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Zur Gestaltung des

elektronischen Teils der


Komposition „granular“
von Katharina Klement

Thomas Grill, 2007


Thomas Grill – Zur Gestaltung des elektronischen Teils der Komposition “granular” von Katharina Klement

Abstract
In this paper the development of the electronic part of the composition „granular“ (by
Katharina Klement“) accomplished by the author will be exposed in all applicable
perspectives. The composition draws its ideas and structure from analogies to manifestations
of granularity in nature and technology. In the following conceptual, metaphoric and
technological aspects relevant for the adequate arrangement of the electronic part and the
shaping of the spaces left open for the interpreter will be presented.

Kurzfassung
In der gegenständlichen Arbeit wird die Entwicklung des elektronischen Teils der
Komposition „granular“ (von Katharina Klement) durch den Autor in allen maßgeblichen
Persepektiven thematisiert. Die Komposition bezieht Ideen und Struktur aus Analogien zu
Erscheinungsformen von Granularität in Natur und Technik. Die für die adäquate Gestaltung
der elektronischen Stimme und ihren dem Interpreten überlassenen Freiräumen relevanten
Aspekte konzeptueller, metaphorischer und technologischer Art werden im Folgenden
dargelegt.

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Thomas Grill – Zur Gestaltung des elektronischen Teils der Komposition “granular” von Katharina Klement

Inhaltsverzeichnis
Abstract..................................................................................................................................3
Kurzfassung ...........................................................................................................................3
Inhaltsverzeichnis...................................................................................................................4
I. Einleitung.........................................................................................................................5
1. Aufführungssituation ...................................................................................................6
2. Konzeption / Partitur....................................................................................................7
II. Granularität in der Natur .................................................................................................9
1. Beschreibung disperser Systeme ................................................................................10
2. Morphologische Prozesse granularer Festkörper ........................................................12
III. Granularität in der Musik .............................................................................................13
1. Klangliche Mikrostruktur, Quantisierung ...................................................................14
2. Das Klangobjekt ........................................................................................................16
3. Granulare Texturen – Klangwolken ...........................................................................19
a) Fourier- und Wavelet-Synthese ..............................................................................19
b) Granularsynthese mit Grainlets ..............................................................................21
IV. Realisierung des elektronischen Teils der Komposition „granular"...............................22
1. Verwendetes Instrumentarium....................................................................................23
2. Verwendetes Klangmaterial .......................................................................................24
3. Live-Spieltechniken ...................................................................................................25
Zusammenfassung ................................................................................................................28
Appendix A Spektrale Klangtransformation.......................................................................29
Appendix B munger1~ real-time granulator.......................................................................30
Quellenverzeichnis ...............................................................................................................31

Abb. 1: Cirrocumulus floccus – eine granulare Struktur granularer Strukturen [37]

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I. Einleitung
Die Komposition „granular“ von Katharina Klement für Klavier, Schlagwerk und Elektronik
wurde am 14. April 2007 im Rahmen des Festivals „Für die Beweglichkeit“ in der Montage-
halle der HMH GmbH [14] uraufgeführt. Sowohl das Thema des Festivals –
„Tiefenschärfen/Oberflächen“ – wie auch der besondere Ort der Aufführung, eine weitläufige
Montagehalle für Maschinen zur Gesteinszerkleinerung („Rubblemaster“) beeinflussten das
Kompositionskonzept maßgeblich.
Die Instrumentalbesetzung Klavier (gespielt von der Komponistin), Schlagwerk (gespielt von
Wolfgang Reisinger) und Live-Elektronik (gespielt von Thomas Grill) wurde durch ein
mehrkanaliges Beschallungskonzept verstärkt, dessen klangtechnische Betreuung Alfred
Reiter übernahm.

Abb. 2: Aufstellung der Instrumente, Lautsprecher und Mikrofone in der HMH-Montagehalle.


Die Rechtecke „RM 60/80/100“ bezeichnen dabei die in Montage befindlichen Brechermaschinen. [17]

Katharina Klement sieht in „granular“ eine Fortsetzung der Ideen ihrer Klanginstallation
„Beton“, die im Jahr 2001 im O.K. Centrum für Gegenwartskunst in Linz gezeigt wurde.
Darin wurden Klangtransformation mit elektronischen Mitteln einerseits und plastische
Arbeitsprozesse andererseits in Beziehung gesetzt, und als klanglicher „Baustoff“ der
spezifische Lärm, der im Umgang mit dem Baustoff Beton entsteht, verarbeitet. Katharina
Klement schreibt dazu: „In die Schichten dieses Lärms einzudringen, Geräusch- und
Klangschichten freizulegen, der Prozess des Sägens, Öffnens und schließlich Zertrümmerns
des Materials sind Ausgangspunkt der kompositorischen Arbeit“ [16].

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1. Aufführungssituation
Bei „granular“ ergibt sich eine ähnliche Verbindung zwischen Klangarbeit und physischer
Arbeit schon durch den vorgesehenen Ort der Erstaufführung. Es war eine bewusste, der
Komponistin auch nahe liegende Entscheidung [17], diese spezielle Situation gezielt zu
thematisieren.

Abb. 3: Konzertsituation in der HMH-Maschinenhalle [43]

Wie in Abb. 3 zu erkennen, wurden Instrumentalisten, Lautsprecher und Publikum zwischen


und auch auf den „Rubblemaster“-Compact-Recycler-Maschinen der HMH GmbH platziert.
Diese Maschinen erzeugen „hochwertige Recycling-Baustoffe aus Baurestmassen und
Naturgestein“, bzw. „definiertes Wertkorn in einem Arbeitsgang” [14]. Durch die Einlauf-
öffnung der Maschinen werden dabei Gesteinsbrocken bis zu einem Querschnitt von 95x70
cm eingebracht, die die Brecher nach dem Funktionsprinzip einer Prallmühle zerkleinern.
Durch ein nachgeschaltetes Siebsystem können genau definierte Größenfraktionen des
gemahlenen Gesteins erzielt werden.
Ein besonders interessanter Aspekt dieser Maschinen besteht darin, dass sie verhältnismäßig
leicht transportabel sind, also direkt vor Ort arbeiten können. So kann aus dem gesprengten
Berghang direkt das Baumaterial für die Straße werden, oder aus dem abgetragenen alten
Haus bereits der Rohstoff für das neue: eine Transformation von Materie in situ.
Diese Form der Metamorphose von strukturgebendem Material fand auch in die Konzeption
von „granular“ ihren Eingang und ist für den elektronischen Teil vor allem in Hinblick auf die
Entwicklung des Klangmaterials von Bedeutung.
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2. Konzeption / Partitur
„Entsprechend dem Arbeitsvorgang der Maschinen, Bau- oder Straßenschutt in
unterschiedliche Sand-Korn-Größen zu zerkleinern, folgt die Komposition der Idee des
Granulierens: grobteilige Klänge, Geräusche, Rhythmen werden in kleinteilige Sequenzen
unterschiedlicher Körnung zerlegt. Instrumental wie elektronisch werden mittels variierender
‚Brecher’ musikalische Größen wie Rhythmus oder Frequenzbereiche zerkleinert. Daraus
resultierende Texturen, Anhäufungen, Granulate von unterschiedlichem Dichtegrad
überlagern sich und lassen je nach Schärfeeinstellung, d.h. je nach Einstellung eines
‚akustischen Siebs’ eine andere Schicht hörbar werden. Diese akustischen Siebe können
Filter oder andere Operatoren sein, die den Prozess der musikalischen Granulierung
bestimmen“ [15]
Handskizzen (siehe Abb. 4) erläutern die Wirkung solcher „akustischen Siebe“ auf
musikalische Strukturen. Die Zweidimensionalität der Grafik legt den Schluss nahe, dass
außer der ubiquitären Zeitachse noch zumindest ein weiterer Parameter eingeschlossen ist,
oder, im übertragenen Sinn, auch mehrere. In Frage kommen beispielsweise Instrument,
Spielweise, Tonhöhe, Klangfarbe, Dynamik, aber auch Position des verstärkten Klangs im
Raum oder Effektierung.

