
ON langem Wandern müde kehrt ich heim, Durch den zerfall’nen Raum und raschelt
Den Berg hinab den Weg in’s Thal ver- leise
folgend. In den papier’nen Rosen auf dem Haupt
Am fernen Waldsaum ging die Sonne unter, Der Muttergottes.
Das Aveläuten grösste fromm herüber; Mit weit offnen Augen
Die Bergesspitzen glühten auf, die Ferne So schaute sie auf mich, gross und
War dämmerhaft in tiefes Blau gehüllt, erschreckt;
Und hell darüber stand der Abendstern. Auf ihrem Schoosse lag das Christuskind,
In tiefen Träumen schritt ich lange fort. Das sie wie schützend hielt. Ihr Blick
Die friedevolle wundersame Schönheit traf mich /
Hielt allgewaltig mir das Herz umfangen.— So trostlos klagend, grad als wollte sie
Da raschelt’s neben mir; ich wende mich Mich fragen: „Wo sind all’ die Menschen,
Und seh’ am Felsen angelehnt ein Die hier gekniet und heiss gebetet haben,
Kirchlein Bin ich denn nicht mehr ihre Mutter-
Mit festverschloss’ner Thür. Ich blick’ gottes ?“
hinein — Ich pflückte Blumen, die am Wege
Und bleib’ verwundert stehen — welch standen,
ein Bild! Doch da durchfuhr’s mich: kannst ja
In wirrer Unordnung Geräth und Bänke, nicht hinein.
Die Decke eingestürzt und durch der Noch trauriger sie blickte als zuvor,
Fenster Die Schatten huschten trüber durch den
Zerbroch’ne Scheiben zieht der Abendwind Raum,
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Nr. 20 JUGEND 1896
Sie schien zu regen sich und leis’ zu flüstern: Hier beisammen wohnen.
„Du sieh’st ’s, Du sieh’st ’s! Kein Men- Will nur still gemessen
schenkind darf mehr Diese Offenbarung
Zu mir, kein Beter darf mich fürder Heilig hehrer Gottheit
schmücken; In so holder Form:
Ich bin allein — verlassen — so ver-
lassen!“ — — Gibt es etwas Süsseres
— Ich brachte jeden Tag ihr frische Als eine Kinderhand? —
Blumen AUGUST BUNGERT.
Und wand sie um die Eisenstäb’am Fenster.
Dann fuhr ich fort und sah viel schöne «OC
Kirchen,
Marienbilder, die gar reich geschmückt, 2\n
Voll Hoheit blickten auf die Schaar der
Beter — Heil Dir Gewaltiger,
Doch auch nicht eines hatte solch ein Antlitz, Göttergcstaltiger,
So holde Augen und so süsse Lippen, Siegeerriugeuder,
Wie die verlass’ne droben im Gebirg! Herzenbezwiugeuder,
E. LINDEMANN. Silberfpornflingett&er,
Seligfeitbriugeuder,
-ZV? Walzertaktwirbelnder,
Schnurrbärtleinzwirbeluder,
Feuriger, schneidiger,
Kinderhand Landesvertheidigcr!
Gibt es etwas Süsseres (Dl> Du vermögen hast
Als eine Kinderhand? Bdcr blos Gläubiger,
Bb Du den Degen hast
Halt ich so ein Händchen, Bdcr den Säbel schwer,
Will es mich bedünken. Bb Du im rauhen Lrz
Dass des Tages Lasten, Funkelst als Kürassier,
Alle Lebens-Kämpfe Jegliches Frauenherz
Hinter mir versinken; Zieht es mit Macht zu Dir.
Und ich seh die Hand Bb Du in Attila,
Zart in meiner haltend, Bdcr Ulanka bist,
Bb es Amalia
Eine kleine Insel Bder Mariaufa ist,
Vor den Augen aufblüh’n, lieberall wallt für Did;
Schwimmen fern im Meere: Glühend der Frauen Blut,
Bunte Blumen duften, Bb sie nun bürgerlich
Schmetterlinge gaukeln, Bder vom blauen Blut,
Vögel musiciren, Gb sie mosaisch sind,
Silberquellen rauschen, Bb protestantisch sind,
Und es ist die Insel Bb sie prosaisch sind,
Bder romantisch sind!
Der Glückseligkeit! Bb beim Llitcbalt
Gibt es etwas Süsseres Du Did; im Tanze drehst,
Als eine Kinderhand? Bder im Tattersall
In vollem Glanze stehst.
Welche heil’ge Zukunft Adder ob Preise Du
Ruht in Dir geschrieben! Reuueuder weise kriegst,
Welche Lust und Scherze Bb auf dem Life Du
Lachen aus den Grübchen! Zierliche Kreise fliegst,
Was wird für Geschichten Bb Du beim Ballsouper
Glänzende Witze sprühst,
Einst das Händchen schreiben. Bb aus dem Blick beim Thee
Welche Wunden mag es Zündende Blitze sprühst —
And’ren Menschen schlagen; In Liebesweho ganz
Wie viel Liebkosungen Müssen zerronnen sein,
Schlafen hier verborgen; Die Deiner Bähe Glanz
Welch’ dumpfe Qualen, Trifft wie der Sonnenschein,
Wenn die Schläfen pochen, wonnig und selig ist
Wird das Händchen fühlen, Sämmtlichen Frau’»,
Unwiderstehlich bist
Kommen einst die Sorgen. Stets Du zu schau’n.
Ach! und wie viel Worte Did; liebt die Trine, die
Hold unausgesprochen — Morgens die Stiefel schmiert,
Sagt im langen Leben Did; liebt die Mine, die
Dieses Händchens Druck! — Dir den Taffee servirt,
Streckst Du die Finger, dann
Doch ich will’s nicht wissen, Zappeln an jedem schon
Und ich will’s nicht denken, Zehn arme Dinger dran,
Wie viel Glück und Wehe Zierleiste von A. Halmi. Flehen um Liebeslohu,
;ro
Frei nach f. Lccmpocls „Schicksal der Menschheit" gezeichnet van Fritz Dcgcnbart.
Jede, die Dich erblickt, Mb sic den Dalles hat ' sie der Jugend Mund Du bist ihr Schicksal, Du,
Faßt cs wie Zauberbann, Und keine Mark besitzt l-ehrt, wie er englisch red' Dir sind sie Alle gut,
Ist fürchterlich entzückt, Mder auch Alles hat, Mb sie beim Tugendbund, Dir jauchzt die Schicksel zu,
will Dich zum Mann I Und von Brillanten blitzt, Ist, oder beim Ballet, wie's die Prinzessin thut,
Mb sie den Backfischzopf Mb sie zu Pose geht, Mb sie das Zweirad minnt, Im unbeschreiblichen
Noch überm Rücken trägt, Mb sie mit Bieren fährt. Vder den Tennis-Schlag, Brennenden Liebesweh —
Mb auf ergrautem Kopf Mb sie als Zofe geht, Mb sic auf peirath sinnt, Des Ewig weiblichen
Sic schon Perrücken trägt, Rinder fpaziren fährt, Mder blos flirten mag, — höchste Idee! f. w.
Nr. 20 JUGEND 1896
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Nr. 20
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Herausgeber: Dr. GEORG HIRTH; verantwortlicher Redakteur: F. von OSTINI; verantwortlich für den Inseratcutheil: G. EICHMANN, G. HIRTH’s Kunstverlag: säraratlich in München.
Druck von KNORR & HIRTH, Ges. m. beschr. Haftung in München.
ALLE RECHTE VORBEHALTEN.
1896 . 23. Mai JUGEND . I. JAHRGANG . NR. 21
Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben. — G. Hirth’s Verlag in München & Leipzig.
Nr. 21 JUGEND 1896
Der Storch
Ihr Boudoir. Elegante Einrichtung. Die Lampe brennt. Das Ehepaar am Theetischchen.
ER. Aber liebes Kind, komm’ doch in Kunstfragen nicht immer SIE. Du scheinst eine Vorliebe für dieses Bild mit dem Storch
gleich mit „Moral“! zu haben.
SIE (weiss, dass er ärgerlich ist, wenn er „liebes Kind“ sagt — also ER. Weil es bezeichnend ist. Was Du verlangst, geht darauf
nachgiebig.) Ich versteh’s vielleicht nicht besser. Viel- hinaus, dass einer den Glauben an den Storch nicht ver-
leicht liegt das an der Erziehung. Wir Mädchen — letzt —
ER. Ihr Mädchen! Ihr Mädchen wisst ganz genau, dass der SIE. Den Glauben an das Ideal!
Storch die kleinen Kinder nicht bringt. ER. Was verstehst Du unter dem Ideal?
SIE. So? Woher weisst Du, dass wir das wissen? SIE. Die Tugend, die Anständigkeit, alles, was sich gehört.
ER (gibt aus guten Gründen keine Antwort hierauf.) Moral! Ich ER. Dass man Fische nicht mit dem Messer isst, oder bei
versichere Dir, dass das langweilig ist, jedes zweite Wort: einem Begräbniss einen Cylinder trägt?
die Moral! Ich schmeichle mir, etwas von Kunst zu ver- SIE. Dein Spott rührt mich nicht. Das Ideal ist eben —
stehen; ich sage Dir, das Buch ist gut, ich erkläre Dir, ER. Das Ideal.
warum ich es gut finde, aus zehn, aus hundert Gründen. SIE. Ja, das muss man fühlen. Ihr modernen Männer habt
Der Mann ist ein Dichter. Und was antwortest Du mir? eben das Gefühl dafür verloren. Wenn so ein Buch
Aber die Moral!“ Das mit der Moral, das hast Du von einem jungen Mädchen in die Hand fällt!
Deiner Mutter! ER. So versteht sie’s nicht, dann ist’s ihr chinesisch und
SIE. Hast Du gegen meine Mutter eine Einwendung zu machen? kann nicht schaden. Oder sie versteht’s, dann geht’s in
ER (nimmt einen Schluck Thee — dann): Deine Mutter gehört Einem hin. Uebrigens können sich die grossen Künstler
nicht nach den kleinen Mädchen richten. Und dem Reinen
nicht zu den Frauen, gegen die man Einwendungen macht. ist Alles rein. (Er steht auf und bereitet sich \um Fortgehen.)
SIE. Gerade Du solltest ihr ewig dankbar sein, dass sie mir SIE. Die Polizei hat ganz Recht, wenn sie alles confiscirt, was
die Grundsätze eingeprägt hat, die sich für eine anständige gegen — gegen —
Frau geziemen. ER. Gegen den Storch ist.
ER. Warum gerade ich? SIE. Und die Leute, die so etwas schreiben oder malen, ge-
SIE. Nach Deiner Vergangenheit... Deine Vergangenheit hat hören in’s Gefängniss.
Dich doch zur Ertheilung solcher Lehren ganz unge- ER. Ja, aus der Welt machen wir eine Kinderstube und —
eignet gemacht. (Sieht auf die Uhr.) Ah, ich muss eilen, sonst komm’ ich
ER. Ich habe gelebt wie alle jungen Männer. Nicht mehr zu spät zur Sitzung. (Küsst sie auf die Stirne.) Adieu, mon
und nicht weniger. enfant, du storchgläubiges.
SIE. Besonders nicht weniger. SIE. (Kokett.) Bist Du mir böse desshalb?
ER (dem dieses Thema unbehaglich ist.) Wenn ein Kunstwerk ER. Aber im Gegentheil! (Er gehl ab.)
als Kunstwerk gut ist, so hat Eure Salonmoral weiter SIE (bleibt eine IVeile hinausblickend am Fenster stehen, bis sie sich
nichts d’rein zu reden. Wenn ein Dichter die Welt schil- überzeugt hat, dass er in die Droschke gestiegen und weggefahren
dert, wie sie ist, so kann er freilich darin dem Storch ist. Dann tippt sie auf die Tischglocke und sagt iu der aus einem
nicht die Rolle zutheilen, welche ihm in der Kinderstube Nebenzimmer erscheinenden Zofe): Lassen Sie ihn eintreten.
zugewiesen wird. MAX BERNSTEIN.
Arnold Böcklin.
Ariißling
1896
Nr. 21 . JUGEND
Ker Aunö
Lin Poggfrcd-Lantus von Detlev v. Liliencron.
In ineinem Lohholz lag er, an der Eiche,
Aühl durch die Stille plätscherte das Wehr,
Die Blätterschatten huschten auf der Leiche I
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1896 JUGEND Nr. 21
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Gezeichnet von
Die Seele wich, es wollte mich empören, Ncit ihren schwarzen haaren spielt der wind,
Wie schamlos sie von ihrem Bruder schied; Tin Stahlhelm schützt sie vor deit Sonnenstrahlen,
Muß selbst der Tod noch Sittenpredigt hören? wie Schnee der Sierra gleißt ihr Brustgebind.
Verklungen war das sonderbare Lied, Ihr brauner hals trägt reich von Milchopalen
Da schob sich vor die Sonne feuchtes Grau, Tin schwarzblau Band; die Arme sind geschmückt
Tin plumper Nebelballen sank rapid. Mit Saphirstangen, die gen Himmel prahlen.
Ich kenn mein nordisch Wetter sehr genau, Die Menge neigt sich, bis zum Knie gebückt,
And Hab mich d'ran gewöhnt; doch seit ich denke, Ihr Selter, Andalusiens Tdelstute,
So schnell wie heute siel noch nie der Thau. Bäumt aus, von seiner stolzen Last entzückt.
Und immer dunkler wurde das Gesenke, Plötzlich: was giert sie unterm Tisenhute?
Bis Finsterniß mich manteldicht umschloß; Die straffe Hand, weßhalb? ergreift den Speer,
Da plötzlich färbt ein Bild die Wolkenbänke: Der eben zierlich noch am Sattel ruhte?
Granada! Auf befranztem Berberroß Erspäht ihr Funkelblick ein Löwenheer?
Seh ich Aischa, Ab ul Hassans Kind, Ist's Don Tellez, der sie zum Kampfe reizt?
Der Gothenfürstin Tgilone Sproß. Der fremde Don mit Augen wie das Meer.
Nr. 21 JUGEND 1896
330
Nr. 21
Die Bekehrung
Nach einem allen Schwank erzählt von Carl Busse.
Die Gemeinde Siebenschloss machte einer hohen Kirchen-
behörde schon seit Jahren arge Kopfschmerzen. Man hatte es
mit strengen und milden, dünnen und dicken, gelehrten und
ungelehrten Pfarrherrn versucht, aber es war vergeblich ge-
wesen. Die Kirche blieb Sonntags so gut wie leer, die Ab-
gaben an den Seelsorger wurden gar nicht oder nur nach allen
möglichen Drohungen entrichtet und es war nicht abzusehen,
wann das einmal anders werden sollte. Da kam schliesslich
ein feistes Pfäfflein, das darum bat, auch einmal sein Heil ver-
suchen zu dürfen. So war er vor zwei Tagen in Siebenschloss
eingezogen.
Der Sonntag rückte heran und einen Tag vorher wusste
der gute Pfarrer noch nicht, wie er die Siebenschlosser zu
guten Christen machen sollte. Er hatte sich gedacht: gelingt
es mir, dann hab’ ich eine reiche Pfarre, auf der ich mit
Gottes Hilfe bis an mein selig End aushalten kann; gelingt
es nicht, dann muss ich die Beine in die Hand nehmen und
mich in irgend ein armes Dörflein hinsetzen lassen. So sin-
nulirte er auch am Sonnabend Früh, als er seinen Morgen-
spaziergang durch die Felder machte. Es war ein schöner
Tag, und die Bauern mit ihren Mägden und Knechten rührten
überall wacker die Hände. Fleissig waren sie überhaupt, das
musste man ihnen schon lassen! Die Ernte gedieh auch Jahr
für Jahr, und mit etwas Frömmigkeit wäre dieses Siebenschloss
ein Musterdorf gewesen.
Aber wie sehr der brave Hirte sich auch anstrengte, es
wollte ihm kein Mittel einfallen, seine verirrten Schäflein auf
den rechten Weg zu führen. Schliesslich wischte er sich den
Schweiss von der Stirne, den die warme Sonne und noch mehr
das ungewohnte Nachdenken verschuldet hatten, bekreuzte
sich und dachte: Den Seinen schenkt es der liebe Gott im
Schlafe. Wenn sie nur morgen in die Kirche kommen —
bis dahin wird mir schon etwas einfallen!
Nun begab es sich, dass am Nachmittag dieses Tages
eine grosse Versammlung der Dorfleute stattfand. Am Freitag
Abend nämlich war Schmuei gestorben, der Dorfjude, der nach
guter alter Sitte für die Bauern mancherlei besorgte, womit
sie sich nicht selber befassen wollten, und der dafür geduldet
wurde und auch seinen kleinen Verdienst hatte. Es sollte nun
an seine Stelle ein neuer treten und man pflog viel Käthes,
wer dieser Ehre theilhaftig werden sollte. Da ging plötzlich
die Thüre auf und herein trat der Pfarrer. Ohne auch nur
einen Gruss zu sagen, sprach er: „Meine Lieben, morgen wird
in unserer ehrwürdigen Kirche ein gross Wunder geschehen,
davon die Enkel noch zeugen werden. Sammelt Euch in Gebet
und Andacht, thuet fein die Augen auf, verstopfet Eure Ohren
nicht wenn morgen die Glocken läuten. Denn grade morgen
— morgen —
Der geistliche Herr streckte den Arm aus und lief, wieder
ohne Gruss, geradenwegs zur Thür hinaus.
Nr. 21
Wie erstarrt sassen die Dorfleute da. liche Paradies muss er! Hat wohl gedacht,
„Is da Kerl varückt?“ fragte schliesslich er könnte mit Euch auch in der Ewigkeit
der Eine und schob den Stiel der kurzen droben noch weiter Geschäftchen machen,
Pfeife in den andern Mundwinkel. Und der Schmuei!
dann ging’s los und immerzu hörte man: Richtig! klopfen die neun Seelen also an
ein Wunder — morgen — ein Wunder1 die Himmelsthür und Schmuei hält sich
Der Herr Pfarrer jedoch war ebenso an der einen hinten fest. Nun denkt Ihr,
in die Häuser gestürzt, hatte dort die meine Lieben: jetzt kommt Petrus, macht
Frauen und Mägde rebellisch gemacht und auf und sagt,Guten Tag!1 Oho, so schnell
wenigstens das Eine erreicht, dass eine geht das nicht! Wann ist der Schmuei ge-
Stunde später überall Gruppen umher- storben? Um Glock’ Acht. Und so zwei,
standen und sich über ihn und das morgige drei Stunden dauert’s doch, bis man da 'rauf
Wunder unterhielten. kommt, selbst wenn man die schnellsten
Als er am nächsten Tage jedoch zum Flügel hat. Also es war schon spät und das
ersten Mal auf die Kanzel stieg, schmun- Himmelsthor doppelt verschlossen. Petrus
zelte er über das ganze breite Gesicht: die jedoch — he, rathet einmal? Der Petrus
Bänke waren vollgepfropft mit Menschen, sass bei Paulus und ass Klösse mit Zwetsch-
wie es seit Jahren in Siebenschloss nach gen, so schöne, wie sie in ganz Sieben-
übereinstimmendem Zeugniss seiner Vor- schloss keine Frau machen kann. Und
gänger nicht erhört worden. Und dann dazu tranken sie ein Weinchen — ich
holte der würdige Seelsorger tief Athem möcht’s wohl haben und Ihr auch. Na,
und begann: da erging’s dem Petrus wie Euch, wenn
„Wack’re Männer von Siebenschloss! Ihr im Wirthshaus sitzt. Der Kopf wird
Wack’re Frauen, Mädchen und Mägde des- roth und Ihr habt die Gedanken nicht
gleichen! immer da, wo sie hingehören.
Es ist gestern eine betrübliche Affaire ,Keinen Augenblick Ruhe!“ brummte
im Himmel gewesen, davon Sankt Peter Petrus also und steht ein bischen schwer-
mir, seinem gehorsamsten Knecht, hat Mit- fällig auf, alldieweil es ihm schon in die
theilung gemacht. Lasst Euch erzählen. Beine gegangen ist — das lange Sitzen.
Ihr wisst alle, dass Freitag Abend Schmuei, Und um ja nun recht schnell wieder zu
der Dorfjud, gestorben ist. Um dieselbigte Paulus und zu den Zwetschgen und Klös-
Zeit jedoch starben hier herum in Lena- sen zurückzukommen, schliesst er auf und
brück, in Grossdorf, in Raden, in Weilers lässt alle ein, ohne recht nach Pass und
lust, Ihr kennt sie ja, noch eine Menge Legitimation zu fragen.
andrer Leute und zwar gute Christenseelen. Am nächsten Morgen wacht Petrus mit
Wie sie nun also ihres Weges zum Himmel einem ganz kleinen Katerchen auf und sagt
zogen, kommt zu ihnen — na, wer meint zu Paulus: Paulus, sagt er, geh’n wir mal
Ihr wohl? Ein Engel? Nein, meine Wack- ’n bisschen in die Morgenluft. Na, der ist’s
eren, sondern Schmuei, unser Schmuei. auch zufrieden und wandeln also beide gott-
Das war von jeher seine Spezialität, dass er gefällig durch’s himmlische Gefild. Plötz-
immer die Nase am Liebsten in Dingen lich bleibt Paulus steh’n. ,Du‘, sagt er,
stecken hatte, die ihn nichts angingen. ,Petrus, riechst Du nichts?1
Hält' ja in den israelitischen Himmel kön- Petrus schnüffelt links, rechts, vorn,
nen, da war ihm noch einer der bessern hinten.
