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herausgegeben von
Univ.-Prof. Dr. F. Diekamp und Univ.-Prof. Dr. R. Stapper.
Heft 1.
Von
Münster i. W. 1923.
-
Verlag der Aschendorffschen Verlagsbuchhandlung.
Münsterische Beiträge zur Theologie
herausgegeben von
Univ.-Prof. Dr. F. Diekamp und Univ.-Prof. Dr. R. Stapper.
Heft 1. -
Von
Münster i. W. 1923.
Verlag der Aschendorffschen Verlagsbuchhandlung.
Imprimatur.
Monasteril, die 17. Januarii 1923.
Vicarius Eppi Gnlis.
De mand.
Nlenhaus, Cons. eccl.
will, wenn· Schermann 1) die Zeugnisse für die Gottheit des HI. Geistes
bei den Kirchenvätern des 4. Jahrh. sanimeln will, immer wieder greifen
sie auf diesen Brief zurück. Wenn Nager 2) untersucht, welche
Auffassung der hl. Basilius vom oµoovaw(; gehabt habe, so ist ihm
dieser Brief die einzige Quelle dafür. Turrpel 3) hat es. schon als
auffallend empfunden, daß Basilius auf eine hier geäußerte Ansicht
nienials später zurückgekommen sei. J. M. Schröckh 4) spricht
von „Einfällen" des hl. Basilius und meint, dieser müsse seinen
dort niedergelegten Standpunkt schon bald geändert haben. Um
die Abweichungen des Briefes von den sonstigen Schriften des hl.
Basilius zu erklären, weisen Holl 5) und Fialon 6) darauf hin, daß
wir es hier mit einer seiner frühesten Schriften zu tun hätten, daß
der Verfasser sich später von solchen Anschauungen frei ge-
macht hätte .
. Vor allem eine Stelle des Briefes, in der die Eucharistie in
symbolischem Sinne aufgefaßt wird 7), hat von jeher besondere Auf-
merksamkeit gefunden. Die Druckausgabe der Briefe des hl. Basilius
und des hl. Gregor von Nazianz 8) vom Jahre 1528 greift in der
Vorrede 9) einzig diesen Brief heraus und deutet an, daß die eucha-
ristische Stelle im Kampfe mit den .Oekolampadiern und Münze-
ranerh" eine wichtige Rolle spielen könne. :Mit der Erklärung
dieser Stelle haben sich dann die Mauriner in ihrer Praefatio zum
.3. Bd. 10) abgemüht, und noch heute sucht die Dogmatik zur Ehren-
rettung des hl. Basilius diesen Worten einen rechtgläubigen . Sinn
zu geben 11). Diese Stelle kehrt in fast allen dogmengeschichtlichen
und ähnlichen Werken wieder, so bei Harnack 12), bei Rauschen 13)
u. a., auch in theologischen Nachschlagewerken 14). Sie allein hat
es verschuldet, daß . man den hl. Basilius bezüglich seiner Lehre
über die Eucharistie ohne weiteres unter die Symboliker gerechnet
hat 15). Triumphierend wird verkündigt, daß es .für römische Er-
klärer nicht leicht sei, Stellen zu zitieren, die ebenso deutlich die
weniger geistige Auffassung des Genusses verträten" 1).
Wenn dem 8. Briefe solche Bedeutung beigelegt wird, so ist
eine gründliche Untersuchung seiner Echtheit gewifü am Platze.
Erster Teil.
Der 8. Brief, nicht ein Werk des hl. Basilius.
1. Kapitel.
Handschriftliche Überlieferung.
Die frühesten Druckausgaben der Werke des hl. Basilius, z. B.
von Grofienhain 1528 8), Basel 1532 und 1551, Paris 1618 und
1638, machen über die zugrunde gelegten Handschriften keine An-
gaben, die irgenq.wie wesentlich wären.
Die Mauriner geben in einer Vorbemerkung an, welche Hand-
schriften sie für die Briefe überhaupt benutzt haben 9). Besonders
kommen in Betracht 7 Handschriften, fast alle aus dem 10.-12.
Jahrhundert, deren jede etwa 250-350 Briefe enthält, aufierdem
1) II p 213-318. 2) II p 335---,526.
B) Ähnlich urtent Morison, St. Basil and his rule p 15-19.
4) Enthusiasmus und Bußgewalt ... S. 157 Anm.
5) St. Basil the Great p 63~79. 6) II p 526-582.
7) Siehe dazu die gute Zusammenstellung bei Bardenhewer a. a. 0. S. 154-157
und bei Schäfer, Basilius' d. Gr. Beziehungen zum Abend!. S. 4-7; bei
beiden auch die reiche Literatur.
B) Haganoae; nicht Hagenoae = Hagenau, wie vielfach irrtümlich zitiert wird.
9) III p CXCII. Vgl. auch Loöfs, Eustathius von Sebaste S. 3 Anm.; J. A. Fa-
bricius-Harles, Bibi. qraeca ed. nova tom. IX Hamburg 1804 p. 12 annot. v
/ und p 56-58.
1. Handschriftliche Überlieferung. 5
eine Reihe von Handschriften, deren jede nur weniger Briefe enthält.
Aus den Anmerkungen zum 8. Briefe ersieht man, dafü dieser sich
nur in zweien von all diesen Handschriften vorgefunden hat 1). Das
ist immerhin auffallend, denn z. B. für den 9. Brief oder für den
Briefwechsel zwischen Basilius und Libanius standen 7 bzw. 9 Zeugen
zur Verfügung 2).
Die Handschriften der Mauriner aufzuspüren, ist eine etwas
mühsame Arbeit. Die eine derselben war ein Codex Harlaeanus
aus dem 10. oder 11. Jahrhundert mit 249 Briefen. Loofs 3) be-
merkt dazu: ,,Steht im Catalogue of the Harleian Mss. in the British
Museum 1808--:-1812 nicht mehr." Indessen gehört ein Codex Har-
laeanus nicht zu der Bibliothek von Robert oder Edward Harley, die
im Britischen Museum in London ist und die Codices Harleiani um-
faßt, sondern zu der Bibliothek der französischen Familie Achille de
Harlay. Diese Sammlung kam später an die Abtei von St. Ger-
main-des-Pres und 1795 an die Bibliotheque Nationale in Paris 4).
Man mufü also die Handschrift nicht in London, sondern in Paris
suchen. Bei Omont 5) ist nun ein Kodex vermerkt ,,Supplement
grec n 1020. S. Basilii epistulae 196." Derselbe stammt aus dem
11. Jahrhundert und gehörte früher zur Bibliothek von St. Germain
und davor zur Sammlung Harlay. Trotz der Differenz in der Zahl
der Briefe ist anzunehmen, dafü es der von den Maurinern benutzte
Kodex ist.
Diese Vermutung ist zur Gewifüheit geworden durch die Fest-
stellungen von H. Bessieres, der neuerdings die handschriftliche Über-
lieferung der Basiliusbriefe eingehend untersucht hat 6). Aus seinen
Angaben 7) geht hervor, dafü der genannte Paris. 1020 Suppl. wirklich
den 8. Brief enthält.
Die Differenz bezüglich der Zahl der Briefe scheint auf dem Zusammen-
treffen von mehreren Versehen zu beruhen. Der Band enthält weder 249 Briefe,
wie die Mauriner sagen, noch 196, wie 0mont angibt, sondern 296. Die
Zahl 196 bei 0mont wird (lateinische Ziffern!) auf einem Druckfehler bzw.
Lesefehler beruhen. Die Mauriner dagegen haben wohl den 5. und 6. Brief,
die durch Ausfallen eines Blattes verschwunden sind, nicht mitgezählt und sind
so auf 294 gekommen; daraus wird durch einen Druckfehler 249 geworden sein.
1) III p 81 annot. b: ,, . . . duo codices Mss. Plures non habuimus." Vgl. III
p 82 annot. c.
2) III p 91 annot. h und III p 453 annot. e. 3) a. a. 0. S. 3 Anm.
4) Siehe dazu z. B. A. Franklin, Les anciennes bibliotheques de Paris I Paris
1867 p 122-124; H. 0mont, Inventaire sommaire des manuscrits Grecs de
la Biblioth. Nat. et des autres biblioth. de Paris et des depart, J' Paris 1886
p XXVII. 5) a. a. 0. III .Paris 1888 p. 331. -~
6) La tradition manuscrite ... (siehe Literatur-Verzeichnis).
7) vol. 21 p 50; vol. 22 p 131,
6 I. Der 8. Brief, nicht ein Werk des hl, Basilius,
2. Kapitel.
Angaben des Briefes über den Verfasser,
Die Überschrift und die Einleitung 2) geben gewisse Andeutungen
über den Absender und Empfänger des Briefes. Aber diese Be-
merkungen sind zu allgemein gehalten, als dafü daraus ein sicherer
Schluß auf bestimmte Personen gezogen werden könnte. Die Über-
schrift heifüt: An die Cäsareer, Verteidigung wegen der Flucht und
über den Glauben. In der Einleitung drückt der Verfasser sein Er-
staunen darüber aus, dafü die Adressaten so sehr nach ihm ver-
langen. Er ist von ihnen geflohen und weilt schon einige Zeit fern
von ihnen. Der Grund dafür hat zunächst in seinem Erschrecken
über den „unvermuteten Vorfall" (ro &b6x17roy) gelegen, sodann in
seiner Sehnsucht nach den göttlichen Lehren. Jetzt hat er Gregor
gefunden und will noch eine kurze Zeit ausbleiben, um den segens-
reichen Verkehr mit den Heiligen zu geniefüen.
Man kann sich von der zugrunde liegenden Situatio11 nicht
mit Sicherheit ein klares Bild machen.
Tillemont 3) und Dupin 4) haben den Brief dahin verstanden,
dafu der Verfasser aus der Stadt in die Einsamkeit geflohen sei.
Sie meinen, Basilius habe als Priester in Cäsarea sich vielleicht
mit seinem Bischof nicht verstehen können und sei daher zu seinen
Genossen in die Wüste geflohe·n; von da aus habe er dann die;en
Brief an die Bewohner von Cäsarea gerichtet. Ramsay 5) sieht die
Sachlage ähnlich an.
Dagegen haben die Mauriner eine ganz andere Auffassung
aufgebracht, die dann fast herrschend geworden ist. Sie stützen
sich auf den Satz: oUyoy ~piY, naeaxaÄw, oUyov avyxwe~aau: xe6vov,
alrov,ud}a · ov T'YJV ev rat~ n6Äeat btaretßfJv aana(6µevot, ... aÄl,a
T'Yj'JJ OV'JJTVXfo'JJ T'YJV 7l(!O~ WV~ ayfov~ E7lW<pEAij pa.Ätara X(!fvO'JJTE~ 6).
1) die Bessieres wegen der geringen Anzahl von Basilinsbriefen übergangen hat.
2) n 1 p 80 D-81 C. 3) Memoires ... p 125-127.
4) Nouv. Bibliotheque des auteurs eccl. II nouv. ed. Utrecht 1731 p 158.
5) Basil of Caesareia p 59. 6) n 1 p 81 D.
8 I. Der 8. Brief, nicht ein Werk des hl. Basilius.
Sie fassen diesen Satz in dem Sinne: "Gewährt uns bitte noch
eine kurze Zeit, wir bitten darum, nicht als ob wir den Aufenthalt
in den Städten liebten, ... sondern weil wir den Verkehr mit den
Heiligen für so nützlich halten" 1). Der Briefschreiber, nach der
Meinung der Mauriner Basilius, wäre also aus seiner Einöde im
Pontus in eine Stadt zu Gregor geflohen und schrieb von dort aus
an seine verlassenen Mitbrüder den vorliegenden Brief. Der „un-
vermutete Vorfall", der den Briefschreiber zur Flucht bewog, soll
dann die anderweltig 2) bezeugte Tatsache sein, dafi Dianius von
Cäsarea, der väterliche _Freund des hl. Basilius, im Jahre 360 die
homöische Formel von Nize unterschrieben hat 3).
Diese Hypothese der Mauriner hat Anklang gefunden. Was
sie nur vermutet und als· möglich hingestellt haben, wird vielfach ·
als feststehende Tatsache genommen, so von Böhringer 4), Fialon 5),
Jackson 6), Farrar 7), Johnston 8) u. a.
Gegen· diese Deutung der Mauriner, dafi der Brief von der
Stadt aus an die Einsiedler gerichtet sei, sprechen aber die gewich-
tigsten Gründe. ·
Die Empfänger haben den Schreiber zurückzugewinnen gesucht, indem
sie ihn an Freundschaft und Vaterland (bzw. Heimat, na,e{c;) erinnerten. Und
von all den Gütern des geistHchen Lebens, die das Aszetentum ihnen bot, sollten
sie nichts erwähnt haben V
Der Briefschreiber hat sich entfernt, weil er Sehnsucht nach den gött-
lichen Lehren und der Philosophie über diese! ben haite; er will einige Zeit
ausbleiben, da er den Verkehr mit den Heiligen für so nützlich hält; so hofft
er, eine nicht leicht wieder. zu verlierende Geneigtheit (Gewandtheit, ll;,c;) zu
solchen Lehren zu erlangen 9). So etwas konnte unmöglich jemand an Mönche
schreiben, die doch das Einsiedlerleben als besten Boden für die Beschäftigung
mit den göttlichen Lehren _und der. Philosophie betrachteten 10).
Der Brief erinnert an die Gefahren des Stadtlebens 11). Die Mauriner
. meinen, ein solcher Hinweis wäre Mönchen· gegenüber sehr gut am Platze
gewesen, um sie vor der. Rückkehr in die Welt zti bewahren 12). Aber eine
solche Bemerkung läßt sich noch besser verstehen, wenn sie an Stadtbewohner
gerichtet ist.
Die Gleichsetzung des „unvermuteten Vorfalles" mit der Kunde von der
Unterzeichnul).g des Dianius .ist eine reine Vermutung, die durch keinerlei
positive Gründe gestützt wird, Die starken Ausdrücke des Briefes: ,,Ich verlor
3. Kapi1el.
Glaube und Wissen.
a) Im 8. Briefe.
Gegen die Abfassung des 8. Briefes durch den hl. Basilius
sprechen innere Gründe der verschiedensten Art.
Das Schriftstück betont auffallend stark die verstandesmäßige
Seite der Religion. Gläubige Erkenntnis ist dem Verfasser alles.
Immer kehren die Worte wieder {}swe{a, {}swesT1•, {}swerinu6,;, {}sTa
{}swe~µara, {}fia b6yµara, voii;, vosiv, vorir6,;, yvwat,;, <pt1.oaoip{a u. ä.
1) n 1 p 81A. 2) III p 143 D-144 B.
10 I. Der 8. Brief, nicht ein Werk des hl. Basilius.
1) Ibd. C; vgl. auch auf S. 10 Mitte den Schlußsatz der da zitierten ,Stelle.
2) n 1 p 81 A. 3) n 1 p 81 B. 4J n 1 p 81 BC. 5) n 2 p 81 C.
6)n12p89AB. 7)n2p81C. 8)n7p86E.
9) Besonders n 7 p 85 B-86 D.
.,
12 I. Der 8. Brief, nicht ein Werk des hl. Basilius.
Freiheit von Schmerz und Trauer, Fülle der Freude und des Trostes,
Gemeinschaft mit Engeln und Heiligen u. dgl. sagt er kein Wort.
_Er scheint solche Gedanken geradezu ausschliefüen zu wollen; denn
er sagt auffallend scharf: ,,Nichts anderes müfüt ihr unter dem
Himmelreich verstehen als die wahre Erkenntnis der Dinge, die von
der Schrift Seligkeit genannt wird. ,,Denn das Himmelreich ist in
euch« (vgl. Lc 17, 21). Bezüglich des inneren Menschen gibt es
aber nichts anderes als Erkenntnis. Also in der Erkenntnis besteht
offenbar das Himmelreich" 1). Dafü es bezüglich des inneren Menschen
auch noch etwas anderes gibt als nur Erkenntnis,. nämlich Richtung
des Willens auf das Gute, Liebe zu Gott, Stand der Gnade usw.,
davon klingt auch nicht der leiseste Gedanke durch.
b) Bei Basilius.
In all diesen Fragen bietet uns Basilius ein wesentlich anderes
Bild 2). Bei ihm spielt die Erkenntnis durchaus nicht die alles andere
überragende Rolle im geistigen, speziell im religiösen Leben. Schon
die Worte fJeweta, yvc'iJat; usw. kommen bei ihm nicht auffallend oft
vor. Als Ziel des Christentums bezeichnet er nicht etwa die Er-
kenntnis der Wahrheit oder die Erkenntnis Gottes, sondern „die
Nachfolge Christi gemäfü seiner Menschwe.rdung" 3). Auf die Frage
„mit w,elcber Gesinnung man Gott dienen müsse", antwortet er nicht
mit einem Hinweis auf das Streben nach Erkenntnis, sondern mit
dem Satze: ,, Eine gute Gesinnung ist ein inniges, unersättliches,
festes und unveränderliches Verlangen, Gott zu gefallen" 4). Im
Schlufükapitel der Moralia schildert_ er in knappen, markigen Zügen
das Idealbild des Christen. An die Spitze stellt er die Sätze: ,,Was
ist das Kennzeichen ·des Christen? Der Glaube, der durch die Liebe
wirksam ist." In der ganzen Ausführung geht er dann mit wenigen
Sätzen über den Glauben hinweg; um so ein-gehender wird aber das
sittliche Leben des Christen geschildert, Liebe zu Gott, Liebe zum
Nächsten, Abgestorbensein für die Sünde, Erneuerung des inneren
Menschen, Reinheit des Leibes und der Seele, würdiger Empfang
der Eucharistie, Andenken an den Tod Christi, wahre Gerechtigkeit,
Wandel in Gottes Gegenwart, Erwartung des Gerichtes 5). Ahnliche
Aufüerungen, in denen dem sittlichen Leben mindestens die gleiche
Bedeutung wie dem Gebiete des Erkennens, oft sogar ein gewisses
Übergewicht zugeschrieben wird, finden sich immer wieder bei ihm,
nicht nur in seinen erbaulichen Homilien und besonders in seinen
1) n 12 p~ 89 B. 2) Fialon, Etude hist. et litt.... p 228-230.
3) Moralia interr. 43, 1 II p 389 E-390 A.
4) Reg. brev. tract. interr. 157 II p 467 E.
5) Moralia reg. 80 1 22 II p 317 D-318 C.
3. Glaube und Wissen. 13
1 •
16 i. Der 8. Brief, nicht ein. Werk des hl. Basilius.
Man könnte vielleicht mit den Maurinern meinen; Basilius hätte den
8. Brief sehr früh geschrieben, und während dieser Zeit der Weltabgeschieden-
heit unter den Mönchen hätte er seinem spekulativen Geiste noch freien Spiel-
raum gewähren können; erst später, mitten im Gewirr der theologischen Kämpfe,
wäre er infolge von Anfeindungen und Mißdeutungen vorsichtiger geworden;
Aber einerseits bietet der 8. Brief gar nicht das Bild einer weltfremden Kloster-
einsamkeit, wohin die Wellen der Glaubenskämpfe nicht gereicht hätten; im
Gegenteil, Verfasser und Empfänger stehen offenbar mitten in dem Gewühl
dogmatischer Streitigkeiten. Andererseits haben wir gar keinen Grund, in Basi.-
lius eine solche Entwicklung anzunehmen. ,,Alles, was wir aus seinem Leben
wissen, (trägt) den Charakter des reifen Man_nesalters" 1). Die vorsichtige Zu-
rückhaltung der späteren Jahre finden wir auch schon au_snahmslos in jener
ersten Periode. Ob Basilius die Gründe beschreibt, die ihn selbst zum Ein-
siedlerleben geführt haben 2), ob er in begeisterten Worten das Mönchsideal
preist.B), ob er seinem Freunde Gregor das Leben und Streben der Mönche
schildert 4) 1 ob er genaue Lebensregeln fiir seine Genossen aufstellt 0): niemals
finden wir ein freudiges Eingehen auf die tiefere Erforschung der Glaubens-
wahrheiten, niemals ein Hervorheben des Studiums,· der Erkenntnis, der Er-
leuchtung, sondern höchstens eine Warnung vor dem unvorsichtigen Grübeln
über die göttlichen Geheimnisse 6),
Über das letzte Ziel des Menschen, besonders die ewige Selig-
keit, hat Basilius oft gesprochen 7). Die Ansicht, dafü das Ziel des
Menschen in der buar~µ'YJ bestehe, erwähnt er einmal als Meinung
der Philosophen; aber ·er weist sie ausdrücklich zurück und erklärt,
· das wahre Ziel des Menschen sei „das selige Leben in der Ewig-
keit; dieses wird dadurch vollendet, dafü wir von Gott beherrscht
werden" 8). Meistens spricht er von der Seligkeit in allgemeinen
Ausdrücken, wie Verherrlichung bei Gott, ewige Krone, ewige
Ruhe, ewiges Leben, Freuden der Engel, himmlische Güter usw. 9).
