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Peter Apathy (Hrsg)

Bürgerliches Recht
Springers Kurzlehrbücher
der Rechtswissenschaft
Willibald Posch

Bürgerliches Recht
Band VII
Internationales Privatrecht
5., aktualisierte Auflage

2010

SpringerWienNewYork
o. Univ.-Prof. Dr. Willibald Posch
Institut für Zivilrecht, Ausländisches und Internationales Privatrecht
Karl-Franzens-Universität
Graz, Österreich

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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen
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http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISSN 0723-5097
ISBN 978-3-211-74400-0 4. Auflage SpringerWienNewYork
ISBN 978-3-7091-0067-7 5. Auflage SpringerWienNewYork
Geleitwort des Herausgebers

Das Bürgerliche Recht zählt zu den zentralen Gebieten der Rechtswissen-


schaften und damit auch des rechtswissenschaftlichen Studiums, aber auch
neuester Studienangebote für künftige Wirtschaftsjuristen. Es wird den
Studierenden schon wegen seines Umfangs in mehreren Vorlesungen von
verschiedenen Vortragenden vermittelt. Daran ist auch die Darstellung in
dieser Lehrbuchreihe orientiert; sie verteilt sich auf sieben Bände: I. Allge-
meiner Teil; II. Allgemeines Schuldrecht; III. Besonderes Schuldrecht;
IV. Sachenrecht; V. Familienrecht; VI. Erbrecht; VII. Internationales Pri-
vatrecht. Ergänzt wird diese Lehrbuchreihe durch den Band VIII. Prü-
fungstraining. Fallrepetitorium mit Lösungen.
Die Zielsetzung der – überaus freundlich aufgenommenen (vgl Schauer,
JBl 2002, 676, JBl 2004, 672 und JBl 2010, 405) – Lehrbuchreihe ist eine pä-
dagogische: Die Darstellung des Rechtsstoffs ist an den Bedürfnissen der
Studierenden orientiert und auf eine systematische sowie anschauliche Be-
handlung der wesentlichen Rechtsprobleme ausgerichtet. Dabei werden im
Sinne einer wissenschaftlichen Berufsvorbildung die Gründe für Entschei-
dungen des Gesetzgebers und wichtige Streitfragen besonders erörtert, um
zum selbstständigen, problemorientierten Nachdenken – auch in neu auf-
tauchenden Zusammenhängen – anzuregen. Angesichts der ausufernden
Gesetzgebung der letzten Jahre und Jahrzehnte kann und soll nicht jedes
Detail des umfangreichen Rechtsgebiets behandelt, sondern vor allem das
Verständnis der zentralen Rechtsinstitute und deren Zusammenwirken ge-
fördert werden. Die Verwendung von Kleindruck möge den Studierenden
helfen, bei der Wiederholung Grundlegendes und Details zu unterschei-
den. Die ausführlichen Register erleichtern den raschen Zugang zu konkre-
ten Fragestellungen. Verweise (mit Bezug auf die Randzahlen) innerhalb
des einzelnen Bandes sowie Verweise auf die Darstellung in anderen Bän-
den sollen die Wechselbezüge zwischen verschiedenen Rechtsinstituten
des Bürgerlichen Rechts deutlich machen. Dabei wird auf andere Bände
durch Bezug auf die Bandzahl (römische Zahl) und die Randzahl verwie-
sen.

V
Geleitwort des Herausgebers

Der didaktischen Ausrichtung entsprechend wird auf einen umfassen-


den Nachweis von Literatur und Judikatur verzichtet. Die exemplarischen
Nachweise der Rechtsprechung sollen den Studierenden praxisorientierte
Beispiele bieten. Die Literaturnachweise eröffnen – neben den Kommenta-
ren von Klang, Rummel, Schwimann und Koziol/Bydlinski/Bollenberger –
einen ersten Einstieg, wo eine weitere Vertiefung (etwa in Hinblick auf
Hausarbeiten und Diplomarbeiten) erforderlich ist. Auch auf die wörtliche
Wiedergabe der Gesetzesstellen wird weitgehend verzichtet; freilich ist es
für das Studium unumgänglich, die im Lehrbuch zitierten Gesetzesbestim-
mungen in einer aktuellen Gesetzesausgabe auch wirklich nachzulesen.

Linz, im Juli 2010 Peter Apathy

VI
Vorwort zur 5. Auflage

In den Lehrveranstaltungen zum Bürgerlichen Recht kommt dem Interna-


tionalen Privatrecht ein zunehmend wichtiger Stellenwert zu. Die Erweite-
rung der Europäischen Union und die wachsende Bedeutung der Grund-
freiheiten haben zu einer Vermehrung grenzüberschreitender Recht-
streitigkeiten geführt. Die Frage des anzuwendenden Rechts stellt sich
heute für das international zuständige Gericht viel öfter als zur Zeit des In-
krafttretens des österreichischen IPR-Gesetzes vor drei Jahrzehnten. An-
gesichts der Vielfalt des Sachrechts in den 27 Mitgliedstaaten der Union
mussten die Brüsseler Rechtsetzungsorgane dafür sorgen, dass es im „Eu-
ropäischen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ jedenfalls
einheitliche Anknüpfungsregeln gibt. So sind im Jahr 2009 zwei europä-
ische Verordnungen in Geltung getreten, die das Internationale Schuld-
recht auf eine neue, erheblich kompliziertere Rechtsgrundlage stellten: Im
Jänner die „Verordnung Rom II“, die das neue europaweit vereinheitlichte
internationale Recht der außervertraglichen Schuldverhältnisse zum Ge-
genstand hat, und im Dezember die „Verordnung Rom I“, die das Euro-
päische Vertragsrechtsübereinkommen (EVÜ) ersetzt und das neue Inter-
nationale Schuldvertragsrecht beinhaltet. Weitere EU-Verordnungen zum
Internationalen Privatrecht sind bereits verabschiedet, aber noch nicht in
Geltung, oder werden vorbereitet.
Wie die Vorauflagen geht auch die vorliegende Fassung von einem wei-
ten Verständnis des Internationalen Privatrechts aus, das neben dem
Rechtsanwendungsrecht auch das Einheitsprivatrecht und Internationale
Zivilverfahrensrecht erfasst. Da jedoch Letzteres im österreichischen
Rechtsstudium den Prozessualisten zugeordnet wird, konzentriert sich die
Darstellung auf das IPR im engeren Sinn und das Einheitsprivatrecht mit
Fokus auf das UN-Kaufrecht (CISG). Da für diese beiden Themenberei-
che in den Curricula des rechtswissenschaftlichen Studiums allzu wenig
Zeit bleibt, mussten die Ausführungen kurz gehalten werden, sodass
Lücken unvermeidlich waren. Ein Kurzlehrbuch muss sich eben auf die
Vermittlung von Basiswissen beschränken.

VII
Vorwort zur 5. Auflage

In die Neuauflage wurde ein Beitrag integriert, der von Mag. Dr. Markus
Fallenböck, LLM (Yale) für die 3. Auflage verfasst wurde und die beson-
deren kollisionsrechtlichen Probleme, die sich im Zusammenhang mit der
Nutzung des Internet ergeben, behandelt. Für die Durchsicht und wert-
volle Hinweise zur Aktualisierung dieses Teiles habe ich ao. Univ.-Prof.
Elisabeth Staudegger zu danken. Ebenso gebührt meinen Mitarbeitern am
Institut, Ass.-Prof. Peter Schwarzenegger und Ass.-Prof. Ulfried Terlitza,
Dank dafür, dass sie den Text des gesamten Bandes kritisch durchgelesen
und die diversen Verzeichnisse den Änderungen angepasst haben. Für all-
fällige Fehler und Irrtümer bei der Aktualisierung trägt freilich der Unter-
zeichnende die alleinige Verantwortung.

Graz, im September 2010 Willibald Posch

VIII
Inhaltsübersicht

Einführung
§ 1. Internationales Privatrecht als Teilgebiet des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1

Erster Teil: Internationales Privatrecht im engeren Sinn


§ 2. Historische Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
§ 3. Rechtsquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16
§ 4. Das österreichische IPR-Gesetz: Entstehung und Stellung im System . . . . . 26
§ 5. Weiterführende Literatur und Zeitschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33
§ 6. Die kollisionsrechtliche Beurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36
§ 7. Verweisung und Anknüpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47
§ 8. Verweisungsgrenzen: Ordre public, Eingriffsnormen, Statutenwechsel . . . . 55
§ 9. Anknüpfungsmomente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62
§ 10. Personenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75
§ 11. Familienrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84
§ 12. Erbrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104
§ 13. Sachenrecht und Immaterialgüterrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111
§ 14. Rechtsgeschäft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121
§ 15. Schuldverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127
§ 16. Exkurs: Internationales Privatrecht und eBusiness . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171

Zweiter Teil: Einheitsprivatrecht


§ 17. Einführung: Wesen, Terminologie, Kategorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187
§ 18. Europäische Privatrechtsangleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203
§ 19. Der internationale Warenkauf nach dem „Wiener UN-Übereinkommen“
(CISG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217

IX
Inhaltsverzeichnis

Rz Seite

Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XVII

Einführung
§ 1. Internationales Privatrecht als Teilgebiet des Rechts . . . . . . . . . . 1/1 1
A. Begriff und Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1/1 1
B. Internationales Zivilverfahrensrecht als Teil des IPR im weiteren Sinn 1/6 5
C. Abgrenzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1/9 8

Erster Teil: Internationales Privatrecht im engeren Sinn


§ 2. Historische Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2/1 11
A. Vorgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2/1 11
B. Statutentheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2/2 12
C. Die Wende im kollisionsrechtlichen Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2/3 13

§ 3. Rechtsquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3/1 16
A. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3/1 16
B. Aktuelle Rechtsquellen des österreichischen IPR . . . . . . . . . . . . . . 3/4 19
C. Die Verordnungen „Rom II“ und „Rom I“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3/6 21
D. Weitere Vorhaben der EU auf dem Gebiet des Internationalen
Privatrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..... 3/9 23

§ 4. Das österreichische IPR-Gesetz: Entstehung und Stellung im


System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4/1 26
A. Das IPR des ABGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4/1 26
B. Reformbemühungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4/2 26
C. Die Gliederung des IPR-Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4/3 27
D. Das IPR-Gesetz im kollisionsrechtlichen System . . . . . . . . . . . . . . 4/4 29
E. Das österreichische IPR unter dem Einfluss des Europarechts . . . . . 4/6 30

§ 5. Weiterführende Literatur und Zeitschriften . . . . . . . . . . . . . . . . 5/1 33


III. Zum österreichischen und europäischen IPR . . . . . . . . . . . . . . . . . 5/1 33
III. Zum deutschen und europäischen IPR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5/2 33
III. Zum schweizerischen IPR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5/3 34

XI
Inhaltsverzeichnis

Rz Seite
IV. Zum Einheitsprivatrecht einschließlich der Europäischen Rechts-
angleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5/4 34
I V. Textausgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5/5 35
VI. Zeitschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5/6 35

§ 6. Die kollisionsrechtliche Beurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6/1 36


A. Der Vorgang im Allgemeinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6/1 36
B. Die Kollisionsnorm: Besonderheiten und Arten . . . . . . . . . . . . . . . 6/4 37
C. Rechtliche Einordnung (Qualifikation) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6/7 39
D. Vorfrage und verwandte Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6/12 43
E. Amtswegigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6/14 45

§ 7. Verweisung und Anknüpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7/1 47


A. Die Alternative: Gesamtverweisung oder Sachnormverweisung . . . . 7/1 47
B. Rück- und Weiterverweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7/3 49
C. Sachnormverweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7/4 51
D. Gliedstaatenverweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7/5 51
E. „Multiple“ Verweisungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7/6 52
F. Akzessorische Anknüpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7/9 53

§ 8. Verweisungsgrenzen: Ordre public, Eingriffsnormen, Statuten-


wechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8/1 55
A. Ordre public . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8/1 55
B. Eingriffsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8/4 58
C. Statutenwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8/5 60

§ 9. Anknüpfungsmomente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9/1 62
A. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9/1 62
B. Staatsangehörigkeit, gewöhnlicher Aufenthalt und Wohnsitz . . . . . . 9/2 63
C. Verwaltungssitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9/9 68
D. Parteiwille . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9/11 70
E. Belegenheitsort, Handlungsort, Erfolgsort . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9/15 74

§ 10. Personenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10/1 75


A. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10/1 75
B. Rechts- und Geschäftsfähigkeit natürlicher Personen . . . . . . . . . . . 10/2 75
C. Rechts- und Geschäftsfähigkeit juristischer Personen . . . . . . . . . . . 10/5 78
D. Persönlichkeitsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10/8 81

§ 11. Familienrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11/1 84


A. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11/1 84
B. Ehe und Scheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11/2 85
C. Kindschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11/11 93
D. Obsorge einer anderen Person und Sachwalterschaft . . . . . . . . . . . . 11/19 100
E. Eingetragene Partnerschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11/20 102

XII
Inhaltsverzeichnis

Rz Seite

§ 12. Erbrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12/1 104


A. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12/1 104
B. Das allgemeine Erbstatut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12/4 107
C. „Kaduzitätsstatut“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12/5 108
D. Verfügungen von Todes wegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12/6 109

§ 13. Sachenrecht und Immaterialgüterrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13/1 111


A. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13/1 111
B. Grundregel, Ausnahmen und Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13/2 111
C. Statutenwechsel und Anerkennung fremder dinglicher Rechte . . . . . 13/5 113
D. „Einzelstatut bricht Gesamtstatut“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13/6 114
E. Sonderprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13/7 114
1. Verkehrsmittel und Sachen auf dem Transport . . . . . . . . . . . . . 13/7 114
2. Wertpapiere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13/8 115
F. Immaterialgüterrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13/9 116

§ 14. Rechtsgeschäft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14/1 121


A. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14/1 121
B. Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14/2 122
C. Stellvertretung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14/5 124
D. Verjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14/7 126

§ 15. Schuldverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15/1 127


A. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15/1 127
B. Allgemeine Anknüpfungsproblematik beim Schuldverhältnis . . . . . 15/4 130
C. Die „Europäisierung“ des internationalen Schuldvertragsrechts . . . . 15/7 133
1. Das IPRG als Ausgangspunkt der Entwicklung . . . . . . . . . . . . 15/7 133
2. Europäisches Internationales Schuldvertragsrecht: Vom EVÜ zur
Rom I-Verordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15/8 133
3. Der Inhalt der Rom I-Verordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15/9 135
a) Anwendungsbereich der Rom I-Verordnung . . . . . . . . . . . . 15/9 135
b) Das allgemeine Anknüpfungsregime der Rom I-Verordnung . 15/10 136
c) Sonderanknüpfungen für besondere Vertragstypen . . . . . . . . 15/13 139
d) Eingriffsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15/19 144
e) Abtretung und gesetzlicher Übergang der Forderung,
Aufrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15/20 146
f) Materielle Wirksamkeit, Form des Vertrages und Reichweite
des Vertragsstatuts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15/21 147
g) Weitere kollisionsrechtliche Hilfsnormen in der
Rom I-Verordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15/24 148
4. Die „Auffangtatbestände“ des IPRG: §§ 35 nF, 35a IPRG . . . . . 15/27 150
D. Anknüpfung von außervertraglichen Schuldverhältnissen . . . . . . . . 15/28 151
1. Die überkommene Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15/28 151
2. Die Rom II-Verordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15/31 153
a) Anwendungsbereich der Rom II-Verordnung . . . . . . . . . . . 15/31 153
b) „Unerlaubte Handlungen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15/32 155

XIII
Inhaltsverzeichnis

Rz Seite
c) Ungerechtfertigte Bereicherung, Geschäftsführung ohne Auf-
trag und Verschulden bei Vertragsverhandlungen . . . . . . . . . 15/35 158
d) Freie Rechtswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15/38 160
e) Gemeinsame Vorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15/39 160
f) Weitere kollisionsrechtliche Hilfsnormen in der
Rom II-Verordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15/40 161
3. Der „Auffangtatbestand“ des IPRG: § 48 nF IPRG . . . . . . . . . . 15/41 163
4. Außervertragliche Haftung für Straßenverkehrsunfallschäden . . 15/42 164
E. Sonderanknüpfungen im Internationalen Schuldrecht . . . . . . . . . . . 15/46 167
1. Verbraucherschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15/46 167
a) Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15/46 167
b) § 13a KSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15/47 167
c) § 11 TNG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15/48 169
2. Atomhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15/49 169

§ 16. Exkurs: Internationales Privatrecht und eBusiness . . . . . . . . . . . 16/1 171


A. Internet und eBusiness: Herausforderungen für das IPR . . . . . . . . . 16/1 171
B. Internationales Vertragsrecht und eBusiness . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16/5 174
1. Business-to-Business-Verträge (B2B) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16/5 174
2. Business-to-Consumer-Verträge (B2C) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16/8 177
C. Internationales Wettbewerbsrecht und eBusiness . . . . . . . . . . . . . . 16/11 181
1. Marktortprinzip und eBusiness . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16/11 181
2. Marktortprinzip versus Herkunftslandprinzip . . . . . . . . . . . . . 16/12 182
D. Internationales Immaterialgüterrecht und eBusiness . . . . . . . . . . . . 16/14 184
1. Bestehende Anknüpfungsprinzipien und eBusiness . . . . . . . . . . 16/14 184
2. Alternative Anknüpfungskonzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16/15 185

Zweiter Teil: Einheitsprivatrecht


§ 17. Einführung: Wesen, Terminologie, Kategorien . . . . . . . . . . . . . . 17/1 187
A. Die wachsende Bedeutung von Einheitsprivatrecht . . . . . . . . . . . . . 17/1 187
B. Terminologisches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17/5 189
C. Entstehung von Einheitsprivatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17/7 191
D. Kategorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17/9 193
1. Interne – Internationale Vereinheitlichung . . . . . . . . . . . . . . . . 17/9 193
2. Vereinheitlichung von Kollisionsrecht, internationalen Sach-
verhalten, Sachrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17/10 194
3. Vereinheitlichung und Angleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17/11 196
4. Universale – Regionale Vereinheitlichung . . . . . . . . . . . . . . . . . 17/12 196
E. Einheitsrecht als Sonderform gesatzten Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . 17/13 198
F. Der Umgang mit Einheitsprivatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17/14 199

§ 18. Europäische Privatrechtsangleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18/1 203


A. Stellenwert und Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18/1 203
B. Instrumentarium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18/2 204
C. Grenzen der Europäischen Rechtsangleichung . . . . . . . . . . . . . . . . 18/3 207

XIV
Inhaltsverzeichnis

Rz Seite
D. Kompetenztatbestände für die Europäische Rechtsangleichung im
Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18/5 209
E. Europäische Rechtsangleichung durch Richterrecht . . . . . . . . . . . . 18/6 210
F. Zentrale Bereiche der europäischen Privatrechtsangleichung im
Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18/7 210

§ 19. Der internationale Warenkauf nach dem „Wiener UN-Über-


einkommen“ (CISG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19/1 217
A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19/1 217
B. Die Ausgangslage der Parteien beim internationalen Kaufvertrag . . . 19/2 218
C. Vorgeschichte und Akzeptanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19/4 220
D. Übersicht über Aufbau und Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19/5 221
E. Teil I: Anwendungsbereich und Allgemeine Bestimmungen . . . . . . 19/6 222
F. Teil II: Abschluss des Vertrages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19/12 226
G. Teil III: Materielles Kaufvertragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19/16 227
1. Allgemeines (Artikel 25–29 CISG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19/16 227
2. Verkäuferpflichten und Käuferrechtsbehelfe (Art 30–52 CISG) . . 19/20 229
3. Käuferpflichten und Verkäuferrechtsbehelfe (Art 53–65 CISG) . . 19/28 234
4. Übergang der Gefahr (Art 66–70 CISG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19/30 236
5. Vorweggenommene Vertragsverletzung und Verträge über auf-
einanderfolgende Leistungen (Art 71–73 CISG) . . . . . . . . . . . . 19/31 236
6. Schadenersatz, Verzugszinsen und „Befreiungen“
(Art 74–80 CISG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19/32 237
7. Wirkungen der Aufhebung und Erhaltung der Ware
(Art 81–88 CISG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19/35 239

ANHANG
UN-Kaufrechtskonvention (CISG) – Die 74 Vertragsstaaten am
1. Juli 2010 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240

Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241

XV
Abkürzungsverzeichnis

aA anderer Ansicht
aaO am angeführten Ort
aF alte Fassung
ABGB Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch
abgek abgekürzt
abl ablehnend
ABlEG Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften (bis 2002)
Ausgabe C: Mitteilungen und Bekanntmachungen
Ausgabe L: Rechtsvorschriften
ABlEU Amtsblatt der Europäischen Union (ab 2003)
Ausgabe C: Mitteilungen und Bekanntmachungen
Ausgabe L: Rechtsvorschriften
Abs Absatz
AcP (deutsches) Archiv für die civilistische Praxis
aE am Ende
AEUV Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (idF von
Lissabon)
aF alte Fassung
AfP Archiv für Presserecht (deutsch)
AGB Allgemeine Geschäftsbedingungen
AHG Amtshaftungsgesetz
All.E.R. All England Law Report
AnfO Anfechtungsordnung
Art Artikel
AtomHG Atomhaftungsgesetz
AußStrG Außerstreitgesetz
AVRAG Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetz
B2B Business to Business
B2C Business to Consumer
Bd Band
BG Bundesgesetz
BGB (deutsches) Bürgerliches Gesetzbuch
BGBl Bundesgesetzblatt
BGH (deutscher) Bundesgerichtshof
BlgNR Beilagen zu den stenografischen Protokollen des Nationalrates
BMJ Bundesministerium für Justiz

XVII
Abkürzungsverzeichnis

BRD Bundesrepublik Deutschland


BVfG (deutsches) Bundesverfassungsgericht
B-VG Bundes-Verfassungsgesetz
BWK Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft
bzw beziehungsweise
ca circa
CCRE Conseil des communes et régions d’Europe
CFR Common Frame of Reference/Gemeinsamer Referenzrahmen
CIEC Internationale Zivilstandskommission
CIM Internationales Übereinkommen über den Eisenbahnfrachtverkehr
CISG Vienna Convention on Contracts for the International Sale of
Goods = UN-Kaufrechtsübereinkommen
CISG-online CISG-Datenbank der Universität Basel
CIV Internationales Übereinkommen über den Eisenbahn-Personen-
und -Gepäckverkehr
CMR Übereinkommen über den Beförderungsvertrag im internationalen
Straßengüterverkehr
COTIF Übereinkommen über den internationalen Eisenbahnverkehr
CR Computer und Recht (deutsch)
DB Der Betrieb (deutsch)
dBGBl (deutsches) Bundesgesetzblatt
DCFR Draft Common Frame of Reference (Entwurf eines Gemeinsamen
Referenzrahmens)
DevisenG Devisengesetz
dh das heißt
dRGBl (deutsches) Reichsgesetzblatt
DVEheG Durchführungsverordnung zum Ehegesetz
E Entscheidung
EB Erläuternde Bemerkungen zur Regierungsvorlage
ECG E-Commerce-Gesetz
ecolex Fachzeitschrift für Wirtschaftsrecht
EEA Einheitliche Europäische Akte
EFSlg Ehe- und familienrechtliche Entscheidungen
EG Europäische Gemeinschaft(en); EG-V idF des Amsterdamer
Vertrages
EGBGB (deutsches) Einführungsgesetz zum BGB
EG-V Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften
EheG Ehegesetz
EMRK Europäische Menschenrechtskonvention
Endg endgültig (final)
EO Exekutionsordnung
EU Europäische Union
EUV Vertrag über die Europäische Union (idF von Lissabon)
EuGH Europäischer Gerichtshof
EuGVÜ Europäisches Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen
EuGVVO Verordnung (EG) Nr 44/2001 über die gerichtliche Zuständigkeit
und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in
Zivil- und Handelssachen

XVIII
Abkürzungsverzeichnis

EuZW Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (deutsch)


EvBl Evidenzblatt der Rechtsmittelentscheidungen
EVÜ Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzu-
wendende Recht
EWG Europäische Wirtschaftsgemeinschaft
EWG-V Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft
EWIV Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung
EWR Europäischer Wirtschaftsraum
Exch. Exchequer
f und der, die folgende
ff und die folgenden
FamRZ (deutsche) Zeitschrift für das gesamte Familienrecht
FN Fußnote
FS Festschrift
G Gesetz
GBG Allgemeines Grundbuchsgesetz
gem gemäß
GesRZ Der Gesellschafter
GewRÄG Gewährleistungsrechts-Änderungsgesetz
GmbH Gesellschaft mit beschränkter Haftung
GmbHG Gesetz über Gesellschaften mit beschränkter Haftung
GP Gesetzgebungsperiode
GPÜ Gemeinschaftspatentübereinkommen
GRUR Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht (deutsch)
GRURInt Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht, Internationaler Teil
(deutsch)
hA herrschende Ansicht
HAdoptÜ (Haager) Adoptionsübereinkommen
HaRÄG Handelrechts-Änderungsgesetz 2005
HGB Handelsgesetzbuch
hrsg herausgegeben
Hrsg Herausgeber
HMjSchÜ (Haager) Minderjährigenschutzübereinkommen
HStVÜ (Haager) Straßenverkehrsübereinkommen
HUStÜ (Haager) Unterhaltsstatutübereinkommen
HVertrG Handelsvertretergesetz
IATA International Air Transport Association
ICC Internationale Handelskammer
idF in der Fassung
ieS im engeren Sinn
IHR Internationales Handelsrecht (deutsch)
ILA International Law Association
ILO Internationale Arbeitsorganisation
insb insbesondere
int international, -e, -er, -es
IPR Internationales Privatrecht
IPRax Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts (deutsch)
IPRG Internationales Privatrechtsgesetz

XIX
Abkürzungsverzeichnis

iSd im Sinne der, des


IVVG Internationales Versicherungsvertragsrechtsgesetz
iVm in Verbindung mit
iwS im weiteren Sinn
IZPR Internationales Zivilprozessrecht
IZVR Internationales Zivilverfahrensrecht
JAP Juristische Ausbildung und Praxisvorbereitung
JBl Juristische Blätter
JN Jurisdiktionsnorm
JZ (deutsche) Juristenzeitung
Kap Kapitel
KartG Kartellgesetz
KautSchG Kautionsschutzgesetz
KFG Kraftfahrgesetz
Kfz Kraftfahrzeug
KHVG Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherungsgesetz
KindRÄG Kindschaftsrechts-Änderungsgesetz
KO Konkursordnung
krit kritisch
KSchG Konsumentenschutzgesetz
LegitÜ Übereinkommen über die Legitimation durch nachfolgende Ehe
LG Landesgericht
lit litera (Buchstabe)
LKW Lastkraftwagen
LugGVÜ Luganer Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen
MEP Member of the European Parliament
Mio Million(en)
MMR Multimedia und Recht (deutsch)
MR Medien und Recht
MSchG Markenschutzgesetz
MünchKomm Münchener Kommentar zum BGB
NJW (deutsche) Neue Juristische Wochenschrift
Nov Novelle
NR Nationalrat
Nr Nummer
NYSchVÜ New Yorker Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstre-
ckung ausländischer Schiedssprüche
NZ Österreichische Notariats-Zeitung
ÖBA Österreichisches Bankarchiv
ÖBl Österreichische Blätter für gewerblichen Rechtsschutz und Urhe-
berrecht
odgl oder dergleichen
OGH Oberster Gerichtshof
OHG Offene Handelsgesellschaft
ÖJZ Österreichische Juristen-Zeitung
OLG Oberlandesgericht
OR (Schweizer) Obligationenrecht
österr österreichisch, -e, -er, -es

XX
Abkürzungsverzeichnis

PEL Principles of European Law


Pkt Punkt
PStG Personenstandsgesetz
PStV Personenstandsverordnung
PVÜ Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutze des gewerblichen
Eigentums
RabelsZ Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht
(deutsch)
RBÜ Revidierte Berner Übereinkunft zum Schutze von Werken der Lite-
ratur und der Kunst
RdU Recht der Umwelt
RdW Österreichisches Recht der Wirtschaft
rev. ed. revised edition
RIS Rechtsinformationssystem
RIW Recht der Internationalen Wirtschaft (deutsch)
RL Richtlinie der EU
Rom I-VO Verordnung (EG) Nr 593/2008 des Europäischen Parlaments und
des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwen-
dende Recht (Verordnung Rom I)
Rom II-VO Verordnung (EG) Nr 864/207 des Europäischen Parlaments und des
Rates über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwen-
dende Recht (Verordnung Rom II)
Rs Rechtssache (bei Europäischen Gerichten)
RV Regierungsvorlage
RZ Österreichische Richterzeitung
Rz Randzahl, -ziffer
S Satz, Seite
s siehe
sa siehe auch
ScheckG Scheckgesetz
schweiz schweizerisch, -e, -er, -es
SchweizBBl Schweizer Bundesblatt
SE Europäische Gesellschaft (Societas Europea)
sec. section
Slg Sammlung der Rechtsprechung des EuGH
sog sogenannte, -r, -s
Stanford L. Rev. Stanford Law Review
StGBl Staatsgesetzblatt für die Republik Österreich
SWRÄG Sachwalterrechts-Änderungsgesetz 2006
SZ Entscheidungen des österreichischen Obersten Gerichtshofes in
Zivilsachen
TEG Todeserklärungsgesetz
TestÜ (Haager) Testamentsübereinkommen
TNG Teilzeitnutzungsgesetz
TranspR Transportrecht (deutsch)
TRIPS Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property
Rights
ua und andere, -s, -n; unter anderem

XXI
Abkürzungsverzeichnis

uä und ähnliche, -s
uam und andere mehr
UCC Uniform Commercial Code
udgl und dergleichen
UN Vereinte Nationen
UNCITRAL United Nations Commission on International Trade Law
UNIDROIT Internationales Institut für die Vereinheitlichung des Privatrechts
UNKR UN-Kaufrechtsübereinkommen
UrhG Urheberrechtsgesetz
USA Vereinigte Staaten von Amerika
USB universelle serielle Schnittstelle
usw und so weiter
uU unter Umständen
UWG Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb
VersR Versicherungsrecht (deutsch)
VersVG Versicherungsvertragsgesetz
vgl vergleiche
VwGH Verwaltungsgerichtshof
WA Warschauer Abkommen
wbl Wirtschaftsrechtliche Blätter
WEG Wohnungseigentumsgesetz
WechselG Wechselgesetz
WIPO World Intellectual Property Organization
wobl Wohnrechtliche Blätter
WRP Wettbewerb in Recht und Praxis (deutsch)
WTO Welthandelsorganisation
WUA Welturheberrechtsabkommen
YBPIL Yearbook of Private International Law (schweizerisch)
Z Ziffer, Zahl
ZAK Zivilrecht aktuell
zB zum Beispiel
ZEuP Zeitschrift für Europäisches Privatrecht (deutsch)
ZfRV Zeitschrift für Rechtsvergleichung, Internationales Privatrecht und
Europarecht
ZGB (Schweizerisches) Zivilgesetzbuch
ZIP Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (deutsch)
ZPO Zivilprozessordnung
ZSR Zeitschrift für Schweizerisches Recht
zust zustimmend
ZVN Zivilverfahrensnovelle
ZVR Zeitschrift für Verkehrsrecht

XXII
Einführung

§ 1. Internationales Privatrecht als Teilgebiet des


Rechts
A. Begriff und Bedeutung

Aktuellen Weltalmanachen zufolge ist die Zahl souveräner Staaten in der 1/1
jüngsten Vergangenheit auf nahezu zweihundert gestiegen1. Jeder dieser
Staaten hat zumindest eine eigene Rechtsordnung. Einige wie die Vereinig-
ten Staaten von Amerika, Australien oder Kanada weisen auf ihrem Ho-
heitsgebiet mehrere Privatrechtsordnungen auf, die USA allein einund-
fünfzig2: jene der fünfzig Staaten und die des District of Columbia. Auch
innerhalb der Europäischen Union besteht nicht in allen Mitgliedstaaten
auf dem Gebiet des Privatrechts interne Rechtseinheit, namentlich nicht
im Vereinigten Königreich und in Spanien. Insgesamt kann man daher glo-
bal jedenfalls von mehr als 300 Privatrechtsordnungen ausgehen.
Keine dieser Privatrechtsordnungen steht isoliert im Raum. Als Folge
der „Globalisierung der Wirtschaft“ und der Schaffung kontinentaler und
regionaler Binnenmärkte machen wirtschaftliche Kontakte heute nicht
mehr Halt vor staatlichen Grenzen, deren Bedeutung durch die inzwischen
weit verbreitete Nutzung elektronischer Kommunikationstechnologien
zusätzlich relativiert wird. Hinzu kommt, dass der Niedergang und offen-

1 Vgl Fischer Weltalmanach 2010. Er führt (mit Stand 1.7.2009) 195 souveräne Staaten an,
als flächen- und einwohnermäßig kleinsten die Vatikanstadt. Zuletzt neu hinzugekommen
ist die Republik Kosovo, die erstmals im Weltalmanach 2009 angeführt wurde. Die Regie-
rung des Kosovo hat sich am 17.2.2008 für unabhängig erklärt, doch wird die Souveräni-
tät der früheren (autonomen) serbischen Provinz nur von einer Minderheit von Staaten
anerkannt. Fünf Mitgliedstaaten der Europäischen Union – Griechenland, Rumänien,
Slowakei, Spanien und Zypern – sehen in der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo
einen gefährlichen Präzedenzfall, der sezessionistische Tendenzen in ihren Ländern för-
dern könnte und haben die Anerkennung der Unabhängigkeit des Kosovo vorerst verwei-
gert.
2 Das sind die sog „jurisdictions“.

1
§1 Internationales Privatrecht als Teilgebiet des Rechts

bar endgültige Zerfall der Sowjetunion und die Überwindung der kommu-
nistischen Ideologie in den von ihr einstmals kontrollierten sozialistischen
Staaten Zentral- und Osteuropas bewirkt haben, dass offene Grenzen an
die Stelle des „Eisernen Vorhangs“ getreten sind. Die „Osterweiterung“
der Europäischen Union, die mit der Aufnahme von Bulgarien und Rumä-
nien am 1.1.2007 einen (wohl nur vorläufigen) Abschluss erfahren hat,
sollte sich als Stabilitätsfaktor für die neuen Demokratien in diesem Raum
erweisen. Diese sollten von den Grundfreiheiten der Europäischen Union
profitieren und so kommt es heute insbesondere in Europa öfter als noch
vor fünfzehn Jahren im Rahmen von grenzüberschreitenden Privatrechts-
verhältnissen zu „Berührungen“ oder „Kollisionen“ zwischen den Rechts-
ordnungen.
Das Neben- und Miteinanderleben der Völker der einzelnen Staaten
macht eine allgemein respektierte Begrenzung ihrer jeweiligen Gebiets-
und Personalhoheit unerlässlich. Dass für die Behörden oder Gerichte
eines Staates immer nur das eigene Recht relevant wäre, kann jedoch bei
der Entscheidung „internationaler Sachverhalte“ nicht von vornherein
angenommen werden. Das gilt insbesondere für privatrechtliche Sachver-
halte, während in den Bereichen des Straf- und Verwaltungsrechts wegen
des öffentlich-rechtlichen Charakters dieser Normen ein besonderes Inte-
resse der Staaten besteht, dass ihre Gerichte und Behörden jeweils das ei-
gene Recht anwenden.
1/2 Dem Begriff „Internationales Privatrecht“ (IPR) kann eine weitere und
eine engere Bedeutung beigemessen werden. Im weiteren Sinn erfasst er
neben dem „Internationalen Privatrecht im engeren Sinn“ auch das Inter-
nationale Zivilverfahrensrecht und das „Internationale Einheitsprivat-
recht“, worunter das international vereinheitlichte bzw angeglichene Recht
mehrerer nationaler Privatrechtsordnungen begriffen wird und dessen
wichtigstes Beispiel das Übereinkommen über das Recht des grenzüber-
schreitenden Warenkaufvertrages (CISG)3 bildet.
In Österreich wird „Internationales Privatrecht“ im juristischen Sprach-
gebrauch zumeist im engeren Sinn als Rechtsanwendungsrecht begrif-
fen, also als Summe jener Normen, die bestimmen, welche von mehreren
in Frage kommenden Rechtsordnungen auf einen privatrechtlichen Sach-
verhalt mit Auslandsberührung zur Anwendung gelangt.
Zwar untersteht der angerufene Richter (oder etwa auch der Standesbe-
amte bei der Trauung) nur der eigenen Rechtsordnung, doch kann ihm

3 CISG steht als Abkürzung für Convention on Contracts for the International Sale of
Goods.

2
Begriff und Bedeutung §1

diese im gegenseitigen Interesse der Staaten, wie im Interesse der recht-


suchenden Parteien, gebieten, ein ausländisches Recht auf einen Fall an-
zuwenden, der zu jenem intensivere Berührungen oder „Anknüp-
fungspunkte“ aufweist; zB wird die Geschäftsfähigkeit (Ehefähigkeit,
Testierfähigkeit) von Ausländern nach ihrem Heimatrecht, allenfalls bzw
alternativ nach dem Recht ihres gewöhnlichen Aufenthalts (oder Wohnsit-
zes) zu beurteilen sein. Zum Ausgleich dafür darf erwartet werden, dass die
ausländische Rechtsordnung in einem analogen Fall die gleiche Position
einnimmt.
Hat eine Rechtssache Anknüpfungspunkte zu mehreren Rechtsordnun- 1/3
gen, sind zB Angehörige verschiedener Staaten beteiligt, oder ist Nachlass-
gut in verschiedenen Staaten gelegen, wird es nicht immer leicht sein, zu
bestimmen, welcher Anknüpfungsgrund relevant und welche Rechtsord-
nung anwendbar sein soll. Erst wenn die maßgebende Rechtsordnung er-
mittelt ist, kann die endgültige Entscheidung auf der Grundlage der Regeln
ihres materiellen Rechts, der so genannten „Sachnormen“ getroffen wer-
den, die entweder wie in den meisten Rechtsordnungen Kontinentaleuro-
pas in Gesetzbüchern kodifiziert4 oder wie in den Jurisdiktionen des
anglo-amerikanischen Rechtskreises weitgehend richterrechtlich festge-
schrieben sind. Da die Privatrechtsordnungen erhebliche strukturelle und
inhaltliche Verschiedenheiten aufweisen, hat die korrekte Bestimmung des
maßgeblichen Rechts regelmäßig unmittelbare Auswirkung auf das Ergeb-
nis der Sachentscheidung.
Es wäre unbefriedigend, wenn jeweils nur das Recht des Gerichtsortes,
die lex fori, Anwendung fände, so dass die Sachentscheidung verschieden
ausfiele, je nachdem, in welchem Staat die Sache gerichtsanhängig und ent-
schieden wird. Wünschenswert wäre es vielmehr, dass in allen Rechtsord-
nungen möglichst einheitliche Grundsätze für die Beantwortung der
Frage, nach welchem Recht eine Rechtssache zu beurteilen sei, anerkannt
würden. Unabhängig davon, wo der Rechtsstreit über einen internationa-
len Sachverhalt ausgetragen wird, sollte die Suche nach dem maßgeblichen
Recht überall dasselbe Ergebnis zeitigen.
Im engeren Sinn verstanden ist somit das IPR der Inbegriff all jener in 1/4
einem Staate geltenden spezifischen Normen, die für privatrechtliche
„Sachverhalte mit Auslandsberührung“ bestimmen, welche von mehreren

4 Hier bilden die großen nationalen Zivilgesetzbücher die Hauptrechtsquellen des materiel-
len bürgerlichen Rechts; so der Code civil von 1804 in Frankreich, Belgien und Luxem-
burg, das ABGB von 1811 in Österreich, das BGB von 1900 in Deutschland, der Codice
civile von 1942 in Italien usw. Daneben sind überall jedoch noch zahlreiche in Nebenge-
setzen normierte Bestimmungen zu beachten.

3
§1 Internationales Privatrecht als Teilgebiet des Rechts

berührten staatlichen5 Privatrechtsordnungen für die Beurteilung des Fal-


les heranzuziehen ist. Das IPR löst somit die der eigentlichen Streitent-
scheidung „vorgelagerte Frage“, welche Rechtsordnung „maßgeblich“ ist,
wenn ein „Sachverhalt mit einer Verbindung zum Recht eines fremden
Staates“ zu entscheiden ist. Es hat somit eine selektive Funktion.
Für den aufmerksamen Rechtspraktiker stellt sich ein kollisionsrecht-
lich relevanter Fall als ein Sachverhalt dar, auf den die Anwendung des in-
ländischen materiellen Rechts (der lex fori) nicht ganz selbstverständlich
erscheint. Gewiss haben der Richter, der einen Sachverhalt mit Auslands-
berührung zu entscheiden hat und die involvierten Anwälte, eher ein Inte-
resse an der Anwendung der eigenen Rechtsordnung, weil sie in der Regel
nur mit dieser wirklich vertraut sind und der Umgang mit ihr nun einmal
weniger Probleme aufwirft6. Übergeordnete Prinzipien wie das des inter-
nationalen Entscheidungsgleichklangs fordern indes, dass von einem
Richter mitunter die Sachnormen einer ausländischen Rechtsordnung, die
als „maßgeblich“ festgestellt wurde, angewendet werden.
Da das IPR somit den Zweck hat, Kollisionen zwischen Rechtsordnun-
gen zu bereinigen, findet statt der eingebürgerten Bezeichnung „Interna-
tionales Privatrecht“ auch der Begriff „Kollisionsrecht“7 Verwendung,
wobei dann oft das internationale (Zivil-)Verfahrensrecht sowie das inter-
nationale Verwaltungsrecht (zB das Staatsbürgerschaftsrecht8) und mitun-
ter auch das internationale Strafrecht inbegriffen sind.
1/5 Der wenig geglückte und irreführende Begriff „Internationales Privat-
recht“, der auf den Amerikaner Joseph Story zurückgeht9, wird nicht über-
all zur Umschreibung des hier interessierenden Rechtsgebiets benutzt: So
zieht man insbesondere in den Vereinigten Staaten den Begriff „conflict of
laws“ oder knapp „conflicts law“ vor, in Frankreich wird neben „droit
international privé“ alternativ „droit des conflits de lois“ verwendet. Ge-

5 Die Regeln, die klären, welche von mehreren berührten Teilrechtsordnungen innerhalb
eines souveränen Staates zur Anwendung kommen, werden als „interlokales Privatrecht“
bezeichnet (US-amerikanisch: „interstate conflicts law“).
6 Man spricht in diesem Zusammenhang von „Heimwärtsstreben“.
7 Auch „Konfliktsrecht“.
8 So wird in Österreich das Staatsbürgerschaftsrecht dem internationalen Verwaltungsrecht
zugeordnet, obwohl die Staatsbürgerschaft als Anknüpfungsmoment im Internationalen
Personen-, Familien- und Erbrecht sehr wichtig ist. In Frankreich wird es dagegen als ein
Teil des bürgerlichen Rechts begriffen. Seit 1993 sind die Regeln über die nationalité fran-
çaise wieder in den Art 17 ff Code civil zu finden.
9 Wenig geglückt deshalb, weil er den Eindruck erweckt, dass es sich bei „Internationalem
Privatrecht“ um Rechtsnormen „von internationalem Charakter“ handelt. Story (1779–
1845) meinte mit dem Begriff aber eher das „private Internationalrecht“.

4
Internationales Zivilverfahrensrecht als Teil des IPR im weiteren Sinn §1

legentlich ist auch von zwischenstaatlichem Recht bzw von „Rechtsan-


wendungsrecht“ die Rede.
Wenngleich unter dem Begriff des IPR iwS die Gesamtheit der Normen
verstanden wird, die der Regelung des Privatrechtsverkehrs mit dem Aus-
land dienen, kann im vorliegenden Studienbuch bloß auf das IPR im enge-
ren Sinn sowie das für Österreich relevante Internationale Einheitsprivat-
recht näher eingegangen werden.

B. Internationales Zivilverfahrensrecht als Teil des IPR im


weiteren Sinn

Für Privatrechtssachverhalte mit internationalem Bezug besteht ein beson- 1/6


deres Regelungsbedürfnis in verfahrensrechtlicher Hinsicht. So muss zu-
nächst geklärt sein, welches Gericht international zuständig ist. Dem IPR
im engeren Sinn ist daher das internationale Zivilverfahrensrecht (IZVR
bzw IZPR für Internationales Zivilprozessrecht) gleichsam vorgeordnet.
Für dieses bestehen nunmehr in Österreich nach umwälzenden, aus der
Teilnahme Österreichs an der europäischen Integration resultierenden Re-
formmaßnahmen neue Rechtsgrundlagen.
Vom 1.12.1998 bis zum 28.2.2003 stand das Europäische Gerichts-
stands- und Vollstreckungsübereinkommen (EuGVÜ) vom 27.9.196810
für Österreich im Verhältnis zu den Staaten, die das 4. Beitrittsüber-
einkommen ratifiziert haben11, in Geltung. Schon am 1.9.1996 hatte das
weithin inhaltsgleiche, als Parallelabkommen mit den EFTA-Staaten kon-
zipierte Luganer Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen Gel-
tung erlangt12, das heute in einer revidierten Fassung, die am 1.1.2010 vor-

10 Auch „Brüsseler Übereinkommen“; konsolidierte Fassung nach dem 4. Beitrittsüberein-


kommen, ABlEG C 27 vom 26.1.1998, 1. Es wurde von den sechs Urmitgliedern der
EWG auf der Kompetenzgrundlage des damaligen Art 220 EWGV, des späteren (heute
aufgehobenen) Art 293 EGV vereinbart. Vertragsstaaten dieses Übereinkommens konn-
ten nur EU-Mitgliedstaaten sein, die neu aufgenommenen Staaten mussten sich zum Bei-
tritt verpflichten. Bei jeder Erweiterung der (früheren) EWG bzw EU wurden in den
jeweiligen Beitrittsübereinkommen Modifikationen des ursprünglichen Textes des
EuGVÜ vorgenommen, die von den Mitgliedstaaten jeweils ratifiziert bzw übernommen
werden mussten. Das erfolgte zu durchaus unterschiedlichen Zeiten. Das EuGVÜ stand
daher in unterschiedlichen Fassungen zwischen den Mitgliedstaaten in Kraft. Für Öster-
reich war das EuGVÜ idF des 4. Beitrittsübereinkommens vom 29.11.1996 relevant: ABl-
EG C 15 vom 15.1.1997, 1; BGBl III 1998/167. Diese unübersichtliche Situation ist durch
die Ersetzung des EuGVÜ durch die „Verordnung Brüssel I“ überwunden worden.
11 Am 1.1.1999 waren dies Dänemark, Deutschland und die Niederlande.
12 BGBl 1996/448; dem LugGVÜ sind die EWR-Vertragsstaaten (Island, Liechtenstein
und Norwegen) und die Schweiz beigetreten.

5
§1 Internationales Privatrecht als Teilgebiet des Rechts

erst nur für Norwegen und die EU-Mitgliedstaaten13 in Kraft getreten ist,
existiert.
Mit dem EuGVÜ waren weite Bereiche des Zivilrechtsverkehrs zwi-
schen den Staaten der Europäischen Union auf eine einheitliche Grundlage
gestellt worden. Seine Tage waren jedoch gezählt, seit diese Materie durch
den Amsterdamer Vertrag mit dem Ziel der Schaffung eines „Europäischen
Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ aus der damaligen
„Dritten Säule der Europäischen Union“14 in die ex-Art 61 ff EGV verla-
gert worden war: Durch die Art 61 lit c), 65 und 67 Abs 1 EGV15 ist die
Grundlage für supranationale Rechtsakte geschaffen worden, sodass ein-
schlägige Verordnungen des Rates erlassen werden konnten.
Als erste Maßnahme wurde die Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 des
Rates vom 29.5.2000 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und
Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betref-
fend die elterliche Verantwortung für die gemeinsamen Kinder der Ehegat-
ten („Verordnung Brüssel II“)16 wirksam, die aber nur vom 1.3.2001 bis
28.2.2005 in Geltung stand, da ab 1.3.2005 die gleichnamige Verordnung
(EG) Nr. 2201/2003 („Brüssel IIa“)17 an ihre Stelle getreten ist. An Stelle
des EuGVÜ hat am 1.3.2002 die Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates
vom 22.12.2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung
und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen
(„Verordnung Brüssel I“)18 Geltung erlangt.
1/7 In der Verordnung Brüssel I, die große praktische Bedeutung besitzt und
schon zu zahlreichen Entscheidungen sowohl des EuGH wie auch des
OGH Anlass gegeben hat, geht es ebenso wie in der Verordnung Brüssel
IIa nicht um die vom IPR im engeren Sinn zu beantwortende Frage, nach
welchem Sachrecht ein Sachverhalt mit Auslandsberührung zu entscheiden
ist19. Vielmehr wird in der Verordnung Brüssel I – nach Klarstellung des

13 Einschließlich Dänemark.
14 Justiz und Inneres. Das Dreisäulenschema der EU ist durch den Lissabonner Vertrag ob-
solet geworden.
15 Nunmehr Art 67 und 81 des Vertrages über die Arbeitsweise der Union (= AEUV).
16 Kurz EuGVVO II, ABlEG L 160 vom 30.6.2000, 19. Dazu vgl nur Boele-Woelki, Brüs-
sel II: Die Verordnung über die Zuständigkeit und die Anerkennung von Entscheidun-
gen in Ehesachen, ZfRV 2001, 121.
17 Verordnung (EG) Nr. 2201 des Rates vom 27.11.2003 über die Zuständigkeit und die
Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren
betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG)
Nr. 1347/2000, ABlEU L 338 vom 23.12.2003, 1 idF L 347 vom 14.12.2004, 1.
18 Kurz EuGVVO I, ABlEG L 12 vom 16.1.2001, 1.
19 Deshalb fallen die Verordnungen „Brüssel I“ und „Brüssel IIa“ nach österreichischem
Verständnis in Forschung und Lehre in die fachliche Zuständigkeit der Vertreter des Zi-

6
Internationales Zivilverfahrensrecht als Teil des IPR im weiteren Sinn §1

Anwendungsbereichs in Art 1 – im Kapitel II20 die Zuständigkeit der


staatlichen Gerichte und im Kapitel III21 die Anerkennung und Vollstre-
ckung von „gerichtlichen Entscheidungen“22 geregelt. Im Instrumenta-
rium der Kollisionsrechtsvereinheitlichung gäbe es ja nur ein „Schwert
ohne Klinge“, wenn nicht auch sichergestellt würde, dass ausländische
Entscheidungen von inländischen Gerichten – und umgekehrt – anerkannt
und vollstreckt werden.
Die Komplexität des europaweit vereinheitlichten Internationalen
Zivilverfahrensrechts manifestiert sich in einer Reihe von weiteren euro-
päischen Rechtsakten. Schon seit mehreren Jahren stehen die Verordnung
(EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29.5.2000 über Insolvenzverfahren23,
die Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 des Rates vom 29.5.2000 über die Zu-
stellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- und
Handelssachen in den Mitgliedstaaten24, die Verordnung (EG) Nr. 1206/
2001 des Rates vom 28.5.2001 über die Zusammenarbeit zwischen den Ge-
richten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil-
oder Handelssachen25 und die Entscheidung 2001/470/EG des Rates vom
28.5.2001 über die Einrichtung eines „Europäischen Justiziellen Netzes
für Zivil- und Handelssachen“26 in Kraft. Weitere Rechtsakte, die in diesem
Zusammenhang erlassen wurden, sind die Verordnung (EG) Nr. 805/2004
des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.4.2004 zur Einfüh-
rung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderun-
gen27, die Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 des Europäischen Parlaments
und des Rates vom 12.12.2006 zur Einführung eines Europäischen Mahn-
verfahrens28 und zuletzt die Verordnung (EG) Nr. 861/2007 des Europä-
ischen Parlaments und des Rates vom 11.7.2007 zur Einführung eines eu-
ropäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen29. Mehr als ein
Hinweis auf diese Rechtsakte kann an dieser Stelle nicht geleistet werden.

vilverfahrensrechts und können in diesem Rahmen nur am Rande behandelt werden; vgl
vertiefend Rechberger/Simotta, Zivilprozessrecht7 (2009) Rz 76 ff; Burgstaller (Hrsg),
Internationales Zivilverfahrensrecht (2006). Teil II (Loseblatt-Ergänzung); konzise ein-
führend Mayr/Czernich, Europäisches Zivilprozessrecht2 (2010).
20 Vgl Art 2–31 EuGVVO I.
21 Vgl Art 32–56 EuGVVO I.
22 Im Sinne von Art 32 EuGVVO I.
23 ABlEG L 160 vom 30.6.2000, 1; in Kraft getreten am 31.5.2002.
24 ABlEG L 160 vom 30.6.2000, 37; in Kraft getreten am 31.5.2001.
25 ABlEG L 174 vom 27.6.2001, 1.
26 ABlEG L 174 vom 27.6.2001, 25.
27 ABlEU L 143 vom 30.4.2004, 15. Anhänge ersetzt durch die Verordnung (EG) Nr. 1869/
2005 der Kommission, ABlEU L 300 vom 17.11.2005, 6.
28 ABlEU L 399 vom 30.12.2006, 1.
29 ABlEU L 199 vom 31.7.2007, 1; in Kraft getreten am 1.1.2009.

7
§1 Internationales Privatrecht als Teilgebiet des Rechts

1/8 Die im internationalen Handels- und Wirtschaftsverkehr verbreitete Ten-


denz zur Streitschlichtung durch Schiedsgerichte wird durch die Verord-
nung Brüssel I und das LugGVÜ nicht tangiert30. Den Parteien internatio-
naler Verträge, die sich von einem Schiedsgericht eine raschere, billigere
und auch leichter durchsetzbare Entscheidung allfälliger Streitigkeiten er-
warten31, stehen einschlägige internationale Übereinkommen bei, wie das
Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Anerkennung und Voll-
streckung ausländischer Schiedssprüche32 oder das Europäische Überein-
kommen über die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit33.

C. Abgrenzungen

1/9 Sachverhalte mit Auslandsberührung ergeben sich nicht nur im Privat-


recht, sondern müssen immer wieder auch von Strafrichtern oder Verwal-
tungsbehörden beurteilt werden. Das Internationale Strafrecht und das
Internationale Verwaltungsrecht werden jedoch durch andere Grund-
sätze bestimmt. Im Gegensatz zum IPR steht dort das Territorialitäts-
prinzip im Vordergrund, wenngleich der Einfluss des Europarechts we-
sentliche Änderungen bewirkt hat.
Nicht zum IPR ieS gehört auch das sogenannte Fremdenrecht. Es ent-
hält keine Verweisungsnormen, sondern konstituiert sich aus Sachnormen,
die für die rechtliche Stellung von Ausländern, insbesondere hinsichtlich
von Einreise, Aufenthalt und Niederlassung besondere Regeln festlegen.
Seiner Natur nach ist es eher dem Öffentlichen Recht zuzurechnen. Diese,
nicht erst in jüngster Zeit durch das Anliegen nach Schutz vor vermeintlich
drohender Überfremdung bestimmte Regelungsmaterie, ist in Österreich
nunmehr umfassend im so genannten „Fremdenrechtspaket 2005“34 gere-
gelt, das in seinen Art 2 bis 4 als Kernmaterien das Asylgesetz 2005, das
Fremdenpolizeigesetz 2005 und das Niederlassungs- und Aufenthaltsge-
setz erfasst und hierbei einschlägige Europäische Richtlinien35 in das natio-

30 Vgl Art 1 Abs 2d) EuGVVO I bzw Art 1 Abs 2 Z 4 LugGVÜ.


31 Dazu vgl zB Rubino-Sammartano, International Arbitration Law, 2nd rev. ed. (2001).
32 BGBl 1961/200; auch als „New Yorker Übereinkommen“ bezeichnet.
33 BGBl 1964/107; auch als „Genfer Übereinkommen“ bezeichnet.
34 BGBl I 2005/100, zuletzt geändert durch BGBl I 2009/135.
35 Insbesondere die Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom 25.11.2003 betreffend die
Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen, ABlEU L
16 vom 23.1.2004, 44 und die Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und
des Rates vom 29.4.2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehöri-
gen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Än-
derung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/

8
Abgrenzungen §1

nale Recht umsetzt. Bürger von Mitgliedstaaten der EU und des EWR er-
fahren eine unterschiedliche Behandlung. Allgemein ist im Vertrag über die
Arbeitsweise der Europäischen Union festgelegt36, dass in Bezug auf
Unionsbürger „jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörig-
keit“ verboten ist“37.

EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/


EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG, ABlEU L 158 vom 30.4.2004, 77.
36 Art 18 AEUV (zuvor Art 12 EGV).
37 Neben den einschlägigen Sonderbestimmungen des Fremdenrechts kommt der an sich
obsoleten Bestimmung des § 33 ABGB, die die „Fremden“ unter der Voraussetzung,
dass der fremde Staat die österreichischen Staatsbürger „in Rücksicht des Rechtes, wo-
von die Frage ist, ebenfalls wie die seinigen behandle“, grundsätzlich den „Eingebornen“
gleichstellt und den unzeitgemäßen Grundsatz der formellen Gegenseitigkeit normiert,
praktisch keine Bedeutung mehr zu. Wenn § 33 ABGB verlangt, dass in zweifelhaften
Fällen der Ausländer die Gegenseitigkeit nachweisen muss, was freilich durch Staatsver-
träge oder Regierungsvereinbarungen erleichtert wird, bekundet sich hierin ein gewisses
Misstrauen. Dem internationalen Verkehr förderlicher wäre es wohl, die Beweislast um-
zukehren und formelle Gegenseitigkeit anzunehmen, solange nicht das Gegenteil erwie-
sen ist.

9
Erster Teil: Internationales Privatrecht im engeren
Sinn

§ 2. Historische Entwicklung1
A. Vorgeschichte

Das römische Recht war zunächst ius civile, dh es galt nur für römische 2/1
Bürger; Fremde waren rechtlos. Mit zunehmendem Wirtschaftsverkehr
schuf der Prätor für Peregrine das ius gentium. Es war besonders ausge-
formtes römisches Recht. Ein IPR in unserem Sinn, welches das gleichbe-
rechtigte Nebeneinander verschiedener Rechtsordnungen voraussetzt,
kannte das römische Recht, das sich quasi zum Weltrecht jener Zeit entwi-
ckelte, gleichwohl nicht.
Auch nach den germanischen Rechten stand der Fremde außerhalb des
Rechts. Das nach dem Zerfall des Römischen Reichs entstandene Fränki-
sche Reich war aber kein Nationalstaat, sondern ein Nationalitätenstaat.
Demgemäß unterstand jeder Reichsangehörige seinem Stammesrecht, dh
dem Recht bzw Statut seiner Herkunft2. Die Römer und ebenso die Kirche
und die Kleriker lebten nach römischem Recht.
Damit trat die Problematik, zu deren Lösung es internationalprivat-
rechtlicher Regeln bedarf, auf. Denn ein konkreter Sachverhalt konnte die
Grenzen von Stammesrecht sprengen, so dass es zu einer Kollision der Sta-
tuten kam3 und sich der Richter in die Lage versetzt sehen konnte, fremdes
Stammesrecht anwenden zu müssen.
Mit dem Sesshaftwerden der Stämme schwand im frühen Mittelalter
das Stammesbewusstsein, das Personalitätsprinzip wandelte sich in das

1 Vgl Gutzwiller, Geschichte des Internationalprivatrechts (1977); sowie von Bar/Man-


kowski, Internationales Privatrecht I, Allgemeine Lehren2 (2003) § 6 – Theorie und Me-
thode des Internationalen Privatrechts in Geschichte und Gegenwart, 472 ff.
2 Der Dominanz der lex originis entsprach das Personalitätsprinzip.
3 Wenn zB ein Franke mit einem Alemannen einen Vertrag schloss.

11
§2 Historische Entwicklung

Territorialitätsprinzip: Nunmehr richtete sich das Recht nicht mehr nach


der Abstammung, vielmehr wurde in einem abgegrenzten Gebiet unter-
schiedslos das Recht dieses Gebietes angewandt: So ist aus Stammesrecht
Landesrecht geworden. Daneben entstanden mit der Entwicklung städ-
tischer Siedlungen Stadtrechte. Diese galten für den Bürger in der Stadt,
nicht jedoch auf dem offenen Land. Zudem begann in jener Epoche das
durch die Rezeption geförderte Vordringen des römischen Rechts in Eu-
ropa als subsidiär geltendes Recht.

B. Statutentheorie

2/2 Die Ursprünge des modernen IPR liegen in den mittelalterlichen Stadt-
staaten Italiens (Modena, Bologna usw). Diese kodifizierten seit der Mitte
des 11. Jahrhunderts ihr jeweiliges Recht: Die „statuta“. Da sie untereinan-
der in lebhaftem Handelsverkehr standen, erzwang die Verschiedenheit der
statuta die Beschäftigung mit den Problemen kollidierender Rechte.
Während noch unter den Glossatoren (Azo, Accursius) die lex fori be-
herrschend im Vordergrund stand4, gingen im 14. Jahrhundert die Kom-
mentatoren (Bartolus de Saxoferrato, Baldus de Ubaldis) von der Grund-
these aus, dass sich die Parteien durch Herstellung von Nahebeziehungen
dem Ortsrecht, dem jeweiligen „statutum“ unterwerfen; und zwar:

· für persönliche Verhältnisse (zB Rechts- und Handlungsfähigkeit, Erb-


folge) dem am Wohnsitz geltenden Recht (statuta personalia);
· für Liegenschaften dem Recht des Belegenheitsortes (lex rei sitae; statuta
realia)5;
· für Handlungen dem Recht des Ortes, an dem sie gesetzt werden (lex
loci delicti commissi, lex contractus, locus regit actum; statuta mixta).

Diese Statutentheorie erlangte große Bedeutung, obwohl sie keineswegs


frei von Unzulänglichkeiten war. So ist schon ihr Ausgangspunkt, die frei-
willige Unterwerfung, fiktiv: Daraus, dass jemand seinen Wohnsitz in
einem fremden Land nimmt, kann noch nicht geschlossen werden, dass er
sein Ursprungsrecht aufgeben will. Zudem können die drei Prinzipien mit-
einander in Widerspruch geraten. So soll die Erbfolge sich nach dem Perso-
nalstatut richten, für Liegenschaften aber das Realstatut gelten. Was gilt,
wenn sich im Nachlass eines Inländers ausländische Liegenschaften befin-

4 So dass das angerufene Gericht nur nach seinem Recht urteilte.


5 Bewegliche Sachen sollten dagegen als „Zubehör der Person“ dem Personalstatut unterlie-
gen (mobilia ossibus inhaerent); vgl § 300 aF ABGB.

12
Die Wende im kollisionsrechtlichen Ansatz §2

den? Will man die Einheitlichkeit der Universalsukzession erhalten, muss


man das Realstatut fallen lassen, wendet man es auf Liegenschaften an,
muss man die Universalsukzession preisgeben.
Schließlich sind die entwickelten Grundsätze klein an Zahl, oft mehr-
deutig und unbestimmt, sodass offene Fragen bleiben: Welches ist die lex
contractus bei Verträgen unter Abwesenden? Ist die lex loci delicti commissi
das Recht des Ortes, an dem die schädigende Handlung begangen wurde,
oder ist sie das Recht des Ortes, an dem der Schaden eingetreten ist?
Dennoch beherrschte die Statutentheorie die folgenden Jahrhunderte.
Sie war wiederholt Modifikationen unterworfen, wobei sich die Zentren
der Entwicklung immer wieder geografisch verlagerten. So beherrschten
im 16. Jahrhundert französische (Dumoulin, d’Argentré) und später nie-
derländische (Paul und Johannes Voet, Ulrich Huber) Juristen die Szene
und noch bis in die Epoche der frühen Kodifikationen konnte die Statuten-
theorie ihre Bedeutung wahren. So bestimmte sie denn auch die wenigen
kollisionsrechtlichen Normen des ABGB von 1811.

C. Die Wende im kollisionsrechtlichen Ansatz

Wesentliche Fortschritte in der Entwicklung des IPR wurden aber erst im 2/3
Laufe des 19. Jahrhunderts erzielt, wobei der amerikanischen und vor al-
lem der deutschen Rechtswissenschaft eine innovative Rolle zukam.
In den Vereinigten Staaten gewann der bereits erwähnte Joseph Story
im Jahre 18346 aus Entscheidungen und Einzelüberlegungen abgeleitete,
konkret anwendbare Kollisionsnormen, wobei er, insoweit durchaus dem
anglo-amerikanischen Rechtsdenken verpflichtet, darauf verzichtete, theo-
retische Grundsätze aufzustellen.
Auf diametral entgegengesetztem Wege gewann die deutsche Pandek-
tistik neue theoretische Einsichten. 1841 zeigte zunächst Carl Georg
Wächter7 die Unhaltbarkeit der Fiktion freiwilliger Unterwerfung unter
das Statut auf. Er betonte demgegenüber die Staatssouveränität. Für den
Richter könne nur der Gesetzesbefehl des eigenen Staates maßgebend sein,
der freilich dem Richter auch befehlen könne, fremdes Recht anzuwenden.
Tue der Staat dies, würde der Richter zwar materiell fremdes, formell aber
eigenes Recht anwenden. Wenn jedoch das eigene Recht dem Richter kei-
nen solchen Befehl erteile, hätte dieser auch materiell eigenes Recht anzu-
wenden. Dieser Satz brachte Wächters theoretisch richtige Grundauffas-

6 In diesem Jahr erschienen seine Commentaries on the Conflict of Laws in erster Auflage.
7 Im 24. und 25. Band des Archivs für die civilistische Praxis (AcP).

13
§2 Historische Entwicklung

sung allerdings um ihre praktische Wirkung, da die damals existenten na-


tionalen Vorschriften kollisionsrechtlichen Inhalts sehr spärlich waren und
viele Lücken beließen8. Wäre bei Fehlen einer Kollisionsnorm immer ein-
heimisches Recht anzuwenden gewesen, bedeutete dies, dass fast nur ein-
heimisches Recht Anwendung gefunden hätte. Wächters Satz war fehler-
haft, da der Richter auch ohne ausdrücklichen Gesetzesbefehl annehmen
darf, dass der Wille des nationalen Gesetzgebers nicht dahin gehen kann,
einheimisches Recht (lex fori) auf Rechtsverhältnisse anzuwenden, die
ihrer Natur nach einer fremden Rechtsordnung zuzuordnen sind.
Diesen Mangel korrigierte wenige Jahre später Carl Ritter von Savigny9.
Er vertrat, dass die Völkerrechtsgemeinschaft eine Überspannung der Ge-
bietshoheit verbiete. Jeder Staat habe anzuerkennen, dass jenes Recht anzu-
wenden sei, welchem ein Rechtsverhältnis „seiner eigentümlichen Natur
nach angehört oder unterworfen ist“, bzw wo dasselbe „seinen Sitz hat“.
Otto von Gierke sprach später, statt bildlich vom Sitz, abstrakter vom
Schwerpunkt des Rechtsverhältnisses.
Auch diese Formel kann keineswegs alle Einzelfragen eindeutig lösen:
Liegt der Sitz oder Schwerpunkt personenrechtlicher Verhältnisse im
Land des Wohnsitzes oder der Staatsbürgerschaft? Liegt der Sitz bei
Schuldverträgen am Erfüllungsort oder am Abschlussort? Ist dasselbe
Rechtsverhältnis hinsichtlich verschiedener Fragen nicht nach verschiede-
nen Rechten zu beurteilen? Immerhin bot Savigny eine theoretisch unan-
tastbare Richtlinie an, die weitreichende Wirkungen entfaltete.
2/4 Während Savigny das Personalstatut an den Wohnsitz band, vertrat Pas-
quale Stanislao Mancini zur gleichen Zeit10 im Zusammenhang mit den
Ideen des italienischen Rinascimento, dass jeder das Recht seiner Nationa-
lität mit sich trage11. Das territoriale Recht gelte nur, soweit es die öffent-
liche Ordnung, den ordre public, betreffe. Überdies sei anzuerkennen,

8 Vgl die (allesamt aufgehobenen) §§ 4, 34–37, 300 aF sowie den noch in Kraft befindli-
chen, aber gegenstandslosen § 33 ABGB.
9 Im 1849 erschienenen 8. Band seines Systems des heutigen Römischen Rechts.
10 1851 in seinem berühmten Turiner Vortrag „Della nazionalità come fondamento del di-
ritto delle genti“.
11 Heute gilt in Kontinentaleuropa noch überwiegend – mit Ausnahmen (zB Schweiz) – das
Staatsangehörigkeitsprinzip, während im anglo-amerikanischen (common law) Rechts-
kreis das Prinzip des Wohnsitzes (domicile) bzw des dauerhaften (gewöhnlichen) Auf-
enthaltes im Vordergrund steht. Während das Staatsangehörigkeitsprinzip dem Natio-
nalstaatsgedanken entspricht, erleichtert das Wohnsitzprinzip die Eingliederung von
Ausländern. Im Zusammenhang mit der Vergemeinschaftung des Kollisionsrechts wird
jedoch dem Aufenthaltsgrundsatz insbesondere auch im Internationalen Familienrecht
zunehmend Bedeutung beigemessen.

14
Die Wende im kollisionsrechtlichen Ansatz §2

dass man bestimmte Rechtsverhältnisse einem im Rahmen der Privatauto-


nomie ausgewählten Recht unterwerfen könne.
Um die Jahrhundertwende versuchte dann Ernst Zitelmann vergeblich,
aus dem Völkerrecht das „richtige IPR“ logisch abzuleiten: Es war dies ein
Versuch de lege ferenda. Der nationale Gesetzgeber sollte sich an den
völkerrechtlichen Regeln orientieren, dh die seiner Macht durch die Völ-
kerrechtsgemeinschaft gezogenen Grenzen respektieren und nur jene
Rechtsverhältnisse seiner Herrschaft unterwerfen, die mit seinem Herr-
schaftsbereich stärker als mit dem anderer Staaten verknüpft seien. Doch
ist nicht zu übersehen, dass die für den Richter bindende lex lata (das von
den Einzelstaaten gesetzte IPR) den Ergebnissen von Zitelmann vielfach
widersprach. Zitelmanns universalistischer Ansatz ließ sich allenfalls für
die Lückenfüllung verwenden12.
Savignys Einfluss auf die weitere Entwicklung des IPR in Kontinentaleu- 2/5
ropa ist sehr groß. Man hat seine Erkenntnisse geradezu als „kopernikani-
sche Wende“ des IPR gefeiert und in der Folge versucht, die vorderhand
abstrakte Formel vom „Sitz“ oder „Schwerpunkt des Rechtsverhältnisses“
zu konkretisieren und für Gesetzgebung und Rechtsanwendung nutzbar
zu machen. Auf Savigny ist es aber auch zurückzuführen, dass sich die lex
rei sitae im Hinblick auf bewegliche Sachen und das Personalstatut als für
die Erbfolge maßgeblich durchsetzten.
Fortan ging es um die wertende Herausarbeitung zwar neuerdings ver-
stärkt sachrechtlich beeinflusster, gleichwohl noch immer spezifisch inter-
national-privatrechtlicher Gerechtigkeitsprinzipien und Anwendungsinte-
ressen13. Diese bestehen schlicht darin, die dem Sachverhalt am nächsten
stehende Rechtsordnung (oder Einzelnormen derselben) heranzuziehen.
Es kann dies die an der Beurteilung des betreffenden Sachverhaltes (oder
eines Elementes desselben) am meisten interessierte Rechtsordnung bzw
nach Möglichkeit auch diejenige Rechtsordnung sein, in deren „sozialer“
Umwelt der zu beurteilende Sachverhalt am stärksten eingebettet erscheint.

12 Vgl auch die rechtsvergleichende IPR-Schule von Ernst Rabel.


13 Vgl Kegels These, dass der Vorzug dem räumlich, nicht dem sachlich „besten“ Recht ge-
bühre.

15
§ 3. Rechtsquellen
A. Allgemeines

3/1 Gelänge es, auf globaler Ebene ein einheitliches materielles Privatrecht
zu schaffen und seine einheitliche Anwendung zu sichern, würden sich
Kollisionsnormen erübrigen. Die Vorstellung von einem „Weltprivatrecht“
ist aber in das Reich der Illusionen zu verweisen. Über bloß punktuelle
Ansätze, insbesondere im Wechsel- und Scheckrecht1, im Urheberrecht2,
Lufttransportrecht3 und im internationalen Warenkaufrecht4 ist man nicht
hinausgelangt. Ungeachtet der Bemühungen der Organisation der Verein-
ten Nationen, insbesondere von UNCITRAL5, um eine weitere Verein-
heitlichung oder Angleichung von wirtschaftsnahen Privatrechtsmaterien
werden Kollisionsnormen auf absehbare Zeit weiterhin unentbehrlich
sein. Auch wenn die vielfältigen Bemühungen um eine Vereinheitlichung
des materiellen Zivilrechts in der Europäischen Union konkrete Ergeb-
nisse zeitigen sollten, wird sich an der praktischen Notwendigkeit der Kol-
lisionsnormen wenig ändern. Denn, dass es in absehbarer Zeit ein Europä-
isches Zivilgesetzbuch geben könnte, ist unrealistisch.
3/2 Die auf den Abbau zwischenstaatlicher Handelsbarrieren gerichteten glo-
balen Entwicklungen und die von der Welthandelsorganisation angestrebte

1 Genfer Wechsel- und Scheckübereinkommen 1930/31.


2 ZB revidierte Berner Übereinkunft zum Schutz von Werken der Literatur und Kunst
1886; Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights, „TRIPS“ (An-
hang zur WTO-Vereinbarung).
3 Vgl das von ca 150 Staaten zumeist in der Fassung des Haager Protokolls von 1955 ratifi-
zierte Warschauer Lufttransportübereinkommen 1929. Vgl auch die weit weniger verbrei-
teten internationalen Übereinkommen über den Eisenbahnfrachtverkehr (CIM) und den
Eisenbahnpersonenverkehr (CIV).
4 Vgl das sog „Wiener“ UN-Übereinkommen über Verträge über den internationalen Wa-
renkauf (CISG), das zum Stichtag 1.6.2010 in 74 Staaten in Kraft steht; in Österreich seit
1.1.1989, BGBl 1988/96.
5 Dieses Akronym steht für „United Nations Commission of International Trade Law“.
Die Kommission hat ihren Sitz in Wien. Näheres unter www.uncitral.org.

16
Allgemeines §3

Liberalisierung des Verkehrs mit Dienstleistungen6 sollten die Wirtschaft


durch die Vermehrung grenzüberschreitender Vertragsabschlüsse fördern
und die praktische Bedeutung des Kollisionsrechts vergrößern. Es wäre
daher ein bedeutender Fortschritt, würden einheitliche Kollisionsnor-
men, also ein wirklich „internationales IPR“ geschaffen: Wo immer ein
Privatrechtsstreit, der mehr als eine Rechtsordnung berührt, zu entschei-
den wäre, käme das gleiche materielle Recht zur Anwendung, womit ein
äußerer „Entscheidungseinklang“ gesichert wäre.
Die Ansätze zu einem global vereinheitlichten Kollisionsrecht sind kei-
neswegs beeindruckend, obwohl sich die Haager IPR-Konferenzen schon
seit mehr als einem Jahrhundert um die Ausarbeitung von allgemein akzep-
tablen Konventionen zu Teilgebieten des Kollisionsrechts bemühen und
gegenwärtig achtunddreißig Haager Konventionen und Protokolle existie-
ren7. Die Vereinheitlichung scheitert jedoch nicht selten an der Ratifizie-
rungsunwilligkeit gerade jener Staaten, welche an der Ausarbeitung der
einschlägigen Übereinkommen besonders intensiv mitgewirkt haben8.
Vor dem ersten Weltkrieg waren es die Haager Übereinkommen von
1902 und 1905 betreffend Schließung, Scheidung, Trennung und Wirkun-
gen der Ehe, sowie über Vormundschaft und Entmündigung, die größere
Akzeptanz fanden. Aus neuerer Zeit zu nennen sind die Haager Überein-
kommen über das auf Unterhaltsverpflichtungen gegenüber Kindern anzu-
wendende Recht, über die Zuständigkeit der Behörden und das anzuwen-
dende Recht auf dem Gebiet des Schutzes von Minderjährigen, über das
auf die Form letztwilliger Verfügungen anzuwendende Recht, sowie das
Übereinkommen über das auf Straßenverkehrsunfälle anzuwendende
Recht.
Das IPR hat mehrere Gesichter: Zum einen ist es autonomes innerstaatli- 3/3
ches Recht, soweit die nationalen Rechtsordnungen aus sich heraus Kolli-
sionsnormen aufstellen. Sodann ist es in internationalen Verträgen fest-
geschrieben, beruht also auf Völkervertragsrecht, das dem innerstaatlichen
Rechtsbestand erst durch verfassungsgemäße Transformierung einverleibt
werden muss, wobei manche Übereinkommen nur zwischen den Vertrags-
staaten im Gegenseitigkeitsverhältnis gelten, dh nur für Angehörige der
Vertragsstaaten oder Personen, die sich in diesen aufhalten (zB Minderjäh-

6 Vgl ABlEG L 336 vom 23.12.1994, 191: Die multilateralen Verhandlungen der Uruguay-
Runde (1986–1994) – Anhang 1 – Anhang 1B – Allgemeines Übereinkommen über den
Handel mit Dienstleistungen (GATS).
7 Vgl http://www.hcch.net/index_en.php?act=conventions.listing; von diesen hat Öster-
reich bisher neun ratifiziert.
8 Wie die USA seit den Sechziger-Jahren, die bisher nur drei Haager Konventionen ratifi-
ziert haben.

17
§3 Rechtsquellen

rigenschutz- und Unterhaltsstatutübereinkommen), während die so ge-


nannten „lois uniformes“ für die ratifizierenden Staaten ohne Gegenseitig-
keitserfordernis allgemein geltende innerstaatliche Kollisionsnormen ein-
führen (zB Haager Testamentsübereinkommen). Der Verwirklichung des
europäischen Rechtsraumes dienen in zunehmendem Maße gemein-
schaftsrechtliche Verordnungen, die für alle Mitgliedstaaten einheitliche
Anknüpfungsregeln vorsehen (zB Verordnungen Rom I und II).
Nach wie vor ist das IPR zum größeren Teil nationales Recht (weshalb
auch die Bezeichnung insoweit irreführend ist). Es gibt demnach ein öster-
reichisches, deutsches, französisches IPR. Leider regeln diese nationalen
Kollisionsrechte auch wesentliche Fragen nicht immer gleich, was auch in
den Kodifikationen des Internationalen Privatrechts in den letzten Deka-
den des 20. Jahrhunderts Niederschlag fand. Seit den Siebziger-Jahren des
letzten Jahrhunderts ist das IPR nicht nur in Österreich, Deutschland, der
Schweiz oder Italien, sondern auch in den Staaten des ehemaligen sozialis-
tischen Rechtskreises9 kodifiziert worden.
In Deutschland, das sein IPR primär im Einführungsgesetz zum BGB
regelt, gilt seit 1.9.1986 das Gesetz zur Neuregelung des Internationalen
Privatrechts10, mit dem unter anderem das völkervertraglich festgeschrie-
bene internationale Vertragsrecht der Europäischen Gemeinschaft (EVÜ)
in das EGBGB eingearbeitet wurde11. Die Reform des deutschen IPR war
durch das am 1.6.1999 in Kraft getretene Gesetz zum Internationalen
Privatrecht für außervertragliche Schuldverhältnisse und für Sachen12
(vorerst) abgeschlossen worden. Die auf europäischer Ebene durch die
Verordnungen Rom I und II erfolgte Neuordnung des internationalen
Schuldrechts hat aber der deutschen autonomen Regelung des Internatio-
nalen Schuldrechts ein frühes Ende bereitet.
In der Schweiz steht seit 1.1.1989 das Bundesgesetz über das Interna-
tionale Privatrecht (IPRG)13, welches das lückenhafte und obsolete Bun-
desgesetz betreffend die zivilrechtlichen Verhältnisse der Niedergelassenen
und Aufenthalter14 abgelöst hat, in Geltung. Die schweizerische Kodifi-
kation ist insofern umfassender als eine Kodifikation des gesamten Kol-
lisionsrechts unter Einschluss des Verfahrensrechts angelegt, als sie „im

9 ZB in Ungarn 1979, in Jugoslawien 1983.


10 DBGBl 1986 I, 114, Art 3–37 EGBGB. Daneben gelten aber auch in Deutschland zahl-
reiche Sonderbestimmungen des autonomen und staatsvertraglichen IPR.
11 Art 27–37 EGBGB.
12 DBGBl 1999 I, 1026. Durch dieses Gesetz wurde das IPR des EGBGB um die neu for-
mulierten Art 38–46 ergänzt.
13 SchwBBl 1988 I, 5.
14 NAG vom 25.6.1891.

18
Aktuelle Rechtsquellen des österreichischen IPR §3

internationalen Verhältnis“ sowohl das anzuwendende Recht als auch die


Zuständigkeit schweizerischer Gerichte und Behörden, die Anerkennung
und Vollstreckung, den Konkurs und den Nachlassvertrag sowie die
Schiedsgerichtsbarkeit – vorbehaltlich völkerrechtlicher Verträge – regelt.
In Italien ist ein umfassend neu gestaltetes IPR-Gesetz15 am 1.9.1995 in
Kraft getreten, das auch Vorschriften des internationalen Zivilprozess-
rechts beinhaltet.

B. Aktuelle Rechtsquellen des österreichischen IPR

Die wichtigsten autonomen und aus internationalen und europäischen In- 3/4
strumenten abgeleiteten Rechtsquellen des österreichischen IPR (ieS)
sind mit Stand 1.7.2010:
· IPR-Gesetz, BGBl 1978/304 idF BGBl I 2009/135;
· § 13a Konsumentenschutzgesetz idF BGBl I 2004/62;
· § 11 Teilzeitnutzungsgesetz, BGBl I 1997/32;
· §§ 20–23 E-Commerce-Gesetz, BGBl I 2001/152;
· § 23 Atomhaftungsgesetz, BGBl I 1998/170
· Haager Unterhaltsstatutübereinkommen, BGBl 1961/293;
· Haager Testamentsübereinkommen, BGBl 1963/295;
· Haager Minderjährigenschutzübereinkommen, BGBl 1975/446;
· Haager Straßenverkehrsübereinkommen, BGBl 1975/387;
· Haager Adoptionsübereinkommen, BGBl 1978/581;
· Haager Übereinkommen über die internationale Adoption, BGBl III
1999/145;
· CIEC-Legitimationsabkommen, BGBl 1976/10216;
· Einzelne Bestimmungen in Übereinkommen, die überwiegend mate-
riell-rechtliche Regelungen enthalten, wie zB Art 1 des Wiener UN-
Übereinkommens über den internationalen Warenkauf (CISG)17;
· Bilaterale Abkommen (zB mit dem Iran, Jugoslawien, Polen, Ungarn),
die einzelne international-privatrechtliche Fragen zwischenstaatlich ge-
sondert regeln;

15 Legge 31 Maggio 1995, no. 218 sulla riforma del sistema italiano di diritto internazionale
privato.
16 Das Übereinkommen ist von der Internationalen Kommission für das Zivilstandswesen
(Commission internationale d’État Civil, abgek CIEC) ausgearbeitet worden.
17 Abs 1 lit b CISG beinhaltet die sog „Vorschaltlösung“, wonach die Bestimmungen von
CISG Anwendung finden, „wenn die Regeln des internationalen Privatrechts zur An-
wendung des Rechts eines Vertragsstaates führen“.

19
§3 Rechtsquellen

· Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des


Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht
(„Rom I“)18;
· Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des
Rates über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende
Recht („Rom II“)19.
3/5 Die Quellen des österreichischen IPR ieS sind daher ihrer Entstehung nach
einzuteilen in:
a) gänzlich autonomes Gesetzesrecht, dh von den österreichischen Ge-
setzgebungsorganen ohne Verbindlichkeit zur Beachtung externer Re-
geln bzw Vorgaben erlassen (zB IPRG);
b) in Umsetzung von EG-Richtlinien erlassene Gesetze, die den Regeln
über die „richtlinienkonforme Interpretation“ unterliegen (zB §§ 20–23
E-Commerce-Gesetz);
c) in Form internationaler Übereinkommen entstandenes Recht, das
im Wege der Ratifikation bzw des Beitritts Bestandteil des österreichi-
schen positiven Rechts geworden ist (zB Haager StVÜ);
d) gemeinschaftsrechtliche Verordnungen auf der Grundlage der Art 61
lit c, 65 und 67 Abs 5 EGV. Den Verordnungen zum IZVR folgten Ver-
ordnungen, die das internationale Schuldrecht europaweit vereinheit-
licht haben. Darüber hinaus werden weitere Teilbereiche des Internatio-
nalen Privatrechts der Mitgliedstaaten der Europäischen Union in
Verordnungen einheitlich geregelt werden.
Das im engeren Sinn als „Rechtsanwendungsrecht“ begriffene IPR stellt
sich also als ein Rechtsgebiet dar, das durch eine wachsende Vielfalt seiner
Quellen, der in ihm zu beachtenden Interpretationsmethoden20 und der
Entscheidungsinstanzen21 charakterisiert ist. Unter dem Einfluss des Eu-
roparechts ergeben sich jedoch so weit gehende Veränderungen des über-
kommenen Rechtsquellensystems im gesamten Kollisionsrecht, dass man
mit Fug und Recht von einer „Umwälzung“ sprechen kann.

18 ABlEU L 177 vom 4.7.2008, 6. Die Verordnung ist am 17.12.2009 in Geltung getreten.
19 ABlEU L 199 vom 31.7.2007, 40. Die Verordnung ist am 11.1.2009 in Geltung getreten.
20 In Frage kommen: autonom-nationale, autonom-internationale und richtlinienkonforme
Auslegung.
21 Zu den nationalen Gerichten mit dem OGH als höchster Instanz ist der EuGH hinzuge-
kommen.

20
Die Verordnungen „Rom II“ und „Rom I“ §3

C. Die Verordnungen „Rom II“ und „Rom I“

Neben den Verordnungen des Rates, die nach dem Inkrafttreten des Ver- 3/6
trags von Amsterdam eine gemeinschaftsweite Rechtsvereinheitlichung im
IZVR bewirkt haben22 und dem „Europäischen Übereinkommen über das
auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht – EVÜ“23, das in
Österreich vom 1.12.1998 bis 16.12.2009 in Geltung stand, ist die „Rom
II-Verordnung“ über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse an-
zuwendende Recht“ auf der Grundlage der ex-Art 61 lit c, 65 und 67 Abs 5
EGV24 verabschiedet worden25. Gemeinsam mit der „Rom I-Verordnung“
über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht“ hat
sie das Internationale Schuldrecht in den meisten Mitgliedstaaten26 der Eu-
ropäischen Union wesentlich verändert und zugleich vereinheitlicht. Allein
schon die Tatsache, dass es zwei Verordnungen für zwei eng verwandte The-
menbereiche gibt, die ungleich mehr Vorschriften aufweisen27 als ursprüng-
lich im IPRG dem Internationalen Schuldrecht gewidmet waren und in de-
nen wohl auch dem Gesetzgebungsstil des Common Law, demzufolge dem
Richter wenig Spielraum für schöpferische Rechtsfindung bleiben darf,
Konzessionen gemacht werden musste, wird das Internationale Schuldrecht
allerdings auch erheblich komplizierter28.
Der Vorschlag für eine „Rom II-Verordnung“, die das Statut der außerver- 3/7
traglichen Schuldverhältnisse zum Gegenstand haben sollte, wurde von der
Kommission am 22.7.2003 vorgelegt. An eine rasche Verabschiedung im

22 Dazu Rz 1/6.
23 Da es am 19.6.1980 in Rom zur Zeichnung aufgelegt wurde, auch „Römisches Schuld-
rechtsübereinkommen“.
24 Aus Art 61 lit c EGVergab sich, dass der Rat „zum schrittweisen Aufbau eines Raumes der
Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ Maßnahmen im Bereich der justiziellen Zusam-
menarbeit in Zivilsachen nach Art 65 erlassen kann; Art 65 EGV bestimmte, dass die „Maß-
nahmen im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen mit grenzüberschrei-
tenden Bezügen, die, soweit sie für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes
erforderlich sind, nach Artikel 67 zu treffen sind“, unter anderem „die Förderung der Ver-
einbarkeit der in den Mitgliedstaaten geltenden Kollisionsnormen und Vorschriften zur
Vermeidung von Kompetenzkonflikten“ einschließen. Nach Art 67 Abs 5 EGV „. . . be-
schließt der Rat gemäß dem Verfahren des Artikels 251. . . – die Maßnahmen nach Artikel 65
mit Ausnahme der familienrechtlichen Aspekte.“ Nunmehr Art 67 ff und 81 AEUV.
25 Am 11.7.2007, ABlEU L 199 vom 31.7.2007, 40.
26 Leider nicht in allen; so werden beide Verordnungen nicht in Dänemark in Geltung tre-
ten.
27 Darunter in den „sonstigen Vorschriften“ inhaltlich weitgehend gleichlautende, aber un-
terschiedlich gereihte Normen: vgl Art 19–25 Rom I-VO mit Art 23–28 Rom II-VO.
28 Erschwerend kommt hinzu, dass die Verordnungen nicht alle kollisionsrechtlich rele-
vanten Sachverhalte erfassen, weshalb der österreichische Gesetzgeber mit BGBl I 2009/
109 ergänzende Bestimmungen erlassen musste.

21
§3 Rechtsquellen

Jahr 2005 war gedacht, doch ergaben sich insbesondere in der parlamentari-
schen Arbeit an dem Vorschlag erhebliche Probleme29, die eine Verzöge-
rung des Rechtssetzungsprozesses bewirkten.30 Das Ringen um einen ge-
meinsamen Standpunkt von Europäischem Parlament und Rat ließ
mitunter das Scheitern des Projekts für möglich erscheinen, ehe der Vermitt-
lungsausschuss das Verfahren letztlich erfolgreich beenden konnte, wenn-
gleich mit erheblichen Änderungen und erst im Juli 200731. Nach Veröffent-
lichung ihrer endgültigen Fassung32 wurde der Verordnung (EG) Nr. 864/
2007 die geballte Aufmerksamkeit des kollisionsrechtlichen Schrifttums33
zuteil. Seit dem 11.1.2009 ist die Frage, welches nationale Recht auf „grenz-
überschreitende“, außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwenden ist,
nach der Rom II-Verordnung zu beantworten, wobei der Begriff „außer-
vertragliche Schuldverhältnisse“ als autonomer Begriff verstanden werden
muss, unter den jedenfalls die unerlaubte Handlung einschließlich Gefähr-
dungshaftung, ungerechtfertigte Bereicherung, Geschäftsführung ohne
Auftrag (negotiorum gestio) sowie auch das Verschulden bei Vertragsver-
handlungen (culpa in contrahendo) fallen34.
3/8 Schon im Jänner 2003 hatte die Kommission mit dem „Grünbuch über die
Umwandlung des Übereinkommens von Rom aus dem Jahr 1980 über das
auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht in ein Gemein-
schaftsinstrument sowie über seine Aktualisierung“35 die Weichen für
eine Neuordnung des Internationalen Vertragsrechts gestellt und am
15.12.2005 ist von ihr der „Vorschlag für eine Verordnung des Europä-
ischen Parlaments und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnis
[sic!] anzuwendende Recht (Rom I)“36 vorgelegt worden. Nach der An-

29 Berichterstatterin: Diana Wallis MEP, solicitor.


30 Dazu Posch, The ‚Draft Regulation Rom II‘ in 2004: Its Past and Future Perspectives, 6
YBPIL (2004) 129.
31 Vgl den überaus komplizierten „Werdegang des institutionellen Verfahrens“ in den Pre-
Lex-Suchergebnissen:
http://ec.europa.eu/prelex/detail_dossier_real.cfm?CL=de&DosId=184392.
32 ABlEU L 199 vom 31.7.2007, 40.
33 Erwähnt seien insb die einlässliche Stellungnahme von Heiss/Loacker, Die Vergemein-
schaftung des Kollisionsrechts der außervertraglichen Schuldverhältnisse durch Rom II,
JBl 2007, 613, mit zahlreichen Literaturhinweisen; Ofner, Die Rom II-Verordnung –
Neues Internationales Privatrecht für außervertragliche Schuldverhältnisse in der Euro-
päischen Union, ZfRV 2008, 13; G. Wagner, Die neue Rom II-Verordnung, IPRax 2008,
1; sowie Beig/Graf-Schimek/Grubinger/Schacherreiter, Rom II-VO (2008).
34 Näher zum Inhalt der Rom II-VO: Rz 15/31 ff.
35 KOM(2002) 654 endgültig vom 14.1.2003. Im Grünbuch wurden zwanzig Fragen zur
Reformbedürftigkeit des EVÜ aufgeworfen.
36 KOM(2005) 650 endgültig. Kritische Analysen der Inhalte dieses Dokuments in Ferrari/
Leible (Hrsg.) Ein neues Internationales Vertragsrecht für Europa (2007).

22
Weitere Vorhaben der EU auf dem Gebiet des Internationalen Privatrechts §3

nahme des endgültigen Textes durch den Rat am 5.6.2008 und seiner Veröf-
fentlichung im Amtsblatt der EU am 4.7.200837 ist die „Rom I-Verord-
nung“ gemäß ihrem Art 29 am 17.12.2009 an die Stelle des EVÜ getreten38
und steht seither mit einer Ausnahme in allen Mitgliedstaaten der EU in
Geltung39. Die Ausnahme betrifft Dänemark, das aufgrund einer Sonderre-
gelung im EG-Vertrag nicht an Maßnahmen der justiziellen Zusammenar-
beit in Zivilsachen teilnimmt40, während das Vereinigte Königreich, das
sich ursprünglich an der Rom I-Verordnung nicht beteiligen wollte41, wozu
es aufgrund eines Zusatzprotokolls zum EG-Vertrag berechtigt war, sich
letztlich doch dazu entschlossen hat, den Antrag auf Annahme dieser Ver-
ordnung zu stellen42.

D. Weitere Vorhaben der EU auf dem Gebiet des


Internationalen Privatrechts

Mit den Verordnungen Rom I und Rom II wurde das Potential kollisions- 3/9
rechtlicher Vorhaben im Rechtssetzungsprogramm der EU gleichwohl
noch keineswegs ausgeschöpft. So hat die Kommission schon in ihrer an
den Rat und das Europäische Parlament gerichteten Mitteilung vom
2.6.2004 zum Thema „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts:
Bilanz des Tampere-Programms und Perspektiven“43 einschlägige fami-
lien- und erbrechtliche Themen angesprochen44. Der Vorschlag vom
17.7.2006 für eine „Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung
(EG) Nr. 2201/2003 im Hinblick auf die Zuständigkeit in Ehesachen und
zur Einführung von Vorschriften betreffend das anwendbare Recht in die-
sem Bereich“45 („Rom III“) hatte zwar die grundsätzliche Billigung durch
das Europäische Parlament erfahren46, ist jedoch auf große Widerstände in

37 ABlEU L 177 vom 4.7.2008, 6.


38 Vgl Art 24 Rom I-VO. Für die Anknüpfung aller vor dem 17.12.2009 geschlossenen
internationalen Schuldverträge gilt weiterhin das EVÜ.
39 Zur Rom I-VO, vgl Magnus, Die Rom I-Verordnung, IPRax 2010, 27.
40 Vgl ex-Art 69 EGV.
41 Erwägungsgrund 45.
42 Entscheidung der Kommission vom 22.12.2008 über den Antrag des Vereinigten König-
reichs auf Annahme der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments
und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht
(Rom I), ABlEU L 10 vom 15.1.2009, 22.
43 KOM(2004) 401 endg.
44 Insb in „2.7. Aufbau eines Rechtsraums für Zivil- und Handelssachen zur Erleichterung
der Zusammenarbeit und des Zugangs zum Recht“.
45 KOM(2006) 399 endg.
46 Vgl dazu die Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments vom 21.10.2008,
ABlEU C 15E vom 21.1.2010, 128.

23
§3 Rechtsquellen

einigen Mitgliedstaaten gestoßen47, so dass eine gesamteuropäische Lösung


vorerst als gescheitert angesehen werden muss. Zuletzt hat die Kommis-
sion am 24.3.2010 den Vorschlag einer Verordnung (EU) des Rates zur Be-
gründung einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich des auf die Ehe-
scheidung und Trennung ohne Auflösung des Ehebandes anzuwendenden
Rechts48 präsentiert, an der sich zunächst neben Österreich acht weitere
EU-Mitgliedstaaten beteiligten49. Nach der Entscheidung des EU-Justiz-
ministerrates vom 4.6.2010 waren es schließlich vierzehn Staaten: Belgien,
Bulgarien, Deutschland, Frankreich, Portugal, Spanien, Italien, Malta,
Lettland, Luxemburg, Österreich, Rumänien, Slowenien und Ungarn50,
die künftig nach einheitlichen Regeln entscheiden wollen, welches Recht
aus welchem Mitgliedstaat für die Scheidung gelten wird..
3/10 Deutlich rascher entwickelte sich das Verfahren, dem der „Vorschlag für
eine Verordnung des Rates über die Zuständigkeit und das anwendbare
Recht in Unterhaltssachen, die Anerkennung und Vollstreckung von Un-
terhaltsentscheidungen und die Zusammenarbeit im Bereich der Unter-
haltspflichten“51 zugrunde lag. Es mündete in die „Verordnung (EG)
Nr. 4/2009 des Rates vom 18.12.2008 über die Zuständigkeit, das anwend-
bare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und
die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen“52. Art 15 dieses umfangreichen
Dokuments befasst sich mit der Bestimmung des auf Unterhaltspflichten
anwendbaren Rechts, die demnach ab dem 18.6.201153 nach dem „Haager
Protokoll vom 23.11.2007 über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende
Recht“54 erfolgen soll. Zur Verwirklichung dieses Zieles hat der Rat am
30.11.2009 den Beschluss über den Abschluss dieses Haager Protokolls
durch die Europäische Gemeinschaft gefasst55.
3/11 Unterschiedlich weit sind Projekte zur Vereinheitlichung des IZVR und
des IPR für das Erb- und Testamentsrecht und das Güterrecht gediehen.

47 Kohler; Zur Gestaltung des europäischen Kollisionsrechts für Ehesachen. Der steinige
Weg zu einheitlichen Vorschriften über das anwendbare Recht für Scheidung und Tren-
nung, FamRZ 2008, 1673.
48 KOM(2010) 105 endg/2.
49 Dazu Rz 11/8.
50 Vgl die Presseaussendung des deutschen BMJ vom 4.6.2010.
51 KOM(2005) 649 endg. Von der Kommission vorgelegt am 15.12.2005.
52 ABlEU L 7 vom 10.1.2009, 1.
53 Art 76.
54 Protocol on the Law applicable to Maintenance Obligations = Protocole sur la loi appli-
cable aux obligations alimentaires; deutsche Fassung: Anhang zum Beschluss des Rates
vom 30.11.2009, ABlEU L 331 vom 16.12.2009, 19.
55 ABlEU L 331 vom 16.12.2009, 17. Während sich Irland an diesem Vereinheitlichungs-
projekt beteiligt, haben sich ihm Dänemark und das Vereinigte Königreich verweigert.

24
Weitere Vorhaben der EU auf dem Gebiet des Internationalen Privatrechts §3

Während das das Güterrecht betreffende Projekt über das von der Kom-
mission am 17.7.2006 vorgelegte Grünbuch56 kaum hinaus gekommen ist,
hat die Kommission dem „Grünbuch Erb- und Testamentsrecht“57 am
14.10.2009 den „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parla-
ments und des Rates über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die
Anerkennung und die Vollstreckung von Entscheidungen und öffentlichen
Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nach-
lasszeugnisses“58 folgen lassen. Gegenwärtig59 ist es noch ungewiss, ob,
wann und mit welchem Inhalt diese Verordnungen in Geltung treten wer-
den.

