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in Oberösterreich
Inventare aus den archäologischen Sammlungen
des Oberösterreichischen Landesmuseums
Medieninhaber:
Land Oberösterreich / Oberösterreichisches Landesmuseum
Gerda Ridler, Wissenschaftliche Direktorin
Walter Putschögl, Kaufmännischer Direktor
Inhaltsverzeichnis
Jutta Leskovar
7 Vorwort
David Ruß
8 Lückenschluss oder der Versuch einer anfänglichen Bilanz
Barbara Hausmair
11 Micheldorf/Kremsdorf – Frühmittelalter zwischen Baiovaria und Karantanien
Peter Pesseg
191 Das frühmittelalterliche Gräberfeld von Breitenschützing-Schlatt
David Ruß
271 Das frühmittelalterliche Gräberfeld von Steyr-Gleink, Hausleitnerstrasse
Miriam Weberstorfer
357 Die Ergebnisse der paläodemografischen und paläopathologischen Untersuchungen
des frühmittelalterlichen Gräberfeldes von Steyr-Gleink, Hausleitnerstrasse
Franz Schatz
383 Die frühmittelalterliche Siedlung Lehen-Mitterkirchen, Oö.
Doris Jetzinger
461 Das Fundmaterial der frühmittelalterlichen Gräberfelder von Sinzing-
Ostermiething, Linz-Wegscheid und Bad Goisern
Erich Nau
499 Das bajuwarische Gräberfeld von Bad Wimsbach-Neydharting.
Archäologische und archäometallurgische Auswertung
Roman Skomorowski
541 Die frühmittelalterlichen Funde aus Gunskirchen-Moostal
Micheldorf/Kremsdorf – Frühmittelalter
zwischen Baiovaria und Karantanien
Barbara Hausmair
1. EINLEITUNG
Seit über 100 Jahren ist Micheldorf/Kremsdorf im leiteten, immer wieder auf eine „slawische“ Komponente
oberösterreichischen Kremstal als Fundstelle frühmit im frühmittelalterlichen, archäologischen Material der
telalterlicher Bestattungen bekannt. Mehrere Grabungs östlichen und südöstlichen Grenzgebiete Oberösterreichs
kampagnen (1906–1909, 1959, 1960, 1978, 1987) brachten im hinwiesen und als Niederschlag „slawischer“ Migrations
Bereich der heutigen Gräberfeldstraße über 76 Bestattun bewegungen bedingt durch politische Veränderungen des
gen zu Tage, welche einen Einblick in die Bevölkerung des benachbarten Awarenreiches interpretierten, lehnte
(c
Frühmittelalters der Region gestatten. Obwohl diese Be J. Reitinger die mögliche Beeinflussung der oberöster
stattungen in kürzeren Beiträgen der Ausgräber und Aus reichischen Grenzgebiete durch „slawische“ Nachbarn, ge
gräberinnen bereits vorgestellt und einzelne Funde bzw. schweige denn eine eventuelle Zuwanderung, vehement
Inventare im Detail diskutiert oder zum Vergleich mit ab und meinte in den Funden von Kremsdorf den Beleg
Material anderer frühmittelalterlicher Gräberfelder her für eine „deutsche Bevölkerung“ im Kremstal zu sehen.
angezogen wurden, stand eine umfassende Aufarbeitung Eine, dieser Position Reitingers immanente, nationalis
des Fundmaterials, eine Analyse der Befundstrukturen und tische und auch völkische Denkweise ist nicht bestreitbar.
eine Auseinandersetzung mit der kulturhistorischen Be Heute ist es in der archäologischen Forschung unumstrit
deutung des Fundortes bislang aus. Mit dem vorliegenden ten, dass es spätestens ab dem 8. Jahrhundert in den Grenz
Beitrag wird das Kremsdorfer Material nun erstmals in gebieten des oberösterreichischen Raums an der unteren
seiner Gesamtheit vorgelegt und auf seinen Aussagewert Enns und im südöstlichen Voralpenraum intensive Kon
zur Bevölkerung des Frühmittelalters im Grenzgebiet zwi takte zwischen den Institutionen und Bevölkerungen der
schen Baiovaria und Karantanien diskutiert. westlichen Baiovaria und dem südöstlich gelegenen Ka
Ab den 1960er Jahren stand das Kremsdorfer Gräberfeld rantanien gab, die in ein soziopolitisches Netzwerk ein
im Rahmen der oberösterreichischen Frühmittelalter gebunden waren. Die Arbeiten von E. Szameit und
archäologie immer wieder im Brennpunkt intensiver Dis S. Eichert zur Chronologie des frühmittelalterlichen
kussionen zur ethnischen Zugehörigkeit der dort bestatte Ostalpen- und österreichischen Donauraumes und seine
ten Gemeinschaft. Während V. Tovornik und M. Pertl Beiträge zur Ethnogenese-Diskussion bzw. „Slawenproble
wieser, die selbst eine der Ausgrabungen in Kremsdorf matik“ der vor- und frühkarolingerzeitlichen Bevölkerung
)
haben die Diskussion hier maßgeblich beeinflusst und stär
ker Bezug auf Konzepte zur Entwicklung ethnischer Iden
Die hier verwendeten Begriffe sind in ihrem forschungsgeschicht-
lichen Kontext zu verstehen und daher unter Anführungszeichen
gesetzt. Die Problematik der ethnischen Zuweisung materieller Kul-
tur und damit einhergehend der Bezeichnung von Fundmaterial als
„slawisch“, „germanisch“ etc. wird im Rahmen der Interpretation des
Kaschnitz – Abramic 1909; Kloiber 1961; Vetters 1976; Pertlwieser Kremsdorfer Materials weiter unten diskutiert. Vgl. zur Problematik
– Tovornik 1979; Pertlwieser 1980; Tovornik 1985; Schwanzar 1991. grundsätzlich Jones 1997; Brather 2004; Díaz-Andreu et al 2005.