Abb. 4: Sieb als Filter für granulare Strukturen [17]

In Abb. 5 wird das Prinzip der Schichtung bzw. Überlagerung von Texturen verschiedener
Körnung illustriert. Transparenz, Korndichte, Aggregationsformen und deren Brechung durch
rohe Beschneidung definieren die resultierende Struktur.

Abb. 5: Rechteckige Maskierung beschneidet geschichtete granulare Strukturen [17]

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Die Komposition „granular“ ist in sieben Hauptteile gegliedert, mit folgenden generellen
Spielanweisungen (für alle Instrumente):

I. Knacken/Tropfen; unterschiedliche Reliefs A


II. Fokussieren von Augenblicken, Zirkulieren; wiederholt A+B
III. Ein zersiebter Augenblick; Klangsand B
IV. Immer näher an einem Klang; unregelmäßiges crescendo A+B
V. Fluktuierender Klang A+B
VI. Fokussieren von Augenblicken 2 – klanglich, tief, langsam; wiederholt A
VII. Grober Klangschutt; gefärbtes Rauschen; Bezug zu III und IV B
Die Zusatzanweisungen A und B stehen für A=Schichtung und B=Sieb/Perforation.
Die Gesamtdauer des Stücks beträgt 50 Minuten.

Für die Elektronik besteht relativ große Freiheit in der Detailgestaltung dieser Spielan-
weisungen (siehe Kapitel IV), zeitliche Strukturen hingegen sind präzise von der Komponistin
festgelegt.
Wie in Abb. 2 ersichtlich, sind gemäß des Aufführungskonzepts für die HMH-Halle Instru-
mentalisten und Publikum von acht Hauptlautsprechern und einem Subwoofer umgeben.
Während die Lautsprecher 1 und 2 den Klang der Instrumentenpositionen stereofon an der
„Bühnenkante“ abbilden, formen die Lautsprecher 3 bis 8 einen Klangraum, der nach in der
Partitur verzeichneten Anweisungen bespielt wird (Abb. 6).

Abb. 6: Partituranweisung aus Teil I: Lautsprecherbelegung für die einzelnen Instrumente

Während die Lautsprecherbelegungen für die verstärkten akustischen Instrumente vom Klang-
regisseur am Mischpult realisiert werden, ist es Aufgabe der Elektronik, das ihr zugedachte
(oft variable) Routing selbst zu gestalten. Bei der Uraufführung stellte es sich in diesem Sinne
als notwendig heraus, das elektronische Instrumentarium nicht auf der Bühne (wie die
akustischen Instrumente) sondern inmitten des Publikums (unmittelbar neben der Klangregie)
zu platzieren. Dadurch wurde eine bessere Kontrolle über den räumlichen Klangeindruck
möglicha.

a
Es war dies eine Entscheidung zugunsten der klanglichen Qualität der Aufführung: Die Wahrnehmung der
Elektronik als am musikalischen Geschehen aktiv teilnehmendes Instrument konnte auf diese Weise nicht
gewährleistet werden.

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II. Granularität in der Natur


“Einmal - ich glaube es war 1986, Hochsommer - bin ich bei einem Spaziergang durch die
Felder östlich von Wien nahe der ungarischen Grenze - Haydns Geburtsort lag in der Nähe -
auf etwas Merkwürdiges gestossen. Das Getreide stand hoch und war wohl kurz vor der
Ernte. Der heisse sommerliche Ostwind strich durch die Felder und plötzlich hörte ich das
Rauschen. Obwohl es mir oft erklärt wurde kann ich immer noch nicht sagen wie sich Weizen-
und Roggenpflanze voneinander unterscheiden. Aber ich hörte den Unterschied.”
(Peter Ablinger in [1])

Das vorangestellte Zitat ist ein schönes Beispiel für unterschiedliche makroskopische
Eigenschaften von oberflächlich sehr ähnlichen Systemen, die sich in ihrer Feinstruktur aber
merkbar unterscheiden (siehe Abb. 7).

Abb. 7: Weizen- (links, Triticum aestivum) und Roggenähren (rechts, Secale cereale) [20]

Es ist eine Frage des Betrachtungsabstandes bzw. der Fokussierung, ob ein Unterschied
individueller Merkmale erkennbar ist oder hinter den aggregierten Gesamteigenschaften des
Schwarms verborgen bleibt (Abb. 8).

Abb. 8: Weizen- und Roggenkörner, aus der Nähe und aus großer Entfernung [20].

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1. Beschreibung disperser Systeme


In der wissenschaftlichen Literatur werden granulare Strukturen auch als „disperse Systeme“
bezeichnet. „Eine Dispersion ist in der Chemie ein Gemenge aus mindestens zwei Stoffen, die
sich nicht oder kaum ineinander lösen oder chemisch miteinander verbinden ... Die einzelnen
Phasen können dabei deutlich von einander abgegrenzt werden und in der Regel durch
physikalische Methoden wieder voneinander getrennt werden (z. B. filtern, zentrifugieren),
oder entmischen sich von selbst (sedimentieren).“ [38].
Disperse Systeme haben eine Reihe von charakteristischen Bestimmungsgrößen (nach [2]):
• Spezifische Oberfläche: Die volumen- oder massenbezogene Oberfläche ist eine
Kenngröße für die Feinheit eines Pulvers. Je feiner das Gut, desto größer die
spezifische Oberfläche. Die Gesamtoberfläche wird dabei in die nach außen sichtbare
„äußere Oberfläche“ (also die Oberfläche des Haufens) und in die „innere Oberfläche“
(der einzelnen Körner) unterteilt (siehe Abb. 9).
• Porösität: Die Porösität eines Haufens bezeichnet das Poren- oder Hohlraumvolumen
bezogen auf das Gesamtvolumen. Je kleiner dieser Wert (gegen 0) ist, umso dichter
gepackt ist die granulare Struktur.
• Kornform: Die Formanalyse beschreibt die Form der dispersiven Elemente
unabhängig von deren Größe. Die Form der Einzelelemente hat Einfluss auf
verschiedene Eigenschaften des Gesamtsystem, wie zum Beispiel Fließverhalten,
Festigkeit, Schmiervermögen etc.. Es existiert einerseits eine Nomenklatur zur
Beschreibung der Formen [3] (nadlig, kantig, faserig, schuppig, kuglig, körnig,
gerundet, verzweigt), andererseits existieren Formalismen zur Berechnung von
Formfaktoren wie Sphärizität, Elongation, Schuppigkeit u.a.
• Konzentration, Abstände: In vielen Systemen interessiert die Verteilung der
dispersen Phase innerhalb des umgebenden Mediums, z.B. beim Feinstaubgehalt in
der Luft.