56 Grünbuch zu den Kollisionsnormen im Güterrecht unter besonderer Berücksichtigung


der gerichtlichen Zuständigkeit und der gegenseitigen Anerkennung, KOM(2006) 400
endg.
57 KOM(2005) 65 endg vom 1.3.3005.
58 KOM(2009) 154 endg vom 14.10.2009.
59 Juni 2010; vgl Rz 12/1.

25
§ 4. Das österreichische IPR-Gesetz: Entstehung
und Stellung im System
A. Das IPR des ABGB

4/1 In seiner ursprünglichen Fassung wies das ABGB nur eine rudimentäre
Regelung des Internationalen Privatrechts auf, die auf dem Boden der Sta-
tutentheorie stand. § 34 aF ABGB unterstellte das Personalstatut von
Fremden dem Wohnsitzprinzip, hilfsweise entschied der Geburtsort.
Allerdings bestimmte § 4 aF ABGB, dass für Österreicher der Staatsbür-
gerschaftsgrundsatz gilt und diese (einseitige) Anknüpfung wurde auf Aus-
länder übertragen. Nur unbewegliche Sachen waren nach dem Gesetzes-
wortlaut der lex rei sitae unterworfen, während gemäß § 300 aF ABGB für
bewegliche Sachen der Grundsatz „mobilia ossibus inhaerent“ galt1. Für
Rechtsgeschäfte galt grundsätzlich das Recht des Abschlussortes, doch
hatte das Recht des Wohnsitzstaates des ausländischen Vertragspartners
Vorrang, wenn nach diesem die Gültigkeit des Vertrages gewahrt blieb.
Nur ansatzweise war der Vorrang des allenfalls von den Parteien vereinbar-
ten Rechts anerkannt2. Regeln zum internationalen Familien- und Erbrecht
wies das ABGB in seiner Urfassung nicht auf. Das internationale Familien-
recht war in einigen Hofdekreten geregelt, dem internationalen Erbrecht
wurden sodann im Außerstreitpatent 1854 die §§ 21–25 gewidmet.

B. Reformbemühungen

4/2 Diese unbefriedigende Situation erklärt, warum die Bemühungen um eine


umfassende Neugestaltung des österreichischen IPR bis zur Wende vom
19. zum 20. Jahrhundert zurückreichten. Sie führten 1914 zu dem „Wiener“

1 Dieser Satz wurde später per consuetudinem contra legem modifiziert, indem die Gerichte
auch bewegliche Sachen der lex rei sitae unterwarfen.
2 Vgl §§ 35 ff aF ABGB.

26
Die Gliederung des IPR-Gesetzes §4

oder (nach dem Hauptredaktor3 benannten) „Walker’schen“ Entwurf, der


aber, durch den Ausbruch des Ersten Weltkriegs bedingt, nicht bis zur Ge-
setzwerdung gedieh4. 1941 wurde wenigstens für das internationale Fami-
lienrecht durch die Rezeption deutscher Kollisionsnormen5 in der 4. DV-
EheG eine einigermaßen tragfähige Entscheidungsgrundlage geschaffen.
Erst nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs nahm das österreichische
Bundesministerium für Justiz die Bemühungen um eine Kodifikation des
IPR wieder auf und beauftragte Fritz (Freiherr von) Schwind mit der Ausar-
beitung eines Entwurfs. Der von diesem im Jahre 1970 vorgelegte Text war
als Entwurf eines „Bundesgesetzes über das internationale Privat- und Pro-
zessrecht“ breit angelegt6 und wurde nach ministeriumsinternen Beratungen
im Februar 1978 in massiv geändertem Wortlaut dem Parlament zugeleitet7.
Schließlich wurde das Bundesgesetz über das internationale Privatrecht8,
das sich in seinen Normen auf die Fragen des anwendbaren Rechts, also auf
das IPR ieS beschränkt, am 15.6.1978 vom Nationalrat verabschiedet.

C. Die Gliederung des IPR-Gesetzes

Das IPRG steht in seinem Aufbau als ein „Rechtsanwendungsrecht“, das 4/3
funktional als „ein Recht über Rechten“ anzusehen ist, der konventionel-
len Gliederung des österreichischen materiellen Privatrechts nahe, wobei
es die obsolete Ordnung des ABGB beiseite lässt und im Wesentlichen der
von der Lehre im Anschluss an das Pandektensystem anerkannten Struktu-
rierung folgt. Dies ist naheliegend, da es ja die Tatbestände des österreichi-
schen Sachrechts sind, die den Hintergrund bilden, vor dem sich auch die
Subsumtion der Sachverhalte mit Auslandsberührung vollziehen muss.
Das IPRG war von Beginn an in acht Abschnitte gegliedert und beginnt
mit einem nur elf Paragrafen umfassenden Abschnitt, der mit „Allgemeine
Bestimmungen“ überschrieben ist. Dieser stellt sich nur bedingt als ein all-
gemeiner Teil des österreichischen IPRG im pandektistischen Sinn dar, da
es nicht die, in einem solchen „vor die Klammer gezogenen Themen“ –
Person, Sache, Rechtsgeschäft, Zeitfaktor – sind, die in den Bestimmungen

3 Gustav Walker; von ihm stammt auch das führende Lehrbuch des IPR der Zwischen-
kriegszeit, das eine erstaunliche Zahl von Auflagen erlebte (1. Auflage: 1921, 5. Auflage:
1934).
4 Der Walker’sche Entwurf beeinflusste immerhin das IPR-Gesetz Polens vom 2.8.1926
und jenes der ehemaligen Tschechoslowakei vom 11.3.1948.
5 Diese wurden im Einführungsgesetz zum BGB (EGBGB) festgeschrieben.
6 Mit erläuternden Bemerkungen veröffentlicht in ZfRV 1971, 161.
7 748 BlgNR 14. GP.
8 BGBl 1978/304, in Kraft seit 1.1.1979.

27
§4 Das österreichische IPR-Gesetz: Entstehung und Stellung im System

dieses ersten Abschnitts geregelt werden. Vielmehr finden sich in ihm ne-
ben Vorschriften über Grundsätze und Grundbegriffe des österreichischen
Internationalen Privatrechts, wie „stärkste Beziehung“9, Amtswegigkeit
der Prüfung und Feststellung des maßgeblichen Rechts10, „Rück- und Wei-
terverweisung“11, „ordre public“ (Vorbehaltsklausel)12, „Statutenwech-
sel“13 und einer allgemeinen Regel über die Anknüpfung der Form14 auch
Regeln über das Personalstatut natürlicher und juristischer Personen15 und
die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Rechtswahl16. Diese Bestimmungen
können für jeden Sachverhalt mit Auslandsberührung Bedeutung erlangen.
Den „allgemeinen Bestimmungen“ folgt ein kurzer Abschnitt über das
Personenrecht17, in dem die Anknüpfung der Rechts- und Handlungsfä-
higkeit, der Führung und des Schutzes des Namens, der Todeserklärung
und Beweisführung des Todes, sowie der Voraussetzungen, Wirkungen
und Aufhebung der „Sachwalterschaft“18 geregelt ist. Daran schließt sich
der längere, nunmehr in vier mit A. bis D. bezeichnete Kapitel gegliederte
„Abschnitt 3“ über Familienrecht19, in dem zunächst das Internationale
Eherecht, sodann das mit Wirkung vom 1.7.2001 in einigen Punkten no-
vellierte20 Internationale Kindschaftsrecht und unter der obsoleten Über-
schrift „C. Vormundschafts- und Pflegschaftsrecht“ eine Bestimmung zur
Anknüpfung von kollisionsrechtlichen Fragen, die sich im Zusammenhang
mit der „Obsorge einer anderen Person“21 ergeben, enthalten waren. Seit
1.1.2010 stehen die §§ 27a bis 27d, die unter die Überschrift „D. Partner-
schaftsrecht“ gestellt sind und die kollisionsrechtlichen Fragen von einge-
tragenen Partnerschaften mit Auslandsberührung regeln, in Geltung.
Kurz gehalten sind im IPRG die Abschnitte 4 bis 6, die das Erbrecht,
das Sachenrecht und das Immaterialgüterrecht betreffen22. Von dem das

9 § 1 IPRG.
10 §§ 2–4 IPRG.
11 § 5 IPRG.
12 § 6 IPRG.
13 § 7 IPRG.
14 § 8 IPRG.
15 §§ 9 und 10 IPRG.
16 § 11 IPRG.
17 §§ 12–15 IPRG.
18 Das IPRG verwendet in § 15 noch den obsoleten Terminus „Entmündigung“. Auch
durch die umfassende Neuregelung des Sachwalterrechts durch das SWRÄG, BGBl I
2006/92, hat sich hieran nichts geändert.
19 §§ 16–27 IPRG.
20 Durch BGBl I 2000/135 wurde § 21 IPRG novelliert und § 22 IPRG gestrichen.
21 Vgl die Überschrift des 4. Hauptstücks des ersten Teiles des ABGB idF BGBl I 2000/135.
22 Es müssen jeweils drei Paragraphen für das Erbrecht (§§ 28–30), vier für das Sachenrecht
(§§ 31–33a) und einer für das Immaterialgüterrecht (§ 34) ausreichen.

28
Das IPR-Gesetz im kollisionsrechtlichen System §4

Schuldrecht betreffenden „Abschnitt 7“, der ursprünglich die §§ 35 bis 49


umfasste, bleiben nach dem Geltungsbeginn der Verordnungen Rom I und
II neben einem neu formulierten „Auffangtatbestand für vertragliche
Schuldverhältnisse“ in § 35, einem die „erweiterte Rechtswahl für be-
stimmte Versicherungsverträge“ betreffenden § 35a und einem als „Auf-
fangtatbestand für außervertragliche Schuldverhältnisse“ konzipierten
§ 48 aus dem Urbestand des Jahres 1978 nur mehr § 49 über die „gewill-
kürte Stellvertretung“23. Der letzte Abschnitt des IPRG beinhaltet schließ-
lich Schluss- und Übergangsvorschriften.

D. Das IPR-Gesetz im kollisionsrechtlichen System

Im Gegensatz etwa zur schweizerischen Kodifikation des Kollisionsrechts 4/4


beinhaltet das IPRG nur Regeln über das anwendbare Recht. Das Inter-
nationale Zivilverfahrensrecht sollte dagegen ursprünglich einer weiteren
Kodifikation vorbehalten bleiben, die abgesehen von punktuellen Neue-
rungen durch die ZVN 198324 jedoch nicht zustande kam und durch die
„Europäisierung“ obsolet wurde. Anstelle einer umfassenden Neuord-
nung im autonomen Recht hatte zunächst das im Zusammenhang mit der
Teilnahme Österreichs am EWR übernommene, aber erst am 1.9.1996 in
Kraft getretene LugGVÜ das österreichische IZVR auf eine neue Grund-
lage gestellt. Nunmehr ist der Inhalt des internationalen Zivilverfahrens-
rechts durch europäische Verordnungen vorgegeben25.
Nach der detaillierten Derogationsvorschrift des § 51 IPRG haben alle
(dort angeführten) Bestimmungen, die im IPRG geregelte Gegenstände be-
trafen, vorbehaltlich der in den in § 52 aufgezählten privatrechtlichen Ne-
bengesetzen enthaltenen Kollisionsnormen (zB UrhG, WechselG,
ScheckG) am 1.1.1979 ihre Wirksamkeit verloren. Dennoch ist damit nicht
die intertemporale Frage nach der Anwendung der alten IPR-Vorschriften
bei Geltung des neuen Gesetzes abschließend geregelt worden.
Allgemein gilt die Regel, dass die Normen des IPRG nur Sachverhalte er- 4/5
fassen, die nach seinem Inkrafttreten vollendet worden sind. So wie
nach dem 1.1.1979 ein vor dem Inkrafttreten des IPRG abgeschlossener

23 Vgl Bundesgesetz mit dem das IPR-Gesetz, das Versicherungsaufsichtsgesetz sowie das
Verkehrsopferentschädigungsgesetz geändert werden und das Bundesgesetz über inter-
nationales Versicherungsvertragsrecht für den Europäischen Wirtschaftsraum aufgeho-
ben wird, BGBl I 2009/109.
24 ZB § 28 JN: Ordination.
25 Dazu Rz 1/6, 1/7.

29
§4 Das österreichische IPR-Gesetz: Entstehung und Stellung im System

Vertrag nach wie vor entsprechend den Bestimmungen der §§ 35 ff aF


ABGB anzuknüpfen war, blieb nach dem Inkrafttreten des EVÜ das inter-
nationale Schuldrecht des IPRG, also § 35 aF und die aufgehobenen §§ 36
bis 45 IPRG, auf vor dem 1.12.1998 geschlossene Verträge anwendbar26
und dass nur solche schuldrechtlichen Verträge, die ab dem 17.12.2009 ge-
schlossen werden, nach der Rom I-Verordnung anzuknüpfen sind, be-
stimmt deren Art 28, während Art 31 der Rom II-Verordnung Analoges
für „schadensbegründende Ereignisse“ anordnet.
§ 53 Abs 1 IPRG räumt den Bestimmungen zwischenstaatlicher Verein-
barungen als leges speciales den Vorrang vor den autonomen Kollisions-
normen des IPRG ein27.

E. Das österreichische IPR unter dem Einfluss des


Europarechts

4/6 Das autonome österreichische IPR wurde bereits in wesentlichen Teilbe-


reichen durch Verordnungen des Europäischen Parlaments und des Rates
ersetzt und wird in naher Zukunft noch weiteren europäischen Verord-
nungen weichen müssen28. So wird ein Prozess fortgesetzt, der seit der
Aufnahme des Landes in die Europäische Union wirksam war und Öster-
reich unmittelbar durch Gemeinschaftsrechtsakte kollisionsrechtlichen
Inhalts – wie etwa das EVÜ – und mittelbar durch die Konsequenzen des
Binnenmarkts betroffen hat.
Da das Europäische Gemeinschaftsrecht in den letzten Jahren mit un-
terschiedlichen Instrumenten – völkerrechtlichen Verträgen und gemein-
schaftsrechtlichen Verordnungen sowie Richtlinien – meist bloß punktuell
und insgesamt unkoordiniert kollisionsrechtliche Regeln produziert hat,
ist eine Entwicklung in Gang gekommen, die man als „Atomisierung des
Internationalen Privatrechts“ kritisieren kann, hat sie doch zu einer Zer-

26 § 50 Abs 2 IPRG idF BGBl I 1999/18.


27 Einschlägige multilaterale zwischenstaatliche Vereinbarungen sind: Haager Unterhalts-
statutsübereinkommen, BGBl 1961/293; Haager Testamentsübereinkommen, BGBl
1963/295; Haager Straßenverkehrsübereinkommen, BGBl 1975/387; Haager Minderjäh-
rigenschutzübereinkommen, BGBl 1975/446; CIEC-Übereinkommen über die Legiti-
mation durch nachfolgende Ehe, BGBl 1976/102.
Bilaterale zwischenstaatliche Vereinbarungen iSd § 53 IPRG sind: Österreichisch-deut-
sches Vormundschaftsabkommen, BGBl 1927/269; Österreichisch-jugoslawischer
Rechtshilfevertrag, BGBl 1955/224; Österreichisch-iranischer Freundschafts- und Nie-
derlassungsvertrag, BGBl 1966/45; Österreichisch-ungarischer Nachlaßvertrag, BGBl
1967/306; Österreichisch-polnischer Rechtshilfevertrag, BGBl 1974/79.
28 Dazu ab Rz 3/6.

30
Das österreichische IPR unter dem Einfluss des Europarechts §4

splitterung und wachsenden Unübersichtlichkeit des IPR geführt. Die


Kompetenz der Gemeinschaftsorgane zur Rechtsangleichung auf diesem
Gebiet war allerdings gemäß Art 293 EGV anfänglich auf völkervertrags-
rechtliche Regelungen im Internationalen Zivilverfahrensrecht beschränkt.
Erst durch den Amsterdamer Vertrag ist die Zuständigkeit der Brüsseler
Rechtssetzungsorgane für die Erlassung einschlägiger Maßnahmen – Ver-
ordnungen oder auch Richtlinien – im primären Gemeinschaftsrecht vor-
gesehen worden29.
Wie sehr aber auch die Durchsetzung der Grundfreiheiten das nationale 4/7
IPR der Mitgliedstaaten tangiert, vermögen insbesondere das berühmt-be-
rüchtigte „Centros-Urteil“30 des EuGH und die sich daran anschließende
Folgejudikatur31 darzutun. Dadurch wird den Gesellschaften, die in einem
Mitgliedstaat gegründet wurden, unter Berufung auf die Niederlassungs-
freiheit gemäß Art 43 EG das Recht eingeräumt, Filialen oder Tochternie-
derlassungen in einem anderen Mitgliedstaaten selbst dann unter der Firma
der gegründeten Gesellschaft eintragen zu lassen, wenn im Gründungsland
keine Geschäftstätigkeit eröffnet wurde. Da das in Centros erzielte Ergeb-
nis dazu einlädt, Gesellschaften in einem Mitgliedstaat zu gründen, der ge-
ringe Anforderungen an Mindestkapital oder Gläubigerschutz vorsieht,
hat diese Entscheidung seither zu zahlreichen „Briefkastenfirmen“ in
Form von private limited companies im Vereinigten Königreich geführt,
wo auch schon – wie in Centros – ein nicht eingezahltes Grundkapital in
Höhe von £ 100 genügt.
Seit einiger Zeit gibt es zudem eine Reihe von Richtlinien, die Kolli- 4/8
sionsrecht beinhalten. So fanden sich insbesondere in den Richtlinien zur
Koordinierung der versicherungsrechtlichen Vorschriften einzelne kol-
lisionsrechtliche Anordnungen32 und ebenso in verbraucherrechtlichen

29 Diese Kompetenzregelung fand zunächst in den Verordnungen „Brüssel I“ und „Brüssel


II“ (s Rz 1/6 und 1/7) Niederschlag.
30 EuGH 9.3.1999, Rs C-212/97, Slg 1999 I-1459; dazu und zur österreichischen Folgeju-
dikatur vgl Lurger, „Centros revisited“: Die österreichische Sitztheorie und die Nieder-
lassungsfreiheit des EG-Vertrages, IPRax 2001, 346.
31 EuGH 5.11.2002, Rs C-208/00, Slg 2002 I-9919 – Überseering; 30.9.2003, Rs C-167/01,
Slg 2003 I-10155 – Inspire Art; 13.12.2005, Rs C-411/03, Slg 2005 I-10805 – SEVIC Sys-
tems AG; zuletzt: 16.12.2008, Rs C-210/06 – Cartesio, Slg 2008 I-9641.
32 Vgl 2. Richtlinie 88/357/EWG des Rates vom 22.6.1988 zur Koordinierung der Rechts-
und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (mit Ausnahme der Lebensver-
sicherung) und zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleis-
tungsverkehrs sowie zur Änderung der Richtlinie 73/239/EWG, ABlEG L 172 vom
4.7.1988, 1, insb Art 7, 8; Richtlinie 90/618/EWG des Rates vom 8.11.1990 zur Ände-
rung der Richtlinie 73/239/EWG und der Richtlinie 88/357/EWG zur Koordinierung
der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (mit Ausnahme

31
§4 Das österreichische IPR-Gesetz: Entstehung und Stellung im System

Richtlinien33. Wie das Urteil in „Ingmar“34 zu demonstrieren vermag,


haben schließlich auch Vorschriften in Richtlinien, die an sich nicht als kol-
lisionsrechtlich zu qualifizieren sind35, dem EuGH Anlass geboten, Aussa-
gen zu treffen, die das IPR der Mitgliedstaaten massiv tangieren.
Das erklärt, warum die Rechtslage im österreichischen IPR sehr hete-
rogen geworden ist. Es sind eben nicht nur die Bestimmungen der Verord-
nungen Rom I und II an die Stelle des internationalen Schuldvertragsrechts
der §§ 35 bis 48 IPRG getreten. Es verbleiben einige „Auffangtatbestände“,
die durch BGBl I 2009/10936 geschaffen werden mussten und zudem bil-
den auch noch vereinzelte Kollisionsnormen im Konsumentenschutzge-
setz, Teilzeitnutzungsgesetz und E-Commerce-Gesetz einen erheblichen
Teil des gegenwärtig in Österreich geltenden Internationalen Privat-
rechts37. Mit den im Laufe des Jahres 2009 auf dem Gebiet des Internatio-
nalen Schuldrechts in Geltung getretenen zwei Europäischen Verordnun-
gen wurde eine neue Phase der Europäisierung des Kollisionsrechts
eingeläutet, deren Dimension noch nicht absehbar ist.

der Lebensversicherung). . ., ABlEG L 330 vom 29.11.1990, 44, insb Art 4. Vgl nunmehr
Art 7 Rom I-VO, der die komplizierte Regelung des internationalen Versicherungsrechts
weitgehend ersetzt. Konsequenterweise ist das Bundesgesetz über internationales Versi-
cherungsvertragsrecht für den Europäischen Wirtschaftsraum durch Art 4 des Bundes-
gesetzes, BGBl I 2009/109mit Ablauf des 16.12.2009 aufgehoben worden.
33 Vgl Richtlinie 93/13/EWG des Rates über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherver-
trägen, ABlEG L 95 vom 21.4.1993, 29, Art 6; Richtlinie 94/47/EG des Europäischen
Parlaments und des Rates zum Schutz der Erwerber im Hinblick auf bestimmte Aspekte
von Verträgen über den Erwerb von Teilzeitnutzungsrechten an Immobilien, ABlEG L
280 vom 29.10.1994, 83, Art 6; Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des
Rates über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz, ABlEG L 144
vom 4.6.1997, 19, Art 12.
34 EuGH 9.11.2000, Rs C-381/98, Slg 2000 I-9305; dazu Nemeth/Rudisch, EuGH
9.11.2000 Rs C-381/98 „Ingmar“ – wichtige Klärungen im europäischen IPR, ZfRV
2001, 179.
35 Konkret ging es um den zwingenden Charakter der Art 17 f der Richtlinie 86/653/EWG
des Rates zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die
selbständigen Handelsvertreter, ABlEG L 382 vom 31.12.1986, 17, im Verhältnis zu
einem Drittland.
36 Die Verordnungen Rom I und II haben Änderungen des IPRG, des Versicherungsauf-
sichtsgesetzes sowie des Verkehrsopferentschädigungsgesetzes und die Aufhebung des
Bundesgesetzes über das internationale Versicherungsvertragsrecht für den Europä-
ischen Wirtschaftsrecht notwendig gemacht, die in BGBl I 2009/109 festgeschrieben
wurden.
37 Das Verhältnis der Kollisionsnormen in den Richtlinien zum Versicherungs- und Ver-
braucherrecht zu den Bestimmungen der Rom I-VO ist nicht gänzlich klar. Nach ihrem
Art 23 berührt die Verordnung „mit Ausnahme von Art 7“, der die Versicherungsver-
träge betrifft, „nicht die Anwendung von Vorschriften des Gemeinschaftsrechts, die in
besonderen Bereichen Kollisionsnormen für vertragliche Schuldverhältnisse enthalten“.

32
§ 5. Weiterführende Literatur und Zeitschriften
I. Zum österreichischen und europäischen IPR

Beig/Graf-Schimek/Grubinger/Schacherreiter, Rom II-VO (2008) 5/1


Czernich/Heiss, EVÜ. Das Europäische Schuldvertragsübereinkommen.
Kommentar (1999)
Duchek/Schwind (Hrsg), Internationales Privatrecht (1979)
Nademleinsky/Neumayr, Internationales Familienrecht (2007)
Reichelt (Hrsg), Europäisches Gemeinschaftsrecht und IPR – Ein Beitrag
zur Kodifikation der allgemeinen Grundsätze des Europäischen Kolli-
sionsrechtes (2007)
Schwimann, Internationales Privatrecht3 (2001)
Schwimann, Grundriß des internationalen Privatrechts. Mit besonderer
Berücksichtigung der IPR-Staatsverträge (1982)
Schwind, Internationales Privatrecht (1990)
Verschraegen, Internationales Privatrecht. Studienbuch (2010)
Verschraegen/Schwimann in Rummel (Hrsg), ABGB Kommentar II/63:
IPRG, EVÜ (2004).

II. Zum deutschen und europäischen IPR

von Bar, Internationales Privatrecht, Bd II: Besonderer Teil (2006) 5/2


von Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht, Bd I: Allgemeine Leh-
ren2 (2003)
Hay, Internationales Privat- und Zivilverfahrensrecht3 (2007)
von Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht9 (2007)
Hohloch in Westermann (Hrsg), Erman. BGB Handkommentar II12,
Art 1 ff EGBGB (2008)
Hüßtege, Internationales Privatrecht4 (2005)
Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht9 (2004)
Koch/Magnus/Mohrenfels, IPR und Rechtsvergleichung4 (2009)

33
§5 Weiterführende Literatur und Zeitschriften

Kropholler, Internationales Privatrecht6 (2006)


Rauscher, Internationales Privatrecht3 (2009)
Reithmann/Martiny (Hrsg), Internationales Vertragsrecht7 (2010)
Siehr, Internationales Privatrecht (2001)
Sonnenberger, Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch5,
Bd. X: IPR, VO Rom I, VO Rom II, Art 1–24 EGBGB (2010).

III. Zum schweizerischen IPR

5/3 Bucher/Bonomi, Droit international privé2 (2004)


Dutoit, Droit international privé suisse4 (2005)
Girsberger ua, Zürcher Kommentar zum IPRG2 (2004)
Heini/Keller/Siehr/Vischer/Volken, Kommentar zum Bundesgesetz über
das Internationale Privatrecht (1993)
Honsell (Hrsg), Internationales Privatrecht2 (2007)
Keller/Siehr, Allgemeine Lehren des internationalen Privatrechts (1986)
Schnyder/Liatowitsch, Internationales Privat- und Zivilverfahrensrecht2
(2006)
Schwander, Einführung in das internationale Privatrecht. Allgemeiner Teil3
(2000), Besonderer Teil2 (1998)
Siehr, Das internationale Privatrecht der Schweiz (2002).

IV. Zum Einheitsprivatrecht einschließlich der


Europäischen Rechtsangleichung

5/4 Eiden, Die Rechtsangleichung gemäß Art 100 des EWG-Vertrages (1984)
Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft
(1999)
Kropholler, Internationales Einheitsrecht – Allgemeine Lehren (1975)
Max-Planck-Institut für Ausländisches und Internationales Privatrecht
(Hrsg), RabelsZ 1986, Heft 1/2
Marx, Funktion und Grenzen der Rechtsangleichung nach Art 100 EWG-
Vertrag (1976)
Müller-Graff (Hrsg), Gemeinsames Privatrecht in der Europäischen Ge-
meinschaft2 (1999)
Müller-Graff, Privatrecht und Europäisches Gemeinschaftsrecht: Gemein-
schaftsprivatrecht2 (1991)
Riedl, Vereinheitlichung des Privatrechts in Europa (2004)

34
Zeitschriften §5

Schmeder, Die Rechtsangleichung als Integrationsmittel der Europäischen


Gemeinschaft (1978)
Schulte-Nölke/Schulze, Europäische Rechtsangleichung und nationale Pri-
vatrechte (1999)
Seidel, Rechtsangleichung und Rechtsgestaltung in der Europäischen Ge-
meinschaft (1990)
Taupitz, Europäische Privatrechtsvereinheitlichung heute und morgen
(1993).

V. Textausgaben

Borić, Internationales Privatrecht und Zivilverfahrensrecht5 (2010) 5/5


Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht (Lo-
seblatt, ab 1976)
Ferid/Firsching/Dörner/Hausmann, Internationales Erbrecht (Loseblatt,
ab 1955)
Jayme/Hausmann (Hrsg), Internationales Privat- und Verfahrensrecht14
(2009)
Kaller, Internationales Privatrecht (2009)
Kropholler/Krüger/Riering/Samtleben/Siehr (Hrsg), Außereuropäische
IPR-Gesetze (1999)
Magnus (Hrsg), Europäisches Schuldrecht (2002)
Riering (Hrsg), IPR-Gesetze in Europa (1997)
Wiggers (Hrsg), International Commercial Law – Source Materials (2001).

VI. Zeitschriften

Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht, EWS (D) 5/6


Praxis des internationalen Privat- und Verfahrensrechts, IPRax (D)
Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht, Ra-
belsZ (D)
Recht der internationalen Wirtschaft, RIW (D)
Zeitschrift für Europäisches Privatrecht, ZEuP (D)
Zeitschrift für Europarecht, internationales Privatrecht und Rechtsverglei-
chung, ZfRV (A)
Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft, ZVglRWiss (D).

35
§ 6. Die kollisionsrechtliche Beurteilung
A. Der Vorgang im Allgemeinen

6/1 Jeder Sachverhalt, der Bezüge zu mehr als einem Staat aufweist, muss einer
umfassenden kollisionsrechtlichen Prüfung unterzogen werden. Dabei
muss, wie erwähnt1, zunächst und noch vor der Frage, welches Recht an-
wendbar ist, geklärt werden, ob überhaupt internationale Zuständigkeit
gegeben ist. Anschließend ist der zu entscheidende rechtliche Sachverhalt
mit Auslandsberührung nach den Regeln des Internationalen Privatrechts
des Forumstaates mit dem Ziel zu prüfen, das maßgebende materielle
Recht oder „Sachrecht“ zu eruieren bzw festzustellen, an welches von
mehreren in Frage kommenden materiellen Rechten der Sachverhalt „an-
zuknüpfen“ ist. Unter dem Begriff „materielles Recht“ wird dabei das ge-
samte Privatrecht verstanden, das in Österreich in den Vorschriften des
ABGB, UGB und den zahlreichen privatrechtlichen Nebengesetzen nie-
dergelegt ist. Es sind die Regeln des Sachrechts, die Antworten darauf bie-
ten, wie strittige Rechtsfragen inhaltlich zu lösen sind.
6/2 Bei der Prüfung des anwendbaren Rechts hat das in Österreich interna-
tional zuständige Gericht die Frage des auf den Sachverhalt anzuwenden-
den Rechts auf der Grundlage der Regeln des österreichischen Internatio-
nalen Privatrechts zu klären, das heißt, primär nach dem Gesetz über das
Internationale Privatrecht (IPRG) vom 15.6.19782. Wo die Frage des an-
wendbaren Rechts den Gegenstand eines von Österreich ratifizierten,
internationalen Abkommens bildet, hat dieses nach § 53 IPRG Vorrang ge-
genüber dem IPRG. Gänzlich verdrängt wurden die Bestimmungen des
IPRG jedoch durch gemeinschaftsrechtliche Verordnungen, die zunächst
einmal das Internationale Schuldrecht – leider nicht lückenlos – europaweit
vereinheitlichen und in den Mitgliedstaaten unmittelbar anwendbaren Re-
geln unterworfen haben.

1 Vgl Rz 1/4.
2 Zuletzt geändert durch BGBl I 2009/135.

36
Die Kollisionsnorm: Besonderheiten und Arten §6

Somit ergibt sich bei der Entscheidungsfindung durch ein österreichisches 6/3
Gericht bei privatrechtlichen Sachverhalten mit Auslandsberührung fol-
gender Ablauf: Das angerufene Gericht hat, nachdem es die Frage, ob es
für den gegenständlichen Fall überhaupt international zuständig ist, bejaht
und auch die Unanwendbarkeit von vereinheitlichtem Sachrecht festge-
stellt hat, zu prüfen, welches Recht auf den betreffenden Sachverhalt anzu-
wenden ist. Diese Prüfung muss auf der Grundlage des IPRG erfolgen, so-
weit dieses noch anwendbar ist. Für die Anknüpfung außervertraglicher
Schuldverhältnisse, die nach dem 11.1.2009 entstanden sind bzw entste-
hen, ist grundsätzlich die Rom II-Verordnung und für vertragliche Schuld-
verhältnisse, die am 17.12.2009 und danach begründet wurden bzw wer-
den, die Rom I-Verordnung heranzuziehen, doch sind die durch BGBl I
2009/109 in das IPRG eingeführten „Auffangtatbestände“ für vertragliche
und außervertragliche Schuldverhältnisse, die nicht in den jeweiligen An-
wendungsbereich dieser Verordnungen fallen, zu beachten3. Allenfalls
können auch noch andere autonome Kollisionsnormen (wie zB § 13a
KSchG, § 11 TNG, §§ 20 ff ECG usw) sowie die von Österreich ratifizier-
ten Haager und CIEC-Übereinkommen international-privatrechtlichen
Inhalts relevant sein. Wegen der spezifischen Funktion und des eigentüm-
lichen Aufbaus von Kollisionsnormen müssen bei diesem Vorgang beson-
dere Aspekte beachtet werden.

B. Die Kollisionsnorm: Besonderheiten und Arten

Das IPR im engeren Sinn besteht aus Kollisionsnormen4, deren Funktion 6/4
es ist, aus mehreren von einem Sachverhalt „berührten“ Rechtsordnungen
das in concreto anzuwendende Sachrecht zu ermitteln. Die Struktur dieser
Normen unterscheidet sich wesentlich von den „Sachnormen“ des materi-
ellen Privatrechts, für welche die Verknüpfung von Tatbestand und Rechts-
folge charakteristisch ist und bei denen der als „Subsumtion“ bezeichnete
Vorgang die Verbindung von konkretem Sachverhalt und abstrakter
Norm herstellt, was zur Lösung der Rechtsfrage führt. Hingegen wird die
Antwort auf die Frage, was in einem Streitfall rechtens ist, von der Kolli-
sionsnorm nicht gegeben. Sie beantwortet nur, nach welchem Recht ein
Sachverhalt zu beurteilen ist. Dabei ergibt die Kombination von Verwei-

3 § 35 IPRG für vertragliche Schuldverhältnisse, § 48 IPRG für außervertragliche Schuld-


verhältnisse; sowie § 35a IPRG, der für bestimmte Versicherungsverträge eine erweiterte
Rechtswahl vorsieht.
4 Auch „Verweisungsnormen“ oder „Anknüpfungsnormen“.

37
§6 Die kollisionsrechtliche Beurteilung

sungsbegriff bzw Anknüpfungsgegenstand und Anknüpfungsmoment


oder Anknüpfungspunkt das verwiesene Recht. Auf dieses Ergebnis be-
schränkt sich die kollisionsrechtliche Subsumtion.
Mit dem Verweisungsbegriff wird jene privatrechtliche Rechtsmaterie
allgemein und anhand von – im IPRG vornehmlich weit gefassten – Sys-
tembegriffen bezeichnet, für welche die jeweilige Norm die Frage des an-
wendbaren Rechts klärt: zB in § 18 IPRG für die „persönlichen Rechtswir-
kungen der Ehe“, oder in § 28 IPRG für die „Rechtsnachfolge von Todes
wegen“. Das Anknüpfungsmoment definiert die Kriterien für die engste
Beziehung zum anzuwendenden Recht; das ist in § 18 IPRG primär die
Staatszugehörigkeit und ergänzend der gewöhnliche Aufenthalt; in § 28
IPRG das Personalstatut (also in der Regel die Staatszugehörigkeit) des
Erblassers im Zeitpunkt seines Todes. Das Recht; auf das das Anknüp-
fungsmoment verweist, ist dann das für die rechtliche Beurteilung maßgeb-
liche „Statut“.
6/5 Diese Struktur besteht jedoch nur bei den „selbstständigen Kollisionsnor-
men“, die sich im IPRG vor allem in den Abschnitten 2 bis 6 finden und
durch „unselbstständige Kollisionsnormen“ oder Hilfsnormen ergänzt
werden. Während letztere oft nur die Funktion haben, einen Begriff, wie
zB „Personalstatut einer natürlichen Person“, zu definieren5, sind die
selbstständigen Kollisionsnormen im IPRG regelmäßig als „allseitige
Normen“ ausgeformt. Darunter ist zu verstehen, dass die Norm so formu-
liert ist, dass sie sowohl fremdes als auch eigenes Recht als maßgebend be-
stimmen kann6, während die noch vereinzelt vorgesehenen einseitigen
Kollisionsnormen nur Sachverhalte regeln, für die das eigene Recht maß-
gebend ist7. Schließlich stellen die Exklusivnormen eine eigene Kategorie
dar. Diese verschaffen dem eigenen Recht aus praktischen Gründen8 oder
im Dienste von Ordnungsinteressen9 vorrangige Anwendung.
6/6 Eine Kollisionsnorm kann, wenn sie fremdes Recht als maßgebend aus-
weist, sogleich zur Anwendung des Sachrechts führen, sie kann aber in-
sofern bedingt sein, als sie die Anwendung des verwiesenen Rechts davon
abhängig macht, dass dessen IPR die Verweisung annimmt. Die erste Ver-
weisungsform wird als Sachnormverweisung bezeichnet und ist im IPRG

5 Vgl § 9 IPRG.
6 Hier wird stets „das Recht des Staates“, das durch den Anknüpfungsmoment als maßge-
bend bestimmt wird, angesprochen.
7 Vgl § 28 IPRG.
8 Etwa weil die konkrete Norm des an sich berufenen Rechts nicht ermittelt werden kann
(§ 4 Abs 2 IPRG) oder gegen die inländische „öffentliche Ordnung“ verstößt (§ 6 IPRG).
9 Vgl § 16 Abs 1 IPRG: Eheschließungsform im Inland.

38
Rechtliche Einordnung (Qualifikation) §6

die Ausnahme10, in den gemeinschaftsrechtlichen Verordnungen Rom I


und Rom II hingegen die Regel11. Die vom IPRG bevorzugte bedingte
Verweisungsform heißt Gesamtverweisung12, weil sie auf die gesamte aus
Sachrecht und IPR bestehende fremde Rechtsordnung verweist und in
Kauf nimmt, dass das fremde IPR gegebenenfalls die Verweisung nicht an-
nimmt und auf die Rechtsordnung des Forums zurück oder auf eine dritte
Rechtsordnung weiter verweist. In jedem Fall muss der Rechtsanwender
bemüht sein, den kollisionsrechtlichen Sachverhalt der passenden Kolli-
sionsnorm des eigenen und gegebenenfalls auch des fremden IPR zuzuord-
nen, um zur anzuwendenden Bestimmung des eigenen oder fremden Sach-
rechts zu gelangen. Dieser Vorgang wird als „Qualifikation“ bezeichnet.

C. Rechtliche Einordnung (Qualifikation)

In den allgemeinen Bestimmungen des ersten Abschnitts des IPRG fehlt es 6/7
an einer Anordnung, wie mit dem Problem der „Qualifikation“, das in der
Kollisionsrechtswissenschaft als eines der schwierigsten Probleme gilt, um-
zugehen sei. Unter diesem Begriff versteht man die rechtliche Ein-
ordnung konkreter Sachverhalte mit Auslandsberührung oder von Teilen
solcher Sachverhalte in die zwangsläufig weit gefassten und häufig un-
scharfen Kategorien der Verweisungsbegriffe der kollisionsrechtlichen Tat-
bestände13. Es geht um die Klassifizierung14 eines Sachverhalts nach der
Systematik eines vorgegebenen Rechtssystems mit dem Ziel, den auf den
konkreten Sachverhalt passenden Tatbestand und damit die maßgebliche
Kollisionsnorm aufzufinden.
Hierbei können sich in der Praxis schwierige Fragen ergeben, zB:
· Ist ein Anspruch auf Schadenersatz wegen Verlöbnisbruches kollisions-
rechtlich nach den Vorschriften des internationalen Familienrechts oder
nach schadenersatzrechtlichen Verweisungsnormen zu beurteilen?

10 So war im heute aufgehobenen § 46 IPRG für die Anknüpfung der „Bereicherungsan-


sprüche“ eine Sachnormverweisung vorgesehen.
11 Art 20 Rom I-VO und Art 24 Rom II-VO.
12 Vgl § 5 IPRG.
13 Man denke an Verweisungsbegriffe wie: „Voraussetzungen der Eheschließung“, „Form
der Eheschließung“, „persönliche Rechtswirkungen der Ehe“, „Ehescheidung“, „Legiti-
mation“, „Verträge über die Benützung unbeweglicher Sachen“, „Verbraucherverträge“,
„Bereicherungsansprüche“ udgl.
14 Im Englischen ist „classification“ der Fachterminus.

39
§6 Die kollisionsrechtliche Beurteilung

· Ist ein Fruchtgenussrecht der Eltern am Kindesvermögen unter die fa-


milienrechtlichen oder unter die sachenrechtlichen Kollisionsnormen
zu subsumieren?
· Sind für die Bestimmung des Rechts, das auf ein Treuhandverhältnis mit
Elementen der Schenkung auf den Todesfall anzuwenden ist, erbrechtli-
che oder schuldrechtliche Verweisungsnormen heranzuziehen15?
· Fällt das, dem österreichischen Recht unbekannte Verbot des Abschlus-
ses von Kaufverträgen unter Ehegatten unter das Ehegüterrechtsstatut,
das Ehewirkungsstatut oder unter das Schuldstatut?
6/8 Um die jeweils passende, zum richtigen Anknüpfungsergebnis führende
Kollisionsnorm identifizieren zu können, bedarf es der Auslegung der
kollisionsrechtlichen Tatbestände, deren Inhalt beschrieben und definiert
werden muss. Die Kollisionsnormen sind nicht wie Sachnormen durch die
Verknüpfung von Tatbestand und (materiellrechtlicher) Rechtsfolge ge-
prägt, sondern beinhalten ein auf den jeweiligen Verweisungsbegriff abge-
stelltes Anknüpfungsmoment, das auf das maßgebende Recht weist und
das bei unrichtiger Subsumtion eines Sachverhalts mit Auslandsberührung
zu einem falschen Ergebnis führen kann bzw muss. Das spezifische Quali-
fikationsproblem besteht nun darin, dass kollisionsrechtliche Tatbestände
stets auf „internationale“ Sachverhalte anzuwenden sind und diese von
den jeweils betroffenen Rechtsordnungen kollisionsrechtlich wie sach-
rechtlich unterschiedlich eingeordnet sein können. Bei der Verweisung auf
fremdes Recht ergeben sich denn auch regelmäßig Schwierigkeiten, die ihre
Ursache in einem anderen Begriffsverständnis oder in einer abweichenden
Systematik des fremden Sachrechts haben. Stets muss deshalb geklärt wer-
den, welche Rechtsordnung – die des Gerichtsorts oder die des verwiese-
nen Staates – mit ihren Systembegriffen in concreto die Einordnung be-
stimmt16.
Es leuchtet ein, dass ein Rechtsbegriff (zunächst) allein nach den syste-
matischen und inhaltlichen Kategorien jeweils jener Rechtsordnung zu
verstehen und auszulegen ist, die ihn normativ verwendet. Dabei ist im
Zweifel davon auszugehen, dass sich der Inhalt kollisionsrechtlicher Tat-
bestandsbegriffe mit jenem gleichnamiger Begriffe des materiellen Rechts
(das heißt, der „Sachnormen“) derselben Rechtsordnung deckt17, wobei es

15 Vgl OGH ZfRV 1989, 51 (Zemen).


16 Um zu entscheiden, welches Recht anzuwenden ist, muss somit rechtlich eingeordnet,
bzw „qualifiziert“, werden. Für die rechtliche Einordnung („Qualifikation“) kommt es
darauf an, welches Recht anzuwenden ist. Dies wirft die Frage auf, ob ein Zirkelschluss
vorliegt.
17 Klassisch – doch leider nicht immer so einfach vorgegeben – ist die anknüpfungsmäßige
Trennung zwischen dem schuldrechtlichen Titel und dem sachenrechtlichen Modus.

40
Rechtliche Einordnung (Qualifikation) §6

für den Rechtsanwender sehr hilfreich sein kann, wenn ihm das IPR mit
Legaldefinitionen zur Hand geht. Eine nationale Kodifikation des Kol-
lisionsrechts wird dabei die Terminologie und auch die Systematik ihres
jeweiligen Sachrechts voraussetzen können und auf diese abstellen. Kolli-
sionsnormen in Staatsverträgen können dies naturgemäß nicht. Qualifika-
tionsfragen, die sich im Zusammenhang mit staatsvertraglichen Kollisions-
normen stellen, sind daher staatsvertragsautonom nach Wortlaut, Zweck
und Entstehungsgeschichte des betreffenden Vertragswerkes zu lösen.
Diese Aufgabe wird allenthalben dadurch erleichtert, dass in kolli-
sionsrechtlichen Staatsverträgen nicht selten Präzisierungen von Verwei-
sungsbegriffen aufgenommen werden18. Analoges gilt von den Verwei-
sungsbegriffen in den europäischen Verordnungen zum Internationalen
Schuldrecht.
Auf der Suche nach der richtigen Methode der Qualifikation sind mehrere 6/9
Theorien entwickelt worden: So soll nach einer Theorie (Bartin) die Qualifi-
kation stets nach dem Sachrecht der lex fori erfolgen, was immer dann nicht
zielführend ist, wenn das verwiesene Sachrecht unterschiedliche Systembe-
griffe aufweist. Nach einem anderen, logisch schwer nachvollziehbaren und
Normenwidersprüche geradezu provozierenden Vorschlag (M. Wolff) sollte
die Qualifikation nach dem berufenen fremden Sachrecht vorgenommen
werden. Eine dritte, von dem bedeutenden Komparativisten Ernst Rabel
entworfene Theorie will die Qualifikation mit Hilfe der Rechtsvergleichung
nach internationalen Begriffstandards „autonom“ vornehmen.
Die in Österreich nach wie vor herrschende und im Regelfall auch noch
immer brauchbare Arbeitshypothese stammt von den Vertretern der soge-
nannten „(Zwei-) Stufenqualifikation“ (Anzilotti, Schnitzer, Scheucher).
Sie gehen von einer Qualifikation ersten und zweiten Grades19 aus: Da jede
kollisionsrechtliche Beurteilung vom IPR des jeweiligen Gerichtsortes (der
lex fori) ihren Ausgang nehmen müsse, gelte es, den konkreten Sachverhalt
zunächst nach den Systembegriffen dieser Rechtsordnung zu klassifizieren
und einzuordnen20. Anhand dieser Einordnung (= Qualifikation ersten
Grades) finde man die konkret anzuwendende IPR-Vorschrift des Ge-
richtsortes, wobei hier genauso wie bei der Auslegung des eigenen Sach-
rechtes nicht schematisch vorgegangen werden dürfe, sondern stets nach
den Regelungszwecken der betreffenden (Kollisions-)Norm zu fragen sei21.

18 Vgl die ausdrückliche Umschreibung des Verweisungsbegriffes „Form letztwilliger Ver-


fügungen“ in Art 5 des Haager Testamentsübereinkommens, BGBl 1963/295.
19 Auch „primäre“ und „sekundäre Qualifikation“.
20 Vgl OGH ZfRV 1991, 393/22.
21 Vgl §§ 6, 7 ABGB, § 1 Abs 1 IPRG.

41
§6 Die kollisionsrechtliche Beurteilung

Wenn als Folge der „Qualifikation ersten Grades“ das eigene Sachrecht
für maßgeblich erklärt wird, gibt es keine weiteren Qualifikationspro-
bleme. Verweist die Kollisionsnorm der lex fori aber, wie das § 5 IPRG
grundsätzlich vorsieht, im Wege der Gesamtverweisung auf das IPR einer
fremden Rechtsordnung, tritt die Qualifikation nach der lex fori zurück
und der „quasi von der Sonne beider Rechtsordnungen angestrahlte“
(Mänhardt) Sachverhalt oder Sachverhaltsteil, der von der Verweisung er-
fasst war, muss nach der verwiesenen Rechtsordnung ganz neu – zB güter-
rechtlich statt erbrechtlich – eingeordnet werden, wobei bei dieser „Quali-
fikation zweiten Grades“ auf den Normzweck der jeweils konkret
tangierten Kollisionsnormen Bedacht genommen werden muss. Das dürfte
wohl auch der österreichische Gesetzgeber im Auge gehabt haben, als er in
§ 3 IPRG anordnete, dass, wenn fremdes Recht maßgebend sei, es „wie in
seinem ursprünglichen Geltungsbereich“ angewendet werden müsse.
6/10 Unter Zugrundelegung einer streng funktionellen Betrachtungsweise fin-
det man so die nach der berufenen fremden Rechtsordnung maßgebende
Kollisionsnorm und erst die, der anzuwendenden Kollisionsnorm zu ent-
nehmende Verweisung auf ein bestimmtes materielles Recht leitet zu der
passenden Sachnorm und macht die endgültige Lösung des internationalen
Privatrechtsfalles möglich. Bei der Suche nach der letztlich anzuwenden-
den Sachnorm ist, worauf Schwimann ursprünglich mit dem Begriff der
„Zwei-Rahmen-Methode“22 hingewiesen hat, wiederum eine streng funk-
tionelle Betrachtungsweise zu verfolgen. Diese ermöglicht, von Funktion
und Normzweck der am Anfang des Anknüpfungsprozesses stehenden
Kollisionsnorm des Forumrechts ausgehend, eine sachgerechte Einengung
der Palette der in Frage kommenden Sachnormen des verwiesenen Rechts.
Dass der gesamte Qualifikationsprozess in den mitunter überaus kom-
plizierten IPR-Fällen nicht immer nur nach Denkmodellen ablaufen kann,
liegt auf der Hand. Es kann denn auch keine voll befriedigende, allgemein
gültige Lösung des Qualifikationsproblems geben, da zum einen die im
IPR verwendeten Systembegriffe allzu oft zu weit und die an die Gerichte
herangetragenen Fälle oftmals komplex und ihre internationalen Bezüge
verzweigt sind. Im Einzelfall muss es jedoch letztlich stets darum gehen, in
funktioneller Betrachtungsweise unter „Gesamtbewertung aller maßgebli-
chen Interessen“ (Schwimann) die Regelungszwecke des verweisenden wie

22 Schwimann, Grundriß des internationalen Privatrechts (1982) 28 f. Nunmehr zieht die-


ser Autor es vor, von „kanalisierter Verweisung“ zu sprechen, Schwimann, Internationa-
les Privatrecht3 (2001) 26.

42
Vorfrage und verwandte Fragen §6

des verwiesenen Rechts offen zu legen und miteinander so weit wie mög-
lich in Einklang zu bringen23.
Im Übrigen bereitet die Auslegung der Anknüpfungskriterien, welche in 6/11
den Verweisungsnormen – gleichsam als Sprungbrett zur jeweiligen
Rechtsordnung – die kollisionsrechtliche Rechtsanwendung vermitteln,
weniger Schwierigkeiten als die „Qualifikation“ der Verweisungsbegriffe.
Diese betreffen zum Teil Tatsachen, wie „Ort der belegenen Sache“,
„Schadenszufügungsort“, „Ort des gewöhnlichen Aufenthaltes“ usw. Die
hier verwendeten Begriffe sind in der Regel nach der Rechtsordnung aus-
zulegen, die sie einsetzt. Die Anknüpfung an das maßgebende fremde
Recht muss aber mitunter von Rechtsbegriffen, wie „Staatsangehörig-
keit“, „Wohnsitz“ bzw „domicil(e)“ abhängig gemacht werden. Gerade an-
hand von „domicil(e)“ kann illustriert werden, dass manche einschlägigen
Rechtsbegriffe von den verschiedenen Rechtsordnungen auch verschieden
aufgefasst werden. Hier entscheidet die Rechtsordnung, „um die es geht“,
das heißt, jene, in der sich der Anknüpfungsgrund verwirklicht24. So wird
etwa die Frage, „ob der Erblasser an einem bestimmten Ort einen Wohn-
sitz gehabt hat,. . . durch das an diesem Ort geltende Recht geregelt“25.

D. Vorfrage und verwandte Fragen

Im Zusammenhang mit der Bemühung, das anwendbare Recht festzustel- 6/12


len, das gewissermaßen die an einen mit der Entscheidung eines Sachver-
halts mit Auslandsberührung befassten Richter gerichtete Hauptfrage bil-
det, treten besondere „kollisionsrechtliche Fragen“ auf, mit denen der
Rechtsanwender umgehen können muss. Die wichtigste und schwierigste
dieser Fragen wird als Vorfrage bezeichnet, doch kennt die Kollisions-
rechtslehre auch noch die Teilfrage sowie die Erstfrage, die jedoch nicht
immer von der Vorfrage differenziert wird. Während Teilfragen, logisch
betrachtet, nebeneinander stehen, sind Erstfrage und Vorfrage präjudiziell.
Unter Teilfrage wird eine Rechtsfrage begriffen, die ein Element eines
komplexen IPR-Tatbestands bildet, das einer gesonderten Anknüpfung

23 Vgl sehr anschaulich OGH ZfRV 1987, 280 (Zemen) = EvBl 1987/95 = IPRax 1988, 37
(Schwind, 45): Kalifornische Erblasserin, community property in der Form einer „joint
tenancy“, Liegenschaft in Österreich, Frage des Pflichtteilsanspruchs des Witwers, An-
rechnung des erhaltenen community property. Anschaulich zum Gesamtkomplex „Qua-
lifikation“, insb Schwimann, IPR verstehen: Das „Qualifikationsproblem“, JAP 1993/
1994, 8.
24 Vgl OGH SZ 60/228 = JBl 1988, 519: Nur die von dieser Rechtsordnung getroffenen
konstitutiven Staatsbürgerschaftsentscheidungen sind bindend.
25 Vgl Art 1 Abs 3 Haager Testamentsübereinkommen, BGBl 1963/295.

43
§6 Die kollisionsrechtliche Beurteilung

unterliegt. So sind zB die Frage der Formgültigkeit einer letztwilligen An-


ordnung oder die Frage der Geschäftsfähigkeit einer Vertragspartei als Teil-
fragen anzusehen. Den Sinn der mitunter vom Schrifttum und den Gerich-
ten vernachlässigten Unterscheidung von Erstfrage und Vorfrage hat von
Hoffmann26 lapidar dargestellt: Die Erstfrage stelle sich bereits bei der
kollisionsrechtlichen Anknüpfung, die Vorfrage werde dagegen erst vom
anwendbaren materiellen Recht, also nach vollzogener Anknüpfung, auf-
geworfen27. Demnach ist zB die bei der kollisionsrechtlichen Prüfung der
ehelichen Abstammung eines Kindes gemäß § 21 IPRG zu klärende Frage,
ob die Kindeseltern rechtswirksam verheiratet sind, eine Erstfrage. Wenn
es aber in einem von einem österreichischen Gericht abzuhandelnden
Nachlass eines oder einer italienischen Staatsangehörigen um das Erbrecht
des überlebenden „coniuge“ gemäß Art 581 Codice civile geht, ist die
Frage, ob die Eheschließung gültig zustande kam, eine Vorfrage, da diese
Voraussetzung in der verwiesenen Sachrechtsordnung auftaucht.
6/13 Da die Erstfrage als präjudizielle Rechtsfrage durch das IPR des Rechts
des Gerichtsorts aufgeworfen wird, ist es einsichtig, dass sie stets selbst-
ständig, das heißt, nach der lex fori, angeknüpft wird. Ob die Vorfrage als
präjudizielle Frage des verwiesenen Sachrechts unselbstständig, das heißt
nach dem IPR des verwiesenen Rechts, oder selbstständig nach dem IPR
des Forums anzuknüpfen ist, ist eine schwierige und nicht einheitlich zu
beantwortende Frage. Selbstständige Vorfragenanknüpfung begünstigt
den internen (= innerstaatlichen), unselbstständige Anknüpfung den inter-
nationalen Entscheidungsgleichklang. Die entscheidende Frage ist, ob im
konkreten Fall das Interesse am internen oder jenes am internationalen
Entscheidungsgleichklang überwiegt. In jedem Fall zu undifferenziert ist
die Auffassung, dass die Vorfrage grundsätzlich nach dem Sachrecht der
Hauptfrage angeknüpft werden solle. Als Alternative bietet sich ein Lö-
sungsmodell an, demzufolge nur Vorfragen, die sich in den kollisionsrecht-
lichen Tatbeständen von Staatsverträgen ergeben, stets unselbstständig,
Vorfragen, die in den Tatbeständen des autonomen IPR zu klären sind, hin-
gegen auch selbstständig angeknüpft werden können. Hier bedarf es je-
weils einer Interessenabwägung, die am Zweck der für die Entscheidung
der Hauptfrage relevanten Kollisionsnorm ausgerichtet sein muss und
auch für eine selbstständige Vorfragenanknüpfung sprechen kann28.

26 Von Hoffmann, Internationales Privatrecht7 (2002) Rz 6/47 ff.


27 Etwas abweichend in der Formulierung, in der Sache jedoch im Gleichlauf, nunmehr von
Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht9 (2007) Rz 6/47 ff.
28 Besonders verständlich zum Problem der Vorfragenanknüpfung, von Hoffmann/Thorn,
Internationales Privatrecht9 Rz 6/56 ff.

44
Amtswegigkeit §6

E. Amtswegigkeit

Die Ermittlung des maßgebenden Rechts und seine Anwendung auf einen 6/14
Sachverhalt mit Auslandsberührung hat von Amts wegen zu erfolgen. Das
IPR ist eben nicht „fakultatives Kollisionsrecht“. Aus §§ 2 bis 4 IPRG er-
gibt sich iVm § 271 ZPO die Amtswegigkeit der gesamten kollisionsrecht-
lichen Beurteilung. Bei Missachtung der kollisionsrechtlichen Fragestel-
lung ist im Rechtsmittelverfahren eine Rechtsrüge erforderlich.
Hat der Richter nach inländischem IPR ausländisches Recht anzuwen-
den, sei es Kollisionsrecht oder Sachrecht, wird es vom inländischen An-
wendungsbefehl zur Gänze mit umfasst. Der Richter muss das fremde
Recht ermitteln und anwenden29, selbst wenn die Parteien die Maßgeblich-
keit fremden Rechts ignorieren30 oder sich – in den, der Rechtswahl nicht
zugänglichen Bereichen – dagegen wehren sollten31. Über das Zumutbare
kann man freilich nicht hinausgehen. Der Richter kann, soweit ihm die Er-
mittlung im eigenen Wirkungsbereich nicht möglich ist, beim Bundesminis-
terium für Justiz Auskunft einholen, wobei er die zu ermittelnde Rechts-
norm bzw die zu lösende Rechtsfrage eindeutig bezeichnen muss32. Der
Richter kann zur Ermittlung auch die Parteien heranziehen, ohne jedoch
durch sie gebunden zu sein33. Schließlich kann sich der Richter als zulässiges
Hilfsmittel zur Ermittlung fremden Rechts auch eines Sachverständigen-
gutachtens bedienen34. Nur wenn trotz eingehender Bemühung das fremde
Recht nicht ermittelt werden kann, ist gemäß § 4 Abs 2 IPRG als ultima ra-
tio auf das österreichische Sachrecht zu rekurrieren.
Wer ausländisches Recht anwenden soll, muss es kennen. Das inländische 6/15
Recht zu kennen, ist der Richter verpflichtet. Es gilt der Grundsatz „iura
novit curia“. Doch kann dies auch für das ausländische Recht gelten, in
dem der Richter nicht ausgebildet worden ist, über dessen Kenntnis er nie
einen Nachweis liefern musste? Handelt es sich bei den anzuwendenden
ausländischen Rechtsvorschriften um Recht, mit der Konsequenz, dass

29 Das bestimmt § 4 Abs 1 IPRG. Kollisionsrechtliche Erwägungen können jedoch nach


Auffassung des OGH dahingestellt bleiben, wenn aus allen potentiell anwendbaren
Sachrechten ein identisches Ergebnis folgt: OGH ZfRV 1991, 47; vgl auch OGH IPRax
1991, 193 (von Bar, 197); SZ 64/137 = JBl 1992, 176; JBl 1992, 652 (Schwimann) = ZfRV
1992, 387; ZfRV 1997, 257 – Scheckübergabe.
30 Vgl OGH ZfRV 1997, 117/32 – Nigerianisches Stammesrecht.
31 OGH ZfRV 1997, 253.
32 Vgl hierzu das Europäische Übereinkommen betreffend Auskünfte über ausländisches
Recht, BGBl 1971/417 und Zusatzprotokoll, BGBl 1980/179.
33 Vgl OGH JBl 1990, 173 = EvBl 1990/43; ZfRV 1997, 117/32.
34 So ausdrücklich § 4 Abs 1 Satz 2 IPRG.

45
§6 Die kollisionsrechtliche Beurteilung

der Richter dessen Inhalt zu ermitteln hat? Oder ist das ausländische Recht
nur Tatsache, bloßes Faktum, das von den Parteien nachzuweisen wäre?
Kann der Richter gegebenenfalls im Einvernehmen mit den Parteien einen
bestehenden Auslandsbezug ignorieren und einen internationalen Sachver-
halt wie einen rein inländischen behandeln und ihn dann auch nach dem
Recht beurteilen, mit dem er vertraut ist, also den sachrechtlichen Normen
der lex fori?
Unrichtige Anwendung inländischen Rechts bildet den Revisionsgrund
der unrichtigen rechtlichen Beurteilung35. Wie aber ist es zu beurteilen,
wenn der Richter nicht das maßgebende ausländische Recht, sondern das
ihm vertraute „Heimatrecht“ anwendet? Diesbezüglich gilt, dass auch die
unrichtige Anwendung inländischer Kollisionsnormen – zB wenn der
Richter aufgrund dieser Normen ausländisches Recht anwenden hätte sol-
len und inländisches angewendet hat oder umgekehrt – „unrichtige recht-
liche Beurteilung“ iSd § 503 Z 4 ZPO ist. Dies schließt gemäß § 2 IPRG
auch die amtswegige Ermittlung der „für die Anknüpfung an eine be-
stimmte Rechtsordnung maßgebenden tatsächlichen und rechtlichen Vor-
aussetzungen“, somit der Anknüpfungsmomente wie Staatsangehörigkeit,
Lageort oder Ort der schädigenden Handlung ein. In der Praxis kommt es
allerdings nach wie vor nicht selten vor, dass die kollisionsrechtliche
Rechtsanwendungsfrage überhaupt übersehen wird36.
6/16 Irrt der Richter nicht im „Ob“ – er wendet zB zutreffend das durch sein
IPR berufene ausländische Recht an –, sondern im „Wie“ – er wendet das
fremde Recht falsch an –, liegt auch darin eine „unrichtige rechtliche Beur-
teilung“: Gemäß § 3 IPRG ist ausländisches Recht in der gleichen Weise
anzuwenden, wie es „in seinem ursprünglichen Geltungsbereich“ ange-
wendet werden würde. Das bedeutet ua auch, dass die geltenden ausländi-
schen Normen so auszulegen sind, wie es der herrschenden ausländischen
Rechtsprechung – unter subsidiärer Heranziehung der gängigen Lehre –
entspricht37. Dabei wird man allfällige Änderungen „zwingender“ fremder
Rechtsvorschriften wohl selbst im Rechtsmittelverfahren noch zu berück-
sichtigen haben.

35 § 503 Z 4 ZPO.
36 Vgl zB OGH JBl 1990, 173 = EvBl 1990/43; JBl 1990, 792: Konkurrenz zwischen Ge-
währleistung und Schadenersatz beim Kaufvertrag – Schuldstatut, schweizerisches oder
österreichisches Recht maßgeblich?
37 Vgl OGH EvBl 1985/172; ZfRV 1987, 68; ferner zur Auslegung von (Wechsel-)Einheits-
recht: OGH EvBl 1980/47; vgl auch OGH ZVR 1992/13. Fehlen klare Vorgaben durch
eine ständige Anwendungspraxis oder eine herrschende Lehre, ist nach den im ursprüng-
lichen Geltungsbereich der anzuwendenden Normen gültigen Auslegungsregeln und all-
gemeinen Rechtsgrundsätzen auszulegen: OGH EvBl 1997/107; ZVR 1992/83.

46
§ 7. Verweisung und Anknüpfung
A. Die Alternative: Gesamtverweisung oder
Sachnormverweisung

Im Zentrum des Subsumtionsvorgangs steht bei einem Sachverhalt mit 7/1


Auslandsberührung die „Verweisung“, die, wenn sie in das eigene Recht
geht, unproblematisch ist, jedoch immer dann schwierige Fragen aufwer-
fen kann, wenn sie eine fremde Rechtsordnung als maßgebend bestimmt.
Eine Verweisungsnorm kann nämlich so formuliert sein, dass sie grund-
sätzlich auch die Verweisungsnormen des fremden verwiesenen Rechts
umfasst (Gesamtverweisung); sie kann sich aber auch darauf beschränken,
die Verweisung auf die Bestimmungen des fremden Rechts so zu gestalten,
dass jene des Internationalen Privatrechts nicht erfasst werden (Sachnorm-
verweisung). Die Entscheidung für die eine oder die andere alternative
Vorgangsweise zeitigt weitreichende Konsequenzen.

Sachnormverweisung – Gesamtverweisung

47
§7 Verweisung und Anknüpfung

Ein Beispiel soll zeigen, worin die Schwierigkeiten dieses Themenkomple-


xes liegen: Ein australischer Erblasser mit letztem gewöhnlichen Aufent-
halt in Österreich hinterlässt (auch) bewegliches Vermögen in Österreich.
Österreich steht diesbezüglich gemäß § 106 Abs 1 Z 2 lit b) JN1 die Nach-
lassgerichtsbarkeit zu. Das österreichische Recht beruft als Erbstatut in
§§ 28, 30 IPRG das Heimatrecht des Erblassers. Was letztwillige Verfügun-
gen über bewegliches Vermögen anbelangt, würde aber das betreffende
australische Kollisionsrecht das Wohnsitzrecht des Erblassers, also öster-
reichisches Recht, als anwendbar bestimmen. Ist nun aus österreichischer
Sicht der Rechtsanwendungswille des fremden Kollisionsrechts zu beach-
ten oder kann der im österreichischen Internationalen Erbrecht herr-
schende Staatsangehörigkeitsgrundsatz gleichsam in das fremde Recht
hineingetragen und das entsprechende australische Gliedstaatenrecht2 an-
gewendet werden? Weniger kompliziert ausgedrückt lautet die Frage:
Muss das relevante australische Kollisionsrecht beachtet oder kann es igno-
riert werden?
7/2 Das zentrale Argument, das für die Beachtung der ausländischen Kolli-
sionsnormen und damit für die Gesamtverweisung spricht, lautet, dass
sich die Verweisung des inländischen IPR deshalb auch auf das fremde Kol-
lisionsrecht beziehen muss, weil man ein Recht nicht anwenden soll, das
selbst nicht angewendet werden will. Zudem spricht die Anordnung, dass
verwiesenes fremdes Recht „wie in seinem ursprünglichen Geltungsbe-
reich“ angewendet werden soll3, für die Einbeziehung des Kollisionsrechts
der verwiesenen Rechtsordnung. Wenn dann noch die Richter der invol-
vierten Rechtsordnungen im Falle der Nichtbeachtung einer vom fremden
Kollisionsrecht vorgesehenen Rückverweisung wechselweise fremdes
Sachrecht anwenden müssten, ist es doch „natürlicher“, wenn sie – gleich-
sam compensando – das eigene anwenden.
Die Gegenposition, welche die Verweisung des inländischen IPR als
nur auf die ausländischen Sachnormen bezogen begreift, geht davon aus,
dass der Grund dafür, dass das ausländische Recht angewendet wird, nicht
darin zu sehen ist, dass es dies selbst will, sondern weil das inländische IPR
dies dem Richter befiehlt. Dann ist es aber auch hinzunehmen, dass man
sich über die Anknüpfungsgrundsätze des fremden Rechtes hinwegsetzt

1 BGBl I 2003/112 hat die Bestimmungen über die internationale Zuständigkeit in Nach-
lasssachen in §§ 22 ff AußStrG 1854 durch § 106 JN ersetzt, der auf Verlassenschaftsver-
fahren anzuwenden ist, die nach dem 31.12.2004 erstmals bei Gericht oder beim Gerichts-
kommissär anhängig gemacht wurden.
2 Australien („Commonwealth of Australia“) besteht aus sechs Gliedstaaten, die jeweils
über eine eigenständige Privatrechtsordnung verfügen.
3 Vgl § 3 IPRG.

48
Rück- und Weiterverweisung §7

und faktengleiche Fälle, je nachdem, wo sie bei Gericht anhängig gemacht


werden, gegebenenfalls nach verschiedenem Sachrecht beurteilt4.

B. Rück- und Weiterverweisung

Im IPRG ist die Gesamtverweisung die „Regelverweisung“, da § 5 Abs 1 7/3


IPRG anordnet, dass Verweisungen auf fremde Rechtsordnungen grund-
sätzlich auch deren Verweisungsnormen umfassen. Von diesen hängt dann
das weitere Schicksal der Beurteilung ab: Erklärt das IPR des fremden Staa-
tes sein eigenes materielles Recht (das eigene Sachrecht) für maßgeblich5
oder trifft es keine Entscheidung hierüber, ist dieses anzuwenden6. Wie
der berühmte bayrisch-französische Fall des Franz Xaver Forgo illustriert7,
kommt diesen Fragen gerade in den, der Rechtswahl nicht bzw nur sehr
beschränkt zugänglichen Bereichen des Erb- und Familienrechts beson-
dere Bedeutung zu.
Vom Grundsatz der Gesamtverweisung hat das IPRG ausdrücklich ei-
nige sachlich begründete Ausnahmen anerkannt8, zB bei Verweisung auf
die Formvorschriften „des Staates, in dem die Rechtshandlung vorgenom-

4 Mitunter muss auch das fragwürdige Argument herhalten, dass sich der Richter noch eher
mit ausländischem materiellen Recht vertraut machen kann, als zusätzlich mit ausländi-
schen – mitunter sehr lückenhaft normierten – Kollisionsnormen.
5 Da es in diesem Fall die Verweisung annimmt, spricht man von „Verweisungsannahme“;
vgl OGH ZfRV 1998, 79/21.
6 Im Beispielsfall des australischen Erblassers träte dies ein, wenn das relevante australische
Teilstaaten-IPR für die Lösung des Erbrechtsfalles ebenfalls das Heimatrecht des Erblas-
sers berufen würde.
7 Der 1801 unehelich in Bayern von einer bayrischen Mutter geborene F. X. Forgo war in
früher Kindheit mit der Mutter nach Frankreich ausgewandert, dort durch Heirat reich
geworden und 1869 nach seiner französischen Frau kinderlos und, ohne über sein Vermö-
gen letztwillig verfügt zu haben, verstorben. Um seinen beweglichen Nachlass stritten
sich der französische Fiskus und bayrische Seitenverwandte der Mutter, die nach Teil III
Kap 12 § 4 des Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis erbberechtigt waren, denen aber
nach Art 766 Code civil kein gesetzliches Erbrecht zukam. Die Cour de Cassation, die
sich mit diesem Fall mehrfach auseinander setzen musste, erklärte wegen der bayrischen
Staatsangehörigkeit und der fehlenden Zuzugsberechtigung Forgos, die für die Begrün-
dung seines Wohnsitzes in Frankreich erforderlich gewesen wäre, das bayrische Recht für
anwendbar. Da dessen Kollisionsnormen aber auf das Recht am Wohnsitz des Erblassers
abstellten, kam es zur Rückverweisung auf das französische Recht. Letztlich konnte sich
also der französische Fiskus freuen; näher dazu Kegel/Schurig, Internationales Privat-
recht9 (2004) 389 f.
8 Ausnahmen ergeben sich nach dem IPRG interpretativ aus dem Normzweck. Als Faust-
regel kann immer dann, wenn in einer Verweisungsnorm des IPRG von „Recht“ die Rede
ist, eine Gesamtverweisung angenommen werden.

49
§7 Verweisung und Anknüpfung

men wird“9, bzw „des Ortes der Eheschließung“10, bei Anknüpfung von
„abhängigen Rechtsgeschäften“11 oder bei der Bestimmung des Bereiche-
rungsstatuts12. Diese Ausnahmen waren jedoch insofern seit jeher unzurei-
chend, als die Gesamtverweisung für viele dem Schuldrecht zuzurechnende
Sachverhalte mit Auslandsberührung wenig Sinn macht. Mit der Aufhe-
bung des § 45 IPRG13 verschwand zeitgleich mit dem Inkrafttreten des
EVÜ in Österreich14 die für die „abhängigen Rechtsgeschäfte“ vorgese-
hene Ausnahme.
Verweist das von einer Kollisionsnorm des österreichischen IPRG als
maßgebend bezeichnete ausländische Kollisionsrecht auf das erstverwei-
sende österreichische Recht zurück – weil zB nicht das Recht der Staatsan-
gehörigkeit sondern das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts angewendet
werden soll –, entstünde bei Weiterbefolgung des Gesamtverweisungs-
grundsatzes das „logische Spiegelkabinett“ oder „Verweisungs-Ping-
Pong“ zwischen zwei Kollisionsrechten. Um diesem ein Ende zu bereiten,
muss das „Zurückschlagen des Balles durch einen der Spieler“ unterbun-
den werden. Das geschieht durch die Anordnung des § 5 Abs 2 IPRG, wo-
nach bei Rückverweisung (renvoi) durch die fremde Rechtsordnung die
österreichischen Sachnormen15 endgültig anzuwenden sind16.
Es kann dazu kommen, dass das erstverwiesene Recht auf das Recht
eines dritten Staates weiter verweist17. Hier hängt es wiederum vom Kol-
lisionsrecht dieses „zweitverwiesenen“ Staates ab, ob die Verweisung
angenommen wird, auf eines der beiden vorangegangenen Rechte zurück-
verwiesen oder auf das Recht eines vierten Staates (wiederum) weiterver-
wiesen wird. In Fällen solcher Verweisungsketten ist auf den Sachverhalt
letztlich immer jenes materielle Recht endgültig anzuwenden, das durch
die erste Sachnormverweisung oder die erste (Rück-)Verweisung, die ja ge-
mäß § 5 Abs 2, 2. Halbsatz IPRG als Sachnormverweisung ausgewiesen ist,
bezeichnet wird.

9 § 8 IPRG.
10 § 16 Abs 2 IPRG.
11 § 45 aF IPRG.
12 § 46 Satz 2 aF IPRG; seit 11.1.2009: Art 10 Rom II-VO.
13 Durch BGBl I 1998/119.
14 Am 1.12.1998, vgl BGBl III 1998/166.
15 Diese werden im Text des § 5 Abs 2 IPRG durch einen Klammerausdruck lehrbuchmä-
ßig definiert als „Rechtsnormen mit Ausnahme der Verweisungsnormen“.
16 Vgl auch Art 4 EGBGB, Art 14 schweizIPRG.
17 Im Beispielsfall des australischen Erblassers könnte dies theoretisch der Fall sein, wenn
sich das „domicil(e)“ des Erblassers tatsächlich nicht in Österreich, sondern in einem
dritten Staat verwirklicht hätte.

50
Gliedstaatenverweisung §7

C. Sachnormverweisung

Die Sachnormverweisung ist die Verweisung, die unmittelbar in das inner- 7/4
staatliche Recht (loi interne, domestic law) durchschlägt. Im IPRG bildet
sie die Ausnahme, die dadurch angezeigt wird, dass die Kollisionsnorm
entweder, wie § 5 Abs 2, ausdrücklich die Sachnormen der verwiesenen
Rechtsordnung als maßgebend bezeichnet18 oder, wie § 11 IPRG, die Be-
zugnahme auf eine Rechtsordnung unter Ausschluss der Verweisungsnor-
men ausspricht. Auch bei jenen Normen des Internationalen Privatrechts,
die Formfragen betreffen wie §§ 8 und 16 IPRG liegt eine „Sachnormver-
weisung“ vor, weil Formvorschriften ihrer Natur nach Sachnormen sind.
Während also das IPRG der Gesamtverweisung eine sehr weite Anwen-
dung sichert, sind die Verweisungen in kollisionsrechtlichen Staatsver-
trägen zumeist Sachnormverweisungen. Bei den Haager IPR-Überein-
kommen ergibt sich dieser Schluss daraus, dass als anwendbares Recht
stets „innerstaatliches Recht“ angesprochen wird19. Für das EVÜ stellte
Art 15 ausdrücklich klar, dass unter dem nach diesem Übereinkommen an-
zuwendenden Recht eines Staates „die in diesem Staat geltenden Rechts-
normen unter Ausschluss derjenigen des internationalen Privatrechts zu
verstehen“ sind. Diese Formulierung wurde in Art 20 Rom I-VO und
Art 24 Rom II-VO übernommen. Somit gehen auch die Verordnungen
Rom I und Rom II generell von der Sachnormverweisung als Standard-
verweisung aus. Die Verweisung geht somit immer sogleich in das, als
maßgeblich bestimmte, fremde Sachrecht, die Möglichkeit einer Rückver-
weisung kann sich nicht ergeben und auch die Weiterverweisung ist im An-
wendungsbereich der Verordnungen Rom I und Rom II grundsätzlich aus-
geschlossen.

D. Gliedstaatenverweisung

In ein und demselben Staat kann – nach Gebieten oder Bevölkerungsgrup- 7/5
pen gegliedert – inhaltlich unterschiedliches Privatrecht gelten. Beispiele
für Staaten mit fehlender territorialer Rechtseinheit im Privatrecht sind das
Vereinigte Königreich, die Vereinigten Staaten von Amerika20, Australien
und Kanada, aber auch Spanien. Als Beispiele für Rechtsordnungen, die

18 Für die Rückverweisung bzw für den Weiterverweisungsfall, wenn nicht mehr weiter-
verwiesen oder auf eine Rechtsordnung in der Verweisungskette zurückverwiesen wird.
19 Vgl Art 3 Haager StVÜ.
20 In den USA sind die Regeln des „interstate“ bzw „interlocal law of conflict of laws“ vor
dem eigentlich internationalen „conflicts law“ entwickelt worden. Sie bestimmen das

51
§7 Verweisung und Anknüpfung

für einzelne Personengruppen in Teilbereichen unterschiedliche Privat-


rechtsnormen vorsehen, sind Ägypten, Israel oder Nigeria zu nennen.
Wird nun in einem Sachverhalt mit Auslandsberührung auf eine solche
Rechtsordnung verwiesen, ordnet § 5 Abs 3 IPRG an, dass jene Teilrechts-
ordnung anzuwenden ist, „auf die die in der fremden Rechtsordnung be-
stehenden Regeln verweisen“. Diese Regeln bilden „interlokales“21, allen-
falls „interpersonales“ Kollisionsrecht. Für den Fall, dass es an solchen
innerstaatlichen Kollisionsnormen mangeln sollte, ordnet § 5 Abs 3 IPRG
in seinem letzten Satz an, dass diejenige Teilrechtsordnung maßgebend ist,
zu der die stärkste Beziehung besteht22.

E. „Multiple“ Verweisungen

7/6 Eine Verweisung kann nicht immer nur ein einziges Recht als maßgebend
bezeichnen. Insbesondere bei komplizierten Sachverhalten können Ver-
weisungen in mehrere Richtungen gehen. So kann in jenen Fällen, in denen
dem Parteiwillen Bedeutung zukommt, eine Rechtswahl auch nur für einen
Teil des Sachverhalts mit Auslandsberührung getroffen werden23. Ebenso
sehen Kollisionsnormen mitunter eine Verweisung auf mehr als eine
Rechtsordnung vor. Man unterscheidet alternative, kumulative, gekop-
pelte und fakultative Anknüpfung.
7/7 Eine „alternative Anknüpfung“ wird zumeist unter dem Aspekt des
„Günstigkeits-„ oder „Favor-Prinzips“ vorgesehen. Das klassische Bei-
spiel für eine solche quasi parallel geschaltete Verweisung bildet das allge-
meine Formstatut des § 8 IPRG. Demnach ist die Form einer Rechtshand-
lung nach dem Geschäftsrecht, das ist das unter Beachtung von Rück- und
Weiterverweisung für das Ausführungsgeschäft maßgebende Statut, zu be-
urteilen, doch besteht zugunsten der Formgültigkeit die gleichrangige Al-
ternative, dass das Ortsrecht greift24. Auf die Weise wird bei unterschied-
lich strengen Formvorschriften der jeweiligen Sachrechte jenem Recht zur
Anwendung verholfen, das für die Formgültigkeit günstiger, dh weniger

„internationale Konfliktsrecht“ inhaltlich und haben in der Praxis ungleich mehr Bedeu-
tung.
21 Vgl OGH ZfRV 1997, 117/32.
22 Vgl auch Art 14 des Haager MjSchÜ; OGH SZ 61/108: Ehescheidung mit Verweisung
auf jugoslawisches Gliedstaatenrecht.
23 Vgl Art 3 Abs 1 Satz 3 Rom II-VO.
24 Die Verweisung auf die Formvorschriften des Ortsrechts im zweiten Halbsatz des § 8
IPRG ist eine Sachnormverweisung.

52
Akzessorische Anknüpfung §7

streng ist. Weitere Beispiele sind § 16 Abs 2 IPRG, Art 1 Haager TestÜ25,
Art 1 LegÜ26.
Von einer „kumulativen Anknüpfung“ spricht man dann, wenn die Beur- 7/8
teilung einer Rechtsfrage mehreren Rechtsordnungen unterliegt, wie zB
die Voraussetzungen der Annahme an Kindes statt und der Beendigung
der Wahlkindschaft gemäß § 26 Abs 1 IPRG27. Damit eng verwandt ist die
gekoppelte Anknüpfung, die für die Frage, welches Recht für die Voraus-
setzungen der Schließung, Nichtigkeit und Aufhebung einer Ehe maßge-
bend sein soll, vorgesehen ist: Gemäß § 17 Abs 1 IPRG sind diese Tatbe-
standselemente „für jeden der Verlobten nach seinem Personalstatut zu
beurteilen“28. Anders als bei der alternativen Anknüpfung setzt sich das
„strengere“ der gleichzeitig anzuwendenden Sachrechte durch. Schließlich
ist auch denkbar, dass das Gesetz den Parteien (oder allenfalls auch einer
Partei) die Wahl zwischen zwei oder mehreren bestimmten Rechten über-
lässt, dann liegt eine fakultative Anknüpfung vor.

F. Akzessorische Anknüpfung

Eine akzessorische Anknüpfung ist immer dann vorgesehen, wenn inhalt- 7/9
lich miteinander verbundene Rechtsfragen eines Sachverhalts mit Aus-
landsberührung aufgrund des sachlichen Zusammenhangs nach ein und
demselben Sachrecht beurteilt werden sollen. So richten sich die Verjäh-
rung, ihre Hemmung und Unterbrechung, sowie die Verschweigung und
Verwirkung nach der Rechtsordnung, die für den betreffenden Anspruch
gilt29, während für die Ersitzung als Institut des Sachenrechts die lex rei si-
tae maßgebend ist. Ein weiteres, früher praktisch bedeutsames Beispiel bil-
dete die Anknüpfung der Verschuldens- bzw Deliktsfähigkeit eines Scha-
densverursachers, die nach hA entgegen dem Wortlaut des § 12 IPRG
nach § 48 IPRG, also nach der ehemaligen Verweisungsnorm für außer-
vertragliche Schadenersatzansprüche zu erfolgen hatte. In dieser Frage ist

25 Übereinkommen über das auf die Form letztwilliger Verfügungen anzuwendende Recht
vom 5.10.1961, BGBl 1963/295.
26 CIEC-Übereinkommen über die Legitimation durch nachfolgende Ehe vom 10.9.1970,
BGBl 1976/102
27 Nunmehr idF BGBl I 2004/58.
28 Bei der „gekoppelten Anknüpfung“ sind bestimmte Voraussetzungen für eine Rechts-
folge nach verschiedenen Rechtsordnungen zu beurteilen, bei der „kumulativen An-
knüpfung“ dagegen sind mehrere Rechte gleichzeitig zur Beantwortung ein und dersel-
ben Rechtsfrage berufen.
29 So anschaulich OGH EvBl 1990/62.

53
§7 Verweisung und Anknüpfung

nunmehr durch den nicht allzu klar formulierten Art 15 lit a) Rom II-VO,
der „die Bestimmung der Personen, die für ihre Handlungen haftbar ge-
macht werden können“ in den Geltungsbereich des nach der Verordnung
anzuwendenden Rechts einbezieht, insoweit Klarheit geschaffen, als diese
Norm so verstanden wird, dass die Verschuldensfähigkeit nach dem allge-
meinen Deliktsstatut anzuknüpfen ist30.

30 Vgl Heiss/Loacker, Die Vergemeinschaftung des Kollisionsrechts der außervertraglichen


Schuldverhältnisse durch Rom II, JBl 2007, 613 (645).

54
§ 8. Verweisungsgrenzen: Ordre public,
Eingriffsnormen, Statutenwechsel
A. Ordre public

Selbst das verweisungsfreundlichste nationale IPR muss im Hinblick auf 8/1


die Anwendung fremden Rechts durch seine Gerichte aus Gründen der
Wahrung der öffentlichen Ordnung bzw des ordre public Grenzen ziehen.
Diese Aufgabe erfüllt im IPRG § 6, in der Rom I-Verordnung Art 21 und
in der Rom II- Verordnung Art 26, wobei die Rechtsakte der EU die Vor-
behaltsklausel etwas anders formulieren als das autonome Recht.
Jede Rechtsordnung hat eigene, historisch gewachsene Toleranzgren-
zen. So, wie im innerstaatlichen Recht die Ausübung der Privatautonomie
unter dem Damoklesschwert der Gesetzes- und Sittenwidrigkeit steht, ist
gemäß § 81 Z 3 EO1 im internationalen Verfahrensrecht die Vollstreckung
ausländischer Titel im Inland zu versagen, wenn dadurch „ein Rechtsver-
hältnis zur Anerkennung oder ein Anspruch zur Verwirklichung gelangen
soll, dem durch das inländische Gesetz im Inland aus Rücksichten der
öffentlichen Ordnung oder der Sittlichkeit die Gültigkeit oder Klagbarkeit
versagt ist“. Und nach § 97 Abs 2 Z 1 AußStrG2 ist die Anerkennung einer
rechtskräftigen, ausländischen Entscheidung über die Trennung ohne Auf-
lösung des Ehebandes, die Ehescheidung oder die Ungültigerklärung einer
Ehe sowie über die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens einer
Ehe zu verweigern, wenn „sie den Grundwertungen der österreichischen
Rechtsordnung (ordre public) offensichtlich widerspricht“. Ebenso sehen
die einschlägigen Staatsverträge vor, dass ausländische Titel nicht aner-
kannt werden, wenn diese Anerkennung der „öffentlichen Ordnung“ des
betreffenden Staates widerspricht. So bestimmt etwa Art 10 Haager StVÜ,
dass eine nationale Sachnorm nicht anzuwenden ist, wenn sie mit der
„öffentlichen Ordnung“ des Gerichtsstaates „offensichtlich unvereinbar“

1 RGBl 1896/79 idF BGBl 1995/519.


2 BGBl I 2003/111 idF BGBl I 2007/111.

55
§8 Verweisungsgrenzen: Ordre public, Eingriffsnormen, Statutenwechsel

(„manifestement incompatible“) ist3. Selbst der Genuss der Grundfreihei-


ten des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union steht unter
dem Ordre-public-Vorbehalt4.
Wenn sich auf Grund des autonomen österreichischen IPR ergibt, dass
fremdes Recht anzuwenden ist, geschieht dies grundsätzlich unter dem
Vorbehalt des § 6 IPRG, wonach das Ergebnis der Anwendung der rele-
vanten Rechtsnorm(en) des maßgeblichen fremden Rechts keinen Wider-
spruch zu den unverzichtbaren „Grundwertungen“ der österreichischen
Rechtsordnung begründen darf. Die Vorbehaltsklausel des § 6 IPRG wird
dabei mitunter als Regelung des „negativen ordre public“ begriffen, weil die
Berufung auf die öffentliche Ordnung die Anwendung des fremden Rechts
verhindert. Damit soll eine deutlichere Abgrenzung zu den Eingriffsnor-
men, in denen der positive ordre public normativen Ausdruck findet, her-
gestellt werden. Wann jedoch die Anwendung einer Bestimmung des beru-
fenen Rechts konkret mit den Grundwertungen der österreichischen
Rechtsordnung unvereinbar ist, entzieht sich einer allgemeingültigen
Feststellung und bleibt stets der Entscheidung des jeweiligen Falles unter
Berücksichtigung aktueller rechtlicher – und daher letztlich auch gesell-
schaftspolitischer – Wertungen überlassen. Der richterlichen Rechtsfin-
dung ist somit ein beträchtlicher Ermessenspielraum eingeräumt, wobei
der international abgesicherte Grundsatz zu beachten ist, dass von der Be-
rufung auf den ordre public nur sparsamster Gebrauch gemacht werden
darf.
8/2 Bei der inhaltlichen Konkretisierung des ordre public kommt nicht nur
den Grundsätzen des Verfassungsrechts5, sondern auch dem Recht der Eu-
ropäischen Union zentrale Bedeutung zu6. Es ist jeweils zu prüfen, ob und
wieweit Normen des österreichischen Rechts, in denen vorgeblich
„Grundwertungen“ Ausdruck finden, nach ihrem Wortlaut und Inhalt
bzw nach ihrer Funktion unter Berücksichtigung der Gleichrangigkeit an-
derer Staaten und der Eigenständigkeit ihrer Rechtsordnungen für aus-
landsbezogene Sachverhalte Beachtung als Elemente der „öffentlichen
Ordnung“ beanspruchen dürfen. „Grundwertungen“ sind gleichwohl
nicht nur in den Grund- und Menschenrechten festgeschrieben. So gehö-
ren zum Schutzbereich des ordre public etwa auch die Einehe, der Schutz

3 Vgl auch Art 34 Z 1 EuGVVO oder Art 5 Abs 2 lit b) NYSchVÜ.


4 Vgl Art 36 AEUV hinsichtlich der Warenverkehrsfreiheit, Art 45 Abs 3 AEUV hinsicht-
lich der Freizügigkeit der Arbeitnehmer, Art 52 Abs 1 AEUV hinsichtlich der Niederlas-
sungsfreiheit.
5 Vgl OGH SZ 59/128 = ÖBA 1986, 486 (Koziol) = IPRax 1988, 33 (Moschner, 40).
6 OGH SZ 71/26.

56
Ordre public §8

des Kindeswohls im Kindschaftsrecht7 oder das Verbot der Ausbeutung


der sozial schwächeren Partei. Jedenfalls zu weit ginge es, würde die An-
wendung einer Bestimmung des fremden Rechts bloß deshalb ausgeschlos-
sen, weil sie gegen zwingende Normen des eigenen Rechts verstößt. Des-
halb bedeuten längere ausländische Verjährungsfristen ebenso wenig einen
Verstoß gegen den ordre public wie etwa auch die, für den Fall grob fahr-
lässiger Herbeiführung des Versicherungsfalles angeordnete Leistungsfrei-
heit des Haftpflichtversicherers8.
Hauptaufgabe des ordre public ist der Schutz der inländischen Rechts- 8/3
ordnung9 und keineswegs primär der Schutz des einzelnen Rechtssub-
jekts. Die inländische Rechtsordnung ist es, die vor dem Eindringen von
mit ihr vollkommen unvereinbaren Rechtsgedanken geschützt werden
soll. Demnach können zB in Österreich entwickelte Grundsätze, die den
geschäftlichen Verkehr zwischen wirtschaftlich annähernd gleich starken
und ihrer Stellung nach ungefähr gleichwertigen Partnern regeln, nicht als
derart fundamental – dh, als Grundwertungen der österreichischen Rechts-
ordnung – bewertet werden, dass eine andere Regelung in einem ausländi-
schen Recht einen Verstoß gegen den österreichischen ordre public begrün-
den würde10.
Aus dem Wortlaut des § 6 IPRG geht eindeutig hervor, dass nicht schon
die Tatsache, dass ausländisches Recht – zB die in etlichen islamischen Staa-
ten wiederbelebte Scharia – in einigen Teilbereichen mit den Grundwer-
tungen des inländischen Rechts unvereinbar sein könnte, eine zureichende
Voraussetzung für das fallweise Eingreifen des ordre public darstellt. Viel-
mehr kommt es darauf an, dass das Ergebnis der Anwendung einer spe-
zifischen fremden Rechtsnorm gegen die Grundwertungen des österrei-
chischen Rechts verstößt. Die ordre public-Kontrolle ist daher nicht
allgemein-abstrakter, sondern ergebnisorientiert-konkreter Natur. Nach
dem gängigen Schulbeispiel zu dieser Problematik wäre somit das Einge-
hen einer (einem Manne nach seinem islamischen Heimatrecht erlaubten)
Zweitehe in Österreich unzulässig; der Bestand einer solchen (im Heimat-
staat gültig geschlossenen) Ehe und ein allfälliger Unterhaltszuspruch an

7 OGH ZfRV 2003/29, 151: Nur eine eklatante Gefährdung des Kindeswohls steht unter
der Vorbehaltsklausel.
8 OGH VersR 1981, 590.
9 Vgl VwGH ZfRV 1992, 224 (Hoyer): Eine im ausländischen Recht allenfalls festgelegte
Ehenichtigkeit aus Gründen der Religion stünde im Widerspruch zum Grundsatz der
Säkularität des Staates und damit nicht in Einklang mit dem österr ordre public.“ Ob
dem Noterbrecht ordre-public-Charakter zukommt, ist umstritten, doch wohl eher zu
verneinen; dazu Schwind, Noterbrecht und IPR, ZfRV 1994, 29.
10 OGH SZ 59/128.

57
§8 Verweisungsgrenzen: Ordre public, Eingriffsnormen, Statutenwechsel

eine der Ehefrauen durch ein österreichisches Gericht wären dagegen unter
ordre public-Aspekten unbedenklich. Auch der in einem als maßgeblich
bestimmten Recht angeordnete Ausschluss der Scheidung wegen Verschul-
dens stellte zu einer Zeit, als das österreichische Recht dem Verschulden als
Scheidungsgrund noch größere Bedeutung beimaß, keinen Verstoß gegen
den ordre public dar11. Anderes gilt jedoch grundsätzlich von der einseiti-
gen Privatscheidung (talaq), die dem muslimischen Ehemann durch den
Koran und sein auf diesem beruhendes Heimatrecht in zahlreichen Rechts-
ordnungen des Islamischen Rechtskreises eröffnet ist12.
Auf den festgestellten Verstoß gegen den inländischen ordre public rea-
giert das IPRG mit der Rechtsfolge der exklusiven Maßgeblichkeit öster-
reichischen Sachrechts. Die durch das Eingreifen der Vorbehaltsklausel
vorerst entstandene Rechtslücke könnte auch mit einer dem Sachverhalt
näher liegenden, inhaltlich verwandten ausländischen Sachnorm gefüllt
werden, doch ist diese Alternative aus gutem Grund nicht Gesetz gewor-
den. An die Stelle der abgewendeten Bestimmung des fremden Rechts tritt
daher gemäß § 6 Satz 2 IPRG „erforderlichenfalls“ die entsprechende Be-
stimmung der lex fori, dh des österreichischen Sachrechts.

B. Eingriffsnormen

8/4 Jede Rechtsordnung weist Eingriffsnormen (lois d’application immédiate)


auf, worunter Normen sozial- und wirtschaftspolitischer Natur verstanden
werden, hinsichtlich derer ein unabdingbares öffentliches Anwendungsinte-
resse der lex fori besteht13: Als für die Praxis bedeutsame Beispiele sind vor
allem zu nennen14: § 14 WEG 200215, Normen des Grundverkehrsrechts16,
Mieter- und Arbeitnehmerschutzbestimmungen17, § 24 HVertrG18, Devi-

11 In concreto ging es um deutsches Scheidungsrecht: vgl OGH ZfRV 1992, 236.


12 Vgl OGH JBl 2007, 596 = ZfRV 2007/6 (Nademleinsky); dazu Posch, „Islamisierung“
des Rechts? ZfRV 2007, 124; OGH Zak 2007/626, 359; zuletzt OGH Zak 2008/267,
153 = iFamZ 2008/87, 169.
13 Vgl nunmehr die Definition der „Eingriffsnorm“ in Art 9 Abs 1 Rom I-VO.
14 Eine Übersicht österreichischer Eingriffsnormen findet sich bei Czernich/Heiss, EVÜ-
Kommentar (1999), Art 7 Rz 10 ff.
15 Betrifft das Wohnungseigentum der Partner im Todesfall, BGBl I 2002/70 idF BGBl I
2006/124; zu § 10 WEG 1975, vgl OGH ZfRV 1992, 232/20.
16 Vgl OGH JBl 1992, 594; ZfRV 1998, 34/2.
17 Das sind zB §§ 1, 4 KautSchG, BGBl 1937/229; vgl OGH EvBl 1993/144.
18 BGBl 1993/88 idF BGBl I 2005/120. Durch § 24 wurden die Art 17–19 der Richtlinie 86/
653/EWG des Rates vom 18.12.1986 zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der
Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter, ABlEG L 382 vom
31.12.1986, 17, die den Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters bei Vertragsbeendi-

58
Eingriffsnormen §8

senrecht19 udgl. Die Funktion der Eingriffsnormen unterscheidet sich von


jener der Vorbehaltsklausel insofern, als diese Normen verhindern, dass sich
die Verweisungsfrage und damit die Frage der allfälligen Anwendung des
(negativen) ordre public überhaupt stellt. Im Sonderanknüpfungsbereich
von Eingriffsnormen wird nämlich „zu Hause geblieben“, das heißt, die Ent-
scheidung wird auf der Grundlage der sachrechtlichen Bestimmungen der
lex fori getroffen.
Diese früher unter den Bezeichnungen „Wirkungsstatut“ oder „positi-
ver ordre public“ behandelten Normen gelten kraft ihres eigenen Anwen-
dungswillens, wobei dieser aus ausdrücklichen Selbstaussagen über den
Anwendungsbereich oder interpretativ aus dem Zweck solcher Eingriffs-
normen zu ermitteln ist20. Durch Art 7 EVÜ wurden die „Eingriffsnor-
men“ unter dem irreführenden Begriff „zwingende Vorschriften“ erstmals
einer europaweit einheitlichen (gleichwohl nicht sehr geglückten) Re-
gelung im Internationalen Schuldvertragsrecht zugeführt, nachdem der Be-
griff zuvor schon in § 4 IVVG21 in die österreichische Rechtssprache
Eingang gefunden hatte. Durch Art 7 Abs 1 EVÜ sind die Rahmenbedin-
gungen normiert worden, unter denen den Eingriffsnormen einer fremden
Rechtsordnung, die nicht Vertragsstatut ist, „Wirkung verliehen werden“
könne. Dies war nur möglich, wenn der Sachverhalt zu den Staaten, um de-
ren Eingriffsnormen es konkret geht, „eine enge Verbindung“ aufgewiesen
hat. Art 9 Rom I-VO formuliert nunmehr unter der Überschrift „Ein-
griffsnormen“ präziser, indem er festschreibt, dass Eingriffsnormen Wir-
kung verliehen werden kann, soweit sie „die Erfüllung des Vertrags un-
rechtmäßig werden lassen“.

gung regeln, in Österreich umgesetzt. Für Sachverhalte mit starker faktischer Beziehung
zu einem EU-Mitgliedstaat hat der EuGH die Art 17 f als international zwingende Nor-
men (Eingriffsnormen) qualifiziert und gegen das als anwendbar vereinbarte Recht eines
Drittstaates durchdringen lassen: EuGH 9.11.2002, Rs C-381/98, Slg 2000 I-9305 – Ing-
mar.
19 Bis 31.12.2003 §§ 2 ff DevG 1946, BGBl 1946/162; vgl OGH ZfRV 1991, 302/14; EvBl
1993/110. Nunmehr im neuen DevG 2004, BGBl I 2003/123: §§ 3 und 4.
20 Vgl OGH SZ 60/11; zur interpretativen Bestimmung von Eingriffsnormen in gemein-
schaftsrechtlichen Richtlinien, EuGH 9.11.2000, Rs C-381/98, Slg 2000 I-9305 – Ing-
mar.
21 Diese Bestimmung wurde wie das gesamte Wortlaut des Bundesgesetzes über internatio-
nales Versicherungsvertragsrecht für den EWR durch BGBl I 2009/109 aufgehoben.