Daim 2000; Hausmair 2009. Pertlwieser 1980; Tovornik 1980; Tovornik 2002a.
Breibert 2005; Eichert 2010. Reitinger 1980, 25f.
Der vorliegende Beitrag basiert auf meiner 2008 an der Universität Szameit 1991; 1993; 1994; 2000.
Wien abgeschlossenen Diplomarbeit Hausmair 2008. Eichert 2010; 2011; 2013a und c.
— 11 —
titäten aus den Geschichtswissenschaften berücksichtigt. ist das Kremstal ca. 2,1 km breit und bietet mit großzügigen
Die Chronologie der Funde stellt in diesem Zusammen Grünflächen im Sohlenbereich und Waldbewuchs an den
hang eine spezielle Problematik dar, da zwischen der von Hängen ein landwirtschaftlich gut nutzbares Areal. Nach
J. Giesler in die Forschung eingebrachten Teilung des Süden hin bietet sich ein bemerkenswerter Blick in das
frühmittelalterlichen ostalpinen Fundmaterials in die drei Reichraminger Hintergebirge und das Sensengebirge. Nur
sogenannten Köttlacher Horizonte eine beachtliche zeit wenige Kilometer von Micheldorf entfernt entspringt die
liche Diskrepanz zu vergleichbarem westlichem Material Krems am Fuße der Kremsmauer, die 1604 m Höhe er
besteht10. Obwohl J. Giesler bis heute sein Chronolo reicht. Von dort aus fließt die Krems nordwärts, durch
giemodell nicht mit relevanten Befunden untermauert quert das Micheldorfer Gemeindegebiet, wobei sie die zu
hat, ist der Einfluss seines Beitrags auf die Frühmittelal besprechende Fundstelle flankiert, und weiter durch das
terforschung immer noch beachtlich, obgleich das chro Traunviertel, bis sie knapp vor Linz in die Traun mündet.
nologische Schema bereits mehrmals kritisiert wurde und
archäologisch konsistentere Alternativen vorliegen11. 2.2. Geschichtlicher Hintergrund
Bei der Bearbeitung des Kremsdorfer Fundstoffs wird in Schriftliche Quellen, welche für das betreffende Siedlungs
diesem Beitrag durch typologische Vergleiche und das Stu gebiet relevant sind, treten zum ersten Mal im 10. Jahr
dium der verschiedenen Chronologiethesen eine zeitliche hundert auf. In einer Urkunde aus dieser Zeit wird
Einordnung der Grabfunde vorgelegt. Weiters stellt die erstmals ein größeres Dorf im Bereich der oberen Krems
Arbeit den Versuch dar, ein Bild der Kremstaler Bevölke erwähnt, welches mit dem heutigen Micheldorf in Ver
(c
rung im Frühmittelalter zu erarbeiten und die Situation bindung gebracht werden kann. Das mittelhochdeutsche
am Grenzbereich der Ostalpen durch die archäologischen „michel“ findet seine Entsprechung im neuhochdeutschen
Hinterlassenschaften besser beurteilen zu können. Als „groß“, woraus Historiker schließen, dass mit dem, in der
Grundlage für diese Analysen gilt es zuerst, sich inten Urkunde erwähnten, größeren Dorf Micheldorf gemeint
siv und ausführlich mit dem Fundmaterial und der Struk ist14. Um 1110 wird der Ort Micheldorf das erste Mal na
tur des vorliegenden Befundes auseinander zu setzen. So mentlich in einer Urkunde erwähnt15. Das in dieser Arbeit
soll auch herausgefunden werden, ob in Kremsdorf ein zu behandelnde Material ist jedoch älter als diese urkund
geschlossenes Gräberfeld vorliegt oder ob V. Tovorniks liche Erwähnung. In einem kurzen Überblick sollen die
Annahme, es handle sich um mehrere, kleine, separate Be Ur- und Frühgeschichte und der historische Hintergrund
stattungsplätze, bestätigt werden kann12. der archäologischen Funde erläutert werden.
2. RUND UM DEN FUNDORT 2.2.1. Überblick der regionalen Ur- und Frühge-
2.1. Allgemeines zu Fundort, Geographie schichte
und Geologie Die ältesten archäologischen Belege für menschliche An
Das frühmittelalterliche Gräberfeld von Micheldorf/ wesenheit in der Micheldorfer Gegend können in das
Kremsdorf befindet sich in Kremsdorf, einem Ortsteil der späte Neolithikum datiert werden und stammen vom
Marktgemeinde Micheldorf an der Krems, KG Mitter Humsenbauernkogel. Abschläge, Klingen, Steinbeile und
micheldorf, im südsüdöstlichen Teil Oberösterreichs – Feuersteinfragmente sind vom Fuße des Hügels belegt.
dem Traunviertel (Abb. 1). Ähnliche Fundplätze aus der Bronzezeit und der älteren
)
Geologisch gesehen liegt Micheldorf am südlichen Rand Eisenzeit fehlen dafür gänzlich. Lediglich Streufunde sind
der kalkalpinen Randzone, in der mit glazialen Schottern bekannt16. Ä. Kloiber erwähnt in seinem unveröffent
gefüllten Talsohle des oberen Kremstals. Das Landschafts lichten Schlussprotokoll der Grabung 1959 im frühmittel
bild ist geprägt durch Moränenschotter des mindel alterlichen Gräberfeldareal zahlreiche Streufunde aus der
eiszeitlichen Kremsgletschers13. Im Micheldorfer Gebiet Region, die zwischen 1900 v. und 1100 n. Chr. datieren, geht
aber nicht näher auf deren Art und Verbleib ein.