Plätze aufgehoben — nein, nein, in’s christ- ,Das riecht ja beinah —
1896
Und ob!‘ sagt Paulus. ,Nach Knob- ,Und ich etwa?1 fuhr Petrus mit blitz-
lauch.1
enden Augen auf. ,Ich bin ebenso gut
He, meine Lieben, der Schmuei wai wie Du ein Apostel, verstehst Du mich?
e'a ehrlicher Jud, das werdet Ihr sagen Ich fass’ den Schmuei nicht an !‘
müssen. Ich sehe da ein paar Gesichter, ,Na‘, sagte Paulus besänftigend, ,nur
sich _verziehn. Na ja, er hat mal den keine Aufregung. Dann müssen ihn halt
:r jenen über’s Ohr gehauen, aber ich die Seelen an die Luft befördern, mit denen
™e'ne, so im Grossen und Ganzen. Nur er sich eingeschmuggelt hat/
"at er immer Knoblauch gegessen. Und War das kein guter Rath? Aber hört
Slfzt er im Himmel unter einem sil- nur: die von Lenabrück, Grossdorf, Raden,
rnen Baum, wo lauter goldene Sterne Weilerslust, das sind auch die Richtigen!
an hangen, wie im Herbst beim Schul- dünken sich wunder was, und als Petrus
*en die Aepfel, jedoch — er holt sich nun zu ihnen sagt: ,Na Kinder, wie ist
Knoblauch vor. Denkt Euch, im christ- das?' da fangen diese Grossmäuler an auf
ka'holischen Himmel! Euch, auf die wackeren Siebenschlosser
. >Nanu‘, sagt Paulus, ,ich werde doch zu schimpfen, dass man’s in einem Gottes-
nicht einen Israeliten ’reingelassen haben, hause nicht gut wiederholen kann, und
'er in den christkatholischen Himmel. meinen: ,Die schlechten Kerle geh’n Sonn-
per soll in seinen Himmel gehen, ist tags nich mal in die Kirche und dafür
,atz genug drüben! Wart mal: gestern sollen wir aus Lenabrück, Grossdorf, Ra-
cnd kam ja ein ganzer Trupp, da kann den, Weilerslust noch ihren Schmuei ’raus-
? Ende — — o weh, o weh werfen? Nein, lieber Petrus, dafür sind
Und fort lief er, dass sein Bäuchlein wir doch zu gut, im Himmel die Haus-
und dass Paulus kaum folgen konnte. knechte zu machen. Lass’ doch die hier
less sich sogleich die neuen Seelen kom- im Himmel lebenden Siebenschlosser kom-
®u und richtig: war auch unser Schmuei men, die können das ja besorgen!“
t|abei! s He, was sagt Ihr nun? So muss man
Ja‘, sagte Petrus und kratzte sich ver- Euch wackere Leute beschimpfen lassen!
egen
Wied,
den Kopf, ,der muss schleunigst Aber was will man machen? Dass Ihr
"’as
er 'raus, ehe die heilige Dreieinigkeit nicht in die Kirche geht, das ist schon
Get rnerkt- Geh, Paulus, thu’ mir den richtig!
tal'en, setz’ ihn vor die Thür/ O weh, o weh, meine Lieben — ist das
Und nicht schrecklich? Unser Herr Schulze
hir’. zu Schmuei gewandt: ,Nimm’
>nstä
nicht übel, Schmuei, Du bist ein
andiger Kerl, aber Ordnung muss sein
Sonst
gingen die Streitigkeiten da heroben
1,cht aus!'
.. ^Un hielt sich jedoch Paulus nicht
anger.
p >Was fällt Dir denn eigentlich ein,
,etrus — he? Du hast den Mann ein-
aasen, D u musst ihn auch 'rauswerfen.
enkst wohl, ich werd’ mich an ihm ver-
seifen !<
IN
Nr. 21 JUGEND 1896
braucht sich doch nicht gefallen zu lassen, von einem Hosen- die Alten fürchteten sich vor der eigenen Verdammniss, die
matz aus Lenabrück oder einem alten Weibe aus Weilerslust ihnen plötzlich so greifbar nahe rückte.
verhöhnt und verspottet zu werden! O weh, o weh! Aber Nur einer schmunzelte: der neue Seelenhirt. Am näch-
was will man machen? sten Sonntag war die Kirche wieder gepresst voll, und die
Schliesslich also meint Petrus: ,Du, Paulus, mit den Siebenschlosser wurden von Stund an eifrige Christen. Nach
Siebenschlossern ist das eine ganz gute Idee. Schlag doch einem Vierteljahr jedoch nahm sich der Schulze den Pfarrer
mal im Register nach, — wen haben wir denn von denen hier?* auf die Seite.
Mein Paulus setzt sich auch hin, blättert, sucht, sucht, „Herr Pfarrer“, meinte er, „nischt für ungut, abbersch
blättert, bis er endlich den Buchstaben 8 hat. Sa - Se - Si - mer sollten doch e Wunder säh’n, dunnemal as wi in de Kirch’
Si - Siebenlust, Siebenberg, Siebenthal, alles ist vertreten, aber ging’n.“
Siebenschloss? „Hm“, brummte der Geistliche, „jawohl.“ Und dann
,Paulus*, sagt Petrus lächelnd, ,es scheint, Du thust Dir lächelte er: „Na Schulze, als Ungläubige seid ihr hinein-
ein wenig schwer mit dem Lesen! Gib mal her!* gekommen, als Gläubige fortgegangen. Das war doch bei den
Nun ist das ein dicker Foliant, müsst Ihr wissen. In Siebenschlossern wirklich ein Wunder.“
Schweinsleder gebunden für die Ewigkeit. Petrus sucht, dass Verdutzt starrte ihn der Bauer an. Endlich begriff er.
ihm der Schweiss von der Stirne läuft. „Da hatt’r Recht“, murmelte er vor sich hin. „Na abbersch,
,Hm, Hm*, meint er endlich, ,von Siebenschloss, Ge- Herr Pfarrer“, stiess er dann hervor, „ich mecht’ Sie man
meinde Siebenschloss ist noch nicht ein einziger im ganzen fragen: könnten Sie nich ein Wunner thun as wi — as wie
Himmel. Die schmoren alle drunten beim bösen Feind!*“— in der Küch’ gebrauchen können?“
Der feiste Pfarrer hatte mit Donnerstimme diese Worte
gerufen. In der Kirche war es mäuschenstill; Keiner schlief,
kaum wagte Jemand zu athmen. Dann ein tiefer Seufzer,
ein Stöhnen; von den Frauenbänken ein leises Weinen.
Der weise Hirte trocknete sich die Stirn und begann
von neuem.
„Paulus jedoch, meine Lieben, fragte den Petrum: ,Ist
denn dieses Siebenschloss ein Sodom und Gomorrha?* Und
was, meint Ihr, sagte da Petrus? Er sagte: ,Mit Nichten, Paule;
die Leute sind fleissig und wacker, die Frauen sind brav, aber
diese Lumpenhunde gehn niemals in die Kirche. Aber nun
soll sie die Strafe treffen. Ich geh jetzt schnurstracks zum
lieben Gott. Nämlich die Siebenschlosser sollen folgender-
massen büssen. Sie werden alle an die Himmelsthür gestellt
und Alles, was sich künftig hereinschmuggelt, Heiden, Türken
und Juden, die werden von jetzt in den Himmel hinein-
gelassen. Verstanden? Und dann müssen die Siebenschlosser
jeden einzelnen wieder hinauswerfen, ihren Schmuei zuerst. Kleine Münze
Die von Lenabrück, Grossdorf, Raden und Weilerslust aber,
die sonst viel schlechtere Kerle sind, dürfen im Kreise herum- Dass nie die Bäume in den Himmel ragen,
stehn und die Siebenschlosser auslachen. Basta!* Dafür ist wahrlich fast zu viel gescheh’n.
,Lasse noch einmal Gnade für Recht ergehen, Petrus*, — Uns bleibt auf Erden nur noch drauf zu seh’n,
bat der brave Paulus da, den wir jetzt immer dafür in unser Dass sie nicht allzutief hier Wurzeln schlagen.
Gebet einschliessen wollen. FLEO.
Petrus wollte erst nicht recht; schliesslich aber dachte
er: Der liebe Gott hat mir auch oft verzieh’n und was dem Essen hält Leib und Seele zusammen,
Einen recht ist, ist dem Andern billig. Und laut sagte er: Trinken bringt sie wieder auseinander.
Gut, es sei noch einmal versucht. Ich hab’ den Sieben- h. s.
schlossern eben einen neuen Seelsorger geschickt. Das ist
ein braver Mann, mit dem können sie zufrieden sein — (liebe Niemals nach berühmten Mustern
Gemeinde, das sag’ ich sündiger Mensch nicht von mir, son- Bilde Deine Geisteskinder,
dern das sagte Petrus); wenn diese Lumpenbagage aber auch Lieber sei ein kleiner Schöpfer
zu dem nicht in die Kirche kommt, dann ist es mit meiner Als ein grosser Nachempfinder! n.
Geduld aus. Nun will ich mal abwarten. Dann sollen sie erst
alle Ungläubigen hinauswerfen, sodann sollen sie vom ganzen
Kunst bringt Gunst, ein wahres Wort,
Himmel ausgelacht werden, am meisten aber von den Leuten
Allen zum Sporn gesagt!
aus Lenabrück und Umgegend, und zuletzt sollen sie zer-
stückelt und im höllischen Feuer die ganze Ewigkeit geschmort Aber sprecht, wann hätt’ uns Gunst
werden, ohne sterben zu können.* Jemals Kunst gebracht? h s.
Seht mal — das ist gestern im Himmel passirt, und Petrus
hat mir’s die Nacht offenbart. Da hab’ ich zu ihm gesagt: Lass Dich’s nicht zu sehr verdriessen,
„Was? Denkst Du, die Siebenschlosser lassen sich lumpen Dass Du nicht verstanden wirst;
vor den Kerlen aus Lenabrück, Grossdorf, Raden und Weilers' Wer’s nicht merkt, wo Du im Recht bist,
lust? Denkst Du, die wollen sich auslachen lassen? Nein, Merkt auch nichts wo Du Dich irrst! n.
hab’ ich gesagt, dazu sind sie viel zu stolz und vernünftig,
schelf mir meine Siebenschlosser nicht, die werden schon
in die Kirche kommen. Und nun zeigt, dass ich recht habe!“ — Und kehrst Du zurück mit blutigem Kopf,
Also schloss der biedere Pfarrherr. Am ganzen Sonntag Verzehre Dich nicht in Reue!
jedoch gab es im Dorf erregte Gespräche. Besonders im Geflickter Rock und gekitteter Topf —
Wirthshaus. Ein Bauer aus Grossdorf wäre beinahe geprügelt Die halten besser als neue.
worden. Die Frauen weinten, dass ihre armen Eltern und HERMANN ABNOBA.
Grosseltern in der Hölle sassen, die Männer ärgerten sich
über die ihnen in der Ewigkeit zugedachte Beschäftigung, —SHäks—
354
Das Weib vor, hinter und auf dem Rade, gezeichnet von Br. Paul.
Der alte Koraz in neuer ZerdeutsAung
von Christian Morgenstern, Berlin.
II, IS.
Gambrinus selber sah ich am Nock herberg Du zähmst, Gambrinus, selbst ein Barbarenherz .—:
Aneipliedcr lehren — Glaub' es, ungläubig Volk! — 3n eines Theologen Gestalt charmierst
Vor saubrer Münchner Aellcrmadeln Mit hübscher Aellnerin Gelock Du,
Und der Studenten gespitzten Ohren. Ziehst ihr die Schleife des Schürzenbands auf.
Rum plum! noch bebt der Leib mir vom Biergenuß, Zn eines Mediziners Gestalt einmal
Und aus mir redet stürmisch der Gerstensaft — lhast Du den chaufen drängender Gläubiger
Rum plum! oh schone mein, Gambrinus, Mit Maßkrugsalven aus dem Tempel
Gott mit dem schrecklichen Thier im Mappen! Deines olympischen Reichs getrieben.
Die Radiwciber laßt mich besingen laut, Obschon man Dich für stärker im Rundgesang
Das lhofbräuhaus, die Bretzel mit Salz beschneit, Und Rcnommiren als in dem Faustkampf hält,
Das Bockbier, das aus Steincylindern So zeigst Du doch, gereizt, so wild Dich,
Velig wie ponig den Schlund hinabläuft! U)ie Du gemüthlich Dich giebst im Frieden.
Besingen auch die wartende Ehefrau, Der Nachtpolyp mit goldenem Tutehorn —
Die cingeworfncn Fenster des Mannes, der Lin Auge drückt er schmunzelnd, der Brave, zu,
Dem Morgenschoppen Feind gewesen, Sieht Arm in Arm er Deine Söhne
Und die bicrfeindlichen Philosophen! Johlend durch nächtliche- Gassen traben.
II, IS.
Bacchum in remotis carminarupibus Fas pervicacis est mihi thyiadas, Tu fiectis amnis tu mare barbarum, Quamquam choreis aptior et iocis
Vidi docentem, credite posteri, Vinique fontem lactis et uberes Tu separatis uvidus in iugis Ludoque dictus, non sat idoneus
Nymphasque discentes et auris Cantare rivos atque truncis Nodo coerces viperino Pugnae ferebaris; sed idem
Capripedum satyrorum acutas ■ Lapsa cavis iterare mella; Bistonidum sine fraude crinis; Pacis eras mediusque belli!
Euhoe recenti mens trepidat metu, Fas et beatae coniugis additum Tu, cum parentis regna per arduum Te vidit insons Cerberus aureo
Plenoque Bacchi pectore turbidum Stellis honorem, tectaque Penthei Cohors Gigantum scanderet inpia, Cornu decorum, leniter atterens
Laetatur! Euhoe parce Liber, Disiecta non leni ruina Rhoetum retorsisti leonis Caudam, et recedentis trilingui
Parce gravi metuende thyrso! Thracis et exitium Lycurgi. Unguibus horribilique mala: Ore pedes tetigitque crura.
337
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Sinter dem 'Protektorate Sr. D\gl. StoHeit des Prinsregenten Puitpold von Bayern, des Dpnigreichs Bayern Perweser
339
Inseraten-Annahme Insertions-Gebühren
durch alle Annoncen-Expeditionen
sowie durch
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und Leipzig. JUGEND»“
Die „JUGEND“ erscheint allwöchentlich einmal. Bestellungen werden von allen Buch- und Kunsthandlungen, sowie von allen Postämtern
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und Zeitungs-Expeditionen entgegengenommen. Preis des Quartals (iz Nummern) z Mk., der einzelnen Nummer 30 Pf.
Bayrisch-Parlamentarisches
Einst hob die mächtige Hand die Kirche, die Bildung zu schirmen Jetzt ist es anders: vereint sind Junker und Pfaffen im Kampfe
Und seine schneidige Wehr lieh ihr der Adel dazu — Wider die Bildung, die kühn — Vollmar, der Rothe, beschützt.
Lungenleiden sehr. Ausgezeichnete Resultate sah ich bei Kindern, bei denen in Folge
von Verdauungsstörungen grosse Schwäche eingetreten war.“
Herr Dr. med. Demme in Berlin: „Dr. Hommel’s Ilaematogen
habe ich in etwa 100. Fällen von Anämie, Skrophulose, Schwindsucht, He-
convaleszenz, Schwäche angewandt und bin mit dem Erfolg ausnehmend
zufrieden. Ich verordne überhaupt kein anderes Eisen -
Präparat mehr.“
ist konzentrirtes, gereinigtes Haemoglobin (D. E. Pat. No. 81391). Haemoglobin
Dr. med. Kommers Haematogen ist die natürliche organische Eisen-Manganverhindung der Nahrungsmittel. Preis
per Flasche (250 gr.) Mk. 8.—. In Oesterreich-Ungarn II. 2.— ö. W. Depots in
den Apotheken. Wenn nicht erhältlich, directer Versandt durch uns.
Litteratur mit hunderten von ärztlichen Gutachten gratis und franco. Nicolay & Co., ch0SS“'ut Hanau.
Herausgeber: Dr. GEORG HIRTH; verantwortlicher Redakteur: F. von OST1NI; verantwortlich für den Inseratentheil: G. EICHMANN, G. HlRTII’s Kunstverlag; sämmtlich in München.
Druck von KNORR & HIRTH, Ges. m. besclir. Haftung in München.
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• JUGEND -
niederträchtige Geschichte im „Ihn ist der Accusativ von er,“ sagte der Teufel.
Gang? Muss denn so etwas „Lassen Sie Ihre Dummheiten, sage ich Ihnen zum
immer um 12 Uhr passiren, letzten Male!“ schrie jetzt erbost der Polizeihauptmann.
wenn ich gerade zum Mittag- „Wer sind Sie?“ '
essen gehen will?“ „Ich bin der Teufel,“ antwortete dieser und überreichte
Indem erkannte er unter dem Fragenden höflich seine Karte, worauf sehr zierlich ge-
der lärmenden Menschenmen- druckt war: „Luzifer Beelzebub, erster der Teufel und Be-
ge seinen Polizisten, und das herrscher der Hölle.“
Fenster öffnend, rief er hinaus: Nun geriet auch der Polizeihauptmann in die grösste
„Wen bringt Ihr denn da, Wut; eine solche Unverschämtheit war ihm noch gar nicht
Packan?“ vorgekommen; er schrie den Verbrecher an, worauf dieser
Aber bevor noch Packan noch lauter schrie; dazwischen tobte der Bürgermeister und
antworten konnte, rief der schimpfte der Polizist, kurz es war ein solcher Höllenlärm,
Teufel, indem er sehr ehrer- dass die Fenster klirrten und sich draussen vor dem Rath-
bietig seinen Hut abzog, hin- hause eine grosse Menschenmasse ansammelte, die ganz ver-
auf: „Habe die Ehre, Herr wundert dem immer lauter werdenden Gebrülle lauschte.
