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Bürgerliches Recht
Springers Kurzlehrbücher
der Rechtswissenschaft
Willibald Posch
Bürgerliches Recht
Band VII
Internationales Privatrecht
5., aktualisierte Auflage
2010
SpringerWienNewYork
o. Univ.-Prof. Dr. Willibald Posch
Institut für Zivilrecht, Ausländisches und Internationales Privatrecht
Karl-Franzens-Universität
Graz, Österreich
ISSN 0723-5097
ISBN 978-3-211-74400-0 4. Auflage SpringerWienNewYork
ISBN 978-3-7091-0067-7 5. Auflage SpringerWienNewYork
Geleitwort des Herausgebers
V
Geleitwort des Herausgebers
VI
Vorwort zur 5. Auflage
VII
Vorwort zur 5. Auflage
In die Neuauflage wurde ein Beitrag integriert, der von Mag. Dr. Markus
Fallenböck, LLM (Yale) für die 3. Auflage verfasst wurde und die beson-
deren kollisionsrechtlichen Probleme, die sich im Zusammenhang mit der
Nutzung des Internet ergeben, behandelt. Für die Durchsicht und wert-
volle Hinweise zur Aktualisierung dieses Teiles habe ich ao. Univ.-Prof.
Elisabeth Staudegger zu danken. Ebenso gebührt meinen Mitarbeitern am
Institut, Ass.-Prof. Peter Schwarzenegger und Ass.-Prof. Ulfried Terlitza,
Dank dafür, dass sie den Text des gesamten Bandes kritisch durchgelesen
und die diversen Verzeichnisse den Änderungen angepasst haben. Für all-
fällige Fehler und Irrtümer bei der Aktualisierung trägt freilich der Unter-
zeichnende die alleinige Verantwortung.
VIII
Inhaltsübersicht
Einführung
§ 1. Internationales Privatrecht als Teilgebiet des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1
IX
Inhaltsverzeichnis
Rz Seite
Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XVII
Einführung
§ 1. Internationales Privatrecht als Teilgebiet des Rechts . . . . . . . . . . 1/1 1
A. Begriff und Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1/1 1
B. Internationales Zivilverfahrensrecht als Teil des IPR im weiteren Sinn 1/6 5
C. Abgrenzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1/9 8
§ 3. Rechtsquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3/1 16
A. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3/1 16
B. Aktuelle Rechtsquellen des österreichischen IPR . . . . . . . . . . . . . . 3/4 19
C. Die Verordnungen „Rom II“ und „Rom I“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3/6 21
D. Weitere Vorhaben der EU auf dem Gebiet des Internationalen
Privatrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..... 3/9 23
XI
Inhaltsverzeichnis
Rz Seite
IV. Zum Einheitsprivatrecht einschließlich der Europäischen Rechts-
angleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5/4 34
I V. Textausgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5/5 35
VI. Zeitschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5/6 35
§ 9. Anknüpfungsmomente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9/1 62
A. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9/1 62
B. Staatsangehörigkeit, gewöhnlicher Aufenthalt und Wohnsitz . . . . . . 9/2 63
C. Verwaltungssitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9/9 68
D. Parteiwille . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9/11 70
E. Belegenheitsort, Handlungsort, Erfolgsort . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9/15 74
XII
Inhaltsverzeichnis
Rz Seite
XIII
Inhaltsverzeichnis
Rz Seite
c) Ungerechtfertigte Bereicherung, Geschäftsführung ohne Auf-
trag und Verschulden bei Vertragsverhandlungen . . . . . . . . . 15/35 158
d) Freie Rechtswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15/38 160
e) Gemeinsame Vorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15/39 160
f) Weitere kollisionsrechtliche Hilfsnormen in der
Rom II-Verordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15/40 161
3. Der „Auffangtatbestand“ des IPRG: § 48 nF IPRG . . . . . . . . . . 15/41 163
4. Außervertragliche Haftung für Straßenverkehrsunfallschäden . . 15/42 164
E. Sonderanknüpfungen im Internationalen Schuldrecht . . . . . . . . . . . 15/46 167
1. Verbraucherschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15/46 167
a) Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15/46 167
b) § 13a KSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15/47 167
c) § 11 TNG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15/48 169
2. Atomhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15/49 169
XIV
Inhaltsverzeichnis
Rz Seite
D. Kompetenztatbestände für die Europäische Rechtsangleichung im
Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18/5 209
E. Europäische Rechtsangleichung durch Richterrecht . . . . . . . . . . . . 18/6 210
F. Zentrale Bereiche der europäischen Privatrechtsangleichung im
Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18/7 210
ANHANG
UN-Kaufrechtskonvention (CISG) – Die 74 Vertragsstaaten am
1. Juli 2010 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240
Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241
XV
Abkürzungsverzeichnis
aA anderer Ansicht
aaO am angeführten Ort
aF alte Fassung
ABGB Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch
abgek abgekürzt
abl ablehnend
ABlEG Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften (bis 2002)
Ausgabe C: Mitteilungen und Bekanntmachungen
Ausgabe L: Rechtsvorschriften
ABlEU Amtsblatt der Europäischen Union (ab 2003)
Ausgabe C: Mitteilungen und Bekanntmachungen
Ausgabe L: Rechtsvorschriften
Abs Absatz
AcP (deutsches) Archiv für die civilistische Praxis
aE am Ende
AEUV Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (idF von
Lissabon)
aF alte Fassung
AfP Archiv für Presserecht (deutsch)
AGB Allgemeine Geschäftsbedingungen
AHG Amtshaftungsgesetz
All.E.R. All England Law Report
AnfO Anfechtungsordnung
Art Artikel
AtomHG Atomhaftungsgesetz
AußStrG Außerstreitgesetz
AVRAG Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetz
B2B Business to Business
B2C Business to Consumer
Bd Band
BG Bundesgesetz
BGB (deutsches) Bürgerliches Gesetzbuch
BGBl Bundesgesetzblatt
BGH (deutscher) Bundesgerichtshof
BlgNR Beilagen zu den stenografischen Protokollen des Nationalrates
BMJ Bundesministerium für Justiz
XVII
Abkürzungsverzeichnis
XVIII
Abkürzungsverzeichnis
XIX
Abkürzungsverzeichnis
XX
Abkürzungsverzeichnis
XXI
Abkürzungsverzeichnis
uä und ähnliche, -s
uam und andere mehr
UCC Uniform Commercial Code
udgl und dergleichen
UN Vereinte Nationen
UNCITRAL United Nations Commission on International Trade Law
UNIDROIT Internationales Institut für die Vereinheitlichung des Privatrechts
UNKR UN-Kaufrechtsübereinkommen
UrhG Urheberrechtsgesetz
USA Vereinigte Staaten von Amerika
USB universelle serielle Schnittstelle
usw und so weiter
uU unter Umständen
UWG Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb
VersR Versicherungsrecht (deutsch)
VersVG Versicherungsvertragsgesetz
vgl vergleiche
VwGH Verwaltungsgerichtshof
WA Warschauer Abkommen
wbl Wirtschaftsrechtliche Blätter
WEG Wohnungseigentumsgesetz
WechselG Wechselgesetz
WIPO World Intellectual Property Organization
wobl Wohnrechtliche Blätter
WRP Wettbewerb in Recht und Praxis (deutsch)
WTO Welthandelsorganisation
WUA Welturheberrechtsabkommen
YBPIL Yearbook of Private International Law (schweizerisch)
Z Ziffer, Zahl
ZAK Zivilrecht aktuell
zB zum Beispiel
ZEuP Zeitschrift für Europäisches Privatrecht (deutsch)
ZfRV Zeitschrift für Rechtsvergleichung, Internationales Privatrecht und
Europarecht
ZGB (Schweizerisches) Zivilgesetzbuch
ZIP Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (deutsch)
ZPO Zivilprozessordnung
ZSR Zeitschrift für Schweizerisches Recht
zust zustimmend
ZVN Zivilverfahrensnovelle
ZVR Zeitschrift für Verkehrsrecht
XXII
Einführung
Aktuellen Weltalmanachen zufolge ist die Zahl souveräner Staaten in der 1/1
jüngsten Vergangenheit auf nahezu zweihundert gestiegen1. Jeder dieser
Staaten hat zumindest eine eigene Rechtsordnung. Einige wie die Vereinig-
ten Staaten von Amerika, Australien oder Kanada weisen auf ihrem Ho-
heitsgebiet mehrere Privatrechtsordnungen auf, die USA allein einund-
fünfzig2: jene der fünfzig Staaten und die des District of Columbia. Auch
innerhalb der Europäischen Union besteht nicht in allen Mitgliedstaaten
auf dem Gebiet des Privatrechts interne Rechtseinheit, namentlich nicht
im Vereinigten Königreich und in Spanien. Insgesamt kann man daher glo-
bal jedenfalls von mehr als 300 Privatrechtsordnungen ausgehen.
Keine dieser Privatrechtsordnungen steht isoliert im Raum. Als Folge
der „Globalisierung der Wirtschaft“ und der Schaffung kontinentaler und
regionaler Binnenmärkte machen wirtschaftliche Kontakte heute nicht
mehr Halt vor staatlichen Grenzen, deren Bedeutung durch die inzwischen
weit verbreitete Nutzung elektronischer Kommunikationstechnologien
zusätzlich relativiert wird. Hinzu kommt, dass der Niedergang und offen-
1 Vgl Fischer Weltalmanach 2010. Er führt (mit Stand 1.7.2009) 195 souveräne Staaten an,
als flächen- und einwohnermäßig kleinsten die Vatikanstadt. Zuletzt neu hinzugekommen
ist die Republik Kosovo, die erstmals im Weltalmanach 2009 angeführt wurde. Die Regie-
rung des Kosovo hat sich am 17.2.2008 für unabhängig erklärt, doch wird die Souveräni-
tät der früheren (autonomen) serbischen Provinz nur von einer Minderheit von Staaten
anerkannt. Fünf Mitgliedstaaten der Europäischen Union – Griechenland, Rumänien,
Slowakei, Spanien und Zypern – sehen in der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo
einen gefährlichen Präzedenzfall, der sezessionistische Tendenzen in ihren Ländern för-
dern könnte und haben die Anerkennung der Unabhängigkeit des Kosovo vorerst verwei-
gert.
2 Das sind die sog „jurisdictions“.
1
§1 Internationales Privatrecht als Teilgebiet des Rechts
bar endgültige Zerfall der Sowjetunion und die Überwindung der kommu-
nistischen Ideologie in den von ihr einstmals kontrollierten sozialistischen
Staaten Zentral- und Osteuropas bewirkt haben, dass offene Grenzen an
die Stelle des „Eisernen Vorhangs“ getreten sind. Die „Osterweiterung“
der Europäischen Union, die mit der Aufnahme von Bulgarien und Rumä-
nien am 1.1.2007 einen (wohl nur vorläufigen) Abschluss erfahren hat,
sollte sich als Stabilitätsfaktor für die neuen Demokratien in diesem Raum
erweisen. Diese sollten von den Grundfreiheiten der Europäischen Union
profitieren und so kommt es heute insbesondere in Europa öfter als noch
vor fünfzehn Jahren im Rahmen von grenzüberschreitenden Privatrechts-
verhältnissen zu „Berührungen“ oder „Kollisionen“ zwischen den Rechts-
ordnungen.
Das Neben- und Miteinanderleben der Völker der einzelnen Staaten
macht eine allgemein respektierte Begrenzung ihrer jeweiligen Gebiets-
und Personalhoheit unerlässlich. Dass für die Behörden oder Gerichte
eines Staates immer nur das eigene Recht relevant wäre, kann jedoch bei
der Entscheidung „internationaler Sachverhalte“ nicht von vornherein
angenommen werden. Das gilt insbesondere für privatrechtliche Sachver-
halte, während in den Bereichen des Straf- und Verwaltungsrechts wegen
des öffentlich-rechtlichen Charakters dieser Normen ein besonderes Inte-
resse der Staaten besteht, dass ihre Gerichte und Behörden jeweils das ei-
gene Recht anwenden.
1/2 Dem Begriff „Internationales Privatrecht“ (IPR) kann eine weitere und
eine engere Bedeutung beigemessen werden. Im weiteren Sinn erfasst er
neben dem „Internationalen Privatrecht im engeren Sinn“ auch das Inter-
nationale Zivilverfahrensrecht und das „Internationale Einheitsprivat-
recht“, worunter das international vereinheitlichte bzw angeglichene Recht
mehrerer nationaler Privatrechtsordnungen begriffen wird und dessen
wichtigstes Beispiel das Übereinkommen über das Recht des grenzüber-
schreitenden Warenkaufvertrages (CISG)3 bildet.
In Österreich wird „Internationales Privatrecht“ im juristischen Sprach-
gebrauch zumeist im engeren Sinn als Rechtsanwendungsrecht begrif-
fen, also als Summe jener Normen, die bestimmen, welche von mehreren
in Frage kommenden Rechtsordnungen auf einen privatrechtlichen Sach-
verhalt mit Auslandsberührung zur Anwendung gelangt.
Zwar untersteht der angerufene Richter (oder etwa auch der Standesbe-
amte bei der Trauung) nur der eigenen Rechtsordnung, doch kann ihm
3 CISG steht als Abkürzung für Convention on Contracts for the International Sale of
Goods.
2
Begriff und Bedeutung §1
4 Hier bilden die großen nationalen Zivilgesetzbücher die Hauptrechtsquellen des materiel-
len bürgerlichen Rechts; so der Code civil von 1804 in Frankreich, Belgien und Luxem-
burg, das ABGB von 1811 in Österreich, das BGB von 1900 in Deutschland, der Codice
civile von 1942 in Italien usw. Daneben sind überall jedoch noch zahlreiche in Nebenge-
setzen normierte Bestimmungen zu beachten.
3
§1 Internationales Privatrecht als Teilgebiet des Rechts
5 Die Regeln, die klären, welche von mehreren berührten Teilrechtsordnungen innerhalb
eines souveränen Staates zur Anwendung kommen, werden als „interlokales Privatrecht“
bezeichnet (US-amerikanisch: „interstate conflicts law“).
6 Man spricht in diesem Zusammenhang von „Heimwärtsstreben“.
7 Auch „Konfliktsrecht“.
8 So wird in Österreich das Staatsbürgerschaftsrecht dem internationalen Verwaltungsrecht
zugeordnet, obwohl die Staatsbürgerschaft als Anknüpfungsmoment im Internationalen
Personen-, Familien- und Erbrecht sehr wichtig ist. In Frankreich wird es dagegen als ein
Teil des bürgerlichen Rechts begriffen. Seit 1993 sind die Regeln über die nationalité fran-
çaise wieder in den Art 17 ff Code civil zu finden.
9 Wenig geglückt deshalb, weil er den Eindruck erweckt, dass es sich bei „Internationalem
Privatrecht“ um Rechtsnormen „von internationalem Charakter“ handelt. Story (1779–
1845) meinte mit dem Begriff aber eher das „private Internationalrecht“.
4
Internationales Zivilverfahrensrecht als Teil des IPR im weiteren Sinn §1
5
§1 Internationales Privatrecht als Teilgebiet des Rechts
erst nur für Norwegen und die EU-Mitgliedstaaten13 in Kraft getreten ist,
existiert.
Mit dem EuGVÜ waren weite Bereiche des Zivilrechtsverkehrs zwi-
schen den Staaten der Europäischen Union auf eine einheitliche Grundlage
gestellt worden. Seine Tage waren jedoch gezählt, seit diese Materie durch
den Amsterdamer Vertrag mit dem Ziel der Schaffung eines „Europäischen
Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ aus der damaligen
„Dritten Säule der Europäischen Union“14 in die ex-Art 61 ff EGV verla-
gert worden war: Durch die Art 61 lit c), 65 und 67 Abs 1 EGV15 ist die
Grundlage für supranationale Rechtsakte geschaffen worden, sodass ein-
schlägige Verordnungen des Rates erlassen werden konnten.
Als erste Maßnahme wurde die Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 des
Rates vom 29.5.2000 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und
Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betref-
fend die elterliche Verantwortung für die gemeinsamen Kinder der Ehegat-
ten („Verordnung Brüssel II“)16 wirksam, die aber nur vom 1.3.2001 bis
28.2.2005 in Geltung stand, da ab 1.3.2005 die gleichnamige Verordnung
(EG) Nr. 2201/2003 („Brüssel IIa“)17 an ihre Stelle getreten ist. An Stelle
des EuGVÜ hat am 1.3.2002 die Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates
vom 22.12.2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung
und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen
(„Verordnung Brüssel I“)18 Geltung erlangt.
1/7 In der Verordnung Brüssel I, die große praktische Bedeutung besitzt und
schon zu zahlreichen Entscheidungen sowohl des EuGH wie auch des
OGH Anlass gegeben hat, geht es ebenso wie in der Verordnung Brüssel
IIa nicht um die vom IPR im engeren Sinn zu beantwortende Frage, nach
welchem Sachrecht ein Sachverhalt mit Auslandsberührung zu entscheiden
ist19. Vielmehr wird in der Verordnung Brüssel I – nach Klarstellung des
13 Einschließlich Dänemark.
14 Justiz und Inneres. Das Dreisäulenschema der EU ist durch den Lissabonner Vertrag ob-
solet geworden.
15 Nunmehr Art 67 und 81 des Vertrages über die Arbeitsweise der Union (= AEUV).
16 Kurz EuGVVO II, ABlEG L 160 vom 30.6.2000, 19. Dazu vgl nur Boele-Woelki, Brüs-
sel II: Die Verordnung über die Zuständigkeit und die Anerkennung von Entscheidun-
gen in Ehesachen, ZfRV 2001, 121.
17 Verordnung (EG) Nr. 2201 des Rates vom 27.11.2003 über die Zuständigkeit und die
Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren
betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG)
Nr. 1347/2000, ABlEU L 338 vom 23.12.2003, 1 idF L 347 vom 14.12.2004, 1.
18 Kurz EuGVVO I, ABlEG L 12 vom 16.1.2001, 1.
19 Deshalb fallen die Verordnungen „Brüssel I“ und „Brüssel IIa“ nach österreichischem
Verständnis in Forschung und Lehre in die fachliche Zuständigkeit der Vertreter des Zi-
6
Internationales Zivilverfahrensrecht als Teil des IPR im weiteren Sinn §1
vilverfahrensrechts und können in diesem Rahmen nur am Rande behandelt werden; vgl
vertiefend Rechberger/Simotta, Zivilprozessrecht7 (2009) Rz 76 ff; Burgstaller (Hrsg),
Internationales Zivilverfahrensrecht (2006). Teil II (Loseblatt-Ergänzung); konzise ein-
führend Mayr/Czernich, Europäisches Zivilprozessrecht2 (2010).
20 Vgl Art 2–31 EuGVVO I.
21 Vgl Art 32–56 EuGVVO I.
22 Im Sinne von Art 32 EuGVVO I.
23 ABlEG L 160 vom 30.6.2000, 1; in Kraft getreten am 31.5.2002.
24 ABlEG L 160 vom 30.6.2000, 37; in Kraft getreten am 31.5.2001.
25 ABlEG L 174 vom 27.6.2001, 1.
26 ABlEG L 174 vom 27.6.2001, 25.
27 ABlEU L 143 vom 30.4.2004, 15. Anhänge ersetzt durch die Verordnung (EG) Nr. 1869/
2005 der Kommission, ABlEU L 300 vom 17.11.2005, 6.
28 ABlEU L 399 vom 30.12.2006, 1.
29 ABlEU L 199 vom 31.7.2007, 1; in Kraft getreten am 1.1.2009.
7
§1 Internationales Privatrecht als Teilgebiet des Rechts
C. Abgrenzungen
8
Abgrenzungen §1
nale Recht umsetzt. Bürger von Mitgliedstaaten der EU und des EWR er-
fahren eine unterschiedliche Behandlung. Allgemein ist im Vertrag über die
Arbeitsweise der Europäischen Union festgelegt36, dass in Bezug auf
Unionsbürger „jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörig-
keit“ verboten ist“37.
9
Erster Teil: Internationales Privatrecht im engeren
Sinn
§ 2. Historische Entwicklung1
A. Vorgeschichte
Das römische Recht war zunächst ius civile, dh es galt nur für römische 2/1
Bürger; Fremde waren rechtlos. Mit zunehmendem Wirtschaftsverkehr
schuf der Prätor für Peregrine das ius gentium. Es war besonders ausge-
formtes römisches Recht. Ein IPR in unserem Sinn, welches das gleichbe-
rechtigte Nebeneinander verschiedener Rechtsordnungen voraussetzt,
kannte das römische Recht, das sich quasi zum Weltrecht jener Zeit entwi-
ckelte, gleichwohl nicht.
Auch nach den germanischen Rechten stand der Fremde außerhalb des
Rechts. Das nach dem Zerfall des Römischen Reichs entstandene Fränki-
sche Reich war aber kein Nationalstaat, sondern ein Nationalitätenstaat.
Demgemäß unterstand jeder Reichsangehörige seinem Stammesrecht, dh
dem Recht bzw Statut seiner Herkunft2. Die Römer und ebenso die Kirche
und die Kleriker lebten nach römischem Recht.
Damit trat die Problematik, zu deren Lösung es internationalprivat-
rechtlicher Regeln bedarf, auf. Denn ein konkreter Sachverhalt konnte die
Grenzen von Stammesrecht sprengen, so dass es zu einer Kollision der Sta-
tuten kam3 und sich der Richter in die Lage versetzt sehen konnte, fremdes
Stammesrecht anwenden zu müssen.
Mit dem Sesshaftwerden der Stämme schwand im frühen Mittelalter
das Stammesbewusstsein, das Personalitätsprinzip wandelte sich in das
11
§2 Historische Entwicklung
B. Statutentheorie
2/2 Die Ursprünge des modernen IPR liegen in den mittelalterlichen Stadt-
staaten Italiens (Modena, Bologna usw). Diese kodifizierten seit der Mitte
des 11. Jahrhunderts ihr jeweiliges Recht: Die „statuta“. Da sie untereinan-
der in lebhaftem Handelsverkehr standen, erzwang die Verschiedenheit der
statuta die Beschäftigung mit den Problemen kollidierender Rechte.
Während noch unter den Glossatoren (Azo, Accursius) die lex fori be-
herrschend im Vordergrund stand4, gingen im 14. Jahrhundert die Kom-
mentatoren (Bartolus de Saxoferrato, Baldus de Ubaldis) von der Grund-
these aus, dass sich die Parteien durch Herstellung von Nahebeziehungen
dem Ortsrecht, dem jeweiligen „statutum“ unterwerfen; und zwar:
12
Die Wende im kollisionsrechtlichen Ansatz §2
Wesentliche Fortschritte in der Entwicklung des IPR wurden aber erst im 2/3
Laufe des 19. Jahrhunderts erzielt, wobei der amerikanischen und vor al-
lem der deutschen Rechtswissenschaft eine innovative Rolle zukam.
In den Vereinigten Staaten gewann der bereits erwähnte Joseph Story
im Jahre 18346 aus Entscheidungen und Einzelüberlegungen abgeleitete,
konkret anwendbare Kollisionsnormen, wobei er, insoweit durchaus dem
anglo-amerikanischen Rechtsdenken verpflichtet, darauf verzichtete, theo-
retische Grundsätze aufzustellen.
Auf diametral entgegengesetztem Wege gewann die deutsche Pandek-
tistik neue theoretische Einsichten. 1841 zeigte zunächst Carl Georg
Wächter7 die Unhaltbarkeit der Fiktion freiwilliger Unterwerfung unter
das Statut auf. Er betonte demgegenüber die Staatssouveränität. Für den
Richter könne nur der Gesetzesbefehl des eigenen Staates maßgebend sein,
der freilich dem Richter auch befehlen könne, fremdes Recht anzuwenden.
Tue der Staat dies, würde der Richter zwar materiell fremdes, formell aber
eigenes Recht anwenden. Wenn jedoch das eigene Recht dem Richter kei-
nen solchen Befehl erteile, hätte dieser auch materiell eigenes Recht anzu-
wenden. Dieser Satz brachte Wächters theoretisch richtige Grundauffas-
6 In diesem Jahr erschienen seine Commentaries on the Conflict of Laws in erster Auflage.
7 Im 24. und 25. Band des Archivs für die civilistische Praxis (AcP).
13
§2 Historische Entwicklung
8 Vgl die (allesamt aufgehobenen) §§ 4, 34–37, 300 aF sowie den noch in Kraft befindli-
chen, aber gegenstandslosen § 33 ABGB.
9 Im 1849 erschienenen 8. Band seines Systems des heutigen Römischen Rechts.
10 1851 in seinem berühmten Turiner Vortrag „Della nazionalità come fondamento del di-
ritto delle genti“.
11 Heute gilt in Kontinentaleuropa noch überwiegend – mit Ausnahmen (zB Schweiz) – das
Staatsangehörigkeitsprinzip, während im anglo-amerikanischen (common law) Rechts-
kreis das Prinzip des Wohnsitzes (domicile) bzw des dauerhaften (gewöhnlichen) Auf-
enthaltes im Vordergrund steht. Während das Staatsangehörigkeitsprinzip dem Natio-
nalstaatsgedanken entspricht, erleichtert das Wohnsitzprinzip die Eingliederung von
Ausländern. Im Zusammenhang mit der Vergemeinschaftung des Kollisionsrechts wird
jedoch dem Aufenthaltsgrundsatz insbesondere auch im Internationalen Familienrecht
zunehmend Bedeutung beigemessen.
14
Die Wende im kollisionsrechtlichen Ansatz §2
15
§ 3. Rechtsquellen
A. Allgemeines
3/1 Gelänge es, auf globaler Ebene ein einheitliches materielles Privatrecht
zu schaffen und seine einheitliche Anwendung zu sichern, würden sich
Kollisionsnormen erübrigen. Die Vorstellung von einem „Weltprivatrecht“
ist aber in das Reich der Illusionen zu verweisen. Über bloß punktuelle
Ansätze, insbesondere im Wechsel- und Scheckrecht1, im Urheberrecht2,
Lufttransportrecht3 und im internationalen Warenkaufrecht4 ist man nicht
hinausgelangt. Ungeachtet der Bemühungen der Organisation der Verein-
ten Nationen, insbesondere von UNCITRAL5, um eine weitere Verein-
heitlichung oder Angleichung von wirtschaftsnahen Privatrechtsmaterien
werden Kollisionsnormen auf absehbare Zeit weiterhin unentbehrlich
sein. Auch wenn die vielfältigen Bemühungen um eine Vereinheitlichung
des materiellen Zivilrechts in der Europäischen Union konkrete Ergeb-
nisse zeitigen sollten, wird sich an der praktischen Notwendigkeit der Kol-
lisionsnormen wenig ändern. Denn, dass es in absehbarer Zeit ein Europä-
isches Zivilgesetzbuch geben könnte, ist unrealistisch.
3/2 Die auf den Abbau zwischenstaatlicher Handelsbarrieren gerichteten glo-
balen Entwicklungen und die von der Welthandelsorganisation angestrebte
16
Allgemeines §3
6 Vgl ABlEG L 336 vom 23.12.1994, 191: Die multilateralen Verhandlungen der Uruguay-
Runde (1986–1994) – Anhang 1 – Anhang 1B – Allgemeines Übereinkommen über den
Handel mit Dienstleistungen (GATS).
7 Vgl http://www.hcch.net/index_en.php?act=conventions.listing; von diesen hat Öster-
reich bisher neun ratifiziert.
8 Wie die USA seit den Sechziger-Jahren, die bisher nur drei Haager Konventionen ratifi-
ziert haben.
17
§3 Rechtsquellen
18
Aktuelle Rechtsquellen des österreichischen IPR §3
Die wichtigsten autonomen und aus internationalen und europäischen In- 3/4
strumenten abgeleiteten Rechtsquellen des österreichischen IPR (ieS)
sind mit Stand 1.7.2010:
· IPR-Gesetz, BGBl 1978/304 idF BGBl I 2009/135;
· § 13a Konsumentenschutzgesetz idF BGBl I 2004/62;
· § 11 Teilzeitnutzungsgesetz, BGBl I 1997/32;
· §§ 20–23 E-Commerce-Gesetz, BGBl I 2001/152;
· § 23 Atomhaftungsgesetz, BGBl I 1998/170
· Haager Unterhaltsstatutübereinkommen, BGBl 1961/293;
· Haager Testamentsübereinkommen, BGBl 1963/295;
· Haager Minderjährigenschutzübereinkommen, BGBl 1975/446;
· Haager Straßenverkehrsübereinkommen, BGBl 1975/387;
· Haager Adoptionsübereinkommen, BGBl 1978/581;
· Haager Übereinkommen über die internationale Adoption, BGBl III
1999/145;
· CIEC-Legitimationsabkommen, BGBl 1976/10216;
· Einzelne Bestimmungen in Übereinkommen, die überwiegend mate-
riell-rechtliche Regelungen enthalten, wie zB Art 1 des Wiener UN-
Übereinkommens über den internationalen Warenkauf (CISG)17;
· Bilaterale Abkommen (zB mit dem Iran, Jugoslawien, Polen, Ungarn),
die einzelne international-privatrechtliche Fragen zwischenstaatlich ge-
sondert regeln;
15 Legge 31 Maggio 1995, no. 218 sulla riforma del sistema italiano di diritto internazionale
privato.
16 Das Übereinkommen ist von der Internationalen Kommission für das Zivilstandswesen
(Commission internationale d’État Civil, abgek CIEC) ausgearbeitet worden.
17 Abs 1 lit b CISG beinhaltet die sog „Vorschaltlösung“, wonach die Bestimmungen von
CISG Anwendung finden, „wenn die Regeln des internationalen Privatrechts zur An-
wendung des Rechts eines Vertragsstaates führen“.
19
§3 Rechtsquellen
18 ABlEU L 177 vom 4.7.2008, 6. Die Verordnung ist am 17.12.2009 in Geltung getreten.
19 ABlEU L 199 vom 31.7.2007, 40. Die Verordnung ist am 11.1.2009 in Geltung getreten.
20 In Frage kommen: autonom-nationale, autonom-internationale und richtlinienkonforme
Auslegung.
21 Zu den nationalen Gerichten mit dem OGH als höchster Instanz ist der EuGH hinzuge-
kommen.
20
Die Verordnungen „Rom II“ und „Rom I“ §3
Neben den Verordnungen des Rates, die nach dem Inkrafttreten des Ver- 3/6
trags von Amsterdam eine gemeinschaftsweite Rechtsvereinheitlichung im
IZVR bewirkt haben22 und dem „Europäischen Übereinkommen über das
auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht – EVÜ“23, das in
Österreich vom 1.12.1998 bis 16.12.2009 in Geltung stand, ist die „Rom
II-Verordnung“ über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse an-
zuwendende Recht“ auf der Grundlage der ex-Art 61 lit c, 65 und 67 Abs 5
EGV24 verabschiedet worden25. Gemeinsam mit der „Rom I-Verordnung“
über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht“ hat
sie das Internationale Schuldrecht in den meisten Mitgliedstaaten26 der Eu-
ropäischen Union wesentlich verändert und zugleich vereinheitlicht. Allein
schon die Tatsache, dass es zwei Verordnungen für zwei eng verwandte The-
menbereiche gibt, die ungleich mehr Vorschriften aufweisen27 als ursprüng-
lich im IPRG dem Internationalen Schuldrecht gewidmet waren und in de-
nen wohl auch dem Gesetzgebungsstil des Common Law, demzufolge dem
Richter wenig Spielraum für schöpferische Rechtsfindung bleiben darf,
Konzessionen gemacht werden musste, wird das Internationale Schuldrecht
allerdings auch erheblich komplizierter28.
Der Vorschlag für eine „Rom II-Verordnung“, die das Statut der außerver- 3/7
traglichen Schuldverhältnisse zum Gegenstand haben sollte, wurde von der
Kommission am 22.7.2003 vorgelegt. An eine rasche Verabschiedung im
22 Dazu Rz 1/6.
23 Da es am 19.6.1980 in Rom zur Zeichnung aufgelegt wurde, auch „Römisches Schuld-
rechtsübereinkommen“.
24 Aus Art 61 lit c EGVergab sich, dass der Rat „zum schrittweisen Aufbau eines Raumes der
Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ Maßnahmen im Bereich der justiziellen Zusam-
menarbeit in Zivilsachen nach Art 65 erlassen kann; Art 65 EGV bestimmte, dass die „Maß-
nahmen im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen mit grenzüberschrei-
tenden Bezügen, die, soweit sie für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes
erforderlich sind, nach Artikel 67 zu treffen sind“, unter anderem „die Förderung der Ver-
einbarkeit der in den Mitgliedstaaten geltenden Kollisionsnormen und Vorschriften zur
Vermeidung von Kompetenzkonflikten“ einschließen. Nach Art 67 Abs 5 EGV „. . . be-
schließt der Rat gemäß dem Verfahren des Artikels 251. . . – die Maßnahmen nach Artikel 65
mit Ausnahme der familienrechtlichen Aspekte.“ Nunmehr Art 67 ff und 81 AEUV.
25 Am 11.7.2007, ABlEU L 199 vom 31.7.2007, 40.
26 Leider nicht in allen; so werden beide Verordnungen nicht in Dänemark in Geltung tre-
ten.
27 Darunter in den „sonstigen Vorschriften“ inhaltlich weitgehend gleichlautende, aber un-
terschiedlich gereihte Normen: vgl Art 19–25 Rom I-VO mit Art 23–28 Rom II-VO.
28 Erschwerend kommt hinzu, dass die Verordnungen nicht alle kollisionsrechtlich rele-
vanten Sachverhalte erfassen, weshalb der österreichische Gesetzgeber mit BGBl I 2009/
109 ergänzende Bestimmungen erlassen musste.
21
§3 Rechtsquellen
Jahr 2005 war gedacht, doch ergaben sich insbesondere in der parlamentari-
schen Arbeit an dem Vorschlag erhebliche Probleme29, die eine Verzöge-
rung des Rechtssetzungsprozesses bewirkten.30 Das Ringen um einen ge-
meinsamen Standpunkt von Europäischem Parlament und Rat ließ
mitunter das Scheitern des Projekts für möglich erscheinen, ehe der Vermitt-
lungsausschuss das Verfahren letztlich erfolgreich beenden konnte, wenn-
gleich mit erheblichen Änderungen und erst im Juli 200731. Nach Veröffent-
lichung ihrer endgültigen Fassung32 wurde der Verordnung (EG) Nr. 864/
2007 die geballte Aufmerksamkeit des kollisionsrechtlichen Schrifttums33
zuteil. Seit dem 11.1.2009 ist die Frage, welches nationale Recht auf „grenz-
überschreitende“, außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwenden ist,
nach der Rom II-Verordnung zu beantworten, wobei der Begriff „außer-
vertragliche Schuldverhältnisse“ als autonomer Begriff verstanden werden
muss, unter den jedenfalls die unerlaubte Handlung einschließlich Gefähr-
dungshaftung, ungerechtfertigte Bereicherung, Geschäftsführung ohne
Auftrag (negotiorum gestio) sowie auch das Verschulden bei Vertragsver-
handlungen (culpa in contrahendo) fallen34.
3/8 Schon im Jänner 2003 hatte die Kommission mit dem „Grünbuch über die
Umwandlung des Übereinkommens von Rom aus dem Jahr 1980 über das
auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht in ein Gemein-
schaftsinstrument sowie über seine Aktualisierung“35 die Weichen für
eine Neuordnung des Internationalen Vertragsrechts gestellt und am
15.12.2005 ist von ihr der „Vorschlag für eine Verordnung des Europä-
ischen Parlaments und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnis
[sic!] anzuwendende Recht (Rom I)“36 vorgelegt worden. Nach der An-
22
Weitere Vorhaben der EU auf dem Gebiet des Internationalen Privatrechts §3
nahme des endgültigen Textes durch den Rat am 5.6.2008 und seiner Veröf-
fentlichung im Amtsblatt der EU am 4.7.200837 ist die „Rom I-Verord-
nung“ gemäß ihrem Art 29 am 17.12.2009 an die Stelle des EVÜ getreten38
und steht seither mit einer Ausnahme in allen Mitgliedstaaten der EU in
Geltung39. Die Ausnahme betrifft Dänemark, das aufgrund einer Sonderre-
gelung im EG-Vertrag nicht an Maßnahmen der justiziellen Zusammenar-
beit in Zivilsachen teilnimmt40, während das Vereinigte Königreich, das
sich ursprünglich an der Rom I-Verordnung nicht beteiligen wollte41, wozu
es aufgrund eines Zusatzprotokolls zum EG-Vertrag berechtigt war, sich
letztlich doch dazu entschlossen hat, den Antrag auf Annahme dieser Ver-
ordnung zu stellen42.
Mit den Verordnungen Rom I und Rom II wurde das Potential kollisions- 3/9
rechtlicher Vorhaben im Rechtssetzungsprogramm der EU gleichwohl
noch keineswegs ausgeschöpft. So hat die Kommission schon in ihrer an
den Rat und das Europäische Parlament gerichteten Mitteilung vom
2.6.2004 zum Thema „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts:
Bilanz des Tampere-Programms und Perspektiven“43 einschlägige fami-
lien- und erbrechtliche Themen angesprochen44. Der Vorschlag vom
17.7.2006 für eine „Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung
(EG) Nr. 2201/2003 im Hinblick auf die Zuständigkeit in Ehesachen und
zur Einführung von Vorschriften betreffend das anwendbare Recht in die-
sem Bereich“45 („Rom III“) hatte zwar die grundsätzliche Billigung durch
das Europäische Parlament erfahren46, ist jedoch auf große Widerstände in
23
§3 Rechtsquellen
47 Kohler; Zur Gestaltung des europäischen Kollisionsrechts für Ehesachen. Der steinige
Weg zu einheitlichen Vorschriften über das anwendbare Recht für Scheidung und Tren-
nung, FamRZ 2008, 1673.
48 KOM(2010) 105 endg/2.
49 Dazu Rz 11/8.
50 Vgl die Presseaussendung des deutschen BMJ vom 4.6.2010.
51 KOM(2005) 649 endg. Von der Kommission vorgelegt am 15.12.2005.
52 ABlEU L 7 vom 10.1.2009, 1.
53 Art 76.
54 Protocol on the Law applicable to Maintenance Obligations = Protocole sur la loi appli-
cable aux obligations alimentaires; deutsche Fassung: Anhang zum Beschluss des Rates
vom 30.11.2009, ABlEU L 331 vom 16.12.2009, 19.
55 ABlEU L 331 vom 16.12.2009, 17. Während sich Irland an diesem Vereinheitlichungs-
projekt beteiligt, haben sich ihm Dänemark und das Vereinigte Königreich verweigert.
24
Weitere Vorhaben der EU auf dem Gebiet des Internationalen Privatrechts §3
Während das das Güterrecht betreffende Projekt über das von der Kom-
mission am 17.7.2006 vorgelegte Grünbuch56 kaum hinaus gekommen ist,
hat die Kommission dem „Grünbuch Erb- und Testamentsrecht“57 am
14.10.2009 den „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parla-
ments und des Rates über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die
Anerkennung und die Vollstreckung von Entscheidungen und öffentlichen
Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nach-
lasszeugnisses“58 folgen lassen. Gegenwärtig59 ist es noch ungewiss, ob,
wann und mit welchem Inhalt diese Verordnungen in Geltung treten wer-
den.
25
§ 4. Das österreichische IPR-Gesetz: Entstehung
und Stellung im System
A. Das IPR des ABGB
4/1 In seiner ursprünglichen Fassung wies das ABGB nur eine rudimentäre
Regelung des Internationalen Privatrechts auf, die auf dem Boden der Sta-
tutentheorie stand. § 34 aF ABGB unterstellte das Personalstatut von
Fremden dem Wohnsitzprinzip, hilfsweise entschied der Geburtsort.
Allerdings bestimmte § 4 aF ABGB, dass für Österreicher der Staatsbür-
gerschaftsgrundsatz gilt und diese (einseitige) Anknüpfung wurde auf Aus-
länder übertragen. Nur unbewegliche Sachen waren nach dem Gesetzes-
wortlaut der lex rei sitae unterworfen, während gemäß § 300 aF ABGB für
bewegliche Sachen der Grundsatz „mobilia ossibus inhaerent“ galt1. Für
Rechtsgeschäfte galt grundsätzlich das Recht des Abschlussortes, doch
hatte das Recht des Wohnsitzstaates des ausländischen Vertragspartners
Vorrang, wenn nach diesem die Gültigkeit des Vertrages gewahrt blieb.
Nur ansatzweise war der Vorrang des allenfalls von den Parteien vereinbar-
ten Rechts anerkannt2. Regeln zum internationalen Familien- und Erbrecht
wies das ABGB in seiner Urfassung nicht auf. Das internationale Familien-
recht war in einigen Hofdekreten geregelt, dem internationalen Erbrecht
wurden sodann im Außerstreitpatent 1854 die §§ 21–25 gewidmet.
B. Reformbemühungen
1 Dieser Satz wurde später per consuetudinem contra legem modifiziert, indem die Gerichte
auch bewegliche Sachen der lex rei sitae unterwarfen.
2 Vgl §§ 35 ff aF ABGB.
26
Die Gliederung des IPR-Gesetzes §4
Das IPRG steht in seinem Aufbau als ein „Rechtsanwendungsrecht“, das 4/3
funktional als „ein Recht über Rechten“ anzusehen ist, der konventionel-
len Gliederung des österreichischen materiellen Privatrechts nahe, wobei
es die obsolete Ordnung des ABGB beiseite lässt und im Wesentlichen der
von der Lehre im Anschluss an das Pandektensystem anerkannten Struktu-
rierung folgt. Dies ist naheliegend, da es ja die Tatbestände des österreichi-
schen Sachrechts sind, die den Hintergrund bilden, vor dem sich auch die
Subsumtion der Sachverhalte mit Auslandsberührung vollziehen muss.
Das IPRG war von Beginn an in acht Abschnitte gegliedert und beginnt
mit einem nur elf Paragrafen umfassenden Abschnitt, der mit „Allgemeine
Bestimmungen“ überschrieben ist. Dieser stellt sich nur bedingt als ein all-
gemeiner Teil des österreichischen IPRG im pandektistischen Sinn dar, da
es nicht die, in einem solchen „vor die Klammer gezogenen Themen“ –
Person, Sache, Rechtsgeschäft, Zeitfaktor – sind, die in den Bestimmungen
3 Gustav Walker; von ihm stammt auch das führende Lehrbuch des IPR der Zwischen-
kriegszeit, das eine erstaunliche Zahl von Auflagen erlebte (1. Auflage: 1921, 5. Auflage:
1934).
4 Der Walker’sche Entwurf beeinflusste immerhin das IPR-Gesetz Polens vom 2.8.1926
und jenes der ehemaligen Tschechoslowakei vom 11.3.1948.
5 Diese wurden im Einführungsgesetz zum BGB (EGBGB) festgeschrieben.
6 Mit erläuternden Bemerkungen veröffentlicht in ZfRV 1971, 161.
7 748 BlgNR 14. GP.
8 BGBl 1978/304, in Kraft seit 1.1.1979.
27
§4 Das österreichische IPR-Gesetz: Entstehung und Stellung im System
dieses ersten Abschnitts geregelt werden. Vielmehr finden sich in ihm ne-
ben Vorschriften über Grundsätze und Grundbegriffe des österreichischen
Internationalen Privatrechts, wie „stärkste Beziehung“9, Amtswegigkeit
der Prüfung und Feststellung des maßgeblichen Rechts10, „Rück- und Wei-
terverweisung“11, „ordre public“ (Vorbehaltsklausel)12, „Statutenwech-
sel“13 und einer allgemeinen Regel über die Anknüpfung der Form14 auch
Regeln über das Personalstatut natürlicher und juristischer Personen15 und
die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Rechtswahl16. Diese Bestimmungen
können für jeden Sachverhalt mit Auslandsberührung Bedeutung erlangen.
Den „allgemeinen Bestimmungen“ folgt ein kurzer Abschnitt über das
Personenrecht17, in dem die Anknüpfung der Rechts- und Handlungsfä-
higkeit, der Führung und des Schutzes des Namens, der Todeserklärung
und Beweisführung des Todes, sowie der Voraussetzungen, Wirkungen
und Aufhebung der „Sachwalterschaft“18 geregelt ist. Daran schließt sich
der längere, nunmehr in vier mit A. bis D. bezeichnete Kapitel gegliederte
„Abschnitt 3“ über Familienrecht19, in dem zunächst das Internationale
Eherecht, sodann das mit Wirkung vom 1.7.2001 in einigen Punkten no-
vellierte20 Internationale Kindschaftsrecht und unter der obsoleten Über-
schrift „C. Vormundschafts- und Pflegschaftsrecht“ eine Bestimmung zur
Anknüpfung von kollisionsrechtlichen Fragen, die sich im Zusammenhang
mit der „Obsorge einer anderen Person“21 ergeben, enthalten waren. Seit
1.1.2010 stehen die §§ 27a bis 27d, die unter die Überschrift „D. Partner-
schaftsrecht“ gestellt sind und die kollisionsrechtlichen Fragen von einge-
tragenen Partnerschaften mit Auslandsberührung regeln, in Geltung.
Kurz gehalten sind im IPRG die Abschnitte 4 bis 6, die das Erbrecht,
das Sachenrecht und das Immaterialgüterrecht betreffen22. Von dem das
9 § 1 IPRG.
10 §§ 2–4 IPRG.
11 § 5 IPRG.
12 § 6 IPRG.
13 § 7 IPRG.
14 § 8 IPRG.
15 §§ 9 und 10 IPRG.
16 § 11 IPRG.
17 §§ 12–15 IPRG.
18 Das IPRG verwendet in § 15 noch den obsoleten Terminus „Entmündigung“. Auch
durch die umfassende Neuregelung des Sachwalterrechts durch das SWRÄG, BGBl I
2006/92, hat sich hieran nichts geändert.
19 §§ 16–27 IPRG.
20 Durch BGBl I 2000/135 wurde § 21 IPRG novelliert und § 22 IPRG gestrichen.
21 Vgl die Überschrift des 4. Hauptstücks des ersten Teiles des ABGB idF BGBl I 2000/135.
22 Es müssen jeweils drei Paragraphen für das Erbrecht (§§ 28–30), vier für das Sachenrecht
(§§ 31–33a) und einer für das Immaterialgüterrecht (§ 34) ausreichen.
28
Das IPR-Gesetz im kollisionsrechtlichen System §4
23 Vgl Bundesgesetz mit dem das IPR-Gesetz, das Versicherungsaufsichtsgesetz sowie das
Verkehrsopferentschädigungsgesetz geändert werden und das Bundesgesetz über inter-
nationales Versicherungsvertragsrecht für den Europäischen Wirtschaftsraum aufgeho-
ben wird, BGBl I 2009/109.