Wenn er das Leben bei Gott nach seinen verschiedenen Richtungen
hin zerlegt, so nennt er „die Betrachtung der Schönheit Gottes"
oder „das Verständnis der Geheimnisse" immer nur al~ eines unter
5) Prooemium in reg, brev. tract. II p 413 B; Reg. brev. tract. interr. 157 II
p 467 E-468 A; Moralia reg. SO, 22 II p 317 D; Reg. fus. tract. interr.
5, 3 II p 342E.:....343D.
6) Siehe besonders die Schrift De fide II p 223 C-230 A, die mit Wahrschein-
lichkeit als echt anzusehen ist In der Ep 223, besonders n 3 III p 338 CD
und n 5 III p 339 E-340 A spricht er_ zwar von der Erörterung theolo-
gischer Fragen unter. den Mönchen, geht aber auffallend leicht darüber
hinweg. ·
7) Vgl. hierzu Scholl, Die Lehre des hl. Basilius von der Gnade, S. 222-2.33.
8) Horn. in Ps 48 n 1 I p 177 A. ·
9) z. B. Horn. 2 in Hex. 5 I p 17 D; Reg. fus. tract. interr. 2, 4 II p 339 C;
den vielen Gütern, die den Seligen zuteil werden 1). Die Vervoll-
kommnung des Willens zur vollendeten Heiligkeit wird sogar er-
wähnt, ohne daß die höhere Erleuchtung des Verstandes überhaupt
genannt wirt.1 2). Kurz, eine so starke, alles andere ausschließende
Betonung dei- Anschauung Gottes, wie der 8. Brief sie enthält, sucht
man bei Basilius sonst vergebens.
4; Kapitel.
Abstufungen der Erkenntnis. Allegorische Exegese.
a) Im 8. Briefe.
Verschiedentlich klingt im 8. Briefe eine merkwürdige Unter-
scheidung durch zwischen niederei:n und höherem Sinn der Bibel,
zwischen einfacher und geistiger Erkenntnis, ja zwischen verschiedenen
Stufen der Gottesoffenbarung, wie wir sie bei Basilius niemals finden.
Von der Unkenntnis des Herrn über den Zeitpunkt des Ge-
richtes (Mc 13, 32) heißt es zunächst, daß der Herr diese Unkennt-
nis „vorschütze" (olxovoµeiv) mit Rücksicht auf die Menschen, um
den Guten nicht eine zu lange Prüfungszeit ·in Aussicht zu· stellen,
oder um die Bösen nicht mutlos zu machen durch den Gedanken,
daß sie keine Zeit mehr zur Buße hätten. Dann aber wird eine
neue Erklärung mit folgenden Worten eingeleitet: ,,Das möge nach
der ersten Auffassung gröber (naxvueov) gesagt sein. Aber man
muß nun noch höher ({np1JÄ6ieeov) den Sinn der Stelle erforschen
und an die Türe der Gnosis klopfen, ob ich vielleicht den Haus"".
herrn aufwecken kann, der die geistigen Brote den Bittenden gibt,
da es ja Freunde und Brüder sind, die wir sättigen wollen" 3).
Diese Worte scheinen anzudeuten, daß in der nun folgenden
Erklärung eine ~gewisse Geheimlehre oder doch eine höhere Auf-
fassung dargeboten werden soll, die nicht für die Allgemeinheit,
sondern nur für einen kleineren Kreis von Eingeweihten bestimmt
wäre. Darauf deutet schon die Gegenüberstellung „gröber - höher"
hin 4), sowie der Ausdruck .die geistigen Brote" (wohlgemerkt mit
dem Artikel, offenbar mit Bezug auf Lc 11, 5). Auch das Bild von
der Türe der Gnosis legt den Gedanken nahe, daß die nun folgende
1) Horn. in Ps 114 n 5 I p 203 A; De Spir, s. n 23 III p 20 C; vgl. Horn. in
mart. Julittain 7 IIp 41A.
2) De Spir. s. n 35 III p 29 E; ähnlich. von den Engeln ibd. n 38 III p 31 E.
S) n 6 p 85AB.
4) Allerdings hat der Brief n 2 p 81 D auch die Bemerkung: ,,Man muß be-
kennen,. daß der Vater Gott ist und der Sohn Gott und der HI. Geist Gott,
wie die HI. Schrift und diejenigen, welche. diese höher ({np11J,6ueov) verstanden
haben, lehren." Diese Worte zeigen, daß man den Ausdruck {11p11Mueov in
der obigen Stelle nicht in seiner Tragweite überschätzen darf.
Me I c her , Der 8. Brief des hl, BasHius. 2
18 I. Der 8, Brief, nicht ~in Werk des hl. Basilius.
1) n 7 p 85 B'-86.D.
2) n 7 p 85 E, Der Brief. erwähnt noch zweimal die Auferstehung, n 11 p 88 CD
und n 12 p 89 C, ohne allerdings deutlich auszudrücken, ob der. Verfasser
diesen Ausdruck nur im wörtlichen oder auch im bildlichen Sinne gelten läßt.
B) n 7 p 86 C. 4) p 85 B.
5) p 86 B: a:n:aex~ OJV xai ov dJ.09, xa1:a 1:~V :n:axvdeav, ci>c; frp11v, /JtlfoaxaUav,
{jnc; ci>c; :n:eoc; ~µii.c; xat ov neoc; av,ov 1:0V vlov {}swesi-rat.
6) p 85 DE: lau /Je xa/ o WV[!tO<;' ~µwv xa/ av1:o, 1:0 dloc; xat ~- tax&.,11 µaxaeufr11c;,
xa1:a 1:~v 1:0ii ).6yov t:n:lvotav. Fialon, der immer dem hl. · Basilius eine ge-
wisse Neigung zu subordinatianischer Trinitätslehre beizulegen sucht, will
auch diese Darlegung des·8. Briefes für seine Auffassung in Anspruch nehmen
(Etude hist. et litt .... p 251). Aber der Briefschreiber spricht in der ganzen
Ausführung von Christus in· seiner Erniedrigung; den Logos stellt er, wie
der 'in dieser Anmerkung zitierte Satz zeigt, ausdrücklich auf gleiche Stufe
mit dem Vater.
4. Abstufungen der Erkenntnis. Allegorische Exegese. 19
Vaters aber ist die immaterielle Anschauung, sozusagen die Anschauung der
Gottheit selbst 1 ). In den Evangelien zählt Christus sich selbst zu den Un-
wissenden, in der Apostelgeschichte aber nimmt er sich von den Unwissenden
aus 2). Da sind die Apostel Vollkommene, sie sind jenseits der Anschauung,
wie sie in dem Menschen ist 3).
Besonders merkwürdig ist eine Äußerung über die Engel. Auch sie
wissen nicht den Tag noch die Stunde, sie sind ja nicht das höchste Ziel, ihre
Erkenntnis ist ja von gröberer Art im Vergleich mit der Erkenntnis von An-
gesicht zu Angesicht 4). Daß ihre Erkenntnis später, etwa am Ende der Welt,
erhöht werden würde, ist mit keinem Worte angedeutet.
In ähnlicher, allegorischer Weise wie diese Stelle Mc 13, 32
wird auch die eucharistische Verheifmng J o 6, 58 "Wer mich ißt,
der wird leben um meinetwillen" erklärt: ,, Wir 5) essen sein Fleisch
und trinken sein Blut, da wir durch seine Menschwerdung und sein
sinnlich wahrnehmbares Leben 6) teilhaftig werden (oder teilhaftig
geworden sind) des Logos und der Weisheit 7). Denn mit Fleisch
und Blut bezeichnete er seinen geheimnisvollen Lebenswandel, und
damit meinte er seine Lehre, die aus praktischer und physischer
und theologischer besteht, durch welche die Seele genährt und zur
Erkenntnis der jetzigen Dinge befähigt wird."
Der Gedankengang des Verfassers ist folgender. Er hat vor-
her die Stelle Jo 6, 58 „Ich lebe um des Vaters willen" erklärt
und gegen die mißbräuchliche Ausdeutung derselben durch die
Arianer behauptet, diese Stelle beziehe sich gar nicht auf das Leben
des Logos, sondern auf das menschliche Leben Christi. Daß dieses
Leben gemeint ist, fährt er fort, geht auch daraus hervor, daß die
unmittelbar anschließenden Worte „Wer mich ißt, der wird leben
um meinetwillen" doch auch nicht vom vorweltlichen Leben Christi,
sondern nur von seinem Leben im Fleische gemeint .sein können.
Denn "mich essen" ist dasselbe wie "mein Fleisch essen und mein
1) n 7 p 85 D. 2) n 6 p 85 A. 3) n 6 p 85 A; n 7 p 85 B.
4) n 7 p 85 CD: ov/Je ~ SV avwir; {}eweia xai ol }.6yo, 'l"WV /5,axov,äiv elat 'CO eoxa-
wv O(!BXU>V. IIavia ya(! xai win:wv 1/ yväimr;, ovyxeloe, 'fOV neoownov neor;
neoawnov.
fi) n 4 p 84 A: 'l(!d.>yoµev _yCJ.e av-rov 1:~v a&exa xai nlvoµsv aln:oV 1:0 alµa, xotvrovol
yiv61ievot 15,a i-fjr; ei,ai,{}ewn1aewr; xai ,fjr; ala{}'l,fir; i;wfjr; rnii 26yov xai i-fjr;
aorplar;. .:Eaexa yae xai alµa :;,:{foav aihoii .~v µvaux,71 1 e,ti','lµlav WVOftaOB xai
i-~v lx nea>euufjr; xal, rpvaixfjr; xai {}eol.oyixrjr; avvea,äia<tv /5,/JaaxaUav M12wae,
/Jt' {ir; i-esrpnat ,pvx~ xa/ neor; ,~v i-wv önwv dwr; {}ewelav naeaaxevai;ern,.
6) Batiffol (Etudes d'histoire II 2 p 257) übersetzt „gräce a l'incarnation et gräce
a la vie de l'esprit". Aber ala{}'l~or; kann man doch wirklich nicht über-
setzen mit de l'esprit ! Außerdem zeigt der Zusammenhang auf das deutlichste,
daß es sich hier gerade nicht um das geistige Leben des Logos, sondPrn um
sein sinnlich wahrnehmbares Leben handelt, das er infolge der Mensch-
werdung führte.
7) Jackson (St. Basil p 118) übersetzt „of His Word and of His Wisdom".
Dann müßte man avwii dabei erwarten; außerdem ist zu Äoyo, xai aorpla zu
vergleichen unten Kap. 9 am Ende.
2*
20 I. Der 8. Brief, nicht ein Werk des ht Basilius.
Blut trinken". Dieses geschieht aber dadurch, dafü wir des Logos
-und der Weisheit teilhaftig werden; denn Fleisch und Blut bezeich-
net seinen geheimnisvollen Lebenswandel und seine Lehre. Eine·
solche Verbindung mit dem Logos ist aber nur möglich auf Grund
der Menschwerdung und des sinnlich wahrnehmbaren Lebens Christi.
Also gelten die Worte Christi „mein Fleisch essen, mein Blut trinken,
mich essen" von seinem menschlichen Leben, und deshalb müssen
auch die vorhergehenden Worte „Ich lebe um des Vaters willen"
von seiner Menschheit verstanden werden.
Der Verfasser nimmt offenbar die eucharistischen ·verheitiungs-
worte Christi nicht in realistischem, sondern in symbolischem Sinne.
Dabei haben wir auch hier wieder die Tatsache, dafü die allegorische
Umdeutung der Begriffe auf das Gebiet des Erkennens hinzielt.
Der geheimnisvolle Lebenswandel, dessen wir teilhaftig werden, wird
umschrieben als Logos, Weisheit, Lehre, wobei letzterer Ausdruck
durch den Zusatz „die aus praktischer und physischer und theolo-
gischer besteht" noch krasser hervorgehoben und verdeutlicht wird.
Auch der Ausdruck „der wird leben um meinetwillen" wird in ähn-
licher Weise verstanden. Nicht das Leben der Gnade oder das der-
einstige selige Leben bei Gott findet der Verfasser in diesen Worten
ausgesprochen, sondern er umschreibt sie mit dem Satze „ die Seele
wird genährt und zur Erkenntnis der jetzigen Dinge befähigt".
Daß,sich in dieser Stelle eine symbolische Auffassung der Eucharistie-
rede des Herrn kundgibt, wird fast allgemein anerkannt. Steitz 1) sieht sogar
in dieser Stelle den Schlüssel für das Verständnis des Mysteriums· und seines
litu'rgischen Sprachgebrauchs und glaubt, daß nach dieser dogmatischen Inter-
pretation die liturgischen Ausdrucksweisen erklärt werden müßten. Auch
Böhringer 2) findet, daß „unter dem Essen und Trinken die geistige Aneignung
des ... geoffenbarten Logos verstanden" sei. Batiffol3) meint vorsichtiger, diese
Auffassung hätte den hl. Basilius zu einer symbolischen Formel der Eucharistie
verleiten können; ·er fügt aber gleich hinzu, daß man eine solche vergebens.
in seinen sonstigen S<ihriften suche 4). P. Schanz spricht von „Versuchen zu
einer spiritualistischen Erklärung nach Jo 6" 5), während Glaube rihd Lehre
ganz auf dem Bodl,Jn des Realismus ständeh6).
b) Bei Basilius.
Der Standpunkt des hl. Basilius auf diesem ganzen Gebiete ist
ein anderer. Seiner Gesinnungsart lag alles Übertriebene und Auf.ier-
gewöhnliche fern. In Glaube und Lehre strebte er stets nach ab-
gerundeter Klarheit der Gedanken und nach einer gewissen Ein-
fachheit der ganzen Weltanschauung. Mit nüchternem Blick be-
urteilte · er Welt und Menschen; er schaute stets auf das Ganze, die
Allgemeinheit und suchte einen gesunden Mittelweg, auf dem sich
alle zusammenfinden könnten. Seine Verhandlungen mit den Abend-
ländern zeigen solche Eigenschaften im hellsten Lichte. Diese Sinnes-
art finden wir bei ihm nicht nur in späterer Zeit, da er als Ver-
treter seines Bischofs und dann als Bischof selbst mitten im prak-
tischen Leben stand, sondern schon von Anfang an. Bezeichnend
ist es, daf.i gerade er es war, der mit dem früheren Einsiedlerleben
brach und das gemeinsame Leben der Mönche einführte, weil Gott
den Menschen zum Zusammenleben erschaffen habe 2). Dieser
Charakter des hl. Basilius wirkt unverkennbar nach, wenn wir bei
ihm in den oben erwähnten Fragen eine ganz andere Haltung finden,
als in dem 8. Briefe zutage tritt.
1. Geheimlehre.
Jedem Gedanken an eine Geheimlehre oder auch nur eine
höhere Auffassung, die lediglich · für Auserwählte bestimmt wäre,
Stelle wird durch den Partizipialsatz deutlich genug gezeigt, daß der Brief-
schreiber Fleisch und Blut nicht im wirklichen Sinne anerkennt, sondern
nur im bildlichen Sinne gelten läßt.
1) Praefatio § 7, 3 III p XXX. Verfasser der Praefatio ist Pr. Maran, der
Herausgeber des 3. Bandes, der in seiner ganzen Richtung weniger kritisch
ist als J Garnier, der die beide11 ersten Bände bearbeitet hat.
2) Reg. fus. tract. interr. 7, 1-2 II p 345C-346E; ähnliche Gründe führt er
an Ep 295 III p 433 A-C. Daß Basilius dieses Zusammenleben nicht nur
als Vorstufe, als Noviziat für das Eremitenleben angesehen hat, sondern wirk-
lich als das Ideal, weist im einzelnen nach Clarke, St. Basil the Great
p 109-113.
22 I. Der 8. Bdef, nicht ein Werk des hl. Basilius.
2. Exegese im allgemeinen.
Dieser Standpunkt des hl. Basilius zeigt sich auch in seiner
Exegese. W eif.i 5 ) sagt darüber zusammenfassend: ,, Basilius darf nicht
kurzweg unter das Gros der sogenannten Allegoristen verwiesen
werden; er steht vielmehr von allen orientalischen Kirchenvätern
des 3. und 4. Jahrhunderts den Antiochenern am nächsten, d. h.
auf der Schwelle zu einer nüchternen, noch heute gebräuchlichen
Interpretationsmethode." Mir scheint dieses Schluforteil nicht glücklich
formuliert zu sein. Nach der vorausgehenden Untersuchung von
'\Veif.i sollte man. erwarten, daf.i er den Abstand des Kirchenvaters
von den „ Allegoristen" viel schärfer betont hätte. An einer anderen
Stelle 6 ) urteilt Weif.i auch, daf.i Basilius mehr an die Antiochener
als an die _Alexandriner grenze 7).
Basilius hat sich wiederholt über die allegorische Exegese aus-
gesprochen. Er erwähnt, dara er deren Gesetze wohl kenne, dafü
er auf die Arbeiten anderer gestof.ien sei, welche den gewöhnlichen
Sinn der Bibel nicht annähmen 8). Aber jedesmal lehnt er soiche
Exegese in der schärfsten Weise ab 9).
Aber wie ist es denn zu erklären, daf.i Basilius oft der allegorischen
Exegese reichlichen Tribut gezollt hat? Einmal geht er bei Erklärung
von Ps 18, 2 näher auf die Sache ein und sagt, eine bildliche Aus-
legung könne man zwar als fein erdacht annehmen, aber nicht für
wahr halten; wenn eine solche Redeweise von verständigen Menschen
im bildlichen Sinne verstanden würde, so trage sie mit dazu bei,
den Schöpfer zu verherrlichen 10). Das gibt uns einen deutlichen
1) Siehe z. B. Ep 22 III p 98 D-101 C.
2) Holl, Enthusiasmus und Bußgewalt ... S. 158; vgl. S. 166. Zu ähnlichen
Ergebnissen kommen Hörmann, Untersuchungen zur griechischen Laienbeichte
S. 29-32 u. Morison, St. Basil and his rule p 23--30. 3) Ep 223, 2 III p 337 DE.
4) Siehe z. B. Clarke, St. Basil the Great p 118-119.
5) Die großen Kappadozier . . . als Exegeten S. 71. 6) Ebenda S. 66.
7) Dabei ist zu berücksichtigen, daß Weiß den stark allegorisierenden Kom-
mentar zu Isaias als echt ansieht.
8) Horn. 9 in Hex. 1 I p 80BC; vgl. Horn. 2 in Hex. 5 I p 17A; Horn ..3
in Hex. 9 I p 31 B; Horn. 9 in Hex. 1 I p. 81 A.
9) z.B. Horn. 2 in Hex. 2 I p 13B; ibd. p 140; ibd. n 4 I p 15O--D;
Horn. 3 in Hex. 9 I p 31 C,
10) Horn. 3 in Hex. 9 I p 31 DE. Weiß a. a, 0. erwähnt diese doch gewiß sehr
wichtige Stelle überhaupt niemals.
24 I. Der 8. Brief, nicht. ein Werk des hl. Basilius.
. 1) Ähnliches findet man z. B. bei Gregor von Nyssa; siehe Diekamp, Die Gottes-
lehre des hl. Gregor von Nyssa S. 30-32. 2) Vgl. Weiß a. a. o, S. 68.
S) Basilius von Cäsarea S. 116. 4) Amphilochius von Ikonium S. 256.
5) .Lehrbuch der Dogmengeschichte II2 S. 115.