59
§8 Verweisungsgrenzen: Ordre public, Eingriffsnormen, Statutenwechsel

C. Statutenwechsel

8/5 Die Realisierung einer Verweisung auf ein fremdes Recht hängt wesentlich
davon ab, dass sich weder die relevanten Kollisionsnormen noch die fakti-
schen Voraussetzungen, die nach dem jeweiligen Anknüpfungsmoment
einer Norm zur anwendbaren Rechtsordnung geführt haben, ändern, so-
lange der kollisionsrechtlich zu beurteilende Sachverhalt nicht abgeschlos-
sen ist. So zieht die Änderung der Staatsangehörigkeit und allenfalls auch
des gewöhnlichen Aufenthalts in der Regel einen Wechsel des anwendba-
ren Rechts im Familien- und Erbrecht nach sich und bewirkt die Verände-
rung des Belegenheitsorts einer beweglichen Sache von einem Staat in einen
anderen, dass ein anderes Recht für die sachenrechtliche Zuordnung dieser
Sache maßgebend wird.
Das Problem, das sich hier stellt, ist, ob überhaupt und, wenn ja, wann
der Wechsel des Statuts eintritt. Während ein „starres (unwandelbares)
Statut“, wie es etwa § 21 IPRG22 für die Beurteilung der ehelichen Ab-
stammung vorsieht, keine Probleme bereitet, ist die Situation bei einem
„gleitenden (wandelbaren) Statut“ komplexer. Insbesondere dann, wenn
eine Kollisionsnorm auf das Personalstatut23 abstellt, ist darauf zu achten,
ob das jeweils aktuelle Personalstatut oder das Personalstatut, das zu einem
bestimmten Zeitpunkt bestanden hat, maßgebend sein soll. Starres und
wandelbares Statut wechseln einander ab. So beurteilen sich die Wirkungen
der Ehelichkeit eines Kindes gemäß § 24 IPRG nach dessen jeweiligem Per-
sonalstatut, während die Voraussetzungen der Ehelichkeit des Kindes und
deren Bestreitung gemäß § 21 IPRG nach dem gemeinsamen Personalstatut
der Ehegatten zur Zeit der Geburt des Kindes bzw bei vorzeitiger Eheauf-
lösung im Zeitpunkt der Auflösung oder, wenn das Personalstatut der El-
tern nicht einheitlich ist, nunmehr nach dem Personalstatut des Kindes im
Zeitpunkt der Geburt zu beurteilen sind.
8/6 Für den Fall, dass die konkrete Kollisionsnorm keine Aussage über den re-
levanten Anknüpfungszeitpunkt trifft, stellt § 7 IPRG klar, dass die nach-
trägliche Änderung der Anknüpfungsvoraussetzungen keinen Einfluss
„auf bereits vollendete Tatbestände“ hat. Ob ein Tatbestand vollendet ist,
ist auf Basis des anwendbaren Sachrechts zu prüfen, wobei immer dann
von einem „vollendeten Tatbestand“ auszugehen ist, wenn eine abschlie-
ßende Beurteilung eines Vorgangs möglich ist. Bei Dauerrechtsverhältnis-
sen tritt der Statutenwechsel mit Wirkung für die Zukunft zugleich mit

22 Geändert durch das KindRÄG, BGBl I 2000/135.


23 Dazu unten Rz 9/2.

60
Statutenwechsel §8

der Änderung des Anknüpfungsmoments ein, doch kann ausnahmsweise


ein späteres Anknüpfungsmoment zurückwirken, wenn unter seiner Herr-
schaft eine nach dem älteren Statut ungültige oder unzulässige Rechtshand-
lung gültig bzw zulässig gewesen wäre. Man spricht in diesem Zusammen-
hang von „Heilung durch Statutenwechsel“24.

24 Beispiele hiefür sind § 25 Abs 1 und § 30 Abs 1 IPRG.

61
§ 9. Anknüpfungsmomente
A. Allgemeines

9/1 Die Tatbestandsmerkmale eines internationalen Sachverhalts, die auf die


Maßgeblichkeit einer bestimmten Rechtsordnung hinweisen und mit den
Begriffen „Anknüpfungsmoment“ oder „Anknüpfungsgrund“ bezeich-
net werden, haben im autonomen österreichischen Recht entweder in den
Allgemeinen Bestimmungen des ersten Abschnitts des IPRG ihre Rege-
lung erfahren1 oder sind jeweils im Zusammenhang mit den kollisions-
rechtlichen Tatbeständen des Besonderen Teiles in den Abschnitten 2 bis 7
IPRG festgeschrieben. Für das internationale Schuldrecht sind sie heute al-
lerdings in den durch BGBl I 2009/109 in das IPRG aufgenommenen
„Auffangtatbeständen“ der §§ 35, 35a und 48 und nur mehr für die „ge-
willkürte Stellvertretung“ im Restbestand des siebenten Abschnittes dieses
Gesetzes zu finden, da nunmehr die Verweisungsnormen der europäischen
Rom I- und Rom II-Verordnungen die große Mehrzahl der relevanten
„Anknüpfungsmomente“ vorgeben.
An die Spitze des IPRG ist der allgemeine Grundsatz gestellt worden,
wonach Sachverhalte mit Auslandsberührung in privatrechtlicher Hinsicht
nach der Rechtsordnung zu beurteilen seien, zu der die stärkste Bezie-
hung bestehe. Daran knüpft sich die Vermutung, dass dieser Grundsatz in
den besonderen Verweisungsnormen des Gesetzes Ausdruck finde. Eine
allgemeine Ausweichklausel, die einer in concreto engeren Verbindung
den Vorrang vor der jeweiligen objektiven Anknüpfung geben würde, ist
dagegen nicht in das IPRG aufgenommen worden2. Derartige Ausweich-

1 Vgl §§ 9, 10, 11 IPRG.


2 Eine solche Ausweichklausel findet sich zB in Art 15 schweizIPRG. Die Verfasser des
IPRG hatten nur in § 48 Abs 1 Satz 2 IPRG eine ausdrückliche Ausnahme vom Grund-
satz, dass die besonderen Anknüpfungstatbestände Vorrang vor dem Generalprinzip der
Anknüpfung nach der „stärksten Beziehung“ hätten, vorgesehen. Mit der Anerkennung
einer stärkeren Beziehung wurde eine „Auflockerung“ des am Ort der schädigenden
Handlung festgemachten Deliktsstatuts bewirkt.

62
Staatsangehörigkeit, gewöhnlicher Aufenthalt und Wohnsitz §9

klauseln sind aber in den Verordnungen Rom I und Rom II vorgesehen3


und zwar nicht nur für die allgemeine objektive Anknüpfung nach dem je-
weiligen Art 44, sondern separat auch für einzelne Sonderverweisungstat-
bestände: So in der Rom I-Verordnung für Beförderungsverträge und Indi-
vidualarbeitsverträge5; in der Rom II-Verordnung für Produkthaftung,
ungerechtfertigte Bereicherung, Geschäftsführung ohne Auftrag und für
das Verschulden bei Vertragsverhandlungen6.
Die im autonomen IPR anerkannten Anknüpfungsmomente sind im
Personen-, Familien- und Erbrecht bei natürlichen Personen vornehmlich
Staatsangehörigkeit, gewöhnlicher Aufenthalt bzw Wohnsitz sowie für
das neue Institut der eingetragenen Partnerschaft der Ort der Begründung
einer eingetragenen Partnerschaft7. Bei juristischen Personen ist es der
Verwaltungssitz. Im Sachenrecht ist Anknüpfungsmoment der Belegen-
heitsort und in den schuldrechtlichen Verweisungsnormen des IPRG Par-
teiwille und Aufenthalts- bzw Niederlassungsort des Erbringers der ver-
tragscharakteristischen Leistung bzw der Handlungsort im weiteren
Sinn8.

B. Staatsangehörigkeit, gewöhnlicher Aufenthalt und


Wohnsitz

Für die Bestimmung des auf personbezogene Rechtsverhältnisse im Perso- 9/2


nen-, Familien- und Erbrecht anzuwendenden Rechts, das als Personalsta-
tut9 bezeichnet wird, ist die Staatsangehörigkeit das primäre Anknüp-
fungsmoment. Gemäß § 9 IPRG wird das Personalstatut der natürlichen
Person in erster Linie durch die Staatsangehörigkeit bestimmt, in zweiter
Linie durch den gewöhnlichen Aufenthalt und bei Flüchtlingen10 durch
den Wohnsitz.

3 Zuvor schon in Art 4 Abs 5 EVÜ.


4 Vgl Art 4 Abs 4 Rom I-VO, Art 4 Abs 3 Rom II-VO.
5 Vgl Art 5 Abs 3 bzw Art 8 Abs 4 Rom I-VO.
6 Vgl Art 5 Abs 2, Art 10 Abs 4, Art 11 Abs 4 und Art 12 Abs 2 lit c) Rom II-VO.
7 Vgl §§ 27a und 27c IPRG idF BGBl I 2009/135.
8 Hinsichtlich außervertraglicher Schuldverhältnisse ist dies der Ort an dem das den Scha-
den verursachende Verhalten gesetzt wurde, in Vertretungsverhältnissen der Ort, an dem
der Stellvertreter nach dem dem Dritten erkennbaren Willen des Geschäftsherrn tätig
werden soll.
9 Dieser Begriff darf nicht mit dem englischen Terminus „personal status“ verwechselt
werden.
10 Darunter werden nicht nur solche Flüchtlinge verstanden, die unter den einschlägigen
Begriff der Genfer Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28.7.1951,
BGBl 1955/55, fallen.

63
§9 Anknüpfungsmomente

Die meisten kontinentaleuropäischen Länder – eine Ausnahme bildet


hier die Schweiz – folgen in mehr oder weniger deutlicher Ausprägung bei
der Bestimmung des Personalstatuts dem Grundsatz der Anknüpfung an
die Staatsangehörigkeit, welcher erstmals in der einseitigen Kollisions-
norm des Art 3 Code civil11 unzulänglichen normativen Ausdruck gefun-
den hatte. Demgegenüber stehen die Rechtsordnungen des anglo-ameri-
kanischen Rechtskreises auf dem Boden der Anknüpfung an den
Wohnsitz. Allerdings hat „Wohnsitz“ in diesen Rechtsordnungen eine an-
dere Bedeutung als in Kontinentaleuropa12. Es kann auch vorkommen,
dass die Behörden eines Staates Ausländer im Inland nach dem Wohnsitz-
prinzip, Inländer im Ausland aber nach dem Staatsangehörigkeitsprinzip
behandeln.
9/3 Jedes der zwei Anknüpfungsmomente, deren Hintergrund gleichwertig
Territorialhoheit (Wohnsitz) oder Personalhoheit (Staatsbürgerschaft) bil-
den, hat Argumente für sich. Für die Staatsangehörigkeit spricht die
ideelle Bindung an das Heimatrecht, besonders bei Nationalstaaten, und
eine gewisse Eindeutigkeit und Konstanz, da die Staatsangehörigkeit
schwerer zu wechseln ist als ein Wohnsitz oder ständiger Aufenthaltsort.
Für den Wohnsitz spricht die äußere Erkennbarkeit und seine privat-
rechtliche Bedeutung als Mittelpunkt der gesamten Lebensverhältnisse.
Durch das Abstellen auf den Wohnsitz wird die Rechtsanwendung in Län-
dern mit hoher Einwanderungsquote vereinfacht und die Verschmelzung
begünstigt, da es meist zur Anwendung der sachrechtlichen Normen des
Rechtes des jeweiligen Gerichtsstaates (der lex fori) kommt.
Eine an sich wünschenswerte Vereinheitlichung zeichnet sich in
naher Zukunft nicht ab. Die das IPR betreffenden multilateralen Über-
einkommen bevorzugen entweder den Wohnsitz oder – in letzter Zeit
zunehmend – den gewöhnlichen Aufenthalt als Anknüpfungsmoment13.
Auch wo EU-Verordnungen zur Verwirklichung des Europäischen
Rechtsraumes bereits in Kraft getreten sind14 oder vorbereitet wer-

11 Art 3 Abs 1 CC besagt, dass die den Stand und die Handlungsfähigkeit von Personen be-
treffenden Gesetze für Franzosen auch dann maßgebend sind, wenn sie ihren Wohnsitz
im Ausland nehmen. Diese einseitige Kollisionsnorm wird seit der Entscheidung der
Cour royale de Paris vom 13.6.1814, Sirey Recueil des Lois, 1812–1814 II 393, „zweisei-
tig gelesen“.
12 Vgl Rz 9/6.
13 So zuletzt das Haager Protokoll vom 23.11.2007 über das auf Unterhaltspflichten anzu-
wendende Recht in seinem Art 3.
14 Vgl Art 15 der am 30.1.2009 in Kraft getretenen Verordnung (EG) Nr. 4/2009 des Rates
vom 18.12.2008 über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und
Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen,
ABlEU L 7 vom 10.1.2009, 1, der die Bestimmung des anwendbaren Rechts nach dem

64
Staatsangehörigkeit, gewöhnlicher Aufenthalt und Wohnsitz §9

den15, wird diesem Anknüpfungskriterium bei der Bestimmung des Perso-


nalstatuts Raum gegeben. Auf diese Weise wird dem Richter die Arbeit in-
sofern erleichtert, als er öfter sein eigenes Recht als maßgebend vorfindet.
Da die internationalen und europäischen Regelungen sowohl für die Fest-
legung der Zuständigkeit, als auch für die Bestimmung des maßgeblichen
Rechts dem Kriterium des gewöhnlichen Aufenthaltsorts besondere Be-
deutung beimessen, wird ein Gleichlauf von forum und ius erzielt.
Das IPRG bekennt sich bei der Bestimmung des Personalstatuts der natür- 9/4
lichen Person mit keineswegs vernachlässigbaren Gründen16 zur Staatsan-
gehörigkeit als dem primären Anknüpfungsmoment. § 9 Abs 1 Satz 1
IPRG betont die Relevanz des „Heimatrechts“: Das Recht des Staates,
dem eine Person kraft Staatsbürgerschaft angehört, soll ihre persönlichen
und familiären Rechtsverhältnisse und ihre Stellung im Erbrecht bestim-
men. Ob jemand die Staatsangehörigkeit eines Staates besitzt, entscheiden
die Sach- und Kollisionsnormen des Staates, „um den es geht“. Diese recht-
lichen Voraussetzungen für die Anknüpfung sind vom österreichischen
Richter von Amts wegen festzustellen.
Auch im österreichischen bilateralen Staatsvertragsrecht (zB mit
Polen17) wird im Zusammenhang mit dem Personalstatut auf die Staatsbür-
gerschaft als Anknüpfungsgrund abgestellt, während im multilateralen
Konventionsrecht (zB in den Haager Übereinkommen über das Unter-
haltsstatut18 und den Minderjährigenschutz19) immer schon die Anknüp-
fung an den gewöhnlichen Aufenthalt präferiert wurde.
Für Staatenlose und Personen ungeklärter Staatsangehörigkeit sieht
§ 9 Abs 2 IPRG die Ersatzanknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt

Haager Protokoll vom 23.11.2007 über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende


Recht vorsieht; und dazu den Beschluss des Rates vom 30.11.2009 über den Abschluss
dieses Protokolls durch die Europäische Gemeinschaft, ABlEU L 331 vom 16.12.2009,
17.
15 Vgl Art 20b des Vorschlags der Kommission vom 17.7.2006 für eine Verordnung des Ra-
tes zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 im Hinblick auf die Zuständig-
keit in Ehesachen und zur Einführung von Vorschriften betreffend das anwendbare
Recht in diesem Bereich, KOM(2006) 399 endg, im Hinblick auf Scheidungen (dazu
Rz 3/9).
16 Insbesondere dient die Erleichterung der Anwendung als Argument.
17 Vgl Art 23 ff des Vertrags zwischen der Republik Österreich und der Volksrepublik
Polen über die wechselseitigen Beziehungen in bürgerlichen Rechtssachen und über Ur-
kundenwesen, BGBl 1974/79.
18 Vgl Art 1 des Übereinkommens über das auf Unterhaltsverpflichtungen gegenüber Kin-
dern anzuwendende Recht vom 24.10.1956, BGBl 1961/293.
19 Vgl Art 2 iVm Art 1 des Übereinkommens über die Zuständigkeit der Behörden und das
anzuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes von Minderjährigen vom 5.10.1961,
BGBl 1975/446.

65
§9 Anknüpfungsmomente

vor. Das Personalstatut der Konventionsflüchtlinge richtet sich nach


neuerer Judikatur des OGH nicht nach § 9 Abs 3 IPRG, sondern nach
Art 12 der Genfer Konvention20 iVm § 53 IPRG21: Hier liegt eine Sach-
normverweisung vor. Für andere Flüchtlinge bleibt das Personalstatut des
§ 9 Abs 3 IPRG relevant; diese Bestimmung stellt eine Gesamtverweisung
vor, bei der die Rückverweisung auf das Heimatland gemäß dem zweiten
Halbsatz dieser Bestimmung ausscheidet.
9/5 Ein Anknüpfungsproblem besonderer Art bilden die Doppel- oder Mehr-
staater („sujets mixtes“). Für diese sollte nach dem Grundsatz der „effekti-
ven“, dh der gelebten Staatsangehörigkeit, diejenige Staatsangehörigkeit
vorgehen, zu der die engere Beziehung besteht. Das gilt ausnahmslos zB
nach dem schweizerischen IPRG22 und nach dem Haager Minderjährigen-
schutzabkommen23. Nach dem autonomen österreichischen IPR ist dieser
Gesichtspunkt jedoch nur in dem Fall entscheidend, in dem ein Mehrstaa-
ter nicht auch die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt. Denn besitzt
jemand neben einer fremden auch die österreichische Staatsbürgerschaft,
ist für die Ermittlung des Personalstatuts nur diese heranzuziehen24.
Die Bevorzugung der Staatsangehörigkeit des Forumstaates kann zu
Komplikationen und, je nach Forum, zu unterschiedlichen Anknüpfungs-
ergebnissen führen. In der ohnehin schon gespaltenen Nachlassbehand-
lung bei internationalen Erbrechtsfällen ist etwa der deutsch-österreichi-
sche Doppelstaater in der Bundesrepublik Deutschland Deutscher, vor
dem österreichischen Nachlassgericht Österreicher. Ein weiteres Beispiel:
Da § 18 Abs 1 IPRG für die persönlichen Rechtswirkungen der Ehe
zunächst auf das gemeinsame Personalstatut der Ehegatten abstellt, kann
das anwendbare Recht von einem österreichischen Gericht erst mit Hilfe
des Kriteriums des gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts25 gefunden
werden. Denn eine mit einem Deutschen verheiratete Österreicherin, die
zugleich auch die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, hat (nur) vor öster-
reichischen Gerichten kein gemeinsames Personalstatut mit ihrem Ehe-
mann26.

20 Genfer Übereinkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28.7.1951, BGBl
1955/55.
21 OGH ZfRV 1999, 21/3 = IPRax 1999, 260.
22 Art 23 Abs 2 schweizIPRG.
23 OGH EvBl 1990/35.
24 § 9 Abs 1 Satz 2 IPRG; vgl dazu etwa OGH ZfRV 1991, 468/32; ebenso Art 5 Abs 1
EGBGB.
25 § 18 Abs 1 Z 2 IPRG.
26 Vgl OGH SZ 60/228 = JBl 1988, 519; ZfRV 1997, 117/32.

66
Staatsangehörigkeit, gewöhnlicher Aufenthalt und Wohnsitz §9

Der Wohnsitz, der nach dem autonomen österreichischen IPR nur hilfs- 9/6
weise heranzuziehen ist, wird von den nationalen Rechten unterschiedlich
verstanden; auch innerhalb der Rechtsordnungen gibt es, je nach Zweck
der Regelungsmaterie (Zivilprozess, Finanzrecht, Staatsangehörigkeit), in-
haltlich unterschiedliche Wohnsitzdefinitionen. Zudem gilt es zu beachten,
dass es für Kinder sowie – aufgrund der materiellrechtlich weithin verwirk-
lichten Gleichberechtigung heute allerdings nur mehr in Ausnahmefällen27
– auch für die Ehefrau abgeleitete Wohnsitze geben kann.
Ob ein Wohnsitz besteht, ist nach der betreffenden Rechtsordnung zu
beurteilen. Dies ist wichtig bei der Qualifikation und bei der Frage der
Rückverweisung. So wird der Begriff „domicil(e)“ in den anglo-amerika-
nischen Rechten anders verstanden als in den Rechtsordnungen Konti-
nentaleuropas und auch in England und den USA ist seine Bedeutung nicht
identisch. Der englische Domizilbegriff nähert sich in seiner Starrheit der
Staatsangehörigkeit, da er nicht die Verbundenheit mit einem bestimmten
Ort, sondern mit einem bestimmten Rechtsgebiet, zB mit dem englischen
im Gegensatz zum schottischen, zum Ausdruck bringt. Man hat ein
„domicil(e) of origin“, das wegen der strengen Anforderungen nur selten
durch ein „domicil(e) of choice“ ersetzt wird28. Da bei dessen Aufgabe das
„domicil(e) of origin“ wieder auflebt, ist kein Engländer jemals ohne
„domicil(e)“29. In den US-amerikanischen Rechten wird, ungeachtet gewis-
ser gliedstaatenrechtlicher Unterschiede, in der Regel die Begründung
eines Wohnsitzes unter leichteren Bedingungen zugelassen30.
Es ist aber auch möglich, dass ein nationales IPR die Begriffe „Wohn-
sitz“ und „gewöhnlicher Aufenthalt“ autonom umschreibt. Eine derartige
autonome Definition sieht Art 20 schweizerisches IPRG hinsichtlich na-
türlicher Personen vor, wodurch die Anwendung der allgemeinen Regeln
der Art 23 ff schweizerisches ZGB über Wohnsitz und Aufenthalt für den
Bereich des Kollisionsrechts ausgeschlossen ist.
Um den Problemen mit den unterschiedlichen Inhalten des Wohnsitzbe- 9/7
griffs in den verschiedenen Rechtsordnungen zu entgehen, wird in neueren
Rechtsvorschriften auf den faktischen Wohnsitz, das ist der „gewöhnliche
Aufenthalt“, als Anknüpfungsgrund abgestellt. Während der Wohnsitz in
der Regel die Absicht, dauerhaften Aufenthalt an dem betreffenden Ort zu

27 Etwa in Rechtsordnungen des islamischen Rechtskreises.


28 Bei dem die „intention of permanent or indefinite residence“ eine entscheidende Rolle
spielt.
29 Vgl die Entscheidung des Court of Appeal in Tee v Tee [1973] 3 All ER 1105.
30 Zum Begriff des „domicil(e)“ vgl OGH EvBl 1981/21.

67
§9 Anknüpfungsmomente

nehmen, voraussetzt31, wird der gewöhnliche Aufenthalt durch die bloße


Tatsache des ungezwungenen vorwiegenden Verweilens an einem Ort be-
gründet. Einen abgeleiteten Aufenthalt gibt es nicht. Allerdings genügt ein
schlichter Aufenthalt von kürzerer Dauer, zB auf der Durchreise oder im
Zuge eines Ausfluges nicht: Dieser kann nur hilfsweise als Anknüpfungs-
grund dienen.
9/8 Das Ministerkomitee des Europarats hat bereits 197232 eine Entschließung
zur Vereinheitlichung der Begriffsinhalte von „Wohnsitz“ und „Aufent-
halt“ angenommen. Nach ihrer Regel 9 sind für die Frage, „ob ein Aufent-
halt als gewöhnlicher Aufenthalt anzusehen ist, die Dauer und die Be-
ständigkeit des Aufenthalts sowie andere Umstände persönlicher oder
beruflicher Natur zu berücksichtigen, die dauerhafte Beziehungen zwi-
schen einer Person und ihrem Aufenthalt anzeigen“. Diese Entschließung
hat keine normative Kraft, sie dient lediglich als Auslegungshilfe.

C. Verwaltungssitz

9/9 Juristische Personen oder ihnen gleich zuhaltende sonstige Personen- und
Vermögensverbindungen, die Träger von Rechten und Pflichten sein kön-
nen, haben keine Staatsangehörigkeit. Das auf sie anwendbare Recht muss
daher mit Hilfe anderer Anknüpfungsmomente bestimmt werden. § 10
IPRG stellt diesbezüglich auf das Recht des Staates ab, in dem die juristi-
sche Person den tatsächlichen Sitz der Hauptverwaltung hat. Das öster-
reichische IPR folgt damit der Sitztheorie33, und zwar der Verwaltungssitz-
theorie ieS34. Nach dem auf diese Weise ermittelten Personalstatut wird
auch beurteilt, ob es sich um eine inländische oder ausländische juristische
Person handelt. Dagegen ist nach der im Common Law-Rechtskreis herr-
schenden Inkorporationstheorie bzw Gründungstheorie jene Rechtsord-
nung maßgebend, die der juristischen Person die Rechtsfähigkeit verliehen
hat35. Auch in modernen kontinentaleuropäischen Kodifikationen des IPR

31 Zu beachten ist, dass gewisse Personen wie Kinder und unter Umständen auch die Ehe-
frau einen abgeleiteten (gesetzlichen) Wohnsitz haben können. Zum „domicil(e) of de-
pendency“ im kanadischen Recht: OGH SZ 55/80.
32 Dazu Loewe, Die Empfehlungen des Europarats zur Vereinheitlichung der Rechtsbe-
griffe „Wohnsitz“ und „Aufenthalt“, ÖJZ 1974, 144.
33 Sie bestimmt auch das deutsche und französische internationale Gesellschaftsrecht.
34 Die Anknüpfung an den statutarischen Sitz (Gründungsrechtstheorie) lehnt das IPRG
also ebenso ab wie jene an den Betriebssitz; vgl OGH SZ 70/164.
35 Gründungsrecht: Für dieses spricht das Argument der Rechtssicherheit, da es sich un-
schwer bestimmen lässt, dagegen gewisse Manipulationsmöglichkeiten, die sich mit dem
Begriff „Briefkastenfirma“ verbinden.

68
Verwaltungssitz §9

wie der schweizerischen Neuordnung des Kollisionsrechts36 wird der


Gründungstheorie der Vorzug gegeben.
Eine EU-weite Diskussion hat vor diesem kollisionsrechtlichen Hinter- 9/10
grund das bereits erwähnte37 Urteil des EuGH vom 9.3.1999 in der
Rechtssache „Centros“ ausgelöst38. Aus ihm ist jedenfalls der Schluss zu
ziehen, dass die Relevanz der Sitztheorie in den Mitgliedstaaten der Ge-
meinschaft, in welchen sie vom IPR vorgesehen ist, zu Gunsten der Durch-
setzung der Niederlassungsfreiheit stark relativiert wurde. Noch in seinem
ein Jahrzehnt früher ergangenen „Daily Mail-Urteil“39 hat der EuGH das
nationale Verbot der Verlagerung eines Gesellschaftssitzes in einen anderen
Mitgliedstaat als mit dem damaligen Stand des Gemeinschaftsrechts verein-
bar angesehen. In „Centros“ hat der EuGH seine Zurückhaltung in dieser
Frage aufgegeben und festgestellt, dass kein Mitgliedstaat durch Verweige-
rung der Eintragung einer Tochtergesellschaft in das Handelsregister bzw
Firmenbuch verhindern dürfe, dass eine in einem anderen Mitgliedstaat
wirksam begründete Gesellschaft ihren Geschäftsbetrieb zur Gänze durch
die Tochtergesellschaft im Territorium dieses Mitgliedstaats abwickelt.
Nur zur Hintanhaltung und Verfolgung von Betrügereien – zB durch
Etablierung einer Briefkastenfirma – könne der betroffene Mitgliedstaat
geeignete Gegenmaßnahmen setzen.
Es bleibt klärungsbedürftig, ob durch Centros40 die von § 10 IPRG vor-
gesehene Anknüpfung des Gesellschaftsstatuts an den Verwaltungssitz für
den Bereich des EWR durch die Anknüpfung an das Gründungsortrecht
gänzlich verdrängt wird. Geklärt erscheint indes, dass sich die auf die
Gründungstheorie abstellende Praxis des EuGH auf alle juristische Perso-
nen, nicht nur auf Kapitalgesellschaften und auch auf Personengesellschaf-
ten bezieht41. Seit „Cartesio“42 scheint klar zu sein, dass es mit der Judika-

36 Vgl Art 21 Abs 2 und Art 154 Abs 1 schweizIPRG.


37 Rs C-212/97, Slg 1999 I-1459; aus der Flut deutschsprachiger Literatur zu dieser Ent-
scheidung, vgl nur St. Korn/Thaler, Das Urteil des EuGH in der Rs Centros: Ein Meilen-
stein für das europäische Gesellschaftskollisionsrecht? wbl 1999, 247; Lurger, „Centros
Revisited“: Die österreichische Sitztheorie und die Niederlassungsfreiheit des EG-Ver-
trages, IPRax 2001, 346; sowie Schwimann, Gesellschaftsstatut und Europarecht,
NZ 2000, 230.
38 Vgl Rz 4/7.
39 EuGH 27.9.1988, Rs 81/87, Slg 1988 5483; dazu Sandrock/Austmann, Das Internatio-
nale Gesellschaftsrecht nach der Daily Mail-Entscheidung des Europäischen Gerichts-
hofs: Quo Vadis? RIW 1989, 249.
40 Vgl die fragwürdige österreichische Folgejudikatur: OGH SZ 72/121 = wbl 2000, 56
(Korn); ecolex 2000/288; der OGH hat eine Vorlage an den EuGH jeweils nicht für nötig
erachtet; zuletzt OGH SZ 2004/65.
41 Vgl Art 54 Abs 2 AEUV.
42 EuGH 16.12.2008, Rs C 210/06 – Cartesio, Slg 2008 I-9641.

69
§9 Anknüpfungsmomente

tur des EuGH zu vereinbaren ist, wenn der „Sitztheorie“ im autonomen


IPR auch im Verhältnis der EWR-Mitgliedstaaten untereinander weiterhin
ein Anwendungsbereich bleibt43.

D. Parteiwille

9/11 Es ist heute weithin anerkannt, dass ein privatrechtlicher Sachverhalt mit
Auslandsberührung nach jener Rechtsordnung beurteilt werden soll, mit
der ihn die „stärkste Beziehung“44 verbindet bzw zu der er die „engste Ver-
bindung“45 hat. Die Nahebeziehung eines Sachverhalts zu einer Rechts-
ordnung wird durch bestimmte Aspekte eines Sachverhaltes indiziert und
durch gesetzliche Anordnung normiert. Diese gesetzlich festgelegten An-
knüpfungsmomente können hinsichtlich bestimmter internationaler Sach-
verhalte durch einen Konsens der Beteiligten, der auf die Maßgeblichkeit
einer anderen Rechtsordnung abstellt, ersetzt werden. Grundsätzlich ist
auch im IPR die Privatautonomie insoweit anerkannt, als die Möglichkeit
eingeräumt wird, das anzuwendende Recht zu wählen. Technisch spricht
man im IPR von Parteiautonomie, die allerdings nicht in allen Bereichen
des IPR Geltung beanspruchen kann. Ob den Parteien eine Rechtswahl er-
öffnet ist, hängt davon ab, ob es sich um ein personen-, sachen-, schuld-,
familien- oder erbrechtliches Verhältnis handelt. Für vertragliche Schuld-
verhältnisse wurde vom überkommenen autonomen und vom geltenden
europäischen Recht primär die Rechtswahl als Anknüpfungsmoment vor-
gesehen. Nur bei Fehlen einer Rechtswahl hat die objektive gesetzliche An-
knüpfung zu erfolgen, die sich für Verträge, die vor dem 17.12.2009 ge-
schlossen wurden46, noch nach dem EVÜ und für später geschlossene
Verträge nach der Rom I-Verordnung richtet47.
Dass die Wahl der auf einen konkreten Fall anwendbaren Rechtsord-
nung den Parteien überlassen werden soll, steht heute im IPR auch hin-
sichtlich außervertraglicher Schuldverhältnisse48 außer Streit. Für diese

43 Dazu Rz 10/5.
44 So die Terminologie des IPRG. Das US-amerikanische Restatement of Conflict of Laws
2d (1971) spricht von „most significant relationship“ (vgl sec. 145, 188).
45 Dieser Begriff findet sich im EVÜ und in den Verordnungen Rom I und Rom II.
46 Verträge, die vor dem 1.12.1998 geschlossen worden waren, richteten sich nach §§ 36 ff
aF IPRG, die der Rechtswahl sowohl in ausdrücklicher als auch in schlüssiger Form
und sogar der „Geltungsannahme“ Raum gaben.
47 Sachenrechtliche Verfügungen sind dagegen stets nach der lex rei sitae, dem Recht des
Belegenheitsorts (§ 31 IPRG) zu beurteilen.
48 Für gesetzliche Schuldverhältnisse hatte der durch BGBl I 1998/119 modifizierte § 35
IPRG bis zum Geltungsbeginn der Verordnung Rom II seine Bedeutung behalten. Für
das Haager StVÜ hat der OGH die Zulässigkeit der Rechtswahl bejaht: OGH SZ 68/17.

70
Parteiwille §9

ist die „freie Rechtswahl“ als die den Parteien eingeräumte Möglichkeit zur
Bestimmung des anzuwendenden Rechts heute in Art 14 Rom II-VO aner-
kannt. Fraglich ist dagegen, wieweit in anderen zivilrechtlichen Teilgebie-
ten eine Rechtswahlmöglichkeit eröffnet sein soll und welchen Wirksam-
keitsvoraussetzungen und Schranken die Parteiautonomie unterworfen
werden müsse, wenn die Zulässigkeit der Rechtswahl in diesen Bereichen
feststeht. Im autonomen österreichischen Kollisionsrecht kommt der Par-
teiautonomie außerhalb des Schuldrechts nur eine sehr beschränkte Bedeu-
tung zu, da den Parteien nur im Ehegüterrecht49 die Rechtswahl eröffnet
ist. Von einem „fakultativen Kollisionsrecht“50 kann daher – wenn über-
haupt – nur in sehr engen Grenzen die Rede sein.
In Bereichen, wo – wie im Sachenrecht – Typenzwang herrscht51, und dort, 9/12
wo – wie im Familienrecht – ein gewisses staatliches Ordnungsinteresse
obwaltet, kann es keine freie, nur eine kanalisierte Rechtswahl52 geben.
Immer schon schien im Erbrecht eine beschränkte Wahl des auf den Erbfall
anwendbaren Rechts durch den Erblasser nicht ausgeschlossen53. Dass ist
sie auch im Scheidungsrecht, wenngleich unter Einhaltung besonderer An-
forderungen an die Form54. Im vertraglichen Schuldrecht betrachtet man die
Rechtswahl quasi als Reflex der Privatautonomie und lässt sie daher nahezu
unbeschränkt zu. Schranken werden der Parteiautonomie nur dort gesetzt,
wo auch das zugrunde liegende materielle Privatrecht die Vertragsfreiheit
zum Schutz der schwächeren Partei beschränkt. So statuieren die Kolli-
sionsnormen für Verbraucher-, Bestand- und Arbeitsverträge55 Ausnahmen
vom Grundsatz der freien Rechtswahl durch die Parteien.

49 § 19 IPRG.
50 Vgl Flessner, Fakultatives Kollisionsrecht, RabelsZ 1970, 547.
51 Vgl aber Art 104 schweizIPRG.
52 Eine „kanalisierte Rechtswahl“ sieht nunmehr Art 3 des Vorschlags für eine Verordnung
(EU) des Rates zur Begründung einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich des auf
die Ehescheidung und Trennung ohne Auflösung des Ehebandes anzuwendenden
Rechts, KOM(2010) 105 endg/2 vom 30.3.2010, vor, wonach scheidungswillige Ehegat-
ten einvernehmlich das anwendbare Recht aus vier Rechtsordnungen wählen können:
a) dem Recht des Staates, in dem die Ehegatten zum Zeitpunkt des Abschlusses der Ver-
einbarung ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, b) dem Recht des Staates, in dem die
Ehegatten zuletzt ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatten, sofern einer von ihnen zum
Zeitpunkt des Abschlusses der Vereinbarung seinen gewöhnlichen Aufenthalt noch dort
hat, c) dem Recht des Staates, dessen Staatsangehörigkeit ein Ehegatte zum Zeitpunkt des
Abschlusses der Vereinbarung besitzt, d) dem Recht des Staates des angerufenen Ge-
richts.
53 So hat etwa in der Schweiz die „professio iuris“ Tradition; vgl Art 87 ff schweizIPRG.
54 So soll die durch Art 3 Abs 3 des Verordnungsvorschlags der Kommission, KOM(2010)
105 endg/2, eröffnete Rechtswahlvereinbarung jedenfalls der Schriftform bedürfen.
55 Vgl für Verbraucher- und Arbeitsverträge, die vor dem 17.12.2009 geschlossen wurden:
Art 5, 6 EVÜ und für derartige, ab dem 17.12.2009 geschlossene Verträge Art 6 und 8

71
§9 Anknüpfungsmomente

Die in Österreich herrschende Auffassung sieht in der Rechtswahl eine


„kollisionsrechtliche Verweisung“56. Das bedeutet, dass das gewählte
Recht grundsätzlich auch die zwingenden Bestimmungen des sonst nach
dem IPRG maßgebenden Rechts verdrängt, sofern es sich nicht im Beurtei-
lungszeitpunkt um einen „rein inländischen Vertrag“ handelt57. Allfällige
Sonderanknüpfungen von Eingriffsnormen der lex fori, allenfalls auch
einer dritten Rechtsordnung, wie auch ein Eingreifen des ordre public blei-
ben vorbehalten. In den einschlägigen Kollisionsnormen werden auch die
Voraussetzungen für die Vornahme der Rechtswahl – ob sie ausdrücklich
oder schlüssig vorgenommen werden muss – näher geregelt58. Schon an
der höchst gerichtlichen Praxis zu § 35 aF IPRG erwies sich, dass weniger
die Unterscheidung zwischen „gewollter“ und ihr gleichgestellter „ange-
nommener“ schlüssiger Rechtswahl praktische Probleme bereitete, als die
nur von Fall zu Fall zu lösende Frage, ob überhaupt eine Rechtswahl vor-
gelegen sei oder mangels entsprechender rechtsrelevanter Indizien die ge-
setzliche Anknüpfung eingreifen hätte müssen59. Gemäß § 11 IPRG, der
die grundlegenden Zulässigkeitsvoraussetzungen regelt, bezieht sich die
Rechtswahl im Zweifel nicht auf die Verweisungsnormen, sondern nur auf
die Sachnormen der gewählten Rechtsordnung60.
9/13 Im Schuldvertragsrecht ist die Rechtswahl vom Hauptvertrag grundsätz-
lich unabhängig, daher auch grundsätzlich formfrei und keiner inhalt-
lichen Vorgabe unterworfen. Es empfiehlt sich, die Rechtswahlklausel klar
und einfach zu formulieren, wie zB: „Dieser Vertrag unterliegt deutschem
[bzw schweizerischem, italienischem usw] Recht“. Gewählt werden kann
jede beliebige Rechtsordnung. Eine wie immer geartete Nahebeziehung
des Falles zur gewählten Rechtsordnung muss nicht gegeben sein. Wie

Rom I-VO. Bestandverträge werden nach der Rom I-VO (wie schon nach dem EVÜ) am
Recht des Belegenheitsortes des Bestandobjekts angeknüpft.
56 Im Gegensatz zur materiellrechtlichen Verweisung, bei der nicht nur die Eingriffsnor-
men, sondern auch die „einfach-zwingenden“ Bestimmungen des objektiv bestimmten
Vertragsstatuts dem gewählten Recht vorgehen.
57 Art 3 Abs 3 und 4 Rom I-VO.
58 Vgl §§ 19, 25 IPRG, Art 3 Abs 1 EVÜ.
59 So wurde zB Verweisungen der Parteien auf Vorschriften, typische Fachausdrücke,
Usancen oder Klauseln einer bestimmten Rechtsordnung etc unmittelbare Indizwirkung
zugesprochen; während auf eine Rechtsordnung abstellende Schieds- und Gerichts-
standsklauseln, Bestimmungen über den Erfüllungsort bzw Abschlussort und die Ver-
tragssprache nur als mittelbare und nur im Gesamtkontext der seinerzeit anerkannten
„Geltungsannahme“ verwertbare Indizien anzusehen waren; vgl OGH JBl 1992, 652
(Schwimann) = ZfRV 1992, 387.
60 Die Frage, ob die Verweisungsnormen der gewählten maßgebenden Rechtsordnung die
Verweisung (durch Rechtswahl) annehmen, stellt sich daher nicht.

72
Parteiwille §9

nunmehr Art 3 Abs 1 Satz 3 Rom I-VO ausdrücklich vorsieht, ist eine Teil-
rechtswahl61 möglich. Zudem bestimmt Abs 2 dieser Bestimmung, dass
eine Vereinbarung der Parteien über das anzuwendende Recht „jederzeit“
möglich ist, also auch eine nachträgliche Rechtswahl mit Wirkung ex
nunc oder ex tunc62. § 11 Abs 2 IPRG ermöglicht sogar die problematische
– allerdings ausdrücklich zu treffende – nachträgliche Rechtswahl in einem
anhängigen Verfahren63, jedoch wohl nur bis zum Schluss der letzten Tat-
sacheninstanz. § 11 Abs 3 IPRG stellt klar, dass die Rechtsstellung Dritter
– zB eines Haftpflichtversicherers – durch nachträgliche Rechtswahl nicht
beeinträchtigt werden kann64. Ob die parteiautonome Bestimmung des an-
wendbaren Rechts zulässig und wirksam ist, ist nach den sachrechtlichen
Bestimmungen der lex fori zu prüfen. Vorliegen und Inhalt der Rechtswahl
hat der Richter – außer bei deren ausdrücklicher Außerstreitstellung – von
Amts wegen zu ermitteln.
Besonderes gilt für das Recht der internationalen Schiedsverfahren, das 9/14
geradezu vom Parteiwillen lebt. Die von den Parteien durch eine Schieds-
klausel bzw einen Schiedsvertrag gewollte Derogation des staatlichen
Richters und dessen Ersetzung durch ein institutionelles oder ad hoc ein-
zuberufendes Schiedsgericht kann nicht nur die Auswahl der Schiedsrich-
ter und des Schiedsortes beinhalten, sondern auch die vom Schiedsgericht
zu befolgenden Verfahrensregeln umfassen. Darüber hinaus steht es den
Parteien völlig frei, das vom Schiedsgericht in der Hauptsache anzuwen-
dende Recht von vornherein zu bestimmen. Art VII des Genfer Überein-
kommens über die Handelsschiedsgerichtsbarkeit65 sieht dies ausdrücklich
vor. Nur wenn die Parteien kein bestimmtes Recht gewählt haben, hat das
Schiedsgericht „das Recht anzuwenden, auf das die Kollisionsnormen hin-
weisen, von denen auszugehen das Schiedsgericht jeweils für richtig erach-
tet“. Die Regelung rührt daher, dass internationale Schiedsgerichte keine
lex fori haben und damit weder über eigene Kollisionsnormen noch über
eigene Sachnormen verfügen. In beiden Bestimmungsfällen sollte es sich

61 Eine Teilrechtswahl zieht unvermeidlich „dépeçage“ (Spaltung des Statuts) nach sich.
62 Etwa zur Schadensliquidierung nach Schadenersatzfällen.
63 Vgl OGH IPRax 1986, 244 (Koppensteiner, 251); ferner ZfRV 1992, 310 (Hoyer) = IPRax
1992, 329 (Schwind, 334).
64 So wird die Rechtsstellung eines Dritten auch von einer ursprünglichen Rechtswahl nur
berührt, wenn er ihr zugestimmt hat oder ihm aus dem gewählten Recht entstandene
subjektive Rechte übertragen worden sind: OGH JBl 1991, 312 (Eccher) = ZfRV 1991,
471 (Zemen).
65 Europäisches Übereinkommen über die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit,
BGBl 1964/107.

73
§9 Anknüpfungsmomente

freilich um „Recht“ (eines Staates) handeln. Ob die viel diskutierte „lex


mercatoria“66 dazugehört, ist fraglich67.

E. Belegenheitsort, Handlungsort, Erfolgsort

9/15 Die übrigen Anknüpfungsmomente des österreichischen IPR werfen weni-


ger komplexe Fragen auf. So sind im internationalen Sachenrecht nach
dem dominierenden Anknüpfungsmoment des Belegenheitsortes ding-
liche Rechte an beweglichen und unbeweglichen Sachen nach der lex rei si-
tae, somit nach dem Recht des Staates zu beurteilen, in dem sich die betref-
fenden Sachen gemäß § 31 Abs 1 IPRG „bei Vollendung des dem Erwerb
oder Verlust zugrunde liegenden Sachverhalts“ befinden.
9/16 Daneben bestimmt sich das anwendbare Recht sehr oft durch den Ort, an
dem eine rechtserhebliche Handlung vorgenommen wird. So ist im IPRG in
einigen Verweisungsnormen der Handlungsort als Anknüpfungskriterium
für Sachverhalte mit Auslandsberührung bestimmt worden, so wenn § 47 auf
den Ort der auftragslosen Geschäftsbesorgung und § 48 Abs 1 auf den Ort
der Schadensverursachung abstellten. Die Rom II-Verordnung hat diesem
Kriterium ein wichtiges Anwendungsfeld entzogen, als sie das Deliktsstatut
gemäß ihrem Art 4 Abs 1 am Erfolgsortprinzip ausgerichtet hat68.
Immerhin kann auch die Anknüpfung am gewöhnlichen Arbeitsort, wie
sie Art 8 Abs 2 Rom I-VO vorsieht, als Ausdruck des Abstellens auf den
Handlungsort begriffen werden, und dies gilt auch für die von Art 4 Abs 2
Rom I-VO vorgesehene objektive Anknüpfung an den Aufenthaltsort
oder Niederlassungsort der Vertragspartei, welche die charakteristische
Leistung erbringt69. Schließlich wird auch an den Handlungsort ange-
knüpft, wenn auf den Ort abgestellt wird, „an dem der Erblasser letztwillig
verfügt hat“70.

66 ZB in der seit 1994 textlich festgelegten Form der UNIDROIT Principles of Internatio-
nal Commercial Contracts (revidierte Fassung 2004).
67 Vgl OGH GesRZ 1983, 102 (Fall „Norsolor-Pabalk“); dazu etwa Bajons, Zur Nationali-
tät internationaler Schiedssachen, in Kralik-FS (1986) 3 (22).
68 Gegen diesen Paradigmenwechsel im Deliktstatut: Koziol/Thiede, Kritische Bemerkun-
gen zum derzeitigen Stand des Entwurfs einer Rom II-Verordnung, ZVglRWiss 106
(2007) 235 (241 ff).
69 Die Anknüpfung von schuldrechtlichen Geschäften an das Recht des Abschluss- bzw
Erfüllungsortes (lex loci actus, lex loci solutionis) ist heute weithin obsolet. Im Rahmen
der Ausweichklausel des Art 4 Abs 4 Rom I-VO können jedoch dem Abschlussort und
dem Erfüllungsort Indizfunktion bei der Ermittlung einer „engeren Verbindung“ zu-
kommen.
70 Vgl Art 1 lit a) Haager TestÜ.

74
§ 10. Personenrecht
A. Allgemeines

Für alle Fragen, die mit dem Status und der Rechtsstellung natürlicher und 10/1
juristischer Personen und mit den Persönlichkeitsrechten zusammenhän-
gen, bestimmt § 9 IPRG das Personalstatut, das sich bei natürlichen Perso-
nen primär nach der Staatsangehörigkeit richtet1. Der Abschnitt über das
internationale Personenrecht beinhaltet Anknüpfungsregeln für Rechtsfä-
higkeit und Handlungsfähigkeit, Namensführung und Namensrechtsver-
letzung, Todeserklärung und Beweisführung des Todes sowie „Entmündi-
gung“, worunter schon seit dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes über die
Sachwalterschaft für behinderte Personen2 am 1.7.1984 „Sachwalterschaft“
zu verstehen ist. In diesen Tatbeständen sind Rück- und Weiterverweisun-
gen3 sowie die Vorbehaltsklausel stets zu beachten.

B. Rechts- und Geschäftsfähigkeit natürlicher Personen

„Rechtsfähigkeit“ und „Handlungsfähigkeit“ sind in § 12 IPRG geregelt, 10/2


welcher hierfür auf das jeweilige Personalstatut der Person abstellt. Grund-
sätzlich wird heute jedem Menschen unabhängig von seiner Hautfarbe,
Rasse oder Abstammung überall Rechtsfähigkeit bzw Rechtspersönlich-
keit, dh die Fähigkeit, Person im Rechtssinn und damit Träger von Rechten
und Pflichten zu sein, zugesprochen. Hierin ist auch eine Grundwertung
der österreichischen Rechtsordnung zu sehen4. Dagegen können die Be-

1 Vgl dazu Rz 9/2.


2 BGBl 1983/136.
3 Hinsichtlich § 15 IPRG vgl OGH ZfRV 1988, 41 (Hoyer).
4 Vgl § 16 ABGB, dem zufolge in einer Art spezialisierter Vorbehaltsklausel „Sklaverei,
Leibeigenschaft“ – wohl auch bürgerlicher Tod udgl – und „die Ausübung einer darauf
sich beziehenden Macht“ nicht gestattet wird; zum ordre public-Charakter dieser Bestim-
mung vgl schon OGH SZ 15/107.

75
§ 10 Personenrecht

stimmungen über Beginn, Umfang und Ende der Rechtspersönlichkeit


eines Menschen in den verschiedenen Rechtsordnungen unterschiedlich
ausgestaltet sein. Nicht überall gibt es zB eine dem § 22 ABGB entspre-
chende Bestimmung über die antizipierte, partielle und bedingte Rechtsfä-
higkeit der Leibesfrucht oder eine „Kommorientenpräsumtion“, wie sie
§ 11 TEG vorsieht. So hängen etwa nach spanischem Recht die bürgerlich-
rechtlichen Folgen der Geburt davon ab, dass die Leibesfrucht eine
menschliche Gestalt aufweist und nach der vollständigen Trennung vom
Mutterleib 24 Stunden gelebt hat5.
Von der allgemeinen Rechtsfähigkeit sind eine Reihe von besonderen,
mit der Rechtssubjektivität einer natürlichen Person zusammenhängende
rechtliche Fähigkeiten zu unterscheiden, wie die Fähigkeit zu erben, Testa-
mentszeuge zu sein oder adoptiert zu werden6. Diese Fähigkeiten werden
grundsätzlich nach dem betreffenden Sachstatut (lex causae) beurteilt. Ein-
schränkungen der Fähigkeit, Grundstücke zu erwerben, richten sich nach
dem Recht des Staates, der das Verbot erlassen hat.
§ 12 IPRG spricht ganz allgemein von Handlungsfähigkeit, kann jedoch
bei gebotener einschränkender Interpretation lediglich die Geschäftsfähig-
keit7 meinen, während die „Deliktsfähigkeit“ bzw „Verschuldensfähigkeit“
als ein „Stück Deliktsrecht“ nach dem Deliktsstatut zu beurteilen ist8. Die
einheitliche Anknüpfung der Deliktsfähigkeit nach dem Deliktsstatut ge-
bietet auch die dem Art 8 Haager Übereinkommen über das auf Straßenver-
kehrsunfälle anzuwendende Recht (StVÜ) zugrundeliegende Wertung.
Auch aus Art 15 lit a) Rom II-VO, der das nach dieser Verordnung anwend-
bare Recht „für den Grund und den Umfang der Haftung einschließlich der
Bestimmung der Personen, die für ihre Handlungen haftbar gemacht wer-
den können“ als maßgebend ausweist9, ist sie argumentativ abzuleiten.
Das Geschäftsfähigkeitsstatut gilt vornehmlich für die mit der Volljäh-
rigkeit verbundene allgemeine Geschäftsfähigkeit. Ist diese eingetreten,
kann sie durch Wechsel des Personalstatuts nicht mehr verloren gehen –

5 Art 30 Código Civil Español.


6 Hier gibt es nationale Besonderheiten. So fehlt etwa gem Art 909 Code civil dem letztbe-
handelnden Arzt oder Apotheker grundsätzlich die Fähigkeit, eine durch einen Patienten
testamentarisch verfügte Zuwendung entgegenzunehmen. Gleiches gilt seit dem 1.1.2009
(Inkrafttreten des Gesetzes über die Reform des Schutzes von Volljährigen, Loi
n° 2007–308) für Vertretungspersonen, die für Volljährige gerichtlich bestellt worden
sind.
7 Das ist wegen des Wortlauts des § 12 IPRG allerdings nicht unumstritten; eine ausdrück-
liche und sachgerechte Regelung enthält dagegen Art 7 EGBGB.
8 Zutreffend Koziol, Österreichisches Haftpflichtrecht I3 (1997) Rz 19/3–19/6.
9 Vgl Heiss/Loacker, Die Vergemeinschaftung des Kollisionsrechts der außervertraglichen
Schuldverhältnisse durch Rom II, JBl 2007, 613 (645).

76
Rechts- und Geschäftsfähigkeit natürlicher Personen § 10

„semel maior, semper maior“. Stellt sich die Frage der Geschäftsfähigkeit
im Zusammenhang mit einem schuldrechtlichen oder ehegüterrechtlichen
Vertrag, geht das Geschäftsfähigkeitsstatut dem Vertragsstatut vor. Geson-
dert angeknüpft werden besondere Geschäftsfähigkeiten10. Zu beachten ist
Art 13 Rom I-VO, wonach eine vertragsschließende natürliche Person, die
nach dem Recht des Abschlussortes eines schuldrechtlichen Vertrags ge-
schäftsfähig wäre, sich auf das Fehlen der Geschäftsfähigkeit nach ihrem
Personalstatut nicht berufen kann, wenn die andere Partei dies nicht wusste
oder nicht wissen konnte11.
Die Voraussetzungen und Wirkungen sowie die Aufhebung einer „Sach- 10/3
walterschaft für behinderte Personen“ sind gemäß § 15 IPRG nach dem
jeweiligen Personalstatut des Betroffenen zu beurteilen. Qualifikationsmä-
ßig ist das Wesen des seit dem 1.7.198412 obsoleten Verweisungsbegriffes
„Entmündigung“13 in der Reduktion oder dem Entzug der Handlungsfä-
higkeit wegen geistiger oder körperlicher Schutzbedürftigkeit durch die
Behörde sowie der Bestellung eines Aufsichtsorgans zu sehen14. Inländi-
sche Gerichtsbarkeit und Verfahren hierzu richten sich nach den Verfah-
rensgesetzen15.
Der vormals bestehende strikte Gleichlauf zwischen inländischer Gerichts- 10/4
barkeit und auf die Todeserklärung bzw die Beweisführung des Todes an-
wendbarem (inländischen) Recht wurde durch § 14 IPRG im Grundsatz
durchbrochen. Voraussetzungen, Wirkungen und Aufhebung einer Todes-
erklärung oder einer Beweisführung des Todes unterstehen demnach dem
letzten bekannten Personalstatut des Verschollenen. Die inländische Ge-
richtsbarkeit für Ausländer ist aber nur bei Vorliegen der in § 12 TEG nor-
mierten Voraussetzungen gegeben16.

10 Etwa für Eheschließung, Legitimation, Adoption, letztwillige Verfügung.


11 Das gilt für Verträge, bei denen sich beide Vertragschließende „in demselben Staat“ be-
finden.
12 Datum des Inkrafttretens des inzwischen durch das Sachwalterrechts-Änderungsgeset-
zes – SWRÄG, BGBl I 2006/92, umfassend novellierten Bundesgesetzes über die Sach-
walterschaft für behinderte Personen.
13 Auch die umfassende Neuordnung der Materie durch das Sachwalterrechts-Änderungs-
gesetz – SWRÄG, BGBl I 2006/92, hat die überfällige terminologische Anpassung des
IPRG an das Sachrecht ausgeklammert.
14 Schwimann in Rummel2 § 15 IPRG Rz 2; vgl auch Verschraegen in Rummel3 § 15 IPRG
Rz 2.
15 § 110 JN, § 6a ZPO, §§ 117 ff AußStrG 2005.
16 Nach § 12 TEG, der zunächst durch § 51 Abs 1 Z 9 IPRG aufgehoben, dann durch Art
XIII ZVN 1983 BGBl 135, neu eingefügt wurde, ist für die Todeserklärung und Beweis-
führung des Todes eines Ausländers inländische Gerichtsbarkeit nur gegeben, wenn der
Betroffene „Vermögen im Inland hat oder die Tatsache seines Todes für ein im Inland zu

77
§ 10 Personenrecht

C. Rechts- und Geschäftsfähigkeit juristischer Personen

10/5 Der österreichische Gesetzgeber ist bei Festlegung des Gesellschaftsstatuts


der „Sitztheorie“ und nicht der alternativen „Gründungstheorie“ ge-
folgt17. Alle Fragen, welche die Verfassung und Organisation einer juris-
tischen Person betreffen, einschließlich Geschäftsfähigkeit und Vertretung
(Außen- und Innenstatut) sind daher gemäß § 10 IPRG an das Recht des
tatsächlichen (nicht bloß statutarischen) Sitzes der Hauptverwaltung anzu-
knüpfen18. Nach dem Recht des Hauptverwaltungssitzes beurteilt sich da-
her etwa, ob die juristische Person entstanden oder untergegangen ist, wie-
weit der Umfang ihrer Rechtsfähigkeit reicht, ob und welche Organe
allenfalls für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft haften, ob eine Perso-
nengesellschaft als juristische Person zu qualifizieren ist, ob eine Form-
umwandlung, grenzüberschreitende Verschmelzung oder eine gesell-
schaftsrechtlich relevante Vermögensübertragung wirksam zustande
gekommen ist uä. Firmenbuch- und fremdenrechtliche Fragen richten sich
hingegen nach dem Sachrecht des Registerortes, die Prozessfähigkeit nach
den jeweiligen Sachnormen der lex fori19.
Die selbstständige Beurteilung von Zweigniederlassungen bezüglich
ihrer Organisation und Vertretungsmacht würde sich, folgt man § 10
IPRG, jeweils danach richten, ob diese in ihrem Sitzstaat Rechtspersön-
lichkeit haben oder nicht. Ob die beherrschende Muttergesellschaft für
Schulden der von ihr beherrschten Tochtergesellschaft aufzukommen
hat20, wäre nach dem Statut der abhängigen Gesellschaft zu beurteilen21.
Nach dem tatsächlichen Sitz der Hauptverwaltung sollten gemäß § 10

beurteilendes Recht oder Rechtsverhältnis erheblich ist oder der Antrag auf Todeserklä-
rung vom Ehegatten des Verschollenen gestellt wird und dieser Ehegatte entweder öster-
reichischer Staatsbürger ist oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat und zur
Zeit der Eheschließung mit dem Verschollenen österreichischer Staatsbürger gewesen
ist“.
17 Siehe Rz 9/9.
18 Bei großen, international tätigen Kapitalgesellschaften ist das der Sitz der Generaldirek-
tion.
19 § 3 ZPO.
20 Durchgriffshaftung „piercing the corporate veil“.
21 Vgl OGH SZ 54/94: Produkthaftungsanspruch (wegen defekter Autobusreifen) gegen
eine nach englischem Gesellschaftsrecht errichtete Public Company, deren US-Mutter-
gesellschaft praktisch das gesamte Aktienkapital hält: Die Frage der Durchgriffshaftung
hat mit dem Geschäftsstatut des einzelnen von der Tochtergesellschaft abgeschlossenen
Geschäftes nichts zu tun. Die Rechtsbeziehungen zwischen den außenstehenden Gesell-
schaftern, Gläubigern, Arbeitnehmern und sonst betroffenen Personen und dem die Ge-
sellschaft beherrschenden (ausländischen) Unternehmen richten sich nach dem durch
den maßgeblichen Sitz ermittelten Gesellschaftsstatut der abhängigen Gesellschaft.

78
Rechts- und Geschäftsfähigkeit juristischer Personen § 10

IPRG auch die betreffenden Rechtsverhältnisse „einer sonstigen Personen-


oder Vermögensverbindung, die Träger von Rechten und Pflichten sein
kann“, wie zB eines ruhenden Nachlass, einer Konkursmasse, eines Trust
oder einer Partnership beurteilt werden22.
Für den Bereich der Europäischen Union hat der Europäische Gerichts- 10/6
hof23 diese Ordnung jedoch empfindlich gestört, als er im März 1999 in
dem bekannten Centros-Urteil der Gründungstheorie folgte und das Statut
der in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union eröffneten Zweignie-
derlassung einer in einem anderen Mitgliedstaat gegründeten Gesell-
schaft mit dem Recht dieses anderen Staates bestimmte24. Darauf, dass die
Gesellschaft im Gründungsstaat einen Geschäftsbetrieb eröffnet hätte, kam
es dem EuGH ebenso wenig an, wie er der Umgehung der Mindestkapital-
vorschriften im Niederlassungsstaat Bedeutung beimaß. Vorrangig für den
Gerichtshof war es, der Niederlassungsfreiheit in der Europäischen Ge-
meinschaft Rechnung zu tragen25.
Kurz darauf hatte der OGH im Gefolge von Centros in drei Entschei-
dungen26 wenig zur Klärung der durch das Urteil des EuGH aufgeworfe-
nen Fragen27 beigetragen, vielmehr durch seine „EU-konforme Ausle-
gung“ des Begriffs „Personalstatut“ in § 13 Abs 3 HGB28 die Verwirrung
eher noch vergrößert. Seine Festlegung, dass „[d]ie Rechtsfähigkeit und
Handlungsfähigkeit der in einem Mitgliedstaat rechtswirksam errichteten
ausländischen juristischen Person [. . .] im Zusammenhang mit der Errich-
tung einer Zweigniederlassung in Österreich nach jenem Recht zu beurtei-
len [ist], nach dem die juristische Person gegründet wurde, sofern sich ihr
satzungsgemäßer Sitz oder die Hauptverwaltung oder die Hauptniederlas-
sung in einem Mitgliedstaat befinden“, stimmte zwar mit dem Centros-Ur-
teil des EuGH überein, ergab jedoch einen klaren Widerspruch zu § 10
IPRG. Wie sich die in dieser Bestimmung verankerte „Sitztheorie“ und

22 Vgl OGH EvBl 1984/125: Die (natürliche oder juristische) Person oder Handelsgesell-
schaft, über deren Vermögen in der BRD der Konkurs eröffnet wurde, behält in der Re-
publik Österreich die Verfügungs- und Prozessführungsbefugnis in Bezug auf ihr in Ös-
terreich gelegenes Vermögen; dem in der BRD bestellten Konkursverwalter kommt in
diesem Umfang keinerlei Verfügungs- und Prozessführungsbefugnis in Österreich zu.
23 Nach dem Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon nunmehr „Gerichtshof der Europä-
ischen Union“; die Abkürzung EuGH wird gleichwohl beibehalten.
24 Vgl Rz 4/7, 9/10.
25 Art 49–55 AEUV, ex-Art 43–48 EGV.
26 SZ 72/121; wbl 2000/60, 56 (Korn); ecolex 2000/288(Karollus-Bruner).
27 Die dem EuGH in Holto Ltd, Rs C-447/00, vom Landesgericht Salzburg gestellt, aber
vom EuGH in seinem Urteil vom 22.1.2002 aus formalen Gründen nicht beantwortet
wurden; zu den Vorlagefragen Lurger, IPRax 2001, 346.
28 Seit 1.1.2007 nunmehr § 12 Abs 3 UGB.

79
§ 10 Personenrecht

die an der Judikatur des EuGH orientierte Auffassung des OGH vereinba-
ren ließen, blieb eine offene Frage. Jedenfalls schien die Norm des autono-
men Kollisionsrechts im Verhältnis zu den anderen Mitgliedstaaten der EU
bzw des EWR wegen des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts nicht mehr
und nur mehr gegenüber Drittstaaten anwendbar zu sein.
10/7 Während die zunächst folgenden einschlägigen Urteile des EuGH29 im
Hinblick auf „Zuzugsbeschränkungen“ auf dem Boden der Gründungs-
theorie verblieben, hat der Gerichtshof zuletzt in Cartesio30 für manche
überraschend für so genannte „Wegzugsfälle“ der Sitztheorie auch im Ver-
hältnis der Mitgliedstaaten untereinander einen Anwendungsbereich gesi-
chert. Es bleibt demnach dem mitgliedstaatlichen Recht überlassen, zu ent-
scheiden, ob es Gesellschaften möglich sein soll, unter Aufrechterhaltung
ihrer Rechtspersönlichkeit aus dem Inland wegzuziehen31.
Wie aus dem am 7.1.2008 vorgelegten „Referentenentwurf eines Geset-
zes zum Internationalen Privatrecht der Gesellschaften, Vereine und juris-
tischen Personen“ des Bundesjustizministeriums hervorkommt32, hat
Deutschland, das wie Österreich traditionell der Sitztheorie verbunden ist,
erwogen, den Weg zur Verankerung der Gründungstheorie in seinem auto-
nomen IPR eingeschlagen33. Auch für Österreich schiene dies eine erwä-
genswerte Vorgangsweise zu sein, doch ist ungewiss, ob der deutsche Refe-
rentenentwurf realisiert wird34. Sicher ist jedoch, dass die geplante
Erlassung einer Richtlinie über die grenzüberschreitende Sitzverlegung
von Gesellschaften35 von der Kommission als unverhältnismäßig aufge-
schoben wurde36.

29 Rs C-208/00 – Überseering, Slg 2002 I-9919; Rs C-167/01 – „Inspire Art“, Slg 2003 I-
10155; Rs C-411/03 – „SEVIC“, Slg 2005 I-10805.
30 Rs C 210/06, Slg 2008 I-9641 = wbl 2009, 75; dazu nur Ratka/Rauter, Cartesio und das
ius vitae necisque des Wegzugsstaates, wbl 2009, 62.
31 Der EuGH knüpft in Cartesio an sein vieldiskutiertes Urteil in Daily Mail vom
27.9.1988, Rs C-81/87, Slg 1988, 5483, an.
32 Dazu R. Wagner/Timm, Referentenentwurf eines Gesetzes zum Internationalen Privat-
recht der Gesellschaften, Vereine und juristischen Personen, IPRax 2008, 81.
33 Die Neufassung des Art 10 EGBGB soll an das Recht des Staates anknüpfen, in dem Ge-
sellschaften, Vereine und juristische Personen „in ein öffentliches Register eingetragen
sind“.
34 Hirte, Die Entwicklung des Unternehmens- und Gesellschaftsrechts in Deutschland im
Jahre 2008, NJW 2009, 45, berichtet, dass der Referentenentwurf „wegen ungeklärter
Fragen im Zusammenhang mit der unternehmerischen Mitbestimmung . . . nicht weiter-
voran getrieben“ wurde.
35 Vgl das Arbeitsdokument der Kommission vom 12.12.2007, SEC(2007)1707.
36 Bericht der Kommission über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der
Verhältnismäßigkeit vom 26.9.2008, KOM(2008) 586 endg.

80
Persönlichkeitsrechte § 10

D. Persönlichkeitsrechte

Der privatrechtliche Schutz der Persönlichkeitsrechte hat im Binnenmarkt 10/8


auch grenzüberschreitend zunehmend an Bedeutung gewonnen. Im ös-
terreichischen IPRG ist dieser Bereich nur rudimentär behandelt, da nur
das Namensrecht und die Immaterialgüterrechte ausdrücklich geregelt
sind37. Hinsichtlich des Bestandes der kollisionsrechtlich nicht besonders
geregelten Persönlichkeitsrechte, zu denen das Recht auf Leben, Gesund-
heit und körperliche Unversehrtheit, das Recht auf das eigene Bild38, das
Recht auf Wahrung der Privatsphäre, das Recht auf Freiheit und Achtung
der Ehre, das Recht auf Erhaltung der Arbeitskraft usw gehören, gilt der
allgemeine kollisionsrechtliche Grundsatz, wonach das Recht, zu dem die
„stärkste Beziehung“ besteht, anzuwenden ist. Der Schutz dieser Rechte
wird dagegen in analoger Anwendung des § 13 Abs 2 IPRG – bei fehlender
Rechtswahl – nach dem Ort der Verletzungshandlung zu beurteilen sein,
was auch den Anknüpfungsgrundsätzen des novellierten § 48 IPRG39 für
außervertragliche Schadenersatzansprüche entspricht. Die Lücken füllende
Neufassung des § 48 IPRG war unter anderem deshalb notwendig, weil die
Verordnung Rom II in ihrem Art 1 Abs 2 lit g) „außervertragliche Schuld-
verhältnisse aus der Verletzung der Privatsphäre oder der Persönlichkeits-
rechte, einschließlich der Verleumdung“ aus ihrem Anwendungsbereich
ausnimmt40.
Obwohl Erwerb und Verlust des Namens vielfach die Folge familien- 10/9
rechtlicher Vorgänge sind, deren Beurteilung sich nach dem jeweils dafür
relevanten Statut richtet, ist „die Führung des Namens einer Person“ ge-

37 Vgl dagegen die umfassende Regelung in Art 139 schweizIPRG.


38 Vgl OGH EvBl 1993/58 = ZfRV 1993, 151: für Bildnisschutz Anknüpfung analog zu
§ 13 Abs 2 IPRG.
39 BGBl I 2009/109, Bundesgesetz mit dem das IPR-Gesetz, das Versicherungsaufsichtsge-
setz sowie das Verkehrsopferentschädigungsgesetz geändert und das Bundesgesetz über
internationales Versicherungsvertragsrecht für den Europäischen Wirtschaftsraum auf-
gehoben werden.
40 Für diese Ausnahme war gemäß Art 30 Abs 2 Rom II-VO eine Überprüfung bis
31.12.2008 vorgesehen. Der im Februar 2009 vorgelegte Bericht Comparative study on
the situation in the 27 Member States as regards the law applicable to non-contractual ob-
ligations arising out of violations of privacy and rights relating to personality, (http://ec.
europa.eu/justice_home/doc_centre/civil/studies/doc/study_privacy_en.pdf), legt aber
noch keine konkreten Aktivitäten nahe; vgl Rz 15/39.
Zu den durch die Regelungsabstinenz des Gemeinschaftsrechts verursachten Problemen
näher Heiss/Loacker, Die Vergemeinschaftung des Kollisionsrechts der außervertragli-
chen Schuldverhältnisse durch Rom II, JBl 2007, 613 (619 ff).

81
§ 10 Personenrecht

mäß § 13 Abs 1 IPRG „nach deren jeweiligem Personalstatut zu beurteilen,


auf welchem Grund auch immer der Namenserwerb beruht“41. Wenn-
gleich der Gesetzeswortlaut, der das „jeweilige Personalstatut anspricht“,
für eine Durchbrechung des in § 7 IPRG ausgedrückten Grundsatzes, wo-
nach die nachträgliche Änderung der für die Anknüpfung an eine be-
stimmte Rechtsordnung maßgebenden Voraussetzungen auf bereits vollen-
dete Tatbestände keinen Einfluss hat, spricht, legt der VwGH unter
Berufung auf Schwimann § 13 Abs 1 IPRG so aus, dass der schlichte Wech-
sel des Personalstatuts als solcher keine namensrechtlichen Folgen nach
sich zieht, sofern er nicht mit einem Namenstatbestand einhergeht42. Eine
die gemeinsame Namensführung in der Familie erleichternde Rechtswahl-
möglichkeit, wie sie etwa im deutschen Recht in Art 10 EGBGB vorgese-
hen ist, kennt das österreichische IPR bedauerlicherweise nicht43.
10/10 Der Schutz des Namens ist nach dem Recht des Staates bzw der Staaten zu
beurteilen, in dem bzw in denen die Verletzungshandlung gesetzt wird.
§ 13 Abs 2 IPRG stellt – ursprünglich insofern als eine lex specialis zur Re-
gelung des § 48 IPRG – auf das Recht des Ortes ab, an dem die Verlet-
zungshandlung gesetzt wird44.
Die Anknüpfungsregeln des § 13 IPRG gelten auch für juristische Per-
sonen und Gesellschaften. Anknüpfungspunkte sind hier hinsichtlich des
Erwerbs und Verlusts des Namens der tatsächliche Sitz der Hauptver-
waltung bzw beim Namensschutz der Ort der Verletzungshandlung. Zu
beachten ist, dass sich gemäß § 10 IPRG auch die Firma eines Einzelkauf-

41 Mit dieser Formulierung werden Tatbestände des Erwerbs und der Änderung des Na-
mens privaten wie öffentlichen Rechts erfasst; vgl OGH JBl 1983, 159 (Schwimann).
42 VwGH JBl 1990, 62 (zust Schwimann) = ZfRV 1991, 150 (abl Schwind): Zugrunde lag
der Sachverhalt einer Eheschließung, der Jahre später ein Wechsel der Staatsbürgerschaft
folgte. Der VwGH hielt fest, dass das Wort „jeweilig“ das Rückwirkungsverbot des § 7
IPRG nicht aufgehoben habe, sondern sich auf den Zeitpunkt der Vollendung eines Na-
menstatbestandes bezieht. Die bloße Änderung des Personalstatuts ist kein Namenstat-
bestand und lässt deshalb vorher abgeschlossene Namenstatbestände unberührt; der vor-
her erworbene Name wirkt also weiter. Der von einer deutschen Ehefrau nach
deutschem Recht erworbene Ehename gilt deshalb auch nach Einbürgerung der Frau in
Österreich weiter, obwohl die österreichische Namensfolge anders lauten würde (ähn-
lich: VwGH JBl 1987, 605).
43 Vgl etwa die Schwierigkeiten bei gemischt nationalen Ehen durch § 9 Abs 1 IPRG (Be-
vorzugung der Staatsbürgerschaft der lex fori).
44 Da die Rom II-VO das Problem vorerst offen lässt, wäre an sich zu fragen, ob § 13 Abs 2
IPRG nicht eher in Richtung auf das Erfolgsortprinzip zu ändern gewesen wäre. Der neu
formulierte § 48 IPRG stellt aber auf das Handlungsortprinzip ab und ist auch für die
Anknüpfung der anderen Persönlichkeitsverletzungen zu beachten, solange nicht das in
Art 30 Abs 2 Rom II-VO vorgesehene Überprüfungsverfahren ein Ergebnis gezeigt hat.

82
Persönlichkeitsrechte § 10

mannes nicht nach dessen Personalstatut, sondern nach dem Recht am tat-
sächlichen Verwaltungssitz des Unternehmens richtet, das Sitzprinzip je-
doch durch die Judikatur des EuGH seit Centros als Basis für das Gesell-
schaftsstatut relativiert worden ist.

83
§ 11. Familienrecht1
A. Allgemeines

11/1 Das ABGB hatte in seiner ursprünglichen Fassung von 1811 neben den die
„persönliche Fähigkeit“ betreffenden Anknüpfungsregeln2 keine spezielle
Regelung für die Anknüpfung von internationalen Eherechts- und Kind-
schaftsrechtssachverhalten vorgesehen. Diese Lücke war durch die 4.
DVEheG vom 25.10.19413 nur teilweise geschlossen worden. Das IPRG
hat Bewährtes übernommen und unter Bedachtnahme auf neuere kolli-
sionsrechtliche Regelungsgesichtspunkte – zB Relevanz des Gleichheits-
satzes, Alternativanknüpfungen zur Begünstigung und Aufrechterhaltung
von Statusverhältnissen – das internationale Ehe- und Kindschaftsrecht
umfassend kodifiziert. Die 1978 erfolgte Neuordnung des Internationa-
len Familienrechts ist seither im Laufe der Jahre unter praktischen Aspek-
ten stetig wichtiger geworden, weil die Mobilität der Menschen innerhalb
Europas gestiegen und Österreich zudem ein begehrtes Zielland für Mi-
granten aus anderen Erdteilen geworden ist. Da die nationalen Ehe- und
Familienrechte – trotz der allenthalben in jüngerer Zeit gesetzten, im We-
sentlichen gleichgerichteten Reformmaßnahmen – nach wie vor erhebliche
Unterschiede aufweisen, stammt heute ein erheblicher Prozentsatz der
Fälle, in denen sich den Gerichten (und Standesämtern) die Frage des an-
wendbaren Rechts stellt, aus diesem Privatrechtsbereich.
Im Familienrecht knüpft das IPRG fast ausnahmslos an das Personal-
statut der beteiligten Personen an, wobei allfällige Rück- und Weiterver-
weisungen sowie der ordre public zu beachten sind. Lediglich im Ehegüter-
recht ist im österreichischen internationalen Familienrecht die Rechtswahl
durch die Parteien in ausdrücklicher Form zugelassen. Außerdem verwen-
den die multilateralen Staatsverträge, die vornehmlich im internationalen

1 Mehr Informationen zum Internationalen Familienrecht bieten unter sinnvoller Einbezie-


hung des IZVR Nademleinsky/Neumayr, Internationales Familienrecht (2007).
2 §§ 4 Satz 2, 34 aF ABGB.
3 DRGBl 1941 I, 654.

84
Ehe und Scheidung § 11

Kindschaftsrecht das autonome Recht verdrängen, den „gewöhnlichen


Aufenthalt“ als Anknüpfungsmoment, was meist in einen Gleichlauf zwi-
schen Forum und anwendbarem Recht mündet. Auch die einschlägigen
Reformmaßnahmen auf Ebene des EU-Rechts stellen verstärkt auf das
Recht des gewöhnlichen Aufenthalts ab und geben der Parteiautonomie
deutlich mehr Raum4.

B. Ehe und Scheidung

Zur Frage, wie die Verlobung und das durch sie begründete Verlöbnis an- 11/2
zuknüpfen sind, schweigt das IPRG. Diese Regelungslücke ist unter Her-
anziehung des Grundsatzes der Anknüpfung nach der stärksten Beziehung
gemäß § 1 IPRG durch eine Analogie zu den entsprechenden eherechtli-
chen Bestimmungen der §§ 17 ff IPRG zu schließen: Voraussetzungen und
Wirkungen des Verlöbnisses werden daher nach dem Recht eines jeden
Verlobten beurteilt, allfällige Formerfordernisse ebenso bzw alternativ
nach dem Recht des Verlobungsortes.
Ein in Österreich unter Angehörigen des damaligen jugoslawischen
Staates anlässlich der Begründung einer Lebensgemeinschaft (ohne feste
Absicht späterer Eheschließung) „nach jugoslawischen Bräuchen“ veran-
staltetes Fest ist daher zutreffend weder als Eheschließung noch als Verlo-
bung qualifiziert worden5. Die Rückforderung von Geschenken und wäh-
rend der Beziehung erbrachten Leistungen nach Auflösung einer solchen
in Österreich realisierten Lebensgemeinschaft richtete sich daher nach ös-
terreichischem Recht6.
Das IPRG sieht keine Verweisungsnormen für die grenzüberschrei-
tende nichteheliche Lebensgemeinschaft von Heterosexuellen vor, da es
zu seiner Entstehungszeit in dieser Hinsicht wohl noch an einem entwi-
ckelten Problembewusstsein fehlte. Grundsätzlich stellte sich die Alterna-
tive, ob diese im internationalen Familienrecht oder im internationalen
Schuldrecht einzuordnen sei. Der OGH hatte sich in einer frühen Ent-
scheidung für die zweite Möglichkeit entschieden7. Für die jüngere Ver-
gangenheit war es schon eher zu vertreten, dass die mittlerweile in einer

4 Vgl den Vorschlag für eine Verordnung (EU) des Rates zur Begründung einer Verstärkten
Zusammenarbeit im Bereich des auf die Ehescheidung und Trennung ohne Auflösung des
Ehebandes anzuwendenden Rechts, KOM(2010) 105 endg/2 vom 30.3.2010.
5 Vgl den bekannten Fall „Serbische Hochzeit“, OGH JBl 1983, 540 (Schwimann) = IPRax
1984, 39 (Schwind, 45).
6 Was auch dem seinerzeit sachverhaltsrelevanten § 46 IPRG entsprochen hat.
7 OGH FamRZ 1982, 1010; dazu Striewe, Zum Internationalen Privatrecht der nichteheli-
chen Lebensgemeinschaft, IPRax 1983, 248.

85
§ 11 Familienrecht

wachsenden Zahl von europäischen Rechtsordnungen rechtlich anerkann-


ten Formen von (eingetragenen) gleich- oder verschiedengeschlechtlichen
Lebensgemeinschaften8 in analoger Anwendung der Regeln des internatio-
nalen Eherechts angeknüpft werden. Für die eingetragene Partnerschaft
von Homosexuellen gelten in Österreich seit 1.1.2010 die besonderen
Verweisungsnormen der §§ 27a – 27d IPRG, die einer familienrechtlichen
Anknüpfungskonzeption folgen9.
11/3 Für die Form der Eheschließung schreibt § 16 Abs 1 IPRG die Einhaltung
der Inlandsform bei Ehen vor, die im Inland geschlossen werden. Das ist
obligatorisch die Ziviltrauung vor dem Standesbeamten, worin kein Kul-
turkampfrelikt zu sehen ist. Wie die rechtsvergleichende Analyse bestätigt,
handelt es sich vielmehr um eine Vorschrift im staatlichen Ordnungsin-
teresse. Da auch ausländische Botschaften und Konsulate auf österrei-
chischem Territorium „Inland“ sind, kann den dort nach dem Recht des
Entsendestaats vorgenommenen Trauungen für den österreichischen
Rechtsbereich keine Wirksamkeit zukommen10.
Auslandseheschließungen werden entweder nach dem Personalstatut
„jedes“ der Verlobten oder – ungeachtet der missverständlichen Formulie-
rung „es genügt“ in § 16 Abs 2 IPRG – als gleichwertige Alternative nach
den Formvorschriften des Ortes der Eheschließung beurteilt. Somit wären
zB auch die noch in einigen Bundesstaaten der USA11 zugelassenen com-
mon law marriages anzuerkennen12.
11/4 Nach § 17 Abs 1 IPRG sind die materiellen Voraussetzungen der Ehe-
schließung, worunter nicht nur die sachlichen Ehevoraussetzungen – wie
etwa Willensbildung und Ehehindernisse – sondern auch jedwede Folgen
ihrer Verletzung zu verstehen sind, für jeden der Verlobten getrennt nach
ihrem Personalstatut im Zeitpunkt der Eheschließung zu beurteilen13. Da
das Recht, das die schärfere Sanktion vorsieht, den Ausschlag gibt, wird diese
Regel als Grundsatz des „ärgeren Rechts“ bezeichnet14. Auch wenn die

8 Wie der mit Gesetz N° 99–944 in Frankreich eingeführte „pacte civil de solidarité“
(PACS) oder die „eingetragene Lebenspartnerschaft“ des deutschen Rechts, dBGBl
2001 I, 266.
9 Art 5 Eingetragene Partnerschaft-Gesetz (EPG) BGBl I 2009/135. Dazu Rz 11/20.
10 Konsulats- oder Botschaftstrauungen kennt das österr Recht nicht.
11 So in Colorado, Iowa, Oklahoma, Texas oder Utah sowie auch im District of Columbia.
12 Vgl Bliesener, Internationale Handschuhehen im amerikanischen Recht, ZfRV 1989, 241.
13 Aus der reichhaltigen Judikatur des OGH vgl SZ 62/159; SZ 67/56 (Staatsbürgerschafts-
bzw Namensehe); OGH ZfRV 1999, 114 (Bigamistische Eheschließung).
14 Vgl dazu die Problematik der sog „Staatsbürgerschaftsehen“: OGH EvBl 1990/8: Nich-
tigkeit einer Ehe nach österr und damaligem sowjetrussischen Recht: Über die Folgen
der Verletzung materieller Ehevoraussetzungen entscheidet das „verletzte“ Recht, also

86
Ehe und Scheidung § 11

Nichtigkeit einer Eheschließung nur nach dem Personalstatut eines der


Eheschließenden vorliegt, kann die Ehe mit Wirkung für beide Teile für nich-
tig erklärt werden15. Das gilt insbesondere auch für einen Verstoß gegen das
Gebot der Einehe. Durch die wachsende Zahl von in Österreich dauerhaft
niedergelassenen Bürgern eines muslimischen Landes, deren Recht in Über-
einstimmung mit dem Koran16 die „polygyne Familie“ zulässt, hat die Frage,
ob diese, als mit Grundwertungen des österreichischen Rechts im Wider-
spruch stehend, dem ordre public-Vorbehalt unterliege, Aktualität erlangt.
Zutreffend wird man – französischen17 und deutschen18 Gerichtsurtei-
len folgend – eine im Land des Personalstatuts der muslimischen Beteilig-
ten rechtmäßig geschlossene Ehe mit einer Zweitfrau als mit dem ordre
public vereinbar ansehen können, nicht jedoch eine zweite Eheschließung
im Inland.
Das früher von § 14 EheG von ausländischen Heiratswilligen geforderte
Ehefähigkeitszeugnis wird seit dem Inkrafttreten des PStG 198319 nicht
mehr verlangt. Doch müssen nunmehr „Verlobte, deren Personalstatut
nicht das österreichische Recht ist“, gemäß § 21 Abs 2 PStV 198320 eine Be-
stätigung der Ehefähigkeit – allenfalls gemäß Abs 4 mit Rechtsauskunft
des Landeshauptmannes gemäß § 50 PStG – vorlegen.
Aus § 17 Abs 2 IPRG folgt, dass die inländische Rechtskraft (Gestal-
tungswirkung) dem an sich für die Frage der Zulässigkeit einer Eheschlie-
ßung maßgeblichen materiellen Recht vorgeht. Diese Norm, deren prakti-
sche Bedeutung nach der Beseitigung von Scheidungsverboten in Staaten
wie Italien oder Spanien heute gering ist, stellt klar, dass, wenn eine Ehe
durch eine für den österreichischen Rechtsbereich wirksame Entscheidung
– das ist entweder eine rechtskräftige österreichische Entscheidung oder
eine Rechtskraftverleihung durch Anerkennung einer ausländischen Ent-
scheidung – aufgelöst wurde, die Nichtanerkennung dieser Auflösung im
Personalstatut eines oder beider Verlobten kein Hindernis für eine neue
Eheschließung darstellen darf21.

jenes Personalstatut, dessen Vorschriften nicht eingehalten wurden; ebenso OGH JBl
1990, 531; vgl auch OGH EvBl 1997/187.
15 VwGH ZfRV 1992, 224 (obiter; krit Hoyer); vgl OGH ZfRV 1997, 155/54.
16 K 4.3.
17 Vgl C. Cass., arrêt Chemouni I, Rev. crit. 1958, 110; arrêt Chemouni II, Rev. crit. 1963,
559; arrêt Bendeddouche, Rev. crit. 1980, 331.
18 Vgl BVerwGE 71/29, 228 (1985); zuvor schon VerwG Gelsenkirchen, FamRZ 1975, 338;
zuletzt zB OLG Frankfurt/M, StAZ 2006, 142.
19 BGBl 1983/60 idF BGBl I 2009/135.
20 BGBl 1983/629 idF BGBl II 2010/1.
21 Dazu auch Art 9 des von Österreich ratifizierten Luxemburger CIEC-Übereinkommens
über die Anerkennung von Entscheidungen in Ehesachen, BGBl 1978/43. Vgl die „Spa-

87
§ 11 Familienrecht

11/5 Für die persönlichen Rechtswirkungen der Ehe sieht § 18 IPRG eine dif-
ferenzierte Anknüpfungsleiter vor. Diese dient quasi als kollisionsrechtli-
che Basisregelung und hat nicht nur für die persönlichen Rechtswirkungen
der Ehe Geltung, sondern auch für das Ehegüterrecht, wenn die Parteien
keine Rechtswahl getroffen haben22, für die Ehescheidung23 und für die
Wirkungen der Adoption bei der Annahme durch Ehegatten24.
Zum Regelungsgegenstand des § 18 IPRG gehören all jene Bereiche,
welche die persönlichen Rechtsbeziehungen der Ehegatten zueinander so-
wie jene mit Wirkung gegenüber Dritten betreffen. Hierzu zählen die
Pflicht zur ehelichen Lebensgemeinschaft (Pflicht zur Treue, Wohnsitz-
folge, Beistandspflicht, Schlüsselgewalt), das Recht zum Getrenntleben,
die Mitwirkung beim Erwerb des anderen, vor allem aber die wechselsei-
tige Unterhaltspflicht. Von vornherein getrennt angeknüpft werden die na-
mensrechtlichen Ehewirkungen, für welche die allgemeine Namensregel
des § 13 IPRG gilt. Auch das auf das Ehegüterrecht25 anzuwendende Recht
ist gesondert nach § 19 IPRG zu bestimmen.
Um zur Realisierung der kollisionsrechtlichen Gleichbehandlung der
Ehegatten ein für diese gemeinsames Recht zu erreichen, verwendet § 18
IPRG ein gestuftes System von Subsidiäranknüpfungen, das plastisch auch
als „Kaskadenanknüpfung“ bzw nach dem bedeutenden deutschen Kolli-
sionsrechtler Gerhard Kegel auch als „Kegel’sche Leiter“ bezeichnet
wird26. Das Vorliegen des relevanten Anknüpfungsmomentes muss jeweils
im Beurteilungszeitpunkt des Rechtsverhältnisses gegeben sein. Da durch
Änderung des Anknüpfungsmomentes „Staatsangehörigkeit“ bzw „ge-
wöhnlicher Aufenthalt“ ein Statutenwechsel eintritt27, liegt ein wandelba-
res Statut vor.

nier-Entscheidung“ des deutschen BVerfG: NJW 1971, 1509; jetzt ausdrücklich Art 13
Abs 2 Z 3 EGBGB als spezielle Vorbehaltsklausel zur Sicherung der Eheschließungsfrei-
heit.
22 § 19 IPRG – allerdings mit unterschiedlichem Anknüpfungszeitpunkt.
23 § 20 IPRG.
24 § 26 Abs 2 IPRG.
25 Das heißt, auf alle Fragen, die mit der dauerhaften Ordnung der vermögensrechtlichen
Beziehungen der Ehegatten zusammenhängen, mag es sich um den gesetzlichen Güter-
stand oder um eine durch Ehepakt begründete Regelung handeln, dazu Rz 11/7.
26 Kegel hat dieses auf dem Gedanken kollisionsrechtlicher Gleichbehandlung beruhende
Konzept erstmals für das bundesdeutsche Recht vertreten, zuvor war es allerdings be-
reits im Schrifttum von DDR-Juristen entwickelt worden.
27 Ein „unechter Statutenwechsel“ ist durch das Inkrafttreten des IPRG eingetreten; vgl
OGH ZfRV 1980, 220 (Schwind: „Hat bis zum Inkrafttreten des IPRG § 7 der 4. DV-
EheG das auf den Unterhaltsanspruch der Ehegatten anwendbare Recht bestimmt, wird
dieses nun durch § 18 Abs 1 IPRG normiert“).

88
Ehe und Scheidung § 11

Maßgeblich ist nach § 18 Abs 1 Z 1 IPRG zunächst28 das gemeinsame Per- 11/6
sonalstatut im Sinne des § 9 IPRG; mangels eines solchen, das letzte ge-
meinsame Personalstatut der Ehegatten, sofern es einer von ihnen beibe-
halten hat. Hierbei ist zu beachten, dass für Personen mit derselben
fremden Staatsangehörigkeit kraft der Exklusivregel des § 9 Abs 1 Satz 2
IPRG kein gemeinsames Personalstatut gegeben sein kann, wenn ein Ehe-
partner neben der fremden auch die österreichische Staatsbürgerschaft be-
sitzt.
Kommt die Anknüpfung an das gemeinsame oder an das letzte gemein-
same Personalstatut der Eheleute mangels einer gemeinsamen Staatsange-
hörigkeit nicht zum Tragen, ist gemäß § 18 Abs 1 Z 2 IPRG das Recht des
gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts in ein und demselben Staat be-
rufen, mangels eines solchen das Recht des letzten gewöhnlichen Aufent-
haltes in demselben Staat, sofern einer der Ehegatten diesen noch beibehal-
ten hat. Der für die Beurteilung maßgebliche Zeitpunkt ist der Schluss der
Verhandlung der letzten Tatsacheninstanz29. Sollte auch diese Anknüpfung
versagen, was etwa bei reisenden Künstlerehepaaren mit verschiedenem
Personalstatut dann der Fall ist, wenn das Land des gemeinsamen gewöhn-
lichen Aufenthaltes verlassen wird und jeder in seinen Heimatstaat zurück-
kehrt, wäre die allgemeine Regel des § 1 IPRG zu beachten. Hier bietet sich
zweckmäßigerweise bei Verfahren, die in Österreich durchgeführt werden,
eine Beurteilung der Ehewirkungen nach den sachrechtlichen Bestimmun-
gen der lex fori an30.
§ 18 Abs 2 IPRG enthält schließlich eine Sonderregelung bezüglich der
immer seltener werdenden „hinkenden Ehen“, die zwar nach österreichi-
schem Recht, nicht aber nach dem in § 18 Abs 1 IPRG bezeichneten Ehe-
wirkungsstatut der Ehegatten wirksam zustande gekommen sind. In sol-
chen Fällen ist österreichisches Recht anzuwenden, sofern nicht eine
stärkere Beziehung zum Recht eines dritten Staates besteht.
Das Güterrechtsstatut des § 19 IPRG gilt sowohl für das gesetzliche als 11/7
auch für das vertragliche Ehegüterrecht auf Grund eines Ehepaktes31.

28 Vgl mit Hinweis auf § 1 Abs 1 OGH EvBl 1989/28.


29 OGH SZ 64/121 = JBl 1992, 38.
30 Das liegt schon aufgrund der prozessualen Nahebeziehungswertung des § 100 iVm § 76
JN bzw des Art 3 Abs 1 EuGVVO IIa, VO (EG) 2201/2003, ABlEU L 338 vom
23.12.2003, 1 idF L 367 vom 14.12.2003, 1, nahe.
31 Nachdem die obsolete Typenvielfalt im Recht der Ehepakte durch das FamRÄG 2009,
BGBl I 2009/75, bereinigt wurde, kann (mit Wirkung unter Lebenden) seit 1.1.2010
praktisch nur mehr die Vereinbarung einer Gütergemeinschaft in Betracht kommen.

89
§ 11 Familienrecht

Was zum Anknüpfungstatbestand „Ehegüterrecht“ gehört, ist Ausle-


gungsfrage32. Im Zentrum stehen jedenfalls „im Hinblick auf das Ehever-
hältnis getroffene Dauerregelungen über ganze Vermögensmassen oder
Teile davon“, während „einfache Vermögensverschiebungen oder solche
mit beschränktem wirtschaftlichen Zweck“ nicht dazu gehören33. Daher
sind Vermögensregelungen zwischen Ehegatten, die zB die Entlohnung
für Mitarbeit im Erwerb eines Gatten, die Errichtung eines Eigenheimes,
die Begründung von Wohnungseigentum oder die Leistung von Unterhalt
betreffen, nicht nach § 19 IPRG anzuknüpfen.
Die Ehegatten können „ihr“ Güterrecht auch noch in einem bereits an-
hängigen Verfahren durch ausdrückliche Vereinbarung frei wählen. Wird
keine Rechtswahl getroffen, kommt das Ehewirkungsstatut des § 18
IPRG, wie es zur Zeit der Eheschließung besteht, zur Anwendung34. Ding-
liche Rechte an unbeweglichen Sachen unterliegen – allerdings wohl nur
bezüglich des Modus – gemäß § 32 IPRG der lex rei sitae: Der Grundsatz
„Einzelstatut bricht Gesamtstatut“ gilt nämlich auch bei Rechtswahl.
11/8 Wegen des Sachzusammenhanges, der in den Reflexwirkungen zu den
Rechten und Pflichten während aufrechter Ehe zu sehen ist, wurde bei der
kollisionsrechtlichen Regelung der Ehescheidung ein grundsätzlicher An-
knüpfungsgleichlauf mit den persönlichen Rechtswirkungen der Ehe ange-
strebt. § 20 Abs 1 IPRG legt daher im Wege einer akzessorischen Anknüp-
fung fest, dass die Voraussetzungen und Wirkungen der Ehescheidung,
insbesondere der Unterhalt und die Aufteilung des ehelichen Gebrauchs-
vermögens im engeren Sinn35, nach dem Ehewirkungsstatut gemäß § 18
IPRG im Zeitpunkt der Ehescheidung zu beurteilen sind36. Das gilt jedoch
nicht für öffentlichrechtliche Renten- und Versorgungsansprüche. Der Be-
griff „Ehescheidung“ umfasst alle streitigen und außerstreitigen Eheauflö-
sungsarten (dem Bande nach) ex nunc; nicht jedoch die Eheaufhebung, die
ebenso wie die Ehenichtigkeit nach dem Eheeingehungsstatut des § 17
IPRG zu beurteilen ist. Was unter dem „Zeitpunkt der Ehescheidung“ zu
verstehen ist, bleibt strittig. Der Wortlaut spricht für den Zeitpunkt der

32 Hier kann die Alternative zwischen Ehegüterrecht einerseits und Ehewirkungsrecht bzw
Erbrecht andererseits gegeben sein.
33 Schwimann, Grundriß des Internationalen Privatrechts, 211; OGH ZfRV 1999/54, 189 =
EFSlg 90.644.
34 Das Statut ist unwandelbar: OGH ZfRV 2000, 146/48; vgl Mänhardt, Internationales
Ehegüterrecht im niederländisch-österreichischen Rechtsverkehr, in Schwind-FS (1993)
93.
35 Vgl OGH SZ 63/135 = JBl 1991, 322 = EvBl 1991/2.
36 Vgl OGH ZfRV 2002/24, 235; ZfRV 2005/23, 158.

