Sie sind auf Seite 1von 14

Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

Institut für Sprach-, Medien- und Musikwissenschaft


Film und Fernsehwissenschaft
Dozentin: M.A. Jana Zündel
Wintersemester 18/19

Die besondere Situierung des Zombies in der genrehybriden


Konzeption von The Walking Dead
12.03.2019

Marvin-John Halog (7. Semester) (Zwei-Fach-B.A.)


Bonner Talweg 60 Musikwissenschaft/Sound Studies
53113 Bonn Medienwissenschaft
Tel.: 015785763719
Email: marvjohnhalog@gmail.com
Inhalt

1 Einleitung 1

1.1 (Forschungsinteresse / Fragestellung) 2

2 Zusammensetzung des Zombie-Topos 3

2.1 Die Dysfunktion als Ausgangspunkt 3

2.2 Das Sandboxprinzip 5

3 Umsetzung in der Serie 7

3.1 Morphologie des Walkers 7

3.2 Konstruktion der Handlung 9

4 Fazit 10

5 Literaturverzeichnis 12

1 Einleitung

„One insight of The Walking Dead is that any ethical system presupposes, and is
therefore subordinate to, the imperatives of survival. Such an ethical system will win out
by the brutal logic of natural selection. That insight, presented as a dilemma, is perhaps
the most essential plot driver in the show […]“1

Mit dieser Kernthese setzt Mario Loyola die für ihn wichtigsten Konzepte der Serie

1
Loyola, Mario, Walking Dead’s Political Philosophy, https://nationalreview.com/2015/12/walking-dead-zombies-philosophy/,
zuletzt abgerufen am 06.03.2019
THE WALKING DEAD in Relation. Eine der Serie immanente Symbiose zwischen dem
urinstinktiven Willen zu überleben, einer maßgebenden Logik natürlicher Auslese
und der daraus resultierenden tiefgreifenden und vielfältigen Symptomatik ethischer
und daraus ableitbaren philosophischen und politischen Systeme. Ein scheinbar
offensichtliches wie natürliches Resultat im historischen Gedankenexperiment, das
die Entwicklungsstufen vom ursprünglichen biologischen Individuum hin zum
komplexen sozialen Wesen einer Gesellschaft zu ergründen sucht. Diese Art der
thematischen Verflechtung findet sich in der gesamten Serie und soll hier folgend
aufgezeigt werden. Doch wie findet diese Thematik im Rahmen eines
postapokalyptischen Serientextes wie THE WALKING DEAD ihren halt und wie kann eine
Umsetzung innerhalb einer solchen Serie untersucht werden?

1.1 Warum THE WALKING DEAD?

Die die US-amerikanische Serie THE WALKING DEAD hat im breiten Spektrum der
zeitgenössischen Serienlandschaft bereits einen festen Platz als international
erfolgreiche Produktion eingenommen. Die Serie von Frank Darabot hat seit ihrer
Erstausstrahlung im Oktober 2010 große Zuschauerzahlen und eine wachsende
Fangemeinde generiert. Nach der Vorlage der gleichnamigen Comic-Serie erzählt
THE WALKING DEAD im Wesentlichen die Geschichte der Gruppen um Deputy Sherriff
Rick Grimes. Dieser wacht zu Beginn der ersten Staffel nach einem Koma in einem
verlassenen Krankenhaus auf. Die Welt um ihn herum scheint in ein menschenleeres
Chaos gestürzt. Ein erstes Warnzeichen findet sich in Einschusslöchern an den
Wänden und blutigen Worten auf einer verbarrikadierten Krankenhaustüre: „DONT
OPEN|DEAD INSIDE“2 (TC 11:11-12:50). Während ein unbekanntes Wesen seine
unnatürlich fahlen Hände durch den Türschlitz zwingt und versucht hindurch zu
brechen, eilt Rick nach draußen. Dort wird erstmals das apokalyptische Ausmaß der
Zerstörung von Frieden und Ordnung deutlich, als er sich inmitten von unzähligen
aufgereihten Leichensäcken und einer verlassenen Notfallmilitärbasis wiederfindet.
Kurz darauf sieht er sich der Urheberschaft all dessen gegenüber – blutige
Kreaturen, die starr auf ihn zu taumeln und ihm nach dem Leben trachten. 3
2
Frank Darabot, THE WALKING DEAD, STAFFEL 1 EPISODE 1
3
Taubner, Svenja, „We are the walking dead“ – neue Formen des Altruismus in einer Zombiewelt, erschienen in Von Game of
Diese in der Serie als Walker (in deutscher Synchronisation als Beißer) bezeichneten
Kreaturen sind gemeinhin als Zombies bekannt und markieren seit einigen
Jahrzenten einen ganz eigenen, sich stetig wandelnden Topos in Literatur, Film und
Fernsehen. Sie geben dem Zuschauer gemeinsam mit der Kulisse der
menschenleeren Zerstörung in hinreichender Deutlichkeit einen knappen und doch
ausreichenden Rückblick auf das Geschehene: Die Zombie-Apokalypse.4

