Sie sind auf Seite 1von 3

MITTELALTER

Ein „R“ für ein „U“ vormachen?


Überlegungen zur Schreibweise von Buchstaben
auf Münzen des 10./11. Jahrhunderts

Sebastian Steinbach

I m NNB 12/2008, S. 496, wurde ein


interessanter Vorschlag zur Verortung
und Datierung des Typs Dannenberg
GmbH 28/2008, Nr. 135 Anm.) zuge-
schrieben.
Abweichend von dieser bisher (weitge-
der Dannenberg-Zeit auseinander zu set-
zen.
Schriftart der deutschen Münzen des
743a unterbreitet (Abb. 1). Nach Auffas- hend) unstrittigen Interpretation tritt nun- 10./11. Jahrhunderts ist die antike Capi-
sung des Verfassers spricht vieles dafür, mehr der Verfasser des o.a. Artikels da- talis (Monumentalis auf Stein und
Dortmund als Prägeort zu belassen und für ein, den Buchstaben nicht als „R“ Metall). Sie kennt nur die 23 Großbuch-
die Münze als eine Prägung des Reichs- oder „D“, sondern vielmehr als „U“ zu staben des lateinischen Alphabets: A, B,
verwesers Erzbischof Willigis von Mainz lesen und gibt dazu den Hinweis, dass C, D, E, F, G, H, I, K, L, M, N, O, P, Q,
(975–1011) anzusehen. Als Begründung Willigis „unlateinisches W […] u. a. mit R, S, T, V, X, Y, Z. „Unlateinische“ bzw.
für seine These führt er die Beizeichen dem ebenso unlateinischen doppelten U“ germanische Laute wurden durch Buch-
ober- und unterhalb der zweizeiligen Le- geschrieben wurde. So schlussfolgert er: stabenkombinationen ausgedrückt. So
gende THERT / AMANNI an. Oben ist „Dortmund bleibt Dortmund und U das angelsächsische „th“ durch „TH“
die Krümme eines Bischofsstabes zu se- bleibt U für Dortmund unter Erzbischof oder „–D/ð“, ein weiches sächsisches „T“
hen und unten augenscheinlich ein Buch- Willigis“. Diese Behauptung fordert ge- durch „D“ (wie in dem hier vorliegenden
stabe. radezu heraus, sich einmal genauer mit ODDO), oder eben ein „W“ durch „VV“.
Buchstaben in Legenden von Münzen Ebenso sind das vokalische „V“ (= u)

Abb. 1: Der Kern der Diskussion: Münze nach


Dortmunder Gepräge. + ODDO + REX Kreuz,
in den Winkeln je eine Kugel // Zweizeilig
THERT / AMANNI, oben Krummstab, unten
Buchstabe. Exemplar der Slg. Bernhard
Schulte, Auktion Münzen und Medaillen
GmbH, Auktion 28/2008, Nr. 135.

Eben jener Buchstabe ist bisher in der Li-


teratur als „gestürztes“ (Dannenberg, I,
S. 290), „auf den Kopf gestelltes“ (Berg-
haus 4a, S. 32) oder lediglich als „R“
(Gaettens 1956, S. 441) gelesen worden.
Dieses „R“ wurde als Anfangsbuchstabe
des verantwortlichen Prägeherren inter-
pretiert und die Münze dementsprechend
Bischof Ramward von Minden (996- Abb. 2: Diese Abbildung einer Handschrift aus der Zeit Ludwigs des Deutschen um 830 gibt
1002, Gaettens), Dodo von Münster einen guten Eindruck von der Schrift der karolingisch-ottonischen Zeit. Links und unten stehen
(972–993, Berghaus liest in einem zwei- karolingische Minuskel – einmal als „Schönschrift“ (l.) und einmal als schneller Nachtrag des
ten Exemplar auch „D“ anstelle von „R“, späten 9. Jahrhunderts (u.). Auf der rechten Seite wurde eine Widmungsschrift in Capitalis
Berghaus 4b) oder Abt Radbold von angebracht. Die Austauschbarkeit von „V“ und „U“ wird besonders in dem Wort „HLVDOVVI-
CE“ (r. o.) deutlich. Abbildung von Wikimedia = Teile des „Muspilli“ (althochdeutsche Stabreim-
Werden (1001–1022, Slg. Bernhard dichtung) / Bayerische Staatsbibliothek, Clm. 14098, f. 119v und 120r.
Schulte, Auktion Münzen und Medaillen