90
Ehe und Scheidung § 11

letztinstanzlichen Entscheidung. Der OGH verstand darunter unter Beru-


fung auf Schwimann den Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Ver-
handlung zweiter Instanz37, weil diese die letzte Tatsacheninstanz sei38.
Nach § 13 IPRG sind die namensrechtlichen Scheidungsfolgen ge-
trennt anzuknüpfen. Das trifft gemäß § 17 IPRG auch auf die Möglichkeit
zur Wiederverheiratung zu. Vom Scheidungsstatut getrennt zu beurteilen
sind ferner die güterrechtlichen Scheidungsfolgen gemäß § 19 IPRG, die
kindschaftsrechtlichen Folgen gemäß § 24 IPRG bzw dem Haager Minder-
jährigenschutzübereinkommen und schließlich die erbrechtlichen Schei-
dungsfolgen, die nach § 28 IPRG anzuknüpfen sind.
Wenn keiner der Anknüpfungspunkte des § 18 IPRG vorliegt, weil die
Ehegatten entweder keinen einschlägigen gemeinsamen Anknüpfungs-
punkt haben oder der letzte gemeinsame Anknüpfungspunkt von keinem
der beiden beibehalten wurde, oder weil auch die Anwendung von § 18
Abs 2 IPRG mangels Vorliegens des Sonderfalles einer nach dem Ehewir-
kungsstatut hinkenden Ehe nicht in Frage kommt, ist die Scheidung gemäß
§ 20 Abs 2 IPRG nach dem Personalstatut des klagenden Ehegatten im
Zeitpunkt der Ehescheidung zu beurteilen. Die gleiche Anknüpfung hat –
diesmal in favorem divortii – für jene Fälle zu gelten, in denen bereits nach
dem jeweils für die Ehegatten maßgeblichen Recht des § 18 IPRG – ohne
Durchlaufen der Anknüpfungsleiter – die Ehe aufgrund der geltend ge-
machten Tatsachen überhaupt nicht geschieden werden kann. Der Rück-
griff auf das Sonderscheidungsstatut des § 20 Abs 2 IPRG ist demnach
nicht abhängig davon, dass zunächst alle Möglichkeiten der Anknüpfungs-
leiter des § 18 Abs 1 Z 1 und Z 2 IPRG durchlaufen werden39.
Bei einer Scheidung im Einvernehmen muss die Ersatzanknüpfung
des § 20 Abs 2 IPRG mangels Klägerrolle versagen. Bejaht man jedoch die

37 Jetzt wohl der Verhandlung erster Instanz; OGH EFSlg 55.073; vgl § 483a Abs 2 ZPO.
38 OGH EvBl 1981/21 = ZfRV 1980, 296 (Hoyer).
39 Vgl OGH SZ 59/22 = ZfRV 1987, 195 = EvBl 1987/64 = IPRax 1987, 35 (Schwind, 51):
In diesem Fall ging es um eine Klage und Widerklage jeweils wegen des alleinigen Ver-
schuldens des anderen Eheteiles. Aufgrund der unterschiedlichen Staatsangehörigkeit
der Prozessparteien wäre an sich deutsches Recht als Recht des letzten gewöhnlichen
Aufenthalts anzuwenden gewesen, das eine Scheidung aus Verschulden nicht mehr vor-
sieht. Der OGH sah bereits dadurch (dh durch die Erschwerung, zB durch Befristung,
nicht erst durch die Unmöglichkeit der Scheidung im erstverwiesenen Recht) den An-
wendungsfall des § 20 Abs 2, 1. Fall IPRG als gegeben und hat österr Recht als Kläger-
recht wegen der „einheitlichen Anwendung österreichischen Scheidungsrechts“ auch
auf die Widerklage der deutschen Frau angewendet; dazu Verschraegen, Das „utilior“-
und „melius“-Kriterium im Österreichischen Internationalen Privatrecht, illustriert am
Beispiel des favor divortii, ZfRV 1987, 188; vgl auch OGH JBl 1988, 519.

91
§ 11 Familienrecht

Teleologie dieser Vorschrift, wird diese (ungewollte) Lücke40 durch An-


knüpfung an jenes Recht geschlossen werden müssen, das die Möglichkeit
der einvernehmlichen Scheidung in concreto gewährleistet.
11/9 Zwischen August 2006 und Februar 2008 war der OGH in drei ähnlich ge-
lagerten Fällen mit der Frage der Gültigkeit einer einseitigen Privatschei-
dung (talaˉ q) konfrontiert, die der muslimische Ehemann41 – obwohl schon
Österreicher geworden und hier niedergelassen – in seiner ursprünglichen
Heimat ohne Beteiligung seiner Frau, die in zwei Fällen auch schon die ös-
terreichische Staatsbürgerschaft besaß, vorgenommen hatte. Im ersten die-
ser Fälle musste nach Auffassung des 6. Senats der talaˉ q ohne rechtliche
Wirkung bleiben, da österreichisches Sachrecht anzuwenden war, weil
beide Eheleute bereits die österreichische Staatsbürgerschaft besaßen und
im österreichischen Recht gemäß § 46 EheG eine Privatscheidung nicht
möglich ist, sondern ein „gerichtliches Scheidungsmonopol“ besteht, wes-
halb sich die Frage, ob die Verstoßungsscheidung in Pakistan dem ordre
public widerspreche, gar nicht stelle42. Im zweiten Fall hat der 3. Senat von
materiellrechtlichen Erwägungen abgesehen und die Anerkennung der
ägyptischen Scheidung gemäß § 97 ff AußStrG 2005 wegen Verstoßes
gegen den ordre public verweigert43 und im dritten Fall, in dem gemäß
§§ 18, 20 IPRG das pakistanische Recht auf die Scheidung anzuwenden
war, hat der 7. Senat die Anerkennung der in Pakistan getätigten und be-
hördlich bestätigten talaˉ q-Scheidung ebenfalls unter Berufung auf den in-
ländischen ordre public scheitern lassen44.
11/10 Der wachsenden Häufigkeit von Fällen wie diesen, ist es wohl zuzuschrei-
ben, dass das durch die Staatsangehörigkeit bestimmte Personalstatut der
von einer Scheidung Betroffenen allenthalben als fragwürdig empfunden
wird und der im Rahmen einer „verstärkten Zusammenarbeit“ auch Öster-
reich betreffende Verordnungsvorschlag vom 24./30.3.201045 eine „kana-
lisierte Wahlmöglichkeit“46 vorsieht, zudem die Anwendung eines Rechts,
das einem der Ehegatten aufgrund seiner Geschlechtszugehörigkeit keinen
gleichberechtigten Zugang zur Ehescheidung oder Trennung ohne Auflö-

40 Der zur Zeit der Ausarbeitung des IPRG legistisch bereits vorbereiteten Regelung der
einvernehmlichen Scheidung in § 55a EheG wurde vom Gesetzgeber (versehentlich?)
kollisionsrechtlich nicht Rechnung getragen.
41 In zwei Fällen ein früherer Bürger Pakistans und in einem Fall ein früherer Ägypter.
42 SZ 2006/128 = JBl 2007, 596 = ZfRV 2007/6, 35 (Nademleinsky); dazu Posch, „Islamisie-
rung“ des Rechts? ZfRV 2007, 124.
43 Zak 2007/626, 359 = EF-Z 2008/8, 24 (Nademleinsky).
44 Zak 2008/267, 153= iFamZ 2008/87, 169; dazu auch Rz 8/3.
45 Vgl Rz 3/9; Rz 11/1 FN 4.
46 Vgl Rz 9/12 FN 52.

92
Kindschaft § 11

sung des Ehebandes gewährt, unterbindet und durch das Recht des Fo-
rumstaates ersetzt47.

C. Kindschaft

Wenn man vom fast gänzlich „europäisierten“ Schuldvertragsrecht absieht, 11/11


ist das Internationale Kindschaftsrecht jener Teil des Internationalen Pri-
vatrechts, in dem das autonome österreichische Kollisionsrecht am weitest-
gehenden zurückgedrängt worden ist. Zahlreiche staatsvertragliche Son-
dervorschriften bestimmen den Inhalt dieser Materie, EU-rechtliche
Regeln fehlen dagegen noch. Denn die „Verordnung (EG) Nr. 4/2009 des
Rates vom 18.12.2008 über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die
Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammen-
arbeit in Unterhaltssachen“48 steht zwar bereits in Kraft, in Geltung wird
sie jedoch erst am 18.6.2011 treten. Gemäß Art 15 iVm Art 76 dieser Ver-
ordnung sollte spätestens ab diesem Zeitpunkt die Bestimmung des auf
Unterhaltspflichten anwendbaren Rechts in den Mitgliedstaaten der Union
nach dem „Haager Protokoll vom 23.11.2007 über das auf Unterhalts-
pflichten anzuwendende Recht“ erfolgen49.
Davon abgesehen muss der Rechtsanwender im Internationalen Kind-
schaftsrecht eine große Anzahl von bilateralen und multilateralen Staats-
verträgen beachten50, die in ihren oft überlappenden, sachlichen und
räumlich-persönlichen Anwendungsbereichen gemäß § 53 IPRG den auto-
nomen Regelungen des IPRG vorgehen. Zu nennen sind von den mehrsei-
tigen kollisionsrechtlichen Staatsverträgen das CIEC-Übereinkommen
über die Legitimation durch nachfolgende Ehe51, das als loi uniforme allge-
mein gilt; ferner das Haager Adoptionsübereinkommen52 und das Haager

47 Art 5 des VO-Vorschlags KOM(2010) 105 endg/2.


48 ABlEU L 7 vom 10.1.2009, 1; dazu auch Rz 3/10.
49 Vgl den „Beschluss des Rates vom 30.11.2009 über den Abschluss des Haager Protokolls
vom 23.11.2007 über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht durch die Euro-
päische Gemeinschaft“, ABlEU L 331 vom 16.12.2009, 17.
50 Der jeweilige Ratifikationsstand ist im Index, Systematisches Verzeichnis des geltenden
Bundesrechts, hrsg vom Bundeskanzleramt zu finden; der Status der Haager Überein-
kommen zudem unter: http://www.hcch.net/index Textsammlungen: Bajons, Zwischen-
staatliches Justizrecht [Loseblattsammlung]; Duchek/Schütz/Tarko, Zwischenstaatlicher
Rechtsverkehr in Zivilrechtssachen (1998); Borić (Hrsg), Internationales Privatrecht und
Zivilverfahrensrecht5 (2010).
51 Vom 10.9.1970, BGBl 1976/102.
52 Haager Übereinkommen über den Schutz von Kindern und die Zusammenarbeit auf
dem Gebiet der internationalen Adoption [. . .] vom 29.5.1993, BGBl III 145/1999.

93
§ 11 Familienrecht

Minderjährigenschutzübereinkommen53, die nur bei Sachverhaltsberüh-


rung mit Vertragsstaaten anzuwenden sind, sowie das Unterhaltssta-
tutübereinkommen54, das zusammen mit dem von Österreich nicht ra-
tifizierten Haager Übereinkommen vom 2.10.1973 über das auf
Unterhaltspflichten anzuwendende Recht durch das Protokoll über das
auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht vom 23.11.2007 „moder-
nisiert“ wurde55, sowie die bilateralen Verträge mit Polen56 und dem
Iran57. Eine besondere Stellung nimmt das für die Praxis bedeutsame und
global breit akzeptierte Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen
Aspekte internationaler Kindesentführung vom 25.10.1980 ein, das nur
im Verhältnis zwischen den Vertragsstaaten gilt und weniger Rechtsanwen-
dungsregeln als vielmehr materielle Bestimmungen über die „Rückgabe
entführter Kinder“ und verfahrensrechtliche Normen festgeschrieben
hat58.
Soweit sie nicht von den Staatsverträgen verdrängt werden, folgen die
einschlägigen Bestimmungen des IPRG einer differenzierenden Konzep-
tion, welche die Begründung des Statusverhältnisses grundsätzlich an das
Personalstatut der Eltern bindet59, wogegen über die Wirkungen des
Kindschaftsverhältnisses das Personalstatut des Kindes entscheidet60.
11/12 Gemäß § 21 IPRG sind die Voraussetzungen der ehelichen Abstammung
eines Kindes – wie Rechtsvermutungen, Dauer der Empfängniszeit – und

53 Haager Übereinkommen über die Zuständigkeit der Behörden und das anzuwendende
Recht auf dem Gebiet des Schutzes von Minderjährigen [. . .] vom 5.10.1961, BGBl
1975/446. Dieses nicht sehr erfolgreiche Übereinkommen soll durch das Haager Über-
einkommen vom 19.10.1996 über den Schutz von Kindern abgelöst werden, das bisher
erst in 15 Staaten Geltung erlangt hat und von Österreich zwar gezeichnet, aber (noch)
nicht ratifiziert worden ist. Näher dazu Nademleinsky/Neumayr, Internationales Fami-
lienrecht, Rz 08.17 ff.
54 Haager Übereinkommen über das auf Unterhaltsverpflichtungen gegenüber Kindern an-
zuwendende Recht vom 24.10.1956, abgek HUStÜ, BGBl 1961/293.
55 Als allgemeine Regel zur Bestimmung des auf Unterhaltspflichten anzuwendenden
Rechts sieht Art 3 des Protokolls vor, dass das Recht des Staates maßgebend ist, in dem
die berechtigte Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat. In Art 4 und 5 finden sich
noch besondere Regeln zugunsten bestimmter berechtigter Personen und in Bezug auf
Ehegatten und frühere Ehegatten und Art 8 eröffnet eine kanalisierte Rechtswahl durch
die berechtigte und die verpflichtete Person.
56 BGBl 1974/79.
57 BGBl 1966/45.
58 Ausführlich dazu Nademleinsky/Neumayr, Internationales Familienrecht, Rz 09.1–
Rz 09.29.
59 Nur hinsichtlich der unehelichen Abstammung wird hiervon aus Gleichheitsgründen
eine Ausnahme gemacht.
60 Eine Ausnahme bildet aus Gründen der Familienintegration die Annahme an Kindes-
statt.

94
Kindschaft § 11

der Anfechtung der Ehelichkeit – die zu beachtenden Fristen, anfechtungs-


berechtigte Personen – nach dem Personalstatut der Ehegatten im Zeit-
punkt der Geburt des Kindes oder bei vorheriger Auflösung der Ehe, etwa
durch Scheidung oder Tod eines Ehepartners, im Zeitpunkt der Eheauflö-
sung zu beurteilen61. Bei unterschiedlichem Personalstatut der Eltern ist
seit dem Inkrafttreten des Kindrechtsänderungsgesetzes am 1.7.2001 das
Personalstatut des Kindes zum Zeitpunkt der Geburt maßgebend62. Das
Statut ist daher unwandelbar. Die „Erstfrage“63, ob die, die Anwendung
des § 21 IPRG bedingende Ehe – § 21 IPRG spricht von „Ehegatten“ – zu-
stande gekommen bzw rechtswirksam gelöst ist, beurteilt sich nach §§ 16 ff
IPRG. Das muss aber nicht zwangsläufig Unehelichkeit zur Folge haben64.
Die kollisionsrechtliche Anknüpfung der Legitimation durch nachfol- 11/13
gende Ehe ist seit der ersatzlosen Streichung des § 22 IPRG mit Wirkung
vom 1.7.2001 nur mehr im CIEC-Legitimationsübereinkommen geregelt,
das nur für Legitimationen, die sich aus der Eheschließung selbst – entwe-
der sogleich oder nachträglich durch gerichtliche Entscheidung – ergeben,
gilt und einen in der Praxis eher komplizierten „Günstigkeitsvergleich“ an-
ordnet. Nach Art 5 LegitÜ sind „die vorstehenden Bestimmungen [. . .] ge-
genüber allen Staaten, selbst Nichtvertragsstaaten, anzuwenden. Sie stehen
der Anwendung anderer Bestimmungen, die in den Vertragsstaaten gelten,
nicht entgegen, die für die Legitimation günstiger sind“. Da dieses Über-
einkommen gemäß § 53 IPRG immer schon dem § 22 IPRG vorgegangen
ist und dieser bei unterschiedlichem Personalstatut der Eltern ebenfalls
einen Günstigkeitsvergleich vorsah, waren die praktischen Auswirkungen
der Aufhebung des § 22 IPRG gering. Ein relevanter Unterschied ist darin
zu sehen, dass die Verweisungen des Übereinkommens Sachnormverwei-
sungen sind. Hinsichtlich der Frage65, ob eine gültige Eheschließung der
Eltern vorliegt, wird es im Sinne des favor legitimationis ausreichend sein,
wenn die Ehe entweder nach den vom österreichischem IPR für die Beur-
teilung der Gültigkeit der Eheschließung berufenen sachrechtlichen Vor-

61 Dies gilt auch im Falle der Zeugung durch heterologe (= mit „Spendersamen“ vorge-
nommene) Insemination: OGH ZfRV 1996, 160/36.
62 Die zuvor bestehende Anknüpfung an das für die Ehelichkeit „günstigere“, das heißt an
das die Anfechtung eher ausschließende oder erschwerende Recht (favor legitimationis)
ist wegen der weitgehenden Anpassung der Rechtsstellung von unehelichen und eheli-
chen Kindern in den nationalen Sachrechten bedeutungslos geworden.
63 Sie ist für manche Kollisionsrechtler terminologisch eine „Vorfrage“.
64 Fraglich ist, ob die hier gegebene Regelungslücke mit dem „Ungültigkeitsstatut“ zu fül-
len ist.
65 Ob diese Frage „Erstfrage“ oder „Vorfrage“ ist, soll dahingestellt sein.

95
§ 11 Familienrecht

schriften oder nach dem für die Legitimation maßgebenden Sachrecht als
wirksam zustande gekommen anzusehen ist.
Die Voraussetzungen der Legitimation eines unehelichen Kindes
durch Ehelicherklärung („Reskriptlegitimation“) richten sich gemäß § 23
IPRG nach dem jeweiligen (letzten) Personalstatut des Vaters. Ist aber nach
dem Personalstatut des Kindes dessen Zustimmung oder die Zustimmung
eines familienrechtlich verbundenen Dritten (zB der Mutter) erforderlich,
ist nicht nur auf das väterliche Personalstatut abzustellen, vielmehr hat zu-
sätzlich eine Prüfung nach dem Personalstatut des Kindes zu erfolgen.
Durch den Anknüpfungsbegriff „Legitimation eines unehelichen Kindes
durch Ehelicherklärung“ wird der tatbestandliche Qualifikationsrahmen
von § 23 IPRG relativ eng gezogen. Gemeint scheinen nur die Ehelich-
erklärungen durch staatlichen Hoheitsakt zu sein, was Ehelicherklärungen,
bei denen ein Kind durch private Erklärung eines Elternteils in die dem
Kind günstigste Statusstufe erhoben wird, ausschließen würde.
11/14 Vorbehaltlich des jeweiligen Anwendungsbereiches der einschlägigen
staatsvertraglichen Regelungen, insbesondere des Minderjährigenschutz-
und des Unterhaltsstatut-Übereinkommens, sind die Wirkungen der ehe-
lichen Abstammung und der Legitimation gemäß § 24 IPRG nach dem je-
weiligen Personalstatut des Kindes zu beurteilen. Hier liegt also ein wan-
delbares Statut vor. Dabei ist unter „Wirkungen“ der Gesamtbereich der
familienrechtlichen Verhältnisse zwischen Eltern und Kind zu verstehen66.
Ausgenommen sind wegen der §§ 13 und 28 IPRG Wirkungen namens-
rechtlicher67 und erbrechtlicher Natur.
Geht es, wie in einer bekannten Entscheidung des OGH68, auf Antrag
der österreichischen Mutter um die Regelung der Elternrechte für den ita-
lienischen Sohn nach faktischer Ehetrennung vom italienischen Vater,
kommt es gemäß § 24 iVm § 5 IPRG zur Verweisung auf das italienische
Recht, dessen damals relevanter Art 20 Abs 1 der Einführungsbestimmun-
gen zum Codice civile die Verweisung annahm, so dass sich die Eltern-
rechte nach dem italienischen Heimatrecht des Vaters beurteilten69.

66 Vgl OGH ZfRV 1991, 393/22.


67 OGH JBl 1983, 159 (Schwimann).
68 SZ 53/99.
69 Das Haager Minderjährigenschutzübereinkommen (vgl Rz 11/18) war nicht anwendbar,
da Italien als Heimatstaat des Minderjährigen damals nicht Vertragsstaat war. Entschei-
dungen des OGH, in denen das HMjSchÜ nicht zum Tragen kam, da es sich um die Ver-
teilung der elterlichen Sorge für ein jugoslawisches bzw italienisches Kind handelte, sind
ferner in JBl 1980, 313 und JBl 1980, 314 (krit Schwimann) veröffentlicht: Beide Ent-
scheidungen sind trotz offenbar verfehlter Zitierung der Vormundschafts- und Pfleg-
schaftskollisionsnorm des § 27 IPRG (statt § 24 IPRG) im Verweisungsergebnis richtig.
Vgl ferner OGH ZfRV 1985, 289 (Hoyer): Hier ging es um die Übertragung der Pflege

96
Kindschaft § 11

Nach § 25 Abs 1 IPRG sind die sachlichen Voraussetzungen der Feststel- 11/15
lung und der Anerkennung der unehelichen Vaterschaft sowie ihrer Be-
streitung70 nach dem Personalstatut des Kindes im Geburtszeitpunkt oder,
je nach Zulässigkeit, nach einem späteren Zeitpunkt zu beurteilen. Kein
Fall der Zulässigkeit liegt vor, wenn das spätere Personalstatut lediglich
„günstiger“ wäre71. Für die privatrechtliche, nicht prozessuale Form des
Anerkenntnisses gilt das Formstatut des § 8 IPRG.
Nach § 25 Abs 2 IPRG richten sich die „Wirkungen der Unehelichkeit“
eines Kindes, zB seine Pflege und Erziehung, die Vertretung und der gesetz-
liche Unterhalt, nach seinem Personalstatut im jeweiligen Beurteilungszeit-
raum72. Hier ist aber für die Praxis zu beachten, dass die Unterhaltsfrage –
einschließlich der Vaterschaftsvorfrage – oftmals auf der Grundlage des Un-
terhaltsstatutübereinkommens durch Anknüpfung an den gewöhnlichen
Aufenthaltsort des Kindes zu lösen ist73. Ebenso verdrängen bei Beurtei-
lung elterlicher Gewalt und Vormundschaft die Anknüpfung des Minder-
jährigenschutzübereinkommens an den gewöhnlichen Aufenthalt des Min-
derjährigen74 und die Anerkennung von „Gewaltverhältnissen“ nach den
Sachnormen des Heimatrechtes des Kindes75 die Anknüpfungsregel des
§ 25 Abs 2 IPRG.
Gemäß § 25 Abs 3 IPRG werden die mit der Schwangerschaft und der
Entbindung zusammenhängenden Ansprüche der Mutter gegen den Va-
ter des unehelichen Kindes76 nach dem jeweiligen Personalstatut der Mut-
ter beurteilt.
Das Zustandekommen und die Beendigung der Adoption sind gemäß 11/16
§ 26 IPRG77 nach dem Personalstatut jedes der Annehmenden und des (ei-
genberechtigten) Anzunehmenden zur Zeit des Adoptionsaktes zu beur-
teilen78. Es handelt sich hier um ein unwandelbares Statut und um einen
Fall der kumulativen Anknüpfung79. Ist der Anzunehmende nicht eigenbe-

und Erziehung eines türkischen Kindes türkischer Eltern, die in aufrechter Ehe lebten,
nach einer Kindesmisshandlung an die in der Türkei lebende Großmutter; zu beachten
ist, dass auch die Türkei damals nicht Vertragsstaat des HMjSchÜ war.
70 Vgl OGH ZfRV 1987, 68.
71 ZB österr Recht; vgl OGH JBl 1981, 600 (Schwimann) = ZfRV 1981, 149 (Schwind).
72 Vgl OGH EvBl 1990/43 = JBl 1990, 173: Sorgerecht nach ugandischem Recht.
73 Vgl nur OGH JBl 1981, 600 = ZfRV 1981, 149.
74 Art 1 f HMjSchÜ: Sachnormverweisung!
75 Art 3 HMjSchÜ.
76 Vgl § 168 ABGB.
77 IdF BGBl I 2004/58.
78 Das gilt auch für die Erwachsenenadoption: OGH ZfRV 2004/23, 158.
79 § 26 Abs 1 IPRG ist eine Gesamtverweisung (§ 5 IPRG); ZfRV 2007/19, 119 (Nadem-
leinsky).

97
§ 11 Familienrecht

rechtigt (und somit ein „Kind“ ieS nach dem Adoptionsübereinkom-


men80), ist sein Personalstatut aber lediglich für die Frage seiner Zustim-
mung bzw der Zustimmung bestimmter mit ihm familienrechtlich verbun-
dener Dritter maßgeblich. Die kumulative Anknüpfung an mehrere
Personalstatute kann bei „Beendigung“, etwa durch Widerruf, Unwirk-
samkeit oder Anfechtung, zur wohl systemwidrigen Anwendung des „är-
geren Rechts“ führen.
Zum Anwendungsbereich des § 26 Abs 1 IPRG gehören alle Sachvo-
raussetzungen der Adoption, wie etwa Alter, Zustimmungserfordernisse
bzw Ersetzungsmöglichkeit derselben oder die Notwendigkeit behördli-
cher Mitwirkung. Reine Formfragen sind dagegen nach dem allgemeinen
Formstatut zu beurteilen81.
Die Wirkungen der Adoption, dh das gesamte familienrechtliche Ver-
hältnis zwischen dem Angenommenen und dem Annehmenden und das
Verhältnis zur Ursprungsfamilie, sind gemäß § 26 Abs 2 IPRG nach dem
jeweiligen Personalstatut des Annehmenden, bei Annahme durch Ehegat-
ten nach deren Ehewirkungsstatut zu beurteilen. Nach dem Tod eines der
Ehegatten gilt wiederum das (letzte) Personalstatut des Überlebenden
allein. Namensfolgen82 und erbrechtliche Adoptionsfolgen sind wiederum
getrennt anzuknüpfen.
Auch hier sind bezüglich des Kindesunterhalts und der elterlichen Sorge
die einschlägigen internationalen Konventionen – insbesondere das Unter-
haltsstatut- und das Minderjährigenschutzübereinkommen – zu beachten.
11/17 Ein Sonderproblem bildet die Anerkennung ausländischer Adoptionen.
Hier gilt es zunächst zwischen Dekretadoptionen und (reinen) Vertrags-
adoptionen zu unterscheiden. Bei letzteren ist lediglich zu prüfen, ob die
konkrete Adoption die Wirksamkeitsvoraussetzungen erfüllt, auf die das
entsprechende Kollisionsrecht verweist83; auch hierbei ist der ordre public
zu prüfen.
Für Minderjährigenadoptionen gilt in Österreich seit 1.9.1999 das
Haager Übereinkommen über die internationale Adoption84. Dieses sieht
in Art 23 vor, dass Auslandsadoptionen, die nach den Bestimmungen des
Übereinkommens zustande gekommen sind, in den Vertragsstaaten ipso

80 Haager Übereinkommen über die behördliche Zuständigkeit, das anzuwendende Recht


und die Anerkennung von Entscheidungen auf dem Gebiet der Annahme an Kindesstatt
[. . .] (HAdoptÜ), BGBl 1978/581.
81 Dazu OGH SZ 59/27 = EvBl 1987/14 = ZfRV 1987, 199 (Rechberger): Die Wahlmutter
war italienische Staatsangehörige.
82 Vgl OGH SZ 59/27.
83 § 26 Abs 1 iVm § 8 IPRG.
84 HÜintAdopt, BGBl III 1999/145.

98
Kindschaft § 11

iure anerkannt werden. Somit ist jedenfalls für Adoptionen, die in den An-
wendungsbereich dieses Übereinkommens fallen, ein langjähriges Deside-
rat realisiert worden. Denn das Fehlen eines inländischen Verfahrens, das –
analog zur Anerkennung ausländischer Ehescheidungen85 – mit allgemein
bindender Wirkung festgestellt hätte, dass eine bestimmte ausländische Sta-
tusentscheidung für den österreichischen Rechtsbereich anerkannt werde,
war Gegenstand der Kritik. Für andere Auslandsadoptionen, die im betref-
fenden Ausland durch einen förmlichen hoheitlichen Akt86 ihre Wirksam-
keit erlangt haben, gilt aber nach wie vor, dass sie im Rahmen der inländi-
schen Vorfragenbeurteilung incidenter anzuerkennen sind, wenn die
entsprechenden inländischen Anerkennungsvoraussetzungen vorliegen.
Diese sind im österreichischen Recht vorbehaltlich einschlägiger Staatsver-
träge nach §§ 79 ff EO87 iVm § 113b JN zu beurteilen. Eine substanzielle
Überprüfung88 des ausländischen Adoptionsaktes findet lediglich im Rah-
men des ordre public statt89.
Die kollisionsrechtliche Beurteilung des Unterhalts – einschließlich der 11/18
die Abstammung betreffenden Vorfrage – von ehelichen, unehelichen und
legitimierten Kindern sowie Wahlkindern, die unverheiratet sind und das
21. Lebensjahr noch nicht vollendet haben90, richtet sich nach dem Haager
Unterhaltsstatutübereinkommen, das Österreich im Jahre 1961 ratifiziert
hat91. „Unterhaltsbeziehungen zwischen Seitenverwandten“ sind vom Gel-
tungsbereich dieses Übereinkommens ausdrücklich ausgenommen92. Als
maßgebend wird das Sachrecht des jeweiligen gewöhnlichen Aufenthalts-
ortes des Kindes in einem Vertragsstaat bezeichnet93. Jeder Vertragsstaat
kann jedoch gemäß Art 2 sein eigenes Recht für anwendbar erklären, wenn

85 Gem § 24 der 4. DVEheG.


86 Durch Beschluss, „Dekret“ odgl.
87 IdF BGBl 1995/519.
88 Sog „révision au fond“.
89 § 81 Z 3 EO; vgl auch § 109 Abs 1 Z 4 des deutschen Gesetzes über das Verfahren in Fa-
miliensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit – FamFG vom
17.12.2008, dBGBl I S 2586, in Kraft seit 1.9.2009. Im Ergebnis entscheidet über die
Frage der „Anerkennung“ von (reinen) Vertragsadoptionen das inländische Kollisions-
recht und das durch dieses verwiesene ausländische Recht; bezüglich „Dekretadoptio-
nen“ entscheidet allein inländisches Verfahrensrecht.
90 Vgl OGH ZfRV 1996, 200: Dass die Unterhaltsberechtigte als deutsche Staatsangehörige
gem § 2 BGB bereits mit Vollendung des 18. Lebensjahres volljährig wurde, ist im An-
wendungsbereich des Übereinkommens ohne Belang.
91 BGBl 1961/293.
92 Daher kann das Übereinkommen auch auf die von einer Ordensgemeinschaft vertraglich
übernommenen Unterhaltspflichten gegenüber einer physischen Person nicht angewen-
det werden, vgl VwGH JBl 1990, 539.
93 Vgl OGH ZfRV 1997, 204/77.

99
§ 11 Familienrecht

der Anspruch vor eine Behörde dieses Staates gebracht wird, Unterhalts-
pflichtiger und Kind diesem Staat angehören und der Unterhaltspflichtige
dort seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat94. Hat das Kind nach dem Recht
seines gewöhnlichen Aufenthaltes keinen Unterhaltsanspruch, wird das
Recht des Staates angewendet, auf welches das IPR des angerufenen Staates
verweist. Das Recht des gewöhnlichen Aufenthaltes des Kindes braucht
von den Behörden eines Ratifikationsstaates nicht angewandt zu werden,
wenn es im Einzelfall offensichtlich („manifestement“) gegen den ordre
public dieses Staates verstößt.

D. Obsorge einer anderen Person und Sachwalterschaft

11/19 Das Rechtsgebiet, das im ABGB zuvor mit den Begriffen der Vormund-
schaft und Kuratel bzw Pflegschaft assoziiert wurde, ist materiellrechtlich
zunächst mit Wirkung vom 1.7.2001 unter Verzicht auf den als obsolet
empfundenen terminus technicus „Vormundschaft“ unter der Überschrift
„Obsorge einer anderen Person“ neu geordnet worden95, zudem steht ab
1.7.2007 das neue 5. Hauptstück des 1. Teiles des ABGB96 in Geltung, in
dem das Recht der Sachwalterschaft einer umfassenden und detaillierten
Neuregelung zugeführt wurde97. Nach wie vor ist im IPRG aber von Vor-
mundschaft und Pflegschaft bzw von Entmündigung die Rede, doch wird
man diese Verweisungsbegriffe den neuen verba legalia des materiellen
Rechts anzupassen haben.
Gemäß § 27 Abs 1 IPRG gilt, soweit nicht staatsvertragliches Recht vor-
geht, für die Voraussetzungen bezüglich der Anordnung und Beendigung
der „Obsorge einer anderen Person“ sowie für deren Wirkungen, wie Um-
fang und Inhalt der Obsorgepflicht, das Personalstatut des Pflegebefohle-
nen. Alle sonstigen damit verbundenen, vornehmlich verfahrenskonnexen
Fragen sind, „soweit sie die Führung an sich betreffen“, wie etwa die Kon-
trolle der Rechnungslegung oder das Entschlagungsrecht des mit der Ob-
sorge Betrauten, gemäß § 27 Abs 2 IPRG nach dem Sachrecht der zuständi-
gen Behörde (lex fori) zu beurteilen.

94 Von dieser Ermächtigung des Art 2 UStÜ hat Österreich wie viele andere Vertragsstaaten
(Belgien, Italien, Liechtenstein, Luxemburg, Schweiz, Türkei) Gebrauch gemacht, vgl
Art 2, BGBl 1961/295; die übrigen Vertragsstaaten sind Deutschland, Frankreich, Japan,
Niederlande, Portugal und Spanien.
95 Wegen eines Redaktionsversehens steht diese Überschrift sogar in doppelter Form vor
§ 187 ABGB.
96 Es ist überschrieben mit „Von der Sachwalterschaft, der sonstigen gesetzlichen Vertre-
tung und der Vorsorgevollmacht“.
97 §§ 268–284h ABGB.

100
Obsorge einer anderen Person und Sachwalterschaft § 11

Auch in diesem Teilbereich des Familienrechts wird jedoch das auto-


nome Kollisionsrecht allenthalben durch bilaterale Abkommen98, vor al-
lem aber durch das Haager Minderjährigenschutzübereinkommen99, das
„zum Schutz der Person und des Vermögens“ Regeln über die Gerichts-
barkeit100 und das anwendbare Recht für die elterliche Obsorge und die ge-
setzliche Vertretung von minderjährigen (ehelichen und unehelichen) Kin-
dern, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich oder einem der
anderen Vertragsstaaten haben101, beinhaltet, verdrängt; wobei gemäß
Art 12 HMjSchÜ „Minderjährigkeit“ sowohl nach dem Recht der Staats-
angehörigkeit als auch nach dem Aufenthaltsrecht gegeben sein muss.
Aus dem unklar formulierten Art 3 HMjSchÜ wird geschlossen, dass
kraft Gesetzes bestehende „Gewaltverhältnisse“, wie etwa elterliche Sorge,
Obsorge für Kinder getrennt lebender Eltern102 oder gesetzliche Vormund-
schaften103, nach den Sachnormen des Heimatstaates des Minderjährigen zu
beurteilen sind104. Bei Minderjährigen mit mehrfacher Staatsbürgerschaft ist
entgegen § 9 Abs 1 Satz 2 IPRG die „effektive“, gelebte Staatsangehörigkeit
maßgebend105. Gemäß Art 4 sind für die Schutzmaßnahmen die Behörden
des Heimatstaates oder des Staates des gewöhnlichen Aufenthalts des Min-
derjährigen zuständig, die dann nach den Sachnormen ihrer lex fori entschei-
den. Ausgenommen vom Anwendungsbereich des Übereinkommens sind
die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen von Minderjährigen106,
den Status von Minderjährigen betreffende Agenden107, allgemeine Jugend-
schutzvorschriften sowie spezielle gerichtliche Zustimmungsersetzungen.

98 Etwa hinsichtlich der Vormundschaft (Obsorge) im Verhältnis zu Deutschland und Ita-


lien: BGBl 1927/269 bzw StGBl 1920/304.
99 Kurz „HMjSchÜ“, BGBl 1975/446; von Österreich ursprünglich mit Vorbehalt gem
Art 13 Abs 3 ratifiziert, dessen Wirkung ist aber seit 7.8.1990 erloschen, BGBl 1990/
439: Staatsangehörigkeit ist seither ohne Relevanz, dazu OGH IPRax 1994, 55 (Mottl,
60); weitere Vertragsstaaten sind China, Deutschland, Frankreich, Italien, Lettland, Li-
tauen, Luxemburg, die Niederlande, Portugal, Schweiz, Spanien und die Türkei.
100 Das HMjSchÜ wird hinsichtlich der gerichtlichen Zuständigkeit seit 1.3.2001 durch die
Verordnung Brüssel II und seit 1.3.2005 durch die VO Brüssel IIa (vgl Rz 1/6 FN 17 f)
partiell verdrängt.
101 Zu den Schutzmaßnahmen des MjSchÜ gehört auch die Regelung des Besuchsrechts:
OGH ZfRV 1991, 40/6. Zur Anknüpfung der Besuchsrechtsregelung nach dem Über-
einkommen: OGH IPRax 1993, 415 (Mottl, 417); vgl auch OGH JBl 1993, 44 (krit
Schwimann).
102 OGH IPRax 1984, 159 (Hoyer, 164).
103 Missverständlich OGH ZfRV 1986, 292 (Hoyer).
104 Vgl OGH ZfRV 1991, 476 (Pichler); ZfRV 1996, 196/58.
105 OGH EvBl 1990/35; zur perpetuatio fori bei Aufenthaltswechsel: OGH IPRax 1986,
385 (Henrich, 364); vgl zuletzt OGH ZfRV 1997, 119/41.
106 Vgl aber OGH IPRax 1981, 144 (Köhler).
107 Vgl hinsichtlich der Vaterschaftsfeststellung: OGH ZfRV 1996, 160/38.

101
§ 11 Familienrecht

Für die Anknüpfung der sich im Zusammenhang mit einer Sachwalter-


schaft ergebenden Probleme einschließlich der Fragen der Vertretungsbe-
fugnis nächster Angehöriger und der Vorsorgevollmacht steht im IPRG
nur die auf den obsoleten Verweisungsbegriff „Entmündigung“ abstel-
lende Bestimmung des § 15 zur Verfügung. Die dort getroffene Anord-
nung, dass die Voraussetzungen, Wirkungen und Aufhebung einer „Ent-
mündigung“ nach dem Personalstatut der betroffenen behinderten Person
zu beurteilen sind, wird man auf analoge Prüfungsthemen und Maßnah-
men im Rahmen einer Sachwalterschaft zu übertragen haben108, wobei für
die Beurteilung der Zeitpunkt relevant ist, an dem eine Maßnahme gesetzt
wird109.

E. Eingetragene Partnerschaft

11/20 Am 1.1.2010 ist das „Eingetragene Partnerschaft-Gesetz“110 in Kraft getre-


ten, nachdem es nur zwei Tage zuvor verlautbart worden war. Dieses Ge-
setz bewirkte in einer großen Zahl von Gesetzen Veränderungen, so auch
im IPR-Gesetz, in das gemäß seinem Art 5 unter der Überschrift „D. Part-
nerschaftsrecht“ vier neue Bestimmungen aufgenommen wurden111, die die
Anknüpfung der Voraussetzungen und Wirksamkeit der Lebenspartner-
schaft, der durch sie bewirkten persönlichen Rechtswirkungen, ihrer gü-
terrechtlichen Konsequenzen und ihrer Auflösung zum Gegenstand
haben. Aus dem normativen Zusammenhang ergibt sich, dass der österrei-
chische Gesetzgeber in kollisionsrechtlicher Hinsicht den „familienrecht-
lichen Weg“ beschritten hat112.
Demnach sind die Begründung, die Nichtigkeit einer Lebenspartner-
schaft und ihre durch Mängel bei ihrer Eingehung bedingte Auflösung
nach dem Recht des Staates zu beurteilen, in dem sie begründet wird, wäh-
rend für die Anknüpfung der „persönlichen Rechtswirkungen der Le-
benspartnerschaft“ von § 27b eine Anknüpfungsleiter vorgesehen ist, die
anders als jene des § 18 IPRG den gewöhnlichen Aufenthalt zum primären
Anknüpfungspunkt nimmt, so dass erstens, das „Recht des Staates, in dem
die eingetragenen Partner ihren gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt

108 OGH ZfRV 1988, 41 (Hoyer); ZfRV 1999, 116.


109 Zu den heiklen kollisionsrechtlichen Fragen, vgl nunmehr Oberhammer/Graf/Slonina,
Sachwalterschaft für Deutsche und Schweizer in Österreich, ZfRV 2007, 133.
110 BGBl I 2009/135.
111 §§ 27a bis 27d IPRG.
112 Vgl zum deutschen Recht: Wagner, Das neue Internationale Privat- und Verfahrens-
recht zur eingetragenen Partnerschaft, IPRax 2001, 281.

102
Eingetragene Partnerschaft § 11

haben“, mangels eines solchen das „Recht des Staates, in dem beide ihren
letzten gewöhnlichen Aufenthalt gehabt haben, sofern ihn einer von ihnen
beibehalten hat“, und erst zweitens, das „gemeinsame, mangels eines sol-
chen das letzte gemeinsame Personalstatut der Lebenspartner, sofern es
einer von ihnen beibehalten hat“, berufen sind113. In dritter Linie soll wie-
derum subsidiär österreichisches Recht zur Anwendung kommen, das
auch anzuwenden sein wird, soweit das maßgebende Recht „die persön-
lichen Rechtswirkungen der eingetragenen Partnerschaft nicht regelt“.
Im Hinblick auf das Güterrecht der eingetragenen Partnerschaft erklärt
§ 27c IPRG, hierin mit § 19 IPRG übereinstimmend, primär das von den
Parteien ausdrücklich bestimmte Recht für maßgebend. Fehlt eine Rechts-
wahl, soll das Recht des Staates, in dem die eingetragene Partnerschaft be-
gründet wurde, anzuwenden sein. Für die Auflösung der eingetragenen
Partnerschaft gilt gemäß § 27d dieselbe Hierarchie wie in § 27b, wobei der
Zeitpunkt der Auflösung der relevante Beurteilungszeitpunkt ist. Auch
hier ist in dritter Linie österreichisches Recht anzuwenden, das auch dann
eingreift, wenn „nach dem nach Z 1 und Z 2 maßgebenden Recht die einge-
tragene Partnerschaft auf Grund der geltend gemachten Tatsachen nicht
aufgelöst werden kann“.
Die Erläuterungen zu Artikel 5 der RV114 betonen, dass die neuen
§§ 27a–27d IPRG grundsätzlich „soweit sich aus dem Sinn der einzelnen
Bestimmungen nicht Abweichendes ergibt“115 Gesamtverweisungen116
seien und das Zusammenspiel der Verweisungsnormen beachtet werden
müsse, so dass die namensrechtlichen Wirkungen einer eingetragenen Part-
nerschaft nach § 13 und ihre erbrechtlichen Folgen nach § 28 IPRG anzu-
knüpfen sind.

113 Der österr Gesetzgeber nimmt so den Paradigmenwechsel im Internationalen Familien-


recht vom Staatsbürgerschafts- zum Aufenthaltsortsrecht, den der Entwurf der „Ver-
ordnung Rom III“ vorsieht, vorweg.
114 485 BlgNR 24.GP, 15.
115 Hier werden zitiert §§ 27b Z 3, 27d Z 3, § 27c iVm § 11 Abs 1 IPRG.
116 Damit fügen sich die §§ 27a ff zwar tatsächlich „in das System des IPRG“, nicht jedoch
in die Vorstellungen des das Internationale Familienrecht betreffenden Verordnungs-
vorschlags auf der Ebene des EU-Rechts; vgl Art 6 des Vorschlags, KOM(2010) 105
endg/2.

103
§ 12. Erbrecht
A. Allgemeines

12/1 Die nationalen materiell-rechtlichen Regeln des Erbrechts weichen von-


einander stark ab. Das gilt insbesondere für das Noterbrecht bzw Pflicht-
teilsrecht naher Verwandter. Zudem gibt es hier als eine österreichische
Besonderheit die Verlassenschaftsabhandlung mit dem in anderen Rechts-
ordnungen unbekannten Rechtsinstitut der Einantwortung. Auch hin-
sichtlich der nationalen erbrechtlichen Kollisionsnormen bestehen erheb-
liche Unterschiede. So beruht das Prinzip der Nachlasseinheit auf der
römisch-rechtlichen Universalsukzession, während sich der Grundsatz
der Nachlassspaltung von der der deutschen Rechtstradition entstammen-
den Sondererbfolge ableitet. Während der erste Grundsatz den gesamten
Nachlass einheitlich nach dem Personalstatut des Erblassers behandelt, teilt
der zweite den Nachlass in Gütermassen, indem er das unbewegliche Ver-
mögen der lex rei sitae, das bewegliche Vermögen dagegen dem Personal-
statut unterwirft. Bei internationalen Erbrechtsfällen kann das zu kaum
lösbaren Verwicklungen führen, zB in der Frage der Haftung, wenn eine
Person nach der einen Rechtsordnung als Noterbe Gesamtrechtsnachfol-
ger, nach der anderen nur obligatorisch pflichtteilsberechtigt ist. Schließ-
lich gibt es auch Kollisionsrechte, wie zB das deutsche oder schweizerische
IPR, die im Gegensatz zum österreichischen IPR-Gesetz eine Rechtswahl
(„professio iuris“) in sachlich-persönlich mehr oder weniger beschränkter
Weise zulassen1. Auch dies bleibt letztlich ein versuchter Systemkompro-
miss zwischen „unversöhnlichem“ Verfahrensrecht und Internationalem
Privatrecht.
Insgesamt ist das erste System vorzuziehen. Doch bleiben – abgesehen
davon, dass unter Personalstatut Unterschiedliches verstanden wird und
Rück- und Weiterverweisung in einer Rechtsordnung zu beachten sind, in
einer anderen hingegen nicht – auch hier zahlreiche schwierige Fragen zu

1 Vgl Art 25 Abs 2 EGBGB; Art 87 Abs 2, Art 90 Abs 2 schweizIPRG.

104
Allgemeines § 12

lösen: Richtet sich die Erbfähigkeit nach dem Statut des Erben oder des
Erblassers? Wie werden Mehrstaater behandelt? Beurteilt sich die Testier-
fähigkeit nach dem Zeitpunkt der Testamentserrichtung, nach dem des To-
des oder nach beiden, wovon wieder das anzuwendende Recht abhängen
kann? Sollen für die Testamentsform im Sinne des favor testamenti eigene
Anknüpfungsgründe gelten?
Ungewiss ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt2, wann und mit welchem
Inhalt der „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments
und des Rates über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Aner-
kennung und die Vollstreckung von Entscheidungen und öffentlichen Ur-
kunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlass-
zeugnisses“3 realisiert werden wird4. In Kapitel III dieses Vorschlags finden
sich die Regeln über das anzuwendende Recht, die sich wesentlich von der
derzeitigen Rechtslage in Österreich unterscheiden. So soll nach Art 16
„die gesamte Rechtsnachfolge von Todes wegen dem Recht des Staates, in
dem der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufent-
halt hatte“ unterliegen, doch würde gemäß Art 17 eine Person unter Ein-
haltung der für letztwillige Verfügungen vorgesehenen Form „die Rechts-
nachfolge in ihren gesamten Nachlass“ dem Recht des Staates, dem sie
angehört, unterwerfen können5.
In Österreich ist das überkommene internationale Erbrecht mit dem In- 12/2
krafttreten des IPR-Gesetzes für die nach dessen Inkrafttreten vollendeten
Tatbestände6 grundlegend verändert worden. Während zuvor ein Gleich-
lauf zwischen inländischer Abhandlungsgerichtsbarkeit und anwendbarem
inländischen Sachrecht herrschte, wurden die auf die Anwendbarkeit ös-
terreichischen Sachrechts hinweisenden Passagen aus §§ 23, 25 und 140
AußStrG 1854 eliminiert. In Verbindung mit den Bestimmungen des All-
gemeinen Teils7 wurde durch §§ 28 bis 30 IPRG erstmals grundsätzlich all-
seitig formuliertes Erbkollisionsrecht geschaffen. Daneben war im öster-
reichischen internationalen Erbrecht schon vor dem IPR-Gesetz
hinsichtlich der Testamentsform das einschlägige Haager „Übereinkom-
men über das auf die Form letztwilliger Verfügungen anzuwendende

2 1.7.2010.
3 KOM(2009) 154 endg vom 14.10.2009.
4 Mit ihren einheitlichen Dokumentenvorlagen sollte diese Verordnung die Abwicklung
grenzüberschreitender Nachlässe wesentlich vereinfachen.
5 Dazu Kindler, Vom Staatsangehörigkeits- zum Domizilprinzip: das künftige internatio-
nale Erbrecht der Europäischen Union, IPRax 2010, 44.
6 §§ 7, 50 IPRG.
7 Unter denen § 5 IPRG, der die Gesamtverweisung als Regelform der erbrechtlichen Ver-
weisung vorsieht, von der Praxis lange vernachlässigt worden ist.

105
§ 12 Erbrecht

Recht“8 zu beachten. Erbrechtlich relevant sind auch noch einige bilaterale


Abkommen, die insbesondere mit Nachbarstaaten wie Tschechien, Ungarn
und den Staaten, die dem zerfallenen Jugoslawien nachfolgten, geschlossen
wurden9.
12/3 Bestimmungen über die Abhandlungsjurisdiktion finden sich nunmehr in
§§ 105 bis 107 JN, die durch das Außerstreit-Begleitgesetz10 neu formuliert
wurden und an die Stelle der §§ 20 ff AußStrG 1854 getreten sind. Gemäß
§ 105 JN ist grundsätzlich für das Verlassenschaftsverfahren jenes Gericht
zuständig, „in dessen Sprengel der Verstorbene seinen allgemeinen Ge-
richtsstand in Streitsachen hatte“. Wenn sich – wie im Falle von Zweit-
wohnsitzen – der allgemeine Gerichtsstand „im Inland nicht ermitteln
(lässt) oder . . . bei mehreren Gerichten begründet“ ist, ist die Zuständigkeit
des Gerichts gegeben, „in dessen Sprengel sich der größte Teil des im In-
land gelegenen Vermögens des Verstorbenen befindet“. Ein Auffangge-
richtsstand besteht beim „Bezirksgericht Innere Stadt Wien“ für jene Fälle,
in denen inländische Abhandlungsgerichtsbarkeit besteht, aber kein Ver-
mögen im Inland gelegen ist11.
Die Grenzen der Internationalen Zuständigkeit sind durch das Au-
ßerstreit-Begleitgesetz neu gezogen worden. Nach dem geänderten Wort-
laut des § 106 JN besteht heute stets Abhandlungsgerichtsbarkeit über das
im Inland befindliche unbewegliche Vermögen und unterliegt bewegliches
Vermögen, das sich im Inland befindet, dann der österreichischen Abhand-
lungsgerichtsbarkeit, wenn der Verstorbene österreichischer Staatsbürger
war oder zuletzt seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich hatte oder
die Durchsetzung aus dem Erbrecht, Pflichtteilsrecht oder einer letztwilli-
gen Erklärung abgeleiteter Rechte im sonst in Frage kommenden Ausland
unmöglich ist. Zudem besteht inländische Abhandlungsgerichtsbarkeit
über das im Ausland gelegene bewegliche Vermögen, wenn der Verstor-
bene zuletzt österreichischer Staatsbürger war und seinen letzten gewöhn-
lichen Aufenthalt im Inland hatte oder die Rechtsdurchsetzung der Erb-
oder Pflichtteilsprätendenten im Ausland unmöglich ist. Nicht im Inland
abzuhandeln ist somit der im Ausland gelegene unbewegliche Nachlass

8 Kurz „Testamentsübereinkommen“, BGBl 1963/295, für Österreich in Kraft getreten


am 5.1.1964. Es weist mehr als 40 Vertragsstaaten auf, darunter Belgien, China, Deutsch-
land, Frankreich, Großbritannien, Japan, Niederlande, Polen, Schweden, Schweiz, Slo-
wenien, Spanien und die Türkei.
9 Übersicht bei Verschraegen in Rummel3, vor § 28 IPRG.
10 BGBl I 2003/112. Die neuen Bestimmungen gelten seit 1.1.2005.
11 ErlRV 225 BlgNR XXII. GP, 8.

106
Das allgemeine Erbstatut § 12

eines österreichischen Staatsangehörigen und der gesamte ausländische


Nachlass eines Ausländers12.
Auch aus der Neuregelung der österreichischen Abhandlungsjurisdik-
tion ist der Schluss zu ziehen, dass man dem Phänomen der Nachlassspal-
tung, das sich immer dann ergibt, wenn Nachlassgegenstände des Erblas-
sers in verschiedenen Ländern belegen sind, mit Hilfe eines einheitlichen
Erbstatuts allein nicht begegnen kann. Diese Utopie scheitert nicht erst am
Problem der Rück- und Weiterverweisung, sondern bereits an den wenig
harmonisierten Regeln der nationalen Abhandlungsjurisdiktion13. Nach-
lassspaltungen lassen sich nicht vermeiden und kommen in der Praxis nicht
selten vor14.

B. Das allgemeine Erbstatut

Angeknüpft wird im autonomen internationalen Erbrecht an die Staatsan- 12/4


gehörigkeit des Erblassers. § 28 Abs 1 IPRG unterstellt im Wege einer Ge-
samtverweisung iSd § 5 IPRG die gesamte „Rechtsnachfolge von Todes
wegen“ dem Personalstatut des Erblassers im Zeitpunkt seines Todes.
Dazu gehören zB der Umfang des Nachlasses, die Berufungsgründe, die
Bestimmung der Erben, der Erbquoten und der Pflichtteilsberechtigten15
sowie Bedingungen, Befristungen und Aufträge16. Ferner zählen dazu die
Erbunwürdigkeitsgründe, die Zulässigkeit eines vertraglichen Erbver-
zichts und wohl auch die Erbsentschlagung. Statusrechtliche Vorfragen
sind dagegen getrennt anzuknüpfen. Eine Rechtswahl, die auch Erbrecht
und Ehegüterrecht harmonisieren könnte, wird vom Gesetz nicht vorgese-
hen. Bei inländischer Verlassenschaftsabhandlung richten sich verfahrens-
verbundene Fragen wie Erbschaftserwerb und Haftung für Nachlassschul-
den nach den Sachnormen der lex fori.

12 Dazu Ferrari in Ferrari/Likar-Peer (Hrsg), Erbrecht (2007) 541.


13 Vgl auch die unterschiedliche Behandlung der Mehrstaater, zB die spiegelbildlich jeweils
gleiche Regelung von § 9 Abs 1 Satz 2 IPRG und Art 5 Abs 1 Satz 2 EGBGB zugunsten
der eigenen Staatsbürger.
14 Vgl OGH ZfRV 1987, 278 (Zemen, 283) = IPRax 1988, 35 (Schwind, 45): österr Erblas-
ser, testamentarische Erbfolge, Liegenschaft in Spanien: Das Schicksal des nicht in Öster-
reich abzuhandelnden Nachlassteiles ist für die Berechnung eines in Österreich abzuhan-
delnden Nachlasses keineswegs unbeachtlich. Vgl auch OGH EvBl 1987/95 = ZfRV
1987, 280 (Zemen) = IPRax 1988, 37 (Schwind, 45): Ermittlung des Pflichtteilsanspru-
ches des nicht eingesetzten Witwers.
15 Vgl OGH ZfRV 1993, 35 (Zemen); OGH ZfRV 1993, 164 (Hoyer) = IPRax 1993, 188
(Schwind, 196); dazu auch Schwind, Noterbrecht und IPR, ZfRV 1994, 29.
16 Vgl OGH JBl 1992, 460 = IPRax 1992, 328 (Schwind, 333).

107
§ 12 Erbrecht

Sonderanknüpfungen an das österreichische Sachrecht gelten bezüglich


des nach dem Wohnungseigentumsgesetz 200217 begründeten Wohnungsei-
gentums von Eigentümerpartnerschaften gemäß der novellierten Eingriffs-
norm des § 14 WEG 200218, die eine Art „Anwachsungsrecht“ zugunsten
des überlebenden Wohnungseigentumspartners vorsieht, sowie bezüglich
anerbenrechtlicher Regelungen für in Österreich gelegene Bauerngüter19.
Der Nachlasserwerb, der bei Qualifikation nach österreichischem
Sachrecht die Erb(antritt)serklärung, die Einantwortung und die Haftung
für Nachlassschulden20 umfasst, ist bei Verlassenschaftsabhandlung in Ös-
terreich gemäß der Exklusivnorm des § 28 Abs 2 IPRG nach österreichi-
schem Sachrecht zu beurteilen. Dazu gehören aufgrund des funktionalen
Zusammenhanges auch Nachlassinsolvenz und Nachlassseparation21. Hin-
sichtlich unbeweglicher Nachlasssachen gilt der Grundsatz „Einzelstatut
(Liegenschaftsstatut) bricht Gesamtstatut (Erbstatut)“: Gemäß § 32 IPRG
richtet sich bei jedweder Erbfolge – unabhängig vom Personalstatut des
Erblassers – der Erwerb dinglicher Rechte an unbeweglichen Sachen nach
dem Recht des Belegenheitsorts. Dabei ist unter „Erwerb“ iSd § 31 IPRG
nur der sachenrechtliche Erwerbsmodus (Verfügungsgeschäft) zu verste-
hen. Die kollisionsrechtliche Beurteilung der Voraussetzungen des Erb-
rechtstitels richtet sich wiederum nach §§ 28 ff IPRG. Im Anwendungsbe-
reich des § 28 Abs 2 IPRG gilt dies auch für bewegliche Sachen.

C. „Kaduzitätsstatut“

12/5 Besonderes ordnet das Gesetz für die Anknüpfung des Heimfallsrechts
des Staates im Falle einer erblosen Verlassenschaft an, indem es in § 29
IPRG ein eigenes Kaduzitätsstatut vorsieht22. Nicht dem Erbstatut, son-
dern dem Sonderstatut des § 29 IPRG folgt der Erwerbstitel für den Nach-
lass, der nach dem im § 28 IPRG bezeichneten Recht erblos wäre bzw einer
„Gebietskörperschaft“23 als gesetzlichem Erben zufallen würde. Zur An-

17 BGBl I 2002/70 idF BGBl I 2009/25.


18 IdF BGBl I 2006/124; zu § 10 WEG 1975, vgl OGH IPRax 1993, 255 (Reichelt, 257).
19 OGH SZ 2003/44 = JBl 2003, 940.
20 OGH ZfRV 1997, 80/27.
21 § 812 ABGB; vgl OGH ZfRV 1988, 132 = IPRax 1988, 36 (Schwind, 45): Pflichtteilsan-
spruch und Haftung unterlagen verschiedenem (deutschem bzw österr) Recht; OGH
ZfRV 1989, 153 (Zemen); vgl auch OGH ZfRV 1990, 306 (Zemen): Rechtsnatur des Gat-
tenanteilsrechtes („giftorätt“) nach finnischem Recht.
22 Vgl OGH ZfRV 1997, 35 (krit Hoyer).
23 Dieser Begriff ist weit zu interpretieren: OGH EvBl 1986/12 = NZ 1987, 68 = ZfRV
1985, 214 (Hoyer).

108
Verfügungen von Todes wegen § 12

wendung kommt in einem solchen Fall „das Recht jeweils des Staates, in
dem sich Vermögen des Erblassers im Zeitpunkt seines Todes befindet“.
Durch die Berufung der jeweiligen lex rei sitae wird dem teilweise öffent-
lichrechtlichen Charakter dieser Art von Sondererbfolge Rechnung getra-
gen (Okkupationsprinzip)24.

D. Verfügungen von Todes wegen

Gemäß § 30 IPRG sind die Testierfähigkeit eines letztwillig Verfügenden 12/6


und die sonstigen Wirksamkeitsvoraussetzungen einer letztwilligen
Verfügung, eines Erbvertrages oder eines Erbverzichts nach dem Perso-
nalstatut des Erblassers im Zeitpunkt der betreffenden Rechtshandlung
oder, soweit diese danach unwirksam wäre, nach dem Personalstatut des
Erblassers im Zeitpunkt seines Todes zu beurteilen25. Getrennt beurteilt
werden die entsprechenden Formerfordernisse, wobei die Anknüpfung
der Testamentsform nach dem Haager Testamentsübereinkommen er-
folgt26, während für Erbverzicht und Erbvertrag die allgemeine Formvor-
schrift des § 8 IPRG gilt.
Das Haager Testamentsübereinkommen ersetzt nach seinem Art 6 als loi 12/7
uniforme, dh ohne Gegenseitigkeitserfordernis und Sachverhaltsbeziehung
zu Vertragsstaaten, das betreffende nationale Kollisionsrecht. Demnach ist
ein Testament formgültig, wenn es die Formerfordernisse einer Rechtsord-
nung erfüllt, zu der eine Anknüpfung besteht. Dadurch soll vermieden
werden, dass ein Testament in dem einen oder anderen Staat, in dem es
sich auswirken soll, formungültig ist. Zugleich soll ermöglicht werden,
dass eine Person durch ein einziges Testament über ihr in verschiedenen
Staaten gelegenes Vermögen formgültig verfügt.
Nach Art 1 TestÜ ist das Testament formgültig, wenn seine Form dem
„innerstaatlichen Recht“27 des Errichtungsortes, oder eines Staates, dessen
Staatszugehörigkeit der Erblasser zur Zeit der Testamentserrichtung oder
seines Todes besaß, oder des Ortes, in dem der Erblasser zur Zeit der Tes-
tamentserrichtung oder seines Todes seinen Wohnsitz oder seinen ge-

24 Vgl auch OGH ZfRV 1985, 131 (Hoyer).


25 Zur kollisionsrechtlichen Einordnung der Schenkung bzw des Auftrages auf den Todes-
fall, ob erb- oder schuldrechtliche Anknüpfung, vgl OGH ZfRV 1989, 51 (Zemen). Nach
hA sind Erbschaftskauf und Erbschaftsschenkung schuldrechtlich zu qualifizieren; vgl
Schwimann in Rummel3 § 30 IPRG Rz 3.
26 Haager Testamentsübereinkommen (TestÜ), BGBl 1963/295.
27 Art 1 TestÜ ordnet somit eine Sachnormverweisung an.

109
§ 12 Erbrecht

wöhnlichen Aufenthalt hatte, oder für unbewegliches Vermögen der lex rei
sitae entspricht.
Dasselbe gilt gemäß Art 2 TestÜ für den Widerruf einer testamentari-
schen Verfügung und gemäß Art 4 des Übereinkommens für gemein-
schaftliche Testamente. Für das Übereinkommen ist ein weites Verständ-
nis des Formbegriffs charakteristisch, da gemäß seinem Art 5 auch
diejenigen Vorschriften, welche die Testamentsform in Bezug auf das Alter,
die Staatsangehörigkeit oder andere persönliche Eigenschaften beschrän-
ken28 sowie die Vorschriften über Eigenschaften der Testamentszeugen29
als „zur Form gehörend“ angesehen werden und daher in den Anwen-
dungsbereich des Übereinkommens fallen. Gemäß Art 7 TestÜ darf die
Anwendung eines durch das Übereinkommen für maßgebend erklärten
Rechts nur abgelehnt werden, „wenn sie mit der öffentlichen Ordnung of-
fensichtlich unvereinbar ist“.

28 Vgl §§ 566 ff ABGB; dazu OGH NZ 1988, 103 = IPRax 1988, 365 (Schwind, 375).
29 Vgl §§ 591 ff ABGB.

110
§ 13. Sachenrecht und Immaterialgüterrecht
A. Allgemeines

Nach der älteren Auffassung unterstanden „dingliche Rechte“ an unbe- 13/1


weglichen Sachen dem Recht des Belegenheitsortes (lex rei sitae), während
jene an beweglichen Sachen „mit der Person des Eigentümers unter glei-
chen Gesetzen“ standen1. Entgegen dem Wortlaut des § 300 aF ABGB
folgte jedoch die österreichische Lehre und Praxis gleichwohl schon lange
vor dem Inkrafttreten des IPR-Gesetzes der neueren Auffassung, wonach
das am Lageort festgemachte Realstatut grundsätzlich für das gesamte Sa-
chenrecht Geltung hat. Sie tat dies mit gutem Grund, würde doch die
Nichtanwendung der inländischen Vorschriften über Veräußerung, Ver-
pfändung usw auf inländische bewegliche Sachen zu Ergebnissen führen,
die sachenrechtlichen Grundprinzipien (vor allem dem Publizitätsprinzip
und dem Typenzwang) und somit dem (positiven) ordre public widersprä-
chen. In § 31 IPRG ist denn auch nur die bewährte Praxis der Anknüpfung
dinglicher Rechte gesetzlich festgeschrieben worden. Manche Fragen blie-
ben allerdings offen, zB jene über das Schicksal unkörperlicher Sachen, der
res in transitu, der dinglichen Rechte an einem grenzüberschreitenden
Kraftfahrzeug uam.

B. Grundregel, Ausnahmen und Grenzen

Gemäß § 31 Abs 1 IPRG sind Erwerb und Verlust dinglicher Rechte an 13/2
körperlichen Sachen nach dem Recht des Staates zu beurteilen, „in dem
sich die Sachen bei Vollendung des dem Erwerb oder Verlust zugrunde lie-
genden Sachverhalts befinden“2. Die Regel gilt für alle Sachenrechte, also

1 So noch der seit Inkrafttreten des IPRG aufgehobene § 300 ABGB.


2 Auch die Form der Eigentumsübertragung ist dem Recht des Lageortes unterstellt: OGH
JBl 1992, 791; vgl auch OGH JBl 1992, 792 (Schwimann) = NZ 1992, 230 (Hofmeister).

111
§ 13 Sachenrecht und Immaterialgüterrecht

für das Eigentum und das Wohnungseigentum, für das Pfand- und das
(drittwirksame) Retentionsrecht gemäß § 471 ABGB, für das Baurecht
nach dem Baurechtsgesetz sowie aufgrund ausdrücklicher Anordnung
auch für den Besitz. Für Dienstbarkeiten und Reallasten ist das Statut der
belasteten Sache maßgebend.
§ 31 Abs 2 IPRG stellt überdies klar, dass die rechtliche Gattung der
Sachen und der Inhalt der Sachenrechte ebenfalls nach dem Recht des Staa-
tes zu beurteilen sind, in dem sich die Sachen befinden. Demnach wären
auch nachbarrechtliche Abwehransprüche, zB gegen grenzüberschreitende
Immissionen, nach dem Recht am Ort der beeinträchtigten Liegenschaft zu
beurteilen3.
13/3 Entschädigungslose Konfiskation und Enteignung gegen Entschädigung
von beweglichen und unbeweglichen Sachen richten sich nach dem Recht
des Staates, in dem das enteignete Gut liegt. Befand sich konfisziertes Ver-
mögen einer juristischen Person zur Zeit der Konfiskation außerhalb des
Sitzstaates, wird es nicht von der Einziehung erfasst, während sich die Ent-
eignung auch auf außerhalb des Hoheitsgebietes des Sitzstaates belegene
Vermögenswerte erstreckt4. Es wäre mit dem österreichischen ordre public
unvereinbar, gewesen, hätten sich die Wirkungen von Konfiskationen, wie
sie nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs allenthalben in einigen der Ös-
terreich unmittelbar benachbarten Staaten erfolgten, auf Vermögenswerte
erstreckt, die sich auf österreichischem Hoheitsgebiet befanden bzw befin-
den. Rückstellungsansprüche wegen Vermögensentziehung richten sich
grundsätzlich nach dem Recht des Staates, in dem die Entziehung erfolgte,
doch sind in diesem Zusammenhang zahlreiche von Österreich bilateral
abgeschlossene Rückstellungs- und Entschädigungsabkommen5 zu beach-
ten6.
13/4 Getrennt anzuknüpfen ist die Frage der persönlichen Erwerbsfähigkeit,
für die das Personalstatut maßgebend ist. Ebenso sind Fragen der rechtsge-
schäftlichen Vertretung von der Anknüpfung an das Realstatut ausgenom-
men. Sie sind nach § 49 IPRG anzuknüpfen. Die Form dinglicher Verfü-
gungen folgt hingegen der lex rei sitae. Klar unterschieden werden muss

3 Dazu Lux, Kollisionsrechtliche Probleme bei grenzüberschreitenden Immissionen, RdU


1995, 108, 161.
4 OGH JBl 1987, 588.
5 Übersicht bei Verschraegen in Rummel3 § 31 IPRG Rz 59.
6 Hinsichtlich des in jüngerer Zeit stärker beachteten Kulturgüterschutzes, vgl BG zur Um-
setzung der Richtlinie 93/7/EWG über die Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Ho-
heitsgebiet eines Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaft verbrachten Kulturgü-
tern, BGBl I 1998/67 idF BGBl I 2003/112.

112
Statutenwechsel und Anerkennung fremder dinglicher Rechte § 13

ferner zwischen dem dinglichen Verfügungsgeschäft und dem obligato-


rischen Verpflichtungsgeschäft sowie zwischen der Hypothek und der
dadurch gesicherten Forderung, da für das Verpflichtungsgeschäft das
Schuldstatut gilt. Für die Frage der Wirksamkeit eines Schenkungsvertra-
ges über in Italien gelegene Liegenschaftsanteile ist daher das Schuldstatut
maßgebend7. Als Vermögensobjekte zählen Forderungen aber zu den be-
weglichen Sachen. Sie sind als am (Wohn-)Sitz des (Dritt-)Schuldners bele-
gen anzusehen8, während die Belegenheit von Gesellschaftsanteilen (Ak-
tien) am tatsächlichen Verwaltungssitz der Gesellschaft anzunehmen ist.

C. Statutenwechsel und Anerkennung fremder


dinglicher Rechte

Es gehört zum Wesen beweglicher Sachen, dass ihr Lageort verändert wer- 13/5
den kann. Da sich der Erwerb und Verlust einer beweglichen Sache gemäß
§ 31 Abs 1 IPRG nach dem Recht des Staates bestimmt, in dem sie sich zu
jener Zeit befand, zu der sie erworben oder verloren wurde, ändert sich an
der sachenrechtlichen Zuordnung durch den Wechsel des Lageortes in
einen anderen Staat nichts, wenn die Übertragung des dinglichen Rechts
schon abgeschlossen war. Solange der sachenrechtliche Tatbestand nicht
abgeschlossen ist, bewirkt die Ortsverlagerung einer Sache von einem
Staat in einen anderen jedoch eine einem Statutenwechsel vergleichbare
Veränderung, da sie in sachenrechtlicher Hinsicht in das neue maßge-
bende Recht eintritt. Die Beurteilung der rechtlichen Gattung der Sachen
und die Anerkennung des Inhalts von dinglichen Rechten, die nach dem
Recht des bisherigen Lageorts erworben bzw begründet wurden, richten
sich dann gemäß § 31 Abs 2 IPRG nach dem Recht des neuen Belegenheits-
orts, und zwar mit „heilender“ Wirkung9, oder aber, wie die Widerstands-
kraft der österreichischen Sachenrechtsordnung gegenüber deutschem –
besitzlosen – Sicherungseigentum beweist, mit „vernichtender“ Wirkung10.

7 Vgl OGH EvBl 1985/117 = ZfRV 1986, 226 (Hoyer) = IPRax 1986, 175 (Schwind, 191).
8 Das ist aus § 1 IPRG zu folgern, vgl auch § 905 Abs 1 ABGB.
9 Vgl OGH RdW 1987, 405 = ÖBA 1987, 930: Ein Eigentumsvorbehalt, der nach schwei-
zerischem Recht mangels Registereintragung unwirksam ist, wird nach Grenzübertritt
des Vorbehaltsgutes in die österr Rechtsordnung nach deren Regeln wirksam; vgl hin-
sichtlich des Eigentumsvorbehalts auch OGH JBl 1992, 707.
10 Vgl OGH SZ 56/188 = JBl 1984, 550 (Schwimann) = IPRax 1985, 165 (Martiny, 168);
dazu auch Hoyer, Sind Sicherungseigentum und Pfandrecht gleich zu behandeln? JBl
1984, 543; LG Linz JBl 1989, 185: In beiden Fällen wurde die Frage verneint, ob ein an
einem Kfz in Deutschland zulässigerweise begründetes besitzloses Sicherungseigentum
nach Lageortwechsel des Sicherungsgutes in das Inland durch Exzindierungsklage gel-

113
§ 13 Sachenrecht und Immaterialgüterrecht

D. „Einzelstatut bricht Gesamtstatut“

13/6 § 32 IPRG normiert den alten kollisionsrechtlichen Satz vom Einzelstatut,


welches das Gesamtstatut „bricht“: Demnach ist für dingliche Rechte –
und nur für diese – an einer unbeweglichen Sache unabhängig davon, ob
diese im Inland oder im Ausland belegen ist, das Realstatut auch dann maß-
gebend, wenn diese Rechte in den Anwendungsbereich einer anderen in-
ländischen Verweisungsnorm fallen, wofür insbesondere §§ 19, 27c und 28
IPRG in Frage kommen: Der Vorrang des Realstatuts gilt eben vor allem
im Verhältnis zum Güterrechtsstatut von Eheleuten und eingetragenen
Partnern und zum Erbstatut.

E. Sonderprobleme

1. Verkehrsmittel und Sachen auf dem Transport

13/7 Besondere Anknüpfungsprobleme bereiten Sachen auf dem Transport


(res in transitu) und Transportmittel. Wegen der Zufälligkeit ihres jeweili-
gen Aufenthalts und der Flüchtigkeit ihrer Berührung mit dem Transitland
ist auf derartige Sachen grundsätzlich nicht das Recht des Transitlandes an-
zuwenden. Vielmehr richten sich dingliche Rechte an einer res in transitu
nach dem Recht des Bestimmungsortes, während für Transportmittel das
Recht des Staates, zu dem sie in dauernder Beziehung stehen, maßgebend
ist. Die lex rei sitae greift aber wieder durch, wenn eine res in transitu oder
ein Transportmittel am augenblicklichen Aufenthaltsort festgehalten, zB
gepfändet wird11.
Für bestimmte Verkehrsmittel trifft jedoch § 33 Abs 1 IPRG eine aus-
drückliche Regelung: Dingliche Rechte an registrierten Wasser- und Luft-
fahrzeugen unterliegen demnach dem Recht des Registrierungsstaates. Be-
züglich dinglicher Rechte an Eisenbahnfahrzeugen entscheidet nach dieser
Vorschrift das Recht des tatsächlichen Sitzes der Hauptverwaltung des Un-
ternehmens. Gemäß § 33 Abs 2 IPRG werden jedoch gesetzlich oder
zwangsweise begründete Pfandrechte sowie gesetzliche Zurückbehal-
tungsrechte an diesen Verkehrsmitteln, die der Sicherung von Ansprüchen
auf Ersatz der durch das Fahrzeug verursachten Schäden oder von Auf-

tend gemacht werden könne. Vgl die Lösung des Art 102 Abs 2 schweizIPRG („. . . so
bleibt der Eigentumsvorbehalt in der Schweiz noch während drei Monaten gültig“).
11 Vgl § 33 Abs 2 IPRG.

114
Sonderprobleme § 13

wendungen dienen, die für das Fahrzeug getätigt wurden, wiederum nach
der allgemeinen lex rei sitae-Regel beurteilt.

2. Wertpapiere

Mit dem Inkrafttreten des Finanzsicherheiten-Gesetzes12 am 1.12.2003 ist 13/8


auch § 33a IPRG in Kraft getreten13. Diese Verweisungsnorm bezieht sich
auf „im Effektengiro übertragbare Wertpapiere“, worunter am Kapital-
markt handelbare und vertretbare Wertpapiere wie Aktien, Anleihen, Deri-
vate oder Optionsanleihen zu begreifen sind. Für diese hat die Finanzsi-
cherheiten-Richtlinie14 in ihrem Art 9 die Regel aufgestellt, dass dingliche
Rechte an derartigen Wertpapieren nach dem Recht des Landes zu beurtei-
len sind, in dem das maßgebliche Konto geführt wird, und § 33a IPRG hat
diese Regel unter Übernahme des relevanten Wortlauts in das österreichi-
sche Recht umgesetzt.
Schon zuvor ist mit § 18 des am 10.12.199915 in Kraft getretenen so ge-
nannten „Finalitätsgesetzes“ ein „Sicherungssonderstatut für Wertpa-
piere“16 geschaffen worden. Danach kommt auf dingliche Rechte an Wert-
papieren, die Teilnehmern oder einer Zentralbank eines Vertragsstaates des
EWR-Abkommens oder der Europäischen Zentralbank im Rahmen eines
Systems zur Besicherung von Verbindlichkeiten eingeräumt wurden,
„1. wenn die Rechte durch Eintragung in einem Register in einem Vertrags-
staat des EWR-Abkommens entstanden sind, das Recht dieses Staates;
2. wenn die Rechte durch Verbuchung bei einem zentralen Verwahrsystem
entstanden sind, das in einem Vertragsstaat des EWR-Abkommens einge-

12 Bundesgesetz über Sicherheiten auf den Finanzmärkten – FinSG, BGBl I 2003/117.


13 Über Zweck und normativen Hintergrund des § 33a IPRG, vgl Verschraegen in Rum-
mel3 § 33a IPRG Rz 1 ff; Schacherreiter, Das neue österreichische Kollisionsrecht des Ef-
fektengiroverkehrs, ÖBA 2005, 336.
14 Richtlinie 2002/47/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6.6.2002 über
Finanzsicherheiten, ABlEG L 168 vom 27.6.2002, 43.
15 Bundesgesetz über die Wirksamkeit von Abrechnungen in Zahlungs- sowie Wertpapier-
liefer- und -abrechnungssystemen (Finalitätsgesetz) BGBl I 1999/123, Artikel II; zuletzt
geändert durch BGBl I 2002/75; in Umsetzung der Richtlinie 98/26/EG des Europä-
ischen Parlaments und des Rates vom 19.5.1998 über die Wirksamkeit von Abrechnun-
gen in Zahlungs- sowie Wertpapierliefer- und -abrechnungssystemen („Finalitäts-RL“)
ABlEG L 166 vom 11.6.1998, 45, nunmehr geändert durch Richtlinie 2009/44/EG des
Europäischen Parlaments und des Rates vom 6.5.2009 zur Änderung der Richtlinie 98/
26/EG über die Wirksamkeit von Abrechnungen in Zahlungs- sowie Wertpapierliefer-
und -abrechnungssystemen und der Richtlinie 2002/47/EG über Finanzsicherheiten im
Hinblick auf verbundene Systeme und Kreditforderungen, ABlEU L 146 vom
10.6.2009, 37.
16 Dazu Verschraegen in Rummel3 § 33a IPRG Rz 11 ff.

115
§ 13 Sachenrecht und Immaterialgüterrecht

richtet ist, das Recht dieses Staates; 3. wenn die Rechte durch Verbuchung
auf einem Konto in einem Vertragsstaat des EWR-Abkommens entstanden
sind, das Recht dieses Staates“ zur Anwendung.

F. Immaterialgüterrechte

13/9 Immaterialgüterrechte17 werden unabhängig davon, ob es sich um Urhe-


berrechte an Werken der Literatur, der Kunst oder an Geschmacksmus-
tern, oder um gewerbliche Schutzrechte wie Patent-, Marken- oder Ge-
brauchsmusterrechte handelt, nach dem Grundsatz der Territorialität
behandelt; dh, dass sich die Wirkungen und der Schutz der Rechte grund-
sätzlich nur auf das Territorium des verleihenden Staates beschränken. Bei
Immaterialgüterrechten, die im Ausland entstanden sind, kommt es darauf
an, ob Gegenseitigkeit verbürgt ist. Den sich durch die nationale Rege-
lungsvielfalt für die im Ausland entstandenen Immaterialgüterrechte erge-
benden Problemen begegnen die zahlreichen einschlägigen internationalen
Übereinkommen, indem sie die Gleichbehandlung der fremden mit den in-
ländischen Rechtsinhabern vorsehen18.
Innerhalb der Europäischen Union steht einer Ungleichbehandlung von
Immaterialgüterrechten, je nachdem ob sie im Inland oder im Ausland ent-
standen sind, das allgemeine Diskriminierungsverbot des Art 18 AEUV
entgegen19. Zu beachten sind auch die europäischen Rechtsvereinheit-
lichungs- und Rechtsangleichungsbemühungen auf dem Gebiet des materi-
ellen Urheberrechts und Gewerblichen Rechtsschutzes, die mit der Ver-
ordnung (EG) Nr. 40/94 über die Gemeinschaftsmarke20 ein für die Praxis
überaus bedeutsames Schlüsseldokument, weitere Verordnungen zuletzt

17 Von diesem weitgespannten, vom IPRG vorausgesetzten Begriff erfasst werden subjek-
tive, vermögenswerte Rechte an geistigen Schöpfungen oder unkörperlichen Gütern, die
gewerblich verwertbar sind.
18 Grundsatz der „Inländerbehandlung“; vgl Welturheberrechtsabkommen in der Pariser
Fassung – WUA, BGBl 1982/293, Art 2 (nahezu weltweite Akzeptanz); Berner Überein-
kunft zum Schutz von Werken der Literatur und Kunst in der Pariser Fassung – RBÜ,
BGBl 1982/319, Art 5 Abs 1 (ebenfalls nahezu weltweite Geltung). Zu Abgrenzungsfra-
gen beider Abkommen OGH GRURInt 1985, 684 – Thonet „Mart-Stam-Stuhl“. Fer-
ner: Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutz des gewerblichen Eigentums – PVÜ,
BGBl 1973/399 idF BGBl 1984/384, Art 2 (nahezu weltweite Geltung); sowie Genfer
Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl 1955/55, Art 14 (Land des
gewöhnlichen Aufenthaltes ist Schutzland). Übersicht über die relevanten bilateralen
und multilateralen Vereinbarungen bei Verschraegen in Rummel3 § 34 IPRG vor Rz 1.
19 Für das Urheberrecht, vgl EuGH 20.10.1993, Rs C-92/92 & C-326/92 – Phil Collins, Slg
1993 I-5154.
20 ABlEG L 11 vom 14.1.1994, 1.

116
Immaterialgüterrechte § 13

im Lebensmittelbereich21 und noch eine Reihe von Richtlinien zu Teilbe-


reichen des Urheberrechts22 hervorgebracht haben.
Kollisionsrechtlich wird den (international) vorgegebenen Grundsätzen
durch die sogenannte Schutzlandanknüpfung Rechnung getragen. So
auch in Österreich durch § 34 Abs 1 IPRG, wonach „das Entstehen, der In-
halt und das Erlöschen von Immaterialgüterrechten nach dem Recht des
Staates beurteilt wird, in dem eine Benützungs- oder Verletzungshandlung
gesetzt wird“23. Bei zutreffender Interpretation ist dies das Recht des Staa-
tes, für dessen Gebiet der Schutz beansprucht wird24. Werden urheber-
rechtliche Verletzungshandlungen in mehreren Staaten begangen, ist ge-
mäß § 34 Abs 1 IPRG bei der rechtlichen Beurteilung an so viele
Rechtsordnungen anzuknüpfen, wie es Schutzländer gibt25. Mit Franchise-
verträgen in Zusammenhang stehende firmen- bzw markenrechtliche Un-
terlassungsansprüche richten sich nicht nach dem Wettbewerbsstatut, son-
dern nach dem Immaterialgüterrechtsstatut des § 34 Abs 1 IPRG26.
Besondere kollisionsrechtliche Fragen ergeben sich im Zusammenhang mit 13/10
Immaterialgüterrechten durch Satellitenfernsehen und die in rascher

21 Verordnung (EG) Nr. 509/2006 über die garantiert traditionellen Spezialitäten bei Agrar-
erzeugnissen und Lebensmitteln, ABlEU L 93 vom 31.3.2006, 1; Verordnung (EG)
Nr. 510/2006 zum Schutz von geografischen Angaben und Ursprungsbezeichnungen
für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel, ABlEU L 93 vom 31.3.2006, 12.
22 Zu erwähnen sind insb: Richtlinie 91/250/EWG des Rates vom 14.5.1991 über den
Rechtsschutz von Computerprogrammen, ABlEG L 122 vom 17.5.1991, 42; Richtli-
nie 93/98/EWG des Rates vom 29.10.1993 zur Harmonisierung der Schutzdauer des
Urheberrechts und bestimmter verwandter Schutzrechte, ABlEG L 290 vom
24.11.1993, 9; Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom
22.5.2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der ver-
wandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft, ABlEG L 167 vom 22.6.2001,
10; Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.4.2004
zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums, ABlEU L 195 vom 2.6.2004, 16;
zuletzt Richtlinie 2008/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom
22.10.2008 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Mar-
ken (kodifizierte Fassung) ABlEU L 299 vom 8.11.2008, 25.
23 Für Parteiautonomie ist bei der Anknüpfung von Immaterialgüterrechten nach dem
IPRG kein Raum.
24 Vgl OGH SZ 52/114 – „Parallelimporte“ von Schallplatten und anderen Tonträgern;
OGH SZ 56/107 – Attco/Atco: Markeneingriff, Österreich/Saudiarabien; ähnlich OGH
ÖBl 1987, 41 – Baygon: Markenpiraterie; OGH ÖBl 1986, 92 – Ferrox/Noverox: § 9
UWG, § 14 MSchG; OGH SZ 59/100 – Hilton Conti: Hotelvideo: Rechte US-amerika-
nischer Filmgesellschaften sind in Österreich nach dem österr UrhG geschützt; vgl fer-
ner OGH wbl 1992, 241 = ZfRV 1992, 382/46; ZfRV 1994, 73/12 = RdW 1994, 106;
ZfRV 1994, 122/23 = RdW 1994, 245; ZfRV 1996, 197/62 = ÖBl 1996, 279; zuletzt
ZfRV 2006/29, 197.
25 OGH ZfRV 2006/29, 197.
26 OGH SZ 60/77 = wbl 1987, 188 = IPRax 1988, 242 – Stefanel (Schlemmer, 252); OGH
ZfRV 1994, 208/45; vgl auch Art 110 Abs 1 schweizIPRG.

117
§ 13 Sachenrecht und Immaterialgüterrecht

Entwicklung begriffenen modernen Telekommunikationstechniken.


Während die österreichischen Gerichte27 zunächst vertraten, dass bei TV-
Sendungen durch einen Direktsatelliten die urheberrechtliche Benut-
zungshandlung in allen jenen Ländern, in denen die Sendung bestim-
mungsgemäß empfangen werden kann, erfolgt28, wurde durch Art 1 Abs 2
lit b) der Satellitenrundfunk-Richtlinie das so genannte „Sendelandprin-
zip“ EWR-weit normativ verankert, wonach die öffentliche Wiedergabe
über Satellit nur in dem Mitgliedstaat stattfindet, in dem die Signale in eine
ununterbrochene Kommunikationskette eingegeben werden, das heißt,
von dem aus gesendet wird29.
Die sog „Satelliten-TV-Richtlinie“30 will, wie in der Präambel aus-
drücklich angesprochen31, die kumulative Anwendung von mehreren na-
tionalen Rechten auf einen einzigen Sendeakt verhindern. In Österreich
wurde die Richtlinie durch die UrhG-Nov 1996 umgesetzt32. § 17b Abs 1
UrhG bestimmt nun, dass die dem Urheber vorbehaltene Verwertungs-
handlung grundsätzlich nur in dem Staat stattfindet, von dem aus die Sig-
nale an den Satelliten gesendet werden. Die Erteilung einer Werknutzungs-
bewilligung für diesen Staat ist nunmehr ausreichend. Damit war die ältere
Rechtsprechungspraxis des OGH nicht mehr aufrechtzuerhalten. Um der
Gefahr der Abwanderung von Sendeanstalten in Länder außerhalb des Eu-
ropäischen Wirtschaftsraumes mit seinem angeglichenen Schutzstandard
vorzubeugen, ist in § 17b Abs 2 und 3 UrhG vorgesehen, dass auf eine Sa-

27 OLG Wien JBl 1990, 386; OGH ÖBl 1992, 185 = MR 1992, 194 (Walter) = ZfRV 1993,
160 (Dillenz).
28 Bei einer gezielten Sendung ins Ausland war nach dieser Judikatur daher das Senderecht
für jedes Empfangsland (von dem dort Berechtigten) zu erwerben, da die Erteilung einer
Werknutzungsbewilligung für das Land, in dem sich die Abstrahlstation befindet, nicht
ausreichte. Die „Schutzlandanknüpfung“ wird in der Regel zur Anwendung der lex fori
führen, zwingend ist dieser Gleichlauf jedoch nicht. Die Rechtswahl durch die Parteien
ist hier unzulässig, dies ergibt sich bereits aus der taxativen Aufzählung der Rechtswahl-
gebiete des § 11 Abs 1 IPRG und auch aus dem besonderen Schutzcharakter des objektiv
jeweils anzuwendenden Rechts; vgl OGH ÖBl 1986, 73 – Hotel Sacher: Anwendung
deutschen Rechts unter Ausschluss einer allfälligen Rechtswahl bei firmen- und marken-
rechtlichem Schutz; das Recht an der Firma als dem „Handelsnamen“ des Kaufmanns ist
in einem weiteren Sinn zu den Immaterialgüterrechten zu zählen; vgl in diesem Zusam-
menhang Art 110 Abs 2 schweizIPRG, wonach eine Wahl der lex fori möglich ist.
29 Nicht übersehen werden darf hier, dass diese Regelung gesetzestechnisch keine Kolli-
sionsregel, sondern nur eine Begriffsbestimmung im materiellen Recht ist.
30 Richtlinie 93/83/EWG des Rates vom 27.9.1993 zur Koordinierung bestimmter urhe-
ber- und leistungsschutzrechtlicher Vorschriften betreffend Satellitenrundfunk und Ka-
belweiterverbreitung, ABlEG L 248 vom 6.10.1993, 15.
31 Erwägungsgrund 14.
32 BGBl 1996/151; dazu Gamerith, Die wichtigsten Änderungen der Urheberrechtsgesetz-
novelle 1996, ÖBl 1997, 99.

118
Immaterialgüterrechte § 13

tellitensendung kein Recht mit geringerem Schutzniveau als jenem der Sa-
telliten-TV-Richtlinie anzuwenden ist, sofern sich der Lageort der Erd-
funkstation von der aus die Programm tragenden Signale an den Satelliten
geleitet werden oder die Hauptniederlassung des diese Signale eingebenden
Rundfunkunternehmers in einem Mitgliedstaat des EWR befindet33.
Verträge über Immaterialgüterrechte, die vor dem 1.12.1998 abge- 13/11
schlossen worden waren, wurden nach dem international-vertragsrechtli-
chen Sonderstatut des § 43 aF IPRG beurteilt, nach dem auf das Recht des
Staates, für den das Immaterialgüterrecht übertragen oder eingeräumt
wird, abgestellt wurde34. Es war schon fraglich, ob dieser Grundsatz auch
noch nach dem Anknüpfungsregime des EVÜ gelten konnte und da auch
die Rom I-Verordnung keine besondere Verweisungsnorm für Verträge
über Immaterialgüterrechte vorsieht35, ergibt sich das Problem auch hier.
Art 4 Abs 2 Rom I-VO, der die subsidiäre Anknüpfung an das Recht der
charakteristischen Leistung vorsieht, ist demnach wohl auch auf einen Ver-
trag über Immaterialgüterrechte anzuwenden. So wird sich hier grundsätz-
lich das Aufenthalts- bzw Niederlassungsrecht des das Recht übertragen-
den Berechtigten als maßgeblich herausstellen36.

33 Vgl dazu Art 1 Abs 2 lit d) Satelliten-TV-RL.


34 Das IPRG stand also auf dem Boden des Schutzlandprinzips; vgl die „Stefanel“-Ent-
scheidung, OGH SZ 60/77 = IPRax 1988, 242 (Schlemmer, 252): Das Schwergewicht
des Franchisevertrages lag (bei gleichzeitig straffer Bindung an die Organisation des
Franchisegebers) in der Einräumung von Immaterialgüterrechten an den Franchiseneh-
mer, so dass das Dauerschuldverhältnis selbst nach § 43 Abs 1 aF IPRG zu beurteilen
war. Bei mehrere Staaten umfassenden Lizenzen entschied im Übrigen der gewöhnliche
Aufenthalt (Niederlassung) des Lizenznehmers.
35 Vgl dazu nur Reithmann/Martiny (Hrsg), Internationales Vertragsrecht7 (2010)
Rz. 1781–1783.
36 Eine Anknüpfung über die „charakteristische Leistung“ ist problematisch, weil dies in
der Regel zur Anwendung des Rechts jenes Staates führen muss, in dem derjenige, der
Rechte entgeltlich überträgt oder deren Benützung einräumt, seinen gewöhnlichen Auf-
enthalt bzw seine Niederlassung hat. Damit ist häufig eine Trennung von Schutzland-
recht (nach welchem Entstehung, Inhalt, Wirkung und Erlöschen von Immaterialgüter-
rechten beurteilt werden) und Vertragsstatut verbunden. Nach Martiny kann aber –
wenn dem Lizenznehmer im Vertrag eine besondere Stellung eingeräumt wird – der As-
pekt der Verwertung betont und hierin eine „Schwerpunktverlagerung“ in der charakte-
ristischen Leistung erblickt werden. Ob auch in der Ausweichklausel des Art 4 Abs 3
Rom I-VO eine Grundlage für die Anknüpfung nach dem sachlich angemessenen
Schutzlandprinzip gefunden werden kann, ist fraglich. Lässt doch die im Verordnungs-
vorschlag der Kommission vom 15.12.2005, KOM(2005) 650 endg, aufgenommene, je-
doch im endgültigen Text der Verordnung Rom I nicht vorgesehene Anknüpfungsregel
„für Verträge über Rechte an geistigem Eigentum oder gewerbliche Schutzrechte“, die
das Recht des Staats für maßgebend erklärt, „in dem die Person, die diese Rechte über-
trägt oder zur Nutzung überlässt, ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat“, auf eine Präfe-

119
§ 13 Sachenrecht und Immaterialgüterrecht

13/12 Immaterialgüterrechte, die im Zusammenhang mit der Tätigkeit eines Ar-


beitnehmers stehen, wie Arbeitnehmererfindungen oder literarische
Werke der Angestellten von Rundfunkanstalten, richten sich im Innenver-
hältnis nach dem für das Arbeitsverhältnis maßgebenden Recht. § 34 Abs 2
IPRG hatte hier – offensichtlich aufgrund eines Redaktionsfehlers – auch
nach Inkrafttreten des EVÜ auf die seit 1.12.1998 aufgehobene Norm des
§ 44 verwiesen. Nach Streichung des Klammerausdrucks „(§ 44)“ durch
das Bundesgesetz zur Änderung des IPR-Gesetzes37 ist in dieser Bestim-
mung nunmehr eine Verweisung auf Art 8 Rom I-VO zu sehen, der primär
auf das Recht des Arbeitsortes abstellt, gleichwohl auch eine einge-
schränkte Rechtswahl eröffnet38.

renz des Gemeinschaftsgesetzgebers für das Recht der charakteristischen Leistung auch
für diese Verträge schließen.
37 BGBl I 2009/109, Art 1 Z 1.
38 Vgl Rz 15/17.

120
§ 14. Rechtsgeschäft
A. Allgemeines

Für den materiell-rechtlichen Systembegriff „Rechtsgeschäft“, den das 14/1


ABGB im Zuge der 3. Teilnovelle 1916 aus dem BGB übernommen hat,
sieht das österreichische IPRG kein allgemeines Statut vor. Über die Gül-
tigkeit, insbesondere auch über die Frage allfälliger Willensmängel und die
Wirkung eines Rechtsgeschäfts entscheidet je nachdem, ob es sich um ein
Geschäft des Personenrechts, Familienrechts, Erbrechts, Sachenrechts
oder Schuldrechts, allenfalls auch des Unternehmensrechts handelt, das
für das jeweilige Teilrechtsgebiet vorgesehene Sachstatut. Wie dargetan, be-
stimmt das gegenwärtig primär an der Staatsangehörigkeit festgemachte
Personalstatut die personen-, familien- und erbrechtlichen Rechtsgeschäfte
und sind sachenrechtliche Verfügungen nach der lex rei sitae zu beurteilen.
Für schuldrechtliche Rechtsgeschäfte kommt dagegen auch nach der
Rom I-Verordnung der Europäischen Union, die diese Materie nunmehr
kollisionsrechtlich regelt, primär die Rechtswahl durch die Parteien in Be-
tracht. Bei Unterbleiben der Rechtswahl hat die objektive Anknüpfung
nach den einschlägigen Verweisungsnormen zu erfolgen, die für Verträge,
die vor dem 17.12.2009 geschlossen wurden, noch nach dem EVÜ vorzu-
nehmen ist1.
Im Zuge der kollisionsrechtlichen Einordnung von Rechtsgeschäften
sind bestimmte Tatbestandselemente vom jeweiligen Geschäftsstatut ge-
trennt anzuknüpfen. So ist für die Anknüpfung der Geschäftsfähigkeit
gemäß § 12 IPRG durchwegs das Personalstatut maßgebend. Während
sich im IPRG keine ausdrückliche Regel für die Anknüpfung der Verjäh-
rung, Verschweigung, Verwirkung oder Ersitzung findet, sind besondere
Kollisionsnormen in § 8 IPRG für die Form von „Rechtshandlungen“ und
in § 49 IPRG für die „gewillkürte Stellvertretung“ vorgesehen. Während in

1 Art 28 Rom I-VO.

121
§ 14 Rechtsgeschäft

die Rom I-Verordnung2 Bestimmungen über die Anknüpfung der Form-


frage aufgenommen wurden, ist „die Frage, ob ein Vertreter die Person,
für deren Rechnung er zu handeln vorgibt, Dritten gegenüber verpflichten
kann, oder ob ein Organ einer Gesellschaft, eines Vereins oder einer ande-
ren juristischen Person diese Gesellschaft, diesen Verein oder diese juristi-
sche Person gegenüber Dritten verpflichten kann“, aber aus dem Anwen-
dungsbereich der Verordnung ausgenommen3, so dass auch weiterhin ein
Anwendungsbereich für § 49 IPRG verbleibt4.

B. Form

14/2 Für die Form einer Rechtshandlung, somit auch eines Rechtsgeschäfts, ist
eine alternative Anknüpfung in § 8 IPRG vorgesehen, der allerdings im
Hinblick auf schuldrechtliche Rechtsgeschäfte durch einschlägige Normen
in den Europäischen Instrumenten verdrängt wird5. Grundsätzlich ist ge-
mäß § 8 IPRG an das „Geschäftsrecht“, das ist das unter Beachtung von
Rück- und Weiterverweisung für das Ausführungsgeschäft maßgebende
Statut – die lex causae – anzuknüpfen, doch gilt darüber hinaus alternativ
das „Ortsrecht“, also das Recht des Ortes der Vornahme der Rechtshand-
lung, und zwar je nachdem, welches für die Gültigkeit des Geschäfts güns-
tiger ist6. Zwischen den beiden Anknüpfungsmöglichkeiten des § 8 IPRG
besteht keine Rangordnung7, vielmehr stehen die lex causae und die lex
loci actus gleichberechtigt nebeneinander8. Die Verweisung auf die Form-
vorschriften des Ortsrechts im zweiten Halbsatz des § 8 IPRG ist eine
Sachnormverweisung.
Was zur Form im Sinne des § 8 IPRG gehört, ist zunächst auf dem Bo-
den der österreichischen lex fori zu lösen. Im Rahmen weiterer (funktionel-
ler) begrifflicher Grenzziehung ist eine Formvorschrift anzunehmen, wenn
diese den typischen Formzwecken, insbesondere der Beweissicherung und
dem Schutz vor unüberlegten Geschäften, dient und keinen Entschei-

2 Art 11 Rom I-VO; vgl auch Art 21 Rom II-VO über die Anknüpfung der Form einer ein-
seitigen Rechtshandlung, die ein außervertragliches Schuldverhältnis betrifft.
3 Art 1 Abs 2 lit g) Rom I-VO.
4 Von einer Verweisungsnorm für „Vertreterverträge“, die der Vorschlag für die Rom I-VO
vom 15.12.2005, KOM(2005) 650 endg, in Art 7 vorgesehen hatte, der für das Verhältnis
des Vertretenen zum Vertreter und vom Vertreter zum Dritten Sonderanknüpfungen vor-
sah, wurde Abstand genommen.
5 Vgl Art 11 Rom I-VO, dazu Rz 15/22; Art 21 Rom II-VO, dazu Rz 15/37.
6 Vgl Rz 7/7.
7 Obwohl die Formulierung „es genügt“ dies nahe legen könnte.
8 Vgl OGH SZ 59/27.

