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Anton Čechov

ÜBER DIE SCHÄDLICHKEIT DES TABAKS

Szenischer Monolog in einem Akt

Aus dem Russischen von


Peter Urban
© Verlag der Autoren Frankfurt am Main / Diogenes Verlag Zürich, 1984

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Über die Schädlichkeit des Tabaks
PERSON

IVAN INVANOVIČ NJUCHIN, Mann seiner Frau, Inhaberin einer Musikschu-


le und eines Mädchenpensionats
Die Bühne bildet die Estrade eines Provinzklubs.

NJUCHIN mit langem Backenbart, ohne Schnurrbart, in einem alten, abgetra-


genen Frack, kommt würdevoll herein, verbeugt sich und zupft die Weste zurecht
Meine sehr verehrten Damen und gewissermaßen sehr verehrten Herren. Kratzt
sich den Backenbart. Meiner Frau wurde angetragen, dass ich hier zu wohltäti-
gen Zwecken irgendeinen populären Vortrag halte. Ja nun? Einen Vortrag, dann
eben einen Vortrag – mir ist es entschieden egal. Ich bin natürlich kein Professor
und akademischer Würden fremd, aber nichtsdestoweniger arbeite ich dennoch
nun bereits seit dreißig Jahren, ohne Unterlass, ich kann sogar sagen, zum Scha-
den der eigenen Gesundheit undsofort, an fragen streng wissenschaftlichen Cha-
rakters, stelle Betrachtungen an und schreibe, stellen Sie sich vor, manchmal
sogar wissenschaftliche Aufsätze, das heißt, nicht eigentlich wissenschaftliche,
sondern, entschuldigen Sie den Ausdruck, gleichsam wissenschaftliche. Unter
anderem wurde dieser Tage von mir ein Riesenaufsatz geschrieben unter dem
Titel: »Über die Schädlichkeit einiger Insekten«. Meinen Töchtern hat es sehr
gefallen, besonders das über die Wanzen, ich aber las ihn noch einmal durch und
habe ihn zerrissen. Es ist doch egal, was immer man schreibt, ohne persisches
Pulver kommt man nicht aus. Wir haben Wanzen sogar im Konzertflügel… Zum
Gegenstand meines heutigen Vortrags gewählt habe ich, sozusagen, den Scha-
den, welchen der Menschheit der Tabakgenuss zufügt. Ich rauche selbst, aber
meine Frau befahl, heute über die Schädlichkeit des Tabaks zu lesen, folglich
gibt es keine Widerrede. Über den Tabak, dann eben über den Tabak – mir ist es
entschieden egal, Ihnen jedoch, sehr verehrte Herrschaften, möchte ich empfeh-
len, meinem heutigen Vortrag mit dem gebotenen Ernst zu folgen, sonst kommt
nicht dabei heraus. Wen jedoch ein trockener, wissenschaftlicher Vortrag
schreckt, der braucht nicht zuzuhören und kann hinausgehen. Zupft die Weste
zurecht. Um besondere Aufmerksamkeit bitte ich die hier anwesenden Herren
Ärzte, welche aus meinem Vortrag viele nützliche Kenntnisse schöpfen können,
denn der Tabak findet, neben seinen schädlichen Wirkungen, auch in der Medi-
zin Anwendung. Zum Beispiel, wenn man eine Fliege in eine Tabaksdose setzt,
so krepiert sie, vermutlich an Nervenzerrüttung. Der Tabak ist in der Hauptsache
eine Pflanze… Wenn ich einen Vortrag halte, so habe ich gewöhnlich ein Zu-
cken im rechten Auge, aber beachten Sie es nicht; das kommt von der Aufre-
gung. Ich bin im Allgemeinen ein sehr nervöser Mensch, und das Zucken im
Auge habe ich seit dem Jahr 1889, dem 13. September, dem Tage, an dem meine
Frau, in gewisser Weise, die vierte Tochter, Vavara, gebar. Alle meine Töchter
wurden an einem dreizehnten geboren. Im übrigen mit einem Blick auf die Uhr
wollen wir, angesichts der knappen Zeit, nicht vom Gegenstand es Vortrags ab-
schweifen. Ich muss dazu anmerken, meine Frau besitzt eine Musikschule und
ein privates Pensionat, das heißt nicht eigentlich ein Pensionat, sondern etwas in
der Art. Unter uns gesagt, meine Frau beklagt sich gern über Mangel, aber sie