Abb. 9: Volumen, Oberfläche und Porösität von dispersiven Elementen [34]

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Für die Größenmessung von Feststoff-Partikeln werden vielfach fotometrische Methoden


herangezogen, wie durch Abb. 10 veranschaulicht. Durch die Projektion der räumlich-
granularen Struktur als flächige Textur gelingt die Auswertung der Größe aufgrund von
Gesamtcharakterika des Systems, ohne das individuelle Teilchen betrachten zu müssen.

Abb. 10: Fotometrische Analyse von Partikelgrößen: durch Schrägbeleuchtung entstehende Texturen können
computergestützt (unter Zuhilfenahme von Fourieranalyse) ausgewertet werden. [18]

Die Messung des Korngrößendurchmessers kann auch mit Hilfe der Sinkgeschwindigkeit in
einer Flüssigkeit oder – ganz klassisch – durch Siebung ermittelt werden: „Der Siebdurch-
messer ist die Maschenweite eines quadratischen Siebes, durch den die Körner gerade noch
gelangen können. In der Siebanalyse bedient man sich hier einer Reihe von immer feiner
werdenden Sieben. ... Der nominale Durchmesser ist der eines sphärischen Partikels, welches
das selbe Volumen besitzt.“ [19]. Zur Klassifizierung der Korngrößen wird entweder die Skala
nach DIN 4022 (Abb. 11), oder die feiner abgestufte Udden-Wentworth-Skala [35]
verwendet.

Abb. 11: Korngrößenbenennung nach DIN 4022 [19]

Die Korngröße ist, wie alle anderen Partikeleigenschaften, im Allgemeinen nicht für alle
Partikel exakt gleich, sondern gehorcht einer bestimmten statistischen Verteilung mit den ent-
sprechenden Kenngrößen Mittelwert, Median, Standardabweichung, Schiefe, Kurtosis, etc..

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2. Morphologische Prozesse granularer Festkörper


In Anlehnung an die Geologie können drei wesentliche Grundformen morphologischer
Prozesse unterschieden werden:
• Abtragung, Erosion (nach [19]): Als Erosion bezeichnet man die Ablösung von
Einzelpartikeln von bindendem Material. Zwischen allen Partikeln wirken
elektrochemische Kräfte, die um so wichtiger werden, je kleiner die Teilchen sind. Um
die Bewegung eines einzelnen Korns zu erreichen, ist zur Überwindung dieser
kohäsiven Kräfte eine angreifende Mindestkraft (durch Strömung) vonnöten. Der
Beginn der Sedimentbewegung ist durch ein statisches Ungleichgewicht von
angreifender Strömungskraft und der Gewichtskraft am Einzelkorn geprägt. Einmal in
Bewegung versetzt, bewegen sich die Einzelkörner unter gegenseitigen Stößen rollend
oder springend weiter.
• Transport (nach [19]): Abhängig von der Korngröße bewegen sich granulare
Feststoffe auf zwei verschiedene Arten: Große Partikel werden rollend oder schleifend
transportiert, bleiben also immer im Kontakt mit dem Boden, während Sandteilchen
sich typischerweise in Sprüngen (engl. saltation) fortbewegen, also immer wieder
kurzfristig den Boden verlassen.
• Sedimentation, Ablagerung (nach [41]): Je nach Entfernung zum Abtragungsort
weist die Korngrößenverteilung der Partikel deutliche Unterschiede auf, wobei die
Korngröße der Partikel mit der Entfernung abnimmt. Die Sedimentationsgeschwindig-
keit (Absinkgeschwindigkeit) ist abhängig von der Dichte der dispersen Phase, also
der Korngröße. Die „dichtesten“ Teilchen lagern sich zuerst ab, liegen also zuunterst,
was auch dazu benutzt werden kann die verschiedenen Stoffe eines Gemenges zu
trennen (dekantieren).
Welcher dieser drei Prozesse bevorzugt abläuft, hängt nach Hjulström [13] hauptsächlich von
der Korngröße der dispersen Phase und der Fließgeschwindigkeit der Dispersion ab (siehe
Abb. 12): Bei hoher Fließgeschwindigkeit überwiegt durch die großen angreifenden Kräfte
die Erosion, mit steigender Korngröße (also Masse) steigt auch die Tendenz zur
Sedimentation.

Abb. 12: Zusammenhang zwischen Korngröße und Fließgeschwindigkeit


sowie Erosion, Transport und Sedimentation nach Hjulström [40]

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III. Granularität in der Musik


„All sound is an integration of grains, of elementary sonic particles, of sonic quanta“
(Iannis Xenakis in [45] S. 43)

Die Literatur nennt zwei Komponisten als zentrale Vordenker einer mikrotemporalen (also
zeitlich granularen) Repräsentation von Musik: einerseits Iannis Xenakis als Schöpfer der
formalen, musiktheoretischen Grundlagen und andererseits Curtis Roads als Entwickler der
Anwendung in digitaler Musik.
In seinem Standardwerk “microsound” [26] gibt Roads einen ausführlichen Überblick über
die Bedeutung der verschiedenen zeitlichen Skalen in der Musik (Abb. 13), wobei für die
gegenständliche Arbeit Dauern von der Länge eines Samples bis zur Länge der gesamten
Komposition (also etwa eine Stunde) von Bedeutung sind.

Abb. 13: Zeitskalen in der Musik ([26] S. 5)

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Die Zeitskalen, die Roads beschreibt, haben keine fix festgelegten Dauern und gehen fließend
in einander über – sie beziehen sich auf den Kontext in dem sie betrachtet werden. Die
„Macro”-Zeitskala beschreibt dabei Strukturen bis zur Länge einer Komposition und umfasst
damit die Bestandteile der musikalischen Form, im Falle von “granular” sieben Hauptteile mit
weiterer Untergliederung. Die „Meso”-Zeitskala beschreibt Entwicklungen innerhalb dieser
Formelemente, die einerseits, wie aus der traditionellen Musik bekannt, als Abfolge oder
Kombination von Einzelklängen (Noten), oder andererseits als Akkumulationen von Klang-
objekten beschreibbar sind: Klangmassen, Texturen und Wolken. Letztere könnte man auch
unter „Klangcluster“ subsummieren, wobei dieser Begriff den zeitlichen und strukturell
heterogenen Aufbau einer solchen Aggregation unberücksichtigt lässt. Die darunterliegende
Zeitskala umfasst diese einzelnen Klangobjekte. Dieser Terminus „Klangobjekt“ (im
französischen Original „objet sonore“) stammt von Pierre Schaeffer und beschreibt einen
zeitlich abgeschlossenen Klang, entsprechend dem Konzept der traditionellen Note, von ihm
allerdings losgelöst von instrumentaler Herkunft. Wie natürlichen biologischen oder
geologischen Objekten ordnete Schaeffer den Klangobjekten formgebende Eigenschaften zu
und klassifizierte diese in einer Klangmorphologie [28]. Dem „greifbaren“ Charakter eines
Klangobjekts gegenüber steht die flüchtige Natur der mikroklanglichen Ereignisse, die auf der
darunterliegenden Zeitskala Dauern im Millisekundenbereich umfassen. Mikroklänge werden
nicht einzeln wahrgenommen, sondern formen fein strukturierte Texturen, wie z.B. das
einzelne Korn im Klang einer Rassel.