1.2 (Forschungsinteresse / Fragestellung)

So wird in der Serie gleich zu Beginn die Prämisse der weiteren Handlungen
offengelegt. Eine Prämisse, deren Bedeutung zum Verständnis der Ausgangslage
ausschlaggebend ist, jedoch hinsichtlich des gesamten Plots der Serie in periphere
Bedeutung abzugleiten scheint. Das oben erwähnte fundamentale Dilemma von
Überleben und Zusammenleben tritt dementsprechend in den Vordergrund. Wie aber
vereint die Serie nun die Prämisse der Apokalypse und die Handlung bildenden
Dilemmata genau? Dazu möchte ich im Folgenden anhand von einzelnen
Eckpunkten der Narration und spezifischen Ebenen der figuralen Beschaffenheit die
Umsetzung des Zombie-Topos beleuchten. Es soll untersucht werden wie sich eine
thematisch hybride Konzeption der Serie hinsichtlich einer Morphologie des Zombies
auswirkt und welche Funktionen dieser dabei einnehmen kann? Wie verhält sich
seine filmische Darstellung im Kontext narrativer Kernmotive? Mithilfe von
punktuellen Szenenanalysen sollen die narrativen Modi betrachtet und funktionale
Besonderheiten erfasst werden. Damit soll anschließend die Situierung des Zombies
aufgeschlüsselt und in ein Gesamtbild der Serie eingebettet werden

Thrones bis The Walking Dead: Interpretation von Kultur in Serie, Springer, Hrsg. Svenja Taubner, 2017, S. 33 - 34
4
Ebd.
2 Zusammensetzung des Zombie-Topos

2.1 Die Dysfunktion als Ausgangspunkt

Dem Artikel des Filmlexikons der Uni Kiel5 nach kann die Entwicklungsgeschichte
des filmischen Zombies in unterschiedliche Phasen eingeteilt werden: Die frühe
Verfilmung ab 1932 orientiert sich in ihrer Darstellung eng am haitianischen
Voodoo-Kult aus dem 16. Jahrhundert und projiziert den wandelnden Toten in eine
willenlose wie gehorsame Sklavenschaft des ihn beschwörenden oder erweckenden
Meisters.6 Die Narration spielt sich dabei meist im Mikrokosmos kleinerer
Figurenkonstellationen ab und reicht hinsichtlich ihrer Ausweitung in der Diegese
nicht über die Grenzen eines Anwesens oder einer Stadt hinaus7. Ende der 60er
Jahre verändert sich das Bild vom passiven Diener hin zu einer aktiven und
autonomen Bedrohung der Menschheit. Als häufig in Massen auftretender
Aggressor, der sich durch bestialisches Töten in scheinbarer Willkür, der Suche und
dem Verzehr von lebendigem Fleisch und der gleichzeitigen Verbreitung bzw.
Ansteckung dieser biologischen Dysfunktion8 charakterisiert. Dysfunktion fasst in
diesem Kontext die in zahlreichen Filmen reproduzierte Verursachung und
Verbreitung durch bspw. Viren, Bakterien, Sporen oder Chemikalien
zusammen und soll hier pars pro toto für den gesamten Komplex von Ursache bzw.
Auswirkung verwendet werden. Der diegetische Einflusskreis der Dysfunktion wird
nun in verschiedenen modernen Produktionen von einer lokalen bis hin zur globalen
Katastrophe ausgeweitet.9 Diese Charakterisierung der großflächigen Ausbreitung
und aggressiven Bedrohung wird in der dritten Phase sowohl beibehalten, als auch
10
persifliert. Sie wird weniger anhand der Darstellung des Zombies selbst
unterschieden, sondern an der Art der filmischen Situierung der übrigen Charaktere