122
Form § 14

dungscharakter hat9. Bei Distanzgeschäften, die zwischen Abwesenden ge-


schlossen werden, ist jede der auf den Vertragsschluss gerichteten Willens-
erklärungen kollisionsrechtlich getrennt zu beurteilen; bezüglich der
Formgültigkeit ist somit für jeden Vertragsteil dessen eigenes Ortsrecht
maßgeblich10.
Kollisionsrechtliche Sondervorschriften verdrängen § 8 IPRG. So gilt für 14/3
die Form der Eheschließung im Inland die Regel des § 16 Abs 1 IPRG, wel-
che die lex loci celebrationis, also das Recht des Eheschließungsortes, mo-
nopolisiert. Auch für die Form letztwilliger Verfügungen, deren Anknüp-
fung sich nach dem Haager Testamentsübereinkommen11 bzw hinsichtlich
von Erbvertrag und Erbverzichtsvertrag nach § 30 IPRG richtet, und für
die Form von Wechsel- und Scheckerklärungen gelten Sondervorschrif-
ten12. Für schuldrechtliche Verträge sieht Art 11 Rom I-VO eine detaillierte
Regelung vor, die nur im Allgemeinen, nicht im Detail mit § 8 IPRG über-
einstimmt. Ausnahmen von der Alternativität von Geschäftsrechtsform
und Ortsrechtsform ergeben sich ratione materiae für dingliche Rechtsge-
schäfte über Sachen, insbesondere im Zusammenhang mit dem Liegen-
schaftsverkehr. Hier entscheidet allein die lex rei sitae13. Zum Schutz der
schwächeren Partei sollten auch Formfragen im Rahmen von Verbraucher-
geschäften nach dem Verbrauchervertragsstatut entschieden werden. Nur
scheinbare Ausnahmen von § 8 IPRG – weil Prozesshandlungen – bilden
Prorogation und Schiedsvertrag. Hier richtet sich die Formbeurteilung
nach der prozessrechtlichen lex fori.
Die zuvor umstrittene Frage der Substituierbarkeit inländischer zwin- 14/4
gender Formvorschriften hat der OGH14 hinsichtlich des Erfordernisses
eines Notariatsaktes bei Übertragung von GmbH-Anteilen positiv ent-
schieden. Um dem Formzweck zu genügen, müsse nach Auffassung des
Höchstgerichts bei einem Auseinanderfallen der schuldrechtlichen Eini-
gung zwischen Überträger und Übernehmer über den Gesellschafterwech-
sel und dem für die Gesellschaft erheblichen Übertragungsakt sowohl für
das Verpflichtungsgeschäft als auch für das Verfügungsgeschäft die Notari-
atsaktsform gefordert werden. Das schließe aber insbesondere bei Distanz-
verträgen, bei denen sich eine Partei im Ausland aufhält, keineswegs die

9 OGH SZ 59/27.
10 Vgl Art 11 Abs 2 EGBGB.
11 Vgl Rz 12/7. Art 5 HTestÜ umschreibt, was zur Form gehört.
12 Gem § 52 Z 2 bzw 3 IPRG gelten weiterhin Art 92 WG bzw Art 62 ScheckG.
13 Vgl Art 9 Abs 6 EVÜ und Art 11 Abs 5 Rom I-VO; auch: Art 11 Abs 4 EGBGB, Art 119
Abs 3 schweizIPRG.
14 OGH GesRZ 1989, 225 (227).

123
§ 14 Rechtsgeschäft

Möglichkeit aus, dass für die im Ausland abgegebene Rechtsgeschäftserklä-


rung die Beobachtung einer der Funktion des österreichischen Notariats-
aktes entsprechenden, am Ort der Abgabe der Rechtsgeschäftserklärung
möglichen Form, als hinreichend angesehen werden könnte. Eine nota-
rielle Beurkundung nach dem deutschen Beurkundungsgesetz vermag da-
her die vom österreichischen Recht15 geforderte Notariatsaktsform zu er-
setzen. Der gänzlich formfreie Abschluss derartiger Rechtsgeschäfte wäre
aber offenkundig ordre-public-widrig. Im konkreten Einzelfall kam es
dem OGH erkennbar darauf an, ob irgendeine funktional gleichwertige
qualifizierte Form eingehalten wurde.

C. Stellvertretung

14/5 Für die gewillkürte Stellvertretung sieht § 49 IPRG eine eigene Anknüp-
fungsregel vor, die schon vom Inkrafttreten des EVÜ insofern nicht tan-
giert worden war, als dieses die Rechtsbeziehungen des Vertretenen zum
Dritten – und nur diese, nicht jedoch das Grundgeschäft zwischen Vertre-
tenem und Vertreter – von seinem Anwendungsbereich ausgeschlossen
hatte. Da die Rom I-Verordnung denselben Anwendungsausschluss
vorsieht16, wird § 49 IPRG auch weiterhin vom EU-Kollisionsrecht nicht
tangiert. Anders als das ABGB, das in seinen Regeln über den „Bevoll-
mächtigungsvertrag“ nicht zwischen dem Innenverhältnis und dem Au-
ßenverhältnis differenziert, stellt das IPRG auf diese Unterscheidung ab.
Kollisionsrechtlich muss zwischen dem Hauptgeschäft17, dem Grundge-
schäft zur Bevollmächtigung18 und der eigentlichen Vollmacht19 unter-
schieden werden. Nur für letztere20 hat unter Einschluss der Fragen der
Vollmachtsüberschreitung, des Vollmachtsmissbrauches und der Vertre-
tung ohne Vollmacht21 die Bestimmung des § 49 IPRG Geltung.
Nach dem ersten Absatz dieser Kollisionsnorm sind die Voraussetzun-
gen und Wirkungen der gewillkürten Stellvertretung im Verhältnis des Ge-
schäftsherrn und des Stellvertreters zum Dritten nach dem vom Geschäfts-
herrn in einer für den Dritten erkennbaren Weise bestimmten Recht zu

15 § 76 Abs 2 GmbHG.
16 Art 1 Abs 2 lit g) Rom I-VO.
17 Das ist das Ausführungsgeschäft des Vertreters: zB ein Kaufvertrag.
18 Das kann eine Ermächtigung, ein Auftrag, Handelsvertretervertrag, Dienstvertrag usw
sein.
19 Hier geht es um die Erteilung von Vertretungsmacht nach außen, die Bestimmung ihres
Umfangs und ihr Erlöschen.
20 Auch für die Vollmacht in Bezug auf Grundstücksverträge.
21 Vgl OGH ZfRV 1987, 205.

124
Stellvertretung § 14

beurteilen. Ansonsten – und praktisch wohl auch wichtiger – gilt gemäß


§ 49 Abs 2 IPRG das Recht des Bestimmungsstaates des Vertreters, das
heißt, „das Recht des Staates, in dem der Vertreter nach dem dem Dritten
erkennbaren Willen des Geschäftsherrn tätig werden soll“. Insoweit in das
Detail gehend, trifft § 49 Abs 2 IPRG auch noch eine Regelung für den Fall,
dass der Stellvertreter für den Abschluss mehrerer Geschäfte bestellt wor-
den ist und mehrere Ausführungsstaaten in Betracht kommen. Sofern es
dem Dritten erkennbar ist, dass der Vertreter nach dem Willen des Ge-
schäftsherrn in einem bestimmten Staat regelmäßig tätig werden soll, ist
das Recht dieses Staates maßgebend. Eine Vertretung ohne Vollmacht ist
an das Recht anzuknüpfen, in dem der Vertreter tatsächlich tätig wird22.
Vom Vollmachtsstatut getrennt anzuknüpfen sind die Geschäftsfähig-
keit der Parteien und die Form der Erteilung der Vollmacht, die sich gemäß
§ 8 IPRG entweder nach dem durch § 49 IPRG als lex causae zu ermitteln-
den Recht oder nach dem Abschlussortsrecht der Vollmacht richtet23.
Die gesetzliche Vertretung richtet sich kollisionsrechtlich nach dem Statut 14/6
des Rechtsverhältnisses, dem sie entspringt. So ist die Vertretung des eheli-
chen oder legitimierten Kindes durch einen oder beide Elternteile gemäß
§ 24 IPRG nach dem jeweiligen Personalstatut des Kindes bzw nach den
einschlägigen internationalen Konventionen24 zu beurteilen25.
Die Vertretungsmacht von Organen juristischer Personen wird nach
ihrem Personalstatut, also gemäß §§ 10, 12 IPRG nach dem Recht des tat-
sächlichen Sitzes der Hauptverwaltung beurteilt. Wurde aber eine juristi-
sche Person nicht einmal im Innenverhältnis gegründet, ist für den Schein-
vertreter nicht die Verweisungsnorm des § 10 IPRG, sondern die des § 49
IPRG für gewillkürte Stellvertretung maßgebend26.
Die Frage, welches Recht auf die Prozessvollmacht und die Vollmacht
zum Abschluss eines Schiedsvertrages anzuwenden ist, ist auf der Grund-
lage des relevanten Prozessrechts zu beantworten.

22 „Recht des realen Gebrauchsortes“; § 49 Abs 3 IPRG; vgl OGH ZfRV 2003/4, 22.
23 Vgl dazu Mänhardt, Vollmachtsstatut beim Schiedsvertrag, in Ostheim-FS (1990) 651.
24 Vornehmlich nach dem MjSchÜ, BGBl 1975/446.
25 Für die Vertretungsbefugnis naher Angehöriger und die Vorsorgevollmacht gilt das
„Sachwalterschaftsstatut“ des § 15 IPRG.
26 Vgl OGH GesRZ 1988, 226.

125
§ 14 Rechtsgeschäft

D. Verjährung

14/7 Das IPRG weist keine ausdrückliche Regelung der Anknüpfung der Ver-
jährung und der ihr verwandten Institute auf. Art 12 Abs 1 lit d) Rom I-
VO27 führt die „verschiedenen Arten des Erlöschens der Verpflichtungen
sowie die Verjährung und die Rechtsverluste, die sich aus dem Ablauf einer
Frist ergeben“ als Gegenstände an, auf die sich das nach der Rom I-Verord-
nung ermittelte Schuldvertragsstatut bezieht. Art 15 lit h) Rom II-VO sieht
eine etwas abweichende Formulierung vor, meint jedoch wohl dasselbe. Da
damit nur die von diesen Verordnungen erfassten vertraglichen und außer-
vertraglichen Schuldverhältnisse angesprochen sind, bleibt das autonome
Recht hier nach wie vor für die vom Anwendungsbereich der EU-Verord-
nungen ausgenommenen Schuldverhältnisse relevant. Für den Bereich des
IPR-Gesetzes ist von dem Grundsatz auszugehen, dass die Verjährung,
ihre Hemmung und Unterbrechung sowie die Verschweigung und Verwir-
kung nach der Rechtsordnung, die für den betreffenden Anspruch gilt, zu
beurteilen sind28. Dem entspricht, dass für die Ersitzung die lex rei sitae
maßgebend ist. Der Grundsatz der Maßgeblichkeit des Schuldstatuts hat
auch für judizierte Ansprüche („Judikatschulden“) Geltung29.
Die Verjährung bleibt nach österreichischem Verständnis ein Institut
des materiellen Zivilrechts, auch wenn ein fremdes Recht die Verjährung
prozessrechtlich qualifizieren mag. Ausländische Verjährungsvorschriften,
die gegenüber dem österreichischen Recht extrem nach oben oder unten
abweichen oder eine 30-jährige Verjährungsfrist plötzlich in eine dreijäh-
rige abkürzen, könnten unter Umständen zum Eingreifen der Vorbehalts-
klausel führen. Einschlägiges Internationales Einheitsprivatrecht ist von
Österreich weder gezeichnet noch ratifiziert worden30.

27 Vgl zuvor schon Art 10 Abs 1 lit d) EVÜ.


28 So anschaulich OGH EvBl 1990/62; vgl Art 32 Abs 1 Z 4 EGBGB.
29 OGH ZfRV 2002, 75.
30 Das gilt insb für die von UNCITRAL ausgearbeitete Convention on the Limitation
Period in the International Sale of Goods as Amended by the Protocol Amending the
Convention on the Limitation Period in the International Sale of Goods, die am
1.7.2010 in 20 Staaten in Kraft stand, von Österreich jedoch bisher ignoriert wurde.

126
§ 15. Schuldverhältnisse
A. Allgemeines

Das Schuldrecht ist jener Teil des Privatrechtes, der den normativen Rah- 15/1
men des ökonomisch relevanten Rechtsverkehrs bildet. Wegen des wach-
senden Volumens der wirtschaftlichen Aktivitäten, die die innerhalb des
Binnenmarktes und im Verhältnis zu Drittstaaten bestehenden Rechtsord-
nungsgrenzen überschreiten, stellen sich hier in wachsender Quantität kol-
lisionsrechtliche Probleme, welche es geboten erscheinen ließen, das ein-
schlägige Kollisionsrecht in der Europäischen Union zu vereinheitlichen.
Wie das auf Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, das Schuldstatut,
auf befriedigende Weise nach einheitlichen Kriterien zu bestimmen sei,
war immer schon eine schwierige Aufgabe, da es an eindeutigen Anknüp-
fungsgründen mangelt. Schuldrechte haften nicht wie Sachenrechte an
einer Sache und damit an einem Ort und sind auch nicht so eng wie das Fa-
milien- oder Erbrecht mit der Person verbunden, ganz abgesehen davon,
dass im Schuldrecht überdies meist zwei oder mehr Personen im Spiel
sind. Zutreffend hat man hier vom „Fehlen eines organisatorischen Mittel-
punktes“ gesprochen (Kegel). Die Tatsache, dass sich für Schuldverhält-
nisse aus Vertrag (Rechtsgeschäft) und aus Gesetz (Delikt und andere
Rechtsgründe) ein gemeinsamer Anknüpfungspunkt nicht finden lässt, fin-
det im nunmehr EU-weit vereinheitlichten Kollisionsrecht wohl auch da-
rin Ausdruck, dass es mit der Rom I-Verordnung für vertragliche und der
Rom II-Verordnung für außervertragliche Schuldverhältnisse zwei ge-
trennte Rechtsquellen gibt, mag es für diese Trennung auch historische
Gründe geben. Jedenfalls ist diese Materie durch die auf die Vereinheitli-
chung des materiellen und internationalen Schuldrechts abzielenden Maß-
nahmen der europäischen Rechtssetzungsorgane deutlich komplizierter
geworden.
Grundsätzlich war und ist das Schuldstatut für alle Fragen des Schuld-
verhältnisses maßgebend, insbesondere für dessen Entstehung, Inhalt,
Wirkungen, Änderung, Übertragung, Abschwächung und Beendigung.

127
§ 15 Schuldverhältnisse

Für den untrennbar mit der Vertragsfreiheit verknüpften Schuldvertrag


von entscheidender Bedeutung ist die Frage, ob und wieweit die Parteien
auch bestimmen können, welchem Recht sie das Schuldverhältnis unter-
werfen.
15/2 Die Vereinheitlichung des materiellen Privatrechts ist nur in punktueller
Weise durch Maßnahmen des sekundären EU-Rechts verwirklicht, etwa
im Gesellschaftsrecht1. Einheitliches Sachrecht, das die Klärung der vom
IPR zu lösenden Frage nach dem anzuwendenden Recht überflüssig
macht, kann nur durch Verordnungen gemäß Art 288 Abs 2 AEUV ge-
schaffen werden. Da die „teilverbindlichen“ Richtlinien den Mitgliedstaa-
ten einen Gestaltungsspielraum bei der Umsetzung der verbindlichen Ziel-
vorgaben überlassen, können sie nur eine Rechtsangleichung bewirken. In
jenen Bereichen, die wie das Verbraucherschutz- und Gesellschaftsrecht in
erheblichem Umfang durch Richtlinien geregelt werden, ist daher die
Frage des anwendbaren Rechts auch innerhalb der EU weiterhin relevant.
Sachrechtsvereinheitlichende Übereinkommen stehen heute insbe-
sondere im Hinblick auf bestimmte, typisch internationale Sachverhalte in
Geltung, so für grenzüberschreitende Warentransporte auf der Straße die
CMR2, für den internationalen Eisenbahntransport COTIF3, CIV4 und
CIM5, für den internationalen Lufttransport nunmehr das Montrealer
Übereinkommen vom 28.5.1999 zur Vereinheitlichung bestimmter Vor-
schriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr6 sowie im
Schiffsverkehrsrecht und im Wertpapierrecht7. Besondere Bedeutung
kommt dem UNCITRAL-Übereinkommen über Verträge über den inter-

1 Insb durch die Verordnung (EWG) Nr. 2137/85 des Rates vom 25.7.1985 über die Schaf-
fung einer Europäischen wirtschaftlichen Interessenvereinigung (EWIV), ABlEG L 199
vom 31.7.1985, 1, die Verordnung (EG) Nr 2157/2001 des Rates vom 8.10.2001 über das
Statut der Europäischen Gesellschaft (SE), ABlEG L 294 vom 10.11.2001, 1, sowie die
Verordnung (EG) Nr. 1435/2003 des Rates vom 22.7.2003 über das Statut der Europä-
ischen Genossenschaft (SCE), ABlEU L 207 vom 18.8.2003, 1.
2 Vgl BGBl 1961/138, BGBl 1990/459.
3 BGBl 1985/225, Teilrevisionen BGBl 1991/1.
4 BGBl 1974/744. Vgl nunmehr Art 11 der Verordnung (EG) Nr 1371/2007 des Europä-
ischen Parlaments und des Rates vom 23.10.2007 über die Rechte und Pflichten der Fahr-
gäste im Eisenbahnverkehr, ABlEU L 315 vom 3.12.2007, 14.
5 BGBl 1974/744.
6 Durch das Montrealer Übereinkommen, das zum 1.6.2010 bereits 97 Vertragsstaaten
(auch Österreich) aufwies, ist das Warschauer Lufttransportübereinkommen, BGBl
1961/286, ergänzt durch das Zusatzabkommen von Guadalajara, BGBl 1966/46, und ge-
ändert durch das Haager Protokoll vom 28.9.1955, BGBl 1971/161, bedeutungslos ge-
worden. Der Rat der Europäischen Union hat das Montrealer Übereinkommen mit Be-
schluss vom 5.4.2001, ABlEG L 194 vom 18.7.2001, 38, genehmigt.
7 Genfer Wechsel- und Scheckrecht, BGBl 1932/289 und BGBl 1959/47; vgl auch BGBl
1955/49, 1955/50.

128
Allgemeines § 15

nationalen Warenkauf8 (CISG) vom 11.4.1980 zu, das für Österreich mit
1.1.1989 in Kraft9 getreten ist und zum Stichtag 1.7.2010 weltweit in
74 Staaten in Kraft steht10, wobei Art 1 CISG für die Praxis wichtig ist.
Diese Bestimmung sieht vor, dass das Übereinkommen auch dann auf
einen internationalen Warenkauf Anwendung findet, wenn nur eine der
Parteien ihre Niederlassung in einem Vertragsstaat hat und die Regeln des
IPR auf das Recht des Vertragsstaates verweisen11. Allerdings können die
Vertragsparteien die Anwendung des Übereinkommens zur Gänze aus-
schließen12, von seinen Bestimmungen abweichen oder deren Wirkungen
ändern.
Seit die Rom I-Verordnung an die Stelle des Europäischen Übereinkom- 15/3
mens über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht
(EVÜ)13 getreten ist, ist das Haager Übereinkommen über das auf Straßen-
verkehrsunfälle anzuwendende Recht14 als das für das Schuldrecht wich-
tigste Übereinkommen mit kollisionsrechtlichem Inhalt in Geltung ge-
blieben. Weiterhin wird das Recht, nach dem sich die außervertragliche
Haftung für Schäden, die bei Straßenverkehrsunfällen mit Auslandsberüh-
rung zugefügt werden15, bestimmt, nach diesem Übereinkommen be-
stimmt werden.

8 Convention on Contracts for the International Sale of Goods – CISG.


9 BGBl 1988/96.
10 Zuletzt ist das Übereinkommen für Albanien am 1.6.2010 in Kraft getreten. Zuvor war
auch Japan beigetreten, wo das Übereinkommen seit 1.8.2009 in Geltung steht, so dass
sich von den großen Wirtschaftsnationen nur mehr das Vereinigte Königreich nicht an
CISG beteiligt; vgl Status of Conventions and Enactments of UNCITRAL Model Laws,
http://www.uncitral.org.
11 Vgl Rz 19/6.
12 In der Praxis zieht man (auch in Österreich) nach wie vor (wohl aus Furcht vor dem Un-
bekannten) den stereotypen und unreflektierten Anwendungsausschluss in Allgemeinen
Geschäftsbedingungen vor.
13 Das am 19.6.1980 in Rom beschlossene Übereinkommen war erst am 1.4.1991 für acht
EG-Mitgliedstaaten, nämlich Belgien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Griechen-
land, Italien, Luxemburg und Großbritannien in Kraft getreten; am 1.9.1991 folgten die
Niederlande, am 1.1.1992 Irland, am 1.1.1993 Spanien und am 1.9.1994 Portugal. Dem
Übereinkommen konnten bzw mussten nur Mitgliedstaaten der Europäischen Union
beitreten. Für Österreich ist es am 1.12.1998 in Kraft getreten. Zugleich sind die §§ 36
bis 45 IPRG aufgehoben und § 35 IPRG erstmals modifiziert worden. Ansprüche aus
Verträgen, die vor diesem Tag abgeschlossen worden waren, waren noch nach dem
Schuldvertragsrecht des IPRG anzuknüpfen, so wie Ansprüche aus Verträgen, die vor
dem 16.12.2009 abgeschlossen wurden, nach dem EVÜ anzuknüpfen sind. Zum Inhalt
des EVÜ vgl die 4. Auflage dieses Lehrbuchs, dort finden sich auch Hinweise auf das ein-
schlägige österreichische Schrifttum.
14 Das HStVÜ ist eine „loi uniforme“, BGBl 1975/387; dazu Rz 15/40 ff.
15 Dem HStVÜ kommt in einem Transitland wie Österreich große praktische Bedeutung
zu.

129
§ 15 Schuldverhältnisse

B. Allgemeine Anknüpfungsproblematik beim


Schuldverhältnis

15/4 Für Sachverhalte, die dem Internationalen Schuldrecht zuzurechnen sind,


kommen theoretisch mehrere Anknüpfungsmomente mit der Folge in
Frage, dass die Verweisung auf jeweils unterschiedliche Rechtsordnungen
zielt. Zunächst wäre die Anknüpfung an das Sachrecht der lex fori zu erwä-
gen. Allerdings wird diese heute – global gesehen – kaum mehr vertreten,
Einer der letzten Kollisionsrechtler, der für eine residuary rule of the forum
eintrat, war der von den Nazis zur Emigration aus Österreich gezwungene
Albert A. Ehrenzweig16. Mit dem Gedanken der Rechtssicherheit ist es je-
doch unvereinbar, dass es vom Ort der Klagserhebung abhängen soll, nach
welchem Recht das Schuldverhältnis beurteilt wird.
Auch die Anknüpfung an das Personalstatut des Schuldners könnte
erwogen werden, während das Personalstatut des Gläubigers eher nicht in
Betracht kommt, weil das Schuldverhältnis wohl enger mit der Person des
Schuldners verknüpft ist. Die Anknüpfung an das Personalstatut des
Schuldners könnte damit gerechtfertigt werden, dass nur der Staat, dem
der Schuldner angehört, ihm befehlen kann, zu erfüllen. Ferner damit,
dass die zwingenden Vorschriften des Schuldrechts hauptsächlich im Inte-
resse des Schuldners liegen. Praktisch unlösbare Schwierigkeiten ergeben
sich jedenfalls bei den – ökonomisch besonders bedeutsamen – entgeltli-
chen Schuldverträgen, in denen beide Parteien zugleich Gläubiger und
Schuldner sind.
Als Vertragsstatut in Frage kommt ferner das Recht des Abschlussor-
tes, das in Österreich vor dem Inkrafttreten des IPR-Gesetzes am
1.1.1979 im Vordergrund stand. Für das Anknüpfungsmoment des Ab-
schlussortes spricht seine leichte Bestimmbarkeit. Für Märkte, Messen,
Börsen scheint er sogar die einzig mögliche Anknüpfung zu begründen.
Allerdings könnte durch einen fiktiven Abschlussort das inländische Recht
umgangen werden. Zudem sollen die Wirkungen eines Vertrages oft nicht
am Ort des Vertragsschlusses eintreten.

16 Mitunter kann unter den mit internationalen Sachverhalten befassten US-amerikani-


schen Richtern noch eine gewisse Tendenz zur Bevorzugung ihres Sachrechts bemerkt
werden, was auch das fragwürdige Verhalten amerikanischer Anwälte im Zusammen-
hang mit der Seilbahnkatastrophe in Kaprun zu erklären vermag. Wie jedoch zu erwar-
ten war, hatten alle Bemühungen um Prozessführung in den USA aber keinen Erfolg.
Das damit befasste US-Bundesdistriktsgericht befand letztlich, dass das „more conveni-
ent forum“ in Österreich sei und die Schadenersatzansprüche der Hinterbliebenen der
Opfer grundsätzlich nach österreichischem Recht beurteilt werden müssten.

130
Allgemeine Anknüpfungsproblematik beim Schuldverhältnis § 15

Auch das Recht des Erfüllungsortes ist zu erwägen: So wurde die An-
knüpfung an dieses Recht bereits von Savigny vertreten. Für sie spricht,
dass das Schuldverhältnis auf Erfüllung zielt. Gleichwohl muss es nicht im-
mer die „engste Verbindung“ bzw „stärkste Beziehung“ zum Erfüllungs-
ort haben. Da entgeltliche Schuldverhältnisse zwei Erfüllungsorte haben
können, suchte Schnitzer das daraus resultierende Problem dadurch zu be-
heben, dass er auf den Niederlassungsort der Partei abstellte, die die cha-
rakteristische Leistung erbringt. Diese Lehre, nach welcher der Kaufver-
trag an das Ortsrecht des Warenlieferanten, der Werkvertrag und
Dienstvertrag an das Ortsrecht des Werkherstellers bzw Dienstleisters an-
zuknüpfen ist, hat sich in Europa als subsidiär greifende „objektive“ Be-
stimmung des anzuwendenden Rechts durchgesetzt. Ihre Schwäche ist,
dass das Kriterium der charakteristischen Leistung beim Tauschvertrag
und bei sogenannten „doppeltypischen Verträgen“ versagt und nicht für
alle Vertragstypen passt.
Sowohl für das Schuldvertragsrecht17, als auch für die gesetzlichen Schuld- 15/5
verhältnisse18 wird heute dem Parteiwillen der Vorrang gegenüber der ob-
jektiven Anknüpfung eingeräumt19. Dabei war lange Zeit umstritten, ob
der Grundsatz der Parteiautonomie beinhaltet, dass die Parteien auch frei
bestimmen können, welchem Recht ein Schuldvertrag unterworfen sein
soll. Zwar sind die Parteien in der Herstellung der tatsächlichen Anknüp-
fungsgründe jedenfalls frei, doch ist fraglich, ob damit auch bereits not-
wendigerweise das anzuwendende Recht einhergeht. Da kein Zweifel be-
steht, dass die Parteien bei Abschluss von Verträgen an die Stelle von ius
dispositivum ihre eigene Regelung treten lassen können, muss es auch zu-
lässig sein, dass sie sich auf die Geltung einer bestimmten Rechtsordnung
einigen und durch Verweisung auf ein anderes Recht auch die zwingenden
Regeln20 jener Rechtsordnung ausschließen, die nach den gesetzlichen Kol-
lisionsnormen für den Schuldvertrag Geltung beanspruchten. Es ist heute
anerkannt, dass es den Parteien auch offen steht, das Schuldverhältnis einer
Rechtsordnung zu unterwerfen, zu welcher der Sachverhalt keine Nahebe-
ziehung hat.

17 Dh für schuldrechtliche Rechtsgeschäfte.


18 Einschließlich der aus Verletzung vorvertraglicher Pflichten resultierenden Schadener-
satzansprüche.
19 Nach § 35 Abs 2 aF IPRG wurde die objektive Anknüpfung gemäß §§ 36 ff aF IPRG erst
„maßgebend“, wenn „eine Rechtswahl nicht getroffen oder [. . .] unbeachtlich ist“; vgl
OGH EvBl 1987/2.
20 Damit sind „einfach zwingende“ Normen, nicht „Eingriffsnormen“ gemeint; zu letz-
teren vgl insb Rz 15/19.

131
§ 15 Schuldverhältnisse

Da es im Schuldrecht der Erleichterung des grenzüberschreitenden


Rechtsverkehrs dient, wenn die Parteien über das anzuwendende Recht
einen gemeinsamen Willen bilden und diesen auch kundtun und so die
letztlich immer schematisch bleibenden gesetzlichen Kollisionsnormen
den Bedürfnissen des konkreten Schuldverhältnisses anpassen, ist es sach-
gerecht, wenn Art 3 Rom I-VO als primären Anknüpfungsgrundsatz die
„freie Rechtswahl“ anerkennt21. Durchaus sachgerecht ist es auch, dass
Einschränkungen der Rechtswahl zum Schutz der schwächeren Partei für
Verbrauchergeschäfte und Arbeitsverträge ausdrücklich anerkannt wer-
den22. Hinsichtlich des Haager Übereinkommens über das auf Straßenver-
kehrsunfälle anzuwendende Recht, das keine Aussage darüber trifft, ob die
Rechtswahl möglich ist, hat der OGH die Rechtswahl ausdrücklich aner-
kannt23.
15/6 Beim außervertraglichen Schadenersatz hat sich das Recht des Deliktsorts,
die lex loci delicti commissi, durchgesetzt: Grundsätzlich überzeugt die
Verweisung auf die lex loci delicti commissi als Basisregel, doch stellt sich
vor allem in grenzüberschreitenden Produkt- und Umwelthaftungsfällen
nicht selten die praktisch relevante Frage, ob auf den Handlungsort oder
auf den Erfolgsort abzustellen sei. Während § 48 IPRG auf den Hand-
lungsort abstellte, gibt Art 4 Rom II-VO der lex loci damni den Vorzug
und erklärt grundsätzlich den Schadenseintrittsort (Erfolgsort) für maß-
geblich, lässt jedoch Ausnahmen zugunsten eines Rechts zu, mit dem die
Parteien noch enger verbunden sind und das im Ergebnis zumeist die lex
fori ist24. Art 4 Abs 3 Rom II-VO sieht diesbezüglich eine „Ausweichklau-
sel“ vor und trägt so der schon bisher anerkannten Notwendigkeit Rech-
nung, dass die allgemeine Kollisionsnorm für „unerlaubte Handlungen“
der „Auflockerung“ bedarf25.

21 Während sich der nicht ausdrücklich geäußerte Parteiwille aber nach Art 3 Abs 1 EVÜ
nur „mit hinreichender Sicherheit aus den Bestimmungen des Vertrages oder aus den
Umständen des Falles ergeben“ musste, verlangt die Rom I-VO hier Eindeutigkeit.
22 So früher gemäß §§ 41 Abs 2, 44 Abs 3 aF IPRG und danach gemäß Art 5 Abs 2 und Art 6
Abs 1 EVÜ; nunmehr gemäß Art 6 Rom I-VO für Verbraucherverträge und Art 8 Rom
I-VO für „Individualarbeitsverträge“.
23 Vgl OGH SZ 68/17; zuvor obiter OGH SZ 58/188.
24 Zu denken ist an Schäden, die innerhalb einer ihrer Herkunft nach homogenen Reisege-
sellschaft im Ausland oder im Verlauf von Expeditionen zugefügt werden, an einen
Yachtunfall auf hoher See uä.
25 Die ältere von Wächter und Savigny vertretene Meinung, wonach die Sachnormen der
lex fori anzuwenden seien, weil die Vorschriften über Delikte zwingendes Recht seien,
setzte zwingendes Recht und ordre public gleich. Auch die an sich nicht gänzlich abwe-
gige Auffassung, wonach der Ersatzanspruch sowohl nach der lex loci delicti commissi als
auch nach der lex fori einklagbar sein müsste, hat sich nicht durchgesetzt. Vielmehr ist die

132
Die „Europäisierung“ des internationalen Schuldvertragsrechts § 15

C. Die „Europäisierung“ des internationalen


Schuldvertragsrechts

1. Das IPRG als Ausgangspunkt der Entwicklung

Das Schuldstatut war im IPRG ursprünglich in §§ 35 bis 49 IPRG gere- 15/7


gelt. Nach dem 1.12.1998 standen nur mehr §§ 46 bis 49 IPRG unverän-
dert in Kraft. Schuldrechtliche Verträge mit Auslandsberührung, die zwi-
schen 1.12.1998 und 16.12.2009 abgeschlossen wurden, sind noch nach
dem EVÜ26 anzuknüpfen, alle danach begründeten vertraglichen Schuld-
verhältnisse nach der Rom I-Verordnung. Nur mehr die Verweisungsnorm
für die gewillkürte Stellvertretung, mit der der 7. Abschnitt des IPR-Geset-
zes abgeschlossen wird, hat als einzige aus seinem Urbestand überlebt27.
Seit dem 17.12.2009 gelten neu formulierte §§ 35 und 35a IPRG, deren
Funktion es ist, durch die Rom I-Verordnung offen gelassene Regelungslü-
cken zu schließen28.
So besteht nunmehr eine neue, nahezu EU-weit29 einheitliche Ordnung
der Anknüpfung von vertraglichen (und außervertraglichen) Schuldver-
hältnissen. Das internationale Schuldrecht des österreichischen IPR-Geset-
zes, das dem Rechtsanwender einen flexiblen Rahmen vorgegeben hatte
und durch das Bemühen um einen kollisionsrechtlichen Interessenaus-
gleich gekennzeichnet war, ist heute nur mehr ein Thema für Rechtshisto-
riker.

2. Europäisches Internationales Schuldvertragsrecht: Vom EVÜ zur


Rom I-Verordnung

Als eine Konsequenz des Beitritts zur Europäischen Union hatte Österreich 15/8
das Europäische Vertragsrechtsübereinkommen30 mit den zugehörigen

„double actionability rule“ des englischen Kollisionsrechts durch sec. 10 des Private
International Law (Miscellaneous Provisions) Act 1995 aufgegeben worden.
26 Zum EVÜ vgl Rz 15/3 insb FN 13. Das EVÜ hatte bei vielen Unterschieden im Detail im
Grundsätzlichen nicht zufällig viele Ähnlichkeiten mit dem Internationalen Schuldver-
tragsrecht des IPRG aufgewiesen, war doch den Redakteuren des IPRG der bereits seit
1972 vorliegende Entwurf des EVÜ nicht unbekannt gewesen.
27 § 49 IPRG, vgl Rz 14/5.
28 Zudem ist auch ein neu formulierter § 48 als eine Art „Lückenfüllungsnorm“ rückwir-
kend zugleich mit der Rom II-Verordnung am 11.1.2009 in Geltung getreten.
29 Ausgenommen Dänemark.
30 Da es dem EVÜ an einer Kompetenzgrundlage im Primärrecht mangelte, war es als völ-
kerrechtlicher Vertrag, der der Vereinheitlichung des internationalen Vertragsrechts in-

133
§ 15 Schuldverhältnisse

zwei Brüsseler Protokollen31 ratifiziert32. Mit dem durch den Vertrag von
Amsterdam in den III. Teil des EG-Vertrages eingefügten Titel IV wurde
eine Rahmenordnung für einen Europäischen Raum der Freiheit, der
Sicherheit und des Rechts geschaffen, in der mit dem supranationalen In-
strumentarium des Europarechts operiert werden konnte. So ist die Verein-
heitlichung des Kollisionsrechts durch die nach Rom benannten Verord-
nungen möglich geworden. Am 17.6.2008 wurde die „Verordnung (EG)
Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf ver-
tragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (‚Rom I‘)“ verabschie-
det33, die gemäß ihrem Art 29 seit dem 17.12.2009 als das Internationale
Schuldvertragsrecht der Europäischen Union in Geltung steht. Die Verfas-
ser der Verordnung mussten daran interessiert sein, in inhaltlicher Hinsicht
Kontinuität mit dem EVÜ zu wahren; und obwohl die Verordnung in
mehrfacher Weise von den Regelungen des EVÜ abweicht34, ist der Rom I-
Verordnung doch zu attestieren, dass sie keinen Fortschritt in zu großen
Schritten anstrebt, sondern das bisherige Recht behutsam fortschreibt35.
Da Art 2 Rom I-VO die universelle Anwendung der Verordnung an-
ordnet, bleibt für eine autonome Regelung von Teilaspekten des Interna-
tionalen Schuldvertragsrechts nur wenig Raum. Von §§ 35 ff IPRG ist nur
die Erinnerung an ein durchaus brauchbares und flexibles Anknüpfungsre-
gime und § 49 über die „gewillkürte Stellvertretung“36 verblieben.

nerhalb der Europäischen Gemeinschaft diente und dem nur Mitgliedstaaten beitreten
konnten, als „begleitendes Gemeinschaftsrecht“ zu qualifizieren.
31 Erstes Protokoll betreffend die Auslegung des am 19.6.1980 in Rom zur Unterzeich-
nung aufgelegten Übereinkommens über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzu-
wendende Recht durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften vom
19.12.1988, ABlEG L 48, vom 20.2.1989, 1; Zweites Protokoll zur Übertragung be-
stimmter Zuständigkeiten für die Auslegung des am 19. Juni 1980 in Rom zur Unter-
zeichnung aufgelegten Übereinkommens über das auf vertragliche Schuldverhältnisse
anzuwendende Recht auf den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften vom
19.12.1988, ABlEG L 48, vom 20.2.1989, 17; beide Protokolle sind kundgemacht in
BGBl III 1998/208.
32 Wegen eines vom Nationalrat „offenbar versehentlich“ beschlossenen Erfüllungsvorbe-
halts gem Art 50 Abs 2 B-VG sind das als „self executing“ zu qualifizierende EVÜ und
die durch dieses notwendigen Änderungen des IPRG im österr BGBl an vier verschiede-
nen Stellen verstreut publiziert worden: BGBl I 1998/119; BGBl III 1998/166; BGBl III
1998/208 und BGBl I 1999/18; dazu Adensamer, Nochmals zum Römer Schuldvertrags-
übereinkommen, ecolex 1999, 11.
33 ABlEU L 177 vom 4.7.2008, 6.
34 Das wurde von der deutschen BMJ Zypries in der Presseaussendung ihres Ministeriums
vom 6.6.2008 damit begründet, dass die „Modernisierung einiger bestehender Regelun-
gen“ unumgänglich gewesen sei, um den Veränderungen im Rechts- und Wirtschaftsver-
kehr Rechnung zu tragen
35 So das Urteil von Magnus, Die Rom I-Verordnung, IPRax 2010, 27, mwN.
36 Vgl Rz 14/5.

134
Die „Europäisierung“ des internationalen Schuldvertragsrechts § 15

3. Der Inhalt der Rom I-Verordnung37

a) Anwendungsbereich der Rom I-Verordnung

Als ihren Anwendungsbereich bestimmt die Rom I-Verordnung in Art 1 15/9


„vertragliche Schuldverhältnisse, die eine Verbindung zum Recht verschie-
dener Staaten aufweisen“, wobei ausdrücklich klargestellt wird, dass es sich
um Schuldverhältnisse „in Zivil- und Handelssachen“ handeln muss und
die Verordnung „insbesondere nicht für Steuer- und Zollsachen sowie ver-
waltungsrechtliche Angelegenheiten“ gilt38. Gemäß Art 1 Abs 2 lit a) bis j)
Rom I-VO sind von ihrem Anwendungsbereich ausgenommen: der Perso-
nenstand sowie Rechts- und Handlungsfähigkeit von natürlichen Perso-
nen39, Schuldverhältnisse, die auf einem in einem weiteren Sinn verstande-
nen Familienverhältnis40 beruhen, einschließlich der Unterhaltspflichten,
Schuldverhältnisse aus ehelichen und vergleichbaren41 Güterständen sowie
aus Testamenten und Erbrecht, Verpflichtungen aus Wechseln, Schecks
und anderen handelbaren Wertpapieren, Schieds- und Gerichtsstandsver-
einbarungen, Fragen, die das Gesellschaftsrecht und das Vereinsrecht be-
treffen und mit der Errichtung, Organisation, Vertretung und Auflösung
von juristischen Personen zusammenhängen42, Fragen, die sich aus der
Vertretungsbefugnis für eine Person ergeben43, die Gründung von „Trusts“
und die sich daraus ergebenden Rechtsbeziehungen zwischen Verfügen-
dem, Treuhänder und den Begünstigten sowie beweis- und verfahrens-
rechtliche Aspekte.
Dass die Rom I-Verordnung in Art 1 Abs 2 lit i) das vorvertragliche
Schuldverhältnis aus Verschulden bei Vertragsverhandlungen ausdrücklich
aus ihrem Anwendungsbereich ausnimmt, ist damit zu erklären, dass
Art 12 Rom II-VO eine einschlägige Regelung trifft. Aus Art 1 Abs 2 lit j)

37 Besonders einlässlich Reithmann/Martiny (Hrsg) Internationales Schuldrecht7(1010);


ferner Martiny; neues deutsches internationales Vertragsrecht, RIW 2009, 737; aus österr
Sicht, Rudolf, Internationales Vertragsrecht für die EU, ecolex 2008, 1069.
38 Damit wird ein Gleichlauf mit Art 1 EuGVVO („VO Brüssel I“) herbeigeführt. Art 1
Abs 1 Rom II-VO weist einen anlogen Wortlaut auf.
39 „Unbeschadet“ der Bestimmung des Art 13 Rom I-VO, die das gerechtfertigtes Ver-
trauen auf die Geschäftsfähigkeit schützt.
40 Die Rom I-VO spricht nunmehr ausdrücklich Verhältnisse „mit vergleichbaren Wirkun-
gen“ an und meint damit eingetragene Partnerschaften uä.
41 Auch hier wird von der Rom I-VO auf eingetragene Partnerschaften abgestellt.
42 Die Rom I-VO führt in Art 1 Abs 2 lit f) noch Fragen der persönlichen Haftung der Ge-
sellschafter und Organe für Verbindlichkeiten der Gesellschaft bzw der juristischen Per-
son an.
43 Einschließlich Fragen der Vertretungsbefugnis des Organs einer Gesellschaft, eines Ver-
eins oder einer anderen juristischen Person.

135
§ 15 Schuldverhältnisse

Rom I-VO ergibt sich, dass vom Anknüpfungsregime der Verordnung


auch Versicherungsverträge, mit Ausnahme bestimmter Lebensversiche-
rungsverträge44, erfasst werden.

b) Das allgemeine Anknüpfungsregime der Rom I-Verordnung

15/10 Das internationale Schuldvertragsrecht der Rom I-Verordnung wird vom


Grundsatz der Parteiautonomie beherrscht und durch objektive Subsi-
diäranknüpfungen ergänzt. Dieses Konzept war auch schon im IPR-Ge-
setz realisiert, doch anders als dieses schließt Art 20 Rom I-VO Rück- und
Weiterverweisungen generell aus45.
Den Parteien eines Schuldvertrages, der iSd Art 1 Abs 1 Rom I-VO
„eine Verbindung zum Recht verschiedener Staaten“ aufweist, steht es ge-
mäß Art 3 Rom I-VO offen, jenes Recht, das auf ihre Vereinbarung zur
Gänze oder auch nur zum Teil angewendet werden soll, durch freie Wahl
zu bestimmen. In der von den Parteien ausdrücklich vereinbarten oder
schlüssig getroffenen Rechtswahl manifestiert sich das primäre Anknüp-
fungsprinzip. Allerdings wird die Schlüssigkeit nicht bloß – wie nach dem
EVÜ – an dem Kriterium der „hinreichenden Sicherheit“ gemessen, son-
dern Eindeutigkeit verlangt46. Die allfällige Vereinbarung des Gerichtsstan-
des stellt nur einen der Faktoren dar, die bei der Entscheidung, ob eine
Rechtswahl „eindeutig“ getroffen wurde, zu berücksichtigen sein wer-
den47.
Die Wahlfreiheit der Parteien erfasst primär den Inhalt und Umfang
des gewählten Rechts. Da es nicht erforderlich ist, dass das gewählte Recht,

44 Die von Art 1 Abs 3 und 4 EVÜ vorgesehene Bereichsausnahme, der zufolge Versiche-
rungsverträge über im EWR belegene Risiken, mit Ausnahme von Rückversicherungs-
verträgen aus dem Anwendungsbereich des EVÜ ausgenommen waren, hatte ihren
Grund darin, dass es eine besondere europäische Regelung in Form von Richtlinien gab,
die mit dem seit 17.12.2009 aufgehobenen Versicherungsvertrags-IPR-Gesetz (IVVG),
BGBl 1993/89, in das österreichische Recht umgesetzt worden war.
45 Darin, dass die Sachnormverweisung in den Rom I/II-Verordnungen (wie auch schon im
EVÜ) zur Regelanknüpfung wurde, ist ein deutlicher Unterschied zur Verweisungsord-
nung des IPRG zu sehen, in der die von § 5 IPRG vorgesehene Gesamtverweisung als
selten durchbrochene Regel auch das Schuldrecht dominierte.
46 Die Bestimmung des anwendbaren Rechts durch „bloße Geltungsannahme“, wie sie von
§ 35 aF IPRG anerkannt war, war schon dem EVÜ fremd und ist dies umso mehr der
Verordnung Rom I. Das IPRG hatte übereinstimmende Vorstellungen und Erwartungen
der Parteien über die Maßgeblichkeit einer ganz bestimmten Rechtsordnung quasi als
„kollisionsrechtliche Geschäftsgrundlage“ ihres Schuldverhältnisses anerkannt. Zum
Verhältnis dieser „Geltungsannahme“ zur schlüssigen Rechtswahl vgl OGH SZ 55/76;
JBl 1984, 383; JBl 1985, 299; IPRax 1986, 244; EvBl 1987/2; EvBl 1987/54; SZ 59/223;
SZ 61/30; JBl 1990, 592; ZfRV 1992, 70.
47 Rom I-VO Präambel, Erwägungsgrund 12.

136
Die „Europäisierung“ des internationalen Schuldvertragsrechts § 15

das sowohl aus staatlichen als auch aus nicht staatlichen (zB lex mercatoria)
Normen bestehen kann, eine Verbindung zum konkreten Vertragsab-
schluss und seinen Umständen hat, ist auch die Wahl eines neutralen
Rechts möglich. Der Wahlfreiheit waren jedoch immer schon Grenzen ge-
setzt, die sich aus der Wirkung von Eingriffsnormen, dem ordre public so-
wie aus dem EU-Recht48 ergeben. Dies wird durch Art 3 Abs 3 und 4 Rom
I-VO ausdrücklich und deutlicher als bisher festgeschrieben: So kann ge-
mäß Art 3 Abs 4 die Wahl des Rechts eines Drittstaates nicht die Anwen-
dung kollisionsrechtlich zwingenden EU-Rechts49 „berühren“, wenn „alle
anderen Elemente des Sachverhalts zum Zeitpunkt der Rechtswahl in
einem oder mehreren Mitgliedstaaten belegen“ sind50. Unter dem Aspekt
des Schutzes des Schwächeren ergibt sich auch noch eine systembedingte
Einschränkung der Wahlfreiheit bei Verbrauchergeschäften und Arbeits-
verträgen. Ein beträchtliches Maß an Freiheit gewährt Art 3 Abs 2 Rom I-
VO den Parteien in der Frage des Zeitpunkts der Rechtswahl, da diese „je-
derzeit“, also vor, zeitgleich oder nach Abschluss des betreffenden Vertra-
ges, vorgenommen und wieder geändert werden kann. Eine Rechtswahl
nach Vertragsabschluss berührt jedoch nicht die Formgültigkeit des Vertra-
ges oder Rechte Dritter.
Wie in der Präambel zur Rom I-Verordnung festgehalten wird51, hin-
dert diese Verordnung „die Parteien nicht daran, in ihrem Vertrag auf ein
nicht staatliches Regelwerk oder ein internationales Übereinkommen Be-
zug zu nehmen“. Zudem könne, wenn die Gemeinschaft in einem Rechts-
akt Regeln für das materielle Vertragsrecht festlegen sollte, in einem sol-

48 Vgl EuGH Rs C-381/98 – „Ingmar“, Slg 2000 I-9305: Gegenstand dieses Urteils war ein
1989 geschlossener Handelsvertretervertrag zwischen einer britischen Gesellschaft und
einem kalifornischen Unternehmen, welcher eine Rechtswahl zugunsten kalifornischen
Rechts beinhaltete. Anders als das britische Sachrecht, das Art 17 und 18 der Handelsver-
treter-Richtlinie 86/653/EWG, ABlEG L 382 vom 31.12.1986, 17, umsetzt, kennt das
kalifornische Sachrecht keinen Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters nach Vertrags-
beendigung. Der EuGH hielt fest, dass bei Vorliegen eines starken Gemeinschaftsbezugs
(zB Tätigkeit im Gemeinschaftsgebiet) Art 17 und 18 der Richtlinie aus wettbewerbs-
und wirtschaftspolitischen Gründen unabdingbar und damit international zwingende
Normen sind. Dazu Nemeth/Rudisch, EuGH 9.11.2000 Rs C-381/98 „Ingmar“ – wich-
tige Klärungen im europäischen IPR, ZfRV 2001, 179; Martiny, Internationales Vertrags-
recht im Schatten des Europäischen Gemeinschaftsrechts, ZEuP 2001, 308 (330 f).
49 „Gegebenfalls in der von dem Mitgliedstaat des angerufenen Gerichts umgesetzten
Form“: Hier ist also die lex fori relevant.
50 Diese Bestimmung wirft die Frage auf, ob IPR-Bestimmungen, die bisher aufgrund von
Verbraucherschutz-Richtlinien im Verhältnis zu Drittstaaten notwendig waren (wie
§ 13a KSchG, § 11 TNG), auch künftig separat umgesetzt werden müssen (wie Art 22
der neuen Richtlinie 2008/48/EG über Verbraucherkreditverträge, ABlEU L 133 vom
22.5.2008, 66, der zu einer Ergänzung des § 13aKSchG Anlass gab, vgl Rz 15/45).
51 Erwägungsgründe 13 und 14.

137
§ 15 Schuldverhältnisse

chen Rechtsakt vorgesehen werden, dass die Parteien über die Anwendung
dieser Regeln entscheiden können52. Damit sind die Bemühungen um ein
gemeineuropäisches Vertragsrecht bzw die Arbeiten an dem „gemeinsa-
men Referenzrahmen“ angesprochen53.
15/11 Art 4 Abs 1 Rom I-VO beinhaltet die allgemeinen Regeln über die objek-
tive Anknüpfung, die dann greift, wenn die Parteien es unterlassen haben,
eine Rechtswahl zu treffen und weist einen gegenüber Art 4 EVÜ54 kon-
kreter und stärker kasuistisch formulierten Wortlaut auf, da sich in seinem
ersten Absatz nach Vertragstypen differenzierte Anknüpfungen finden.
Dem Begriff „für den Vertrag charakteristische Leistung“ kommt hingegen
nur mehr subsidiäre Bedeutung zu55. Dass die „vertragscharakteristische
Leistung“ grundsätzlich jene Leistung ist, die nicht in einer Geldschuld
besteht56, gilt aber letztlich auch für die Rom I-Verordnung, wenn in Art 4
Abs 1 etwa die Anknüpfung von Kaufverträgen über bewegliche Sachen an
das Aufenthaltsrecht des Verkäufers und jene von Verträgen über Dienst-
leistungen an das Aufenthaltsrecht des Dienstleisters vorgesehen ist57.
Nicht trifft dies jedoch nach der Rom I-Verordnung zB auf Franchisever-
träge und Vertriebsverträge zu, die an das Aufenthaltsrecht des Franchise-
nehmers bzw Vertriebshändlers geknüpft werden58. Sachgerecht erscheint

52 Soweit es um Verweisungsnormen im Recht der Verbraucherverträge gem Art 6 Rom I-


VO geht, ist die Entscheidungsfreiheit wohl eingeschränkt.
53 Derzeitiger Entwicklungsstand der Bemühungen europäischer Rechtswissenschafter um
einen „Academic Common Frame of Reference“: Draft Common Frame of Reference –
Principles, Definitions and Model Rules of European Private Law, Outline Edition (Jän-
ner 2009); Full Edition (Oktober 2009); zu finden unter: http://www.law-net.eu/. Zu-
letzt: Grünbuch „Optionen für die Einführung eines Europäischen Vertragsrechts für
Verbraucher und Unternehmen“, KOM(2010) 348 endg vom 1.7.2010. Dazu Rz 18/1.
54 Diese Bestimmung sah noch vor, dass „das Recht des Staates, mit dem der Vertrag die
engsten Verbindungen“ aufweist, maßgebend sei und verknüpfte diese Regel mit der
Vermutung, dass dies grundsätzlich das Recht des Staates sei, „in dem die Partei, welche
die charakteristische Leistung zu erbringen hat“, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder
ihre Hauptverwaltung hat.
55 Art 4 Abs 2 Rom I-VO stellt klar, dass für Verträge, die von Abs 1 nicht erfasst werden
oder nach Abs 1 nicht zweifelsfrei einzuordnen sind, die Auffangregel der Anknüpfung
an die charakteristische Leistung gilt.
56 Wie die Leistung des Verkäufers, des Werkunternehmers, Beförderers, selbständigen
Handelsvertreters, Arztes, Architekten, Anwalts usw; vgl die demonstrative Aufzählung
in Art 117 Abs 3 schweizIPRG sowie aus der Judikatur des OGH zu § 36 aF IPRG:
OGH ZfRV 1992, 68/1; ZfRV 1992, 380/38; ZfRV 1992, 69/2.
57 Art 4 Abs 1 lit a) und b): Also jeweils an das Recht der Partei, die die „charakteristische
Leistung“ erbringt.
58 Art 4 Abs 1 lit e) und f): Also jeweils nicht an das Recht der Partei, die die „charakteristi-
sche Leistung“, insb die nicht in Geld bestehende Leistung, erbringt.

138
Die „Europäisierung“ des internationalen Schuldvertragsrechts § 15

es, dass für den Erwerb beweglicher Sachen durch Versteigerung die An-
knüpfung an das Recht des Versteigerungsortes vorgesehen ist59.
Was den gewöhnlichen Aufenthalt einer Partei ausmacht, wird in
Art 19 Rom I-VO näher bestimmt: Bei Verträgen, die eine natürliche Per-
son nicht im Rahmen der Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit abschließt,
ist das der Ort wo sie sich üblicherweise aufhält, bei Gesellschaften, Ver-
einen und juristischen Personen der Ort ihrer Hauptverwaltung im Zeit-
punkt des Vertragsschlusses. Wird der Vertrag von einer natürlichen Per-
son jedoch in Ausübung ihrer unternehmerischen Tätigkeit geschlossen,
ist das Recht ihres gewöhnlichen Aufenthalts jenes des Ortes der Haupt-
niederlassung. Wenn die Leistung nach dem Vertrag von einer anderen
Niederlassung zu erbringen ist, ist nach Art 19 Abs 2 Rom I-VO an das
Ortsrecht jener Niederlassung anzuknüpfen, in deren Rahmen der Vertrag
geschlossen worden ist.
Die Rom I-Verordnung enthält Bestimmungen für die Anknüpfung von 15/12
Verträgen, die sich – wie der Tauschvertrag – nicht nach dem Kriterium der
charakteristischen Leistung einer Rechtsordnung zuordnen lassen60. Es
müssen dann andere Aspekte beachtet werden, aus denen sich das Recht er-
gibt, zu dem ein solcher Vertrag „die engste Beziehung aufweist“. Wie
schon das IPRG und das EVÜ weist auch die Rom I-Verordnung eine Aus-
weichklausel (escape clause, clause d’échappement) auf, die unter Bedacht-
nahme darauf, ob der Vertrag nach „der Gesamtheit der Umstände“ eine
„offensichtlich engere Beziehung“ zu einem anderen Staat als jenen hat,
dessen Recht sich auf der Grundlage des Art 4 Abs 1 und 2 als maßgeblich
ergibt, eine flexible Bestimmung des maßgebenden Rechts ermöglicht61.

c) Sonderanknüpfungen für besondere Vertragstypen

Art 4 Abs 1 lit c) Rom I-VO ordnet für den Fall, dass keine Rechtswahl 15/13
durch die Parteien erfolgt ist, für Verträge, die ein dingliches Recht an un-
beweglichen Sachen sowie die Miete oder Pacht unbeweglicher Sachen
zum Gegenstand haben, an, dass sie nach der lex rei sitae zu beurteilen

59 Eine besondere Anknüpfungsnorm gilt nach Art 4 Abs 1 lit h) Rom I-VO auch für Ver-
träge, die „innerhalb eines multilateralen Systems von bestimmten Finanzinstrumenten“
geschlossen werden, wobei ausdrücklich auf Art 4 Abs 1 Nr 17 der Richtlinie 2004/39/
EG vom 21.4.2004 über Märkte für Finanzinstrumente, ABlEU L 45 vom 30.4.2004,
18, verwiesen wird.
60 Art 4 Abs 4 VO Rom I.
61 Art 4 Abs 3 VO Rom I. Im IPRG war eine solche allgemeine Ausweichklausel nicht vor-
gesehen; es war daher fraglich, ob mit extensiver Auslegung des § 1 Abs 2 IPRG ein ver-
gleichbares Ergebnis zu erzielen war.

139
§ 15 Schuldverhältnisse

sind62. Die bisher interpretativ vertretene Auffassung, dass für so genannte


Timesharing-Verträge eine Ausnahme von dieser Regel angebracht sei, ist
in Art 4 Abs 1 lit d) Rom I-VO ausdrücklich anerkannt worden, wobei
diese Bestimmung noch deutlich weiter reicht, da für die Miete oder Pacht
von Liegenschaften zu einem vorübergehenden und maximal halbjährigen,
privaten Gebrauch unter der Voraussetzung, dass der Mieter bzw Pächter
eine natürliche Person ist und seinen gewöhnlichen Aufenthalt in demsel-
ben Staat wie der Vermieter oder Verpächter hat, das Recht dieses Staates
maßgebend ist.
15/14 Eine Sonderanknüpfung sieht Art 5 Rom I-VO für alle Beförderungsver-
träge vor. Demnach ist den Parteien zwar die Rechtswahl eröffnet, doch ist
bei Verträgen über den Transport von Personen gemäß Art 5 Abs 2 die
Auswahl auf das Recht bestimmter Staaten eingeschränkt, nämlich auf das
Recht des Staates a) des gewöhnlichen Aufenthalts der zu befördernden
Person, b) des gewöhnlichen Aufenthalts des Transporteurs, c) in dem der
Transporteur seine Hauptverwaltung hat, d) in dem sich der Abgangsort
befindet oder e) in dem der Bestimmungsort liegt.
Haben die Parteien auf eine Rechtswahl verzichtet, ist für Gütertrans-
portverträge das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts des Transporteurs
maßgebend, wenn sich in diesem Staate zudem noch der Lieferort oder der
gewöhnliche Aufenthalt des Absenders befindet; sonst ist das Recht des
von den Parteien vereinbarten Lieferorts maßgebend. Verträge über die
Beförderung von Personen unterliegen hingegen dem Recht des gewöhn-
lichen Aufenthalts der beförderten Person, wenn sich dort auch der Aus-
gangsort oder der Bestimmungsort befindet, andernfalls ist auch hier das
Recht des gewöhnlichen Aufenthalts des Transporteurs maßgebend. Art 5
Abs 3 Rom I-VO sieht auch für Beförderungsverträge eine Ausweichklau-
sel vor, die bei Fehlen einer Rechtswahl eine „offensichtlich engere Verbin-
dung“ zum Recht eines anderen, als nach den allgemeinen Anknüpfungsre-
geln maßgebenden Rechts berücksichtigt.
15/15 Für „Verbraucherverträge“63 sieht Art 6 Rom I-VO eine besondere An-
knüpfungsnorm vor, wobei der Begriff des Verbrauchervertrags ähnlich
wie nach § 1 KSchG als Vertrag zwischen einem Verbraucher und einem
Unternehmer, der im Rahmen der beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit
des Unternehmers geschlossen wird64, definiert wird. Die Rechtswahl ist

62 Ausnahmen bestehen jedoch noch für Teilzeitnutzungsverträge.


63 Zur Vorgängerbestimmung in Art 5 EVÜ näher: Loacker, Der Verbrauchervertrag im
internationalen Privatrecht (2006).
64 Vgl Art 15 Abs 1 lit c) VO Brüssel I.

140
Die „Europäisierung“ des internationalen Schuldvertragsrechts § 15

grundsätzlich möglich, doch stellt Abs 2 klar, dass dadurch dem Verbrau-
cher nicht der ihm in seinem Aufenthaltsstaat gewährte, unabdingbare
Schutz entzogen werden darf. Haben die Parteien keine Wahl des anzu-
wendenden Rechts getroffen, ist grundsätzlich das Recht des Staates maß-
gebend, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Es
müssen jedoch zusätzliche Voraussetzungen gegeben sein.
So verlangt Art 6 Abs 1 Rom I-VO, dass der Unternehmer entweder
„a) seine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit in dem Staat ausübt, in
dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, oder b) eine sol-
che Tätigkeit auf irgend einer Weise auf diesen Staat oder auf mehrere Staa-
ten, einschließlich dieses Staates ausrichtet“. Es wird also die Bestimmung
des anzuwendenden Rechts nach der Rom I-Verordnung nicht mehr wie
noch nach dem EVÜ65 davon abhängig gemacht, ob sich ein Verbraucher
bei Abschluss des Vertrages mit einem Unternehmer in seinem Heimat-
staat66 befindet oder nicht, womit wohl auch der gestiegenen Bedeutung
des Internethandels Rechnung getragen wurde67.
Wie nach dem EVÜ werden auch nach der Rom I-Verordnung Ausnah-
men von der für Verbraucherverträge geltenden Anknüpfungsregel ge-
macht. So gelten die beiden ersten Absätze des Art 6 Rom I-VO nicht für
Verträge über die Erbringung von Dienstleistungen, die ausschließlich in
einem anderen als dem Aufenthaltsstaat des Verbrauchers erbracht werden
müssen68, noch auch für Beförderungsverträge, wenn diese nicht als Pau-
schalreiseverträge im Sinne der einschlägigen Richtlinie 90/314/EWG zu
qualifizieren sind. Zudem sieht die Rom I-Verordnung in Art 6 Abs 4
noch weitere – nicht leicht fassbare – Ausnahmen vor, so nach lit d) und e)
für bestimmte Vertragsverhältnisse im Zusammenhang mit Finanzinstru-
menten69.
Die Rom I-Verordnung beinhaltet eine Anknüpfungsnorm für Versiche- 15/16
rungsverträge, die die bisher mit Hilfe von Richtlinien angeglichene, allzu

65 Art 5 Abs 2 EVÜ sah drei Fallkonstellationen vor, die zum Recht des Aufenthaltsstaates
des Verbrauchers als maßgebend führten: a) dem Vertragsabschluss ist in diesem Staat ein
ausdrückliches Angebot oder eine Werbung vorangegangen und der Verbraucher hat
dort auch „die zum Abschluss des Vertrages erforderlichen Rechtshandlungen“ gesetzt;
b) der Vertragspartner des Verbrauchers hat in dessen Aufenthaltsstaat die Bestellung
entgegengenommen; oder c) der Vertragsabschluss ist im Rahmen einer Reise vom Auf-
enthaltsstaat des Verbrauchers in das Ausland, die nur zum Zweck des Vertragsabschlus-
ses organisiert worden ist, womit die berüchtigte „Kaffeefahrt“ gemeint war.
66 Oder allenfalls auf einer Kaffeefahrt im (benachbarten) Ausland.
67 Dazu Rz 16/8 ff.
68 Art 6 Abs 4 VO Rom I.
69 Sie müssen im vorgegebenen Rahmen vernachlässigt werden.

141
§ 15 Schuldverhältnisse

komplizierte Rechtsgrundlage in der Europäischen Union70 zumindest


größtenteils ersetzt: Art 7 spiegelt die Komplexität der Materie wider. Er
steckt zunächst seinen Geltungsbereich ab, indem er zunächst klar stellt,
dass er für Verträge, die bestimmte Großrisiken71 decken, unabhängig da-
von gilt, ob das gedeckte Risiko in einem Mitgliedstaat belegen ist. Ansons-
ten gilt die Bestimmung für alle anderen Versicherungsverträge, durch die
Risiken gedeckt werden, die im Gebiet der Mitgliedstaaten belegen sind.
Für Rückversicherungsverträge gilt sie nicht.
Nur für Versicherungsverträge über Großrisiken ist die freie Rechts-
wahl gemäß Art 3 Rom I-VO vorgesehen und wenn keine Rechtswahl ge-
troffen wird, ist das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts des Versicherers
maßgebend, wenn nicht alle Umstände auf ein Recht weisen, das eine of-
fensichtlich engere Verbindung mit dem Vertrag aufweist72. Für andere
Versicherungsverträge ist nur eine durch Art 7 Abs 3 Rom I-VO be-
schränkte Rechtswahl eröffnet, da die Partien nur eines der dort aufge-
zählten Rechte wählen können, nämlich a) das Recht des Mitgliedstaates,
in dem das Risiko bei Vertragsabschluss belegen ist, b) das Recht des ge-
wöhnlichen Aufenthalts des Versicherungsnehmers, c) bei Lebensversiche-
rungen das Recht des Mitgliedstaates, dessen Staatsangehörigkeit der Ver-
sicherungsnehmer besitzt, d) für Versicherungsverträge, bei denen sich die
gedeckten Risiken auf Schadensfälle in einem anderen Mitgliedstaat als je-
nem der Risikobelegenheit beschränken, das Recht dieses Mitgliedstaates
und e) bezüglich der Risiken aus unternehmerischer Tätigkeit in mehreren
Mitgliedstaaten, das Recht eines dieser Mitgliedstaaten oder das Recht des
gewöhnlichen Aufenthalts des Versicherungsnehmers73. In den Fällen nach
lit a), b) und e) können die Mitgliedstaaten den Parteien eine größere Wahl-
freiheit bezüglich des auf den Versicherungsvertrag anwendbaren Rechts

70 In Österreich galt seit 1.1.1994 das Bundesgesetz über internationales Versicherungsver-


tragsrecht für den Europäischen Wirtschaftsraum (IVVG), BGBl 1993/89, das durch
BGBl I 2009/109 aufgehoben wurde. Die Verordnung kann nur innerhalb der EU nor-
mative Kraft haben und kann somit nicht unmittelbar das bisherige Recht im EWR in
seiner Gültigkeit tangieren.
71 Und zwar für Großrisiken iSv Art 5 lit d) der Ersten Richtlinie 73/239/EWG des Rates
vom 24.7.1973 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend
die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Direktversicherung (mit Ausnahme der
Lebensversicherung), ABlEG L 228 vom 16.8.1973, 3; zuletzt geändert durch die Richt-
linie 2005/68/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.11.2005, ABlEU
L 323 vom 9.12.2006, 1.
72 Art 7 Abs 2 VO Rom I.
73 Die Verordnung ermöglicht eine größere Wahlfreiheit, wenn die betreffenden Mitglied-
staaten hinsichtlich der unter lit a), b) oder e) angeführten Beschränkungen eine größere
Wahlfreiheit gewähren.

142
Die „Europäisierung“ des internationalen Schuldvertragsrechts § 15

einräumen74. Haben die Parteien keine Rechtswahl getroffen, unterliegt der


Vertrag dem Recht des Mitgliedstaats, in dem das Risiko bei Vertrags-
schluss belegen ist.
Für Versicherungsverträge über Risiken, für die ein Mitgliedstaat eine
Versicherungspflicht vorschreibt, sieht Art 7 Abs 4 Rom I-VO eine die In-
teressen dieses Mitgliedstaates an der Anwendung seines Rechts besonders
berücksichtigende Regelung vor, während Abs 5 für einen Versicherungs-
vertrag, der Risiken abdeckt, die in mehr als einem Mitgliedstaat belegen
sind, anordnet, dass er als aus mehreren, sich jeweils auf nur einen Mit-
gliedstaat beziehenden Verträgen bestehend anzusehen sei. Schließlich be-
stimmt noch der sechste Absatz dieser Norm, dass der „Staat der Risiko-
belegenheit“ nach Maßgabe der in den einschlägigen Richtlinien75
getroffenen Festlegungen zu bestimmen sei.
Die Fragen, die sich im Zusammenhang mit der Bestimmung des auf ein 15/17
durch ein Abhängigkeitsverhältnis charakterisiertes privatrechtliches Ar-
beitsverhältnis anzuwendenden Rechts ergeben, regelt Art 8 Rom I-VO,
der mit „Individualarbeitsverträge“ überschrieben ist. Er lässt eine
Rechtswahl durch die Parteien zu, sieht jedoch Einschränkungen des
Grundsatzes der Parteiautonomie vor. So ist die Rechtswahl soweit un-
wirksam, als das gewählte Recht dem Arbeitnehmer den zwingenden
Schutz des nach objektiver Anknüpfung anwendbaren Rechts entziehen
würde. Ob dies zutrifft, ist durch einen Günstigkeitsvergleich zu ermitteln.
Mangels einer Rechtswahl ist nach Art 8 Abs 2 Rom I-VO auf Arbeits-
verträge das Recht jenes Staates anzuwenden, in dem der Arbeitnehmer in
Erfüllung des Vertrages gewöhnlich seine Arbeit verrichtet, wo also der
örtliche Schwerpunkt der Arbeitsleistung besteht. Diese Anknüpfung
bleibt auch dann maßgebend, wenn der Arbeitnehmer für einen begrenzten
Zeitraum und mit der auch vom Arbeitgeber akzeptierten Aussicht auf
Rückkehr in einen anderen Staat entsandt wird. Besteht wie etwa beim flie-
genden Personal von Fluggesellschaften oder bei LKW-Fahrern im Fern-
verkehr kein in ein und demselben Staat liegender gewöhnlicher Arbeits-
ort, ist an das Recht am Ort jener Niederlassung anzuknüpfen, die den
Arbeitnehmer eingestellt hat. An dieses Recht knüpft Art 8 Abs 3 Rom I-

74 Das geschah durch BGBl I 2009/109 in dem neuen § 35a IPRG; vgl Rz 15/27.
75 Dabei handelt es sich um die Zweite Richtlinie 88/357/EWG vom 22.6.1988 über die Di-
rektversicherung (mit Ausnahme der Lebensversicherung), ABlEG L 172 vom 4.7.1988,
1, geändert durch Richtlinie 2005/14/EG vom 11.5.2005, ABlEU L 149 vom 11.6.2005,
14, und um die Richtlinie 2002/83/EG vom 5.11.2002 über Lebensversicherungen, ABl
EG L 345 vom 19.12.2002, 1.

143
§ 15 Schuldverhältnisse

VO überhaupt alle Fälle an, in denen das anwendbare Recht nicht nach
Art 8 Abs 2 bestimmt werden kann.
Da die objektiven Anknüpfungstatbestände des Art 8 Abs 2 und 3 Rom
I-VO jedoch nur die widerlegbare Vermutung aufstellen, dass die engsten
Verbindungen des Vertrags zu dem dort als maßgebend bezeichnenden
Recht bestehen, sieht Abs 4 eine Ausweichklausel vor, die die Anknüpfung
an das Recht eines anderen Staates ermöglicht, wenn sich aus der Gesamt-
heit der Umstände ergibt, dass der Vertrag eine engere Verbindung zu
einem anderen Staat aufweist. Zu beachten ist auch, dass die Wirkung des
Arbeitsvertragsstatuts massiv durch EU-rechtliche Bestimmungen und na-
tionale Eingriffsnormen mit öffentlich-rechtlichem oder privatrechtlichem
Charakter76 beeinflusst wird, deren kollisionsrechtliche Behandlung sich
nunmehr nach Art 9 Rom I-VO richtet.
15/18 In der Rom I-Verordnung finden sich keine weiteren Bestimmungen, die
für bestimmte Vertragstypen Sonderanknüpfungen vorsehen würden.
Sämtliche Verträge, die allenfalls nach besonderen Grundsätzen ange-
knüpft werden könnten und die nicht aus dem Anwendungsbereich der
europäischen kollisionsrechtlichen Regelwerke ausgenommen sind, wer-
den – wie auch die seinerzeit in § 45 IPRG gesondert geregelten „abhängi-
gen Rechtsgeschäfte“ – bei fehlender Rechtswahl grundsätzlich an das Auf-
enthaltsrecht der Partei, die die charakteristische Leistung zu erbringen
hat, angeknüpft, sofern nicht die Ausweichklausel zum Tragen kommt. In
den einzelnen Vertragsgruppen können sich daraus delikate Einordnungs-
fragen ergeben77.

d) Eingriffsnormen

15/19 Die schwierige Frage der Sonderanknüpfung von Eingriffsnormen – und


zwar der aus der Sicht des Forumstaates eigenen wie der fremden – ist in
Art 9 Rom I-VO geregelt. Während das EVÜ den Begriff „Eingriffsnor-
men“ noch vermied und (missverständlich) von „zwingenden Vorschrif-
ten“ sprach, verwendet und umschreibt die Verordnung diesen Begriff.
Eine „Eingriffsnorm“ ist nach Art 9 Abs 1 „eine zwingende Vorschrift, de-
ren Einhaltung von einem Staat als so entscheidend für die Wahrung seines
öffentlichen Interesses, insbesondere seiner politischen, sozialen oder wirt-

76 Besonders einprägsame Beispiele sind §§ 7, 7a und 7b des Arbeitsvertragsrechts-Anpas-


sungsgesetzes (AVRAG), BGBl 1993/459 idF BGBl I 2010/29, welche die zwingenden
Ansprüche von Arbeitnehmern gegen ausländische Arbeitgeber ohne Sitz in Österreich
sowie ohne bzw mit Sitz in einem EWR-Mitgliedstaat detailliert regeln.
77 Siehe zu den Verträgen über Immaterialgüterrechte Rz 13/11.

144
Die „Europäisierung“ des internationalen Schuldvertragsrechts § 15

schaftlichen Organisation, angesehen wird, dass sie ungeachtet des nach


Maßgabe dieser Verordnung auf den Vertrag anzuwendenden Rechts auf
alle Sachverhalte anzuwenden ist, die in ihren Anwendungsbereich fallen“.
Eingriffsnormen sind eben kraft eigenen Geltungswillens, das heißt,
„wegen ihres besonderen Zweckes, unabhängig von dem durch dieses
Gesetz bezeichneten Recht, zwingend anzuwenden“78. Solche „lois d’ap-
plication immédiate“ finden sich in allen Rechtsordnungen in vielen Teil-
rechtsgebieten, etwa im Devisenrecht79, ferner im Wirtschaftslenkungs-,
Liegenschaftsverkehrs- und Registerrecht, aber auch im Arbeitsrecht sowie
im Kartell- und Wettbewerbsrecht. Der Kreis dieser Normen ist nicht ge-
schlossen. Den Rechtsanwender trifft die schwierige Aufgabe, im Einzelfall
den eigenen Anwendungswillen derartiger Normen festzustellen80.
Während die Anwendung eigener Eingriffsnormen durch das angeru-
fene Gericht81 keine Probleme bereitet, ist die Frage, ob das besondere In-
teresse, das ein fremder Staat an der Beachtung seiner, dem Forumstaat
fremden Eingriffsnormen hat und das jeweils erhoben werden muss,
dazu führen könne, dass sie in einem konkreten Fall Beachtung finden,
kontrovers und schwieriger zu beantworten. Nach Art 7 Abs 1 EVÜ
konnte einer fremden Eingriffsnorm unter der Voraussetzung, dass ein
internationaler Sachverhalt „eine enge Verbindung“ zum Recht des Fo-
rums hatte „Wirkung verliehen“ werden, wobei Natur und Gegenstand
dieser Eingriffsnormen sowie die Folgen zu berücksichtigen waren, die
sich aus ihrer Anwendung oder Nichtanwendung ergaben. Wegen seiner
etwas schwammigen Formulierung war Art 7 EVÜ von Anfang an mas-
siver Kritik ausgesetzt82. Art 9 Abs 3 Rom I-VO bestimmt nunmehr präzi-
ser und zugleich einschränkend, dass nur den Eingriffsnormen des Staates,
„in dem die durch den Vertrag begründeten Verpflichtungen erfüllt werden
sollen oder erfüllt worden sind, [. . .] Wirkung verliehen werden [kann], so-
weit diese Eingriffsnormen die Erfüllung des Vertrages unrechtmäßig wer-
den lassen“83.

78 So Art 18 schweizIPRG.
79 Vgl (noch auf der Grundlage des DevisenG 1946) OGH EvBl 1993/110.
80 Vgl OGH EvBl 1987/145 = IPRax 1988, 240 (Reichelt, 251); ZfRV 1990, 133 (Zemen) =
RdW 1989, 326; RdW 1990, 158; ferner OGH EvBl 1993/144. Allgemein dazu Rz 8/4.
81 Art 7 Abs 2 EVÜ bzw Art 9 Abs 2 Rom I-VO haben nur klarstellende Funktion.
82 Daher war den Vertragsstaaten gem Art 22 Abs 1 lit a) EVÜ die Möglichkeit eröffnet, die
Anwendung des Art 7 Abs 1 EVÜ im Wege eines Vorbehaltes auszuschließen. Diesen
Vorbehalt hatten ua Deutschland und das Vereinigte Königreich, nicht jedoch Österreich
erklärt. Vgl dazu nur Thorn, Eingriffsnormen, in Ferrari/Leible (Hrsg.), Ein neues Inter-
nationales Vertragsrecht für Europa (2007) 129.
83 Dabei sind „Art und Zweck dieser Normen sowie die Folgen [. . .], die sich aus ihrer An-
wendung oder Nichtanwendung ergeben“, zu berücksichtigen.

145
§ 15 Schuldverhältnisse

e) Abtretung und gesetzlicher Übergang der Forderung,


Aufrechnung

15/20 Für die rechtsgeschäftliche Forderungsabtretung sieht Art 14 Abs 1 Rom


I-VO vor, dass das für das der Abtretung zugrunde liegende Kausalgeschäft
maßgebende Recht, auch die Verpflichtungen zwischen dem Zedenten und
dem Zessionar beherrscht. Ferner ist in diesem Artikel angeordnet, dass
„das Recht, dem die übertragene Forderung unterliegt, [. . .] ihre Übertrag-
barkeit, das Verhältnis zwischen Zessionar und Schuldner, die Vorausset-
zungen, unter denen die Übertragung dem Schuldner entgegengehalten
werden kann, und die befreiende Wirkung einer Leistung durch den
Schuldner“ bestimmt. Somit richtet sich etwa die Zession einer Kaufpreis-
schuld nach dem Recht, dem der Kaufvertrag unterliegt, womit auch in kol-
lisionsrechtlicher Hinsicht sicher gestellt ist, dass der Schuldner durch den
Wechsel des Gläubigers nicht in seinen Rechten geschmälert wird.
Art 15 Rom I-VO betrifft den gesetzlichen Übergang von Forderun-
gen, sofern diese eine vertragliche Grundlage haben84. Die Bestimmungen
besagen, dass, wenn ein Dritter aufgrund einer Verpflichtung die Forde-
rung des Gläubigers gegen den Schuldner befriedigt, für die Beurteilung
der Frage, ob und wieweit der Dritte berechtigt sei, die Forderung des
Gläubigers gegen den Schuldner geltend zu machen85, das Recht maßge-
bend ist, das die Verpflichtung zur Befriedigung der Forderung durch den
Dritten beherrscht. Auch diese Regelung entspricht dem rechtspolitischen
Anliegen, dass die Rechtsstellung des Schuldners nicht verschlechtert wer-
den darf.
Die Rom I-Verordnung beinhaltet in ihrem Art 16 unter der Überschrift
„Mehrfache Haftung“ eine detaillierte Regelung der Anknüpfung der Re-
gressforderung des Schuldners, der im Falle einer Gesamtschuld gezahlt
hat, gegen die übrigen Schuldner. Diese richtet sich nach dem Statut der
Verpflichtung des zahlenden Schuldners gegenüber dem Gläubiger, wäh-
rend sich die „Verteidigungsmittel“ der übrigen Schuldner gegen den Re-
gressanspruch des Zahlers nach dem Recht richten, dem die Forderungen
des Gläubigers gegen sie unterliegen.
Art 17 Rom I-VO knüpft die Aufrechnung an das Statut der Hauptfor-
derung an, gegen die aufgerechnet wird, und erteilt somit der so genannten
Kumulationstheorie, die auf das Statut beider Forderungen abstellt86, eine
Absage.

84 Art 15 Rom I-VO bezieht sich nicht auf den Übergang außervertraglicher Forderungen.
85 Das ist das „Zessionsgrundstatut“.
86 Vgl EuGH C-87/01 – Kommission gg. CCRE, Slg 2003 I-7617, RdNr. 61.

146
Die „Europäisierung“ des internationalen Schuldvertragsrechts § 15

f) Materielle Wirksamkeit, Form des Vertrages und Reichweite des


Vertragsstatuts

Art 10 Rom I-VO sieht vor, dass das Zustandekommen und die materielle 15/21
Wirksamkeit eines Vertrages an dasselbe Recht anzuknüpfen sind, das für
den Vertrag selbst maßgebend ist bzw wäre (lex causae). Dieser Grundsatz
gilt für alle Fragen, welche die Voraussetzungen und den Umfang der ver-
traglichen Einigung betreffen. Sollte sich jedoch aus den Umständen erge-
ben, dass es nicht gerechtfertigt wäre, die Wirkung des Verhaltens einer
Partei nach dem Vertragsstatut zu bestimmen, kann sich diese Partei „für
die Behauptung, sie habe dem Vertrag nicht zugestimmt“, auf ihr Aufent-
haltsrecht berufen87.
Die Regelung der Frage, nach welchem Recht die Formgültigkeit eines 15/22
Vertrages oder einseitigen Rechtsgeschäfts zu beurteilen ist88, findet sich
heute in Art 11 Rom I-VO, der zwischen Verträgen89 und einseitigen
Rechtsgeschäften90 differenziert und für Verbraucherverträge und für Ver-
träge über dingliche Rechte an einer Liegenschaft sowie die Miete oder
Pacht einer Liegenschaft Sonderanknüpfungen vorsieht91. Hinsichtlich der
Anknüpfung der Form von Verträgen und einseitigen Rechtsgeschäften
besteht eine Parallele zum allgemeinen Formstatut des § 8 IPRG, nach wel-
chem, je nachdem, was für die Formgültigkeit günstiger ist, die lex causae
oder alternativ die „lex loci actus“ maßgeblich sein kann. Gemäß Art 11
Abs 2 und 3 Rom I-VO ist auch noch die Anknüpfung an das Recht des
Aufenthaltsstaates einer der Vertragsparteien bzw der Person, die das ein-
seitige Rechtsgeschäft vorgenommen hat, vorgesehen. Ausnahmen von
dieser Alternativanknüpfung bestehen jedoch für Verbraucherverträge, für
deren Form das Recht des Staates maßgeblich ist, in dem der Verbraucher
seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, und für die Verträge über dingliche
Rechte oder Bestandverträge an Liegenschaften, welche sich nach den
zwingenden Formvorschriften des Staates des Belegenheitsorts beurteilen,
„sofern diese Vorschriften nach dem Recht dieses Staates unabhängig da-
von gelten, in welchem Staat der Vertrag geschlossen wird oder welchem

87 Art 10 Abs 2 Rom I-VO. Die inhaltsgleiche Bestimmung des Art 8 Abs 2 EVÜ wurde
auch als „Vetorecht des Umweltrechts“ bezeichnet, vgl Helmberg in Czernich/Heiss
(Hrsg), EVÜ Kommentar, Art 8 Rz 11.
88 Ob zB einem Schriftlichkeitserfordernis oder der Vorgabe einer notariellen Beglaubi-
gung entsprochen wurde.
89 Art 11 Abs 1 und 2 Rom I-VO.
90 Art 11 Abs 3 Rom I-VO.
91 Art 11 Abs 4 und 5 Rom I-VO.

147
§ 15 Schuldverhältnisse

Recht dieser Vertrag unterliegt, und von ihnen nicht durch Vereinbarung
abgewichen werden darf“, sie also „international zwingend“ sind.
15/23 Der mit „Geltungsbereich des anzuwendenden Rechts“ überschriebene
Art 12 Rom I-VO grenzt die Reichweite des Vertragsstatuts ein. Zu
diesem Zweck werden in einer nicht erschöpfenden Aufzählung die vom
Anknüpfungsregime der Verordnung erfassten Gegenstände angeführt.
Ausdrücklich erwähnt werden Auslegung, Vertragserfüllung, Folgen voll-
ständiger oder teilweiser Nichterfüllung einschließlich der Schadensbe-
messung, Erlöschen von Vertragspflichten, Verjährung und Folgen der
Nichtigkeit eines Vertrages. Demnach bleibt es nach der Rom I-Verord-
nung dabei, dass Stellvertretung und Form vom Vertragsstatut getrennt zu
beurteilen sind.
Gemäß Art 18 Rom I-VO werden der Beweis, soweit seine materiell-
rechtliche Seite betroffen ist, sowie allfällige gesetzliche Vermutungen
grundsätzlich nach dem Vertragsstatut beurteilt. Hinsichtlich der Zulässig-
keit von Beweisarten sieht Art 18 Abs 2 die alternative Anknüpfung an die
lex fori und an die Rechte vor, die nach dem Formstatut des Art 11 Rom I-
VO anwendbar sind und in concreto für die Gültigkeit des Vertrages spre-
chen. Allerdings bleibt das Beweisverfahren der lex fori unangetastet, so-
dass deren Repertoire an Beweismitteln nicht erweitert werden kann.

g) Weitere kollisionsrechtliche Hilfsnormen in der


Rom I-Verordnung

15/24 Art 13 Rom I-VO ist mit „Rechts-, Geschäfts- und Handlungsunfähig-
keit“ überschrieben, was jedoch nicht als Ankündigung einer Verwei-
sungsnorm über die Rechts- und Geschäftsfähigkeit begriffen werden
darf. Diese Aspekte fallen ja gemäß Art 1 Abs 2 lit a) Rom I-VO nicht in
deren Anwendungsbereich, sondern unterliegen auch weiterhin der An-
knüpfung gemäß § 12 IPRG92. Vielmehr dient die gegenständliche Norm
dem Vertrauensschutz, da sie den Fall betrifft, in dem eine Person, die
nach ihrem Personalstatut aufgrund ihres Alters oder aus anderen Gründen
(noch) nicht voll geschäftsfähig ist, einen Vertrag in einem Land schließt,
nach dessen Recht sie voll handlungsfähig wäre: Diese Person kann sich
nicht auf die ihr (noch) fehlende Volljährigkeit berufen, wenn der andere
Vertragsteil dies nicht wusste oder nicht wissen konnte.

92 Der in § 12 IPRG verwendete Begriff „Handlungsfähigkeit“ erfasst nach hA jedoch nicht


die Delikts- bzw Verschuldensfähigkeit; vgl Rz 10/2.

148
Die „Europäisierung“ des internationalen Schuldvertragsrechts § 15

Art 21 Rom I-VO ist mit „Öffentliche Ordnung im Staat des angerufenen 15/25
Gerichts“ überschrieben und regelt den Vorbehalt des ordre public. Die
Bestimmung stellt darauf ab, ob eine „offensichtliche Unvereinbarkeit mit
der öffentlichen Ordnung“ des Gerichtsstaates gegeben ist93 und drückt so
dasselbe aus wie § 6 IPRG, wenn man davon absieht, dass sie kein Ersatz-
recht benennt.
Art 22 Rom I-VO regelt den kollisionsrechtlichen Umgang mit Staaten
ohne einheitliche Rechtsordnung94. Hier gibt es insoweit eine Abwei-
chung von § 5 Abs 3 IPRG, als jede Gebietseinheit eines Staates als Staat
gilt und so das interlokale Privatrecht ausgeklammert wird. Ferner findet
sich in Art 23 Rom I-VO die Klarstellung, dass die Anknüpfungsregeln
der Verordnung, die das Vertragskollisionsrecht betreffenden Bestimmun-
gen anderer EU-Rechtsakte nicht berühren, wobei Art 7 ausgenommen ist.
Ferner stellt Art 25 Abs 1 Rom I-VO klar, dass die Anwendung von inter-
nationalen Übereinkommen, denen ein oder mehrere Mitgliedstaaten am
17.6.2008 als Vertragsstaaten angehörten und die Kollisionsnormen für
vertragliche Schuldverhältnisse enthalten (wie zB CISG), grundsätzlich
unberührt bleibt95.
Mit Geltungsbeginn am 17.12.2009 ist die Rom I-Verordnung nur in 15/26
sechsundzwanzig Mitgliedstaaten der Europäischen Union an die Stelle
des EVÜ getreten, da sich Dänemark nicht an der Annahme der Verord-
nung beteiligt96. Während Irland von Anfang an die Bereitschaft zur An-
nahme der Verordnung zeigte, hat sich das Vereinigte Königreich erst mit
Verzögerung dazu entschlossen, die Verordnung als sein Vertragskolli-
sionsrecht zu akzeptieren97.
Hinsichtlich des auf Versicherungsverträge anzuwendenden Rechts und
der Frage, ob durch die Anwendung von Art 6 die Kohärenz des europä-
ischen Verbraucherschutzrechts tangiert wird, trifft die Kommission ge-
mäß Art 27 Abs 1 Rom I-VO bis 17.6.2013 und hinsichtlich der „Frage,

93 Das entspricht der Terminologie der Haager IPR-Übereinkommen, vgl zB Art 10


HStVÜ.
94 In der Europäischen Union sind dies Großbritannien und Spanien.
95 In den Beziehungen zwischen Mitgliedstaaten hat die Rom I-VO Vorrang vor bilateralen
und multilateralen Übereinkommen, an denen nur Mitgliedstaaten beteiligt sind, soweit
diese in der VO geregelte Bereiche betreffen. Zudem werden die Mitgliedstaaten ver-
pflichtet, die Übereinkommen nach Art 25 Abs 1 bis zum 17.6.2009 der Kommission
mitzuteilen, die darüber im Amtsblatt der Europäischen Union informieren wird.
96 Vgl Präambel, Erwägungsgründe 44 bis 46.
97 Vgl Entscheidung 2009/26/EG der Kommission vom 22.12.2008 über den Antrag des
Vereinigten Königreichs auf Annahme der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europä-
ischen Parlaments und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwen-
dende Recht (Rom I), ABlEU L 10 vom 15.1.2009, 22.

149
§ 15 Schuldverhältnisse

ob die Übertragung einer Forderung Dritten entgegengehalten werden


kann, und über den Rang dieser Forderung Dritten gegenüber“98 bis
17.6.2010 eine Berichtspflicht über einen allfälligen Änderungsbedarf99.
Mit der Verordnung (EG) Nr. 662 des Europäischen Parlaments und des
Rates vom 13.7.2009 zur Einführung eines Verfahrens für die Aushand-
lung und den Abschluss von Abkommen zwischen Mitgliedstaaten und
Drittstaaten über spezifische Fragen des auf vertragliche und außerver-
tragliche Schuldverhältnisse anzuwendenden Rechts ist der Rahmen abge-
steckt worden, in dem sich die Mitgliedstaaten bei Abkommen mit Dritt-
sstaaten auf dem gebiet des internationalen Schuldrechtsbewegen dürfen100.
Dass schuldrechtliche Verträge mit Auslandsberührung, die vor dem
17.12.2009 geschlossen wurden, noch nach dem EVÜ anzuknüpfen sind,
ergibt sich schließlich aus Art 28 Rom I-VO, der den Beginn der zeitlichen
Anwendbarkeit der Verordnung mit diesem Datum festlegt.

4. Die „Auffangtatbestände“ des IPRG: §§ 35 nF, 35a IPRG

15/27 Die Bestimmungen des 7. Abschnitts des IPRG sind, soweit sie sich auf das
internationale Schuldvertragsrecht bezogen, bereits mit der Übernahme
des EVÜ entweder wie § 35 geändert oder wie §§ 36 bis 45 aufgehoben
worden. Auch im Gefolge der Rom I-Verordnung ist ein Änderungsbedarf
aufgetreten, der sich nicht auf die Ersetzung der obsoleten Hinweise auf
das EVÜ durch solche auf die Verordnung in § 35 IPRG beschränkt.
Da jedoch die Rom I-Verordnung nichts zum Vertretungsstatut anord-
net101 und bestimmte, in Art 1 Abs 2 aufgezählte Schuldverhältnisse aus
ihrem Anwendungsbereich ausnimmt, mussten im IPRG „Auffangbestim-
mungen“ aufgenommen werden, die diese Lücken schließen, so dass dem
7. Abschnitt des Gesetzes über § 49 hinaus ein residualer Anwendungsbe-
reich verbleibt, den Art 1 des Bundesgesetzes, „mit dem das IPR-Gesetz,
das Versicherungsaufsichtsgesetz sowie das Verkehrsopferentschädigungs-
gesetz geändert und das Bundesgesetz über internationales Versicherungs-
vertragsrecht für den europäischen Wirtschaftsraum aufgehoben wer-
den“102, absteckt. So ist in § 35 IPRG eine Verweisungsordnung für die
vom Anwendungsbereich der Rom I-Verordnung ausgenommenen ver-
traglichen Schuldverhältnisse geschaffen worden. Diese sieht vor, dass von

98 Das kann sich aber wohl nur auf die kollisionsrechtlichen Aspekte der Frage beziehen.
99 Vgl Art 27 Abs 2 Rom I-VO.
100 ABlEU L 200 vom 31.7.2009, 25.
101 Da die Rom I-Verordnung keine Anknüpfungsregeln für die gewillkürte Stellvertre-
tung vorsieht, ist § 49 IPRG in Geltung geblieben; vgl Rz 14/5.
102 BGBl I 2009/109.

150
Anknüpfung von außervertraglichen Schuldverhältnissen § 15

der Verordnung nicht erfasste vertragliche Schuldverhältnisse weiterhin


primär nach dem von den Parteien ausdrücklich oder schlüssig gewählten
Recht beurteilt werden sollen103 und hält bei Unterbleiben der Wahl an
den im ursprünglichen Text des IPR-Gesetzes104 verankert gewesenen
Grundsatz fest, wonach an das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts der
Partei, welche die vertragscharakteristische Leistung erbringt, anzuknüp-
fen ist105. Die im IPRG ursprünglich nur für die außervertraglichen Scha-
denersatzansprüche vorgesehene Ausweichklausel, wurde für die Schuld-
verhältnisse, die nach § 35 nF IPRG anzuknüpfen sind, übernommen.
Da Art 7 Abs 3 Rom I-VO den Mitgliedstaaten in bestimmten Fällen die
Möglichkeit einräumte, den Parteien eines internationalen Versicherungs-
vertrages, der keine Großrisiken deckt, eine erweiterte Rechtswahl zu ge-
währen und Österreich davon Gebrauch machte, ist eine solche durch
§ 35a IPRG vorgesehen und mit einer den Versicherungsnehmer schützen-
den Regelung verknüpft worden. Demnach können die Parteien „jedes an-
dere Recht ausdrücklich oder schlüssig“ als anwendbar bestimmen, sofern
die Rechtswahl nicht dazu führt, dass dem Versicherungsnehmer der nach
dem bei objektiver Anknüpfung maßgebenden Recht unabdingbare Schutz
entzogen würde106.

D. Anknüpfung von außervertraglichen


Schuldverhältnissen

1. Die überkommene Regelung

Das IPRG regelte in seinen §§ 46 bis 48 das Bereicherungs- und Geschäfts- 15/28
führungsstatut, das Deliktsstatut und das Internationale Wettbewerbspri-
vatrecht in einigen wenigen kurzen Bestimmungen, die heute nur mehr
von rechtshistorischem Interesse sind, obwohl sie noch auf Ereignisse, die
unter die einschlägigen Verweisungsbegriffe fallen und sich vor dem Gel-
tungsbeginn der Rom II-Verordnung ereigneten, anzuwenden sind107. Der
10.1.2009 bildet somit das Ablaufdatum für die Verweisungsnormen des

103 Ob die Rechtswahl wirksam ist, beurteilt sich nach § 11 IPRG.


104 § 36 aF IPRG; vgl auch Art 4 Abs 2 EVÜ.
105 Mit § 35 Abs 2, Satz 2 IPRG, der klarstellt, dass bei Verträgen von Unternehmern an die
Stelle des gewöhnlichen Aufenthalts die Niederlassung tritt, in deren Rahmen der Ver-
trag geschlossen worden ist, wird eine Formulierung der Urfassung des IPRG wieder-
belebt.
106 Vgl Rz 15/16.
107 Vgl dazu Rz 15/28 ff der Vorauflage.

151
§ 15 Schuldverhältnisse

IPR-Gesetzes für außervertragliche Schuldverhältnisse, an deren Stelle mit


dem neu formulierten § 48 IPRG ein „Auffangtatbestand“ getreten ist. Für
Schadenersatzforderungen aus internationalen Straßenverkehrsunfällen
bestand jedoch bereits vor dem 1.1.1979 mit dem Haager Straßenverkehrs-
übereinkommen108 eine Sonderregelung, die wie die kollisionsrechtliche
Bestimmung des Atomhaftungsgesetzes 1999109 auch nach dem 10.1.2009
in Geltung steht110.
15/29 Gemäß § 35 Abs 2 aF IPRG stand den Parteien die Möglichkeit offen, das
auf ein gesetzliches Schuldverhältnis mit Auslandsberührung anzuwen-
dende Recht zu wählen. Sahen sie im Falle eine Schädigung von einer
Rechtswahl ab, war gemäß § 48 aF IPRG für außervertragliche Schadener-
satzansprüche das Recht des Staates, „in dem das den Schaden verursa-
chende Verhalten gesetzt worden ist“ und somit das Recht des Hand-
lungsortes maßgebend111. Eine „Auflockerung des Deliktsstatuts“ ergab
sich auf Grund des zweiten Satzes des ersten Absatzes des § 48 aF IPRG,
der die Relevanz einer für die Beteiligten stärkeren Beziehung zum Recht
ein und desselben anderen Staates für die Bestimmung des anzuwendenden
Rechts vorsah112.
§ 48 Abs 2 aF IPRG bestimmte, dass Schadenersatz- und andere An-
sprüche aus unlauterem Wettbewerb nach dem Recht des Staates zu be-
urteilen sind, auf dessen Markt sich der Wettbewerb auswirkt, dh, nach
dem Recht des Ortes der wettbewerblichen Interessenkollision113, wäh-

108 BGBl 1975/387. Das HStVÜ ist bereits am 3.6.1975 in Kraft getreten.
109 Dazu Rz 15/47. Art 1 Abs 2 lit f) Rom II-VO nimmt „außervertragliche Schuldverhält-
nisse, die sich aus Schäden durch Kernenergie ergeben“ aus dem Anwendungsbereich
der Verordnung aus.
110 Kollisionsrechtliche Bestimmungen, die gemäß Art 28 Abs 1 Rom II auch künftig be-
deutsam sein werden, finden sich im Übereinkommen über die obligatorische Haft-
pflichtversicherung für KfZ des Europarates (BGBl 1972/236).
111 Allenfalls auch das Recht des Unterlassungsorts; vgl auch §§ 13 Abs 2, 34 Abs 1 IPRG;
auch § 92a JN (Gerichtsstand der Schadenszufügung).
112 Kriterien dafür, wann dieses Recht an Stelle der lex loci delicti commissi anzuwenden sei,
hat § 48 aF IPRG nicht angeführt, so dass die jeweils stärkere Einbettung des Sachver-
haltes in das soziale und haftungsrechtstypische Umfeld der Beteiligten vom Richter
durch Abwägung relevanter Anknüpfungsfaktoren zu ermitteln war. Außervertragliche
Schadenersatzansprüche, die innerlich mit einem zwischen den Beteiligten bestehenden
Vertragsverhältnis – zB einem Arbeits- oder Beförderungsvertrag – zusammenhängen,
wurden „akzessorisch“ dem Vertragsstatut unterstellt: vgl OGH IPRax 1988, 33
(Moschner, 40); ferner OGH ZfRV 1990, 229 (Reichelt) = IPRax 1989, 394 (Schwind,
401); EvBl 1993/198. Ein „gemeinsames Personalstatut“ von Schadensverursacher und
Schadensopfer allein rechtfertigte eine „Auflockerung“ nicht, vgl OGH SZ 54/133.
113 Hier lag ein „Wirkungsstatut“ alter Prägung vor; vgl OGH ÖBl 1989, 74; auch OGH
IPRax 1991, 412 (Sack, 386). Ein typischer, vom OGH entschiedener Sachverhalt betraf
die Werbung deutscher Unternehmen für Autobusreisen nach Deutschland zu Werbe-

152
Anknüpfung von außervertraglichen Schuldverhältnissen § 15

rend zur Zulässigkeit der Rechtswahl keine Aussage getroffen wurde114.