Bürgermeister! Wie geht es Der Teufel wurde endlich des Gezänkes müde und be-
Ihnen und Ihrer werthen Frau schloss, sich auf würdige Weise zu verabschieden. Er nahm
Gemahlin? Ich habe Ihnen Grüsse vom Kaiser von Marokko, plötzlich seine eigene Gestalt mit Hörnern und Schweif an,
vom Grossmogul in Delhi und vom obersten Häuptling der riss dem Bürgermeister die Perrücke vom Kopfe und schlug
Papuas zu bestellen.“ sie Packan um die Ohren, dass der Mehlstaub umherflog,
-J Die Menge brach in schallendes Gelächter aus, der nahm das Tintenfass, goss es dem Polizeihauptmann über
Bürgermeister aber warf wutschnaubend das Fenstei zu dessen Glatze und stülpte darüber das Sandfass —, dann war
und eilte in das Sitzungszimmer des Polizeihauptmannes, er plötzlich verschwunden, ehe die drei sich von ihrem
wohin der Arrestant gebracht werden musste. Schreck erholt hatten; nur ein hässlicher Schwefelgeruch
Gleich darauf trat auch schon Packan mit dem Teufel erinnerte noch an ihren höllischen Besuch. Als sie wieder
ein und meldete: „Habe gehorsamst zu berichten, dass ich etwas zur Besinnung gekommen waren, beschlossen sie recht
ein ganz gefährliches, bedenkliches und verdächtiges, ja so- kleinlaut, über den ganzen unangenehmen Vorfall strenges
gar höchst miserables und unangenehmes Individium fest- Schweigen zu beobachten und weiter nichts anzugeben, als dass
genommen habe. Dasselbige freche .. . .“ der verdächtige Fremde sich als ein ganz harmloser Mensch
Hier unterbrach ihn der Teufel, indem er mit hoch- entpuppt habe und darum wieder freigelassen worden sei.
mütiger Gebärde die Hand in den Westenausschnitt steckte Der Teufel aber hatte die Stadt nicht verlassen, ohne
und sagte: „Ich verbitte mir solche Insulten von einem ganz einen tückischen Streich zu verüben, was der Bürgermeister
gewöhnlichen Häscher und Packan. Mir kommt anständige alsbald zu seinem Schaden erfahren sollte. Denn als er,
Behandlung zu, und wird sie mir nicht zu Theil, so werde noch ganz verdutzt und bestürzt über das soeben Erlebte,
ich mich bei der Regierung beschweren.“^ nach Hause ging, bemerkte er in einem Hutladen, an dem
Der Bürgermeister, ausser sich vor Wut, schrie ihn ihn sein Weg vorbeiführte, eine Kopfbedeckung, die ihm
an: '„Räsonniren Sie nicht, und warten Sie, bis Sie gefragt ganz ausserordentlich wohlgefiel. Es war eine sogenannte
werden. Wir werden Ihnen gleich zeigen, wie man sich Ballonmütze, eine hohe graue Mütze, deren weiches Ober-
gegen den hochedlen und wohlweisen Bürgermeister von teil ballonartig über den hohen steifen Unterteil hervor-
Dingsda zu verhalten hat!“ ragte, und eigentlich war sie unnennbar scheusslich; aber
„Sie sind ein Narr!“ sagte der Teufel mit höhnischer dem Bürgermeister kam sie wie ein Meisterwerk eleganter
Gelassenheit, indem er aus der Schnupftabaksdose, die der Feinheit vor, und er konnte dem Antriebe nicht widerstehen,
Bürgermeister in der Hand hielt, eine gewaltige Prise nahm. in den Laden hineinzutreten und sie zu kaufen. Das war
Diese neue unerhörte Frechheit brachte den eben die listige Bosheit des Teufels, dass er über diese greu-
Bürgermeister dermassen aus der Fassung, liche Mütze einen Zauberspruch gemurmelt hatte, in Folge
dass er kirschrot im Gesichte auf seinen dessen sie vier Wochen von Jedermann
Stuhl zurücksank und mit dem Munde in der Stadt Dingsda für wunderschön
auf- und zuschnappte wie ein Karpfen, gehalten wurde. Nur für Auswärtige
ohne ein Wort hervorbringen zu können. hatte der Zauberspruch keine Kraft;
Der Polizeihauptmann musste heim denn sonst wäre ja der Scherz des
lieh lachen, nahm aber äusserlich Teufels nicht so lustig gewesen.
eine sehr strenge Miene an und Als der Bürgermeister mit dieser
fragte den Teufel: „Was ist Er?“ pöbelhaften Kopfbedeckung zu Hause er-
„Er ist ein persönliches Für- schien, war seine Frau anfangs heftig er-
wort der dritten Person,“ ant- schrocken, aber dann wirkte der Teufels-
wortete der Teufel, ohne eine zauber und verwandelte ihren Schreck
Miene zu verziehen. in Wohlgefallen. Das Eigentümliche
„Herr, Sie wollen mich zum bei diesem Zauber war aber, dass die
Besten haben!“ rief der Polizei- Verblendung wich, sobald man die Mütze
chef zornig. „Wer ist Er, frage nicht mehr vor Augen hatte; so kam es,
ich -—; Ihn meine ich, Ihn!‘‘
1896 JUGEND Nr. 22
dass bei Tische die Bürgermeisterfrau, indem ihr einfiel, umherstolzierten. Als der Abend herankam, hatten schon alle
wie ihr Mann ausgesehen hatte, ihn fragte: ihre Bekannten das Beispiel nachgeahmt; am nächsten Tage
„Sage mir nur um Gotteswillen, Mann, was ist dir nur kauften immer mehr Leute die Kopfbedeckung, die in ihren
angekommen, dass Du eine so schauderhafte Mütze auf- Augen wunderhübsch war, und die Ladeninhaber schickten
setzen konntest?“ Eilboten nach der nächsten grösseren Stadt, um alle Ballon-
„Findest Du sie so hässlich?“ fragte er verwundert. mützen, deren sie habhaft werden konnten, anzukaufen, weil
„Ganz scheusslich“, sagte sie. ihre Vorräthe auf die Neige gingen.
Der Bürgermeister dachte nach und musste seiner Frau Am dritten Tage liefen alle männlichen Einwohner von
Recht geben. „Ich weiss nicht, wie es gekommen ist“, sagte Dingsda mit den greulichen Mützen auf dem Kopfe umher,
er kleinlaut. „Ich fand sie wunderhübsch —, aber im Grunde und die Fremden, welche dorthin kamen, wussten sich vor
sehe ich niederträchtig darin aus. Du kannst sie dem Schorn- Erstaunen über die närrische Mode gar nicht zu fassen.
steinfeger schenken“. Diejenigen, welche ihre Reisen in Zeitungen und Büchern
„So ein Ungethüm trägt kein halbwegs anständiger Schorn- beschrieben, erzählten mit Spott und Hohn von der Ge-
steinfeger“, schalt die Frau ergrimmt. „Ich werde sie in die schmacksverirrung der Einwohner des mitteldeutschen Städt-
Kehrichttonne werfen“. chens Dingsda, und in diesem schlechten Rufe blieben die
Sie ging hinaus, um diesen Vorsatz sofort zur Aus- armen Dingsdaer, lange nachdem sie ihre Thorheit einge-
führung zu bringen. Aber als sie die Mütze erblickte, schlug sehen hatten und die Zeit, welche der boshafte Teufel für
ihr Zorn abermals in Wohlgefallen um; sie nahm sie vom ihre Verzauberung bestimmt hatte, abgelaufen war.
Kleiderständer, betrachtete sie vergnügt, und hängte sie Weil nun dem Erzfeind der Menschheit dieser nieder-
wieder hin. trächtige Streich so über die Maassen wohl gelungen war,
„Es wäre doch Schade um die theure Mütze“, sagte sie, beschloss er, ihn in ausgedehnterem Umfange zu wiederholen
als sie wieder in’s Zimmer trat; indem sie sich niedersetzte, und, wenn es anginge, alle Erdenbewohner mit der lächer-
ärgerte sie sich freilich schon wieder über sich selbst, aber lichen Thorheit der Dingsdaer anzustecken. Er beauftragte
sie sagte nichts. Denn sie war eine kluge Frau, und es ver- einen seiner Unterteufel, der sich durch besondere List, Ver-
dross sie immer, wenn der Bürgermeister sein Lieblingswort schlagenheit und Tücke auszeichnete, mit dieser Arbeit, und
anwandte: „Die Weiber wissen nicht, was sie wollen.“ der Unterteufel ging mit Feuereifer an’s Werk.
Der Bürgermeister ass, that sein Schläfchen und wollte Als Ausgangspunkt für seine Teufelei schien ihm eine
dann wieder nach dem Rathhause gehen, um weiter zu re- recht grosse Stadt am geeignetsten, und da er bemerkte,
gieren. Als er auf den Gang kam und dort die Mütze noch dass man sich nirgends mehr auf den eigenen Geschmack
hängen sah, rief er verdriesslich: „Ist das infame Ding noch einbildete, als in Paris, so schlug er in Paris seinen Wohn-
da?.... Aber im Grunde sieht sie doch ganz hübsch aus. sitz auf. Denn der Unterteufel wusste sehr gut, da er ein
Ich meine immer, sie steht mir recht gut.“ kluger Teufel war, dass niemand leichter eine Dummheit
Er sah sich verstohlen um, ob seine Frau in der Nähe und Geschmacklosigkeit begeht, als wer sich auf seine Klug-
wäre, holte seine Mütze herunter, setzte sie auf, und eilte heit oder seinen Geschmack recht viel zu gute thut. In
dann, so schnell er konnte, aus dem Hause. Die ihm be- Paris fing er also an, das tollste Zeug zu erfinden, und es
gegnenden Leute sahen ihm erst verwundert, dann aber wohl- dauerte nicht lange, so stand die ganze Welt unter dem
gefällig nach. Auf dem Markte traf er mit dem Eisenbahn- Zauberbanne seiner unerschöpflichen Erfindungsgabe. Die
direktor und dem Landgerichtspräsidenten zusammen und kam Pariser machten zuerst alle Narrheiten, die er ihnen eingab,
mit beiden Herren in’s Gespräch. und den Parisern machte es die ganze übrige Welt nach.
„Wo haben Sie denn die schöne Mütze gekauft?“ fragte Kein Kleidungsstück blieb von den Künsten des Teufels
ihn der Direktor. verschont, und keiner seiner Einfälle war so dumm, abge-
„Ein prächtiges kleidsames Ding!“ setzte der Präsident schmackt und lächerlich, dass er nicht in der ganzen Welt
hinzu. bewundert und nachgeahmt worden wäre. Die Damen
„Gefällt sie Ihnen?“ fragte der Bürgermeister sehr zu- schwärmten für Hüte, die bald so gross wie Wagenräder,
frieden, und beide Herren überboten sich in Ausdrücken des bald klein wie das Nest eines Zaunkönigs waren, bald ganz
Lobes über die Mütze. Das Ende vom Liede war, dass der hinten im Nacken, bald ganz vorn in der Stirn sassen, bald
Bürgermeister beide in den Laden führte, wo er das schauder- grossen Blumenbeeten, bald wandernden Straussen glichen,
hafte Ding gekauft hatte, und dass Direktor und Präsident Noch schlimmer ging es mit den Kleidern; in einem Jahre
sich ebensolche Mützen anschafften und damit in der Stadt sahen die Frauen wie riesige Tonnen aus, im nächsten Jahre
Nr. 22 JUGEND 1896
wie in nasse Handtücher eingewickelt. Sie schien ihr schimmernd durch’s Gewaw
Hässliche Auswüchse verunstalteten Dass sie gar lieblich vor ihm stand,
Schultern und Hüften, den Wuchs und In Züchten ganz und sonder Noth,
die Arme, die Taille sass entweder dicht Nicht wi^serid, was sie ihm entbot.
unter den Achselhöhlen oder lief in Dann flog es über ihr' Härlein fein,
riesigen Schnebben bis zu den Knieen Wob ihr aus Gold ein Krönelein,
hinunter: kurz, es war kein Ende der Ein Krönelein aus Sonnenstrahlen,
unsinnigen Dinge, aber alles erschien Wie die Maler die heilige Jungfrau male;
den Frauen wundervoll und entzückend; Und als der Ritter das geseh’n,
sie wurden auch nicht dadurch von ihrer Sein’ Augen Hess er stille steh’n,
Thorheit geheilt, dass ihnen ein Jahr Er zog ein Ringlein von der Hand
später abscheulich vorkam, was sie, so Und gab der Maid den güldnen Tand:
lange es Mode gewesen war, ganz rei- „Nimm hin, Du Jungfrau hold und rein
zend und prächtig gefunden hatten. Du sollst fortan mein Eigen sein!“
Auch nützte es nichts, dass verständige Er hob sie auf sein flinkes Ross
und wohlmeinende Männer auftraten Und führt sie mit sich auf sein Schlos
und die närrischen Tollheiten, die zahl- H. FRE1SE.
losen Verstösse gegen Geschmack und
Anstand, zu denen die unbegreifliche
Verzauberung der Frauen Veranlassung
gab, bald mit heissendem Hohne ver- Träumerei
spotteten, bald mit ernsten und straf-
enden Worten tadelten. Die Birke neigt sich, licht und schlank
Aber freilich ging es mit vielen Und strählt ihr langes Lfaar im winde.
Männern nicht um ein Haar besser; Ich liege ans der Rasenbank
sie trugen Hüte und Stiefel, Röcke und Und träum’ von meinem blonden Kinde.
Hosen, Westen und Halsbinden von den
unmöglichsten Formen, von den un-
sinnigsten Farbenzusammenstellungen, Ihr kleines Zimmer denk' id; mir
von der schauderhaftesten Hässlich- Utit seinen blau bczog’nen wänden:
keit. Und während sie mehr abschreck- Ringsum gefällig — bunte Zier
enden Vogelscheuchen als vernunftbe- Oeriheilt von flinken Ukädchenhänden.
gabten Menschen ähnlich sahen, waren
sie unbegreiflicherweise in dem Wahne Und an den Spiegel denk' id? mich:
befangen, von unwiderstehlicher Schön- Sie tritt herzu auf leidsten Füßen
heit zu sein. Und sieht mit holder Freude sich
Im Grossen und Ganzen ist es auch
Ihr eigen Bild entgegengrüßen.
noch heutigen Tages ebenso, der Unter-
teufel ist noch immer an der Arbeit und
macht klugen Frauen, sittsamen Mäd- Sie löst der Ejaare blaues Band;
chen und verständigen Männern das Zum Gürtel fließt cs frei hernieder,
Leben sehr sauer. Und darum ist es Und wie ein königlich Gewand
gut, dass die wahre Geschichte des Umwallt es ihre schlanken Glieder.
Teufels, der einen so widerwärtigen Un-
fug angestiftet hat, allgemein bekannt Sie tänzelt scherzend hin und her
werde. Der Teufel ist aber mit den Er- Und hebt ftd; lächelnd auf die Zehen,
folgen seines Unterteufels so zufrieden, Um in dem blanken Glase mehr
dass er ihn im Range erhöht und mit
Don ihrem holden Bild zu sehen.
einem besonderen Titel versehen hat,
was bei den Teufeln ähnlich wie auf
der Erde als eine besondere Auszeich- Und wie sie so beschäftigt steht,
nung gilt. So kommt es, dass sich jetzt Drück' id; behutsam auf die Klinke.
neben dem Spielteufel, dem Geizteufel Und wie die Thüre leise geht
und anderem unsaubem Gelichter noch Und wie ich ihr im Spiegel winke —
einer breit macht, der früher unbe-
kannt war: Der Modeteufel. In freud’gem Schrecken sie erbebt;
Umfangen halten wir uns beide:
Ihr duftig’ Märchenhaar nmwebt
Jungfer Unschuld Uns wie mit Gold und weicher Seide —• '
Es ritt ein Ritter Wohlgestalt,
Wollt jagen in dem grünen Wald. So bin ich Tag für Tag bereit
Und als er kam zum Wald hinein, IlTid; in Lrinn’rnng zu versenken
Begegnet ihm ein Mägdelein. Und mir in stiller Heimlichkeit
Der Ritter trat ihr in den Weg: Die schön’re Zukunft auszudenken.
„Was machst Du hier im Waldgeheg?
Leicht bringen Wurzeln Dich zu Fall, Id; liege auf der Rasenbank
Und Dornen gibt es überall“. Und träum’ von meinem blonden Kinde.
Das Mägdlein an zu weinen fing:
Die Birke wiegt sich, licht und schlank
„Ich bin ein arm’ unwissend Ding.“ —
Und als das Mägdlein also sprach, Und strählt ihr langes Haar im winde. ""
Da schien die Sonne durch den Hag, K. W
546
1896 JUGEND Nr. 22
——
Meine beiden
Brüder bekleiden
die höchsten
Chargen
heim Militär.
(Als
Uniformschneider.)
Grössenwahn
Fragment aus einem Briefe der Frau Wilhelmine Frosch an eine Jugendfreundin.
347
Nr. 22 JUGEND 1896
Oho!
Es ist nicht alles thöricht, was die Dummköpfe denken,
aber auch nicht alles klug, was die Weisen sagen.
Sterbliche sind’s, welche die Unsterblichkeit zu- oder ab-
erkennen.
Mancher weiss erst dann, wie er über eine Sache denkt,
wenn er von einem Anderen das Gegentheil gehört hat.
Es gibt auch Maler, die eher an Raphael erinnern würden,
wenn sie ohne Hände geboren worden wären.
Um seine Ueberzeugung ändern zu können, muss man
erst eine haben. Das sollte manchen hindern, sich stolz in
die Brust zu werfen.
So schlecht denkt kein Mann von den Frauen, wie diese
von einander sprechen.
Es grenzt fast an das Unmögliche, was alles möglich ist.
Von der Mathematik abgesehen, ist 2X2 für die Einen:
fünf, für die Anderen: drei und nur für die Wenigsten: vier.
Kann es etwas Unkeuscheres geben, als wenn sich ein
Weib seiner Tugendhaftigkeit rühmt?
Veraltet? Warte zehn Jahre und es kann die neueste
Mode sein. g. engelsmann, wien.
Spruch
Und kannst Du nicht segeln auf hoher Fluth
Mit stolzen, ragenden Masten,
So wähle ein Boot und zwei Ruder gut
Und rudere ohne Rasten.
Und ist Dein Schiff zu schwach und klein
Zur Reise nach fernem Lande,
So richte zur Küstenfahrt Dich ein —
Und hocke nicht faul am Strande!
HERMANN ABNOBA.
Veränderung
Mit einer Maske bargst Du Dich den Blicken,
Doch ich erkannte gleich Dich mit Entzücken —
Nicht birgt mehr eine Maske Dein Gesicht —
Ich sehe Dich, doch Dich erkenn’ ich nicht. Kl-e.
GO
Ihr habt von je die Seher blind gescholten,
Der Weise hat Euch stets ein Narr gegolten:
Weh’ ihm, was nutzt ihn alle seine Grütze,
Geht er mit Narren — ohne Narrenmütze.
Weh’ dem, der unter Esel sich verloren,
Kam auf die Welt er ohne — Eselsohren!
ROBERT OECHSLER. Gezeichnet von O. Eckmann.
1896 • JUGEND • Nr. 22
Ein ifiillfT stolz und fturrmt, fo zog der ßrijmrr? rintjrr, And näher Kam mir nun drr dütt're Kritersmann,
Lr hat mein altrs üjrr? durchbohrt mit scharfem Speer. Lr sprang vom Okerd und rührt' mit schwrrrr Hand
Mein Herzblut sprang rum Licht, rin rother Strahl, rmpor mich an.
And rann versiegend hin durch Gras und lölumenffor. In meine Wunde drang die Rechte, ttahlumschient:
Stacht sank um meinen Llick, rin Schrei noch rang sich So Kündet' er mir rauh, womit ich dies verdient.
los, — Da — unter'm Griff der Mutt, aus rh'rnrr Lodespein
Dann brach mein altrs Herz non mildrr Dualen Stosz. Wuchs mir rin neues Herz, verjüngt und stolz und rein.
Nach Paul Verlaine.
349
Sport
(Er war wirklich ein ungewöhnlich ordent- unter die lockere Schaar, wie die auseinander
licher Mann. Als sie kamen, um ihn zu be- stoben! Aber der Herr Registrator wußte, was
graben, fanden sie auf dein Nachttischchen zu sich schickte: devot zog er den Hut und sagte:
häupten einen säuberlich gesiegelten Brief mit „Gehorsamsten Dank, Exzellenz!" Jetzt lachte
der Aufschrift: „Lctztwillige Bestimmungen be- auch der «Erzengel; unbegreifliche Leute!
treffs meiner Beisetzung"; darin war genau Endlich kam der Audienztag. Der Regi-
vorgeschrieben, was zur Beerdigung zu be- strator war pünktlich da und bekam No. 2. Eulenspiegel
schaffen sei, wie theuer und wo am besten und Als er aber seinen Rlagesermon beginnen Ein schwarzer Punkt am Himmelsrand!
billigsten zu kaufen. Da zogen sie dem Todten wollte, winkte der liebe Gott gnädig mit der Das Auge starret unverwandt;
den neuen Frackanzug an, der schon auf dem Hand und sprach: „Laß nur, ich kenne Deine Ringsum das gold’ne Sonnenlicht,
Stuhl am Bett bereit lag, und bestatteten ihn Schmerzen. hier hast Du Deine Bestallung Den blauen Himmel seh’ ich nicht,
nach Vorschrift. Alles klappte tadellos; und als als Geheimrath in meine Rechnungskammer." Ich sehe nur mit Angst und Schreck
er mit dem silberknäufigen Rohrstock und dem Und er rief einem Engel, welcher den Be- Am Horizont den dunklen Fleck.
frisch aufgebügelten Lylinder an der Himmels- glückten fortführte. Doch wächst das kleine Wölkchen dann
thür erschien, da machte ihm St. Petrus eine Na, das war doch ein ander Bild! Vrdcnt- Zum wilden Ungewitter an,
ehrfurchtsvolle Verbeugung und sagte höflich: liche Regale und darauf säuberlich neben- Das recht auf mich hernieder tost,
„Schön guten Tag, Herr RegistratorI" einander Rolle an Rolle. Sogar ein grün- So fass’ ich Muth und schau getrost
Run war er im Fimmel. <Er hatte das beschlagenes Pult, ein Drchschcmel und ein Nach einem schwachen Streifen Licht,
eigentlich nicht anders erwartet, aber es gefiel riesiges Tintenfaß. Das war hier sein Spczial- Der ferne durch die Wolken bricht.