5
Vgl. Höltingen, Stephan, Zombiefilm, Lexikon der Filmbegriffe, Uni Kiel,
http://filmlexikon.uni-kiel.de/index.php?action=lexikon&tag=det&id=2591, zuletzt abgerufen am 26.03.2019
6
Taubner, Svenja, „We are the walking dead“ – neue Formen des Altruismus in einer Zombiewelt, erschienen in Von Game of
Thrones bis The Walking Dead: Interpretation von Kultur in Serie, Springer, Hrsg. Svenja Taubner, 2017, S. 39
7
Vgl. WHITE ZOMBIE, 1932
8
Vgl. 28 DAYS LATER - 2002, RESIDENT EVIL - 2002, I A M LEGEND – 2007, THE GIRL WITH ALL THE GIFTS – 2017
9
Ebd.
10
Vgl. ZOMBIELAND - 2009, SHAUN OF THE DEAD - 2004
orientiert. In dieser Darstellung wird Bezug auf einen Modus der Selbstreflexivität11
genommen. Das Denken und Handeln der Figuren bewegt sich dabei beispielsweise
in einem Zustand der bewussten eigenen Verortung und des Bewusstseins über das
mediale Aufkommen von Zombies innerhalb der Diegese – „self-conciousness“12.
In der Pilotfolge von THE WALKING DEAD wird die Symptomatik der Dysfunktion
wie folgt definiert: Der Kontakt durch Biss oder ähnliche Verwundung hat eine
tödliche Infektion zur Folge. Nach dem biologischen Tod eines Menschen wird dieser
als Walker wiederauferstehen. Mit dem Durchstoßen des Kopfes bzw. des Gehirns
kann die Verwandlung verhindert oder einen Walker endgültig getötet werden. Es
wird bis zur aktuellen Staffel auf jegliche Art der Aufklärung über Ursache und
Herkunft der Dysfunktion verzichtet. Damit sind die überschaubaren
Gesetzmäßigkeiten der hier untersuchten Walker - Existenz abgedeckt und werden
in folgenden Episoden lediglich um sensorisch bedingte Verhaltensmuster erweitert.
So werden die Walker von visuellen, auditiven und olfaktorischen Reizen angezogen
und geraten aufgrund dessen im Laufe der Zeit in Gruppen und anwachsenden
Horden zusammen. Die Suche und der unersättliche Verzehr von lebendigem Fleisch
scheint dabei ihr einziger Antrieb zu sein.
Im Vergleich mit den oben beschriebenen Charakterisierungen des filmischen
Zombies bilden die in THE WALKING DEAD dargestellten Kreaturen somit eine
Mischform des frühen und modernen filmischen Zombies. Einerseits ist das Motiv
des fleischfressenden Aggressors zutreffend, allerdings unterliegt dieser den
Einschränkungen seines eigenen körperlichen Verfalls und der tiefgreifenden
Reduzierung seiner kognitiven Fähigkeiten. Damit ist die Beschränkung auf den
Fressinstinkt und das Verfolgen der oben genannten sensorischen Reize gemeint.
So ist dieser lediglich mit mäßiger Mobilität und eingeschränkter Agilität ausgestattet.
Das bedeutet ein zielgerichtetes Überwinden und Durchbrechen von Hindernissen
mithilfe von logischem Denken und der Verwendung unterschiedlicher
Bewegungsmodi, wie klettern, springen, rennen o.Ä. ist nur sehr eingeschränkt bis
gar nicht möglich. Ebenso ist er im Kampf mit einem Menschen zwar durch Greifen
und Beißen befähigt zu verletzen und zu töten, jedoch nicht in der Lage Angriffen
auszuweichen oder zu parieren.