Dem „Auswirkungsprinzip“ folgt auch das Kartellgesetz 2005, das gemäß
seinem § 24 Abs 2 „nur anzuwenden [ist], soweit sich ein Sachverhalt auf
den inländischen Markt auswirkt, unabhängig davon, ob er im Inland oder
Ausland verwirklicht worden ist“115.
Weder das IPR-Gesetz, noch auch die einschlägigen materiell-rechtlichen 15/30
Gesetze (AnfO, KO) sehen kollisionsrechtliche Bestimmungen für die
Gläubigeranfechtung vor. Auch die Rom II-Verordnung trifft hierzu
keine Regelung. Da der Gläubigeranfechtung weder eine ungerechtfertigte
Bereicherung noch eine Schadenszufügung zugrunde liegt, ist sie nach der
Generalklausel des § 1 Abs 1 IPRG anzuknüpfen, wobei die stärkste Bezie-
hung zum Recht des Belegenheitsortes der dem Schuldner entzogenen Ver-
mögenswerte angenommen wird116. In diesem verfahrenskonnexen Be-
reich darf die „Verweisungsfreundlichkeit“ jedoch nicht übertrieben
werden, weshalb die Gläubigeranfechtung im Konkurs an die lex fori anzu-
knüpfen ist117.

2. Die Rom II-Verordnung118

a) Anwendungsbereich der Rom II-Verordnung

Die „Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und 15/31
des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhält-

veranstaltungen: OGH SZ 57/169. Auch den wettbewerbsrechtlichen Firmenschutz


nach § 9 Abs 1 UWG, BGBl 1984/448 idF BGBl I 1999/111, knüpfte der OGH nach
§ 48 Abs 2 IPRG an: OGH SZ 56/107. Wenn sich der Wettbewerb auf mehreren Märk-
ten auswirkt, wurden bisher die einzelnen Wettbewerbshandlungen getrennt ange-
knüpft: OGH ÖBl 1986, 73.
114 Obwohl der Gesetzgeber die Rechtswahl nicht ausdrücklich untersagt hatte, sprachen
schon bisher der gewandelte Schutzzweck des Wettbewerbsrechtes und der daraus re-
sultierende Sonderanknüpfungscharakter der einschlägigen Normen gegen die Zulas-
sung der Parteiautonomie im Wettbewerbskollisionsrecht; vgl OGH ÖBl 1986, 73.
Art 6 Abs 4 Rom II-VO lässt die Rechtswahl expressis verbis nicht zu.
115 BGBl I 2005/61. Dies entspricht dem europäischen Kartellrecht (Art 101 AEUV).
116 OGH JBl 1985, 299 = ZfRV 1986, 290; dazu Verschraegen, Die internationale Gläubi-
geranfechtung außerhalb des Konkurses, ZfRV 1986, 272; OGH IPRax 1986, 244
(Schwind, 249).
117 In diesem Sinne OGH RdW 1990, 158. Das folgt heute auch aus Art 4 Insolvenz-VO
(Rz 1/7).
118 Aus dem Schrifttum mit Österreichbezug vgl insb Beig/Graf-Schimek/Grubinger/
Schacherreiter, Rom II-VO, Neues Kollisionsrecht für außervertragliche Schuldver-
hältnisse (2008); Heiss/Loacker, Die Vergemeinschaftung des Kollisionsrechts der au-
ßervertraglichen Schuldverhältnisse durch Rom II, JBl 2007, 613; Ofner, Die Rom II-
Verordnung – Neues Internationales Privatrecht für außervertragliche Schuldverhält-

153
§ 15 Schuldverhältnisse

nisse anzuwendende Recht (‚Rom II‘)“119 regelt die Frage, welches na-
tionale Recht auf „außervertragliche Schuldverhältnisse in Zivil- und
Handelssachen, die eine Verbindung zum Recht verschiedener Staaten
aufweisen“120, anzuwenden ist. Da von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat un-
terschiedliche Auffassungen darüber bestehen, was unter „außervertragli-
chen Schuldverhältnissen“ zu verstehen ist, muss dieser Begriff autonom
verstanden und ausgelegt werden121. Grundsätzlich fallen unter den Be-
griff, der die Verordnung thematisch umschreibt, alle Arten von unerlaub-
ten Handlungen122, die ungerechtfertigte Bereicherung123, Geschäftsfüh-
rung ohne Auftrag124 und das Verschulden bei Vertragsverhandlungen125.
Art 1 Abs 1 Rom II-VO stellt zunächst klar, dass die Verordnung weder
für Steuer- und Zollsachen sowie „verwaltungsrechtliche Angelegenhei-
ten“, noch auch für „die Haftung des Staates für Handlungen oder Unter-
lassungen im Rahmen der Ausübung hoheitlicher Rechte (acta iure impe-
rii)“ gilt126. Danach zählt Art 1 Abs 2 Rom II-VO eine Anzahl von
außervertraglichen Schuldverhältnissen auf, die vom Anwendungsbereich
der Verordnung ausgenommen sind. Dazu zählen außervertragliche
Schuldverhältnisse, die sich aus einem Familienverhältnis, aus ehelichen
Güterständen, aus Testamenten und Erbrecht, aus Wechseln, Schecks und
anderen handelbaren Wertpapieren oder aus dem Gesellschaftsrecht, dem
Vereinsrecht und dem Recht der juristischen Personen ergeben oder sich
im Zusammenhang mit „Trusts“ einstellen. Auch außervertragliche
Schuldverhältnisse, die sich aus Schäden durch Kernenergie ergeben, sind
vom Anwendungsbereich der Verordnung ausgenommen und das gilt
auch für außervertragliche Schuldverhältnisse aus der Verletzung der Pri-
vatsphäre oder der Persönlichkeitsrechte, einschließlich der Verleumdung.

nisse in der Europäischen Union, ZfRV 2008, 13; Rudolf, Europäisches Kollisionsrecht
für außervertragliche Schuldverhältnisse – Rom II-VO, ÖJZ 2010/36, 300.
119 ABlEU L 199 vom 31.7.2007, 40.
120 So die an Art 1 EuGVVO angelehnte Formulierung des Art 1 Rom II-VO.
121 Vgl Präambel, Erwägungsgrund 11.
122 Art 4 bis 9 Rom II-VO. Mit dem Begriff „unerlaubte Handlungen“ wird deutschrecht-
liche Terminologie in die österreichische Rechtssprache, in der bisher „deliktische Scha-
denszufügungen“ oder (wie bei § 48 IPRG) „außervertragliche Schadenersatzansprü-
che“ den Vorzug hatten, eingeführt.
123 Art 10 Rom II-VO.
124 Art 11 Rom II-VO.
125 Art 12 Rom II-VO.
126 Der OGH würde heute in einem Amtshaftungsfall wie dem, der der Entscheidung
SZ 55/17 (tödlicher Fehlschuss des österr Botschafters bei einer Diplomatenjagd in Ju-
goslawien) zugrunde lag, die Frage, ob jemand als ein Organ eines Rechtsträgers tätig
geworden ist und damit die Amtshaftung ausgelöst hat, wohl dem Bereich der Ein-
griffsnormen zuordnen und nach österreichischem Recht beurteilen.

154
Anknüpfung von außervertraglichen Schuldverhältnissen § 15

Eine gewöhnungsbedürftige, der überkommenen sachrechtlichen Ter-


minologie nicht angepasste Begriffsklärung beinhaltet Art 2 Abs 1 Rom II-
VO, demzufolge „der Begriff des Schadens sämtliche Folgen einer uner-
laubten Handlung, einer ungerechtfertigten Bereicherung, einer Geschäfts-
führung ohne Auftrag (‚Negotiorum gestio‘) oder eines Verschuldens bei
Vertragsverhandlungen (‚Culpa in contrahendo‘)“ umfasst. Nicht über-
rascht hingegen Art 3, der die universelle Anwendung der Verordnung als
loi uniforme festschreibt. Die §§ 46 bis 48 IPRG sind durch BGBl I 2009/
109 mit Wirkung ab 11.1.2009 formell aufgehoben worden, doch hat der
österreichische Gesetzgeber für die von der Verordnung offen gelassenen
Lücken127 Auffangtatbestände vorgesehen.

b) „Unerlaubte Handlungen“

Für das Deliktstatut von zentraler Bedeutung ist Art 4 Abs 1 Rom II-VO, 15/32
der die „Allgemeine Kollisionsnorm“ festschreibt. Nach dieser objektiven
Regelanknüpfung ist „auf ein außervertragliches Schuldverhältnis aus un-
erlaubter Handlung“128 „das Recht des Staates anzuwenden, in dem der
Schaden eintritt, unabhängig davon, in welchem Staat das schadensbe-
gründende Ereignis oder indirekte Schadensfolgen eingetreten sind“. Zu
dieser Regelanknüpfung findet sich jedoch in Abs 2 die spezifische Aus-
nahme, dass das zum Zeitpunkt des Schadenseintritts gegebene gemein-
same Aufenthaltsrecht von Schädiger und Opfer an Stelle des Rechts des
Ortes des Schadenseintritt anwendbar ist, und in Abs 3 die allgemeine
„Ausweichklausel“, wonach eine sich „aus der Gesamtheit der Umstände“
ergebende „offensichtlich engere Verbindung mit einem anderen als dem in
den Absätzen 1 oder 2 bezeichneten Staat“ bewirkt, dass „das Recht dieses
anderen Staates anzuwenden“ ist129. Während die lex loci delicti commissi
heute in der Substanz vom locus damni bestimmt wird, hat sich wenig an
ihrer aus dem autonomen Recht bekannten Auflockerung geändert.
Gemäß dem in Art 4 Abs 1 Rom II-VO verankerten „Erfolgsortprin-
zip“ ist ein internationaler deliktischer Schädigungssachverhalt nicht wie
bisher an das Recht des Staates, in dem das schadenskausale Verhalten ge-

127 Ein Problem bilden vor allem die nicht von der Rom II-VO erfassten Schadenersatzan-
sprüche wegen Persönlichkeitsverletzung.
128 Unter diesen, aus der deutschen Rechtsterminologie stammenden Begriff ist auch das
außervertragliche Schuldverhältnis aus Gefährdungshaftung zu subsumieren.
129 Die Rom II-VO führt in Art 4 Abs 3 in tautologischer Formulierung exemplarisch an,
dass sich „eine offensichtlich engere Verbindung [. . .] insbesondere aus einem bereits
bestehenden Rechtsverhältnis zwischen den Parteien – wie einem Vertrag – ergeben
[könnte], das mit der betreffenden unerlaubten Handlung in enger Verbindung steht“.

155
§ 15 Schuldverhältnisse

setzt wurde, anzuknüpfen („Handlungsortprinzip“), sondern an das Recht


des Staates, in dem der Schaden eingetreten ist (lex loci damni), und zwar
unabhängig von dem Staat oder den Staaten, in welchem bzw welchen indi-
rekte Schadensfolgen auftreten könnten.
15/33 In Art 5 bis 9 sind für die Produkthaftung, den unlauteren Wettbewerb und
ein den freien Wettbewerb einschränkendes Verhalten, die Umweltschädi-
gung, die Verletzung von Rechten des geistigen Eigentums sowie für Ar-
beitskampfmaßnahmen Sonderanknüpfungen vorgesehen.
Art 5 Rom II-VO beinhaltet die Kollisionsnorm für die Produkthaf-
tung130, die in Form einer Anknüpfungsleiter ausgestaltet ist und „für eine
gerechte Verteilung der Risiken einer modernen, hoch technisierten Gesell-
schaft sorgen, die Gesundheit der Verbraucher schützen, Innovationsan-
reize geben, einen unverfälschten Wettbewerb gewährleisten und den Han-
del erleichtern“ soll131. Als möglicherweise maßgebend zu berücksichtigen
sind nach dieser Norm das Recht des Aufenthaltsstaates des Geschädigten
bei Schadenseintritt, sofern das Produkt in diesem Staat in den Verkehr ge-
bracht wurde, das Recht des Staates, in dem das Produkt erworben wurde,
falls das Produkt in diesem Staat in Verkehr gebracht wurde, oder das
Recht des Staates, in dem der Schaden eingetreten ist, falls das Produkt in
diesem Staat in Verkehr gebracht wurde. Allerdings ist das Recht des Auf-
enthaltsstaates des in Anspruch genommenen Produzenten anzuwenden,
wenn dieser das Inverkehrbringen des Produkts oder eines gleichartigen
Produkts in dem Staat, dessen Recht nach einer der drei Grundregeln anzu-
wenden wäre, vernünftigerweise nicht voraussehen konnte132.
15/34 Für unlauteren Wettbewerb und Wettbewerbsbeschränkungen trifft
Art 6 eine Regelung, die als Präzisierung der allgemeinen Regel des Art 4
Abs 1 Rom II-VO zu begreifen ist133. Durch unlauteren Wettbewerb be-
gründete außervertragliche Schuldverhältnisse werden an das Recht des

130 Dazu näher Rudolf, Internationales Produkthaftungsrecht nach der Rom II-Verord-
nung, wbl 2009, 525. Krit Junker, Der Reformbedarf im Internationalen Deliktsrecht
der Rom II-Verordnung drei Jahre nach ihrer Verabschiedung, IPRax 2010, 265 f, der
eine „Schlagseite zugunsten der Geschädigten“ und eine Regelungslücke moniert, die
er in der fehlenden Synchronisierung von Grundanknüpfungen in § 5 Abs 1 Satz 1
Rom II-VO mit der Ausnahmeklausel des Satzes 2 sieht.
131 Präambel, Erwägungsgrund 20.
132 Da Finnland, Frankreich, Luxemburg, die Niederlande, Slowenien und Spanien Ratifi-
kationsstaaten der Hague Convention of 2.10.1973 on the Law Applicable to Products
Liability sind und diesem Übereinkommen auch fünf Nicht-Mitgliedstaaten der EU
angehören, ist Art 28 Abs 1 Rom I-VO zu beachten: Gerichte aus den sechs angeführten
Mitgliedstaaten werden auch nach dem 11.1.2009 das auf internationale Produkthaf-
tungsfälle anzuwendende Recht nach dem Haager Übereinkommen bestimmen.
133 Präambel, Erwägungsgrund 21.

156
Anknüpfung von außervertraglichen Schuldverhältnissen § 15

Staates angeknüpft, in dessen Gebiet die Wettbewerbsbeziehungen oder


die kollektiven Interessen der Verbraucher beeinträchtigt worden sind
oder beeinträchtigt zu werden drohen. Die neue Regelung weicht somit
von jener des aufgehobenen § 48 Abs 2 IPRG nicht wesentlich ab.
Auf außervertragliche Schuldverhältnisse, die aus einem wettbewerbs-
beschränkenden Verhalten resultieren, ist gemäß Art 6 Abs 3 Rom II-VO
das Recht des Staates anzuwenden, in dem sich die Beschränkung auswirkt
oder auszuwirken droht. Wenn Auswirkungen sich in mehr als einem Staat
zeigen oder drohen, kann der Geschädigte seinen Anspruch auf das Recht
des Mitgliedstaats des angerufenen Gerichts stützen, vorausgesetzt, dass
der Markt in diesem Mitgliedstaat zu den durch das schadenskausale wett-
bewerbsbeschränkende Verhalten unmittelbar und wesentlich beeinträch-
tigten Märkten zählt. Von Art 6 Abs 3 Rom II-VO sind Verstöße gegen na-
tionales und europäisches Wettbewerbsrecht im weiteren Sinn erfasst134.
In den stürmischen Zeiten des Klimawandels verdient Art 7 Rom II-VO
Beachtung, der die Anknüpfung von Umweltschädigungen regelt. Dieser
Begriff ist autonom auszulegen und zwar im Sinne der Definition des
„Umweltschadens“ in Art 2 Z 1 der „Richtlinie 2004/35/EG des Europä-
ischen Parlaments und des Rates vom 21.4.2004 über Umwelthaftung zur
Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden“135. Primär anzuwenden
ist das Recht des Erfolgsortes, doch wird unter Bedachtnahme auf den
Grundsatz der Begünstigung des Geschädigten, diesem die Wahl zwischen
dem Recht des Erfolgsortes und jenem des Verursachungsortes einge-
räumt. Hier hat also im Ergebnis das „Ubiquitätsprinzip“, das insbeson-
dere die Entwicklung des Deliktstatuts im deutschen Recht bestimmte,
Niederschlag gefunden.
Art 8 Rom II-VO, der die Anknüpfung von Schuldverhältnissen zum
Gegenstand hat, die aus der Verletzung von Rechten des geistigen Eigen-

134 Nach der Präambel, Erwägungsgrund 23, „sollte der Begriff der Einschränkung des
Wettbewerbs Verbote von Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüssen von
Unternehmensvereinigungen und abgestimmten Verhaltensweisen, die eine Verhinde-
rung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs in einem Mitgliedstaat oder
innerhalb des Binnenmarktes bezwecken oder bewirken, sowie das Verbot der miss-
bräuchlichen Ausnutzung einer beherrschenden Stellung in einem Mitgliedstaat oder
innerhalb des Binnenmarktes erfassen, sofern solche Vereinbarungen, Beschlüsse, abge-
stimmte Verhaltensweisen oder Missbräuche nach den Artikeln 81 und 82 des Vertrags
oder dem Recht eines Mitgliedstaats verboten sind.“
135 ABlEU L 143 vom 30.4.2004, 56; von Österreich umgesetzt durch das Bundes-Um-
welthaftungsgesetz (B-UHG), BGBl I 2009/55 und korrespondierende Landesgesetze
(zB für Wien, LGBl 2009/38; Steiermark, LGBl 2010/10; Oberösterreich, LGBl 2009/
95). Vgl auch die Präambel der Rom II-VO, Erwägungsgrund 24.

157
§ 15 Schuldverhältnisse

tums136 resultieren, wahrt den Grundsatz der Maßgeblichkeit der lex loci
protectionis, indem er grundsätzlich das Recht des Staates als anwendbar
bestimmt, für den der Schutz beansprucht wird. Werden gemeinschaftsweit
vereinheitlichte Rechte des geistigen Eigentums verletzt, ist primär der ent-
sprechende Rechtsakt137 anzuwenden, allerdings richten sich Fragen, die
nicht unter den einschlägigen Rechtsakt der Gemeinschaft fallen, nach
dem Recht des Staates, in dem die Verletzung begangen wurde. Der Partei-
autonomie ist hier kein Raum gegeben.138.
Die Anknüpfung von Schadenersatzforderungen aus „Arbeitskampf-
maßnahmen“ wie Streik und Aussperrung regelt Art 9 Rom II-VO, der –
abweichend vom Erfolgsortprinzip – grundsätzlich auf das Recht des Staa-
tes abstellt, in dem die Arbeitskampfmaßnahmen ergriffen wurden. Haben
die Streitparteien einen gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt in einem
anderen Staat, ist jedoch aufgrund der Verweisung auf Art 4 Abs 2 Rom II-
VO das Recht des gemeinsamen Aufenthaltsstaates anzuwenden.

c) Ungerechtfertigte Bereicherung, Geschäftsführung ohne Auftrag


und Verschulden bei Vertragsverhandlungen

15/35 Für die ungerechtfertigte Bereicherung und zwar sowohl für Leistungs-
kondiktionen wie auch für den Verwendungsanspruch sieht Art 10 Rom
II-VO in Abs 1 bis 3 eine dreistufige Anknüpfungsleiter vor. Demnach ist
zunächst das Recht anzuwenden, dem ein zwischen den Parteien bestehen-
des Rechtsverhältnis unterliegt139, das eine enge Verbindung mit dieser un-
gerechtfertigten Bereicherung aufweist. Wenn danach das anzuwendende
Recht nicht bestimmt werden kann140, ist das Recht des Staates anzuwen-
den, in dem die Parteien „zum Zeitpunkt des Eintritts des Ereignisses, das
die ungerechtfertigte Bereicherung zur Folge hat“, ihren gemeinsamen ge-
wöhnlichen Aufenthalt haben. Wenn aber weder die akzessorische An-
knüpfung an das Recht, dem ein mit der Bereicherung eng verbundenes
Rechtsverhältnis zwischen den Parteien unterliegt, noch eine Anknüpfung
an ein gemeinsames Aufenthaltsrecht möglich ist, ist das Recht des Staates

136 Der Begriff „Rechte des geistigen Eigentums“ erfasst beispielsweise Urheberrechte,
verwandte Schutzrechte, das Schutzrecht sui generis für Datenbanken und gewerbliche
Schutzrechte.
137 Etwa das Recht an der Gemeinschaftsmarke nach der einschlägigen Verordnung (EG)
Nr. 1653/2003 des Rates vom 18.6.2003 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 40/94
über die Gemeinschaftsmarke, ABlEU L 245 vom 29.9.2003, 36.
138 Art 8 Abs 3 Rom II-VO.
139 Sei es ein vertragliches Rechtsverhältnis, sei es eines aus einer unerlaubten Handlung.
Diese Regel wird vor allem für Leistungskondiktionen relevant sein.
140 Wie in den Fällen eines Verwendungsanspruchs.

158
Anknüpfung von außervertraglichen Schuldverhältnissen § 15

anzuwenden, in dem die ungerechtfertigte Bereicherung eingetreten ist.


Auch hier wird eine Ausweichklausel vorgesehen, der zufolge dann, wenn
alle Umstände auf eine offensichtlich engere Verbindung mit einem ande-
ren als dem in Art 10 Abs 1 bis 3 bezeichneten Staat hinweisen, das Recht
dieses anderen Staates anzuwenden ist. Eine wohl nur nachträgliche
Rechtswahl gemäß Art 14 Rom II-VO ist möglich.
Eine ähnlich strukturierte Anknüpfungsleiter sieht Art 11 Rom II-VO vor, 15/36
der die Geschäftsführung ohne Auftrag zunächst akzessorisch an das
Recht anknüpft, dem ein zwischen den Parteien bestehendes Rechtsver-
hältnis, das eine enge Verbindung mit dieser Geschäftsführung ohne Auf-
trag aufweist, unterliegt. Wenn das anzuwendende Recht danach nicht be-
stimmt werden kann und die Parteien „zum Zeitpunkt des Eintritts des
schadensbegründenden Ereignisses“ einen gemeinsamen gewöhnlichen
Aufenthalt in einem Staat haben, ist das Recht dieses Staates anzuwenden
und nur wenn keine dieser beiden Konstellationen zutrifft, kommt das
Recht des Staates, in dem die Geschäftsführung erfolgt ist, zur Anwen-
dung. Auch für die objektive Anknüpfung der Geschäftsführung ohne
Auftrag wurde für den Fall einer engeren Verbindung zu einem anderen
Staat eine Auflockerung141 vorgesehen. Die Rechtswahl durch die Parteien
ist möglich.
Mit der Entscheidung, in Art 12 eine Verweisungsnorm für das Verschul- 15/37
den bei Vertragsverhandlungen in die Rom II-Verordnung aufzuneh-
men, haben die europäischen Rechtsetzungsorgane sich für die Qualifika-
tion dieser Rechtsfigur als ein außervertragliches Schuldverhältnis
entschieden. „Verschulden bei Vertragsverhandlungen“ ist als ein autono-
mer Begriff zu verstehen und sollte nicht im Sinne eines nationalen Rechts
ausgelegt werden. Erfasst werden nur Schuldverhältnisse, die in unmittel-
barem Zusammenhang mit den Verhandlungen vor Abschluss eines Ver-
trags stehen. Diese unterliegen bei Ausbleiben der Rechtswahl gemäß
Art 12 Abs 1 Rom II-VO grundsätzlich dem Statut des tatsächlich ge-
schlossenen Vertrags, oder dem hypothetischen Statut des intendierten
Vertrags. Nur wenn sich das anzuwendende Recht nicht nach Abs 1 be-
stimmen lässt – was nur selten und bei Nichtzustandekommen des Vertrags
denkbar ist – kommen Hilfsanknüpfungen an das Recht des Schadensein-
trittsortes, des gemeinsamen Aufenthalts der Parteien oder allenfalls an das
Recht eines anderen Staates, zu dem nach den Umständen eine engere Be-
ziehung besteht, in Frage.

141 Art 11 Abs 4 Rom II-VO.

159
§ 15 Schuldverhältnisse

d) Freie Rechtswahl

15/38 Dem Grundsatz der Parteiautonomie trägt Art 14 Rom II-VO über die
freie Rechtswahl Rechnung. Die Rechtswahl muss ausdrücklich erfolgen
oder sich mit hinreichender Sicherheit aus den Umständen des Falles erge-
ben. Art 14 Abs 1 lit a) berücksichtigt, dass eine Rechtswahl hier regelmä-
ßig nur nachträglich möglich ist, doch sieht lit b) ausdrücklich die Möglich-
keit einer Rechtswahl durch eine „vor Eintritt des schadensbegründenden
Ereignisses frei ausgehandelte Vereinbarung“ unter der Voraussetzung vor,
dass „alle Parteien einer kommerziellen Tätigkeit nachgehen“.
Bei der Prüfung, ob eine solche Rechtswahl vorliegt, hat das Gericht den
Willen der Parteien zu achten. Die Möglichkeit der Rechtswahl wird zum
Schutz der schwächeren Partei in zweifacher Weise eingeschränkt: Einer-
seits berührt die Wahl eines anderen Rechts nicht die Anwendung der
zwingenden Bestimmungen des Rechts des Staates, in dem alle Elemente
des Sachverhalts zum Zeitpunkt des Eintritts des schadensbegründenden
Ereignisses belegen sind142. Andererseits berührt die Wahl des Rechts eines
Drittstaates durch die Parteien nicht die Anwendung der zwingenden Be-
stimmungen des EU-Rechts bzw der nationalen Gesetze, die Richtlinien
umsetzen143, sofern alle Elemente des Sachverhalts zum relevanten Zeit-
punkt in einem oder mehreren Mitgliedstaaten belegen sind144.

e) Gemeinsame Vorschriften

15/39 Im fünften Kapitel der Rom II-Verordnung finden sich „Gemeinsame


Vorschriften“, die folgende Themen betreffen: Geltungsbereich des anzu-
wendenden Rechts, Eingriffsnormen145, Sicherheits- und Verhaltensregeln
(local data)146, Direktklage gegen den Versicherer des Haftenden147, gesetz-
licher Forderungsübergang, mehrfache Haftung, Form und Beweis.
Gemäß Art 15 Rom II-VO, der den Geltungsbereich des anzuwenden-
den Rechts festschreibt, ist das nach der Rom II-Verordnung auf außer-

142 Art 14 Abs 2 Rom II-VO.


143 Zu denken ist hier insb an die relativ zwingenden Bestimmungen in den Gesetzen der
Mitgliedstaaten, die Richtlinien mit verbraucherschützendem Inhalt umsetzen.
144 Art 14 Abs 3 Rom II-VO.
145 Der einschlägige Art 18 Rom II-VO ist nicht mit Art 9 Rom I-VO identisch und be-
schränkt sich auf die Klarstellung, dass die Eingriffsnormen der lex fori durch die Ver-
ordnung nicht berührt werden.
146 Sie richten sich nach dem Recht, das am Ort und zur Zeit des haftungsbegründenden
Ereignisses in Geltung steht; vgl zur analogen Vorschrift des Art 7 HStVÜ, Rz 15/40.
147 Zur (vorläufig) eingeschränkten Bedeutung des Art 18 Rom II-VO für die Direktklage
gegen den KFZ-Haftpflichtversicherer, vgl Rz 15/43.

160
Anknüpfung von außervertraglichen Schuldverhältnissen § 15

vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht insbesondere maßge-


bend für den Grund und den Umfang der Haftung einschließlich der Be-
stimmung der haftpflichtigen Personen; die Gründe für Ausschluss, Be-
schränkung oder Teilung der Haftung; die Schadensbemessung und die
Art der Wiedergutmachung; die Maßnahmen, die gerichtlich zur Vorbeu-
gung, Beendigung oder zum Ersatz des Schadens angeordnet werden kön-
nen; die Übertragbarkeit und Vererblichkeit des Anspruchs auf Schadener-
satz oder Wiedergutmachung; die Personen, die Anspruch auf Ersatz eines
persönlich erlittenen Schadens haben; die Haftung für die von einem ande-
ren begangenen Handlungen; die Bedingungen für das Erlöschen von Ver-
pflichtungen insbesondere durch Verjährung.
Nach dem lapidaren Art 21 Rom II-VO ist eine Alternativanknüpfung
hinsichtlich der Formgültigkeit einer einseitigen Rechtshandlung, die ein
außervertragliches Schuldverhältnis betrifft, vorgesehen: Entweder ist das
für das betreffende außervertragliche Schuldverhältnis maßgebliche Recht
oder das Recht des Staates, in dem die Rechtshandlung vorgenommen
wurde, auf die Frage der Formgültigkeit anzuwenden.
Für die Anknüpfung einer Legalzession wie sie etwa § 67 VersVG nor-
miert, ergibt sich aus Art 19 Rom II-VO, dass das für die Verpflichtung des
zahlenden Dritten gegenüber dem Gläubiger maßgebende Recht bestimmt,
„ob und in welchem Umfang der Dritte die Forderung des Gläubigers
gegen den Schuldner nach dem für deren Beziehungen maßgebenden Recht
geltend zu machen berechtigt ist“. Art 19 Rom II-VO stimmt weitgehend
wörtlich mit Art 15 Rom I-VO überein, was auch für die Bestimmungen
über die mehrfache Haftung in Art 20 Rom II-VO und Art 16 Rom I-
VO148 sowie für Art 22 Rom II-VO und Art 18 Rom I-VO über den Be-
weis149 gilt.

f) Weitere kollisionsrechtliche Hilfsnormen in der


Rom II-Verordnung

In einem weiteren Kapitel VI finden sich in Art 23 bis 28 „sonstige Vor- 15/40
schriften“, die nur in sprachlicher Hinsicht weitgehend im Einklang mit
Art 19 ff Rom I-VO, nicht jedoch in derselben Reihenfolge, den Begriff
des „gewöhnlichen Aufenthalts“ näher umschreiben150, den Ausschluss
der Rück- und Weiterverweisung vorsehen151, auf die Verweisung auf Staa-

148 Vgl Rz 15/20.


149 Vgl Rz 15/23.
150 Art 23 Rom II-VO.
151 Art 24 Rom II-VO.

161
§ 15 Schuldverhältnisse

ten ohne einheitliche Rechtsordnung und auf den ordre public Bezug neh-
men152, sowie das Verhältnis zu anderen Gemeinschaftsakten und beste-
henden internationalen Übereinkommen abklären153. Für diese Bestim-
mungen gelten die Ausführungen zu den analogen Artikeln in der Rom I-
Verordnung. Die legislative Aufspaltung des Internationalen Schuldrechts
in zwei Verordnungen ist dem aus der Sicht der Normadressaten legitimen
Anliegen nach Transparenz des Rechts wenig förderlich.
Nachdem schon Art 15 EVÜ die Sachnormverweisung als Regelverwei-
sung im internationalen Schuldvertragsrecht anerkannt hatte, ist mit Art 24
Rom II-VO das Ende des Renvoi im Internationalen Schuldrecht gekom-
men. Für den Bereich der außervertraglichen Schuldverhältnisse kommt
der Vorbehaltsklausel des Art 26 Rom II-VO insbesondere bei allfälliger
Verhängung von exzessiven punitive damages Bedeutung zu.
Um die internationalen Verpflichtungen, die die Mitgliedstaaten einge-
gangen sind, wie zB die Ratifikation des Haager Straßenverkehrsüberein-
kommen durch Österreich zu respektieren, wirkt sich die Verordnung
grundsätzlich nicht auf internationale Übereinkommen aus, denen ein
oder mehrere Mitgliedstaaten am 11.7.2007154 angehörten. Gleichwohl hat
die Verordnung jedoch „in den Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten
Vorrang vor den ausschließlich zwischen zwei oder mehreren Mitgliedstaa-
ten geschlossenen Übereinkommen, soweit diese Bereiche betreffen, die in
dieser Verordnung geregelt sind“155. Durch Art 29 Rom II-VO wurden die
Mitgliedstaaten verpflichtet, der Kommission bis zum 11.7.2008 die von
Art 28 angesprochenen internationalen Übereinkommen mitzuteilen, so
dass die Kommission in die Lage versetzt wird, ein Verzeichnis der betref-
fenden Übereinkommen im Amtsblatt der Europäischen Union zu veröf-
fentlichen, um den Zugang zu den Rechtsakten zu erleichtern156.
Gemäß Art 30 Abs 1 Rom II-VO ist bis 20.8.2011 von der Kommission
ein Bericht zu erstatten, der gegebenenfalls Vorschläge zur Anpassung der
Verordnung enthalten soll und gemäß Abs 2 dieser Überprüfungsklausel,
wäre von der Kommission bis 31.12.2008 „eine Untersuchung zum Be-

152 Art 25 und 26 Rom II-VO.


153 Art 27 und 28 Rom II-VO.
154 Das ist der Zeitpunkt der Annahme der Rom II-VO.
155 Das bestimmt Art 28 Rom II-VO:
156 Der Sicherung der durch die beiden Rom-Verordnungen erzielten Rechtseinheit dient
die Verordnung (EG) Nr. 662 des Europäischen Parlaments und des Rates vom
13.7.2009 zur Einführung eines Verfahrens für die Aushandlung und den Abschluss
von Abkommen zwischen Mitgliedstaaten und Drittstaaten über spezifische Fragen
des auf vertragliche und außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendenden Rechts,
ABlEU L 200 vom 31.7.2009, 25.

162
Anknüpfung von außervertraglichen Schuldverhältnissen § 15

reich des aus der Verletzung der Privatsphäre oder der Persönlichkeits-
rechte anzuwendenden Rechts“ vorzulegen gewesen157.

3. Der „Auffangtatbestand“ des IPRG: § 48 nF IPRG

Die Rom II-Verordnung erfasst nicht alle Tatbestände außervertraglicher 15/41


Schuldverhältnisse. So sind gemäß Art 1 Abs 2 lit f) und g) Rom II-VO die
Atomhaftung und außervertragliche Schuldverhältnisse aus der Verletzung
der Privatsphäre oder der Persönlichkeitsrechte vom Anwendungsbereich
der Verordnung ausgenommen158. Zwar sieht § 23 AtomHG für die Atom-
haftung eine Option des Geschädigten zugunsten des österreichischen
Rechts vor159, doch hat bei Unterbleiben der Option die Anknüpfung
nach der allgemein für außervertragliche Schuldverhältnisse geltenden Ver-
weisungsnorm160 zu erfolgen. Der neu formulierte § 48 IPRG ist als „Auf-
fangtatbestand“ für die von der Rom II-Verordnung nicht erfassten Fälle,
nicht nur für Persönlichkeitsrechtsverletzungen von Bedeutung.
Grundsätzlich erkennt § 48 nF IPRG die Parteiautonomie an, da sich
Schädiger und Opfer auf ein anzuwendendes Recht ausdrücklich oder
schlüssig einigen können. Hinsichtlich der objektiven Anknüpfung ist es
aber aus Gründen der „Rechtskontinuität“ beim bisherigen Handlungsort-
prinzip geblieben. Im Zusammenhalt mit § 5 IPRG ergibt sich zudem, dass
die Verweisung auf das Recht des Ortes, an dem das schädigende Verhalten
gesetzt wurde, als „Gesamtverweisung“ ausgeformt ist. Das Beharren auf
die seinerzeit vom IPR-Gesetz bezogenen Positionen wird hinsichtlich der
Persönlichkeitsrechtsverletzungen damit erklärt, dass „mittelfristig auch
für diesen Bereich eine gemeinschaftsrechtliche Regelung zu erwarten“
sei161, da Art 30 Abs 2 Rom II-VO ja eine Überprüfungsklausel vorsehe162.

157 Die Vorlage der Untersuchung erfolgte mit geringer Verspätung im Februar 2010, als
die einlässliche Comparative study on the situation in the 27 Member States as regards
the law applicable to non-contractual obligations arising out of violations of privacy and
rights relating to personality JLS/2007/C4/028, vorgelegt wurde; abrufbar unter: http://
ec.europa.eu/justice_home/doc_centre/civil/studies/doc/study_privacy_en.pdf
158 Zu Recht kritisch dazu Wagner, Die neue Rom II-Verordnung, IPRax 2008, 1, insb 10.
Für Junker, Der Reformbedarf im Internationalen Deliktsrecht der Rom II-Verord-
nung drei Jahre nach ihrer Verabschiedung, IPRax 2010, 257, ist diese Bereichsaus-
nahme eine von fünf Mängeln der Rom II-VO, die er im Bereich der Anknüpfung von
deliktischen Ansprüchen wegen Verletzung von Kapitalmarktrecht, der Produkthaf-
tung und, der freien Rechtswahl sowie bei der Behandlung der Eingriffsnormen ortet.
159 Vgl Rz 15.46.
160 Also nach § 48 IPRG
161 ErlRV 322 Blg 24.GP, 4.
162 Die Schlussfolgerungen des Privacy Report zeigen die Probleme auf, die sich wegen
stark unterschiedlicher Positionen in den Mitgliedstaaten und dem Druck der Presse-

163
§ 15 Schuldverhältnisse

4. Außervertragliche Haftung für Straßenverkehrsunfallschäden163

15/42 Die Geltung des „Haager Übereinkommens über das auf Straßenverkehr-
sunfälle anzuwendende Recht“164 wird gemäß Art 28 Rom II-VO (vorerst)
nicht tangiert. Das HStVÜ, das für Österreich, einem „Transitland“ mit
starkem Winter- und Sommerfremdenverkehr, große praktische Bedeu-
tung besitzt165, bestimmt, welches Recht auf die außervertragliche Haf-
tung166 für Schäden aus Straßenverkehrsunfällen anzuwenden ist, die
sich nach seinem Inkrafttreten am 3.6.1975 entweder im Ausland unter Be-
teiligung von Personen mit gewöhnlichem Aufenthalt in Österreich oder
von Fahrzeugen, die in Österreich zugelassen sind oder hier ihren Standort
haben, oder im Inland mit Beteiligung von Personen mit gewöhnlichem
Aufenthalt im Ausland oder von Fahrzeugen mit ausländischer Zulassung
oder Standort im Ausland ereignet haben. Auf der Grundlage des HStVÜ,
das schon vor dem IPRG als eine loi uniforme galt167 und durch das In-
krafttreten des IPRG nicht berührt wurde168, sind zahlreiche grundsätz-
liche Entscheidungen des OGH ergangen169.
Nach der weit gefassten Definition des Art 1 HStVÜ ist unter Straßen-
verkehrsunfall jeder Unfall zu verstehen, „an dem ein oder mehrere Fahr-
zeuge, ob Motorfahrzeuge oder nicht, beteiligt sind und der mit dem Ver-
kehr auf öffentlichen Straßen, auf öffentlich zugänglichem Gelände oder
auf nicht öffentlichem, aber einer gewissen Anzahl befugter Personen zu-
gänglichem Gelände zusammenhängt“.
15/43 Nicht anzuwenden ist das HStVÜ gemäß seinem Art 2 auf die Haftung
von Herstellern und Verkäufern von Fahrzeugen sowie von Reparatur-

und Medienunternehmen ergeben und einer baldigen Lösung entgegenstehen. Offen-


sichtlich wird eine Klärung der Frage des auf außervertragliche Schuldverhältnisse an-
zuwendenden Rechts, die der Verletzung der Privatsphäre oder von Persönlichkeits-
rechten entspringen, so bald nicht erfolgen.
163 Dazu näher Rudolf, Internationaler Verkehrsunfall, ZVR 2008, 528.
164 BGBl 1975/387.
165 Dem HStVÜ gehörten am 1.7.2010 20 Staaten, unter ihnen 7 Nichtmitgliedstaaten der
EU an.
166 Nicht anzuwenden ist das HStVÜ auf vertragsrechtliche Ansprüche, zB aus einem
Dienstvertrag (OGH ZfRV 1987, 147), einem Transportvertrag (OGH SZ 64/140)
oder einem Vertrag über die Betreuung von Kindern in den Ferien (OGH ZVR 1995/
34).
167 Für ihre Anwendbarkeit besteht kein Gegenseitigkeitserfordernis; OGH ZfRV 1989,
292.
168 § 53 IPRG; vgl OGH ZVR 1991/42; ZfRV 1998, 158/35.
169 Vgl OGH VersR 1986, 1032; vgl ferner OGH ZfRV 1989, 294 und insb OGH ZfRV
1990, 125 (Ehricke) = IPRax 1989, 244 (Beitzke, 250); s ferner auch OGH JBl 1990,
240 uam.

164
Anknüpfung von außervertraglichen Schuldverhältnissen § 15

unternehmen; ferner nicht auf die Haftung des Eigentümers des Verkehrs-
wegs oder jeder anderen Person, die für die Instandhaltung des Weges oder
die Sicherheit der Benutzer zu sorgen hat; auch nicht auf die Haftung für
Dritte, ausgenommen die Haftung des Fahrzeugeigentümers oder des Ge-
schäftsherrn. Auf Rückgriffsansprüche zwischen haftpflichtigen Personen
und den Übergang von Ansprüchen, soweit Versicherer betroffen sind170,
ist es ebenso wenig anzuwenden wie auf Ansprüche und Rückgriffsansprü-
che, die von Einrichtungen der sozialen Sicherheit, Trägern der Sozialver-
sicherung oder anderen ähnlichen Einrichtungen und öffentlichen Kraft-
fahrzeug-Garantiefonds oder gegen sie geltend gemacht werden171. Nicht
anzuwenden ist es auch auf jeden Haftungsausschluss, der in dem für diese
Einrichtungen maßgebenden Recht vorgesehen ist172, und auch nicht auf
die Frage, ob ein rechtliches Interesse an einer Feststellung besteht173.
Keine Einschränkungen macht das HStVÜ bezüglich der Geschädigten.
Es erfasst daher die Ansprüche aller durch den Straßenverkehrsunfall Ge-
schädigten174.
Das anzuwendende Recht ist gemäß Art 3 HStVÜ primär das Sachrecht 15/44
des Unfallortes als Recht des Ortes des Beginns der Rechtsgutverletzung.
Im Sinne der „Auflockerung“ des Unfallstatuts werden in Art 4 und 5
HStVÜ Ausnahmen zugunsten des Rechtes des Fahrzeugstaates, das ist
das Recht des Zulassungsstaates bzw das Recht des Staates des gewöhnli-
chen Standortes175, gemacht. Für bestimmte Sachschäden sieht Art 5
HStVÜ Sonderregelungen vor. So gilt für Schäden an Sachen außerhalb
des Fahrzeuges grundsätzlich das Recht des Unfallortes.
Vom Unfallsstatut wird die Haftung, was das „Ob, Wem gegenüber und
Wie“ anbelangt, umfassend, einschließlich der Gehilfenhaftung und der
Verjährung, erfasst176. Dazu gehört auch die Frage der Vererblichkeit des
Ersatzanspruches. Die Erbberechtigung richtet sich hingegen nach dem
Erbstatut. Das Unfallsstatut entscheidet auch die Frage der Übertragbar-
keit des Anspruchs, nicht aber die Frage der Übertragung selbst; diese rich-
tet sich nach dem Zessionsstatut. Unabhängig vom anzuwendenden Recht

170 OGH ZVR 1983/19.


171 OGH JBl 1984, 505; ZVR 1993/154.
172 Dazu OGH ZfRV 1990, 286.
173 Diese ist als verfahrensrechtliche Frage stets nach österr Recht zu beurteilen.
174 Der OGH hat klar gestellt, dass auch die Ansprüche der Hinterbliebenen von Ver-
kehrsopfern nach dem HStVÜ anzuknüpfen sind; vgl OGH SZ 62/140; ZVR 1991/42;
ZVR 1992/13; hängt der Anspruch mittelbar Geschädigter allerdings von ihrer Unter-
haltsberechtigung ab, ist dafür das Unterhaltsstatut maßgebend: OGH ZVR 1994/90.
175 Art 6 HStVÜ.
176 Vgl OGH IPRax 1996, 135 (Taupitz, 140).

165
§ 15 Schuldverhältnisse

sind gemäß Art 7 HStVÜ bei der Bestimmung der Haftung die am Ort und
zum Zeitpunkt des Unfalls geltenden Verkehrs- und Sicherheitsvorschrif-
ten, die local data, zu berücksichtigen. Die Anwendung der durch das
HStVÜ berufenen Normen kann nach Art 10 nur ausgeschlossen werden,
wenn dies mit der öffentlichen Ordnung offensichtlich („manifestly“,
„manifestement“) unvereinbar ist. Das wäre zB ein völliger Ausschluss
von Schmerzengeld177 bei verschuldeter Körperverletzung, wogegen das
Fehlen einer Gefährdungshaftung im anzuwendenden Recht nicht den
Grundwertungen des österreichischen Rechts widerspricht178. Da das
HStVÜ zur Frage, ob eine Rechtswahl möglich ist, keine Aussage trifft,
ist die Entscheidung nach dem autonomen Kollisionsrecht der lex fori zu
treffen. Der OGH hat mit Bedacht auf die Wertungen des IPRG die
Rechtswahl anerkannt179.
15/45 Bezüglich der Zulässigkeit der Direktklage gegen den Haftpflichtversi-
cherer des Schadensverursachers gemäß § 63 KFG sieht Art 9 HStVÜ Al-
ternativanknüpfungen zugunsten der action directe vor: Den geschädigten
Personen steht eine unmittelbare Klage offen, wenn ihnen ein Recht hierzu
nach dem gemäß Art 3 ff HStVÜ anzuwendenden Recht zusteht180. Kennt
der Zulassungsstaat kein Recht auf Direktklage, kann dennoch direkt ge-
klagt werden, wenn es das Recht des Unfallortes vorsieht. Lassen diese
Rechte eine direkte Klage nicht zu, kann sie dennoch angestrengt werden,
wenn sie nach dem für den Versicherungsvertrag maßgebenden Recht zu-
gelassen ist181.

177 Ein Schmerzengeldanspruch in geringerer Höhe begründet noch keine ordre public-
Widrigkeit; vg zuletzt OGH ZVR 2005/46, 160 (Chr. Huber).
178 OGH ZVR 1993/108; zuvor schon OGH ZVR 1991/42.
179 Vgl OGH SZ 58/188, obiter die Rechtswahl ausdrücklich zulassend OGH SZ 68/17 =
ZVR 1995/119.
180 OGH ZVR 1992/27; ZVR 1992/28; ZVR 1992/90. Gemäß Art 28 Abs 1 Rom II-VO
wird diese Bestimmung auch weiterhin bedeutsam bleiben, da sie dem Art 18 Abs 2
Rom II-VO vorgeht.
181 §§ 2 Abs 1 und 22 KHVG stehen dem nicht entgegen.

166
Sonderanknüpfungen im Internationalen Schuldrecht § 15

E. Sonderanknüpfungen im Internationalen Schuldrecht

1. Verbraucherschutz

a) Vorbemerkung

Die Europäisierung des Verbraucherschutzrechts und die Vereinheitli- 15/46


chung des internationalen Schuldvertragsrechts hat unleugbar zu einer
Verkomplizierung des Internationalen Privatrechts auf diesem Gebiet ge-
führt. Da in einigen Richtlinien zum Verbraucherschutz auch kollisions-
rechtliche Normen aufgenommen wurden, die durch den Umsetzungspro-
zess Eingang in nationale Gesetze – wie das Konsumentenschutzgesetz,
Teilzeitnutzungsgesetz oder auch E-Commerce-Gesetz – gefunden
haben182, wurde eine Aufspaltung der kollisionsrechtlichen Grundlagen in
diesem Bereich bewirkt183.
Die daraus resultierende Intransparenz ist eine bedauerliche Konse-
quenz der bisher eher pointillistischen Normsetzungspraxis der europä-
ischen Rechtssetzungsorgane. Durch die Entscheidung der europäischen
Rechtsetzungsorgane, auf dem Gebiet des Internationalen Schuldrechts
zwei Verordnungen zu unterschiedlichen Zeiten in Geltung zu setzen und
dabei die Duplizität zahlreicher Bestimmungen in der Rom I- und Rom II-
Verordnung als unvermeidbar hinzunehmen, ist diese ungünstige Situation
verschärft worden.

b) § 13a KSchG

Die Regelung der Anknüpfung internationaler Verbraucherverträge in 15/47


Art 6 Rom I-VO erfasst nicht den Schutz von Verbrauchern vor miss-
bräuchlichen Klauseln, wenn das Recht eines Drittlandes, das auch nicht
dem EWR angehört, gewählt wurde. Da Art 6 Abs 2 der von Österreich
mit Wirkung ab 1.1.1997 umgesetzten184 Richtlinie des Rates 93/13/EWG
über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen185 die Mitglied-
staaten zu Maßnahmen verpflichtet, die verhindern, dass der Verbraucher
den durch die Richtlinie gewährten Schutz verliert, „wenn das Recht eines
Drittlands als das auf den Vertrag anzuwendende Recht gewählt wurde

182 §§ 20–23 f des E-Commerce-Gesetzes, BGBl I 2001/152, über das „Herkunftsland-


prinzip und Ausnahmen“ vergrößern noch die Vielfalt; dazu Rz 16/18 und 16/19.
183 Zu den IPR-Vorschriften in Verbraucherschutz-Richtlinien, vgl Lurger/Augenhofer,
Österreichisches und Europäisches Konsumentenschutzrecht2 (2008) 322 ff.
184 BGBl I 1997/6.
185 ABlEG L 95 vom 21.4.1993, 29.

167
§ 15 Schuldverhältnisse

und der Vertrag einen engen Zusammenhang mit dem Gebiet der Mit-
gliedstaaten aufweist“ und eine analoge Bestimmung nunmehr auch in
Art 22 Abs 4 der neuen Verbraucherkreditrichtlinie 2008/48/EG vom
23.4.2008186 vorgesehen ist, musste für diese Konstellationen bei Umset-
zung der jeweiligen Richtlinien in das interne Recht eine separate Verwei-
sungsnorm geschaffen werden. Diese wurde als § 13a in das KSchG aufge-
nommen und ist als eine Eingriffsnorm zu qualifizieren. Da gemäß Art 23
Rom I-VO „diese Verordnung nicht die Anwendung von Vorschriften des
EU-Rechts, die in besonderen Bereichen Kollisionsnormen für vertrag-
liche Schuldverhältnisse enthalten“, berührt187, bleibt § 13a KSchG auch
künftig relevant. Hinzu kommen – mit Vorrangwirkung – die Bestimmun-
gen der Rom I-Verordnung über die eingeschränkte Rechtswahl188.
Gemäß § 13a Abs 1 Z 1 bis 5 KSchG ist bei der Beurteilung der Gültig-
keit einer Vertragsbestimmung, die nicht eine der beiderseitigen Hauptleis-
tungen festlegt, der Folgen einer unklar und unverständlich abgefassten
Vertragsbestimmung, des besonderen Schutzes der bei Fernabsatzverträ-
gen189 und Fernfinanzdienstleistungen vorgesehen ist190, der Gewährleis-
tung bzw Garantie beim Kauf oder bei der Herstellung beweglicher Sachen
im Sinne der §§ 8 bis 9b KSchG sowie der §§ 922 bis 924, 928, 932 und 933
ABGB191 und des Schutzes bei Verbraucherkreditverträgen192, die Wahl
des Rechts eines Drittlandes soweit unbeachtlich, als das gewählte Recht
für den Verbraucher nachteiliger ist, als das bei objektiver Anknüpfung
maßgebende Recht eines EWR-Vertragsstaates.
§ 13a Abs 2 KSchG bestimmt darüber hinaus, dass § 6 KSchG und
§§ 864a und 879 Abs 3 ABGB „zum Schutz des Verbrauchers ohne Rück-
sicht darauf anzuwenden [sind], welchem Recht der Vertrag unterliegt,

186 ABlEU L 133 vom 22.5.2008, 66. Umgesetzt durch das Darlehens- und Kreditrechts-
Änderungsgesetz DaKRÄG, BGBl I 2010/28, das am 11.6.2010 in Kraft getreten ist.
187 Ausgenommen ist Art 7 über Versicherungsverträge.
188 Art 3 Abs 3 und 4 VO Rom I.
189 Vgl Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates 97/7/EG über den Verbrau-
cherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz, ABlEG L 144 vom 4.6.1997, 19,
umgesetzt in §§ 5a-5j KSchG durch BGBl I 1999/185. Da zu den Fernabsatzverträgen
grundsätzlich auch die im Internet geschlossenen Verträge zählen, dient § 13a KSchG
auch zu deren kollisionsrechtlichen Absicherung.
190 Vgl Richtlinie 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.9.2002
über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher und zur Änderung der
Richtlinie 90/619/EWG des Rates und der Richtlinien 97/7/EG und 98/27/EG, ABlEG
L 271 vom 9.10.2002, 16, umgesetzt durch das Bundesgesetz über den Fernabsatz von
Finanzdienstleistungen an Verbraucher – FernFinG, BGBl I 2004/62 idF BGBl I 2009/
66.
191 Z 4 wurde eingefügt durch das GewRÄG, BGBl I 2001/48.
192 DaKRÄG, BGBl I 2010/28, Artikel 3, Z 2c.

168
Sonderanknüpfungen im Internationalen Schuldrecht § 15

wenn dieser im Zusammenhang mit einer in Österreich entfalteten auf die


Schließung solcher Verträge gerichteten Tätigkeit des Unternehmers oder
der von ihm hierfür verwendeten Personen zustande gekommen ist“.

c) § 11 TNG

Diese Bestimmung des Teilzeitnutzungsgesetzes193 setzt Art 9 der sog „Im- 15/48
mobilien-Time-Sharing-Richtlinie“194 um und soll sicherstellen, dass der
Schutz, den die nationalen Umsetzungsgesetze dem Erwerber von Teil-
zeitnutzungsrechten gewähren, gesichert wird, wenn mindestens eines
von mehreren Nutzungsobjekten in einem EWR-Vertragsstaat belegen ist.
Der Nutzungsvertrag, Kreditvertrag oder ein zusammenhängender Ver-
trag sind dann an das Recht des Aufenthaltsstaates des Erwerbers anzu-
knüpfen, „wenn der Vertrag im Zusammenhang mit einer in diesem Staat
entfalteten, auf die Schließung solcher Verträge gerichteten Tätigkeit des
Veräußerers, des Dritten“ oder eines ihrer Leute zustande gekommen ist,
bzw alternativ an das Recht des EWR-Staates, in dem das Nutzungsobjekt
gelegen ist195.

2. Atomhaftung

Das am 1.1.1999 in Kraft getretenen Atomhaftungsgesetz196, das eine be- 15/49


sonders weitgehende Haftung für Schäden an Personen und Sachen, die
durch ionisierende Strahlung von Kernanlagen, Kernmaterial und Radio-
nukliden verursacht werden, eingeführt hat, beinhaltet auch eine Bestim-
mung über das anzuwendende Recht. Abweichend von dem damals in
§ 48 IPRG vorgesehenen allgemeinen Deliktsstatut, das dem Handlungs-
ortprinzip folgte, kann der Geschädigte gem § 23 Abs 1 AtomHG bei
einem durch ionisierende Strahlen in Österreich eingetretenen Schaden
verlangen, dass sein außervertraglicher Ersatzanspruch nach österreichi-
schem Recht beurteilt wird. Wird die Option nicht ergriffen, bleibt es bei
der Anknüpfung nach § 48 IPRG197. Für den Fall, dass österreichisches
Recht auf den Anspruch auf Ersatz eines durch ionisierende Strahlen ver-

193 BGBl I 1997/32 idF BGBl I 1997/82.


194 Richtlinie 94/47/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.10.1994 zum
Schutz der Erwerber im Hinblick auf bestimmte Aspekte von Verträgen über den Er-
werb von Teilzeitnutzungsrechten an Immobilien, ABlEG L 280 vom 29.10.1994, 83.
195 Vorausgesetzt, dass nicht schon aufgrund einer Rechtswahl das Recht eines EWR-Staa-
tes als maßgebend bestimmt wurde.
196 BGBl I 1998/170 idF BGBl I 2003/33.
197 Auch idF BGBl I 2009/109.

169
§ 15 Schuldverhältnisse

ursachten Schadens, der im Ausland eingetreten ist, anzuwenden wäre,


sieht § 23 Abs 2 eine „Gegenseitigkeitsbedingung“ insofern vor, als der
Schaden „nur dann und soweit zu ersetzen (ist), als dies auch das Personal-
statut des Geschädigten vorsieht“198.

198 Vgl Hinteregger/Kissich, Atomhaftungsgesetz 1999 (AtomHG 1999) – Kurzkommen-


tar (2004) § 23 Rz 1 ff.

170
§ 16. Exkurs: Internationales Privatrecht und
eBusiness1
A. Internet und eBusiness: Herausforderungen für das
IPR

Im ausgehenden 20. Jahrhundert hat man mit der Entwicklung des eBusi- 16/1
ness große Erwartungen verbunden. Der durch elektronische Medien in
der Wirtschaft herbeigeführte Wandel vollzieht sich zwar langsamer, aber
stetig. Unter dem Begriff des eBusiness wird die elektronisch unterstützte
Gestaltung sämtlicher wirtschaftlicher Transaktionen verstanden2: zB
Kauf von Waren bei einem Online-Versandhaus, Auktion von Flugtickets
im Internet, elektronische Kommunikation zwischen einer Handelskette
und ihren Zulieferbetrieben, Nutzung von Online-Datenbanken, Tätigkei-
ten eines Providers, Teleshopping, elektronische Unterstützung von Wa-
rentransporten usw. Allen diesen zufällig gewählten Beispielen für eBusi-
ness ist gemeinsam, dass sie nicht an die Grenzen nationaler Rechts-
ordnungen gebunden sind. Ein großer Teil des eBusiness wird über das In-
ternet abgewickelt3. Dieser gemeinsame Standard der Datenübertragung
ermöglicht es, dass Computer mit unterschiedlichster Rechnerarchitektur
und Systemsoftware Daten austauschen können. Das Internet stellt sich
als die Summe seiner Dienste und Anwendungen dar, wobei fast allen die-
sen Internet-Diensten das so genannte Client/Server-Prinzip zugrunde
liegt: Der Server liefert die Daten, die vom Client angefordert werden kön-
nen. Die Aufbereitung und Darstellung der Daten wird nach einem Proto-
koll auf dem Client durchgeführt. Die aktuelle technische Entwicklung
zeigt jedoch eine deutliche Zunahme sog „peer-to-peer“-Verbindungen

1 Unter Verwendung des Beitrags zur 3. Auflage von Markus Fallenböck. Für Durchsicht
und Ergänzungen ist Frau Elisabeth Staudegger zu danken.
2 Näheres bei Fallenböck, Internet und Internationales Privatrecht (2001) 5 ff.
3 Das Internet ist die Gesamtheit aller Netzwerke und Computer, die über weltweit einheit-
liche Protokolle miteinander kommunizieren.

171
§ 16 Exkurs: Internationales Privatrecht und eBusiness

(p2p), bei denen die klassische Architektur durchbrochen wird, weil jeder
beteiligte Rechner sowohl Client als auch Server sein kann.
16/2 Zwei Unterscheidungen – nach der Art der Leistungserbringung, bzw
nach den beteiligten Personen4 – sind für die rechtliche Beurteilung von
Bedeutung:

· Indirekter eBusiness – direkter eBusiness5: je nachdem, ob nur der Be-


stellvorgang von Gütern bzw Dienstleistungen elektronisch bewerk-
stelligt, die Leistung jedoch auf konventionellem Weg erbracht wird,
oder ob die gesamte Abwicklung elektronisch erledigt wird, wie beim
direkten Download von Software auf den eigenen Computer,
· Business-to-Business (B2B) – Business-to-Consumer (B2C)6: je nach-
dem, ob eBusiness zwischen Unternehmern stattfindet oder sich Unter-
nehmer und Verbraucher als Parteien – vor allem über Online-Shops –
gegenüber stehen7.

16/3 Ohne das internationale Medium des Internet könnte eBusiness nicht
stattfinden, doch werden Internet-Verträge über die nationalen Grenzen
hinweg noch immer vergleichsweise zögerlich abgeschlossen. Wenngleich
sich das Volumen des Internet-Handels in der EU seit 2002 vervielfacht hat
und mehr als 40% der Bevölkerung der EU im Alter von 16 bis 74 Jahren
das World Wide Web auch zum Einkaufen nutzen, ist der Anteil derjenigen,
die dies auf ausländischen Shopping-Portalen tun, noch immer relativ ge-
ring8. Die Kommission hat in der kürzlich veröffentlichten „Strategie Eu-
ropa 2020“ als eine der sieben Leitinitiativen zur Erreichung der hochge-
steckten Ziele die „Digitale Agenda“ angeführt.9 Deren Kern ist der
„digitale Binnenmarkt“ für dessen Realisierung unter anderem ein verein-
heitlichter Rechtsrahmen und ein alternatives Streitbeilegungssystem ange-
dacht werden10. Die „Grenzenlosigkeit“ der wirtschaftlichen Nutzung des

4 Vgl dazu Fallenböck, Internet und IPR, 20 ff.


5 Diese Unterscheidung wurde jüngst von der Rsp aufgegriffen: OGH jusIT 2009/111,
224 (Thiele) = wbl 2009/273, 619.
6 Neuerdings wird auch noch Business-to-Administration (B2A) unterschieden.
7 Dieser Bereich wird auch als Online-Retailing bezeichnet; vgl dazu allgemein Fallen-
böck/Haberler, Rechtsfragen bei Verbrauchergeschäften im Internet (Online-Retailing),
RdW 1999, 505.
8 Quelle: eurostat Data in focus 46/2009: Internet usage in 2009 – Households and
Individuals.
9 Pressemitteilung v 3.3.2010, IP/10/225 Europa 2020: Kommission entwickelt neue euro-
päische Wirtschaftsstrategie.
10 Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen
Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen – Eine Digitale
Agenda für Europa, KOM(2010) 245 (endg) vom 19.5.2010. Schon mit KOM(2008)

172
Internet und eBusiness: Herausforderungen für das IPR § 16

Internet hat die Forderung nach einem transnationalen Cyberlaw entstehen


lassen, da das Internet globale Regelungsmechanismen benötigen würde11
und das IPR als nationales Rechtsanwendungsrecht nur dann überflüssig
werden könnte, wenn sich ein globales Einheitsrecht durchsetzen könnte.
Zwar gibt die UN Convention on the Use of Electronic Communications in
International Contracts 200512 die Richtung vor, doch stellt sie nur einen
ersten Ansatzpunkt dar, der in seiner Zielsetzung immerhin deutlich weiter
geht als die einschlägigen UNCITRAL Model Laws13, die lediglich eine
schwache Steuerungsfunktion für nationale Gesetzgeber ausüben konnten.
Trotz aller internationaler bzw supranationaler Harmonisierungspläne 16/4
treffen Anbieter im eBusiness nach wie vor auf eine Vielfalt nationaler
Rechtsordnungen, so dass die Frage nach dem anwendbaren Recht und
seiner Durchsetzbarkeit auch im Internet aktuell bleibt, ja, zur Schlüssel-
frage wird: So wurde das Vollstreckungsrecht von Hoeren als „archimedi-
scher Punkt“14 rechtlicher Lösungen in der Informationsgesellschaft be-
zeichnet15.

614 (endg) hatte die Kommission einen Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen
Parlaments und des Rates über Rechte der Verbraucher eingebracht. Über künftig im
Rahmen der Digitalen Agenda beabsichtigte Aktionen, vgl die Mitteilung der Kommis-
sion KOM (2010) 245; insb 8 ff.
11 Die Vorschläge reichten von Analogien zur Lex Mercatoria und zum General Maritime
Law bis zur Forderung nach der Schaffung eines Einheitsrechts, einer Lex Internet.
12 Dazu Hilberg, Das neue UN-Übereinkommen zum elektronischen Geschäftsverkehr
und dessen Verhältnis zum UN-Kaufrecht – Wegweiser in Sachen E-Commerce, IHR
2007, 12, 56. Das Übereinkommen wurde inzwischen von 18 Staaten unterzeichnet,
aber noch von keinem Staat ratifiziert.
13 UNCITRAL Model Law on Electronic Commerce 1996/98 und on Electronic Signatures
2001.
14 Hoeren, Skriptum Internetrecht 2. Von den zahlreichen Arbeiten dieses Spezialisten des
Internetrechts seien die im gebührenfreien Download unter http://www.uni-muenster.
de/Jura.itm/hoeren/materialien/ verfügbaren Materialien und darunter insb sein „Skrip-
tum Internet-Recht“ (Stand Februar 2010) als aktuelle und umfassende Darstellung auch
der kollisionsrechtlichen Probleme (insb 446 ff) empfohlen.
15 Das Internet bewirkt eine Intensivierung von Auslandsberührungen und wenn dann pri-
vatrechtliche Fragen auftreten, muss das relevante IPR das anzuwendende Recht bestim-
men. Auch eine knapp gehaltene Einführung in das IPR muss sich daher den kollisions-
rechtlichen Herausforderungen durch eBusiness und Internet stellen.

173
§ 16 Exkurs: Internationales Privatrecht und eBusiness

B. Internationales Vertragsrecht und eBusiness

1. Business-to-Business-Verträge (B2B)

16/5 Bei Verträgen zwischen Unternehmern ist vorrangig zu beachten, dass


auch das Wiener UNCITRAL-Übereinkommen über den internationa-
len Warenkauf (CISG) anwendbar sein kann. Dieses geht einer Anwen-
dung der Verordnung Rom I16 grundsätzlich vor. Die Anwendbarkeit des
CISG im eBusiness17 wirft eine Reihe von Fragen auf, zB jene nach der Er-
kennbarkeit der Verbrauchereigenschaft, da nach Art 2 lit a) CISG der
Kauf von Ware für den persönlichen Gebrauch des Käufers oder den Ge-
brauch in der Familie oder im Haushalt grundsätzlich vom Anwendungs-
bereich des CISG ausgenommen ist. CISG ist demnach für Verbraucher-
verträge, die für den Verkäufer als solche erkennbar sind, nicht
anzuwenden. Die Frage der Erkennbarkeit kann im eBusiness jedoch be-
sondere Probleme aufwerfen, wenn etwa ein Angestellter eines Unterneh-
mens über seine „dienstliche“ e-Mail-Adresse eine Ware für den persön-
lichen Gebrauch bestellt18. Nur wenn der Verkäufer nach den objektiven
Gegebenheiten wie gewünschter Lieferort oder Abwicklung der Zahlun-
gen den privaten Verwendungszweck erkennen konnte19, kann CISG nicht
zur Anwendung kommen.
In sachlicher Hinsicht verlangt Art 1 Abs 1 CISG, dass ein Kaufvertrag
über eine Ware vorliegt, wobei Art 3 Abs 1 CISG auch gewisse Fälle von
Werklieferungsverträgen erfasst. Dass mit „Ware“ nur eine bewegliche Sa-
che gemeint sein kann, ist klar, umstritten ist aber, ob es sich auch um eine
körperliche Sache handeln muss. Die hM geht davon aus, dass (Standard-)
Software eine „Ware“ ist20, wobei es nicht auf ihre „Materialisierung“ auf
einem Datenträger, zB einem USB-Stick, ankommt. So auch Verträge über

16 Vgl Art 25 Abs 1 VO Rom I.


17 Dazu Mottl in Brenn (Hrsg), ECG (2002) 135.
18 ZB unter einer Adresse wie max.mustermann@firma.com. Hier weist bereits die Top-Le-
vel-Domain „com“ aus der Sicht des Leistenden grundsätzlich in die Richtung einer un-
ternehmerischen Tätigkeit; verstärkt wird dieser Eindruck durch ein allenfalls dem Text
der e-Mail angefügten Signature File mit Firma und Adresse des Unternehmens, vgl dazu
Brandl/Fallenböck, WBl 1999, 481.
19 Dies ist insb dann der Fall, wenn die bestellte Ware offensichtlich nicht in das dem Ver-
käufer bekannte Tätigkeitsfeld des konkreten Unternehmens fällt oder allgemein von
einem Unternehmen in dieser Art bzw Menge nicht nachgefragt wird.
20 Karollus, UN-Kaufrecht (1991) 21; Posch in Schwimann IV3 Art 1 CISG Rz 3; dies trifft
wohl nicht auf Individualsoftware zu, da hier das Werkleistungselement überwiegt (vgl
Art 3 Abs 2 CISG).

174
Internationales Vertragsrecht und eBusiness § 16

die Online-Lieferung von Standardsoftware – auch im Wege des Down-


load – in den Anwendungsbereich des CISG21.
Die nicht vom CISG erfassten Vertragsverhältnisse sind kollisionsrechtlich 16/6
nach der Rom I- Verordnung zu beurteilen, deren Art 3 den Parteien
grundsätzlich die freie Rechtswahl eröffnet. Rechtswahlklauseln finden
sich häufig in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen einer Partei, doch
kann eine Vereinbarung über das anwendbare Recht auch im Vertragstext
enthalten sein. Grundsätzlich sind Rechtswahlklauseln nicht an eine Form
gebunden und können daher auch im Rahmen von Internet-Verträgen
wirksam vereinbart werden22.
Haben die Parteien keine Rechtswahl getroffen, ergibt sich aus Art 4
Rom I-VO, dass primär das Recht der charakteristischen Leistung maß-
gebend ist. Entscheidend ist somit, wer im Internet auf einer Website als
Anbieter auftritt und in der Folge die charakteristische Leistung erbringt.
Bei Verträgen über den Kauf beweglicher Sachen oder die Erbringung von
Dienstleistungen ist dies das Recht des Staates, in dem der Verkäufer bzw
Dienstleister seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.
Im eBusiness können sich in drei Bereichen internetspezifische Fragen er- 16/7
geben. Sie betreffen die Auslandsberührung, die Feststellung der charakte-
ristischen Leistung sowie die Lokalisierung der Vertragsparteien:
· Auslandsberührung: Ihr Vorliegen ist Voraussetzung für die Anwen-
dung der Rom I- Verordnung. Die Kriterien dafür, was eine Auslands-
berührung ausmacht, sind insofern technikneutral formuliert, als sie
nicht an das Übertragungsmedium auf der Abschluss- oder der Erfül-
lungsebene anknüpfen. Ein Internet-Vertrag weist daher nicht schon
deshalb einen Auslandsbezug auf, weil in technischer Hinsicht ein inter-
nationales Medium eingesetzt wird. Entscheidend ist, dass sich eine
Auslandsberührung aufgrund eines der Anknüpfungsmomente der
Rom I-Verordnung Rom gibt23.
· Charakteristische Leistung: Ihre Ermittlung wirft im Regelfall keine für
das Internet spezifischen Probleme auf, da dieses Kriterium auf den Leis-
tungsinhalt und nicht auf die (technischen) Modalitäten der Leistungser-

21 Eine Differenzierung nach dem Übertragungsmedium erscheint nicht gerechtfertigt; die


Frage offen lassend OGH IHR 2005, 195, CISG-online Nr 1047. Fraglich erscheint die
Anwendbarkeit des CISG auf Verträge über die Vermittlung von Information, zB über
Informationstransfer durch Zugang zu einer Online-Datenbank, da es sich hier eher um
Dienstleistungen handelt (Art 3 Abs 2 CISG).
22 Mottl in Brenn (Hrsg), ECG, 136.
23 Wenn beide Vertragspartner im Inland niedergelassen sind und lediglich über das Inter-
net kommunizieren (auch wenn die Datenübertragung über ausländische Netze laufen
kann), besteht noch kein Auslandsbezug.

175
§ 16 Exkurs: Internationales Privatrecht und eBusiness

bringung abstellt. Das gilt nicht nur für Verträge im indirekten eBusiness,
da hier bei der Lieferung von Waren oder der Erbringung von Dienstleis-
tungen die charakteristische Leistung auf konventionellem Wege und un-
abhängig vom Internet erbracht wird. Auch beim direkten eBusiness hal-
ten sich die Probleme in Grenzen. Eine besondere Bedeutung kommt hier
dem Leistungsgegenstand „Information“ zu, da bei den (kommerziellen)
Informations-, Nachrichten- und Datenbankdiensten die charakteristi-
sche Leistung jene des Informationsanbieters ist. Für Lizenzverträge
(auch für Software, die direkt vertrieben wird) ergeben sich dieselben An-
knüpfungsprobleme wie außerhalb des Internet. Für die Frage, welche
Partei hier die charakteristische Leistung erbringt, bietet sich eine diffe-
renzierte Lösung an: Sofern den Lizenznehmer typische Ausübungs-
und Verwertungspflichten treffen, ist er der Erbringer der charakteristi-
schen Leistung; andernfalls ist es der Lizenzgeber24.
· Lokalisierung der Vertragsparteien: Art 4 Rom I-VO stellt für die An-
knüpfung des Vertrages auf den gewöhnlichen Aufenthalt ab25. Welche
Besonderheiten ergeben sich nun für diesen Begriff unter den Bedin-
gungen des eBusiness? Sicher ist, dass die bloße Nutzung eines Servers
an einem anderen Ort als dem Sitz der die charakteristische Leistung er-
bringenden Partei noch keine Niederlassung begründen kann. Hier
spielen auch die technischen Strukturen des Internet keine entschei-
dende Rolle, weshalb die geografische Position eines Servers für die Be-
stimmung der Niederlassung grundsätzlich als irrelevant anzusehen ist.
Der ausländische Erbringer der charakteristischen Leistung, der sich le-
diglich eines in Österreich befindlichen Servers bedient, begründet da-
mit noch keine Niederlassung in Österreich.
Die Hilfsfunktion des Servers wird besonders im indirekten eBusiness
deutlich, in dem es zur Lieferung von Waren oder Erbringung von Dienst-
leistungen auf konventionellem Wege kommt, so dass die Ermittlung des
Ortes, an dem die Leistung erbracht wird, unschwer möglich ist26. An die-
ser Einschätzung ändert sich auch im direkten eBusiness nichts, obwohl

24 Vgl dazu schon Fallenböck, Zur kollisionsrechtlichen Anknüpfung von Immaterialgü-


terrechtsverträgen nach dem Europäischen Vertragsrechtsübereinkommen (EVÜ),
ZfRV 1999, 98. Ausführlich zum Gerichtsstand des Erfüllungsortes beim Lizenzvertrag
EuGH C-533/07, ecolex 2009/345, 883 = jusIT 2009/61, 132 (Thiele). Zur Parallelität
von EuGVVO und Rom I-VO, vgl Rz 16/9.
25 Art 19 Rom I-VO präzisiert für juristische Personen, dass dies der Ort ihrer Hauptver-
waltung ist, während der gewöhnliche Aufenthalt von natürlichen Personen an ihre
Hauptniederlassung geknüpft ist.
26 Hier bedarf es einer stationären Logistik, mit deren Hilfe etwa das Versenden der bestell-
ten Ware erfolgt und die idR unschwer an eine konventionelle Betriebsorganisation an-
zubinden ist.

176
Internationales Vertragsrecht und eBusiness § 16

die technische „Leistungshandlung“ hier direkt vom Server ausgeht.


Gleichwohl liegt damit noch nicht zwingend auch der gewöhnliche Auf-
enthalt nach der Rom I-Verordnung vor. Entscheidend ist, wo sich der
Mittelpunkt der geschäftlichen Tätigkeit, somit jener Ort befindet, an dem
die unternehmerischen Entscheidungen, insbesondere über Produktaus-
wahl bzw Preisgestaltung, getroffen werden.

2. Business-to-Consumer-Verträge (B2C)

Obwohl der B2B-Bereich nach wie vor die wirtschaftlich dominante Kom- 16/8
ponente im eBusiness ist, bietet das Internet als globales Massenkommuni-
kationsmedium eine hervorragende Plattform für alle Formen der Direkt-
vermarktung. Gerade Verbraucher können mit Hilfe des Internet direkt
angesprochen und Verträge mit ihnen angebahnt bzw geschlossen werden.
Daher kommt dem Verbrauchervertragsstatut in Art 6 Rom I-VO beson-
dere Bedeutung zu27. Die von dieser Bestimmung erfassten Verträge müs-
sen von einer Person zu einem Zweck, der nicht ihrer beruflichen oder ge-
werblichen Tätigkeit zugerechnet werden kann, mit einer anderen Person,
die in Ausübung ihrer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit handelte28,
geschlossen worden sein. Wenngleich der sachliche und persönliche An-
wendungsbereich von Art 6 Rom I-VO durch eBusiness nicht tangiert
wird, ergeben sich internetspezifische Fragen.
Im Zusammenhang mit eBusiness kann sich die Frage stellen, ob ein
Kaufvertrag von (Standard-)Software zum privaten Gebrauch als Ver-
braucherkaufvertrag zu qualifizieren sei. Der OGH hat Standardsoftware,
die auf einem Datenträger verkörpert ist, als bewegliche Sache eingestuft29.
Im direkten eBusiness ist es aber nach wie vor umstritten, ob die Online-
Übertragung des Leistungsgegenstandes, etwa der Download von Soft-
ware, als Lieferung einer beweglichen Sache qualifiziert werden kann30. Es

27 Vgl Rz 15/15.
28 Dieser Person musste bei Vertragsabschluss der private Charakter des Geschäfts bekannt
oder nach den Umständen objektiv erkennbar gewesen sein. Da der gute Glaube des un-
ternehmerisch tätigen Vertragspartners geschützt wird, fällt ein Vertrag nicht unter Art 6
Rom I-VO, wenn die vom Unternehmer erbrachte Leistung tatsächlich zur Ausübung
einer entsprechenden beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit des Abnehmers dienen
kann, es jedoch unerkennbar ist, das die Leistung privaten Zwecken dient.
29 OGH SZ 70/202 = JBl 1998, 577 (tw zust Staudegger). Jedenfalls im Bereich der Stan-
dardsoftware gewinnt die kaufrechtliche Komponente an Bedeutung und rücken die im-
materialgüterrechtlichen Aspekte (Lizenzierung) in den Hintergrund.
30 Dagegen Koch, Internet-Recht (1998) 53; vgl allgemein auch Heiss in Czernich/Heiss,
EVÜ-Kommentar, Art 5 EVÜ Rz 16, der – wie der OGH – von einer Lieferung auf
einem festen Datenträger ausgeht.

177
§ 16 Exkurs: Internationales Privatrecht und eBusiness

erscheint sachlich nicht gerechtfertigt, die Lieferung von Software an einen


Verbraucher auf einem USB-Stick dem Art 6 Rom I-VO zu unterstellen,
die Online-Lieferung hingegen nicht31.
Im Bereich der Dienstleistungsverträge sind vor allem Verträge über
Providerleistungen zu nennen. Diese werden typischerweise von einem
Verbraucher in Anspruch genommen, so dass sich das anzuwendende
Recht grundsätzlich nach Art 6 Rom I-VO bestimmt. Dies gilt auch für
den Vertrag mit einem Access Provider, der den Zugang zu einem Daten-
netz ermöglicht und im Regelfall erhebliche organisatorische Leistungen,
die über das bloße Bereitstellen von Infrastruktur hinausgehen, erbringt32.
16/9 Auch bei einem über das Internet abgeschlossenen Vertrag zwischen einem
Unternehmer und einem Verbraucher ist eine Rechtswahl möglich, die je-
doch zum Schutze des Verbrauchers in bestimmten Sachverhalten einge-
schränkt ist. Es geht hier um Situationen, in denen der durchschnittliche
Verbraucher an sich von der Anwendung seines „Umweltrechts“ ausgeht,
weil entweder der Schwerpunkt des Vertragsabschlusses im Inland liegt
oder dem Verbraucher der Auslandsbezug aus einem anderen Grund nicht
bewusst wird. Gemäß Art 6 Abs 1 Rom I-VO besteht diese beschränkte
Wahlmöglichkeit, wenn der Unternehmer seine berufliche oder gewerbli-
che Tätigkeit im Verbraucherstaat ausgeübt hat bzw eine solche Tätigkeit
„auf irgend einer Weise auf diesen Staat ausrichtet“.
Wenn Art 6 Abs 1 darauf abstellt, dass der Unternehmer im Aufenthalts-
staat des Verbrauchers beruflich oder gewerblich tätig wird oder seine Tä-
tigkeit „auf irgend einer Weise“ auf den Verbraucherstaat „ausrichtet“ und
zudem verlangt, dass der Vertrag mit dem Verbraucher „in den Bereich die-
ser Tätigkeit“ fällt, wurde bewusst ein Gleichklang mit Art 15 Abs 1 lit c)
EuGVVO33 hergestellt; eine einheitliche Auslegung wird erwartet34. Die

31 Der Übermittlungsmodus kann nicht entscheidend sein, vielmehr kommt es auf die
Funktion der Software für den Nutzer an und dabei zeigt sich, dass der Vertragsgegen-
stand unabhängig von der Übermittlung derselbe bleibt. Auch die Online-Übertragung
von Software ist daher Lieferung einer „beweglichen Sache“ iSd Art 4 Abs 1 lit a) 1 Rom
I-VO.
32 Hier ist Art 6 Abs 4 lit a) Rom I-VO zu beachten, der die Geltung der ersten beiden Ab-
sätze dieses Artikels ausschließt, wenn die Dienstleistung ausschließlich außerhalb des
Verbraucherstaates erbracht wird. Bei Dienstleistungen im eBusiness (zB Providerleis-
tungen oder Datenbankabfragen) erfolgt die eigentliche Nutzungshandlung im Verbrau-
cherstaat, so dass eine ausschließlich im Ausland stattfindende Leistungserbringung idR
nicht gegeben ist; vgl Fallenböck, Internet und IPR, 135.
33 Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 21.12.2000 über die gerichtliche Zustän-
digkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Han-
delssachen, ABlEG L 12 vom 6.1.2001, 1.
34 Präambel zur Rom I-VO, Erwägungsgrund (24).

178
Internationales Vertragsrecht und eBusiness § 16

Geschäftstätigkeit im Internet und damit auch Angebot oder Werbung im


eBusiness kennt – technisch gesehen – keine staatlichen Grenzen und lässt
sich daher nicht leicht über räumliche Distributionsentscheidungen
steuern, wie dies bei klassischen Medien wie Tageszeitungen möglich ist.
Ist nun allein schon die im Internet übliche Präsentation von Waren oder
Dienstleistungen als berufliche oder gewerbliche Tätigkeit des ausländi-
schen Unternehmers im Verbraucherstaat zu qualifizieren?
Rat und Kommission haben in einer Gemeinsamen Erklärung35, deren
rechtliche Bedeutung strittig ist, betont, dass die Zugänglichkeit einer
Website allein nicht ausreichen solle, um die Anwendbarkeit von Art 15
Abs 1 lit c) EuGVVO zu begründen, da es erforderlich sei, dass die Website
auch den Vertragsabschluss im Fernabsatz anbiete und dass tatsächlich ein
Vertragsabschluss im Fernabsatz „mit welchem Mittel auch immer“ erfolgt
sei. Den OGH hat die auslegungsbedürftige Rechtslage in der Brüssel I-
Verordnung am 26.3.2009 zu einem Vorabentscheidungsersuchen an den
EuGH veranlasst, in dem angefragt wird, ob für das „Ausrichten der Tätig-
keit im Sinne von Art 15 Abs 1 lit c EuGVVO (ausreiche), dass eine Web-
site der Vertragspartners des Verbrauchers im Internet abrufbar“ sei36.
Wegen der identischen Formulierung in Art 6 Rom I-VO ist das Ergebnis
dieses Verfahrens auch für die Frage der Rechtwahl nach dieser Norm zu
beachten37.
Nach überwiegender Auffassung im Schrifttum kann die bloße Ein-
richtung einer Website wohl nicht ausreichen um dem Kriterium des „Aus-
richtens“ gerecht zu werden, vielmehr wird auch eine Verbindung zum
Verbraucherstaat bestehen müssen38, die sich nicht in der bloßen Erreich-

35 Text in IPRax 2001, 259.


36 OGH 6 Ob 24/09m, ecolex 2009/300, 763 – EuGH Rs C-144/090 – „Alpenhof“; ebenso
schon, die Frage aber hier nur eventualiter gestellt, zu 6 Ob 192/08s – EuGH Rs C-585/
08 – „Pammer“.
37 Die Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak zu C-585/08 und C-144/09, in denen
sich der EuGH erstmals mit der Frage befassen wird, liegen seit 18.5.2010 vor. Inhaltlich
empfiehlt die Generalanwältin: „Für das „Ausrichten“ der Tätigkeit im Sinne von Art 15
Abs 1 lit c der Verordnung Nr. 44/2001 reicht es nicht aus, dass die Website des Vertrags-
partners, der eine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit ausübt, im Wohnsitzmitglied-
staat des Verbrauchers im Internet abrufbar ist. Das nationale Gericht hat unter Berück-
sichtigung aller Umstände des Falles zu beurteilen, ob der Vertragspartner, der eine
berufliche oder gewerbliche Tätigkeit ausübt, seine Tätigkeit auf den Wohnsitzmitglied-
staat des Verbrauchers ausrichtet. Wichtige Beurteilungsfaktoren sind insbesondere der
Inhalt der Website, die bisherige Geschäftstätigkeit des Vertragspartners, der eine beruf-
liche oder gewerbliche Tätigkeit ausübt, die Art der verwendeten Internetdomain und die
Nutzung der Möglichkeiten, über das Internet oder auf sonstige Weise zu werben.“
(Schlußanträge zu C-585/08 und C 144/09, Rn 101. 2; vgl auch RZ 16/14 der Vorauflage.)
38 Deshalb genügt es nicht, wenn der Verbraucher auf einer Auslandsreise eine Werbung im
Internet zur Kenntnis nimmt; ausführlich zu den Besonderheiten von Internetverträgen

179
§ 16 Exkurs: Internationales Privatrecht und eBusiness

barkeit erschöpft, sondern durch tatsächliche Zielgerichtetheit der Ab-


satztätigkeit des Anbieters zum Verbraucherstaat, sei es durch Anbieten,
sei es durch Werbemaßnahmen, charakterisiert ist. Das Kriterium der
„zielgerichteten Absatztätigkeit“ im Internet muss nicht nur anhand einer
räumlichen Verbreitung und deren Steuerung durch den Anbieter, sondern
auch über inhaltliche Merkmale der Absatztätigkeit bestimmt werden39.
16/10 So ist zu vertreten, dass sich die Zielgerichtetheit einer Absatztätigkeit im
Internet aus ihrer an inhaltlichen Merkmalen zu beurteilenden Ausrich-
tung auf einen bestimmten Markt ergibt, der im eBusiness oft über einen
bestimmten Staat hinausgehen und sogar globale Dimension haben kann40
und es darauf ankommt, ob sich der Verbraucher als typischer Adressat
der Absatztätigkeit verstehen kann. Den Interessen des Verbraucherschut-
zes kann dadurch Rechnung getragen werden, dass der Verbraucher bei
unklarer oder irreführender Gestaltung von Angebot oder Werbung von
der Ausrichtung auf seinen Aufenthaltsstaat ausgehen darf, während der
Anbieter die Möglichkeit hat, seine Absatztätigkeit durch Wahl von Spra-
che, Währung und Zahlungsmodalitäten, Produktbeschreibung und Lie-
ferbedingungen, Produktcharakteristika oder Top-Level-Domains41 zu
steuern. Mögen diese Merkmale, einzeln betrachtet, auch keine allzu hohe
Aussagekraft haben, wird es in einer Gesamtbetrachtung doch für den Ver-
braucher erkennbar sein, ob das Angebot oder die Werbung auf seinen na-
tionalen Markt zugeschnitten ist, er also deren typischer Adressat ist.
Nicht nur das Gesamterscheinungsbild vermag Zielgerichtetheit zu ver-
mitteln, eine solche kann auch mit einer ausdrücklichen Marktbeschrän-
kung, einem sogenannten Disclaimer, erzielt werden42, mit dem der Anbie-
ter für den Verbraucher klar erkennbar darstellt, welche Marktausrichtung
er anstrebt. Ein Disclaimer hat den Vorteil, dass sich für die aus dem Zielge-

mit Verbrauchern nach VO-Rom-I Martiny in MüKo5 (2009) BGB Band 10 XVI,
Rn 232 f.
39 Für die grundsätzliche Anwendbarkeit des Kriteriums der Zielgerichtetheit auch im In-
ternet sind ua Zankl, E-Commerce-Gesetz (2002) Rz 307 und wohl auch Mottl in Brenn
(Hrsg), ECG, 139, eingetreten. Die Verbindung zum Verbraucherstaat sollte sich durch
eine inhaltlich bestimmbare Ausrichtung (auch) auf dessen Markt ergeben, wobei im In-
teresse des Verbraucherschutzes subjektive Voraussetzungen auf Seiten des Anbieters ir-
relevant sein müssen. Vielmehr müsse das Bestehen einer solchen Verbindung nach ob-
jektiven Kriterien vom Empfängerhorizont des Verbrauchers her beurteilt werden.
40 Man denke an Anbieter, die wie „amazon.com“ mit einer bewusst internationalen Aus-
richtung auftreten.
41 Dazu im einzelnen Fallenböck, Internet und IPR, 126 f.
42 Vermehrt werden Angebote im Internet durch Disclaimer eingeschränkt, zum Beispiel:
„Dieses Angebot gilt nur für Verbraucher in Land X“; vgl dazu auch Mankowski, Ra-
belsZ 1999, 244 f.

180
Internationales Wettbewerbsrecht und eBusiness § 16

biet stammenden Verbraucher der Schutz des Art 6 Rom I-VO eindeutig
ergibt. Für den Anbieter hat der Disclaimer den Nachteil, dass er sich auf
einen bestimmten Markt festlegen muss, wenn er sein Rechtsanwendungs-
risiko eingrenzen will. Denn wenn er mit Verbrauchern außerhalb des an-
gegebenen Bereiches kontrahiert, wird zu Recht gefordert, dass ein solcher
Vorbehalt unbeachtlich sei43. Der Anbieter kann sich dann nicht darauf be-
rufen, dass der Verbraucher aus einem Staat komme, der nicht seiner
Marktausrichtung entspricht.

C. Internationales Wettbewerbsrecht und eBusiness

1. Marktortprinzip und eBusiness

Neben den gerade erörterten vertragsrechtlichen Fragen kommt im de- 16/11


liktsrechtlichen Kontext dem Wettbewerbsrecht besondere Bedeutung zu.
Die Bestimmung des anwendbaren Wettbewerbsrechts ist allgemein wegen
der zum Teil erheblichen Unterschiede in den Schutzstandards wichtig44,
besonders aber im Internet, das ein internationales Online-Marketing er-
möglicht. Art 6 Rom II-VO knüpft die durch unlauteren Wettbewerb be-
gründeten außervertraglichen Schuldverhältnisse an das Recht des Staates
an, in dem die Wettbewerbsbeziehungen oder die kollektiven Interessen
der Verbraucher beeinträchtigt worden sind bzw beeinträchtigt zu werden
drohen45. Das in diesen Bestimmungen Ausdruck findende Marktort-
oder Wirkungsprinzip sieht sich im Internet mit besonderen Fragen
konfrontiert, da in einem Netzwerk, das Marktgrenzen überschreitet, die
Bestimmung des Ortes, an dem sich die beanstandete Handlung auf den
Wettbewerb auswirkt, naturgemäß nicht einfach ist. Nach welchen Krite-
rien kann nun bei Handlungen im Internet, die wettbewerbsrechtlich un-
lauter sind, bestimmt werden, auf welchen Markt sie sich auswirken?

43 ZB von Mankowski, RabelsZ 1999, 245; Lurger in Gruber (Hrsg), Die rechtliche Dimen-
sion des Internet (2001) 69 (78 f).
44 Zum Internationalen Wettbewerbsrecht im Internet, vgl Gruber in Gruber/Mader
(Hrsg), Internet und e-commerce: Neue Herausforderungen an das Privatrecht (2000),
109 (113 ff); Lurger in Gruber (Hrsg), Die rechtliche Dimension des Internet, 69 (82 ff);
für Wettbewerbsstreitigkeiten bei Internet Domain Namen siehe Fallenböck/Stockinger,
Update Domainrecht: „Typosquatting“, Domains im Kollisionsrecht, MR 2001, 403
(408); vgl auch OGH MR 2001, 194 (Pilz). Jüngst Handig, Lauterkeitsrechtliche As-
pekte grenzüberschreitender Informationsanforderungen in Jaksch-Ratajczak (Hrsg),
Aktuelle Rechtsfragen der Internetnutzung (2010) 81.
45 Zuvor bestimmte § 48 Abs 2 IPRG, dass sich alle Ansprüche aus unlauterem Wettbewerb
nach dem Sachrecht des Staates richten, auf dessen Markt sich der Wettbewerb auswirkt.

181
§ 16 Exkurs: Internationales Privatrecht und eBusiness

Die für die „klassischen“ Medien entwickelten Grundsätze zum bestim-


mungsgemäßen Vertrieb können nur bedingt auf das Internet übertragen
werden46. Versagt eine technische Vertriebssteuerung, kann über inhalt-
liche Merkmale durchaus eine Verbindung zwischen der Absatztätigkeit
des Internet-Anbieters und einem bestimmten Markt hergestellt werden.
Somit kann es bei Handlungen im Internet, insbesondere bei Werbung,
nur auf den Markt jener Staaten ankommen, auf welche die Geschäftstätig-
keit nach ihrer Gestaltung und den sonstigen Umständen erkennbar ab-
zielt47. Die Bestimmung der Zielgerichtetheit kann dabei über jene Merk-
male erfolgen, die auch bei „B2C-Verträgen“ relevant sind48. Daraus folgt
auch, dass im Rahmen des Marktortprinzips ein einzelner zufällig erfolgter
Abschluss nicht zur Anwendung des betreffenden Marktortrechts führen
kann. Der Anbieter kann auch seine Zielrichtung durch einen Disclaimer
ausdrücklich beschränken, der freilich wirkungslos ist, wenn er gleichwohl
auf diesem Markt nennenswerte Geschäfte abschließt.
Für die Praxis folgt, dass die schlichte Möglichkeit, eine Website mit
wettbewerbswidrigem Inhalt in Österreich abzurufen, noch nicht österrei-
chisches Wettbewerbsrecht anwendbar macht. Um dies zu erreichen, muss
durch die im Internet gesetzte Handlung gezielt (zumindest auch) in das
inländische Marktgeschehen eingegriffen werden.

2. Marktortprinzip versus Herkunftslandprinzip

16/12 Auch wenn man dem gerade beschriebenen Ansatz folgt, bleiben für den
Internet-Anbieter eine Reihe von Risiken bestehen. Abhängig vom Ge-
richtsstand kann er sich einer Vielzahl von nationalen Wettbewerbsrechten
ausgesetzt sehen, was ein weitgehend einheitliches Auftreten in der Wer-
bung wesentlich erschwert. Dieser Nachteil des Anbieters kann nur da-
durch überwunden werden, dass im Internationalen Wettbewerbsrecht
nur das Recht seiner Niederlassung, nicht aber die Vielzahl der Marktort-
rechte zur Anwendung kommt. Nach diesem so genannten Herkunfts-
landprinzip hat der Internet-Anbieter nur noch die Anforderungen seines
heimischen (Wettbewerbs)-Rechts zu erfüllen.

46 Diese knüpfen an eine technische Vertriebssteuerung ab. Die Verbreitung einer Zeit-
schrift lässt sich im Großen und Ganzen durch die Gestaltung von Vertriebswegen be-
einflussen. Bei Satellitenprogrammen wird dies schon bedeutend schwieriger, im Internet
ist schließlich jede technische Steuerung praktisch unmöglich.
47 In diese Richtung wohl auch Lurger in Gruber (Hrsg), Die rechtliche Dimension des In-
ternet, 92, die auf eine bewusste Ausrichtung der Geschäftstätigkeit abstellt.
48 Sprache, Währung, Zahlungsmodalitäten, Produktbeschreibung, Lieferbedingungen,
Produktcharakteristika uä; vgl Rz 16/10.

182
Internationales Wettbewerbsrecht und eBusiness § 16

Im Bereich des eBusiness kommt dem in Art 3 E-Commerce-Richtlinie49


verankerten Herkunftslandprinzip besondere Bedeutung zu. Danach hat
der Niederlassungsstaat des Diensteanbieters die Einhaltung der inner-
staatlichen Vorschriften für die Dienste der Informationsgesellschaft zu be-
aufsichtigen. Im Gegenzug dürfen die anderen EU-Mitgliedstaaten den
freien Verkehr dieser Dienste grundsätzlich nicht einschränken. Das Her-
kunftslandprinzip der E-Commerce-Richtlinie kommt nur zur Anwen-
dung, wenn sowohl Niederlassungsstaat als auch Marktortstaat Mitglied-
staaten der UNION bzw des EWR sind. Das Herkunftslandprinzip ist
aber auf viele Rechtsbereiche überhaupt nicht anwendbar, weshalb Aus-
nahmen für das Urheberrecht, das Patent- und Markenrecht, die Freiheit
der Rechtswahl sowie für Verbraucherverträge vorgesehen sind, die spezi-
fischen Anknüpfungsgrundsätzen unterliegen. Sehr wohl beeinflusst das
Herkunftslandprinzip das Internationale Wettbewerbsrecht.
Die Umsetzung des Herkunftslandprinzips der E-Commerce-Richtlinie 16/13
erfolgte in Österreich durch §§ 20 ff E-Commerce-Gesetz50. Dabei waren
das Zusammenspiel von IPR und Herkunftslandprinzip und die Frage, ob
dieses Prinzip selbst als kollisionsrechtliche Regelung gelten sollte, durch-
aus umstritten. Die RV des ECG51 wollte das Herkunftslandprinzip nicht
als IPR-Regel umsetzen, sondern erst auf der sachrechtlichen Ebene als
Günstigkeitsvergleich einsetzen. Die endgültige Regelung in § 20 ECG be-
inhaltet jedoch eine Sachnormverweisung auf das Recht des Niederlas-
sungsstaates52. Für die Qualifikation der Niederlassung ist entscheidend,
wo der Schwerpunkt der wirtschaftlichen Tätigkeiten liegt, technische Kri-
terien wie der Standort des Servers sind unerheblich. Diensteanbieter, die
im EWR niedergelassen sind, unterliegen somit hinsichtlich der „Dienste
der Informationsgesellschaft“ – und damit nur für den Online-Bereich –
dem Recht ihres Niederlassungsstaates. Eine beachtliche Reihe von Aus-
nahmen ist in § 21 ECG normativ festgeschrieben, zudem können natio-

49 Richtlinie 2000/31/EG über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informa-
tionsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt,
ABlEG L 178 vom 17.7.2000, 1; zu ihrem Inhalt, Brenn, Der elektronische Geschäfts-
verkehr, ÖJZ 1999, 481.
50 Bundesgesetz, mit dem bestimmte rechtliche Aspekte des elektronischen Geschäfts- und
Rechtsverkehrs geregelt (E-Commerce-Gesetz – ECG) und das Signaturgesetz sowie die
Zivilprozessordnung geändert werden, BGBl I 2001/152; in Kraft getreten am 1.1.2002;
zu den Inhalten des ECG, eingehend Brenn (Hrsg), ECG (2002); Laga/Sehrschön/Ci-
resa, E-Commerce-Gesetz2 (2007); Zankl, E-Commerce-Gesetz (2002).
51 817 BlgNR 21 GP.
52 So auch Laga/Sehrschön/Ciresa, E-Commerce-Gesetz2, 97; in diesem Sinne wohl auch
Mottl in Brenn (Hrsg) ECG, 142; Zankl, E-Commerce-Gesetz (2002) Rz 315, 321.