1. Klangliche Mikrostruktur, Quantisierung


Roads und Xenakis beziehen sich in ihren musiktheoretischen Überlegungen auf außer-
musikalische Grundlagen, besonders auf die Arbeit des Physikers Dennis Gabor, der in drei
wegweisenden Artikeln ([7], [8], [9]) Einsichten aus der Quantenmechanik mit praktischen
akustischen Experimenten verband. Nach Gabor kann jeder Klang in eine Familie von zeit-
bzw. frequenzverschobenen Gauß-Partikeln (Abb. 14) zerlegt werden – anders gesagt kann
ein beliebiger Klang als eine Kombination einer (großen) Anzahl von elementaren
Klangteilchen (“grains”) dargestellt werden – quasi Basiseinheiten akustischer Information.

Abb. 14: Ein Gauß-Partikel entsteht aus der Modulation einer komplexen Sinuswelle
(bestimmt durch Frequenz und Phase) mit einer gaußförmigen Amplituden-Kurve. ([26], S.87)

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Gabors grundlegender Ansatz beruht auf einer Analogie zur aus der Quantenphysik bekannten
Heisenbergschen Unschärferelationb, nach der zwei Messgrößen eines Teilchens prinzipiell
nicht beide gleichzeitig scharf bestimmt werden können. Gabors Übertragung dieses
Sachverhaltes lautet
t • f  1
Zeit und Frequenz sind also komplementäre Größen, die auf die Konstruktion der
Klangquanten mit der Frequenz f unter der Hüllkurve der Dauer t in entsprechender Weise
Einfluss nehmen, gesteuert durch einen Formparameter a:
t = 1/2 / a und f = a / 1/2
Dieser Zusammenhang enthält auch die vor Gabor bekannten Grenzfälle der Repräsentation
von Klang als unendlich dichte Serie von Diracschen Deltafunktionen (für a) bzw. als
Fourierreihe (für a0).
Experimente zeigten (siehe auch [42] Abschnitt VI.11), dass, ganz analog zu den
theoretischen Überlegungen, das Auflösungsvermögen der menschlichen akustischen
Wahrnehmung in Frequenz, Zeit und Amplitude begrenzt ist, wodurch sich ein Raster an
perzeptiven Klangquanten ergibt (Abb. 15).

Abb. 15: Rastersystem der Klangquanten, entsprechend der menschlichen Wahrnehmung ([45] S. 48)

Dies ist der Ansatz, den Iannis Xenakis (offensichtlich maßgeblich beeinflusst von den
informationstheoretischen Betrachtungen von Abraham Moles in [21]) in seinem
musiktheoretischen Hauptwerk „Formalized Music“ als Grundlage der „Markovian Stochastic
Music“ nimmtc. Die größte Auflösung besitzt das Gehör in der Mitte des Rasters, bei mittlerer
Lautstärke und einer Frequenz zwischen 1 und 2 kHz. Um dieses Zentrum scharen sich etwa
340000 Klangquanten („elementary audible grains“, [45] S. 47). Jedes Rasterfeld soll dabei
die gleiche Quanten-Dichte FG repräsentieren, wodurch mit einer geeigneten
Koordinatentransformation die Darstellung als rechtwinkliges Raster gelingt (Abb. 16).

b
Genau genommen ist dies in der Energie-Zeit-Unschärferelation begründet, die aus der Heisenbergschen
Unschärferelation folgt.
c
Die Isophonen zur Einschätzung der Amplitudenwahrnehmung wurden im Laufe der Zeit auf Basis neuerer
Messungen immer wieder aktualisiert. Während sich Xenakis auf Fletcher und Munson [6] bezieht, wurden
später die Messungen von Robinson und Dadson (ISO226) [27] verwendet, die 2003 erneut einer Neubewertung
und Korrektur unterzogen wurden (ISO226:2003)

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Abb. 16: Transformation des perzeptiv verzerrten in ein kartesisches Raster ([45] S. 49)

Um den Formalismus leichter handhabbar zu machen, führte Xenakis „screens“ ein, auf denen
die Verteilung der grains durch eine Dichte-Dimension D definiert ist. Zeitliche
Entwicklungen können beschrieben werden, indem der Klangraum in Zeitscheiben der Dicke
t unterteilt wird. Dies wird als “book of screens” bezeichnet. Für die Bewegungsbahnen der
Grains in Zeit and Raum verwendet Xenakis mitunter auch Vektorfelder, die exakten
Positionen im vierdimensionalen Raum FGDt werden durch Wahrscheinlichkeits-
verteilungen (z.B. Poisson-Verteilung) ermittelt.

Abb. 17: Zeitliche Entwicklung eines komplexen Klangs, beschrieben durch ein "book of screens" ([45] S. 51)

“Screens” werden bei Xenakis nicht nur zur Beschreibung von Klangobjekten verwendet,
sondern auch zur formalen Behandlung von Klangtransformationen. Dies geschieht durch die
Anwendung von Mengenoperatoren auf die Grain-Verteilungen. Dabei kann man den
Vereinigungsoperator  als “Generator” betrachten und den Durchschnittsoperator  als
“Filter” oder “Sieb”.

2. Das Klangobjekt
Der britische Komponist Trevor Wishart verwendet eine ganz ähnliche Darstellung von
Klangentwicklungen wie Xenakis, wenngleich er auch den Raum durch andere Parameter
aufspannen lässt. Zeit und Frequenz bleiben notwendigerweise erhalten, statt der
Lautstärkedimension wird allerdings ein Timbre-Parameter verwendetd.
d
Die Darstellungen des Klangraums sowohl bei Xenakis wie bei Wishart sind als formale Schemata zu sehen,
deren akustische Entsprechung schwer zu begründen sein dürfte. Die Lautstärke bei Xenakis wäre physikalisch
eigentlich als skalarer Funktionswert über einer von Zeit und Frequenz aufgespannten Ebene zu begreifen, da
sich Quanten gleicher Koordinaten energetisch addieren, verschiedene Lautstärkezellen gleicher Zeit- und

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Abb. 18: zeitliche Entwicklung eines komplexen Klangobjekts und


zweidimensionale Schnitte zu verschiedenen Zeitpunkten ([44] S. 26)

Es ist kein Zufall, dass die in Abb. 18 veranschaulichte Klanggestalt eine haptische Qualität
hat und Assoziationen mit physischen Objekten erweckt. Ein wesentliches Merkmal eines
„Klangobjekts“ nach Pierre Schaeffers Definition ist eine Abgeschlossenheit in ihrer
zeitlichen Ausdehnung und zwei Eigenschaften, die die „Körperlichkeit“ näher definieren: die
Klangmasse und die Granulation. Erstere kann als eine Verallgemeinerung des Tonhöhen-
und Klangfarbenbegriffs gesehen werden, als die Art und Weise der Bedeckung des
spektralen Raums. Die Granulation dagegen bezieht sich auf die zeitliche Feinstruktur des
Klangs, als eine Art von „Oberflächenbeschaffenheit“, die sich durch Pulsation, Rauigkeit,
etc. äußert. Wie bereits erwähnt, erweitert das Klangobjekt das traditionelle Konzept der
„homogenen“ Note und erlaubt eine große Bandbreite an heterogenen Erscheinungsformen,
was auch zeitliche Veränderlichkeit der verschiedenen klangbestimmenden Parameter
einschließt. Abb. 19 veranschaulicht ein solches zeitlich veränderliches Klangobjekt.