11
Jahn-Sudmann, Andreas und Starre, Alexander et al., Die Experimente des Quality TV – Innovation und Metamedialität,
Transnationale Serienkultur Springer VS, Wiesbaden, 2013, S.107-108
12
Vgl. Ebd. S. 107
Warum ist eine detaillierte Fähigkeitsanalyse dieser fiktiven Kreaturen nun für diese
Untersuchung relevant? Mithilfe der bereits hier festgestellten Merkmale lässt sich
schon in der Grundkonzeption der Prämisse eine Tendenz feststellen. Hierin stehen
die Überlebenden Personen und Gruppen zwar einer übermächtigen Bedrohung bei
Überzahl der Zombies gegenüber, diese Bedrohung wird allerdings hinsichtlich der
genannten Einschränkungen in Situationen kleinerer bis mittelschwerer Konfrontation
häufig abgeschwächt und im Verlauf der Serie sogar relativiert. Das bedeutet bereits
in der Befähigung der Zombies in THE WALKING DEAD ist dem Kollektiv der
überlebenden Figuren für den weiteren Handlungsverlauf ein gewisses
Chancenpotenzial zur Überwindung der Bedrohung eingeräumt.

2.2 Das Sandboxprinzip

„The Zombies serve only one ongoing function in the show: Having brought about the
collapse of political society, their constant menace prevents the reconstitution of
political society on any large scale”13,

wie es Loyola in seiner Analyse der Politischen Philosophie in The Walking Dead
formuliert. Auch Anja Besand unterstreicht dies in ihrer Untersuchung der Politischen
Grundfragen in The Walking Dead:

„Im narrativen Verlauf der Serie verliert die permanente Bedrohung durch Zombies […]
allerdings kontinuierlich an Bedeutung – Im Vordergrund stehen soziale, moralische
und kulturelle Differenzen sowie Konflikte mit konkurrierenden Gruppen.“14

Diese These fasst sie mit dem Begriff der “narrativen Verschiebung”15 zusammen und
schränkt dabei ähnlich wie Loyola die funktionale Bedeutung des Zombie-Topos in
umfassender Weise. Zudem ordnet Besand die Serie dem Genre der „utopischen

13
Loyola, Mario, Walking Dead’s Political Philosophy, https://nationalreview.com/2015/12/walking-dead-zombies-philosophy/,
zuletzt abgerufen am 06.03.2019
14
Besand, Anja, Von Game of Thrones bis House of Cards, Was wir von Zombies lernen können, Politische Grundfragen in The
Walking Dead, hrsg. Anja Besand, Dresden, 2018, S. 28
15
Ebd.
Robinsonaden“16 zu und verweist damit auch auf den „klassischen Topos des
Naturzustands der sogenannten Vertragstheoretiker, den wir aus den Schriften von
Hobbes, Locke, Rousseau oder auch Rawls kennen.“17. Dies hat demnach nicht nur
die narrative Verschiebung zur Folge, sondern auch das wechselseitige
Transformieren gegenübergestellter Genre-spezifischer Merkmale; Das führt zu einer
Hybridisierung des ursprünglichen Serien-Genres.
Die so beschriebene Konstruktion einer seriellen Zombie-Apokalypse eröffnet den
Autoren eine narrative Spielwiese für die Konzeption der Handlung innerhalb dieses
festgelegten Systems. Hier können die ethischen, philosophischen oder politischen
Konzepte bzw. Dilemmata der Handlung im Rahmen von episodischen Erzählungen
im filmischen Prinzip einer Sandbox aufgebaut, erprobt, angepasst oder wieder
verworfen werden. Dieser aus der Informatik sowie dem Gamedesign entliehene
Begriff wird verwendet, um ein isoliertes System, in welchem „[…] jede Maßnahme
keine Auswirkung auf die äußere Umgebung […]“18 einer übergeordneten
Systeminstanz hat, zu beschreiben. Durch das isolierte Verflechten dieser Systeme
mit den übergreifenden figuralen Handlungssträngen erschafft die Serie eine
kontinuierliche Abstraktion der übergeordneten Genre-Thematik, also des
Zombie-Topos. Das bedeutet die Verortung der Handlung innerhalb einer
postapokalyptischen Diegese wird auf der Meta-Ebene der Narration, in welcher die
serielle Konstruiertheit der Dilemmata offensichtlich wird (wie von Loyola und Besand
dargestellt) redundant.