6) Praelectiones dogmaticae VI4 Freiburg.1914 n 622.
4. Abstufungen der Erkenntnis. Allegorische Exegese. 25
gedeutet werden, dazu noch iti der Polemik gegen die Irrlehrer, so
finden wir dafür in sämtlichen Schriften des hl. Basilius keine auch
nur annähernd ähnliche Stelle.
3. Auferstehung.
Von der Auferstehung der Toten am jüngsten Tage spricht
Basilius wiederholt. Aber niemals beschränkt er diesen Begriff, wie
der 8. Brief es tut, auf eine Erhebung zu höherer Erkenntnis. Ge-
wöhnlich betont er sogar besonders stark die leibliche Auferstehung.
Er spricht von der „Posaune, die gewaltig in die Gräber tönt und
das ihnen anvertraute Gut der Körper zurückfordert" 1). Er be-
zeichnet die Auferstehung als „Wiederbelebung der. Aufgelösten";
diese Wiederbelebung faßt zwei Momente in sich, das Leben aus der
Auferstehung und die Umgestaltung der Seelen zu jenem geistigen
Leben 2). Wenn Basilius die Auferstehung eine „Veränderung zum
Besseren und Geistigen" nennt, so schliefüt er wenigstens die leib-
liche Auferstehung hierin ein; denn er stützt sich auf 1 Cor 15,
42-44 und auf die zu erwartende Veränderung von Himmel, Sonne
und Mond 3). Auch wenn er das Wort „Auferstehung" nicht auf
die Erweckung am jüngsten Tage bezieht, sondern im übertragenen
Sinne versteht, so verlegt er den Begriff nicht auf das intellektuelle,
sondern auf das moralische Gebiet; Christus nennt sich die Auf-
erstehung, weil er den in Sünden gefallenen Menschen aufrichtet 4).
Eine besondere Hervorhebung oder gar alleinige Betonung der höheren
Erleuchtung, der immateriellen Gnosis, wie der 8. Brief sie hat,
finden wir bei ihm niemals.
4. Stufen der Offenbarung.
Die im 8. Briefe ausgesprochene Unterscheidung des Reiches
Christi oder seiner Lehre und Offenbarung von dem Reiche des
Vaters, im besonderen die Herabsetzung des ersteren ist der 1\.uf-
fasspng des hL Ba,silius fremd, ja sein.em System widersprechend.
Eine Grundanschauung .von ihm ist, dafü alle Offenbarungen Gottes,
in welcher Weise und durch welche Mittel ,sie sich auch äufüern,
durch den Sohn geschehen. Daher geht der Weg jeder Gottes-
erkenntnis für uns durch ihn. ,, Er (der Hl. Geist) zeigt dir das
Bild des Unsichtbaren. In der Anschauung des Bildes siehst. du
dann die unaussprechliche Schönheit des Urbildes" 5). Das ist nicht
1) C. Eun. 2, 17 I p 252C.
2) Horn .. de fide 2 II p 132 A; vgl. Ep 38, 8 III p 121DE; C. Eun. 2, 16 I
p 252 A. 3) C. Eun. 2, 17 I p 252B.
4) C Eun. 2, 16 I p 251A-C; vgl. auch C. Eun. 2, 13 (die letzten Sätze) I
p 2480; C. Eun. 1,26 I p 237BC.
5) De Spir. s. n 38 III p 33A; vgl. Horn. in Ps 32 n 5 I p 137B.
.6) Horn. in Ps 33 n 11 I p 154 D. 7) Horn. 1 in Hex. 1 l p 2 CD.
7
4. Abstufungen der Erkenntnis. Allegorische Exegese. 27
1) Horn. in Ps 33 n 11 I p 154D.
2) Horn. in~- baptisrna 8 II p 122A; Horn. in Gordium rnart. 5 II p 1460;
Horn. quod rnundanis . . . 5 II p 167 B.
S) Horn. quod deus non est . . . 8 II p 80 D; Horn. in illud attende tibiipsi
6 II p 22B; Horn. in Ps 59 n 5 I p 192E.
'> Horn. de grat. act. 2 II p 27 A; ibd. 7 II p 32 D; Prooemium in reg. fus.
tract. 4 II 'p 330 C.
5) Moralia reg. s, 1 II p 240D-241 A.
28 I. Der 8; Brief, nicht ein Werk des· hl. Basi1ius.
.5. Kapitel.
Gottesbegriff.
a) Im 8. Briefe.
Der Gottesbegriff ist in dem 8. Briefe merklich anders als· in
den sonstigen Schriften des . hl. Basilius. Vor . allem fällt es auf,
dara immer eine gewis!:le Neigung besteht, das Prinzip der _Einheit
oder der ·Einfachheit Gottes nach den verschiedensten Seiten hin
besonders hervorzuheben.·
Zunächst wird· Gott an 3 Stellen als lva~ ,eai µov&.~ b.ezeichriet.
An den beiden ersten Stellen handelt es sich um die · himmlische
Seligkeit; sie wird genannt f lv&."o~ xai µov&."o~ {}ewola 1) oder
{}eweeiv 'r:~v lv&.c5a ,eai µov&.c5a TOV Äoyov 2). Beide Male ist die
Wahl ·gerade dieser Bezeichnung für Gott h1 keiner W e.ise durch
den Zusammenhang . und. 0-edarikengang gef01:dert oder auch nur
nahegeiegt. Genauer wird diese Formel erklärt in der Darlegung,
dara die Zahl ganz von Gott auszuschlieraen sei. Da heißt ,es: .Jede
Zabl,bezeichnet die Dinge, deren Natur materiell und umß'renztist.
Die µova~ xai lv&.~ aber. bezeichnet die einfache und unµmgrenzte
. Wesenheit'' 3). Hier weist' also der Ausdruck auf den '.Gegensatz
zu den körperlichen, daher zusammengesetzten, räumlichen/begrenzten
Dingen'. hin. . . .
' Ein zweiter Gedankengang hängt mit dem .Vorstehen.den zu-
sammen. Um dem Vorwurf des Tritheismus zu begegnen, zieht
der Verfasser in ausführlichen Darlegungen ~ine scharfe Grenze ·
zwischen eins der Zahl nach und eins der Natur nach 4). ·. Beide
Ausdrücke schlieraen sich gegens~itig ausi Was eins det Zahl nach .
ist, qas ist in Wirklichk.eit nicht eins und nicht der 'Natur nach
einfach; umgekehrt gilt dasselbe. Welt, .Mensch oder Epgel können
wohl eins der Zahl nach genannt werden, aber nicht eins oder
einfach der Natur nach, weil sie zusammengesetzt sind. Die .Zahl
7
5. Gottesbegriff. 31
ihnen, daß auch sie in uns eins seien, wie ich und du eins sind,
Vater" (frei zitiert) wird erklärt durch den Satz: "Denn da Gott
eins ist, so einigt er alle, indem er in jedem einzelnen wird; und
dann hört die Zahl auf, da die µ01 16.c; eintritt" 1). Das klingt ja wohl
etwas rätselhaft und vieldeutig. Aber von einer rein moralischen
Einheit aller Menschen iiJ der seligen Verbindung mit Gott ist hier
nicht die Rede. · Denn infolge dieser dereinstigen Einigung soll ja
nicht etwa die Sünde aufhören oder das verschiedene Streben,
sondern die Zahl, also etwas, was nicht so sehr die Willensrichtung
der einzelnen Menschen angeht, als vielmehr ihr Wesen, ihr sub-
stanzielles Sein 2). Anscheinend will also der Verfasser sagen, dafü
die Menschen in irgend einer Weise ihr persönliches Einzeldasein
verlieren und alle in dem einen Gott aufgehen werden 3).
b) Bei Basilius.
1. 'Evdc; xat µov6.c;.
Ein solcher Gottesbegriff ist dem hl. Basilius fremd.
"> Die Wortverbindung lvdc; xai µov&c; kommt in seinen Schriften
überhaupt nicht vor. Einzeln gebraucht er diese Worte oder ähn-
liche Bildungen nur dann, wenn der Gedankengang es irgendwie er-
fordert, und dann bezieht er sie auch nicht auf das eine göttliche
Wesen, sondern auf die einzelnen göttlichen Personen, um ihren
Unterschied von den geschöpflichen Ding·en zu betonen. Jede der
Hypostasen sprechen wir µovaxwc; aus 4). Der HI. Geist ist µovalJixwc;
t~ayydl6psvov 5), seine Natur ist µovalJixfJ, weshalb er dem All (wie;
nä.ai, den geschöpflichen Dingen} nicht beigezählt werden kann 6).
„Er ist nicht eines der vielen Dinge, sondern einer. Denn wie ein
Vater und ein Sohn, so ist auch ein HI. Geist; ... dem Vater und
dem Sohne ist er so viel geeint, wie eine .Monas zu einer anderen
Monas zugehörig ist" 7).
•
1) n 7 p 86 D: Et; ro.P. wv 6 {}eo;, lv tx&.anp rw61u110;, fro't wi,, n&.na; • uat
ünol.J.vrnt Ö Ü(!t{}µo;, 1:fi 1:fi,; ftoYai'Jo; Bnti'J'7µ{q.
2) &ei{)µ6; wird mehrmals in dem Briefe gebraucht, um die einzelne Person
selbst zu bezeichnen. So wird z. B. n 2 p 82 B von den Gegnern gesagt:
er nennt den Sohn Gottes oder den HI. Geist eine Zahl oder ein Geschöpf.
S) Damit hängt vielleicht zusammen, daß für den Teufel neben dem Ausdruck
i~faeae 1:fi; önw; (;wi'j; sich auch die Worte finden exneawv 1:fi; µov&.i'Jo;
(n 1O p 8 7 E-88 A). Dieses wird wohl nicht gemeint sein in dem Sinne „er
fiel ab von dem einzigen Wesen", sondern „er fiel aus der Einheit heraus";
die Einheit wäre dann als der Urgrund zu fassen, von dem die Geschöpfe
ausgehen und zu dem sie zurückkehren.
4) De Spir. s. n 44 III p 38 A.
5) Horn. de fide 3 II p 133 A; De Spir. s. u 45 III p 38 C.
6) C. Eun. 3, 7 I p 278 C. 7) De Spir. s. n 45 UI p 38 CD.
32 I. Der 8, Brief, nicht ein Werk des hl. Basilius.
.. Nager, Die Trinitätslehre ... S. 100 fügt dieser Stelle die Worte an:
„Mit anderen.Worten, Vater und Sohn und Hl. Geist bilden zusammen die,,eine
unzertrennbare Monas." Diese Auslegung steht. mit dem Text. in offenkun<tigem
Widerspruch; Basilius bedenkt nicht die gemeinsame göttliche Natur mit dem
Prädikate Monas, sondern jede Person für sich, (Wenn Nager sich dabei auf
Ep 236 1 6 beruft, so ist das einer. der. außerordentlich vielen Druckfehler dieses
Buches; diese Verweisung gehört ~u • dem einige Zeilen weiter beginnenden
Zitat.) Wenn Nager S. 48 Anm. sagt: 11 Monas bezeichnet· die göttliche Natur,
die Gottheit und nicht die Person; es gibt nur eine Monas", so kann er sfoh
dabei mit Recht auf die fragliche Ep 8 berufen; wenn er aber ausser der
Ep 8 auch noch nach Hergenröther (Die. Lehre von der göttl. Dreieinigkeit
nach. Gregor von Naz.) zitiert „Basil. Ep 141 ", so hätte er wohl bemerken
dürfen, daß diese ehemalige Ep 141 nach der. jetzigen Zählung eben jener
8. Brief ist. Diese Unachtsamkeit, den 8. Brief doppelt, nach alter und neuer ·
Zählung, zu zitieren, findet sich auch sonst und erweckt dadurch unberech-
tigterweise den Anschein, als stände der 8. Brief doch nicht so allein da, so
· z. B. bei Scholl, Die Lehre des hl. Basilius von der Gnade S. 160 Anm. 3,
bei .Jackson, St. Basil ... p 278 l note 3 u. a. .
Nur ganz vereinzelt und ganz leise spielt der Begriff Monas
von den einzelnen Perso11en auf die eine göttliche Natur über: "wenn
wir einen Vater };)ekennen _und einen Sohn und eipen HI. Geist,
so wlrd auch in der Trinität das Prinzipder Monas gewahrt werden" 1). '~
Niemals aber gebraucht Basilius eines dieser Wörter sya~ oder.µoYa~
absolut; lediglich zur · Bezeichnung Gottes, ohne Beziehung auf die
Einzigkeit einer Person,· wie es der 8. Brief wiederholt tut 2).
1) C. Eun. 3, 6 I p 277E.
2) H 0m. 9 in Hex, 6 I p 88 BC bezieht sich das Wort gar nicht auf die Ein-
. zigkeit Gottes, sondern bedeutet die· Einzahl, die Singularform des Verbums
in Gen 1, 27 gegenüber Gen 1, 26.
8) C. Eun. 1, 6 I p 217 C. 4) ibd. 217 E-218 A. 5) c: Eun. 1, 7 I p 218 C.
6) Man lese nur z. B. das 18. Kapitel der Schrift De Spir. s. n 44-47 III
p 37 C-40 B oder die Horn. c. Sabellianos . . . II p 189 C-197 A.
5. Gottesbegriff.
irgendwie zu erkennen, daß der Ausdruck eins nicht im gewöhn-
lichen Zahlensinn, sondern in der Bedeutung einfach, eins der Natur
nach, aufgefaßt werden müsse. Auch die Mehrheitszahlen gebraucht
er für die göttlichen Personen. Unbedenklich spricht er immer wieder
von drei Hypostasen, unbedenklich bezeichnet er Vater und Sohn
als zwei 1). Gerade die Erfahrung, daß er sich selbst oft gegen den
Vorwurf des Sabellianisrnus wehren mußte, war ihm gewiß ein
Anlaß, das Prinzip der Einheit in Gott nicht zu überspannen und
die reale Verschiedenheit der göttlichen Personen und die Möglichkeit
ihrer Zählung zu betonen. Dabei unterscheidet er nicht etwa bei
Gott „Idealzahlen" und bei den Geschöpfen „Quantitativzahlen" 2),
sondern zählt auf beiden Seiten in gleicher Weise. Er sagt z. B.
mit Berufung auf Jo 8, 18 folgendes: ,,Zähle, wenn du willst, die
Personen. Ich, sagt er, gebe Zeugnis: einer. Und Zeugnis von mir
gibt der, der mich gesandt hat: zwei." Daran wird der Hinweis auf
die jüdische Vorschrift geschlossen, daß das Zeugnis von zwei Menschen
als wahr gelten solle 3).
Auch auf die eine göttliche Natur wendet Basilius die Zahl
an, ohne irgendwie anzudeuten, daß er hier nur eine „Idealzahl"
gelten lasse etwa im Sinne von einfach oder eins der Natur nach.
Er schreibt nicht nur ohne jede Bemerkung eine Gottheit, eine
Wesenheit, Einheit (ev6r17,;) der Gottheit, Einheit bezüglich der Wesen-
heit usw., sondern er gebraucht auch die Zahl für die göttliche
Natur in derselben Weise wie für die einzelnen Hypostasen: ,,Nach
der Eigentümlichkeit der Hypostasen sind sie (Vater und Sohn) einer
und einer, nach der Gemeinsamkeit der Natur sind beide eines" 4).
„In der Zahl und in den jeden einzelnen bezeichnenden Merkmalen
besteht ein Unterschied, in dem Begriff der Gottheit aber herrscht
die Einheit" 5).
Die Mahnung: ,,Das Unerreichbare sollte am besten über die Zahl er-
haben sein" 6) kann nicht hiergegen ins Feld geführt werden. Denn diese
kurz hingeworfene Äußerung soll lediglich zur Vorsicht mahnen. Es wird ja
auch sogleich beigefügt: ,,Entweder soll das Unaussp_rechliche mit Stillschweigen
geehrt werden oder das Heilige soll richtig (fromm, evoeßwq) gezählt werden."
In der nnn folgenden Ausführung n 45-47 III p 38 A-40 B wird denn
auch die richtige Art, die Zählung auf Gott anzuwenden, in der weitgehendsten
Weise dargelegt.
1) Sogar die Neutrumform r:ela oder Ta /Jvo kommt vor, so De Spir. s. n 38 III
p 32 B; Horn. c. Sabellianos ... 4 II p 193 A.
2) so Schermann oben S. 30 Anm. 1.
B) Horn. c. Sabellianos ... 2 II p 191 A.
4) Do Spir. s. n 45 III p 38 B.
ö) C. Eun. 1, 19 I p 231 C. 6) De Spir. s. n 44 III p 37 E.
M e I c h e r, Der 8. Brief des hl. Basilius. 3
34 I. Der 8. Brief, nicht ein Werk des hl. BasiHus.
6. Kapitel.
Trinitätslebre.
1. Allgemeine Grundzüge.
In der Trii1itätslehre vertritt der Verfasser des 8. Briefes die
orthodoxe Kirchenlehre. Aber bei ihm ist die Färbung in vielen
Punkten anders als beim · hl. Basilius. Diese Abweichungen be-
treffen zwar ganz auseinanderliegende Einzelheiten, sind aber doch
alle im wesentlichen auf eine Verschiedenheit der Grundanschauung
zurückzuführen. ·
In dem Briefe wird das Ursprungsverhältnis der drei göttlichen
Personen zueinander kaum berücksichtigt. Vor den Augen des Ver-
fassers. steht immer die fertige Trinität, die drei Hypostasen, wie sie
nebeneinander, und miteinander bestehen und die göttliche Natur
besitzen. Die Wesensgleichheit von Vater und Sohn und HI. Geist,
ja ihre Wesenseinheit tritt ganz foden Vordergrund. Der Briefschreiber
gebraucht zwar in dieser Beziehung keine Ausdrücke, die für sich
genommen etwa durch ihre Schärfe und Steigerung besonders auf-
fielen. Aber da_s Gesamtbild zeigf doch, dafü die Idee des .Mit-
einander" dei· göttlichen Personen, die Idee der Einheit in Gott dem
Verfasser in Fleisch und Blut übergegangen ist. Auf diesen Ge-
danken kommt er immer \vieder zu sprechen, ihn hat er bis in alle
Konsequenzen hinein durchgedacht, ihn merkt mall durchklingen bei
der Wahl einzelner Ausdrücke, von diesem Standpunkte erklärt er
die strittigen Bibelstell~n, löst er die gegnerischen . Einwürfe und
Schwierigkeiten..
Bei Basilius finden wir ein etwas anderes Gesamtbild.
Meistens wird in Darstellungen .seines Systems großes Gew{cht 'darauf
gelegt, daß er das Verhältnis von Gattung und Individuum herangezogen hat,
um die Lehre von einer Wesenheit und drei Hypoetasen verständlich zu machen_ 1),
Dadurch hat er allerdings der Terminologie feste Bahnen gewiesen. Aber
selbst im 38. Briefe, der für diese Auffassung fast allein in Betracht kommt,
macht er nur ganz vorsichtig und zurückhaltend die Anwendung auf das
göttliche Leben 2), Auch später ist er nur selten und ganz kurz auf diese Er-
klärung zurückgekommen 3). Es war ein neuer Weg, den er gezeigt hat;
aber er hat ihn in Wirklichkeit selbst. niemals eingeschlag_en, um zu einem
Beweise für seine Lehre, zu einer Lösung dunkler Probleme oder zu einer
Widerlegung gegnerischer Einwendungen zu kommen. ·
Der Ausgangspunkt für die trinitarische Auffassung des hl. Basi-
lius lag in dem: Ursprungsverhältnis der drei göttlichen Personen
•
6. Trinitätslehre. 39
wir dem zusammengesetzt, da derjenige. welcher dem Wesen nach
Gott und Vater ist, denjenigen gezeugt hat, welcher dem Wesen
nach Gott und Sohn ist. Denn daraus wird das gleichwesentlich
gezeigt. Derjenige nämlich, welcher dem Wesen nach Gott ist,
ist demjenigen, welcher dem Wesen nach Gott ist, gleichwesentlich" 1).