24 ZB § 28 JN: Ordination.
25 Dazu Rz 1/6, 1/7.
29
§4 Das österreichische IPR-Gesetz: Entstehung und Stellung im System
30
Das österreichische IPR unter dem Einfluss des Europarechts §4
31
§4 Das österreichische IPR-Gesetz: Entstehung und Stellung im System
der Lebensversicherung). . ., ABlEG L 330 vom 29.11.1990, 44, insb Art 4. Vgl nunmehr
Art 7 Rom I-VO, der die komplizierte Regelung des internationalen Versicherungsrechts
weitgehend ersetzt. Konsequenterweise ist das Bundesgesetz über internationales Versi-
cherungsvertragsrecht für den Europäischen Wirtschaftsraum durch Art 4 des Bundes-
gesetzes, BGBl I 2009/109mit Ablauf des 16.12.2009 aufgehoben worden.
33 Vgl Richtlinie 93/13/EWG des Rates über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherver-
trägen, ABlEG L 95 vom 21.4.1993, 29, Art 6; Richtlinie 94/47/EG des Europäischen
Parlaments und des Rates zum Schutz der Erwerber im Hinblick auf bestimmte Aspekte
von Verträgen über den Erwerb von Teilzeitnutzungsrechten an Immobilien, ABlEG L
280 vom 29.10.1994, 83, Art 6; Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des
Rates über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz, ABlEG L 144
vom 4.6.1997, 19, Art 12.
34 EuGH 9.11.2000, Rs C-381/98, Slg 2000 I-9305; dazu Nemeth/Rudisch, EuGH
9.11.2000 Rs C-381/98 „Ingmar“ – wichtige Klärungen im europäischen IPR, ZfRV
2001, 179.
35 Konkret ging es um den zwingenden Charakter der Art 17 f der Richtlinie 86/653/EWG
des Rates zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die
selbständigen Handelsvertreter, ABlEG L 382 vom 31.12.1986, 17, im Verhältnis zu
einem Drittland.
36 Die Verordnungen Rom I und II haben Änderungen des IPRG, des Versicherungsauf-
sichtsgesetzes sowie des Verkehrsopferentschädigungsgesetzes und die Aufhebung des
Bundesgesetzes über das internationale Versicherungsvertragsrecht für den Europä-
ischen Wirtschaftsrecht notwendig gemacht, die in BGBl I 2009/109 festgeschrieben
wurden.
37 Das Verhältnis der Kollisionsnormen in den Richtlinien zum Versicherungs- und Ver-
braucherrecht zu den Bestimmungen der Rom I-VO ist nicht gänzlich klar. Nach ihrem
Art 23 berührt die Verordnung „mit Ausnahme von Art 7“, der die Versicherungsver-
träge betrifft, „nicht die Anwendung von Vorschriften des Gemeinschaftsrechts, die in
besonderen Bereichen Kollisionsnormen für vertragliche Schuldverhältnisse enthalten“.
32
§ 5. Weiterführende Literatur und Zeitschriften
I. Zum österreichischen und europäischen IPR
33
§5 Weiterführende Literatur und Zeitschriften
5/4 Eiden, Die Rechtsangleichung gemäß Art 100 des EWG-Vertrages (1984)
Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft
(1999)
Kropholler, Internationales Einheitsrecht – Allgemeine Lehren (1975)
Max-Planck-Institut für Ausländisches und Internationales Privatrecht
(Hrsg), RabelsZ 1986, Heft 1/2
Marx, Funktion und Grenzen der Rechtsangleichung nach Art 100 EWG-
Vertrag (1976)
Müller-Graff (Hrsg), Gemeinsames Privatrecht in der Europäischen Ge-
meinschaft2 (1999)
Müller-Graff, Privatrecht und Europäisches Gemeinschaftsrecht: Gemein-
schaftsprivatrecht2 (1991)
Riedl, Vereinheitlichung des Privatrechts in Europa (2004)
34
Zeitschriften §5
V. Textausgaben
VI. Zeitschriften
35
§ 6. Die kollisionsrechtliche Beurteilung
A. Der Vorgang im Allgemeinen
6/1 Jeder Sachverhalt, der Bezüge zu mehr als einem Staat aufweist, muss einer
umfassenden kollisionsrechtlichen Prüfung unterzogen werden. Dabei
muss, wie erwähnt1, zunächst und noch vor der Frage, welches Recht an-
wendbar ist, geklärt werden, ob überhaupt internationale Zuständigkeit
gegeben ist. Anschließend ist der zu entscheidende rechtliche Sachverhalt
mit Auslandsberührung nach den Regeln des Internationalen Privatrechts
des Forumstaates mit dem Ziel zu prüfen, das maßgebende materielle
Recht oder „Sachrecht“ zu eruieren bzw festzustellen, an welches von
mehreren in Frage kommenden materiellen Rechten der Sachverhalt „an-
zuknüpfen“ ist. Unter dem Begriff „materielles Recht“ wird dabei das ge-
samte Privatrecht verstanden, das in Österreich in den Vorschriften des
ABGB, UGB und den zahlreichen privatrechtlichen Nebengesetzen nie-
dergelegt ist. Es sind die Regeln des Sachrechts, die Antworten darauf bie-
ten, wie strittige Rechtsfragen inhaltlich zu lösen sind.
6/2 Bei der Prüfung des anwendbaren Rechts hat das in Österreich interna-
tional zuständige Gericht die Frage des auf den Sachverhalt anzuwenden-
den Rechts auf der Grundlage der Regeln des österreichischen Internatio-
nalen Privatrechts zu klären, das heißt, primär nach dem Gesetz über das
Internationale Privatrecht (IPRG) vom 15.6.19782. Wo die Frage des an-
wendbaren Rechts den Gegenstand eines von Österreich ratifizierten,
internationalen Abkommens bildet, hat dieses nach § 53 IPRG Vorrang ge-
genüber dem IPRG. Gänzlich verdrängt wurden die Bestimmungen des
IPRG jedoch durch gemeinschaftsrechtliche Verordnungen, die zunächst
einmal das Internationale Schuldrecht – leider nicht lückenlos – europaweit
vereinheitlichen und in den Mitgliedstaaten unmittelbar anwendbaren Re-
geln unterworfen haben.
1 Vgl Rz 1/4.
2 Zuletzt geändert durch BGBl I 2009/135.
36
Die Kollisionsnorm: Besonderheiten und Arten §6
Somit ergibt sich bei der Entscheidungsfindung durch ein österreichisches 6/3
Gericht bei privatrechtlichen Sachverhalten mit Auslandsberührung fol-
gender Ablauf: Das angerufene Gericht hat, nachdem es die Frage, ob es
für den gegenständlichen Fall überhaupt international zuständig ist, bejaht
und auch die Unanwendbarkeit von vereinheitlichtem Sachrecht festge-
stellt hat, zu prüfen, welches Recht auf den betreffenden Sachverhalt anzu-
wenden ist. Diese Prüfung muss auf der Grundlage des IPRG erfolgen, so-
weit dieses noch anwendbar ist. Für die Anknüpfung außervertraglicher
Schuldverhältnisse, die nach dem 11.1.2009 entstanden sind bzw entste-
hen, ist grundsätzlich die Rom II-Verordnung und für vertragliche Schuld-
verhältnisse, die am 17.12.2009 und danach begründet wurden bzw wer-
den, die Rom I-Verordnung heranzuziehen, doch sind die durch BGBl I
2009/109 in das IPRG eingeführten „Auffangtatbestände“ für vertragliche
und außervertragliche Schuldverhältnisse, die nicht in den jeweiligen An-
wendungsbereich dieser Verordnungen fallen, zu beachten3. Allenfalls
können auch noch andere autonome Kollisionsnormen (wie zB § 13a
KSchG, § 11 TNG, §§ 20 ff ECG usw) sowie die von Österreich ratifizier-
ten Haager und CIEC-Übereinkommen international-privatrechtlichen
Inhalts relevant sein. Wegen der spezifischen Funktion und des eigentüm-
lichen Aufbaus von Kollisionsnormen müssen bei diesem Vorgang beson-
dere Aspekte beachtet werden.
Das IPR im engeren Sinn besteht aus Kollisionsnormen4, deren Funktion 6/4
es ist, aus mehreren von einem Sachverhalt „berührten“ Rechtsordnungen
das in concreto anzuwendende Sachrecht zu ermitteln. Die Struktur dieser
Normen unterscheidet sich wesentlich von den „Sachnormen“ des materi-
ellen Privatrechts, für welche die Verknüpfung von Tatbestand und Rechts-
folge charakteristisch ist und bei denen der als „Subsumtion“ bezeichnete
Vorgang die Verbindung von konkretem Sachverhalt und abstrakter
Norm herstellt, was zur Lösung der Rechtsfrage führt. Hingegen wird die
Antwort auf die Frage, was in einem Streitfall rechtens ist, von der Kolli-
sionsnorm nicht gegeben. Sie beantwortet nur, nach welchem Recht ein
Sachverhalt zu beurteilen ist. Dabei ergibt die Kombination von Verwei-
37
§6 Die kollisionsrechtliche Beurteilung
5 Vgl § 9 IPRG.
6 Hier wird stets „das Recht des Staates“, das durch den Anknüpfungsmoment als maßge-
bend bestimmt wird, angesprochen.
7 Vgl § 28 IPRG.
8 Etwa weil die konkrete Norm des an sich berufenen Rechts nicht ermittelt werden kann
(§ 4 Abs 2 IPRG) oder gegen die inländische „öffentliche Ordnung“ verstößt (§ 6 IPRG).
9 Vgl § 16 Abs 1 IPRG: Eheschließungsform im Inland.
38
Rechtliche Einordnung (Qualifikation) §6
In den allgemeinen Bestimmungen des ersten Abschnitts des IPRG fehlt es 6/7
an einer Anordnung, wie mit dem Problem der „Qualifikation“, das in der
Kollisionsrechtswissenschaft als eines der schwierigsten Probleme gilt, um-
zugehen sei. Unter diesem Begriff versteht man die rechtliche Ein-
ordnung konkreter Sachverhalte mit Auslandsberührung oder von Teilen
solcher Sachverhalte in die zwangsläufig weit gefassten und häufig un-
scharfen Kategorien der Verweisungsbegriffe der kollisionsrechtlichen Tat-
bestände13. Es geht um die Klassifizierung14 eines Sachverhalts nach der
Systematik eines vorgegebenen Rechtssystems mit dem Ziel, den auf den
konkreten Sachverhalt passenden Tatbestand und damit die maßgebliche
Kollisionsnorm aufzufinden.
Hierbei können sich in der Praxis schwierige Fragen ergeben, zB:
· Ist ein Anspruch auf Schadenersatz wegen Verlöbnisbruches kollisions-
rechtlich nach den Vorschriften des internationalen Familienrechts oder
nach schadenersatzrechtlichen Verweisungsnormen zu beurteilen?
39
§6 Die kollisionsrechtliche Beurteilung
40
Rechtliche Einordnung (Qualifikation) §6
für den Rechtsanwender sehr hilfreich sein kann, wenn ihm das IPR mit
Legaldefinitionen zur Hand geht. Eine nationale Kodifikation des Kol-
lisionsrechts wird dabei die Terminologie und auch die Systematik ihres
jeweiligen Sachrechts voraussetzen können und auf diese abstellen. Kolli-
sionsnormen in Staatsverträgen können dies naturgemäß nicht. Qualifika-
tionsfragen, die sich im Zusammenhang mit staatsvertraglichen Kollisions-
normen stellen, sind daher staatsvertragsautonom nach Wortlaut, Zweck
und Entstehungsgeschichte des betreffenden Vertragswerkes zu lösen.
Diese Aufgabe wird allenthalben dadurch erleichtert, dass in kolli-
sionsrechtlichen Staatsverträgen nicht selten Präzisierungen von Verwei-
sungsbegriffen aufgenommen werden18. Analoges gilt von den Verwei-
sungsbegriffen in den europäischen Verordnungen zum Internationalen
Schuldrecht.
Auf der Suche nach der richtigen Methode der Qualifikation sind mehrere 6/9
Theorien entwickelt worden: So soll nach einer Theorie (Bartin) die Qualifi-
kation stets nach dem Sachrecht der lex fori erfolgen, was immer dann nicht
zielführend ist, wenn das verwiesene Sachrecht unterschiedliche Systembe-
griffe aufweist. Nach einem anderen, logisch schwer nachvollziehbaren und
Normenwidersprüche geradezu provozierenden Vorschlag (M. Wolff) sollte
die Qualifikation nach dem berufenen fremden Sachrecht vorgenommen
werden. Eine dritte, von dem bedeutenden Komparativisten Ernst Rabel
entworfene Theorie will die Qualifikation mit Hilfe der Rechtsvergleichung
nach internationalen Begriffstandards „autonom“ vornehmen.
Die in Österreich nach wie vor herrschende und im Regelfall auch noch
immer brauchbare Arbeitshypothese stammt von den Vertretern der soge-
nannten „(Zwei-) Stufenqualifikation“ (Anzilotti, Schnitzer, Scheucher).
Sie gehen von einer Qualifikation ersten und zweiten Grades19 aus: Da jede
kollisionsrechtliche Beurteilung vom IPR des jeweiligen Gerichtsortes (der
lex fori) ihren Ausgang nehmen müsse, gelte es, den konkreten Sachverhalt
zunächst nach den Systembegriffen dieser Rechtsordnung zu klassifizieren
und einzuordnen20. Anhand dieser Einordnung (= Qualifikation ersten
Grades) finde man die konkret anzuwendende IPR-Vorschrift des Ge-
richtsortes, wobei hier genauso wie bei der Auslegung des eigenen Sach-
rechtes nicht schematisch vorgegangen werden dürfe, sondern stets nach
den Regelungszwecken der betreffenden (Kollisions-)Norm zu fragen sei21.
41
§6 Die kollisionsrechtliche Beurteilung
Wenn als Folge der „Qualifikation ersten Grades“ das eigene Sachrecht
für maßgeblich erklärt wird, gibt es keine weiteren Qualifikationspro-
bleme. Verweist die Kollisionsnorm der lex fori aber, wie das § 5 IPRG
grundsätzlich vorsieht, im Wege der Gesamtverweisung auf das IPR einer
fremden Rechtsordnung, tritt die Qualifikation nach der lex fori zurück
und der „quasi von der Sonne beider Rechtsordnungen angestrahlte“
(Mänhardt) Sachverhalt oder Sachverhaltsteil, der von der Verweisung er-
fasst war, muss nach der verwiesenen Rechtsordnung ganz neu – zB güter-
rechtlich statt erbrechtlich – eingeordnet werden, wobei bei dieser „Quali-
fikation zweiten Grades“ auf den Normzweck der jeweils konkret
tangierten Kollisionsnormen Bedacht genommen werden muss. Das dürfte
wohl auch der österreichische Gesetzgeber im Auge gehabt haben, als er in
§ 3 IPRG anordnete, dass, wenn fremdes Recht maßgebend sei, es „wie in
seinem ursprünglichen Geltungsbereich“ angewendet werden müsse.
6/10 Unter Zugrundelegung einer streng funktionellen Betrachtungsweise fin-
det man so die nach der berufenen fremden Rechtsordnung maßgebende
Kollisionsnorm und erst die, der anzuwendenden Kollisionsnorm zu ent-
nehmende Verweisung auf ein bestimmtes materielles Recht leitet zu der
passenden Sachnorm und macht die endgültige Lösung des internationalen
Privatrechtsfalles möglich. Bei der Suche nach der letztlich anzuwenden-
den Sachnorm ist, worauf Schwimann ursprünglich mit dem Begriff der
„Zwei-Rahmen-Methode“22 hingewiesen hat, wiederum eine streng funk-
tionelle Betrachtungsweise zu verfolgen. Diese ermöglicht, von Funktion
und Normzweck der am Anfang des Anknüpfungsprozesses stehenden
Kollisionsnorm des Forumrechts ausgehend, eine sachgerechte Einengung
der Palette der in Frage kommenden Sachnormen des verwiesenen Rechts.
Dass der gesamte Qualifikationsprozess in den mitunter überaus kom-
plizierten IPR-Fällen nicht immer nur nach Denkmodellen ablaufen kann,
liegt auf der Hand. Es kann denn auch keine voll befriedigende, allgemein
gültige Lösung des Qualifikationsproblems geben, da zum einen die im
IPR verwendeten Systembegriffe allzu oft zu weit und die an die Gerichte
herangetragenen Fälle oftmals komplex und ihre internationalen Bezüge
verzweigt sind. Im Einzelfall muss es jedoch letztlich stets darum gehen, in
funktioneller Betrachtungsweise unter „Gesamtbewertung aller maßgebli-
chen Interessen“ (Schwimann) die Regelungszwecke des verweisenden wie
42
Vorfrage und verwandte Fragen §6
des verwiesenen Rechts offen zu legen und miteinander so weit wie mög-
lich in Einklang zu bringen23.
Im Übrigen bereitet die Auslegung der Anknüpfungskriterien, welche in 6/11
den Verweisungsnormen – gleichsam als Sprungbrett zur jeweiligen
Rechtsordnung – die kollisionsrechtliche Rechtsanwendung vermitteln,
weniger Schwierigkeiten als die „Qualifikation“ der Verweisungsbegriffe.
Diese betreffen zum Teil Tatsachen, wie „Ort der belegenen Sache“,
„Schadenszufügungsort“, „Ort des gewöhnlichen Aufenthaltes“ usw. Die
hier verwendeten Begriffe sind in der Regel nach der Rechtsordnung aus-
zulegen, die sie einsetzt. Die Anknüpfung an das maßgebende fremde
Recht muss aber mitunter von Rechtsbegriffen, wie „Staatsangehörig-
keit“, „Wohnsitz“ bzw „domicil(e)“ abhängig gemacht werden. Gerade an-
hand von „domicil(e)“ kann illustriert werden, dass manche einschlägigen
Rechtsbegriffe von den verschiedenen Rechtsordnungen auch verschieden
aufgefasst werden. Hier entscheidet die Rechtsordnung, „um die es geht“,
das heißt, jene, in der sich der Anknüpfungsgrund verwirklicht24. So wird
etwa die Frage, „ob der Erblasser an einem bestimmten Ort einen Wohn-
sitz gehabt hat,. . . durch das an diesem Ort geltende Recht geregelt“25.
23 Vgl sehr anschaulich OGH ZfRV 1987, 280 (Zemen) = EvBl 1987/95 = IPRax 1988, 37
(Schwind, 45): Kalifornische Erblasserin, community property in der Form einer „joint
tenancy“, Liegenschaft in Österreich, Frage des Pflichtteilsanspruchs des Witwers, An-
rechnung des erhaltenen community property. Anschaulich zum Gesamtkomplex „Qua-
lifikation“, insb Schwimann, IPR verstehen: Das „Qualifikationsproblem“, JAP 1993/
1994, 8.
24 Vgl OGH SZ 60/228 = JBl 1988, 519: Nur die von dieser Rechtsordnung getroffenen
konstitutiven Staatsbürgerschaftsentscheidungen sind bindend.
25 Vgl Art 1 Abs 3 Haager Testamentsübereinkommen, BGBl 1963/295.
43
§6 Die kollisionsrechtliche Beurteilung
44
Amtswegigkeit §6
E. Amtswegigkeit
Die Ermittlung des maßgebenden Rechts und seine Anwendung auf einen 6/14
Sachverhalt mit Auslandsberührung hat von Amts wegen zu erfolgen. Das
IPR ist eben nicht „fakultatives Kollisionsrecht“. Aus §§ 2 bis 4 IPRG er-
gibt sich iVm § 271 ZPO die Amtswegigkeit der gesamten kollisionsrecht-
lichen Beurteilung. Bei Missachtung der kollisionsrechtlichen Fragestel-
lung ist im Rechtsmittelverfahren eine Rechtsrüge erforderlich.
Hat der Richter nach inländischem IPR ausländisches Recht anzuwen-
den, sei es Kollisionsrecht oder Sachrecht, wird es vom inländischen An-
wendungsbefehl zur Gänze mit umfasst. Der Richter muss das fremde
Recht ermitteln und anwenden29, selbst wenn die Parteien die Maßgeblich-
keit fremden Rechts ignorieren30 oder sich – in den, der Rechtswahl nicht
zugänglichen Bereichen – dagegen wehren sollten31. Über das Zumutbare
kann man freilich nicht hinausgehen. Der Richter kann, soweit ihm die Er-
mittlung im eigenen Wirkungsbereich nicht möglich ist, beim Bundesminis-
terium für Justiz Auskunft einholen, wobei er die zu ermittelnde Rechts-
norm bzw die zu lösende Rechtsfrage eindeutig bezeichnen muss32. Der
Richter kann zur Ermittlung auch die Parteien heranziehen, ohne jedoch
durch sie gebunden zu sein33. Schließlich kann sich der Richter als zulässiges
Hilfsmittel zur Ermittlung fremden Rechts auch eines Sachverständigen-
gutachtens bedienen34. Nur wenn trotz eingehender Bemühung das fremde
Recht nicht ermittelt werden kann, ist gemäß § 4 Abs 2 IPRG als ultima ra-
tio auf das österreichische Sachrecht zu rekurrieren.
Wer ausländisches Recht anwenden soll, muss es kennen. Das inländische 6/15
Recht zu kennen, ist der Richter verpflichtet. Es gilt der Grundsatz „iura
novit curia“. Doch kann dies auch für das ausländische Recht gelten, in
dem der Richter nicht ausgebildet worden ist, über dessen Kenntnis er nie
einen Nachweis liefern musste? Handelt es sich bei den anzuwendenden
ausländischen Rechtsvorschriften um Recht, mit der Konsequenz, dass
45
§6 Die kollisionsrechtliche Beurteilung
der Richter dessen Inhalt zu ermitteln hat? Oder ist das ausländische Recht
nur Tatsache, bloßes Faktum, das von den Parteien nachzuweisen wäre?
Kann der Richter gegebenenfalls im Einvernehmen mit den Parteien einen
bestehenden Auslandsbezug ignorieren und einen internationalen Sachver-
halt wie einen rein inländischen behandeln und ihn dann auch nach dem
Recht beurteilen, mit dem er vertraut ist, also den sachrechtlichen Normen
der lex fori?
Unrichtige Anwendung inländischen Rechts bildet den Revisionsgrund
der unrichtigen rechtlichen Beurteilung35. Wie aber ist es zu beurteilen,
wenn der Richter nicht das maßgebende ausländische Recht, sondern das
ihm vertraute „Heimatrecht“ anwendet? Diesbezüglich gilt, dass auch die
unrichtige Anwendung inländischer Kollisionsnormen – zB wenn der
Richter aufgrund dieser Normen ausländisches Recht anwenden hätte sol-
len und inländisches angewendet hat oder umgekehrt – „unrichtige recht-
liche Beurteilung“ iSd § 503 Z 4 ZPO ist. Dies schließt gemäß § 2 IPRG
auch die amtswegige Ermittlung der „für die Anknüpfung an eine be-
stimmte Rechtsordnung maßgebenden tatsächlichen und rechtlichen Vor-
aussetzungen“, somit der Anknüpfungsmomente wie Staatsangehörigkeit,
Lageort oder Ort der schädigenden Handlung ein. In der Praxis kommt es
allerdings nach wie vor nicht selten vor, dass die kollisionsrechtliche
Rechtsanwendungsfrage überhaupt übersehen wird36.
6/16 Irrt der Richter nicht im „Ob“ – er wendet zB zutreffend das durch sein
IPR berufene ausländische Recht an –, sondern im „Wie“ – er wendet das
fremde Recht falsch an –, liegt auch darin eine „unrichtige rechtliche Beur-
teilung“: Gemäß § 3 IPRG ist ausländisches Recht in der gleichen Weise
anzuwenden, wie es „in seinem ursprünglichen Geltungsbereich“ ange-
wendet werden würde. Das bedeutet ua auch, dass die geltenden ausländi-
schen Normen so auszulegen sind, wie es der herrschenden ausländischen
Rechtsprechung – unter subsidiärer Heranziehung der gängigen Lehre –
entspricht37. Dabei wird man allfällige Änderungen „zwingender“ fremder
Rechtsvorschriften wohl selbst im Rechtsmittelverfahren noch zu berück-
sichtigen haben.
35 § 503 Z 4 ZPO.
36 Vgl zB OGH JBl 1990, 173 = EvBl 1990/43; JBl 1990, 792: Konkurrenz zwischen Ge-
währleistung und Schadenersatz beim Kaufvertrag – Schuldstatut, schweizerisches oder
österreichisches Recht maßgeblich?
37 Vgl OGH EvBl 1985/172; ZfRV 1987, 68; ferner zur Auslegung von (Wechsel-)Einheits-
recht: OGH EvBl 1980/47; vgl auch OGH ZVR 1992/13. Fehlen klare Vorgaben durch
eine ständige Anwendungspraxis oder eine herrschende Lehre, ist nach den im ursprüng-
lichen Geltungsbereich der anzuwendenden Normen gültigen Auslegungsregeln und all-
gemeinen Rechtsgrundsätzen auszulegen: OGH EvBl 1997/107; ZVR 1992/83.
46
§ 7. Verweisung und Anknüpfung
A. Die Alternative: Gesamtverweisung oder
Sachnormverweisung
Sachnormverweisung – Gesamtverweisung
47
§7 Verweisung und Anknüpfung
1 BGBl I 2003/112 hat die Bestimmungen über die internationale Zuständigkeit in Nach-
lasssachen in §§ 22 ff AußStrG 1854 durch § 106 JN ersetzt, der auf Verlassenschaftsver-
fahren anzuwenden ist, die nach dem 31.12.2004 erstmals bei Gericht oder beim Gerichts-
kommissär anhängig gemacht wurden.
2 Australien („Commonwealth of Australia“) besteht aus sechs Gliedstaaten, die jeweils
über eine eigenständige Privatrechtsordnung verfügen.
3 Vgl § 3 IPRG.
48
Rück- und Weiterverweisung §7
4 Mitunter muss auch das fragwürdige Argument herhalten, dass sich der Richter noch eher
mit ausländischem materiellen Recht vertraut machen kann, als zusätzlich mit ausländi-
schen – mitunter sehr lückenhaft normierten – Kollisionsnormen.
5 Da es in diesem Fall die Verweisung annimmt, spricht man von „Verweisungsannahme“;
vgl OGH ZfRV 1998, 79/21.
6 Im Beispielsfall des australischen Erblassers träte dies ein, wenn das relevante australische
Teilstaaten-IPR für die Lösung des Erbrechtsfalles ebenfalls das Heimatrecht des Erblas-
sers berufen würde.
7 Der 1801 unehelich in Bayern von einer bayrischen Mutter geborene F. X. Forgo war in
früher Kindheit mit der Mutter nach Frankreich ausgewandert, dort durch Heirat reich
geworden und 1869 nach seiner französischen Frau kinderlos und, ohne über sein Vermö-
gen letztwillig verfügt zu haben, verstorben. Um seinen beweglichen Nachlass stritten
sich der französische Fiskus und bayrische Seitenverwandte der Mutter, die nach Teil III
Kap 12 § 4 des Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis erbberechtigt waren, denen aber
nach Art 766 Code civil kein gesetzliches Erbrecht zukam. Die Cour de Cassation, die
sich mit diesem Fall mehrfach auseinander setzen musste, erklärte wegen der bayrischen
Staatsangehörigkeit und der fehlenden Zuzugsberechtigung Forgos, die für die Begrün-
dung seines Wohnsitzes in Frankreich erforderlich gewesen wäre, das bayrische Recht für
anwendbar. Da dessen Kollisionsnormen aber auf das Recht am Wohnsitz des Erblassers
abstellten, kam es zur Rückverweisung auf das französische Recht. Letztlich konnte sich
also der französische Fiskus freuen; näher dazu Kegel/Schurig, Internationales Privat-
recht9 (2004) 389 f.
8 Ausnahmen ergeben sich nach dem IPRG interpretativ aus dem Normzweck. Als Faust-
regel kann immer dann, wenn in einer Verweisungsnorm des IPRG von „Recht“ die Rede
ist, eine Gesamtverweisung angenommen werden.
49
§7 Verweisung und Anknüpfung
men wird“9, bzw „des Ortes der Eheschließung“10, bei Anknüpfung von
„abhängigen Rechtsgeschäften“11 oder bei der Bestimmung des Bereiche-
rungsstatuts12. Diese Ausnahmen waren jedoch insofern seit jeher unzurei-
chend, als die Gesamtverweisung für viele dem Schuldrecht zuzurechnende
Sachverhalte mit Auslandsberührung wenig Sinn macht. Mit der Aufhe-
bung des § 45 IPRG13 verschwand zeitgleich mit dem Inkrafttreten des
EVÜ in Österreich14 die für die „abhängigen Rechtsgeschäfte“ vorgese-
hene Ausnahme.
Verweist das von einer Kollisionsnorm des österreichischen IPRG als
maßgebend bezeichnete ausländische Kollisionsrecht auf das erstverwei-
sende österreichische Recht zurück – weil zB nicht das Recht der Staatsan-
gehörigkeit sondern das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts angewendet
werden soll –, entstünde bei Weiterbefolgung des Gesamtverweisungs-
grundsatzes das „logische Spiegelkabinett“ oder „Verweisungs-Ping-
Pong“ zwischen zwei Kollisionsrechten. Um diesem ein Ende zu bereiten,
muss das „Zurückschlagen des Balles durch einen der Spieler“ unterbun-
den werden. Das geschieht durch die Anordnung des § 5 Abs 2 IPRG, wo-
nach bei Rückverweisung (renvoi) durch die fremde Rechtsordnung die
österreichischen Sachnormen15 endgültig anzuwenden sind16.
Es kann dazu kommen, dass das erstverwiesene Recht auf das Recht
eines dritten Staates weiter verweist17. Hier hängt es wiederum vom Kol-
lisionsrecht dieses „zweitverwiesenen“ Staates ab, ob die Verweisung
angenommen wird, auf eines der beiden vorangegangenen Rechte zurück-
verwiesen oder auf das Recht eines vierten Staates (wiederum) weiterver-
wiesen wird. In Fällen solcher Verweisungsketten ist auf den Sachverhalt
letztlich immer jenes materielle Recht endgültig anzuwenden, das durch
die erste Sachnormverweisung oder die erste (Rück-)Verweisung, die ja ge-
mäß § 5 Abs 2, 2. Halbsatz IPRG als Sachnormverweisung ausgewiesen ist,
bezeichnet wird.
9 § 8 IPRG.
10 § 16 Abs 2 IPRG.
11 § 45 aF IPRG.
12 § 46 Satz 2 aF IPRG; seit 11.1.2009: Art 10 Rom II-VO.
13 Durch BGBl I 1998/119.
14 Am 1.12.1998, vgl BGBl III 1998/166.
15 Diese werden im Text des § 5 Abs 2 IPRG durch einen Klammerausdruck lehrbuchmä-
ßig definiert als „Rechtsnormen mit Ausnahme der Verweisungsnormen“.
16 Vgl auch Art 4 EGBGB, Art 14 schweizIPRG.
17 Im Beispielsfall des australischen Erblassers könnte dies theoretisch der Fall sein, wenn
sich das „domicil(e)“ des Erblassers tatsächlich nicht in Österreich, sondern in einem
dritten Staat verwirklicht hätte.
50
Gliedstaatenverweisung §7
C. Sachnormverweisung
Die Sachnormverweisung ist die Verweisung, die unmittelbar in das inner- 7/4
staatliche Recht (loi interne, domestic law) durchschlägt. Im IPRG bildet
sie die Ausnahme, die dadurch angezeigt wird, dass die Kollisionsnorm
entweder, wie § 5 Abs 2, ausdrücklich die Sachnormen der verwiesenen
Rechtsordnung als maßgebend bezeichnet18 oder, wie § 11 IPRG, die Be-
zugnahme auf eine Rechtsordnung unter Ausschluss der Verweisungsnor-
men ausspricht. Auch bei jenen Normen des Internationalen Privatrechts,
die Formfragen betreffen wie §§ 8 und 16 IPRG liegt eine „Sachnormver-
weisung“ vor, weil Formvorschriften ihrer Natur nach Sachnormen sind.
Während also das IPRG der Gesamtverweisung eine sehr weite Anwen-
dung sichert, sind die Verweisungen in kollisionsrechtlichen Staatsver-
trägen zumeist Sachnormverweisungen. Bei den Haager IPR-Überein-
kommen ergibt sich dieser Schluss daraus, dass als anwendbares Recht
stets „innerstaatliches Recht“ angesprochen wird19. Für das EVÜ stellte
Art 15 ausdrücklich klar, dass unter dem nach diesem Übereinkommen an-
zuwendenden Recht eines Staates „die in diesem Staat geltenden Rechts-
normen unter Ausschluss derjenigen des internationalen Privatrechts zu
verstehen“ sind. Diese Formulierung wurde in Art 20 Rom I-VO und
Art 24 Rom II-VO übernommen. Somit gehen auch die Verordnungen
Rom I und Rom II generell von der Sachnormverweisung als Standard-
verweisung aus. Die Verweisung geht somit immer sogleich in das, als
maßgeblich bestimmte, fremde Sachrecht, die Möglichkeit einer Rückver-
weisung kann sich nicht ergeben und auch die Weiterverweisung ist im An-
wendungsbereich der Verordnungen Rom I und Rom II grundsätzlich aus-
geschlossen.
D. Gliedstaatenverweisung
In ein und demselben Staat kann – nach Gebieten oder Bevölkerungsgrup- 7/5
pen gegliedert – inhaltlich unterschiedliches Privatrecht gelten. Beispiele
für Staaten mit fehlender territorialer Rechtseinheit im Privatrecht sind das
Vereinigte Königreich, die Vereinigten Staaten von Amerika20, Australien
und Kanada, aber auch Spanien. Als Beispiele für Rechtsordnungen, die
18 Für die Rückverweisung bzw für den Weiterverweisungsfall, wenn nicht mehr weiter-
verwiesen oder auf eine Rechtsordnung in der Verweisungskette zurückverwiesen wird.
19 Vgl Art 3 Haager StVÜ.
20 In den USA sind die Regeln des „interstate“ bzw „interlocal law of conflict of laws“ vor
dem eigentlich internationalen „conflicts law“ entwickelt worden. Sie bestimmen das
51
§7 Verweisung und Anknüpfung
E. „Multiple“ Verweisungen
7/6 Eine Verweisung kann nicht immer nur ein einziges Recht als maßgebend
bezeichnen. Insbesondere bei komplizierten Sachverhalten können Ver-
weisungen in mehrere Richtungen gehen. So kann in jenen Fällen, in denen
dem Parteiwillen Bedeutung zukommt, eine Rechtswahl auch nur für einen
Teil des Sachverhalts mit Auslandsberührung getroffen werden23. Ebenso
sehen Kollisionsnormen mitunter eine Verweisung auf mehr als eine
Rechtsordnung vor. Man unterscheidet alternative, kumulative, gekop-
pelte und fakultative Anknüpfung.
7/7 Eine „alternative Anknüpfung“ wird zumeist unter dem Aspekt des
„Günstigkeits-„ oder „Favor-Prinzips“ vorgesehen. Das klassische Bei-
spiel für eine solche quasi parallel geschaltete Verweisung bildet das allge-
meine Formstatut des § 8 IPRG. Demnach ist die Form einer Rechtshand-
lung nach dem Geschäftsrecht, das ist das unter Beachtung von Rück- und
Weiterverweisung für das Ausführungsgeschäft maßgebende Statut, zu be-
urteilen, doch besteht zugunsten der Formgültigkeit die gleichrangige Al-
ternative, dass das Ortsrecht greift24. Auf die Weise wird bei unterschied-
lich strengen Formvorschriften der jeweiligen Sachrechte jenem Recht zur
Anwendung verholfen, das für die Formgültigkeit günstiger, dh weniger
„internationale Konfliktsrecht“ inhaltlich und haben in der Praxis ungleich mehr Bedeu-
tung.
21 Vgl OGH ZfRV 1997, 117/32.
22 Vgl auch Art 14 des Haager MjSchÜ; OGH SZ 61/108: Ehescheidung mit Verweisung
auf jugoslawisches Gliedstaatenrecht.
23 Vgl Art 3 Abs 1 Satz 3 Rom II-VO.
24 Die Verweisung auf die Formvorschriften des Ortsrechts im zweiten Halbsatz des § 8
IPRG ist eine Sachnormverweisung.
52
Akzessorische Anknüpfung §7
streng ist. Weitere Beispiele sind § 16 Abs 2 IPRG, Art 1 Haager TestÜ25,
Art 1 LegÜ26.
Von einer „kumulativen Anknüpfung“ spricht man dann, wenn die Beur- 7/8
teilung einer Rechtsfrage mehreren Rechtsordnungen unterliegt, wie zB
die Voraussetzungen der Annahme an Kindes statt und der Beendigung
der Wahlkindschaft gemäß § 26 Abs 1 IPRG27. Damit eng verwandt ist die
gekoppelte Anknüpfung, die für die Frage, welches Recht für die Voraus-
setzungen der Schließung, Nichtigkeit und Aufhebung einer Ehe maßge-
bend sein soll, vorgesehen ist: Gemäß § 17 Abs 1 IPRG sind diese Tatbe-
standselemente „für jeden der Verlobten nach seinem Personalstatut zu
beurteilen“28. Anders als bei der alternativen Anknüpfung setzt sich das
„strengere“ der gleichzeitig anzuwendenden Sachrechte durch. Schließlich
ist auch denkbar, dass das Gesetz den Parteien (oder allenfalls auch einer
Partei) die Wahl zwischen zwei oder mehreren bestimmten Rechten über-
lässt, dann liegt eine fakultative Anknüpfung vor.
F. Akzessorische Anknüpfung
Eine akzessorische Anknüpfung ist immer dann vorgesehen, wenn inhalt- 7/9
lich miteinander verbundene Rechtsfragen eines Sachverhalts mit Aus-
landsberührung aufgrund des sachlichen Zusammenhangs nach ein und
demselben Sachrecht beurteilt werden sollen. So richten sich die Verjäh-
rung, ihre Hemmung und Unterbrechung, sowie die Verschweigung und
Verwirkung nach der Rechtsordnung, die für den betreffenden Anspruch
gilt29, während für die Ersitzung als Institut des Sachenrechts die lex rei si-
tae maßgebend ist. Ein weiteres, früher praktisch bedeutsames Beispiel bil-
dete die Anknüpfung der Verschuldens- bzw Deliktsfähigkeit eines Scha-
densverursachers, die nach hA entgegen dem Wortlaut des § 12 IPRG
nach § 48 IPRG, also nach der ehemaligen Verweisungsnorm für außer-
vertragliche Schadenersatzansprüche zu erfolgen hatte. In dieser Frage ist
25 Übereinkommen über das auf die Form letztwilliger Verfügungen anzuwendende Recht
vom 5.10.1961, BGBl 1963/295.
26 CIEC-Übereinkommen über die Legitimation durch nachfolgende Ehe vom 10.9.1970,
BGBl 1976/102
27 Nunmehr idF BGBl I 2004/58.
28 Bei der „gekoppelten Anknüpfung“ sind bestimmte Voraussetzungen für eine Rechts-
folge nach verschiedenen Rechtsordnungen zu beurteilen, bei der „kumulativen An-
knüpfung“ dagegen sind mehrere Rechte gleichzeitig zur Beantwortung ein und dersel-
ben Rechtsfrage berufen.
29 So anschaulich OGH EvBl 1990/62.
53
§7 Verweisung und Anknüpfung
nunmehr durch den nicht allzu klar formulierten Art 15 lit a) Rom II-VO,
der „die Bestimmung der Personen, die für ihre Handlungen haftbar ge-
macht werden können“ in den Geltungsbereich des nach der Verordnung
anzuwendenden Rechts einbezieht, insoweit Klarheit geschaffen, als diese
Norm so verstanden wird, dass die Verschuldensfähigkeit nach dem allge-
meinen Deliktsstatut anzuknüpfen ist30.
54
§ 8. Verweisungsgrenzen: Ordre public,
Eingriffsnormen, Statutenwechsel
A. Ordre public
55
§8 Verweisungsgrenzen: Ordre public, Eingriffsnormen, Statutenwechsel
56
Ordre public §8
7 OGH ZfRV 2003/29, 151: Nur eine eklatante Gefährdung des Kindeswohls steht unter
der Vorbehaltsklausel.
8 OGH VersR 1981, 590.
9 Vgl VwGH ZfRV 1992, 224 (Hoyer): Eine im ausländischen Recht allenfalls festgelegte
Ehenichtigkeit aus Gründen der Religion stünde im Widerspruch zum Grundsatz der
Säkularität des Staates und damit nicht in Einklang mit dem österr ordre public.“ Ob
dem Noterbrecht ordre-public-Charakter zukommt, ist umstritten, doch wohl eher zu
verneinen; dazu Schwind, Noterbrecht und IPR, ZfRV 1994, 29.
10 OGH SZ 59/128.
57
§8 Verweisungsgrenzen: Ordre public, Eingriffsnormen, Statutenwechsel
eine der Ehefrauen durch ein österreichisches Gericht wären dagegen unter
ordre public-Aspekten unbedenklich. Auch der in einem als maßgeblich
bestimmten Recht angeordnete Ausschluss der Scheidung wegen Verschul-
dens stellte zu einer Zeit, als das österreichische Recht dem Verschulden als
Scheidungsgrund noch größere Bedeutung beimaß, keinen Verstoß gegen
den ordre public dar11. Anderes gilt jedoch grundsätzlich von der einseiti-
gen Privatscheidung (talaq), die dem muslimischen Ehemann durch den
Koran und sein auf diesem beruhendes Heimatrecht in zahlreichen Rechts-
ordnungen des Islamischen Rechtskreises eröffnet ist12.
Auf den festgestellten Verstoß gegen den inländischen ordre public rea-
giert das IPRG mit der Rechtsfolge der exklusiven Maßgeblichkeit öster-
reichischen Sachrechts. Die durch das Eingreifen der Vorbehaltsklausel
vorerst entstandene Rechtslücke könnte auch mit einer dem Sachverhalt
näher liegenden, inhaltlich verwandten ausländischen Sachnorm gefüllt
werden, doch ist diese Alternative aus gutem Grund nicht Gesetz gewor-
den. An die Stelle der abgewendeten Bestimmung des fremden Rechts tritt
daher gemäß § 6 Satz 2 IPRG „erforderlichenfalls“ die entsprechende Be-
stimmung der lex fori, dh des österreichischen Sachrechts.
B. Eingriffsnormen
58
Eingriffsnormen §8
gung regeln, in Österreich umgesetzt. Für Sachverhalte mit starker faktischer Beziehung
zu einem EU-Mitgliedstaat hat der EuGH die Art 17 f als international zwingende Nor-
men (Eingriffsnormen) qualifiziert und gegen das als anwendbar vereinbarte Recht eines
Drittstaates durchdringen lassen: EuGH 9.11.2002, Rs C-381/98, Slg 2000 I-9305 – Ing-
mar.
19 Bis 31.12.2003 §§ 2 ff DevG 1946, BGBl 1946/162; vgl OGH ZfRV 1991, 302/14; EvBl
1993/110. Nunmehr im neuen DevG 2004, BGBl I 2003/123: §§ 3 und 4.
20 Vgl OGH SZ 60/11; zur interpretativen Bestimmung von Eingriffsnormen in gemein-
schaftsrechtlichen Richtlinien, EuGH 9.11.2000, Rs C-381/98, Slg 2000 I-9305 – Ing-
mar.
21 Diese Bestimmung wurde wie das gesamte Wortlaut des Bundesgesetzes über internatio-
nales Versicherungsvertragsrecht für den EWR durch BGBl I 2009/109 aufgehoben.
59
§8 Verweisungsgrenzen: Ordre public, Eingriffsnormen, Statutenwechsel
C. Statutenwechsel
8/5 Die Realisierung einer Verweisung auf ein fremdes Recht hängt wesentlich
davon ab, dass sich weder die relevanten Kollisionsnormen noch die fakti-
schen Voraussetzungen, die nach dem jeweiligen Anknüpfungsmoment
einer Norm zur anwendbaren Rechtsordnung geführt haben, ändern, so-
lange der kollisionsrechtlich zu beurteilende Sachverhalt nicht abgeschlos-
sen ist. So zieht die Änderung der Staatsangehörigkeit und allenfalls auch
des gewöhnlichen Aufenthalts in der Regel einen Wechsel des anwendba-
ren Rechts im Familien- und Erbrecht nach sich und bewirkt die Verände-
rung des Belegenheitsorts einer beweglichen Sache von einem Staat in einen
anderen, dass ein anderes Recht für die sachenrechtliche Zuordnung dieser
Sache maßgebend wird.
Das Problem, das sich hier stellt, ist, ob überhaupt und, wenn ja, wann
der Wechsel des Statuts eintritt. Während ein „starres (unwandelbares)
Statut“, wie es etwa § 21 IPRG22 für die Beurteilung der ehelichen Ab-
stammung vorsieht, keine Probleme bereitet, ist die Situation bei einem
„gleitenden (wandelbaren) Statut“ komplexer. Insbesondere dann, wenn
eine Kollisionsnorm auf das Personalstatut23 abstellt, ist darauf zu achten,
ob das jeweils aktuelle Personalstatut oder das Personalstatut, das zu einem
bestimmten Zeitpunkt bestanden hat, maßgebend sein soll. Starres und
wandelbares Statut wechseln einander ab. So beurteilen sich die Wirkungen
der Ehelichkeit eines Kindes gemäß § 24 IPRG nach dessen jeweiligem Per-
sonalstatut, während die Voraussetzungen der Ehelichkeit des Kindes und
deren Bestreitung gemäß § 21 IPRG nach dem gemeinsamen Personalstatut
der Ehegatten zur Zeit der Geburt des Kindes bzw bei vorzeitiger Eheauf-
lösung im Zeitpunkt der Auflösung oder, wenn das Personalstatut der El-
tern nicht einheitlich ist, nunmehr nach dem Personalstatut des Kindes im
Zeitpunkt der Geburt zu beurteilen sind.
8/6 Für den Fall, dass die konkrete Kollisionsnorm keine Aussage über den re-
levanten Anknüpfungszeitpunkt trifft, stellt § 7 IPRG klar, dass die nach-
trägliche Änderung der Anknüpfungsvoraussetzungen keinen Einfluss
„auf bereits vollendete Tatbestände“ hat. Ob ein Tatbestand vollendet ist,
ist auf Basis des anwendbaren Sachrechts zu prüfen, wobei immer dann
von einem „vollendeten Tatbestand“ auszugehen ist, wenn eine abschlie-
ßende Beurteilung eines Vorgangs möglich ist. Bei Dauerrechtsverhältnis-
sen tritt der Statutenwechsel mit Wirkung für die Zukunft zugleich mit
60
Statutenwechsel §8
61
§ 9. Anknüpfungsmomente
A. Allgemeines
62
Staatsangehörigkeit, gewöhnlicher Aufenthalt und Wohnsitz §9
63
§9 Anknüpfungsmomente
11 Art 3 Abs 1 CC besagt, dass die den Stand und die Handlungsfähigkeit von Personen be-
treffenden Gesetze für Franzosen auch dann maßgebend sind, wenn sie ihren Wohnsitz
im Ausland nehmen. Diese einseitige Kollisionsnorm wird seit der Entscheidung der
Cour royale de Paris vom 13.6.1814, Sirey Recueil des Lois, 1812–1814 II 393, „zweisei-
tig gelesen“.