Da der Zombie-Topos jedoch in jeder Episode in reduplizierter oder variierter Weise


wiederverwendet wird, scheint die alleinige Reduktion der Funktion des Zombies auf
bspw. das Verhindern der Rekonstitution einer politischen Gesellschaft im größeren
Maßstab oder die ausschließliche Grundierung sozialer, moralischer und kultureller
Differenzen nach meiner Lesart nicht hinreichend. Dementsprechend soll im
Folgenden eine Analyse verschiedener Darstellungsarten des Walkers zur
Feststellung möglicher Funktionen durchgeführt werden.

16
Ebd. S. 30
17
Ebd. S. 31
18
Vgl. https://www.dictionary.com/browse/sandbox, zuletzt abgerufen 06.03.2019 oder https://de.wikipedia.org/wiki/Sandbox,
zuletzt abgerufen am 06.03.2019,
3 Funktionen des Zombies

3.1 Morphologische Varianz

Zur Feststellung einer narrativen Morphologie des Zombies, also seiner Formvarianz
und dessen Bedeutung für die Handlung, werden die ausgewählten Szenen zunächst
paraphrasiert und mit Blick auf das zuvor vorgestellte Sandbox-Prinzip in ihre
möglichen Bedeutungsebenen abstrahiert.
Eine erste und auch die umfangreichste Funktion des gesamten Zombie-Topos
wurde weiter oben bereits erarbeitet und soll hier lediglich zur Vervollständigung der
Morphologie noch einmal genannt werden. So wird der Zombie-Topos als ein die
Handlung bedingendes narratives Hintergrundrauschen eingesetzt und jeder Episode
als Grundlage bzw. Prämisse eingeschrieben. Ein Zustand der konstanten
Bedrohung, welche die Handlung zwingt Grundfragen von Überleben und
Zusammenleben, von der Abwägung kollektiver Sicherheit und individueller Freiheit
oder des Für und Wider der Konstitution sozialer Gruppen zu stellen. Diese
Grundfragen entfalten sich in einem unter hohen Druck (Überlebensdruck) geratenen
isolierten gesellschaftlichen Mikrokosmos.
In der Episode GUTS (GEFANGENE DER TOTEN, Staffel 1, Episode 2) befindet sich Rick
mit einer ihm noch unbekannten Gruppe Überlebender in einem Kaufhaus einer von
Walkern überrannten Stadt. Das Kaufhaus wird umringt und es beginnt ein Wettlauf
gegen die Zeit, da die äußeren Schaufenster der anwachsenden Horde nicht lange
standhalten können. Diese so konzipierte Situation zwingt die Gruppe ihre Optionen
sorgfältig auszuloten, indem sie die in eigener Erfahrung gesammelten Erkenntnisse
über die Walker zusammentragen und diskutieren: „Aside from they hear you? They
see you, smell you, and if they catch you they eat you. […] They smell dead, we
don’t. It’s pretty distinct!“ (TC 23.27-23.38). Das bringt Rick auf die unangenehme
Idee einen gefallenen Walker zu zerstückeln, sich mit dem Geruch der Toten zu
bedecken um unbemerkt hinauszugelangen und die Walker mithilfe einer
Autoalarmanlage wegzulocken. Hierin ist ein Modus situativer Anpassung zu
erkennen. D.h. der einzige Weg zur Überwindung der Bedrohung besteht darin sich
als Walker zu tarnen und in ihre Reihen, also in eine unmittelbare Gefahr zu
begeben. Ein Abwägen der moralischen Verächtlichkeit der dafür nötigen
Totenschändung wird zwar von Teilen der Gruppe erbeten, allerdings aufgrund der
knappen Zeit von Rick abgelehnt. Dennoch hält dieser vor der Tat inne, um den
Toten nach Hinweisen seiner Identität zu durchsuchen. Einer Bestattung oder
Totenprozession gleich trägt er der Gruppe den Inhalt der gefundenen Geldbörse vor.
Darin ist zu erkennen, dass die Serie zwar die Notwendigkeit dieser Tat aufzeigt,