183
§ 16 Exkurs: Internationales Privatrecht und eBusiness

nale Behörden und Gerichte in concreto Ausnahmen durch Einzelmaßnah-


men vorsehen53.

D. Internationales Immaterialgüterrecht und eBusiness

1. Bestehende Anknüpfungsprinzipien und eBusiness

16/14 Neben dem Austausch von Waren und Dienstleistungen kommt gerade im
direkten eBusiness dem Handel mit „Informationsgütern“ besondere Be-
deutung zu. Ob es um das Lesen einer Online-Zeitung, den Download von
Software oder den Zugriff auf eine Datenbank geht, immer sind entspre-
chende Immaterialgüterrechte – Marken- und Patentrecht sowie das Urhe-
berrecht – betroffen. Da durch sie der Zugang zu und die Verfügbarkeit
über Informationen gesteuert wird, kommt ihnen im Informationszeitalter
große gesellschaftliche Bedeutung zu. Da nationale Immaterialgüterrechte
in unterschiedlichem Umfang Schutz vor Eingriffen in Immaterialgüter-
rechte gewähren, ist die Frage nach dem anwendbaren Recht bei Handlun-
gen im Internet besonders kritisch54.
Die kollisionsrechtliche Anknüpfung von Immaterialgüterrechten er-
folgt in den meisten Staaten nach dem Schutzlandprinzip. In Österreich
ist dieses in § 34 Abs 1 IPRG verankert55. Es bestimmt das Recht jenes Staa-
tes, dessen immaterialgüterrechtlicher Schutz in Anspruch genommen
wird, als anwendbar. Für das Urheberrecht ist somit auch im Internet das
Recht des Ortes entscheidend, an dem eine Benützungs- oder Verlet-
zungshandlung gesetzt wurde, obwohl gerade diese Einordnung bei On-
line-Medien Schwierigkeiten bereitet. Denn für den Ort der Benützungs-
handlung kommt – vereinfacht dargestellt – der Staat in Betracht, von dem
aus das Werk zugänglich gemacht wird, und/oder der Staat, in dem es spä-
ter zum Abruf der Daten kommt. Folgt man dem Schutzlandprinzip, muss
ein Anbieter im Internet weltweit sicherstellen, dass sein Angebot nicht
Urheberrechte Dritter verletzt, da neben dem Land, wo die Einspeisung in
das Internet erfolgt, auch jeder andere Staat zum Ort einer Urheberrechts-
verletzung werden kann. Faktisch müsste sich der Anbieter am weltweit
strengsten Urheberrecht orientieren, da im grenzüberschreitenden Internet

53 §§ 22, 23 ECG.
54 Vgl dazu Haller, Music on demand (2001) 145 ff; Lurger in Gruber (Hrsg), Die rechtliche
Dimension des Internet, 95 ff; Muth, Die Bestimmung des anwendbaren Rechts bei Ur-
heberrechtsverletzungen im Internet (2000).
55 Rz 13/9. Für Verletzungshandlungen ist Art 8 Rom II-VO zu beachten.

184
Internationales Immaterialgüterrecht und eBusiness § 16

die Verbreitung von Daten aus technischen Gründen weder kontrolliert


noch beschränkt werden kann.
Weitere Immaterialgüterrechte wie Marken- und Patentrechte unter-
scheiden sich vom Urheberrecht durch die Registrierungspflicht. Sie ent-
falten daher ihre Schutzwirkung nach dem Territorialitätsprinzip nur in
dem betreffenden Registrierungsstaat, wodurch es per se zu einer Ein-
schränkung möglicher Schutzländer kommt. Durch multinationale Mar-
kenrechte56 und parallele Anmeldung in mehreren Staaten können Hand-
lungen im Internet gleichwohl mehrere Staaten berühren. Deshalb kann
die – technisch immer mögliche – Abrufbarkeit des Markennamens im
Schutzstaat für sich allein nicht ausreichen, die Maßgeblichkeit des Rechts
dieses Staates zu begründen57. Vielmehr muss auch im Bereich der Immate-
rialgüterrechte anhand inhaltlicher Merkmale58 der Website eine Ausrich-
tung auf einen bestimmten Markt erkennbar sein59.

2. Alternative Anknüpfungskonzepte

Aus dem oben Gesagten ergibt sich, dass die Schutzlandanknüpfung bei 16/15
Immaterialgüterrechtsverletzungen im Internet auf große Schwierigkeiten
stößt60. Daher wird nach alternativen Anknüpfungskonzepten gesucht61.
So wurde in Anlehnung an die Satelliten-Richtlinie eine Übertragung des

56 ZB die Rechte aus der EU-Gemeinschaftsmarke.


57 So erscheint die Anwendung österreichischen Markenrechts nicht gerechtfertigt, wenn
ein in Frankreich niedergelassener Unternehmer durch seinen Internet-Auftritt, der
nach seiner Erscheinung klar auf den italienischen Markt abzielt, in das österreichische
Markenrecht des Klägers eingreift; in diese Richtung auch Lurger in Gruber (Hrsg), Die
rechtliche Dimension des Internet, 97.
58 Vgl Rz 16/9.
59 Dass der OGH diesen Argumenten Beachtung schenkt, kann – wenn auch im Bereich
der internationalen Zuständigkeit nach Art 5 Z 3 EuGVÜ – aus der sog Boss-Entschei-
dung herausgelesen werden, ecolex 2001, 849 (Schönherr). Dabei klagte der österreichi-
sche Markeninhaber ein Unternehmen, das im Internet Werbung für „Boss-Zigaretten“
machte. Diese Zigaretten wurden in Slowenien hergestellt. Ein Verkauf in Österreich
fand nicht statt. Die Website war in deutscher und englischer Sprache, wobei sich kein
Hinweis fand, dass die Zigaretten nicht in Österreich erhältlich sind. In seiner Entschei-
dung ging das Höchstgericht nicht explizit auf die Frage ein, ob die bloße Abrufbarkeit
einer Website im Internet ausreichend ist, um eine inländische Benutzungshandlung an-
nehmen zu können. Stattdessen sprach der OGH klar aus, dass im konkreten Fall Art
und Präsentation des Angebots darauf schließen ließen, dass dieses auch auf den österrei-
chischen Markt ausgerichtet sei; OGH ÖBl 2001, 269. Vgl nunmehr das Vorabentschei-
dungsansuchen des OGH vom 26.3.2009; dazu RZ 16/9.
60 Schwimann, Internationales Privatrecht3 (2001) 148, bezeichnet sie gar als unanwendbar.
61 Übersicht bei Lurger in Gruber (Hrsg), Die rechtliche Dimension des Internet, 97.

185
§ 16 Exkurs: Internationales Privatrecht und eBusiness

Sendelandprinzips auf das Internet angeregt62. Damit würde die relevante


Benützungshandlung ausschließlich dort stattfinden, wo das Angebot für
das Internet zugänglich gemacht wird. Dies könnte technisch durch das
Laden der das Werk beinhaltenden Datei auf einen Internet-Server
(Uploading) erfolgen. Es wäre dann nur das Recht des Staates anzuwenden,
in dem die Einspeisung erfolgt. Für den Anbieter wäre damit erhöhte
Rechtssicherheit gegeben, es bestünde aber die Gefahr, dass es zur Verlage-
rung in Länder mit niedrigem Schutzniveau kommt. Andere Konzepte
stellen etwa auf den Ort der Interessensbeeinträchtigung des Verletzten
ab. Allen diesen Vorschlägen ist gemeinsam, dass sie verhindern wollen,
dass ein nationales Recht weltweit anwendbar werde. Internet-spezifischen
Problemen kann am besten durch internationale Rechtsharmonisierung
entgegengewirkt werden, die im Bereich des Immaterialgüterrechts auch
tatsächlich bereits seit dem 19. Jahrhundert stattfindet. Auch wenn man
(noch?) nicht von einem „Welturheberrecht“63 sprechen kann und das Ver-
hältnis von international mit Hilfe völkerrechtlicher Verträge geschaffenem
Einheitsrecht und Unionsrecht Probleme bereitet64, ist zu konzedieren,
dass „Geistiges Eigentum“ in besonders hohem Ausmaß durch internatio-
nale Abkommen abgesichert ist.65

62 Vgl etwa Bechtold, GRUR 1998, 18, 23.


63 Kohler, Urheberrecht (1907) Vorwort VII; aktuell als Postulat formuliert von Wandtke in
Wandtke/Bullinger Urheberrecht2 (2006) Rn 76.
64 Kaiser, Geistiges Eigentum und Gemeinschaftsrecht, Die Verteilung der Kompetenzen
und ihr Einfluss auf die Durchsetzbarkeit der völkerrechtlichen Verträge, Berlin (2005)
216.
65 Zu den bedeutendsten internationalen Rechtsquellen zählen die Revidierte Berner Über-
einkunft (RBÜ), das Römer Leistungsschutz-Abkommen, die WIPO Verträge WCT
und WPPT aus 1996. Von besonderer Effizienz zeigt sich die Einbindung sog Geistigen
Eigentums in die WTO durch Anhang 1 C TRIPS-Abkommen. Schließlich sind die Eu-
ropäischen Institutionen seit drei Jahrzehnten um die EWR-weite Harmonisierung des
Immaterialgüterrechts bemüht. Besonders auffällig ist die Einbeziehung von Urheber-
rechtsverletzungen in Art 10 der Cybercrime-Konvention des Europarates vom
23.11.2001 – European Treaty Series Nr 185 (von Österreich nicht ratifiziert), vgl
Rz 13/9.

186
Zweiter Teil: Einheitsprivatrecht

§ 17. Einführung: Wesen, Terminologie,


Kategorien
A. Die wachsende Bedeutung von Einheitsprivatrecht

Mit den Arbeiten an den naturrechtlichen Kodifikationen des Privatrechts, 17/1


von denen der Code civil von 1804 und das ABGB von 1811 noch immer in
jeweils vielfach novellierter Fassung in Kraft stehen, wurde im 18. Jahrhun-
dert in Kontinentaleuropa eine zweihundertjährige Epoche autonomer
nationalstaatlicher Rechtsentwicklung eingeleitet und zugleich der zu-
vor seit dem Hochmittelalter bestehende Zustand einer „weitgehend ein-
heitlichen Rechtskultur“ (Blaurock) beendet. Während einer zweiten Ko-
difikationsphase, der das deutsche Bürgerliche Gesetzbuch von 1896/1900
und die am 1.1.1912 in Geltung gesetzte schweizerische Zivilrechtskodifi-
kation entstammen, formierte sich ein Jahrhundert später eine Gruppe von
Juristen, die sich erstmals auf der Grundlage der komparativen Methode
der Vision eines international vereinheitlichten oder doch harmonisierten
„Weltprivatrechts“ zuwandten, die in Zeiten globaler Konflikte und um
die Weltherrschaft ringender, kontroverser Ideologien freilich nicht zu rea-
lisieren war.
Die Erleichterung des zwischenstaatlichen Verkehrs und die Intensivie-
rung des grenzüberschreitenden Waren- und Personenverkehrs durch die
Entwicklung neuer, leistungsfähiger und billiger Verkehrsmittel, die zu-
nehmende wirtschaftliche Verflechtung, die technologische Revolution auf
dem Sektor der elektronischen Kommunikation und schließlich auch der
weitgehende Abbau trennender Ideologien haben in einer sich über Jahr-
zehnte erstreckenden, sich stetig beschleunigenden Entwicklung die Not-
wendigkeit von international vereinheitlichten oder angeglichenen Re-
gelungen für viele Bereiche des Privatrechts akzentuiert.

187
§ 17 Einführung: Wesen, Terminologie, Kategorien

17/2 Im Zuge des Fortschreitens der Europäischen Integration hat die An-
gleichung bzw Vereinheitlichung der nationalen Privatrechte in Europa
eine neue Qualität erhalten, der sich Österreich nicht entziehen konnte. So
wurden schon im Zusammenhang mit dem am 1.1.1994 in Kraft getretenen
Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum1 zahlreiche „wirt-
schaftsnahe Regelungsbereiche“ an das Recht der europäischen Gemein-
schaft angepasst, ehe der Beitritt ab 1.1.1995 eine vollständige Übernahme
des acquis communautaire bewirkte. Doch auch über den Rahmen der eu-
ropäischen Integration hinaus stellt sich die Rechtsvereinheitlichung
heute im Privatrecht als ein außerordentlich dynamischer Wachstums-
sektor dar. Mehrere internationale Institutionen bemühen sich darum, ins-
besondere für das internationale Privatrecht, das Transportrecht, das Ver-
tragsrecht und das Haftungsrecht, einheitliche, die zu eng gewordenen
Grenzen der nationalen Privatrechtskodifikationen überwindende Rechts-
grundlagen zu schaffen.
17/3 Dabei werfen die Bemühungen um die internationale Vereinheitlichung von
Materien des Privatrechts spezifische Rechtssetzungsprobleme auf, da un-
terschiedliche Rechtsstile und Rechtssprachen auf einen gemeinsamen Nen-
ner gebracht werden müssen. Die an der Ausarbeitung und Redaktion eines
einheitsrechtlichen Textes beteiligten juristischen Experten müssen sich
auch in allen Phasen ihrer Tätigkeit bewusst sein, dass sie einer zweifachen
Gefahr ausgesetzt sind: Einerseits, die vereinheitlichte Regelung wegen zu
großer Kompromissbereitschaft gerade in inhaltlich neuralgischen Punkten
auf nichtssagende und ausfüllungsbedürftige Generalklauseln zu reduzie-
ren; andererseits, wegen der Divergenzen, die im Hinblick auf den Stil und
das spezifische Verständnis von Recht zwischen den einzelnen Staaten be-
stehen, Fremdkörper in die nationalen Rechtsordnungen zu verpflanzen.
In beiden Fällen wird den Gerichten der an der Vereinheitlichung beteilig-
ten Staaten eine schwere Aufgabe aufgebürdet. Müssen sie doch in dem
einen Fall unter Bedachtnahme auf die internationale Rechtsprechungsent-
wicklung die sachgerechte Konkretisierung der Generalklausel bewerkstel-
ligen, während sie im anderen Fall versuchen müssen, harmonisierende Lö-
sungen zu finden, welche die Einheit ihres staatlichen Rechts wahren.
17/4 Im Einheitsprivatrecht müssen daher auch spezifische Auslegungspro-
bleme bewältigt werden. Partikulare Praktiken bei Interpretation des Ein-
heitsrechtstextes und Füllung seiner Lücken würden die international an-
gestrebte Einheit wieder aufheben und den mit der Vereinheitlichung

1 Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum, BGBl 1993/909, Anpassungsproto-


koll, BGBl 1993/910.

188
Terminologisches § 17

bezweckten Erfolg vereiteln. Aufgabe der mit der Rechtsvereinheitlichung


auf universeller oder regionaler Ebene befassten Institutionen muss es des-
halb sein, dafür vorzusorgen, dass sich die Gefahr divergenter Interpreta-
tionsergebnisse von vornherein in Grenzen hält. Erleichtert wird diese
Aufgabe durch Regeln über die so genannte übereinkommensautonome
Auslegung oder durch den Aufbau eines übernationalen Apparates ein-
heitlich definierter fundamentaler Rechtsbegriffe2. Für das Gemeinschafts-
recht hat der EuGH als zentrales und oberstes Rechtsanwendungsorgan
spezifische Auslegungsregeln entwickelt. Ihm kommt eine wichtige Ein-
heit stiftende Funktion zu, hat er doch „die Wahrung des Rechts bei der
Auslegung und Anwendung“ des Gemeinschaftsrechts zu sichern3.

B. Terminologisches

Im einschlägigen deutschsprachigen Schrifttum finden Bezeichnungen wie 17/5


„Einheitsrecht“, „Harmonisierung des Rechts“, „Rechtsvereinheitli-
chung“, „Rechtsangleichung“ usw einmal als Oberbegriffe, dann wieder
als Umschreibung spezifischer Erscheinungsformen gezielter Rechtsüber-
einstimmung Verwendung. Bei der Frage, welchem Konzept der Vorzug
zu geben sei, verdient vor allem die Konzeption von Kropholler Beachtung.
Er hat vorgeschlagen4, die Bezeichnung „Internationales Einheitsrecht“
als Oberbegriff für alle bewussten Bemühungen um die Übereinstimmung
von Rechtsgebieten in mehreren Staaten zu verwenden und begreift da-
runter sowohl das „Einheitsrecht im strengen Sinn“ als das wörtlich gleich-
lautende Recht als auch das „Einheitsrahmenrecht“, bei dem sich die
Rechtsgleichheit nur auf die Grundzüge beschränkt und Abweichungen
im Detail möglich sind5. Die Verwendung des Oberbegriffs „Internationa-
les Einheitsrecht“ legt sich auch wegen der Parallelität mit der englischen
(uniform law) und französischen (loi uniforme) Rechtsterminologie nahe.
Bezüglich der Intensität von „Einheitsrecht“ sollte man am besten zwi-
schen den Idealtypen „Vereinheitlichung“ und „Angleichung“ differen-
zieren. Bei dieser Unterscheidung geht es nicht um ein „Entweder-oder“,

2 Vgl Rz 17/14–17/16.
3 Vgl ex Art 220 EGV; nunmehr Art 19 EUV.
4 Kropholler, Internationales Einheitsrecht, Allgemeine Lehren (1975) 1 ff.
5 Im alternativen Konzept von Schmeder, Die Rechtsangleichung als Integrationsmittel der
Europäischen Gemeinschaft (1978) 5 ff, fungiert „Rechtsangleichung“ als Oberbegriff, als
deren intensivste Form sich die „Rechtsvereinheitlichung“ darstellt, da sie zu wörtlich
gleichlautendem Recht, eben zu „Einheitsrecht“ führt, während der Begriff der „Rechts-
angleichung“, im engeren Sinn verwendet, ausdrücken soll, dass lediglich „Rechtseinheit“
geschaffen werde.

189
§ 17 Einführung: Wesen, Terminologie, Kategorien

sondern um ein „Plus-Minus-Verhältnis“6 insofern, als „Rechtsanglei-


chung“ im engeren Sinn gegenüber der Rechtsvereinheitlichung ein Minus
an Intensität aufweist. Die alles überdachende Gemeinsamkeit ist das ziel-
gerichtete Streben nach Rechtsgleichheit. Von diesen Begriffen werden
Übereinstimmungen in den Rechtsordnungen unterschiedlicher Staaten,
die nicht als Ergebnisse rationaler legislatorischer Bemühung, sondern
eher als Zufalls- und Nebenprodukte politischer Entwicklungen7 oder
spontan entstehen, nicht erfasst; entscheidend ist, dass das einheitliche
Recht das Ergebnis einer bewussten Zweckverfolgung ist8. Die Methoden
dieser Zweckverfolgung sind allerdings unterschiedlich. Internationales
Einheitsprivatrecht entsteht – von den besonderen Möglichkeiten in der
Europäischen Union einmal abgesehen – nicht nur im Gefolge völker-
rechtlich verbindlicher (multi- oder bilateraler) Staatsverträge. Auch die
Ausarbeitung von Modellgesetzen, deren freiwillige Übernahme in die na-
tionale Rechtsordnung einem Kreis von Staaten nahegelegt wird, fällt unter
die Kategorie „gezielter Rechtsvereinheitlichung“.
17/6 Fraglich ist, ob man auch die Bemühungen von internationalen, nicht staat-
lichen Organisationen und Einrichtungen, wie der Internationalen Han-
delskammer (ICC), der International Air Transport Association (IATA),
der International Law Association (ILA) usw, um die Schaffung einheitli-
cher Geschäftsbedingungen im Verkehr unter Kaufleuten und Unterneh-
mern, inhaltliche Vereinheitlichung typischer Vertragsklauseln (zB INCO-
TERMS9), Ausarbeitung einheitlicher Musterverträge uä, deren Ergebnisse
von Kropholler als „Klauselrecht“10 bezeichnet werden, unter den Begriff
des Einheitsrechts subsumieren darf. Diese für die Praxis des internationa-
len Warenverkehrs durchaus bedeutsamen Praktiken werden mitunter als
lex mercatoria (law merchant) bezeichnet, doch ist ihr Rechtscharakter
umstritten11. Wenngleich hier das Kriterium des zielgerichteten Strebens

6 David, The International Unification of Private Law, International Encyclopedia of


Comparative Law (1971) II/5 N 89.
7 Wie das Beispiel des französischen Code civil belegt, haben kriegerische Ereignisse wie
Okkupationen und Eroberungen in der Vergangenheit wiederholt zur räumlichen Aus-
weitung der Geltung eines nationalen Rechts geführt.
8 Vgl schon Dölle, Gezielte und gewachsene Rechtsvereinheitlichung, ZfRV 1963, 133;
Riese, Über die Methoden der internationalen Vereinheitlichung des Privatrechts, ZSR
N.F. 86-I (1967) 1.
9 Die gültige Fassung dieser in englischer Sprache authentischen „International Rules for
the Interpretation of Trade Terms“ ist seit 1.7.2000 relevant. Eine Neuverlautbarung ist
für 2010 zu erwarten.
10 Kropholler, Internationales Einheitsrecht 119 ff.
11 Zu diesem vor allem im französischen Schrifttum intensiv diskutierten Begriff, grundle-
gend Goldman, Frontières du droit et lex mercatoria, Archive de philosophie du droit

190
Entstehung von Einheitsprivatrecht § 17

nach Rechtsgleichheit auch erfüllt sein mag, darf doch nicht übersehen
werden, dass das durch „Klauselrecht“ geschaffene Einheitsrecht nicht das
Ergebnis des Zusammenwirkens staatlicher Instanzen ist und es ihm auch
an der Geltung als innerstaatliches, objektives Recht fehlt. Denn weder ist
es in den Rang eines innerstaatlichen Gesetzes erhoben noch erreicht es die
Qualität von (staatlichem) Gewohnheitsrecht. Ebenso stellt es regelmäßig
auch kein Völkergewohnheitsrecht dar12. Immerhin kann man im Klausel-
recht zumindest eine für den internationalen Rechtsverkehr unter Kaufleu-
ten und Unternehmern „willkommene Ergänzung des sonstigen Einheits-
rechts“13 sehen.
Klauselrecht kann von den Parteien eines internationalen Unterneh-
mensgeschäfts mittels materiellrechtlicher Rechtswahl zur Grundlage
für die Entscheidung allfälliger Rechtsstreitigkeiten gemacht werden und
auch im Rahmen von Schiedsverfahren praktische Bedeutung erlangen14.
Insofern waren die vom Römischen Internationalen Institut für die Verein-
heitlichung des Privatrechts, UNIDROIT, im Jahre 1994 in erster Auflage
herausgegebenen Principles of International Commercial Contracts15, die
als eine Art soft law die im Handelsverkehr etablierten Regeln kodifika-
tionsähnlich und regelhaft zusammenfassten, durchaus erfolgreich.

C. Entstehung von Einheitsprivatrecht

Zahlreiche Institutionen bemühen sich um Rechtsvereinheitlichung auf 17/7


dem Gebiet des Privatrechts: so insbesondere

· die Kommission der Vereinten Nationen für das internationale Han-


delsrecht, UNCITRAL, mit Sitz in Wien16;
· das Internationale Institut für die Vereinheitlichung des Privatrechts,
UNIDROIT, mit Sitz in Rom17;

(1964) 177; krit zB Lagarde, Approche critique de la lex mercatoria, in: Le droit de rela-
tions économiques internationales, Études offertes à Berthold Goldman (1982) 125; vgl
auch Kassis, Théorie générale des usages du commerce (1984) insb 271 ff.
12 Siehe etwa BGH NJW 1983, 1322 (1323) hinsichtlich von der IATA empfohlener AGB.
13 Kropholler, Internationales Einheitsrecht 126.
14 Die Verordnung Rom I stellt in ihrer Präambel, Erwägungsgrund 13 klar, dass diese Ver-
ordnung „die Parteien nicht daran [hindert], in ihrem Vertrag auf ein nichtstaatliches Re-
gelwerk [. . .] Bezug zu nehmen.“
15 Aktuelle Fassung von 2004.
16 Über Entstehung und Wirken von UNCITRAL, die 1966 über ungarische Initiative ge-
gründet wurde und am 1.1.1968 zunächst noch in New York ihre Tätigkeit aufnahm und
seit 1980 ihren Sitz in Wien hat, vgl UNCITRAL Homepage: http://www.uncitral.org/.
17 UNIDROIT wurde über Initiative von Rabel vom Völkerbund in den späten zwanziger
Jahren des 20. Jahrhunderts eingerichtet. Auf Vorarbeiten von UNIDROIT, das auch

191
§ 17 Einführung: Wesen, Terminologie, Kategorien

· der Europarat mit Sitz in Straßburg18;


· die Internationale Handelskammer, ICC, mit Sitz in Paris19;
· die Internationale Kommission für das Zivilstandswesen, CIEC, mit
Büro in Bern20;
· die Internationale Arbeitsorganisation, ILO, mit Sitz in Genf21; und
· die Europäische Union.
Den Institutionen der Europäischen Union steht ein besonderes Instru-
mentarium für die Schaffung von Einheitsrecht zur Verfügung. Durch
den Binnenmarkt besteht ein besonderer Bedarf an gemeinschaftsweit
identischem oder doch angeglichenem Recht. Der faktische Zwang zur
Rechtsgleichheit im allgemeinen Schuldrecht, Unternehmens- und Gesell-
schaftsrecht, Verbraucherrecht und Wirtschaftsrecht schafft eine Sonder-
situation, auf die schon die Verfasser des Vertrages zur Gründung der Eu-
ropäischen Wirtschaftsgemeinschaft vom 25.3.1957 Bedacht nahmen, als
sie unter den Tätigkeitsbereichen der Gemeinschaft in Art 3 lit h) EWGV
„die Angleichung der innerstaatlichen Rechtsvorschriften, soweit dies für
das ordnungsgemäße Funktionieren des Gemeinsamen Marktes erforder-
lich ist“, anführten. Von allem Anfang an war eine allgemeine Kompetenz-
grundlage für die Rechtsangleichung unter der Voraussetzung ihrer
unmittelbaren Auswirkung auf die Errichtung bzw das Funktionieren des
Gemeinsamen Marktes vorgesehen22. Diese Generalkompetenz zur
Rechtsangleichung ist seither durch die Einheitliche Europäische Akte,
den Maastrichter Unionsvertrag und den Amsterdamer Vertrag um weitere
allgemeine und spezielle Rechtsangleichungskompetenzen ergänzt wor-
den. Das seinerzeit in Art 189 EWG festgelegte spezifisch gemeinschafts-
rechtliche Instrumentarium für die Vereinheitlichung und Angleichung
des Rechts blieb in Art 249 EG nach dem Amsterdamer Vertrag unverän-
dert und wurde mit Wirksamwerden des Vertrags von Lissabon in der
deutschen Fassung geringfügig modifiziert: An die Stelle der „Entschei-
dung“ ist im nunmehr relevanten Art 288 AEUV der „Beschluss“ treten.

heute noch intensiv um die internationale Rechtsangleichung bemüht ist, geht insbeson-
dere das vereinheitlichte Recht des Warenkaufs (CISG) zurück; vgl http://www.unidroit.
org/.
18 Näheres unter http://www.coe.int/.
19 Dazu http://www.iccwbo.org/.
20 Informationen über die CIEC: http://www.ciec1.org/.
21 Homepage: http://www.ilo.org/global/lang–en/index.htm.
22 Ex Art 94 EGV; nunmehr Art 115 AEUV.

192
Kategorien § 17

Internationale Rechtsvereinheitlichung setzt regelmäßig die Erarbeitung 17/8


von allgemein akzeptablen Kompromissen voraus, wobei zunächst natio-
nalstaatliche Widerstände überwunden werden müssen, was ohne ein kon-
kretes Bedürfnis nach übereinstimmenden oder zumindest „konformen“
Regelungen nicht gelingen kann. Unumgänglich ist sodann die rechtsver-
gleichende Analyse der nationalen Rechte der Vereinheitlichungsstaaten:
Im Einheitstext soll das in den Rechtsordnungen jeweils Gleiche auf den
kleinsten erzielbaren gemeinsamen Nenner gebracht werden. Den bisher
auf einheitsprivatrechtlichem Gebiet realisierten Übereinkommen gingen
daher regelmäßig eingehende vergleichende Studien voraus23. Der erziel-
bare Kompromiss muss sich nicht notwendig auf die Vereinheitlichung
von materiellem Recht erstrecken. Wie die Haager Übereinkommen illust-
rieren, vermag oft schon vereinheitlichtes Kollisionsrecht, das eindeutige
und gleichartige Kriterien für die Anknüpfung von „Sachverhalten mit
Auslandsberührung“ vorsieht, als „Vorstufe“ zur Sachrechtsvereinheitli-
chung dem Bedürfnis nach Rationalisierung und Vereinfachung des inter-
nationalen Rechtsverkehrs Genüge zu tun.

D. Kategorien

1. Interne – Internationale Vereinheitlichung

Die interne Rechtsvereinheitlichung beschränkt sich auf das Gebiet eines 17/9
souveränen Staates. Historische Beispiele bilden die großen Kodifikationen
des Bürgerlichen Rechts: So wurde etwa durch den Code civil erstmals ein
einheitliches bürgerliches Recht in Frankreich geschaffen, durch das In-
krafttreten des BGB am 1.1.1900 die Rechtszersplitterung im deutschen
Reich überwunden und durch ZGB und OR die kantonale Rechtsvielfalt
in der Schweiz beseitigt. Noch heute bestehen aber innerhalb der Europä-
ischen Union im United Kingdom mehrere Teilrechtsordnungen, die sich
nicht nur in Marginalien vom englischen Recht unterscheiden, was insbe-
sondere für das schottische Privatrecht gilt, und auch in Spanien ist nur
das Eherecht landesweit vereinheitlicht24.

23 Bekanntestes Beispiel ist das zweibändige Werk von Rabel, Das Recht des Warenkaufs,
das die Grundlage für die Vereinheitlichung des Rechts des internationalen Warenkaufs
bildete.
24 Am Beispiel der Vereinigten Staaten von Amerika lässt sich zeigen, dass interne Verein-
heitlichung nach wie vor ein aktuelles Anliegen sein kann. Erfolgreich war dort insb die
Vereinheitlichung des amerikanischen Handelsrechts durch den Uniform Commercial
Code (UCC).

193
§ 17 Einführung: Wesen, Terminologie, Kategorien

Die Internationale Rechtsvereinheitlichung bemüht sich dagegen um


die Vereinheitlichung von Teilbereichen der Rechtsordnungen einzelner
souveräner Staaten mit Hilfe des vom Völkerrecht vorgegebenen Instru-
mentariums. In der Europäischen Union steht zudem das supranationale
Instrumentarium des Art 288 AEUV zur Verfügung. Von der Sondersitua-
tion in der EG abgesehen, waren die Vereinheitlichungsbemühungen auf
privatrechtlichem Gebiete bisher zumeist nur erfolgreich, wenn sie sich the-
matisch auf spezifische, oft eng begrenzte Fragestellungen und regional auf
Staaten mit vergleichbaren sozio-ökonomischen Strukturen beschränkten.

2. Vereinheitlichung von Kollisionsrecht, internationalen


Sachverhalten, Sachrecht

17/10 „Kollisionsrecht“, „Regeln über internationale Sachverhalte“ und „internes


Sachrecht“ bilden drei unterschiedliche Vereinheitlichungsgegenstände:
· Kollisionsrecht: Die unterschiedliche Ausgestaltung des Kollisions-
rechts in mitunter nur rudimentären Kodifikationen bildet Hindernisse
für den rechtlich und verkehrstechnisch wesentlich erleichterten grenz-
überschreitenden Personen- und Warenverkehr. Seit 1893 bemühen sich
die nunmehr im Vierjahresrhythmus abgehaltenen Haager IPR-Konfe-
renzen um die Vereinheitlichung des Kollisionsrechts unter Einschluss
des Internationalen Zivilverfahrensrechts. Zu den Themen, für die ein-
heitliche Anknüpfungsnormen vorgeschlagen wurden, zählen zB Ver-
jährung und Eigentumsübergang bei internationalen Warenkaufverträ-
gen, Schadenersatz bei Verkehrsunfällen mit Auslandsberührung,
Produkthaftung, diverse Aspekte des internationalen Erb- und Fami-
lienrechts. Der aktuelle Bestand umfasst 39 Haager Übereinkommen25.
Allerdings wurden die meisten der in den Sessionen der Haager IPR-
Konferenz ausgearbeiteten Konventionen trotz ihrer a priori einge-
schränkten Vereinheitlichungszielsetzung nur von wenigen Staaten
übernommen. Sie blieben in ihrer Mehrheit bloße „Übereinkommens-
ruinen“.
· Internationale Sachverhalte: Auch hinsichtlich der „internationalen“
oder „grenzüberschreitenden Sachverhalte“ schreitet die Rechtsverein-
heitlichung voran. Hier richten sich die nicht selten auf ad hoc einberu-
fenen Konferenzen verfolgten Vereinheitlichungs- bzw Angleichungs-
bemühungen insbesondere auf das Transportrecht (zB betreffend den
Lufttransport: Warschauer Abkommen (WA), Haager Protokoll, Zu-

25 Hinsichtlich der von Österreich ratifizierten Haager Übereinkommen, vgl Rz 3/4.

194
Kategorien § 17

satzabkommen von Guadalajara26, nunmehr Montrealer Übereinkom-


men; betreffend den Eisenbahntransport: CIM27, CIV28 und COTIF29;
betreffend den Gütertransport auf der Straße: CMR30); das Warenkauf-
recht (vgl UN-Übereinkommen über Verträge über den internationalen
Warenkauf, CISG31); das Immaterialgüterrecht (vgl das Welturheber-
rechts-Abkommen32, die Berner Übereinkunft zum Schutz von Werken
der Literatur und Kunst33 und die Pariser Verbandsübereinkunft zum
Schutz des gewerblichen Eigentums34). Österreich hat zahlreiche Über-
einkommen ratifiziert, die die Vereinheitlichung auf solche rechtliche
Regeln beschränken, die internationale Sachverhalte betreffen; darunter
das WA idF des Haager Protokolls und des Abkommens von Guadala-
jara35, das Montrealer Übereinkommen36, die CMR37, die Eisenbahnt-
ransportübereinkommen38 und das CISG39. Auch in der Einschränkung
auf „internationale Sachverhalte“ kommen die Einheitsrechtstexte nur
in Ausnahmefällen einer universellen Geltung nahe.
· Nationales (internes) Sachrecht: Außerhalb der Europäischen Ge-
meinschaft erstreckt sich die Rechtsvereinheitlichung nur selten auf rein
innerstaatliche Sachverhalte ohne Auslandsberührung. Beispiele sind
etwa die (inhaltlich überholten) Genfer Wertpapierübereinkommen, die
in Österreich im Wechsel- und Scheckgesetz Niederschlag gefunden
haben40. Da sie das interne Sachrecht zum Gegenstand hat, geht es dieser
Form der Rechtsvereinheitlichung um die gänzliche oder doch weitge-

26 Seit Inkrafttreten des Montrealer Übereinkommens über die Beförderung im internatio-


nalen Luftverkehr in Österreich nicht mehr aktuell.
27 Abkürzung für Convention internationale concernant le transport des marchandises par
chemin de fer vom 14.10.1890, mehrfach revidiert.
28 Abkürzung für Convention internationale concernant le transport des voyageurs et des
bagages par chemin de fer vom 23.10.1924, mehrfach revidiert.
29 Abkürzung für Convention relative aux transports internationaux ferroviaires vom
9.5.1980; dazu de la Motte, TranspR 1985, 245.
30 Abkürzung für Convention relative au contrat de transport international des marchan-
dises par route vom 19.5.1956, BGBl 1961/138. Gemäß § 439a HGB (nunmehr UGB)
idF BGBl 1990/459, sind die Bestimmungen der CMR auch auf innerösterreichische
Straßentransporte anzuwenden; dazu Jesser, Frachtführerhaftung nach der CMR (1992).
31 Auch im deutschsprachigen Schrifttum ist mittlerweile CISG die gebräuchlichste Ab-
kürzung für Convention on Contracts for the International Sale of Goods.
32 Genfer Fassung, vgl BGBl 1957/108.
33 Stockholmer Fassung, vgl BGBl 1973/398.
34 Vgl BGBl 1973/399.
35 BGBl 1961/286, BGBl 1966/46, BGBl 1971/161.
36 BGBl III 2004/131.
37 BGBl 1961/138, BGBl 1981/192.
38 BGBl 1964/266 und 267 bzw BGBl 1985/225.
39 BGBl 1988/96; in Österreich in Kraft seit 1.1.1989. Dazu Rz 19/1–19/35.
40 BGBl 1955/49 idF BGBl 1991/10 und BGBl 1955/50 idF BGBl 2003/112.

195
§ 17 Einführung: Wesen, Terminologie, Kategorien

hende Beseitigung der Verschiedenheiten und der Vielfalt nationaler


Rechtsordnungen41. Objekte der Vereinheitlichung (oder Angleichung)
materiellen Rechts sind vor allem Teilbereiche von Rechtsgebieten, die
nach kontinentaleuropäischem Verständnis dem Privatrecht im weiteren
Sinn unter Einschluss des Unternehmens- und Wirtschaftsrechts zuzu-
rechnen sind. Durch die Erfordernisse des Binnenmarktes und die An-
erkennung flankierender Politiken – wie Umwelt- und Verbraucher-
politik – besitzt die Vereinheitlichung internen Sachrechts im Rahmen
der EU bzw des EWR einen besonderen Stellenwert.

3. Vereinheitlichung und Angleichung

17/11 Rechtsvereinheitlichung im eigentlichen Sinn zielt auf ein wörtliches


gleich werden der Rechtsordnungen der teilnehmenden Staaten ab, auf
„echtes Einheitsrecht“ (loi uniforme, uniform law). Im EU-Recht ist das In-
strument der Rechtsvereinheitlichung die Verordnung gemäß Art 288 Abs 2
AEUV, die „in allen ihren Teilen verbindlich“ ist und in jedem Mitgliedstaat
unmittelbare Geltung hat. Rechtsangleichung beschränkt sich dagegen auf
ein Harmonisierungsziel, auf eine Annäherung (approximation) der Rechts-
ordnungen. Angepasstes, nicht wörtlich gleich gewordenes Recht ist das
Ziel, Ergebnis eine „loi conforme“. Das typische Instrument der Rechtsan-
gleichung ist im Gemeinschaftsrecht die Richtlinie gemäß Art 288 Abs 3
AEUV: Sie ist „teilverbindlich“, muss in nationales Recht umgesetzt werden
und bindet die Mitgliedstaaten nur hinsichtlich des Regelungszieles, nicht
jedoch hinsichtlich der einzusetzenden rechtstechnischen Mittel.

4. Universale – Regionale Vereinheitlichung

17/12 Universale Rechtsvereinheitlichung ist eher die Ausnahme und konnte


bisher nur ganz selten erreicht werden: Das klassische und heute schon his-
torische Beispiel ist das WA, das zumeist in der durch das Haager Proto-
koll revidierten Fassung von rund 150 Staaten ratifiziert bzw übernommen
worden war42. Um eine globale Vereinheitlichung von Teilgebieten des

41 Vereinheitlichung internen Sachrechts macht daher in ihrem Wirkungsbereich eine inter-


national-privatrechtliche Prüfung des anwendbaren Rechts überflüssig, da das in Frage
kommende Sachrecht in der potentiell maßgeblichen fremden Rechtsordnung und im in-
ländischen Recht identische Regelungen aufweist.
42 Vor allem aufgrund seiner unzeitgemäß gewordenen Haftungshöchstbeträge war es
jedoch schon länger vehementer Kritik ausgesetzt. So hob etwa 1985 das italienische Ver-
fassungsgericht (Air Law 1985, 297) das Gesetz, welches es in die italienische Rechtsord-
nung transformierte, wegen Verletzung der verfassungsmäßig gewährleisteten Men-

196
Kategorien § 17

internationalen Unternehmens- bzw Handelsrechts bemüht sich auch


UNCITRAL, deren bisher wichtigste Konvention, CISG, sich nur lang-
sam einer globalen Akzeptanz nähert43. Konnte man bis 1990 primär in
den großen ideologischen Divergenzen im Ost-Westverhältnis den Grund
für die keineswegs beeindruckende Bilanz der universalen Rechtsverein-
heitlichung erblicken, sind es heute das noch immer bestehende wirtschaft-
liche Nord-Süd-Gefälle und die (Re-)Islamisierung des Rechts, von der
rund 1,2 Milliarden Menschen unterschiedlich stark betroffen ist, die nicht
zu unterschätzende Störfaktoren in diesem Prozess bilden. Die Idee eines
„Weltrechts“ ist – selbst wenn sie sich nur auf einige begrenzte Teilrechts-
bereiche bezieht – auch heute noch bloße Utopie. Bemühungen um re-
gionale Rechtsvereinheitlichung sind chancenreicher, wobei Europa die
bedeutendste geografische Einheit darstellt, in der substanzielle Rechtsver-
einheitlichung betrieben wird. Schon seit den fünfziger Jahren hat der Eu-
roparat rechtsvereinheitlichende bzw angleichende Aktivitäten entfaltet, in
deren Rahmen zahlreiche „Europäische Konventionen“ ausgearbeitet
wurden44, die allerdings größtenteils mangels Ratifikationen „Überein-
kommensruinen“ geblieben sind45. Wo es – wie bei der Produkthaftung –
zu konkurrierenden Projekten des Europarats und der EG kam, setzte
sich das schneidigere Instrumentarium des Gemeinschaftsrechts durch.
Die EU ist heute die wichtigste Institution, die europaweit vereinheitlich-
tes bzw angeglichenes Recht schafft, was weniger damit zu begründen ist,
dass die faktischen Voraussetzungen wie das hohe Maß an wirtschaftlicher
Verflochtenheit und die räumliche Enge der Staaten für den Erfolg rechts-
vereinheitlichender bzw angleichender Aktivitäten hier besonders günstig
sind. Vielmehr ist entscheidend, dass der Vertrag über die Arbeitsweise der
Europäischen Union in der Fassung des Vertrags von Lissabon einen stabi-

schenwürde auf. Die USA hielten sich schon seit längerem nicht mehr an das WA und
verlangten von den Fluglinien eine wesentlich höhere Haftungsgarantie. In immer mehr
Staaten ist seit 1999 das Montrealer Übereinkommen in Kraft getreten.
43 Am 1.7.2010 stand CISG in 74 Staaten in Geltung; vgl Anhang zu § 19.
44 Veröffentlicht in der European Treaty Series, die mehr als 200 Vereinheitlichungsprojekte
erfasst; abrufbar unter: http://conventions.coe.int/Treaty/Commun/ListeTraites.asp?
CM=8&CL=ENG; allerdings betreffen nicht alle privatrechtliche Materien (zB Nr 91:
Produkthaftung: 1977, gescheitert; Nr 150: Umwelthaftung: 1993, Ratifikationen aus-
ständig). Besonders erfolgreich war der Europarat im Menschenrechtsschutz: Die Euro-
päische Menschenrechtskonvention (EMRK) von 1950, zu der im Laufe der Zeit zahlrei-
che Zusatzprotokolle hinzukamen, ist heute von allen Mitgliedstaaten des Europarates
ratifiziert, in Österreich durch BGBl 1958/210.
45 Beispiele für erfolgreiche Vereinheitlichung durch den Europarat stellen die Überein-
kommen über die Kfz-Haftpflichtversicherung bzw über die Haftung der Herbergs-
wirte dar.

197
§ 17 Einführung: Wesen, Terminologie, Kategorien

len supranationalen Rahmen für eine integrationspolitisch motivierte


Rechtsangleichung bietet46.

E. Einheitsrecht als Sonderform gesatzten Rechts

17/13 In das österreichische Recht findet das Einheitsrecht, das von internationa-
len Organisationen wie UNCITRAL, Europarat, Haager IPR-Konferen-
zen in Form völkerrechtlicher Verträge ausgearbeitet wird, üblicherweise
mit der Ratifikation durch den Nationalrat Eingang, wobei die allfällige
Bindung an Gemeinschaftsrecht zu berücksichtigen ist. Dabei muss das
Gesetzgebungsorgan den jeweiligen Regelungskomplex als vorgegeben
akzeptieren und auf die vorgeblich höhere ratio der international akkor-
dierten Vorlage vertrauen. Die alternativ mögliche Ablehnung kann unter
Umständen einen in völkerrechtlicher Hinsicht „unfreundlichen Akt“ dar-
stellen. Nur wenn in dem internationalen Instrument selbst Optionen vor-
gesehen werden, bleibt den nationalen Gesetzgebungsinstanzen ein „ka-
nalisierter Rest“ von Gestaltungsmöglichkeit. Die begrenzte Möglichkeit
zur Modifikation des Einheitstextes läuft dem „Souveränitätsdenken“ der
Staaten zuwider und fordert den Widerstand der staatlichen Normsetzer
heraus47, da die Gesetzgebungskompetenz nach tradiertem Verständnis zu
den Wesensmerkmalen der staatlichen Souveränität zählt.
Österreich hat allerdings seine Gesetzgebungskompetenz im marktna-
hen Privatrecht spätestens48 zum Stichtag 1.1.1995 weitgehend auf die hie-
für zuständigen EU-Institutionen übertragen. Im supranationalen Rahmen
kann in einigen Rechtsangleichungsbereichen mit Hilfe von Verordnungen
auch unmittelbar wirksames Einheitsrecht geschaffen werden, doch be-
darf das sekundäre Gemeinschaftsrecht immer dann, wenn europäische
Rechtsangleichung mit der Hilfe von Richtlinien angestrebt wird, der
„Umsetzung“ (implementation) durch den nationalen Gesetzgeber. Im

46 Durch das EWR-Abkommen und vertragliche Vereinbarungen mit den zentral- und ost-
europäischen Reformstaaten (Polen, Tschechische Republik, Ungarn, Slowenien, zuletzt
auch Kroatien usw) wurde der europarechtliche acquis communautaire schon vor der
Erweiterung 2004 über die EU hinaus ausgeweitet. Auch die Schweiz, deren Bevölke-
rung sich im Referendum vom 6.12.1992 von dieser Entwicklung ausgeschlossen hat, ist
auf bilateralem Wege und „autonom“ um Rechtsanpassung bemüht.
47 Weitere Hindernisse kommen hinzu: zB die schon von David, International Unification
N 57 ff, besonders gewichtete Neigung der Juristen zu „Routine“ und „Vorurteil“, die
auch Zweigert ansprach, als er vor 60 Jahren von einem „Komplex aus der Studienzeit“
geschrieben hat: Zweigert, Die Rechtsvergleichung im Dienste der europäischen Rechts-
vereinheitlichung, RabelsZ 16 (1951) 387 f.
48 Hinsichtlich der vom EWR-Übereinkommen erfassten Materie schon ein Jahr früher.

198
Der Umgang mit Einheitsprivatrecht § 17

Recht der Europäischen Gemeinschaften eröffnet die „Richtlinie“ als das


„spezifische Mittel der Rechtsangleichung“ den Mitgliedstaaten jenen
Handlungsspielraum, der es ihnen erleichtert, sich der supranationalen Ge-
setzgebungsmacht zu unterwerfen, da ihnen die Wahl der rechtstechni-
schen Mittel, mit denen sie die Umsetzung bewerkstelligen, überlassen
bleibt49.

F. Der Umgang mit Einheitsprivatrecht

Um das Ziel der Rechtsvereinheitlichung bzw Rechtsangleichung, den 17/14


internationalen Entscheidungseinklang in der Anwendung des Einheits-
textes, zu erreichen, ist es notwendig, dass die Auslegung des einheits-
rechtlichen Textes überall nach den gleichen Regeln vorgenommen
wird50. Deshalb enthalten internationale Übereinkommen wie das CISG
in Art 7 spezifische Auslegungsregeln, die ihre einheitliche Anwendung si-
chern sollen. Es wäre unzulässig, die für das nationale Recht geltenden
Auslegungsregeln – in Österreich: §§ 6, 7 ABGB – unreflektiert auf verein-
heitlichtes bzw harmonisiertes Recht anzuwenden. Strittig ist aber, welche
Auslegungsregeln mangels spezifischer Anordnung tatsächlich Anwen-
dung finden sollten – entweder jene der Art 31 bis 33 der Wiener Vertrags-
rechtskonvention51, oder jene des Sachrechts, auf welches das nationale
IPR verweist, oder gar durch Rechtsvergleichung gewonnene „autonome“
Regeln?
Die optimale Vorgangsweise ist wohl eine übereinkommensautonome
Auslegung, von der angenommen werden kann, dass auch ein ausländi-
sches Gericht ihr folgen würde, was nur dann möglich ist, wenn stets der
internationale Ursprung des auszulegenden Textes bedacht wird. Interna-
tionaler Entscheidungseinklang fordert auch, dass, wenn ein ausländisches
Gericht, insbesondere eines mit hoher Reputation, die in concreto strittige
Rechtsfrage bereits entschieden hat, dieser Entscheidung Beachtung ge-
schenkt werde, sofern nicht sehr erhebliche Bedenken – etwa unter ordre
public-Aspekten – gegen sie bestehen.

49 Setzt ein Mitgliedstaat eine Richtlinie nicht fristgerecht um, kann die Kommission gegen
ihn ein Verfahren wegen Vertragsverletzung gem Art 258 AEUV einleiten und ein da-
durch Geschädigter die Staatshaftung des säumigen Mitgliedstaates ansprechen.
50 Dazu Kramer, Uniforme Interpretation von Einheitsprivatrecht – mit besonderer Be-
rücksichtigung von Art 7 UNKR, JBl 1996, 137.
51 Vienna Convention on the Law of Treaties vom 23.5.1969, BGBl 1980/40.

199
§ 17 Einführung: Wesen, Terminologie, Kategorien

17/15 Wegen der üblichen Mehrsprachigkeit von internationalen Überein-


kommen ergeben sich besondere Probleme semantischer Natur, da bei
Verwendung von zwei oder mehr offiziellen Übereinkommenssprachen
die große Gefahr besteht, dass von allem Anfang an der Keim zu uneinheit-
lichen Rechtsprechungspraktiken gelegt wird. Bedenkt man, dass die im
Rahmen der Vereinten Nationen und ihren Kommissionen ausgearbeiteten
Übereinkommen in sechs Sprachen52 authentisch sind, leuchtet ein, dass
bereits bei Formulierung der einzelnen authentischen Textfassungen pein-
lich genau darauf geachtet werden muss, dass die jeweils verwendeten Be-
griffe auch tatsächlich gleiche Inhalte haben. Daran ändert auch nichts, dass
in der Praxis regelmäßig die Bezugnahme auf die englische Fassung im Vor-
dergrund steht. Hier muss vor allem das Problem gemeistert werden, dass
sich bestimmte Begriffe nicht wörtlich übersetzen lassen oder kein Äquiva-
lent in anderen Rechtssprachen haben. Das Ausmaß der aus dem Mangel
übernational einheitlich festgelegter Begriffsinhalte resultierenden Ge-
fährdung der angestrebten Rechtsgleichheit darf keineswegs unterschätzt
werden53. Allerdings könnte der Gefahr divergenter Sprachfassungen da-
durch entgegen gesteuert werden, dass man sich über eindeutig definierte,
„von ihren nationalen Wurzeln losgelöste und nur von ihrem übernationa-
len Zweck bestimmte Begriffe“54 oder gar über ein „gemeinsames Vor-
verständnis und gemeinsame Denktraditionen“55 einigte. Besondere Pro-
bleme stellen sich bei den Verordnungen und Richtlinien der europäischen
Rechtssetzungsorgane, die in dreiundzwanzig Sprachen authentisch sind56.
Hier kommt es insbesondere bei Verordnungen darauf an, dass alle Sprach-
fassungen sorgfältig erstellt und inhaltliche Divergenzen a priori vermieden
werden, allerdings kann der EuGH gegebenenfalls für eine einheitliche
Auslegung sorgen.
17/16 Dem Bedürfnis nach einheitlich umschriebenen Begriffen wird keineswegs
immer durch die Aufnahme von Legaldefinitionen in einzelne Konven-
tionstexte entsprochen. Wo dies geschieht, wird die Auslegung durch die
Klarstellung, welche spezifische Bedeutung gewissen jeweils zentralen

52 Arabisch, chinesisch, englisch, französisch, russisch, spanisch.


53 Die angestrebte Vereinheitlichung kann auch durch fehlerhafte Übersetzung aus einer
authentischen in eine andere Sprache beeinträchtigt werden, da Richter in der Regel nur
mit der in ihrem Land in Kraft gesetzten eigensprachlichen Fassung arbeiten.
54 Vgl Dölle, Zur Problematik mehrsprachiger Gesetzes- und Vertragstexte, RabelsZ 26
(1961) 4 (31).
55 Kötz, Gemeineuropäisches Zivilrecht, in Zweigert-FS (1981) 481 (491).
56 Deshalb ist die EU die global größte Arbeitgeberin für Übersetzer und Dolmetscher.

200
Der Umgang mit Einheitsprivatrecht § 17

Rechtsbegriffen „for the purposes of this convention“57 zukommt, erleich-


tert. Wenig Erfolg war dagegen den Bemühungen des Europarats um die
Schaffung eines international einheitlichen Begriffsapparats beschieden.
Die Resonanz auf die Entschließung (72) 1 des Ministerkomitees über die
Vereinheitlichung des Domizilbegriffs58, in der die Bedeutung der Begriffe
„Wohnsitz“ und „Aufenthalt“ recht kompliziert nach Regeln und Moti-
venberichten gegliedert festgelegt wurden, hielt sich ebenso in Grenzen
wie die Wahrnehmung der zweiten derartigen Entschließung (75) 7 zur
Vereinheitlichung des Rechts des Schadenersatzes bei Körperverletzung
und Tötung, die in neunzehn Grundsätzen festschreibt und in einem aus-
führlichen „Explanatory Memorandum“ erläutert, wie der Ersatz bei die-
sen Schadenstypen beschaffen sein soll59. Die an diese Entschließungen60
geknüpfte, an die Mitgliedstaaten des Europarats gerichtete Empfehlung,
sich bei der Ausarbeitung neuer Rechtsvorschriften auf den jeweils ange-
sprochenen Gebieten an den erarbeiteten „Regeln“ bzw „Grundsätzen“
zu orientieren und für ihre innerstaatliche Bekanntmachung zu sorgen,
blieb ohne erkennbare Konsequenzen, ihr Wert umstritten. Pragmatiker,
die eine Vereinheitlichung bestimmter Rechtsbereiche von einem konkre-
ten Bedürfnis nach Rechtsgleichheit abhängig machen und nur im Erschei-
nungsbild verbindlicher Normen akzeptieren, halten sie für überflüssig.
Wem jedoch die Rückkehr zu einem Gemeineuropäischen Zivilrecht er-
strebenswert scheint, muss sie vorbehaltslos begrüßen, doch hat der Euro-
parat seine Bemühungen auf diesem Gebiet nicht mehr weiter verfolgt.
Wenn, wie in dem auf völkerrechtlichen Verträgen beruhenden Einheits- 17/17
privatrecht, die Rechtsanwendung nationalen Gerichten überantwortet ist
und kein zentrales Höchstgericht mit Auslegungsmonopol existiert,
kommt es ganz wesentlich darauf an, dass möglichst umfassende Informa-

57 Vgl Art 1 des Anhangs zum Europäischen Übereinkommen über die Pflichthaftpflicht-
versicherung für Kraftfahrzeuge; sowie Art 2 des Europäischen Übereinkommens über
die Produkthaftung.
58 Deutsche Übersetzung bei Loewe, Die Empfehlungen des Europarats zur Vereinheitli-
chung der Rechtsbegriffe „Wohnsitz“ und „Aufenthalt“, ÖJZ 1974, 144 (146).
59 Deutsche Übersetzung bei Wiesbauer, Die Empfehlungen des Europarats zur Verein-
heitlichung der Rechtsbegriffe des Schadenersatzes bei Körperverletzung und Tötung,
RZ 1977, 4.
60 Während es sich bei diesen Entschließungen immerhin um unverbindliche Empfehlun-
gen handelt, ist der Bericht über „Certain Aspects of Civil Liability“ lediglich eine Unter-
richtung über weitere Arbeitsergebnisse des Subkomitees für fundamentale Rechtsbe-
griffe des Europarates. Die dort vorgeschlagenen Definitionen von „Vertragshaftung“,
„Deliktshaftung“, „Verschuldensabstufungen“ und „Entlastungsgründe von der Haf-
tung“ verstehen sich als Auslegungshilfsmittel bei der Anwendung internationalen Ein-
heitsrechts.

201
§ 17 Einführung: Wesen, Terminologie, Kategorien

tionssysteme über die nationalen Rechtsprechungspraktiken existieren.


Die Richter können sich dann danach orientieren, wie die Höchst- und
Obergerichte anderer Vertragsstaaten und international zusammengesetzte
Schiedsgerichte eine nicht eindeutige Bestimmung des konkreten Einheits-
textes auslegen. Die entwickelte Informationstechnologie und das Internet
machen es möglich, dass Online-Datenbanken eingerichtet werden, die
einschlägige Informationen zu Verfügung stellen. Ein prägnantes Beispiel
bietet hier die UN-Convention on Contracts for the International Sale of
Goods – CISG61, zu der mehrere Datenbanken eingerichtet wurden62.
Unter diesen sind die an der Universität Basel betriebene Datenbank
„CISG-online.ch, Cases, Materials, Legal Texts“63 und die mit ihr durch
einen link verknüpfte „Pace Law School CISG Database“64 besonders be-
dienungsfreundlich.

61 Näheres zu diesem Übereinkommen in § 19.


62 Vgl Posch in Schwimann, ABGB3 IV (2006) UN-Kaufrecht – Einleitung, Rz 27.
63 http://www.cisg-online.ch. In ihr sind zum Stichtag 1.7.2010 mehr als 2000 Entschei-
dungen und Schiedssprüche gespeichert, davon mehr als 100 von österreichischen Ge-
richten.
64 http://www.cisg.law.pace.edu/.

202
§ 18. Europäische Privatrechtsangleichung
A. Stellenwert und Entwicklung

Die integrative Funktion der Rechtsangleichung wurde schon von den 18/1
Vätern der Römischen Gründungsverträge erkannt und in Art 3 Abs 1
lit h) des ursprünglichen EWG-Vertrages ein entsprechender Tätigkeitsbe-
reich der Gemeinschaft vorgesehen. Durch Rechtsangleichung sollte die
„Beseitigung von Divergenzen der nationalen Rechtsordnungen der Mit-
gliedstaaten, die das ordnungsgemäße Funktionieren des Gemeinsamen
Marktes behindern“, bewirkt werden, doch geht das Rechtsangleichungs-
anliegen heute in mehrfacher Hinsicht über diese „Binnenmarktorientie-
rung“ hinaus.
Längst hat die Harmonisierung der nationalen Rechtsgrundlagen in den
verschiedenen Bereichen des von der Gemeinschaft erfassten marktnahen
Rechts zu einem „Europäischen Rechtsraum“ geführt, in dem das Sekun-
därrecht das Primärrecht in vielfältiger Weise ergänzt, das seinerseits im
Wege über die Auslegungspraxis des EuGH zu den Grundfreiheiten und
zum Wettbewerbsrecht beträchtliche Auswirkungen auf die Praxis der na-
tionalen Zivilgerichte hat. In dem fundamentalen Wandel von einer durch
den Gemeinsamen Markt bestimmten „Wirtschaftsgemeinschaft“ zu einer
auf vielen Politikbereichen tätigen Union haben der Maastrichter Unions-
vertrag1 und vor allem der Vertrag von Amsterdam2 der Rechtsangleichung
eine zentrale Rolle zugewiesen. Zu Recht gilt sie daher auch noch nach dem
Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon als ein Integrationsfaktor ersten
Ranges und als ein überaus wichtiges Mittel zur Verwirklichung des Bin-
nenmarktes.
Neben der bisher eher punktuellen „Europäisierung immer neuer
Rechtsbereiche“ ist im Gefolge der Entschließungen des Europäischen

1 ABlEG C 224 vom 31.8.1992, 1.


2 ABlEG C 340 vom 10.11.1997, 1. Konsolidierte Fassung des Vertrags über die Europä-
ische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (nach dem
Vertrag von Nizza/Nice): ABlEU C 321 vom 29.12.2006, E/1.

203
§ 18 Europäische Privatrechtsangleichung

Rates an der am 15./16.10.1999 in Tampere abgehaltenen Tagung über die


Schaffung eines Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts in der
EU eine Diskussion über die Ausarbeitung eines europäischen Zivilgesetz-
buches in Gang gekommen, die sich nicht mehr nur auf die Frage der Ver-
einheitlichung des Vertragsrechts3 beschränkt, obwohl die Entwicklung
eines „kohärenteren europäischen Vertragsrechts“ seit der „Mitteilung der
Kommission an den Rat und das Europäische Parlament zum Europä-
ischen Vertragsrecht“ vom 11.7.20014 im Vordergrund stand und zuletzt
in den Entwurf eines Gemeinsamen Referenzrahmens mündete5, der
nunmehr auch die gesetzlichen Schuldverhältnisse einbezieht6. Die Ergeb-
nisse der Arbeiten der multinationalen Study Group on a European Civil
Code an den Principles of European Law (PEL) werden nach und nach
publiziert7. Ihre Auswirkungen auf das Projekt eines künftigen europä-
ischen Zivilgesetzbuchs, das insbesondere von niederländischen Autoren
schon in den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts entworfen
wurde8, sind gegenwärtig nicht abschätzbar9.

B. Instrumentarium

18/2 Das Instrumentarium der EG-Rechtsangleichung unterscheidet sich wegen


seiner verbindlichen supranationalen Qualität ganz wesentlich von je-
nem der traditionellen Vereinheitlichung, die auf völkerrechtliche Verträge

3 Dazu einlässlich Lurger, Grundfragen der Vereinheitlichung des Vertragsrechts in der Eu-
ropäischen Union (2002). Ferner: 4. Europäischer Juristentag – Sammelband (Wien, 2008)
Beiträge von Weatherill, Smits, Vékás, Bonell, Wilhelmsson, Fauvarque-Cosson, Lurger
und Zimmermann.
4 KOM(2001) 398 endg, ABlEG C 255 vom 13.9.2001, 1; vgl auch „Mitteilung der Kom-
mission an das Europäische Parlament und den Rat. Ein kohärenteres Europäisches Ver-
tragsrecht. Ein Aktionsplan“ vom 12.2.2003, KOM(2003) endg; ABlEG C 63 vom
15.3.2003, 1; dazu Posch, Auf dem Weg zu einem europäischen Vertragsrecht? wbl 2003,
197.
5 von Bar/Clive/Schulte-Nöke et al (eds)., Principles, Definitions and Model Rules of Euro-
pean Private Law – Draft Common Frame of Reference (DCFR) Interim Outline Edition
(2009); Full Edition (6 Bde – 2009).
6 Dazu: Schulze (ed), Common Frame of Reference and Existing EC Contract Law (2008).
7 PEL – Benevolent Intervention in Another’s Affairs (2006); PEL – Commercial Agency,
Franchise and Distribution Contracts (2006); PEL – Personal Security (2007); PEL – Ser-
vice Contracts (2007).
8 Vgl Hartkamp/Hesselink/Hondius/Joustra/du Perron/Veldman (eds), Towards a Euro-
pean Civil Code, Third Fully Revised and Expanded Edition (2004).
9 Zur Position der Kommission zum Stichtag 1.7.2010, vgl ihr Grünbuch „Optionen für
die Einführung eines Europäischen Vertragsrechts für Verbraucher und Unternehmen“,
KOM(2010) 348 endg vom 1.7.2010.

204
Instrumentarium § 18

angewiesen ist. Von zentraler Bedeutung als Quellen des sogenannten se-
kundären Gemeinschaftsrechts sind insbesondere die Verordnung und die
Richtlinie sowie der Beschluss gemäß Art 288 AEUV10. Der Rat hat zu-
nächst allein, später im Zusammenwirken mit der Kommission und dem
Europäischen Parlament schon mehrere tausend Richtlinien und Verord-
nungen11 sowie zahlreiche unverbindliche Empfehlungen, die jeweils auf
Initiativen der Kommission zurückgingen, erlassen.
Die Verordnung ist gemäß Art 288 AEUV als generelle und abstrakte
Regelung „in allen ihren Teilen verbindlich“ und gilt unmittelbar in jedem
Mitgliedstaat, ohne dass die Gesetzgebungsorgane der Mitgliedstaaten tätig
werden müssten. Sie bewirkt somit Rechtsvereinheitlichung im engeren
Sinn. Während die Verordnung vor dem Wirksamwerden der Einheitli-
chen Europäischen Akte am 1.7.1987 ausnahmsweise und nur dort, wo
dies vorgesehen war, wie zB auf Grund von ex-Art 40 EGV12 zur Sicher-
stellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer oder zur Durchsetzung der
kartellrechtlichen Vorschriften der ex-Art 81 und 82 EGV13 oder allenfalls
auf der Grundlage von ex-Art 308 EGV14 zur Verfügung stand, war es seit
dem Amsterdamer Vertrag leichter möglich, gestützt auf ex-Art 95 EGV15
eine unmittelbar geltende einheitliche Regelung zu treffen, wodurch die
„territoriale Abschirmungswirkung der nationalen Rechtsordnungen“
(Pipkorn) überwunden werden konnte. Auf der Grundlage von ex-Art 308
EGV sind zB die „EWIV-Verordnung“16, die den Grundsatz der unmittel-
baren Geltung von Verordnungen relativierte, indem sie nationale Ausfüh-
rungsgesetze vorsah17 und die „Verordnung über das Statut der Europä-
ischen Gesellschaft (SE)“18 erlassen worden.
Die Richtlinie ist die zweite „generell-abstrakte“ Rechtssatzform, mit
der in der Gemeinschaft Recht angeglichen wird. Unterschieden werden
Grundrichtlinien, die eine Materie erstmals regeln, und Änderungsrichtli-

10 Vor Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon hieß diese Rechtssatzform gem ex-Art 249
EGV „Entscheidung“. Eine typische Erscheinungsform waren die Aussprüche der
Kommission in Kartellrechtssachen.
11 Die große Masse der Verordnungen dient allerdings nicht einem Anliegen der Rechtsver-
einheitlichung und betrifft oft recht banale Materien.
12 Nunmehr Art 46 AEUV.
13 Nunmehr Art 101, 102 AEUV.
14 Nunmehr Art 352 AEUV.
15 Nunmehr Art 114 AEUV.
16 Verordnung (EWG) Nr. 2137/85 des Rates vom 25.7.1985 über die Schaffung einer Eu-
ropäischen wirtschaftlichen Interessenvereinigung (EWIV), ABlEG L 1991 vom
31.7.1985, 1.
17 Vgl EWIV-Ausführungsgesetz, BGBl 1995/521.
18 Verordnung (EG) Nr 2157/2001 des Rates vom 8.10.2001 über das Statut der Europä-
ischen Gesellschaft (SE), ABlEG L 294 vom 10.11.2001, 1.

205
§ 18 Europäische Privatrechtsangleichung

nien, die eine schon einmal durch eine Richtlinie geregelte Materie modifi-
zieren. Die Richtlinie ist gem Art 288 Abs 3 AEUV „teilverbindlich“:
Denn nur hinsichtlich des zu verwirklichenden Zieles bindet sie die natio-
nalen Gesetzgebungen der Mitgliedstaaten, denen bei der „Umsetzung“
bzw „Implementierung“, für die jeweils eine Befristung vorgesehen wird,
die autonome Entscheidung über das jeweils einzusetzende legislatorische
Instrumentarium und den definitiven Wortlaut vorbehalten bleibt. Auf
diese Weise kann auf die jeweiligen Besonderheiten des nationalen Rechts
angemessen Rücksicht genommen werden. Die Richtlinie schafft daher
grundsätzlich kein einheitliches, unmittelbar anwendbares Gemeinschafts-
recht, sondern verpflichtet lediglich die Mitgliedstaaten, ihr Recht ent-
sprechend zu ändern. In einer langen Kette von Urteilen erkennt der
Europäische Gerichtshof jedoch seit den frühen siebziger Jahren des
20. Jahrhunderts19 das Recht einzelner Bürger an, sich „in Ermangelung
von fristgemäß erlassenen Durchführungsmaßnahmen auf Bestimmungen
einer Richtlinie, die inhaltlich als unbedingt und hinreichend genau er-
scheint, gegenüber allen innerstaatlichen, nicht-richtlinienkonformen Vor-
schriften“ zu berufen und so Rechte gegenüber dem Staat geltend zu ma-
chen (Prinzip der vertikalen Direktwirkung).
Das umgesetzte Richtlinienrecht ist nationales Recht. Es ist von den
nationalen Gerichten nach den Grundsätzen der Richtlinienkonformität
auszulegen20. Nach der Judikatur des EuGH haben die nationalen Gerichte
bei der Anwendung „der Vorschriften eines speziell zur Durchführung
einer Richtlinie erlassenen Gesetzes dieses nationale Recht im Lichte des
Wortlauts und des Zwecks der Richtlinie auszulegen. . ., um das in
Art. 189 Abs. 3 EWGV21 genannte Ziel (nämlich eine angeglichene Rechts-
lage herbeizuführen) zu erreichen“22. Ja selbst dann, wenn es sich bei den,
der Richtlinie inhaltlich entsprechenden, nationalen Vorschriften um sol-
che handelt, die bereits vor der Richtlinie erlassen worden sind, gilt das frü-
her insbesondere aus ex-Art 10 EGV23 abgeleitete Gebot der richtlinien-

19 Seit EuGH Rs 9/70 – Grad, Slg 1970, 825; EuGH Rs 33/70 – SACE, Slg 1970, 1213; vgl
insb auch EuGH Rs 8/81 – Becker, Slg 1982, 53; EuGH Rs 152/84 – Marshall I, Slg 1986,
723.
20 Aus dem einschlägigen österr Schrifttum vgl insbesondere Rüffler, Richtlinienkonforme
Auslegung nationalen Rechts, ÖJZ 1997, 121, sowie B. Jud, Die Grenzen der richtlinien-
konformen Interpretation, ÖJZ 2003, 521.
21 Später Art 249 EGV, nunmehr Art 288 AEUV.
22 Bahnbrechend: EuGH Rs 14/83 – von Colson und Kamann, Slg 1984, 1891; EuGH Rs
79/83 – Harz, Slg 1984, 1921.
23 Diese Bestimmung legte die allgemeine Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Zusam-
menarbeit fest (Grundsatz der Gemeinschaftstreue). Ihr entspricht heute im Wesent-
lichen Art 4 EUV.

206
Grenzen der Europäischen Rechtsangleichung § 18

konformen Interpretation24. Der EuGH kompensiert so die fehlende „ho-


rizontale Direktwirkung“ von Richtlinien25. Wenn eine Richtlinie nur
Mindestanforderungen für die Rechtsangleichung aufstellt, so dass weiter-
gehende Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten möglich sind, wird sie als
„Mindestrichtlinie“ bezeichnet und kann nur eine „Minimalangleichung“
herbeiführen. So ist etwa hinsichtlich jener „flankierenden Politiken“, de-
ren Realisierung das Privatrecht tangiert, wie insbesondere hinsichtlich der
Verbraucher- und Umweltpolitik, vorgesehen, dass die Mitgliedstaaten
strengere Maßnahmen beibehalten oder ergreifen dürfen26.
Der Beschluss ist gemäß Art 288 AEUV die für ihre jeweiligen Adressa-
ten – Mitgliedstaaten, natürliche oder juristische Personen – voll verbindli-
che, individuell-konkrete Rechtssatzform des Gemeinschaftsrechts27. In
Art 288 AEUV werden auch noch die unverbindlichen Empfehlungen und
Stellungnahmen angeführt28.

C. Grenzen der Europäischen Rechtsangleichung

Die Angleichung der nationalen Rechtsordnungen stellt hohe Anforderun- 18/3


gen an die Organe der Gemeinschaft. Ein „Allgemeines Programm“, wie in
anderen Tätigkeitsbereichen der Europäischen Gemeinschaft, kann es auf
dem Gebiet der Rechtsangleichung wegen der Vielfalt ihrer Gegenstände
nicht geben. Vielmehr muss für jeden Teilbereich in einem oft langwierigen
und mühseligen Verfahren ein angemessener Kompromiss gefunden wer-
den, der oft nicht befriedigt. Dies bereitete insbesondere vor dem Inkraft-
treten der Einheitlichen Europäischen Akte Probleme, da der damalige
Art 100 EWGV29 als die bis dahin zentrale Grundlage der Rechtsanglei-
chung Einstimmigkeit im Rat erforderte. So vergingen etwa nahezu zehn
Jahre zwischen der Vorlage des ersten Vorschlags einer Richtlinie über die
Produkthaftung und der Verabschiedung der endgültigen Fassung durch
den Rat, die in zentralen Bestimmungen wie der Festlegung des Fehlerbe-

24 Vgl EuGH Rs C-106/89 – Marleasing, Slg 1990 I-4135.


25 Vgl dazu EuGH Rs C-91/92 – Faccini Dori, Slg 1994 I-3325. Diese Judikatur nähert sich
im Ergebnis einer Direktwirkung von nicht oder falsch umgesetzten „horizontalen“
Richtlinien, die das Verhältnis von Bürgern und Unternehmern untereinander betrifft.
26 Vgl Art 169 Abs 4 und 193 AEUV.
27 Für die Rechtsangleichung kommt dem „Beschluss“ keine große Bedeutung zu.
28 Der Vertrag von Lissabon stellt diese Rechtsatzformen unter die Überschrift „Die
Rechtsakte der Union“ und legt in den neuen Art 289–292 auch nähere Bestimmungen
über das „ordentliche Gesetzgebungsverfahren“ und die Pflichten der Mitgliedstaaten
„zur Durchführung der verbindlichen Rechtsakte der Union“ fest.
29 Nunmehr Art 115 AEUV (ex-Art 94 EGV9).

207
§ 18 Europäische Privatrechtsangleichung

griffs vage blieb und den Mitgliedstaaten in heiklen Punkten Optionen ein-
räumte. Der durch ex-Art 95 EGV ermöglichte Übergang zum Erfordernis
einer qualifizierten Mehrheit im Rat in den meisten Rechtsangleichungs-
bereichen sowie die verstärkte Einbindung des Europäischen Parlaments
in das Gesetzgebungsverfahren hat in vielen Fällen zu einer Beschleuni-
gung des Verfahrens geführt.
Die Ansätze für eine „Rechtsunion“ oder einen „europäischen
Rechtsraum“ sind vom Vertrag von Amsterdam verstärkt worden, in dem
ein neuer Titels IV über „Visa, Asyl, Einwanderung und andere Politiken
betreffend den freien Personenverkehr“ in den Dritten Teil des EG-Vertra-
ges aufgenommen wurde. Die damals neuen Art 61 ff EGV30 schufen neue
Zuständigkeiten für die Rechtssetzung und soweit es für das reibungslose
Funktionieren des Binnenmarktes erforderlich ist, können „Maßnahmen
im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen mit grenzüber-
schreitenden Bezügen“ erlassen werden. Unabhängig von den einschlägi-
gen Reformen im primären Gemeinschaftsrecht geht die Entwicklung in
der EU – und abgeschwächt auch im EWR – trotz der erheblichen Unter-
schiede der mitgliedstaatlichen Privatrechte in die Richtung eines gemein-
samen europäischen Rechtsbewusstseins, das die Voraussetzung für ein
wohl erst in fernerer Zukunft realisierbares „droit commun européen“ in
Gestalt einer Europäischen Zivilrechtskodifikation bildet.
18/4 Wichtige wirtschaftsnahe Rechtsgebiete sind heute gemeinschaftsweit
sowie durch das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum
(EWR)31 über die Grenzen der Gemeinschaft hinaus angeglichen, freilich
mitunter in wenig systematischer Weise und allzu punktuell. Von der An-
gleichung der Rechte der Mitgliedstaaten zur Sicherstellung des Funktio-
nierens des gemeinsamen Marktes32 sind im Querschnitt nahezu alle
Rechtsgebiete betroffen33. Dabei ist zu beachten, dass die Rechtsanglei-
chung in der Europäischen Union kein Wert an sich ist, sondern immer
schon eine dienende und integrationsbezogene Funktion gegenüber den
materiellen Vertragszielen hatte, die insbesondere auf die Verwirklichung
der Grundfreiheiten – der Freiheit des Warenverkehrs, des Personenver-
kehrs, des Kapital- und Zahlungsverkehrs und des Dienstleistungsverkehrs
– durch Schaffung eines „Raums ohne Binnengrenzen“34 gerichtet sind.

30 Nunmehr Art 67 ff AEUV.


31 Das am 2.5.1992 in Porto unterzeichnete und durch das am 17.3.1993 signierte Proto-
koll modifizierte EWR-Abkommen ist in BGBl 1993/909 und 1993/910 veröffentlicht.
32 Ex-Art 3 lit h) EGV; heute ist die Rechtsangleichungskompetenz quasi nach Materien
aufgegliedert in Art 3–6 AEUV angeführt.
33 Ausgenommen ist etwa das materielle Erb- und Familienrecht.
34 Vgl Art 14 EG.

208
Kompetenztatbestände für die Europäische Rechtsangleichung im Überblick § 18

Die europäische Rechtsangleichung kann sich auf eine Reihe von Kompe-
tenzgrundlagen unterschiedlicher Tragweite und Wirkung stützen, die
durch die Einheitlichen Europäischen Akte und die Verträge von Maas-
tricht und Amsterdam weiter ausgebaut wurden.

D. Kompetenztatbestände für die Europäische


Rechtsangleichung im Überblick

Dem Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung folgend, finden 18/5


sich heute im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union zahl-
reiche Bestimmungen, die als Kompetenzgrundlagen für Maßnahmen zur
Angleichung von Privatrechtsmaterien dienen können, so:
· Art 114–118 AEUV: Diese Bestimmungen bilden als Generalklauseln
eine allgemeine Grundlage für die Rechtsangleichung zum Zweck der
Errichtung und zur Sicherung des Funktionierens des Binnenmarktes.
· Spezialbestimmungen wie Art 50 Abs 2 lit g) AEUV: betreffend die
Koordinierung der Schutzvorschriften zugunsten von Gesellschaftern;
Art 52 Abs 2 AEUV: Vorschriften betreffend die öffentliche Ordnung,
Sicherheit oder Gesundheit im Zusammenhang mit der Niederlassungs-
freiheit; Art 53 Abs 1 EG: über die gegenseitige Anerkennung von Dip-
lomen und Zeugnissen; Art 81 AEUV: über die justizielle Zusammenar-
beit in Zivilsachen; Art 113 AEUV: betreffend ie Harmonisierung
indirekter Steuern uam35.
· Politikbezogene Ermächtigungen zur Angleichung wie Art 40 Abs 1
und Art 43 Abs 2 AEUV: Agrarpolitik; Art 91 Abs 1 EG: Verkehrspoli-
tik; Art 207 AEUV: Handelspolitik; Art 151 AEUV: Sozialpolitik;
Art 169 AEUV: Verbraucherpolitik; sowie Art 192 AEUV: Umweltpoli-
tik36 uam.
· Art 352 AEUV: Diese Vorschrift ermöglicht als Lückenfüllungsnorm
iVm mit Art 288 AEUV Rechtsangleichung mit Hilfe von Richtlinien
und Vereinheitlichung durch Verordnungen.

35 Hierher gehörte der in der Aufbauphase der Gemeinschaft wichtige Art 27 EWGV be-
treffend die Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften auf dem Gebiet des
Zollrechts, der bereits durch den Amsterdamer Vertrag ersatzlos gestrichen wurde.
36 Auf ex-Art 175 Abs 1 EGV gründete sich die Richtlinie 2004/35/EG des Europäischen
Parlaments und des Rates vom 21.4.2004 über die Umwelthaftung zur Vermeidung und
Sanierung von Umweltschäden, ABlEU L 143 vom 30.4.2004, 56.

209
§ 18 Europäische Privatrechtsangleichung

E. Europäische Rechtsangleichung durch Richterrecht

18/6 Von nicht zu unterschätzender Bedeutung ist auch die richterrechtliche


Rechtsangleichung, da die Rechtsprechung des Europäischen Gerichts-
hofs schon immer nicht selten über die im EWG-bzw EG-Vertrag vorge-
sehenen Instrumente der Rechtsangleichung hinaus zu einer fallbezogenen
„richterrechtlichen Rechtsangleichung“ führte und so einen äußerst be-
deutsamen Harmonisierungseffekt hatte. Dieser kam nicht nur bei der
Auslegung von Richtlinien zur Rechtsangleichung, sondern auch bei Aus-
legung von den in den Mitgliedstaaten unmittelbar geltenden Bestimmun-
gen des primären Gemeinschaftsrechts, wie zB Art 18 AEUV, der jede Dis-
kriminierung von Unionsbürgern „aus Gründen der Staatsangehörigkeit“
untersagt, zum Tragen37, und zwar mit Vorrangwirkung des Gemein-
schaftsrechts, so dass entgegenstehendes nationales Recht danach nicht
mehr anzuwenden war.

F. Zentrale Bereiche der europäischen


Privatrechtsangleichung im Überblick

18/7 Die für die Rechtsangleichung in der Gemeinschaft in Frage kommenden


Rechtsgebiete sind in stetiger Ausweitung begriffen. Bezogen sich die
rechtsangleichenden Bemühungen zunächst auf das Zoll-, Wirtschafts-
und Steuerrecht, deren einheitliche Regelung im Interesse des freien Wa-
renverkehrs unumgänglich war38 und wurde die Rechtsangleichung an-
fangs vor allem dafür eingesetzt, den Abbau der sogenannten „technischen
Handelshemmnisse“ zu forcieren, hat heute die Harmonisierung des
materiellen marktnahen Privatrechts besondere Bedeutung erlangt.
Wichtige Angleichungsaktivitäten richten sich hier auf das Gesell-
schafts- und Unternehmensrecht, weil die hinsichtlich der Niederlas-
sungs- und Dienstleistungsfreiheit den natürlichen Personen gleichgestell-
ten Gesellschaften vor rechtlichen und tatsächlichen Beschränkungen
dieser Freiheiten bewahrt werden müssen39. Gestützt auf ex-Art 44 Abs 2

37 Die große Bedeutung, die der Gerichtspraxis des EuGH für die Ausformung eines ein-
heitlichen „Rechtsbesitzstandes“ zukommt, ist schon durch Art 6 EWR-Abkommen
klargestellt worden, der bestimmt, dass die Auslegung der vom EWR-Abkommen er-
fassten gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen durch den EuGH Teil des „acquis com-
munautaire“ ist.
38 Rechtsangleichende Bemühungen richteten sich in diesem Zusammenhang auch auf den
Abbau von Ausnahmeklauseln gem ex-Art 30 EG (heute Art 36 AEUV).
39 Vgl Art 54, 62 AEUV.

210
Zentrale Bereiche der europäischen Privatrechtsangleichung im Überblick § 18

lit g) iVm Art 94 EGV40 hatte die Kommission daher schon relativ früh
dem Rat mehrere gesellschaftsrechtliche Richtlinienvorschläge unterbrei-
tet, von denen mehrere verwirklicht wurden41, und der Rat hat mit der
EWIV und der SE neue europäische Gesellschaftsformen geschaffen42.
Das Immaterialgüterrecht bildet einen weiteren wichtigen Bereich der
europäischen Privatrechtsangleichung, sodass sich vor dem Hintergrund
der sonst auf diesem Gebiet verwirklichten internationalen Einheitsrechte
eine unübersichtliche Situation ergeben hat. Da Immaterialgüterrechte mit
ihren Territorialitäts- und sonstigen Schutzwirkungen ein gravierendes
Hindernis für den freien Warenverkehr darstellen, muss ihre Vereinheitli-
chung ein Anliegen der Brüsseler Rechtsetzungsorgane sein. Vor allem die
Ausgestaltung des Patentrechts ist von hoher wirtschaftlicher Relevanz. Da
es sich hier um Auswirkungen des Eigentumsrechts handelt und gemäß
Art 345 AEUV die Eigentumsordnung in den Mitgliedstaaten vom EG-
Vertrag unberührt bleibt, konnte bisher eine Angleichung nicht mit dem
Instrumentarium des Art 288 AEUV erfolgen, sondern musste auf das Ve-
hikel des völkerrechtlichen Übereinkommens rekurriert werden43. Wäh-
rend das Übereinkommen über das Europäische Patent für den Gemein-
samen Markt erfolglos blieb, darf eine langjährige Bemühung um ein
gemeinsames Recht der Erfindungspatente in der Gemeinschaft44 auf einen
positiven Abschluss hoffen.
Im Markenrecht hat der Rat am 21.12.1988 im Bemühen um die Schaf-
fung eines autonomen europäischen Markenrechts und Einführung einer
„Gemeinschaftsmarke“ eine Erste Richtlinie (89/104/EWG) zur Anglei-

40 Heute Art 50 bzw 115 AEUV.


41 Vgl die frühen gesellschaftsrechtlichen Richtlinien: Die erste (68/151/EWG) betreffend
Publizität vom 9.3.1968, ABlEG L 65 vom 14.3.1968, 8; die zweite (77/91/EWG) be-
treffend Gründung vom 13.12.1976, ABlEG L 26 vom 31.1.1977, 1; die dritte (78/855/
EWG) betreffend Verschmelzung vom 9.10.1978, ABlEG L 295 vom 20.10.1978, 36; die
vierte (78/660/EWG) betreffend Bilanz vom 25.7.1978, ABlEG L 222 vom 14.8.1978,
11 (mehrfach geändert, zB durch die 7. gesellschaftsrechtliche Richtlinie (83/349/EWG)
betreffend Konzernbilanz vom 13.6.1983, ABlEG L 193 vom 18.7.1983, 1); zuletzt:
Richtlinie 2005/56/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.10.2005
über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten,
ABlEU 310 vom 25.11.2005, 1.
42 Vgl Rz 18/2, FN 9, 11.
43 Das (Münchener) Europäische Patentübereinkommen – EPÜ vom 5.10.1973, BGBl
1979/350, ist kein EU-Rechtsakt.
44 Sie wurde mit dem Vorschlag der Kommission für eine Verordnung des Rates über das
Gemeinschaftspatent, KOM(2000) 412 endg, ABlEG C 337 vom 28.11.2000, E/278, ein-
geleitet, nahm seither eine wechselvolle Entwicklung, deren letzte Stufe sich in den Er-
wägungen des Rates vom 4.12.2009 manifestiert, wonach das Projekt voranzutreiben
und der Begriff „Gemeinschaftspatent“ terminologisch durch „Unionspatent“ zu erset-
zen sei.

211
§ 18 Europäische Privatrechtsangleichung

chung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken verab-


schiedet45. Es folgte die Verordnung Nr. 40/94 des Rates vom 20.12.1993
über die Gemeinschaftsmarke46. Nach Anmeldung einer solchen bei dem
1995 eröffneten Markenamt der EU in Alicante47 besteht ein Schutzrecht für
die gesamte Gemeinschaft. Weitere Verordnungen auf dem Gebiet des Mar-
kenwesens wurden 2006 für Agrarprodukte und Lebensmittel erlassen48.
Letzter Rechtsakt auf diesem Gebiet ist die Richtlinie 2008/95/EG des
Europäischen Parlaments und des Rates vom 22.10.2008 zur Angleichung
der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (kodifizierte
Fassung)49.
Mit der „Verordnung (EG) Nr. 3295/94 des Rates vom 22.12.1994 über
Maßnahmen zum Verbot der Überführung nachgeahmter Waren und un-
erlaubt hergestellter Vervielfältigungsstücke oder Nachbildungen in den
zollrechtlich freien Verkehr oder in ein Nichterhebungsverfahren sowie
zum Verbot ihrer Ausfuhr und Wiederausfuhr“50 wurde der EU-weite
Kampf gegen die Produktpiraterie eröffnet. Auch im Bereich des Urheber-
rechts sind mehrere Richtlinien verabschiedet worden51.
Darauf, dass die Notwendigkeit von europaweit angeglichenen Regeln
auch für das Kollisionsrecht erkannt wurde und ihr im Bereich des Interna-
tionalen Zivilverfahrensrechts zunächst mit dem EuGVÜ und dann – nach
den durch den Vertrag von Amsterdam eröffneten Möglichkeiten suprana-

45 ABlEG L 40 vom 11.2.1989, 1.


46 ABlEG L 11 vom 14.1.1994, 1.
47 Eigentlich: „Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt“.
48 Verordnung (EG) Nr. 509/2006 über die garantiert traditionellen Spezialitäten bei Agrar-
erzeugnissen und Lebensmitteln, ABlEU L 93 vom 31.3.2006, 1; Verordnung (EG) 510/
2006 des Rates vom 20.3.2006 zum Schutz von geografischen Angaben und Ursprungs-
bezeichnungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel, ABlEU L 93 vom 31.3.2006, 12;
dazu auch Rz 13/9.
49 ABlEU L 299 vom 8.11.2008, 25. Die frühere RL 89/104/EWG wurde aus Transparenz-
gründen nach einigen Änderungen neu kodifiziert.
50 ABlEG L 341 vom 30.12.1994, 8.
51 Richtlinie 91/250/EWG des Rates über den Rechtsschutz von Computerprogrammen,
ABlEG L 122 vom 17.5.1991, 42; Richtlinie 92/100/EWG des Rates zum Vermietrecht
und Verleihrecht, ABlEG L 346 vom 27.11.1992, 61; Richtlinie 93/83/EWG des Rates
zur Koordinierung bestimmter urheber- und leistungsschutzrechtlicher Vorschriften be-
treffend Satellitenrundfunk und Kabelweiterverbreitung, ABlEG L 248 vom 6.10.1993,
15; Richtlinie 93/98/EWG des Rates zur Harmonisierung der Schutzdauer des Urheber-
rechts und bestimmter verwandter Schutzrechte, ABlEG L 290 vom 24.11.1993, 9;
Richtlinie 96/9/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über den rechtlichen
Schutz von Datenbanken, ABlEG L 77 vom 27.3.1996, 20; Richtlinie 2001/29/EG zur
Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutz-
rechte in der Informationsgesellschaft, ABlEG L 167 vom 22.6.2001, 10; Richtlinie 2004/
48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Durchsetzung der Rechte des
geistigen Eigentums, ABlEU L 195 vom 2.6.2004, 16.

212
Zentrale Bereiche der europäischen Privatrechtsangleichung im Überblick § 18

tionaler Rechtssetzung – insbesondere mit der „Verordnung Brüssel I“ so-


wie der „Verordnung Brüssel IIa“ Rechnung getragen wurde, ist schon ein-
leitend hingewiesen worden52. Dass über die aktuelle Rechtsvereinheitli-
chung auf dem Gebiet des Internationalen Schuldrechts an passender Stelle
einlässlich informiert wurde,53 entspricht dem Thema dieses Buches.
Obwohl Verbraucherschutz relativ spät zu einem Anliegen der Gemein- 18/8
schaft wurde und „Verbraucherpolitik“ lange Zeit nicht expressis verbis als
eine der flankierenden Politiken der Europäischen Gemeinschaft in den
Gründungsverträgen anerkannt war, haben die europäischen Rechtsset-
zungsorgane besonders intensive Rechtsangleichungsaktivitäten auf
dem Gebiet des Verbraucherprivatrechts entfaltet. In dem schon in Art 2
der Urfassung des EWG-Vertrages proklamierten Ziel, „eine harmonische
Entwicklung des Wirtschaftslebens innerhalb der Gemeinschaft . . . zu för-
dern“, konnte, wenn überhaupt, nur eine schwache, kaum tragfähige
Grundlage für eine Zuständigkeit zur Rechtssetzung im Verbraucher-
schutzrecht gesehen werden54. Erst mit dem Inkrafttreten des Maastrichter
Unionsvertrags am 1.11.1993 ist das Defizit der Verankerung der Verbrau-
cherpolitik im primären Gemeinschaftsrecht beseitigt worden. In dem wie-
derholt modifizierten ex-Art 3 EGV, der vor dem Inkrafttreten des Ver-
trags von Lissabon im Zusammenhang mit ex-Art 2 die Aufgaben und
Tätigkeiten der Gemeinschaft umschreibt, wird nämlich – neben der
Rechtsangleichung – als ein Tätigkeitsbereich der Gemeinschaft auch ein
„Beitrag zur Verbesserung des Verbraucherschutzes“ angeführt55. Zu-
dem sieht Art 169 AEUV vor, dass die Gemeinschaft durch Maßnahmen,
die sie nach Art 114 AEUV erlässt, und durch spezifische Aktionen zum
Schutz der Gesundheit, Sicherheit sowie der wirtschaftlichen Aktivitäten
und der Informationsinteressen der Verbraucher einen „Beitrag zur Errei-
chung eines hohen Verbraucherschutzniveaus“ zu leisten hat. Da sich der
Verbraucher wirtschaftlich und intellektuell gegenüber dem Wirtschaftst-
reibenden typischerweise in einer Position der Unterlegenheit befindet, be-
darf er vielfältigen Schutzes: Vor unbilligen Vertragsklauseln ebenso wie
vor unlauterer Werbung, fehlerhaften und deshalb gefährlichen Produkten;
mangelhafter Erbringung von Dienstleistungen, überhöhten Preisen oder
wucherischen Kreditzinsen56.

52 Vgl Rz 1/6.
53 Vgl Rz 15/7–15/26, 15/31–15/38.
54 Vgl dazu schon Krämer, EWG-Verbraucherrecht (1985) 17.
55 Artikel 3 Abs 1 lit t) EG-V.
56 Grundlegend dazu Reich/Micklitz, Verbraucherschutzrecht in den EG-Staaten – Eine
vergleichende Analyse (1981); Krämer, EWG-Verbraucherrecht (1985); vor allem:
Reich/Micklitz, Europäisches Verbraucherrecht4 (2003).

213
§ 18 Europäische Privatrechtsangleichung

18/9 Die dem Kernbereich des Bürgerlichen Rechts zuzuordnenden Maßnah-


men zum Schutz der Verbraucher auf der Ebene des Gemeinschafts-
rechts decken eine beträchtliche Bandbreite57 ab und beziehen sich auf
· den Schutz vor Überrumpelung beim Geschäftsabschluss: vgl die Richt-
linie 85/577/EWG vom 20.12.1985 betreffend den Verbraucherschutz
im Falle von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträ-
gen58;
· den Schutz vor unlauterer und irreführender Werbung: vgl die Richtli-
nie 97/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Ände-
rung der Richtlinie 84/450/EWG über irreführende Werbung zwecks
Einbeziehung der vergleichenden Werbung59;
· den Schutz vor überhöhten Preisen und Kreditzinsen: vgl die Richtli-
nie 87/102/EWG zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvor-
schriften der Mitgliedstaaten über den Verbraucherkredit60, geändert
durch die Richtlinie 90/88/EWG61; nunmehr ersetzt durch die Richtli-
nie 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über Ver-
braucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/
EWG62;
· den Schutz vor unsicheren und fehlerhaften Produkten: vgl die Richtli-
nie 85/374/EWG zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvor-
schriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Pro-
dukte63, geändert durch die Richtlinie 1999/34/EG64;
· den Schutz der Teilnehmer an einer Pauschalreise: vgl die Richtlinie 90/
314/EWG über Pauschalreisen65;
· den Schutz vor unfairen Klauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingun-
gen: vgl die Richtlinie 93/13/EWG über mißbräuchliche Klauseln in
Verbraucherverträgen66;

57 Vgl nur Lurger/Augenhofer, Österreichisches und Europäisches Konsumentenschutz-


recht (2005).
58 ABlEG L 372 vom 31.12.1985, 31.
59 ABlEG L 290 vom 23.10.1997, 18.
60 ABlEG L 42 vom 12.2.1987, 48.
61 ABlEG L 61 vom 10.3.1990, 14.
62 ABlEU L 133 vom 22.5.2008, 66; dazu die Berichtigungen, ABlEU L 207 vom
11.8.2009, 14.
63 Diese Richtlinie wird zwar primär als eine binnenmarktpolitische Maßnahme begriffen,
verfolgt aber, wie in der Präambel wiederholt betont, auch ein verbraucherschützerisches
Anliegen; ABlEG L 210 vom 7.8.1985, 29.
64 ABlEG L 141 vom 4.6.1999, 20.
65 ABlEG L 158 vom 23.6.1990, 59.
66 ABlEG L 95 vom 21.4.1993, 29.

214
Zentrale Bereiche der europäischen Privatrechtsangleichung im Überblick § 18

· den Schutz vor unfairen „Immobilien-Time-Sharing“-Verträgen: vgl die


Richtlinie 94/47/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zum
Schutz der Erwerber im Hinblick auf bestimmte Aspekte von Verträgen
über den Erwerb von Teilzeitnutzungsrechten an Immobilien67;
· den Schutz vor Benachteiligung in „Fernabsatzverträgen“: vgl die 97/7/
EG Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den
Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz68;
· die Verbesserung des Zugangs der Verbraucher zum Recht: vgl die
Richtlinie 98/27/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom
19.5.1998 über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinte-
ressen69;
· den Schutz vor mangelhaften Kaufgegenständen: vgl die Richtlinie 1999/
44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zu bestimmten As-
pekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgü-
ter70;
· den Schutz im elektronischen Geschäftsverkehr (electronic commerce):
vgl die Richtlinie 2000/31/EG über bestimmte rechtliche Aspekte der
Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen
Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt71.
· Am 8.10.2008 wurde sodann als vorerst letzte und keineswegs unum-
strittene Maßnahme auf dem Gebiet des Verbraucherschutzes von der
Kommission der Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parla-
ments und des Rates über Rechte der Verbraucher präsentiert72, mit der
eine Konsolidierung und weitergehende Vereinheitlichung des Verbrau-
cherrechts bezweckt wird. Einerseits soll die neue Richtlinie an die
Stelle von vier eingeführten Rechtsakten treten73, andererseits soll sie
nicht mehr als eine Mindestrichtlinie ausgestaltet sein und so ein höheres
Maß an Rechtsgleichheit im Verbraucherschutz innerhalb der Europä-
ischen Union sicher stellen.

67 ABlEG L 280 vom 29.10.1994, 83.


68 ABlEG L 144 vom 4.6.1997, 19.
69 ABlEG L 166 vom 11.6.1998, 51.
70 ABlEG L 171 vom 7.7.1999, 12.
71 ABlEG L 178 vom 17.7.2000, 1.
72 KOM(2008) 614 endg.
73 Ersetzt werden sollen die Richtlinie 85/577/EWG über außerhalb von Geschäftsräumen
geschlossene Verträge, die Richtlinie 93/13/EWG über missbräuchliche Klauseln in Ver-
braucherverträgen, die Richtlinie 97/7EG über Vertragsabschlüsse im Fernabsatz und
die Richtlinie 1999/44/EG zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der
Garantien für Verbrauchsgüter.

