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Da« ethische Problem in der modernen Philosophie 241
2
A. a. O. p. 19. » A. a. 0. p. 24.
Das ethische Problem in der modernen Philosophie 245
1
A. a. 0. p. 10—11.
Das ethische Problem in der modernen Philosophie 247
sowohl auf das Forum internum, wie auf das Forum externum
ihre Anwendung finden müssen.
Es ist ferner eine logische Konsequenz des Moralindividualismus
und Autonomismus, daß die Jurisprudenz, Soziologie
und Nationalökonomie keine ethischen Wissenschaften
sein können. Ja selbst die Pädagogik muß logisch, soweit sie
das äußere Verhalten des Kindes in Betracht zieht, von der
Ethik losgelöst werden. Die moderne Philosophie kann
diesen Wissenschaften keine ethische Grundlage und Prinzipien
geben. Diese Konsequenzen mögen vielen als
übertrieben erscheinen, sie sind aber dennoch logisch, sie können
nicht allein berechtigterweise gezogen werden, sondern sie
sind auch tatsächlich gezogen und angewandt worden. So
kommt es, daß viele in der Jurisprudenz, Nationalökonomie,
Soziologie und Politik, ja selbst Pädagogik, Theorien und
Ansichten verteidigen, die ihnen selbst praktisch und absurd
erscheinen und mit ihrem sittlichen Bewußtsein in Widerspruch
stehen. Man kann es noch als ein Glück ansehen, daß
die Menschen oft weder in der Theorie noch in der Praxis
konsequent sind ; selbst die Philosophen, die oft in der
Praxis besser sind als ihre philosophischen Theorien. Denn,
wenn auch die gesunde, natürliche Vernunft durch Sophismen
vergewaltigt und durch eine sogenannte wissenschaftliche
Methode geknebelt wird, durchbricht sie von Zeit zu Zeit,
besonders im praktischen Leben, den unnatürlichen Zwang
und protestiert gegen ihre Vergewaltigung. Sollten aber
einmal die erkenntnistheoretischen Prinzipien der modernen
Philosophie konsequent durchgeführt werden, dann wird
man klar sehen, daß eine Ethik nicht mehr möglich ist,
eine sittliche Ordnung nicht mehr begründet werden kann.
Die Vertreter der modernen Philosophie lieben es nicht,
wenn man auf die destruktiven Tendenzen und Wirkungen
ihrer Erkenntnistheorien verweist, und man hat es Nietzsche
sehr übel genommen, daß er die Konsequenzen gezogen und
gewissen Vertretern der modernen Wissenschaft „Feigheit
vor jedem rechtschaffenen Ja und Nein — Halbheiten und
Drei-Achtelseiten" vorgeworfen hat1. Paulsen will
beschwichtigen. „Vor allem ist zu sagen Keine Theorie der
:
wie vor, was sie sind; von einer Aufhebung oder Zerstörung
des Wissens durch eine theoretische Reflexion über das
Wissen kann nicht die Rede sein. Und auch die Bedeutung
der Wissenschaften für uns bleibt dieselbe, weder ihr
praktischer noch ihr theoretischer Wert wird durch die Kritik
vermindert. Unsere Astronomie, Physik, Psychologie,
Geschichte sind uns, was sie sind, und leisten uns, was sie
leisten, ganz ohne Rücksicht auf den Ausfall einer
nachträglichen erkenntnistheoretischen Überlegung, wie sie denn
auch in der geschichtlichen Entwicklung von ihr auf keine
Weise als abhängig erscheinen1." Eine ganz seltsame
Ansicht, um sich aus der Verlegenheit zu ziehen und die
destruktiven Konsequenzen der modernen Erkenntnistheorien
zu leugnen. Man hat ja immer behauptet, daß die
Fortschritte der modernen Wissenschaft durch die moderne
Erkenntnistheorie bedingt sind, ja daß selbst der Aufschwung
der Naturwissenschaften der aphoristischen Kantschen
Erkenntnistheorie zu verdanken sei. Kant war jedenfalls einer
anderen Ansicht als Paulsen und würde sehr erstaunt sein, daß
seine erkenntnistheoretische Synthese für Bestand, Wert
und Bedeutung der Wissenschaften belanglos wäre. Es wäre
ein Testimonium paupertatis für die moderne Philosophie,
wenn ihre Erkenntnistheorie für die Wissenschaft keine
Bedeutung hätte.
Wir müssen ferner bemerken : es gibt Wissenschaften
und Wissenschaften. Was die empirisch-positiven
Wissenschaften
anbelangt, so hat der erkenntnistheoretische Standpunkt
praktisch allerdings weniger Einfluß auf Bedeutung
und Bestand dieser Wissenschaften, aus dem einfachen
Grund, v/eil die Wirklichkeit, das Gegebene stärker ist als
die subjektive Ansicht des Gelehrten. Ob ein Astronom in
der Erkenntnistheorie ein Idealist oder ein Realist ist, wird
praktisch für den Bestand und die Bedeutung der Astronomie
gleichgültig sein. Es handelt sich in diesem Falle nur um
den Standpunkt des Beobachters und nicht um die Sache
selbst. Theoretisch bleibt aber doch ein allgemein
wissenschaftlicher Unterschied bestehen. — Es gibt aber auch
Wissenschaften für deren Bestand Und Bedeutung der
erkenntnistheoretische Standpunkt geradezu wesentlich ist,
'
Einl. in d. Phil., II. Buch, J. Kap.