Das gleichwesentlich ergibt sich also nach dem ersten Satze -
wenn nicht methaphysisch, so doch logisch - aus der rnvr6r171; riji;
<pvaewi;. Es wird im letzten Satze aus der Tatsache hergeleitet,
dafi Vater und Sohn dem Wesen nach Gott sind. Daf.l auch der
Sohn dem Wesen nach Gott ist, scheint nach dem Mittelsatze nicht
als eine Folge der Zeugung gedacht zu sein, sondern als unab-
hängig davon; wenigstens wird die Wfü,enhafte Gottheit des Sohnes
einfach als Tatsache hingestellt ·und nicht etwa auf die Zeugung
zurückgeführt. ..
Über die Ausdrücke ,öµowi; und &v6µowi; stellt der Brief
folgende Sätze bedeutungsvoll an die Spitze: ,,Jedoch wir nennen
gemäf.i der wahren Lehre den Sohn weder ähnlich noch unähnlich
dem Vater. Denn beides ist in gleicher Weise unmöglich. Ähnlich
oder unähnlich wird nämlich verstanden bezüglich der Eigenschaften;
das göttliche Wesen ist aber frei von Eigenschaft" 2). Dem Ver-
fasser scheinen also die genannten Ausdrücke nicht etwa zu viel-
deutig oder zu unbestimmt oder zu schwach, sondern ganz falsch
(&dvvawv); er geht sogar so weit, das öµowi; auf gleiche Stufe zu
stellen mit dem &v6µowi;. Schärfer konnte in jener Zeit ein An-
hänger des Nizänums den Ausdruck wohl nicht verwerfen.
Auch vom HI. Geiste gebraucht der 8. Brief das f>µoovawi;.
Diese Benennung wird begründet mit seiner Nicht-Geschöpflichkeit:
„Nun ist der HI. Geist nicht Geschöpf; wenn er aber nicht Geschöpf
ist, so ist er Gott gleichwesentlich" 3). Positiv wird das gleich-
wesentlich zurückgeführt auf die Einfachheit des HI. Geistes: ,, Wer
ist wohl so unvernünftig, dafü er sagen würde, der HI. Geist sei
zusammengesetzt, sei nicht einfach, sei nicht gemäf.i dem Begriffe
der Einfachheit dem Vater und dem Sohn gleichwesentlich?" 4)
Auch hier fällt wieder die kurze Entschiedenheit des Urteils auf,
die schroffe Stellungnahme gegen Andersdenkende, die sofort mit
dem Prädikat unvernünftig bedacht werden. Als Grund der Gleich-
wesentlichkeit ist hier die Einfachheit genannt; offenbar ist damit
wieder die einfache, von Eigenschaften freie Wesenheit gemeint.
Auch der Ausdruck riji; avriji; cpvaewi; wird für die dritte Person
in ihrem Verhältnis zu den beiden anderen gebraucht 5).
3 p 82 CD.
1) 11 2) n 3 p 82C.
3)n10p87E. 4) 11 10 p 88B. 5) 11 11 p 89 A.
40 I. Der 8. Brief, nicht ein Werk des hl. Basihus.
l) Ep 9, 3 III p 91 A-C; die Stelle Ep .361 III p 463 D scheidet als unecht aus.
2) De Spir. s. n 43 III p. 36E. 3) Ep. 90, 2 III p 182 C.
6. Trinitätslehre. 43
Taufformel. De Spir. s. c. 17)". Der letztere Satz findet sich zwar an der an-
gegebenen Stelle (n 4 3 III p 36 E). Aber der erste Satz findet sich dort nicht,
trotz der Anführung mit „sagt er"; er findet sich auch sonst nirgendwo in den
Schriften des hl. Basilius.
Überhaupt darf man sich nicht irre führen lassen durch Übersetzungen
von Basiliusstellen mit dem ,Worte gleichwesentlich, wie z.B. durch Schermann, Die
Gottheit des HI. Geistes . . . S. 128, wo die Stelle Horn. de fide 3 II p 132 D
mit dem Worte gleich wesentlich zitiert wird; denn im Griechischen steht nicht
oµoovato,;, sondern :n:a1rra fxov avvovatwµevws. Auch Schäfer spricht oft davon,
daß Basilius die Homousie des HI. Geistes gelehrt habe, so z. B. a. o. 0. S. 129
Arim: 1; S. 131 usw.; aber in den von ihm angeführten Stellen wird zwar die
Homousie des Hl. Geistes tatsächlich behauptet, das Wort öµoovaw,; selbst wird
aber nicht für ihn gebraucht.
Der Ausdruck fJ 6µoovawr; T(!tar; kommt in den unzweifelhaft
echten Schriften des hl. Basilius ebenfalls nicht vor, sondern nur in
einigen unter seinem Namen stehenden, kleineren aszetischen Ab-
handlungen 1), deren Echtheit bzw. Unversehrtheit aber sehr ver-
dächtig ist.
3. Die Bezeichnung des HI. Geistes als Gott.
Noch in einem weiteren Punkte zeigt sich deutlich, da& der
Brief die Wesenseinheit in Gott viel entschiedener dur<:hführt, als
Basilius es zu tun pflegt. Der Brief bezeichnet nämlich mehrere
Male und zwar an ganz verschiedenen Stellen den HI. Geist als
Gott. Das geschieht nicht etwa in Formeln oder stehenden Redens-
arten, bei denen man vielleicht an einen Zusatz aus späterer Zeit
denken könnte. Auch geschieht es nicht etwa nebenbei, ohne be-
sondere .Absicht, sondern es bildet geradezu den Gegenstand der
Beweisführung.
Den Irrlehrern gegenüber wird folgendes als Pflicht hin-
gestellt: ,,Man mufi bekennen, da& der Vater Gott ist und der Sohn
Gott und der HI. Geist Gott" 2). In den verschiedensten Gedanken-
gängen und auf Grund mehrerer Bibelstellen wird diese Benennung
verteidigt und wiederholt angewandt, z. B. in folgender Ausführung:
„Jeder Tempel ist ein Tempel Gottes. Wenn wir aber ein Tempel
des HI. Geistes sind (vgl. 1 Cor 6, 19 und 3, 16), so ist also der
HI. Geist Gott. Man spricht indessen auch vom Tempel Salomons,
aber in dem Sinne, dafi er ihn gebaut hat. Wenn wir aber iu
diesem Sinne Tempel des· HI. Geistes sind, dann ist der HI. Geist
Gott. Denn »derjenige, welcher alles erschaffen hat, ist Gott« (Hehr
3, 4). Wenn wir aber (Tempel des HI. Geistes sind) in dem Sinne,
dafi er in uns verehrt wird und in uns wohnt, so wollen wir zu-
1) Da aber auch wiederholt, z. B. Sermo de ascetica disciplina, quomodo mo-
nachum ornari oporteat 1 II p 212 C; De fide 4 II p 228 A.
2) n2 p 81D.
44 I. Der 8. Brie.f, nicht ein Werk des hl. Basilius.
geben, da& er Gott ist; denn ,,den Herrn, deinen Gott sollst du
anbeten und ihm allein dienen« (Mt 4, 10)" 1).
Der Verfasser hat offenbar Gegner im Auge, die an dem
Worte 1?eo; Ansto6 nehmen. Deshalb weist er auf dessen etymo-
logische Bedeutung hin: ,,Wenn sie aber den Ausdruck {h6; zurück-
weisen, so sollen sie wissen, was dieser Name bezeichnet. Gott wird
nämlich so genannt, weil er alles geschaffen hat (rdJwdvat) oder
weil er alles überschaut (i'hiia&at). Wenn nun Gott daher so ge-,-
nannt wird, dar.i er alles geschaffen hat oder alles überschaut, und
wenn der HI. Geist alles, was Gottes ist, erkennt, wie unser Geist
das Unsrige (vgl. 1 Cor 2, 10. 11), dann ist also der Hl. Geist Gott" 2).
Demgegenüber ist schon von jeher die auffallende Tatsache ver-
merkt worden, dafü der hl. Basilius es vermeidet, . dem Hl. Geiste
das Prädikat Gott zu geben 3). An dieser Regel hat er unbedingt
festgehalten, wenigstens in allen Schriften, die wir von ihm kennen.
. Man hat . wohl Ausnahmen davort konstatieren wollen 4), Aber die
Schriften, auf die man sich berief, waren immer nur das .4. und 5. Buch gegen
Eunomi\ls und der Brief 189 (in letzterem steht genau genommen nur Hl -rij,;
{h6-rriw,; övoµa n 7 lII p 281 A), die heute 11llgemein dem .h-1. Basilius abge-
sprochen werden,. und der 8; Brief. Wenn Chr. Pesch, Praelect. dogm. II 4
Freiburg 1914 n 479 sich auch auf Ep 179, 7 beruft, so ist das ein Druckfehler ·
für Ep 189, die eben unecht ist. Wenn er außerdem anführt 1,De Spir. s. c. 19 .
n 48", so können· damit nur die Worte gemeint sein nvev,ua &w6µaa-rat · w,;
nvev,,a 6 {}e6,; (III p 40 D). Indessen muß diese Stelle übersetzt werden: ,,Geist
wird er (der HI. Geist) genannt, wie (es ja auch heißt), Gott ist ein Geist
(Jo 41 24)". Dieses letztere Bibelwort Jo 4, 24 bezieht Basilius auf den Vater
und schließt daraus, daß vom Hl. Geiste dieselben Aussagen gelten wie vom
Vater. Von einer Bezeichnung des,,Hl. Geistes als Gott kann hier also keine
:Rede sein. Vgl. dieselbe Beweisführung C.. Eun. 31 3 I p 274 D..,....275 A. •
Wenn B;asilius den HI. Geist nicht Gott nennt, so kann das
nicht zufällig, sondern mu.fü beabsichtigt sein. Er gebraucht ja vom
Hl. Geiste Ausdrücke wie folgende: göttlich von Natur 5), das Gött-
liche seiner Natur 6), er schliefüt die hl. Dreifaltigkeit ab, ist teilhaftig
der göttlichen und seligen Natur 7), dem Vater und dem Söhne geeint
1) n U p 88DE. 2) n 11 p 88E,
B) Siehe Maran in der Praefatio § 3 III p XI sqq. Ausschließlich mit die-
ser Tatsache und Ihrer Rechtfertigung befaßt sich die Dissertation .von
M. J. G. Werenberg, Prudentia Basilii M:. in refutandis haereticis. Leipzig 1724.
Ein guter Auszug daraus steht bei Johnston, The. book of St. Basil the
Great . . . p XLVII-LIII.
') z. B. Maran in der Vita S. Basilii 43, 7 III p CLXXXVI; Werenberg a, a. 0.
p 16, der das Vorkommen dieses Wortes im 8. Briefe mit dessen früher Ab-
fassungszeit erklären will; Tillemont, Memoires ... IX, 1 p 258; Kranich,
Der hl. Basilius in seiner Stellung zum Filioque S. 20 Anm. 3; Jackson,
St. Basil p XXIII note.8, 5) De Spir. s. u54 III p 46E. 6) C. Eun, 3,4 I p. 275 E.
7) Ep 243j 4 HI p 375 c.
6. Trinitäts! ehre. 45
in allem in ... Herrlichkeit und Gottheit 1). Basilit:is verwirft es, ihn
zu nennen fremd der göttlichen Natur 2), unteilhaftig der Gottheit3).
Er will diejenigen mit dem Banne belegt wissen, welche ihn "von
der göttlichen und seligen Natur ausschliefien" 4), welche ihn "von
der Verbindung mit Vater und Sohn abschneiden" 5). Er sagt: ,,Ich
glaube an Gott Vater ... an Gott Sohn ... an den göttlichen
HI. Geist" 6). Aber das Wort „Gott" will ihm nicht aus der Feder.
Selbst wenn der. Gedankengang und die Beweisführung auf
den Ausdruck "Gott" fast zwingend hinführen, so vermeidet Basilius
ihn doch; lieber nimmt er geradezu gekünstelte Redewendungen
und Gedankensprünge dabei mit in Kauf. Bei der Stelle 1 Cor
3, 16 "Wisset ihr nicht, dafi ihr ein Tempel Gottes seid und dafi
der Geist Gottes in euch wohnt" hätte es doch nahe gelegen, die
Wörter Gott und Geist Gottes zu identifizieren. Aber Basilius
knüpft daran nur die Bemerkung: ,, Wenn also Gott durch den
HI. .Geist in uns wohnt, ist es dann nicht offenbar Gottlosigkeit,
zu behaupten, der HI. Geist sei unteilhaftig der Gottheit?" 7). Ganz
ähnlich vergleicht er in der Erzählung von Ananias und Saphira
Act .5, 9 "den Geist des Herrn versuchen" und Act 5, 4 .• Gott vor-
lügen". Aber auch hier begnügt er sich mit der Wendung, da&
die Sünden gegen den HI. . Geist und gegen Gott also gleich seien,
dafä demnach der HI. Geist nicht vom Vater und vom Sohne
getrennt werden dürfe 8). Eine Reihe von Bibelstellen prefit
Basilius geradezu, um die Bezeichnung „Herr" für den HI. Geist
daraus abzuleiten; andere Schriftworte, aus denen sich das Prädi-
kat „Gott" viel leichter und ungezwungener ergeben würde, zitiert
er zwar, nutzt sie aber nicht aus 9). Wegen dieser Unterlassung er-
fuhr Basilius sogar scharfe Angriffe 10). Aber auch in seinemAntwort-
schreiben läliit er sich das Wort {hoq für den HI. Geist nicht ent-
locken 11). Gregor von Nazianz gibt in seiner groäen Gedächtnis-
rede auf den toten Freund diese Vorsicht unum,vunden zu und
führt die mannigfachsten Gründe dafür an 12).
Gregor macht noch den Zusatz, wenn die umstände es erlaubten, habe
Basilius wiederholt öffentlich und im vertrauten Kreise die Gottheit des
HI. Geistes doch ausgesprochen. Indessen kann man dieser Äußerung, die wohl
gemerkt von dem Rhetor Gregor in einem Panegyrikus gemacht ist, keine ent
scheidende Bedeutung beilegen; .hätte Gregor den 8. Brief gekannt, so würde
die Berufung auf diesen sicher eine wirkungsvollere Abwehr der Angriffe
gewesen seiJI, als der obige Zusatz mit seinen durch nichts belegten· allge-
meinen Redensarten..
Schäfer,Basilius' d. Gr. Beziehungen zum Abendlande S. 4 schreibt,Ep 8 und
Ep189 könnten Basilius nicht angehöwm, weil darin• der HI. Geist Gott genannt sei,
und Gregor von Nazianz hebe Or 43, 68 ausdrücklich hervor, daß Basilius dies
nicht getan habe. Schäfer scheint denoben genanntenZusatz,derOr43, 69steht,über
sehen zu haben; ganz ignorieren kann man diesenZusatz doch nicht ohne weiteres.
Nach Holl, Amphilochius von Ikonium S. 159ff. lag der Differenzpunkt
zwischen Basilius und Gregor lediglich darin, daß Basilius beim HI. Geiste
sich über die Art seines Hervorgehen! nicht zu äußern. wagte. Aber dje Be
richte zeigen, daß es sieb bei Basilius, wie überhaupt in der damaligen Zeit,
gerade immer um das Prädikat {}eo, für den HI. Geist handelte; man vgl. z.B.
die Stellen Gregor Naz. Or 43,68;; Migne P. gr. 36,588 A-B; ibd, n 69 p 589A;
Or 41,6 p 437 AB; ibd. n 7 p 439CD; ibd. n 8 p 440 B; siehe auch die Stelle
im 8. Brief oben S. 44.
Wenn Basilius den HI. Geist nicht Gott genannt hat, so kann diese
Tatsache nicht dadurch erklärt werden, daß das Wort {}eo, als Maskulinform
zu dem Worte nnvµa sprachlich nicht gut p asse; denn die Bezeichnungen
xv e w,, nae&x?. 17 -io, u. ä, bat Basilius oft genug vom · HI. Geiste gebra,ucbt.
Auch kann man, sich nicht, wie die Mauriner es tun (Maran in der Vita
S. Basilii 43, 7 III p CLXXXVI DE), darauf berufen, daß „die Sophistereien
des Eunomius ihm keine Gelegenheit gaben, diesen Ausdruck in der so kurzen
Abhandlung (dem 3. Buch gegen Eunomius) zu gebrauchen". Denn die Kürze
der Abhandlung wäre wirklich kein Grund gewesen, das Wort {}eo, durch ge
künstelte, gezwungene Redewendungen zu umgehen. Außerdem ist der 8. Brief
kaum länger als das 3. Buch gegen Eunomius und ist auch gegen die Sophi
stereien der Arianer gerichtet.
5. D o x o l o gie.
Der Brief gebraucht am Schlusse der Ausführungen folgende
Formel: ,,Nun lasset uns Dank sagen dem Vater und dem Sohne
und dem HI. Geiste und das Schreiben -beschlieraen" 8). Dur�h ihre
Stellung am Schlusse des Briefes bildet sie eine gewisse Doxologie
oder legt mindestens den Gedanken an einen entsprechenden Typus
von Doxologie bei derri Verfasser nahe:
Basilius schliefüt sehr oft seine Predigten und Briefe mit doxo
logischen Redewendungen. Ei· gebraucht stets Formeln, die im
wesentlichen auf den Typus "Ehre sei dem Vater durch den Sohn
1) Einmal wird allerdings dem Vater das l!; o{,, dem Sohne das �,• o{, reser
viert (n 3 p 83 B) ; aber da führt die zitierte Bibelstelle 1 Cor 8, 6 auch
fast mit Notwendigkeit auf diesen Gedanken.
2) z. B. C. Eun. 3, 4 I p 275A-276B.
3) Seebevg, Lehrbuch der Dogmengesch. II2 S. 118. H. Schell, Das Wirken des
dreieinigen Gottes Mainz 1885 S. 92-96 zeigt, wie Basilius den einzelnen
göttli_chen Personen Werke beilegt, die sowohl ihrer persönlichen Eigenart,
wie auch ihrer göttlichen Würde entsprechen; er gebraucht aber das 4. und
5. Buch . gegen Eunomius als echt._
4) z. B. Horn. in Ps 32 n 4 I p 135E-136B.
o) De Spir. s. n 37 III p 31 C.
6) C. Eun. 3, 4 I p 275 D; De Spir, s. n 37 III p 31 B.
7) z. B. De Spir. s. n 38 III p 31 DE; ferner Ep 38, 4 III p 117 DE; Horn. de
fide 2 II p 131 E-132D. Siehe auch Schermann, Die Gottheit des HI. Geistes ...
S. 115-132; er verwertet fälschlicherweise immer den Brief 189 als echt.
8) n 12 p 90A.
i. ber 8. Brief, .nicht ein Werk des hl. Basilius•
. im HI. ·Geiste" zurückgehen oder_. auf die von ihm selbst in den
kirchlichen · Gebraucl:i ._ eingeführte oder · mindestens . sehr gefördertA ·
Form „mit dem Sohne immt dem HI. Geiste", deren Verteidigung
gegen erhobene Angriffe den eigentlichen Zweck seiner Schrift über
den HI. Geist bildete.
Dagegen eine Doxologie mit einfacher Nebeneinanderstellung
der göttlichen Personen hat er niemals; Das 'ist um so auffallender,
als seine dogmatischen Ausführungen eine solche Formel geradezu
verteidigen: ,,Wenn jemand in den Doxologien die Nam:en mit der
Silbe. "al verknüpfen will und, wie wir es in den Evangelien bei der
Taufe gehört haben, den Vater und den Sohn und den HI. . Geist
yerherrlichen (~o~&Ceiv) will, so mag das geschehen, niemand ·wird
widersprechen" 1). Er geht wiederholt auf die Taufformel und den
darln ausgesprochenen. Glauben ein und schliefüt dann: "Wir
müssen . . . lobpreisen, wie wir geglaubt haben, den Vater und <len
'Sohn und den HI. Geist~ 2). Eine solche "Weise der Doxologie·"
darf man nicht verwerfen 3). Trotzdem· hat er selbst eine solche
Schlufüformel nie gebraucht, obwohl seine Doxologien sonst die
gröfüte Mannigfaltigkeit aufweisen.