jedoch trotzdem den handelnden Figuren eine Entscheidungsfreiheit offen zu lassen
scheint, in der sie festlegen können in welcher Art und Weise sie sich dieser
Notwendigkeit hingeben können. Die Funktion des Zombies liegt hier in der
Demonstration eines Scheidewegs. Dieser bedingt sich durch die Frage ob die Figur
des Rick sich dem zum Überleben notwendigen Verhalten hingibt ohne seine ihm als
Gesetzeshüter und Familienvater eingeschriebene Menschlichkeit zu missachten.
Sowohl die introvertierte, als auch die durch den Vortrag der Identität des Toten an
die Gruppe markierten extrovertierten Entscheidungsfindung definiert Rick in dieser
frühen Phase der Serienerzählung bereits als reflektierte Leitfigur und fördert somit
das Sympathisieren der Gruppe wie auch des Zuschauers.
Demgegenüber präsentiert die Serie mit den Whisperers (die Flüsterer) aber auch
einen Modus der absoluten Anpassung. Diese zum Midseason-Finale der aktuellen
neunten Staffel eingeführte Gemeinschaft hat sich in maximaler Weise in die
Gegebenheiten der Dysfunktion integriert. Die Verwendung von Walker-Überresten
zur Tarnung hat sich hier entsprechend den Formen eines Handwerks entwickelt. So
wird für jedes Mitglied der Gemeinschaft eine Maske aus der Haut der Toten
angefertigt und angepasst. Die Tarnung dient hier nicht mehr nur der Überwindung
einer Bedrohung, sondern ermöglicht ihnen den permanenten Aufenthalt inmitten von
Walker-Herden. Dabei ahmen sie ihre Bewegung und Laute nach und
kommunizieren untereinander mittels langsam gehauchtem Geflüster, welches nicht
von Walkern wahrgenommen wird. Hier fungieren die Zombies nicht nur als Marker
eines Scheidewegs, sondern gleichzeitig als Rollenvorbild eines neuen
Gesellschaftsverständnisses. Dies wird von Alpha, der Anführerin der in
Rudelstruktur konstituierten Whisperers verdeutlicht. In THE CALM BEVORE (DIE RUHE
DAVOR, Staffel 9, Episode 15) belehrt sie Daryl, einen der wenigen Überlebenden aus
Staffel 1, „Your communities are a shrine to a long dead world. My people, the
whisperers, we live as nature intended.19 (TC 41:26-41:36). Demnach versteht Alpha
die Lebensweise ihrer Leute als logischen Schritt in einer vermeintlich natürlichen
Entwicklung ihrer Umwelt. Durch ihre Anpassung haben sich die Whisperers
gleichzeitig befähigt die Walker-Herden zu Kontrollieren. Durch Kommunikation
innerhalb der Herden und Koordination ihrer Bewegungsrichtung ist es ihnen möglich
diese strategisch auszurichten und zu manövrieren. Dabei ist zu erkennen, dass sich
ihr Unterordnen einer ihrem Verständnis nach evolutionären bzw. natürlichen Gewalt
der Walker ihre Entwicklung hin zu einer in der Diegese als politische Macht
verständlichen Gewalt gegenüber den auf der Seite von Rick und Daryl
entstandenen Gemeinschaften zur Folge hat. Diese Macht wird dem Zuschauer
ebenfalls in oben genannter Szene demonstriert, indem Daryl von Alpha an eine
Schlucht geführt wird, in welcher sich eine Walker-Horde nie zuvor gesehenen
Ausmaßes tummelt. Durch die Whisperers unter ihnen sind sie zu jeder Zeit bereit
einen verheerenden Vernichtungsschlag zu initiieren. Hier wird die Horde der
Zombies zur absoluten Waffe instrumentalisiert und dient somit als ein den Konflikt
transformierendes Moment der Narration. Die Machtverhältnisse der konkurrierenden
Gruppen werden nicht nur innerhalb des narrativen Gerüstes des Zombie-Topos
verhandelt, sondern erst unter Zuhilfenahme dessen in ihrer Beschaffenheit definiert.