Abb. 19: Vermutliches Entstehen des aufwärts glissandierenden "Blubber"-Klangs ([44], S. 184)

Die enorme Vielgestaltigkeit möglicher Klangobjekte veranlasste Schaeffer zum Versuch der
Klassifikation ([28], [29]), wozu er den Begriff „Morphologie“ verwendete, der in den
Naturwissenschaften, in der Linguistik, und anderen Disziplinen bereits als „die Lehre von
den Formen“ verankert war. Eine wesentliche Erweiterung erfuhr dieses Ordnungssystem
durch die Arbeiten Denis Smalleys Mitte der 1990er-Jahre. Seine „Spectromorphology“ [30]
stellt in umfassender Weise Beziehungen zwischen Klang, Klangursprung und Hörerfahrung
her und entwirft ein Zeichensystem, das dieses vieldimensionale Netzwerk mittels Metaphern
greifbar macht.
Abb. 20 zeigt die verschiedenen Begrifflichkeiten, die laut Smalley zu einer Bewegung der
Textur beitragen können: Ganz links die inneren texturalen Komponenten, die ein
„Verhalten“ symbolisieren, rechts davon die verschiedenen Ausprägungen von Konsistenz.

Frequenzkoordinate demnach redundant sind. Die Timbre-Koordinate bei Wishart steht ebenso symbolhaft für
einen komplexen, eigentlich vieldimensionalen Klangcharakter mit einer definierten Grundfrequenz.

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Abb. 20: Bewegungen der Textur ([30], S. 184)

Analog zu Schaeffers Klangmasse bzw. der spektralen Granularität von Xenakis Screen-
Darstellung bietet auch Smalleys Zeichensystem Möglichkeiten zur Beschreibung des
spektralen Raums. Gemäß Abb. 21 werden die Raumgrenzen im Unterschied zu Xenakis
nicht absolut definiert, sondern in Bezug auf die Verwendung innerhalb eines betrachteten
Werkes. Der gesamte relevante Raum wird durch einen Rahmen umfasst, der zwischen
„Wurzel“ und „Dach“ aufgespannt wird, oft mit einem exponierten spektralen Zentrum, das
z.B. durch Solostimmen definiert sein kann. Zusätzlich helfen vier „Bestimmungen“ bei der
weiteren Beschreibung der Art und Weise, wie einzelne spektrale Komponenten Raum
greifen und mit anderen interagieren.

Abb. 21: Besetzung des spektralen Raumes ([30], S. 193)

Die Besetzungsdichte und Transparenz des spektralen Raums in Bezug auf einzelne
klangliche Komponenten (bei Smalley „Spektromorphologien“) wird in Abb. 22 dargestellt,
wobei hier der Fokus eine zentrale Rolle einnimmt. Analog zur Durchlässigkeit der Maske in
Abb. 4 bestimmt die Perspektive des Hörers, welche Klangkomponenten zum Vorschein
kommen.

Abb. 22: Spektrale Dichte ([30], S. 193)

Smalleys Begriffsnetzwerke überschreiten bisweilen die Grenzen der von Roads festgelegten
Zeitskala des Klangobjekts, da letzteres hier immer in Bezug zu seiner Umgebung betrachtet
wird. Viele spektromorphologische Begrifflichkeiten sind überhaupt nur an einer Gesamtheit
des klanglichen Geschehens festzumachen.
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3. Granulare Texturen – Klangwolken


Versucht man klangliche Entwicklungen in generativer Weise („bottom-up“) quasi-atomar zu
beschreiben, wie es das „book of screens“-Modell nahelegt, so ist man schon bei der Be-
schreibung eher kurzer Prozesse mit der kombinatorischen Explosion der Anzahl beteiligter,
klangbeschreibender Parameter konfrontierte. Dies wurde von Xenakis auf anschauliche
Weise beschrieben: „A complex sound may be imagined as a multi-colored firework in which
each point of light appears and instantaneously disappears against a black sky. But in this
firework there would be such a quantity of points of light organized in such a way that their
rapid and teeming succession would create forms and spirals, slowly unfolding, or
conversely, brief explosions setting the whole sky aflame. A line of light would be created by a
sufficiently large multitude of points appearing and disappearing instantaneously.“ ([45], S.
43). Folglich ist man darauf angewiesen, geeignete Methoden zur Parametersteuerung zu
verwenden, also Modelle, die es dem Komponisten erlauben, mittels einer überschaubaren
Auswahl an möglichst intuitiven Steuerungsparametern komplexe klangliche Prozesse zu
kontrollieren. Dazu wurden im Laufe der Zeit verschiedenste wissenschaftliche Disziplinen
bemüht – so gibt es Modelle mit Steuerung durch nicht-lineare Funktionen, genetische Algo-
rithmen, zelluläre Automaten, Populationsmodelle und neuronale Netzwerke [31] und auch
Handzeichnung. Siehe Abb. 23 für eine grafische Partitur, die mittels des UPIC-Systems
([45], S. 329) realisiert wurde.

Abb. 23: Ein Partiturausschnitt von Mycènes Alpha (1978) von Iannis Xenakis [46]

Für die effiziente Synthese von derart bestimmbaren Klangquanten in Zeitsignale stehen zwei
wesentliche Konzepte zur Verfügung:

a) Fourier- und Wavelet-Synthese


Diese Verfahren gelten seit vielen Jahren als Standardmethoden zur Transformation von
Signalen zwischen Zeit- und Frequenzbereich, sowohl für Analyse als auch Synthese. Für
digitale, gesampelte Klänge sind nur die diskreten Versionen dieser Methoden von Belang.
Die Fourier-Methode ist per definitionem eigentlich nur für periodische Signale geeignet und
benötigt daher Fensterung in der Zeitdomäne, um bei der Analyse den Fokus auf einen
betrachteten Zeitbereich legen zu können – diese Variante wird daher Short-Time Fourier
Transform bzw. STFT genannt. Für die Synthese von granularen Texturen aus spektraler
Information ist die inverse Operation relevant, die Overlap-Add-Synthese genannt wird (siehe
Abb. 24). Dabei können aus einzelnen Zeitscheiben mit Frequenzverläufen (analog zu den
e
Eine Hauptschwierigkeit dieses Modells besteht auch darin, dass die zeitliche Quantisierung t konstant und
für alle Elemente des spektralen Raums die gleiche ist (vgl. [26] S.67). Diese Zeitkonstante muss also sehr klein
gewählt werden, um eine adäquate Beschreibung von granularen Vorgängen zu erlauben.

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„books of screens“) Signale synthetisiert werden – mit den gleichen Komplikationen, die aus
der konstanten und finiten Zeitauflösung herrühren.