Jo 14, 28 „Der Vater ist gröfüer als ich" war-immer eine der
Hauptwaffen im Arsenal der Arianer. Der Briefschreiber bedient
sich bei Behandlung dieser Stelle zunächst eines von manchen
Kirchenvätern angewandten argumentum ad hominem, indem er
sagt, die Vergleichung des Vaters und des Sohnes zeige eigentlich
schon ihre Gleichwesentlichkeit; denn ganz verschiedene Dinge könne
man nicht miteinander vergleichen. Sodann aber sieht er von der
göttlichen Natur Christi ganz ab und verweist auf die Zeit seines
Erdenlebens: "Was ist es denn zu verwundern, wenn er den Vater
gröfüer nennt als er selbst ist, da er Logos ist und Fleisch ge-
worden ist? . • . Deshalb ist der Sohn geringer als der Vater,
weil er deinetwegen tot geworden ist" 1). ·
Basilius behandelt die Stelle mit allem Vorbedacht in langer
Beweisführung, der man anmerkt, welch grofüe Bedeutung dieser
Vorwurf hatte. Immer wieder erinnert er an das Vaterverhältnis,
das jede wesentliche Verschiedenheit ausschliefüe. Dann weist er
nach, dafü das „gröfüer" sich nicht auf Macht oder Würde oder
körperliche l\fasse heziehen könne und schliefüt daraus: ,,Folglich
bleibt nur übrig, dafü das gröfüer hier nach dem Begriffe der Ur-
sache gemeint ist. Denn da der Sohn vom Vater den Ursprung
(&ex~) hat, so ist der Vater in dieser Beziehung, als ursächlich und
Ursprung (al:no~ ,eal &ex~) gröfüer" 2). Ähnliche Gedanken finden
sich oft bei Basilius; nennt er doch den Sohn sogar .,,dem Vater
nachstehend in der Ordnung, weil er von jenem ist, und an Würde,
weil jener Ursprung und Ursache ist" 3).
Zu Prov 8, 22 „Der ß:err schuf mich als Anfang seiner Wege"
macht der Brief die Bemerkung: "Er ist nicht dem Wesen nach
Geschöpf, sondern gemäfü der Heilsveranstaltung ist er Weg ge-
worden; denn das ;geworden sein' und das ,geschaffen sein' be-
deuten dasselbe" 4).
Basilius hat eine solche Erklärung nicht. Einmal streift er
diese Stelle nur, ohne ihren Mifübrauch durch die Arianer zu er-
wähnen. Er findet darin ausgedrückt, daß die Weisheit, die sich
in der Ordnung der geschaffenen Dinge kundgebe, von Gott aus-
gegangen sei und nicht von selbst den Dingen innewohne 5). Ein
anderes Mal dagegen behandelt es dieses Schriftwort als Einwurf
der Arianer in aller Ausführlichkeit 6). Er betont zunächst, der
betont sofort, dafü der wahren Weisheit und dem Schöpfer aller
Dinge nichts verborgen sein könne. Er sieht in dieser Redeweise
des Herrn eine Rücksichtnahme auf die Schwäche der Menschen,
ein „Haushalten", eine „vorgeschützte Unwissenheit" 1). Christus
habe seine Kenntnis verschwiegen, damit nicht die Sünder bei der
Kürze der Zeit verzweifelten oder die Guten bei längerer Zeit mut- .
los würden.
Von Basilius besitzen wir über diesen Gegenstand eine recht
ausführliche Abhandlung in seinem 236. Briefe 2). Über den Ausweg,
die Unkenntnis des Herrn auf seinen menschlichen Lebenswandel
zu beziehen, sagt er: ,,So wird auch hier einer, der die Unwissen-
heit auf den bezieht, der· alles infolge. der Menschwerdung auf sich
nahm, . . . die fromme Auffassung nicht verlassen" 3). Aber seine
eigene Meinung ist anders. Nach Berufung auf Mc 10, 18 und Mt
11, 27 sagt er: ,, So ist nach meiner Meinung auch der Ausspruch
„niemand weif.i« gesagt worden, um die erste Kenntnis ... auf
den Vater zurückzuführen und in allen ·Dingen den Menschen die
erste Ursache zu zeigen" 4). ,, Die Ursache der Kenntnis des Sohnes
geht vom · Vater aus; . . . denn vom Vater ist ihm die Kenntnis
geworden" 5). Dabei betont Basilius . zu Anfang der Abhandlung:
„Was ich von Jugend an von den Vätern gehört und aus Liebe
zum Guten ohne Schwanken angenommen habe, das will ich sagen" 6J.
Damit ist nicht gut zusammenzureimen, dafü erfrüher, im 8. Briefe,
eine ganz andere Auffassung sollte vertreten haben. Vielleicht ist
es immerhin bemerkenswert, dafü Gregor von Nazianz, da er über
das Nichtwissen Christi spricht, die beiden Lösungen aus dem 236.
Briefe des hl. Basilius anführt, die Erklärµng, wie der 8. · Brief sie .
bietet, aber nicht hat 7).
· 1) n 6 p 84E.
2) VgL dazu E. Schulte, Die Entwicklung der Lehre vom menschlichen Wissen
Christi bis- zum· Beginn der Scholastik. (Forsch. zur christl. Lit. u. Dogmen-
gesch. XII, 2.) Paderborn 1914 S. 49-51. 3) n 1 III p 361 CD.
•) III p 361 AR 5) n 2 III p 362 C; ähnliche Gedanken bat er bei der Er-
klärung von Js 40, 13: De Spir. s. n 7 III p 7 A--"C. 6) n 1 III p 360 E
7) Gregor N'az. Or · 30, 15 ~16; Migne P. gr. 36, 124-126.
ll.
6. Trinitätslehre. 53
nicht der Natur riach einfach. Gott aber ist, wie von allen zugegeben
wird, einfach und unzusammengesetzt. Also ist Gott nicht eins der
Zahl nach .•. ,. Wenn wir riun ·... sagen, daf.i Gott eins der Natur
nach ist, wie legen sie dann uns die Zahl bei, da wir doch dieselbe
gänzlich von jener seligen und geistigen Natur ausschließen" 1)?
Über angeblichen Tritheismus hat Basilius wiederholt gesprochen.
Oft haben ihm seine Gegner diesen Vorwurf gemacht, wohl in. dem.
Sinne, daß seine Trinitätslehre folgerichtig auf drei Götter. hinaus-
komme; oft hat er sich auch selbst diesen Einwurf gemar.ht, um
daran sogleich ,seine Entgegnung zu knüpfen. Nur selten ist er
einPr eigentlichen Lösung der Schwierigkeitaus dem Wege gegailgen 2), ~
meistens hat er dem Vorwurf klar ins Auge geschaut und eine
Widerlegung versucht. Niemals findet er diese Widerlegung in jener
seltsamen Ansicht, daß die Bezeichnung eins nur im Sinne von eins
der Natur nach und nicht im Sinne von eins der Zahl nach
auf Gott angewandt werden könne. Er geht andere Wege. Immer
wieder kommt er irgendwie darauf hinaus, daß Sohn und HI. Geist
ihren Ursprung aus dem Vater hätten. Dieser quellenhafte Charakter
des Vaters verbürgt ihm die unzertrennliche Verbindung .der Per-
sonen und ihre Einheit in einer Gottheit.
Während Holl hierin nur einen „subsidiären Gedanken" siehtS), findet
Harnack richtiger, daß dieses bei Basilius ein „Grundpfeiler der Spekulation"
ist; ,,die Einheit Gottes ist hier. nicht allein durch die Hombusie getragen,
sondern im letzten Grunde, wie, bei Arius, auch durch die Monarchie des
Vaters" 4), Schermann stellt als Ansicht des hl. Basilius hin: ,,Eine unter-
schiedslose Mehrzahl stört die Einheit, ein sich gegenseitig bedingender, voraus-
setzender, einschließender und her.vorbringender Unterschied der Personen
stärkt die Einheit"•).
Gewiß beruftsich Basilius gegenüber dem Vorwurf des Polytheis-
rrms darauf, daß .der Sohn mit dem Vater Gleichheit (Identität,
wvr6r17~) hat", daß .in beiden die Wesenheit eine ist" 6). Aber
diese Gleichheit wird zurückgeführt auf den Ursprung der z,veiten und
dritten aus der ersten Person: .Nicht zwei Götter; denn es sind ja auch
nicht zwei Väter. Wer zwei ursprüngliche Wesen (aexat) behauptet,
der lehrt zwei Götter . . . Wo das ursprüngliche Wesen eines ist µnd
das,- was aus ihm ist, auch eines, ferner wo das Urbild eines ist
und das Abbild eines: da wird der Begriff der Einheit nicht zerstört" 7).
1) n 2 p 81D-82C.
2) So z. B. Ep 131, 2 III p 224D; Horn. 9 in Hex. 6 I p 880.
S) Amphilochius von Ikonium ... S. 145.
4) Lehrbuch der· Dogmengesch. II 4 S. 266.
5) Die Gottheit des HI. Geistes . . . S. 105. Dieser Satz ist übrigens wörtlich
entnommen aus H. Schell, Das Wirken des dreieinigen Gottes. Mainz 1885 S. 159,
ohne daß die Entlehnung bei Schermann irgendwie kenntlich gemacht ist.
6) Horn. c. Sabellianos ... 3 II p 191 DE. 7) Jbd. n 4 II p .192 A-C:
54 I. Der 8. Brief, nicht ein Werk des hl. Basilius.
7. Kapitel.
Sprachliche Verschiedenheiten.
Auch einige Abweichungen im Sprachgebrauch, die nicht aus
dogmatischen Gründen hervorzugehen scheinen, sind immerhin der
Beachtung wert.
· Der 8. Brief bezeichnet den HI. Geist als Finger Gottes 11).
Diese Benennung wird hergeleitet aus den Parallelstellen Lc 11, 20
1) n 11 p 88D.
· 2) Gegen die Echtheit dieser beiden Briefe 261 u. 262 kalin ich gewisse Be-
denken nicht unterdrücken. .
3) Coptic Homilies in the dialect of Upper Egypt ... ed. by E. A .. W. Budge,
London 1910 p 257. 4) n 6 p 84E; n 10 p 87E;n 10 p 88A.
5) Siehe z. B.Horn..quöd deus non est auctor inalorum II p 72-83; Horn. de
invidia II p 91-97.
6) Siehe H. Stephimus, Thesaurus linguae Graecae II3 Paris 1833 p 1109;
W. Pape, Handwörterb. der griech. Sprache I � Braunschweig 1864 S, 493.
7. Sprachliche Verschiedenheiten. 57
englische Würde von sich geworfen hatte, ano roii ,e6nov WVOflO.cd)17 r)laßolor;" 1).
Wenn man lhaßo?.or; auf 15wß6).2w in der Bedeutung anklagen, verleumden,
schmähen zurückführt, so hat die ganze Auseinandersetzung keinen logischen
Gedankengang; denn der Vordersatz (wie auch der Nachsatz) sprechen nicht
von Verleumdung, Anklage oder dgl., sondern von Veränderung, Umwandlung,
Abfall. Daher muß blaßo?.or; hier wohl als Überläufer gefaßt werden. Vielleicht
könnte man ,e6nor; dan� nicht als Sitte, Charakter verstehen, sondern als
eine ungewöhnliche Form für ,eon� = Änderung, besonders da vorher dem Teufel
eine ,eem;� ovala zugeschrieben wird.
Basilius führt biaßo).oc; natürlich auch auf l5wß6.).).w zurück,
nimmt aber dieses Wort, wie man allgemein zu tun pflegte, im
Sinne von verleumden oder anklagen 2).
Vvenn auch zugegeben werden muß, daß die sprachliche Dar
stellung in einem Schriftstück vielfach von den besonderen Umständen
der Abfassung abhängt, so läßt sich doch nicht verkennen, daß die
Ausdrucksweise in dem Briefe an manchen Stellen sehr stark von
der Schreibweise des hl. Basilius absticht. Zu den Bibelstellen 1 Cor
8, 5. 6. zu Mc 13, 32 und zu 1 Cor 15, 28 hat der Brief so ver
stiegene, phantastische Gedanken, in einer trotz aller sprachlichen
Glätte doch so unübersichtlichen Darstellungsweise, daß die stets
klare, nüchterne, verstandesrnäfüge Schreibweise des hl. Basilius in
starkem Gegensatz dazu steht.
Besonders zeigt sich dieser Unterschied in der Verwendung
der Bibel. Der Briefschreiber verwebt, wie es allerdings manche
seiner Zeitgenossen tun, biblische Worte und Sätze in reichstem
Maße in seine eigenen Darlegungen. Dabei löst er die Bibelstellen
oft ganz von i�rer ursprünglichen Bedeutung los und wendet sie
auf seine eigenen Lebensverhältnisse an, oft auf Begriffe, die dem
ursprünglichen Sinn sehr fern liegen.
Einige Beispiele seien angeführt. Die Apostel werden genannt „gereinigt
von dem Worte", vgl. Jo 15, 3 3), die Gegner sind „hartherzige und unbe
schnittene Menschen", vgl. Act 7, 514) oder werden bezeichnet als Philister, die
die Brunnen verschütten und das Reine der gläubigen Erkenntnis be
schmutzen und den Schafen verwehren, aus dem reinen Wasser zu trinken,
vgl. Gen 26, 1 4. 15 5). Die Brüder heißen „tönerne Gefäße, die. den Schatz
Gottes enthalten", vgl. 2 Co.r 4, 7 6). Sein Freund Gr„gor ist ein „Gefäß der
Auserwählung", vgl. Act 9, 15, ein „tiefer Brunnen", vgl. Jo 4, 11, ein „Laban,
der mich von diesem Esau befreit", vgl. Gen 27, 41- 45 7). Auf Gleichni;,se
Christi wird wiederholt angespielt: ,,Dieses alles nahm er (Christus) auf sich,
... damit er das verlorene Schaf wiedergewinne und das gewonnene wieder
(unter die Herde) mische, und damit er den, der von Jerusalem nach Jericho
gegangen und daher unter die Räuber gefallen war·, gesund in sein eigenes
Vaterland zurückführe" 8). Ähnlich wird das Gleichnis vom bittenden Freunde
verwertet 9) und die Gleichnisse von den Talenten und vom Säemanne lO), Seine
Flucht schildert der Briefschreiber mit den Worten des Psalmisten aus Ps
54, 81), die Erleuchtung des Verstandes mit Worten aus Ps 17, 34, die vom
Könige handeln 2).
Diese Art der Bibelverwendung ist bei Basilius aufüerordentlich
selten. Bibelstellen führt er gewöhnlich wörtlich an und macht
sie als Zitat. ausdrücklich kenntlich. Daf.i er qie Schrifttexte in seine
eigenen Worte hinein verflechtet, kommt nur sehr selten vor, und dann
fast nur bei den gebräuchlichsten Schriftworten, etwa bei Versen
aus dem Johannesprolog oder bei Phil 2, 5-7 oder bei Hebr 1, 3 u.ä.
Wenn Basilius einmal geistreiche Andeutungen und Anspielungen
hat, so .. beziehen sich diese nicht auf die Bibel, und sie finden
sich fast nur in Briefen an Sophisten oder weltliche Standes-
personen 3). Wir haben bei Basilius keinen Brief und keine Pre-
digt, die in so überraschend kühner und freier Weise die Schrift-
texte verwendet, wie es der 8. Brief in recht ausgiebigem Maf.ie tut.
Man könnte bezüglich der Bibelbenutzung versueht sein, eine Abweichung
des 8. Briefes von den echten Werken des hl. Basilius zu konstatieren, indem
man etwa schließen würde:. Der Brief enthalte die Bemerkung: ,,Der weise
Salomon ... führt uns ... das aus Wachs gebildete Werk der weisen Biene
vor4)." Der Briefschreiber könne hier nur Ecclus 11, 3 im Auge haben, er
schreibe also das Buch Ecclesiasticus dem Salomon zu, während Basilius dieses
nicht tue, obwohl er das Buch oft zitiere.
Indessen würde eine solche Schlußfolgerung nicht stichhaltig sein, denn
in dem LXX-Texte steht ein Vers Prov 6, Sb, der im Hebräischen fehlt: ,,Oder
gehe zur Biene und lerne, wie arbeitsam sie ist und wie sie ihr Werk herr-
lich bereitet". Wahrscheinlich hat der Briefschreiber diese Stelle im Auge
gehabt und nicht Ecclus 11, 3, da er llnmittelbar vorher „die Ameise, die
untadelige Arbeiterin" als von Salomon erwähnt, anführt, womit unzweifelhaft
Prov 6, 6-Sa gemeint ist. Das Buch der Sprichwörter hat aber auch Basilius
immer dem Salomon zugeschrieben, so daß sich hieraus eine Differenz gegen-
über dem 8. Briefe nicht ergibt.
8. Kapitel.
Datierung des Briefes.
Die Mauriner haben den 8. Brief in die erste Zeit des Aszeten-
tumes des hl. Basilius verwiesen. Die Abweichungen von den
späteren Werken des Kirchenvaters hat man dann vielfach mit dem
grof.ien Zeitabstand zu erklären versucht.
Indessen macht der Brief keineswegs den Eindruck eines Erst..:
lingswerkes. In dogmatischer Beziehung herrscht kein· mühsames
aber auch die andern Formeln zugelassen; er hätte auf den HI.
Geist das Wort „gleich wesentlich" und das Prädikat „Gott" zuerst
angewandt, später aber geflissentlich rermieden; er hätte zu Anfang
seines Wirkens die Wesenseinheit der drei Personen bis in alle Einzel.:
heilen durchgedacht und durchgeführt, später dagegen das Ursprungs-
verhältnis' viel mehr in den Vordergrund geschoben. Tatsächlich
ist aber der Verlauf bei Basilius wie überhaupt bei den Kappadoziern
und den ihnen geistesverwandten Kirchenvätern umgekehrt gmvesen 1).
Außerdem paßt der Brief in mancher Beziehung eher in die letzten
Jahrzehnte des 4. Jahrhunderts als etwa um das Jahr 360. Die Andeutungen
über die Lage auf dem Schauplatz der theologischen Kämpfe ermöglichen
allerdings in diesem Punkte keinen sicheren Schluß. Denn. wenn die Rede ist
von Streitigkeiten über gezeugt und ungezeugt, über ähnlich und 'unähnlich,
-über die Ewig)reit des Sohnes, Gottes usw., so läßt das doch ziemlich freien
Spielraum etwa zwischen 350 und 400. (Die weitläufige Behandlung der Lehre
vom HI. Geüi't würde allerdings schlecht zu einem frühen Termin innerhalb
dieser Grenzen passen.)
Aber andere Punkte sprechen eher für eine Entstehung gegen Ende des
4. Jahrhunderts als um die Mitte desselben. Eine Doxologie von dem ange-
deuteten Typus wäre lange vor 400, etwa um 360, eine große Seltenheit 2).
Auch d,ie ganze Färbung der Trinitätslehre paßt viel eher in die Zeit
von 380-400.als zwei Jahrzehnte früher.· Die dem hl. Basilius gleichzeitigen
Väter haben auch exegetische Lösungen, dogmatische Auffassungen und sprach-
liche Wendungen, die der Brief hat, aber nur vereinzelt. Der Brief dagegen
weist ausnahmslos in allen Einzelheiten einen Standpunkt auf, der ehva dem
Jahre 400 enlspricht. Ein Beispiel: Jo 14, 28 wird, wie im 8. Briefe, so auch
im (unechten) 4. Buch des hl. Basilius gegen Eunomius vom inner:göttlichen
Leben ausgeschlossen. Auf Grund dieser Schrifterklärung urteilt F. X. Funk B),
daß das 4. Buch einer späteren Zeit angehören müsse, als etwa die Schrift des
hl. Basilius über den Hl. Geist.
Die Bezeichnung IlavJ.o, o äyw,; findet sich, wie 'F. X. Kraus urteilt,
„seit dem Ende des 4. Jahrhunderts etwa" 1 ). Auch Gregor von Nazianz und
Gregor von Nyssa haben diese Redeweise nur ganz vereinzelt.
Die Benimhung des HI. Geistes als Finger Gottes kommt um die Mitte
des 4. Jahrhunderts noch n!c;ht vor 0 ).
Der Brief kann also kein Erstlingsversuch des hl. Basilius sein.