215
§ 18 Europäische Privatrechtsangleichung

Die bisher ergangenen Richtlinien sind in Österreich überwiegend im


Konsumentenschutzgesetz74, aber auch wie die Verbrauchsgüterkaufricht-
linie im ABGB75 oder wie die Produkthaftungsrichtlinie, die Immobilien-
Time-Sharing-Richtlinie und die E-Commerce-Richtlinie in Sondergeset-
zen76 umgesetzt worden. Die Verbraucherkreditrichtlinie 2008/48/EG
führte zu einer Reform des Rechts des Darlehensvertrages im ABGB77
und zu einem komplexen Sondergesetz über Verbraucherkreditverträge78.
Bei Auslegung der umgesetzten Bestimmungen trifft die Organe der
Rechtsanwendung die Pflicht zur richtlinienkonformen Interpretation.

74 Vgl BGBl 1993/247, BGBl I 1997/6, BGBl I 1999/185, BGBl I 2001/48.


75 Durch das Gewährleistungsrechts-Änderungsgesetz (GewRÄG) vom 8.5.2001, BGBl I
2001/48.
76 Produkthaftungsgesetz, BGBl 1988/99 idF BGBl I 2001/98; Teilzeitnutzungsgesetz,
BGBl I 1997/32 idF BGBl I 2001/98; E-Commerce-Gesetz, BGBl I 2001/152.
77 Art 1 Darlehens- und Kreditrechts-Änderungsgesetz – DaKRÄG, BGBl I 2010/28: Um-
fassende Neuordnung des Darlehensvertrags in §§ 983–991 ABGB.
78 Art 2 DaKRÄG: „Bundesgesetz über Verbraucherkreditverträge und andere Formen der
Kreditierung zu Gunsten von Verbrauchern (Verbraucherkreditgesetz – VKrG)“.

216
§ 19. Der internationale Warenkauf nach dem
„Wiener UN-Übereinkommen“ (CISG)
A. Einleitung

Das Übereinkommen der Vereinten Nationen über Verträge über den 19/1
internationalen Warenkauf – CISG, vom 11.4.19801, das in Österreich am
1.1.1989 Geltung erlangte2, beinhaltet die in Österreich als österreichisches
Sachrecht geltenden Normen, die den Abschluss von grenzüberschreiten-
den Warenkaufverträgen, die Pflichten der Parteien solcher Verträge, die
Folgen von Vertragsverletzungen, Gefahrtragung uä materiell regeln, wo-
bei es typischerweise nur Verträge zwischen Unternehmern bzw zu einem
unternehmerischen Zweck im Auge hat. Das Übereinkommen beruht im
Wesentlichen auf Kompromissen zwischen den kontinentaleuropäischen
Rechtstraditionen und dem Common Law3. Es hat bereits zu zahlreichen
Entscheidungen nationaler Höchstgerichte, vor allem auch des OGH4
Anlass gegeben. Zu seiner wachsenden Akzeptanz hat auch die Lehre einen
wesentlichen Beitrag geleistet5. Dabei ist die unter Rechtsanwälten und bei

1 United Nations Convention on Contracts for the International Sale of Goods; nunmehr
auch im deutschen Schrifttum überwiegend mit (das) „CISG“ abgekürzt.
2 BGBl 1988/96.
3 CISG ist nicht in deutscher Textfassung authentisch, weshalb es allenfalls sinnvoll, ja not-
wendig sein kann, eine authentische, im Regelfall wohl die englische, Fassung zu konsul-
tieren.
4 Zur Judikatur des OGH bis 2000, vgl Posch/Terlitza, Entscheidungen des österreichi-
schen Obersten Gerichtshofs zur UN-Kaufrechtskonvention (CISG), IHR 2001, 47; so-
wie bis 2004, vgl Posch/Terlitza, The CISG before Austrian Courts, in Ferrari (Hrsg),
Quo vadis CISG? Celebrating the 25th Anniversary of the United Nations Convention
on Contracts for the International Sale of Goods (2005) 263; sa Lurger, Überblick über
die Judikaturentwicklung zu ausgewählten Fragen des CISG (Teil I), IHR 2005, 177, und
(Teil II), IHR 2005, 221.
5 Vgl aus dem österr Schrifttum: P. Doralt (Hrsg), Das UNCITRAL-Kaufrecht im Ver-
gleich zum österreichischen Recht (1985); Loewe, Internationales Kaufrecht (1989); Ka-
rollus, UN-Kaufrecht. Eine systematische Darstellung für Studium und Beruf (1991);
Hoyer/Posch (Hrsg), Das Einheitliche Wiener Kaufrecht (1992); Wilhelm, UN-Kaufrecht
(1993); Posch in Schwimann, ABGB-Praxiskommentar IV3 (2004) 1343–1523; ferner

217
§ 19 Der internationale Warenkauf nach dem „Wiener UN-Übereinkommen“ (CISG)

Konsulenten der Bundeswirtschaftskammer lange Zeit herrschend gewe-


sene Auffassung, dass die Anwendung des CISG auf internationale Trans-
aktionen grundsätzlich und ohne weitere Überlegungen vertraglich abbe-
dungen werden sollte, weil es angeblich zu sehr von der gewohnten
Regelung des Kaufrechts in ABGB und HGB bzw UGB abweiche und
auch keine klaren Vorteile für österreichische Unternehmen erkennen
lasse, keineswegs überwunden. Noch immer wird gerne und unreflektiert
von der in Art 6 CISG eröffneten Möglichkeit, die Anwendung des Über-
einkommens a priori auszuschließen, in den Allgemeinen Geschäftsbedin-
gungen und Vertragsformularen österreichischer Unternehmen reichlich
Gebrauch gemacht.
Indes indiziert die große Zahl oberstgerichtlicher Entscheidungen, in
denen auf CISG-Bestimmungen Bezug genommen wird, seine gestiegene
praktische Bedeutung für den grenzüberschreitenden Warenverkehr in
Österreich6. In dem auf vier Jahre angelegten Studium der Rechtswissen-
schaften bleibt gleichwohl kaum Zeit, neben dem internen Kaufvertrags-
recht auch das CISG angemessen zu würdigen. Da das CISG jedoch Teil
des österreichischen Bürgerlichen Rechts ist, muss in einer diesem gewid-
meten Lehrbuchreihe freilich nur in der gebotenen Kürze auf das interna-
tional vereinheitlichte Warenkaufrecht eingegangen werden7.

B. Die Ausgangslage der Parteien beim internationalen


Kaufvertrag

19/2 Beim Abschluss internationaler Kauf- oder Lieferverträge kommt es aus


rechtlicher Sicht gewöhnlich für jeden der vertragsschließenden Teile auf
zwei Ziele an: auf die Sicherstellung einer nach Möglichkeit reibungslosen
Vertragsabwicklung durch entsprechende Gestaltung des Vertrags und

Honsell (Hrsg), Kommentar zum UN-Kaufrecht (1997); Schlechtriem, Internationales


UN-Kaufrecht – Ein Studien- und Erläuterungsbuch zum Wiener UN-Übereinkommen
über Verträge über den internationalen Warenkauf – CISG2 (2003); Christoph Brunner,
UN-Kaufrecht – CISG (2004); Benicke/F. Ferrari/Mankowski, Wiener UN-Überein-
kommen über Verträge über den internationalen Warenkauf – CISG, in Münchener Kom-
mentar zum HGB VI (2004) 325–776; U. P. Gruber/P. Huber/H. P. Westermann, Wiener
UN-Übereinkommen über Verträge über den internationalen Warenkauf (CISG), in
Münchener Kommentar zum BGB, III4 (2004) 2131–2714; Magnus in Staudinger, Kom-
mentar zum BGB – Wiener Kaufrecht (CISG) Neubearbeitung (2005); Schlechtriem/
Schwenzer, Kommentar zum Einheitlichen Kaufrecht CISG5 (2008).
6 Zum Stichtag 1.7.2010 sind von der führenden Datenbank http://www.cisg-online.ch/
72 Entscheidungen des OGH abrufbar.
7 Vgl Apathy/Riedler, Bürgerliches Recht III – Schuldrecht Besonderer Teil 3 (2008) Rz 1/1,
FN 1.

218
Die Ausgangslage der Parteien beim internationalen Kaufvertrag § 19

auf das Funktionieren einer wirksamen Rechtsverfolgung für den Fall,


dass Störungen in der Ausübung der wechselseitigen Rechte bzw in der Er-
füllung der jeweiligen Pflichten auftreten. Da bei grenzüberschreitenden
Warenkaufverträgen nicht nur eine Rechtsordnung für die Klärung der
Rechtsfragen, die bei Abschluss, Auslegung und Abwicklung von Verträ-
gen auftreten, als anwendbar in Frage kommt, ergibt sich sehr oft für eine
der Vertragsparteien die Notwendigkeit zu akzeptieren, dass der Vertrag
auf der Grundlage einer ihr fremden Rechtsordnung und auch in einer
fremden Sprache geschlossen werden muss. Es ist für diese Partei oft nicht
leicht, in einem ihr zur „Unterwerfung“ vorgelegten standardisierten Ver-
tragsformular allenfalls versteckte Fallen als solche zu erkennen, und nicht
immer erlaubt es ihre wirtschaftlichen Position am Markt, ausreichend
„Verhandlungsmacht“ einzusetzen, um das Verhandlungsergebnis für sie
günstiger zu gestalten.
Hinzu kommt, dass im grenzüberschreitenden Warenverkehr der eigent- 19/3
liche Kaufvertrag nur das Zentralgeschäft in einem größeren Rahmen
ist, der aus anderen Vertragstypen wie Transport- und Versicherungsver-
trägen, Finanzierungsarrangements mittels Akkreditiven usw gebildet
wird. Über diese Abmachungen muss ebenso der Überblick gewahrt blei-
ben wie über devisenrechtliche Bestimmungen oder nationale Reglemen-
tierungen des Außenhandels, die – jedenfalls für Geschäfte mit Partnern
außerhalb der EU bzw des EWR – in die Abwicklung von Handelsge-
schäften regulativ eingreifen können. Daneben müssen noch zahlreiche
weitere Gesetze, insbesondere solche kollisionsrechtlichen Inhalts und
internationale Konventionen sowie die im internationalen Handelsverkehr
üblichen Klauseln (INCOTERMS), Gebräuche und Schiedsordnungen als
„lex mercatoria“ beachtet werden.
Gewiss bereiten Vorbereitung, Abschluss und Abwicklung von Waren-
kaufverträgen mit Partnern, die ihre Niederlassungen in benachbarten
Staaten mit gleicher Sprache und vergleichbarer Rechtstradition haben, ge-
ringere Mühe8, weshalb zB ein Österreicher und ein Deutscher, die einen
Kaufvertrag schließen wollen, weniger Bedarf an einem international
vereinheitlichten Warenkaufrecht haben als in den gleichen Umständen
Unternehmer, die einerseits in Österreich und andererseits zB in Ägypten
niedergelassen sind. Denn in diesem zweiten Fall berühren sich die Rechts-

8 Das gilt vor allem für Handelskäufe (bzw unternehmensbezogene Kaufgeschäfte) zwi-
schen deutschen und österreichischen Kaufleuten (bzw Unternehmern), da für von diesen
geschlossene Kaufverträge selbst nach den durch das HaRÄG, BGBl I 2005/120, bewirk-
ten Änderungen der §§ 373–381UGB in vielfacher Hinsicht Rechtsgleichheit oder doch
Rechtsähnlichkeit besteht.

219
§ 19 Der internationale Warenkauf nach dem „Wiener UN-Übereinkommen“ (CISG)

vorstellungen zweier Staaten mit anderer Sprache, strukturell unterschied-


licher Rechtsordnung und anders fundierter Gesellschaftsordnung. Hier
muss in den Vertragsverhandlungen auch auf die rechtlichen Rahmenbe-
dingungen für einen allfälligen Rechtsstreit über die vertraglichen Rechte
und Pflichten Bedacht genommen und versucht werden, einen günstigen
Gerichtsstand und ein vertrautes anwendbares Recht durchzusetzen.
Die Situation beider Parteien verbessert sich, wenn sie ihren Verhandlun-
gen eine nach ihrem jeweiligen Recht inhaltlich identische und nach glei-
chen Regeln angewandte internationale Rahmenordnung wie CISG zu-
grunde legen können.

C. Vorgeschichte und Akzeptanz

19/4 Mit CISG wurde erstmals ein internationales Übereinkommen auf dem
Gebiet des Warenkaufrechts in Österreich wirksam, nachdem von einer
Ratifikation der Haager Kaufrechtsübereinkommen Abstand genommen
worden war. CISG ist das wohl endgültige Ergebnis einer Bemühung, die
bereits in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts im Rahmen des
soeben gegründeten Römischen UNIDROIT-Instituts aufgenommen
worden war9 und 1935 zu einem ersten Entwurf geführt hatte. Das nach
dem Zweiten Weltkrieg von niederländischer Seite wiederbelebte Projekt
eines Einheitskaufrechts führte zunächst zum Haager Kaufrecht von
1964, das aus zwei, den Abschluss bzw das materielle Recht des internatio-
nalen Warenkaufes betreffenden Abkommen bestand, aber nur sehr be-
grenzten Erfolg hatte10. Deshalb wurde es schließlich von dem UN-Kauf-
rechtsübereinkommen (CISG) abgelöst, das weniger kompliziert und
„eurozentriert“ ist und nicht einseitig auf die Interessen der ökonomisch
entwickelten Länder abstellt. In jedem Fall werden kollisionsrechtliche
Probleme durch CISG minimiert, da mit diesem Übereinkommen für
internationale Verträge eine allgemein akzeptable, faire sachrechtliche Ord-
nung etabliert wurde.
CISG ist im Rahmen der UNCITRAL ausgearbeitet und schließlich in
einer mehrwöchigen, im Frühjahr 1980 in Wien abgehaltenen Konferenz in
seine endgültige Fassung gebracht und zur Zeichnung aufgelegt worden.
Österreich hat das Übereinkommen, das zur Jahresmitte 2010 in 74 Staaten –

9 Federführend von dem aus Wien stammenden und dort ausgebildeten Ernst Rabel
(1874–1955).
10 Seine wichtigsten Ratifikationsstaaten waren die Bundesrepublik Deutschland und Ita-
lien: Nur in diesen Staaten fand es auch in der juristischen Praxis Akzeptanz.

220
Übersicht über Aufbau und Inhalt § 19

darunter China, Deutschland, Frankreich, Italien, Russland, USA und neu-


erdings auch Japan – in Kraft steht, als elfter Staat ratifiziert. Von den Mit-
gliedstaaten der EU haben sich bisher mit einer gewissen Hartnäckigkeit das
Vereinigte Königreich, Irland und Portugal sowie Malta von einer Ratifika-
tion fern gehalten.

D. Übersicht über Aufbau und Inhalt

Das Übereinkommen ist in vier Teile gegliedert, wobei der erste Teil gewis- 19/5
sermaßen einen allgemeinen Teil bildet, der zweite Teil die Abschlussregeln
erfasst und der dritte Teil die Pflichten der Parteien und die Folgen von
Verletzungen dieser Regeln betrifft. Mit Bedachtnahme auf Staaten, die
wie die nordischen Länder besondere Abschlussregeln für den Kaufvertrag
aufweisen, wurde den interessierten Staaten die Möglichkeit eröffnet, nicht
nur das Übereinkommen in seiner Gesamtheit, sondern auch nur entweder
Teil I und Teil II oder Teil I und Teil III zu übernehmen.

ÜBERSICHT
Teil I: (Art 1–6) Anwendungsbereich und
(Art 7–13) allgemeine Bestimmungen (Auslegung, Handelsbräuche,
Formpflicht)
Teil II: (Art 14–24) Abschluss des Vertrages
Teil III: (Art 25–88) Hauptteil „Warenkauf“:
(Art 25–29) Allgemeine Bestimmungen
(Art 30–52) Pflichten des Verkäufers, Untersuchung und Rüge;
Rechtsbehelfe des Käufers
(Art 53–65) Pflichten des Käufers, Rechtsbehelfe des Verkäufers
(Art 66–70) Übergang der Gefahr
(Art 71–73) Vorweggenommener Vertragsbruch, Teillieferung, Suk-
zessivlieferung
(Art 74–80) Schadenersatz
(Art 81–84) Bereicherungsrechtliche Wirkungen bei Aufhebung
(Art 85–88) Aufbewahrung, Erhaltung der Ware
Teil IV: (Art 89–101) Schlussbestimmungen, Vorbehalte

221
§ 19 Der internationale Warenkauf nach dem „Wiener UN-Übereinkommen“ (CISG)

E. Teil I: Anwendungsbereich und Allgemeine


Bestimmungen

19/6 Nach Art 1 CISG ist das Übereinkommen nicht nur dann anzuwenden,
wenn die Vertragsparteien unabhängig von ihrer Staatszugehörigkeit11 in
zwei verschiedenen Vertragsstaaten niedergelassen sind, sondern auch
dann, wenn das IPR auf das Recht eines Vertragsstaates verweist. Art 1
Abs 1 lit b) normiert die sogenannte Vorschaltlösung12. Obwohl das Ver-
einigte Königreich (noch) kein Vertragsstaat ist, ist daher bei einem Verkauf
von Waren durch einen in Österreich niedergelassenen Händler an einen
britischen Partner in einem vor einem österreichischen Gericht ausgetrage-
nen Rechtstreit über die korrekte Vertragserfüllung das UN-Kaufrecht an-
zuwenden, wenn die Parteien keine Rechtswahl getroffen haben. Denn es
ist das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts des Verkäufer, also österrei-
chisches Recht, das für den Vertrag gemäß Art 4 Abs 1 lit a) Rom I-VO
maßgebend ist. Aus Art 1 CISG folgt, dass der Kaufvertrag dem Überein-
kommen als der österreichischen Sonderregelung für internationale Wa-
renkäufe unterliegt.
19/7 CISG ist nur auf Kaufverträge über bewegliche Sachen, die zu gewerbli-
chen Zwecken vertrieben werden, anzuwenden. Kam es vor dem 1.1.2007
nicht darauf an, ob den Parteien die Kaufmannseigenschaft im Sinn des
HGB zukam, ist seither nicht entscheidend, ob die Parteien gemäß § 1
UGB „Unternehmer“ sind, obwohl das de facto in den meisten Fällen, in
denen die Regeln des CISG Anwendung finden, der Fall sein wird. Gemäß
Art 2 lit a) CISG fällt ja der Kauf einer Ware für den privaten Gebrauch
nicht in den Anwendungsbereich des Übereinkommens, es sei denn, dass
der Verkäufer vor oder bei Vertragsabschluss weder wusste noch wissen
musste, dass die Ware für einen solchen Gebrauch gekauft wurde. Durch
ausdrückliche Anordnung in Art 2 lit b) bis f) CISG ausgeschlossen sind
Kaufverträge über Wertpapiere und Zahlungsmittel, Schiffe, Flugzeuge
und Luftkissenfahrzeuge, elektrische Energie sowie der Erwerb von Waren
im Rahmen von Versteigerungen oder durch Zwangsvollstreckung. Dass
den Kaufverträgen Verträge gleichstehen, in denen es um die Lieferung
eines Werkes geht, das aus Materialien hergestellt wird, die vom Werkun-
ternehmer stammen bzw in denen die involvierten Dienstleistungen nicht
den überwiegenden Teil der Pflichten der Partei, welche die Ware liefert,

11 Auf das Personalstatut der Parteien kommt es nicht an: OGH JBl 1999, 318 (M. Karollus)
= CISG-online Nr 380.
12 Aus der Judikatur des OGH: SZ 69/26 = CISG-online Nr 224; ZfRV 1996/20 = CISG-
online Nr 166; ZfRV 1998/53 = CISG-online Nr 355.

222
Teil I: Anwendungsbereich und Allgemeine Bestimmungen § 19

bilden, wird von Art 3 CISG klar gestellt13. Der OGH hat CISG auch auf
ein „Streckengeschäft“ angewendet14, nicht jedoch auf einen „Veredelungs-
vertrag“, dessen Kern die Vereinbarung bildete, dass im passiven Zollver-
merkverkehr von einer Seite Material zu liefern und von der anderen Seite
zu bearbeiten und zurückzuliefern war15.
Gemäß Art 4 CISG fallen Fragen der Gültigkeit des Vertrages oder einzel- 19/8
ner Vertragsbestimmungen und seiner Wirkungen auf das Eigentum an der
verkauften Sache nicht in den Anwendungsbereich des Übereinkommens,
wodurch erhebliche Abgrenzungsprobleme hervorgerufen werden. Der
OGH hat im Hinblick auf formularmäßige Modifikationen der Haftung
und Gewährleistung des Verkäufers festgestellt, dass diese „gemäß Art 4
lit a) UN-Kaufrecht einer Gültigkeitskontrolle des nach den Regeln des
internationalen Privatrechts jeweils anwendbaren nationalen – hier deut-
schen – Rechts“ unterliegen16. Dieses gestattete in concreto die in Rede ste-
henden Modifikationen im beiderseitigen Handelsgeschäft, was der OGH
nicht als einen Verstoß gegen die Grundwertungen des CISG qualifiziert
hat, zu denen jedenfalls auch das Recht auf Aufhebung des Vertrages geh-
öre, das der vertragstreuen Partei als ultima ratio grundsätzlich erhalten
werden müsse.
Weitere von CISG nicht geregelte Fragen, die nach dem vom IPR des
Forums als maßgebend bestimmten Recht gelöst werden müssen, betreffen
unter anderem die Geschäftsfähigkeit, Stellvertretung, Verjährung, Abtre-
tung und Schuldübernahme17, ferner den Schuldbeitritt, Eigentumsvorbe-
halt, die Sittenwidrigkeit und die Zulässigkeit von Vertragsstrafen. Schließ-
lich wird durch den erst in einer späten Phase der Verhandlungen in den
Text des Übereinkommens aufgenommenen Art 5 CISG ausdrücklich an-
geordnet, dass die Haftung für Körperschäden, die durch eine fehlerhafte
Kaufsache verursacht werden, nicht nach CISG zu beurteilen ist. Hier soll
die Frage der Haftung nach dem jeweils maßgebenden Produkthaftungs-
recht beurteilt werden.
Art 6 CISG räumt den Parteien das Recht ein, die Bestimmungen des Ab- 19/9
kommens zu modifizieren und seine Anwendung ganz auszuschließen.
Bei der Frage, ob seine Anwendung gemäß Art 6 ausgeschlossen werden
soll, sollte bedacht werden, dass mit der sich stetig vermehrenden Zahl

13 Zur Auslegung des Art 3 CISG zuletzt zutreffend OGH IHR 2006, 87 = CISG-online
Nr 1156.
14 OGH ZfRV 1996/20 = CISG-online Nr 166.
15 OGH ZfRV 1995, 159 = CISG-online Nr 133.
16 OGH RdW 2000/19 = CISG-online Nr 642.
17 Vgl OGH Forum int Recht 1997, 93 (F. Ferrari) = CISG-online Nr 291.

223
§ 19 Der internationale Warenkauf nach dem „Wiener UN-Übereinkommen“ (CISG)

von Ratifikationen und veröffentlichten Entscheidungen die praktische


Bedeutung des UN-Kaufrechts gestiegen ist, weshalb ein Anwendungsaus-
schluss selbst dort, wo er wie bei deutsch-österreichischen Warenkaufver-
trägen an sich nahe liegen würde, stets wohlüberlegt sein müsste.
Die österreichische Vertragspraxis ist hier in mancher Hinsicht „hinter
der Zeit“, wenn in Mustergeschäftsbedingungen pauschal und ungeprüft
der Ausschluss von CISG vorgesehen wird18. Keineswegs zielführend sind
jedenfalls Klauseln, die lediglich lauten: „Es gilt österreichisches Recht“. Die
Urheber von Bedingungswerken, die eine derart lapidare Klausel beinhal-
ten, mögen zwar das (interne) Kaufrecht von ABGB und UGB meinen,
sind sich aber nicht bewusst, dass das UN-Kaufrecht, das mit dieser Klau-
sel ausgeschlossen werden soll, vielmehr gerade das für die in Rede stehen-
den internationalen Warenkäufe in Österreich geltende Sonderrecht ist.
Der OGH hat klar gestellt, dass die pauschale Wahl österreichischen
Rechts für sich allein mangels zusätzlicher Anhaltspunkte für einen ab-
weichenden Parteiwillen, nicht den Ausschluss des Einheitskaufrechts be-
wirken könne19. Vertragsverfasser können sich durch pauschale Anwen-
dungsausschlüsse keinesfalls ihrer Pflicht zur Prüfung der Frage, ob die
Anwendung der CISG-Bestimmungen allenfalls vorteilhafter wäre als das
eigene oder fremde Vertragsstatut, entledigen.
19/10 Gemäß Art 7 CISG muss das Übereinkommen unter Berücksichtigung
seines internationalen Charakters und der Notwendigkeit einer internatio-
nal einheitlichen Anwendung und der Wahrung des guten Glaubens im
internationalen Handel übereinkommensautonom ausgelegt werden.
Fragen, die in CISG geregelte Gegenstände betreffen, selbst aber ungere-
gelt geblieben sind, müssen tunlichst mit Hilfe der dem Übereinkommen

18 Vgl zB Pkt 14 der „Allgemeinen Lieferbedingungen der Elektro- und Elektronikindus-


trie Österreichs“, herausgegeben vom Fachverband der Elektro- und Elektronikindus-
trie Österreichs, Ausgabe Mai 2007: „Zur Entscheidung aller aus dem Vertrag entstehen-
den Streitigkeiten – einschließlich solcher über sein Bestehen oder Nichtbestehen – ist
das sachlich zuständige Gericht am Hauptsitz des Verkäufers, in Wien jenes im Sprengel
des Bezirksgerichtes Innere Stadt, ausschließlich zuständig. Der Vertrag unterliegt öster-
reichischem Recht unter Ausschluss der Weiterverweisungsnormen. Die Anwendung
des UNCITRAL-Übereinkommens der Vereinten Nationen über Verträge über den
internationalen Warenkauf wird einvernehmlich ausgeschlossen“.
19 OGH SZ 71/21 = JBl 1999, 54 (M. Karollus) = ZfRV 1999, 65 (Posch) = CISG-online
Nr 349; SZ 74/178 = CISG-online Nr 614; OGH IHR 2005, 198 = CISG-online
Nr 1045; zuletzt OGH JBl 2009, 647 = CISG online Nr 1889. vgl auch schon die
Schiedssprüche des Internationalen Schiedsgerichts der BWK Wien RIW 1995, 590 =
CISG-online Nr 120, 121. Eine Klausel, die (vor dem 1.1.2007) bestimmt, dass „für
Kaufleute [. . .] die gewährleistungsrechtlichen Bestimmungen des HGB anzuwenden“
sind, ist jedoch als „stillschweigender Ausschluss des UN-Kaufrechts“ anzusehen:
OGH JBl 2008, 191 = CISG-online Nr 1560.

224
Teil I: Anwendungsbereich und Allgemeine Bestimmungen § 19

zugrunde liegenden allgemeinen Grundsätze20 und nur bei deren Fehlen


nach dem Vertragsstatut entschieden werden.
Gemäß Art 8 CISG müssen die Willenserklärungen einer Partei eines
internationalen Warenkaufvertrags nach ihrem, der anderen Partei bekann-
ten oder erkennbaren Willen ausgelegt werden. Ist dies nicht möglich, er-
folgt die Auslegung nach dem hypothetischen Willen einer „vernünftigen
Person der gleichen Art“, wobei alle erheblichen Umstände, insbesondere
die Verhandlungen der Parteien und zwischen ihnen bestehende Gepflo-
genheiten und Gebräuche, beachtet werden müssen. Nach Art 9 CISG
sind die Parteien an die von ihnen akzeptierten Gebräuche und die zwi-
schen ihnen entstandenen Gepflogenheiten gebunden. Zur Frage, was als
„Gepflogenheiten“ anzusehen ist, hat sich der OGH21 ebenso geäußert,
wie zum Vorrang von etablierten Handelsbräuchen – konkret der „öster-
reichischen Holzhandelsusancen“ und der gleichfalls den Holzhandel be-
treffenden „Tegernseer Gebräuche“ – vor den dispositiven Bestimmungen
des CISG22.
Gemäß Art 11 CISG besteht für internationale Warenkäufe grundsätzlich 19/11
Formfreiheit23, doch kann ein Vertragsstaat diesbezüglich den Vorbehalt
gemäß Art 96 CISG erklären, was gemäß Art 12 CISG zur Folge hat, dass
eine Partei, die ihre Niederlassung in einem Vorbehaltsstaat hat, nur in
schriftlicher Form kontrahieren kann, worunter Art 13 CISG auch Mittei-
lungen durch Telegramm oder Fernschreiben versteht. Angesichts der Um-
wälzungen in den elektronischen Kommunikationsmitteln können heute
unschwer auch Telefax und elektronische Post als von Art 13 mitgemeint
begriffen werden.

20 Ein solcher allgemeiner Grundsatz ist das Zug-um Zug-Prinzip: OGH IHR 2006, 87 =
CISG-online Nr 1156; 10 Ob 122/05x = CISG-online Nr 1364; RdW 2007/408 = CISG-
online Nr 1417.
21 OGH SZ 69/26 = CISG-online Nr 224: Dies könnten auch Vorstellungen einer Partei
aufgrund von Vorgesprächen sein, die bei Beginn einer Geschäftsbeziehung vorhanden
waren, wenn dem Vertragspartner aus den Umständen klar sein musste, „dass die andere
Partei grundsätzlich nur bereit ist, derartige Geschäfte aufgrund ganz bestimmter Bedin-
gungen oder in bestimmter Form abzuschließen“; zuletzt OGH IHR 2006, 31 = CISG-
online Nr 1093.
22 OGH JBl 1999, 318 = CISG-online Nr 380; OGH ZfRV 2000/71 = CISG-online
Nr 641.
23 Vgl OGH SZ 69/26= CISG-online Nr 224; OGH RdW 2000/379 = CISG-online
Nr 573.

225
§ 19 Der internationale Warenkauf nach dem „Wiener UN-Übereinkommen“ (CISG)

F. Teil II: Abschluss des Vertrages

19/12 Im zweiten Teil des Übereinkommens werden in elf Artikeln Regeln über
den Vertragsabschluss vorgeschrieben. Diese Bestimmungen operieren
mit den aus den innerstaatlichen Rechten bekannten Begriffen des Ange-
bots und der Annahme und lassen das Zustandekommen des Vertrags
von der Erzielung eines Konsenses abhängen. In Teil II geht es nur um
den so genannten „äußeren Konsens“, der durch Angebot und Annahme
hergestellt wird. Nichts wird jedoch zu Störungen in der Willensbildung,
zur Sittenwidrigkeit, fehlender Geschäftsfähigkeit, unwirksamer Stellver-
tretung usw angeordnet, da diese Themen zu den Gültigkeitsfragen zählen,
die nach Art 4 CISG vom Anwendungsbereich des Übereinkommens aus-
genommen sind.
19/13 In Teil II des Übereinkommens ist die wichtigste Abweichung von den ein-
schlägigen Regeln des ABGB in Art 15 und 16 zu finden, welche die grund-
sätzliche Möglichkeit zum Widerruf bis zur Annahme des Angebots
durch den Angebotsadressaten vorsehen. Vom Widerruf zu unterscheiden
ist die bis zum Eintreffen des Angebots mögliche Rücknahme. Das Ange-
bot wird eben nicht als stets bindend begriffen, sondern nur dann, wenn es
durch Befristung oder auf sonstige Weise zum Ausdruck bringt, dass es un-
widerruflich ist, oder der Empfänger vernünftigerweise annehmen durfte,
dass das Angebot unwiderruflich sei.
19/14 Auch in der Frage der Bestimmtheit der Leistung, für welche die wider-
sprüchlichen Art 14 und 55 CISG die bloße Bestimmbarkeit von Menge
und Preis ausreichend sein lassen, scheint eine Abweichung von den Ab-
schlussregeln des ABGB vorzuliegen. Wie der OGH24 zur Frage der In-
haltsbestimmtheit feststellte, ist nach dem CISG „eine stillschweigende
Festlegung und eine bloß die Festsetzung ermöglichende Vereinbarung so-
wohl zur Umschreibung von Warenmenge als auch des Preises zulässig“
und in concreto ausreichend um den Vorgaben des Art 14 CISG hinsicht-
lich der Bestimmtheit des Preises zu entsprechen, wenn die Parteien einen
Preisrahmen vereinbart und so ausreichend Anhaltspunkte festgelegt
haben, aus denen, je nach der Qualität der gelieferten Ware, ein bestimmter
Preis entnommen werden kann. In einem anderen Urteil25 maß der OGH
unter Berufung auf Schlechtriem26 die Frage, ob ein nach Art 14 CISG aus-

24 OGH SZ 67/197 = CISG-online Nr 117.


25 OGH JBl 1997, 592 = CISG-online Nr 269; vgl auch OGH RdW 2000/379 = CISG-on-
line Nr 573.
26 In von Caemmerer/Schlechtriem, Kommentar2 (1996) Rz 4 zu Art 14.

226
Teil III: Materielles Kaufvertragsrecht § 19

reichend bestimmtes „annahmefähiges Angebot“ vorliege, daran, ob der


erforderliche Mindestinhalt im Sinne des Art 8 Abs 2 CISG von „einer ver-
nünftigen Person der gleichen Art unter gleichen Umständen“ als ausrei-
chend konkret aufgefasst werden könne.
Für das Problem von einander abweichender Inhalte von Angebot und 19/15
Annahme sieht Art 19 Abs 1 CISG vor, dass eine nicht konvergente An-
nahmeerklärung ausreichend ist, wenn die in ihr enthaltenen Ergänzun-
gen und Abweichungen „die Bedingungen des Angebots nicht wesentlich
ändern“ und der Anbietende die fehlende Übereinstimmung nicht unver-
züglich moniert. Da gemäß Art 19 Abs 2 CISG Ergänzungen und Abwei-
chungen, die sich auf Preis, Bezahlung, Qualität und Menge der Ware, Ort
und Zeit der Lieferung, Haftungsumfang und Streitbeilegung beziehen, als
wesentliche Änderungen anzusehen sind, ist der Raum für die Anwendung
der Regel des Abs 1 freilich sehr eng. In diesem Zusammenhang hat der
OGH27 unter Berufung auf die Lehre vertreten, dass die Aufzählung in
Art 19 Abs 3 CISG nur eine widerlegliche Auslegungsregel darstelle. Des-
halb sei nicht auszuschließen, dass „auch Änderungen zu diesen Punkten
in der Annahmeerklärung aufgrund der besonderen Umstände des Falles,
der Parteigepflogenheiten, der Vorverhandlungen oder aufgrund von
Bräuchen als unwesentlich bewertet werden dürfen“. Insbesondere be-
dürften „dem Offerenten günstigere Änderungen nicht einer Gegenan-
nahme“.

G. Teil III: Materielles Kaufvertragsrecht

1. Allgemeines (Artikel 25–29 CISG)

Teil III des Übereinkommens, der im Wesentlichen Bestimmungen über 19/16


die Rechte und Pflichten der Vertragsparteien sowie die Sanktionen auf de-
ren Verletzung beinhaltet, ist der umfangreichste und wichtigste Teil des
Übereinkommens. Er ist übersichtlich gegliedert und in seiner Systematik
leichter nachvollziehbar als die meisten nationalen Regelungen desselben
Gegenstandes. Nach den wenigen allgemeinen Bestimmungen der Art 25
bis 29 CISG folgen die Vertragspflichten des Verkäufers einschließlich der
Rügepflichten des Käufers in den Art 30–44 sowie in den Art 45–52 CISG
die Rechtsbehelfe des Käufers bei der Verletzung der Verkäuferpflichten,
danach die Pflichten des Käufers und die Rechtsbehelfe des Verkäufers bei

27 OGH JBl 1997, 592 = CISG-online Nr 269.

227
§ 19 Der internationale Warenkauf nach dem „Wiener UN-Übereinkommen“ (CISG)

deren Verletzung in den Art 53–65 CISG. Daran schließen sich fünf Be-
stimmungen über die Gefahrtragung (Art 66–70). Ihnen folgen in Art 71–
73 die Regelung des vorweggenommenen Vertragsbruchs (anticipatory
breach) und in den Art 74–77 CISG die besonders wichtigen Vorschriften
über den Schadenersatz bei Verletzung einer Vertragspflicht durch eine
Partei. An Art 78 über Zinsen und Art 79–80 CISG über die Entlastungen
des an der Leistungserbringung gehinderten Schuldners reihen sich sodann
in Art 81–84 bereicherungsrechtliche Normen. Dieser zentrale Teil des
Übereinkommens wird mit Bestimmungen über die Pflichten zur Erhal-
tung der Ware in Art 85–88 beschlossen.
19/17 Zentrale allgemeine Bestimmung des III. Teils und „Angelpunkt des Sank-
tionensystems“28 des Übereinkommens ist sein Art 25, der die „wesent-
liche Vertragsverletzung“ definiert. Die Vertragsverletzung einer Partei
ist dann wesentlich, wenn „sie für die andere Partei einen solchen Nachteil
zur Folge hat, dass ihr im wesentlichen entgeht, was sie nach dem Vertrag
hätte erwarten dürfen“, wenn also das vertragsleitende Interesse wegge-
fallen ist. Es ist eine Frage der Auslegung des jeweiligen Vertrages, ob mit
der Vertragsverletzung des einen Partners der wesentliche Gehalt des Ver-
trages für den vertragstreuen Teil vereitelt wurde. Diese Erwartungen des
vertragstreuen Teils müssen auch dem Vertragsverletzer bekannt sein, da
die Erwartungen ja auf dem Vertrag beruhen müssen. In der bisher vorlie-
genden Judikatur wird der Begriff der „Wesentlichkeit“ einer Vertragsver-
letzung eher eng aufgefasst29. Die Vertragsverletzungen werden mehrheit-
lich als „unwesentlich“ qualifiziert.
19/18 Nach dem UN-Kaufrecht gibt es nicht mehrere verschiedene Formen der
Leistungsstörung wie nach allgemeinem Bürgerlichen Recht, in dem nach
ursprünglicher und nachträglicher, bzw subjektiver und objektiver Un-
möglichkeit, subjektivem und objektivem Verzug, Gewährleistung und
positiver Vertragsverletzung differenziert wird. Durch das einheitliche
Konzept der Vertragsverletzung ergibt sich eine große Vereinfachung
gegenüber der komplizierten Rechtslage nach dem ABGB. Denn bei der
Ermittlung der Rechtsfolgen einer Vertragsverletzung nach CISG muss
primär nur danach unterschieden werden, ob diese wesentlich oder unwe-
sentlich war. Nur im Falle einer wesentlichen Vertragsverletzung kann der
dadurch beschwerte Vertragspartner ohne Nachfristsetzung durch form-

28 Aicher in Hoyer/Posch, Das Einheitliche Wiener Kaufrecht. Neues Recht für den Inter-
nationalen Warenkauf (1992) 59.
29 Vgl dBGH BGHZ 132, 290 = CISG-online Nr 135; schweizBG IHR 2000, 14 = CISG-
online Nr 413.

228
Teil III: Materielles Kaufvertragsrecht § 19

lose30, außergerichtliche Erklärung, die der anderen Partei zumindest


schlüssig31 mitgeteilt werden muss32, vom Vertrag zurücktreten. Das folgt
aus Art 49 Abs 1 lit a) bzw aus Art 64 Abs 1 lit a) CISG und gemäß Art 46
Abs 2 CISG kann der Käufer nur dann eine Ersatzlieferung verlangen,
wenn eine wesentliche Vertragsverletzung vorliegt.
In Art 27 CISG wird die „Absendetheorie“ normiert, nach welcher das Ri- 19/19
siko von Verlust, Verzögerung und Verstümmelung einer Erklärung im
Zusammenhang mit der Vertragsabwicklung grundsätzlich vom Adressa-
ten zu tragen ist, wenn keine Ausnahme angeordnet ist: Dahinter steht der
Gedanke, dass es in der Regel der Adressat ist, der durch nicht vertrags-
konformes Verhalten die Erklärung erst notwendig machte. Art 28 CISG
nimmt auf die anglo-amerikanische Rechtstradition Rücksicht, die nur aus-
nahmsweise Erfüllung in natura (specific performance) kennt und räumt
dem Richter die Möglichkeit ein, einen Erfüllungsanspruch abzulehnen,
wenn er nach der lex fori nicht gegeben wäre. Art 29 CISG stellt klar, dass
eine nachträgliche einvernehmliche Vertragsänderung durch die Par-
teien möglich ist, was nach Rechten des anglo-amerikanischen Rechtskrei-
ses ohne Einhaltung bestimmter Formalitäten nicht selbstverständlich ist33.

2. Verkäuferpflichten und Käuferrechtsbehelfe (Art 30–52 CISG)

Den Verkäufer trifft nach Art 30 die Pflicht, die Ware zu liefern, die Doku- 19/20
mente zu übergeben und das Eigentum zu übertragen. In einem interna-
tionalen Warenkaufvertrag darf der Käufer grundsätzlich davon ausgehen,
dass er nach Lieferung über die Ware unbeschränkt verfügen kann und dass
der Verkäufer auf Beschränkungen der Verfügbarkeit hinweisen muss, da
er bei Fehlen einer abweichenden Vereinbarung Ware zu liefern hat, die
frei von Rechten Dritter ist. Von dieser Pflicht wird der Verkäufer nur
durch besondere Umstände wie Embargo, gesetzliche Beschränkungen,
branchenbekannte Begrenzungen entlastet34.
Art 31 CISG bestimmt den Inhalt der Lieferpflicht und insbesondere
den Lieferort, falls die Parteien es unterlassen haben, ihn vertraglich fest-
zulegen. In der Regel ist Erfüllungsort gemäß lit c) dieser Bestimmung die

30 OGH SZ 69/26 = CISG-online Nr 224; SZ 71/115 = CISG-online Nr 355; SZ 72/09 =


CISG-online Nr 483; SZ 73/75 = CISG-online Nr 581.
31 Vgl zuletzt OGH ZfRV 2002/17 = CISG-online Nr 652 mit weiteren Judikaturnachwei-
sen.
32 Art 26 CISG stellt klar, dass es eine „ipso facto avoidance“ nach CISG nicht gibt.
33 Vgl OGH SZ 69/26 = CISG-online Nr 224; SZ 72/109 = CISG-online Nr 483.
34 OGH SZ 69/26 = CISG-online Nr 224.

229
§ 19 Der internationale Warenkauf nach dem „Wiener UN-Übereinkommen“ (CISG)

Niederlassung des Verkäufers. Wenn der Vertrag eine Beförderung ein-


schließt, wird die Lieferpflicht nach lit a) gewöhnlich mit der Übergabe
der kaufgegenständlichen Ware an den ersten Beförderer zur Übermittlung
an den Käufer erfüllt, wenn der Kauf einer Ware aus einem dem Käufer be-
kannten Lagerbestand erfolgt, nach lit b) am Ort des Bestandes. Art 33
CISG stellt eine Regel für die Lieferzeit auf, wobei davon ausgegangen
wird, dass entweder eine Lieferzeit oder eine Lieferfrist bestimmt wurde.
Fehlt eine solche Bestimmung, ist innerhalb einer angemessenen Frist zu
leisten. Art 32 betrifft Nebenpflichten des Verkäufers bei einem Waren-
kauf, der den Transport der Ware einschließt, wie die Pflicht, für die Iden-
tifizierung der Ware zu sorgen und Auskünfte zu erteilen. Für internatio-
nale Warenkäufe typische Verkäuferpflichten, die in Art 30 auch als solche
angeführt werden, werden schließlich in Art 34 CISG näher geregelt, näm-
lich die Pflicht zur Übergabe von Dokumenten, die sich auf die Ware be-
ziehen, wie Frachtbriefe, Versicherungsnachweise, Ursprungszeugnisse,
Einfuhr- und Ausfuhrgenehmigungen usw.
19/21 Art 35 CISG umschreibt die Anforderungen, die eine Ware erfüllen muss,
um hinsichtlich ihrer physischen Beschaffenheit als vertragsmäßig zu gel-
ten, wobei an sich davon ausgegangen wird, dass die Parteien dies verein-
baren und die in Abs 2 angeführten Kriterien, wie die Eignung zum ge-
wöhnlichen bzw zu einem offen gelegten besonderen Gebrauch, die
Eigenschaften eines allenfalls als Muster oder zur Probe präsentierten Ex-
emplars der Kaufware und die übliche Verpackung, nur Ergänzungsfunk-
tion haben. Art 35 Abs 2 gibt einen objektiven Mindeststandard vor, wobei
über die Eignung für den gewöhnlichen Gebrauch grundsätzlich die Stan-
dards im Lande des Verkäufers entscheiden, so dass die Ware nicht den die-
sem unbekannten öffentlich-rechtlichen Vorschriften des Importlandes
über die Sicherheit, Kennzeichnung oder Zusammensetzung einer Ware
genügen muss35. Da der Begriff der Vertragswidrigkeit weit gefasst ist, ist
auch die Falschlieferung nach Art 35 ff CISG zu beurteilen und kein Fall
der Nichtlieferung.
Gemäß Art 36 CISG ist der maßgebende Zeitpunkt für die Beurtei-
lung der Vertragsmäßigkeit der Zeitpunkt des Gefahrübergangs, es sei
denn, dass eine durch eine Pflichtverletzung des Verkäufers entstandene
Vertragswidrigkeit erst später auftritt, oder der Verkäufer für einen be-
stimmten Zeitraum die Vertragsmäßigkeit garantiert hat. Art 37 CISG legt

35 OGH SZ 73/70 = CISG-online Nr 576. Es ist Aufgabe des Käufers, Entsprechendes in


den Vertrag hinein zu reklamieren. Zuletzt OGH 7 Ob 302/05w = CISG-online
Nr 1223; OGH 6 Ob 56/07i = CISG-online Nr 1435.

230
Teil III: Materielles Kaufvertragsrecht § 19

bei vorzeitiger, nicht vertragsmäßiger Leistung die Bedingungen für die


Heilung vor Fälligkeit fest.
Gemäß Art 38 und 39 CISG trifft den Käufer eine Untersuchungs- und 19/22
Rügepflicht. Demnach ist der Käufer verpflichtet, die Ware innerhalb einer
so kurzen Frist zu untersuchen, wie es die Umstände erlauben, wobei er ein
Recht auf Untersuchung vor Zahlung des Kaufpreises hat. Einen bei der
Untersuchung entdeckten oder entdeckbaren Mangel muss der Käufer „in-
nerhalb einer angemessenen Frist“ ab dem Zeitpunkt rügen, in dem er den
Mangel festgestellt hat oder hätte feststellen müssen. Untersuchungs- und
Rügeobliegenheit sind somit nach CISG an deutlich weniger strenge zeit-
liche Vorgaben geknüpft als vor dem 1.1.2007 von § 377 HGB für den
zweiseitigen Handelskauf vorgesehen worden war. Diese Divergenz ist je-
doch durch das Handelsrechts-Änderungsgesetz36 beseitigt worden, da
§ 377 UGB für den Fall, dass „der Kauf für beide Teile ein unternehmens-
bezogenes Geschäft“ ist, die „Frist für die Erhebung der Mängelrüge [. . .]
entschärft“ hat: Es wird nämlich nicht mehr unverzügliche Prüfung und
Rüge verlangt, sondern „im Anschluss an Art 39 Abs 1 UN-Kaufrecht“37
für die Mängelrüge nunmehr eine „angemessene Frist“ vorgeschrieben.
Bei Unterlassung der Rüge verliert der Käufer sämtliche Rechte aus
einer Vertragsverletzung des Verkäufers. Art 39 CISG normiert eine abso-
lute Ausschlussfrist von zwei Jahren38. Nach Auffassung des OGH39 kann
diese Frist nur dann ausgeschöpft werden, „wenn der Käufer die Ware
nicht früher untersuchen oder wenn er trotz Untersuchung die Vertrags-
widrigkeit nicht früher feststellen oder wenn er trotz Feststellung der Ver-
tragswidrigkeit diese nicht früher anzeigen konnte“. Alle Einschränkungen
der Rechte des Käufers, die sich aus Art 38 und 39 CISG ergeben, gelten
gemäß Art 40 CISG nicht, wenn der Verkäufer den Mangel im Zeitpunkt
der Zurverfügungstellung der Ware kannte oder kennen musste und ihn
dem Käufer nicht „offenbart“ hat.
Was insgesamt als eine „angemessene Frist“ für die Erhebung der Mängel- 19/23
rüge im Sinne des Art 39 iVm Art 43 CISG anzusehen ist, muss für den je-
weiligen Einzelfall bestimmt werden. Die Begriffe „so kurze Frist, wie es
die Umstände erlauben“ und „angemessene Frist“ sind differenzierend

36 BGBl I 2005/120.
37 So die Begründung dieser Gesetzesänderung in der RV des HaRÄG, 1058 BlgNR 22.
GP, 61; abrufbar zB über das Rechtsinformationssystem des Bundeskanzleramtes unter
http://www.ris.bka.gv.at/ via „Bundesrecht“ und „Begutachtungsentwürfe, Regierungs-
vorlagen ab 2002“.
38 Zum Charakter als Ausschlussfrist jüngst OGH 9 Ob 75/07 f = CISG-online Nr 1628.
39 OGH ZfRV 2000/1 = CISG-online Nr 484.

231
§ 19 Der internationale Warenkauf nach dem „Wiener UN-Übereinkommen“ (CISG)

auszulegen40. Zu berücksichtigen sind die objektiven und subjektiven Um-


stände des konkreten Falls, insbesondere die betrieblichen und persön-
lichen Verhältnisse des Käufers, Eigenarten der Ware, der Umfang der Wa-
renlieferung oder die Art des gewählten Rechtsbehelfs. Auf die
kürzestmögliche Reaktion des Käufers darf nicht abgestellt werden. Wenn
die Ware weder verderblich noch besonders schwer zu untersuchen ist, gel-
ten als Faustregel 14 Tage als gerade noch angemessene Frist für Untersu-
chung und Rüge zusammen41, ein Monat wird meist als zu lang einzustufen
sein. Fristen bis zu einem Monat, eventuell auch länger, können jedoch in
besonderen Fällen für angemessen erachtet werden, so, wenn die Lieferung
sehr umfangreich, die Untersuchung wegen der Komplexität der Ware
langwierig ist, und sich der Mangel nur mit Verzögerung offen legt42. Bei
verderblichen Waren ist die Rügefrist (samt Untersuchung) jedoch deutlich
kürzer als 14 Tage anzusetzen. Die Beweislast dafür, dass eine Mängelrüge
rechtzeitig und gehörig erhoben worden ist, trifft stets in vollem Umfang
den Käufer43, doch kann nur nach den jeweiligen Umständen des Einzel-
falls beurteilt werden, „ob der Verkäufer auf die Einhaltung der Rügeförm-
lichkeiten verzichtet hat oder die Berufung hierauf Treu und Glauben wi-
derspräche, wenn er sich etwa auf eine verspätete oder unsubstanziierte
Rüge einlässt und Abhilfe anbietet“44.
19/24 Im Unterschied zum autonomen Recht der Mängelrüge im (unterneh-
mensbezogenen) Kaufgeschäft sind von der Rügepflicht nach CISG auch
nicht genehmigungsfähige Aliud-Lieferungen im Sinne des § 378 UGB
umfasst. Ebenso erfasst sind gemäß Art 41–43 CISG Rechtsmängel45. Hat
der Käufer den Mangel nicht rechtzeitig angezeigt, muss er nicht zwingend
alle Rechtsbehelfe verlieren. Denn wenn er eine „vernünftige Entschuldi-
gung“ für das Unterlassen der rechtzeitigen Rüge hat, bleiben ihm nach
Art 44 CISG das Begehren auf Preisminderung und der Anspruch auf
Schadenersatz, wenngleich nur für den positiven Schaden und nicht auch
für entgangenen Gewinn46: Eine analoge Bestimmung gibt es im autono-

40 Vgl OGH SZ 71/21 = CISG-online Nr 349; JBl 1999, 252 = CISG-online Nr 410.
41 Vgl OGH JBl 1999, 252 = CISG-online Nr 410.
42 OGH IHR 2001, 81 = CISG-online Nr 485.
43 OGH IHR 2001, 81 = CISG-online Nr 485.
44 OGH IHR 2001, 40 = CISG-online Nr 641.
45 Vgl OGH 10 Ob 122/05x = CISG-online Nr 1364: „Zu den Schutzrechten des Art 42
gehören Patente jedweder Art“.
46 Eine analoge Bestimmung gibt es im autonomen Recht nicht, das nunmehr die Rechts-
folgen der Unterlassung der Rüge in § 378 Abs 2 und 3 UGB regelt. Aus diesen Gesetzes-
stellen ergibt sich, dass der Anspruchsverlust sich nicht auf Mangelfolgeschäden er-
streckt.

232
Teil III: Materielles Kaufvertragsrecht § 19

men Recht nicht, vielmehr entfallen nach UGB bei Verletzung der entspre-
chenden Obliegenheit(en) idR stets die Gewährleistungs- und Schadener-
satzansprüche.
In Art 45 ff CISG werden die Rechtsbehelfe, die dem Käufer bei einer dem 19/25
Verkäufer zurechenbaren Vertragsverletzung offen stehen47, geregelt, wo-
bei sich diese nach der Art der Verletzung – ob wesentlich oder nicht – un-
terscheiden. Nur bei einer wesentlichen Vertragsverletzung des Verkäufers
kann der Käufer gemäß Art 49 Abs 1 lit a) CISG ohne Setzung einer Nach-
frist den Rücktritt vom Vertrag erklären und gemäß Art 46 Abs 2 CISG Er-
satzlieferung verlangen. Keine wesentliche Vertragsverletzung des Verkäu-
fers setzt das Erfüllungsbegehren des Käufers nach Art 46 Abs 1 CISG
voraus, ebenso nicht das Begehren auf Verbesserung gemäß Art 46 Abs 3
CISG. Gemäß Art 47 CISG muss der Käufer dem Verkäufer Gelegenheit
zur Verbesserung geben, ehe er andere Rechte aus der Vertragsverletzung
geltend machen kann. Das Verbesserungsrecht des Verkäufers ist nicht auf
Gattungsschulden oder echte Qualitätsmängel beschränkt, doch verliert
der Verkäufer sein Recht zur Mangelbehebung auf eigene Kosten, wenn
die Verbesserung eine unzumutbare Verzögerung oder sonstige unzumut-
bare Unannehmlichkeiten für den Käufer hervorrufen würde.
Gemäß Art 47 CISG kann der Käufer dem Verkäufer, der vertragswidrig 19/26
seine Pflichten verletzt, eine Nachfrist zur Erfüllung seiner Pflichten set-
zen. Bis zum Ablauf der Frist kann er dann, vom Anspruch auf einen erlit-
tenen Verspätungsschaden abgesehen, keinen Rechtsbehelf aus der Ver-
tragsverletzung ausüben. Hat der Verkäufer die Ware gar nicht geliefert
und verstreicht auch die Nachfrist ergebnislos, kann der Käufer gemäß
Art 49 Abs 1 lit b) CISG die Aufhebung des Vertrages erklären. Dagegen
kann bei anderen Vertragsverletzungen, wie zB bei der Lieferung einer
nicht vertragskonformen Sache, eine Vertragsaufhebung nur erklärt wer-
den, wenn eine wesentliche Vertragsverletzung vorliegt. In diesem Fall
kann der Käufer gemäß Art 49 Abs 2 lit b) (ii) nach erfolglosem Verstrei-
chen der Nachfrist innerhalb einer angemessenen Frist die Aufhebung des
Vertrages verlangen. Bei bloß unwesentlicher Vertragsverletzung kann der
Käufer nach Ablauf der Frist wieder alle ihm zustehenden Rechtsbehelfe
ausüben.
Bei jeder Art von Verletzung von Vertragspflichten durch den Verkäufer 19/27
steht dem Käufer das Recht auf Preisminderung gemäß Art 50 CISG zu.

47 Zum Verhältnis dieser Rechtsbehelfe und der Einrede des nicht gehörig erfüllten Vertra-
ges vgl OGH IHR 2006, 87 = CISG-online Nr 1047.

233
§ 19 Der internationale Warenkauf nach dem „Wiener UN-Übereinkommen“ (CISG)

Dieses Recht, das erst ausgeübt werden kann, wenn eine mögliche Verbes-
serung, die auch zumutbar sein musste, nicht erfolgt ist, hat das überkom-
mene Preisminderungsrecht des deutschen und österreichischen Rechts
zum Vorbild. Für die Berechnung der Minderung gilt daher auch hier die
relative Berechnungsmethode nach der Formel:

Wichtig und für internationale Warenkäufe sachlich angemessen ist, dass


der Zeitpunkt der Lieferung und nicht der Zeitpunkt des Vertragsab-
schlusses als für die Wertberechnung maßgeblicher Zeitpunkt bestimmt
wurde.
Der Käufer kann sich, sofern die jeweiligen Voraussetzungen erfüllt
sind, aller ihm offenstehenden Rechtsbehelfe bedienen und die Rechtsbe-
helfe der Art 45 ff CISG mit dem Schadenersatzanspruch kombinieren,
doch darf keine doppelte Kompensation eines Nachteils erfolgen. Daher
muss bei der Festlegung des Schadenersatzes darauf Bedacht genommen
werden, ob der Vertrag bereits aufgehoben ist oder nicht.

3. Käuferpflichten und Verkäuferrechtsbehelfe (Art 53–65 CISG)

19/28 Gemäß Art 53 ff CISG hat der Käufer den Preis zu zahlen und die ge-
kaufte Ware anzunehmen, wobei sich die Annahmepflicht nicht in der
eigentlichen Übernahme erschöpft und die Zahlungspflicht auch auf „flan-
kierende Maßnahmen“ erstreckt, die sich aus dem Vertrag oder aus Rechts-
vorschriften ergeben. Vertraglich kann der Käufer etwa zur Stellung einer
bankmäßigen Sicherheit verhalten sein, devisenrechtliche Bestimmungen
können verlangen, dass er Genehmigungen für den grenzüberschreitenden
Geldtransfer besorgen muss. Art 55 CISG, der regelt, wie der Kaufpreis zu
berechnen ist, ist in erster Linie eine Auslegungshilfe, wobei es nach dieser
Bestimmung möglich ist, dass ein Angebot auch dann wirksam sein kann,
wenn der Preis bewusst offen gelassen worden ist. Der Kaufvertrag wird
dann als zu einem angemessenen Preis geschlossen angesehen.
Während Art 56 CISG über die Berechnung des nach Gewicht be-
stimmten Preises anhand des Nettogewichts ursprünglich mit dem durch
das HaRÄG als „bedeutungslos“ aufgehobenen § 380 HGB48 überein-

48 Vgl Erl zur RV des HaRÄG, 1058 BlgNR 22. GP, 62: „Die derzeit geltende Bestimmung
des § 380 HGB (nach Gewicht einer Ware bestimmter Kaufpreis berechnet sich ohne
Verpackung) ist praktisch bedeutungslos und soll gestrichen werden.“

234
Teil III: Materielles Kaufvertragsrecht § 19

stimmte, macht die unmittelbar folgende Bestimmung insofern einen Un-


terschied zum österreichischen Recht, als sie mangels entgegenstehender
Vereinbarung die Geldschuld als „Bringschuld“ definiert. Gleichwohl er-
geben sich aus der Divergenz des Art 5749 zur qualifizierten Schickschuld
des § 905 Abs 2 ABGB keine wirklich relevanten Unterschiede. Auf den
internationalen Charakter des Kaufvertrages wird von Art 58 insofern Be-
dacht genommen, als nicht nur die Übergabe der Kaufsache, sondern auch
die Aushändigung der Dokumente, die zur Verfügung über die Ware be-
rechtigen, von der Zahlung abhängig gemacht werden kann. Ansonsten ist
auch im CISG der bewährte Zug-um-Zug-Grundsatz anerkannt50.
Die Rechtsbehelfe, die dem Verkäufer bei einer Vertragsverletzung des 19/29
Käufers zur Verfügung stehen, sind in Art 61 ff CISG in weitgehender Pa-
rallelität zu Art 45 ff CISG geregelt. So kann der Verkäufer gemäß Art 63
CISG dem mit der Zahlung oder Abnahme säumigen Käufer eine Nach-
frist zur Erfüllung seiner Pflichten setzen51, bis zu deren Ablauf er keinen
Rechtsbehelf mit Ausnahme des Anspruchs auf den Verspätungsschaden
ausüben darf. Wenn der Käufer die Kaufpreiszahlung nicht geleistet hat,
ehe die Nachfrist abläuft, kann der Verkäufer gemäß Art 64 Abs 1 lit b)
CISG die Aufhebung des Vertrages erklären. Hier gilt für die Rechtsbe-
helfe des Verkäufers mutatis mutandis das Gleiche wie für die Rechtsbe-
helfe des Käufers bei der Verletzung von Vertragspflichten durch den Ver-
käufer: Auch der Verkäufer kann gemäß Art 64 Abs 2 CISG innerhalb
einer angemessenen Frist nach die Aufhebung des Vertrages erklären,
wenn eine wesentliche Vertragsverletzung vorliegt und bei bloß unwesent-
licher Vertragsverletzung nach erfolglosem Verstreichen der Nachfrist wie-
der alle ihm zustehenden Rechtsbehelfe ausüben. Auch ihm steht zusätz-
lich zu seinen verkäuferspezifischen Rechtsbehelfen die Möglichkeit offen,
Schadenersatz gemäß Art 74 ff CISG zu begehren. Der Verkäufer kann
schließlich gemäß Art 65 CISG im Falle eines Spezifikationskaufes die
vom Käufer unterlassene Spezifizierung nach denselben Grundsätzen vor-
nehmen, die vor dem 1.1.2007 § 375 HGB vorgesehen hatte: Diese nun-
mehr aufgehobene und durch § 1063b ABGB ersetzte Bestimmung war
das Vorbild für die einschlägige CISG-Norm.

49 Zur Frage des Verhältnisses von Art 5 Nr 1 lit b) EuGVVO zu Art 57 CISG: OGH eco-
lex 2008/229, 632 = CISG-online Nr. 1680.
50 OGH IHR 2006, 87 = CISG-online Nr 1156; OGH ecolex 2007/72, 172 = CISG-online
Nr 1417.
51 OGH ZfRV 1997/83 = CISG-online Nr 340; OGH SZ 73/5 = CISG-online Nr 581.

235
§ 19 Der internationale Warenkauf nach dem „Wiener UN-Übereinkommen“ (CISG)

4. Übergang der Gefahr (Art 66–70 CISG)

19/30 In fünf Artikeln regelt CISG beginnend mit Art 66 den Übergang der
Preisgefahr. Bei internationalen Warenkäufen, die sich in vielen Fällen
auch auf die Beförderung der Ware beziehen, ist die Frage des Gefahrüber-
gangs wegen der oft großen räumlichen Entfernung, welche die Ware vom
Verkäufer zum Käufer zurücklegen muss, besonders wichtig. In diesen auf
inhaltliche Auffüllung durch INCOTERMS in der Vertragspraxis ausge-
richteten Bestimmungen steht das Bemühen erkennbar im Vordergrund,
den Gefahrübergang an den Wechsel der Sachherrschaft zu koppeln.
Diese Aufgabe erfüllt der Auffangtatbestand des Art 69 CISG. Allerdings
besteht wegen der Vielfalt der international eingeführten Formen des Gü-
terumsatzes ein Bedarf an besonderen Regeln für den Versendungskauf,
den Kauf reisender Ware und den Fernkauf, dem das CISG in Art 67, 68
und 69 Abs 2 Rechnung trägt.

5. Vorweggenommene Vertragsverletzung und Verträge über


aufeinanderfolgende Leistungen (Art 71–73 CISG)

19/31 Unter diese Überschrift sind drei Artikel des Übereinkommens gestellt, die
zum einen die Voraussetzungen regeln, unter denen die eine Partei eines
internationalen Kaufvertrages bei drohender Vertragsverletzung durch die
andere zur Aussetzung der Erfüllung eigener Vertragspflichten außer-
halb eines Sukzessivlieferungsvertrages berechtigt ist. Sie betreffen somit
eine Materie, die funktionell der Unsicherheitseinrede des § 1052 ABGB
entspricht. Zum anderen beinhaltet dieser Abschnitt in Art 73 CISG auch
die Regeln, nach denen sich die Aufhebung eines in den Anwendungsbe-
reich des Übereinkommens fallenden Sukzessivlieferungsvertrages richten.
Die Aussetzung der eigenen Leistung gemäß Art 71 CISG setzt schwer-
wiegende leistungsgefährdende Umstände sowie wirtschaftliche Schwie-
rigkeiten einschließlich des Mangels an Kreditwürdigkeit des Vertragspart-
ners voraus, zB die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das
Vermögen des Schuldners oder die Einstellung der Zahlungen oder Liefe-
rungen durch den Schuldner. Einzelne verspätete Zahlungen oder eine
schleppende Zahlungsweise genügen aber noch nicht, um einen schweren
Mangel der Kreditwürdigkeit anzuzeigen52.

52 OGH SZ 71/21 = CISG-online Nr 349: Bei grundsätzlicher Zustimmung zur Argumen-


tation des OGH kritisiert Karollus in seiner Anmerkung, JBl 1999, 56, diese Anforde-
rungen als zu streng. Auch „[d]as Vorliegen eines Insolvenzgrundes – oder des unmittel-

236
Teil III: Materielles Kaufvertragsrecht § 19

6. Schadenersatz, Verzugszinsen und „Befreiungen“


(Art 74–80 CISG)

Das Schadenersatzrecht des CISG folgt dem Grundsatz, dass für Schäden, 19/32
die aus der Nichterfüllung von Vertragspflichten entstanden sind, im Rah-
men der Vorhersehbarkeit verschuldensunabhängig zu haften ist. Die-
ser, dem österreichischen Haftungsrecht an sich fremde Grundsatz stammt
aus dem anglo-amerikanischen Vertragshaftungsrecht53, das ihn seinerseits
im 19. Jahrhundert aus dem französischen Zivilgesetzbuch entlehnt haben
soll. Die Haftung nach dem CISG stellt sich als eine Art von „Garantiehaf-
tung“ dar, da es weder auf Verschulden noch darauf ankommt, dass eine
Schädigung als anfängliche oder nachträgliche Störung der Leistungsab-
wicklung auftrat. Gleichwohl unterscheiden sich die Vertragsrechte der
Common law-Tradition und die auf Verschulden aufbauenden kontinen-
taleuropäischen Systeme des vertraglichen Schadenersatzes im Ergebnis
nicht allzu sehr: Einerseits gleichen sich Vorhersehbarkeit und Rechtswid-
rigkeitszusammenhang in funktioneller Hinsicht, andererseits enthält der
im Garantiesystem integrierte Befreiungstatbestand des Art 79 CISG ver-
schuldensähnliche Elemente und wird schließlich das Verschuldenserfor-
dernis in den kontinentalen Rechten immer mehr objektiviert.
Für die Frage, wann ein Schaden gemäß Art 74 CISG als „vorhersehbar“ 19/33
zu qualifizieren ist, kommt es unter Anlegung eines objektiven Maßstabs54
darauf an, was „bei Aufrechterhaltung und Durchführung des Vertrages“
vom vertragstreuen Teil erwartet hätte werden können. Es ist dann der
gesamte durch die Vertragsverletzung bewirkte, vorhersehbare Verlust ein-
schließlich des entgangenen Gewinns zu ersetzen55. Jedoch ist „ein ent-
gangener Gewinn, den der Käufer bei gehöriger Erfüllung der Verkäufer-
verpflichtung durch Weiterveräußerung der Ware hätte erzielen können,
[. . .] vom Verkäufer nur dann zu ersetzen, wenn er mit der Weiterveräuße-
rung rechnen musste“, was beim Verkauf handelbarer Ware an einen mit
Warenhandel befassten Unternehmer wohl stets zu bejahen ist56. Im Übri-
gen ist sowohl die Möglichkeit der „konkreten“ Berechnung an Hand
eines Deckungskaufs gemäß Art 75 als auch eine „abstrakte“ Schadenser-
mittlung durch Vergleich mit dem Marktpreis der Ware nach Art 76 CISG

baren Vorstadiums dazu“ müsse nach Karollus für eine Aussetzung gemäß Art 71 CISG
genügen.
53 Vgl die berühmte Leitentscheidung Hadley v. Baxendale [1854] 9 Exch. 341.
54 OGH SZ 2002/1 = CISG-online Nr 643.
55 OGH IHR 2001, 39 = CISG-online Nr 573.
56 OGH SZ 69/26 = CISG-online Nr 224; vgl auch OGH SZ 73/75 = CISG-online Nr 581.

237
§ 19 Der internationale Warenkauf nach dem „Wiener UN-Übereinkommen“ (CISG)

gegeben, doch kann der Gläubiger statt dessen nach Aufhebung des Ver-
trags den Nichterfüllungsschaden im engeren Sinn nach der allgemeinen
Norm des Art 74 berechnen57.
19/34 Den Geschädigten trifft nach Treu und Glauben eine Pflicht zur angemes-
senen Schadensminderung gemäß Art 77 CISG. Soweit der durch eine
Vertragsverletzung verursachte Schaden durch eine zumutbare Maßnahme
hätte verringert werden können, ist er nicht zu ersetzen58. Art 78 CISG re-
gelt den Anspruch auf Verzugszinsen und Art 79 CISG die Befreiungs-
gründe. Art 79 Abs 1 CISG verlangt für den Entfall der Schadenersatz-
pflicht einen außerhalb des subjektiven Einflussbereichs des Schuldners
liegenden Hinderungsgrund, den dieser vernünftigerweise bei Vertragsab-
schluss nicht in Betracht ziehen und auch nicht vermeiden oder überwin-
den konnte. Aus Art 79 Abs 2 CISG geht hervor, dass der Geschäftsherr
für den durch seine Gehilfen verursachten Schaden haftet, es sei denn, dass
sowohl Geschäftsherr als auch Gehilfe nach Art 79 Abs 1 CISG von ihrer
Einstandspflicht befreit wären. Die an der Erfüllung ihrer Pflichten nach
Art 79 Abs 1 und 2 CISG gehinderte Vertragspartei hat die Verhinderung
der anderen Partei in angemessener Frist anzuzeigen, ansonsten haftet sie
trotz Befreiung für allen Schaden, der aus der Unterlassung dieser Mittei-
lung entstanden ist, gemäß Art 79 Abs 4 CISG.
Gemäß seinem Abs 5 befreit Art 79 CISG nur von der Schadenersatz-
pflicht, sodass andere Rechte wie zB das Aufhebungs- und Minderungs-
recht, die Ansprüche auf den Zinsschaden und die Aufwandsersatzansprü-
che gemäß Art 85 und 86 aus einer unter Art 79 CISG fallenden
Vertragsverletzung aufrecht bleiben. Umstritten ist jedoch, wieweit be-
freiende Umstände gemäß Art 79 CISG auf Erfüllungs- und Verbesse-
rungsbegehren einwirken können. Für Fälle objektiver Unmöglichkeit
bzw Unzumutbarkeit der Erfüllung ist ein Entfall von Erfüllungs- und
Verbesserungsanspruch jedenfalls zu vertreten, auch wenn dies von den
Redaktoren des Art 79 CISG offenbar nicht gewollt war. In jedem Fall ver-
hindert eine Befreiung von der Schadenersatzpflicht gemäß Art 79 nicht,
dass der vertragsbrüchige Schuldner dem beschwerten Gläubiger auf berei-
cherungsrechtlicher Grundlage das herauszugeben hat, was in seinem Ver-
mögen an die Stelle der etwa untergegangenen oder beschädigten Sache ge-
treten ist59.

57 OGH SZ 73/75 = CISG-online Nr 581.


58 OGH SZ 69/26 = CISG-online Nr 224.
59 Dass das „stellvertretende commodum“ herauszugeben ist, ist aus einer Analogie zu
Art 88 Abs 2 lit b) CISG abzuleiten.

238
Teil III: Materielles Kaufvertragsrecht § 19

7. Wirkungen der Aufhebung und Erhaltung der Ware


(Art 81–88 CISG)

Schließlich regeln Art 81 bis 84 CISG auch noch die bereicherungsrechtli- 19/35
chen Ansprüche als Folge der Vertragsaufhebung. Unter Verzicht auf Ein-
zelheiten sei nur angemerkt, dass insbesondere Art 82 Abs 1 CISG von der
Rechtslage im ABGB abweicht. Denn der Käufer, dem es nicht möglich ist,
die Ware zurückzugeben, verliert das Recht zur Aufhebungserklärung. Al-
lerdings wird diese Abweichung durch die drei im folgenden Absatz nor-
mierten Ausnahmetatbestände – die Unmöglichkeit der Rückgabe ist nicht
vom Käufer zu verantworten, die Kaufsache ist als Folge der Untersu-
chung auf Mängel untergegangen, der Käufer hat die Ware im normalen
Geschäftsverkehr weiterverkauft oder ihrer normaler Verwendung ent-
sprechend verbraucht – relativiert60.
Hat eine Vertragspartei eine Ware in ihrer Gewahrsame, die eigentlich in
den Händen der anderen Partei sein sollte, trifft sie die Pflicht zur Erhal-
tung der Ware: So soll sichergestellt werden, dass sich der wirtschaftliche
Verlust der vertragsbrüchigen Partei in Grenzen hält. Diese Pflicht besteht
für den Verkäufer gemäß Art 85 CISG bei Annahmeverzug und für den
Käufer, wenn eine zugesandte und ihm am Bestimmungsort zur Verfügung
gestellte Ware vertragswidrig ist, da sie der an sich zurückweisungsberech-
tigte Käufer gemäß Art 85 Abs 2 CISGF vorläufig übernehmen muss. Die
erhaltungspflichtige Partei hat die den Umständen angemessenen Maßnah-
men zu setzen. Das bedeutet, dass die konkrete Ware allenfalls bei einem
Dritten eingelagert oder nach Maßgabe von Art 88 CISG verkauft werden
muss. Für ihre Aufwendungen stehen der erhaltungspflichtigen Vertrags-
partei ein Ersatzanspruch und allenfalls ein Zurückbehaltungsrecht zu.

60 Aus der Rsp des OGH vgl SZ 72/109 = CISG-online Nr 483.

239
ANHANG

UN-Kaufrechtskonvention (CISG) –
Die 74 Vertragsstaaten am 1. Juli 2010
Albanien seit 01.06.2010 Liberia seit 01.10.2006
Ägypten seit 01.01.1988 Litauen seit 01.02.1996
Argentinien seit 01.01.1988 Luxemburg seit 01.02.1998
Armenien seit 01.01.2010 Mauretanien seit 01.09.2000
Australien seit 01.04.1989 Mazedonien (FYROM) seit 17.11.1991
Belgien seit 01.11.1997 Mexiko seit 01.01.1989
Bosnien-Herzegovina seit 06.03.1992 Moldavien seit 01.11.1995
Bulgarien seit 01.08.1991 Montenegro seit 03.06.2006
Burundi seit 01.10.1999 Mongolei seit 01.01.1999
Chile seit 01.03.1991 Neuseeland seit 01.10.1995
China seit 01.01.1988 Niederlande seit 01.01.1992
Dänemark seit 01.03.1990 Norwegen seit 01.08.1989
Deutschland seit 01.01.1991 Österreich seit 01.01.1989
Ecuador seit 01.02.1993 Paraguay seit 01.02.2007
El Salvador seit 01.12.2007 Peru seit 01.04.2000
Estland seit 01.10.1994 Polen seit 01.06.1996
Finnland seit 01.01.1989 Rumänien seit 01.06.1992
Frankreich seit 01.01.1988 Russische Föderation seit 01.09.1991
Gabun seit 01.01.2006 Sambia seit 01.01.1988
Georgien seit 01.09.1995 St.Vincent u. Grenadien seit 01.10.2001
Griechenland seit 01.02.1999 Schweden seit 01.01.1989
Guinea seit 01.02.1992 Schweiz seit 01.03.1991
Honduras seit 01.11.2003 Serbien seit 27.04.1992
Irak seit 01.04.1991 Singapur seit 01.03.1996
Island seit 01.06.2002 Slowakei seit 01.01.1993
Israel seit 01.03.2003 Slowenien seit 25.06.1991
Italien seit 01.01.1988 Spanien seit 01.08.1991
Japan seit 01.08.2009 Syrien seit 01.01.1988
Kanada seit 01.05.1992 Tschechien seit 01.01.1993
Kolumbien seit 01.08.2002 Uganda seit 01.03.1993
Korea (süd) seit 01.03.2005 Ukraine seit 01.02.1991
Kroatien seit 08.10.1991 Ungarn seit 01.01.1988
Kuba seit 01.12.1995 Uruguay seit 01.02.2000
Kyrgisistan seit 01.06.2000 USA seit 01.01.1988
Lesotho seit 01.01.1988 Usbekistan seit 01.12.1997
Lettland seit 01.08.1998 Weißrussland seit 01.11.1990
Libanon seit 01.12.2009 Zypern seit 01.04.2006
Manche Staaten haben von Vorbehaltsmöglichkeiten der Art 92 ff CISG Gebrauch gemacht.

240
Sachverzeichnis
Die Zahl vor dem Schrägstrich verweist auf die mit § gekennzeichneten Kapitel, die Zahl(en)
nach dem Schrägstrich verweisen, auf die jeweilige Randzahl.

A Atomhaftung 15/49
Abhängige Rechtsgeschäfte 7/3; 15/18, 20 Aufenthalt, gewöhnlicher 9/2 ff, 7; 11/01,
Abhandlungsjurisdiktion 12/3 5 ff, 15, 18 f; 12/7; 15/11
acquis communautaire 17/2, 12 Aufrechnung 15/20
Adoption 7/8; 11/16 f Auslandseheschließung 11/3
Adoptionsübereinkommen, Haager 3/4; Auslegung 6/8 f, 11; 14 ff; 15/23; 17/4
11/11, 16 f Auslegung, richtlinienkonforme 3/5; 18/2
Agenda, digitale s digitale Agenda Auslegung, übereinkommensautonome 6/8;
Allgemeine Geschäftsbedingungen 16/6; 17/4, 14 ff; 19/10
17/6; 18/9; 19/1, 9 Ausweichklausel 9/1; 15/6, 12, 14, 17, 18,
Alternativanknüpfung s Anknüpfung, alter- 27, 32, 35
native Auswirkungsprinzip 15/29
Amtshaftung 15/31
Amtswegigkeit 4/3; 6/14 ff B
Anerkennung, gerichtlicher Entscheidun- B2A-Verträge (Business-to-Administra-
gen 1/6, 7 tion-Verträge) 16/2 FN 6
Angleichung 5/4; 15/2; 17/1 ff B2B-Verträge (Business-to-Business-Ver-
Anknüpfung 7/1 ff träge) 16/5 ff
Anknüpfung, akzessorische 7/9; 11/8; B2C-Verträge (Business-to-Consumer-
15/18, 20, 29, 37 Verträge) 16/8 ff
Anknüpfung, alternative 7/7; 11/1; 14/2 Baurecht 13/2
Anknüpfung, fakultative 7/8 Beförderungsverträge 9/1; 15/2, 14 f
Anknüpfung, gekoppelte 7/8 Belegenheitsort 9/1, 15; 12/4; 13/1, 5; 15/16,
Anknüpfung, kumulative 7/8; 11/16 22, 30
Anknüpfung, selbstständige 6/13 Bereicherung 3/7; 15/28, 30, 31, 35
Anknüpfung, unselbstständige 6/13 Besitz 13/2
Anknüpfungsgegenstand 6/4 Bestandverträge s Mietverträge
Anknüpfungsgrund s Anknüpfungsmo- Binnenmarkt 17/7
ment(e) Brüssel I-Verordnung 1/6, 7; 18/7
Anknüpfungsmoment(e) 6/4, 8, 15; 8/5; Brüssel II-Verordnung 1/6
9/1 ff; 15/4 ff Brüssel IIa-Verordnung 1/6, 7; 18/7
Arbeitskampfmaßnahmen 15/34 Brüsseler Gerichtsstands- und Voll-
Arbeitsverträge 9/1, 12; 13/11; 15/5, 17 streckungsübereinkommen s EWG-

241
B–E Sachverzeichnis

Gerichtsstands- und Vollstreckungsüber- E


einkommen eBusiness 16/1 ff
Business-to-Administration-Verträge s B2A- E-Commerce-Gesetz 16/13
Verträge EG-Richtlinie 3/5; 4/8; 15/2; 18/2
Business-to-Business-Verträge s B2B-Ver- EG-Verordnung 3/5; 4/8; 15/1, 2; 18/2
träge Eheaufhebung 11/8
Business-to-Consumer-Verträge s B2C- Ehefähigkeit 1/2; 11/4
Verträge Ehegüterrecht 9/11; 11/1, 5, 7
Ehehindernisse 11/4
C eheliche Abstammung 6/12; 8/4; 11/12, 14
charakteristische Leistung 9/16; 15/4, 11 f, Ehelicherklärung 11/13
18, 27; 16/6 f; 19/6 Ehenichtigkeit 11/4, 8
Centros-Judikatur 4/7; 9/10; 10/6 f Eherecht 11/2 ff
CIEC 3/4; 6/3; 11/11, 13; 17/7 Ehescheidung 11/8
CIM 15/2; 17/10 Eheschließung 7/3; 11/3 f
CISG s UN-Kaufrecht Ehewirkungen 6/4; 9/4; 11/5 f
CIV 15/2; 17/10 Eigentum 13/2; 15/13; 19/8
CMR 15/2; 17/10 Eigentum, geistiges 13/9; 15/34
Code civil 9/2; 17/9 eingetragene Partnerschaft 11/2, 6, 20
common law marriages 11/3 Eingriffsnormen 8/1, 4; 12/4; 15/10, 17, 19,
conflict of laws 1/5 39, 47
conflits de lois 1/5 Einheitliche Europäische Akte 17/7; 18/3
COTIF 15/2; 17/10 Einheitsprivatrecht 1/2, 5; 5/4; 17/1 ff;
18/1 ff; 19/1 ff
culpa in contrahendo 3/7; 15/31, 37
Einheitsrecht 17/1 ff; 17/5, 10
cyberlaw 16/1 ff, 3
Einzelermächtigung, begrenzte 18/5
Einzelstatut 11/7; 12/4; 13/6
D
electronic commerce s Geschäftsverkehr,
Deliktsfähigkeit 7/9; 10/2
elektronischer
Deliktsstatut 7/9; 9/15; 10/2; 15/28 f, 32, 34,
Enteignung 13/3
49
Entscheidung, gem Art 249 EG 18/2
Dienstbarkeiten 13/2
Erbrecht 4/3; 9/2, 11 f; 12/1 ff
Dienstvertrag 15/17 (sa Arbeitsverträge,
Erbschaftserwerb 12/4
Dienstleistungsverträge)
Erbsentschlagung 12/4
Dienstleistungsverträge 15/11; 16/6, 7, 8
Erbserklärung 12/4
digitale Agenda 16/3 Erbstatut 7/1; 12/4
dingliche Rechte 9/15; 11/7; 12/4; 13/2 ff; Erbunwürdigkeit 12/4
15/13, 22 Erbvertrag 12/6; 14/3
Direktklage 15/39, 45 Erbverzicht 12/4, 6; 14/3
Direktwirkung, horizontale 18/2 Erfolgsort 9/16; 10/8; 15/6, 32, 34
Direktwirkung, vertikale 18/2 Erstfrage 6/12, 13
Direktwirkung, von Richtlinien 18/2 EuGH 4/8; 18/2, 6
disclaimer 16/10, 11 Europäische Union 17/7
Distanzgeschäfte 14/2, 4 Europarat 9/8; 17/7, 12 f, 16
domicil(e) 6/11; 9/6 Europaverträge 18/4
Doppelstaater 9/5 EVÜ s EWG-Vertragsrechtsübereinkom-
Download 16/2 men

242
Sachverzeichnis E–M

EWG-Gerichtsstands- und Vollstreckungs- H


übereinkommen (EuGVÜ) 1/6 Haager Konferenzen 3/2; 11/11; 17/8, 10, 13
EWG-Vertragsrechtsübereinkommen Haager Adoptionsübereinkommen s Adop-
(EVÜ) 3/3, 4; 4/3; 15/3, 7 f tionsübereinkommen
EWR-Abkommen 1/6; 18/4 Haager Kaufrecht s Kaufrecht
Exklusivnormen 6/5; 11/6; 12/4 Haager Minderjährigenschutzübereinkom-
men s Minderjährigenschutzüberein-
F kommen
Familienrecht 4/3; 11/1 ff Haager Straßenverkehrsübereinkommen
Favor-Prinzip 7/7 s Straßenverkehrsübereinkommen
favor divortii 11/8 Haager Testamentsübereinkommen s Testa-
favor legitimationis (legitimitatis) mentsübereinkommen
11/13 Haager Unterhaltsstatutübereinkommen
favor testamenti 12/1 s Unterhaltsstatutübereinkommen
Fernabsatz 15/47; 16/9; 18/9
Flüchtlinge 9/2, 4 L
Forderungen 13/4; 15/20 Legitimation 3/4; 11/11, 13, 14
Forderungsabtretung s Zession letztwillige Verfügung 9/16; 12/2, 6 f (sa
Testament)
Form 7/4, 7; 11/3; 12/6 f; 13/4; 14/2 ff;
lex causae 10/2; 14/2, 5; 15/21, 22
15/22, 23, 39; 19/11
lex fori 1/3 f; 2/2 f; 6/9, 13; 8/4; 11/6; 15/4, 6,
formelle Gegenseitigkeit 1/9
23, 30, 44; 19/9
Franchiseverträge 13/9; 15/11
lex loci actus 9/16; 14/2; 15/22
Fremdenrecht 1/9
lex loci delicti commissi 2/2; 9/16; 15/6, 32
lex loci protectionis 15/34
G
lex mercatoria 9/14; 15/10; 17/6; 19/3
Geltungsannahme 15/10 FN 41
lex rei sitae 2/2, 5; 4/1; 7/9; 9/15; 13/1; 15/13
Gemeinschaftsrecht 18/1 ff
(sa Belegenheitsort)
Gesamtschuld 15/20
Liegenschaftsbenützungsverträge 15/13,
Gesamtstatut 11/7; 12/4; 13/6 22, 48
Gesamtverweisung 4/3; 6/6, 9; 7/1 ff; 9/4; Liegenschaftsstatut 12/4 (sa Belegenheits-
11/20; 12/4; 15/10 FN 45, 41 ort)
Geschäftsfähigkeit 1/2; 10/2 f, 5; 14/5; 15/1, local data 15/39, 44
24; 19/8, 12 lois d’application immédiate 8/4; 15/19
Geschäftsführung ohne Auftrag 3/7; 4/3; loi uniforme 3/3; 11/11; 12/7; 15/31, 42;
9/1; 15/28, 31, 36 17/5, 11
Geschäftsverkehr, elektronischer 16/1 ff, Luganer Gerichtsstands- und Vollstre-
12 f; 18/9 ckungsübereinkommen (LGVÜ) 1/6
Gesellschaftsrecht 10/5 ff; 15/2, 9;
18/7 M
Gläubigeranfechtung 15/30 Markenrechte 13/9; 16/12, 14; 18/7
Gliedstaatenverweisung 7/5 Marktort 16/11 f
Grünbuch Erb- und Testament 3/11 Mehrstaater 9/5
Gründungsrechtstheorie 9/9 Mieterschutz 8/4; 15/13
Grundfreiheiten 4/7; 8/1; 18/1, 4 Mietverträge 15/13, 22
Grundstücksverträge 14/5; 15/13 Minderjährigenschutzübereinkommen,
Gütertransportverträge 15/14; 17/10 Haager 3/4; 9/4 f; 11/8, 11, 14 f, 19

243
M–S Sachverzeichnis

missbräuchliche Klauseln, in Verbraucher- Q


verträgen 15/46; 18/9 Qualifikation 6/6; 7 ff

N R
Nachbarrecht 13/2 Ratifikation 3/5; 15/40; 17/13
Nachlasserwerb 12/4 Reallasten 13/2
Nachlassinsolvenz 12/4 Realstatut 2/2; 13/1, 4, 6 (sa Belegenheitsort)
Nachlassseparation 12/3 f Rechtsangleichung (s Angleichung) 15/2;
Nachlassspaltung 12/3 f 17/5, 7, 11; 18/1 ff
Namensrecht 10/9 f; 11/5, 8 Rechtsangleichung, gemeinschaftsrechtliche
Namensschutz 10/9 f 17/11; 18/1 ff
Niederlassung 10/5 f; 15/4, 11, 17; 16/7, 12 f Rechtsangleichung, richterrechtliche 18/6
Notariatsakt 14/4 Rechtsfähigkeit 10/2, 5; 15/24
Rechtsgeschäfte 14/1 ff; 15/1 ff; 19/1 ff
O Rechtsgeschäfte, abhängige s Abhängige
Obsorge 4/3; 11/19 Rechtsgeschäfte
Online-Handel 16/1 ff Rechtsunion 18/3
Rechtsvereinheitlichung 15/2, 3; 17/1 ff;
Online-Shop 16/1 ff
17/11; 18/1 ff
ordre public 2/4; 4/3; 8/1 ff; 11/4, 9; 13/1, 3;
Rechtsvereinheitlichung, internationale
14/4; 15/6, 25 (sa Vorbehaltsklausel)
17/9
Organe, juristischer Personen 14/1, 6
Rechtsvereinheitlichung, interne 17/9
Rechtsvereinheitlichung, regionale 17/12
P
Rechtsvereinheitlichung, universale 17/12
Pachtverträge s Mietverträge
Rechtswahl 6/14; 7/6; 9/11 ff; 10/9; 11/7, 20;
Parteiautonomie 9/11 ff; 15/5, 10, 17, 34, 38,
12/1, 4; 14/1; 15/5, 10, 15, 16, 17, 27, 29,
41
35 ff, 44, 47; 16/6, 9, 12; 17/6 (sa Partei-
Patentrechte 13/9; 16/12, 14 autonomie)
Pauschalreise 15/15; 18/9 renvoi 7/3; 15/40 (sa Rückverweisung)
peer-to-peer-Verbindungen 16/1 res in transitu 13/1, 7
Personalstatut 2/2, 4; 4/1; 9/2 ff; 10/1, 2 ff; Reskriptlegitimation 11/13
11/1, 6, 8, 11 ff; 12/4 ff; 15/4 Retentionsrecht 13/2
Persönliche Rechtswirkungen der Ehe Rom I-Verordnung 3/4, 6 ff; 6/6; 7/3, 4; 8/1,
s Ehewirkungen 4; 9/1, 11, 13; 14/1, 5, 7; 15/1 ff, 7 f, 9 ff
Persönlichkeitsrechte 10/1, 8 ff; 15/31, Rom II-Verordnung 3/6 ff; 6/6; 7/3, 4; 8/1;
40, 41 9/1, 11, 16; 10/2, 8, 10; 14/1, 7; 15/1 ff, 6,
Personenrecht 4/3; 10/1 ff 7 f, 31 ff
Pfandrecht 13/2, 7 Rückverweisung 7/1, 3; 9/4; 15/45
Pflegschaft 11/19 Rügepflicht (CISG) 19/22 ff
Principles of International Commercial
Contracts 17/6 S
Principles of European Law (PEL) 18/1 Sachrecht 6/1, 4
Privatautonomie 9/11 ff; 15/5 (sa Partei- Sachenrecht 13/1 ff
autonomie) Sachnormverweisung 6/6; 7/1 ff, 4; 9/4;
Produkthaftung 9/1; 15/33; 17/10, 12; 18/9; 11/13; 14/2; 15/10, 40; 16/13
19/8 Sachwalterschaft 10/1, 3; 11/19
Provider 16/1 ff, 8 Satellitenfernsehen 13/10

244
Sachverzeichnis S–U

Schadenersatz, außervertraglicher 4/3; Transport, Sachen auf dem 13/7


10/10; 15/3, 6, 28 ff, 31 ff Transportmittel 13/7
Scheidung 11/8 Transportrecht 15/2, 14; 17/10
Schiedsgerichte 1/8; 9/14
Schuldrecht 15/1 ff U
Schuldstatut 15/1 Umweltschädigung 15/34
Schuldverhältnis 15/1 ff UN-Kaufrecht 3/4; 15/2, 25; 16/5; 17/10;
Schuldverhältnis, außervertragliches 3/6, 7; 19/1 ff
15/28 ff UN-Kaufrecht – allgemeine Bestimmungen
Schutzlandanknüpfung 13/9, 11, 12; 16/14 19/6 ff
Sendelandprinzip 13/10; 16/15 UN-Kaufrecht – Anwendungsbereich
Sitz, der Verwaltung 9/1, 9 f; 10/5 ff; 13/4, 7; 19/6 ff
14/6; 15/11, 14 UN-Kaufrecht – Aufbau 19/5
Sitz (EVÜ, Rom I) 15/11, 14 UN-Kaufrecht – Auslegung 19/10
Sitztheorie 9/9 f; 10/5 ff UN-Kaufrecht – Ausschluss 19/9
Software 16/1 ff UN-Kaufrecht – Gefahrtragung 19/30
Staatenlose 9/4 UN-Kaufrecht – Käuferpflichten 19/28 f
Staatsangehörigkeit s Personalstatut UN-Kaufrecht – Käuferrechtsbehelfe
Staatsbürgerschaftsgrundsatz 4/1; 9/2 ff 19/20 ff
Statut, wandelbares 8/5; 11/5, 14 UN-Kaufrecht – materielles Kaufvertrags-
Statut, unwandelbares 8/5; 11/12, 16 recht 19/16 ff
statuta mixta 2/2 UN-Kaufrecht – Rügepflicht 19/22 ff
statuta personalia 2/2 UN-Kaufrecht – Schadenersatz 19/27; 32 f
statuta realia 2/2 UN-Kaufrecht – Verkäuferpflichten
Statutentheorie 2/2; 6/4 19/20 ff
Statutenwechsel 8/5 f; 11/5; 13/5 UN-Kaufrecht – Verkäuferrechtsbehelfe
Stellvertretung 14/5 f; 15/7, 8, 23; 19/9, 12 19/28 f
Straßenverkehrsübereinkommen, UN-Kaufrecht – Vertragsabschluss 19/12 ff
Haager 3/4 f; 8/1; 10/2; 15/3, 5, 28, 40, 40 ff UN-Kaufrecht – Vertragsmäßigkeit 19/21
Straßenverkehrsunfall 15/42 ff UN-Kaufrecht – Vertragsverletzung
Streik 15/34 19/17 f, 31
Stufenqualifikation 6/9 UN-Kaufrecht – Vertragsverletzung, vor-
sujets mixtes 9/5 weggenommene 19/31
talaˉ q 11/9 UN-Kaufrecht – Vertragsverletzung, we-
sentliche 19/17 f
T UN-Kaufrecht – Vorgeschichte 19/4
Teilfrage 6/12 UN-Kaufrecht – Vorschaltlösung 3/4; 19/6
Teilzeitnutzungsvertrag s Time-Sharing UNCITRAL 3/1; 16/3, 5; 17/7, 12; 19/4
Telekommunikationstechniken 13/10 uneheliche Abstammung 11/13, 15
Teleshopping 16/1 ff Unfallort 15/44, 45 (sa lex loci delicti com-
Territorialitätsprinzip 1/9; 2/1; 13/9; 16/14 missi)
Testament 12/2, 6, 7; 15/9, 31 UNIDROIT 17/6, 7; 19/4
Testamentsform 12/2, 6 f Unterhalt 3/4, 9; 11/5, 18
Testamentsübereinkommen, Haager 3/4; Unterhaltsstatutübereinkommen, Haager
7/7; 12/2, 6 f 3/4; 9/4; 11/18
Testierfähigkeit 12/6 Unterlassungsklage 13/9; 18/9
Time-Sharing 15/48; 18/9 Upload 16/15
Todeserklärung 10/4 Urheberrechte 3/1; 13/9 ff; 15/34; 16/12, 14

245
V–Z Sachverzeichnis

V Vertriebsvertrag 15/11
Vaterschaftsanerkenntnis 11/15 Verwaltungssitz s Sitz, der Verwaltung
Vaterschaftsfeststellung 11/15 Verweisung 7/1 ff
Verbindung, engste 9/11; 15/4, 12 Verweisung, kollisionsrechtliche 9/12
Verbraucherkredit 18/9 Verweisung, materiellrechtliche 9/12
Verbraucherschutz 15/26, 46; 18/8, 9 Verweisungen, multiple 7/6
Verbraucherprivatrecht, Angleichung 18/8, Verweisungsbegriff 6/4, 7, 8, 11; 11/19
9 Völkerrecht 3/3; 17/13
Verbraucherverträge 14/3; 15/5, 10, 15 f, 22, Volljährigkeit 10/2; 15/24
46 f; 16/8 ff Vollmacht 11/19; 14/5, 6
Verbrauchsgüterkauf 18/9 Vollmachtsmissbrauch 14/5
Vereinheitlichung, innerstaatlicher Sachver- Vollmachtsüberschreitung 14/5
halte 17/10 Vollstreckung, gerichtlicher Entscheidun-
Vereinheitlichung, internationaler Sachver- gen 1/7; 8/1; 18/5
halte 17/10 Vorbehaltsklausel 8/1 ff; 14/7; 15/25, 40
Verfügung von Todes wegen 12/6 f (sa ordre public)
Verfügungsgeschäft 13/4 Vorfrage 6/12 f; 11/13, 15, 18; 12/4
Verjährung 7/9; 8/2; 14/1, 7; 15/22, 37, 44; Vormundschaft 11/15, 19
17/10; 19/8 Vormundschaftsübereinkommen, Haager
Verkehrsmittel 13/7 11/19
Verkehrsunfall s Straßenverkehrsunfall Vorschaltlösung (CISG) 3/4; 19/6
Verlassenschaftsabhandlung 12/1, 3, 4 Vorsorgevollmacht 11/19
Verlöbnis 11/2
Verordnung Brüssel I s Brüssel I W
Verordnung Brüssel II s Brüssel II Walker’scher Entwurf 4/2
Verordnung Brüssel IIa s Brüssel IIa Warenkauf, grenzüberschreitender 19/1 ff
Verordnung Rom I s Rom I (sa Kaufvertrag, internationaler; interna-
Verordnung Rom II s Rom II tionales Warenkaufrecht)
Verordnung – auf Unterhaltssachen anzu- Warenkaufrecht 17/10; 19/1 ff
wendendes Recht 3/10; 11/11 Warschauer Lufttransportübereinkommen
Verordnungsvorschlag – auf Ehescheidun- 15/2; 17/10
gen anzuwendendes Recht 3/9; 11/10 Wegzugsfälle 10/6
Verordnungsvorschlag – auf Erbsachen an- Weiterverweisung 7/3, 4; 15/10
zuwendendes Recht 3/11; 12/1 Werbung, unlautere 15/34; 18/9
Verpflichtungsgeschäft 13/4; 14/4 Wettbewerbstatut 13/9; 15/29, 34; 16/11 ff
Verschulden bei Vertragsverhandlungen Wirkungsprinzip 16/11
s culpa in contrahendo Wohnsitz 9/6
Versicherungsverträge 3/4; 4/8; 15/9, 16, 27, Wohnsitzprinzip 9/2 f, 6
45 Wohnungseigentum 11/7; 12/4; 13/2
Versteigerung 14/7; 15/11; 19/7 World Wide Web (WWW) 16/1 ff
Verstoßungsscheidung, s talaˉ q
Vertragsstatut 8/4; 10/2; 15/4, 23 Z
Vertragsverletzung, wesentliche (CISG) Zession 15/20, 39, 42
19/17 Zurückbehaltungsrecht 13/7; 19/35
Vertretung, gesetzliche 14/6 Zuständigkeit, internationale 1/6 ff; 6/1, 3
Vertretung, ohne Vollmacht 14/5 Zweigniederlassung 10/6

246

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