252 Das ethische Problem in der modernen Philosophie
1
De L'Intelligence, éd. 4. Préface, p. 8 et 45.
'254 Das ethische Problem in der modernen Philosophie
nicht so, wie die alte Religion es gemeint hat, daß Gott
den Menschen geschaffen, sondern vielmehr so, daß der
Mensch Gott schafft, immer vollkommener, immer
vergeistigter, je mehr er selbst Geist und vollkommen wird6."
Ein Gott, der vom Menschen geschaffen wird, der im Werden
sich befindet, ist kein Gott. Der Gott Jodls ist die
selbstvergötterte Menschheit. Folgerichtig ist es, wenn Jodl ferner
betont, „daß der moderne Monismus seinem innersten Wesen
nach der Religion fern stehtc." — „Daß die Religion im
historischen Sinne als Ausblick ins Transzendente, als
Jenseitsglaube, als Verdopplung der Welt, in einem monistischen
Gedankenkreise keine Rolle mehr spielen kann, brauche
ich hier nicht zu erörtern7."
Wir bleiben dabei, daß der Monismus mit Recht als
Atheismus gilt. Nur macht sich Jodl den Einwurf: „Der
Atheismus scheint mit der Gottheit zugleich die ethische
Bedeutsamkeit des Lebens zu leugnen8." Er antwortet mit
der Behauptung, daß gerade die neueste Entwicklung der
wissenschaftlichen Ethik, wie sie sich in den letzten drei
Dezennien vollzogen hat, die völlige Klarheit und Gewißheit
erbracht hat, „daß Sittlichkeit ohne Mitwirkung
religiöser oder transzendenter Vorstellungen möglich ist Jodl
1
Der Monismus.und die Kulturprobleme der Gegenwart. 1911.
2
A. a. (>., p. 21.
3
A. a 0„ p. 23. 4 A. a. 0., p. 13. 5
A. a. 0., p. 34. * A, a. 0.,
p. 29.
7
A. a, O.. p. 28. " A. a. O., p. 13. ' A. a. 0., p. 18.
Das ethische Problem in der modernen Philosophie 265
nimmt den Wunsch für die Tat, die Hauptfrage ist, ob die
wahre Sittlichkeit und Ethik im Monismus möglich ist.
Die Ethik von Jodl ist ein evolutionistischer Sozialismus,
ein sozialer Eudämonismus, der Menschheitsdienst >. Die
Menschheit ist sich Selbstzweck. Solange die Ethik die
Wissenschaft sein will von den vernünftigfreien Handlungen
des Menschen, insofern sie mit den objektiv-transzendentalen
letzten Zweck desselben in Berührung stehen, ist eine Ethik,
eine Sittlichkeit ohne Mitwirkung religiöser und transzendenter
Vorstellungen nicht möglich.
Alf. Fouillée2 spricht von der aktuellen Krise der Ethik
und äußert sich folgendermaßen: „Tout est remis en
question." Alles steht in Frage, kein einziges Prinzip scheint
solid festgestellt zu sein. Man könnte erschütternde Seiten
darüber schreiben „comment les dogmes moraux finissent".
Um aus dieser Krise herauszukommen, müßte man, meint
Fouillée, durch den methodischen Zweifel alle bisherigen
Moralsysteme zersetzen und dann untersuchen, ob es möglich
ist. mit den Trümmern der verschiedenen Systeme eine neue
Ethik zu konstruieren. Wir glauben nicht, daß ein solcher
Versuch gelingen würde. Mit Bacon sagen wir: error est in
prima digestione : die moderne Philosophie besitzt nicht
jene Bedingungen, welche zur Konstruktion einer Ethik
notwendig sind. Folgerichtiger scheint uns Wahle zu sein®,
der rundweg erklärt, „die spekulative, theoretische Ethik ist
unbedingt bankrott geworden. In der Philosophie ist nichts
mehr zu hoffen, und die kritische Summe des Haltbaren
muß gezogen sein." Als Ergebnisse der modernen Philosophie
bezeichnet Wahle4: „Erstens: es gibt keine theoretische,
sondern nur eine praktische Ethik. — Zweitens: es gibt
gar kein ethisches Ideal, ethische Maxime oder Formel."
Und wie soll dann die praktische Moral begründet werden?
„Für diejenigen, sagt Wahle, welche glauben, daß ein höherer
Wille sich ihnen offenbart hat, gibt es nur ein Gesetz: diesen
Verkündigungen und Geboten unbedingt, ohne jede Rücksicht
nachzukommen. Für die anderen, die sich
ungebunden glauben,
gibt es in aller Ethik nur des Staates:
sic volo, sie jubeo oder vielmehr edueo : in der ethischen
1
A. a. 0., p. 27, 3G, 37.
2
Critique des Systèmes de Morale contemporaine, Préface.
' 3
Das Danze der Philosophie und ihr Ende. 2. Aufl., p. 516.
4
A. a. 0., p. 518.
266 Geschichte der fides implicita in der kath. Theologie
Not müssen sich die, die ohne Gott sind, eine Autorität
schaffen. Der Staat soll sie erziehen, gemäß des Typus eines
annähernd Glücklichen1." Somit würde die Ethik allerdings
aufgehört haben, eine philosophische Disziplin, die praktische
Philosophie zu sein ; dèr Bankrott wäre vollständig.
Nach unserer Ansicht gibt es nur eine mögliche Lösung
des ethischen Problems, diejenige, welche durch die
erkenntnistheoretischen und metaphysischen Begriffe und Prinzipien
der Philosophia perennis gegeben ist.