12 Vgl Rz 9/6.
13 So zuletzt das Haager Protokoll vom 23.11.2007 über das auf Unterhaltspflichten anzu-
wendende Recht in seinem Art 3.
14 Vgl Art 15 der am 30.1.2009 in Kraft getretenen Verordnung (EG) Nr. 4/2009 des Rates
vom 18.12.2008 über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und
Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen,
ABlEU L 7 vom 10.1.2009, 1, der die Bestimmung des anwendbaren Rechts nach dem
64
Staatsangehörigkeit, gewöhnlicher Aufenthalt und Wohnsitz §9
65
§9 Anknüpfungsmomente
20 Genfer Übereinkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28.7.1951, BGBl
1955/55.
21 OGH ZfRV 1999, 21/3 = IPRax 1999, 260.
22 Art 23 Abs 2 schweizIPRG.
23 OGH EvBl 1990/35.
24 § 9 Abs 1 Satz 2 IPRG; vgl dazu etwa OGH ZfRV 1991, 468/32; ebenso Art 5 Abs 1
EGBGB.
25 § 18 Abs 1 Z 2 IPRG.
26 Vgl OGH SZ 60/228 = JBl 1988, 519; ZfRV 1997, 117/32.
66
Staatsangehörigkeit, gewöhnlicher Aufenthalt und Wohnsitz §9
Der Wohnsitz, der nach dem autonomen österreichischen IPR nur hilfs- 9/6
weise heranzuziehen ist, wird von den nationalen Rechten unterschiedlich
verstanden; auch innerhalb der Rechtsordnungen gibt es, je nach Zweck
der Regelungsmaterie (Zivilprozess, Finanzrecht, Staatsangehörigkeit), in-
haltlich unterschiedliche Wohnsitzdefinitionen. Zudem gilt es zu beachten,
dass es für Kinder sowie – aufgrund der materiellrechtlich weithin verwirk-
lichten Gleichberechtigung heute allerdings nur mehr in Ausnahmefällen27
– auch für die Ehefrau abgeleitete Wohnsitze geben kann.
Ob ein Wohnsitz besteht, ist nach der betreffenden Rechtsordnung zu
beurteilen. Dies ist wichtig bei der Qualifikation und bei der Frage der
Rückverweisung. So wird der Begriff „domicil(e)“ in den anglo-amerika-
nischen Rechten anders verstanden als in den Rechtsordnungen Konti-
nentaleuropas und auch in England und den USA ist seine Bedeutung nicht
identisch. Der englische Domizilbegriff nähert sich in seiner Starrheit der
Staatsangehörigkeit, da er nicht die Verbundenheit mit einem bestimmten
Ort, sondern mit einem bestimmten Rechtsgebiet, zB mit dem englischen
im Gegensatz zum schottischen, zum Ausdruck bringt. Man hat ein
„domicil(e) of origin“, das wegen der strengen Anforderungen nur selten
durch ein „domicil(e) of choice“ ersetzt wird28. Da bei dessen Aufgabe das
„domicil(e) of origin“ wieder auflebt, ist kein Engländer jemals ohne
„domicil(e)“29. In den US-amerikanischen Rechten wird, ungeachtet gewis-
ser gliedstaatenrechtlicher Unterschiede, in der Regel die Begründung
eines Wohnsitzes unter leichteren Bedingungen zugelassen30.
Es ist aber auch möglich, dass ein nationales IPR die Begriffe „Wohn-
sitz“ und „gewöhnlicher Aufenthalt“ autonom umschreibt. Eine derartige
autonome Definition sieht Art 20 schweizerisches IPRG hinsichtlich na-
türlicher Personen vor, wodurch die Anwendung der allgemeinen Regeln
der Art 23 ff schweizerisches ZGB über Wohnsitz und Aufenthalt für den
Bereich des Kollisionsrechts ausgeschlossen ist.
Um den Problemen mit den unterschiedlichen Inhalten des Wohnsitzbe- 9/7
griffs in den verschiedenen Rechtsordnungen zu entgehen, wird in neueren
Rechtsvorschriften auf den faktischen Wohnsitz, das ist der „gewöhnliche
Aufenthalt“, als Anknüpfungsgrund abgestellt. Während der Wohnsitz in
der Regel die Absicht, dauerhaften Aufenthalt an dem betreffenden Ort zu
67
§9 Anknüpfungsmomente
C. Verwaltungssitz
9/9 Juristische Personen oder ihnen gleich zuhaltende sonstige Personen- und
Vermögensverbindungen, die Träger von Rechten und Pflichten sein kön-
nen, haben keine Staatsangehörigkeit. Das auf sie anwendbare Recht muss
daher mit Hilfe anderer Anknüpfungsmomente bestimmt werden. § 10
IPRG stellt diesbezüglich auf das Recht des Staates ab, in dem die juristi-
sche Person den tatsächlichen Sitz der Hauptverwaltung hat. Das öster-
reichische IPR folgt damit der Sitztheorie33, und zwar der Verwaltungssitz-
theorie ieS34. Nach dem auf diese Weise ermittelten Personalstatut wird
auch beurteilt, ob es sich um eine inländische oder ausländische juristische
Person handelt. Dagegen ist nach der im Common Law-Rechtskreis herr-
schenden Inkorporationstheorie bzw Gründungstheorie jene Rechtsord-
nung maßgebend, die der juristischen Person die Rechtsfähigkeit verliehen
hat35. Auch in modernen kontinentaleuropäischen Kodifikationen des IPR
31 Zu beachten ist, dass gewisse Personen wie Kinder und unter Umständen auch die Ehe-
frau einen abgeleiteten (gesetzlichen) Wohnsitz haben können. Zum „domicil(e) of de-
pendency“ im kanadischen Recht: OGH SZ 55/80.
32 Dazu Loewe, Die Empfehlungen des Europarats zur Vereinheitlichung der Rechtsbe-
griffe „Wohnsitz“ und „Aufenthalt“, ÖJZ 1974, 144.
33 Sie bestimmt auch das deutsche und französische internationale Gesellschaftsrecht.
34 Die Anknüpfung an den statutarischen Sitz (Gründungsrechtstheorie) lehnt das IPRG
also ebenso ab wie jene an den Betriebssitz; vgl OGH SZ 70/164.
35 Gründungsrecht: Für dieses spricht das Argument der Rechtssicherheit, da es sich un-
schwer bestimmen lässt, dagegen gewisse Manipulationsmöglichkeiten, die sich mit dem
Begriff „Briefkastenfirma“ verbinden.
68
Verwaltungssitz §9
69
§9 Anknüpfungsmomente
D. Parteiwille
9/11 Es ist heute weithin anerkannt, dass ein privatrechtlicher Sachverhalt mit
Auslandsberührung nach jener Rechtsordnung beurteilt werden soll, mit
der ihn die „stärkste Beziehung“44 verbindet bzw zu der er die „engste Ver-
bindung“45 hat. Die Nahebeziehung eines Sachverhalts zu einer Rechts-
ordnung wird durch bestimmte Aspekte eines Sachverhaltes indiziert und
durch gesetzliche Anordnung normiert. Diese gesetzlich festgelegten An-
knüpfungsmomente können hinsichtlich bestimmter internationaler Sach-
verhalte durch einen Konsens der Beteiligten, der auf die Maßgeblichkeit
einer anderen Rechtsordnung abstellt, ersetzt werden. Grundsätzlich ist
auch im IPR die Privatautonomie insoweit anerkannt, als die Möglichkeit
eingeräumt wird, das anzuwendende Recht zu wählen. Technisch spricht
man im IPR von Parteiautonomie, die allerdings nicht in allen Bereichen
des IPR Geltung beanspruchen kann. Ob den Parteien eine Rechtswahl er-
öffnet ist, hängt davon ab, ob es sich um ein personen-, sachen-, schuld-,
familien- oder erbrechtliches Verhältnis handelt. Für vertragliche Schuld-
verhältnisse wurde vom überkommenen autonomen und vom geltenden
europäischen Recht primär die Rechtswahl als Anknüpfungsmoment vor-
gesehen. Nur bei Fehlen einer Rechtswahl hat die objektive gesetzliche An-
knüpfung zu erfolgen, die sich für Verträge, die vor dem 17.12.2009 ge-
schlossen wurden46, noch nach dem EVÜ und für später geschlossene
Verträge nach der Rom I-Verordnung richtet47.
Dass die Wahl der auf einen konkreten Fall anwendbaren Rechtsord-
nung den Parteien überlassen werden soll, steht heute im IPR auch hin-
sichtlich außervertraglicher Schuldverhältnisse48 außer Streit. Für diese
43 Dazu Rz 10/5.
44 So die Terminologie des IPRG. Das US-amerikanische Restatement of Conflict of Laws
2d (1971) spricht von „most significant relationship“ (vgl sec. 145, 188).
45 Dieser Begriff findet sich im EVÜ und in den Verordnungen Rom I und Rom II.
46 Verträge, die vor dem 1.12.1998 geschlossen worden waren, richteten sich nach §§ 36 ff
aF IPRG, die der Rechtswahl sowohl in ausdrücklicher als auch in schlüssiger Form
und sogar der „Geltungsannahme“ Raum gaben.
47 Sachenrechtliche Verfügungen sind dagegen stets nach der lex rei sitae, dem Recht des
Belegenheitsorts (§ 31 IPRG) zu beurteilen.
48 Für gesetzliche Schuldverhältnisse hatte der durch BGBl I 1998/119 modifizierte § 35
IPRG bis zum Geltungsbeginn der Verordnung Rom II seine Bedeutung behalten. Für
das Haager StVÜ hat der OGH die Zulässigkeit der Rechtswahl bejaht: OGH SZ 68/17.
70
Parteiwille §9
ist die „freie Rechtswahl“ als die den Parteien eingeräumte Möglichkeit zur
Bestimmung des anzuwendenden Rechts heute in Art 14 Rom II-VO aner-
kannt. Fraglich ist dagegen, wieweit in anderen zivilrechtlichen Teilgebie-
ten eine Rechtswahlmöglichkeit eröffnet sein soll und welchen Wirksam-
keitsvoraussetzungen und Schranken die Parteiautonomie unterworfen
werden müsse, wenn die Zulässigkeit der Rechtswahl in diesen Bereichen
feststeht. Im autonomen österreichischen Kollisionsrecht kommt der Par-
teiautonomie außerhalb des Schuldrechts nur eine sehr beschränkte Bedeu-
tung zu, da den Parteien nur im Ehegüterrecht49 die Rechtswahl eröffnet
ist. Von einem „fakultativen Kollisionsrecht“50 kann daher – wenn über-
haupt – nur in sehr engen Grenzen die Rede sein.
In Bereichen, wo – wie im Sachenrecht – Typenzwang herrscht51, und dort, 9/12
wo – wie im Familienrecht – ein gewisses staatliches Ordnungsinteresse
obwaltet, kann es keine freie, nur eine kanalisierte Rechtswahl52 geben.
Immer schon schien im Erbrecht eine beschränkte Wahl des auf den Erbfall
anwendbaren Rechts durch den Erblasser nicht ausgeschlossen53. Dass ist
sie auch im Scheidungsrecht, wenngleich unter Einhaltung besonderer An-
forderungen an die Form54. Im vertraglichen Schuldrecht betrachtet man die
Rechtswahl quasi als Reflex der Privatautonomie und lässt sie daher nahezu
unbeschränkt zu. Schranken werden der Parteiautonomie nur dort gesetzt,
wo auch das zugrunde liegende materielle Privatrecht die Vertragsfreiheit
zum Schutz der schwächeren Partei beschränkt. So statuieren die Kolli-
sionsnormen für Verbraucher-, Bestand- und Arbeitsverträge55 Ausnahmen
vom Grundsatz der freien Rechtswahl durch die Parteien.
49 § 19 IPRG.
50 Vgl Flessner, Fakultatives Kollisionsrecht, RabelsZ 1970, 547.
51 Vgl aber Art 104 schweizIPRG.
52 Eine „kanalisierte Rechtswahl“ sieht nunmehr Art 3 des Vorschlags für eine Verordnung
(EU) des Rates zur Begründung einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich des auf
die Ehescheidung und Trennung ohne Auflösung des Ehebandes anzuwendenden
Rechts, KOM(2010) 105 endg/2 vom 30.3.2010, vor, wonach scheidungswillige Ehegat-
ten einvernehmlich das anwendbare Recht aus vier Rechtsordnungen wählen können:
a) dem Recht des Staates, in dem die Ehegatten zum Zeitpunkt des Abschlusses der Ver-
einbarung ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, b) dem Recht des Staates, in dem die
Ehegatten zuletzt ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatten, sofern einer von ihnen zum
Zeitpunkt des Abschlusses der Vereinbarung seinen gewöhnlichen Aufenthalt noch dort
hat, c) dem Recht des Staates, dessen Staatsangehörigkeit ein Ehegatte zum Zeitpunkt des
Abschlusses der Vereinbarung besitzt, d) dem Recht des Staates des angerufenen Ge-
richts.
53 So hat etwa in der Schweiz die „professio iuris“ Tradition; vgl Art 87 ff schweizIPRG.
54 So soll die durch Art 3 Abs 3 des Verordnungsvorschlags der Kommission, KOM(2010)
105 endg/2, eröffnete Rechtswahlvereinbarung jedenfalls der Schriftform bedürfen.
55 Vgl für Verbraucher- und Arbeitsverträge, die vor dem 17.12.2009 geschlossen wurden:
Art 5, 6 EVÜ und für derartige, ab dem 17.12.2009 geschlossene Verträge Art 6 und 8
71
§9 Anknüpfungsmomente
Rom I-VO. Bestandverträge werden nach der Rom I-VO (wie schon nach dem EVÜ) am
Recht des Belegenheitsortes des Bestandobjekts angeknüpft.
56 Im Gegensatz zur materiellrechtlichen Verweisung, bei der nicht nur die Eingriffsnor-
men, sondern auch die „einfach-zwingenden“ Bestimmungen des objektiv bestimmten
Vertragsstatuts dem gewählten Recht vorgehen.
57 Art 3 Abs 3 und 4 Rom I-VO.
58 Vgl §§ 19, 25 IPRG, Art 3 Abs 1 EVÜ.
59 So wurde zB Verweisungen der Parteien auf Vorschriften, typische Fachausdrücke,
Usancen oder Klauseln einer bestimmten Rechtsordnung etc unmittelbare Indizwirkung
zugesprochen; während auf eine Rechtsordnung abstellende Schieds- und Gerichts-
standsklauseln, Bestimmungen über den Erfüllungsort bzw Abschlussort und die Ver-
tragssprache nur als mittelbare und nur im Gesamtkontext der seinerzeit anerkannten
„Geltungsannahme“ verwertbare Indizien anzusehen waren; vgl OGH JBl 1992, 652
(Schwimann) = ZfRV 1992, 387.
60 Die Frage, ob die Verweisungsnormen der gewählten maßgebenden Rechtsordnung die
Verweisung (durch Rechtswahl) annehmen, stellt sich daher nicht.
72
Parteiwille §9
nunmehr Art 3 Abs 1 Satz 3 Rom I-VO ausdrücklich vorsieht, ist eine Teil-
rechtswahl61 möglich. Zudem bestimmt Abs 2 dieser Bestimmung, dass
eine Vereinbarung der Parteien über das anzuwendende Recht „jederzeit“
möglich ist, also auch eine nachträgliche Rechtswahl mit Wirkung ex
nunc oder ex tunc62. § 11 Abs 2 IPRG ermöglicht sogar die problematische
– allerdings ausdrücklich zu treffende – nachträgliche Rechtswahl in einem
anhängigen Verfahren63, jedoch wohl nur bis zum Schluss der letzten Tat-
sacheninstanz. § 11 Abs 3 IPRG stellt klar, dass die Rechtsstellung Dritter
– zB eines Haftpflichtversicherers – durch nachträgliche Rechtswahl nicht
beeinträchtigt werden kann64. Ob die parteiautonome Bestimmung des an-
wendbaren Rechts zulässig und wirksam ist, ist nach den sachrechtlichen
Bestimmungen der lex fori zu prüfen. Vorliegen und Inhalt der Rechtswahl
hat der Richter – außer bei deren ausdrücklicher Außerstreitstellung – von
Amts wegen zu ermitteln.
Besonderes gilt für das Recht der internationalen Schiedsverfahren, das 9/14
geradezu vom Parteiwillen lebt. Die von den Parteien durch eine Schieds-
klausel bzw einen Schiedsvertrag gewollte Derogation des staatlichen
Richters und dessen Ersetzung durch ein institutionelles oder ad hoc ein-
zuberufendes Schiedsgericht kann nicht nur die Auswahl der Schiedsrich-
ter und des Schiedsortes beinhalten, sondern auch die vom Schiedsgericht
zu befolgenden Verfahrensregeln umfassen. Darüber hinaus steht es den
Parteien völlig frei, das vom Schiedsgericht in der Hauptsache anzuwen-
dende Recht von vornherein zu bestimmen. Art VII des Genfer Überein-
kommens über die Handelsschiedsgerichtsbarkeit65 sieht dies ausdrücklich
vor. Nur wenn die Parteien kein bestimmtes Recht gewählt haben, hat das
Schiedsgericht „das Recht anzuwenden, auf das die Kollisionsnormen hin-
weisen, von denen auszugehen das Schiedsgericht jeweils für richtig erach-
tet“. Die Regelung rührt daher, dass internationale Schiedsgerichte keine
lex fori haben und damit weder über eigene Kollisionsnormen noch über
eigene Sachnormen verfügen. In beiden Bestimmungsfällen sollte es sich
61 Eine Teilrechtswahl zieht unvermeidlich „dépeçage“ (Spaltung des Statuts) nach sich.
62 Etwa zur Schadensliquidierung nach Schadenersatzfällen.
63 Vgl OGH IPRax 1986, 244 (Koppensteiner, 251); ferner ZfRV 1992, 310 (Hoyer) = IPRax
1992, 329 (Schwind, 334).
64 So wird die Rechtsstellung eines Dritten auch von einer ursprünglichen Rechtswahl nur
berührt, wenn er ihr zugestimmt hat oder ihm aus dem gewählten Recht entstandene
subjektive Rechte übertragen worden sind: OGH JBl 1991, 312 (Eccher) = ZfRV 1991,
471 (Zemen).
65 Europäisches Übereinkommen über die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit,
BGBl 1964/107.
73
§9 Anknüpfungsmomente
66 ZB in der seit 1994 textlich festgelegten Form der UNIDROIT Principles of Internatio-
nal Commercial Contracts (revidierte Fassung 2004).
67 Vgl OGH GesRZ 1983, 102 (Fall „Norsolor-Pabalk“); dazu etwa Bajons, Zur Nationali-
tät internationaler Schiedssachen, in Kralik-FS (1986) 3 (22).
68 Gegen diesen Paradigmenwechsel im Deliktstatut: Koziol/Thiede, Kritische Bemerkun-
gen zum derzeitigen Stand des Entwurfs einer Rom II-Verordnung, ZVglRWiss 106
(2007) 235 (241 ff).
69 Die Anknüpfung von schuldrechtlichen Geschäften an das Recht des Abschluss- bzw
Erfüllungsortes (lex loci actus, lex loci solutionis) ist heute weithin obsolet. Im Rahmen
der Ausweichklausel des Art 4 Abs 4 Rom I-VO können jedoch dem Abschlussort und
dem Erfüllungsort Indizfunktion bei der Ermittlung einer „engeren Verbindung“ zu-
kommen.
70 Vgl Art 1 lit a) Haager TestÜ.
74
§ 10. Personenrecht
A. Allgemeines
Für alle Fragen, die mit dem Status und der Rechtsstellung natürlicher und 10/1
juristischer Personen und mit den Persönlichkeitsrechten zusammenhän-
gen, bestimmt § 9 IPRG das Personalstatut, das sich bei natürlichen Perso-
nen primär nach der Staatsangehörigkeit richtet1. Der Abschnitt über das
internationale Personenrecht beinhaltet Anknüpfungsregeln für Rechtsfä-
higkeit und Handlungsfähigkeit, Namensführung und Namensrechtsver-
letzung, Todeserklärung und Beweisführung des Todes sowie „Entmündi-
gung“, worunter schon seit dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes über die
Sachwalterschaft für behinderte Personen2 am 1.7.1984 „Sachwalterschaft“
zu verstehen ist. In diesen Tatbeständen sind Rück- und Weiterverweisun-
gen3 sowie die Vorbehaltsklausel stets zu beachten.
75
§ 10 Personenrecht
76
Rechts- und Geschäftsfähigkeit natürlicher Personen § 10
„semel maior, semper maior“. Stellt sich die Frage der Geschäftsfähigkeit
im Zusammenhang mit einem schuldrechtlichen oder ehegüterrechtlichen
Vertrag, geht das Geschäftsfähigkeitsstatut dem Vertragsstatut vor. Geson-
dert angeknüpft werden besondere Geschäftsfähigkeiten10. Zu beachten ist
Art 13 Rom I-VO, wonach eine vertragsschließende natürliche Person, die
nach dem Recht des Abschlussortes eines schuldrechtlichen Vertrags ge-
schäftsfähig wäre, sich auf das Fehlen der Geschäftsfähigkeit nach ihrem
Personalstatut nicht berufen kann, wenn die andere Partei dies nicht wusste
oder nicht wissen konnte11.
Die Voraussetzungen und Wirkungen sowie die Aufhebung einer „Sach- 10/3
walterschaft für behinderte Personen“ sind gemäß § 15 IPRG nach dem
jeweiligen Personalstatut des Betroffenen zu beurteilen. Qualifikationsmä-
ßig ist das Wesen des seit dem 1.7.198412 obsoleten Verweisungsbegriffes
„Entmündigung“13 in der Reduktion oder dem Entzug der Handlungsfä-
higkeit wegen geistiger oder körperlicher Schutzbedürftigkeit durch die
Behörde sowie der Bestellung eines Aufsichtsorgans zu sehen14. Inländi-
sche Gerichtsbarkeit und Verfahren hierzu richten sich nach den Verfah-
rensgesetzen15.
Der vormals bestehende strikte Gleichlauf zwischen inländischer Gerichts- 10/4
barkeit und auf die Todeserklärung bzw die Beweisführung des Todes an-
wendbarem (inländischen) Recht wurde durch § 14 IPRG im Grundsatz
durchbrochen. Voraussetzungen, Wirkungen und Aufhebung einer Todes-
erklärung oder einer Beweisführung des Todes unterstehen demnach dem
letzten bekannten Personalstatut des Verschollenen. Die inländische Ge-
richtsbarkeit für Ausländer ist aber nur bei Vorliegen der in § 12 TEG nor-
mierten Voraussetzungen gegeben16.
77
§ 10 Personenrecht
beurteilendes Recht oder Rechtsverhältnis erheblich ist oder der Antrag auf Todeserklä-
rung vom Ehegatten des Verschollenen gestellt wird und dieser Ehegatte entweder öster-
reichischer Staatsbürger ist oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat und zur
Zeit der Eheschließung mit dem Verschollenen österreichischer Staatsbürger gewesen
ist“.
17 Siehe Rz 9/9.
18 Bei großen, international tätigen Kapitalgesellschaften ist das der Sitz der Generaldirek-
tion.
19 § 3 ZPO.
20 Durchgriffshaftung „piercing the corporate veil“.
21 Vgl OGH SZ 54/94: Produkthaftungsanspruch (wegen defekter Autobusreifen) gegen
eine nach englischem Gesellschaftsrecht errichtete Public Company, deren US-Mutter-
gesellschaft praktisch das gesamte Aktienkapital hält: Die Frage der Durchgriffshaftung
hat mit dem Geschäftsstatut des einzelnen von der Tochtergesellschaft abgeschlossenen
Geschäftes nichts zu tun. Die Rechtsbeziehungen zwischen den außenstehenden Gesell-
schaftern, Gläubigern, Arbeitnehmern und sonst betroffenen Personen und dem die Ge-
sellschaft beherrschenden (ausländischen) Unternehmen richten sich nach dem durch
den maßgeblichen Sitz ermittelten Gesellschaftsstatut der abhängigen Gesellschaft.
78
Rechts- und Geschäftsfähigkeit juristischer Personen § 10
22 Vgl OGH EvBl 1984/125: Die (natürliche oder juristische) Person oder Handelsgesell-
schaft, über deren Vermögen in der BRD der Konkurs eröffnet wurde, behält in der Re-
publik Österreich die Verfügungs- und Prozessführungsbefugnis in Bezug auf ihr in Ös-
terreich gelegenes Vermögen; dem in der BRD bestellten Konkursverwalter kommt in
diesem Umfang keinerlei Verfügungs- und Prozessführungsbefugnis in Österreich zu.
23 Nach dem Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon nunmehr „Gerichtshof der Europä-
ischen Union“; die Abkürzung EuGH wird gleichwohl beibehalten.
24 Vgl Rz 4/7, 9/10.
25 Art 49–55 AEUV, ex-Art 43–48 EGV.
26 SZ 72/121; wbl 2000/60, 56 (Korn); ecolex 2000/288(Karollus-Bruner).
27 Die dem EuGH in Holto Ltd, Rs C-447/00, vom Landesgericht Salzburg gestellt, aber
vom EuGH in seinem Urteil vom 22.1.2002 aus formalen Gründen nicht beantwortet
wurden; zu den Vorlagefragen Lurger, IPRax 2001, 346.
28 Seit 1.1.2007 nunmehr § 12 Abs 3 UGB.
79
§ 10 Personenrecht
die an der Judikatur des EuGH orientierte Auffassung des OGH vereinba-
ren ließen, blieb eine offene Frage. Jedenfalls schien die Norm des autono-
men Kollisionsrechts im Verhältnis zu den anderen Mitgliedstaaten der EU
bzw des EWR wegen des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts nicht mehr
und nur mehr gegenüber Drittstaaten anwendbar zu sein.
10/7 Während die zunächst folgenden einschlägigen Urteile des EuGH29 im
Hinblick auf „Zuzugsbeschränkungen“ auf dem Boden der Gründungs-
theorie verblieben, hat der Gerichtshof zuletzt in Cartesio30 für manche
überraschend für so genannte „Wegzugsfälle“ der Sitztheorie auch im Ver-
hältnis der Mitgliedstaaten untereinander einen Anwendungsbereich gesi-
chert. Es bleibt demnach dem mitgliedstaatlichen Recht überlassen, zu ent-
scheiden, ob es Gesellschaften möglich sein soll, unter Aufrechterhaltung
ihrer Rechtspersönlichkeit aus dem Inland wegzuziehen31.
Wie aus dem am 7.1.2008 vorgelegten „Referentenentwurf eines Geset-
zes zum Internationalen Privatrecht der Gesellschaften, Vereine und juris-
tischen Personen“ des Bundesjustizministeriums hervorkommt32, hat
Deutschland, das wie Österreich traditionell der Sitztheorie verbunden ist,
erwogen, den Weg zur Verankerung der Gründungstheorie in seinem auto-
nomen IPR eingeschlagen33. Auch für Österreich schiene dies eine erwä-
genswerte Vorgangsweise zu sein, doch ist ungewiss, ob der deutsche Refe-
rentenentwurf realisiert wird34. Sicher ist jedoch, dass die geplante
Erlassung einer Richtlinie über die grenzüberschreitende Sitzverlegung
von Gesellschaften35 von der Kommission als unverhältnismäßig aufge-
schoben wurde36.
29 Rs C-208/00 – Überseering, Slg 2002 I-9919; Rs C-167/01 – „Inspire Art“, Slg 2003 I-
10155; Rs C-411/03 – „SEVIC“, Slg 2005 I-10805.
30 Rs C 210/06, Slg 2008 I-9641 = wbl 2009, 75; dazu nur Ratka/Rauter, Cartesio und das
ius vitae necisque des Wegzugsstaates, wbl 2009, 62.
31 Der EuGH knüpft in Cartesio an sein vieldiskutiertes Urteil in Daily Mail vom
27.9.1988, Rs C-81/87, Slg 1988, 5483, an.
32 Dazu R. Wagner/Timm, Referentenentwurf eines Gesetzes zum Internationalen Privat-
recht der Gesellschaften, Vereine und juristischen Personen, IPRax 2008, 81.
33 Die Neufassung des Art 10 EGBGB soll an das Recht des Staates anknüpfen, in dem Ge-
sellschaften, Vereine und juristische Personen „in ein öffentliches Register eingetragen
sind“.
34 Hirte, Die Entwicklung des Unternehmens- und Gesellschaftsrechts in Deutschland im
Jahre 2008, NJW 2009, 45, berichtet, dass der Referentenentwurf „wegen ungeklärter
Fragen im Zusammenhang mit der unternehmerischen Mitbestimmung . . . nicht weiter-
voran getrieben“ wurde.
35 Vgl das Arbeitsdokument der Kommission vom 12.12.2007, SEC(2007)1707.
36 Bericht der Kommission über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der
Verhältnismäßigkeit vom 26.9.2008, KOM(2008) 586 endg.
80
Persönlichkeitsrechte § 10
D. Persönlichkeitsrechte
81
§ 10 Personenrecht
41 Mit dieser Formulierung werden Tatbestände des Erwerbs und der Änderung des Na-
mens privaten wie öffentlichen Rechts erfasst; vgl OGH JBl 1983, 159 (Schwimann).
42 VwGH JBl 1990, 62 (zust Schwimann) = ZfRV 1991, 150 (abl Schwind): Zugrunde lag
der Sachverhalt einer Eheschließung, der Jahre später ein Wechsel der Staatsbürgerschaft
folgte. Der VwGH hielt fest, dass das Wort „jeweilig“ das Rückwirkungsverbot des § 7
IPRG nicht aufgehoben habe, sondern sich auf den Zeitpunkt der Vollendung eines Na-
menstatbestandes bezieht. Die bloße Änderung des Personalstatuts ist kein Namenstat-
bestand und lässt deshalb vorher abgeschlossene Namenstatbestände unberührt; der vor-
her erworbene Name wirkt also weiter. Der von einer deutschen Ehefrau nach
deutschem Recht erworbene Ehename gilt deshalb auch nach Einbürgerung der Frau in
Österreich weiter, obwohl die österreichische Namensfolge anders lauten würde (ähn-
lich: VwGH JBl 1987, 605).
43 Vgl etwa die Schwierigkeiten bei gemischt nationalen Ehen durch § 9 Abs 1 IPRG (Be-
vorzugung der Staatsbürgerschaft der lex fori).
44 Da die Rom II-VO das Problem vorerst offen lässt, wäre an sich zu fragen, ob § 13 Abs 2
IPRG nicht eher in Richtung auf das Erfolgsortprinzip zu ändern gewesen wäre. Der neu
formulierte § 48 IPRG stellt aber auf das Handlungsortprinzip ab und ist auch für die
Anknüpfung der anderen Persönlichkeitsverletzungen zu beachten, solange nicht das in
Art 30 Abs 2 Rom II-VO vorgesehene Überprüfungsverfahren ein Ergebnis gezeigt hat.
82
Persönlichkeitsrechte § 10
mannes nicht nach dessen Personalstatut, sondern nach dem Recht am tat-
sächlichen Verwaltungssitz des Unternehmens richtet, das Sitzprinzip je-
doch durch die Judikatur des EuGH seit Centros als Basis für das Gesell-
schaftsstatut relativiert worden ist.
83
§ 11. Familienrecht1
A. Allgemeines
11/1 Das ABGB hatte in seiner ursprünglichen Fassung von 1811 neben den die
„persönliche Fähigkeit“ betreffenden Anknüpfungsregeln2 keine spezielle
Regelung für die Anknüpfung von internationalen Eherechts- und Kind-
schaftsrechtssachverhalten vorgesehen. Diese Lücke war durch die 4.
DVEheG vom 25.10.19413 nur teilweise geschlossen worden. Das IPRG
hat Bewährtes übernommen und unter Bedachtnahme auf neuere kolli-
sionsrechtliche Regelungsgesichtspunkte – zB Relevanz des Gleichheits-
satzes, Alternativanknüpfungen zur Begünstigung und Aufrechterhaltung
von Statusverhältnissen – das internationale Ehe- und Kindschaftsrecht
umfassend kodifiziert. Die 1978 erfolgte Neuordnung des Internationa-
len Familienrechts ist seither im Laufe der Jahre unter praktischen Aspek-
ten stetig wichtiger geworden, weil die Mobilität der Menschen innerhalb
Europas gestiegen und Österreich zudem ein begehrtes Zielland für Mi-
granten aus anderen Erdteilen geworden ist. Da die nationalen Ehe- und
Familienrechte – trotz der allenthalben in jüngerer Zeit gesetzten, im We-
sentlichen gleichgerichteten Reformmaßnahmen – nach wie vor erhebliche
Unterschiede aufweisen, stammt heute ein erheblicher Prozentsatz der
Fälle, in denen sich den Gerichten (und Standesämtern) die Frage des an-
wendbaren Rechts stellt, aus diesem Privatrechtsbereich.
Im Familienrecht knüpft das IPRG fast ausnahmslos an das Personal-
statut der beteiligten Personen an, wobei allfällige Rück- und Weiterver-
weisungen sowie der ordre public zu beachten sind. Lediglich im Ehegüter-
recht ist im österreichischen internationalen Familienrecht die Rechtswahl
durch die Parteien in ausdrücklicher Form zugelassen. Außerdem verwen-
den die multilateralen Staatsverträge, die vornehmlich im internationalen
84
Ehe und Scheidung § 11
Zur Frage, wie die Verlobung und das durch sie begründete Verlöbnis an- 11/2
zuknüpfen sind, schweigt das IPRG. Diese Regelungslücke ist unter Her-
anziehung des Grundsatzes der Anknüpfung nach der stärksten Beziehung
gemäß § 1 IPRG durch eine Analogie zu den entsprechenden eherechtli-
chen Bestimmungen der §§ 17 ff IPRG zu schließen: Voraussetzungen und
Wirkungen des Verlöbnisses werden daher nach dem Recht eines jeden
Verlobten beurteilt, allfällige Formerfordernisse ebenso bzw alternativ
nach dem Recht des Verlobungsortes.
Ein in Österreich unter Angehörigen des damaligen jugoslawischen
Staates anlässlich der Begründung einer Lebensgemeinschaft (ohne feste
Absicht späterer Eheschließung) „nach jugoslawischen Bräuchen“ veran-
staltetes Fest ist daher zutreffend weder als Eheschließung noch als Verlo-
bung qualifiziert worden5. Die Rückforderung von Geschenken und wäh-
rend der Beziehung erbrachten Leistungen nach Auflösung einer solchen
in Österreich realisierten Lebensgemeinschaft richtete sich daher nach ös-
terreichischem Recht6.
Das IPRG sieht keine Verweisungsnormen für die grenzüberschrei-
tende nichteheliche Lebensgemeinschaft von Heterosexuellen vor, da es
zu seiner Entstehungszeit in dieser Hinsicht wohl noch an einem entwi-
ckelten Problembewusstsein fehlte. Grundsätzlich stellte sich die Alterna-
tive, ob diese im internationalen Familienrecht oder im internationalen
Schuldrecht einzuordnen sei. Der OGH hatte sich in einer frühen Ent-
scheidung für die zweite Möglichkeit entschieden7. Für die jüngere Ver-
gangenheit war es schon eher zu vertreten, dass die mittlerweile in einer
4 Vgl den Vorschlag für eine Verordnung (EU) des Rates zur Begründung einer Verstärkten
Zusammenarbeit im Bereich des auf die Ehescheidung und Trennung ohne Auflösung des
Ehebandes anzuwendenden Rechts, KOM(2010) 105 endg/2 vom 30.3.2010.
5 Vgl den bekannten Fall „Serbische Hochzeit“, OGH JBl 1983, 540 (Schwimann) = IPRax
1984, 39 (Schwind, 45).
6 Was auch dem seinerzeit sachverhaltsrelevanten § 46 IPRG entsprochen hat.
7 OGH FamRZ 1982, 1010; dazu Striewe, Zum Internationalen Privatrecht der nichteheli-
chen Lebensgemeinschaft, IPRax 1983, 248.
85
§ 11 Familienrecht
8 Wie der mit Gesetz N° 99–944 in Frankreich eingeführte „pacte civil de solidarité“
(PACS) oder die „eingetragene Lebenspartnerschaft“ des deutschen Rechts, dBGBl
2001 I, 266.
9 Art 5 Eingetragene Partnerschaft-Gesetz (EPG) BGBl I 2009/135. Dazu Rz 11/20.
10 Konsulats- oder Botschaftstrauungen kennt das österr Recht nicht.
11 So in Colorado, Iowa, Oklahoma, Texas oder Utah sowie auch im District of Columbia.
12 Vgl Bliesener, Internationale Handschuhehen im amerikanischen Recht, ZfRV 1989, 241.
13 Aus der reichhaltigen Judikatur des OGH vgl SZ 62/159; SZ 67/56 (Staatsbürgerschafts-
bzw Namensehe); OGH ZfRV 1999, 114 (Bigamistische Eheschließung).
14 Vgl dazu die Problematik der sog „Staatsbürgerschaftsehen“: OGH EvBl 1990/8: Nich-
tigkeit einer Ehe nach österr und damaligem sowjetrussischen Recht: Über die Folgen
der Verletzung materieller Ehevoraussetzungen entscheidet das „verletzte“ Recht, also
86
Ehe und Scheidung § 11
jenes Personalstatut, dessen Vorschriften nicht eingehalten wurden; ebenso OGH JBl
1990, 531; vgl auch OGH EvBl 1997/187.
15 VwGH ZfRV 1992, 224 (obiter; krit Hoyer); vgl OGH ZfRV 1997, 155/54.
16 K 4.3.
17 Vgl C. Cass., arrêt Chemouni I, Rev. crit. 1958, 110; arrêt Chemouni II, Rev. crit. 1963,
559; arrêt Bendeddouche, Rev. crit. 1980, 331.
18 Vgl BVerwGE 71/29, 228 (1985); zuvor schon VerwG Gelsenkirchen, FamRZ 1975, 338;
zuletzt zB OLG Frankfurt/M, StAZ 2006, 142.
19 BGBl 1983/60 idF BGBl I 2009/135.
20 BGBl 1983/629 idF BGBl II 2010/1.
21 Dazu auch Art 9 des von Österreich ratifizierten Luxemburger CIEC-Übereinkommens
über die Anerkennung von Entscheidungen in Ehesachen, BGBl 1978/43. Vgl die „Spa-
87
§ 11 Familienrecht
11/5 Für die persönlichen Rechtswirkungen der Ehe sieht § 18 IPRG eine dif-
ferenzierte Anknüpfungsleiter vor. Diese dient quasi als kollisionsrechtli-
che Basisregelung und hat nicht nur für die persönlichen Rechtswirkungen
der Ehe Geltung, sondern auch für das Ehegüterrecht, wenn die Parteien
keine Rechtswahl getroffen haben22, für die Ehescheidung23 und für die
Wirkungen der Adoption bei der Annahme durch Ehegatten24.
Zum Regelungsgegenstand des § 18 IPRG gehören all jene Bereiche,
welche die persönlichen Rechtsbeziehungen der Ehegatten zueinander so-
wie jene mit Wirkung gegenüber Dritten betreffen. Hierzu zählen die
Pflicht zur ehelichen Lebensgemeinschaft (Pflicht zur Treue, Wohnsitz-
folge, Beistandspflicht, Schlüsselgewalt), das Recht zum Getrenntleben,
die Mitwirkung beim Erwerb des anderen, vor allem aber die wechselsei-
tige Unterhaltspflicht. Von vornherein getrennt angeknüpft werden die na-
mensrechtlichen Ehewirkungen, für welche die allgemeine Namensregel
des § 13 IPRG gilt. Auch das auf das Ehegüterrecht25 anzuwendende Recht
ist gesondert nach § 19 IPRG zu bestimmen.
Um zur Realisierung der kollisionsrechtlichen Gleichbehandlung der
Ehegatten ein für diese gemeinsames Recht zu erreichen, verwendet § 18
IPRG ein gestuftes System von Subsidiäranknüpfungen, das plastisch auch
als „Kaskadenanknüpfung“ bzw nach dem bedeutenden deutschen Kolli-
sionsrechtler Gerhard Kegel auch als „Kegel’sche Leiter“ bezeichnet
wird26. Das Vorliegen des relevanten Anknüpfungsmomentes muss jeweils
im Beurteilungszeitpunkt des Rechtsverhältnisses gegeben sein. Da durch
Änderung des Anknüpfungsmomentes „Staatsangehörigkeit“ bzw „ge-
wöhnlicher Aufenthalt“ ein Statutenwechsel eintritt27, liegt ein wandelba-
res Statut vor.
nier-Entscheidung“ des deutschen BVerfG: NJW 1971, 1509; jetzt ausdrücklich Art 13
Abs 2 Z 3 EGBGB als spezielle Vorbehaltsklausel zur Sicherung der Eheschließungsfrei-
heit.
22 § 19 IPRG – allerdings mit unterschiedlichem Anknüpfungszeitpunkt.
23 § 20 IPRG.
24 § 26 Abs 2 IPRG.
25 Das heißt, auf alle Fragen, die mit der dauerhaften Ordnung der vermögensrechtlichen
Beziehungen der Ehegatten zusammenhängen, mag es sich um den gesetzlichen Güter-
stand oder um eine durch Ehepakt begründete Regelung handeln, dazu Rz 11/7.
26 Kegel hat dieses auf dem Gedanken kollisionsrechtlicher Gleichbehandlung beruhende
Konzept erstmals für das bundesdeutsche Recht vertreten, zuvor war es allerdings be-
reits im Schrifttum von DDR-Juristen entwickelt worden.
27 Ein „unechter Statutenwechsel“ ist durch das Inkrafttreten des IPRG eingetreten; vgl
OGH ZfRV 1980, 220 (Schwind: „Hat bis zum Inkrafttreten des IPRG § 7 der 4. DV-
EheG das auf den Unterhaltsanspruch der Ehegatten anwendbare Recht bestimmt, wird
dieses nun durch § 18 Abs 1 IPRG normiert“).
88
Ehe und Scheidung § 11
Maßgeblich ist nach § 18 Abs 1 Z 1 IPRG zunächst28 das gemeinsame Per- 11/6
sonalstatut im Sinne des § 9 IPRG; mangels eines solchen, das letzte ge-
meinsame Personalstatut der Ehegatten, sofern es einer von ihnen beibe-
halten hat. Hierbei ist zu beachten, dass für Personen mit derselben
fremden Staatsangehörigkeit kraft der Exklusivregel des § 9 Abs 1 Satz 2
IPRG kein gemeinsames Personalstatut gegeben sein kann, wenn ein Ehe-
partner neben der fremden auch die österreichische Staatsbürgerschaft be-
sitzt.
Kommt die Anknüpfung an das gemeinsame oder an das letzte gemein-
same Personalstatut der Eheleute mangels einer gemeinsamen Staatsange-
hörigkeit nicht zum Tragen, ist gemäß § 18 Abs 1 Z 2 IPRG das Recht des
gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts in ein und demselben Staat be-
rufen, mangels eines solchen das Recht des letzten gewöhnlichen Aufent-
haltes in demselben Staat, sofern einer der Ehegatten diesen noch beibehal-
ten hat. Der für die Beurteilung maßgebliche Zeitpunkt ist der Schluss der
Verhandlung der letzten Tatsacheninstanz29. Sollte auch diese Anknüpfung
versagen, was etwa bei reisenden Künstlerehepaaren mit verschiedenem
Personalstatut dann der Fall ist, wenn das Land des gemeinsamen gewöhn-
lichen Aufenthaltes verlassen wird und jeder in seinen Heimatstaat zurück-
kehrt, wäre die allgemeine Regel des § 1 IPRG zu beachten. Hier bietet sich
zweckmäßigerweise bei Verfahren, die in Österreich durchgeführt werden,
eine Beurteilung der Ehewirkungen nach den sachrechtlichen Bestimmun-
gen der lex fori an30.
§ 18 Abs 2 IPRG enthält schließlich eine Sonderregelung bezüglich der
immer seltener werdenden „hinkenden Ehen“, die zwar nach österreichi-
schem Recht, nicht aber nach dem in § 18 Abs 1 IPRG bezeichneten Ehe-
wirkungsstatut der Ehegatten wirksam zustande gekommen sind. In sol-
chen Fällen ist österreichisches Recht anzuwenden, sofern nicht eine
stärkere Beziehung zum Recht eines dritten Staates besteht.
Das Güterrechtsstatut des § 19 IPRG gilt sowohl für das gesetzliche als 11/7
auch für das vertragliche Ehegüterrecht auf Grund eines Ehepaktes31.
89
§ 11 Familienrecht
32 Hier kann die Alternative zwischen Ehegüterrecht einerseits und Ehewirkungsrecht bzw
Erbrecht andererseits gegeben sein.
33 Schwimann, Grundriß des Internationalen Privatrechts, 211; OGH ZfRV 1999/54, 189 =
EFSlg 90.644.
34 Das Statut ist unwandelbar: OGH ZfRV 2000, 146/48; vgl Mänhardt, Internationales
Ehegüterrecht im niederländisch-österreichischen Rechtsverkehr, in Schwind-FS (1993)
93.
35 Vgl OGH SZ 63/135 = JBl 1991, 322 = EvBl 1991/2.
36 Vgl OGH ZfRV 2002/24, 235; ZfRV 2005/23, 158.
90
Ehe und Scheidung § 11
37 Jetzt wohl der Verhandlung erster Instanz; OGH EFSlg 55.073; vgl § 483a Abs 2 ZPO.
38 OGH EvBl 1981/21 = ZfRV 1980, 296 (Hoyer).
39 Vgl OGH SZ 59/22 = ZfRV 1987, 195 = EvBl 1987/64 = IPRax 1987, 35 (Schwind, 51):
In diesem Fall ging es um eine Klage und Widerklage jeweils wegen des alleinigen Ver-
schuldens des anderen Eheteiles. Aufgrund der unterschiedlichen Staatsangehörigkeit
der Prozessparteien wäre an sich deutsches Recht als Recht des letzten gewöhnlichen
Aufenthalts anzuwenden gewesen, das eine Scheidung aus Verschulden nicht mehr vor-
sieht. Der OGH sah bereits dadurch (dh durch die Erschwerung, zB durch Befristung,
nicht erst durch die Unmöglichkeit der Scheidung im erstverwiesenen Recht) den An-
wendungsfall des § 20 Abs 2, 1. Fall IPRG als gegeben und hat österr Recht als Kläger-
recht wegen der „einheitlichen Anwendung österreichischen Scheidungsrechts“ auch
auf die Widerklage der deutschen Frau angewendet; dazu Verschraegen, Das „utilior“-
und „melius“-Kriterium im Österreichischen Internationalen Privatrecht, illustriert am
Beispiel des favor divortii, ZfRV 1987, 188; vgl auch OGH JBl 1988, 519.