A. MO.
ihm absolut nicht. Ls war ja gräßlichI Rein büreau. wahrhaftig, Arbeit für eine Ewig-
regelmäßiger weg, die Lilien standen wirr her- keit I himmlische Güte! Zwei- und sünfstrahl-
um und die (Engel — heiliger Schreck! Nichts ige Sterne durcheinander notirt, hier sogar
auf dem Leibe, rein gar nichts! — In sprach- ein Fixstern mit einem Planeten verwechselt.
loser (Entrüstung inachte er sich den zweiten Sogleich begann er zu arbeiten, es ging Einer jungen Sängerin
Frackknopf zu und ging weiter, ohne sich um- recht flott, nach Tagen hatte er die erste Entperlen im Gesänge
zusehe». Auf einmal zupfte ihn was an den Rolle bereits erledigt.' Blieben immer noch Die Töne Deiner Kehle,
Rockschößen. Wahrhaftig, da baumelten ein 999,999/999/999»999- Da durfte nicht gefeiert Gleich schwingen meiner Seele
paar von den nackten Bausbacken und kreisch- werden. Geheimste Saiten mit.
ten vor Vergnügen. (Empört hob er den Stock Er war im besten Rechnen, als auf einmal Gestimmt nach Deinem Klange,
— wutsch, saßen sie mollig in einem vorüber- ein Zittern durch den ganzen Raum ging. Erwachen' sie zum Leben,
ziehenden Rosenwölkchen und machten ihm eine Alles gerietst in Schwanken, und das große Wenn kaum Dein Fuss mit Beben
lange Nase. Nette Zustände! Tintenfaß ergoß plötzlich seinen schwarzen Die Scene scheu betritt.
Aber da war vorläufig nichts zu machen. Strom über den halbbeschricbenen Bogen. Er Wenn dann Dein Lied beendet,
Den schriftlichen Beschwerdeweg kannte man riß die Thür auf, da schwebten und flogen un- Dann klingen, leise schlitternd
unbegreiflicher weise nicht; heut' war Mittwoch zählige Schaaren an ihm vorüber in festlichem Die Saiten nach, verzitternd,
und erst am Freitag die große Audienz für Zuge und ein wunderbares Läuten klang da- Von Deinem Hauch bewegt:
alle, die irgend ein Anliegen hatten. Mühsam her in silberklarcm Akkord. Dann steht, wenn Beifall spendet
gefaßt schlich der Geplagte herum, ein Schwarm „was ist denn los?!" Mit lautem Ruf die Menge,
von himmlischen Gassenjungen hinterdrein. Da Da wandte ihm der Nächste das strahlende Ein Träumer im Gedränge,
erkannte sich der «Erzengel Gabriel des Un-- Antlitz zu: Der nicht die Hände regt.
glücklichen und kam mit seiner goldenen Ruthe „hast Du sie denn gar nicht gesehen?" PRAG. HUGO SALUS.
352
Wie die Sommerfrischler in X die Ernte einbringen müssen,
damit die Bauern ihre — Rollen studiren können! Für die „Jugend“ gezeichnet von A. Roeseier.
353
Nr. 22 JUGEND 1896
Wetternacht Hoffnung
Am Himmel düst’re, dunkle Wolken zieh’n,
Des Wetters Athem wühlt in dem Jasmin, Die Hoffnung ist ein thöricht’ Kind
Die weissen Dolden schwanken hin und her Und lässt sich immer wieder narren,
Dumpfschwül die Nachtluft und von Düften schwer. — So viel Enttäuschungen sie auch voll Leid erfahren.
Manchmal von fern ein schwacher Donner grollt. Der kluge Zweifel aber gleicht
Es flammt der Horizont in blassem Gold Gar nie dem Liebreiz dieses Kindes,
Die fahle Lohe durch das Fenster bricht Dem schon als volle Aehre glänzt
Und überzuckt die Wand mit grellem Licht. — Ein Saatkorn, das noch Spiel des Windes.
Ich schaue reglos in die finst’re Nacht MAXIMILIAN BERN.
Einsam allein bei mir die Sorge wacht
Mein Haupt liegt müd’ und matt in
ihrem Schooss
&
Und draussen gellt des Sturms Fan-
fare los. —
WILHELM MÜLLER-WEILBURG. Wegblume
OTO
Heiss glüht und gleisst die Felsenwand,
Räthsel Im Schatten träumt der Flieder —
»Dunkle räthselhafte Augen
Da flattert mir von weisser Hand
Gebt von eurer Tiefe Kunde! Ein grünes Zweiglein nieder.
Räthselhafte dunkle Wasser
Sagt, was bergt ihr auf dem Grunde? Ei ho! Was trägst Du, seltne Blüth’,
Sind es Schätze, edle Perlen? Du duftig Laubgelände —
Will versuchen sie zu heben; Wie das von dunklen Sternen glüht!-
Ist’s ein schauriges Geheimniss? Da küss’ ich schon zwei Hände,
Will’s verschweigen und vergeben.«
Kam ein Sturm; —den Grund aufwühlend Da zwing ich schon ein süsses Gut
Löste er die Räthsel beider: In’s hohe Berggras nieder ....
Dunkle Wasser, dunkle Augen — Die Halde zuckt in Mittagsgluth —
Schlamm verbargen sie, nichts weiter. Im Schatten träumt der Flieder.
A. MO. Zeichnung von Harrach. LANGHEINICH.
354
Gezeichnet von O. Eckmann.
355
Nr. 22 • JUGEND 1896
Hirth’s Formenschatz.
Eine Quelle der Belehrung und Anregung für Künstler und Gewerbetreibende.
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kann nach und nach bezogen werden. — Einzelne Tafeln werden nicht apart abgegeben.
G. HIRTH’s Kunstverlag in München & Leipzig.
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r — DER AKT
100 Modellstudien in Lielitdruck nach Naturaufnahmen
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verbunden mit theoretischen Vorträgen. Die beste Ausbildungsmcthode
dieses Faches. Im kommenden Schuljahr werden nur 20 Schüler anf-
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35<$
1896 JUGEND Nr. 22
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Wndes-\tvdus\m-, Oe^werbe- a.Yw\ms\--Jmss\eW\m|l
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557
Nr. 22 JUGEND 1896
i. Für die zahlreichen und rührenden Zeichen freundlicher Gesinnung, die die Familie Spleen ihrem Nachbar diesseits des Kanals in letzter
Zeit gesandt hatte, erwartet sie im Lauf des Sommers seinen ,,Quittanzbesuch“.
UEBERALL ZU HABEN
* f AULHORNs NÄHRKAKAO
¥M\GL. UOYLYLYLmWT
3.1
Herr Dr. med. Rosenfeld in Berlin schreibt: „Bei einem sehr herabgekommenen Patienten,
Allgemeine der lange Zeit verschiedene Eisenpräparate ohne irgend welche Besserung angewandt, habe ich Ihr Haema-
togen mit so gutem Erfolge gebraucht, dass nach der ersten Flasche der Appetit, welcher ganz darniederlag,
und der Kräftezustand sich merklich besserten. Namentlich hob der Kranke den angenehmen Geschmack
des Präparates sehr hervor. Nach der zweiten Flasche waren die Kräfte bereits so
weit gehoben, dass er seinem Berufe, dem er sieh seit langer Zeit hatte ent-
ziehen müssen, wieder vorstehen konnte.“
Herr Dr. med. Offergeld in Köln a. Rh.: „Was mir an der Wirkung besonders aufgefallen,
war die in allen Fällen eingetretene, stark appetitanregende Wirkung und insbesondere bei älteren
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358
1896 JUGEND Nr. 22
2. In Deutschland ist man aber der Ansicht, dass, wie die Sachen liegen, eine Landung in England unmöglich ist.
559
Inseraten-Annahme Insertions-Gebühren
durch alle Annoncen-Expeditionen 1896 für die
sowie durch
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G. Hirth’s Verlag in München Nr. 22 Raum M. i.—.
und Leipzig.
Die „JUGEND“ erscheint allwöchentlich einmal. Bestellungen werden von allen Buch- und Kunsthandlungen, sowie von allen Postämtern
und Zeitungs-Expeditionen entgegengenommen.. Preis des Quartals (13 Nummern) 3 Mk.,'der einzelnen Nummer 30 Pf.
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Iugenöklang Verführung
Hem klingr's wie Lerchenlieder Der Tag, der schwüle,
verblasst und nun
Durch meine Traurigkeit. An dieser Düble
Rchrst du mir niemals wieder Wegehrt zu ruh'n,
(!) meine Jugendzeit V Mas sich ergehen
Dem Fest der Lust.
(!) schmerzlich süßes Sehnen Dun schnjiegt mit Weben
Sich Wrust au Wrust.
Im goldigen Frührorhgianz!
(!) zärtlich heiße Thranen Ls hebt der Dachthauch
vlach durchgestürmtem Tanz! Die Schwingen weit:
„Mer lieht, der wacht auch
(!) weltengroß' Umfassen! Lu dieser Leit!" . . .
(D werdesüßer Drang! Lr Küsst die Melle
Lind sie ergibt
(!) jubelndes verprassen Sich ihm zur Stelle,
Die Maiennächte lang! Mcii sie ihn licht. .
;6r
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Die ganze Geschichte war mehr als räthselhaft. Und Schöngeistern und berufsmässiger Dinerstaffage zusammen
am allerräthselhaftesten erschien mir des guten Menschen — Herrgott schon wieder das Intermezzo aus der Cavalleria!“
Aeusseres. Er war tadellos elegant gekleidet, sein Frack Mein Nachbar kam hinter dem Busch hervor und ich
konnte nicht besser sitzen, seine Lackschuhe waren, in An- sah, dass sein Aeusseres recht angenehm war. Der frühere
betracht der umfangreichen Aufgabe, der sie genügten, bei- Kriegsmann in Civil war unschwer zu erkennen — das kräftig-
nahe zierlich zu nennen, seine Wäsche war von fraglosester rothe, verwetterte Gesicht, der gewaltige Schnauzbart, die
Weisse. Schäbig, fleckig in schiefsitzenden Kleidern, die zu ganze Haltung — und ein paar grosse, lustige Augen sahen
weit oder zu eng waren, mit derben, nach oben gekrümmten mich lachend an.
Philisterstiefeln, so konnte ich mir ihn vorstellen, so wäre „Dornberg! Donner und Doria, Sie Dornberg — und in
er mir vertraut erschienen — aber Knut Olaf in tadelloser Civil!“
Eleganz, das war einfach grotesk! „Ja natürlich! Die Uniform habe ich schon seit zwei
Man ging zu Tische und ass, ass lauter theuere Dinge Jahren ausgezogen und nicht einmal den Rittmeister erster
und trank theure Weine dazu. Theater-Ratsch bildete das Classe abgewartet. Der bunte Rock hat mir auswendig besser
hauptsächlichste Tischgespräch, dann kamen die Personalien gepasst, als inwendig. — Wollen Sie einen Cognac haben,
einzelner Literaturgrössen an die Reihe und es war nun merk- Leidensgefährte? Das ist ein Hennessy mit vier Sternen!
würdig, wie da die Herren mit den Kneifern warm wurden und Frech, wie ich bin, habe ich gleich die ganze Flasche vom
Jeden in Grund und Boden niederzogen, der Erfolg hatte und Cabaret genommen. — Guter Tropfen, was? Ja, wenn unser-
namentlich klingenden. Die schärfste Zunge hatte dabei jener eins, das dies zu würdigen versteht, nicht in solche Häuser
schwarzbärtige junge Mann, in dessen Arme sich vorher käme, es wäre Schade um das schöne Geld!“
Freund Knut Olaf vor meinem Erscheinen geflüchtet hatte Ich sagte ihm, wie ich mich freue, ihn in dieser Wüstenei
Doktor Steinberg, oder so ähnlich hiess er. Er besass ein angetroffen zu haben, war er doch immer ein charmanter
Talent zu schimpfen und Illusionen zu zertrümmern, das Gesellschafter gewesen. Und dann fuhr ich fort:
ohne Gleichen war; zu loben verstand er freilich auch. „Ich habe freilich noch einen Bekannten aus früheren
Aber er lobte nur Leute, die ausser ihm keiner voll zu wür- Zeiten hier, aber ich bin noch nicht damit fertig, über dies
digen wusste, wie er durch alle seine Reden durchblicken Wiederbegegnen den Kopf zu schütteln.“
Hess. Und sehr bald wusste ich nun auch, dass er Knut „Na, und?“
Olafs Entdecker gewesen. „Knut Olaf Schultze, ein Schulfreund —“
Die Tafel war aufgehoben, man hatte sich die Hände „Das dort? Quand on parle du loup —“
müde geschüttelt und rund um den Tisch »Mahlzeit!« ge- Im Nebenraum las eben der neuentdeckte grosse Satiriker
wünscht und nun zerstreuten wir uns in kleinere Räume. etwas vor, ein neues Opus — nein, .es war kein neues Opus!
Der Hausherr lief überall mit einem Diener umher, der auf Manchmal kommen Erinnerungen blitzartig über den Men-
silberner Platte einen Berg von Cigarrenkistchen und Ciga- schen; ich sah mit einem Male den hagern, lächerlichen
rettenschachteln trug: Kameraden in unserer Studienzeit auf dem Fussende meiner
»Das ist eine Manuel Garcia, hier eine Bock — die kleine Bettstatt sitzen mit lange herabbaumelnden Beinen und hörte
Henry Clay kann ich Ihnen sehr empfehlen —, oder die ihn ein Gedicht lesen, dasselbe, das er da drinnen zum Besten
Uppmann, wenn Sie etwas Kräftiges wollen!« Weg war er gab. Aber damals las er mit leuchtenden Augen, begeistert
und pries einem Anderen seine duftige Waare.an. doppelt grotesk in seiner Begeisterung. Heute klang seine
Ich blies den blauen Rauch meiner Importirten in die Stimme trocken, knarrend, widerspenstig. Er las so schlecht
Luft und wollte anfangen zu träumen. Da klang hinter einem wie möglich und die jammervollen Verse kamen noch jammer-
Lorbeerbusch, der neben mir stand, eine Stimme vor. voller heraus dabei.
„Jetzt wird gleich die Klaviertrommelei losgehen. Halten „Haben Sie jemals eine bessere Parodie auf Redwitz ge-
Sie sich an mich — Sie mopsen sich ja doch auch — hört?“ schnarrte ein Organ, das ich an diesem Abend schon
„Oh bitte! Seien Sie nur ehrlich — zudem bin ich einer mehrfach mit Missbehagen vernommen. Man klatschte, man
von den Intimen des Hauses und gestehe es Ihnen zuerst lachte. Knut Olaf musste noch was zum Besten geben und
ein, dass mir die Zeit lange wird. Der gute Commissions- die Stimme seines Mentors erläuterte es wieder:
rath lädt sich ja immer ein schauerliches Sammelsurium von „Geibel, wie er leibt und lebt!“
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Nr. 23 JUGEND 1896
Und dann noch eins: „Scheffel, wie er im Buche steht!“ wohl auch die Menge, was für eines Geistes Kind sie be-
Ja Redwitz, Geibel, Scheffel, wie sie im Buche standen! wundert hat — aber er ist dann doch einmal berühmt ge-
Das war ja immer seine Schwäche gewesen, dass seine lyr- wesen. Und das ist mein Werk — ein gutes Werk!“
ischen Herzensergüsse nichts waren als täppische Nach- Er wurde weich und trank den Rest meines Champag-
empfindeleien. Aber sie waren dem guten Knut Olaf immer ners aus. Dann steckte er noch ein paar Cigarren ein und
blutiger Ernst gewesen und nichts weniger als bewusste ging. Das ist die Geschichte der Berühmtheit Ihres Schul-
Satire. Aus jedem seiner Gedichte konnte man erkennen, freunds Knut Olaf Schultze — erbaulich, nicht?“
was er zuletzt gelesen hatte. „Das ist hässlich,“ sagte ich. „Wie schlecht seine Ge-
Und das gab er jetzt als geistvolle Persiflage aus — ja, dichte auch sind, sie entsprangen einst doch einem tiefen,
wie kam er denn dazu? Ich fragte den Rittmeister: aufrichtigen Gefühl, einer schönen und starken Liebe zu
„Haben Sie je Näheres über — diesen neuen Stern des einem wackeren Mädchen. Wie hat er für sie geschwärmt,
Berliner Literatenhimmels gehört?“ wie hoch hat er sie gehalten, echte Thränen um sie geweint!
Er lachte: Und es war etwas Rührendes, wie er in der Ferne bewun-
„Sie sehen ja merkwürdig verblüfft aus? Haben Sie Ihrem dernd stehen blieb, seiner unvorteilhaften Persönlichkeit
Schulfreund dies Talent nicht zugetraut?“ bewusst, entschlossen, lieber stumm zu verzichten, als sich
„Talent! — Der und Talent?“ nur der Möglichkeit einer Abweisung auszusetzen, die den
„Sie halten ihn — um mich knapp und klar auszudrücken Himmel seiner Träume hätte in Scherben gehen lassen.
— für ein Kameel?“ So schrieb er Lied um Lied zusammen, las die Sachen einem
„Ich halte ihn nicht dafür — ich weiss dass er eins ist.“ oder dem anderen geduldigen Freunde vor und nun! Es
„Na, Offenheit für Offenheit — das sind gar keine Pa- wäre zum Lachen, wenn’s nicht so traurig wäre.“
rodien, was der Herr dort vorträgt — purer Schwindel!“ „Pfui Teufel!“ rief der Rittmeister. „Es macht doch
„Auch das weiss ich — er hat mir das Zeug ja unbarm- nichts den Menschen so schäbig, als die liebe Eitelkeit. Da
herzig vorgelesen, als wir beide noch in jenen Jahren standen, hat Einer das Glück der Erinnerung an ein grosses und
wo man ohne Rücksicht auf die Mitmenschen seine Empfind- reines Empfinden, ein Glück ohne Reue und ohne Ekel!
ungen in Lyrik auszugiessen pflegt. Kennen Sie ihn auch Aber statt die Blüthen dieses Gefühls — so curios sie sein
aus dieser Zeit?“ mögen, Blüthen sind’s doch — wie was Heiliges zu hüten —
„Nein! Ihn kenne ich überhaupt nicht und verdanke trampelt das Rhinozeros vor versammeltem Volke darauf herum
die Kenntniss dieses Geheimnisses lediglich dem Champagner und schmunzelt, wenn sie ihm für das Getrampel Compli-
des Commissionsraths. — Es war ein Abend wie der heutige mente machen.“ —
— viel Gesellschaft und wenig Menschen. Auch diese satirische Als wir bald darauf aufbrachen, kam ich an dem Gegen-
Grösse war da, verschonte uns aber mit seinen Vorträgen. Man stand unseres Gespräches vorbei. Knut Olaf wandte sich
sprach nur von ihm. Damals hiess er nur „der neue ab und sprach eifrig mit einer Dame —
Mauthner“, jetzt hat ePs, glaube ich, schon bis zum neuen Er schämte sich —- f. walther.
Aristophanes gebracht. Es war spät und ich sass in diesem
meinem Schmollwinkel, von dem sich’s so köstlich auf die
Affenkomödie da draussen blicken lässt. Der Hausherr, der
meine Lust an solcher stiller Beschaulickeit kennt, hatte mir
ganz sachte eine Flasche Pommery hersteilen lassen und
ich fing eben an, mich an meinem Alleinsein zu vergnügen,
als der schwarzbärtige Herr herein kam, den Sie als Bären-
führer Meister Knut Olafs gesehen haben. Er setzte sich
zu mir, nahm eine von den Brevas da, stellte sich mir als
Doktor Steinberg vor und fing ein Gespräch an, über sich
selbst, über seine Bedeutung, seine Erfolge in der Berliner
Presse. Ich schenkte ihm sehr wenig Aufmerksamkeit, die
betrunkene Zudringlichkeit des Gesellen war mir zuwider.
Das focht ihn weiter nicht an; er hatte, weiss Gott, meinen Erinnerung
Pommery herausgekriegt, holte sich ein Glas und trank mit. Mir liegt das Alles weit, so weit:
Mit jedem Schluck bekam er eine höhere Ansicht von sich Das kleine Haus am Tanngehege,
und verwechselte sich nach und nach mit der öffentlichen
Die wundervolle Einsamkeit,
Meinung überhaupt.
,Sehen Sie, Rittmeisterchen“, sagte er, ,im Grunde machen Das stille Glück versteckter Wege.
wir doch Alles, wir, Kerle wie ich. Unter uns gesagt — da Doch hab’ ich noch im Ohr den Gruss
ist da draussen diese neue literarische Erscheinung, Knut Olaf
Der Vögel, die im Garten sangen,
Schnitze. Wer hat ihn gemacht? Ich! Ich allein. Es war Und ist es mir, als wär mein Fuss
eine grandiose Idee. Er kam zu mir mit einem Stoss Lyrik —
gegen meine Gewohnheit las ich das Zeug, denn es war wirk- Erst gestern durch den Wald gegangen.
lich ulkig. In allen Farben schillerten diese Liebeslieder, vom
Meister Wolfgang in Weimar bis zum Meister Detlev in Hol- Und mach’ ich beide Augen zu,
stein waren alle unsere Dichter in unfreiwillig komischen Ganz still in mich hineinzulauschen,
Copien vertreten. Es war zum Wälzen. Mir zuckt’s wie ein Hör’ ich, und komm um alle Ruh,
Blitz durch’s Hirn. Knut Olaf, sage ich, ihre Lieder gebe Den Bach leis durch die Buchen rauschen.
ich heraus und schreibe eine Einleitung dazu. Er strahlt.
