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Naturwissenschaft und Gesellschaft

Die Welt ist im Wandel. Ob es uns gefällt, oder nicht, die Welt hat sich in den letzten
hundert Jahren erheblich geändert. Seit Anbeginn der Menschheit forscht und entdeckt
der Mensch, er ist von Natur aus neugierig.
In der Antike, Renaissance, der Aufklärung, in der Neuzeit, der industriellen Revolution,
vor allem aber im letzten Jahrhundert haben neugierige Menschen unfassbar viele Dinge
entdeckt.
Die damit verbundenen Anwendungen und technischen Nebenprodukte, wie Medizin,
Dampfmaschine, Atombombe, Computer und Internet haben unsere Gesellschaft und die
Welt in der wir leben erheblich geprägt.
Ob dies zum Guten oder Schlechten geschah, mag jeder für sich selbst abwägen.
Ich bin der Meinung, das Voranschreiten in den Naturwissenschaften hat mit seinen
Nebenprodukten erheblich zur Besserung des Lebensstandards beigetragen.

Ganz gleich wie man nun zu dem Fortschritt eingestellt ist, fest steht, dass er nicht
aufzuhalten ist. Das Rad lässt sich nicht zurückdrehen, einmal Erforschtes lässt sich nur
schwer wieder aus dem kollektiven Bewusstsein entfernen, sodass Wissen und Technik
nicht einfach vergessen werden können.
Dem Menschen wohnt der Drang zu lernen, zu entdecken und zu verstehen inne.
Selbst wenn alle Forschungsetats auf null gestellt würden, würde Konkurrenz zwischen
den Staaten immer noch für Fortschritt sorgen und niemand außer vielleicht einem
totalitären Regime wie es in einigen Dystopien beschrieben wird kann wissbegierige
Geister daran hindern über grundlegende Fragen nachzudenken - die Gedanken sind
schließlich frei.

Wir können Wissenschaft und Technik also nicht aufhalten, wohl aber in die richtige
Richtung lenken.
Doch was ist richtige Richtung? Darüber sollte die Gemeinschaft entscheiden, denn
glücklicherweise leben wir in einer Demokratie, über die Winston Churchill einmal gesagt
hat, sie sei die schlechteste aller Regierungsformen - abgesehen von all den anderen
Formen, die von Zeit zu Zeit ausprobiert worden sind. Die Allgemeinheit soll also
entscheiden und nicht ausschließlich Fachleute.

Daher ist es notwendig, dass jeder Mensch und Bürger über wissenschaftliches
Grundkenntnisse verfügt, um fundierte Entscheidungen treffen zu können.
Es ist nicht notwendig, beispielsweise den quantenmechanischen harmonischen Oszillator
mathematisch exakt beschrieben zu können, aber jeder, der über Kernenergie und -waffen
entscheiden darf, hat über Zerfall, Gamma-Strahlung und Kettenreaktionen Bescheid zu
wissen.

Gerade in heutiger Zeit, wo wir in Deutschland in einer Informationsgesellschaft leben, die


durch und durch technisch geprägt ist, sollte jeder ein Grundverständnis für die Dinge, die
er täglich nutzt und vielleicht Wissen über die damit verbundenen Zusammenhänge und
Risiken haben.

Viele Menschen nutzen täglich Handy, Computer, Google, sehen Filme auf DVD,
navigieren mit GPS, reisen mit Flugzeugen, lassen sich im MRT untersuchen oder essen
gentechnisch veränderte Lebensmittel ohne über die Hintergründe oder die Theorien, die
diese Technologien hervorgebracht haben informiert zu sein.
Wichtige unser Zeitalter bestimmende Themen sind naturwissenschaftlicher Natur und
einige durchdringen zumindest mit ihren Konsequenzen gleichzeitig die
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Geisteswissenschaften, insbesondere die Philosophie und Ethik und doch klafft zu oft eine
Kluft zwischen Geistes- und Naturwissenschaften.
Welches Ausmaß hat der Nachlass der angeblich klimafreundlichen Kernkraft wirklich?
Darf ich schon vor der Geburt über das Schicksal meines Kindes entscheiden, wo ich mit
pränataler Diagnostik die Möglichkeiten dazu habe?
Wo sind die Grenzen der Gentechnik und der Stammzellenforschung?
Was sind die Auswirkungen der Relativitätstheorie und der Quantenmechanik auf unser
Denken und unseren Wirklichkeitsbegriff?

Vielen modernen Theorien, insbesondere in der Physik des 20. Jahrhunderts haftet etwas
mystisches an, da sie vielen Auffassungen des gesunden Menschenverstands, also dem
naiven Realismus widersprechen.
So werden wissenschaftlich erforschte und durch Experimente auf einen halbwegs
stabilen Unterbau Theorien oft mystifiziert, so berichtete das Bild-Magazin vom LHC-
Experiment am CERN unter dem Titel „Die Suche nach dem Gottes-Teilchen“ und gerade
wenn es um Urknall und Form des Universums geht reichern sich Theorien oft mit
Bedeutung und Deutungen an, die sie gar nicht hergeben.