91
§ 11 Familienrecht
40 Der zur Zeit der Ausarbeitung des IPRG legistisch bereits vorbereiteten Regelung der
einvernehmlichen Scheidung in § 55a EheG wurde vom Gesetzgeber (versehentlich?)
kollisionsrechtlich nicht Rechnung getragen.
41 In zwei Fällen ein früherer Bürger Pakistans und in einem Fall ein früherer Ägypter.
42 SZ 2006/128 = JBl 2007, 596 = ZfRV 2007/6, 35 (Nademleinsky); dazu Posch, „Islamisie-
rung“ des Rechts? ZfRV 2007, 124.
43 Zak 2007/626, 359 = EF-Z 2008/8, 24 (Nademleinsky).
44 Zak 2008/267, 153= iFamZ 2008/87, 169; dazu auch Rz 8/3.
45 Vgl Rz 3/9; Rz 11/1 FN 4.
46 Vgl Rz 9/12 FN 52.
92
Kindschaft § 11
sung des Ehebandes gewährt, unterbindet und durch das Recht des Fo-
rumstaates ersetzt47.
C. Kindschaft
93
§ 11 Familienrecht
53 Haager Übereinkommen über die Zuständigkeit der Behörden und das anzuwendende
Recht auf dem Gebiet des Schutzes von Minderjährigen [. . .] vom 5.10.1961, BGBl
1975/446. Dieses nicht sehr erfolgreiche Übereinkommen soll durch das Haager Über-
einkommen vom 19.10.1996 über den Schutz von Kindern abgelöst werden, das bisher
erst in 15 Staaten Geltung erlangt hat und von Österreich zwar gezeichnet, aber (noch)
nicht ratifiziert worden ist. Näher dazu Nademleinsky/Neumayr, Internationales Fami-
lienrecht, Rz 08.17 ff.
54 Haager Übereinkommen über das auf Unterhaltsverpflichtungen gegenüber Kindern an-
zuwendende Recht vom 24.10.1956, abgek HUStÜ, BGBl 1961/293.
55 Als allgemeine Regel zur Bestimmung des auf Unterhaltspflichten anzuwendenden
Rechts sieht Art 3 des Protokolls vor, dass das Recht des Staates maßgebend ist, in dem
die berechtigte Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat. In Art 4 und 5 finden sich
noch besondere Regeln zugunsten bestimmter berechtigter Personen und in Bezug auf
Ehegatten und frühere Ehegatten und Art 8 eröffnet eine kanalisierte Rechtswahl durch
die berechtigte und die verpflichtete Person.
56 BGBl 1974/79.
57 BGBl 1966/45.
58 Ausführlich dazu Nademleinsky/Neumayr, Internationales Familienrecht, Rz 09.1–
Rz 09.29.
59 Nur hinsichtlich der unehelichen Abstammung wird hiervon aus Gleichheitsgründen
eine Ausnahme gemacht.
60 Eine Ausnahme bildet aus Gründen der Familienintegration die Annahme an Kindes-
statt.
94
Kindschaft § 11
61 Dies gilt auch im Falle der Zeugung durch heterologe (= mit „Spendersamen“ vorge-
nommene) Insemination: OGH ZfRV 1996, 160/36.
62 Die zuvor bestehende Anknüpfung an das für die Ehelichkeit „günstigere“, das heißt an
das die Anfechtung eher ausschließende oder erschwerende Recht (favor legitimationis)
ist wegen der weitgehenden Anpassung der Rechtsstellung von unehelichen und eheli-
chen Kindern in den nationalen Sachrechten bedeutungslos geworden.
63 Sie ist für manche Kollisionsrechtler terminologisch eine „Vorfrage“.
64 Fraglich ist, ob die hier gegebene Regelungslücke mit dem „Ungültigkeitsstatut“ zu fül-
len ist.
65 Ob diese Frage „Erstfrage“ oder „Vorfrage“ ist, soll dahingestellt sein.
95
§ 11 Familienrecht
schriften oder nach dem für die Legitimation maßgebenden Sachrecht als
wirksam zustande gekommen anzusehen ist.
Die Voraussetzungen der Legitimation eines unehelichen Kindes
durch Ehelicherklärung („Reskriptlegitimation“) richten sich gemäß § 23
IPRG nach dem jeweiligen (letzten) Personalstatut des Vaters. Ist aber nach
dem Personalstatut des Kindes dessen Zustimmung oder die Zustimmung
eines familienrechtlich verbundenen Dritten (zB der Mutter) erforderlich,
ist nicht nur auf das väterliche Personalstatut abzustellen, vielmehr hat zu-
sätzlich eine Prüfung nach dem Personalstatut des Kindes zu erfolgen.
Durch den Anknüpfungsbegriff „Legitimation eines unehelichen Kindes
durch Ehelicherklärung“ wird der tatbestandliche Qualifikationsrahmen
von § 23 IPRG relativ eng gezogen. Gemeint scheinen nur die Ehelich-
erklärungen durch staatlichen Hoheitsakt zu sein, was Ehelicherklärungen,
bei denen ein Kind durch private Erklärung eines Elternteils in die dem
Kind günstigste Statusstufe erhoben wird, ausschließen würde.
11/14 Vorbehaltlich des jeweiligen Anwendungsbereiches der einschlägigen
staatsvertraglichen Regelungen, insbesondere des Minderjährigenschutz-
und des Unterhaltsstatut-Übereinkommens, sind die Wirkungen der ehe-
lichen Abstammung und der Legitimation gemäß § 24 IPRG nach dem je-
weiligen Personalstatut des Kindes zu beurteilen. Hier liegt also ein wan-
delbares Statut vor. Dabei ist unter „Wirkungen“ der Gesamtbereich der
familienrechtlichen Verhältnisse zwischen Eltern und Kind zu verstehen66.
Ausgenommen sind wegen der §§ 13 und 28 IPRG Wirkungen namens-
rechtlicher67 und erbrechtlicher Natur.
Geht es, wie in einer bekannten Entscheidung des OGH68, auf Antrag
der österreichischen Mutter um die Regelung der Elternrechte für den ita-
lienischen Sohn nach faktischer Ehetrennung vom italienischen Vater,
kommt es gemäß § 24 iVm § 5 IPRG zur Verweisung auf das italienische
Recht, dessen damals relevanter Art 20 Abs 1 der Einführungsbestimmun-
gen zum Codice civile die Verweisung annahm, so dass sich die Eltern-
rechte nach dem italienischen Heimatrecht des Vaters beurteilten69.
96
Kindschaft § 11
Nach § 25 Abs 1 IPRG sind die sachlichen Voraussetzungen der Feststel- 11/15
lung und der Anerkennung der unehelichen Vaterschaft sowie ihrer Be-
streitung70 nach dem Personalstatut des Kindes im Geburtszeitpunkt oder,
je nach Zulässigkeit, nach einem späteren Zeitpunkt zu beurteilen. Kein
Fall der Zulässigkeit liegt vor, wenn das spätere Personalstatut lediglich
„günstiger“ wäre71. Für die privatrechtliche, nicht prozessuale Form des
Anerkenntnisses gilt das Formstatut des § 8 IPRG.
Nach § 25 Abs 2 IPRG richten sich die „Wirkungen der Unehelichkeit“
eines Kindes, zB seine Pflege und Erziehung, die Vertretung und der gesetz-
liche Unterhalt, nach seinem Personalstatut im jeweiligen Beurteilungszeit-
raum72. Hier ist aber für die Praxis zu beachten, dass die Unterhaltsfrage –
einschließlich der Vaterschaftsvorfrage – oftmals auf der Grundlage des Un-
terhaltsstatutübereinkommens durch Anknüpfung an den gewöhnlichen
Aufenthaltsort des Kindes zu lösen ist73. Ebenso verdrängen bei Beurtei-
lung elterlicher Gewalt und Vormundschaft die Anknüpfung des Minder-
jährigenschutzübereinkommens an den gewöhnlichen Aufenthalt des Min-
derjährigen74 und die Anerkennung von „Gewaltverhältnissen“ nach den
Sachnormen des Heimatrechtes des Kindes75 die Anknüpfungsregel des
§ 25 Abs 2 IPRG.
Gemäß § 25 Abs 3 IPRG werden die mit der Schwangerschaft und der
Entbindung zusammenhängenden Ansprüche der Mutter gegen den Va-
ter des unehelichen Kindes76 nach dem jeweiligen Personalstatut der Mut-
ter beurteilt.
Das Zustandekommen und die Beendigung der Adoption sind gemäß 11/16
§ 26 IPRG77 nach dem Personalstatut jedes der Annehmenden und des (ei-
genberechtigten) Anzunehmenden zur Zeit des Adoptionsaktes zu beur-
teilen78. Es handelt sich hier um ein unwandelbares Statut und um einen
Fall der kumulativen Anknüpfung79. Ist der Anzunehmende nicht eigenbe-
und Erziehung eines türkischen Kindes türkischer Eltern, die in aufrechter Ehe lebten,
nach einer Kindesmisshandlung an die in der Türkei lebende Großmutter; zu beachten
ist, dass auch die Türkei damals nicht Vertragsstaat des HMjSchÜ war.
70 Vgl OGH ZfRV 1987, 68.
71 ZB österr Recht; vgl OGH JBl 1981, 600 (Schwimann) = ZfRV 1981, 149 (Schwind).
72 Vgl OGH EvBl 1990/43 = JBl 1990, 173: Sorgerecht nach ugandischem Recht.
73 Vgl nur OGH JBl 1981, 600 = ZfRV 1981, 149.
74 Art 1 f HMjSchÜ: Sachnormverweisung!
75 Art 3 HMjSchÜ.
76 Vgl § 168 ABGB.
77 IdF BGBl I 2004/58.
78 Das gilt auch für die Erwachsenenadoption: OGH ZfRV 2004/23, 158.
79 § 26 Abs 1 IPRG ist eine Gesamtverweisung (§ 5 IPRG); ZfRV 2007/19, 119 (Nadem-
leinsky).
97
§ 11 Familienrecht
98
Kindschaft § 11
iure anerkannt werden. Somit ist jedenfalls für Adoptionen, die in den An-
wendungsbereich dieses Übereinkommens fallen, ein langjähriges Deside-
rat realisiert worden. Denn das Fehlen eines inländischen Verfahrens, das –
analog zur Anerkennung ausländischer Ehescheidungen85 – mit allgemein
bindender Wirkung festgestellt hätte, dass eine bestimmte ausländische Sta-
tusentscheidung für den österreichischen Rechtsbereich anerkannt werde,
war Gegenstand der Kritik. Für andere Auslandsadoptionen, die im betref-
fenden Ausland durch einen förmlichen hoheitlichen Akt86 ihre Wirksam-
keit erlangt haben, gilt aber nach wie vor, dass sie im Rahmen der inländi-
schen Vorfragenbeurteilung incidenter anzuerkennen sind, wenn die
entsprechenden inländischen Anerkennungsvoraussetzungen vorliegen.
Diese sind im österreichischen Recht vorbehaltlich einschlägiger Staatsver-
träge nach §§ 79 ff EO87 iVm § 113b JN zu beurteilen. Eine substanzielle
Überprüfung88 des ausländischen Adoptionsaktes findet lediglich im Rah-
men des ordre public statt89.
Die kollisionsrechtliche Beurteilung des Unterhalts – einschließlich der 11/18
die Abstammung betreffenden Vorfrage – von ehelichen, unehelichen und
legitimierten Kindern sowie Wahlkindern, die unverheiratet sind und das
21. Lebensjahr noch nicht vollendet haben90, richtet sich nach dem Haager
Unterhaltsstatutübereinkommen, das Österreich im Jahre 1961 ratifiziert
hat91. „Unterhaltsbeziehungen zwischen Seitenverwandten“ sind vom Gel-
tungsbereich dieses Übereinkommens ausdrücklich ausgenommen92. Als
maßgebend wird das Sachrecht des jeweiligen gewöhnlichen Aufenthalts-
ortes des Kindes in einem Vertragsstaat bezeichnet93. Jeder Vertragsstaat
kann jedoch gemäß Art 2 sein eigenes Recht für anwendbar erklären, wenn
99
§ 11 Familienrecht
der Anspruch vor eine Behörde dieses Staates gebracht wird, Unterhalts-
pflichtiger und Kind diesem Staat angehören und der Unterhaltspflichtige
dort seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat94. Hat das Kind nach dem Recht
seines gewöhnlichen Aufenthaltes keinen Unterhaltsanspruch, wird das
Recht des Staates angewendet, auf welches das IPR des angerufenen Staates
verweist. Das Recht des gewöhnlichen Aufenthaltes des Kindes braucht
von den Behörden eines Ratifikationsstaates nicht angewandt zu werden,
wenn es im Einzelfall offensichtlich („manifestement“) gegen den ordre
public dieses Staates verstößt.
11/19 Das Rechtsgebiet, das im ABGB zuvor mit den Begriffen der Vormund-
schaft und Kuratel bzw Pflegschaft assoziiert wurde, ist materiellrechtlich
zunächst mit Wirkung vom 1.7.2001 unter Verzicht auf den als obsolet
empfundenen terminus technicus „Vormundschaft“ unter der Überschrift
„Obsorge einer anderen Person“ neu geordnet worden95, zudem steht ab
1.7.2007 das neue 5. Hauptstück des 1. Teiles des ABGB96 in Geltung, in
dem das Recht der Sachwalterschaft einer umfassenden und detaillierten
Neuregelung zugeführt wurde97. Nach wie vor ist im IPRG aber von Vor-
mundschaft und Pflegschaft bzw von Entmündigung die Rede, doch wird
man diese Verweisungsbegriffe den neuen verba legalia des materiellen
Rechts anzupassen haben.
Gemäß § 27 Abs 1 IPRG gilt, soweit nicht staatsvertragliches Recht vor-
geht, für die Voraussetzungen bezüglich der Anordnung und Beendigung
der „Obsorge einer anderen Person“ sowie für deren Wirkungen, wie Um-
fang und Inhalt der Obsorgepflicht, das Personalstatut des Pflegebefohle-
nen. Alle sonstigen damit verbundenen, vornehmlich verfahrenskonnexen
Fragen sind, „soweit sie die Führung an sich betreffen“, wie etwa die Kon-
trolle der Rechnungslegung oder das Entschlagungsrecht des mit der Ob-
sorge Betrauten, gemäß § 27 Abs 2 IPRG nach dem Sachrecht der zuständi-
gen Behörde (lex fori) zu beurteilen.
94 Von dieser Ermächtigung des Art 2 UStÜ hat Österreich wie viele andere Vertragsstaaten
(Belgien, Italien, Liechtenstein, Luxemburg, Schweiz, Türkei) Gebrauch gemacht, vgl
Art 2, BGBl 1961/295; die übrigen Vertragsstaaten sind Deutschland, Frankreich, Japan,
Niederlande, Portugal und Spanien.
95 Wegen eines Redaktionsversehens steht diese Überschrift sogar in doppelter Form vor
§ 187 ABGB.
96 Es ist überschrieben mit „Von der Sachwalterschaft, der sonstigen gesetzlichen Vertre-
tung und der Vorsorgevollmacht“.
97 §§ 268–284h ABGB.
100
Obsorge einer anderen Person und Sachwalterschaft § 11
101
§ 11 Familienrecht
E. Eingetragene Partnerschaft
102
Eingetragene Partnerschaft § 11
haben“, mangels eines solchen das „Recht des Staates, in dem beide ihren
letzten gewöhnlichen Aufenthalt gehabt haben, sofern ihn einer von ihnen
beibehalten hat“, und erst zweitens, das „gemeinsame, mangels eines sol-
chen das letzte gemeinsame Personalstatut der Lebenspartner, sofern es
einer von ihnen beibehalten hat“, berufen sind113. In dritter Linie soll wie-
derum subsidiär österreichisches Recht zur Anwendung kommen, das
auch anzuwenden sein wird, soweit das maßgebende Recht „die persön-
lichen Rechtswirkungen der eingetragenen Partnerschaft nicht regelt“.
Im Hinblick auf das Güterrecht der eingetragenen Partnerschaft erklärt
§ 27c IPRG, hierin mit § 19 IPRG übereinstimmend, primär das von den
Parteien ausdrücklich bestimmte Recht für maßgebend. Fehlt eine Rechts-
wahl, soll das Recht des Staates, in dem die eingetragene Partnerschaft be-
gründet wurde, anzuwenden sein. Für die Auflösung der eingetragenen
Partnerschaft gilt gemäß § 27d dieselbe Hierarchie wie in § 27b, wobei der
Zeitpunkt der Auflösung der relevante Beurteilungszeitpunkt ist. Auch
hier ist in dritter Linie österreichisches Recht anzuwenden, das auch dann
eingreift, wenn „nach dem nach Z 1 und Z 2 maßgebenden Recht die einge-
tragene Partnerschaft auf Grund der geltend gemachten Tatsachen nicht
aufgelöst werden kann“.
Die Erläuterungen zu Artikel 5 der RV114 betonen, dass die neuen
§§ 27a–27d IPRG grundsätzlich „soweit sich aus dem Sinn der einzelnen
Bestimmungen nicht Abweichendes ergibt“115 Gesamtverweisungen116
seien und das Zusammenspiel der Verweisungsnormen beachtet werden
müsse, so dass die namensrechtlichen Wirkungen einer eingetragenen Part-
nerschaft nach § 13 und ihre erbrechtlichen Folgen nach § 28 IPRG anzu-
knüpfen sind.
103
§ 12. Erbrecht
A. Allgemeines
104
Allgemeines § 12
lösen: Richtet sich die Erbfähigkeit nach dem Statut des Erben oder des
Erblassers? Wie werden Mehrstaater behandelt? Beurteilt sich die Testier-
fähigkeit nach dem Zeitpunkt der Testamentserrichtung, nach dem des To-
des oder nach beiden, wovon wieder das anzuwendende Recht abhängen
kann? Sollen für die Testamentsform im Sinne des favor testamenti eigene
Anknüpfungsgründe gelten?
Ungewiss ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt2, wann und mit welchem
Inhalt der „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments
und des Rates über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Aner-
kennung und die Vollstreckung von Entscheidungen und öffentlichen Ur-
kunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlass-
zeugnisses“3 realisiert werden wird4. In Kapitel III dieses Vorschlags finden
sich die Regeln über das anzuwendende Recht, die sich wesentlich von der
derzeitigen Rechtslage in Österreich unterscheiden. So soll nach Art 16
„die gesamte Rechtsnachfolge von Todes wegen dem Recht des Staates, in
dem der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufent-
halt hatte“ unterliegen, doch würde gemäß Art 17 eine Person unter Ein-
haltung der für letztwillige Verfügungen vorgesehenen Form „die Rechts-
nachfolge in ihren gesamten Nachlass“ dem Recht des Staates, dem sie
angehört, unterwerfen können5.
In Österreich ist das überkommene internationale Erbrecht mit dem In- 12/2
krafttreten des IPR-Gesetzes für die nach dessen Inkrafttreten vollendeten
Tatbestände6 grundlegend verändert worden. Während zuvor ein Gleich-
lauf zwischen inländischer Abhandlungsgerichtsbarkeit und anwendbarem
inländischen Sachrecht herrschte, wurden die auf die Anwendbarkeit ös-
terreichischen Sachrechts hinweisenden Passagen aus §§ 23, 25 und 140
AußStrG 1854 eliminiert. In Verbindung mit den Bestimmungen des All-
gemeinen Teils7 wurde durch §§ 28 bis 30 IPRG erstmals grundsätzlich all-
seitig formuliertes Erbkollisionsrecht geschaffen. Daneben war im öster-
reichischen internationalen Erbrecht schon vor dem IPR-Gesetz
hinsichtlich der Testamentsform das einschlägige Haager „Übereinkom-
men über das auf die Form letztwilliger Verfügungen anzuwendende
2 1.7.2010.
3 KOM(2009) 154 endg vom 14.10.2009.
4 Mit ihren einheitlichen Dokumentenvorlagen sollte diese Verordnung die Abwicklung
grenzüberschreitender Nachlässe wesentlich vereinfachen.
5 Dazu Kindler, Vom Staatsangehörigkeits- zum Domizilprinzip: das künftige internatio-
nale Erbrecht der Europäischen Union, IPRax 2010, 44.
6 §§ 7, 50 IPRG.
7 Unter denen § 5 IPRG, der die Gesamtverweisung als Regelform der erbrechtlichen Ver-
weisung vorsieht, von der Praxis lange vernachlässigt worden ist.
105
§ 12 Erbrecht
106
Das allgemeine Erbstatut § 12
107
§ 12 Erbrecht
C. „Kaduzitätsstatut“
12/5 Besonderes ordnet das Gesetz für die Anknüpfung des Heimfallsrechts
des Staates im Falle einer erblosen Verlassenschaft an, indem es in § 29
IPRG ein eigenes Kaduzitätsstatut vorsieht22. Nicht dem Erbstatut, son-
dern dem Sonderstatut des § 29 IPRG folgt der Erwerbstitel für den Nach-
lass, der nach dem im § 28 IPRG bezeichneten Recht erblos wäre bzw einer
„Gebietskörperschaft“23 als gesetzlichem Erben zufallen würde. Zur An-
108
Verfügungen von Todes wegen § 12
wendung kommt in einem solchen Fall „das Recht jeweils des Staates, in
dem sich Vermögen des Erblassers im Zeitpunkt seines Todes befindet“.
Durch die Berufung der jeweiligen lex rei sitae wird dem teilweise öffent-
lichrechtlichen Charakter dieser Art von Sondererbfolge Rechnung getra-
gen (Okkupationsprinzip)24.
109
§ 12 Erbrecht
wöhnlichen Aufenthalt hatte, oder für unbewegliches Vermögen der lex rei
sitae entspricht.
Dasselbe gilt gemäß Art 2 TestÜ für den Widerruf einer testamentari-
schen Verfügung und gemäß Art 4 des Übereinkommens für gemein-
schaftliche Testamente. Für das Übereinkommen ist ein weites Verständ-
nis des Formbegriffs charakteristisch, da gemäß seinem Art 5 auch
diejenigen Vorschriften, welche die Testamentsform in Bezug auf das Alter,
die Staatsangehörigkeit oder andere persönliche Eigenschaften beschrän-
ken28 sowie die Vorschriften über Eigenschaften der Testamentszeugen29
als „zur Form gehörend“ angesehen werden und daher in den Anwen-
dungsbereich des Übereinkommens fallen. Gemäß Art 7 TestÜ darf die
Anwendung eines durch das Übereinkommen für maßgebend erklärten
Rechts nur abgelehnt werden, „wenn sie mit der öffentlichen Ordnung of-
fensichtlich unvereinbar ist“.
28 Vgl §§ 566 ff ABGB; dazu OGH NZ 1988, 103 = IPRax 1988, 365 (Schwind, 375).
29 Vgl §§ 591 ff ABGB.
110
§ 13. Sachenrecht und Immaterialgüterrecht
A. Allgemeines
Gemäß § 31 Abs 1 IPRG sind Erwerb und Verlust dinglicher Rechte an 13/2
körperlichen Sachen nach dem Recht des Staates zu beurteilen, „in dem
sich die Sachen bei Vollendung des dem Erwerb oder Verlust zugrunde lie-
genden Sachverhalts befinden“2. Die Regel gilt für alle Sachenrechte, also
111
§ 13 Sachenrecht und Immaterialgüterrecht
für das Eigentum und das Wohnungseigentum, für das Pfand- und das
(drittwirksame) Retentionsrecht gemäß § 471 ABGB, für das Baurecht
nach dem Baurechtsgesetz sowie aufgrund ausdrücklicher Anordnung
auch für den Besitz. Für Dienstbarkeiten und Reallasten ist das Statut der
belasteten Sache maßgebend.
§ 31 Abs 2 IPRG stellt überdies klar, dass die rechtliche Gattung der
Sachen und der Inhalt der Sachenrechte ebenfalls nach dem Recht des Staa-
tes zu beurteilen sind, in dem sich die Sachen befinden. Demnach wären
auch nachbarrechtliche Abwehransprüche, zB gegen grenzüberschreitende
Immissionen, nach dem Recht am Ort der beeinträchtigten Liegenschaft zu
beurteilen3.
13/3 Entschädigungslose Konfiskation und Enteignung gegen Entschädigung
von beweglichen und unbeweglichen Sachen richten sich nach dem Recht
des Staates, in dem das enteignete Gut liegt. Befand sich konfisziertes Ver-
mögen einer juristischen Person zur Zeit der Konfiskation außerhalb des
Sitzstaates, wird es nicht von der Einziehung erfasst, während sich die Ent-
eignung auch auf außerhalb des Hoheitsgebietes des Sitzstaates belegene
Vermögenswerte erstreckt4. Es wäre mit dem österreichischen ordre public
unvereinbar, gewesen, hätten sich die Wirkungen von Konfiskationen, wie
sie nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs allenthalben in einigen der Ös-
terreich unmittelbar benachbarten Staaten erfolgten, auf Vermögenswerte
erstreckt, die sich auf österreichischem Hoheitsgebiet befanden bzw befin-
den. Rückstellungsansprüche wegen Vermögensentziehung richten sich
grundsätzlich nach dem Recht des Staates, in dem die Entziehung erfolgte,
doch sind in diesem Zusammenhang zahlreiche von Österreich bilateral
abgeschlossene Rückstellungs- und Entschädigungsabkommen5 zu beach-
ten6.
13/4 Getrennt anzuknüpfen ist die Frage der persönlichen Erwerbsfähigkeit,
für die das Personalstatut maßgebend ist. Ebenso sind Fragen der rechtsge-
schäftlichen Vertretung von der Anknüpfung an das Realstatut ausgenom-
men. Sie sind nach § 49 IPRG anzuknüpfen. Die Form dinglicher Verfü-
gungen folgt hingegen der lex rei sitae. Klar unterschieden werden muss
112
Statutenwechsel und Anerkennung fremder dinglicher Rechte § 13
Es gehört zum Wesen beweglicher Sachen, dass ihr Lageort verändert wer- 13/5
den kann. Da sich der Erwerb und Verlust einer beweglichen Sache gemäß
§ 31 Abs 1 IPRG nach dem Recht des Staates bestimmt, in dem sie sich zu
jener Zeit befand, zu der sie erworben oder verloren wurde, ändert sich an
der sachenrechtlichen Zuordnung durch den Wechsel des Lageortes in
einen anderen Staat nichts, wenn die Übertragung des dinglichen Rechts
schon abgeschlossen war. Solange der sachenrechtliche Tatbestand nicht
abgeschlossen ist, bewirkt die Ortsverlagerung einer Sache von einem
Staat in einen anderen jedoch eine einem Statutenwechsel vergleichbare
Veränderung, da sie in sachenrechtlicher Hinsicht in das neue maßge-
bende Recht eintritt. Die Beurteilung der rechtlichen Gattung der Sachen
und die Anerkennung des Inhalts von dinglichen Rechten, die nach dem
Recht des bisherigen Lageorts erworben bzw begründet wurden, richten
sich dann gemäß § 31 Abs 2 IPRG nach dem Recht des neuen Belegenheits-
orts, und zwar mit „heilender“ Wirkung9, oder aber, wie die Widerstands-
kraft der österreichischen Sachenrechtsordnung gegenüber deutschem –
besitzlosen – Sicherungseigentum beweist, mit „vernichtender“ Wirkung10.
7 Vgl OGH EvBl 1985/117 = ZfRV 1986, 226 (Hoyer) = IPRax 1986, 175 (Schwind, 191).
8 Das ist aus § 1 IPRG zu folgern, vgl auch § 905 Abs 1 ABGB.
9 Vgl OGH RdW 1987, 405 = ÖBA 1987, 930: Ein Eigentumsvorbehalt, der nach schwei-
zerischem Recht mangels Registereintragung unwirksam ist, wird nach Grenzübertritt
des Vorbehaltsgutes in die österr Rechtsordnung nach deren Regeln wirksam; vgl hin-
sichtlich des Eigentumsvorbehalts auch OGH JBl 1992, 707.
10 Vgl OGH SZ 56/188 = JBl 1984, 550 (Schwimann) = IPRax 1985, 165 (Martiny, 168);
dazu auch Hoyer, Sind Sicherungseigentum und Pfandrecht gleich zu behandeln? JBl
1984, 543; LG Linz JBl 1989, 185: In beiden Fällen wurde die Frage verneint, ob ein an
einem Kfz in Deutschland zulässigerweise begründetes besitzloses Sicherungseigentum
nach Lageortwechsel des Sicherungsgutes in das Inland durch Exzindierungsklage gel-
113
§ 13 Sachenrecht und Immaterialgüterrecht
E. Sonderprobleme
tend gemacht werden könne. Vgl die Lösung des Art 102 Abs 2 schweizIPRG („. . . so
bleibt der Eigentumsvorbehalt in der Schweiz noch während drei Monaten gültig“).
11 Vgl § 33 Abs 2 IPRG.
114
Sonderprobleme § 13
wendungen dienen, die für das Fahrzeug getätigt wurden, wiederum nach
der allgemeinen lex rei sitae-Regel beurteilt.
2. Wertpapiere
115
§ 13 Sachenrecht und Immaterialgüterrecht
richtet ist, das Recht dieses Staates; 3. wenn die Rechte durch Verbuchung
auf einem Konto in einem Vertragsstaat des EWR-Abkommens entstanden
sind, das Recht dieses Staates“ zur Anwendung.
F. Immaterialgüterrechte
17 Von diesem weitgespannten, vom IPRG vorausgesetzten Begriff erfasst werden subjek-
tive, vermögenswerte Rechte an geistigen Schöpfungen oder unkörperlichen Gütern, die
gewerblich verwertbar sind.
18 Grundsatz der „Inländerbehandlung“; vgl Welturheberrechtsabkommen in der Pariser
Fassung – WUA, BGBl 1982/293, Art 2 (nahezu weltweite Akzeptanz); Berner Überein-
kunft zum Schutz von Werken der Literatur und Kunst in der Pariser Fassung – RBÜ,
BGBl 1982/319, Art 5 Abs 1 (ebenfalls nahezu weltweite Geltung). Zu Abgrenzungsfra-
gen beider Abkommen OGH GRURInt 1985, 684 – Thonet „Mart-Stam-Stuhl“. Fer-
ner: Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutz des gewerblichen Eigentums – PVÜ,
BGBl 1973/399 idF BGBl 1984/384, Art 2 (nahezu weltweite Geltung); sowie Genfer
Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl 1955/55, Art 14 (Land des
gewöhnlichen Aufenthaltes ist Schutzland). Übersicht über die relevanten bilateralen
und multilateralen Vereinbarungen bei Verschraegen in Rummel3 § 34 IPRG vor Rz 1.
19 Für das Urheberrecht, vgl EuGH 20.10.1993, Rs C-92/92 & C-326/92 – Phil Collins, Slg
1993 I-5154.
20 ABlEG L 11 vom 14.1.1994, 1.
116
Immaterialgüterrechte § 13
21 Verordnung (EG) Nr. 509/2006 über die garantiert traditionellen Spezialitäten bei Agrar-
erzeugnissen und Lebensmitteln, ABlEU L 93 vom 31.3.2006, 1; Verordnung (EG)
Nr. 510/2006 zum Schutz von geografischen Angaben und Ursprungsbezeichnungen
für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel, ABlEU L 93 vom 31.3.2006, 12.
22 Zu erwähnen sind insb: Richtlinie 91/250/EWG des Rates vom 14.5.1991 über den
Rechtsschutz von Computerprogrammen, ABlEG L 122 vom 17.5.1991, 42; Richtli-
nie 93/98/EWG des Rates vom 29.10.1993 zur Harmonisierung der Schutzdauer des
Urheberrechts und bestimmter verwandter Schutzrechte, ABlEG L 290 vom
24.11.1993, 9; Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom
22.5.2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der ver-
wandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft, ABlEG L 167 vom 22.6.2001,
10; Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.4.2004
zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums, ABlEU L 195 vom 2.6.2004, 16;
zuletzt Richtlinie 2008/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom
22.10.2008 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Mar-
ken (kodifizierte Fassung) ABlEU L 299 vom 8.11.2008, 25.
23 Für Parteiautonomie ist bei der Anknüpfung von Immaterialgüterrechten nach dem
IPRG kein Raum.
24 Vgl OGH SZ 52/114 – „Parallelimporte“ von Schallplatten und anderen Tonträgern;
OGH SZ 56/107 – Attco/Atco: Markeneingriff, Österreich/Saudiarabien; ähnlich OGH
ÖBl 1987, 41 – Baygon: Markenpiraterie; OGH ÖBl 1986, 92 – Ferrox/Noverox: § 9
UWG, § 14 MSchG; OGH SZ 59/100 – Hilton Conti: Hotelvideo: Rechte US-amerika-
nischer Filmgesellschaften sind in Österreich nach dem österr UrhG geschützt; vgl fer-
ner OGH wbl 1992, 241 = ZfRV 1992, 382/46; ZfRV 1994, 73/12 = RdW 1994, 106;
ZfRV 1994, 122/23 = RdW 1994, 245; ZfRV 1996, 197/62 = ÖBl 1996, 279; zuletzt
ZfRV 2006/29, 197.
25 OGH ZfRV 2006/29, 197.
26 OGH SZ 60/77 = wbl 1987, 188 = IPRax 1988, 242 – Stefanel (Schlemmer, 252); OGH
ZfRV 1994, 208/45; vgl auch Art 110 Abs 1 schweizIPRG.
117
§ 13 Sachenrecht und Immaterialgüterrecht
27 OLG Wien JBl 1990, 386; OGH ÖBl 1992, 185 = MR 1992, 194 (Walter) = ZfRV 1993,
160 (Dillenz).
28 Bei einer gezielten Sendung ins Ausland war nach dieser Judikatur daher das Senderecht
für jedes Empfangsland (von dem dort Berechtigten) zu erwerben, da die Erteilung einer
Werknutzungsbewilligung für das Land, in dem sich die Abstrahlstation befindet, nicht
ausreichte. Die „Schutzlandanknüpfung“ wird in der Regel zur Anwendung der lex fori
führen, zwingend ist dieser Gleichlauf jedoch nicht. Die Rechtswahl durch die Parteien
ist hier unzulässig, dies ergibt sich bereits aus der taxativen Aufzählung der Rechtswahl-
gebiete des § 11 Abs 1 IPRG und auch aus dem besonderen Schutzcharakter des objektiv
jeweils anzuwendenden Rechts; vgl OGH ÖBl 1986, 73 – Hotel Sacher: Anwendung
deutschen Rechts unter Ausschluss einer allfälligen Rechtswahl bei firmen- und marken-
rechtlichem Schutz; das Recht an der Firma als dem „Handelsnamen“ des Kaufmanns ist
in einem weiteren Sinn zu den Immaterialgüterrechten zu zählen; vgl in diesem Zusam-
menhang Art 110 Abs 2 schweizIPRG, wonach eine Wahl der lex fori möglich ist.
29 Nicht übersehen werden darf hier, dass diese Regelung gesetzestechnisch keine Kolli-
sionsregel, sondern nur eine Begriffsbestimmung im materiellen Recht ist.
30 Richtlinie 93/83/EWG des Rates vom 27.9.1993 zur Koordinierung bestimmter urhe-
ber- und leistungsschutzrechtlicher Vorschriften betreffend Satellitenrundfunk und Ka-
belweiterverbreitung, ABlEG L 248 vom 6.10.1993, 15.
31 Erwägungsgrund 14.
32 BGBl 1996/151; dazu Gamerith, Die wichtigsten Änderungen der Urheberrechtsgesetz-
novelle 1996, ÖBl 1997, 99.
118
Immaterialgüterrechte § 13
tellitensendung kein Recht mit geringerem Schutzniveau als jenem der Sa-
telliten-TV-Richtlinie anzuwenden ist, sofern sich der Lageort der Erd-
funkstation von der aus die Programm tragenden Signale an den Satelliten
geleitet werden oder die Hauptniederlassung des diese Signale eingebenden
Rundfunkunternehmers in einem Mitgliedstaat des EWR befindet33.
Verträge über Immaterialgüterrechte, die vor dem 1.12.1998 abge- 13/11
schlossen worden waren, wurden nach dem international-vertragsrechtli-
chen Sonderstatut des § 43 aF IPRG beurteilt, nach dem auf das Recht des
Staates, für den das Immaterialgüterrecht übertragen oder eingeräumt
wird, abgestellt wurde34. Es war schon fraglich, ob dieser Grundsatz auch
noch nach dem Anknüpfungsregime des EVÜ gelten konnte und da auch
die Rom I-Verordnung keine besondere Verweisungsnorm für Verträge
über Immaterialgüterrechte vorsieht35, ergibt sich das Problem auch hier.
Art 4 Abs 2 Rom I-VO, der die subsidiäre Anknüpfung an das Recht der
charakteristischen Leistung vorsieht, ist demnach wohl auch auf einen Ver-
trag über Immaterialgüterrechte anzuwenden. So wird sich hier grundsätz-
lich das Aufenthalts- bzw Niederlassungsrecht des das Recht übertragen-
den Berechtigten als maßgeblich herausstellen36.
119
§ 13 Sachenrecht und Immaterialgüterrecht
renz des Gemeinschaftsgesetzgebers für das Recht der charakteristischen Leistung auch
für diese Verträge schließen.
37 BGBl I 2009/109, Art 1 Z 1.
38 Vgl Rz 15/17.
120
§ 14. Rechtsgeschäft
A. Allgemeines
121
§ 14 Rechtsgeschäft
B. Form
14/2 Für die Form einer Rechtshandlung, somit auch eines Rechtsgeschäfts, ist
eine alternative Anknüpfung in § 8 IPRG vorgesehen, der allerdings im
Hinblick auf schuldrechtliche Rechtsgeschäfte durch einschlägige Normen
in den Europäischen Instrumenten verdrängt wird5. Grundsätzlich ist ge-
mäß § 8 IPRG an das „Geschäftsrecht“, das ist das unter Beachtung von
Rück- und Weiterverweisung für das Ausführungsgeschäft maßgebende
Statut – die lex causae – anzuknüpfen, doch gilt darüber hinaus alternativ
das „Ortsrecht“, also das Recht des Ortes der Vornahme der Rechtshand-
lung, und zwar je nachdem, welches für die Gültigkeit des Geschäfts güns-
tiger ist6. Zwischen den beiden Anknüpfungsmöglichkeiten des § 8 IPRG
besteht keine Rangordnung7, vielmehr stehen die lex causae und die lex
loci actus gleichberechtigt nebeneinander8. Die Verweisung auf die Form-
vorschriften des Ortsrechts im zweiten Halbsatz des § 8 IPRG ist eine
Sachnormverweisung.
Was zur Form im Sinne des § 8 IPRG gehört, ist zunächst auf dem Bo-
den der österreichischen lex fori zu lösen. Im Rahmen weiterer (funktionel-
ler) begrifflicher Grenzziehung ist eine Formvorschrift anzunehmen, wenn
diese den typischen Formzwecken, insbesondere der Beweissicherung und
dem Schutz vor unüberlegten Geschäften, dient und keinen Entschei-
2 Art 11 Rom I-VO; vgl auch Art 21 Rom II-VO über die Anknüpfung der Form einer ein-
seitigen Rechtshandlung, die ein außervertragliches Schuldverhältnis betrifft.
3 Art 1 Abs 2 lit g) Rom I-VO.
4 Von einer Verweisungsnorm für „Vertreterverträge“, die der Vorschlag für die Rom I-VO
vom 15.12.2005, KOM(2005) 650 endg, in Art 7 vorgesehen hatte, der für das Verhältnis
des Vertretenen zum Vertreter und vom Vertreter zum Dritten Sonderanknüpfungen vor-
sah, wurde Abstand genommen.
5 Vgl Art 11 Rom I-VO, dazu Rz 15/22; Art 21 Rom II-VO, dazu Rz 15/37.
6 Vgl Rz 7/7.
7 Obwohl die Formulierung „es genügt“ dies nahe legen könnte.
8 Vgl OGH SZ 59/27.
122
Form § 14
9 OGH SZ 59/27.
10 Vgl Art 11 Abs 2 EGBGB.
11 Vgl Rz 12/7. Art 5 HTestÜ umschreibt, was zur Form gehört.
12 Gem § 52 Z 2 bzw 3 IPRG gelten weiterhin Art 92 WG bzw Art 62 ScheckG.
13 Vgl Art 9 Abs 6 EVÜ und Art 11 Abs 5 Rom I-VO; auch: Art 11 Abs 4 EGBGB, Art 119
Abs 3 schweizIPRG.
14 OGH GesRZ 1989, 225 (227).
123
§ 14 Rechtsgeschäft
C. Stellvertretung
14/5 Für die gewillkürte Stellvertretung sieht § 49 IPRG eine eigene Anknüp-
fungsregel vor, die schon vom Inkrafttreten des EVÜ insofern nicht tan-
giert worden war, als dieses die Rechtsbeziehungen des Vertretenen zum
Dritten – und nur diese, nicht jedoch das Grundgeschäft zwischen Vertre-
tenem und Vertreter – von seinem Anwendungsbereich ausgeschlossen
hatte. Da die Rom I-Verordnung denselben Anwendungsausschluss
vorsieht16, wird § 49 IPRG auch weiterhin vom EU-Kollisionsrecht nicht
tangiert. Anders als das ABGB, das in seinen Regeln über den „Bevoll-
mächtigungsvertrag“ nicht zwischen dem Innenverhältnis und dem Au-
ßenverhältnis differenziert, stellt das IPRG auf diese Unterscheidung ab.
Kollisionsrechtlich muss zwischen dem Hauptgeschäft17, dem Grundge-
schäft zur Bevollmächtigung18 und der eigentlichen Vollmacht19 unter-
schieden werden. Nur für letztere20 hat unter Einschluss der Fragen der
Vollmachtsüberschreitung, des Vollmachtsmissbrauches und der Vertre-
tung ohne Vollmacht21 die Bestimmung des § 49 IPRG Geltung.
Nach dem ersten Absatz dieser Kollisionsnorm sind die Voraussetzun-
gen und Wirkungen der gewillkürten Stellvertretung im Verhältnis des Ge-
schäftsherrn und des Stellvertreters zum Dritten nach dem vom Geschäfts-
herrn in einer für den Dritten erkennbaren Weise bestimmten Recht zu
15 § 76 Abs 2 GmbHG.
16 Art 1 Abs 2 lit g) Rom I-VO.
17 Das ist das Ausführungsgeschäft des Vertreters: zB ein Kaufvertrag.
18 Das kann eine Ermächtigung, ein Auftrag, Handelsvertretervertrag, Dienstvertrag usw
sein.
19 Hier geht es um die Erteilung von Vertretungsmacht nach außen, die Bestimmung ihres
Umfangs und ihr Erlöschen.
20 Auch für die Vollmacht in Bezug auf Grundstücksverträge.
21 Vgl OGH ZfRV 1987, 205.
124
Stellvertretung § 14
22 „Recht des realen Gebrauchsortes“; § 49 Abs 3 IPRG; vgl OGH ZfRV 2003/4, 22.
23 Vgl dazu Mänhardt, Vollmachtsstatut beim Schiedsvertrag, in Ostheim-FS (1990) 651.
24 Vornehmlich nach dem MjSchÜ, BGBl 1975/446.
25 Für die Vertretungsbefugnis naher Angehöriger und die Vorsorgevollmacht gilt das
„Sachwalterschaftsstatut“ des § 15 IPRG.
26 Vgl OGH GesRZ 1988, 226.
125
§ 14 Rechtsgeschäft
D. Verjährung
14/7 Das IPRG weist keine ausdrückliche Regelung der Anknüpfung der Ver-
jährung und der ihr verwandten Institute auf. Art 12 Abs 1 lit d) Rom I-
VO27 führt die „verschiedenen Arten des Erlöschens der Verpflichtungen
sowie die Verjährung und die Rechtsverluste, die sich aus dem Ablauf einer
Frist ergeben“ als Gegenstände an, auf die sich das nach der Rom I-Verord-
nung ermittelte Schuldvertragsstatut bezieht. Art 15 lit h) Rom II-VO sieht
eine etwas abweichende Formulierung vor, meint jedoch wohl dasselbe. Da
damit nur die von diesen Verordnungen erfassten vertraglichen und außer-
vertraglichen Schuldverhältnisse angesprochen sind, bleibt das autonome
Recht hier nach wie vor für die vom Anwendungsbereich der EU-Verord-
nungen ausgenommenen Schuldverhältnisse relevant. Für den Bereich des
IPR-Gesetzes ist von dem Grundsatz auszugehen, dass die Verjährung,
ihre Hemmung und Unterbrechung sowie die Verschweigung und Verwir-
kung nach der Rechtsordnung, die für den betreffenden Anspruch gilt, zu
beurteilen sind28. Dem entspricht, dass für die Ersitzung die lex rei sitae
maßgebend ist. Der Grundsatz der Maßgeblichkeit des Schuldstatuts hat
auch für judizierte Ansprüche („Judikatschulden“) Geltung29.
Die Verjährung bleibt nach österreichischem Verständnis ein Institut
des materiellen Zivilrechts, auch wenn ein fremdes Recht die Verjährung
prozessrechtlich qualifizieren mag. Ausländische Verjährungsvorschriften,
die gegenüber dem österreichischen Recht extrem nach oben oder unten
abweichen oder eine 30-jährige Verjährungsfrist plötzlich in eine dreijäh-
rige abkürzen, könnten unter Umständen zum Eingreifen der Vorbehalts-
klausel führen. Einschlägiges Internationales Einheitsprivatrecht ist von
Österreich weder gezeichnet noch ratifiziert worden30.
126
§ 15. Schuldverhältnisse
A. Allgemeines
Das Schuldrecht ist jener Teil des Privatrechtes, der den normativen Rah- 15/1
men des ökonomisch relevanten Rechtsverkehrs bildet. Wegen des wach-
senden Volumens der wirtschaftlichen Aktivitäten, die die innerhalb des
Binnenmarktes und im Verhältnis zu Drittstaaten bestehenden Rechtsord-
nungsgrenzen überschreiten, stellen sich hier in wachsender Quantität kol-
lisionsrechtliche Probleme, welche es geboten erscheinen ließen, das ein-
schlägige Kollisionsrecht in der Europäischen Union zu vereinheitlichen.