10 Giesler 1980.
11 Korošec 1979b, 337, 360f.; Szameit 1991; 1994a; 1994b; Pöllath
Um etwa 400 v. Chr. dürfte sich eine norisch geprägte Be
2002a: 198; Gleirscher 2002, 102f.; Eichert 2010; 2013a.
12 Tovornik 1985, 216. 14 Neumeyer 1997, 16.
13 Detaillierte Ausführungen zur Geologie des Raumes finden sich bei 15 UbLE II, 95.
Maurer 1968 und Albaba 1983. 16 Zeller o.J., 9; Neumeyer 1997, 13.
— 12 —
(c
)
Abb. 1: Geographische Lage von Micheldorf in Oberösterreich (ASTER GDEM is a product of METI and NASA).
— 13 —
völkerung im oberen Kremstal niedergelassen haben. Auf
dem Georgenberg, einer markanten, fast 600 m über dem
Meeresspiegel liegenden Erhebung im Tal, die zahlreiche
archäologische Fundstellen beherbergt, finden sich neben
römischen bis mittelalterlichen Funden und Befunden
auch Hinterlassenschaften aus der Spätlatènezeit. Keramik
sowie die Überreste einer späteisenzeitlichen Befestigung
mit doppelter Wallanlage datieren in diese Periode.17
Nach der Besetzung der Region durch die Römer im Zuge
der Annexion des Regnum Noricum erlangte das Gebiet des
heutigen Micheldorf und seine unmittelbare Umgebung
eine wichtige Bedeutung im Zuge des römischen Straßen
ausbaus. Von Süden her errichteten die Römer einen Stra
ßenzug der über den Pyhrnpass, das Teichel-, Steyer- und
Kremstal bis nach Ovilava – das heutige Wels – führte und
auch durch das heutige Micheldorf verlief.18 Überreste der
römischen Wegbefestigung wurden bei Kanalarbeiten an
der Bahnhofsstraße, ca. 60–70 cm unter dem heutigen
(c
Straßenniveau angeschnitten19. Auch H. Vetters konn
te 1962 Reste der Straße am östlichen Ende seiner Gra
bungsfläche im Gräberfeldareal feststellen20. Zahlreiche
Poststationen säumten diesen Straßenzug – eine davon,
welche auch auf der Tabula Peutingeriana (Abb. 2) ver
zeichnet ist, mit dem Namen Tutastione21. Diese wird im
Bereich von Micheldorf vermutet. Archäologisch konnte
die Poststation jedoch noch nicht nachgewiesen werden.
Vetters vermutet sie allerdings nahe der gefundenen
Straßenstrukturen, südlich der Gräberfeldgrabung von G.
Abb. 2: Ausschnitt aus der Tabula Peutingeriana mit der im heutigen Mi
v. Kaschnitz aus dem Jahr 1906/1907. Er selbst führte in cheldorf vermuteten römischen Poststation Tutastione (Tutatio) im linken
diesem Bereich 1962 Grabungen durch, bei denen er auf oberen Bildbereich (Wikimedia Commons/Public Domain).
römische Mauerstrukturen stieß, die in das 2. Jahrhundert
n. Chr. zu stellen sind. Der Befund war allerdings nicht ein station befinde sich ein Wort keltischen Ursprungs. Zel
deutig genug, um die Poststation tatsächlich in diesem Be ler mutmaßte, dass aus dem keltischen Gott „Teutates“
reich zu lokalisieren. der Stationsname „Tutatio“ entsprang, der wiederum dar
Ebenfalls in die Römerzeit datiert ein in der Literatur als auf hinweist, dass in dem „norisch-römischen Umgangs
„norisch-römischer Umgangstempel“ angesprochener Be tempel“ der keltische Gott Teutates verehrt wurde. Bis
fund, der auf dem Georgenberg ergraben wurde22. Franz dato konnte die Theorie weder verifiziert noch falsifiziert
)
Zeller stellte in seinem Buch „Zur ältesten Geschich werden23. Auf Teilen der latènezeitlichen Strukturen wur
te des oberen Kremstales“ die Theorie auf, hinter dem de in der Spätantike eine neue Befestigungsanlage erbaut24.
lateinischen Namen „Tu(s)tatio(ne)“ für die römische Post Im Zuge der Völkerwanderungen und im Anschluss daran
dürfte es zur Besiedelung des Gebiets durch unterschied
17 Vetters spricht von einem Murus Gallicus: Vetters 1976, 11-15, 26f.
Entsprechende Dokumentation, um diese Ansprache zu verifizieren,
liche Bevölkerungsgruppen gekommen seine, denen in der
ist aber nicht bekannt. Forschung vor allem in Hinblick auf deren ethnische Iden
18 Es ist anzunehmen, dass auch schon vor der Anwesenheit der Römer
dieser Straßenverlauf als Handelsroute genutzt wurde.
tität viel Aufmerksamkeit geschenkt wurde.