3.2 Konstruktion der Handlung

Eine weniger massenhafte aber ebenso bedeutsame Art der Instrumentalisierung


des Zombies sehen wir in Woodbury. Die in Staffel drei eingeführte Gemeinde in
einer durch Barrikaden befestigten Kleinstadt hat unter der Führung des sog.
Governors ein augenscheinlich friedliches wie sicheres Umfeld innerhalb ihrer Tore
geschaffen. In SAY THE WORD (ANRUF, Staffel 3, Episode 5) wird allerdings ein Bild der
pervertierten Positionierung der Gemeindeführung gegenüber Walkern dargestellt.
So wird der Governor zu Beginn gezeigt, wie er seiner bereits verstorbenen und
verwandelten Tochter das ausfallende Haar bürstet und sie väterlich liebkost,
während diese versucht ihn zu beißen (TC 01:00-02.27). Weiterhin wird die
systematische Vorbereitung und Durchführung eines inszenierten

19
Alpha
Unterhaltungsformats der Gemeinde dargestellt. Dazu werden Walkern, die zuvor in
Fallen gefangen wurden, die Zähne gezogen und anschließend im Rahmen einer
ausgelassenen Ringkampfveranstaltung als unterhaltendes Gefahrenelement zur
Schau gestellt. Der dabei inszenierte Showkampf zweier Gemeindemitglieder soll die
eigentliche Hauptattraktion darstellen. Hierin steht nun die durch den Governor
vertretene Bildungsfunktion, welche der Gemeinde beibringen soll ihre Angst vor
Walkern zu überwinden, gegenüber der Position, dass dies ihre Gefahr und das
stetige Risiko verharmlost (TC 34:42-38:44). Eine fundamentale funktionale
Ausrichtung zeigt sich jedoch in einer der Narration entkoppelten Ebene. So wie
Georgi-Findlay in ihrer Analyse der Beziehung von WESTWORLD (Wickham, 2016) zum
Western herausgestellt hat, dass die Serie einen selbstreflexiven Bezug auf die
Grade der eigenen Konstruiertheit nimmt und somit extradiegetische
Wertungsebenen der Narration schafft, kann auch der oben beschriebene
Sachverhalt in THE WALKING DEAD aufgefasst werden.20 So wird dem Zuschauer in der
konstruierten und durch das Ziehen der Zähne entschärften Situation des
inszenierten Showkampfes ein metaphorischer Spiegel vorgehalten. Denn auch die
Rezipienten der Serie sind der stetigen Attraktion des Fürchterlichen ausgesetzt und
bekommen hiermit unterschiedliche bzw. alternative Rezeptionsmodi vorgelegt.
Dementsprechend haben sie die Wahl sich der wiederholten Zurschaustellung von
Gewalt, der stetigen Provokation des Ekels und einer medialen Form sadistischen
Wahnsinns in ignoranter beeinflussbarer oder in kritisch reflektierter Weise
hinzugeben. Eine genaue Antwort auf diese Frage lässt die Serie jedoch offen.
Dieses Motiv ungelöster Dilemmata und offenstehender Problemaufrisse zieht sich
durch die gesamte Serie und eröffnet jedem Zuschauer einen freien und individuellen
Raum seiner rezeptiven Interpretation.