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hat was beiseite geschafft, so vierzig- oder fünfzigtausend, ich dagegen habe
keine Kopeke für mich, keinen Groschen – nun ja, wozu darüber reden! Im Pen-
sionat bin ich Leiter des Wirtschaftsteils. Ich kaufe die Lebensmittel ein, über-
wache die Dienstboten, führe Buch über die Ausgaben, nähe Hefte, vertilge
Wanzen, führe das Hündchen meiner Frau spazieren, fange Mäuse… Gestern
Abend oblag es meiner Pflicht, der Köchin Mehl und Öl zuzuteilen, da es Bliny
geben sollte. Mit einem Wort, heute, als die Bliny bereits gebacken waren, kam
meine Frau in die Küche, um zu sagen, dass drei Pensionatstöchter keine Bliny
essen würden, weil sie geschwollene Mandeln hätten. Auf diese Weise stellte
sich heraus, dass wir einige Bliny zuviel gebacken hatten. Wohin mit ihnen? Zu-
erst befahl meine Frau, sie in den Keller zu bringen, dann überlegte sie, überleg-
te und sagte: »Iss du diese Bliny selber, Vogelscheuche.« Wenn sie schlechte
Laune hat, nennt sie mich immer so: Vogelscheuche oder Natter, oder Satan.
Aber was bin ich schon für ein Satan? Sie hat immer schlechte Laune. Und ich
habe sie nicht gegessen, ich habe sie runtergeschlungen, ohne zu kauen, denn
ich habe immer Hunger. Gestern, zum Beispiel, gab sie mir gar nichts zu essen.
»Dich, Vogelscheuche«, sagte sie, »ernährt man für nicht und wieder nichts…«
Aber schaut auf die Uhr wir sind ins Schwatzen gekommen und ein wenig vom
Thema abgewichen. Fahren wir fort. Obwohl Sie jetzt natürlich lieber eine Ro-
manze hören würden, oder irgend so eine Symphonie, oder Arie… Singt. »Und
selbst im heißesten Gefecht zuckt unsre Wimper nicht…« Ich weiß nicht mehr,
woraus das ist… Im Übrigen vergaß ich Ihnen zu sagen, in der Musikschule
meiner Frau obliegt mir, außer der Leitung des Wirtschaftsteils, auch der Unter-
richt in Mathematik, Physik, Chemie, Geographie, Geschichte, Solfeggio, Lite-
ratur undsofort. Für Tanz, Gesang und Zeichnen nimmt meine Frau ein Extraho-
norar, obwohl Tanz und Gesang ebenfalls ich unterrichte. Unsere Musikschule
befindet sich in der Fünfhundegasse, Haus Nr. 13. Das ist vermutlich auch der
Grund, weshalb mein Leben so verunglückt ist, weil wir im Haus Nr. 13 woh-
nen. Meine Töchter wurden an einem dreizehnten geboren, und unser Haus hat
13 Fenster… Nun ja, wozu darüber reden! Zu Besprechungen ist meine Frau
jederzeit zu Hause anzutreffen, und der Prospekt der Schule, wenn Sie möchten,
beim Portier für 30 Kopeken erhältlich. Zieht einige Broschüren aus der Tasche.
Ich kann ihn aber, wenn Sie möchten, auch hier verteilen. 30 Kopeken das
Exemplar! Wer möchte? Pause. Möchte niemand? Na, 20 Kopeken. Pause. Är-
gerlich. Ja, das Haus Nr. 13! Nichts gelingt mir, alt und dumm bin ich gewor-
den… Da halte ich nun einen Vortrag, nach außen hin bin ich heiter, dabei
möchte ich nur aus vollem Halse schreien, oder irgendwohin wegfliegen, weit
weg, über alle Berge. Und niemand, bei dem ich mich beklagen könnte, weinen
möchte ich sogar… Sie werden sagen: Ihre Töchter… Meine Töchter? Zu denen
sage ich etwas, sie lachen nur… Meine Frau hat sieben Töchter… Nein, pardon,
ich glaube sechs… Lebhaft. sieben! Die Älteste, Anna, ist siebenundzwanzig,
die jüngste siebzehn. Meine sehr verehrten Herren! Blickt sich um. Ich bin un-