19 Neumeyer 1997, 325.
20 Vetters 1976, 35.
21 Winkler 2003, 139. 23 Zeller o.J., 10.
22 Vetters 1976, 17f., 28. 24 Vetters 1976, 15f., 28-31.
— 14 —
2.2.2. Historischer Hintergrund des 7., 8. und weitläufiges geographisches Ursprungsgebiet die Bildung
9. Jahrhunderts einer gemeinsamen ethnischen Identität eher unwahr
Der Fundort Micheldorf/Kremsdorf befand sich im Früh scheinlich ist31.
mittelalter im Grenzgebiet zwischen dem bairischen Her Durch militärische Intervention wurden Bereiche außer
zogtum im Westen und Karantanien, zeitweise unter halb der awarischen und slawischen Siedlungsräume im
awarischer Patronanz, im Osten. Es ist daher notwendig, Karpatenbecken unterworfen und es kam zum Eindrin
die Entwicklung dieser beiden sozio-politischen Bereiche gen slawischer Gruppen in den Ostalpenraum. Das Motiv
genauer zu betrachten. für die slawische Migration in die Ostalpen ist daher zu
nächst auf militärische Interessen von awarischer Seite
2.2.2.1. Slawische Einwanderung in Europa zurückzuführen, die sich gegen die Franken richteten, als
Durch die Zerstörung des Juan-Juan-Reichs im östli auf eine genuin slawische Siedlungsbewegung32. Die slawi
chen Wolgagebiet 552 wurden Bevölkerungsgruppen des schen Ansiedelungen nördlich der Donau, von Regensburg
vorderasiatischen Raums nach Westen verdrängt und tra über die Oberpfalz, Oberfranken und Thüringen bis an
ten als Awaren in das Licht der europäischen Geschichte25. die Elbe, dürften friedlicher vonstatten gegangen sein33.
Unter dem Begriff Awaren ist hier ein soziales Gebilde zu Aus logistischen Gründen, welche die Versorgung von
verstehen, dem sich verschiedenste Bevölkerungsgruppen migrierenden Gruppen betreffen, kann davon ausgegan
unterschiedlicher kultureller Identitäten anschlossen26. gen werden, dass die slawischen Verbände keine men
Nach der Vorsprache einer awarischen Gesandtschaft am schenleeren Räume, sondern wirtschaftlich genützte
(c
Hof von Konstantinopel 558/59 wird von der Unterwer Regionen mit – im konkreten Fall der Ostalpen – roma
fung der Anten und Sklavenen sowie von zwei Angriffen nisch-norischer Grundbevölkerung besetzten. Eine be
awarischer Verbände auf das fränkische Reich (562 und reits bestehende Grundversorgung durch vorhandene
566) und einem militärischen Bündnis mit Kaiser Justi wirtschaftliche Strukturen ermöglichte erst das Fußfas
nian, unter der Bedingung regelmäßiger Zahlungen sei sen der Neuankömmlinge34. Dabei kam es jedoch nicht
tens Konstantinopel, berichtet27. Nach der Einstellung zur massenhaften Einwanderung slawischer Siedler, son
dieser Tributzahlungen durch Justin II. 565 n. Chr. ver dern zu einer Etablierung einer militärisch organisierten,
bündeten sich die Awaren mit den in Pannonien ansäs zahlenmäßig kleinen slawischen Führungsschicht über die
sigen Langobarden und zerstörten gemeinsam 567/68 das autochthone Bevölkerung, wodurch es in Folge sozialer
Reich der Gepiden, was den Awaren den Weg ins Karpa Annäherungsprozesse zur Assimilierung beider Gruppen
tenbecken öffnete28. Durch ein vertragliches Abkommen aneinander kam35. Zu beachten ist hier der weitläufige Er
zwischen den zwei Verbündeten erhielten die Awaren, folg der Expansion slawischer Bevölkerungesgruppen, der
nach dem Abzug der Langobarden nach Italien unter ih wohl mit einem neuen Lebenskonzept, welches eine sys
rem König Alboin, das langobardische Gebiet, also das tematische landwirtschaftliche Erschließung36 und ein
Karpatenbecken von Transsilvanien bis zum Wiener Gesellschaftssystem, in dem keine strenge Hierarchie
wald, übertragen29. Im Gefolge der Awaren wanderten herrschte, zusammenhängen dürfte37. Ein Grund für die im
auch slawische Stämme in das neue Siedlungsgebiet ein, Vergleich zu anderen Epochen bzw. geographischen Räu
die sich in der Peripherie der awarischen Gebiete ansie men wenig differenzierten und aussagekräftigen Hinter
delten30. Als „slawisch“ sind hierbei zunächst unterschied lassenschaften in der Frühphase der slawischen Expansion
)
liche Sozialverbände zu verstehen, die durch slawische könnte in einer eher egalitär strukturierten Gesellschafts
Sprachen charakterisiert sind, jedoch nicht unbedingt ein form begründet liegen, in der soziale Repräsentation zur
Selbstverständnis als größere ethnische Gruppe mitein internen Differenzierung sozialen Rangs von geringer Be