Ihn einem späteren Lebensabschnitt des Kirchenvaters zuzuweisen,
wird durch die Abweichungen von seinen vielen, dann gleichzeitigen
Schriften verboten. Der Brief muß also einem andern Verfasser
gegen Ende des 4. Jahrhunderts angehören.
9. Kapitel.
Abhängigkeit des Briefes von Origenes 1).
Schon aus der bisherigen Darstellung geht hervor, dafü 1nanche
eigenartige Gedanken, die der Brief enthält, auf Origenes zurück-
weisen. J)ie Trinitätslehre macht hiervon· eine Ausnahme insofern,
als sich von den subordinatianischen Ansichten des großen Alexan-
driners im Briefe auch nicht eine Spur findet 2 ). Aber die anderen
Ideen, die im 8. Briefe auffallen, finden wir bei Origenes wieder,
so die starke Hervorhebung der Erkenntnis, die alle anderen Seiten
des religiösen Lebens zurückdrängt, die Freude an der auf dem
Glauben sich aufbauenden Spekulation, den erniedrigenden Einfluß
der Sinnlichkeit auf das Geiste:3Jeben, die Unterscheidung zwischen
niederer Erkenntnis für die gro.füe Menge und höherer Gnosis für
die Vollkommenen, die allegorische Bibelerklärung, die allseitige
Betonung der Einfachheit und Einheit Gottes.
An Einzelheiten sei folgendes angeführt 3).
Der Brief nennt den Himmel die wahre Erkenntnis der
Dinge 4), die genaue Erfassung der Gedanken Gottes 5); der Empfang
der Eucharistie bereitet vor auf die Erkenntnis der jetzigen Dinge 6).
Origenes stellt i rnmer die IMcenn tnis der Dinge in den Vorcler-
grund 7). Wenn er ein langes Kapitel schreibt „Über das Verhei.füene" 8),
1) Nur für besondere Einzelheiten führe ich die Belegstellen aus Origenes an.
Fiir die mehr allgemeinen Grundlagen seines Lehrsystems verweise ich. auf
eine der folgenden DarsteÜungen: Seeberg, Lehrbuch d. Dogmengesch. I 2
S. 406-455, wo sehr gut die leitenden Ideen im Systenr,deS' Origenes äuf-
gedeckt sind. Bardcnhewer, Gesch. der altkirchl. Lit. 112 S. 68-158. Har-
nack, Lehrbuch der Dogmengesch. 14 S. 650-697. L. Atzberger, Gesch. der
christl. Eschatologie, Freiburg 1896 S. 366-456. E. R. Redepenning, Ori-
genes I und II. Bonn 1841 und 1846.
2) Das mag damit zusammenhängen, daß man damals den Begriff des Dogmas
im strengen Sinne auf Trinitätslehre und Christologie beschränkte, dagegen
in anderen Lehrpunkten der Spekulation viel mehr Freiheit lit:iß; siehe dazu
Diekamp, Die Gotteslehre des hl. Gregor von Nyssa S. 32.
3) Ich zitiere nach der Berliner Kirchenväter,- Ausgabe (Die griech. christl.
Schriftsteller der ersten drei Jahrh.): Origenes Werke. Bd. 1-6. Leipzig
1899-1920 (kurz als GCS bezeichnet). Die in dieser Sammlung noch nicht
erschienenen Schriften zitiere ich nach Migne P. gr. 11-17.
4) n 12 p 89 B. 5) n 7 p 85 B. 6) n 4 p 84 A.
7) vgl. Seeberg a. a. O. Sc 414. 8) De princ. 2, 11 GCS 5 S. 183-192,
62 1. Der 8. Brief, nicht ein Werk des hl. Basilius.
1) ibd. S. 386-387. .
2) Iri Matth. comm. series 85; Migne P. gr. 13, 1734 B.
B) In Num. Horn. 16 1 9; Migne P. gr. 12, 701 B.
4) In Matth. comm series 85; Migne P. gr. 13 1 1735 A.
5) Comm. in Matth. tom. 16,7; Migne.P. gr. 13, 1385B-1388A.
6) n 4 p 84 A. Harnack a. a. 0. S. 459 hat diesen Satz schon als „echt ori-
genistisch" bezeichnet; ähnlich Batiffol a. a. 0. S. 258.
7) Harnack a. a, 0. S. 663. . S) ebenda S. 666.
9) De princ. I c 1, 6 GCS 6 S. 21.
10) In 1. regn. Horn. 11 4; Migne P. gr. 12, 999A.
11) De princ. II c 1, 1 GCS 6 S. 107,
12) Comm. in Oseam; Migne P. gr. 13,828 C.
lS) Comm. in epist. ad Rom. 7, 7; Migne P. gr. 14, 1123AB.
64 I. Der 8. Brief, nicht ein Werk des hl. Basilius.
1) Or 3, 2 Migne P. gr. 35, 520A; Or 38, 6; Migne P. gr. 36, 317 A; Or 42 1 10;
Migne P. gr. 36,469 C.
2) Or 42, 1; Migue P. gr. 36, 457 A. 3) Or 22, 8; Migne P. g\'· 35, 1140 C.
4) Or 26, 14; Migne P. gr. 35, 1248 A. •) Or 38, 6; Migne P. gr. 36, 317 A.
6) Or 33, 11; Migne P. gr. 36 1 228 C; vgl. den ganzen Abschnitt n 6-11
p 221-228.
5•
68 I. Der 8. Brief, nicht ein Werk des hl. tlasiHus.
Auch der Satzbau ist bei Gregor über einen recht langen Raum mit
Einschluß der Parallelstelle vollständig glatt und flüssjg durchgeführt. Das
ist nicht zu verwundern bei einem Redner, von dem es heißt, daß ,;die Har-
monie des Satzbaues die Signatur seines Stiles" sei 1). Die. einzelnen Satzteile
des ganzen Abschnittes beginnen folgendermaßen: ,,Nimm an die Empfängnis
... achte die Volkszählung ... verehre die Geburt ... preise Bethlehem .. .
verehre die Krippe ... erkenne den Eigentümer ... eile mit dem Sterne .. .
opfere mit den Weisen ... bete an mit den Hirten usw." Der Satzbau des
Briefes macht dagegen an der fraglichen Stelle einen gewaltsamen Sprung:
,,Alles dieses duldete er ... ; damit er .. rettete und ... hinbrächte ..• und
... zurückführte ... oder wird ihm der Häretiker auch die Krippe vorwerfen?"
Der folgende Gedanke ist dann allerdings dem letzten ganz ähnlich: ,,Und
wird er ihm die Armut vorwerfen?" Aber es ist bekanntlich leichter, einem
abgeschriebenen Sa:tzt einen zweiten, ähnlich lautenden anzufügen, als einem
abgeschriebenen Satze viele andere, nach Inhalt und ,Form ähnliche Wendungen
vorauszuschicken und anzuschließen, so daß der abgeschriebene Teil doch,
genau an seinem ihm zukommenden Platze steht. So läßt atich der Satzbau
es als wahrscheinlicher gelten, daß der Verfasser des Briefes· der Abschreiber ist
Die zweite Satzhälfte "durch welche du, ohne Logos seiend,
vom Logos genährt wurdest", enthält einen Gedanken, der bei
Gregor wieder vollständig zu dem Gedankengang der Rede paßt.
Bei jedem Ereignis aus der Kindheit Jesu ·nennt Gregor die. Wohl-
tat, die uns daraus erwachsen ist. Er erinnert daran ---e um nur
die unmittelbar v~rhergehenden Sätze zu nennen - , dafi wir durch
die Volkszählung dem Himmel beigezählt sind, durch die Geburt
Jesu von, den Fesseln irdischer Geburt befreit sind, durch das kleine
Bethlehem in das Paradies zurückgeführt sind, dm-eh die Krippe
vom Logos genährt werden. Beim 8. Briefe vermi.ffit man eine so
klare, harmonische Verbindung der Gedanken 2).
Die merkwürdige Gegenüberstellung ä).oyo,;-{m:o roii Äoyov (ohne
Logos seiend - vom Logos genährt werden) mufä ganz,besonders als
ursprürigliches gregorianisches Gut angesehen werden. Der Gebrauch
von Antithesen war damals allerdings ein allgemein übliches Mittel
der Redekunst. Aber als Eigenart Gregors ist es anzusprechen, dara
er mit besonderer Vorli.ebe Begriffe gegenüberstellt, die durch gleich
klingende oder ähnlich klingende Wörter ausgedrückt sind 3). Auch
mit Wortbildungen vom Stamme ).6yo,; macht er häufig solche
Wortspiele 4). Für die in der Parallelstelle vorkommende Antithese
1) So E. Norden, Die antike Kunstprosa. Leipzig 1915 I 3. Abdr. S. 565f.
2) Diesen Satz nach der Fassung des 8. Briefes hat E. Schulte (Die Entwicklung der
Lehre vom ·menschl. Wissen Christi bis zuin Beginn der Si)holastik. Forsch
zur christl. Lit. und Dogmengesch. XII, 2. Paderborn 1914 S. 48) dahin ver~
standen, daß JesuR, in der Krippe vernunftlos, vom Logos sei genährt worden.
Siehe dagegen Fr. Diekani.p, Theol. Revue Bd. 14 Jahrg. 1915 Sp. 107 u. 233.
a) Siehe die Belegstellen dazu bei M. Guignet, St. Gregoire de Nazianze et la
rhetorique. Paris 1911 p 95-104.
') Guignet a. a; O. p 103-104 führt 14 solcher Beispiele an.
70 I. Der 8, Brief, nicht ein Werk des hl. :Basilius.
von äloyor; und 26yor; finde ich bei Gregor noch 4 andere Belege 1).
Auch der Parallelstelle selbst gehen eine Reihe solcher Redeformen
,:, , :, :, ·, :, , , (X
voraus: anoyempYJ -- Etr; oveavovr; eyemptJr;; yeVVYJmr; etarov-,l1 -
{uaµot rfjq yevv1aewr;; BYJ{}Ädft :nae&.betaor;; tiloyor; - 26yor;.
4. Ep 8,5 p _84D Gregor0r38,14;MigneP.gr.36,3280
Wonee äv -et'· n~ xai i-OV el µ1'} xai i-Ov
, . - O'l:t
'. CJ.t'l:trpxo,
tO.'l:(!OV
~
l'1.-reOv· ai-ruj;fr& -it~, ön
ovynV111:wv Sni -rO. n&.D11 avyxvnut eni -,;a n&.frn
-,;ijq livawli ta; avvanoJ.avn. xal, livnwlita, &vsvrnt;
Gregor hat hier folgenden Gedankengang. Man darf keinen
Anstofü daran nehmen, wenn der Herr· seinen Jüngern die Füfüe
wäscht, wenn er sich zu den niedergebeugten Seelen herabläßt,
wenn er sich mit, den Zöllnern abgibt, wie sich ja auch der Arzt
zum Kranken niederbeugt oder der Mensch sich über den Brunnen
bückt, wenn ein Schaf hineingefallen ist. Alle fünf Beispiele geben
dieselbe Vorstellung, dasselbe Bild des Bückens, des Niederbeugens,
des geistigen oder körperlichen Herablassens wieder.
Eine so schön durchgeführte, einheitliche Vorstellung liegt in
dem Briefe nicht vor. Hier werden über die Erniedrigung des
Herrn die - verschiedensten Gedanken aneinander gefügt; an die
Erwähnung des. Todes des Herrn reiht sich dann der obige Ver-
gleich mit dem Arzte.
Auch hier bietet der Satzbau wieder eine weitere Stütze der
Beweisführung für die Priorität Gregors. Bei ihm schliefüt sich die
Stelle. ungezwungen an die vorhergehenden Sätze an. Difl oben
. angeführten Beispiele leitet er sämtlich mit Fragen ein, die den
Gedanken des Vorwurfes, der Anklage enthalten. Der Satzbau des
Briefes dagegen ist nicht so aus ·einem Gusse.
Inhaltliche Anklänge an Schriften des hl. Gregor finden sich sehr viel
im 8. Briefe. Man vergleiche z. B. Ep 8, 1 p 81 0 mit Gregor Or 36, 2; Migne
P. gr. 36, 2650; ferner Ep 8, 5. p 840 mit Or 14, 37; Migne P. gr. 35, 908A;
weiterhin Ep 8, 6 p 84 E-85 A mit Or 41, 5; Migne P. gr. 36, 4360; endlich
Ep 8, 3 p 83 B mit Or 38, 8; Migiie P„ gr. 36, 320 B. Indessen sind die Über-
einstimmungen so allgemein, diese Gedanken waren so verbreitet, daß man
daraus einen sicheren Schluß auf literarische Abhängigkeit nicht ziehen.·kann.
Die Vergleichung der Parallelstellen hat gezeigt, dafii alle Gründe
für die Ursprünglichkeit der Reden Gregors sprechen, kein Grund
zugunsten des Briefes. Der Verfasser des· Briefes - das lälät sich
mit höchster Wahrscheinlichkeit sagen - mufii also die Reden
Gregors benutzt haben. Da die beiden Reden 36 und 38 erst in
den Jahren 380 und 379 gehalten sein können, so mufii die Ent-
·stehungszeit des Briefes frühestens um 380 angesetzt werden. Dieses
1) Migne P. gr. 35 1 533 B; 35, 533 o.:...536 A; 35, 537 A; 35, 1136 A.
10. Übereinstimmungen zwischen dem Briefe und Gregor von Nazianz. 71
Schlu1Molgerung.
Will man den wahren Verfasser des 8. Briefes ermitteln, so
ist der Kreis,. in dem ~r zu suchen -wäre, nicht allzu grofü. An eine
absichtliche Fälschung odAr an einen zur Übung angefertigten Auf-
satz aus späterer Zeit ist, besonders angesichts der Einleitung,
nicht zu denken.
Der Briefächreiber mufü gegen Ende des 4. Jahrhunderts ge-
lebt haben. Er :mufü einer Richtung angehört haben, die_ in etwa
spiritualistischen Neigungen zugänglich war. Den Mönchskreisen hat
er nahe gestanden, vielleicht selbst angehört. Mit den theologischen
l!,ragen seiner Zeit war er sehr gut vertraut. Er sc;heint aber nicht
nur in. gewohnten Geleisen sich _bewegt, sondern als spekulativer
Kopf· oft seine eigene Wege sich gesucht zu haben. In der Hl. Schrift
· war er besonders gut bewandert, so dafü er auch selten gebrauchte
Bibelstellen oft heranzieht. · ·
In doß'matischer Beziehung hat er zu den unbedingten Ver-·
tretern des &µoovaw<; gehört und jedes Paktieren mit der ho-
möusianischen Partei verworfen. Den Origenes hat er nicht nur
in seinen Grundanschauungen, sondern ·auch in manchen Einzel:. ·
heiten seiner Lehre gut · gekannt und -- hochgeschätzt. Zu dem
hl. Gregor von Nazianz hat er ·vielleicht besondere persönliche Be-
. ziehungen gehabt.
zweiter Teil..
' '
1. Kapitel.
Persönlichkeit des Evagrius.
Die genannten Berichte der Geschichtsschreiber und die eigenen
Werke des Evagrius geben uns übereinstimmend folgendes Bild von
dem wechselvollen Leben dieses eigenartigen Mannes 8). Er war
geboren um die Mitte des 4. Jahrhunderts zu lbora im Pontus.
Von Basilius wurde er, wahrscheinlich in Cäsarea, zum Lektor ge-
weiht. Gregor von Nazianz weihte ihn nach des Basilius Tode
(1. Januar 379) zum Diakon. 381 finden wir ihn bei Gregor auf
1) P. gr. 34, 995-1278.
2) Hist. eccl. 4, 23; Migne P. gr. 67, 516 A-521 B.
3) Hist. eccl.. 6, 30; Migne P. gr. 67, 1384B-1388A.
4) Bibliotheca veterum patrum. VII p 551-581.
5) P. gr. 40, 1213-1286; ich behalte die Benennung und Einteilung von Migne bei
6) Leider bietet der Gebrauch des Buches manche Unbequemlichkeiten. Es
enthält weder ein Wortregister noch ein Sachregister noch überhaupt ein In-
haltsverzeichnis. Die 635 Seiten tragen immer nur den Kopfvermerk
„W. Frankenberg, Euagrius Pontikus", aber keine Angabe über den Inhalt
der Seiten. Die Briefe haben weder eine Kapiteleinteilung noch eine Zäh-
lung der Zeilen. Der griechische Text ist ohne Akzente, Spiritus und Kom-
mata gedruckt. (Bei Zitierung von Stellen aus den Briefen füge ich die
Zeile des Briefes bzw. der Seite bei.)
7) Des hl. Vaters Evagrius Pontikus Leben und Schriften aus dem Griech. ins
Armenische übertr. Venedig 1907.
S) Vgl. die schöne Übersieht bei Zöckler, Evagrius Pontikus, S. 2-17.
74 II. Der 8, Brief, ein Werk des Evagrius Pontikus.
1) Gnost. 43; Frank 553, auch zitiert bei Sokrates, Hist. eccl. 4, 23; Migne
P. gr. 40, 1285 B und Migne P. gr. 67, 520A.
2) Ep 228; Migne P. gr. 37,372 B. Dagegen ist die Ep 3 ad Evagrium (al. 153)
Migne P. gr. 37, 24 B offensichtlich an einen anderen Evagrius gerichtet.
3) Ep 243 (früher Or 45); sie steht bei Gregor von Nyssa als Ep 26, Migne
P. gr. 46, 1101-1108. Vgl. besonders J. Dräseke, Über den Verfasser der
Schrift :neor; Eva.y(!toY µ61,axoy :nee'i, {}e6,riwr;. Jahrb. für prot. Tbeol. VIII
1882 S. 343-384; S. 553-568; auch abgedruckt in Ges. patrist. Unters.
Altona u. Leipzig 1889 S. 103-168; anders A. Harnack, Gesch. der alt-
cbristl. Lit. bis Eusebius 112 Leipzig 1904 S. 101. Die Herkunft von Gregor
von Naz. bat neuerdings eine weitere Stütze bekommen in den jetzt aus dein
Syrischen übersetzten Schriften des Evagrius; vgl. z. B. Gregor Naz. Ep 243;
Migne P. gr. 46, 1101AB mit Evagrius Ep ad Melaniam Frank 613-619,
besonders 617, 38-45.
4) Migne P. gr. 37, 393 B; es liegt kein nennenswerter Grund vor, an der Echt-
heit dieses. Testamentes zu zweifeln; siehe Dräseke, Ges. . . . S. 115-119;
G. Rauschen, Jahrb. der christl. Kirche unter dem Kaiser Theodosius d. Gr ..
Freiburg 1897 S. 111f.
76 II. Der 8. Brief, ein Werk des .Evagrius Pontikus.
zeit des hl. Ba,silius. Wenn seine Blütezeit zwischen 380 und 400
lag, wenn er auf den Schultern des .hl. ·Gregor von Naziatiz stand,
wenn er iri Konstantinopel 'lebte, wo alle theologischen Bewegungen
sofort ihren Wiederhall fänden, wenn er auch· in seiriem Charakter
anscheinenq nicht sehr bedächtig und zurückhaltend war 1), sondern
stürmisch gleich aufs Ganze ging. so erlauben alle diese Momente,
, ihin ei~en verhältnismäßig weit fortgeschrittenen Standpunkt · der
Lehrentwicklung zuzuschreiben, der etwa gegenüber defil Jahre 360
einen merklichen Abstand bedeuten würde, also einen Standpunkt,
· wie ihn der Verfasser des .8. Briefes gehabt haben mu.lt
· Die persönlichen Angaben des Briefes lassen sich leicht und ·
einfach aus. den Lebensverhältnissen des Evagrius erklären. Der
Briefschreiber ist geflohen, und zwar (wie oben S. 7-9 wahr-
·. scheiJJlich gernacht ist) aus der Stadt in die Einsamkeit. Es steht
nichts im Wege, diese Worte auf die Flucht des Evagrius aus Kon-
stantinopel Im beziehen. DerBriefschreiber ist damals .durch jenen
unvermuteten Vorfall ··getroffen", er "verlor die• ruhige Besinnung,
wie Leute, die durch plötzliches Getöse auf einmal erschreckt werden".