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glücklich, habe mich in einen Dummkopf verwandelt, in ein Nichts, aber im
Grunde steht hier vor Ihnen der glücklichste aller Väter. Im Grunde muss das so
sein, und ich wage nichts anderes zu sagen. Wenn Sie nur wüssten! Ich habe
dreiunddreißig Jahre mit meiner Frau verlebt, und ich kann sagen, es waren die
besten Jahre meines Lebens, nicht eigentlich die besten, sondern im Allgemei-
nen. Mit einem Wort, sie sind verstrichen wie ein einziger glücklicher Augen-
blick, genau genommen soll der Teufel sie holen. Blickt sich um. Im Übrigen,
sie scheint noch nicht gekommen zu sein, sie ist nicht hier, also kann ich sagen,
was ich will… Ich habe schreckliche Angst… Angst, wenn sie mich anschaut.
Ja, und so sage ich immer: meine Töchter sind so lange unverheiratet, vermut-
lich, weil sie schüchtern sind und die Männer sie nie zu Gesicht bekommen.
Abendgesellschaften geben will meine Frau nicht, zum Essen lädt sie niemanden
ein, sie ist eine sehr geizige, boshafte, zänkische Dame, und deshalb verkehrt
niemand bei uns, aber… Ihnen kann ich im Vertrauen sagen… Nähert sich der
Rampe. Die Töchter meiner Frau kann man sehen an den Großen Feiertagen bei
ihrer Tante Natalja Semënovna, eben jener, welche an Rheumatismus leidet und
in so einem gelben Kleid mit schwarzen Tupfen geht, als sei es ganz mit Kaker-
laken übersät. Dort werden auch Zakuski gereicht. Und wenn meine Frau nicht
da ist, kann man auch das hier… Schnippt sich an die Kehle. Dazu muss ich be-
merken, ich bin schon nach einem Glas betrunken, und davon wird mir so leicht
in der Seele und gleichzeitig so traurig, dass ich es gar nicht sagen kann; ir-
gendwie erinnere ich mich dann an meine jungen Jahre, und ich möchte weglau-
fen, oh, wenn Sie wüssten, wie sehr ich das möchte! Mit Hingabe. Weglaufen,
alles hinwerfen und weglaufen, ohne mich umzusehen… wohin? Egal wohin…
nur weg von diesem schäbigen, platten Leben, das aus mir so einen alten, er-
bärmlichen Dummkopf gemacht hat, einen alten, erbärmlichen Idioten, weg von
dieser dummen, kleinlichen, bösen, bösen, bösen geizigen Frau, die mich drei-
unddreißig Jahre lang gequält hat, weg von der Musik, der Küche, dem Geld
meiner Frau, von all diesen Lappalien und Gemeinheiten… und irgendwo weit,
weit weg davon stehen bleiben, auf dem freien Feld, und dastehen wie ein
Baum, ein Pfahl, eine Vogelscheuche, unter dem weiten Himmel, und die ganze
Nacht über schauen, wie über dir der helle stille Mond steht, und vergessen, ver-
gessen… Sich an nichts mehr erinnern – oh, wie sehr ich das möchte! … Wie
möchte ich mir diesen alten, schäbigen Frack vom Leibe reißen, in de ich vor
dreißig Jahren getraut wurde… Reißt sich den Frack vom Leib. In dem ich stän-
dig Vorträge zu wohltätigen Zwecken halte… Da! Trampelt auf dem Frack her-
um. Da! Ich bin alt, arm, erbärmlich wie diese Weste mit ihrem zerschlissenen,
durchwetzten Rücken… Zeigt seinen Rücken. Ich brauche nichts! Ich stehe dar-
über, ich bin reiner als das alles, ich war einmal jung, klug, habe studiert, hatte
Träume, habe mich für einen Menschen gehalten… Heute brauche ich nichts!
Nichts, nur Ruhe… Ruhe! Wirft einen Blick zur Seite, zieht schnell den Frack
wieder an. In den Kulissen steht meine Frau. Sie ist gekommen und wartet auf

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mich… Schaut auf die Uhr. Die Zeit ist abgelaufen… Wenn sie fragt, bitte, ich
bitte Sie, sagen Sie ihr, der Vortrag habe stattgefunden… die Vogelscheuche,
das heißt ich, habe sich würdig benommen. Er blickt zur Seite, räuspert sich. Sie
schaut hierher… Mit erhobener Stimme. Ausgehend von der Tatsache, dass der
Tabak das schreckliche Gift enthält, von dem ich soeben sprach, sollte man auf
keinen Fall rauchen, und ich erlaube mir, gewissermaßen, zu hoffen, dass mein
Vortrag »Über die Schädlichkeit des Tabaks« seinen Nutzen bringen wird. Ich
habe gesprochen. Dixi et animam levavi!
Verbeugt sich und geht würdevoll hinaus.

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