Gesagt, gethan. Ich schreibe ein fulminantes Vorwort, redi- Und höre, Frieda, noch den Klang
gire noch einige Glanzlichter und Schlager hinein, füge ein Des einen Wort’s aus Deinem Munde.
paar geistvolle Fussnoten und Parenthesen dazu, präsentire Denkst Du noch an den Abendgang,
den dilettantischen Blödsinn, den der Gute zusammengereimt, An diese eine süsse Stunde?
einem verehrten Publikum als pikfeine Satire — und der Mann
ist gemacht! Anfangs war der Herr Autor freilich nicht wenig Wie liegt das Alles weit zurück,
verblüfft über das, was ich mit seinen Musenkindern anstellte, Was ich besass, was du besessen,
als aber der Erfolg kam, gab er sich willig in seine neue Rolle Das kleine Haus, das grosse Glück.
als — Parodist! Lang wird’s ja nicht dauern, dann merkt es Doch könntest du es je vergessen? gustav falke.
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1896 JUGEND Nr. 23
SO
k. T-a. *
Uebermenschler Blasirt
Nied’re Bestien-Instinkte Wie ist ihm die Welt so ennuyant,
Seh’n zur Tugend sich erhöht, Er Hesse sich gähnend begraben, -
Uebermensch fühlt sich am ersten, Fand’ er sich nicht selber noch int’ressant
Wer noch unterm Menschen steht. Und seine Blasirtheit erhaben.
OSKAR WILDA. OSKAR WILDA.
Nr. 23 JUGEND 1896
WMm
3/0
1896 JUGEND Nr. 23
Röntgen-Blicke
In der bayerischen Abgeordnetenkammer, in Es gibt nur eine Erklärung: der betreffende
der verschiedene Perlen des Centrumsthurms über Abgeordnete ist ein medizinisch-physiologisch-
Kunst und Theater, Moral und Leben, Religiosität, optisch-chemisch-elektrisches Phänomen. Er leidet
Landwirtschaft und Viehzucht so wundervolle Be- an X-Blicken, die wir analog den Röntgenstrahlen
hauptungen aufzustellen lieben, hat neulich einmal dem wackeren deutschen Gelehrten zu Ehren
einer von diesen Herren erklärt: ,,R öntgen-Blicke" nennen wollen. Er sieht
„In München braucht man Nuditäten nicht durch Rock und Hosen, Taille, Mieder und Strumpf-
zu suchen, sondern man findet sie überall. Man bänder durch bis auf die Haut — nicht bis auf
braucht nicht einmal eigens hinzuschauen, sie be- die Knochen. Aber diese interessiren ihn auch
gegnen einem überall, manchmal in sehr skandalöser weniger. Ein Physiologe, den wir um die Ursache
Weise.“ dieser Erscheinung fragten, sagte, die Sache sei
Darob war zunächst allgemeines Schütteln des sehr einfach und erkläre sich durch ausserordent-
Kopfes, denn was der Herr Abgeordnete da be- liche — Hebung und hochgespannte Intensität
hauptet hatte, war selbst den übrigen gewiegten des Willens. Unser Zeichner hat die Szene dar-
und vereidigten Nuditätenkennern des Hauses bis gestellt, wie der biedere Landesbote durch die
dato noch nicht aufgefallen gewesen. Entweder Strassen des neuen Sodom wandelt und ,,ohne
hatte der Herr geflunkert, oder den puren Blöd- eigens hinzuschauen, in skandalöser Weise den
sinn geredet — und das war doch von einem Nuditäten begegnet“.
Mann aus der Partei für Gottesfurcht und Sitte Im unteren Bildlein ist dargestellt, wie der oben
nicht vorauszusehen — oder aber: er hatte etwas bezeichnet^ Herr an der Spitze einer Schaar männ-
vor seinen Collegen voraus, um dessen Allein- licher und weiblicher Mitglieder der von ihm eigens
besitz ihm diese ein wenig neidig sein mochten. zu diesem Zwecke gegründeten „Vereinigung
Aber was? christlich gesinnter Nuditätenforscher“ ausrückt,
um alle vorhandenen Obszönitäten aufzufinden, zu Protokoll zu^nehmen hat sich sehr ausgedehnte Aufgaben gesetzt, die demnächst in einem
und mit Pinsel und Tünche, Hammer, Meisel und Sägen, Badehosen besonderen Gongress erörtert werden sollen. Unter Anderem be-
und Feigenblättern aus der Welt zu schaffen. Die Gesellschaft absichtigt sie die Ausfüllung der Meer-Busen.
371
und rad'ln uns die Steiner wieder z'ammenl"
Kruzitürken noch einmalI Da fahr',, wir mit der größten Müh' die schönen Steiner auf die Straßen und dann kommen die Malefizferen mit armsdicke Gummiradeln
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1896 JUGEND Nr. 23
373
1896
Nr. 23 JUGEND
Süddeutclie
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374
1896 JUGEND Nr. 23
Der Nebenbuhler.
In der „Zeitschrift f. Psychologie u. Physiologie der Sinnesorgane“ sagt der bekannte Psychiater Prof. Dr. Pelman (Bonn): „Es ist
geradezu erstaunlich, welche Fülle neuer Anschauungen sich uns an der Hand der Hirth sehen Ausführungen eröffnet, und wie leicht sie
sich unter dem Einflüsse seiner geistvollen Darstellung in unser Verständniss einschmeicheln, sei es nun, dass er eine Erklärung der zwie-
spältigen Charaktere versucht, oder dass er sich an die höchsten Probleme des Rechts, den Irrtum, die Zurechnungsfähigkeit oder gar an
die Todesstrafe heranwagt. Das Buch referieren zu wollen, heisst eigentlich, ihm Unrecht thun, und so bleibt uns nichts übrig, als es —
und zwar recht angelegentlich — zu empfehlen.“
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Herr Dr. med. Boeckh in Dinglingen—Lahr schreibt: „Mit Dr. Hommel’s Haematogen hatte ich bei
Kindern, die an chron. Bronchialkatarrh, an Bronchialdrüsenschwellung, an Bliachitis und an sonstigen, eine Anämie
Kränkliche bedingenden Krankheiten litten — mit Vergnügen schreibe ich es Ihnen — ausnahmslos die besten Erfolge.
Wiederholt ereignete es sich, dass man mir, als ich meine Patienten nach 8 bis 14 Tagen wieder besuchte, gleich an
der Thüre zurief: „Aber Herr Doktor, was haben Sie uns da ein ausgezeichnetes Mittel
gegeben“. — Die frische Farbe, die gefüllten Backen, das entschieden gehobene Allgemeinbefinden und vor allem —
der enorm gewordene Appetit Hessen mich dann erkennen, dass es sich nicht um eine scheinbare, sondern um that-
Kinder sächliche Besserung handelte.“
Herr Dr. med. Wolff in Karlsruhe : „Ihr Haematogen habe ich mit sehr gutem Erfolg bei einem ganz
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Nicolay & Co.,
Herausgeber: Dr. GEORG HIRTH; verantwortlicher Redakteur: F. von OST1NI; verantwortlich für den Inseratentheil: G. EICHMANN, G. HIRTH’s Kunstverlag; sämmtlich in München.
Druck von KNORR & HIRTH, Ges. m. beschr. Haftung in München.
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Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben. — C. Hirth’s Verlag in München & Leipzig.
Nr. 24 JUGEND 1896
Reisen in fremde Länder und unter andere Aus der Thür treten jetzt Alle, welche
Das alte Haus am Wall Völker hatten mir die Kinderjahre sehr vorhin hineingegangen sind. Mit besorgter,
Von Nell lang erscheinen lassen und mein junges theilnehmender Miene stehen sie umher.
Es war um das Jahr 1878. Gemüth für alle Eindrücke sehr empfind- Ein hoher, weisshaariger General, der dem
Ich ging, damals noch ein kleines sam gemacht. alten Kaiser Wilhelm sehr ähnlich sieht,
Mädchen, in die Töchterschule, die in H. Auch an jenem warmen, dunstigen fährt sich oft mit dem Taschentuch über
am Walle steht. Einige mächtige, alte Linden Frühlingsnachmittage schweifte mein Blick die Augen und über den Bart, auf den
ragten auf dem breiten Wege, der sich in öfters nach drüben, als unten auf der Strasse die Thränen hinabperlen. Viele stehen
der Mitte der Strasse entlang zog, hoch in etwas meine Aufmerksamkeit erregte: in Gruppen und flüstern und blicken hin-
die Luft hinein und warfen grosse Schatten Offiziere in voller Gala — Generäle auf, und flüstern-
auf die drei altmodischen Häuser, die das mit Federbusch und blitzenden Orden, Plötzlich wird oben mit raschen Händen
Gegenüber unserer Schule bildeten, und Herren im Frack und Cylinder kamen und ein Rouleau in die Höhe gezogen. Hastig
die, trotz ihrer drei Stockwerke, so niedrig verschwanden nacheinander in dem Hause schieben sie die weissen Gardinen zur
waren, dass wir in der zweiten Etage gut in vis-ä-vis. Seite, und eine in tiefe Trauer gekleidete
jene Stuben hätten hinein schauen können, In dem ersten Stock waren die Rouleaux Gestalt erscheint am Fenster; sie hat den
wenn die Entfernung es nicht verhindert heruntergezogen, — aber als Kind com- langen Florschleier zurückgeschlagen und
hätte. biniert man nicht so schnell... ihre thränenströmenden Augen unten auf
Sie mochten wohl zu Anfang des Jahr- Da — um die Ecke kommt ein Trauer- die Strasse gerichtet.
hunderts nicht den einfachen Eindruck ge- wagen mit vier Pferden bespannt, welche Nie werde ich dieses Bild des Jammers
macht haben, den sie damals wachriefen; hohe, schwarze Federn auf dem Kopfe vergessen.
— aber gerade diese Einfachheit gab ihnen haben. — Sie schien der Verzweiflung nahe, und
etwas Ehrbares, und oft schweiften meine Dann rücken Soldaten heran. Laute ihr Körper bebte in wildem, aufgelöstem
Blicke und meine Gedanken drüben nach Commandos ertönen, Gewehrkolben stos- Schluchzen . . .
den eng aneinander stehenden Fenstern, sen prasselnd auf das Steinpflaster — da- Fest an das Fensterkreuz geklammert,
denen jetzt noch steif geplättete Gardinen zwischen Pferdegetrappel und neue Com- nickte sie hinunter auf das, was jetzt
ein Air von Correctheit verliehen. mandorufe; — eine Schwadron Ulanen langsam aus der Thür getragen wurde . .
Diese drei Häuser hatten aber noch ist herangerückt und hat Aufstellung ge- um dann, mit einem Aufschrei, rücklings
aus einem anderen Grund mein Interesse nommen. — in die Arme einer Dame zu fallen, welche
erweckt, — und dieser wird auch wohl Inzwischen war unsere ganze Klasse die Aermste liebevoll umfing.
zuerst die Veranlassung gewesen sein, dass in Aufregung gerathen — in Anbetracht Jetzt wusste ich auch, wer der Ver-
sich überhaupt meine kindlichen Gedanken dessen der Lehrer es vorzog, den Unter- storbene war. — In der Dame hatte ich
mit ihnen befassten, — von meiner Mutter richt zu unterbrechen und uns zu erlauben, Fräulein von D., die Hofdame der Fürstin
wusste ich, dass ich in einem derselben von den drei Klassenfenstern „das Be- erkannt, und er, den man jetzt dorthin
das Licht der Welt erblickt hatte. gräbniss“ mit anzusehen. trug, war ihr Verlobter.
Damals schon schien es mir, als müsse „Das muss irgend ein hoher Offizier Zwei Tage zuvor schon hatte man in
das sehr lange her sein — denn weite sein“, meinte unser Lehrer. allen Zeitungen von der tragischen Be-
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1896 JUGEND Nr. 24
gebenheit lesen können, die sich in Hof- Ein kühler Frühlingsnachtwind weht
kreisen zugetragen hatte, — und auch ich durch die Luft — er bringt einen Duft
hatte zu Hause davon reden hören, wie wie von Blumen und von thauigen, blüh-
jener Gardeoffizier, — den Morgen nach enden Wiesen. —
seiner am Abend vorher im Schlosse ge- Neben ihm, hinter dem alten Garten-
feierten Verlobung, — todt — eine Kugel zaun steht ein Fliederbusch in voller
durch den Kopf geschossen, den Revolver Blüthe, — und drüben tönt das Rauschen
in der Hand, — in seinem Zimmer auf- und Brausen des Wassers in der Mühle.
gefunden wurde . . . Man hebt den Sarg Silberne Lichter wirft der Mond auf die
auf den 'Vagen . . . Dumpf wirbeln die schäumenden Wellen; sie tanzen auf und
frömmeln, — die Truppen präsentiren — nieder — bis an den tiefen, schwarzen
das Musikcorps spielt einen Choral; und Schatten, welcher unter der Mühle gähnt.
langsam setzt sich der Trauerzug zu den Er nimmt den Helm ab, lehnt sich mit
feierlich ernsten Klängen in Bewegung. den Ellenbogen auf das Geländer und
Die Ahnung von etwas schrecklich schaut in die Nacht hinein. —
Traurigem erfüllt unbewusst mein Kinder- Um ihn ist Ruhe — tiefer Frieden;
- herz, — es strömt über in Weh um den nur von Ferne ertönt das Lied einer Nach-
unbekannten Todten, den man dort zu tigall . . .
seiner letzten Ruhe begleitet, und auf- Ein unerklärliches Gefühl überkommt
weinend berge ich mein Gesicht auf die ihn, in dieser Minute möchte er sterben,
Schulter einer Freundin. — er fühlt sich so gut — fast fromm-
Von jener Zeit ab betrachtete ich die Woher kam diese Regung?
Fenster drüben mit ahnungsvollem Grauen Seine Seele scheint weit weg zu schwe-
und grübelte oft darüber nach, was wohl ben . . .
den jungen, schönen Offizier in den Tod Dann ist es mit einem Mal vorüber.
getrieben haben möchte. Wo war er nur?
Dann kam ich in eine andere Klasse, Kam er wirklich von seiner Verlobung?
die auf den Schulhof hinaussah — und so- Ein Schauder durchzittert seine Gestalt.
mit waren jene geheimnissvollen Fenster Das Rauschen des Wassers dringt unauf-
meinem Blicke und mit der Zeit auch mei- hörlich an sein Ohr.
nen Gedanken entrückt. Wie damals —
Bald nachher verbessert meine Eltern Auch schien der Mond genau so —
H. und ich sagte der Schulbank in dem und die Nachtigall drüben — wie damals
lieben, rothen Gebäude auf immer Lebe- vor zwei Jahren. —
wohl. Zwei Jahre! Und die hatten genügt,
Auch die alten Linden und jene Häuser ihn Alles vergessen zu machen.
sah ich lange Jahre nicht mehr wieder. Hatte er denn vergessen?
In fernem Lande dann — viele Jahre Und nun war ein Unabänderliches ge-
nachher, erfuhr ich von einer Lands- schehen und er musste die Liebe zu jener
männin das, was unaufgeklärt dereinst Anderen ewig begraben.
mein Kinderherz schon so bewegt hatte. Würde er das fertig bringen, an der
Seite deren, die seine Braut — ? —
*##
Ein neuer Schauer durchbebt ihn.
Es war kein freudiges Gefühl, was den Wie hatte er nur einwilligen können!
Freiherrn von R .. . so hoch aufathmen Nicht nur, dass er sie nicht liebte, —
machte, als er an jenem Abend seiner Ver- nein, in ihm empörte sich jetzt Alles gegen
lobung das Schloss verliess — ein tiefer sie.-
Seufzer war es, der fast wie ein Stöhnen Und er kam von seiner Verlobung!
klang. Wie würde es da sein, wenn er erst
Er bleibt einen Moment stehen und Hochzeit halten müsste. — —
fährt sich mit der Hand über die Augen, Hochzeit —!
wie um einen bösen Spuk zu vertreiben. Ein Lachen entfährt ihm.
Dann schweifen seine Blicke rückwärts Er setzt den Helm wieder auf und bittere
zu den noch erleuchteten Fenstern des Gedanken sind es, die ihn auf seinem Nach-
Schlosses, wo er eben in Huld und hauseweg begleiten. —
Gnade von den hohen Herrschaften ent- Ziemlich unsanft wirft er die Hausthür
lassen worden ist. in’s Schloss; auch ist es ihm einerlei, dass
War er doch dem direkten Wunsche sein'Degen gegen das Geländer klappert,
seines Fürsten gefolgt, als er sich mit der als er die kleine, alte Treppe empor steigt.
Hofdame der Prinzessin verlobte; er hatte In ihm ist eine Wuth. Er verwünscht
allerdings nicht geglaubt, sich so schnell sein Schicksal — sich selber.
entschliessen zu müssen, als er einige- Da, auf dem Tisch !
male mit der stolzen Blondine auf den Ja, träumt er denn-?
Hofbällen getanzt hatte. — Da war es ihm Oder ist das nicht ein Brief von ihr?-
Plötzlich nahe gelegt worden, und ehe er Und heute, gerade heute musste er
noch Zeit zum Ueberlegen fand, stand er kommen!
selbst vor einem fait accompli. Man hatte Er nimmt ihn auf und besieht die feine,
es ja auch gut gemeint mit dem char- kindliche Schrift. Fast zaghaft berührt er
manten Gardehauptmann, der noch immer ihn, — ein weicher Ausdruck gleitet über
keine Anstalten machte, sieh dauernd in seine Züge, und zärtlich dreht er das
die Fesseln einer Schönen zu begeben. Vas Bild »0» Sais. Schreiben um und um.
Von Theo Schmuz-Baudiss.
Man wusste ja nicht-
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Nr. 24 JUGEND 1896
Er hat so lange keinen Brief mehr von Langsam wie ein Nachtwandler geht er Und die Schuld ist mein.
ihr gehabt, — fast zwei Jahre sind es her. — an den Schrank; — dort holt er eine kleine Vergib mir, mein Lieb, denn ich
Er muss sich erst sammeln, — vorhin Kiste her, die er auf den Tisch stellt... gehe ja in den Tod für Dich — —
da war er ja so verstört, — und dann bricht Dann setzt er sich hin. Er fährt sich Gibt es eine grössere Liebe?
er ihn langsam auf. — — mit der Hand zum Herzen, — er fühlt Ich liebe Dich — o Lotti — ich liebe
Mein Gott — mein Gott — — —! einen Krampf. — Dich! Ferdinand.
Vorhin da war es ihm ja gewesen, als Die Hausthür knarrt schon zum dritten
*##
ob dort etwas zersprang . . . Male in dieser Nacht. — Es ist Ferdinand,
Er sitzt schon lange so da — den Kopf „Lotti — Lotti —!“ wie ein Schrei ent- welcher von dem Briefkasten zurückkommt,
tief auf der Brust; die Hand mit dem Brief fährt es ihm — dann nimmt er die Feder in den er ein Schreiben warf. —
der Geliebten hängt schlaff auf der Seite_ und schreibt: Nur ein kleines, viereckiges Couvert,
Dieses hatte er gelesen: Mein Lieb! — aber es birgt das Schicksal zweier
Geliebter! Wenn Du diese Zeilen empfängst, Menschenleben.
Kannst Du ahnen, weshalb ich dann wird der, welcher sie schrieb, längst Und morgen, wenn es in dem kleinen,
schreibe? — Nein? So komme und höre ruhigen Städtchen ankommt, das zwischen
todt sein.
das, was ich Dir jetzt nur kurz andeuten Mein Lieb — sei nicht traurig des- den Bergen liegt, wird ein weiches, tapferes,
will! — Ein alter Onkel meiner Mutter wegen — denn es konnte nicht anders kleines Herz langsam brechen.
hat mir sein ganzes Vermögen vermacht. sein . . . Aber vergieb mir — denn ich *. * *
Ferdinand, — nicht nur ist das Hin- allein trage die Schuld, Lotti — und die Die Thurmuhr schlägt drei. Zur selben
derniss unserer Vereinigung dadurch war gross, — so gross, dass ich sie mit Zeit fährt der Wirth in dem alten Hause
überwunden, sondern wir werden auch dem Tode sühnen muss. plötzlich aus tiefem Schlaf indie Höhe.-
reich sein. — O, mein Liebling — komm Wenn Du dann hörst, wie Alles kam, War das nicht ein Schuss?
bald! dann habe Mitleid mit mir, der ich ver- Aber alles bleibt still.
Ich weiss, dass Du mich noch liebst gass, dass sich Liebe nicht zwingen Nur der Hofhund fängt nach einiger
noch innig liebst — und die Zeit war so lässt, und meinte, sie in der Pflicht be- Zeit laut an zu heulen — schaurig dringen
lang! graben zu können. die Töne in die Nacht hinein.
Ich will wieder Deine lieben Augen Da müsste man Dich nicht geliebt Gleichzeitig erlischt hinter einem Fen-
sehen, die ich küsse in dem Bewusstsein, haben, Lotti — ster in der ersten Etage der flackernde Licht-
dass nun Alles gut ist. Und nun, da wir hätten glücklich sein schein einer Kerze —und tiefe Dunkelheit
Ewig Deine Lotti. können, da ist^es zu spät. — umgibt wieder die alten Häuser am Wall.