Wie das auf Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, das Schuldstatut,
auf befriedigende Weise nach einheitlichen Kriterien zu bestimmen sei,
war immer schon eine schwierige Aufgabe, da es an eindeutigen Anknüp-
fungsgründen mangelt. Schuldrechte haften nicht wie Sachenrechte an
einer Sache und damit an einem Ort und sind auch nicht so eng wie das Fa-
milien- oder Erbrecht mit der Person verbunden, ganz abgesehen davon,
dass im Schuldrecht überdies meist zwei oder mehr Personen im Spiel
sind. Zutreffend hat man hier vom „Fehlen eines organisatorischen Mittel-
punktes“ gesprochen (Kegel). Die Tatsache, dass sich für Schuldverhält-
nisse aus Vertrag (Rechtsgeschäft) und aus Gesetz (Delikt und andere
Rechtsgründe) ein gemeinsamer Anknüpfungspunkt nicht finden lässt, fin-
det im nunmehr EU-weit vereinheitlichten Kollisionsrecht wohl auch da-
rin Ausdruck, dass es mit der Rom I-Verordnung für vertragliche und der
Rom II-Verordnung für außervertragliche Schuldverhältnisse zwei ge-
trennte Rechtsquellen gibt, mag es für diese Trennung auch historische
Gründe geben. Jedenfalls ist diese Materie durch die auf die Vereinheitli-
chung des materiellen und internationalen Schuldrechts abzielenden Maß-
nahmen der europäischen Rechtssetzungsorgane deutlich komplizierter
geworden.
Grundsätzlich war und ist das Schuldstatut für alle Fragen des Schuld-
verhältnisses maßgebend, insbesondere für dessen Entstehung, Inhalt,
Wirkungen, Änderung, Übertragung, Abschwächung und Beendigung.
127
§ 15 Schuldverhältnisse
1 Insb durch die Verordnung (EWG) Nr. 2137/85 des Rates vom 25.7.1985 über die Schaf-
fung einer Europäischen wirtschaftlichen Interessenvereinigung (EWIV), ABlEG L 199
vom 31.7.1985, 1, die Verordnung (EG) Nr 2157/2001 des Rates vom 8.10.2001 über das
Statut der Europäischen Gesellschaft (SE), ABlEG L 294 vom 10.11.2001, 1, sowie die
Verordnung (EG) Nr. 1435/2003 des Rates vom 22.7.2003 über das Statut der Europä-
ischen Genossenschaft (SCE), ABlEU L 207 vom 18.8.2003, 1.
2 Vgl BGBl 1961/138, BGBl 1990/459.
3 BGBl 1985/225, Teilrevisionen BGBl 1991/1.
4 BGBl 1974/744. Vgl nunmehr Art 11 der Verordnung (EG) Nr 1371/2007 des Europä-
ischen Parlaments und des Rates vom 23.10.2007 über die Rechte und Pflichten der Fahr-
gäste im Eisenbahnverkehr, ABlEU L 315 vom 3.12.2007, 14.
5 BGBl 1974/744.
6 Durch das Montrealer Übereinkommen, das zum 1.6.2010 bereits 97 Vertragsstaaten
(auch Österreich) aufwies, ist das Warschauer Lufttransportübereinkommen, BGBl
1961/286, ergänzt durch das Zusatzabkommen von Guadalajara, BGBl 1966/46, und ge-
ändert durch das Haager Protokoll vom 28.9.1955, BGBl 1971/161, bedeutungslos ge-
worden. Der Rat der Europäischen Union hat das Montrealer Übereinkommen mit Be-
schluss vom 5.4.2001, ABlEG L 194 vom 18.7.2001, 38, genehmigt.
7 Genfer Wechsel- und Scheckrecht, BGBl 1932/289 und BGBl 1959/47; vgl auch BGBl
1955/49, 1955/50.
128
Allgemeines § 15
nationalen Warenkauf8 (CISG) vom 11.4.1980 zu, das für Österreich mit
1.1.1989 in Kraft9 getreten ist und zum Stichtag 1.7.2010 weltweit in
74 Staaten in Kraft steht10, wobei Art 1 CISG für die Praxis wichtig ist.
Diese Bestimmung sieht vor, dass das Übereinkommen auch dann auf
einen internationalen Warenkauf Anwendung findet, wenn nur eine der
Parteien ihre Niederlassung in einem Vertragsstaat hat und die Regeln des
IPR auf das Recht des Vertragsstaates verweisen11. Allerdings können die
Vertragsparteien die Anwendung des Übereinkommens zur Gänze aus-
schließen12, von seinen Bestimmungen abweichen oder deren Wirkungen
ändern.
Seit die Rom I-Verordnung an die Stelle des Europäischen Übereinkom- 15/3
mens über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht
(EVÜ)13 getreten ist, ist das Haager Übereinkommen über das auf Straßen-
verkehrsunfälle anzuwendende Recht14 als das für das Schuldrecht wich-
tigste Übereinkommen mit kollisionsrechtlichem Inhalt in Geltung ge-
blieben. Weiterhin wird das Recht, nach dem sich die außervertragliche
Haftung für Schäden, die bei Straßenverkehrsunfällen mit Auslandsberüh-
rung zugefügt werden15, bestimmt, nach diesem Übereinkommen be-
stimmt werden.
129
§ 15 Schuldverhältnisse
130
Allgemeine Anknüpfungsproblematik beim Schuldverhältnis § 15
Auch das Recht des Erfüllungsortes ist zu erwägen: So wurde die An-
knüpfung an dieses Recht bereits von Savigny vertreten. Für sie spricht,
dass das Schuldverhältnis auf Erfüllung zielt. Gleichwohl muss es nicht im-
mer die „engste Verbindung“ bzw „stärkste Beziehung“ zum Erfüllungs-
ort haben. Da entgeltliche Schuldverhältnisse zwei Erfüllungsorte haben
können, suchte Schnitzer das daraus resultierende Problem dadurch zu be-
heben, dass er auf den Niederlassungsort der Partei abstellte, die die cha-
rakteristische Leistung erbringt. Diese Lehre, nach welcher der Kaufver-
trag an das Ortsrecht des Warenlieferanten, der Werkvertrag und
Dienstvertrag an das Ortsrecht des Werkherstellers bzw Dienstleisters an-
zuknüpfen ist, hat sich in Europa als subsidiär greifende „objektive“ Be-
stimmung des anzuwendenden Rechts durchgesetzt. Ihre Schwäche ist,
dass das Kriterium der charakteristischen Leistung beim Tauschvertrag
und bei sogenannten „doppeltypischen Verträgen“ versagt und nicht für
alle Vertragstypen passt.
Sowohl für das Schuldvertragsrecht17, als auch für die gesetzlichen Schuld- 15/5
verhältnisse18 wird heute dem Parteiwillen der Vorrang gegenüber der ob-
jektiven Anknüpfung eingeräumt19. Dabei war lange Zeit umstritten, ob
der Grundsatz der Parteiautonomie beinhaltet, dass die Parteien auch frei
bestimmen können, welchem Recht ein Schuldvertrag unterworfen sein
soll. Zwar sind die Parteien in der Herstellung der tatsächlichen Anknüp-
fungsgründe jedenfalls frei, doch ist fraglich, ob damit auch bereits not-
wendigerweise das anzuwendende Recht einhergeht. Da kein Zweifel be-
steht, dass die Parteien bei Abschluss von Verträgen an die Stelle von ius
dispositivum ihre eigene Regelung treten lassen können, muss es auch zu-
lässig sein, dass sie sich auf die Geltung einer bestimmten Rechtsordnung
einigen und durch Verweisung auf ein anderes Recht auch die zwingenden
Regeln20 jener Rechtsordnung ausschließen, die nach den gesetzlichen Kol-
lisionsnormen für den Schuldvertrag Geltung beanspruchten. Es ist heute
anerkannt, dass es den Parteien auch offen steht, das Schuldverhältnis einer
Rechtsordnung zu unterwerfen, zu welcher der Sachverhalt keine Nahebe-
ziehung hat.
131
§ 15 Schuldverhältnisse
21 Während sich der nicht ausdrücklich geäußerte Parteiwille aber nach Art 3 Abs 1 EVÜ
nur „mit hinreichender Sicherheit aus den Bestimmungen des Vertrages oder aus den
Umständen des Falles ergeben“ musste, verlangt die Rom I-VO hier Eindeutigkeit.
22 So früher gemäß §§ 41 Abs 2, 44 Abs 3 aF IPRG und danach gemäß Art 5 Abs 2 und Art 6
Abs 1 EVÜ; nunmehr gemäß Art 6 Rom I-VO für Verbraucherverträge und Art 8 Rom
I-VO für „Individualarbeitsverträge“.
23 Vgl OGH SZ 68/17; zuvor obiter OGH SZ 58/188.
24 Zu denken ist an Schäden, die innerhalb einer ihrer Herkunft nach homogenen Reisege-
sellschaft im Ausland oder im Verlauf von Expeditionen zugefügt werden, an einen
Yachtunfall auf hoher See uä.
25 Die ältere von Wächter und Savigny vertretene Meinung, wonach die Sachnormen der
lex fori anzuwenden seien, weil die Vorschriften über Delikte zwingendes Recht seien,
setzte zwingendes Recht und ordre public gleich. Auch die an sich nicht gänzlich abwe-
gige Auffassung, wonach der Ersatzanspruch sowohl nach der lex loci delicti commissi als
auch nach der lex fori einklagbar sein müsste, hat sich nicht durchgesetzt. Vielmehr ist die
132
Die „Europäisierung“ des internationalen Schuldvertragsrechts § 15
Als eine Konsequenz des Beitritts zur Europäischen Union hatte Österreich 15/8
das Europäische Vertragsrechtsübereinkommen30 mit den zugehörigen
„double actionability rule“ des englischen Kollisionsrechts durch sec. 10 des Private
International Law (Miscellaneous Provisions) Act 1995 aufgegeben worden.
26 Zum EVÜ vgl Rz 15/3 insb FN 13. Das EVÜ hatte bei vielen Unterschieden im Detail im
Grundsätzlichen nicht zufällig viele Ähnlichkeiten mit dem Internationalen Schuldver-
tragsrecht des IPRG aufgewiesen, war doch den Redakteuren des IPRG der bereits seit
1972 vorliegende Entwurf des EVÜ nicht unbekannt gewesen.
27 § 49 IPRG, vgl Rz 14/5.
28 Zudem ist auch ein neu formulierter § 48 als eine Art „Lückenfüllungsnorm“ rückwir-
kend zugleich mit der Rom II-Verordnung am 11.1.2009 in Geltung getreten.
29 Ausgenommen Dänemark.
30 Da es dem EVÜ an einer Kompetenzgrundlage im Primärrecht mangelte, war es als völ-
kerrechtlicher Vertrag, der der Vereinheitlichung des internationalen Vertragsrechts in-
133
§ 15 Schuldverhältnisse
zwei Brüsseler Protokollen31 ratifiziert32. Mit dem durch den Vertrag von
Amsterdam in den III. Teil des EG-Vertrages eingefügten Titel IV wurde
eine Rahmenordnung für einen Europäischen Raum der Freiheit, der
Sicherheit und des Rechts geschaffen, in der mit dem supranationalen In-
strumentarium des Europarechts operiert werden konnte. So ist die Verein-
heitlichung des Kollisionsrechts durch die nach Rom benannten Verord-
nungen möglich geworden. Am 17.6.2008 wurde die „Verordnung (EG)
Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf ver-
tragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (‚Rom I‘)“ verabschie-
det33, die gemäß ihrem Art 29 seit dem 17.12.2009 als das Internationale
Schuldvertragsrecht der Europäischen Union in Geltung steht. Die Verfas-
ser der Verordnung mussten daran interessiert sein, in inhaltlicher Hinsicht
Kontinuität mit dem EVÜ zu wahren; und obwohl die Verordnung in
mehrfacher Weise von den Regelungen des EVÜ abweicht34, ist der Rom I-
Verordnung doch zu attestieren, dass sie keinen Fortschritt in zu großen
Schritten anstrebt, sondern das bisherige Recht behutsam fortschreibt35.
Da Art 2 Rom I-VO die universelle Anwendung der Verordnung an-
ordnet, bleibt für eine autonome Regelung von Teilaspekten des Interna-
tionalen Schuldvertragsrechts nur wenig Raum. Von §§ 35 ff IPRG ist nur
die Erinnerung an ein durchaus brauchbares und flexibles Anknüpfungsre-
gime und § 49 über die „gewillkürte Stellvertretung“36 verblieben.
nerhalb der Europäischen Gemeinschaft diente und dem nur Mitgliedstaaten beitreten
konnten, als „begleitendes Gemeinschaftsrecht“ zu qualifizieren.
31 Erstes Protokoll betreffend die Auslegung des am 19.6.1980 in Rom zur Unterzeich-
nung aufgelegten Übereinkommens über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzu-
wendende Recht durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften vom
19.12.1988, ABlEG L 48, vom 20.2.1989, 1; Zweites Protokoll zur Übertragung be-
stimmter Zuständigkeiten für die Auslegung des am 19. Juni 1980 in Rom zur Unter-
zeichnung aufgelegten Übereinkommens über das auf vertragliche Schuldverhältnisse
anzuwendende Recht auf den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften vom
19.12.1988, ABlEG L 48, vom 20.2.1989, 17; beide Protokolle sind kundgemacht in
BGBl III 1998/208.
32 Wegen eines vom Nationalrat „offenbar versehentlich“ beschlossenen Erfüllungsvorbe-
halts gem Art 50 Abs 2 B-VG sind das als „self executing“ zu qualifizierende EVÜ und
die durch dieses notwendigen Änderungen des IPRG im österr BGBl an vier verschiede-
nen Stellen verstreut publiziert worden: BGBl I 1998/119; BGBl III 1998/166; BGBl III
1998/208 und BGBl I 1999/18; dazu Adensamer, Nochmals zum Römer Schuldvertrags-
übereinkommen, ecolex 1999, 11.
33 ABlEU L 177 vom 4.7.2008, 6.
34 Das wurde von der deutschen BMJ Zypries in der Presseaussendung ihres Ministeriums
vom 6.6.2008 damit begründet, dass die „Modernisierung einiger bestehender Regelun-
gen“ unumgänglich gewesen sei, um den Veränderungen im Rechts- und Wirtschaftsver-
kehr Rechnung zu tragen
35 So das Urteil von Magnus, Die Rom I-Verordnung, IPRax 2010, 27, mwN.
36 Vgl Rz 14/5.
134
Die „Europäisierung“ des internationalen Schuldvertragsrechts § 15
135
§ 15 Schuldverhältnisse
44 Die von Art 1 Abs 3 und 4 EVÜ vorgesehene Bereichsausnahme, der zufolge Versiche-
rungsverträge über im EWR belegene Risiken, mit Ausnahme von Rückversicherungs-
verträgen aus dem Anwendungsbereich des EVÜ ausgenommen waren, hatte ihren
Grund darin, dass es eine besondere europäische Regelung in Form von Richtlinien gab,
die mit dem seit 17.12.2009 aufgehobenen Versicherungsvertrags-IPR-Gesetz (IVVG),
BGBl 1993/89, in das österreichische Recht umgesetzt worden war.
45 Darin, dass die Sachnormverweisung in den Rom I/II-Verordnungen (wie auch schon im
EVÜ) zur Regelanknüpfung wurde, ist ein deutlicher Unterschied zur Verweisungsord-
nung des IPRG zu sehen, in der die von § 5 IPRG vorgesehene Gesamtverweisung als
selten durchbrochene Regel auch das Schuldrecht dominierte.
46 Die Bestimmung des anwendbaren Rechts durch „bloße Geltungsannahme“, wie sie von
§ 35 aF IPRG anerkannt war, war schon dem EVÜ fremd und ist dies umso mehr der
Verordnung Rom I. Das IPRG hatte übereinstimmende Vorstellungen und Erwartungen
der Parteien über die Maßgeblichkeit einer ganz bestimmten Rechtsordnung quasi als
„kollisionsrechtliche Geschäftsgrundlage“ ihres Schuldverhältnisses anerkannt. Zum
Verhältnis dieser „Geltungsannahme“ zur schlüssigen Rechtswahl vgl OGH SZ 55/76;
JBl 1984, 383; JBl 1985, 299; IPRax 1986, 244; EvBl 1987/2; EvBl 1987/54; SZ 59/223;
SZ 61/30; JBl 1990, 592; ZfRV 1992, 70.
47 Rom I-VO Präambel, Erwägungsgrund 12.
136
Die „Europäisierung“ des internationalen Schuldvertragsrechts § 15
das sowohl aus staatlichen als auch aus nicht staatlichen (zB lex mercatoria)
Normen bestehen kann, eine Verbindung zum konkreten Vertragsab-
schluss und seinen Umständen hat, ist auch die Wahl eines neutralen
Rechts möglich. Der Wahlfreiheit waren jedoch immer schon Grenzen ge-
setzt, die sich aus der Wirkung von Eingriffsnormen, dem ordre public so-
wie aus dem EU-Recht48 ergeben. Dies wird durch Art 3 Abs 3 und 4 Rom
I-VO ausdrücklich und deutlicher als bisher festgeschrieben: So kann ge-
mäß Art 3 Abs 4 die Wahl des Rechts eines Drittstaates nicht die Anwen-
dung kollisionsrechtlich zwingenden EU-Rechts49 „berühren“, wenn „alle
anderen Elemente des Sachverhalts zum Zeitpunkt der Rechtswahl in
einem oder mehreren Mitgliedstaaten belegen“ sind50. Unter dem Aspekt
des Schutzes des Schwächeren ergibt sich auch noch eine systembedingte
Einschränkung der Wahlfreiheit bei Verbrauchergeschäften und Arbeits-
verträgen. Ein beträchtliches Maß an Freiheit gewährt Art 3 Abs 2 Rom I-
VO den Parteien in der Frage des Zeitpunkts der Rechtswahl, da diese „je-
derzeit“, also vor, zeitgleich oder nach Abschluss des betreffenden Vertra-
ges, vorgenommen und wieder geändert werden kann. Eine Rechtswahl
nach Vertragsabschluss berührt jedoch nicht die Formgültigkeit des Vertra-
ges oder Rechte Dritter.
Wie in der Präambel zur Rom I-Verordnung festgehalten wird51, hin-
dert diese Verordnung „die Parteien nicht daran, in ihrem Vertrag auf ein
nicht staatliches Regelwerk oder ein internationales Übereinkommen Be-
zug zu nehmen“. Zudem könne, wenn die Gemeinschaft in einem Rechts-
akt Regeln für das materielle Vertragsrecht festlegen sollte, in einem sol-
48 Vgl EuGH Rs C-381/98 – „Ingmar“, Slg 2000 I-9305: Gegenstand dieses Urteils war ein
1989 geschlossener Handelsvertretervertrag zwischen einer britischen Gesellschaft und
einem kalifornischen Unternehmen, welcher eine Rechtswahl zugunsten kalifornischen
Rechts beinhaltete. Anders als das britische Sachrecht, das Art 17 und 18 der Handelsver-
treter-Richtlinie 86/653/EWG, ABlEG L 382 vom 31.12.1986, 17, umsetzt, kennt das
kalifornische Sachrecht keinen Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters nach Vertrags-
beendigung. Der EuGH hielt fest, dass bei Vorliegen eines starken Gemeinschaftsbezugs
(zB Tätigkeit im Gemeinschaftsgebiet) Art 17 und 18 der Richtlinie aus wettbewerbs-
und wirtschaftspolitischen Gründen unabdingbar und damit international zwingende
Normen sind. Dazu Nemeth/Rudisch, EuGH 9.11.2000 Rs C-381/98 „Ingmar“ – wich-
tige Klärungen im europäischen IPR, ZfRV 2001, 179; Martiny, Internationales Vertrags-
recht im Schatten des Europäischen Gemeinschaftsrechts, ZEuP 2001, 308 (330 f).
49 „Gegebenfalls in der von dem Mitgliedstaat des angerufenen Gerichts umgesetzten
Form“: Hier ist also die lex fori relevant.
50 Diese Bestimmung wirft die Frage auf, ob IPR-Bestimmungen, die bisher aufgrund von
Verbraucherschutz-Richtlinien im Verhältnis zu Drittstaaten notwendig waren (wie
§ 13a KSchG, § 11 TNG), auch künftig separat umgesetzt werden müssen (wie Art 22
der neuen Richtlinie 2008/48/EG über Verbraucherkreditverträge, ABlEU L 133 vom
22.5.2008, 66, der zu einer Ergänzung des § 13aKSchG Anlass gab, vgl Rz 15/45).
51 Erwägungsgründe 13 und 14.
137
§ 15 Schuldverhältnisse
chen Rechtsakt vorgesehen werden, dass die Parteien über die Anwendung
dieser Regeln entscheiden können52. Damit sind die Bemühungen um ein
gemeineuropäisches Vertragsrecht bzw die Arbeiten an dem „gemeinsa-
men Referenzrahmen“ angesprochen53.
15/11 Art 4 Abs 1 Rom I-VO beinhaltet die allgemeinen Regeln über die objek-
tive Anknüpfung, die dann greift, wenn die Parteien es unterlassen haben,
eine Rechtswahl zu treffen und weist einen gegenüber Art 4 EVÜ54 kon-
kreter und stärker kasuistisch formulierten Wortlaut auf, da sich in seinem
ersten Absatz nach Vertragstypen differenzierte Anknüpfungen finden.
Dem Begriff „für den Vertrag charakteristische Leistung“ kommt hingegen
nur mehr subsidiäre Bedeutung zu55. Dass die „vertragscharakteristische
Leistung“ grundsätzlich jene Leistung ist, die nicht in einer Geldschuld
besteht56, gilt aber letztlich auch für die Rom I-Verordnung, wenn in Art 4
Abs 1 etwa die Anknüpfung von Kaufverträgen über bewegliche Sachen an
das Aufenthaltsrecht des Verkäufers und jene von Verträgen über Dienst-
leistungen an das Aufenthaltsrecht des Dienstleisters vorgesehen ist57.
Nicht trifft dies jedoch nach der Rom I-Verordnung zB auf Franchisever-
träge und Vertriebsverträge zu, die an das Aufenthaltsrecht des Franchise-
nehmers bzw Vertriebshändlers geknüpft werden58. Sachgerecht erscheint
138
Die „Europäisierung“ des internationalen Schuldvertragsrechts § 15
es, dass für den Erwerb beweglicher Sachen durch Versteigerung die An-
knüpfung an das Recht des Versteigerungsortes vorgesehen ist59.
Was den gewöhnlichen Aufenthalt einer Partei ausmacht, wird in
Art 19 Rom I-VO näher bestimmt: Bei Verträgen, die eine natürliche Per-
son nicht im Rahmen der Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit abschließt,
ist das der Ort wo sie sich üblicherweise aufhält, bei Gesellschaften, Ver-
einen und juristischen Personen der Ort ihrer Hauptverwaltung im Zeit-
punkt des Vertragsschlusses. Wird der Vertrag von einer natürlichen Per-
son jedoch in Ausübung ihrer unternehmerischen Tätigkeit geschlossen,
ist das Recht ihres gewöhnlichen Aufenthalts jenes des Ortes der Haupt-
niederlassung. Wenn die Leistung nach dem Vertrag von einer anderen
Niederlassung zu erbringen ist, ist nach Art 19 Abs 2 Rom I-VO an das
Ortsrecht jener Niederlassung anzuknüpfen, in deren Rahmen der Vertrag
geschlossen worden ist.
Die Rom I-Verordnung enthält Bestimmungen für die Anknüpfung von 15/12
Verträgen, die sich – wie der Tauschvertrag – nicht nach dem Kriterium der
charakteristischen Leistung einer Rechtsordnung zuordnen lassen60. Es
müssen dann andere Aspekte beachtet werden, aus denen sich das Recht er-
gibt, zu dem ein solcher Vertrag „die engste Beziehung aufweist“. Wie
schon das IPRG und das EVÜ weist auch die Rom I-Verordnung eine Aus-
weichklausel (escape clause, clause d’échappement) auf, die unter Bedacht-
nahme darauf, ob der Vertrag nach „der Gesamtheit der Umstände“ eine
„offensichtlich engere Beziehung“ zu einem anderen Staat als jenen hat,
dessen Recht sich auf der Grundlage des Art 4 Abs 1 und 2 als maßgeblich
ergibt, eine flexible Bestimmung des maßgebenden Rechts ermöglicht61.
Art 4 Abs 1 lit c) Rom I-VO ordnet für den Fall, dass keine Rechtswahl 15/13
durch die Parteien erfolgt ist, für Verträge, die ein dingliches Recht an un-
beweglichen Sachen sowie die Miete oder Pacht unbeweglicher Sachen
zum Gegenstand haben, an, dass sie nach der lex rei sitae zu beurteilen
59 Eine besondere Anknüpfungsnorm gilt nach Art 4 Abs 1 lit h) Rom I-VO auch für Ver-
träge, die „innerhalb eines multilateralen Systems von bestimmten Finanzinstrumenten“
geschlossen werden, wobei ausdrücklich auf Art 4 Abs 1 Nr 17 der Richtlinie 2004/39/
EG vom 21.4.2004 über Märkte für Finanzinstrumente, ABlEU L 45 vom 30.4.2004,
18, verwiesen wird.
60 Art 4 Abs 4 VO Rom I.
61 Art 4 Abs 3 VO Rom I. Im IPRG war eine solche allgemeine Ausweichklausel nicht vor-
gesehen; es war daher fraglich, ob mit extensiver Auslegung des § 1 Abs 2 IPRG ein ver-
gleichbares Ergebnis zu erzielen war.
139
§ 15 Schuldverhältnisse
140
Die „Europäisierung“ des internationalen Schuldvertragsrechts § 15
grundsätzlich möglich, doch stellt Abs 2 klar, dass dadurch dem Verbrau-
cher nicht der ihm in seinem Aufenthaltsstaat gewährte, unabdingbare
Schutz entzogen werden darf. Haben die Parteien keine Wahl des anzu-
wendenden Rechts getroffen, ist grundsätzlich das Recht des Staates maß-
gebend, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Es
müssen jedoch zusätzliche Voraussetzungen gegeben sein.
So verlangt Art 6 Abs 1 Rom I-VO, dass der Unternehmer entweder
„a) seine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit in dem Staat ausübt, in
dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, oder b) eine sol-
che Tätigkeit auf irgend einer Weise auf diesen Staat oder auf mehrere Staa-
ten, einschließlich dieses Staates ausrichtet“. Es wird also die Bestimmung
des anzuwendenden Rechts nach der Rom I-Verordnung nicht mehr wie
noch nach dem EVÜ65 davon abhängig gemacht, ob sich ein Verbraucher
bei Abschluss des Vertrages mit einem Unternehmer in seinem Heimat-
staat66 befindet oder nicht, womit wohl auch der gestiegenen Bedeutung
des Internethandels Rechnung getragen wurde67.
Wie nach dem EVÜ werden auch nach der Rom I-Verordnung Ausnah-
men von der für Verbraucherverträge geltenden Anknüpfungsregel ge-
macht. So gelten die beiden ersten Absätze des Art 6 Rom I-VO nicht für
Verträge über die Erbringung von Dienstleistungen, die ausschließlich in
einem anderen als dem Aufenthaltsstaat des Verbrauchers erbracht werden
müssen68, noch auch für Beförderungsverträge, wenn diese nicht als Pau-
schalreiseverträge im Sinne der einschlägigen Richtlinie 90/314/EWG zu
qualifizieren sind. Zudem sieht die Rom I-Verordnung in Art 6 Abs 4
noch weitere – nicht leicht fassbare – Ausnahmen vor, so nach lit d) und e)
für bestimmte Vertragsverhältnisse im Zusammenhang mit Finanzinstru-
menten69.
Die Rom I-Verordnung beinhaltet eine Anknüpfungsnorm für Versiche- 15/16
rungsverträge, die die bisher mit Hilfe von Richtlinien angeglichene, allzu
65 Art 5 Abs 2 EVÜ sah drei Fallkonstellationen vor, die zum Recht des Aufenthaltsstaates
des Verbrauchers als maßgebend führten: a) dem Vertragsabschluss ist in diesem Staat ein
ausdrückliches Angebot oder eine Werbung vorangegangen und der Verbraucher hat
dort auch „die zum Abschluss des Vertrages erforderlichen Rechtshandlungen“ gesetzt;
b) der Vertragspartner des Verbrauchers hat in dessen Aufenthaltsstaat die Bestellung
entgegengenommen; oder c) der Vertragsabschluss ist im Rahmen einer Reise vom Auf-
enthaltsstaat des Verbrauchers in das Ausland, die nur zum Zweck des Vertragsabschlus-
ses organisiert worden ist, womit die berüchtigte „Kaffeefahrt“ gemeint war.
66 Oder allenfalls auf einer Kaffeefahrt im (benachbarten) Ausland.
67 Dazu Rz 16/8 ff.
68 Art 6 Abs 4 VO Rom I.
69 Sie müssen im vorgegebenen Rahmen vernachlässigt werden.
141
§ 15 Schuldverhältnisse
142
Die „Europäisierung“ des internationalen Schuldvertragsrechts § 15
74 Das geschah durch BGBl I 2009/109 in dem neuen § 35a IPRG; vgl Rz 15/27.
75 Dabei handelt es sich um die Zweite Richtlinie 88/357/EWG vom 22.6.1988 über die Di-
rektversicherung (mit Ausnahme der Lebensversicherung), ABlEG L 172 vom 4.7.1988,
1, geändert durch Richtlinie 2005/14/EG vom 11.5.2005, ABlEU L 149 vom 11.6.2005,
14, und um die Richtlinie 2002/83/EG vom 5.11.2002 über Lebensversicherungen, ABl
EG L 345 vom 19.12.2002, 1.
143
§ 15 Schuldverhältnisse
VO überhaupt alle Fälle an, in denen das anwendbare Recht nicht nach
Art 8 Abs 2 bestimmt werden kann.
Da die objektiven Anknüpfungstatbestände des Art 8 Abs 2 und 3 Rom
I-VO jedoch nur die widerlegbare Vermutung aufstellen, dass die engsten
Verbindungen des Vertrags zu dem dort als maßgebend bezeichnenden
Recht bestehen, sieht Abs 4 eine Ausweichklausel vor, die die Anknüpfung
an das Recht eines anderen Staates ermöglicht, wenn sich aus der Gesamt-
heit der Umstände ergibt, dass der Vertrag eine engere Verbindung zu
einem anderen Staat aufweist. Zu beachten ist auch, dass die Wirkung des
Arbeitsvertragsstatuts massiv durch EU-rechtliche Bestimmungen und na-
tionale Eingriffsnormen mit öffentlich-rechtlichem oder privatrechtlichem
Charakter76 beeinflusst wird, deren kollisionsrechtliche Behandlung sich
nunmehr nach Art 9 Rom I-VO richtet.
15/18 In der Rom I-Verordnung finden sich keine weiteren Bestimmungen, die
für bestimmte Vertragstypen Sonderanknüpfungen vorsehen würden.
Sämtliche Verträge, die allenfalls nach besonderen Grundsätzen ange-
knüpft werden könnten und die nicht aus dem Anwendungsbereich der
europäischen kollisionsrechtlichen Regelwerke ausgenommen sind, wer-
den – wie auch die seinerzeit in § 45 IPRG gesondert geregelten „abhängi-
gen Rechtsgeschäfte“ – bei fehlender Rechtswahl grundsätzlich an das Auf-
enthaltsrecht der Partei, die die charakteristische Leistung zu erbringen
hat, angeknüpft, sofern nicht die Ausweichklausel zum Tragen kommt. In
den einzelnen Vertragsgruppen können sich daraus delikate Einordnungs-
fragen ergeben77.
d) Eingriffsnormen
144
Die „Europäisierung“ des internationalen Schuldvertragsrechts § 15
78 So Art 18 schweizIPRG.
79 Vgl (noch auf der Grundlage des DevisenG 1946) OGH EvBl 1993/110.
80 Vgl OGH EvBl 1987/145 = IPRax 1988, 240 (Reichelt, 251); ZfRV 1990, 133 (Zemen) =
RdW 1989, 326; RdW 1990, 158; ferner OGH EvBl 1993/144. Allgemein dazu Rz 8/4.
81 Art 7 Abs 2 EVÜ bzw Art 9 Abs 2 Rom I-VO haben nur klarstellende Funktion.
82 Daher war den Vertragsstaaten gem Art 22 Abs 1 lit a) EVÜ die Möglichkeit eröffnet, die
Anwendung des Art 7 Abs 1 EVÜ im Wege eines Vorbehaltes auszuschließen. Diesen
Vorbehalt hatten ua Deutschland und das Vereinigte Königreich, nicht jedoch Österreich
erklärt. Vgl dazu nur Thorn, Eingriffsnormen, in Ferrari/Leible (Hrsg.), Ein neues Inter-
nationales Vertragsrecht für Europa (2007) 129.
83 Dabei sind „Art und Zweck dieser Normen sowie die Folgen [. . .], die sich aus ihrer An-
wendung oder Nichtanwendung ergeben“, zu berücksichtigen.
145
§ 15 Schuldverhältnisse
84 Art 15 Rom I-VO bezieht sich nicht auf den Übergang außervertraglicher Forderungen.
85 Das ist das „Zessionsgrundstatut“.
86 Vgl EuGH C-87/01 – Kommission gg. CCRE, Slg 2003 I-7617, RdNr. 61.
146
Die „Europäisierung“ des internationalen Schuldvertragsrechts § 15
Art 10 Rom I-VO sieht vor, dass das Zustandekommen und die materielle 15/21
Wirksamkeit eines Vertrages an dasselbe Recht anzuknüpfen sind, das für
den Vertrag selbst maßgebend ist bzw wäre (lex causae). Dieser Grundsatz
gilt für alle Fragen, welche die Voraussetzungen und den Umfang der ver-
traglichen Einigung betreffen. Sollte sich jedoch aus den Umständen erge-
ben, dass es nicht gerechtfertigt wäre, die Wirkung des Verhaltens einer
Partei nach dem Vertragsstatut zu bestimmen, kann sich diese Partei „für
die Behauptung, sie habe dem Vertrag nicht zugestimmt“, auf ihr Aufent-
haltsrecht berufen87.
Die Regelung der Frage, nach welchem Recht die Formgültigkeit eines 15/22
Vertrages oder einseitigen Rechtsgeschäfts zu beurteilen ist88, findet sich
heute in Art 11 Rom I-VO, der zwischen Verträgen89 und einseitigen
Rechtsgeschäften90 differenziert und für Verbraucherverträge und für Ver-
träge über dingliche Rechte an einer Liegenschaft sowie die Miete oder
Pacht einer Liegenschaft Sonderanknüpfungen vorsieht91. Hinsichtlich der
Anknüpfung der Form von Verträgen und einseitigen Rechtsgeschäften
besteht eine Parallele zum allgemeinen Formstatut des § 8 IPRG, nach wel-
chem, je nachdem, was für die Formgültigkeit günstiger ist, die lex causae
oder alternativ die „lex loci actus“ maßgeblich sein kann. Gemäß Art 11
Abs 2 und 3 Rom I-VO ist auch noch die Anknüpfung an das Recht des
Aufenthaltsstaates einer der Vertragsparteien bzw der Person, die das ein-
seitige Rechtsgeschäft vorgenommen hat, vorgesehen. Ausnahmen von
dieser Alternativanknüpfung bestehen jedoch für Verbraucherverträge, für
deren Form das Recht des Staates maßgeblich ist, in dem der Verbraucher
seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, und für die Verträge über dingliche
Rechte oder Bestandverträge an Liegenschaften, welche sich nach den
zwingenden Formvorschriften des Staates des Belegenheitsorts beurteilen,
„sofern diese Vorschriften nach dem Recht dieses Staates unabhängig da-
von gelten, in welchem Staat der Vertrag geschlossen wird oder welchem
87 Art 10 Abs 2 Rom I-VO. Die inhaltsgleiche Bestimmung des Art 8 Abs 2 EVÜ wurde
auch als „Vetorecht des Umweltrechts“ bezeichnet, vgl Helmberg in Czernich/Heiss
(Hrsg), EVÜ Kommentar, Art 8 Rz 11.
88 Ob zB einem Schriftlichkeitserfordernis oder der Vorgabe einer notariellen Beglaubi-
gung entsprochen wurde.
89 Art 11 Abs 1 und 2 Rom I-VO.
90 Art 11 Abs 3 Rom I-VO.
91 Art 11 Abs 4 und 5 Rom I-VO.
147
§ 15 Schuldverhältnisse
Recht dieser Vertrag unterliegt, und von ihnen nicht durch Vereinbarung
abgewichen werden darf“, sie also „international zwingend“ sind.
15/23 Der mit „Geltungsbereich des anzuwendenden Rechts“ überschriebene
Art 12 Rom I-VO grenzt die Reichweite des Vertragsstatuts ein. Zu
diesem Zweck werden in einer nicht erschöpfenden Aufzählung die vom
Anknüpfungsregime der Verordnung erfassten Gegenstände angeführt.
Ausdrücklich erwähnt werden Auslegung, Vertragserfüllung, Folgen voll-
ständiger oder teilweiser Nichterfüllung einschließlich der Schadensbe-
messung, Erlöschen von Vertragspflichten, Verjährung und Folgen der
Nichtigkeit eines Vertrages. Demnach bleibt es nach der Rom I-Verord-
nung dabei, dass Stellvertretung und Form vom Vertragsstatut getrennt zu
beurteilen sind.
Gemäß Art 18 Rom I-VO werden der Beweis, soweit seine materiell-
rechtliche Seite betroffen ist, sowie allfällige gesetzliche Vermutungen
grundsätzlich nach dem Vertragsstatut beurteilt. Hinsichtlich der Zulässig-
keit von Beweisarten sieht Art 18 Abs 2 die alternative Anknüpfung an die
lex fori und an die Rechte vor, die nach dem Formstatut des Art 11 Rom I-
VO anwendbar sind und in concreto für die Gültigkeit des Vertrages spre-
chen. Allerdings bleibt das Beweisverfahren der lex fori unangetastet, so-
dass deren Repertoire an Beweismitteln nicht erweitert werden kann.
15/24 Art 13 Rom I-VO ist mit „Rechts-, Geschäfts- und Handlungsunfähig-
keit“ überschrieben, was jedoch nicht als Ankündigung einer Verwei-
sungsnorm über die Rechts- und Geschäftsfähigkeit begriffen werden
darf. Diese Aspekte fallen ja gemäß Art 1 Abs 2 lit a) Rom I-VO nicht in
deren Anwendungsbereich, sondern unterliegen auch weiterhin der An-
knüpfung gemäß § 12 IPRG92. Vielmehr dient die gegenständliche Norm
dem Vertrauensschutz, da sie den Fall betrifft, in dem eine Person, die
nach ihrem Personalstatut aufgrund ihres Alters oder aus anderen Gründen
(noch) nicht voll geschäftsfähig ist, einen Vertrag in einem Land schließt,
nach dessen Recht sie voll handlungsfähig wäre: Diese Person kann sich
nicht auf die ihr (noch) fehlende Volljährigkeit berufen, wenn der andere
Vertragsteil dies nicht wusste oder nicht wissen konnte.
148
Die „Europäisierung“ des internationalen Schuldvertragsrechts § 15
Art 21 Rom I-VO ist mit „Öffentliche Ordnung im Staat des angerufenen 15/25
Gerichts“ überschrieben und regelt den Vorbehalt des ordre public. Die
Bestimmung stellt darauf ab, ob eine „offensichtliche Unvereinbarkeit mit
der öffentlichen Ordnung“ des Gerichtsstaates gegeben ist93 und drückt so
dasselbe aus wie § 6 IPRG, wenn man davon absieht, dass sie kein Ersatz-
recht benennt.
Art 22 Rom I-VO regelt den kollisionsrechtlichen Umgang mit Staaten
ohne einheitliche Rechtsordnung94. Hier gibt es insoweit eine Abwei-
chung von § 5 Abs 3 IPRG, als jede Gebietseinheit eines Staates als Staat
gilt und so das interlokale Privatrecht ausgeklammert wird. Ferner findet
sich in Art 23 Rom I-VO die Klarstellung, dass die Anknüpfungsregeln
der Verordnung, die das Vertragskollisionsrecht betreffenden Bestimmun-
gen anderer EU-Rechtsakte nicht berühren, wobei Art 7 ausgenommen ist.
Ferner stellt Art 25 Abs 1 Rom I-VO klar, dass die Anwendung von inter-
nationalen Übereinkommen, denen ein oder mehrere Mitgliedstaaten am
17.6.2008 als Vertragsstaaten angehörten und die Kollisionsnormen für
vertragliche Schuldverhältnisse enthalten (wie zB CISG), grundsätzlich
unberührt bleibt95.
Mit Geltungsbeginn am 17.12.2009 ist die Rom I-Verordnung nur in 15/26
sechsundzwanzig Mitgliedstaaten der Europäischen Union an die Stelle
des EVÜ getreten, da sich Dänemark nicht an der Annahme der Verord-
nung beteiligt96. Während Irland von Anfang an die Bereitschaft zur An-
nahme der Verordnung zeigte, hat sich das Vereinigte Königreich erst mit
Verzögerung dazu entschlossen, die Verordnung als sein Vertragskolli-
sionsrecht zu akzeptieren97.
Hinsichtlich des auf Versicherungsverträge anzuwendenden Rechts und
der Frage, ob durch die Anwendung von Art 6 die Kohärenz des europä-
ischen Verbraucherschutzrechts tangiert wird, trifft die Kommission ge-
mäß Art 27 Abs 1 Rom I-VO bis 17.6.2013 und hinsichtlich der „Frage,
149
§ 15 Schuldverhältnisse
15/27 Die Bestimmungen des 7. Abschnitts des IPRG sind, soweit sie sich auf das
internationale Schuldvertragsrecht bezogen, bereits mit der Übernahme
des EVÜ entweder wie § 35 geändert oder wie §§ 36 bis 45 aufgehoben
worden. Auch im Gefolge der Rom I-Verordnung ist ein Änderungsbedarf
aufgetreten, der sich nicht auf die Ersetzung der obsoleten Hinweise auf
das EVÜ durch solche auf die Verordnung in § 35 IPRG beschränkt.
Da jedoch die Rom I-Verordnung nichts zum Vertretungsstatut anord-
net101 und bestimmte, in Art 1 Abs 2 aufgezählte Schuldverhältnisse aus
ihrem Anwendungsbereich ausnimmt, mussten im IPRG „Auffangbestim-
mungen“ aufgenommen werden, die diese Lücken schließen, so dass dem
7. Abschnitt des Gesetzes über § 49 hinaus ein residualer Anwendungsbe-
reich verbleibt, den Art 1 des Bundesgesetzes, „mit dem das IPR-Gesetz,
das Versicherungsaufsichtsgesetz sowie das Verkehrsopferentschädigungs-
gesetz geändert und das Bundesgesetz über internationales Versicherungs-
vertragsrecht für den europäischen Wirtschaftsraum aufgehoben wer-
den“102, absteckt. So ist in § 35 IPRG eine Verweisungsordnung für die
vom Anwendungsbereich der Rom I-Verordnung ausgenommenen ver-
traglichen Schuldverhältnisse geschaffen worden. Diese sieht vor, dass von
98 Das kann sich aber wohl nur auf die kollisionsrechtlichen Aspekte der Frage beziehen.
99 Vgl Art 27 Abs 2 Rom I-VO.
100 ABlEU L 200 vom 31.7.2009, 25.
101 Da die Rom I-Verordnung keine Anknüpfungsregeln für die gewillkürte Stellvertre-
tung vorsieht, ist § 49 IPRG in Geltung geblieben; vgl Rz 14/5.
102 BGBl I 2009/109.
150
Anknüpfung von außervertraglichen Schuldverhältnissen § 15
Das IPRG regelte in seinen §§ 46 bis 48 das Bereicherungs- und Geschäfts- 15/28
führungsstatut, das Deliktsstatut und das Internationale Wettbewerbspri-
vatrecht in einigen wenigen kurzen Bestimmungen, die heute nur mehr
von rechtshistorischem Interesse sind, obwohl sie noch auf Ereignisse, die
unter die einschlägigen Verweisungsbegriffe fallen und sich vor dem Gel-
tungsbeginn der Rom II-Verordnung ereigneten, anzuwenden sind107. Der
10.1.2009 bildet somit das Ablaufdatum für die Verweisungsnormen des
151
§ 15 Schuldverhältnisse
108 BGBl 1975/387. Das HStVÜ ist bereits am 3.6.1975 in Kraft getreten.
109 Dazu Rz 15/47. Art 1 Abs 2 lit f) Rom II-VO nimmt „außervertragliche Schuldverhält-
nisse, die sich aus Schäden durch Kernenergie ergeben“ aus dem Anwendungsbereich
der Verordnung aus.
110 Kollisionsrechtliche Bestimmungen, die gemäß Art 28 Abs 1 Rom II auch künftig be-
deutsam sein werden, finden sich im Übereinkommen über die obligatorische Haft-
pflichtversicherung für KfZ des Europarates (BGBl 1972/236).
111 Allenfalls auch das Recht des Unterlassungsorts; vgl auch §§ 13 Abs 2, 34 Abs 1 IPRG;
auch § 92a JN (Gerichtsstand der Schadenszufügung).
112 Kriterien dafür, wann dieses Recht an Stelle der lex loci delicti commissi anzuwenden sei,
hat § 48 aF IPRG nicht angeführt, so dass die jeweils stärkere Einbettung des Sachver-
haltes in das soziale und haftungsrechtstypische Umfeld der Beteiligten vom Richter
durch Abwägung relevanter Anknüpfungsfaktoren zu ermitteln war. Außervertragliche
Schadenersatzansprüche, die innerlich mit einem zwischen den Beteiligten bestehenden
Vertragsverhältnis – zB einem Arbeits- oder Beförderungsvertrag – zusammenhängen,
wurden „akzessorisch“ dem Vertragsstatut unterstellt: vgl OGH IPRax 1988, 33
(Moschner, 40); ferner OGH ZfRV 1990, 229 (Reichelt) = IPRax 1989, 394 (Schwind,
401); EvBl 1993/198. Ein „gemeinsames Personalstatut“ von Schadensverursacher und
Schadensopfer allein rechtfertigte eine „Auflockerung“ nicht, vgl OGH SZ 54/133.
113 Hier lag ein „Wirkungsstatut“ alter Prägung vor; vgl OGH ÖBl 1989, 74; auch OGH
IPRax 1991, 412 (Sack, 386). Ein typischer, vom OGH entschiedener Sachverhalt betraf
die Werbung deutscher Unternehmen für Autobusreisen nach Deutschland zu Werbe-
152
Anknüpfung von außervertraglichen Schuldverhältnissen § 15
Die „Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und 15/31
des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhält-
153
§ 15 Schuldverhältnisse
nisse anzuwendende Recht (‚Rom II‘)“119 regelt die Frage, welches na-
tionale Recht auf „außervertragliche Schuldverhältnisse in Zivil- und
Handelssachen, die eine Verbindung zum Recht verschiedener Staaten
aufweisen“120, anzuwenden ist. Da von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat un-
terschiedliche Auffassungen darüber bestehen, was unter „außervertragli-
chen Schuldverhältnissen“ zu verstehen ist, muss dieser Begriff autonom
verstanden und ausgelegt werden121. Grundsätzlich fallen unter den Be-
griff, der die Verordnung thematisch umschreibt, alle Arten von unerlaub-
ten Handlungen122, die ungerechtfertigte Bereicherung123, Geschäftsfüh-
rung ohne Auftrag124 und das Verschulden bei Vertragsverhandlungen125.