4 Fazit

Loyola erklärt, dass sich die Serie The Walking Dead im Kern nicht um den Zombie
selbst dreht, wie es augenscheinlich der Fall ist, wenn man diese mit oberflächlichem

20
Georgi-Findlay, Brigitte., Mensch, Maschine, Maschinenmenschen, Multidisziplinäre Perspektiven auf die Serie Westworld,
Springer VS, Hrsg. Katja Kanzler, 2018, S. 72 ff.
Blick auf das Zombie-Genre fokussiert. Ähnlich wie Besand und Taubner, die sie
ausschließlich als narratives Gerüst tiefgreifender Thematisierung der
Handlungsmotivik von Gesellschaft, Politik und Philosophie definieren, geben diese
Lesarten dem gesamten Zombie-Topos zwar indirekt ihren interpretatorischen
Gehalt, relativieren diesen aber reflexiv durch die eigentlich dargestellte
Bedeutungsgewalt der genannten Handlungsmotivik.
Dennoch sollte dieser Topos nicht nur als Teil des narrativen Gerüsts der Sandbox
definiert werden, sondern ist vielmehr als mediale Toolbox der Serienautoren zu
verstehen. Sie bieten somit eine Fülle an Werkzeugen, die die Serie mit großem
diegetischen Handlungs- und Demonstrationspotenzial anreichern. Die Serie nutzt
dies, um ihren Mikrokosmos der Gruppen und Gemeinden in der postapokalyptisch
verorteten Motivik zu verankern und mit dieser zu verschränken. Der Zombie-Topos
wird sowohl in der Diegese, als auch von der äußeren Konstruktion einer absoluten
Instrumentalisierung zur Verschmelzung der Genre-Grenzen unterzogen. Dies
verleiht der Serie in ihrer Hybridität eine tiefere diegetische Kontinuität und Konstanz
des im Grunde motivisch partitionierten Serientextes. Die allumfassende funktionale
Situierung des Zombies in THE WALKING DEAD kann somit vielmehr als Kontinuum
eines Konstruktionspotenzials der Serienerzählung beschrieben werden und
transzendiert somit die Gesamtheit der Konzeption dieser Serie. Als Zuschauer bleibt
mir daher nach dieser abschließenden Betrachtung nur noch die offene
Erwartungshaltung auf das Ende von THE WALKING DEAD, in der Hoffnung weitere
mannigfaltigen Arten der Umsetzung eines sich stetig weiterentwickelnden
Zombie-Topos zu erfahren.

5 Literaturverzeichnis

- Besand, Anja, Von Game of Thrones bis House of Cards, hrsg. Anja Besand,
Dresden, 2018
- Jahn-Sudmann, Andreas und Starre, Alexander et al., Die Experimente des Quality
TV – Innovation und Metamedialität, Transnationale Serienkultur, Springer VS,
Wiesbaden

- Taubner, Svenja, „We are the walking dead“ – neue Formen des Altruismus in einer
Zombiewelt, erschienen in Von Game of Thrones bis The Walking Dead:
Interpretation von Kultur in Serie, Springer, Hrsg. Svenja Taubner, 2017

- Loyola, Mario, Walking Dead’s Political Philosophy,


https://nationalreview.com/2015/12/walking-dead-zombies-philosophy/, zuletzt
abgerufen am 06.03.2019

- Georgi-Findlay et al., Mensch, Maschine, Maschinenmenschen, Multidisziplinäre


Perspektiven auf die Serie Westworld, Springer VS, Katja Kanzler,2018

- Höltingen, Stephan, Zombiefilm, Lexikon der Filmbegriffe, Uni Kiel,


http://filmlexikon.uni-kiel.de/index.php?action=lexikon&tag=det&id=2591, zuletzt
abgerufen am 26.03.2019

Online-Quellen:
- http://filmlexikon.unikiel.de/index.php?action=lexikon&tag=det&id=7289
- http://filmlexikon.uni-kiel.de/index.php?action=lexikon&tag=det&id=5403
- https://nanopdf.com/download/filmmusiktechniken_pdf

Das könnte Ihnen auch gefallen