ander teilten, da durch die anzunehmende Vielzahl un
terschiedlicher Stämme und auch ein vermutlich relativ
31 Brather 2004, 601.
25 Wolfram 1987, 347; 1990, 427. 32 Szameit 2001, 517; Daim – Szameit 1996, 319.
26 Wolfram 1995, 307. 33 Daim – Szameit 1996, 320; Tovornik 1988, 118.
27 Pohl 1996a, 197. 34 Szameit 2000, 71, 76.
28 Wolfram 1987, 347. 35 Szameit 2001, 518f.
29 Wolfram 1987, 398; Daim – Szameit 1996, 317. 36 Daim – Szameit 1996, 317.
30 Nowotny 2005, 15. 37 Pohl 1996b, 316.
— 15 —
deutung gewesen sein dürfte und daher auch in der mate Migranten kam46. Inwiefern bzw. ob diese Umstände zu
riellen Kultur wenig Niederschlag fand38. Synkretismen47 in den Ostalpen führten, bevor die orga
In der Langobardengeschichte des Paulus Diaconus wird nisierte Missionierung des Gebiets durch die salzburgische
überliefert, dass das Vordringen der unter awarischer Mission im 8./9. Jahrhundert einsetzte, lässt sich aus den
Oberhoheit stehenden Verbände in den Ostalpenraum Quellen beim momentanen Kenntnisstand nur schwer
bei den bairischen Nachbarn auf wenig Begeisterung stieß, abschätzen. Aquilea dürfte jedoch im 6. bzw. 7. Jahrhun
weswegen diese 592 und 595 unter Herzog Tassilo I. gegen dert nicht aktiv eingegriffen haben, um den Verfall der
die neuen Nachbarn zu Felde zogen39. Im ersten Feldzug organisierten Kirchenstrukturen im ostalpinen Raum zu
sollen die Baiern siegreich und „angeblich reich mit Beute verhindern48.
beladen“40 in ihre Heimat zurückgekehrt sein. 595 wurden Die awarischen Interessen wandten sich am Ende des
sie jedoch von einem den Slawen behilflichen awarischen 6. Jahrhunderts hauptsächlich dem byzantinischen Reich
Heer vernichtend geschlagen und verloren bei dieser Aus zu, von dem das Khaganat seit der Eroberung Sirmiums
einandersetzung 2000 Mann bzw. beinahe ein ganzes 582 wieder Tributzahlungen erhielt49. Nach langen Krie
Stammesheer41. 610 kam es bei Aguntum, vermutlich bei gen, die aber keine Entscheidungen erbrachten, griffen die
Lienz in Osttirol liegend42, erneut zu einer slawisch-bai Awaren 626 erneut Konstantinopel an. Dieser Angriff en
rischen Auseinandersetzung, die mit der Niederlage der dete jedoch für die Awaren in einer vernichtenden Nieder
Baiern unter der Führung Garibalds II. und Plünderungen lage, die das awarische Reich in eine tiefe Krise stürzte.
im Grenzgebiet durch die Slawen endete. Hierauf verblie
(c
ben Teile der Ostalpen, die von der Forschung allerdings 2.2.2.2. Entstehung des karantanischen Fürstentums
nicht genau eingegrenzt werden können, unter slawischer Einige der den Awaren unterstehenden Verbände, darun
Vorherrschaft. Die Grenzzone zwischen Osten und Wes ter auch slawische Stämme, nutzten die Krise innerhalb
ten verlief vermutlich entlang des voralpinen Laufs der der awarischen Führung und sagten sich von der Herr
Enns, über die steirischen, oberösterreichischen und salz schaft der geschwächten awarischen Oberhoheit los. Un
burgischen Kalkalpen (wobei hier ein breiter Grenzraum terstützt durch den fränkischen Kaufmann Samo kam es
entstand), durch den Pongau, bis zur Dreiherrenspitze am an der westlichen Peripherie des Awarenreichs zur Bil
Alpenhauptkamm hin zu den karnischen Alpen östlich dung des sogenannten Samoreichs mit Zentrum im süd
von Innich43. mährischen Gebiet50. Dieses zerfiel jedoch nach dem Tod
Ob diese politischen Entwicklungen dazu führten, dass Samos in der zweiten Hälfte des 7. Jahrhunderts und die
Teile der christianisierten, romanischen Bevölkerung Territorien fielen wieder unter die Herrschaft der Awa
des Ostalpenraums abwanderten und in Folge die noch ren51. Der Loslösung des Samoreichs von den Awaren
existenten, spätantiken Höhensiedlungen und Kirchen im dürften sich auch die sowohl ethnisch als auch sprachlich
Raum verfielen44, oder ob die Desintegration der spätan heterogenen Siedlungsverbände des ostalpinen Raumes52
tiken romanischen Strukturen unabhängig von der Ein angeschlossen haben, die in Folge in enger Verbindung
wanderung slawischer Verbände erfolgte45, wird noch zum Samoreich standen53. Im Gegensatz zu den im Sa
diskutiert. Es ist jedoch davon auszugehen, dass zumindest moreich integrierten Gebieten gelang es diesen Sozial
ein Teil der bereits seit der Spätantike christianisierten au verbänden allerdings – vermutlich durch die günstigeren
tochthonen Bevölkerung in den vormals romanischen topographische Verhältnisse – die Unabhängigkeit von
)
Gebieten verblieb und es zu einem Aufeinandertref den Awaren auch nach dem Tod Samos zu bewahren54.