Diese Meldungen zeigen aber, dass es durchaus großes Interesse an der Forschung gibt.
Doch leider zeigt sich dieses meist in einem ambivalenten Verhältnis.
In Film und Medien herrscht oft das Bild des „mad scientist“ vor.
Studenten der Universität Bielefeld haben sich die Mühe gemacht und 220 Filme als Teil
der meinungsbildenden Massenmedien analysiert, sowie Menschen zu ihrem Bild von
Wissenschaftlern befragt. Es stellte sich oft der Stereotyp eines schrulligen, realitätsfernen
Menschen heraus, der nur auf seine Forschungen konzentriert ist und sozial meist
unbeholfen agiert. Beispiele hierfür sind Frankenstein, Dr. Moreau und Dr. Strangelove.

Aus unerfindlichem Grund wird den Naturwissenschaften im Allgemeinbildungskanon kein


zu großes Gewicht verliehen, so kann ein Bundeskanzler behaupten, er sei in Mathe
immer schlecht gewesen und erntet meist Zustimmung.
Es kommt sogar so weit, dass der bayrische Ministerpräsident in einer Spendengala nicht
einmal in der Lage war, eine sechsstellige Zahl vorzulesen.

Hinzu kommt in Deutschland, um dem Thema wirtschaftliche Bedeutung zu verliehen, ein


Fachkräftemangel in den technisch-naturwissenschaftlichen Berufen.
Das Manager-Magazin schrieb etwa im April 2010, dass Großkonzernen wie Siemens
oder Airbus Fachkräfte fehlen und bis 2015 ein Defizit von bis zu einer Million Stellen
drohe.

Was also ist zu tun?

Der Dialog zwischen Forschung und Öffentlichkeit muss verstärkt werden, vielleicht auch
andere Formen annehmen als bisher.

Wie es gut gehen kann, zeigt eine schöne Geschichte aus dem Jahr 2000, wo eine
Schulklasse das Fermilab in Illinois besucht hat und vor und nach dem Besuch eine
Beschreibung und eine Zeichnung eines Wissenschaftlers abgegeben hat. Im ersten Bild
sieht man einen Mann im Kittel, der meist eine blubbernde Flüssigkeit hält, während im
zweiten Bild normal gekleidete Männer und Frauen (!) zu sehen sind.

Doch wo soll man ansetzen, um eine solide Grundlage naturwissenschaftlicher Kenntnisse


zu schaffen, auf deren Basis der mündige Bürger wichtige Entscheidungen treffen kann?
Naturwissenschaft und Gesellschaft

Neben Projekten der Ministerien wie den Jahren der Wissenschaft, dem Nanotruck,
Freizeitakademien für interessierte Schüler, oder Massenmedien, also
Wissenschaftssendungen die ihren Namen verdienen, Zeitschriften und
populärwissenschaftlicher Literatur ist es vor allem die Schule und der Unterricht, der
Wissen und Eindrücke vermittelt.

Ich werde mich im Folgenden auf den Schulunterricht und auf ein Beispiel für neuartige
Lernkonzepte beschränken.

Wer kennt ihn nicht, trockenen und uninteressanten Unterricht.


Gerade Physik hat einen schlechten Ruf, da oft mathematische Formeln an die Tafel
geworfen werden ohne praktische Bedeutung.
Ohne den Sinn, der hinter den Beziehungen steht, ohne Zusammenhänge und
Übertragungen auf die Alltagswelt kann ich niemandem verübeln, wenn er das Fach
langweilig findet und für weltfremd und abgehoben hält - was eigentlich ziemlich paradox
ist, da mit der Physik versucht wird, die erfahrene Welt möglichst gut, also qualitativ und
quantitativ zu beschreiben.

Das Problem hängt auch mit der Art der Lehre zusammen:
Zuerst werden die Antworten gelehrt und erst dann werden -wohlmöglich noch unter
Bewertung- die Fragen dazu gestellt, obwohl der natürliche Prozess doch genau
andersherum abläuft:
Ich sehe etwas, bin neugierig, will es verstehen und überlege mir auf meine Fragen
Antworten.
So aber geschieht es oft, dass Schüler Formeln auswendig lernen, um die Prüfungen zu
bestehen und das Fach bald wieder abzulegen, doch so ist das Fach nutzlos.
Richard Feynman, ein wundervoller Physiker aus den USA hat das Problem auf den Punkt
gebracht:
„Ich habe früh gelernt, dass es etwas anderes ist, den Namen von etwas zu wissen, also
etwas wirklich zu wissen.“
Ich fordere mehr Experimente im Unterricht, wobei diese sinnvoll eingebaut sei müssen
und nicht, um wild herumzuexperimentieren.
Ein weiteres Zitat, diesmal aus China:
„Sage mir etwas und ich vergesse es, zeige mir etwas und ich erinnere mich, lass es ich
tun und ich behalte es.“ stammt von Konfuzius.