Art 1 Abs 1 Rom II-VO stellt zunächst klar, dass die Verordnung weder
für Steuer- und Zollsachen sowie „verwaltungsrechtliche Angelegenhei-
ten“, noch auch für „die Haftung des Staates für Handlungen oder Unter-
lassungen im Rahmen der Ausübung hoheitlicher Rechte (acta iure impe-
rii)“ gilt126. Danach zählt Art 1 Abs 2 Rom II-VO eine Anzahl von
außervertraglichen Schuldverhältnissen auf, die vom Anwendungsbereich
der Verordnung ausgenommen sind. Dazu zählen außervertragliche
Schuldverhältnisse, die sich aus einem Familienverhältnis, aus ehelichen
Güterständen, aus Testamenten und Erbrecht, aus Wechseln, Schecks und
anderen handelbaren Wertpapieren oder aus dem Gesellschaftsrecht, dem
Vereinsrecht und dem Recht der juristischen Personen ergeben oder sich
im Zusammenhang mit „Trusts“ einstellen. Auch außervertragliche
Schuldverhältnisse, die sich aus Schäden durch Kernenergie ergeben, sind
vom Anwendungsbereich der Verordnung ausgenommen und das gilt
auch für außervertragliche Schuldverhältnisse aus der Verletzung der Pri-
vatsphäre oder der Persönlichkeitsrechte, einschließlich der Verleumdung.
nisse in der Europäischen Union, ZfRV 2008, 13; Rudolf, Europäisches Kollisionsrecht
für außervertragliche Schuldverhältnisse – Rom II-VO, ÖJZ 2010/36, 300.
119 ABlEU L 199 vom 31.7.2007, 40.
120 So die an Art 1 EuGVVO angelehnte Formulierung des Art 1 Rom II-VO.
121 Vgl Präambel, Erwägungsgrund 11.
122 Art 4 bis 9 Rom II-VO. Mit dem Begriff „unerlaubte Handlungen“ wird deutschrecht-
liche Terminologie in die österreichische Rechtssprache, in der bisher „deliktische Scha-
denszufügungen“ oder (wie bei § 48 IPRG) „außervertragliche Schadenersatzansprü-
che“ den Vorzug hatten, eingeführt.
123 Art 10 Rom II-VO.
124 Art 11 Rom II-VO.
125 Art 12 Rom II-VO.
126 Der OGH würde heute in einem Amtshaftungsfall wie dem, der der Entscheidung
SZ 55/17 (tödlicher Fehlschuss des österr Botschafters bei einer Diplomatenjagd in Ju-
goslawien) zugrunde lag, die Frage, ob jemand als ein Organ eines Rechtsträgers tätig
geworden ist und damit die Amtshaftung ausgelöst hat, wohl dem Bereich der Ein-
griffsnormen zuordnen und nach österreichischem Recht beurteilen.
154
Anknüpfung von außervertraglichen Schuldverhältnissen § 15
b) „Unerlaubte Handlungen“
Für das Deliktstatut von zentraler Bedeutung ist Art 4 Abs 1 Rom II-VO, 15/32
der die „Allgemeine Kollisionsnorm“ festschreibt. Nach dieser objektiven
Regelanknüpfung ist „auf ein außervertragliches Schuldverhältnis aus un-
erlaubter Handlung“128 „das Recht des Staates anzuwenden, in dem der
Schaden eintritt, unabhängig davon, in welchem Staat das schadensbe-
gründende Ereignis oder indirekte Schadensfolgen eingetreten sind“. Zu
dieser Regelanknüpfung findet sich jedoch in Abs 2 die spezifische Aus-
nahme, dass das zum Zeitpunkt des Schadenseintritts gegebene gemein-
same Aufenthaltsrecht von Schädiger und Opfer an Stelle des Rechts des
Ortes des Schadenseintritt anwendbar ist, und in Abs 3 die allgemeine
„Ausweichklausel“, wonach eine sich „aus der Gesamtheit der Umstände“
ergebende „offensichtlich engere Verbindung mit einem anderen als dem in
den Absätzen 1 oder 2 bezeichneten Staat“ bewirkt, dass „das Recht dieses
anderen Staates anzuwenden“ ist129. Während die lex loci delicti commissi
heute in der Substanz vom locus damni bestimmt wird, hat sich wenig an
ihrer aus dem autonomen Recht bekannten Auflockerung geändert.
Gemäß dem in Art 4 Abs 1 Rom II-VO verankerten „Erfolgsortprin-
zip“ ist ein internationaler deliktischer Schädigungssachverhalt nicht wie
bisher an das Recht des Staates, in dem das schadenskausale Verhalten ge-
127 Ein Problem bilden vor allem die nicht von der Rom II-VO erfassten Schadenersatzan-
sprüche wegen Persönlichkeitsverletzung.
128 Unter diesen, aus der deutschen Rechtsterminologie stammenden Begriff ist auch das
außervertragliche Schuldverhältnis aus Gefährdungshaftung zu subsumieren.
129 Die Rom II-VO führt in Art 4 Abs 3 in tautologischer Formulierung exemplarisch an,
dass sich „eine offensichtlich engere Verbindung [. . .] insbesondere aus einem bereits
bestehenden Rechtsverhältnis zwischen den Parteien – wie einem Vertrag – ergeben
[könnte], das mit der betreffenden unerlaubten Handlung in enger Verbindung steht“.
155
§ 15 Schuldverhältnisse
130 Dazu näher Rudolf, Internationales Produkthaftungsrecht nach der Rom II-Verord-
nung, wbl 2009, 525. Krit Junker, Der Reformbedarf im Internationalen Deliktsrecht
der Rom II-Verordnung drei Jahre nach ihrer Verabschiedung, IPRax 2010, 265 f, der
eine „Schlagseite zugunsten der Geschädigten“ und eine Regelungslücke moniert, die
er in der fehlenden Synchronisierung von Grundanknüpfungen in § 5 Abs 1 Satz 1
Rom II-VO mit der Ausnahmeklausel des Satzes 2 sieht.
131 Präambel, Erwägungsgrund 20.
132 Da Finnland, Frankreich, Luxemburg, die Niederlande, Slowenien und Spanien Ratifi-
kationsstaaten der Hague Convention of 2.10.1973 on the Law Applicable to Products
Liability sind und diesem Übereinkommen auch fünf Nicht-Mitgliedstaaten der EU
angehören, ist Art 28 Abs 1 Rom I-VO zu beachten: Gerichte aus den sechs angeführten
Mitgliedstaaten werden auch nach dem 11.1.2009 das auf internationale Produkthaf-
tungsfälle anzuwendende Recht nach dem Haager Übereinkommen bestimmen.
133 Präambel, Erwägungsgrund 21.
156
Anknüpfung von außervertraglichen Schuldverhältnissen § 15
134 Nach der Präambel, Erwägungsgrund 23, „sollte der Begriff der Einschränkung des
Wettbewerbs Verbote von Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüssen von
Unternehmensvereinigungen und abgestimmten Verhaltensweisen, die eine Verhinde-
rung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs in einem Mitgliedstaat oder
innerhalb des Binnenmarktes bezwecken oder bewirken, sowie das Verbot der miss-
bräuchlichen Ausnutzung einer beherrschenden Stellung in einem Mitgliedstaat oder
innerhalb des Binnenmarktes erfassen, sofern solche Vereinbarungen, Beschlüsse, abge-
stimmte Verhaltensweisen oder Missbräuche nach den Artikeln 81 und 82 des Vertrags
oder dem Recht eines Mitgliedstaats verboten sind.“
135 ABlEU L 143 vom 30.4.2004, 56; von Österreich umgesetzt durch das Bundes-Um-
welthaftungsgesetz (B-UHG), BGBl I 2009/55 und korrespondierende Landesgesetze
(zB für Wien, LGBl 2009/38; Steiermark, LGBl 2010/10; Oberösterreich, LGBl 2009/
95). Vgl auch die Präambel der Rom II-VO, Erwägungsgrund 24.
157
§ 15 Schuldverhältnisse
tums136 resultieren, wahrt den Grundsatz der Maßgeblichkeit der lex loci
protectionis, indem er grundsätzlich das Recht des Staates als anwendbar
bestimmt, für den der Schutz beansprucht wird. Werden gemeinschaftsweit
vereinheitlichte Rechte des geistigen Eigentums verletzt, ist primär der ent-
sprechende Rechtsakt137 anzuwenden, allerdings richten sich Fragen, die
nicht unter den einschlägigen Rechtsakt der Gemeinschaft fallen, nach
dem Recht des Staates, in dem die Verletzung begangen wurde. Der Partei-
autonomie ist hier kein Raum gegeben.138.
Die Anknüpfung von Schadenersatzforderungen aus „Arbeitskampf-
maßnahmen“ wie Streik und Aussperrung regelt Art 9 Rom II-VO, der –
abweichend vom Erfolgsortprinzip – grundsätzlich auf das Recht des Staa-
tes abstellt, in dem die Arbeitskampfmaßnahmen ergriffen wurden. Haben
die Streitparteien einen gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt in einem
anderen Staat, ist jedoch aufgrund der Verweisung auf Art 4 Abs 2 Rom II-
VO das Recht des gemeinsamen Aufenthaltsstaates anzuwenden.
15/35 Für die ungerechtfertigte Bereicherung und zwar sowohl für Leistungs-
kondiktionen wie auch für den Verwendungsanspruch sieht Art 10 Rom
II-VO in Abs 1 bis 3 eine dreistufige Anknüpfungsleiter vor. Demnach ist
zunächst das Recht anzuwenden, dem ein zwischen den Parteien bestehen-
des Rechtsverhältnis unterliegt139, das eine enge Verbindung mit dieser un-
gerechtfertigten Bereicherung aufweist. Wenn danach das anzuwendende
Recht nicht bestimmt werden kann140, ist das Recht des Staates anzuwen-
den, in dem die Parteien „zum Zeitpunkt des Eintritts des Ereignisses, das
die ungerechtfertigte Bereicherung zur Folge hat“, ihren gemeinsamen ge-
wöhnlichen Aufenthalt haben. Wenn aber weder die akzessorische An-
knüpfung an das Recht, dem ein mit der Bereicherung eng verbundenes
Rechtsverhältnis zwischen den Parteien unterliegt, noch eine Anknüpfung
an ein gemeinsames Aufenthaltsrecht möglich ist, ist das Recht des Staates
136 Der Begriff „Rechte des geistigen Eigentums“ erfasst beispielsweise Urheberrechte,
verwandte Schutzrechte, das Schutzrecht sui generis für Datenbanken und gewerbliche
Schutzrechte.
137 Etwa das Recht an der Gemeinschaftsmarke nach der einschlägigen Verordnung (EG)
Nr. 1653/2003 des Rates vom 18.6.2003 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 40/94
über die Gemeinschaftsmarke, ABlEU L 245 vom 29.9.2003, 36.
138 Art 8 Abs 3 Rom II-VO.
139 Sei es ein vertragliches Rechtsverhältnis, sei es eines aus einer unerlaubten Handlung.
Diese Regel wird vor allem für Leistungskondiktionen relevant sein.
140 Wie in den Fällen eines Verwendungsanspruchs.
158
Anknüpfung von außervertraglichen Schuldverhältnissen § 15
159
§ 15 Schuldverhältnisse
d) Freie Rechtswahl
15/38 Dem Grundsatz der Parteiautonomie trägt Art 14 Rom II-VO über die
freie Rechtswahl Rechnung. Die Rechtswahl muss ausdrücklich erfolgen
oder sich mit hinreichender Sicherheit aus den Umständen des Falles erge-
ben. Art 14 Abs 1 lit a) berücksichtigt, dass eine Rechtswahl hier regelmä-
ßig nur nachträglich möglich ist, doch sieht lit b) ausdrücklich die Möglich-
keit einer Rechtswahl durch eine „vor Eintritt des schadensbegründenden
Ereignisses frei ausgehandelte Vereinbarung“ unter der Voraussetzung vor,
dass „alle Parteien einer kommerziellen Tätigkeit nachgehen“.
Bei der Prüfung, ob eine solche Rechtswahl vorliegt, hat das Gericht den
Willen der Parteien zu achten. Die Möglichkeit der Rechtswahl wird zum
Schutz der schwächeren Partei in zweifacher Weise eingeschränkt: Einer-
seits berührt die Wahl eines anderen Rechts nicht die Anwendung der
zwingenden Bestimmungen des Rechts des Staates, in dem alle Elemente
des Sachverhalts zum Zeitpunkt des Eintritts des schadensbegründenden
Ereignisses belegen sind142. Andererseits berührt die Wahl des Rechts eines
Drittstaates durch die Parteien nicht die Anwendung der zwingenden Be-
stimmungen des EU-Rechts bzw der nationalen Gesetze, die Richtlinien
umsetzen143, sofern alle Elemente des Sachverhalts zum relevanten Zeit-
punkt in einem oder mehreren Mitgliedstaaten belegen sind144.
e) Gemeinsame Vorschriften
160
Anknüpfung von außervertraglichen Schuldverhältnissen § 15
In einem weiteren Kapitel VI finden sich in Art 23 bis 28 „sonstige Vor- 15/40
schriften“, die nur in sprachlicher Hinsicht weitgehend im Einklang mit
Art 19 ff Rom I-VO, nicht jedoch in derselben Reihenfolge, den Begriff
des „gewöhnlichen Aufenthalts“ näher umschreiben150, den Ausschluss
der Rück- und Weiterverweisung vorsehen151, auf die Verweisung auf Staa-
161
§ 15 Schuldverhältnisse
ten ohne einheitliche Rechtsordnung und auf den ordre public Bezug neh-
men152, sowie das Verhältnis zu anderen Gemeinschaftsakten und beste-
henden internationalen Übereinkommen abklären153. Für diese Bestim-
mungen gelten die Ausführungen zu den analogen Artikeln in der Rom I-
Verordnung. Die legislative Aufspaltung des Internationalen Schuldrechts
in zwei Verordnungen ist dem aus der Sicht der Normadressaten legitimen
Anliegen nach Transparenz des Rechts wenig förderlich.
Nachdem schon Art 15 EVÜ die Sachnormverweisung als Regelverwei-
sung im internationalen Schuldvertragsrecht anerkannt hatte, ist mit Art 24
Rom II-VO das Ende des Renvoi im Internationalen Schuldrecht gekom-
men. Für den Bereich der außervertraglichen Schuldverhältnisse kommt
der Vorbehaltsklausel des Art 26 Rom II-VO insbesondere bei allfälliger
Verhängung von exzessiven punitive damages Bedeutung zu.
Um die internationalen Verpflichtungen, die die Mitgliedstaaten einge-
gangen sind, wie zB die Ratifikation des Haager Straßenverkehrsüberein-
kommen durch Österreich zu respektieren, wirkt sich die Verordnung
grundsätzlich nicht auf internationale Übereinkommen aus, denen ein
oder mehrere Mitgliedstaaten am 11.7.2007154 angehörten. Gleichwohl hat
die Verordnung jedoch „in den Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten
Vorrang vor den ausschließlich zwischen zwei oder mehreren Mitgliedstaa-
ten geschlossenen Übereinkommen, soweit diese Bereiche betreffen, die in
dieser Verordnung geregelt sind“155. Durch Art 29 Rom II-VO wurden die
Mitgliedstaaten verpflichtet, der Kommission bis zum 11.7.2008 die von
Art 28 angesprochenen internationalen Übereinkommen mitzuteilen, so
dass die Kommission in die Lage versetzt wird, ein Verzeichnis der betref-
fenden Übereinkommen im Amtsblatt der Europäischen Union zu veröf-
fentlichen, um den Zugang zu den Rechtsakten zu erleichtern156.
Gemäß Art 30 Abs 1 Rom II-VO ist bis 20.8.2011 von der Kommission
ein Bericht zu erstatten, der gegebenenfalls Vorschläge zur Anpassung der
Verordnung enthalten soll und gemäß Abs 2 dieser Überprüfungsklausel,
wäre von der Kommission bis 31.12.2008 „eine Untersuchung zum Be-
162
Anknüpfung von außervertraglichen Schuldverhältnissen § 15
reich des aus der Verletzung der Privatsphäre oder der Persönlichkeits-
rechte anzuwendenden Rechts“ vorzulegen gewesen157.
157 Die Vorlage der Untersuchung erfolgte mit geringer Verspätung im Februar 2010, als
die einlässliche Comparative study on the situation in the 27 Member States as regards
the law applicable to non-contractual obligations arising out of violations of privacy and
rights relating to personality JLS/2007/C4/028, vorgelegt wurde; abrufbar unter: http://
ec.europa.eu/justice_home/doc_centre/civil/studies/doc/study_privacy_en.pdf
158 Zu Recht kritisch dazu Wagner, Die neue Rom II-Verordnung, IPRax 2008, 1, insb 10.
Für Junker, Der Reformbedarf im Internationalen Deliktsrecht der Rom II-Verord-
nung drei Jahre nach ihrer Verabschiedung, IPRax 2010, 257, ist diese Bereichsaus-
nahme eine von fünf Mängeln der Rom II-VO, die er im Bereich der Anknüpfung von
deliktischen Ansprüchen wegen Verletzung von Kapitalmarktrecht, der Produkthaf-
tung und, der freien Rechtswahl sowie bei der Behandlung der Eingriffsnormen ortet.
159 Vgl Rz 15.46.
160 Also nach § 48 IPRG
161 ErlRV 322 Blg 24.GP, 4.
162 Die Schlussfolgerungen des Privacy Report zeigen die Probleme auf, die sich wegen
stark unterschiedlicher Positionen in den Mitgliedstaaten und dem Druck der Presse-
163
§ 15 Schuldverhältnisse
15/42 Die Geltung des „Haager Übereinkommens über das auf Straßenverkehr-
sunfälle anzuwendende Recht“164 wird gemäß Art 28 Rom II-VO (vorerst)
nicht tangiert. Das HStVÜ, das für Österreich, einem „Transitland“ mit
starkem Winter- und Sommerfremdenverkehr, große praktische Bedeu-
tung besitzt165, bestimmt, welches Recht auf die außervertragliche Haf-
tung166 für Schäden aus Straßenverkehrsunfällen anzuwenden ist, die
sich nach seinem Inkrafttreten am 3.6.1975 entweder im Ausland unter Be-
teiligung von Personen mit gewöhnlichem Aufenthalt in Österreich oder
von Fahrzeugen, die in Österreich zugelassen sind oder hier ihren Standort
haben, oder im Inland mit Beteiligung von Personen mit gewöhnlichem
Aufenthalt im Ausland oder von Fahrzeugen mit ausländischer Zulassung
oder Standort im Ausland ereignet haben. Auf der Grundlage des HStVÜ,
das schon vor dem IPRG als eine loi uniforme galt167 und durch das In-
krafttreten des IPRG nicht berührt wurde168, sind zahlreiche grundsätz-
liche Entscheidungen des OGH ergangen169.
Nach der weit gefassten Definition des Art 1 HStVÜ ist unter Straßen-
verkehrsunfall jeder Unfall zu verstehen, „an dem ein oder mehrere Fahr-
zeuge, ob Motorfahrzeuge oder nicht, beteiligt sind und der mit dem Ver-
kehr auf öffentlichen Straßen, auf öffentlich zugänglichem Gelände oder
auf nicht öffentlichem, aber einer gewissen Anzahl befugter Personen zu-
gänglichem Gelände zusammenhängt“.
15/43 Nicht anzuwenden ist das HStVÜ gemäß seinem Art 2 auf die Haftung
von Herstellern und Verkäufern von Fahrzeugen sowie von Reparatur-
164
Anknüpfung von außervertraglichen Schuldverhältnissen § 15
unternehmen; ferner nicht auf die Haftung des Eigentümers des Verkehrs-
wegs oder jeder anderen Person, die für die Instandhaltung des Weges oder
die Sicherheit der Benutzer zu sorgen hat; auch nicht auf die Haftung für
Dritte, ausgenommen die Haftung des Fahrzeugeigentümers oder des Ge-
schäftsherrn. Auf Rückgriffsansprüche zwischen haftpflichtigen Personen
und den Übergang von Ansprüchen, soweit Versicherer betroffen sind170,
ist es ebenso wenig anzuwenden wie auf Ansprüche und Rückgriffsansprü-
che, die von Einrichtungen der sozialen Sicherheit, Trägern der Sozialver-
sicherung oder anderen ähnlichen Einrichtungen und öffentlichen Kraft-
fahrzeug-Garantiefonds oder gegen sie geltend gemacht werden171. Nicht
anzuwenden ist es auch auf jeden Haftungsausschluss, der in dem für diese
Einrichtungen maßgebenden Recht vorgesehen ist172, und auch nicht auf
die Frage, ob ein rechtliches Interesse an einer Feststellung besteht173.
Keine Einschränkungen macht das HStVÜ bezüglich der Geschädigten.
Es erfasst daher die Ansprüche aller durch den Straßenverkehrsunfall Ge-
schädigten174.
Das anzuwendende Recht ist gemäß Art 3 HStVÜ primär das Sachrecht 15/44
des Unfallortes als Recht des Ortes des Beginns der Rechtsgutverletzung.
Im Sinne der „Auflockerung“ des Unfallstatuts werden in Art 4 und 5
HStVÜ Ausnahmen zugunsten des Rechtes des Fahrzeugstaates, das ist
das Recht des Zulassungsstaates bzw das Recht des Staates des gewöhnli-
chen Standortes175, gemacht. Für bestimmte Sachschäden sieht Art 5
HStVÜ Sonderregelungen vor. So gilt für Schäden an Sachen außerhalb
des Fahrzeuges grundsätzlich das Recht des Unfallortes.
Vom Unfallsstatut wird die Haftung, was das „Ob, Wem gegenüber und
Wie“ anbelangt, umfassend, einschließlich der Gehilfenhaftung und der
Verjährung, erfasst176. Dazu gehört auch die Frage der Vererblichkeit des
Ersatzanspruches. Die Erbberechtigung richtet sich hingegen nach dem
Erbstatut. Das Unfallsstatut entscheidet auch die Frage der Übertragbar-
keit des Anspruchs, nicht aber die Frage der Übertragung selbst; diese rich-
tet sich nach dem Zessionsstatut. Unabhängig vom anzuwendenden Recht
165
§ 15 Schuldverhältnisse
sind gemäß Art 7 HStVÜ bei der Bestimmung der Haftung die am Ort und
zum Zeitpunkt des Unfalls geltenden Verkehrs- und Sicherheitsvorschrif-
ten, die local data, zu berücksichtigen. Die Anwendung der durch das
HStVÜ berufenen Normen kann nach Art 10 nur ausgeschlossen werden,
wenn dies mit der öffentlichen Ordnung offensichtlich („manifestly“,
„manifestement“) unvereinbar ist. Das wäre zB ein völliger Ausschluss
von Schmerzengeld177 bei verschuldeter Körperverletzung, wogegen das
Fehlen einer Gefährdungshaftung im anzuwendenden Recht nicht den
Grundwertungen des österreichischen Rechts widerspricht178. Da das
HStVÜ zur Frage, ob eine Rechtswahl möglich ist, keine Aussage trifft,
ist die Entscheidung nach dem autonomen Kollisionsrecht der lex fori zu
treffen. Der OGH hat mit Bedacht auf die Wertungen des IPRG die
Rechtswahl anerkannt179.
15/45 Bezüglich der Zulässigkeit der Direktklage gegen den Haftpflichtversi-
cherer des Schadensverursachers gemäß § 63 KFG sieht Art 9 HStVÜ Al-
ternativanknüpfungen zugunsten der action directe vor: Den geschädigten
Personen steht eine unmittelbare Klage offen, wenn ihnen ein Recht hierzu
nach dem gemäß Art 3 ff HStVÜ anzuwendenden Recht zusteht180. Kennt
der Zulassungsstaat kein Recht auf Direktklage, kann dennoch direkt ge-
klagt werden, wenn es das Recht des Unfallortes vorsieht. Lassen diese
Rechte eine direkte Klage nicht zu, kann sie dennoch angestrengt werden,
wenn sie nach dem für den Versicherungsvertrag maßgebenden Recht zu-
gelassen ist181.
177 Ein Schmerzengeldanspruch in geringerer Höhe begründet noch keine ordre public-
Widrigkeit; vg zuletzt OGH ZVR 2005/46, 160 (Chr. Huber).
178 OGH ZVR 1993/108; zuvor schon OGH ZVR 1991/42.
179 Vgl OGH SZ 58/188, obiter die Rechtswahl ausdrücklich zulassend OGH SZ 68/17 =
ZVR 1995/119.
180 OGH ZVR 1992/27; ZVR 1992/28; ZVR 1992/90. Gemäß Art 28 Abs 1 Rom II-VO
wird diese Bestimmung auch weiterhin bedeutsam bleiben, da sie dem Art 18 Abs 2
Rom II-VO vorgeht.
181 §§ 2 Abs 1 und 22 KHVG stehen dem nicht entgegen.
166
Sonderanknüpfungen im Internationalen Schuldrecht § 15
1. Verbraucherschutz
a) Vorbemerkung
b) § 13a KSchG
167
§ 15 Schuldverhältnisse
und der Vertrag einen engen Zusammenhang mit dem Gebiet der Mit-
gliedstaaten aufweist“ und eine analoge Bestimmung nunmehr auch in
Art 22 Abs 4 der neuen Verbraucherkreditrichtlinie 2008/48/EG vom
23.4.2008186 vorgesehen ist, musste für diese Konstellationen bei Umset-
zung der jeweiligen Richtlinien in das interne Recht eine separate Verwei-
sungsnorm geschaffen werden. Diese wurde als § 13a in das KSchG aufge-
nommen und ist als eine Eingriffsnorm zu qualifizieren. Da gemäß Art 23
Rom I-VO „diese Verordnung nicht die Anwendung von Vorschriften des
EU-Rechts, die in besonderen Bereichen Kollisionsnormen für vertrag-
liche Schuldverhältnisse enthalten“, berührt187, bleibt § 13a KSchG auch
künftig relevant. Hinzu kommen – mit Vorrangwirkung – die Bestimmun-
gen der Rom I-Verordnung über die eingeschränkte Rechtswahl188.
Gemäß § 13a Abs 1 Z 1 bis 5 KSchG ist bei der Beurteilung der Gültig-
keit einer Vertragsbestimmung, die nicht eine der beiderseitigen Hauptleis-
tungen festlegt, der Folgen einer unklar und unverständlich abgefassten
Vertragsbestimmung, des besonderen Schutzes der bei Fernabsatzverträ-
gen189 und Fernfinanzdienstleistungen vorgesehen ist190, der Gewährleis-
tung bzw Garantie beim Kauf oder bei der Herstellung beweglicher Sachen
im Sinne der §§ 8 bis 9b KSchG sowie der §§ 922 bis 924, 928, 932 und 933
ABGB191 und des Schutzes bei Verbraucherkreditverträgen192, die Wahl
des Rechts eines Drittlandes soweit unbeachtlich, als das gewählte Recht
für den Verbraucher nachteiliger ist, als das bei objektiver Anknüpfung
maßgebende Recht eines EWR-Vertragsstaates.
§ 13a Abs 2 KSchG bestimmt darüber hinaus, dass § 6 KSchG und
§§ 864a und 879 Abs 3 ABGB „zum Schutz des Verbrauchers ohne Rück-
sicht darauf anzuwenden [sind], welchem Recht der Vertrag unterliegt,
186 ABlEU L 133 vom 22.5.2008, 66. Umgesetzt durch das Darlehens- und Kreditrechts-
Änderungsgesetz DaKRÄG, BGBl I 2010/28, das am 11.6.2010 in Kraft getreten ist.
187 Ausgenommen ist Art 7 über Versicherungsverträge.
188 Art 3 Abs 3 und 4 VO Rom I.
189 Vgl Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates 97/7/EG über den Verbrau-
cherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz, ABlEG L 144 vom 4.6.1997, 19,
umgesetzt in §§ 5a-5j KSchG durch BGBl I 1999/185. Da zu den Fernabsatzverträgen
grundsätzlich auch die im Internet geschlossenen Verträge zählen, dient § 13a KSchG
auch zu deren kollisionsrechtlichen Absicherung.
190 Vgl Richtlinie 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.9.2002
über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher und zur Änderung der
Richtlinie 90/619/EWG des Rates und der Richtlinien 97/7/EG und 98/27/EG, ABlEG
L 271 vom 9.10.2002, 16, umgesetzt durch das Bundesgesetz über den Fernabsatz von
Finanzdienstleistungen an Verbraucher – FernFinG, BGBl I 2004/62 idF BGBl I 2009/
66.
191 Z 4 wurde eingefügt durch das GewRÄG, BGBl I 2001/48.
192 DaKRÄG, BGBl I 2010/28, Artikel 3, Z 2c.
168
Sonderanknüpfungen im Internationalen Schuldrecht § 15
c) § 11 TNG
Diese Bestimmung des Teilzeitnutzungsgesetzes193 setzt Art 9 der sog „Im- 15/48
mobilien-Time-Sharing-Richtlinie“194 um und soll sicherstellen, dass der
Schutz, den die nationalen Umsetzungsgesetze dem Erwerber von Teil-
zeitnutzungsrechten gewähren, gesichert wird, wenn mindestens eines
von mehreren Nutzungsobjekten in einem EWR-Vertragsstaat belegen ist.
Der Nutzungsvertrag, Kreditvertrag oder ein zusammenhängender Ver-
trag sind dann an das Recht des Aufenthaltsstaates des Erwerbers anzu-
knüpfen, „wenn der Vertrag im Zusammenhang mit einer in diesem Staat
entfalteten, auf die Schließung solcher Verträge gerichteten Tätigkeit des
Veräußerers, des Dritten“ oder eines ihrer Leute zustande gekommen ist,
bzw alternativ an das Recht des EWR-Staates, in dem das Nutzungsobjekt
gelegen ist195.
2. Atomhaftung
169
§ 15 Schuldverhältnisse
170
§ 16. Exkurs: Internationales Privatrecht und
eBusiness1
A. Internet und eBusiness: Herausforderungen für das
IPR
Im ausgehenden 20. Jahrhundert hat man mit der Entwicklung des eBusi- 16/1
ness große Erwartungen verbunden. Der durch elektronische Medien in
der Wirtschaft herbeigeführte Wandel vollzieht sich zwar langsamer, aber
stetig. Unter dem Begriff des eBusiness wird die elektronisch unterstützte
Gestaltung sämtlicher wirtschaftlicher Transaktionen verstanden2: zB
Kauf von Waren bei einem Online-Versandhaus, Auktion von Flugtickets
im Internet, elektronische Kommunikation zwischen einer Handelskette
und ihren Zulieferbetrieben, Nutzung von Online-Datenbanken, Tätigkei-
ten eines Providers, Teleshopping, elektronische Unterstützung von Wa-
rentransporten usw. Allen diesen zufällig gewählten Beispielen für eBusi-
ness ist gemeinsam, dass sie nicht an die Grenzen nationaler Rechts-
ordnungen gebunden sind. Ein großer Teil des eBusiness wird über das In-
ternet abgewickelt3. Dieser gemeinsame Standard der Datenübertragung
ermöglicht es, dass Computer mit unterschiedlichster Rechnerarchitektur
und Systemsoftware Daten austauschen können. Das Internet stellt sich
als die Summe seiner Dienste und Anwendungen dar, wobei fast allen die-
sen Internet-Diensten das so genannte Client/Server-Prinzip zugrunde
liegt: Der Server liefert die Daten, die vom Client angefordert werden kön-
nen. Die Aufbereitung und Darstellung der Daten wird nach einem Proto-
koll auf dem Client durchgeführt. Die aktuelle technische Entwicklung
zeigt jedoch eine deutliche Zunahme sog „peer-to-peer“-Verbindungen
1 Unter Verwendung des Beitrags zur 3. Auflage von Markus Fallenböck. Für Durchsicht
und Ergänzungen ist Frau Elisabeth Staudegger zu danken.
2 Näheres bei Fallenböck, Internet und Internationales Privatrecht (2001) 5 ff.
3 Das Internet ist die Gesamtheit aller Netzwerke und Computer, die über weltweit einheit-
liche Protokolle miteinander kommunizieren.
171
§ 16 Exkurs: Internationales Privatrecht und eBusiness
(p2p), bei denen die klassische Architektur durchbrochen wird, weil jeder
beteiligte Rechner sowohl Client als auch Server sein kann.
16/2 Zwei Unterscheidungen – nach der Art der Leistungserbringung, bzw
nach den beteiligten Personen4 – sind für die rechtliche Beurteilung von
Bedeutung:
16/3 Ohne das internationale Medium des Internet könnte eBusiness nicht
stattfinden, doch werden Internet-Verträge über die nationalen Grenzen
hinweg noch immer vergleichsweise zögerlich abgeschlossen. Wenngleich
sich das Volumen des Internet-Handels in der EU seit 2002 vervielfacht hat
und mehr als 40% der Bevölkerung der EU im Alter von 16 bis 74 Jahren
das World Wide Web auch zum Einkaufen nutzen, ist der Anteil derjenigen,
die dies auf ausländischen Shopping-Portalen tun, noch immer relativ ge-
ring8. Die Kommission hat in der kürzlich veröffentlichten „Strategie Eu-
ropa 2020“ als eine der sieben Leitinitiativen zur Erreichung der hochge-
steckten Ziele die „Digitale Agenda“ angeführt.9 Deren Kern ist der
„digitale Binnenmarkt“ für dessen Realisierung unter anderem ein verein-
heitlichter Rechtsrahmen und ein alternatives Streitbeilegungssystem ange-
dacht werden10. Die „Grenzenlosigkeit“ der wirtschaftlichen Nutzung des
172
Internet und eBusiness: Herausforderungen für das IPR § 16
614 (endg) hatte die Kommission einen Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen
Parlaments und des Rates über Rechte der Verbraucher eingebracht. Über künftig im
Rahmen der Digitalen Agenda beabsichtigte Aktionen, vgl die Mitteilung der Kommis-
sion KOM (2010) 245; insb 8 ff.
11 Die Vorschläge reichten von Analogien zur Lex Mercatoria und zum General Maritime
Law bis zur Forderung nach der Schaffung eines Einheitsrechts, einer Lex Internet.
12 Dazu Hilberg, Das neue UN-Übereinkommen zum elektronischen Geschäftsverkehr
und dessen Verhältnis zum UN-Kaufrecht – Wegweiser in Sachen E-Commerce, IHR
2007, 12, 56. Das Übereinkommen wurde inzwischen von 18 Staaten unterzeichnet,
aber noch von keinem Staat ratifiziert.
13 UNCITRAL Model Law on Electronic Commerce 1996/98 und on Electronic Signatures
2001.
14 Hoeren, Skriptum Internetrecht 2. Von den zahlreichen Arbeiten dieses Spezialisten des
Internetrechts seien die im gebührenfreien Download unter http://www.uni-muenster.
de/Jura.itm/hoeren/materialien/ verfügbaren Materialien und darunter insb sein „Skrip-
tum Internet-Recht“ (Stand Februar 2010) als aktuelle und umfassende Darstellung auch
der kollisionsrechtlichen Probleme (insb 446 ff) empfohlen.
15 Das Internet bewirkt eine Intensivierung von Auslandsberührungen und wenn dann pri-
vatrechtliche Fragen auftreten, muss das relevante IPR das anzuwendende Recht bestim-
men. Auch eine knapp gehaltene Einführung in das IPR muss sich daher den kollisions-
rechtlichen Herausforderungen durch eBusiness und Internet stellen.
173
§ 16 Exkurs: Internationales Privatrecht und eBusiness
1. Business-to-Business-Verträge (B2B)
174
Internationales Vertragsrecht und eBusiness § 16
175
§ 16 Exkurs: Internationales Privatrecht und eBusiness
bringung abstellt. Das gilt nicht nur für Verträge im indirekten eBusiness,
da hier bei der Lieferung von Waren oder der Erbringung von Dienstleis-
tungen die charakteristische Leistung auf konventionellem Wege und un-
abhängig vom Internet erbracht wird. Auch beim direkten eBusiness hal-
ten sich die Probleme in Grenzen. Eine besondere Bedeutung kommt hier
dem Leistungsgegenstand „Information“ zu, da bei den (kommerziellen)
Informations-, Nachrichten- und Datenbankdiensten die charakteristi-
sche Leistung jene des Informationsanbieters ist. Für Lizenzverträge
(auch für Software, die direkt vertrieben wird) ergeben sich dieselben An-
knüpfungsprobleme wie außerhalb des Internet. Für die Frage, welche
Partei hier die charakteristische Leistung erbringt, bietet sich eine diffe-
renzierte Lösung an: Sofern den Lizenznehmer typische Ausübungs-
und Verwertungspflichten treffen, ist er der Erbringer der charakteristi-
schen Leistung; andernfalls ist es der Lizenzgeber24.
· Lokalisierung der Vertragsparteien: Art 4 Rom I-VO stellt für die An-
knüpfung des Vertrages auf den gewöhnlichen Aufenthalt ab25. Welche
Besonderheiten ergeben sich nun für diesen Begriff unter den Bedin-
gungen des eBusiness? Sicher ist, dass die bloße Nutzung eines Servers
an einem anderen Ort als dem Sitz der die charakteristische Leistung er-
bringenden Partei noch keine Niederlassung begründen kann. Hier
spielen auch die technischen Strukturen des Internet keine entschei-
dende Rolle, weshalb die geografische Position eines Servers für die Be-
stimmung der Niederlassung grundsätzlich als irrelevant anzusehen ist.
Der ausländische Erbringer der charakteristischen Leistung, der sich le-
diglich eines in Österreich befindlichen Servers bedient, begründet da-
mit noch keine Niederlassung in Österreich.
Die Hilfsfunktion des Servers wird besonders im indirekten eBusiness
deutlich, in dem es zur Lieferung von Waren oder Erbringung von Dienst-
leistungen auf konventionellem Wege kommt, so dass die Ermittlung des
Ortes, an dem die Leistung erbracht wird, unschwer möglich ist26. An die-
ser Einschätzung ändert sich auch im direkten eBusiness nichts, obwohl
176
Internationales Vertragsrecht und eBusiness § 16
2. Business-to-Consumer-Verträge (B2C)
Obwohl der B2B-Bereich nach wie vor die wirtschaftlich dominante Kom- 16/8
ponente im eBusiness ist, bietet das Internet als globales Massenkommuni-
kationsmedium eine hervorragende Plattform für alle Formen der Direkt-
vermarktung. Gerade Verbraucher können mit Hilfe des Internet direkt
angesprochen und Verträge mit ihnen angebahnt bzw geschlossen werden.
Daher kommt dem Verbrauchervertragsstatut in Art 6 Rom I-VO beson-
dere Bedeutung zu27. Die von dieser Bestimmung erfassten Verträge müs-
sen von einer Person zu einem Zweck, der nicht ihrer beruflichen oder ge-
werblichen Tätigkeit zugerechnet werden kann, mit einer anderen Person,
die in Ausübung ihrer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit handelte28,
geschlossen worden sein. Wenngleich der sachliche und persönliche An-
wendungsbereich von Art 6 Rom I-VO durch eBusiness nicht tangiert
wird, ergeben sich internetspezifische Fragen.
Im Zusammenhang mit eBusiness kann sich die Frage stellen, ob ein
Kaufvertrag von (Standard-)Software zum privaten Gebrauch als Ver-
braucherkaufvertrag zu qualifizieren sei. Der OGH hat Standardsoftware,
die auf einem Datenträger verkörpert ist, als bewegliche Sache eingestuft29.
Im direkten eBusiness ist es aber nach wie vor umstritten, ob die Online-
Übertragung des Leistungsgegenstandes, etwa der Download von Soft-
ware, als Lieferung einer beweglichen Sache qualifiziert werden kann30. Es
27 Vgl Rz 15/15.
28 Dieser Person musste bei Vertragsabschluss der private Charakter des Geschäfts bekannt
oder nach den Umständen objektiv erkennbar gewesen sein. Da der gute Glaube des un-
ternehmerisch tätigen Vertragspartners geschützt wird, fällt ein Vertrag nicht unter Art 6
Rom I-VO, wenn die vom Unternehmer erbrachte Leistung tatsächlich zur Ausübung
einer entsprechenden beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit des Abnehmers dienen
kann, es jedoch unerkennbar ist, das die Leistung privaten Zwecken dient.
29 OGH SZ 70/202 = JBl 1998, 577 (tw zust Staudegger). Jedenfalls im Bereich der Stan-
dardsoftware gewinnt die kaufrechtliche Komponente an Bedeutung und rücken die im-
materialgüterrechtlichen Aspekte (Lizenzierung) in den Hintergrund.
30 Dagegen Koch, Internet-Recht (1998) 53; vgl allgemein auch Heiss in Czernich/Heiss,
EVÜ-Kommentar, Art 5 EVÜ Rz 16, der – wie der OGH – von einer Lieferung auf
einem festen Datenträger ausgeht.
177
§ 16 Exkurs: Internationales Privatrecht und eBusiness
31 Der Übermittlungsmodus kann nicht entscheidend sein, vielmehr kommt es auf die
Funktion der Software für den Nutzer an und dabei zeigt sich, dass der Vertragsgegen-
stand unabhängig von der Übermittlung derselbe bleibt. Auch die Online-Übertragung
von Software ist daher Lieferung einer „beweglichen Sache“ iSd Art 4 Abs 1 lit a) 1 Rom
I-VO.
32 Hier ist Art 6 Abs 4 lit a) Rom I-VO zu beachten, der die Geltung der ersten beiden Ab-
sätze dieses Artikels ausschließt, wenn die Dienstleistung ausschließlich außerhalb des
Verbraucherstaates erbracht wird. Bei Dienstleistungen im eBusiness (zB Providerleis-
tungen oder Datenbankabfragen) erfolgt die eigentliche Nutzungshandlung im Verbrau-
cherstaat, so dass eine ausschließlich im Ausland stattfindende Leistungserbringung idR
nicht gegeben ist; vgl Fallenböck, Internet und IPR, 135.
33 Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 21.12.2000 über die gerichtliche Zustän-
digkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Han-
delssachen, ABlEG L 12 vom 6.1.2001, 1.
34 Präambel zur Rom I-VO, Erwägungsgrund (24).
178
Internationales Vertragsrecht und eBusiness § 16
179
§ 16 Exkurs: Internationales Privatrecht und eBusiness
mit Verbrauchern nach VO-Rom-I Martiny in MüKo5 (2009) BGB Band 10 XVI,
Rn 232 f.
39 Für die grundsätzliche Anwendbarkeit des Kriteriums der Zielgerichtetheit auch im In-
ternet sind ua Zankl, E-Commerce-Gesetz (2002) Rz 307 und wohl auch Mottl in Brenn
(Hrsg), ECG, 139, eingetreten. Die Verbindung zum Verbraucherstaat sollte sich durch
eine inhaltlich bestimmbare Ausrichtung (auch) auf dessen Markt ergeben, wobei im In-
teresse des Verbraucherschutzes subjektive Voraussetzungen auf Seiten des Anbieters ir-
relevant sein müssen. Vielmehr müsse das Bestehen einer solchen Verbindung nach ob-
jektiven Kriterien vom Empfängerhorizont des Verbrauchers her beurteilt werden.
40 Man denke an Anbieter, die wie „amazon.com“ mit einer bewusst internationalen Aus-
richtung auftreten.
41 Dazu im einzelnen Fallenböck, Internet und IPR, 126 f.
42 Vermehrt werden Angebote im Internet durch Disclaimer eingeschränkt, zum Beispiel:
„Dieses Angebot gilt nur für Verbraucher in Land X“; vgl dazu auch Mankowski, Ra-
belsZ 1999, 244 f.
180
Internationales Wettbewerbsrecht und eBusiness § 16
biet stammenden Verbraucher der Schutz des Art 6 Rom I-VO eindeutig
ergibt. Für den Anbieter hat der Disclaimer den Nachteil, dass er sich auf
einen bestimmten Markt festlegen muss, wenn er sein Rechtsanwendungs-
risiko eingrenzen will. Denn wenn er mit Verbrauchern außerhalb des an-
gegebenen Bereiches kontrahiert, wird zu Recht gefordert, dass ein solcher
Vorbehalt unbeachtlich sei43. Der Anbieter kann sich dann nicht darauf be-
rufen, dass der Verbraucher aus einem Staat komme, der nicht seiner
Marktausrichtung entspricht.
43 ZB von Mankowski, RabelsZ 1999, 245; Lurger in Gruber (Hrsg), Die rechtliche Dimen-
sion des Internet (2001) 69 (78 f).
44 Zum Internationalen Wettbewerbsrecht im Internet, vgl Gruber in Gruber/Mader
(Hrsg), Internet und e-commerce: Neue Herausforderungen an das Privatrecht (2000),
109 (113 ff); Lurger in Gruber (Hrsg), Die rechtliche Dimension des Internet, 69 (82 ff);
für Wettbewerbsstreitigkeiten bei Internet Domain Namen siehe Fallenböck/Stockinger,
Update Domainrecht: „Typosquatting“, Domains im Kollisionsrecht, MR 2001, 403
(408); vgl auch OGH MR 2001, 194 (Pilz). Jüngst Handig, Lauterkeitsrechtliche As-
pekte grenzüberschreitender Informationsanforderungen in Jaksch-Ratajczak (Hrsg),
Aktuelle Rechtsfragen der Internetnutzung (2010) 81.
45 Zuvor bestimmte § 48 Abs 2 IPRG, dass sich alle Ansprüche aus unlauterem Wettbewerb
nach dem Sachrecht des Staates richten, auf dessen Markt sich der Wettbewerb auswirkt.
181
§ 16 Exkurs: Internationales Privatrecht und eBusiness
16/12 Auch wenn man dem gerade beschriebenen Ansatz folgt, bleiben für den
Internet-Anbieter eine Reihe von Risiken bestehen. Abhängig vom Ge-
richtsstand kann er sich einer Vielzahl von nationalen Wettbewerbsrechten
ausgesetzt sehen, was ein weitgehend einheitliches Auftreten in der Wer-
bung wesentlich erschwert. Dieser Nachteil des Anbieters kann nur da-
durch überwunden werden, dass im Internationalen Wettbewerbsrecht
nur das Recht seiner Niederlassung, nicht aber die Vielzahl der Marktort-
rechte zur Anwendung kommt. Nach diesem so genannten Herkunfts-
landprinzip hat der Internet-Anbieter nur noch die Anforderungen seines
heimischen (Wettbewerbs)-Rechts zu erfüllen.