80 NNB 2/09
MITTELALTER
und das konsonantische „V“ (= v) der Münze ausgerichtet sind. Inwieweit oder S-BREMA-A / DMG 415) anfüh-
schriftlich austauschbar (Abb. 2). Aller- die mittelalterlichen Stempelschneider ren.
dings nur in einer Richtung: „U“ er- ein Verständnis von „oben“ und „unten“ Also: „R“ bleibt „R“ – Ob Dortmund
scheint immer als „V“. Ein „U“ mit einer hatten oder lediglich die Vorlage eines auch Dortmund bleibt, ist jedoch frag-
runden Basis – und um ein solches müss- Schriftkundigen kopierten, sei an dieser lich. Der Krummstab lässt den Schluss
te es sich im vorliegenden Fall handeln – Stelle einmal dahingestellt, weil für die zu, dass der Typ in einer geistlichen
gibt es meines Wissens auf keiner Mün- hier zu behandelnde Frage irrelevant. Münzstätte im Dortmunder Umfeld ent-
ze der Dannenberg-Zeit. Grundsätzlich standen ist, wie dies bereits R. Gaettens,
kann man also feststellen, dass die otto- P. Berghaus und B. Schulte vermutet ha-
nisch-salische Urkundenschrift nicht mit ben. Welcher der mit einem „R“ begin-
der Schrift der Münzen identisch ist. nenden geistlichen Münzherren dies ge-
Hinzu kommen häufig Ligaturen (Ver- wesen sein könnte, kann an dieser Stelle
bindungen) zweier Buchstaben (i.d.R. nicht beantwortet werden. Nur soviel sei
Konsonant und Vokal) wie bei dem vor- dazu gesagt: Als mögliche geistliche Prä-
liegenden „MA“ oder – modern ausge- gestätten der ottonischen Zeit in der nä-
drückt – Sonderzeichen wie das durch- Abb. 4: Ein zweites, hervorragend ausge- heren Umgebung kommen nur Essen
prägtes Exemplar des Typs Dannenberg 743a
gestrichene „S“ für SANCTA. (Rückseite um 180° gedreht) aus dem Fund
(kein Münzrecht, vgl. DMG 412), Her-
Einen Hinweis auf die Bedeutung des von Klein-Roscharden zeigt ebenfalls die ford, Werden (mit Lüdinghausen, Münz-
Beizeichens kann eigentlich nur das Übereinstimmung des Beizeichens mit dem recht 974/MGH D.O.II. Nr. 88), Minden,
Symbol im Vergleich mit anderen Zei- „R“ der Inschrift. Münzkabinett / LWL Osnabrück, Münster und Paderborn in
chen der Legende und Legenden anderer Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschich- Frage (Abb. 6). Davon haben lediglich
Münzen des Dortmunder Raums geben. te / Münster, Inv.-Nr. 15309Mz. 4 geistliche Würdenträger mit einem „R“
Isoliert man das unter der zweizeiligen im Namen vorzuweisen: Minden –
Inschrift gelegene Zeichen und dreht es Als Beispiel für solche an der zweizeili- Bf. Ramward (996 –1002), Münster –
um 180°, so kann ein Vergleich mit dem gen Inschrift ausgerichtete Buchstaben Bf. Rumhold (922 –941), Paderborn –
„R“ in THERT-AMANNI sowie anderen als Beizeichen lässt sich ein Münztyp aus Bf. Rethar (983 –1009), Werden – Abt
„R’s“ auf Dortmunder Münzen eines Kö- Straßburg anführen, der etwa 50 Jahre Radbold (1001–1022).
nigs ODDO (Berghaus 1-3 und 5-8) kei- vor diesem Dortmunder Stück entstan-
nen Zweifel aufkommen lassen, dass es den sein muss (Abb. 5). Es handelt sich
sich hierbei um den gleichen Buchstaben um eine Münze des Bischofs Richwin
handelt (Abb. 3). (913 – 933, Engel & Lehr 43-47, DMG
476). Sie zeigt auf ihrer Rückseite den
zweizeiligen Stadtnamen ARGENTI-
NACIVIT sowie oben ein „R“ und unten
ein „S“. Varianten dieses Typs zeigen die
beiden Buchstaben sowohl richtig ste-
hend zur Inschrift (Engel & Lehr 43) als
auch auf dem Kopf stehend (Engel &
Lehr 47) oder sogar retrograd (Engel & Abb. 6: Prägestätten im Dortmunder Raum
Abb. 3: Ein Vergleich des rätselhaften Lehr 44). Ob dieser elsässische Münztyp zwischen 900 und 1125. Abbildung aus:
Buchstabens (o. l., um 180° gedreht) mit B. Kluge: Deutsche Münzgeschichte von der
anderen in der zweizeiligen Inschrift von
den Dortmunder beeinflusst haben könn-
te, lässt sich nicht nachvollziehen. Das späten Karolingerzeit bis zum Ende der
Dannenberg 743a (o. r.) und auf Dannenberg Salier. Sigmaringen 1991, S. 22,
743 (u. l. und u. r., um 90° gedreht) lässt Beispiel zeigt aber, dass auf dem Kopf Detailansicht / Karte 7.
lediglich den Schluss zu, dass es sich hierbei stehende Buchstaben durchaus nichts
um ein „R“ handelt. Dannenberg 743 = Ungewöhnliches sind. Als Gegenbei-
Exemplar der Slg. Bernhard Schulte, Auktion spiele lassen sich freilich die immer Letztlich bliebe noch die Möglichkeit, in
Münzen und Medaillen GmbH, Auktion
28/2008, Nr. 134.
gleich ausgerichtete SCA-COLONIA- dem „R“ eine Abkürzung des Stadtpa-
A Legende Kölner Münzen und ihre Ab- trons Reinoldus zu sehen, was den Char-
arten (z. B. B-TREVER-A / DMG 16 me hätte und für die Auffassung des Ver-
Dass der Stempelschneider einen umge- fassers spräche, die Münze in Dortmund
drehten Buchstaben „R“ für ein „U“ be- zu belassen (Abb. 7). Allerdings fand die
nutzte (wie dies beispielsweise mit „V“ Translation der Gebeine des Heiligen
und „A“ = „Λ“ möglich wäre), erscheint von Köln nach Dortmund wohl erst unter
äußerst abwegig. Das scheinbar geheim- Erzbischof Anno II. (1056 –1075) statt
nisvolle „R“ steht allerdings nur nach un- und damit wenigstens 50 Jahre nach dem
serem modernen Verständnis von Schrift Tod Ottos III. (983–1002). Somit schei-
„auf dem Kopf“. Man könnte genauso Abb. 5: Straßburg, Bistum. Bischof Richwin det auch diese Erklärungsmöglichkeit
gut sagen, dass es mit seiner Basis nach (913-933). HEINRICVS REX Kreuz // aus, es sei denn, der Typ Dannenberg
der zweizeiligen Inschrift der Münze Zweizeilig ARGENTI / NACIVIT oben R 743a wäre immobilisiert bis in die späte
ausgerichtet ist (Abb. 4). Ähnlich wie die (retrograd), unten S (retrograd). Abbildung Salierzeit weitergeprägt worden. Aller-
aus: B. Kluge: Deutsche Münzgeschichte von
Buchstaben der kreisförmig umlaufen- der späten Karolingerzeit bis zum Ende der
dings könnte man dann erwarten, dass
den Legende ja (zumindest i.d.R.) auch Salier. Sigmaringen 1991, S. 283, Nr. 476. der Name des Heiligen ausgeschrieben
mit ihren Basen nach dem Mittelpunkt und eventuell sogar mit einer Porträtdar-