fen christlicher Reststrukturen mit den neu hinzukom Schriftliche Überlieferungen, welche indirekt die Eigen
menden, zu diesem Zeitpunkt noch nicht christianisierten ständigkeit der ostalpinen Gebiete wiedergeben, berich
— 16 —
ten in diesem Zusammenhang etwa von einem gewissen 2.2.2.3. Geschichte des agilolfingischen Herzogtums
Wallucus, der zu dieser Zeit anscheinend der Elite der sla bis Odilo
wischen Siedler in den Ostalpen angehörte und deren Un An dieser Stelle soll nun ein Blick auf die Vorgänge west
abhängigkeit sowohl gegen die Awaren wie auch gegen die lich des Interessensgebiets stehen, mit einem Exkurs in die
Franken verteidigte sowie die von beiden Seiten verfolgten Geschichte des bairischen Raumes. Im Laufe des 5. Jahr
Alzeco-Bulgaren aufnahm. In der Langobardengeschichte hunderts entstand im bairischen Raum das baiovarische
wird erwähnt, dass der Sohn des Friauler Herzogs Lopus, Herzogtum. Die Ersterwähnung der Baiovaren in Jor
Arnefrit, nach awarischen Übergriffen ebenfalls Aufnah danes‘ Getica 551 n. Chr. wurde in der Forschung lange Zeit
me „in carantanum“ fand55. als Indiz für die bereits fortgeschrittene Ethnogenese des
Diese sozio-politischen Geschehnisse führten in den Ost baiovarischen Volksstammes gedeutet, deren Vollendung
alpen zur Entwicklung eines eigenständigen politischen um 600 angenommen wurde60. Gegenwärtig ist dieses
Gebildes, das auf der Verschmelzung autochthoner Be Modell jedoch stark in Kritik geraten, nicht nur aufgrund
völkerungsgruppen, die zwar nicht unbedingt als ethnisch der intensivierten Debatte zur Deutung archäologischer
oder sprachlich einheitlich zu verstehen sind, aber durch und schriftlicher Quellen als Belege für ein ethnisch zu in
die gemeinsame romanische Vorgeschichte geprägt waren, terpretierendes Selbstverständnis historisch überlieferter
mit den zugewanderten Sozialverbänden slawischer Prä Gruppen. Das durch interdisziplinäre Zusammenarbeit
gung beruhte, die im Zuge dieser Genese die führende stetig wachsende Bewusstsein für die komplexen Prozesse,
Position in der sich neu formierenden Gesellschaft der die der Entstehung ethnischer Identitäten zugrunde lie
(c
Ostalpen einnahmen56. Spätestens um 700 war dieses ge gen61, hat dazu geführt, dass durch die Verschränkung von
sellschaftliche System soweit gewachsen und gestärkt, dass Archäologie, Geschichts- und Sprachwissenschaft neue
es auch von Außenstehenden bzw. Nachbarn als zusam Einblicke in die historischen Prozesse des frühen baiova
mengehörige Struktur unter dem Namen Karantanien rischen Herzogtums gewonnen werden, welche die tradi
verstanden wurde57. Die Entwicklung der karantanischen tionellen Modelle der baiovarischen Stammesentwicklung
Gesellschaft ging mit der Entstehung einer Oberschicht in Frage stellen62. So denkt H. Fehr63 an, dass es sich bei
einher, die ihren Status auch nach außen zu repräsentieren den ältesten Überlieferungen des Baiovarennamen nicht
versuchte, in dem sie sich zu den beiden großen Nachbarn, um die Bezeichnung eines ethnisch kohärenten Sozial
den Baiern und den Awaren, hin öffnete und sowohl Teile verbands handelt, sondern mit diesem Namen zunächst
der östlichen als auch der westlichen, materiellen und im die politische Elite im bairischen Raum bezeichnet wurde,
materiellen Kultur übernahm58. deren Differenzierung im Zuge der fränkischen Expansi
Die Grenzen Karantaniens im frühen 8. Jahrhundert sind onspolitik bedeutend wurde, um sie von den benachbarten
nicht genau bekannt. Das Gebiet dürfte jedoch das heu Gebieten, wie dem alamannischen Herzogtum, abgrenzen
tige Bundesland Kärnten, Osttirol, den Salzburger Lun zu können. Die Ausweitung des Begriffs auf die gesamte
gau, Enns-Pongau, Teile der Steiermark, vermutlich bis Bevölkerung des baiovarischen Herzogtums bzw. die Ent
in die heutige slowenische Untersteiermark, und eventu wicklung eines Selbstverständnisses dieser Bevölkerung
ell Bereiche des südlichen Ober- und Niederösterreichs als überregional zusammengehörige Gruppe könnte sich,
umfasst haben. Unter dem ersten bekannten Fürsten der so Fehr, erst als Resultat der politischen Entwicklung
Karantanen, Boruth, kam es erneut zu einem Versuch langsam entwickelt und durchgesetzt haben und als eth
)
der Awaren, die Vorherrschaft über die Bevölkerung des nische Definition für das 5. Jahrhundert noch keine Be
Ostalpenraums zurückzuerobern, was Boruth dazu veran deutung gehabt haben.
lasste, sich 741/42 an den westlichen Nachbarn, den Bai Zwar kann an dieser Stelle nicht näher auf die Thematik
ernherzog Odilo, um Hilfe zu wenden59. der Identitätsbildungsprozesse in der Baiovaria eingegan
gen werden, festzuhalten bleibt jedoch, dass um die Mitte
des 6. Jahrhunderts, zur Zeit des ersten namentlich be
55 Eichert 2007, 16f.; Wolfram 1995, 80f., 302.
56 Eichert 2011, 434; Daim – Szameit 1996, 321. 60 Roth 1973, 601; Weissensteiner 2000, 77-80; Strömer 2002, 25.
57 Wolfram 1979, 81. 61 Vgl. u. a. Jones 1997; Brather 2004; Hakenbeck 2007; Fehr 2010.
58 Daim – Szameit 1996, 321. 62 Vgl. Fehr – Heitmeier 2012.
59 Wolfram 1995, 301, 303. 63 Fehr 2010.
— 17 —
kannten Baiernherzogs Garibald I. aus der Familie der Agi Hand mit dem Niedergang des merowingischen Franken
lolfinger, der eine Tochter des Langobardenkönigs Wacho reichs, was den untergeordneten gens kurzfristig zu mehr
heiratete, bereits ein Großteil des „altbairischen“ Gebietes Unabhängigkeit verhalf 69.