Das parat ganz zu den Drohungen des Traumgesichtes, die den
Evagrius bewogen, schon nach einem 'Tage die Stadt zu verlassen.
Wenn der Briefschreiber davon spricht, dara er .der bei ihm (,,bei
uns") wähnenden Bosheit habe entgehen ,vollen, wenn er -die.Adres-
saten vor den Gefahren des Stadtleb'eris warnt, durch die der Teufel
die Menschen verführe, so sind solche Worte sehr verständlich im
Munde eines Evagrius, der gerade auf dem schlüpfrigen Boden der
Grofistadt dem sittlichen Falle mi,ndestens seh1· nahe gekommen war.
Wenn der Verfasser die Adressaten mahnt und ,varnt, wenn er
Früchte von seiner Belehrung fordert, so entspricht das ganz der
Autoritätsstellung, die Evagrius in ·aer .Gemeinde der Hauptstadt
seit Jahren eingenommen hatte. WE:Jnn der Brief eindringlich vor
den Umtrieben der Häretiker „ warnt, so erkennen wir wieder Eva-'-
grius, der • sehr geschickt war in der Bekämpfung aller Häresien" 2).
· Der Briefschreiber hat in aller Verwirrung Zu einem Gregor seine
Zuflucht .genommen, den er offenbar aufs höchste verehrt., durch
den er hofft, endgültig befestigt und zur höchsten Philosophie ge-
führt zu werden. Das sind alles Ausdrücke, die sich aus dem oben
1dargelegten Verhältnis zwischen· Evagrius. und Gregor von Nazianz
aufs beste erklären.
1) Seine zie;rlicl,J.e Handschrift und seirie Yorliebe für schöne· Kleidung werden
besonders er;wähnt: ·mst. Laus. ed, Butler 38 II p 120; Sozomenus- Hist.
eccl. 61.30; M1gne P. gr. 67, 1384C. . .·
2) HiRt, Laus. ed. Butler 38 II p. 117 ; vgl. auch .weiter unten 3. Kap, 'a•.
i. f>ersönlichkeit d.es Evagrius Pondkus. 77
Allerdings berichtet die Historia Lausiaca nichts davon, daß Evagrius
auf seiner Reise von Konstantinopel nach Jerusalem zuerst bei Gregor Aufent
halt genommen habe. Aber bei der gedrängten Kürze des Berichtes ist diese
Übergehung leicht erklärlich. Da er sich auch noch später in wichtigen Fragen
an seinen früheren Lehrer und Bischof um Rat gewandt hat, würde es fast
auffallend sein, wenn er in dieser wichtigsten Entscheidung seines Lebens sich
nicht erst mit Gregor besprochen hätte, obwohl sich doch mit der Reise ein
Besuch in Nazianz bzw. in Arianz sehr gut verbinden ließ. Sollten wir nicht
eine Spur von diesem Besuche in jener Notiz bei Sokrates finden, wonach
Evagrius zusammen mit Gregor nach Ägypten gekommen sei? Die Absicht des
Briefschreibers, demnächst zu den verlassenen Gläubigen zurückzukehren, kann
bei Evagrius sehr wohl vorgelegen haben; erst nach einjährigem Aufenthalt in
Jerusalem und nach längerem Schwanken kam er durch den Einfluß der Melania
zu dem Entschluß, sich dem Mönchsleben anzuschließen.
Von einem Evagrius könnte man sich auch leicht vorstellen,
dafü er aus den Reden Gregors wiederholt Entlehnungen gemacht
hätte, wie wir sie im 8. Briefe finden. Die Hochschätzung, mit der
er zu seinem redegewaltigen Bischof aufblickte, die enge Ziisammen
arbeit mit ihm, wie wir sie nach Gregors Testament annehmen
müssen, lassen d::ts von vornherein als leicht möglich erscheinen.
Vielleicht ist auch der Gedanke nicht von der Hand zu weisen, dafü
Evagrius gewissermaßen Geheimsekretär seines Bischofs war und
als solcher mit der schriftlichen Fixierung der Predigten desselben
besonders befaßt war. Die hervorragende Stellung, die er einnahm
(Archidiakon nennt ihn Sozomenus) und seine Gewandtheit im
Schreiben, die Palladius von ihm rühmt (er verdiente sich später
durch Abschreiben seinen Lebensunterhalt und schrieb besonders
gut die spitzschnauzige Schritt 1)) geben dieser Annahme eine ge
wisse Wahrscheinlichkeit. Denn wir wissen, da& Gregor von Anfang
an für eine Aufzeichnung seiner Reden gesorgt hat; wen sollte er
damit eher betraut haben als Evagrius?
Bezeichnend ist auch, daß die beiden Reden 36 und 38, aus denen der
8. Brief besonders geschöpft hat, während des Aufenthalts Gregors in
Konstantinopel (379-381) gehalten sind, also zu einer Zeit, als Evagrius bei
ihm weilte. Die dritte benutzte Rede, Nr. 2, ist allerdings schon etwa 363 ge
halten, aber gewiß nicht in der vorliegenden Form, weil sie für den münd
lichen Vortrag viel zu lang gewesen wäre. Die später erfolgte schriftliche Aus
arbeitung und die schon früh einsetzende weite Verbreitung der Rede (Chry
sostomus hat sie schon in seinem Buche De sacerdotio naehgebildet) gaben dem
jungen Diakon GelegenheÜ genug, sie kennen zu lernen.
Die Verwendung des Sprichwortes näv µfre ov äe ww,, bei Gregor und im
8. Briefe findet auf diesem Wege eine leichte Erklärung. Gregor hat, wie wir
aus der Grabrede auf Basilius entnehmen können, dieses Wort gekannt und
häufig gebraucht; Evagrius hat es von ihm gehört und am Schlusse des
8. Briefes verwendet. Auch ist es möglich, daß dieser Spruch ein Lieblmgswort
oder Wahlspruch des hl. Basilius war. Gregors Grabrede ist dann in diesem
Sinne zu nehmen, und Evagrius hat das Wort von Basilius, der ihn ja zum
Lektor geweiht hat, übernommen.
2. Kapitel.
-~ußere Bezeugung.·
Die bisherigen Gesichtspunkte haben für die Annahme, dafü
Evagrius den 8. Brief geschrieben habe, mindestens eine sehr hohe
Wahrscheinlichkeit ergeben. Denn· wir kennen niemanden, der zu
jener Zeit gelebt, der so enge persönliche Beziehungen zu ·· Uregor
von Nazianz gehabt und so zu Origenes hingeneigt hätte, wie der
Diakon des Nazianzeners. Diese Wahrscheinlichkeit wird zurGewifaheit
gesteigert durch eine Berücksichtigung der äufaeren · Bezeugung und
durch eine genaue Vergleichung des 8. Briefes mit den v,rerken des
Pontikers bezüglich des Lehrgehaltes. ·
. Zunächst findet man, dafa der Brief·. schon einmal unter dem
Namen des hl. Nilus · gedruckt ist, und zwar von .J. M. Suarez,
der 1673 eine Reihe von Werken dieses Kirchenvaters erstmalig
1) Nili abbatis. tractatus seu opuscula. Rom 1673 p 358-376; vgl. dazu auch
in dem Index operum p 613-619.
2) Siehe z. B. Sum;ez I. c. p 613; Migne P. gr. 79, 1340 A ; J. B. Cotelier, Eccle
siae Graecae rnonurnenta III. Paris 1686 p 644/6; J. S, Assemanus, Biblio
tlieca Orientalis III. Rom 1725 p 46 annot. und p 48 annot .. 4.
3) Suarez 1. c. p 36 6; Migne P. gr. 79, 1386 C.
4) Suarez 1. c. p 618; Migne P. gr. 79, 1845 B; vgl. die Praefatio „Ca:ndidtl Lector".
6)1. c. p 610; Migne P. gr. 79,13360.
80 ii. Der 8, Brief, ein Werk des Evagrius Pontikus.
3. Kap i t el.
Innere Übereinstimmung.
a) Allgemeines.
Das bisherige Ergebnis wird vollauf bestätigt durch eine Unter
suchung der Schriften des Evagrius auf ihren Lehrgehalt. Die Ari
sichten und Aulilerungen im 8. Briefe, die wegen ihrer Eigenart
auffallen mufüen, finden sich fast sämtlich bei Evagrius wieder
oder ergeben sich naturgemära aus seinem Lehrsystem 1).
In einem Punkte scheint allerdings auf den ersten Blick ein
grofüer Geg�nsatz zwischen beiden Seiten zu bestehen. Der Mönch
tritt uns in seinen Geisteswerken vor allem als Mystiker entgegen.
"Die Erkenntnis Gottes hat nichts mit dem Kausalitätsgesetz, mit
Syllogismen und Gottesbeweisen zu tun, sie quillt von oben und
aus der Fülle des Herzens, sie ist ein Schauen der Seele . . . Keine
Scholastik, kein Zergliedern und Rationalisieren der Glaubensgeheim
nisse, sondern stilles, seliges, inneres Schauen" 2). Der 8. Brief da
gegen weist mit aller diaJektischen und exegetischen Gewandtheit
die Einwände der· Arianer zurück.
Indessen ist dieser scheinbare Widerspruch durchaus nicht un
überbrückbar. Wir müssen eben· bei Evagrius starke innere Ent
wickelungen annehmen. Der Diakon in Konstantinopel war nicht
derselbe wie der Mönch in Kellia. Ein Brief, bald nach dem Fort
gange von der Hauptstadt geschrieben, kann sehr wohl einen anderen
Geist atmen wie die Schriften, die aus langjährigem Aszetenleben
als reife Frucht hervorgegangen sind.
1) Die Darstellung seiner Lehre bei Zöckler a. a. 0. S. 54-80 kann jetzt, nach
dem die größeren Werke aus dem Syrischen bekannt geword.en sind, nicht
mehr genügen.
2) H. Koch, Theo!. Literaturzeitung Bd. 39 (1914) Sp. 299f. Wenn man früher,
vor dem Erscheinen des Buches von Frankenberg, Evagrius nur in solchem
Lichte sah, ·so lag das zum großen Teif daran, daß man nur seine aszetischen
Schriften kannte, in denen naturgemäß eine solche Auffassung stärker her
vortritt.
M e 1 c her, Der 8. Brief des hl. Basi!ius. 6
82 II. Der 8. Brief, ein Werk des Evagrius Pontikus.
und deren Ableitungen. Nicht die Liebe zu Gott oder die Gnade
Gottes ist für unser Erdenleben das Höchste, sondern die yvwat;,
die {}eweta 1). "Jedes Wesen ist ein Ebenbild Gottes, welches die
Erkenntnis der ~l. Dreifaltigkeit aufnehmen kann" 2). ,, Ein geistiger
Tempel ist der, welcher gewürdigt ist, eine Wohnung zu sein für
die vielgestaltige Weisheit Gottes; ein vollkommener Tempel ist er,
wenn er der Erkenntnis· der hl. Dreifaltigkeit gewürdigt ist" 3). Bei
geistigen Wesen. (Engeln, Dämonen, Menschenseelen) gibt es keine
anderen Verschiedenheiten der einen von· den anderen als nur Grad-
unterschiede der Erkenntnis 4).
Das Tugendleben wird im wesentlichen nur als Weg zur Er-
kenntnis bewertet, gerade wie im 8. Briefe 5). . Selbst in den beiden
Spruchsamrrilungen Sententiae ad ... fratres und Sententiae ad vir-
gines (Mönchsspiegel und Nonnenspiegel), die gewissermaßen ein
Kompendium der Moral und Aszese für die Klosterleute darstellen,
leuchtet hinter jeder Mahnung, Belehrung und Verheißung immer
wieder die Erkenntnis auf. Sie ist das „Endziel der Liebe" 6), die
wahre Frucht der Tugend 7); die Liebe ist „eine Tür zur Erkennt-
nis" 8). Demgemäß besteht auch das Böse vornelimlich in der Ab-
wendung von der wahren Gnosis: ,,Jedes Wesen, das für die Er-
kenntnis Gottes empfänglich ist, aber die Unkenntnis der Erkenntnis
vorzieht, wird böse genannt" 9).
Bei Evagrius finden wir auch sehr. deutlich die starke Ver-
achtung der .Sinnlichkeit wieder, die im 8. Brief nur ganz leise
durchschien. Wenn in diesem die Vernunft (voii;} als naxvv{}el; be-
zeichnet wird 10. .
), so hat Evagrius denselben Ausdruck 11 ). Wenn der
1) Siehe z.B. Cap. pract. 21; Migne P. gr. 40, 1228A; beide Ausdrücke werden
trotz Cent III c 42 Frank .219 wechselweise gebraucht.
2) Cent III c 32 Frank 211 ; die Belegstellen zum Folgenden würden mit Leich-
tigkeit vermehrt werden können.
B) Cent V c 84 Frank 359; daß die Ebenbildlichkeit mit Gott sich nach dem
Grade der Erkenntnis richtet, wird noch schärfer betont Cent I c 70 Frank 109.
') Cent Suppl. 19 Frank 439. 5) Siehe oben S. 10f.
· 6) Sententiae ad . . . fratres Migne P: gr. 40, 1277 C = Greßmann, Mönchs-
spiegel n 3 S. 153; ibd. 128.2 D = n 133 S. 164; Cent IV c 25 Frank 281.
7) dap. pract; 62 Migne P. gr. 40, 1236 C; Sententiae ad . . . fratres Migne
P. gr. 40, 1282A = Greßmann, Mönchsspiegel n 116 S. 163; Ep 34, 8f.
Frank 589; Ep 10, 10f. Frank 573.
8) Cap. pract. introd. Migne P. gr. 40, 1221 C.
9) Ep 30, 15 f. Frank 587; vgl. Ep 28, Hf. Frank 585; Cap. pract. 32 Migne
P. gr. 40, 1229 D; Cent III c 53 Frank 225; Cent III c 28 Frank 207.
10) n 7. p 86 A; es wird auch von einer ~i~aouaUa :rrazvdea gesprochen, n 7
p 85 C und p 86 B, von einem :,,:azvueov eleijo{}ai .n 6 p 85 A, von einer
:,,:azeia rvroot, n 7 p 85 D.
11) Cap, · pract. 29 Migne P. gr. 40, 1229 B; vgl. :,,:azv-r:'I}, Cent II c 77 Frank 183;
Cent IV c 36 Frank 287; Cent IV c 46 Frank 291.
· 3. Innere Übereinstimmung. 85
Brief sagt, da.fü unser Verstand „an die Erde gebunden (avvMw)
und mit Schlamm vermischt ist" 1), dafü „die Apostel gebunden
waren an Fleisch und Blut" 2), so hat Evagrius diesen Gedanken
sehr häufig. In Anlehnung an Origenes sagt er, dafii der voi',: in-
folge der Sünde zur 1fJVX1J geworden und dann weiter zum awµa
„hinabgeglitten" sei 3). Für die Vereinigung von Leib und Seele
gebraucht er immer wieder das Wort avvbtw oder ähnliche Wörter 4).
Der Körper hindert uns am reinen Lobpreis Gottes 5). ,,Die Vor-
. stellungen der sinnlichen Dinge verhindern (verderben), solange sie
dauern, die Gnosis" 6). Ziel der Aszese ist darum eine „Trennung
der Seele vom Körper", ein „Verjagen des Leibes" 7), ein Freiwerden
von jeder Begierde, die &.nafhia 8).
Den Gedanken, dafii Sinneswahrnehmungen und Geistestätigkeit
zwei ganz verschiedene, getrennte Gebiete seien 9), spricht Evagrius
wiederholt aus 10): ,,Die Sinnlichkeit ist geschaffen, das Sinnliche
wahrzunehmen; das Geistesleben wartet allezeit, welche • geistige
Lehre sich ihm zur Betrachtung darbietet" 11). Auch die merkwürdige
Anschauung des 8. Briefes, daf.J der Einflu.fü, den der Geist von der
Sinnlichkeit erleidet, einer krankhaften Störung zu vergleichen sei 12),
kann nur aus einem Ideenkreis hervorgegangen sein, wie wir ihn
bei Evagrius finden. Ihm ist die Apathie die Gesundheit der Seele 13 ).
Wer sich noch mit den Lehren über die geschöpflichen Dinge ab-
gibt, gleicht einem Kranken, der aber nach Gesundheit strebt 14).
Dieser Anschauung entspricht es, da.fü Evagrius bei der Himmels-
seligkeit immer nur die „Erkenntnis", das „Schauen" erwähnt,
andere Momente aber ganz au.füer acht läßt, wie es ja auch der
8. Brief tut 15 ). Das Himmelreich ist „die Erkenntnis der Dinge"- 16);
es ist „ die Erkenntnis der erhabenen und geistigen, überhimmlischen
Lehre" 1), oder "die Erkenntnis Gottes" 2). Dieser Gedanke be
herrscht ihn so, dafü er trotz 1 Gor 13, 8 schreibt: ,,Eine ist die
Liebe . zum Guten, die ewig bleibt, nämlich die Liebe zur wahren
Gnosis" 3).
Danach ist es nicht zu verwundern 1 wenn auch bis in die
· einzelnen Wortwendungen hinein sich eine besondere Betonung der
· Erkenntnis bemerkbar macht. Der 8. Brief bezeichnet die Menschen
und Engel als :näaa � Äoytu� <pvmr; 4), Gott als µauaela luelv17 ual
vo171:� <pvatr; 5). Bei Evagrius sind das fast immer wiederkehrende
Benennungen. Im 8. Briefe heißt Gott geistige Sonne 6). Bei Eva
grius finden wir diese Wendung wieder, sowohl für Gott selbst 7),
wie auch für das Vernunftwesen, das die Offenbarung Gottes auf
nimmt 8). Der 8. Brief spricht davon, dafü die Seele „genährt" wird
durch die Lehre Christi 9). Evagrius gebraucht immer wieder dieses
Bild: ,, Wir betrachten qie Apathie als Gesundheit der Seele, die
Gnosis ·als Nahrung derselben" 10),
c) Abstufungen im Erkennen,
Die Unterscheidung gewisser Stufen in Erkenntnis, Offenbarung,
Auslegung usw., die im 8. Briefe verschiedentlich zu erkennen war, ist
bef Evagrius einer der hervorstechendsten Züge seines Lehrgebäudes.
Den Gedanken, dafü die volle Wahrheit nicht für alle sei, son
dern nur für Eingeweihte, Fortgeschrittene 11), spricht er z. B. im
Anfaqg des Practicus, also einer Anleitung zur unteren Stufe des
Mönchslebens, offen aus. Da kündigt er an, er wolle alles vor
tragen, ,, aber einiges verbergen, anderes nur andeuten, damit wir
nicht das Heilige den Hunden geben und die Perlen vor die Säue
werfen" 12). An anderen Stellen wird deutlich gesagt, dafü diese
Geheimhaltung aber nur den Einfältigen, Einfachen, Jungen und
Unmündigen gegenüber gelte: .oft ist es nötig, daf.i wir antworten,
wir wüfüten nichts, wegen derer, die uns fragen, aber nicht würdig
sind zu hören" 13).
1) Cent Suppl. c 44 Frank 461; ähnlich noch oft.
2) Ep 371 11ff. Frank 591; Cap. pract. 64; Migne P. gr.40 1 1237C.
8) Cent IV c 50 Frank 293.
4) n 2 p 82 C. 5) n 2 p 82 A. 6) n 7 p 86C.
7) Cap. 33 per gradus n 22; Migne P.gr. 40, 1268 A.
S) Cent IU c• 44 Frank 219; vgl.auch den Kommentar des Babaeus zu Cent I
c 15Frank 59. 9) n 4 p 84A.
t0)Libe r pract. 56; Migne P. gr. 40,1248A; vgl. Cent II c 32Frank 153;·
Cent II c 88 Frank 187; Cent III c 4Frank 191; Cent V c 35 Frank 331.
11) Siehe oben S. 17 f.
12) Cap.pract.introd. Migne P. gr. 40, 1221 C.
19) Gnost .23 Frank 549; .ganz ähnlich ibd.25Frank 549; ibd.36Frank 551;
ibd. 43 Frank 553.