Abb. 24: Short-Time Fourier Transformation (STFT): Analyse und Synthese ([25], S. 551 und 554)

Eine fundamentale Schwierigkeit im Umgang mit der STFT entsteht durch die Eigenschaft
der diskreten Fourier-Transformation, dass der Frequenzbereich linear aufgeteilt wird: in
äquidistanten Intervallen zwischen einer niedrigsten Frequenz, die umgekehrt proportional zur
Länge des transformierten Signals ist und der Nyquist-Frequenz, die der halben Samplerate
entspricht. Die Aufteilung in Frequenzbänder entspricht also nicht der in der Musik üblichen
gleichstufigen Oktavteilung, was oft Schwierigkeiten bei der Frequenzauflösung in tiefen
Frequenzbereichen und bei der Zeitauflösung in höheren Frequenzbereichen nach sich zieht.
Dieser Mangel wird durch die Wavelet-Methode behoben, die eine logarithmische Frequenz-
aufteilung besitzt und hohe Frequenzbereiche zeitlich feiner aufgelöst repräsentiert als tiefe,
wie es auch von Filterbänken mit konstantem Q-Faktor bekannt ist (siehe Abb. 25). Nach der
Theorie kann jedes Signal in eine Summe von „Wavelets“ (Signal-Pulse einer bestimmten
Länge) zerlegt werden, was, mit Ausnahme der gestaffelten Frequenzauflösung, dem Gabor-
Theorem (siehe Abschnitt III.1) entspricht. Für musikalische Anwendungen werden auch die
dort beschriebenen Gauß-Partikel („Gabor-Wavelets“) als Basis verwendet, die mit ent-
sprechenden Werten für ihre Parameter Frequenz, Phase, Dauer und Startzeit ein orth-
onormales Funktionensystem bilden. Es können prinzipiell aber auch andere Signalformen als
Wavelets eingesetzt werden. Der inverse Vorgang, von der spektralen Repräsentation zum
Zeitsignal zu gelangen, erfolgt analog zur STFT über die Overlap-Add-Synthese.

Abb. 25: Vergleich des Zeit-Frequenz-Rasters zwischen STFT- und Wavelet-Transformation ([26], S. 283)

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b) Granularsynthese mit Grainlets


Anstatt wie bei den STFT- oder Wavelet-Methoden mit Fensterung und also festgelegten
Frame-Raten zu arbeiten ist es auch möglich, mittels einer Reihe von verwandten Methoden
Ströme aus identischen Grains (meist wiederum Gabor-Wavelets) in der Zeitdomäne zu
synthetisieren. Nach Roads [25] werden hier Tonhöhen-synchrone, quasi-synchrone and
asynchrone Varianten unterschieden, wobei deren wesentlicher Unterschied in der Art und
Weise liegt, wie (im allgemeinen stochastische oder durch vorangegangene Klanganalyse
gelenkte) Steuerungsmechanismen für die Positionierung von Grains in der Zeit angewandt
werden. Abb. 26 stellt einige mögliche Resultate in Sonogramm-Form dar.

Abb. 26: Einige mögliche Formen von Grain-Wolken: Cumulus, Glissandi, Stratus (v.l.n.r.) ([25], S. 182)

Asynchrone Granularsynthese erlaubt als allgemeinste Variante die Einbeziehung von beliebi-
gen, auf Sample-Basis zur Verfügung stehenden, konkreten Klängen. Die Auswahl des
jeweiligen Klanges wird dabei als variierbarer Parameter betrachtet, wobei auch Über-
blendungen zwischen Klängen möglich sind. Die „Phase“ spielt hier eine noch ent-
scheidendere Rolle als bei puren Gabor-Grainlets – sie bestimmt in diesem Fall den Einsatz-
punkt im Klang-Sample (für Anwendungen siehe Abb. 27). Eine andere Möglichkeit ist die
Einbeziehung von Echtzeit-Klängen (also Streams), wobei in diesem Fall durch die Phase
eine Verzögerungszeit, entsprechend einem Index in eine interpolierende Delayline,
angegeben wird.

Abb. 27: Transformationsstrategien zur Zeit-Granulation ([25], S. 183)

Im Appendix B wird mit dem Max/MSP bzw. pure data external munger1~ eine effiziente,
leicht handhabbare Implementierung eines solch universellen Synthesewerkzeugs vorgestellt.

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IV. Realisierung des elektronischen Teils der


Komposition „granular"
In der Gestaltung des Elektronik-Parts in „granular“ werden folgende drei Aspekte bevorzugt
thematisiert:
a. Die Position der elektronischen Stimme in Bezug auf die beiden Instrumentalisten und
in Bezug auf den Aufführungsort: Inwieweit soll der Computer ein drittes, physisches
und lokalisiertes Instrument sein bzw. inwieweit soll sich der Klang vom Ort loslösen
und den Raum bespielen? Oder auch: ist der Computer klanglich eigenständig oder
aber abhängig von Live-Input der Instrumentalisten?
b. Für die Komponistin war die maschinelle Natur des Computers ein wichtiger Grund
für die Verwendung dieses Instruments: Soll dieser maschinelle Bezug mittels Spiel-
technik, Klangmaterial oder gar körperlicher Interaktion mit dem Spielgerät hergestellt
werden?
c. Wie können die in der Partitur geforderten, oft komplexen Strukturen in der Auf-
führung realisiert werden, sodass sowohl eine hohe Präzision an Detailtreue, gleich-
zeitig aber auch eine ausreichend freie Beweglichkeit im Live-Spiel möglich sind?
Bei der Ausarbeitung zeigte sich, dass a. und b. in verschiedener Hinsicht miteinander
verknüpft sind: In der Partitur herrscht weitreichende Symmetrie in Bezug auf die
Strukturierung der Instrumentalstimmen. Die vorkommenden auszuführenden Struktur-
elemente sind also mit wenigen Ausnahmen für alle drei Spieler gleich (siehe Abb. 28). Des
weiteren werden alle Instrumente verstärkt und im Raum spatialisiert, verfügen also sowohl
über ihren natürlichen Instrumentalklang (bei der Elektronik wäre dieser der Monitor-
lautsprecher für den Spieler) wie auch einen delokalisierten Raumklang über die acht im
Raum verteilten Lautsprecher.

Abb. 28: Partitur "granular", Teil 2 - Klavier, Perkussion, Elektronik [17]. Trotz teilweise völlig
unterschiedlichen Klangmaterials führen die drei Stimmen gleiche Strukturen aus.

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Thomas Grill – Zur Gestaltung des elektronischen Teils der Komposition “granular” von Katharina Klement

Der maschinelle Charakter der elektronischen Stimme als gleichberechtigtes Instrument wird
durch striktere Anlegung der Strukturierung und durch Opposition zum „akustischen
Klangcharakter“ der anderen Instrumente erreicht: durch kürzere Ausklänge, größere
Dynamik und Einbeziehung nichtinstrumentalen und durch Klangprozessierung bearbeiteten
Klangmaterials.

1. Verwendetes Instrumentarium
Die im letzten Abschnitt beschriebene Symmetrie der Stimmen legte nahe, für die Gestaltung
des elektronischen Instrumentariums einen Zugang zu wählen, der dem der anderen
Instrumente nahe kommt, und versucht, von ähnlichen Voraussetzungen auszugehen. Die
Wahl des elektronischen Instruments fiel daher auf ein schon in vielen instrumentalen (vor
allem improvisatorischen) Kontexten bewährtes Max/MSP-basiertes [47] System, das keine
nennenswerten Automatismen einschließt, sondern lediglich eine einfache Spieloberfläche
bereitstellt, und mittels externer Steuerungs-Hardware (bei ausreichender Übung) intuitiv zu
bedienen ist (siehe Abb. 29).