NNB 2/09 81
MITTELALTER
stellung Reinolds verbunden worden wä- scheint aufgrund eines fragwürdigen Engel, A./Lehr, E.: Numismatique de L’Alsace. Pa-
ris 1887.
re. Insgesamt also zuviel Konjunktiv in Buchstabens jedoch abwegig und sollte
Gaettens, R.: Die Mindener Pfennige des XI. Jahr-
dieser „Dortmund-These“. deshalb verworfen werden, selbst wenn hunderts. In: Blätter für Münzfreunde 80 (1956),
man annimmt, dass die Beizeichen S. 437-478.
Krummstab und „R“ einen konkreten Kluge, B.: Numismatik des Mittelalters. Handbuch
historischen Bezug haben. Dass sich der und Thesaurus Nummorum Medii Aevi. Berlin /
Wien 2007.
Autor intensiv mit den Münzen der Ot- Kluge, B.: Deutsche Münzgeschichte von der spä-
tonenzeit auseinandergesetzt hat, ist an- ten Karolingerzeit bis zum Ende der Salier, ca. 900
zuerkennen. Allerdings lässt es die nu- bis 1125. Römisch-Germanisches Zentralmuseum.
Monographien 29, Sigmaringen 1991.
Abb. 7: Ein weiteres Exemplar von Dannenberg mismatische Methodik nicht zu, die Prä-
743. Das „R“ erscheint nicht so filigran Steinbach, S.: Das Geld der Nonnen und Mönche.
gung sozusagen „der historischen Rea- Münzrecht, Münzprägung und Geldumlauf der
geschnitten, wie auf dem Stück Abb. 1, lität anzupassen“. Und nichts anderes ostfränkisch-deutschen Klöster in ottonisch-sali-
dennoch sind die Merkmale des Buchstaben scher Zeit (ca. 911-1125). Berlin 2007.
identisch mit dem Symbol unter der zweizeili-
wäre es, wollte man in dem Beizeichen
gen Inschrift. Exemplar der Slg. de Wit, Auktion zwanghaft den Buchstaben „U“ erken-
Fritz Rudolf Künker 30/2007, Nr. 1948. nen.

So werden die Dortmunder Gepräge mit Literaturverzeichnis


dem umgedrehten „R“ wohl vorerst ihr Berghaus, P.: Die Münzen von Dortmund. Band 1
der Dortmunder Münzgeschichte, Dortmund 1978.
Geheimnis nicht preisgeben. Eine Prä-
Dannenberg, H.: Die deutschen Münzen der säch-
gung des Reichsverwesers Erzbischof sischen und fränkischen Kaiserzeit, Bd. 1-4. Ber-
Willigis von Mainz (975 –1011) er- lin 1876-1905.

82 NNB 2/09

Das könnte Ihnen auch gefallen