46 Diese knüpfen an eine technische Vertriebssteuerung ab. Die Verbreitung einer Zeit-
schrift lässt sich im Großen und Ganzen durch die Gestaltung von Vertriebswegen be-
einflussen. Bei Satellitenprogrammen wird dies schon bedeutend schwieriger, im Internet
ist schließlich jede technische Steuerung praktisch unmöglich.
47 In diese Richtung wohl auch Lurger in Gruber (Hrsg), Die rechtliche Dimension des In-
ternet, 92, die auf eine bewusste Ausrichtung der Geschäftstätigkeit abstellt.
48 Sprache, Währung, Zahlungsmodalitäten, Produktbeschreibung, Lieferbedingungen,
Produktcharakteristika uä; vgl Rz 16/10.
182
Internationales Wettbewerbsrecht und eBusiness § 16
49 Richtlinie 2000/31/EG über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informa-
tionsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt,
ABlEG L 178 vom 17.7.2000, 1; zu ihrem Inhalt, Brenn, Der elektronische Geschäfts-
verkehr, ÖJZ 1999, 481.
50 Bundesgesetz, mit dem bestimmte rechtliche Aspekte des elektronischen Geschäfts- und
Rechtsverkehrs geregelt (E-Commerce-Gesetz – ECG) und das Signaturgesetz sowie die
Zivilprozessordnung geändert werden, BGBl I 2001/152; in Kraft getreten am 1.1.2002;
zu den Inhalten des ECG, eingehend Brenn (Hrsg), ECG (2002); Laga/Sehrschön/Ci-
resa, E-Commerce-Gesetz2 (2007); Zankl, E-Commerce-Gesetz (2002).
51 817 BlgNR 21 GP.
52 So auch Laga/Sehrschön/Ciresa, E-Commerce-Gesetz2, 97; in diesem Sinne wohl auch
Mottl in Brenn (Hrsg) ECG, 142; Zankl, E-Commerce-Gesetz (2002) Rz 315, 321.
183
§ 16 Exkurs: Internationales Privatrecht und eBusiness
16/14 Neben dem Austausch von Waren und Dienstleistungen kommt gerade im
direkten eBusiness dem Handel mit „Informationsgütern“ besondere Be-
deutung zu. Ob es um das Lesen einer Online-Zeitung, den Download von
Software oder den Zugriff auf eine Datenbank geht, immer sind entspre-
chende Immaterialgüterrechte – Marken- und Patentrecht sowie das Urhe-
berrecht – betroffen. Da durch sie der Zugang zu und die Verfügbarkeit
über Informationen gesteuert wird, kommt ihnen im Informationszeitalter
große gesellschaftliche Bedeutung zu. Da nationale Immaterialgüterrechte
in unterschiedlichem Umfang Schutz vor Eingriffen in Immaterialgüter-
rechte gewähren, ist die Frage nach dem anwendbaren Recht bei Handlun-
gen im Internet besonders kritisch54.
Die kollisionsrechtliche Anknüpfung von Immaterialgüterrechten er-
folgt in den meisten Staaten nach dem Schutzlandprinzip. In Österreich
ist dieses in § 34 Abs 1 IPRG verankert55. Es bestimmt das Recht jenes Staa-
tes, dessen immaterialgüterrechtlicher Schutz in Anspruch genommen
wird, als anwendbar. Für das Urheberrecht ist somit auch im Internet das
Recht des Ortes entscheidend, an dem eine Benützungs- oder Verlet-
zungshandlung gesetzt wurde, obwohl gerade diese Einordnung bei On-
line-Medien Schwierigkeiten bereitet. Denn für den Ort der Benützungs-
handlung kommt – vereinfacht dargestellt – der Staat in Betracht, von dem
aus das Werk zugänglich gemacht wird, und/oder der Staat, in dem es spä-
ter zum Abruf der Daten kommt. Folgt man dem Schutzlandprinzip, muss
ein Anbieter im Internet weltweit sicherstellen, dass sein Angebot nicht
Urheberrechte Dritter verletzt, da neben dem Land, wo die Einspeisung in
das Internet erfolgt, auch jeder andere Staat zum Ort einer Urheberrechts-
verletzung werden kann. Faktisch müsste sich der Anbieter am weltweit
strengsten Urheberrecht orientieren, da im grenzüberschreitenden Internet
53 §§ 22, 23 ECG.
54 Vgl dazu Haller, Music on demand (2001) 145 ff; Lurger in Gruber (Hrsg), Die rechtliche
Dimension des Internet, 95 ff; Muth, Die Bestimmung des anwendbaren Rechts bei Ur-
heberrechtsverletzungen im Internet (2000).
55 Rz 13/9. Für Verletzungshandlungen ist Art 8 Rom II-VO zu beachten.
184
Internationales Immaterialgüterrecht und eBusiness § 16
2. Alternative Anknüpfungskonzepte
Aus dem oben Gesagten ergibt sich, dass die Schutzlandanknüpfung bei 16/15
Immaterialgüterrechtsverletzungen im Internet auf große Schwierigkeiten
stößt60. Daher wird nach alternativen Anknüpfungskonzepten gesucht61.
So wurde in Anlehnung an die Satelliten-Richtlinie eine Übertragung des
185
§ 16 Exkurs: Internationales Privatrecht und eBusiness
186
Zweiter Teil: Einheitsprivatrecht
187
§ 17 Einführung: Wesen, Terminologie, Kategorien
17/2 Im Zuge des Fortschreitens der Europäischen Integration hat die An-
gleichung bzw Vereinheitlichung der nationalen Privatrechte in Europa
eine neue Qualität erhalten, der sich Österreich nicht entziehen konnte. So
wurden schon im Zusammenhang mit dem am 1.1.1994 in Kraft getretenen
Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum1 zahlreiche „wirt-
schaftsnahe Regelungsbereiche“ an das Recht der europäischen Gemein-
schaft angepasst, ehe der Beitritt ab 1.1.1995 eine vollständige Übernahme
des acquis communautaire bewirkte. Doch auch über den Rahmen der eu-
ropäischen Integration hinaus stellt sich die Rechtsvereinheitlichung
heute im Privatrecht als ein außerordentlich dynamischer Wachstums-
sektor dar. Mehrere internationale Institutionen bemühen sich darum, ins-
besondere für das internationale Privatrecht, das Transportrecht, das Ver-
tragsrecht und das Haftungsrecht, einheitliche, die zu eng gewordenen
Grenzen der nationalen Privatrechtskodifikationen überwindende Rechts-
grundlagen zu schaffen.
17/3 Dabei werfen die Bemühungen um die internationale Vereinheitlichung von
Materien des Privatrechts spezifische Rechtssetzungsprobleme auf, da un-
terschiedliche Rechtsstile und Rechtssprachen auf einen gemeinsamen Nen-
ner gebracht werden müssen. Die an der Ausarbeitung und Redaktion eines
einheitsrechtlichen Textes beteiligten juristischen Experten müssen sich
auch in allen Phasen ihrer Tätigkeit bewusst sein, dass sie einer zweifachen
Gefahr ausgesetzt sind: Einerseits, die vereinheitlichte Regelung wegen zu
großer Kompromissbereitschaft gerade in inhaltlich neuralgischen Punkten
auf nichtssagende und ausfüllungsbedürftige Generalklauseln zu reduzie-
ren; andererseits, wegen der Divergenzen, die im Hinblick auf den Stil und
das spezifische Verständnis von Recht zwischen den einzelnen Staaten be-
stehen, Fremdkörper in die nationalen Rechtsordnungen zu verpflanzen.
In beiden Fällen wird den Gerichten der an der Vereinheitlichung beteilig-
ten Staaten eine schwere Aufgabe aufgebürdet. Müssen sie doch in dem
einen Fall unter Bedachtnahme auf die internationale Rechtsprechungsent-
wicklung die sachgerechte Konkretisierung der Generalklausel bewerkstel-
ligen, während sie im anderen Fall versuchen müssen, harmonisierende Lö-
sungen zu finden, welche die Einheit ihres staatlichen Rechts wahren.
17/4 Im Einheitsprivatrecht müssen daher auch spezifische Auslegungspro-
bleme bewältigt werden. Partikulare Praktiken bei Interpretation des Ein-
heitsrechtstextes und Füllung seiner Lücken würden die international an-
gestrebte Einheit wieder aufheben und den mit der Vereinheitlichung
188
Terminologisches § 17
B. Terminologisches
2 Vgl Rz 17/14–17/16.
3 Vgl ex Art 220 EGV; nunmehr Art 19 EUV.
4 Kropholler, Internationales Einheitsrecht, Allgemeine Lehren (1975) 1 ff.
5 Im alternativen Konzept von Schmeder, Die Rechtsangleichung als Integrationsmittel der
Europäischen Gemeinschaft (1978) 5 ff, fungiert „Rechtsangleichung“ als Oberbegriff, als
deren intensivste Form sich die „Rechtsvereinheitlichung“ darstellt, da sie zu wörtlich
gleichlautendem Recht, eben zu „Einheitsrecht“ führt, während der Begriff der „Rechts-
angleichung“, im engeren Sinn verwendet, ausdrücken soll, dass lediglich „Rechtseinheit“
geschaffen werde.
189
§ 17 Einführung: Wesen, Terminologie, Kategorien
190
Entstehung von Einheitsprivatrecht § 17
nach Rechtsgleichheit auch erfüllt sein mag, darf doch nicht übersehen
werden, dass das durch „Klauselrecht“ geschaffene Einheitsrecht nicht das
Ergebnis des Zusammenwirkens staatlicher Instanzen ist und es ihm auch
an der Geltung als innerstaatliches, objektives Recht fehlt. Denn weder ist
es in den Rang eines innerstaatlichen Gesetzes erhoben noch erreicht es die
Qualität von (staatlichem) Gewohnheitsrecht. Ebenso stellt es regelmäßig
auch kein Völkergewohnheitsrecht dar12. Immerhin kann man im Klausel-
recht zumindest eine für den internationalen Rechtsverkehr unter Kaufleu-
ten und Unternehmern „willkommene Ergänzung des sonstigen Einheits-
rechts“13 sehen.
Klauselrecht kann von den Parteien eines internationalen Unterneh-
mensgeschäfts mittels materiellrechtlicher Rechtswahl zur Grundlage
für die Entscheidung allfälliger Rechtsstreitigkeiten gemacht werden und
auch im Rahmen von Schiedsverfahren praktische Bedeutung erlangen14.
Insofern waren die vom Römischen Internationalen Institut für die Verein-
heitlichung des Privatrechts, UNIDROIT, im Jahre 1994 in erster Auflage
herausgegebenen Principles of International Commercial Contracts15, die
als eine Art soft law die im Handelsverkehr etablierten Regeln kodifika-
tionsähnlich und regelhaft zusammenfassten, durchaus erfolgreich.
(1964) 177; krit zB Lagarde, Approche critique de la lex mercatoria, in: Le droit de rela-
tions économiques internationales, Études offertes à Berthold Goldman (1982) 125; vgl
auch Kassis, Théorie générale des usages du commerce (1984) insb 271 ff.
12 Siehe etwa BGH NJW 1983, 1322 (1323) hinsichtlich von der IATA empfohlener AGB.
13 Kropholler, Internationales Einheitsrecht 126.
14 Die Verordnung Rom I stellt in ihrer Präambel, Erwägungsgrund 13 klar, dass diese Ver-
ordnung „die Parteien nicht daran [hindert], in ihrem Vertrag auf ein nichtstaatliches Re-
gelwerk [. . .] Bezug zu nehmen.“
15 Aktuelle Fassung von 2004.
16 Über Entstehung und Wirken von UNCITRAL, die 1966 über ungarische Initiative ge-
gründet wurde und am 1.1.1968 zunächst noch in New York ihre Tätigkeit aufnahm und
seit 1980 ihren Sitz in Wien hat, vgl UNCITRAL Homepage: http://www.uncitral.org/.
17 UNIDROIT wurde über Initiative von Rabel vom Völkerbund in den späten zwanziger
Jahren des 20. Jahrhunderts eingerichtet. Auf Vorarbeiten von UNIDROIT, das auch
191
§ 17 Einführung: Wesen, Terminologie, Kategorien
heute noch intensiv um die internationale Rechtsangleichung bemüht ist, geht insbeson-
dere das vereinheitlichte Recht des Warenkaufs (CISG) zurück; vgl http://www.unidroit.
org/.
18 Näheres unter http://www.coe.int/.
19 Dazu http://www.iccwbo.org/.
20 Informationen über die CIEC: http://www.ciec1.org/.
21 Homepage: http://www.ilo.org/global/lang–en/index.htm.
22 Ex Art 94 EGV; nunmehr Art 115 AEUV.
192
Kategorien § 17
D. Kategorien
Die interne Rechtsvereinheitlichung beschränkt sich auf das Gebiet eines 17/9
souveränen Staates. Historische Beispiele bilden die großen Kodifikationen
des Bürgerlichen Rechts: So wurde etwa durch den Code civil erstmals ein
einheitliches bürgerliches Recht in Frankreich geschaffen, durch das In-
krafttreten des BGB am 1.1.1900 die Rechtszersplitterung im deutschen
Reich überwunden und durch ZGB und OR die kantonale Rechtsvielfalt
in der Schweiz beseitigt. Noch heute bestehen aber innerhalb der Europä-
ischen Union im United Kingdom mehrere Teilrechtsordnungen, die sich
nicht nur in Marginalien vom englischen Recht unterscheiden, was insbe-
sondere für das schottische Privatrecht gilt, und auch in Spanien ist nur
das Eherecht landesweit vereinheitlicht24.
23 Bekanntestes Beispiel ist das zweibändige Werk von Rabel, Das Recht des Warenkaufs,
das die Grundlage für die Vereinheitlichung des Rechts des internationalen Warenkaufs
bildete.
24 Am Beispiel der Vereinigten Staaten von Amerika lässt sich zeigen, dass interne Verein-
heitlichung nach wie vor ein aktuelles Anliegen sein kann. Erfolgreich war dort insb die
Vereinheitlichung des amerikanischen Handelsrechts durch den Uniform Commercial
Code (UCC).
193
§ 17 Einführung: Wesen, Terminologie, Kategorien
194
Kategorien § 17
195
§ 17 Einführung: Wesen, Terminologie, Kategorien
196
Kategorien § 17
schenwürde auf. Die USA hielten sich schon seit längerem nicht mehr an das WA und
verlangten von den Fluglinien eine wesentlich höhere Haftungsgarantie. In immer mehr
Staaten ist seit 1999 das Montrealer Übereinkommen in Kraft getreten.
43 Am 1.7.2010 stand CISG in 74 Staaten in Geltung; vgl Anhang zu § 19.
44 Veröffentlicht in der European Treaty Series, die mehr als 200 Vereinheitlichungsprojekte
erfasst; abrufbar unter: http://conventions.coe.int/Treaty/Commun/ListeTraites.asp?
CM=8&CL=ENG; allerdings betreffen nicht alle privatrechtliche Materien (zB Nr 91:
Produkthaftung: 1977, gescheitert; Nr 150: Umwelthaftung: 1993, Ratifikationen aus-
ständig). Besonders erfolgreich war der Europarat im Menschenrechtsschutz: Die Euro-
päische Menschenrechtskonvention (EMRK) von 1950, zu der im Laufe der Zeit zahlrei-
che Zusatzprotokolle hinzukamen, ist heute von allen Mitgliedstaaten des Europarates
ratifiziert, in Österreich durch BGBl 1958/210.
45 Beispiele für erfolgreiche Vereinheitlichung durch den Europarat stellen die Überein-
kommen über die Kfz-Haftpflichtversicherung bzw über die Haftung der Herbergs-
wirte dar.
197
§ 17 Einführung: Wesen, Terminologie, Kategorien
17/13 In das österreichische Recht findet das Einheitsrecht, das von internationa-
len Organisationen wie UNCITRAL, Europarat, Haager IPR-Konferen-
zen in Form völkerrechtlicher Verträge ausgearbeitet wird, üblicherweise
mit der Ratifikation durch den Nationalrat Eingang, wobei die allfällige
Bindung an Gemeinschaftsrecht zu berücksichtigen ist. Dabei muss das
Gesetzgebungsorgan den jeweiligen Regelungskomplex als vorgegeben
akzeptieren und auf die vorgeblich höhere ratio der international akkor-
dierten Vorlage vertrauen. Die alternativ mögliche Ablehnung kann unter
Umständen einen in völkerrechtlicher Hinsicht „unfreundlichen Akt“ dar-
stellen. Nur wenn in dem internationalen Instrument selbst Optionen vor-
gesehen werden, bleibt den nationalen Gesetzgebungsinstanzen ein „ka-
nalisierter Rest“ von Gestaltungsmöglichkeit. Die begrenzte Möglichkeit
zur Modifikation des Einheitstextes läuft dem „Souveränitätsdenken“ der
Staaten zuwider und fordert den Widerstand der staatlichen Normsetzer
heraus47, da die Gesetzgebungskompetenz nach tradiertem Verständnis zu
den Wesensmerkmalen der staatlichen Souveränität zählt.
Österreich hat allerdings seine Gesetzgebungskompetenz im marktna-
hen Privatrecht spätestens48 zum Stichtag 1.1.1995 weitgehend auf die hie-
für zuständigen EU-Institutionen übertragen. Im supranationalen Rahmen
kann in einigen Rechtsangleichungsbereichen mit Hilfe von Verordnungen
auch unmittelbar wirksames Einheitsrecht geschaffen werden, doch be-
darf das sekundäre Gemeinschaftsrecht immer dann, wenn europäische
Rechtsangleichung mit der Hilfe von Richtlinien angestrebt wird, der
„Umsetzung“ (implementation) durch den nationalen Gesetzgeber. Im
46 Durch das EWR-Abkommen und vertragliche Vereinbarungen mit den zentral- und ost-
europäischen Reformstaaten (Polen, Tschechische Republik, Ungarn, Slowenien, zuletzt
auch Kroatien usw) wurde der europarechtliche acquis communautaire schon vor der
Erweiterung 2004 über die EU hinaus ausgeweitet. Auch die Schweiz, deren Bevölke-
rung sich im Referendum vom 6.12.1992 von dieser Entwicklung ausgeschlossen hat, ist
auf bilateralem Wege und „autonom“ um Rechtsanpassung bemüht.
47 Weitere Hindernisse kommen hinzu: zB die schon von David, International Unification
N 57 ff, besonders gewichtete Neigung der Juristen zu „Routine“ und „Vorurteil“, die
auch Zweigert ansprach, als er vor 60 Jahren von einem „Komplex aus der Studienzeit“
geschrieben hat: Zweigert, Die Rechtsvergleichung im Dienste der europäischen Rechts-
vereinheitlichung, RabelsZ 16 (1951) 387 f.
48 Hinsichtlich der vom EWR-Übereinkommen erfassten Materie schon ein Jahr früher.
198
Der Umgang mit Einheitsprivatrecht § 17
49 Setzt ein Mitgliedstaat eine Richtlinie nicht fristgerecht um, kann die Kommission gegen
ihn ein Verfahren wegen Vertragsverletzung gem Art 258 AEUV einleiten und ein da-
durch Geschädigter die Staatshaftung des säumigen Mitgliedstaates ansprechen.
50 Dazu Kramer, Uniforme Interpretation von Einheitsprivatrecht – mit besonderer Be-
rücksichtigung von Art 7 UNKR, JBl 1996, 137.
51 Vienna Convention on the Law of Treaties vom 23.5.1969, BGBl 1980/40.
199
§ 17 Einführung: Wesen, Terminologie, Kategorien
200
Der Umgang mit Einheitsprivatrecht § 17
57 Vgl Art 1 des Anhangs zum Europäischen Übereinkommen über die Pflichthaftpflicht-
versicherung für Kraftfahrzeuge; sowie Art 2 des Europäischen Übereinkommens über
die Produkthaftung.
58 Deutsche Übersetzung bei Loewe, Die Empfehlungen des Europarats zur Vereinheitli-
chung der Rechtsbegriffe „Wohnsitz“ und „Aufenthalt“, ÖJZ 1974, 144 (146).
59 Deutsche Übersetzung bei Wiesbauer, Die Empfehlungen des Europarats zur Verein-
heitlichung der Rechtsbegriffe des Schadenersatzes bei Körperverletzung und Tötung,
RZ 1977, 4.
60 Während es sich bei diesen Entschließungen immerhin um unverbindliche Empfehlun-
gen handelt, ist der Bericht über „Certain Aspects of Civil Liability“ lediglich eine Unter-
richtung über weitere Arbeitsergebnisse des Subkomitees für fundamentale Rechtsbe-
griffe des Europarates. Die dort vorgeschlagenen Definitionen von „Vertragshaftung“,
„Deliktshaftung“, „Verschuldensabstufungen“ und „Entlastungsgründe von der Haf-
tung“ verstehen sich als Auslegungshilfsmittel bei der Anwendung internationalen Ein-
heitsrechts.
201
§ 17 Einführung: Wesen, Terminologie, Kategorien
202
§ 18. Europäische Privatrechtsangleichung
A. Stellenwert und Entwicklung
Die integrative Funktion der Rechtsangleichung wurde schon von den 18/1
Vätern der Römischen Gründungsverträge erkannt und in Art 3 Abs 1
lit h) des ursprünglichen EWG-Vertrages ein entsprechender Tätigkeitsbe-
reich der Gemeinschaft vorgesehen. Durch Rechtsangleichung sollte die
„Beseitigung von Divergenzen der nationalen Rechtsordnungen der Mit-
gliedstaaten, die das ordnungsgemäße Funktionieren des Gemeinsamen
Marktes behindern“, bewirkt werden, doch geht das Rechtsangleichungs-
anliegen heute in mehrfacher Hinsicht über diese „Binnenmarktorientie-
rung“ hinaus.
Längst hat die Harmonisierung der nationalen Rechtsgrundlagen in den
verschiedenen Bereichen des von der Gemeinschaft erfassten marktnahen
Rechts zu einem „Europäischen Rechtsraum“ geführt, in dem das Sekun-
därrecht das Primärrecht in vielfältiger Weise ergänzt, das seinerseits im
Wege über die Auslegungspraxis des EuGH zu den Grundfreiheiten und
zum Wettbewerbsrecht beträchtliche Auswirkungen auf die Praxis der na-
tionalen Zivilgerichte hat. In dem fundamentalen Wandel von einer durch
den Gemeinsamen Markt bestimmten „Wirtschaftsgemeinschaft“ zu einer
auf vielen Politikbereichen tätigen Union haben der Maastrichter Unions-
vertrag1 und vor allem der Vertrag von Amsterdam2 der Rechtsangleichung
eine zentrale Rolle zugewiesen. Zu Recht gilt sie daher auch noch nach dem
Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon als ein Integrationsfaktor ersten
Ranges und als ein überaus wichtiges Mittel zur Verwirklichung des Bin-
nenmarktes.
Neben der bisher eher punktuellen „Europäisierung immer neuer
Rechtsbereiche“ ist im Gefolge der Entschließungen des Europäischen
203
§ 18 Europäische Privatrechtsangleichung
B. Instrumentarium
3 Dazu einlässlich Lurger, Grundfragen der Vereinheitlichung des Vertragsrechts in der Eu-
ropäischen Union (2002). Ferner: 4. Europäischer Juristentag – Sammelband (Wien, 2008)
Beiträge von Weatherill, Smits, Vékás, Bonell, Wilhelmsson, Fauvarque-Cosson, Lurger
und Zimmermann.
4 KOM(2001) 398 endg, ABlEG C 255 vom 13.9.2001, 1; vgl auch „Mitteilung der Kom-
mission an das Europäische Parlament und den Rat. Ein kohärenteres Europäisches Ver-
tragsrecht. Ein Aktionsplan“ vom 12.2.2003, KOM(2003) endg; ABlEG C 63 vom
15.3.2003, 1; dazu Posch, Auf dem Weg zu einem europäischen Vertragsrecht? wbl 2003,
197.
5 von Bar/Clive/Schulte-Nöke et al (eds)., Principles, Definitions and Model Rules of Euro-
pean Private Law – Draft Common Frame of Reference (DCFR) Interim Outline Edition
(2009); Full Edition (6 Bde – 2009).
6 Dazu: Schulze (ed), Common Frame of Reference and Existing EC Contract Law (2008).
7 PEL – Benevolent Intervention in Another’s Affairs (2006); PEL – Commercial Agency,
Franchise and Distribution Contracts (2006); PEL – Personal Security (2007); PEL – Ser-
vice Contracts (2007).
8 Vgl Hartkamp/Hesselink/Hondius/Joustra/du Perron/Veldman (eds), Towards a Euro-
pean Civil Code, Third Fully Revised and Expanded Edition (2004).
9 Zur Position der Kommission zum Stichtag 1.7.2010, vgl ihr Grünbuch „Optionen für
die Einführung eines Europäischen Vertragsrechts für Verbraucher und Unternehmen“,
KOM(2010) 348 endg vom 1.7.2010.
204
Instrumentarium § 18
angewiesen ist. Von zentraler Bedeutung als Quellen des sogenannten se-
kundären Gemeinschaftsrechts sind insbesondere die Verordnung und die
Richtlinie sowie der Beschluss gemäß Art 288 AEUV10. Der Rat hat zu-
nächst allein, später im Zusammenwirken mit der Kommission und dem
Europäischen Parlament schon mehrere tausend Richtlinien und Verord-
nungen11 sowie zahlreiche unverbindliche Empfehlungen, die jeweils auf
Initiativen der Kommission zurückgingen, erlassen.
Die Verordnung ist gemäß Art 288 AEUV als generelle und abstrakte
Regelung „in allen ihren Teilen verbindlich“ und gilt unmittelbar in jedem
Mitgliedstaat, ohne dass die Gesetzgebungsorgane der Mitgliedstaaten tätig
werden müssten. Sie bewirkt somit Rechtsvereinheitlichung im engeren
Sinn. Während die Verordnung vor dem Wirksamwerden der Einheitli-
chen Europäischen Akte am 1.7.1987 ausnahmsweise und nur dort, wo
dies vorgesehen war, wie zB auf Grund von ex-Art 40 EGV12 zur Sicher-
stellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer oder zur Durchsetzung der
kartellrechtlichen Vorschriften der ex-Art 81 und 82 EGV13 oder allenfalls
auf der Grundlage von ex-Art 308 EGV14 zur Verfügung stand, war es seit
dem Amsterdamer Vertrag leichter möglich, gestützt auf ex-Art 95 EGV15
eine unmittelbar geltende einheitliche Regelung zu treffen, wodurch die
„territoriale Abschirmungswirkung der nationalen Rechtsordnungen“
(Pipkorn) überwunden werden konnte. Auf der Grundlage von ex-Art 308
EGV sind zB die „EWIV-Verordnung“16, die den Grundsatz der unmittel-
baren Geltung von Verordnungen relativierte, indem sie nationale Ausfüh-
rungsgesetze vorsah17 und die „Verordnung über das Statut der Europä-
ischen Gesellschaft (SE)“18 erlassen worden.
Die Richtlinie ist die zweite „generell-abstrakte“ Rechtssatzform, mit
der in der Gemeinschaft Recht angeglichen wird. Unterschieden werden
Grundrichtlinien, die eine Materie erstmals regeln, und Änderungsrichtli-
10 Vor Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon hieß diese Rechtssatzform gem ex-Art 249
EGV „Entscheidung“. Eine typische Erscheinungsform waren die Aussprüche der
Kommission in Kartellrechtssachen.
11 Die große Masse der Verordnungen dient allerdings nicht einem Anliegen der Rechtsver-
einheitlichung und betrifft oft recht banale Materien.
12 Nunmehr Art 46 AEUV.
13 Nunmehr Art 101, 102 AEUV.
14 Nunmehr Art 352 AEUV.
15 Nunmehr Art 114 AEUV.
16 Verordnung (EWG) Nr. 2137/85 des Rates vom 25.7.1985 über die Schaffung einer Eu-
ropäischen wirtschaftlichen Interessenvereinigung (EWIV), ABlEG L 1991 vom
31.7.1985, 1.
17 Vgl EWIV-Ausführungsgesetz, BGBl 1995/521.
18 Verordnung (EG) Nr 2157/2001 des Rates vom 8.10.2001 über das Statut der Europä-
ischen Gesellschaft (SE), ABlEG L 294 vom 10.11.2001, 1.
205
§ 18 Europäische Privatrechtsangleichung
nien, die eine schon einmal durch eine Richtlinie geregelte Materie modifi-
zieren. Die Richtlinie ist gem Art 288 Abs 3 AEUV „teilverbindlich“:
Denn nur hinsichtlich des zu verwirklichenden Zieles bindet sie die natio-
nalen Gesetzgebungen der Mitgliedstaaten, denen bei der „Umsetzung“
bzw „Implementierung“, für die jeweils eine Befristung vorgesehen wird,
die autonome Entscheidung über das jeweils einzusetzende legislatorische
Instrumentarium und den definitiven Wortlaut vorbehalten bleibt. Auf
diese Weise kann auf die jeweiligen Besonderheiten des nationalen Rechts
angemessen Rücksicht genommen werden. Die Richtlinie schafft daher
grundsätzlich kein einheitliches, unmittelbar anwendbares Gemeinschafts-
recht, sondern verpflichtet lediglich die Mitgliedstaaten, ihr Recht ent-
sprechend zu ändern. In einer langen Kette von Urteilen erkennt der
Europäische Gerichtshof jedoch seit den frühen siebziger Jahren des
20. Jahrhunderts19 das Recht einzelner Bürger an, sich „in Ermangelung
von fristgemäß erlassenen Durchführungsmaßnahmen auf Bestimmungen
einer Richtlinie, die inhaltlich als unbedingt und hinreichend genau er-
scheint, gegenüber allen innerstaatlichen, nicht-richtlinienkonformen Vor-
schriften“ zu berufen und so Rechte gegenüber dem Staat geltend zu ma-
chen (Prinzip der vertikalen Direktwirkung).
Das umgesetzte Richtlinienrecht ist nationales Recht. Es ist von den
nationalen Gerichten nach den Grundsätzen der Richtlinienkonformität
auszulegen20. Nach der Judikatur des EuGH haben die nationalen Gerichte
bei der Anwendung „der Vorschriften eines speziell zur Durchführung
einer Richtlinie erlassenen Gesetzes dieses nationale Recht im Lichte des
Wortlauts und des Zwecks der Richtlinie auszulegen. . ., um das in
Art. 189 Abs. 3 EWGV21 genannte Ziel (nämlich eine angeglichene Rechts-
lage herbeizuführen) zu erreichen“22. Ja selbst dann, wenn es sich bei den,
der Richtlinie inhaltlich entsprechenden, nationalen Vorschriften um sol-
che handelt, die bereits vor der Richtlinie erlassen worden sind, gilt das frü-
her insbesondere aus ex-Art 10 EGV23 abgeleitete Gebot der richtlinien-
19 Seit EuGH Rs 9/70 – Grad, Slg 1970, 825; EuGH Rs 33/70 – SACE, Slg 1970, 1213; vgl
insb auch EuGH Rs 8/81 – Becker, Slg 1982, 53; EuGH Rs 152/84 – Marshall I, Slg 1986,
723.
20 Aus dem einschlägigen österr Schrifttum vgl insbesondere Rüffler, Richtlinienkonforme
Auslegung nationalen Rechts, ÖJZ 1997, 121, sowie B. Jud, Die Grenzen der richtlinien-
konformen Interpretation, ÖJZ 2003, 521.
21 Später Art 249 EGV, nunmehr Art 288 AEUV.
22 Bahnbrechend: EuGH Rs 14/83 – von Colson und Kamann, Slg 1984, 1891; EuGH Rs
79/83 – Harz, Slg 1984, 1921.
23 Diese Bestimmung legte die allgemeine Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Zusam-
menarbeit fest (Grundsatz der Gemeinschaftstreue). Ihr entspricht heute im Wesent-
lichen Art 4 EUV.
206
Grenzen der Europäischen Rechtsangleichung § 18
207
§ 18 Europäische Privatrechtsangleichung
griffs vage blieb und den Mitgliedstaaten in heiklen Punkten Optionen ein-
räumte. Der durch ex-Art 95 EGV ermöglichte Übergang zum Erfordernis
einer qualifizierten Mehrheit im Rat in den meisten Rechtsangleichungs-
bereichen sowie die verstärkte Einbindung des Europäischen Parlaments
in das Gesetzgebungsverfahren hat in vielen Fällen zu einer Beschleuni-
gung des Verfahrens geführt.
Die Ansätze für eine „Rechtsunion“ oder einen „europäischen
Rechtsraum“ sind vom Vertrag von Amsterdam verstärkt worden, in dem
ein neuer Titels IV über „Visa, Asyl, Einwanderung und andere Politiken
betreffend den freien Personenverkehr“ in den Dritten Teil des EG-Vertra-
ges aufgenommen wurde. Die damals neuen Art 61 ff EGV30 schufen neue
Zuständigkeiten für die Rechtssetzung und soweit es für das reibungslose
Funktionieren des Binnenmarktes erforderlich ist, können „Maßnahmen
im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen mit grenzüber-
schreitenden Bezügen“ erlassen werden. Unabhängig von den einschlägi-
gen Reformen im primären Gemeinschaftsrecht geht die Entwicklung in
der EU – und abgeschwächt auch im EWR – trotz der erheblichen Unter-
schiede der mitgliedstaatlichen Privatrechte in die Richtung eines gemein-
samen europäischen Rechtsbewusstseins, das die Voraussetzung für ein
wohl erst in fernerer Zukunft realisierbares „droit commun européen“ in
Gestalt einer Europäischen Zivilrechtskodifikation bildet.
18/4 Wichtige wirtschaftsnahe Rechtsgebiete sind heute gemeinschaftsweit
sowie durch das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum
(EWR)31 über die Grenzen der Gemeinschaft hinaus angeglichen, freilich
mitunter in wenig systematischer Weise und allzu punktuell. Von der An-
gleichung der Rechte der Mitgliedstaaten zur Sicherstellung des Funktio-
nierens des gemeinsamen Marktes32 sind im Querschnitt nahezu alle
Rechtsgebiete betroffen33. Dabei ist zu beachten, dass die Rechtsanglei-
chung in der Europäischen Union kein Wert an sich ist, sondern immer
schon eine dienende und integrationsbezogene Funktion gegenüber den
materiellen Vertragszielen hatte, die insbesondere auf die Verwirklichung
der Grundfreiheiten – der Freiheit des Warenverkehrs, des Personenver-
kehrs, des Kapital- und Zahlungsverkehrs und des Dienstleistungsverkehrs
– durch Schaffung eines „Raums ohne Binnengrenzen“34 gerichtet sind.
208
Kompetenztatbestände für die Europäische Rechtsangleichung im Überblick § 18
Die europäische Rechtsangleichung kann sich auf eine Reihe von Kompe-
tenzgrundlagen unterschiedlicher Tragweite und Wirkung stützen, die
durch die Einheitlichen Europäischen Akte und die Verträge von Maas-
tricht und Amsterdam weiter ausgebaut wurden.
35 Hierher gehörte der in der Aufbauphase der Gemeinschaft wichtige Art 27 EWGV be-
treffend die Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften auf dem Gebiet des
Zollrechts, der bereits durch den Amsterdamer Vertrag ersatzlos gestrichen wurde.
36 Auf ex-Art 175 Abs 1 EGV gründete sich die Richtlinie 2004/35/EG des Europäischen
Parlaments und des Rates vom 21.4.2004 über die Umwelthaftung zur Vermeidung und
Sanierung von Umweltschäden, ABlEU L 143 vom 30.4.2004, 56.
209
§ 18 Europäische Privatrechtsangleichung
37 Die große Bedeutung, die der Gerichtspraxis des EuGH für die Ausformung eines ein-
heitlichen „Rechtsbesitzstandes“ zukommt, ist schon durch Art 6 EWR-Abkommen
klargestellt worden, der bestimmt, dass die Auslegung der vom EWR-Abkommen er-
fassten gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen durch den EuGH Teil des „acquis com-
munautaire“ ist.
38 Rechtsangleichende Bemühungen richteten sich in diesem Zusammenhang auch auf den
Abbau von Ausnahmeklauseln gem ex-Art 30 EG (heute Art 36 AEUV).
39 Vgl Art 54, 62 AEUV.
210
Zentrale Bereiche der europäischen Privatrechtsangleichung im Überblick § 18
lit g) iVm Art 94 EGV40 hatte die Kommission daher schon relativ früh
dem Rat mehrere gesellschaftsrechtliche Richtlinienvorschläge unterbrei-
tet, von denen mehrere verwirklicht wurden41, und der Rat hat mit der
EWIV und der SE neue europäische Gesellschaftsformen geschaffen42.
Das Immaterialgüterrecht bildet einen weiteren wichtigen Bereich der
europäischen Privatrechtsangleichung, sodass sich vor dem Hintergrund
der sonst auf diesem Gebiet verwirklichten internationalen Einheitsrechte
eine unübersichtliche Situation ergeben hat. Da Immaterialgüterrechte mit
ihren Territorialitäts- und sonstigen Schutzwirkungen ein gravierendes
Hindernis für den freien Warenverkehr darstellen, muss ihre Vereinheitli-
chung ein Anliegen der Brüsseler Rechtsetzungsorgane sein. Vor allem die
Ausgestaltung des Patentrechts ist von hoher wirtschaftlicher Relevanz. Da
es sich hier um Auswirkungen des Eigentumsrechts handelt und gemäß
Art 345 AEUV die Eigentumsordnung in den Mitgliedstaaten vom EG-
Vertrag unberührt bleibt, konnte bisher eine Angleichung nicht mit dem
Instrumentarium des Art 288 AEUV erfolgen, sondern musste auf das Ve-
hikel des völkerrechtlichen Übereinkommens rekurriert werden43. Wäh-
rend das Übereinkommen über das Europäische Patent für den Gemein-
samen Markt erfolglos blieb, darf eine langjährige Bemühung um ein
gemeinsames Recht der Erfindungspatente in der Gemeinschaft44 auf einen
positiven Abschluss hoffen.
Im Markenrecht hat der Rat am 21.12.1988 im Bemühen um die Schaf-
fung eines autonomen europäischen Markenrechts und Einführung einer
„Gemeinschaftsmarke“ eine Erste Richtlinie (89/104/EWG) zur Anglei-
211
§ 18 Europäische Privatrechtsangleichung
212
Zentrale Bereiche der europäischen Privatrechtsangleichung im Überblick § 18
52 Vgl Rz 1/6.
53 Vgl Rz 15/7–15/26, 15/31–15/38.
54 Vgl dazu schon Krämer, EWG-Verbraucherrecht (1985) 17.
55 Artikel 3 Abs 1 lit t) EG-V.
56 Grundlegend dazu Reich/Micklitz, Verbraucherschutzrecht in den EG-Staaten – Eine
vergleichende Analyse (1981); Krämer, EWG-Verbraucherrecht (1985); vor allem:
Reich/Micklitz, Europäisches Verbraucherrecht4 (2003).
213
§ 18 Europäische Privatrechtsangleichung
214
Zentrale Bereiche der europäischen Privatrechtsangleichung im Überblick § 18
215
§ 18 Europäische Privatrechtsangleichung
216
§ 19. Der internationale Warenkauf nach dem
„Wiener UN-Übereinkommen“ (CISG)
A. Einleitung
Das Übereinkommen der Vereinten Nationen über Verträge über den 19/1
internationalen Warenkauf – CISG, vom 11.4.19801, das in Österreich am
1.1.1989 Geltung erlangte2, beinhaltet die in Österreich als österreichisches
Sachrecht geltenden Normen, die den Abschluss von grenzüberschreiten-
den Warenkaufverträgen, die Pflichten der Parteien solcher Verträge, die
Folgen von Vertragsverletzungen, Gefahrtragung uä materiell regeln, wo-
bei es typischerweise nur Verträge zwischen Unternehmern bzw zu einem
unternehmerischen Zweck im Auge hat. Das Übereinkommen beruht im
Wesentlichen auf Kompromissen zwischen den kontinentaleuropäischen
Rechtstraditionen und dem Common Law3. Es hat bereits zu zahlreichen
Entscheidungen nationaler Höchstgerichte, vor allem auch des OGH4
Anlass gegeben. Zu seiner wachsenden Akzeptanz hat auch die Lehre einen
wesentlichen Beitrag geleistet5. Dabei ist die unter Rechtsanwälten und bei
1 United Nations Convention on Contracts for the International Sale of Goods; nunmehr
auch im deutschen Schrifttum überwiegend mit (das) „CISG“ abgekürzt.
2 BGBl 1988/96.
3 CISG ist nicht in deutscher Textfassung authentisch, weshalb es allenfalls sinnvoll, ja not-
wendig sein kann, eine authentische, im Regelfall wohl die englische, Fassung zu konsul-
tieren.
4 Zur Judikatur des OGH bis 2000, vgl Posch/Terlitza, Entscheidungen des österreichi-
schen Obersten Gerichtshofs zur UN-Kaufrechtskonvention (CISG), IHR 2001, 47; so-
wie bis 2004, vgl Posch/Terlitza, The CISG before Austrian Courts, in Ferrari (Hrsg),
Quo vadis CISG? Celebrating the 25th Anniversary of the United Nations Convention
on Contracts for the International Sale of Goods (2005) 263; sa Lurger, Überblick über
die Judikaturentwicklung zu ausgewählten Fragen des CISG (Teil I), IHR 2005, 177, und
(Teil II), IHR 2005, 221.
5 Vgl aus dem österr Schrifttum: P. Doralt (Hrsg), Das UNCITRAL-Kaufrecht im Ver-
gleich zum österreichischen Recht (1985); Loewe, Internationales Kaufrecht (1989); Ka-
rollus, UN-Kaufrecht. Eine systematische Darstellung für Studium und Beruf (1991);
Hoyer/Posch (Hrsg), Das Einheitliche Wiener Kaufrecht (1992); Wilhelm, UN-Kaufrecht
(1993); Posch in Schwimann, ABGB-Praxiskommentar IV3 (2004) 1343–1523; ferner
217
§ 19 Der internationale Warenkauf nach dem „Wiener UN-Übereinkommen“ (CISG)
218
Die Ausgangslage der Parteien beim internationalen Kaufvertrag § 19
8 Das gilt vor allem für Handelskäufe (bzw unternehmensbezogene Kaufgeschäfte) zwi-
schen deutschen und österreichischen Kaufleuten (bzw Unternehmern), da für von diesen
geschlossene Kaufverträge selbst nach den durch das HaRÄG, BGBl I 2005/120, bewirk-
ten Änderungen der §§ 373–381UGB in vielfacher Hinsicht Rechtsgleichheit oder doch
Rechtsähnlichkeit besteht.
219
§ 19 Der internationale Warenkauf nach dem „Wiener UN-Übereinkommen“ (CISG)
19/4 Mit CISG wurde erstmals ein internationales Übereinkommen auf dem
Gebiet des Warenkaufrechts in Österreich wirksam, nachdem von einer
Ratifikation der Haager Kaufrechtsübereinkommen Abstand genommen
worden war. CISG ist das wohl endgültige Ergebnis einer Bemühung, die
bereits in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts im Rahmen des
soeben gegründeten Römischen UNIDROIT-Instituts aufgenommen
worden war9 und 1935 zu einem ersten Entwurf geführt hatte. Das nach
dem Zweiten Weltkrieg von niederländischer Seite wiederbelebte Projekt
eines Einheitskaufrechts führte zunächst zum Haager Kaufrecht von
1964, das aus zwei, den Abschluss bzw das materielle Recht des internatio-
nalen Warenkaufes betreffenden Abkommen bestand, aber nur sehr be-
grenzten Erfolg hatte10. Deshalb wurde es schließlich von dem UN-Kauf-
rechtsübereinkommen (CISG) abgelöst, das weniger kompliziert und
„eurozentriert“ ist und nicht einseitig auf die Interessen der ökonomisch
entwickelten Länder abstellt. In jedem Fall werden kollisionsrechtliche
Probleme durch CISG minimiert, da mit diesem Übereinkommen für
internationale Verträge eine allgemein akzeptable, faire sachrechtliche Ord-
nung etabliert wurde.
CISG ist im Rahmen der UNCITRAL ausgearbeitet und schließlich in
einer mehrwöchigen, im Frühjahr 1980 in Wien abgehaltenen Konferenz in
seine endgültige Fassung gebracht und zur Zeichnung aufgelegt worden.
Österreich hat das Übereinkommen, das zur Jahresmitte 2010 in 74 Staaten –
9 Federführend von dem aus Wien stammenden und dort ausgebildeten Ernst Rabel
(1874–1955).
10 Seine wichtigsten Ratifikationsstaaten waren die Bundesrepublik Deutschland und Ita-
lien: Nur in diesen Staaten fand es auch in der juristischen Praxis Akzeptanz.
220
Übersicht über Aufbau und Inhalt § 19
Das Übereinkommen ist in vier Teile gegliedert, wobei der erste Teil gewis- 19/5
sermaßen einen allgemeinen Teil bildet, der zweite Teil die Abschlussregeln
erfasst und der dritte Teil die Pflichten der Parteien und die Folgen von
Verletzungen dieser Regeln betrifft. Mit Bedachtnahme auf Staaten, die
wie die nordischen Länder besondere Abschlussregeln für den Kaufvertrag
aufweisen, wurde den interessierten Staaten die Möglichkeit eröffnet, nicht
nur das Übereinkommen in seiner Gesamtheit, sondern auch nur entweder
Teil I und Teil II oder Teil I und Teil III zu übernehmen.
ÜBERSICHT
Teil I: (Art 1–6) Anwendungsbereich und
(Art 7–13) allgemeine Bestimmungen (Auslegung, Handelsbräuche,
Formpflicht)
Teil II: (Art 14–24) Abschluss des Vertrages
Teil III: (Art 25–88) Hauptteil „Warenkauf“:
(Art 25–29) Allgemeine Bestimmungen
(Art 30–52) Pflichten des Verkäufers, Untersuchung und Rüge;
Rechtsbehelfe des Käufers
(Art 53–65) Pflichten des Käufers, Rechtsbehelfe des Verkäufers
(Art 66–70) Übergang der Gefahr
(Art 71–73) Vorweggenommener Vertragsbruch, Teillieferung, Suk-
zessivlieferung
(Art 74–80) Schadenersatz
(Art 81–84) Bereicherungsrechtliche Wirkungen bei Aufhebung
(Art 85–88) Aufbewahrung, Erhaltung der Ware
Teil IV: (Art 89–101) Schlussbestimmungen, Vorbehalte
221
§ 19 Der internationale Warenkauf nach dem „Wiener UN-Übereinkommen“ (CISG)
19/6 Nach Art 1 CISG ist das Übereinkommen nicht nur dann anzuwenden,
wenn die Vertragsparteien unabhängig von ihrer Staatszugehörigkeit11 in
zwei verschiedenen Vertragsstaaten niedergelassen sind, sondern auch
dann, wenn das IPR auf das Recht eines Vertragsstaates verweist. Art 1
Abs 1 lit b) normiert die sogenannte Vorschaltlösung12. Obwohl das Ver-
einigte Königreich (noch) kein Vertragsstaat ist, ist daher bei einem Verkauf
von Waren durch einen in Österreich niedergelassenen Händler an einen
britischen Partner in einem vor einem österreichischen Gericht ausgetrage-
nen Rechtstreit über die korrekte Vertragserfüllung das UN-Kaufrecht an-
zuwenden, wenn die Parteien keine Rechtswahl getroffen haben. Denn es
ist das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts des Verkäufer, also österrei-
chisches Recht, das für den Vertrag gemäß Art 4 Abs 1 lit a) Rom I-VO
maßgebend ist. Aus Art 1 CISG folgt, dass der Kaufvertrag dem Überein-
kommen als der österreichischen Sonderregelung für internationale Wa-
renkäufe unterliegt.