Abb. 29: Verwendetes Performance-System auf der Basis von Max/MSP


Dabei handelt es sich im Wesentlichen um einen Sample-Player (basierend auf [12]), der über
vier unabhängige Mono-Stimmen verfügt, die jeweils geloopt und in der Wiedergabe-
geschwindigkeit variiert werden können. Die Klänge werden dazu aus einer Datenbank von
Klangdateien geladen oder ad hoc von bis zu vier Eingangskanälen aufgenommen.
Für das gegenständliche Projekt wurden einige Adaptionen des existierenden Systems, vor
allem im Hinblick auf die geforderte Granulierung/Perforation/Siebung des Klangmaterials
und die Spatialisierung der Ausgabekanäle, vorgenommen. Die Bewältigung der in der
Partitur vorgeschriebenen, abschnittsweise fixierten oder variabel zu gestaltenden
Klangverteilung erforderte penibel geplante, speicherbare und schnell abrufbare Routing-
Einstellungen, da vier interne flexibel mit acht externen Kanälen verknüpfbar sein mussten.

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Thomas Grill – Zur Gestaltung des elektronischen Teils der Komposition “granular” von Katharina Klement

Für die Realisierung der Spatialisierung standen prinzipiell drei Techniken zur Verfügung:
VBAP (vector based amplitude panning) [23], Ambisonics-basierte Spatialisierung [36] oder
diskrete Ansteuerung von einzelnen Lautsprecherpaaren. Die Entscheidung fiel auf letztere,
da diese Methode ein überschaubareres und einfacher steuerbares Verhalten bei fließenden
Übergängen zwischen aufeinanderfolgenden Positionen besitzt. Für diese Wahl spricht auch,
dass die Lautsprecherzuordnung der akustischen Instrumente durch den Klangregisseur am
Mischpult und damit ebenfalls diskret vorgenommen wurde. Die Routingsektion des
Performance-Systems befindet sich in Abb. 29 rechts oben.

2. Verwendetes Klangmaterial
Das Klangmaterial für die elektronische Stimme war zu Beginn der Probenarbeit an
„granular“ noch nicht im Detail festgelegt. Es kristallisierte sich im Zuge der Arbeit aber bald
heraus, dass zwei wesentliche Klangressourcen zur Verwendung gelangen würden: Einerseits
sollte die Elektronik Klänge der akustischen Instrumente verwenden, um an einigen
Partiturstellen genau festgelegtes Zusammenspiel zu ermöglichen, andererseits existierte von
Katharina Klement in einem Zementwerk aufgenommenes Klangmaterial, das sowohl von der
Materialität als auch von den darin dokumentierten Arbeitsprozessen wie Zerkleinerung,
Siebung und Transport her für eine Verwendung in „granular“ wie geschaffen schien. Über
die Art und Weise der tatsächlichen Verwendung dieser Klänge machte die Komponistin
bewusst keine näheren Angaben, sie war also frei gestaltbar.
Wie im Abschnitt I.2 beschrieben verfügt jeder der sieben Hauptteile der Komposition über
ein „Generalthema“: entweder Schichtung oder Siebung/Perforation. In Anbetracht der
erläuternden Handksizzen (z.B. Abb. 5) schien es folgerichtig, diese Prozesse in zumindest
zwei Dimensionen durchzuführen. In Anlehnung an die fundamentalen Bestimmungsgrößen
der Klang-Quantisierung (siehe Abschnitt III.1) fiel die Entscheidung auf die Bearbeitung der
zu einander komplementären Dimensionen Zeit und Frequenz.
Die verschiedenen Implementierungen von Granularsynthese in Echtzeit (siehe Abschnitt
III.3) bieten einen reichhaltigen Fundus an klanglichen Möglichkeiten, jedoch sind die asyn-
chronen Verfahren durch ihre meist stochastische Parameterbestimmung kaum im Detail
präzise zu steuern. Der resultierende Klang wirkt folglich mitunter unscharf, zittrig und wenig
prägnant. Die gewählte Lösung war, die Granulierungsmethoden in einer einfacheren Form
nachzubauen, „händisch“ zu schichten und sieben und Zeit- und Frequenzbereich getrennt zu
behandeln.
Um eine „Spielbarkeit“ zu gewährleisten und über zeitlich flexible Gestaltungsmöglichkeiten
analog zu den akustischen Instrumenten zu verfügen, wurde auf Live-Elektronik im Sinne
einer Echtzeit-Klangprozessierung verzichtet. Die Abhängigkeit von einer ad hoc
Klangaufnahme während des Spiels birgt einerseits immer die Gefahr der nicht optimalen
Aufnahme (z.B. durch Störgeräusche durch das Publikum), andererseits muss die Konzen-
tration neben der Gestaltung des eigenen Klangs und der richtigen Spatialisierung auch noch
auf aufnahmetechnische Faktoren gerichtet werden, was einen nicht-technischen Zugang zum
Spiel mit dem elektronischen Instrument zusätzlich erschwert. Die benötigten Instrumental-
klänge wurden daher bei Proben (auf identischem Instrumentarium) in bestmöglicher Qualität
voraufgenommen und standen daher auch vorab für klangliche Bearbeitung zur Verfügung.
Während granulare Prozesse im Zeitbereich als interaktive Spieltechniken implementiert
wurden (siehe weiter unten), wurden Schichtung und Siebung im Frequenzbereich durch
geeignete spektrale Klangtransformationsverfahren realisiert. Der in Abb. 30 abgebildete
Patch ist lauffähig unter pure data [22] und ermöglicht das „Aussieben“ bzw. die
„Klassifikation“ spektraler Features aus zeitlich „eingefrorenen“ Klangfragmenten (für eine

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Thomas Grill – Zur Gestaltung des elektronischen Teils der Komposition “granular” von Katharina Klement

detailliertere Beschreibung des Verfahrens, siehe Appendix A). Die resultierenden


„frequenzgesiebten“ Klangblöcke wurden gleichberechtigt zu den Instrumentalklängen
eingesetzt.
Für die Aufführung stand so Klangmaterial von Instrumentalaufnahmen und konkreten
Klängen aus maschinellen Arbeitsprozessen in unterschiedlichen Stadien der spektralen
Filterung zur Verfügung, von unberührtem Originalmaterial bis zu sehr stark degradiertem
Material mit hohem Rauschanteil.

Abb. 30: Arbeitspatch zur spektralen Klangprozessierung, verwendet das in 0 beschriebene Verfahren

3. Live-Spieltechniken
Ein Großteil der in der Partitur geforderten Spieltechniken, wie die Gestaltung der Dynamik,
das Spielen von quasi-maschinellen Wiederholungen und die Tonhöhenveränderung des
Klangmaterials waren durch die Fähigkeiten des Performance-Patches (Abb. 29) in geeigneter
und durch jahrelangen Einsatz wohlerprobter Weise abgedeckt. Die Spielanweisungen zur
„Schichtung“ (siehe Abb. 31) konnten durch die eine entsprechende Vorbereitung des Klang-
materials und gleichzeitigen Einsatz mehrerer Spuren des Sample-Players bewältigt werden.