unter der Oberhoheit des baiovarischen Dukats stand 714 übernahm jedoch Karl Martell, wenn auch nicht in
und es im Zuge eines starken Bevölkerungszuwachses64 Form der Königswürde so doch praktisch, die Macht und
zur raschen Expansion des Siedlungsgebietes kam, bei der Verwaltung der schwachen Merowingerkönige und legte
sicherlich der Zugriff auf die verkehrsgünstigen Alpenpäs den Grundstein für das Wiedererstarken des Franken
sen, wie dem Brenner, ein politisches Interesse darstellte65. reichs unter den Karolingern. Durch innere Konflikte im
Garibald I. war formal der Oberhoheit des fränkischen Herzogtum sah sich Baiernherzog Odilo I. (vor 700–748)
Königshauses unterstellt. Innenpolitische Spannungen des gezwungen, 740 Zuflucht bei Karl Martell zu suchen. 741
Frankenreichs erlaubten ihm aber zunächst eine relativ kehrte er rehabilitiert nach Baiern zurück, ließ jedoch am
unabhängige Politik zu betreiben und eigene Interessen zu Hofe Karl Martells dessen geschwängerte Tochter Hiltrud
verfolgen. Durch mehrere Eheschließungen zwischen der zurück. Diese folgte ihm kurze Zeit später nach Baiern
baiovarischen Herzogsfamilie und der langobardischen nach, wo die beiden schließlich heirateten und der ge
Königsfamilie versuchte Garibald seine Position durch ein meinsame Sohn Tassilo, später Tassilo III., zur Welt kam.
anti-fränkisches Bündnis zu stärken. Dies führte jedoch Die Verbindung Hiltruds und Odilos wurde allerdings sei
unweigerlich zu wachsenden Konflikten mit den Franken tens des fränkischen Hofes missbilligt und war eine Belas
und mündete schlussendlich in der Einsetzung eines neuen tung für die bairisch-fränkischen Beziehungen. Im selben
(c
Herzogs für Baiern durch den Frankenkönig Childebert II. Jahr verstarb Karl Martell und das Frankenreich wurde
Der neue Dux, Tassilo I., war ebenfalls ein Mitglied der zwischen seinen Söhnen Karlmann I. und Pippin dem
Agilolfingerfamilie – vermutlich eng verwandt mit Gari Jüngern, den Brüdern Hiltruds, aufgeteilt, wobei ersterer
bald –, dürfte aber enge Beziehungen zum fränkischen Kö die Macht über Austrasien, die Alamannia und Thürin
nigshaus gepflegt haben und daher als günstigere Wahl für gen, letzterer über Neustrien, Burgund und die Provence
die fränkischen Interessen erschienen sein66. In Tassilo be erhielt.
gegnen wir dem Baiernherzog, der mit seinem Heer 595 Um 741/742 suchten die Karantanen unter der Führung
den slawisch-awarischen Verbänden unterlag. Boruths Hilfe bei Odilo gegen die Awaren. Odilo unter
Trotz dieser fränkischen Intervention und der offiziellen stützte die Karantanen bei der Zurückdrängung der Awa
Anerkennung der Oberhoheit des Frankenkönigs67 betrie ren, im Gegenzug verlangte er aber die Anerkennung der
ben die baiovarischen Herzöge auch in der Folgezeit eine bairischen Oberhoheit über Karantanien, welches nun
tatsächlich vom Reich der Merowinger relativ unabhän seine Unabhängigkeit verlor. 743 leisteten die Karanta
gige Politik mit guten Kontakten zu den übrigen Nach nen dem Herzog Heerfolge beim Feldzug gegen die das
barn, wie Alamannen, Burgundern und Langobarden. Ab Herzogtum bedrängenden Franken. Boruths Sohn Caca
dem frühen 7. Jahrhundert wurden im Zuge des bairischen tius und sein Neffe Cheitmar wurden von Odilo als Gei
Landesausbaus auch heute oberösterreichische Teile in die seln genommen, um sich die Loyalität der Karantanen
baiovarische Verwaltung miteingebunden, was sich auch zu sichern70. Bei dieser Auseinandersetzung unterlagen
in den Inventaren der zeitgenössischen Gräberfelder im die Baiern jedoch den Franken, welche in Folge Odilo zur
oberösterreichischen Bereich östlich der Enns nachvollzie Anerkennung der fränkischen Oberhoheit zwangen71.
)
hen lässt68. Um 700 reichte das bairische Herzogtum bis an So wuchsen die karantanischen Fürstenkinder im frän
die Traun, womit auch der Raum um Micheldorf in un kischen Reich auf und erhielten eine christliche Erzie
mittelbare Nachbarschaft zu den Baiern geriet. Die star hung, was bei der Rückkehr der beiden in ihre Heimat zu
ke Expansion der Baiern und die Entstehung zahlreicher verstärkten Christianisierungsversuchen in Karantanien
Kleinstaaten in Mittel- und Westeuropa ging Hand in führte. Zunächst trat Cacatius die Nachfolge seines Vaters
Boruth im Jahr 750 an. 752 wurde allerdings Cheitmar vom
64 Strömer 2002, 41.
65 Menke 1988, 72.
66 von Freeden 1996, 316; Wolfram 1995, 78. 69 Classen 1978, 170f.