Wenn man selbst etwas sieht, kann man eher davon ausgehen, dass es stimmt, als wenn
man davon nur von Dritten, also aus Büchern oder von Dozenten hört.
Außerdem behält man durch aktives Lernen besser als durch bloßes Zuhören.

Auch fehlt oft der Bezug zur Alltagswelt, da zu oft das Quantitative, also das Rechnen mit
Größen in den Vordergrund rückt und das eigentliche Verständnis der Zusammenhänge
so zu kurz kommt.

Andererseits wieder Feynman hierzu:


„To those who donʻt know mathematics, it is difficult to get across a real feeling as to the
beauty, the real beauty of nature“

Um zu erkennen, was der Physiker „schön“ findet, ist als Sprache der Physik unweigerlich
die Mathematik nötig.
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Wie kann man den Unterricht interessanter gestalten?
An meiner ehemaligen Schule gibt es in der 8. Klasse ein Projekt, bei dem Puppenhäuser
gebaut werden und mit elektrischer Beleuchtung versehen werden, wobei die verbauten
Widerstände und die Schaltungen vorher berechnet werden.
Diese Form, den Unterricht interessanter zu gestalten ist wenig gelungen, da so das
Formeln lernen nur hübsch verpackt wird und mit einer praktischen Anwendung versehen
wird.
Für mich geht hier der Bezug zum eigentlichen Verstehen nicht weit genug.
Ein wunderschönes Beispiel habe ich in einem Vortrag über den Regenbogen gesehen,
wo zunächst der Regenbogen erläutert und beschrieben wurde und dann Fragen gestellt
wurden: Wo kommt er her? Wie entsteht das dunkle Band zwischen Regenbogen und
zweitem Regenbogen?
Im Verlauf des Vortrags wurden die Frage beantwortet, aus der Motivation den
Strahlengang nachzuvollziehen hat der Dozent Sinus und Cosinus eingeführt und zum
Schluss noch eine Anleitung gegeben, wie man selbst einen Regenbogen erzeugen und
wie man sich mit einem Laserpointer ein Modell des Strahlengangs basteln kann.

Ein anderes Beispiel möchte ich nicht anhand des Schulunterrichts, sondern anhand der
Universität geben und da es um Technik geht, greife ich gleich die namhafteste heraus:

Das MIT, das Massachusets Institute of Technology hat als Pflichtkurse für all seine
Studenten 8.01 Mechanik und 8.02 Elektromagnetismus.
Da bis in die späten 90er am Ende eines Semesters nur noch 40% der Anfangsbesetzung
in den Hörsälen saßen, von denen noch 10% durch die Prüfungen fiel, beschloss man die
Struktur der Kurse, die aus klassischen Vorlesungen und Übungen bestanden zu ändern.

Statt den Vorlesungen, wo ein Dozent anderthalb Stunden sein Skript vorträgt, besuchen
die Studenten speziell angefertigte Klassenräume, wo sie in drei Dreierteams an mit
Laptop und Whiteboard ausgestatteten Tischen um den Dozenten herum sitzen.
Die Teams sind mit verschieden leistungsstarken Studenten besetzt, sodass sie sich
gegenseitig etwas beibringen können („peer instruction“).

Die Tische sind kreisförmig um den Dozenten angeordnet, der sich aber frei im Raum
bewegt und mit den Gruppen spricht.

Die Lerneinheit beginnt mit einem zwanzigminütigen Vortrag, an den Diskussionen,


Fragen und vor allem Visualisierungen und Experimente an den Tischen folgen.
Das System heißt TEAL, was für „technology assembled active learning“ steht. Die
Visualisierungen erfolgen am Laptop mit speziell entwickelter Software, wo die Gruppen
mit Simulationen arbeiten können.
Während er Experimente stellt der Dozent Verständnisfragen, welche die Gruppen mit
Buzzern beantworten.
Laut MIT erwerben die Studenten das doppelte an Wissen im Vergleich zu den normalen
Vorlesungen, wobei dies für „low“- „average“- und „high-scoring students“ gilt.
Die Meinungen der Studierenden sind geteilt: Während einige gelangweilt sind und sich
freuen, dass man von denen in der Gruppe, die den Stoff eh schon wissen mitgezogen
werden, sind andere von dem Konzept begeistert und sagen, dass diese Lerneinheit sie
durch die Prüfungen gebracht hat und weit mehr Spaß als eine Vorlesung bringt.

In der Diskussion möchte ich zum einen den Fokus auf die Notwendigkeit umfassender
naturwissenschaftlicher Bildung legen, dann diskutieren wie man sie umsetzen kann.

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