3. Innere Übereinstimmung. 87
Im 8. Briefe mußte wiederholt die Einteilung der Lehre Christi
in praktische, physische und theologische 1) auffallen, weil ein solcher
Gedanke bei Basilius durchaus fremdes Gut sein würde. Bei Eva-
grius hat er rnlles Heimatrecht.
Das Christentum definiert er folgendermafien: "Das Christen-
tum ist die Lehre unsres Erlösers Jesus Christus, die aus praktischer,
physischer und theologischer besteht" 2). Gleichlautende oder ganz
ähnliche Wortreihen hat er oft 3). Er erklärt diese Ausdrücke auch
genauer: ,, Das Ziel der praktischen Lehre ist, den Geist zu reinigen
und für die Leidenschaften unempfänglich zu machen, der physischen
Lehre, die in den Dingen verborgene Wahrheit darzulegen, die Gnade
der Gottesschau aber ist es, wenn jemand seinen Verstand von
allem Irdischen fernhält und zu der höchsten Erkenntnis erhebt" 4).
Diese Begriffsreihe wird dann unter Beibehaltung des Grundgedankens
in der mannigfaltigsten Weise variiert 5). Für den zweiten Begriff physische
Lehre wird sehr oft der Ausdruck Lehre von den Dingen (nuv ovrnw) einge-
setzt 6). Im 8. Briefe hatten wir dieselbe Wendung, einmal in dem Gedanken,
daß durch die Eucharistie unser Verstand genährt und auf die Lehre von den
jetzigen Dingen vorbereitet werde, und ein zweites Mal in der Benennung der
Seligkeit als w'ahre ErkenntniG der Dinge 7).
Evagrius gliedert diese physische Lehre gewöhnlich noch weiter. Meistens
nennt. er dann nur die. unkörperlichen und körperlichen Wesen 8). Demgemäß
unterscheidet er immer eine {)ewela v,1,,"~ und eine {)eweia aiiJ,o,; 9). Beide Be-
griffe faßt er zusammen unter dem Namen vielgestaltige Weisheit Gottes 10), wo-
von die Erkenntnis der µ~va,; unterschieden wird.
Der 8. Brief spricht ganz ähnlich von Unterschieden der Gnosis, die von
der geistigen Sonne bewirkt werden 11), er unterscheidet bei den Aposteln
mehrere Stufen der Erkenntnis 12), Er spricht von einer lvvJ,oq yvwat,; und einer
aii2o,; {)eweia 13), von einer genauen Erkenntnis der Gedanken Gottes- im Unter-
schiede von der Erkenntnis der lva,
xai µova,; 14). Er gebraucht mit einer ge-
wissen Vorliebe die Worte aii2o,; und lvvÄo,; 15).
1) Ich zitiere z. B. aus der zweiten Hälfte der ersten Zenturie die Stellen c 52,
54, 62, 6.5, 67, 70, 73; 74, 75, 77, 88 Frank 93-125.
2) n 12 p 89E. S) ibd.
•> Cent V c 79 Frank 355; Ep 29, 8 ff. Frank 587.
5) z . B. Ep 62, 1,---9 Frank 611. 6) Ep. ad Melaniam Frank 613, 45-615, 4
7) Ep 17 Frank 579, 5; ähnlich Antirrb. m. introd. Frank 475, 9; Cent Suppl.
c. 26· Frank 451:
_ 8) Cent Suppt c 26 Frank 451; Cap. pract. 71; Migne P. gr. · 40, 1244 A.
9) Cent II c 16 Frank 141; vgl. Cent III c 61 Frank 231; L i b e r pract. c 92;
Migne P. gr. 40, 1249 B.
10) Cent IV c 11 Frank 265; vgl. Sententiae ad ... fratres Migne P. gr. 40, 1282 D
= Greßmann, Möncbsspiegel n 136 S. 165.
11) Cent V c 51 Frank 339; Cent III c 13 Frank 197.
12) Besonders Frank 613, 28-615, 25. 13) Cent .III c 4 Frank 191.
14) Cent III c 5 Frank 191.. 15) Cent II c 61 Frank 173.
3. Innere Übereinstimmung. 89
1) Cent III c 40 Frank 217; vgl. Cent III c 66 Frank 235; Cent VI c 58
Frank 399.
2) Cent V c 19, 22, 25 Frank 327-:329. Der Kommentator Babaeus versteht
darunter die Neuschaffung des Menschen in der Taufe; indessen handelt der
ganze Abschnitt vorwiegend vom ewigen Leben, daher wird .auch die Auf-
erstehung am jüngsten Tage gemeint sein; vgl. auch den oben S. 89 ange-
führten Spruch aus Cent Suppl. c 24 Frank 447.
S) n 7 p 85E.
4) Sententiae ad . . . •fratres Migne P. gr. 40, 1282A = Greßmann, Mönchs~
spiegel n 118-120 S. 163. ö) n 4 p 84 A.
92 II. Der 8. Brief, ein Werk des Evagrius Pontikus.
1) Ich weiß nicht, ob vielleicht die Übersetzung in das Syrische die beiden
Worte zusammengezogen haben könnte, sodaß wir sie jetzt in dem wieder-
hergestellten griechischen Texte nicht mehr lesen.
2) z. B. in der 3. Zenturie kommt· es vor in den Kapiteln 1, 2, 3 1 28, 61, 72.
Frank 187-239.
B) z. B. Cent I c 71 Frank 111; Cent II c 3 und 5 Frank 131f.
4) z. B. Cent III c 28 Frank 207; Cent IV c 18 Frank 271.
5) z. B. Cent III c 1 Frank 187.
6) Von der oben zitierten, durch Maximus Conf. überlieferten Stelle, in der ja
unterschieden wurde zwischen µ0110.c; &ei{}µ'l'}r:txwc; sl:n:sir und cpvaixw,; lroi'Ja{}ai,
möge wegen ihrer mangelhaften Bezeugung abgesehen werden.
7) Cent VI c 11 Frank 371, der griechische Text ist klarer: ,fi &ed}µwr ,eta&
e:n:axo2ov{}s, .s,ea, • oiJx aea to.11, ~ ayta ,eia,; ,eia, &ei{}µwr. Ähnlich heißt
es Cent VI c 12 Frank 371, der zahlenmäßigen Dreiheit müsse eine Zwei-
heit vorhergehen, was unmöglich sei.
8) Cent VI c 13 Frank 371.
9) Cent VI c 10 Frank 367; µorosd'n7,; gebraucht er wiederholt für Gott, z. B.
Cent I c 54 Frank 93, oder für die einzelne göttliche Person, z. B. Cent III
c 1 Frank 1.87. 10) Cent V c 62 Frank 34 7.
94 II. Der 8. Brief, ein Werk des Evagrius Pontikus.
Besonderheit oder etwas aus diesen zusammengesetztes bedeutet und wenn bei
der hl. Dreifaltigkeit nichts von den gesagten Dingen zu finden ist, so muß
das· Unsagbare (äee11 rov) mit Stillschweigen verehrt we.rden" 1), Eine Eigen
schaft wird anscheinend nur bei körperlichen Dingen zugelassen 2),
Während Evagrius so jede Eigenschaft bei Gott negiert, ist die ofola das
Einzige, was er bei ihm gelten läßt. Aber sie ist etwas ganz Unbestimmbares,
„Unsagbares, das. mit Stillschweigen verehrt werden soll" (siehe oben). Daher
wird auch die Erkenntnis· Gottes, die uns hier aus Gnade verliehen wird. oder
die in der Ewigkeit unser wartet, als yvwai, ovoul,IJ 11, bezeichnet 3),
Auch in unserer Gotteserkenntnis hebt Evagrius immer eine gewisse Ein
heitlichkeit hervor, im Gegensatz zu der vielseitigen Erkenntnis der Welt:
,,Eine andere_ ist die Kraft des Verstandes, wenn er hinschaut auf die Naturen,
eine andere seine Kraft, wenn er hinschaut auf deren geistige Bedeutung
(fJeroeia); aber eins .und in sich gleich ist die Kraft desselben, wenn er auf
die h°L Dreifaltigkeit hinschaut" 4),
Wenn auch in diesen Aussprüchen des Evagrius uns manches
unklar, vieldeutig und unausgeglichen erscheint - wie es schon
durch die sentenzenartige Darstellung und die bilderhafte Sprache
in etwa bedingt ist-:--, so kann doch kein Zweifel dqrüber bestel,:ten,
dafü sowohl die Grundtendenz wie auch die einzelnen Ausdrücke
mit manchen Äufüerungen des 8. Briefes auffallend starke Berührungs
punkte haben. Bemerkten wir doch in diesem eine besondere Vor
-liebe des Verfassers für die Worte §vdq xai µova.q 5). Wir lasen da,
dafü Gott nicht eins der Zahl, sondern eins der Natur nach sei 6), ·
dafü wir „die Zahl vollständig ausschlieraen von jener seligen, geistigen
Wesenheit" 7), dafü „ das göttliche Wesen frei von Eigenschaft" sei 8).
Wenn Evagrius sagt: ,,"Ei- lv uj'J ö.e ifJ11cp lO noaov xan7yoeei, a e116(et
()s neoq r�v awµau%�v cpvatv 9), so haben wir dazu im 8. Briefe ein
fast wöl'tlich gleiches Gegenstück: 6 ö.e ifJ1i6q lau wv noaov, ro ()s
noaov rfj awµaroqj cpvau avve(evxrat 10). Der 8. Brief betonte 3:uch
auffallend stark die ovala 11), er sprach davon, dafü ein Engel ·. aus
ofJala und &. yiaaµ6q bestehe 12), er legte dieselbe Behauptung bezüglich
des HI. Geistes den Gegnern -in den Mund 13), er sagte: 6 xal ofJalav
{}eoq -rcp xm' ofJalav fJecp &µoovat6q lauv 14). Das sind alles Äufüerun-
1) Gnost 40 Frank 551, auch bei Sokrates Rist. eccl. 13 c 7 Migne P. gr. 67,396 B.
2) Cent I c 2 Frank 49; Cent II c 18 Frank 143; Cent IV c 84 Frank 313.
B) Cent III c 12 Frank 197; Cent III c 49 Frank 223; Cent Suppl. c 21
Frank 441. Sehr oft sagt Evagrius, Gott selbst s e i die wesenhafte Erkenntnis,
z. B. Cent II c 47 Frank 161; Cent V c 56 Frank 343; Cent Suppl. c 19
Frank 439 usw., offenbar in dem Sinne, daß die Erkenntnis bei uns etwas
Akzidentelles sei, bei Gott aber sein Wesen ausmache; siehe den bezeich
nenden Spruch Cent V c 56 Frank 343.
4) Cent V c 60 Frank 345; ähnlich Cent V c 63 Frank 347; auch Ep 58, 17-19
Frank 6071 wo die Einheitlichkeit oder Einfachheit unserer Gotteserkenntnis
darauf zurückgeführt wird, daß sie eben eine yvwo1, ovo1w/J 17 , sei.
5) Siehe oben S. 29. 6) n 8 p 81 E. 7) n 2 p 82A. S) n 3 p 82C.
9) Cent IV c 19 Frank 273. 10) n 2 p 82A. 11) Siehe oben S. 30.
12) n 2 p 82 A. 13) n 10 p 88 J:!, 14) n 3 p 82 D.
3. Innere Übereinstimmung. 95
gen, die nicht nur mit den Gedankenkreisen des Evagrius vereinbar
sind, sondern sich naturgernäfü daraus ergeben.
Das Streben, alles auf eine Einheit zurückzuführen, geht auch
durch die eschatologischen Anschauungen des Evagrius. Wie bei
Origenes, so finden wir bei ihm den Gedanken, dara im Endzustande
nicht nur die moralische, sondern auch die physische Verschieden-
heit oder sogar die Unterschiedenheit der geschöpflichen Dinge auf-
hören wird. Wenn wir dem Zeugnis des Maxirnus Conf. 1) Glauben
schenken dürfen, so hat Evagrius ja geschrieben: ,,(Die hl. Dreifaltig-
keit) einigt alle, die sich ihr nahen, nach dem Worte im Evange-
lium: »damit sie eins seien, wie auch wir eins sind« (Jo 17, 22}."
Damit stimmt ganz überein, was wir jetzt noch in den Zenturien
lesen: ,, Wenn das, was eins der Zahl nach ist, aufhört, dann hört
auch die Zahl auf, und wenn die Zahl aufhört, dann ist das, was
in uns ist, und das, in dem wir sind, eins" 2). Man könnte hier
vielleicht nur an die endliche Harmonie von Seele und Leib denken.
Aber folgender Spruch besagt doch offenbar mehr: ,,Wie mit den
Körpern auch die Farben und die Gestalten und die Zahlen ver-
schwinden, so verschwindet mit den vier Elementen auch die Ma-
terie" 3). Sehr ausführlich wird dieses Problem in der Epistula ad
Melaniam behandelt 4). In grorazügigen Gedankengängen wird da
ausgeführt, dafü ursprünglich beim Menschen nur die Vernunft (voii,)
erschaffen sei; infolge der Sünde sei die Vernunft „hin abgeglitten"
und so seien die Seele (ipvx~) und der Leib hinzugekommen 5). Ein-
mal solle der ursprüngliche Zustand wiederhergestellt WArden:
,,Einmal wird die Zeit kommen, wo diese Namen und Zahlen, näm-
lich von Leib und Seele und Vernunft, verschwinden werden, da
sie zur Herrlichkeit der Vernunft hinaufgeführt werden, wegen der
Stelle: »damit sie eins seien, wie wir eins sind« (Jo 17, 22). So
wird auch einmal die Zeit kommen, wo die Namen und Zahlen
zwischen Vater, Sohn und HI. Geist (einerseits) und seiner ver-
nünftigen Schöpfung, die sein Leib ist, (andererseits) verschwinden
werden, wegen der Stelle: »damit Gott alles in allem sei« (1 Cor
15, 28)" 6). Die Verschiedenheit der göttlichen Personen wird bleiben;
aber die Vernunft wird dem Vater, die Seele dem Sohn, der Leib
dem HI. Geiste geeint 7). Wie die Flüsse von dem unermefüichen
e) Trinitätslehre.
Auf trinitarische Fragen kommt Evagrius sehr selten zu sprechen.
Nebenbei fallen nur einige Streiflichter auf dieses Gebiet, während
sein Hauptinteresse anderen Problemen zugewandt ist.
Die Trinitätslehre, die aus solchen gelegentlichen Bemerkungen
zu erkennen ist, bietet keine Besonderheiten. Auch sie ist gekleidet
in das Gewand einer bildetTeichen Sprache und ungewohnter Aus
drücke. Aber dem Inhalte nach entspricht sie ganz den Anschauungen,
die in kirchlichen Kreisen gegc·n Ende des 4. Jahrhunderts herrschend
waren. Die Homousie des Sohnes und des HI. Geistes wird deutlich
und klar gelehrt: ,,Christi Leib ist von gleichem Geschlechte wie
unser Leib, seine Seele ist von der Natur unsrer Seele; so ist auch
seine Gottheit gleichwesentlich dem Vater" 6). Gewiß vergleicht
Evagrius in der Epistula ad Melaniam die zweite und dritte gött
liche Person mit Hand und Finger, womit der Vater seine Werke
wie Briefe an die Menschheit geschrieben habe 7). Er vergleicht sie
sogar mit solchen Briefen selbst; aber er vergißt doch nicht hinzu
zufügen, daß sonst ein Brief nicht die ganze Natur des Schreiben
den kundgebe: ,, Der Logos aber und der Geist, diese Zeichen des
Vaters, wissen alles und zeigen alles, da sie ja nic}:it Geschöpfe
sind, sondern genaues Abbild und wahrer Abglanz der Wesenheit
des Vaters" 8).
1) Siehe oben S. 57 f.
2) 0. Zöckler, Das Lehrstück von den sieben Hauptsünden (Bibi. und kirchen-
historische Studien Heft 3). München 1893. S. 27.
B) Sententiae ad ... fratres Migne P. gr. 40, 1281 B = Greßmann Mönchsspiegel
n 97 S. 161.
') Sententiae ad ... fratres Migne P. gr. 40 1 1280 A = Greßmann Mönchsspiegel
n 63 S. 158.
5) Sententiae ad ... fratres Migne P. gr. 40, 1279 C = Greßmann Mönchsspiegel
n 45 S. 156/7. 6) Frank 485-487. 7) II p 234A-318C.
8) Frank 555-557.
Melcher, Der 8. Brie! des hl. Basilius. 7
98 II.· Der 8. Brief, ein Werk des Evagrius Pontikus. ·
Zusammenfassung.
Überschauen wir den Beweisgang im Ganzen, so ergibt sich,
daf.i alle Wege, die man einschlagen mag, um den Verfasser des
8. Briefes zu ermitteln, von Basilius fortführen und auf Evagrius
hinführen.
Die handschriftliche Bezeugung für den hl. Basilius ist ver-
hältnismäßig schwach. Während wir für die meisten Basiliusbriefe
recht:, viele Zeugen haben, stehen für diesen nur zwei Handschriften
aus dem 10. Jahrhundert zur Verfügung. In einer derselben ge- -~
hört er zu einem Sondergut, welches nur noch fünf andere Briefe
umfafüt, die sämtlich bezüglich ihrer Echtheit mindestens sehr ver-
dächtig sind.
1) z. B. Antirrh. m. introd. Frank 473, 30; ibd. Frank 475, 3 (a.V.6q:,v?co, über-
setzt Frankenberg, Philister übersetzt F. Baethgen bei 0. Zöckler, F.vagrius
Pontikus S. 106); ibd. c 2 n 13 Frank 487 (a).26qn,).o,, Philister bei Baethgen
S. 117); Cent V c 30 Frank 331; Cent V c 68 Frank 349; Protrept. Frank
555, 11 usw.
2) Enthalten in dem Londoner Syr. 567 (add. 14 678) nach W. Wright, Cata-
logue of Syriac manuscripts in the British Museum. II London 1872 p 445-449.
3) Ep 8 n 12 p 89A.
4) z. B. Cent I c 74 Frank 113; Cent V c 50 Frank 339; Sententiae ad vir-
gines Migne P. gr. 40, 1286A = Greßmann Nonnenspiegel n 56 S. 151 (hier
auch nach dem griechischen Urtext!); Ep 56 Frank 605, 12 usw.
5) n 7 p 86D; n 12 p 89D; n 6 p 85A; n 12 p 89C.
6) Im griechischen Urtext: Cap. pract. 34 Migne P. gr. 40, 1232 A; ibd. 58
Migne P. gr. 40, 1236A; cap. 33 per gradus n 4 Migne P. gr. 40, 1265A;
aus dem Syrischen übersetzt: Paraen. Frank 569, 13; Gnost 5 Frank 647.
7) Siehe oben S. 67 f.
8) Rerum monachialium rationes c 6 M:igne P. gr. 40, 1257 B.
7•
100 Zusammenfassung;
. .
Liturgiegeschichtliche Forschungen
(Verein zur Pflege der Liturgiewissenschaft E. V., Sitz: Maria Laach)
herausgegeben von Dr. Franz Dölger, Univ.-Prof., Münster, Dr. P. Kunibert
Mohlberg, Benedikt. von Maria Laach, Dr. Adolph Rücker, Univ.-Prof., Breslau.
Heft 1 : Ziele und Aufgaben der liturgiegeschichtlichen For-
schung. Von P. K. Mohlberg. VIII u. 52 S. 1.50.
Heft 2: Die Sonne der Gerechtigkeit und der Schwarze.
Eine religionsgeschichtliche Studie zum Taufgelöbnis. Von
Dr. Fr. J. Dölger. Mit 1 Tafel. XII u. 150 S. 4,50.
Heft 3 : Nichtevangel. syrische Perik openordnungen des ersten
Jahrtausends. Im Sinne vergleichender Literaturgeschichte
untersucht von Dr. A. Baumstark. XII u. 196 S. 5,20.
Heft 4/5: Sol salutis. Gebet und Gesang im christlichen
Altertum mit bes. Rücksicht auf die Ostung in Gebet und
Liturgie. Von Dr. F. J. D ölger. XII u. 342 S. i. Z. vergriffen.
Heft . 6: Aufgaben und Probleme auf dem Gebiete der
byzantinischen und orientalischen Kirchenmusik. Von
Egon Wellesz. (Im Druck.)