19/7 CISG ist nur auf Kaufverträge über bewegliche Sachen, die zu gewerbli-
chen Zwecken vertrieben werden, anzuwenden. Kam es vor dem 1.1.2007
nicht darauf an, ob den Parteien die Kaufmannseigenschaft im Sinn des
HGB zukam, ist seither nicht entscheidend, ob die Parteien gemäß § 1
UGB „Unternehmer“ sind, obwohl das de facto in den meisten Fällen, in
denen die Regeln des CISG Anwendung finden, der Fall sein wird. Gemäß
Art 2 lit a) CISG fällt ja der Kauf einer Ware für den privaten Gebrauch
nicht in den Anwendungsbereich des Übereinkommens, es sei denn, dass
der Verkäufer vor oder bei Vertragsabschluss weder wusste noch wissen
musste, dass die Ware für einen solchen Gebrauch gekauft wurde. Durch
ausdrückliche Anordnung in Art 2 lit b) bis f) CISG ausgeschlossen sind
Kaufverträge über Wertpapiere und Zahlungsmittel, Schiffe, Flugzeuge
und Luftkissenfahrzeuge, elektrische Energie sowie der Erwerb von Waren
im Rahmen von Versteigerungen oder durch Zwangsvollstreckung. Dass
den Kaufverträgen Verträge gleichstehen, in denen es um die Lieferung
eines Werkes geht, das aus Materialien hergestellt wird, die vom Werkun-
ternehmer stammen bzw in denen die involvierten Dienstleistungen nicht
den überwiegenden Teil der Pflichten der Partei, welche die Ware liefert,
11 Auf das Personalstatut der Parteien kommt es nicht an: OGH JBl 1999, 318 (M. Karollus)
= CISG-online Nr 380.
12 Aus der Judikatur des OGH: SZ 69/26 = CISG-online Nr 224; ZfRV 1996/20 = CISG-
online Nr 166; ZfRV 1998/53 = CISG-online Nr 355.
222
Teil I: Anwendungsbereich und Allgemeine Bestimmungen § 19
bilden, wird von Art 3 CISG klar gestellt13. Der OGH hat CISG auch auf
ein „Streckengeschäft“ angewendet14, nicht jedoch auf einen „Veredelungs-
vertrag“, dessen Kern die Vereinbarung bildete, dass im passiven Zollver-
merkverkehr von einer Seite Material zu liefern und von der anderen Seite
zu bearbeiten und zurückzuliefern war15.
Gemäß Art 4 CISG fallen Fragen der Gültigkeit des Vertrages oder einzel- 19/8
ner Vertragsbestimmungen und seiner Wirkungen auf das Eigentum an der
verkauften Sache nicht in den Anwendungsbereich des Übereinkommens,
wodurch erhebliche Abgrenzungsprobleme hervorgerufen werden. Der
OGH hat im Hinblick auf formularmäßige Modifikationen der Haftung
und Gewährleistung des Verkäufers festgestellt, dass diese „gemäß Art 4
lit a) UN-Kaufrecht einer Gültigkeitskontrolle des nach den Regeln des
internationalen Privatrechts jeweils anwendbaren nationalen – hier deut-
schen – Rechts“ unterliegen16. Dieses gestattete in concreto die in Rede ste-
henden Modifikationen im beiderseitigen Handelsgeschäft, was der OGH
nicht als einen Verstoß gegen die Grundwertungen des CISG qualifiziert
hat, zu denen jedenfalls auch das Recht auf Aufhebung des Vertrages geh-
öre, das der vertragstreuen Partei als ultima ratio grundsätzlich erhalten
werden müsse.
Weitere von CISG nicht geregelte Fragen, die nach dem vom IPR des
Forums als maßgebend bestimmten Recht gelöst werden müssen, betreffen
unter anderem die Geschäftsfähigkeit, Stellvertretung, Verjährung, Abtre-
tung und Schuldübernahme17, ferner den Schuldbeitritt, Eigentumsvorbe-
halt, die Sittenwidrigkeit und die Zulässigkeit von Vertragsstrafen. Schließ-
lich wird durch den erst in einer späten Phase der Verhandlungen in den
Text des Übereinkommens aufgenommenen Art 5 CISG ausdrücklich an-
geordnet, dass die Haftung für Körperschäden, die durch eine fehlerhafte
Kaufsache verursacht werden, nicht nach CISG zu beurteilen ist. Hier soll
die Frage der Haftung nach dem jeweils maßgebenden Produkthaftungs-
recht beurteilt werden.
Art 6 CISG räumt den Parteien das Recht ein, die Bestimmungen des Ab- 19/9
kommens zu modifizieren und seine Anwendung ganz auszuschließen.
Bei der Frage, ob seine Anwendung gemäß Art 6 ausgeschlossen werden
soll, sollte bedacht werden, dass mit der sich stetig vermehrenden Zahl
13 Zur Auslegung des Art 3 CISG zuletzt zutreffend OGH IHR 2006, 87 = CISG-online
Nr 1156.
14 OGH ZfRV 1996/20 = CISG-online Nr 166.
15 OGH ZfRV 1995, 159 = CISG-online Nr 133.
16 OGH RdW 2000/19 = CISG-online Nr 642.
17 Vgl OGH Forum int Recht 1997, 93 (F. Ferrari) = CISG-online Nr 291.
223
§ 19 Der internationale Warenkauf nach dem „Wiener UN-Übereinkommen“ (CISG)
224
Teil I: Anwendungsbereich und Allgemeine Bestimmungen § 19
20 Ein solcher allgemeiner Grundsatz ist das Zug-um Zug-Prinzip: OGH IHR 2006, 87 =
CISG-online Nr 1156; 10 Ob 122/05x = CISG-online Nr 1364; RdW 2007/408 = CISG-
online Nr 1417.
21 OGH SZ 69/26 = CISG-online Nr 224: Dies könnten auch Vorstellungen einer Partei
aufgrund von Vorgesprächen sein, die bei Beginn einer Geschäftsbeziehung vorhanden
waren, wenn dem Vertragspartner aus den Umständen klar sein musste, „dass die andere
Partei grundsätzlich nur bereit ist, derartige Geschäfte aufgrund ganz bestimmter Bedin-
gungen oder in bestimmter Form abzuschließen“; zuletzt OGH IHR 2006, 31 = CISG-
online Nr 1093.
22 OGH JBl 1999, 318 = CISG-online Nr 380; OGH ZfRV 2000/71 = CISG-online
Nr 641.
23 Vgl OGH SZ 69/26= CISG-online Nr 224; OGH RdW 2000/379 = CISG-online
Nr 573.
225
§ 19 Der internationale Warenkauf nach dem „Wiener UN-Übereinkommen“ (CISG)
19/12 Im zweiten Teil des Übereinkommens werden in elf Artikeln Regeln über
den Vertragsabschluss vorgeschrieben. Diese Bestimmungen operieren
mit den aus den innerstaatlichen Rechten bekannten Begriffen des Ange-
bots und der Annahme und lassen das Zustandekommen des Vertrags
von der Erzielung eines Konsenses abhängen. In Teil II geht es nur um
den so genannten „äußeren Konsens“, der durch Angebot und Annahme
hergestellt wird. Nichts wird jedoch zu Störungen in der Willensbildung,
zur Sittenwidrigkeit, fehlender Geschäftsfähigkeit, unwirksamer Stellver-
tretung usw angeordnet, da diese Themen zu den Gültigkeitsfragen zählen,
die nach Art 4 CISG vom Anwendungsbereich des Übereinkommens aus-
genommen sind.
19/13 In Teil II des Übereinkommens ist die wichtigste Abweichung von den ein-
schlägigen Regeln des ABGB in Art 15 und 16 zu finden, welche die grund-
sätzliche Möglichkeit zum Widerruf bis zur Annahme des Angebots
durch den Angebotsadressaten vorsehen. Vom Widerruf zu unterscheiden
ist die bis zum Eintreffen des Angebots mögliche Rücknahme. Das Ange-
bot wird eben nicht als stets bindend begriffen, sondern nur dann, wenn es
durch Befristung oder auf sonstige Weise zum Ausdruck bringt, dass es un-
widerruflich ist, oder der Empfänger vernünftigerweise annehmen durfte,
dass das Angebot unwiderruflich sei.
19/14 Auch in der Frage der Bestimmtheit der Leistung, für welche die wider-
sprüchlichen Art 14 und 55 CISG die bloße Bestimmbarkeit von Menge
und Preis ausreichend sein lassen, scheint eine Abweichung von den Ab-
schlussregeln des ABGB vorzuliegen. Wie der OGH24 zur Frage der In-
haltsbestimmtheit feststellte, ist nach dem CISG „eine stillschweigende
Festlegung und eine bloß die Festsetzung ermöglichende Vereinbarung so-
wohl zur Umschreibung von Warenmenge als auch des Preises zulässig“
und in concreto ausreichend um den Vorgaben des Art 14 CISG hinsicht-
lich der Bestimmtheit des Preises zu entsprechen, wenn die Parteien einen
Preisrahmen vereinbart und so ausreichend Anhaltspunkte festgelegt
haben, aus denen, je nach der Qualität der gelieferten Ware, ein bestimmter
Preis entnommen werden kann. In einem anderen Urteil25 maß der OGH
unter Berufung auf Schlechtriem26 die Frage, ob ein nach Art 14 CISG aus-
226
Teil III: Materielles Kaufvertragsrecht § 19
227
§ 19 Der internationale Warenkauf nach dem „Wiener UN-Übereinkommen“ (CISG)
deren Verletzung in den Art 53–65 CISG. Daran schließen sich fünf Be-
stimmungen über die Gefahrtragung (Art 66–70). Ihnen folgen in Art 71–
73 die Regelung des vorweggenommenen Vertragsbruchs (anticipatory
breach) und in den Art 74–77 CISG die besonders wichtigen Vorschriften
über den Schadenersatz bei Verletzung einer Vertragspflicht durch eine
Partei. An Art 78 über Zinsen und Art 79–80 CISG über die Entlastungen
des an der Leistungserbringung gehinderten Schuldners reihen sich sodann
in Art 81–84 bereicherungsrechtliche Normen. Dieser zentrale Teil des
Übereinkommens wird mit Bestimmungen über die Pflichten zur Erhal-
tung der Ware in Art 85–88 beschlossen.
19/17 Zentrale allgemeine Bestimmung des III. Teils und „Angelpunkt des Sank-
tionensystems“28 des Übereinkommens ist sein Art 25, der die „wesent-
liche Vertragsverletzung“ definiert. Die Vertragsverletzung einer Partei
ist dann wesentlich, wenn „sie für die andere Partei einen solchen Nachteil
zur Folge hat, dass ihr im wesentlichen entgeht, was sie nach dem Vertrag
hätte erwarten dürfen“, wenn also das vertragsleitende Interesse wegge-
fallen ist. Es ist eine Frage der Auslegung des jeweiligen Vertrages, ob mit
der Vertragsverletzung des einen Partners der wesentliche Gehalt des Ver-
trages für den vertragstreuen Teil vereitelt wurde. Diese Erwartungen des
vertragstreuen Teils müssen auch dem Vertragsverletzer bekannt sein, da
die Erwartungen ja auf dem Vertrag beruhen müssen. In der bisher vorlie-
genden Judikatur wird der Begriff der „Wesentlichkeit“ einer Vertragsver-
letzung eher eng aufgefasst29. Die Vertragsverletzungen werden mehrheit-
lich als „unwesentlich“ qualifiziert.
19/18 Nach dem UN-Kaufrecht gibt es nicht mehrere verschiedene Formen der
Leistungsstörung wie nach allgemeinem Bürgerlichen Recht, in dem nach
ursprünglicher und nachträglicher, bzw subjektiver und objektiver Un-
möglichkeit, subjektivem und objektivem Verzug, Gewährleistung und
positiver Vertragsverletzung differenziert wird. Durch das einheitliche
Konzept der Vertragsverletzung ergibt sich eine große Vereinfachung
gegenüber der komplizierten Rechtslage nach dem ABGB. Denn bei der
Ermittlung der Rechtsfolgen einer Vertragsverletzung nach CISG muss
primär nur danach unterschieden werden, ob diese wesentlich oder unwe-
sentlich war. Nur im Falle einer wesentlichen Vertragsverletzung kann der
dadurch beschwerte Vertragspartner ohne Nachfristsetzung durch form-
28 Aicher in Hoyer/Posch, Das Einheitliche Wiener Kaufrecht. Neues Recht für den Inter-
nationalen Warenkauf (1992) 59.
29 Vgl dBGH BGHZ 132, 290 = CISG-online Nr 135; schweizBG IHR 2000, 14 = CISG-
online Nr 413.
228
Teil III: Materielles Kaufvertragsrecht § 19
Den Verkäufer trifft nach Art 30 die Pflicht, die Ware zu liefern, die Doku- 19/20
mente zu übergeben und das Eigentum zu übertragen. In einem interna-
tionalen Warenkaufvertrag darf der Käufer grundsätzlich davon ausgehen,
dass er nach Lieferung über die Ware unbeschränkt verfügen kann und dass
der Verkäufer auf Beschränkungen der Verfügbarkeit hinweisen muss, da
er bei Fehlen einer abweichenden Vereinbarung Ware zu liefern hat, die
frei von Rechten Dritter ist. Von dieser Pflicht wird der Verkäufer nur
durch besondere Umstände wie Embargo, gesetzliche Beschränkungen,
branchenbekannte Begrenzungen entlastet34.
Art 31 CISG bestimmt den Inhalt der Lieferpflicht und insbesondere
den Lieferort, falls die Parteien es unterlassen haben, ihn vertraglich fest-
zulegen. In der Regel ist Erfüllungsort gemäß lit c) dieser Bestimmung die
229
§ 19 Der internationale Warenkauf nach dem „Wiener UN-Übereinkommen“ (CISG)
230
Teil III: Materielles Kaufvertragsrecht § 19
36 BGBl I 2005/120.
37 So die Begründung dieser Gesetzesänderung in der RV des HaRÄG, 1058 BlgNR 22.
GP, 61; abrufbar zB über das Rechtsinformationssystem des Bundeskanzleramtes unter
http://www.ris.bka.gv.at/ via „Bundesrecht“ und „Begutachtungsentwürfe, Regierungs-
vorlagen ab 2002“.
38 Zum Charakter als Ausschlussfrist jüngst OGH 9 Ob 75/07 f = CISG-online Nr 1628.
39 OGH ZfRV 2000/1 = CISG-online Nr 484.
231
§ 19 Der internationale Warenkauf nach dem „Wiener UN-Übereinkommen“ (CISG)
40 Vgl OGH SZ 71/21 = CISG-online Nr 349; JBl 1999, 252 = CISG-online Nr 410.
41 Vgl OGH JBl 1999, 252 = CISG-online Nr 410.
42 OGH IHR 2001, 81 = CISG-online Nr 485.
43 OGH IHR 2001, 81 = CISG-online Nr 485.
44 OGH IHR 2001, 40 = CISG-online Nr 641.
45 Vgl OGH 10 Ob 122/05x = CISG-online Nr 1364: „Zu den Schutzrechten des Art 42
gehören Patente jedweder Art“.
46 Eine analoge Bestimmung gibt es im autonomen Recht nicht, das nunmehr die Rechts-
folgen der Unterlassung der Rüge in § 378 Abs 2 und 3 UGB regelt. Aus diesen Gesetzes-
stellen ergibt sich, dass der Anspruchsverlust sich nicht auf Mangelfolgeschäden er-
streckt.
232
Teil III: Materielles Kaufvertragsrecht § 19
men Recht nicht, vielmehr entfallen nach UGB bei Verletzung der entspre-
chenden Obliegenheit(en) idR stets die Gewährleistungs- und Schadener-
satzansprüche.
In Art 45 ff CISG werden die Rechtsbehelfe, die dem Käufer bei einer dem 19/25
Verkäufer zurechenbaren Vertragsverletzung offen stehen47, geregelt, wo-
bei sich diese nach der Art der Verletzung – ob wesentlich oder nicht – un-
terscheiden. Nur bei einer wesentlichen Vertragsverletzung des Verkäufers
kann der Käufer gemäß Art 49 Abs 1 lit a) CISG ohne Setzung einer Nach-
frist den Rücktritt vom Vertrag erklären und gemäß Art 46 Abs 2 CISG Er-
satzlieferung verlangen. Keine wesentliche Vertragsverletzung des Verkäu-
fers setzt das Erfüllungsbegehren des Käufers nach Art 46 Abs 1 CISG
voraus, ebenso nicht das Begehren auf Verbesserung gemäß Art 46 Abs 3
CISG. Gemäß Art 47 CISG muss der Käufer dem Verkäufer Gelegenheit
zur Verbesserung geben, ehe er andere Rechte aus der Vertragsverletzung
geltend machen kann. Das Verbesserungsrecht des Verkäufers ist nicht auf
Gattungsschulden oder echte Qualitätsmängel beschränkt, doch verliert
der Verkäufer sein Recht zur Mangelbehebung auf eigene Kosten, wenn
die Verbesserung eine unzumutbare Verzögerung oder sonstige unzumut-
bare Unannehmlichkeiten für den Käufer hervorrufen würde.
Gemäß Art 47 CISG kann der Käufer dem Verkäufer, der vertragswidrig 19/26
seine Pflichten verletzt, eine Nachfrist zur Erfüllung seiner Pflichten set-
zen. Bis zum Ablauf der Frist kann er dann, vom Anspruch auf einen erlit-
tenen Verspätungsschaden abgesehen, keinen Rechtsbehelf aus der Ver-
tragsverletzung ausüben. Hat der Verkäufer die Ware gar nicht geliefert
und verstreicht auch die Nachfrist ergebnislos, kann der Käufer gemäß
Art 49 Abs 1 lit b) CISG die Aufhebung des Vertrages erklären. Dagegen
kann bei anderen Vertragsverletzungen, wie zB bei der Lieferung einer
nicht vertragskonformen Sache, eine Vertragsaufhebung nur erklärt wer-
den, wenn eine wesentliche Vertragsverletzung vorliegt. In diesem Fall
kann der Käufer gemäß Art 49 Abs 2 lit b) (ii) nach erfolglosem Verstrei-
chen der Nachfrist innerhalb einer angemessenen Frist die Aufhebung des
Vertrages verlangen. Bei bloß unwesentlicher Vertragsverletzung kann der
Käufer nach Ablauf der Frist wieder alle ihm zustehenden Rechtsbehelfe
ausüben.
Bei jeder Art von Verletzung von Vertragspflichten durch den Verkäufer 19/27
steht dem Käufer das Recht auf Preisminderung gemäß Art 50 CISG zu.
47 Zum Verhältnis dieser Rechtsbehelfe und der Einrede des nicht gehörig erfüllten Vertra-
ges vgl OGH IHR 2006, 87 = CISG-online Nr 1047.
233
§ 19 Der internationale Warenkauf nach dem „Wiener UN-Übereinkommen“ (CISG)
Dieses Recht, das erst ausgeübt werden kann, wenn eine mögliche Verbes-
serung, die auch zumutbar sein musste, nicht erfolgt ist, hat das überkom-
mene Preisminderungsrecht des deutschen und österreichischen Rechts
zum Vorbild. Für die Berechnung der Minderung gilt daher auch hier die
relative Berechnungsmethode nach der Formel:
19/28 Gemäß Art 53 ff CISG hat der Käufer den Preis zu zahlen und die ge-
kaufte Ware anzunehmen, wobei sich die Annahmepflicht nicht in der
eigentlichen Übernahme erschöpft und die Zahlungspflicht auch auf „flan-
kierende Maßnahmen“ erstreckt, die sich aus dem Vertrag oder aus Rechts-
vorschriften ergeben. Vertraglich kann der Käufer etwa zur Stellung einer
bankmäßigen Sicherheit verhalten sein, devisenrechtliche Bestimmungen
können verlangen, dass er Genehmigungen für den grenzüberschreitenden
Geldtransfer besorgen muss. Art 55 CISG, der regelt, wie der Kaufpreis zu
berechnen ist, ist in erster Linie eine Auslegungshilfe, wobei es nach dieser
Bestimmung möglich ist, dass ein Angebot auch dann wirksam sein kann,
wenn der Preis bewusst offen gelassen worden ist. Der Kaufvertrag wird
dann als zu einem angemessenen Preis geschlossen angesehen.
Während Art 56 CISG über die Berechnung des nach Gewicht be-
stimmten Preises anhand des Nettogewichts ursprünglich mit dem durch
das HaRÄG als „bedeutungslos“ aufgehobenen § 380 HGB48 überein-
48 Vgl Erl zur RV des HaRÄG, 1058 BlgNR 22. GP, 62: „Die derzeit geltende Bestimmung
des § 380 HGB (nach Gewicht einer Ware bestimmter Kaufpreis berechnet sich ohne
Verpackung) ist praktisch bedeutungslos und soll gestrichen werden.“
234
Teil III: Materielles Kaufvertragsrecht § 19
49 Zur Frage des Verhältnisses von Art 5 Nr 1 lit b) EuGVVO zu Art 57 CISG: OGH eco-
lex 2008/229, 632 = CISG-online Nr. 1680.
50 OGH IHR 2006, 87 = CISG-online Nr 1156; OGH ecolex 2007/72, 172 = CISG-online
Nr 1417.
51 OGH ZfRV 1997/83 = CISG-online Nr 340; OGH SZ 73/5 = CISG-online Nr 581.
235
§ 19 Der internationale Warenkauf nach dem „Wiener UN-Übereinkommen“ (CISG)
19/30 In fünf Artikeln regelt CISG beginnend mit Art 66 den Übergang der
Preisgefahr. Bei internationalen Warenkäufen, die sich in vielen Fällen
auch auf die Beförderung der Ware beziehen, ist die Frage des Gefahrüber-
gangs wegen der oft großen räumlichen Entfernung, welche die Ware vom
Verkäufer zum Käufer zurücklegen muss, besonders wichtig. In diesen auf
inhaltliche Auffüllung durch INCOTERMS in der Vertragspraxis ausge-
richteten Bestimmungen steht das Bemühen erkennbar im Vordergrund,
den Gefahrübergang an den Wechsel der Sachherrschaft zu koppeln.
Diese Aufgabe erfüllt der Auffangtatbestand des Art 69 CISG. Allerdings
besteht wegen der Vielfalt der international eingeführten Formen des Gü-
terumsatzes ein Bedarf an besonderen Regeln für den Versendungskauf,
den Kauf reisender Ware und den Fernkauf, dem das CISG in Art 67, 68
und 69 Abs 2 Rechnung trägt.
19/31 Unter diese Überschrift sind drei Artikel des Übereinkommens gestellt, die
zum einen die Voraussetzungen regeln, unter denen die eine Partei eines
internationalen Kaufvertrages bei drohender Vertragsverletzung durch die
andere zur Aussetzung der Erfüllung eigener Vertragspflichten außer-
halb eines Sukzessivlieferungsvertrages berechtigt ist. Sie betreffen somit
eine Materie, die funktionell der Unsicherheitseinrede des § 1052 ABGB
entspricht. Zum anderen beinhaltet dieser Abschnitt in Art 73 CISG auch
die Regeln, nach denen sich die Aufhebung eines in den Anwendungsbe-
reich des Übereinkommens fallenden Sukzessivlieferungsvertrages richten.
Die Aussetzung der eigenen Leistung gemäß Art 71 CISG setzt schwer-
wiegende leistungsgefährdende Umstände sowie wirtschaftliche Schwie-
rigkeiten einschließlich des Mangels an Kreditwürdigkeit des Vertragspart-
ners voraus, zB die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das
Vermögen des Schuldners oder die Einstellung der Zahlungen oder Liefe-
rungen durch den Schuldner. Einzelne verspätete Zahlungen oder eine
schleppende Zahlungsweise genügen aber noch nicht, um einen schweren
Mangel der Kreditwürdigkeit anzuzeigen52.
236
Teil III: Materielles Kaufvertragsrecht § 19
Das Schadenersatzrecht des CISG folgt dem Grundsatz, dass für Schäden, 19/32
die aus der Nichterfüllung von Vertragspflichten entstanden sind, im Rah-
men der Vorhersehbarkeit verschuldensunabhängig zu haften ist. Die-
ser, dem österreichischen Haftungsrecht an sich fremde Grundsatz stammt
aus dem anglo-amerikanischen Vertragshaftungsrecht53, das ihn seinerseits
im 19. Jahrhundert aus dem französischen Zivilgesetzbuch entlehnt haben
soll. Die Haftung nach dem CISG stellt sich als eine Art von „Garantiehaf-
tung“ dar, da es weder auf Verschulden noch darauf ankommt, dass eine
Schädigung als anfängliche oder nachträgliche Störung der Leistungsab-
wicklung auftrat. Gleichwohl unterscheiden sich die Vertragsrechte der
Common law-Tradition und die auf Verschulden aufbauenden kontinen-
taleuropäischen Systeme des vertraglichen Schadenersatzes im Ergebnis
nicht allzu sehr: Einerseits gleichen sich Vorhersehbarkeit und Rechtswid-
rigkeitszusammenhang in funktioneller Hinsicht, andererseits enthält der
im Garantiesystem integrierte Befreiungstatbestand des Art 79 CISG ver-
schuldensähnliche Elemente und wird schließlich das Verschuldenserfor-
dernis in den kontinentalen Rechten immer mehr objektiviert.
Für die Frage, wann ein Schaden gemäß Art 74 CISG als „vorhersehbar“ 19/33
zu qualifizieren ist, kommt es unter Anlegung eines objektiven Maßstabs54
darauf an, was „bei Aufrechterhaltung und Durchführung des Vertrages“
vom vertragstreuen Teil erwartet hätte werden können. Es ist dann der
gesamte durch die Vertragsverletzung bewirkte, vorhersehbare Verlust ein-
schließlich des entgangenen Gewinns zu ersetzen55. Jedoch ist „ein ent-
gangener Gewinn, den der Käufer bei gehöriger Erfüllung der Verkäufer-
verpflichtung durch Weiterveräußerung der Ware hätte erzielen können,
[. . .] vom Verkäufer nur dann zu ersetzen, wenn er mit der Weiterveräuße-
rung rechnen musste“, was beim Verkauf handelbarer Ware an einen mit
Warenhandel befassten Unternehmer wohl stets zu bejahen ist56. Im Übri-
gen ist sowohl die Möglichkeit der „konkreten“ Berechnung an Hand
eines Deckungskaufs gemäß Art 75 als auch eine „abstrakte“ Schadenser-
mittlung durch Vergleich mit dem Marktpreis der Ware nach Art 76 CISG
baren Vorstadiums dazu“ müsse nach Karollus für eine Aussetzung gemäß Art 71 CISG
genügen.
53 Vgl die berühmte Leitentscheidung Hadley v. Baxendale [1854] 9 Exch. 341.
54 OGH SZ 2002/1 = CISG-online Nr 643.
55 OGH IHR 2001, 39 = CISG-online Nr 573.
56 OGH SZ 69/26 = CISG-online Nr 224; vgl auch OGH SZ 73/75 = CISG-online Nr 581.
237
§ 19 Der internationale Warenkauf nach dem „Wiener UN-Übereinkommen“ (CISG)
gegeben, doch kann der Gläubiger statt dessen nach Aufhebung des Ver-
trags den Nichterfüllungsschaden im engeren Sinn nach der allgemeinen
Norm des Art 74 berechnen57.
19/34 Den Geschädigten trifft nach Treu und Glauben eine Pflicht zur angemes-
senen Schadensminderung gemäß Art 77 CISG. Soweit der durch eine
Vertragsverletzung verursachte Schaden durch eine zumutbare Maßnahme
hätte verringert werden können, ist er nicht zu ersetzen58. Art 78 CISG re-
gelt den Anspruch auf Verzugszinsen und Art 79 CISG die Befreiungs-
gründe. Art 79 Abs 1 CISG verlangt für den Entfall der Schadenersatz-
pflicht einen außerhalb des subjektiven Einflussbereichs des Schuldners
liegenden Hinderungsgrund, den dieser vernünftigerweise bei Vertragsab-
schluss nicht in Betracht ziehen und auch nicht vermeiden oder überwin-
den konnte. Aus Art 79 Abs 2 CISG geht hervor, dass der Geschäftsherr
für den durch seine Gehilfen verursachten Schaden haftet, es sei denn, dass
sowohl Geschäftsherr als auch Gehilfe nach Art 79 Abs 1 CISG von ihrer
Einstandspflicht befreit wären. Die an der Erfüllung ihrer Pflichten nach
Art 79 Abs 1 und 2 CISG gehinderte Vertragspartei hat die Verhinderung
der anderen Partei in angemessener Frist anzuzeigen, ansonsten haftet sie
trotz Befreiung für allen Schaden, der aus der Unterlassung dieser Mittei-
lung entstanden ist, gemäß Art 79 Abs 4 CISG.
Gemäß seinem Abs 5 befreit Art 79 CISG nur von der Schadenersatz-
pflicht, sodass andere Rechte wie zB das Aufhebungs- und Minderungs-
recht, die Ansprüche auf den Zinsschaden und die Aufwandsersatzansprü-
che gemäß Art 85 und 86 aus einer unter Art 79 CISG fallenden
Vertragsverletzung aufrecht bleiben. Umstritten ist jedoch, wieweit be-
freiende Umstände gemäß Art 79 CISG auf Erfüllungs- und Verbesse-
rungsbegehren einwirken können. Für Fälle objektiver Unmöglichkeit
bzw Unzumutbarkeit der Erfüllung ist ein Entfall von Erfüllungs- und
Verbesserungsanspruch jedenfalls zu vertreten, auch wenn dies von den
Redaktoren des Art 79 CISG offenbar nicht gewollt war. In jedem Fall ver-
hindert eine Befreiung von der Schadenersatzpflicht gemäß Art 79 nicht,
dass der vertragsbrüchige Schuldner dem beschwerten Gläubiger auf berei-
cherungsrechtlicher Grundlage das herauszugeben hat, was in seinem Ver-
mögen an die Stelle der etwa untergegangenen oder beschädigten Sache ge-
treten ist59.
238
Teil III: Materielles Kaufvertragsrecht § 19
Schließlich regeln Art 81 bis 84 CISG auch noch die bereicherungsrechtli- 19/35
chen Ansprüche als Folge der Vertragsaufhebung. Unter Verzicht auf Ein-
zelheiten sei nur angemerkt, dass insbesondere Art 82 Abs 1 CISG von der
Rechtslage im ABGB abweicht. Denn der Käufer, dem es nicht möglich ist,
die Ware zurückzugeben, verliert das Recht zur Aufhebungserklärung. Al-
lerdings wird diese Abweichung durch die drei im folgenden Absatz nor-
mierten Ausnahmetatbestände – die Unmöglichkeit der Rückgabe ist nicht
vom Käufer zu verantworten, die Kaufsache ist als Folge der Untersu-
chung auf Mängel untergegangen, der Käufer hat die Ware im normalen
Geschäftsverkehr weiterverkauft oder ihrer normaler Verwendung ent-
sprechend verbraucht – relativiert60.
Hat eine Vertragspartei eine Ware in ihrer Gewahrsame, die eigentlich in
den Händen der anderen Partei sein sollte, trifft sie die Pflicht zur Erhal-
tung der Ware: So soll sichergestellt werden, dass sich der wirtschaftliche
Verlust der vertragsbrüchigen Partei in Grenzen hält. Diese Pflicht besteht
für den Verkäufer gemäß Art 85 CISG bei Annahmeverzug und für den
Käufer, wenn eine zugesandte und ihm am Bestimmungsort zur Verfügung
gestellte Ware vertragswidrig ist, da sie der an sich zurückweisungsberech-
tigte Käufer gemäß Art 85 Abs 2 CISGF vorläufig übernehmen muss. Die
erhaltungspflichtige Partei hat die den Umständen angemessenen Maßnah-
men zu setzen. Das bedeutet, dass die konkrete Ware allenfalls bei einem
Dritten eingelagert oder nach Maßgabe von Art 88 CISG verkauft werden
muss. Für ihre Aufwendungen stehen der erhaltungspflichtigen Vertrags-
partei ein Ersatzanspruch und allenfalls ein Zurückbehaltungsrecht zu.
239
ANHANG
UN-Kaufrechtskonvention (CISG) –
Die 74 Vertragsstaaten am 1. Juli 2010
Albanien seit 01.06.2010 Liberia seit 01.10.2006
Ägypten seit 01.01.1988 Litauen seit 01.02.1996
Argentinien seit 01.01.1988 Luxemburg seit 01.02.1998
Armenien seit 01.01.2010 Mauretanien seit 01.09.2000
Australien seit 01.04.1989 Mazedonien (FYROM) seit 17.11.1991
Belgien seit 01.11.1997 Mexiko seit 01.01.1989
Bosnien-Herzegovina seit 06.03.1992 Moldavien seit 01.11.1995
Bulgarien seit 01.08.1991 Montenegro seit 03.06.2006
Burundi seit 01.10.1999 Mongolei seit 01.01.1999
Chile seit 01.03.1991 Neuseeland seit 01.10.1995
China seit 01.01.1988 Niederlande seit 01.01.1992
Dänemark seit 01.03.1990 Norwegen seit 01.08.1989
Deutschland seit 01.01.1991 Österreich seit 01.01.1989
Ecuador seit 01.02.1993 Paraguay seit 01.02.2007
El Salvador seit 01.12.2007 Peru seit 01.04.2000
Estland seit 01.10.1994 Polen seit 01.06.1996
Finnland seit 01.01.1989 Rumänien seit 01.06.1992
Frankreich seit 01.01.1988 Russische Föderation seit 01.09.1991
Gabun seit 01.01.2006 Sambia seit 01.01.1988
Georgien seit 01.09.1995 St.Vincent u. Grenadien seit 01.10.2001
Griechenland seit 01.02.1999 Schweden seit 01.01.1989
Guinea seit 01.02.1992 Schweiz seit 01.03.1991
Honduras seit 01.11.2003 Serbien seit 27.04.1992
Irak seit 01.04.1991 Singapur seit 01.03.1996
Island seit 01.06.2002 Slowakei seit 01.01.1993
Israel seit 01.03.2003 Slowenien seit 25.06.1991
Italien seit 01.01.1988 Spanien seit 01.08.1991
Japan seit 01.08.2009 Syrien seit 01.01.1988
Kanada seit 01.05.1992 Tschechien seit 01.01.1993
Kolumbien seit 01.08.2002 Uganda seit 01.03.1993
Korea (süd) seit 01.03.2005 Ukraine seit 01.02.1991
Kroatien seit 08.10.1991 Ungarn seit 01.01.1988
Kuba seit 01.12.1995 Uruguay seit 01.02.2000
Kyrgisistan seit 01.06.2000 USA seit 01.01.1988
Lesotho seit 01.01.1988 Usbekistan seit 01.12.1997
Lettland seit 01.08.1998 Weißrussland seit 01.11.1990
Libanon seit 01.12.2009 Zypern seit 01.04.2006
Manche Staaten haben von Vorbehaltsmöglichkeiten der Art 92 ff CISG Gebrauch gemacht.
240
Sachverzeichnis
Die Zahl vor dem Schrägstrich verweist auf die mit § gekennzeichneten Kapitel, die Zahl(en)
nach dem Schrägstrich verweisen, auf die jeweilige Randzahl.
A Atomhaftung 15/49
Abhängige Rechtsgeschäfte 7/3; 15/18, 20 Aufenthalt, gewöhnlicher 9/2 ff, 7; 11/01,
Abhandlungsjurisdiktion 12/3 5 ff, 15, 18 f; 12/7; 15/11
acquis communautaire 17/2, 12 Aufrechnung 15/20
Adoption 7/8; 11/16 f Auslandseheschließung 11/3
Adoptionsübereinkommen, Haager 3/4; Auslegung 6/8 f, 11; 14 ff; 15/23; 17/4
11/11, 16 f Auslegung, richtlinienkonforme 3/5; 18/2
Agenda, digitale s digitale Agenda Auslegung, übereinkommensautonome 6/8;
Allgemeine Geschäftsbedingungen 16/6; 17/4, 14 ff; 19/10
17/6; 18/9; 19/1, 9 Ausweichklausel 9/1; 15/6, 12, 14, 17, 18,
Alternativanknüpfung s Anknüpfung, alter- 27, 32, 35
native Auswirkungsprinzip 15/29
Amtshaftung 15/31
Amtswegigkeit 4/3; 6/14 ff B
Anerkennung, gerichtlicher Entscheidun- B2A-Verträge (Business-to-Administra-
gen 1/6, 7 tion-Verträge) 16/2 FN 6
Angleichung 5/4; 15/2; 17/1 ff B2B-Verträge (Business-to-Business-Ver-
Anknüpfung 7/1 ff träge) 16/5 ff
Anknüpfung, akzessorische 7/9; 11/8; B2C-Verträge (Business-to-Consumer-
15/18, 20, 29, 37 Verträge) 16/8 ff
Anknüpfung, alternative 7/7; 11/1; 14/2 Baurecht 13/2
Anknüpfung, fakultative 7/8 Beförderungsverträge 9/1; 15/2, 14 f
Anknüpfung, gekoppelte 7/8 Belegenheitsort 9/1, 15; 12/4; 13/1, 5; 15/16,
Anknüpfung, kumulative 7/8; 11/16 22, 30
Anknüpfung, selbstständige 6/13 Bereicherung 3/7; 15/28, 30, 31, 35
Anknüpfung, unselbstständige 6/13 Besitz 13/2
Anknüpfungsgegenstand 6/4 Bestandverträge s Mietverträge
Anknüpfungsgrund s Anknüpfungsmo- Binnenmarkt 17/7
ment(e) Brüssel I-Verordnung 1/6, 7; 18/7
Anknüpfungsmoment(e) 6/4, 8, 15; 8/5; Brüssel II-Verordnung 1/6
9/1 ff; 15/4 ff Brüssel IIa-Verordnung 1/6, 7; 18/7
Arbeitskampfmaßnahmen 15/34 Brüsseler Gerichtsstands- und Voll-
Arbeitsverträge 9/1, 12; 13/11; 15/5, 17 streckungsübereinkommen s EWG-
241
B–E Sachverzeichnis
242
Sachverzeichnis E–M
243
M–S Sachverzeichnis
N R
Nachbarrecht 13/2 Ratifikation 3/5; 15/40; 17/13
Nachlasserwerb 12/4 Reallasten 13/2
Nachlassinsolvenz 12/4 Realstatut 2/2; 13/1, 4, 6 (sa Belegenheitsort)
Nachlassseparation 12/3 f Rechtsangleichung (s Angleichung) 15/2;
Nachlassspaltung 12/3 f 17/5, 7, 11; 18/1 ff
Namensrecht 10/9 f; 11/5, 8 Rechtsangleichung, gemeinschaftsrechtliche
Namensschutz 10/9 f 17/11; 18/1 ff
Niederlassung 10/5 f; 15/4, 11, 17; 16/7, 12 f Rechtsangleichung, richterrechtliche 18/6
Notariatsakt 14/4 Rechtsfähigkeit 10/2, 5; 15/24
Rechtsgeschäfte 14/1 ff; 15/1 ff; 19/1 ff
O Rechtsgeschäfte, abhängige s Abhängige
Obsorge 4/3; 11/19 Rechtsgeschäfte
Online-Handel 16/1 ff Rechtsunion 18/3
Rechtsvereinheitlichung 15/2, 3; 17/1 ff;
Online-Shop 16/1 ff
17/11; 18/1 ff
ordre public 2/4; 4/3; 8/1 ff; 11/4, 9; 13/1, 3;
Rechtsvereinheitlichung, internationale
14/4; 15/6, 25 (sa Vorbehaltsklausel)
17/9
Organe, juristischer Personen 14/1, 6
Rechtsvereinheitlichung, interne 17/9
Rechtsvereinheitlichung, regionale 17/12
P
Rechtsvereinheitlichung, universale 17/12
Pachtverträge s Mietverträge
Rechtswahl 6/14; 7/6; 9/11 ff; 10/9; 11/7, 20;
Parteiautonomie 9/11 ff; 15/5, 10, 17, 34, 38,
12/1, 4; 14/1; 15/5, 10, 15, 16, 17, 27, 29,
41
35 ff, 44, 47; 16/6, 9, 12; 17/6 (sa Partei-
Patentrechte 13/9; 16/12, 14 autonomie)
Pauschalreise 15/15; 18/9 renvoi 7/3; 15/40 (sa Rückverweisung)
peer-to-peer-Verbindungen 16/1 res in transitu 13/1, 7
Personalstatut 2/2, 4; 4/1; 9/2 ff; 10/1, 2 ff; Reskriptlegitimation 11/13
11/1, 6, 8, 11 ff; 12/4 ff; 15/4 Retentionsrecht 13/2
Persönliche Rechtswirkungen der Ehe Rom I-Verordnung 3/4, 6 ff; 6/6; 7/3, 4; 8/1,
s Ehewirkungen 4; 9/1, 11, 13; 14/1, 5, 7; 15/1 ff, 7 f, 9 ff
Persönlichkeitsrechte 10/1, 8 ff; 15/31, Rom II-Verordnung 3/6 ff; 6/6; 7/3, 4; 8/1;
40, 41 9/1, 11, 16; 10/2, 8, 10; 14/1, 7; 15/1 ff, 6,
Personenrecht 4/3; 10/1 ff 7 f, 31 ff
Pfandrecht 13/2, 7 Rückverweisung 7/1, 3; 9/4; 15/45
Pflegschaft 11/19 Rügepflicht (CISG) 19/22 ff
Principles of International Commercial
Contracts 17/6 S
Principles of European Law (PEL) 18/1 Sachrecht 6/1, 4
Privatautonomie 9/11 ff; 15/5 (sa Partei- Sachenrecht 13/1 ff
autonomie) Sachnormverweisung 6/6; 7/1 ff, 4; 9/4;
Produkthaftung 9/1; 15/33; 17/10, 12; 18/9; 11/13; 14/2; 15/10, 40; 16/13
19/8 Sachwalterschaft 10/1, 3; 11/19
Provider 16/1 ff, 8 Satellitenfernsehen 13/10
244
Sachverzeichnis S–U
245
V–Z Sachverzeichnis
V Vertriebsvertrag 15/11
Vaterschaftsanerkenntnis 11/15 Verwaltungssitz s Sitz, der Verwaltung
Vaterschaftsfeststellung 11/15 Verweisung 7/1 ff
Verbindung, engste 9/11; 15/4, 12 Verweisung, kollisionsrechtliche 9/12
Verbraucherkredit 18/9 Verweisung, materiellrechtliche 9/12
Verbraucherschutz 15/26, 46; 18/8, 9 Verweisungen, multiple 7/6
Verbraucherprivatrecht, Angleichung 18/8, Verweisungsbegriff 6/4, 7, 8, 11; 11/19
9 Völkerrecht 3/3; 17/13
Verbraucherverträge 14/3; 15/5, 10, 15 f, 22, Volljährigkeit 10/2; 15/24
46 f; 16/8 ff Vollmacht 11/19; 14/5, 6
Verbrauchsgüterkauf 18/9 Vollmachtsmissbrauch 14/5
Vereinheitlichung, innerstaatlicher Sachver- Vollmachtsüberschreitung 14/5
halte 17/10 Vollstreckung, gerichtlicher Entscheidun-
Vereinheitlichung, internationaler Sachver- gen 1/7; 8/1; 18/5
halte 17/10 Vorbehaltsklausel 8/1 ff; 14/7; 15/25, 40
Verfügung von Todes wegen 12/6 f (sa ordre public)
Verfügungsgeschäft 13/4 Vorfrage 6/12 f; 11/13, 15, 18; 12/4
Verjährung 7/9; 8/2; 14/1, 7; 15/22, 37, 44; Vormundschaft 11/15, 19
17/10; 19/8 Vormundschaftsübereinkommen, Haager
Verkehrsmittel 13/7 11/19
Verkehrsunfall s Straßenverkehrsunfall Vorschaltlösung (CISG) 3/4; 19/6
Verlassenschaftsabhandlung 12/1, 3, 4 Vorsorgevollmacht 11/19
Verlöbnis 11/2
Verordnung Brüssel I s Brüssel I W
Verordnung Brüssel II s Brüssel II Walker’scher Entwurf 4/2
Verordnung Brüssel IIa s Brüssel IIa Warenkauf, grenzüberschreitender 19/1 ff
Verordnung Rom I s Rom I (sa Kaufvertrag, internationaler; interna-
Verordnung Rom II s Rom II tionales Warenkaufrecht)
Verordnung – auf Unterhaltssachen anzu- Warenkaufrecht 17/10; 19/1 ff
wendendes Recht 3/10; 11/11 Warschauer Lufttransportübereinkommen
Verordnungsvorschlag – auf Ehescheidun- 15/2; 17/10
gen anzuwendendes Recht 3/9; 11/10 Wegzugsfälle 10/6
Verordnungsvorschlag – auf Erbsachen an- Weiterverweisung 7/3, 4; 15/10
zuwendendes Recht 3/11; 12/1 Werbung, unlautere 15/34; 18/9
Verpflichtungsgeschäft 13/4; 14/4 Wettbewerbstatut 13/9; 15/29, 34; 16/11 ff
Verschulden bei Vertragsverhandlungen Wirkungsprinzip 16/11
s culpa in contrahendo Wohnsitz 9/6
Versicherungsverträge 3/4; 4/8; 15/9, 16, 27, Wohnsitzprinzip 9/2 f, 6
45 Wohnungseigentum 11/7; 12/4; 13/2
Versteigerung 14/7; 15/11; 19/7 World Wide Web (WWW) 16/1 ff
Verstoßungsscheidung, s talaˉ q
Vertragsstatut 8/4; 10/2; 15/4, 23 Z
Vertragsverletzung, wesentliche (CISG) Zession 15/20, 39, 42
19/17 Zurückbehaltungsrecht 13/7; 19/35
Vertretung, gesetzliche 14/6 Zuständigkeit, internationale 1/6 ff; 6/1, 3
Vertretung, ohne Vollmacht 14/5 Zweigniederlassung 10/6
246