–– Rituale helfen uns – nicht nur in Coronazeiten Eckhard Frick
Am Eingang katholische Kirchen befinden sich Weihwasserbe-
cken, aus denen die Gläubigen Weihwasser entnehmen, um sich zu bekreuzigen. Genauer gesagt: “Entnahmen“, denn jetzt ent- nehmen sie ein Desinfektionsmittel aus einem Spender, der an- stelle der Weihwasserbecken installiert wurde. Beim Bekreuzigen und Desinfizieren der Hände handelt es sich um Rituale, die in Fleisch und Blut übergehen, also unbewusst werden. Wer Weih- wasser nimmt, erinnert sich bei dieser Handlung nicht immer an die eigene Taufe, denkt auch nicht unbedingt daran, dass er die Hände möglicherweise in eine Bakterienkolonie taucht. Wer sich die Hände desinfiziert, hat bei diesem Ritual nicht den ge- samten infektiologischen Kontext im Sinn, weiß auch nicht, ob sich Viren oder Bakterien auf seinen Händen befinden. Sigmund Freud beschrieb Rituale im Denken (z. B. Grübeln) und Handeln (z. B. Waschen, Kontrollieren) als Ausdruck der Religion und der Zwangsneurose. Partys und Menschenansammlungen sind der- zeit nicht angesagt, an deren Stelle tritt ein kollektives Fest der Zwanghaftigkeit mit äußeren und inneren Ge- oder Verboten, Ritualen, Kontaktvermeidung und Lebenseinschränkungen. Wie bei individuellen Angststörungen dienen Zwänge auch bei der kollektiven Ungewissheit der aktuellen Pandemie der Bewälti- gung. Rituale und Einschränkungen des Denkens oder Handelns Prof. Dr. med. Eckhard Frick sj erscheinen uns desto notwendiger, unausweichlicher je näher und lehrt an der Hochschule für Phi- realer die Bedrohung an uns heranrückt. Mit Ritualen wollen wir losophie der Jesuiten und am Klinikum rechts der Isar der TU Leben schützen und Grenzübergänge begehen (“rites de passa- München. Er leitet das vom StMGP geförderte Projekt mutaspir.net ge“), z. B. Geburt, Erwachsenwerden, Heirat, Berentung, Tod. zur spirituellen Unterstützung von Rituale helfen uns dabei, mit der Ungewissheit angesichts solcher Mitarbeitenden in Gesundheits- berufen. Grenzen umzugehen.