Abb. 31: Partitur „granular“, Teil 4 – Elektronik [17]

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Thomas Grill – Zur Gestaltung des elektronischen Teils der Komposition “granular” von Katharina Klement

Für die im vorigen Abschnitt erwähnten granularen Manipulationsmöglichkeiten zur


„Siebung/Perforation“im Zeitbereich mussten neue Strategien gefunden werden. In Analogie
zur Überlagerung halbtransparenter granularer Strukturen gleicher Dichte (Abb. 5) wurde
dementsprechend ein simpler Zerhacker mit variabler Periodendauer, Symmetrie und
Kurvenform (mit veränderlicher Stochastik, von völlig regelmäßig bis stark variierend) ver-
wendet, der eine zeitlich veränderbare Hüllkurve auf die zu spielenden Klänge aufmoduliert.
Jede Spur des Sample-Players verfügt über eine eigenständige Instanz dieses Effekts und
arbeitet daher unabhängig (Abb. 32, Abb. 33). Die Überlagerung mehrerer zerhackter Spuren
ermöglicht somit die beabsichtigte Schichtung zeitlich komplexer granularer Strukturen.

Abb. 32: Detail einer Spur des Performance-Patches: Zerhacker zur zeitlichen Perforation des Klangs

Abb. 33: Verschiedene mögliche Wellenformen des Zerhacker-Moduls,


verwendet als Amplituden-Hüllkurven für den Sample-Player

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Thomas Grill – Zur Gestaltung des elektronischen Teils der Komposition “granular” von Katharina Klement

Das Zerhackermodul ist über externe Steuerungshardware kontrollierbar, womit eine intuitive
Kontrolle des Granuliervorgangs möglich ist. In Teil 3 der Komposition (Abb. 34) kann damit
ein Duo von kleiner Trommel und Elektronik lebendig gestaltet werden. Innerhalb von langen
crescendo-decrescendo Figuren werden auf der Trommel in Klang und Dichte variierende
Wirbel gespielt. Die Elektronik „imitiert“ diese Spielweise mit den ihr eigenen Mitteln:
Schichtung und Zerhackung von Klangpartikeln.

Abb. 34: Partitur „granular“, Teil 3 – Kleine Trommel und Elektronik [17]

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Thomas Grill – Zur Gestaltung des elektronischen Teils der Komposition “granular” von Katharina Klement

Zusammenfassung
Die Komposition „granular“ von Katharina Klement bezieht strukturelle und klangliche Ideen
aus Analogien zu granularen Prozessen in Natur und Technik bzw. Arbeitswelt. Für eine
schlüssige Gestaltung der Partiturstimme für Elektronik war es daher notwendig, sich
umfassend mit der zu Grunde liegenden Thematik und ihren Implikationen auf musikalische
Strukturen, insbesondere der elektronischen Musik, zu beschäftigen.
Viele Aspekte des Elektronik-Parts sind präzise notiert, doch die Komponistin ließ bewusst
einige wichtige Freiheitsgrade offen, deren Ausarbeitung Thema dieser Arbeit sind. Bei der
Vorbereitung des Klangmaterials und der Festlegung der verwendeten Spieltechniken wurde
in vielen Punkten der Bezug zu Grundlagen und Ausformungen von „Granularität“ gesucht.
Trotz der Verwendung theoretischer und formaler Grundlagen war aber das Kriterium der
möglichst intuitiven Spielbarkeit im Live-Kontext ein wichtiger Fixpunkt. Für die Umsetzung
wurde daher ein erprobtes Performance-System gewählt und auf die speziellen Bedürfnisse
hin angepasst. Es wurde für die Herstellung des Klangmaterials eine hochqualitative und im
Detail kontrollierbare Arbeitsweise gewählt, für das Live-Spiel hingegen ein wenig
komplexer, aber klanglich expressiver Zugang, um die Zahl der zu steuernden Parameter
überschaubar zu halten. Dennoch sollte für weitere Aufführungen eine noch bessere
Spielbarkeit angestrebt werden, durch weiter gehendes Verwenden von Presets, Zusammen-
fassung von Parametern und ergonomischere Steuerungshardware.

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Thomas Grill – Zur Gestaltung des elektronischen Teils der Komposition “granular” von Katharina Klement

Appendix A Spektrale Klangtransformation


Für die spektrale Prozessierung des Klangmaterials einiger Passagen wurden Patches auf der
Basis der Transformations-Toolbox VASP modular [11] (in pure data) verwendet. Die Abb.
35 zeigt einen Patch, der eine Kombination von zeitlichem Freeze (Auslöschung der Zeit-
information) und spektralem Kompressor/Pitchshifter/Noisegate darstellt. Die Prozessierung
läuft nicht in Echtzeit ab, sondern erlaubt durch nicht-granulare Transformation eine sehr
hohe Klangqualität. Das Amplitudenverhältnis der spektralen Verteilung kann so subtil bis
destruktiv beeinflusst werden, wie auch durch Dehnen oder Stauchen im spektralen Raum
Tonhöhenänderungen einrechenbar sind.

Abb. 35: Patch zur spektralen Klangtransfomation für Pure Data

Die Funktionsweise des Patches im Detail: Die Sampledaten werden zunächst mittels
komplexer FFT transformiert (vasp.cfft) und in Polardarstellung umgewandelt
(vasp.polar). Die Magnituden werden einem interpolierenden Resampling unterworfen
(vasp.xtilt) um das gewünschte Pitch-Shifting zu erreichen. Ein spektrales Gate
(vasp.gate) filtert das Spektrum relativ zum spektralen Maximum (vasp.max?), die nach-
folgende Kompression ist durch eine Potenzfunktion realisiert (vasp.pow). Vernichtung der
zeitlichen Struktur durch Randomisierung der Phasen (vasp.noise), Umwandlung in
kartesische Koordinaten (vasp.rect) und FFT-Rücktransformation (vasp.c!fft) schließen
die Prozessierung ab.

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Thomas Grill – Zur Gestaltung des elektronischen Teils der Komposition “granular” von Katharina Klement

Appendix B munger1~ real-time granulator


Das Plugin munger1~ für Max/MSP und pure data stellt eine neue und erweiterte Version des
Objekts munger~ aus der PeRColate-Bibliothek [33] von Dan Trueman und R. Luke DuBois
dar. Unter der Projektleitung von Ico Ivica Bukvic wurde der Versuch unternommen, ein
universell einsetzbares Werkzeug zur Granularsynthese zu implementieren, das auf beiden
wichtigen modularen Echtzeit-Audio-Plattformen und allen unterstützten Betriebsystemen
verfügbar ist. Dies wurde durch die Verwendung des flext-C++-Layers [10] möglich.
Abb. 36 zeigt den zum Objekt gehörigen Hilfe-Patch, der gleichzeitig eine Funktionsreferenz
darstellt.
munger1~ wurde am 28. August 2007 im Rahmen der International Computer Music
Conference (ICMC) 2007 in Kopenhagen präsentiert.

Abb. 36: Max/MSP Hilfe-Patch für munger1~

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Thomas Grill – Zur Gestaltung des elektronischen Teils der Komposition “granular” von Katharina Klement

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