380
Nr. 24
1896
Der Kuss'
An eine Berlinerin (Nach Fratifois Coppee.)
• bei ihrer Heimkehr aus Italien Ich war nicht oft beglückt auf dieser
Erde,
I. Doch pflückte ich als lieblichen Ge-
nuss
In staubige gedrückte Räume,
Wo keuchend sich die Paare dreh’n, Von manchen Lippen einen süssen
Kehrst Du zurück vom Land der Kuss,
Träume, Der mir das trübe Dasein hold ver-
klärte.
Vom Glanz, den Du als Kind Der Reiz des Kusses war mir auf-
geseh’n.
gegangen,
Zwar sind die Menschen hier Als Kind schon in der Mutter treuem
sehr h eile Arm,
Mein kleines Herz ward dabei froh
Und sprichst Du von der Schönheit und warm.
Land,
Man küsste damals immer meine
So wissen sie genau die Stelle, Wangen.
Wo jeder alte Torso stand. Die Kindheit sch wand; mein Weg ging
über Klippen
Es sprühen ihre Geistesfunken Und streifte selbst den dunklen Ab-
Beim Contretanze und bei Tisch, grund oft,
Und wenn sie etwas Sekt getrunken— Doch mich erquickte manchmal un-
Dann werden sie noch verhofft
schwärmerisch. Ein Kuss von süssen heissersehnten
Lippen.
O selig, so vereint zu schwärmen Ich ward geküsst in schönen Jugend-
Und selbst umschwärmt vom Militär! tagen
Kasernen — Caracallathermen — Von manchem Weib in flücht’gem
O Mädchenherz, was willst Du mehr? Liebesbund,
Man küsste damals immer meinen
Mund
II.
In heisser Lust, in Thränen und in
Ich will Dir nicht die Freude rauben, Zagen.
Geh’ in die Welt und mache Glück Vorüber ist die holde Zeit der Rosen,
So lang die Mittel es erlauben! Vorüber ohne Trostund Wiederkehr.
Dann kehre von den Pickelhauben Es küsst schon lange niemand, nie-
Zur «Schule von Athen» zurück! mand mehr
Auf Mund und Wange mich in süs-
Wie himmlisch, dann in Abend- sem Kosen.
stunden Mich überlebt kein Sprosse und ich
Durch Säulengänge hinzugeh’n frage
Und, wenn der Jugend Drang ent- Mich wehmuthsvoll, seitdem die
schwunden, Liebe schwand,
Was man zu stürmisch einst Wenn mich der Tod erfasst mit kalter
empfunden, Hand,
Vergeistigt dann vor sich zu seh’n! Wer küsst die Stirne mir am letzten
Tage?
Und untertags im Sonnenbrände N. GÜTHNER.
Sanft durch die Gallerie zu zieh’n DL
Mit einem dicken Leinwandbande,
Den Du in Deinem Vaterlande Märchen
Von einer Freundin ausgelieh’n! Die Mittagsonne brütet heiss,
Im Trahme liegt der Wald,
Ich seh’ Dich im Kostüm von Loden Ein Glockenton erzittert leis,
Vor Venus steh’n im Vatikan Der mählig dann verhallt;
Im Zeugschuh auf dem Marmor-
Und wunderklare blaue Luft
boden
Rings über Feld und Heide,
Und Verse lispeln, Sapph’sche Oden,
Und würzig schwerer Sommerduft
Wenn Dir der Gott cs angethan. Vom reifenden Getreide;
Und erst die Bilder und die Skizzen Und Bienen, Käfer, glänzend bunt,
Und was man vor der Welt versteckt, Das surrt und summt ganz leise,
Ute Tagebücher und Notizen — ! Im Schatten schläft der Schäferhund,
Doch fort jetzt mit den schlechten Im Riedgras zirpt die Meise;
Witzen, Am Waldbach träumt das Hüterkind
Ou weisst ja, Engel: Was sich Von Liebeslust und Qual,
neckt — — — Und märchenheimlich rauntderWind
FERDINAND VON HORNSTEIN.
Es war — Es war einmal ....
PAUL DL1SS.
J8l
Nr. 24 JUGEND 1896
Die disciplinlose Malerei, wie sie auf Es ist grossartig, was durch diese Me-
der Erde gepflegt zu werden scheint, gibt thode bei den Schülern erreicht wird! Schon
es auf dem Mars nicht. Bei uns wird die nach wenigen Wochen sind sie dem Meister
jeweilige Kunstrichtung durch das Parla- ebenbürtig — selbst die Talentlosesten —
ment geregelt und es erlaubt sich kein und andererseits kommt auch der wider-
Marskünstler so einfach nach Belieben wärtige und die Disziplin so schwer schädig-
seinem eigenen beschränkten Unterthanen- ende Fall, dass ein Schüler besser malt, wie
verstand nachzumalen. An der Spitze des sein Lehrer, bei uns nie vor. Ueberhaupt
ganzen Kunstwesens steht eine dreiglieder- ist bei uns, Gott sei Dank, mit den soge-
ige Kunstkommission, die aus den Mit- nannten Talenten, deren Vorhandensein
gliedern des Marsparlamentes auserlesen auf der Erde so viel Wirrniss in die Kunst-
wird. Originell wie jeder Wahlmodus auf verhältnisse bringt, schon lange gründlich
unserem auserwählten Gestirn ist auch aufgeräumt. Wer Talent hat, der hütet sich
die Wahl des Parlamentes und der be- wohl, Künstler zu werden, denn die Dis-
treffenden Kunstkommission. Das Erstere ziplinarstrafen für Zuwiderhandeln gegen
wird aus jenen Marsbewohnern zusammen- den oben „herrschenden“ Kunstgeschmack
gestellt, welche auf ihren Aeckern die sind sehr streng. Neulich musste ein hart-
grössten Kartoffeln haben — gegen- näckiger, rückfälliger Pleinairist fünfzigmal
wärtig ist bekanntlich das Centrum in den grossen, figurenreichen van der Werff
starker Majorität. Von den Parlamentariern unserer National-Galerie copiren. Der Mann
wird nun wieder ein Kleeblatt auserlesen: ist gründlich bekehrt und wird jetzt mit
Ein Marskünstler „alter“ Richtung.- diejenigen Herren, welche die drei dick- Stolz der Nathan Sichel des Mars genannt.
sten Köpfe besitzen. Und der Besitzer Aktmalen und-Zeichnen gibt es hierna-
Ein Brief aus dem Mars des dicksten Kopfes von diesen Dreien türlich nicht. Weiter fortgeschrittene Aka-
Vielleicht erinnert sich der freundliche wiederum wird Präsident der Kommission demiker studiren im Modellsaal die Gips-
Leser an unsern Bericht aus Nummer 17 — das ist der Mann, an dessen Schädel Ihre köpfe unserer Kammermajorität. Ob der
dieses Blattes, worin von einer Corre- verehrliche Spitzkugel sich plattdrückte. Künstler nun später Thier- oder Historien-
spondenz mit den Marsbewohnern die Dieser Rath der Drei — wir schicken maler wird, hier geniesst er die richtige
Rede war. Wir sandten das Projektil in- Ihnen seine Photographie — bestimmt nach Vorbildung.
zwischen mit einem Exemplar des steno- seinem eigenen Geschmack die jeweilig In den Ausstellungen werden alle Nu-
graphischen Berichtes über die bayerischen „herrschen zu habende“ Kunstrichtung, er- ditäten in besonderen Kammern unterge-
Kammerverhandlungen, einer Beschreib- nennt die Akademieprofessoren, nicht wie bracht, deren Zugang durch Vorlege-
ung der Friedensfeier in München und es bei Ihnen stellenweise üblich sein soll, schlösser, Riegel und Selbstschüsse wohl
ähnlichen Curiositäten abermals in den nach sogenanntem Talent u. s. w., sondern verwahrt ist. Die Kammern haben nur
Mars, und gestern lieferte uns der Land- nach der Qualifikation des betreffenden versteckte Hinterpförtchen für die Herren
mann Aloysius Hinterhupfer aus Unter- Stadtpfarrers. Demnächst soll ein Marse, von der Commission und ihre Parteigenos-
haching bei München wie damals das Ge- der es in einem Jahre auf 4876 Beicht- sen, die hin und wieder einige Stunden
schoss wieder ab, das uns die Marsbe- zettel gebracht hat, Akademiedirektor wer- dort zubringen, um durch tiefgehende Ent-
wohner zurückgeschickt hatten. den für den derzeitigen Vertreter dieses rüstung ihr Sittlichkeitsgefühl zu stärken.
Es enthielt: Amtes, der nur 365 aufweisen konnte. Einige der Herrn verbringen den halben
einen Brief, Von der Kunstkommission werden auch Tag in diesen Räumen, trotzdem solche
einige Photographien, die wir „um- die Kunstkritiken verfasst und verviel- für sie förmliche Schreckenskammern sein
gezeichnet“ wiedergeben, fältigt an die Zeitungen hinausgegeben, müssen. Man glaubt nicht, was ein Mars-
wieder ein Strafmandat und zwar die Bilder in den Ausstellungen gehängt bewohner der Moral zu Liebe Alles aus-
dieses Mal wegen Schiessens ohne Jagd- und prämiirt, die Ankäufe für die Staats- halten kann!
karte.*) sammlungen gemacht. Bei allen diesen Die Bilder werden, wie gesagt, in den
Der Brief lautete: Werthungen ist natürlich das Leumunds- Ausstellungen je nach dem Führungsattest,
Verehrliche Redaktion! zeugniss und der Gesinnungstüchtigkeits- das der betreffende Künstler aufzuweisen
Sie werden Ihr Geschoss dieses Mal nachweis allein massgebend. Von einem hat, gehängt. In den Ehrensaal kommen
in etwas defektem Zustand Wiedersehen, Künstler, der das Glück hat, gleichzeitig die Kegelbrüder 8. M. König Jockels des
mit abgeplatteter Spitze. Doch das ist Vetter, Tauf- und Firmpathe je eines der Achtzehnten, an die Rampe der übrigen
nicht unsere Schuld. Als die Spitzkugel drei Kommissionsmitglieder zu sein, be- Säle die Künstler, die nachweislich einer
auf dem Mars eintraf, fiel sie zufällig einem sitzt unsere National-Galerie allein viele frommen Brüderschaft angehören u. s. w.
der angesehensten Marsen, dem Präses hundert Bilder. Bilder von Künstlern, die im Verdachte
unserer parlamentarischen Kunstkommis- Unsere Kunstakademie ist einfach gross-
sion, Herrn Krautkopf, auf den Kopf. Da- artig mit allen Chikanen der Neuzeit ein-
durch wurde das Geschoss deformirt und gerichtet. Eine beigelegte Momentaufnahme
wir bitten, uns die Sache nicht falsch aus- zeigt Ihnen den Anblick eines „Meister-
zulegen. Dem Kopf des Herrn Präses hat ateliers“. Der Meister sitzt in der Mitte
es weiter nichts geschadet, aber der Schlag und „malt vor“ und mit seiner Hand sind
war so stark, dass der Herr — Plattfüsse durch elektrische Drähte die Hände der
bekam. Schüler verbunden, so dass Letztere ge-
Das führt mich zu dem eigentlichen zwungen sind, jede Bewegung der Meister-
Thema dieses Briefes. Da Ihr Blatt, wie hand mathematisch genau nachzumachen.
ich sehe, sich viel oder hauptsächlich mit Die Farben werden durch Commando’s
Kunst beschäftigt, interessiren Sie gewiss bestimmt, so dass man z. B. aus dem
unsere hochentwickelten Kunstverhältnisse Munde des Lehrers die Ordre vernimmt:
in erster Linie. «Ganzes Atelier Lichtocker undKremser-
weiss!“ oder
*) Wir finden das, um uns stark auszudrücken, ein
wenig sonderbar, da wir nicht auf dem, sondern auf den «Ganzes Atelier Asphaltlasur mit Sicca-
Mars geschossen haben. (D. R.) tiv de Courtray!“ Ein Marskünstler von den ,Ultramodernen‘.
53z
1896 JUGEND Nr. 24
Nr. 24 JUGEND c»
1896
384
Somtner-Eag* Für die „Jngend“ gezeichnet von Fritz Rehra*
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Nr. 24 JUGEND 1896
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Maiblumen
586
Die Reise ins Wunderland und zurück.^ Für -><- Jugend gezeichnet von Gräfin Olga Kraszewska.
Nr. 24 JUGEND 1896
l)68 80NNtLZ8
frük 80 um viertel sieben
Um viertel Lieben des Sonntags trüb,
Das ist mir die liebste Zeit in der Woche;
Da weckt nicht der Wirthin laut Gepoche
Zu des Tages Last und des Tages Müh’.
Aus der ganzen sechstägigen Alltagsfrist
Ist mir keine einz’ge Minute geblieben,
Wo die Seele so still und so glücklich ist
Als Sonntags früh so um viertel Sieben.
Tagtäglich seh’ ich es anders nie:
Stets steht ein gebietendes „Muss“ vor dem Bette,
Das schirrt in’s Joch und zwingt in die Kette:
„Zieh, Lastthier, zieh! — Zieh, Lastthier, zieh!“ —
So bin ich auch heut’ aus dem Schlaf erwacht;
Schon fühle ich mich gepeitscht und getrieben
In saurer Fron nach verwichener Nacht —
Des Sonntags früh so um viertel Sieben.
Mit hastigem Griffe die Uhr von der Wand: —
Da wird mi'r’s klar: heut’ ist Sonntag auf Erden. .
Da fallen die Fesseln, da ruh’n die Beschwerden ...
. . Und die Uhr bleibt tickend in meiner Hand.
Und das Auge folgt dem Zeiger entzückt,
Der über die Ziffer, die da geschrieben,
— Auch über die Drei — immer weiter rückt —
Des Sonntags früh so um viertel Sieben.
Das ist ein Stück von der Seligkeit:
Tief eingebettet in weiche Kissen
Heut der Minute nicht folgen zu müssen,
Was meines Lebens tägliches Leid . . .
Aus der ganzen sechstägigen Alltagsfrist
Ist mir keine einz’ge Minute geblieben,
Wo die Seele so still und so glücklich ist
Als Sonntags früh so um viertel Sieben,
OTTO RÜHLE.
Der Wahrheitsucher
Freund, hier ist mein neuer Reim.
Prüfe seinen Werth und Adel
Ohne ungerechten Tadel,
Ohne falschen Honigseim.
Sage offen, ob er recht;
Denn ich bin nicht von den Narren,
Die nur Lob zusammenscharren —
Doch, nicht wahr, er ist nicht schlecht?
Ehrlichkeit ist Freundespflicht,
Ehrlichkeit verlang ich heute;
Doch wir sind geschied’ne Leute,
Tadelst Du mir dies Gedicht.
Ich war nie ein eitler Thor
Und erkenne Dich als Richter,
Aber kränkst Du mich als Dichter,
Dann, mein Freund, dann’ sieh Dich vor!
„Matt jibst Du denn ejentlich dein ksühneraujust, Deinem
Schwiejersohn, for Iist mit?" Nun, mein Lieber, komm und höre;
„Ick denke den Thierjarten und Lharlottenburg, außerdem Deinem Unheil halt’ ich still,
datt Stummelsammeln unter'» Linden. Mir bleibt ja immer noch Denn Du siehst ja und ich schwöre,
der meine bliilde Mann' bci's (Dperubaus und datt warme Essen Dass ich nur die Wahrheit will!
for'sServieren beiAulicke, bürgerlicher Mittagstisch for 20 Fenn’ge." KORY •gO\VSK\.
388
1896
Nr. 24 JUGEND
JULIUS BÖHLER
6 Soflenstr. München Soflenstr. 6
vis-ä-vis des Glaspalast-Einganges.
Hof-Antiquar Sr. Majestät des Kaisers und Königs.
Motto: Und Marmorbilder steh’n und seh’n mich an. An- und Verkauf werthvoller Antiquitäten und alter Bilder.
Goethe. (Mignon.)
Du blonder Knabe, ward Dir die Wange heiss,
Als Vater rühmend zeigte der Helden Bild,
Die schweigend über allem Volke
Ragen in’s heitere Blau des Himmels?
Und pocht’ mit rascher’m Schlage das junge Herz,
Als staunend Du die Reih’n der Edlen sah’st?
Als von des Vaterlandes Ruhm Du
Kunde vernahmst, von der Heimat Grösse?
Nun fragst Du schüchtern: Vater, wer ist der Mann
In schlichtem Rocke? Unten am Sockel steht er
In Erz: „Des Simon Blad gedenkend,
Stellte die dankbare Stadt dies Bildniss“.
Der? Kind, komm weiter! Bist Du erwachsen einst,
Wird Dir sein Anblick röthen die Stirn in Scham.
Der Schande Denkmal wird dereinst noch
Zornigen Ekel in Euch erregen!
Ihr werdet hören, wie sich in uns’rer Zeit
Der Pöbel wehrte, als wir dem besten Mann,
Der uns das Vaterland gegeben,
Schmückten in Liebe sein hohes Alter.
Ihr werdet hören, wie sich ein frecher Faun
Die höchste Ehre kaufte mit schnödem Geld,
Der höhnisch lachend seiner Erben
Schmutzigen Sinn auf die Probe stellte. Copyright 1895 fay Franz Hantstsengl.
Unter dem 'Protektorate Sr. D^gl- 3toheit des Prinzregenten Puitpold von Payern, des D^önigreicHs Payern 'Perweser
BayerischeLandes-Industrie-, Gewerbe-SS,„1^
und Kunst-^USStellUng
in den grossen städtischen Parkanlagen
vom 15. Mai bis 15. Oktober 1396
1896 JUGEND Nr. 24
im r = DER AKT
100 Modell Studien in Lichtdruck nach Naturaufnahmen
Besteingerichtete Heilanstalt für Kaltwasser-Heil verfahren, vorzugs- nach künstlerischen und wissenschaftlichen Gesichtspunkten
weise nach Kneipp. Alle Arten Bäder. Aerztliche Leitung Dr. med. gestellt und herausgegeben von
Friedrich Bernhuber. Näheres die Prospecte (gratis und franco). Max Koch, Historienmaler, Otto Rieth,
am Kgl. Kunstgewerbe-Musoum zu U erlin. Architekt und Bildhauer. |
io-4 Die Badeverwaltung. 10 Hefte a IQ Tafeln 24 : 32 cm h Mk. 5.— pro Heft,
• T j, heilt sofort durch sein specillsches Mittel. Wirkung Durch alle Buch- und Kunsthandlungen oder bei Einsendung von M. 55.-
1 comp. Exemplar in eleganter vcrschliessbarer Mappe, oder gegen M. 5.50 |
ITICIIL überraschend und sicher ein Probeheft franco vom:
— Dr. Einhorn,München,
prakt.Lindwurmstrasse
Arzt, Internationaler Kunstverlag
89/1.
Trambahnhaltestelle Goetheplatz. — Sprechst. von 8—9 u. 2—3 Uhr tägl.
M. BAUER ACo., Berlin 8. 53.
391
Inseraten-Annahme Insertions-Gebühren
durch alle Annoncen-Expeditionen
so\yie durch
G. Hirth’s Verlag in München
und Leipzig. JUGEND 1896
Nr. 24
Die „JUGEND“ erscheint allwöchentlich einmal. Bestellungen werden von allen Buch- und Kunsthandlungen, sowie von allen Postämtern
für die
4 gespalt. Colonelzeile oder deren
Raum Jk i.—.
und Zeitungs-Expeditionen entgegengenommen. Preis des Quartals (iz Nummern) z Mk., der einzelnen Nummer zo Pf.
üeuernanme von
Süsse und bittere Erinnerungen eines Reisenden, der um eine kleine
moralische Unterstützung bat. Kunst auctionen
jeder Art, ganzer Sammlungen sowohl
wie einzelner guter Stücke.
All die vorehelichen Abonnenten richten wir die freundliche Bitte, das Hugo Helbing, München, Christophstr- 2.
Vom Frühjahr ab eigene,
Abonnement auf das n.nrfo1 (Nr. 27 — 39) 1896 gefälligst sogleich bei de
111. '■11 lull Uli seitherigen Bezugsquelle bestellen zu wollen.
neuerbaute Oberlichträume.
Herr Dr. med. Meyer in Rotenburg a. Fulda schreibt: „Dr. Hommel’s Hacmatogen
Bleichsucht wandte ich hei einer jungen Dame an, die seit mehreren Monaten an allen gewohnten Mitteln
trotzender hochgradiger Bleichsucht litt. Der Erfolg war ein geradezu ungewöhn-
licher. Alle Beschwerden schwanden in kurzer Zeit, die junge Dame bekam ein blühendes Aus-
sehen und konnte als vollkommen geheilt betrachtet werden. Ich bin Ihnen zu grossem Dan'c ver-
pflichtet und werde hei Bleichsucht jetzt nur noch Ihr Präparat anwenden.“
Nervenschwäche Herr Dr. med. Erdmann in Charlottenburg: „Von der vortrefflichen Wirkung von
Dr. Hommel’s Häematogen habe ich mich in meiner eigenen Familie überzeugt, wo durch Gebrauch
von 4 Flaschen eine neurastlienische junge Dame, die ihre Ernährung durch anstrengendes Studium
der Musik etc, total ruinirt hatte, ihren früheren Appetit und ihre frühere Frische
(Neurasthenie) völlig wieder erlangt hat.“
ist 70,0 konzentrirtes, gereinigtes Haemoglobin (D. R. Pat. No. 81391). Haemo-
Dr. med. Hommel’s Haematogen globin ist die natürliche organische Eisen-Manganverbindung der Nahrungsmittel.
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Herausgeber: Dr. GEORG HIRTH; verantwortlicher Redakteur; F. von OSTiNI; verantwortlich für den Inseratentheil: G. EICIiMANN, G. HIRTH’s Kunstverlag; sämmtlich in München.
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• JUGEND • I. JAHRGANG - NR. 25
Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben. — G. Hirth’s Verlag in München & Leipzig.
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Nr. 25 JUGEND
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1896 JUGEND Nr. 25
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Nr. 25 JUGEND 1896
Nun fängt sachte auch der Waldschatten an und macht So gehen sie allzweibeide miteinand. Der Paul hat eine
Geschichten. Zuerst spielt er sich auf das Düstere, dieses närrische Freud’, dass er seiner Traudel, der liebesten, den
auf das Dunkeln und Dämmern, dieses auf die Finsterniss, Wunsch kann erfüllen. Weil sie halt gar so viel herzig ist! —
und die Finsterniss spielt sich auf die kohlrabenschwarze Sie kommen an’s Haus, da sieht der Schäfer die Trauderl.
Nacht. Nun, die Nacht wäre das Schlimmste noch immer Er schaut sie an — sie ihn. Haben .flieh lang angeschaut
nicht gewesen, in der schwarzen Nacht hätte der Paul mög- und gesagt haben sie nichts.
licherweise auf das weisse Schäflein vergessen. Wie er nun „Du Schäfer!“ sagt der Paul und deutet auf das Schaf,
aber im Moose ruht und anfangen will zu schlafen, da fängt das im Gärtlein munter graset, „da ist es.“
die hautfalsche Finsterniss an und wird wieder licht. Zuerst Die beiden schauen sich immer noch an. Als ob sich
flimmert sie ein wenig, nachher steigt hinter den Bergen schwer die Augen in einander verhackelt hätten, so stehen sie da.
und massig ein ganzes Gericht Gottes auf. Wetterleuchten, Und jetzt wird dem Paul auf einmal angst und bang.
blitzen — murren, donnern, krachen, schnalzen — tröpfeln, „Schäfer!“ sagt er, „siehst es denn nicht! Das weisse
schnürlen, giessen, hageln. Auch das Lüfterl wird Streber: Die Schaf!“ Und wie das Thier jetzt blockt, da hört es der Bursch
Zweiglein fächeln, die Aeste rauschen und schlagen aufeinander und ruft aus: „Da ist es ja! Das ist mir gestohlen worden!
wie Gassenbuben, die Wipfel pfeifen, die Stämme brechen. Der Wer hat denn das gethan?“
arme Paul schauert und wimmert und denkt: Unangenehm ist „Der da!“ sagt die Trauderl und zeigt mit beiden Zeige-
es, aber für das liebe Weib leidet man alles gern. fingern auf den Paul.
Nun steht er auf einmal vor einer Hütte. Daneben der „Gut ist’s!“ sagt der Schäfer. „Die Diebe muss man
Schafstall mit dem weissen Schäflein. Auch gut, denkt sich einsperren lassen!“ Eine Stunde drauf ist der Landsknecht
der Paul, nass bin ich ohnehin schon, jetzt stehle ich das da, der packt den Paul, schliesst ihm die Hände zusammen
Schäflein. Das Gewitter ist so gut und macht Lärm, dass mit einem eisernen Kettlein und treibt ihn davon.
man des Thieres meckernden Hilferuf nicht hört und so Da hebt die Trauderl, die liebeste, das Schürzlein auf
macht sich’s. — Waschnass bis auf die Haut und zerschlagen bis zu den Augen und klagt: „Meinen Alten treiben sie fort.
bis auf die Knochen, so kommt er am Morgen mit dem Wen werde ich jetzt haben?“ Und thut weinen.
Schäflein heim zu seinem Weib. — Nun das hätte man sehen Tritt ihr der Schäfer um einen Schritt näher und schaut
müssen. Dieses Gethu mit dem lieben Vieh! Gehalst und ge- sie wieder an. Und sie thut bitterlich weinen. Da tritt er
küsst über und über — dem armen Paul, die Zähne haben ihm noch näher, zwickt sie am Kinn, nimmt sie um den Hals,
gewässert, aber deren nur drei, mehr hat er nicht im Munde. da thut sie schon ein klein Bissele lachen. — Sehet und so
Und wie er so am Bettstaffel lehnt, fährt ihn die Trauderl — so ist aus einem Paar Socken der Schäfer worden . . .
an: „Was stehst denn Du noch da? Gehst denn Du heut’ wieder Nämlich diese Geschichte hat der alte Gräderer, der
nicht schlafen? Ich denk, Zeit wär’s dazu um fünf! in der Früh! Bräutigam gelesen. Darauf hin guckt er eine Weile so etwas
Diese Nachtfuchtlerei ist mir zuwider bis auf den Tod. Morgen unsicher vor sich hin, trommelt mit dem Finger auf das
wenn es zum Arbeiten ist, wirst wieder stinkfaul sein. Und wie Fensterglas und murmelt endlich: „Ist doch ein vertrackter
das Fletz ausschaut. Du heilige Sankt Katharina! Fadelt nur Schelm, der Herr Vetter.“ —
grad so hinab, das Wasser, von Deinen Gewandfetzerl! Mar Vier Wochen später, als Vater Gräderer mit seinem jungen
und Josef, so ein altes Mannsbild!“ Weibchen die Ringe tauscht, schreibt ihm der Vetter: „Gra-
Er bleibt noch stehen, streichelt den Bettstaffel und sagt: tuliere zum heiligen Ehestand, welcher das Alter ehrt, indem
„Trauderl, liebstes! Ein gutes Wörtel, wenn Du mir wolltest er die grauen Häupter — krönt.“
sagen! Eins hält’ ich heut’ wohl verdient.“
„So!“ sagt das Weib. „So!“ sagt sie.
„Es ist eine ungute Nacht gewest, Traudel!“
„Ah, da schau man her!“ lacht sie auf, „das ist nicht
schlecht. Des Schäfleins wegen meinst Du wohl! Weil Du
mir das Vieh hast gebracht! Alter Tepp, Du! Wenn Dir Dein
Gehirn nicht schon ganz herausgeronnen wär bei der Nase,
so könntest Du Dirs wohl denken, dass Eins mit dem Schäf-
lein allein nichts anzufangen weiss. Oder verstehst etwan Du
umzugehen damit? Du schon gewiss nicht. Du! Soll ich es jetzt
verderben lassen, das arme Thier? Hab’ ich Zeit, dass ich dabei
steh’ und es füttere und pflege? Was hilft mir das Schaf, wenn
ich keinen Schäfer hab? Wärst Du ein Ehemann, wie sich’s
gehört, so brächtest mir auch den Schäfer mit, anstatt dass
Du jetzt dastehst wie das Kind beim Scherben!“
„Aber Traudel, liebestes!“
„Ich bitt’ Dich, lass’ mich in Ruh!“
Der Paul steht da, kratzt sich hinter den Ohren und
sagt: „Jetzt bin ich bös auf Dich, Du schlimmes Trauderl, Du!“
„Dummes Eselein, Du!“ sagt auf einmal das Weibchen und
versetzt ihm einen Klatsch an die Wange. Dieser Klatsch — er
thut schier ein wenig bremsein, aber es ist ein Liebestascherl
gewest! Denkt sich der Paul: o meine Trauderl, die liebeste...
Und am andern Tage — noch kaum ausgeschlafen hat er,
der brave Paul, geht er hinaus in den Gau. Er ist verzagt und
hochgemuth zugleich. Er sucht zum Schäflein das Zugehör.
Und jetzt hat er Glück — er begegnet dem Schäfer. Der
ist ein junger, fester Kerl, geht in seinem stramm gespannten
Beinkleid langsam daher und sagt, er suche ein Schaf. Ein
weisses Schaf hätte er verloren.
Das ist eine wahre Schickung, denkt sich der brave Paul und
sagt: „Du, Schäferbua! Das Schaf, das Du suchst, das weiss ich.
Geh mit mir, ich führ’ Dich, es geschieht Dir nichts. Kannst
verbleiben bei mir, wenn Du willst, es wird Dir nichts fehlen.“
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Mein Kerz ist gar ein stolzes Schloss
Mit Giebeln und mit Zinnen,
Da thürmt Geschoss sich auf Geschoss
Hat prächt’ge Säle innen.
397
Nr. 25 - JUGEND ' 1896
Begriffstützig
Dass uns die Liebe den Verstand verdreht,
Darüber kann uns jede Maid belehren:
Wenn sich ein Liebespaar schon längst versteht,
Muss Er sich immer eigens noch — erklären. x. y. Zeichnung von R. Hoberg.
Nach der Originalradirung von Valire Bernard.
DER KRIEG
Nr. 25 . JUGEND . 1896
400
1896 JUGEND Nr. 25
Feuchte Blicke Ich athmete förmlich auf und blickte mit der Gluth
jugendlicher Empfindung in die schönen, feucht schimmern-
von Ernst Rügen.
den Augen, die mich so mild, so gnädig anschauten . . . .
Damals war ich noch sehr jung und hatte viele franzö- Ja — fuhr es mir durch den Sinn — es gibt eine Liebe,
sische Romane gelesen. Dies zu meiner Entschuldigung, — die sich an dem ersten Blick entzündet, wie die lodernde
wenn es überhaupt einer solchen bedarf — denn die Ge- Flamme an dem Funken .... Vielleicht regten sich in ihrem
schichte endete beträchtlich harmloser als sie begann! Herzen ähnliche Empfindungen.
Hier ist sie übrigens und Jeder möge selbst urtheilen. . . Ein halbschmerzliches, engelhaftes Lächeln umspielte
Vor Jahren — ich hatte mich damals dem Buchhandel ihre Lippe, und hütete das Geheimniss ihrer opferwilligen
gewidmet — reiste ich für ein lexikalisches Unternehmen und Seele .... aber nein! Jetzt beugte sie sich etwas vor und
es war auf einer meiner ersten Touren, als ich in Aschaffen- sprach leise:
burg das Coupe bestieg, um nach Mainz zu fahren. Ein „Ich hätte eine Bitte, eine grosse Bitte an Sie, aber mein
Herr und eine Dame — anscheinend ein Ehepaar — rückten Mann darfs nicht hören . . . .“
verdriesslich in ihre Eckplätze zurück und sahen mich an, Ich war wie versteinert. Mein Gott, dachte ich, Du sollst
als hätten sie sagen wollen: „Na, der hat uns gerade gefehlt.“ ihr Retter sein, sie aus unwürdigen Sklavenketten befreien ...
Der Empfang liess also an Frostigkeit nichts zu wünschen es sei!
übrig, aber im Laufe der Fahrt rückten wir doch etwas näher Eine nie empfundene Seligkeit durchbebte mein Inneres
und es entspann sich das herkömmliche Reisegespräch über und kaum meiner Sinne mächtig, blickte ich sie leidenschaft-
das „Woher“ und „Wohin“. Schliesslich stellten wir uns lich an und sagte mit einer Stimme, die heiser war vor Er-
einander vor. Er war ein Geschäftsmann Namens Müller regung: „Sprechen Sie, ich bin zu Allem bereit!“
aus Bremen, jeder Zoll ein Durchschnittsmensch, mit einem In demselben Augenblick zog Herr Müller den Kopf aus
Dutzendgesicht, das ich schon unzählige Male gesehen zu dem offenen Fenster zurück: „Sieh 'mal den vielen, schönen
haben glaubte. Weit mehr fesselte meine Aufmerksamkeit Weisskohl, der hier wächst, das Wasser läuft einem ordent-
allerdings seine Frau, eine sanfte Blondine, deren Augen mich lich im Munde zusammen!“ hörte ich ihn sagen, das heisst,
vom ersten Moment an bezaubert hatten. Ach, was für Augen! ich hörte es, wie das Ohr vernimmt, wenn das Gehirn andere
Vom zartesten Blau waren sie und dabei umflorte ein feuchter Arbeit verrichtet und das meinige arbeitete mit fieberhafter
Schimmer ihre Sterne, als wollten sie eine lange Geschichte Eile. Wenn sie entschlossen war, diesem Barbaren, wie ich
erzählen von unerwiederter Liebe und ... für mich war es ihn insgeheim nannte, zu entfliehen, dann war jede Minute
nämlich über jeden Zweifel erhaben, dass diese Frau un- von unermesslichem Werthe und es hiess energisch und
glücklich war, dass sie unverstanden, ungeliebt an der Seite kaltblütig handeln. Meine Baarschaft reichte für die ersten
dieses Mannes einherging. Ich brauchte ihn ja nur anzu- Anforderungen hin und hatten wir erst einmal das Meer
sehen, mit seinem bärtigen Alltagsgesicht, brauchte nur seine hinter uns, so war ich jung und kräftig genug, um Brod für
banalen, nüchternen Redensarten zu hören und ich errieth, uns Beide zu schaffen-mochte kommen was da wollte,
dass diese himmlischen Augen feucht schimmerten vom Weh ich war entschlossen, Allem die Stirne zu bieten .... nur
über ein verfehltes Dasein . . . Und wenn ich ihren Blicken eine Minute lang sie sprechen, mich vergewissern, ob sie
begegnete, durchrieselte mich jedesmal ein seliger Schauer ... sich zu dem Muth der That aufraffen würde! Der Tyrann
Wir plauderten vom Reisen und als sie meinen Beruf erfuhr, blieb hartnäckig sitzen und rührte sich nicht von der Stelle.
legte sie ein ungewöhnliches Interesse an den Tag und meinte, Da hiess es denn mit List zum Ziel gelangen. Wir wechselten
wie schön und edel es sei, für die Verbreitung des Wissens eine Weile verständnissinnige Blicke, dann aber bezwang ich
zu wirken. meine leidenschaftliche Aufregung und fragte möglichst gleich-
Wie unvergleichlich sie das aber sagte! Und dabei blickte gütig. «Halten sich die Herrschaften in Mainz auf?“
sie mich an, dass mir ganz warm um’s Herz wurde . - - Das Aufleuchten ihrer Blicke sagte mir, dass sie meine
ach, diese Augen redeten eine eigene Sprache und ich fühlte Taktik verstand und billigte.
es so deutlich, diese Sprache hätte ich gar rasch zu erlernen „Ne, wir machen gleich weiter“, antwortete ihr Bedrücker,
vermocht, wenn nur .... ihr Mann freilich riss mich gleich „aber wir werden wohl ’ne gute halbe Stunde auf den nächsten
wieder aus allen Himmeln. Zug warten müssen.“
,Ja, Ihr Geschäft geht immerfort und Sie verdienen wohl „So, so“, meinte ich in anscheinender Gleichgiltigkeit
ganz nett, nicht?“ sagte er und trommelte mit den Fingern und suchte ihr durch Blicke ein Zeichen des Einverständ-
auf seinen feisten Schenkeln. Ich beruhigte ihn dahin, dass nisses zu entreissen. Ich fühlte ihr Füsschen auf meinem
ich mein anständiges Auskommen hatte, worauf er seine Auf- Fuss ruhen und hätte vor Freude aufjauchzen mögen, denn
merksamkeit wieder der Landschaft zuwendete, welche pfeil- mein Kriegsplan war fix und fertig. Auf dem grossen Bahn-
schnell an uns vorüberflog. Jetzt liess er das Fenster her- hofe würde es ein Leichtes sein, die letzte Verabredung zu
unter und steckte den Kopf hinaus. treffen und dann . . . - dann fort auf Amors Schwingen in
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Nr. 25 JUGEND 18S6
die weite Welt! .... Mein Kopf glühte.Unser Zug „Nu ja, mein Mann .... und da dachte ich, Sie könnten
näherte sich der Station Mainz und wir bereiteten uns zum mir wohl den kleinen Meyer recht billig verschaffen — mein
Aussteigen vor. Mann ist so sehr für die Bildung!“
„Ich habe auch einen Geschäftsfreund in der Bahnhofs- „Was!“ rief ich übermässig laut und starrte sie mit
halle zu erwarten“, warf ich gesprächsweise hin. grossen Augen an.
„Dann können Sie uns ja noch Gesellschaft leisten.“ „Sie wollen wohl nicht, ’s ist Ihnen wegen der Provision?“
Mit diesen Worten kam sie mir zu Hilfe und blickte mich meinte sie sichtlich betrübt und enttäuscht.
vielsagend an. Ich fühlte mich einer Ohnmacht nahe. Die Arme sanken
„Mit Vergnügen“, sagte ich mit bebender Stimme, während mir herab und wie ernüchtert aus berauschtem Zustand
wir das Coupe verliessen und dem Wartesaal zuschritten. glotzte ich vor mich hin.
Meinen neuen Regenschirm hatte ich glücklich liegen lassen, „Das wollten Sie mir also sagen“, murmelte ich tonlos
aber ich hütete mich, davon zu reden, denn jetzt musste ich „Ja, was glaubten Sie denn?“ — meinte sie piquirt. —
dem himmlischen Weibe nahebleiben und keine Sekunde „Nein, nein, ich glaubte gar nichts“ — stotterte ich. ,—
ungenützt verstreichen lassen. Müller musste ohnedies zum „Und was den kleinen Meyer anbelangt, den werde ich Ihnen
Schalter, um die Karten abstempeln zu lassen, wie er an- mit Vergnügen zum Selbstkostenpreise überlassen, meine
kündigte, und da konnten wir Zeit gewinnen, um über unser Gnädige . . .“
zukünftiges Leben schlüssig zu werden. Er war auch kaum „Ach, wie nett von Ihnen!“ rief sie . . .
zur Thüre hinaus, als sie ihr Händchen auf meinen Arm Eben kam Müller mit den abgestempelten Karten zurück
legte und mich innig anblickte. und meinte: „Wollen wir nicht ’ne Kleinigkeit gemessen?“
Ich hätte vor ihr niederknien können! „Ja, ich dachte auch daran,“ flötete sie, ging an’s Buffet
„Sprechen Sie!“ drängte ich ungestüm und verschlang und kam mit zwei Buttersemmeln zurück.
sie förmlich mit meinen Blicken. „Nee, wie dünn sie das für zwanzig Pfennige drauf
„Ich will nicht lange Worte machen“, flüsterte sie und schmieren“ — sprach sie nachdenklich und ihre feucht-
ihr Athem streifte meine Wange, so nahe war sie mir — schimmernden Blicke ruhten lange auf den beiden Brodelten
„nächste Woche hat Fränzchen Geburtstag.“ . . . just so verheissend und vielsagend, wie sie auf mir
„Fränzchen!“ wiederholte ich erstaunt. geruht hatten . . .
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Nr. 25 JUGEND 1896
Traumland.
Gedicht von Paul Gutmann.
Etwas langsam, %art tind schwermüthig. comp. v. Anton Beer.
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404
1896 JUGEND Nr. 25
Nr. 25 JUGEND 1896
Süddeutsche
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und Leipzig. JUGEND 1896
Nr. 25
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8MBT Von der grössten Wichtigkeit ist der Gebrauch desselben im Kindesalter und in den höheren Lebensjahren. In ersterem, weil fehlerhafte
Blutzusammensetznng in der Entwickelungsperiode von entscheidendem Einfluss für das ganze Leben ist, in letzteren, weil im Alter die blutbildenden Organe
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Herausguhor: Dr. GEORG HIRTH; verantwortlicher Redakteur: F. von OSTINI; verantwortlich für den Inseratentheil: G. EICHMANN, G. HIRTH’s Kunstverlag; s innntlich in München.
Druck von KNORR & HIRTH, Ges. m. beschr. Haftung in München.
1896 27. J U N I JUGEND I. Jahrgang Nr. 26
Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben. — G. Hirth’s Verlag in München «St Leipzig.
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Nr. 26 JUGEND 1896
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^\äd©nn<a
Nr. 26 . JUGEND - 1896
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'MM.
Originalskizze von Arturo Rietti (Triest).
Ztui> ienkopf
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Nr. 26 k
JUGEND 1896
Richtig dort schleicht er hin mit nieder- Spielmann, der Dienst- und Schutzmann
All Heil! geschlagenen Augen, ängstlich und voll der Backfisch und die Eierfrau, der Kamin-
Die Welt stellt im Zeichen des Zwei- Scham, wie einer der mit halbgeschornem feger, der Lieutenant, der General, die Naive
rads! Es ist ein Massenwahnsinn ohne Kopf frisch aus dem Bagno kommt, wie und die Heldenmutter, der Weinreisende
Gleichen über die Menschen gekommen. ein schuldbewusstes Gigerl, das bemerkt und der lyrische Dichter, die hohe Finanz
Man hat gewiss im Laufe der Jahr- hat, dass es ohne Hemdkragen aus dem und der Bruder Straubinger, die professio-
hunderte schon die herrlichsten Dinge an Hause gegangen ist! Da schleicht er hin, nelle Schönheit und die züchtige Familien-
epidemischer Unvernunft erlebt: dieVölker- als wär’ er plötzlich splitternackt vor den mutter— diese nur mit kleinen, etwa halb-
wanderungen, die Kreuzzüge, die Inqui- Augen eines verehrten Publikums — ge- jährigen Unterbrechungen, der Droschken-
sition und die Hexenprozesse, die Gold- drückt, blass oder roth in seines Nichts kutscher sobald er dienstfrei ist, derStaats-
macherei,dieAllongeperrücken, die Geissel- durchbohrendem Gefühle — anwalt, der Advokat und der Berufsgauner,
prozessionen, das Cri-Cri, das Volapük, Der letzte Fussgänger! der letztere sogar mit ganz besonderer ziel-
die „Cavalleria-Rusticana“, die Amateur- Für heute mag diese Momentaufnahme bewusster Vorliebe.
photographie, die Schinkenärmel, den Spiri- noch wie eine kleine Uebertreibung aus- Es wäre ein Thema, würdig einer Doktor-
tismus, die Holzbrandmalerei, das Brief- sehen; aber wartet nur — in drei Jahren! dissertation, die Gründe darzulegen,welche
markensammeln, den General Boulanger, Heute sind die Leute, die nicht auf dem die sündfluthartige Ausbreitung des Rad-
den Schunkelwalzer und Ta-ra-ra-bum-diäh, Zweirad fahren, schon schneller gezählt, fahrens veranlassten.
man hat sich den glorreichsten Verrückt- als die, welche radeln. Die Sache wird Da ist erstens der Nachahmungstrieb,
heiten hingegeben, aber so allgemein hat vorläufig überhaupt nur dadurch einen Still- den der Mensch nach den bekannten Grund-
doch noch keine um sich gegriffen, wie stand erfahren, dass die Händler keine sätzen für die Entwicklung der Arten nicht
das Radeln. Maschinen mehr zu verkaufen haben. Es gestohlen hat und der bei allen andern
Fragt man heute einen Menschen — kann Einem heute schon passiren, dass er epidemisch auftretenden Liebhabereien ja
Mann oder Weib — zwischen 10 und 95 vor den Fahrradhändler mit dem Wunsche auch immer in erster Linie massgebend
Jahren, ob er Zweirad fahre, so bekommt tritt: „Ich möchte ein Zweirad haben“, und gewesen ist.
man zur Antwort: „Natürlich!“ Nicht ein- dass ihm dieser schnöde zur Antwort gibt: Dann die liebe Eitelkeit, sehr stark be-
mal „Ja!“ — sondern „Natürlich!“ Es gibt „Ja! das glaub’ ich — .ich auch!“ stimmend für Frauen und Männer. Für die
aber schon Leute, welche diese Frage ebenso Wer fährt heute nicht? Ausser den Ersteren erschliesst das Radeln ein ganz
übelnehmen würden, wie die, ob sie lesen Kranken und Invaliden etwa noch der neues Toilettengebiet, es leiht den von der
könnten, oder ob sie in dem Besitze der höhere Klerus vom „geistlichen Rath“ und Natur hiezu Begnadeten Gelegenheit, in
bürgerlichen Ehrenrechte seien. Superintendenten aufwärts, ein paar Men- durchaus ehrbarer Weise Reize zu ent-
Wie lange noch? Dann entsteht eines schen von mehr als zweihundert Kilo Ge- hüllen, die sonst ängstlich unter den Falten
schönen Tages in den Strassen irgend einer wicht, für die sich eine tragfähige Maschine des Glockenrockes verborgen bleiben, es
Stadt ein kolossaler Auflauf. Man läuft an nicht bauen lässt, Stiftsdamen, Leichen- ist überhaupt ein neues wirksames Mittel,
die Fenster, man steigt auf die Ecksteine, frauen und solche Vertreterinnen des schö- „gesehen zu werden“ und es gibt schliess-
man drückt Auslagenscheiben ein, man nen Geschlechtes, deren Schuhnummer lich wieder einmal eine prächtige Veran-
klettert auf die Laternen, man zischelt, über 56 hinaufreicht. Aber sonst fährt so lassung, den Herren der Schöpfung zu
lacht, ruft, deutet! Zu einem Brausen ziemlich Alles, der-sorgenvolle Kaufmann, zeigen, dass sie Nichts für sich allein haben
wachsen die Stimmen an... Was denn? der leichtgeschürzte Pilger, der andächtige sollen. Ein besonders schneidiger Haudegen
Dort — drüben auf dem Trottoire — Mönch, der düstre Räuber und der heitre des Frauenemancipationsheeres hat das
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1896 JUGEND Nr. 26
Radeln schon darum warm empfohlen, ist die flotte,' freie Bewegung in frischer
weil es dem schönen Geschlechte in die Luft für unsere Gesellschaft von Stuben-
Hosen und damit der ganzen Bewegung hockern und Bureaumenschen im höchsten
auf die Strümpfe helfe. Auch für den Mann Grade zuträglich. Ein einigermassen nor-
ist die Hosenfrage beim Radfahren wohl maler Beinbruch heilt, dank unserer fort-
nicht ganz nebensächlich. Er kann die Kraft geschrittenen medizinischen Wissenschaft
und Geschmeidigkeit seiner Glieder im schon in wenigen Wochen, eingeschlagene
schönsten Lichte zeigen, wenn er auf dem Zähne bekommt man schnell und billig
Rad sitzt, und die dürftigsten Waden be- durch neue und viel weissere ersetzt, Riss-,
kommen in dicken englischen Strümpfen, Schnitt- und Quetschwunden schliessen
die oben umgeschlagen sind und „doppelt sich in unserem Jahrhundert der Carbol-
wirken“, ein ganz respektables Ansehen. säure und desjodoforms im Handumdrehen
Käme das Männergeschlecht durch den ohne Schmerzen undWundfieber. DieAerzte
Radfahrsport am Ende gar wieder dazu, sind sehr für das Radfahren. Und dann
seine Beine in die praktisch und ästhetisch höre man nur die maassgebenden Stimmen
so empfehlenswerthen Pumphosen statt in von Bicycle-Fabrikanten, Tricotagewaaren-
die üblichen infamen, schlauchförmigen händlern, Sportschneidern, Witzblatt-Re-
Hülsen zu stecken, so hätte der Erfinder dakteuren — sie Alle treten aufs Wärmste
des Zweirads damit allein schon eine Cultur- für unseren Sport ein!
mission erfüllt, die ihn würdig an die Seite Kein Wunder also, dass dieser jede
von Johannes Gutenberg und Berthold Alters- und Gesellschaftsklasse für sich
Schwarz stellte. Das Radeln leiht übrigens eingenommen hat. Im Boudoir und am
auch älteren Herren, wenn sie nicht allzu Biertisch, im Bureau und beim Mahle
ängstlich und verzweifelt an die Lenkstange spricht man von nichts Anderem als vom
geklammert im Sattel sitzen, einen ge- Fahrrad. Früher schwatzte man vom Wetter,
wissen Schein von Jugendlichkeit. vom Theater, von Toiletten, von gesell-
Dann kommen die vielen praktischen schaftlichen Scandalen — heute spricht
Gründe, die für das Radfahren sprechen: man von Rekords und Straßenzuständen,
man kann, da heute ja auch die Eisen- von Touren, Rennen, Stürzen, man lästert
bahnen für den Transport von Rädern über die Waden der Andern, man erörtert
schon gut eingerichtet sind, wenn das die Vorzüge der verschiedenen Fabrikate
Wetter nicht zu heiss ist, nicht zu windig, und dabei stellt es sich dann heraus, dass
nicht zu schwül und nicht regnerisch, der Jeder eine Maschine des allerbesten Sy-
Pneumatik die Luft hält und auch sonst stems fährt. In Dingsda duellirten sich
das Rad wie der Fahrer in Ordnung ist, neulich der Besitzer einer Swift-Maschine
wenn man nicht das Malheur hat in einen, und der eines Ichneumon-Fahrrades auf
von dem dazu gehörigen Bauern getrennten 10 Schritte Barriere wegen einer derart-
Schuhnagel zu fahren, wenn das Terrain igen Meinungsverschiedenheit. Ein Schuss,
nicht durch Steigungen, Polizeiverbote, den der Letztere in den Schenkel bekam,
Hunde, Kinder, Bierwagen und Sonntags- erwies den Vorzug des ersteren Fabrikates
reiter beinträchtigt, die Strasse nicht frisch zur Evidenz.
beschottert, nicht durchweicht, nicht von Tief, tief schneidet heute der Radfahr-
tiefen Geleisen durchzogen, nicht aus an- sport auch in den behaglichen Gang des
deren Gründen schlecht oder gar nicht Familienlebens ein. Eine Familie, die,Fährt1,
fahrbar ist, wenn man die richtige Gesell- verträgt sich mit einer radlosen Familie
schaft hat, keinen Wadenkrampf bekommt, nur schlecht; Todfeindschaften entstehen
nicht auf falschen Weg geräth und auch um einen Strassenrekord oder um Meinungs-
im klebrigen von vorhersehbaren und un- verschiedenheiten über eine neupatentirte
vorhersehbaren Hindernissen nicht auf- Kettenölungsvorrichtung oder die Frage,
gehalten wird — unglaubliche Strecken in ob Handgriffe aus Holz, Horn, Kork,Gummi,
fabelhaft kurzer Zeit zurücklegen. Heut- Metall, Celluloid, Granit oder Papiermache
zutage ist Zeit mehr Geld wie je. Wie vorzuziehen seien. Eine Mutter, die in
lange brauchte man früher, um in der Stadt weiten Röcken fährt, widersetzt sich gewiss
einen Weg von drei Kilometern hinter sich wüthend der Verbindung ihres Sohnes mit
zu bekommen? Volle fünfundzwanzig Mi- einer hosentragenden Bicyclistin. Aber
nuten. Und jetzt: man vertauscht einfach auch vereinigt werden Herzen durch das
seine bürgerliche Kleidung mit dem Rad- Rad, nicht nur entzweit. Es bandelt sich
fahreranzug, putzt und ölt seine Maschine, so hübsch an bei einer Fahrt ums Morgen-
pumpt die Luftschläuche auf, füllt vorsichts- roth in schattigen Hainen, man hilft der
halber die Laterne frisch ein, schiebt das Angebeteten auf die, und von der Maschine,
Rad behutsam durch die dem Radlerverkehr man hebt sie zärtlich und behutsam auf,
noch nicht geöffneten Stadttheile, steigtauf wenn sie auf den Kopf gefallen ist, man
und strampelt dann gemüthlich mit kleinen, schiebt ihr Rad die Berge hinan, pumpt
durch die Qualität der Strassen bestimmten ihm Luft ein und stillt seinen Durst nach
Umwegen, seinem Ziel entgegen. In einer Oel, wenn es quietscht — es gibt tausend
knappen Stunde ist man dort. Gelegenheiten, sich da nützlich und lieb
Für alle, die zu einer über das Maass zu machen. Ferner ist das „Tandem“ der
wohlthuender Molligkeit hinausgehenden herrlichste Apparat zum Durchgehen, den
Rundung neigen, ist das Radfahren freilich es gibt; im Uebrigen aber kann das doppel-
der helle Segen — schade nur, dass es sitzige Rad nur für voreheliche Liebe em-
auch im entsprechenden Grade wieder pfohlen werden. Unter Gatten führt es
Durst und Appetit fördert. Und auch sonst Gezeichnet von E. Kneiss. weit eher zu Unfrieden — er tritt, sie
4Q
Zeichnung von A Halmi.
Wenn sie Besuch haben
Zeichnung von A. Halmi,
wenn sie allein sind
Nr. 26 • JUGEND . 1896
tjiut nichts, er transpirirt, sie amiisirt Also nicht einmal die Bürgermeister-
sich, er keucht, sie lacht, er bekommt kette hilft gegen die Zweiradseuche, weder,
die Schwindsucht und sie wundert sich sie, noch irgend ein anderes Amulet der
darüber, wie schnell und bequem ein Erde. Man sieht Menschen vergnügt die
Menschenpaar auf dem Tandem vorwärts Strasse her strampeln, die früher über
kommt. Und fallen sie schliesslich in Nichts so intensiv zu schimpfen wussten,
einen Graben, so ist immer er schuldig, als über die Rad-Fexe. Kein Alter schützt
auch wenn sie die Lenkstange führt. Er- vor dieser Thorheit, kein Stand, keine
schwerend ist für ein verheiratetesTandem- Körperconstitution, keine schlimme Er-
Paar auch der Umstand, dass man sich fahrung hält davon ab. Schöne Frauen, die
über das „Wohin?“ immer in vollständiger sonst wegen einer stecknadelkopfgrossen
Harmonie befinden muss. Furchtbar aber Sommersprosse Arsenik genommen hätten,
kann die Sache freilich werden, wenn fallen mit lächelndem Gleichmuthe vom
ihre Frau Mama die Anschaffung eines Rad und riskiren die anmuthigen Linien
Dreisitzers fordert und mitfährt. Dann ist ihrer Nase; gravitätische, umfangreiche
er ein todter Mann. — Spiessbürger erlernen im Schweisse des
Die vollkommene, ideale Ausbreitung Angesichts ihrer Velozipedlehrer die fröh-
des Zweiradfahrens wird in den Städten liche Kunst und plumpsen wie Gummi-
allerdings noch immer in beklagenswerther bälle auf dem Boden der Fahrschule um-
Weise aufgehalten durch Fussgänger und her, dürre Staatshämmorrhoidarii steigen in
Wagen. Hier muss gründlich Remedur den Sattel und klappern über das Strassen-
geschaffen werden und sie wäre leicht zu pflaster, Stabsoffiziere der Infanterie ver-
schaffen — man brauchte nur Pferde und gessen über dem Rade das Reiten, das
Nichtradler auf’s Trottoir zu beschränken sonst ihre Leidenschaft war, die Mutter
und die Strassen dem Stahlross freizuhalten. verlässt ihre Kinder, der Maler seine
Statt dessen benachtheiligt man heutzutage Staffelei, die Jungfrau ihr Piano, Jeder
in jeder Weise noch den Radler und im verlässt sein altes Steckenpferd und greift
Polizeibureau einer mittelgrossen Stadt wer- nach dem Neuen, dem Steckenpferd auf
den täglich einige Diurnisten rein aufge- Rädern.
brauchtdurch Ueberanstrengung beim Aus- Es ist kein Ende abzusehen, wohin das
fertigen von Strafmandaten wegen Ueber- noch führen mag, Alles ist angesteckt von
tretung der Fahrvorschriften. Das wird nur der verrückten Passion, strampelnd und
besser dadurch, dass das Radfahren auch die eigenen Knochen, wie die der Mit-
die für solche Dinge massgebenden Fak- menschen gefährdend durch die Welt zu
toren immer mehr ansteckt: Gensdarmen, fliegen, Alles, Alles —
Polizei-Commissäre, -Räthe und -Präsi- ich auch! bob
denten, Magistrats- und Gemeinderäthe
u. s. w. Erst neulich hat mein Gewährs-
mann einen wirklichen, leibhaftigen, rechts-
kundigen Bürgermeister auf dem s.v. Bauche
liegen sehen und zwar nicht etwa vor sei- Ikobolb
nem allergnädigsten Landesherrn, sondern Scbalftbeft spricht aus Deinem Mund,
neben einer seelenlosen, frischgekauften Arglist aus den Micken,
Non plus ultra-Maschine mit Tangent-Spei-
chen und zweiundsechzigzölliger Ueber-
JBist ein kleines Teukelcben»
setzung. Die Radfahrer der betreffenden Durch und durch voll Tücke».
Stadt erhoffen demnächst die Verfügung, Wist ein kleines Teukeleben,
dass jeder die Schnelligkeit der Bicyclisten ,'Vesbakt und durchtrieben —
durch rücksichtsloses Spazieren auf dem Allen» Du liebenswürdig wärst,
Fahrdamm beeinträchtigende Fussgänger Mürd' ich Dieb nicht lieben.
wegen groben Unfugs bestraft wird. TH. STERNBERG.
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l, 9. I, 22.
Du sichst, wie weiß, im glänzenden Schneegcwand, Wer ein . braver, ehrlicher Gottesmcnsch ist,
Der Ureuzberg steht, und wie der Viktoriapark Braucht nicht Degenstöcke, noch Ochsenziemer,
Tief eiugeschneit, wie Spree und Pauke Noch amerikanische Schlagringwaffen,
Mäntel von Lis auf den Leib gezogen. Noch auch Revolver, —
Drum heize, Freundchen, spare die Uohlen nicht, Ob er die unwirthliche pasenhaide
Und laß' uns im behaglichen Stübchen dann Oder den Thiergarten des Nachts durchwandert,
Aus schönem altem Rum — was meinst Du? — Oder nach dem Norden Berlins geht, wo die
Tinen urkräftigen Steifen brauen! Panke sich schlängelt.
Laß pan die Welt verwalten, dem Wintersturm, Stiefle ich im Grunewald jüngst nach Schildhorn,
Der mit dem Lenzwind heulende Schlachten schlägt, Pfeife lustig „Anne-Marie, erhör' mich!"
Gebieten! —: Beide werden schweigen, Als ein pirsch zwölf Schritte vor mir sich regt und —
Daß sich kein Zweig mehr am Baume rüttelt. Fort wie der Satan I
Was kann Dich kümmern, was Dir der Morgen bringt, 's war ein Uapitalkerl, ein Achtzehnender,
Des Lebens freue jeglichen Tag Dich neu, Wie so groß ich keinen zuvor gesehen!
Und walze froh mit süßen Mädchen Ucine Waffe halt' ich — und doch! er forcht sich! —:
Draußen in Walensee oder Treptow, Fort wie der Satan!
Solang zu Tanz und Uuß Du noch jung genug! Laß' am Nordpol mich zu den Robben gehen
Zum Tircus wand're, sieh' Dir ein Lustspiel an! Und im ew'gen Tise den Eisbär treffen —
Vielleicht auch knüpf' ein zart Verhältniß Glaubst Du, daß mir einer ein leides thäte?
An in dem Dämmer der Gaslaterne I Ebensowenig!
Und sitz'st Du dann bei Dresse! beim Dejeuner Wär ich in der Wüste, im Löwenviertel
Und Deine Uleine hält die Serviette vor — Afrika's, ich würde mich doch nicht fürchten!
Wie köstlich, wenn der scherzhaft Spröden Pfeifen würd' ich „Anne-Marie, erhör' mich!"
Endlich den Uuß Du, den süßen, raubtest! Pfeifen, ja pfeifen. Christian MORGENSTERN.
I, 9. I, 22.
Vides ut alta stet nive candiJum Quid sit futurum cras fuge quaerere, et Integer vitae scelerisque purus Quäle portentum neque militaris
Soracte, nec iam sustineant onus Quem fors dierunt cumque dabit lucro Non eget Mauris iaculis neque arcu, Daunias latis alit aesculetis,
Silvae laborantes, geluque Adpone, nec dulcis arnores Nec venenatis gravida sagittis, Nec Iubae tellus generat leonuni
Flumina constiterint acuto: Sperne puer neque tu choreas, Fusce, pharetra: Arida Nutrix.
Dissolve frigus ligna super loco Donec virenti canities abest Sive per Syrtis iter aestuosas, Pone me pigris ubi nulla campis
Large reponens, atque benignius Morosa. Nunc et campus et areae, Sive facturus per inliospitalem Arbor aestiva recreatur aura,
Depronie quadrimum Sabina, Lenesque sub noctem susurri Caucasum vel quae loca fabulosus Quod latus niundi nebulae malusque
O Thaliarche, merum diota. Composita repetantur bora; Lambit Hydaspes. Iuppiter urguet;
t enniite divis cetera: qui sim'ul Nunc et latentis proditor intimo Nantque me silva lupus in Sabina, Pone sub curru nimium propinqui
bravere ventos aequore fervido Gratus puellae risus ab angulo, Dum nieam canto Lalagen et ultra Solls, in terra domibus negata:
Deproeliantes, nec cupressi Pignusque dereptum lacertis Terminum curis vagor expeditis, Dulce ridentem Lalagen amabo,
Nec veteres agitantnr orni. Aut digito male pertinaci. Fugit inermem: Dulce loqucntsm.
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Nr. 26 JUGEND 1896
4-i
Nr. 26 JUGEND 1896
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1896 JUGEND Nr. 26
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