67 Classen 1978, 170 70 Wolfram 1995, 84, 303.
68 Vgl. Hausmair 2012; 2013. 71 Classen 1978, 174.
— 18 —
fränkischen König als Fürst in Karantanien eingesetzt72. mit Tassilo seinen Verbündeten südlich der Alpen ver
Die Bevölkerung Karantaniens widersetzte sich aber der lor. Tassilo hielt sich jedoch von den Eroberungsfeldzügen
vom Fürsten unterstützten christlichen Mission, sodass es seines Vetters fern und leistete ihm auch in den Sachsen
763 und 765 zu Aufständen kam, die von Cheitmar nieder kriegen keine Heerfolge, sondern widmete sich dem Aus
geschlagen wurden. bau der bairischen Kirchenorganisation75. 777 gründete er
das Kloster Kremsmünster, was, entgegen der allgemei
2.2.2.4. Tassilo III. und Karl der Große nen Annahme, nicht zur Missionierung slawischer Bevöl
Karlmann übergab 747 seine Ländereien an seinen Bruder kerung im östlichen Oberösterreich geschah, sondern um
Pippin und zog sich in ein Kloster zurück. Nach dem frü die Herrschaftsrechte des Herzogs im Traungau zu stärken
hen Tod Odilos übernahm Pippin die Vormundschaft des und damit die Grenze nach Osten zu festigen. Die Abwe
noch minderjährigen Sohns des Baiernherzogs und seiner senheit Tassilos von Karls Feldzügen stellte eine Demons
Schwester Hiltrud, Tassilo III. Die fränkischen Reichsan tration der Unabhängigkeit des Herzogtums dar, welches
nalen berichten, dass dieser als erwachsener Baiernher um 780 das letzte autonome Gebiet im Frankenreich war.
zog dem nunmehr alleinigen Frankenkönig Pippin 755/56 Dies veranlasste Karl dazu, Tassilo 781 in Worms zur Er
Heerfolge leistete und ihm 757 einen Treueid schwor. neuerung seines Treueschwurs gegenüber der fränkischen
Während eines Feldzugs gegen Aquitanien 763 kam es je Krone zu zwingen76.
doch zu Unstimmigkeiten zwischen Tassilo und seinem Kämpfe zwischen den nun in Italien regierenden Fran
früheren Vormund, woraufhin die Baiern das fränkische ken und Baiern an der Südgrenze des Herzogtums brach
(c
Heer verließen. Dieses Szenario wurde Tassilo später un ten Tassilo immer mehr in Bedrängnis. Als er 786/87 Karl
ter Karl dem Großen zum Verhängnis und führte zum im Feldzug in Benevent wieder die Unterstützung ver
Verlust seines Herzogtums73. sagte, wurde er erneut nach Worms vorgeladen, wo er al
Zwei Jahre nach der Heirat Tassilos mit Luitbirg, einer lerdings nicht erschien77. Karl nahm dies zum Anlass 787,
Tochter des letzten langobardischen Königs Desiderius, zwar ohne kämpferischen Einsatz, aber mit einem großen
starb Pippin der Jüngere 768 und hinterließ seinen Söh Teil seines Heeres nach Baiern einzumarschieren. Tassilo
nen Karl und Karlmann das Reich, welche es unter sich musste Karl das Land übergeben und bekam es dann von
aufteilten. Durch die Hochzeit Karls (des Großen) mit diesem als Lehen zur Verwaltung verliehen, was ihn end
einer anderen Tochter des Langobardenkönigs Desiderius gültig zum Vasallen des Frankenkönigs machte78. Um die
wurden Tassilo und sein Vetter zu Schwägern und es kam Loyalität Tassilos zu gewährleisten, nahm Karl zwölf Gei
zu einem Bündnis zwischen Karl, Tassilo und Desiderius seln aus dem näheren Umfeld des Herzogs, darunter sei
gegen Karlmann. 769, nach dem Tod des Karantanenfürs nen Sohn.
ten Cheitmar, kam es erneut zu Revolten in Karantanien, In keinem von Karls unterworfenen Ländern blieben die
denen Tassilo III. nun seine Aufmerksamkeit widmete. gentilen Herrscher lange an der Macht, sondern wur
Es begann ein dreijähriger, gewaltsamer Krieg, in dem die den durch fränkische Adelige ersetzt. Dieses Vorgehen ist
Baiern 772 siegten. Karantanien blieb jedoch, zwar unter mit der Einsetzung von kaiserlichen Statthaltern an Stelle
der Oberhoheit des bairischen Herzogs, als gentiles Fürs gentiler Herrscher bei der Umwandlung römischer För
tentum bestehen. Namentlich bekannt sind die Fürsten derratenreiche in den Reichsprovinzen in der römischen
Priwizlauga, Cemicas, Ztoimar und Etgar74. Kaiserzeit zu vergleichen79. 788 wurde Tassilo samt seiner
)
Als Karlmann 771 unerwartet starb, übernahm Karl Familie der Prozess gemacht, wobei ihm vorgeworfen
dessen Länderein, verstieß seine langobardische Frau, wor wurde, 763 Fahnenflucht begangen zu haben, ein bis heu
aufhin Desiderius auf die Salbung der Kinder Karlmanns te in der Rechtsgeschichte umstrittener Vorwurf. Das ver
durch den Papst drängte, um ihre Ansprüche auf den hängte Todesurteil ließ Karl jedoch zu einer Verbannung
Thron geltend zu machen und die fränkische Reichstei ins Kloster umwandeln und erlangte so die gesamte Ober
lung aufrecht zu erhalten. Karl intervenierte jedoch 773/74
in Oberitalien und unterwarf das Langobardenreich, wo 75 Classen 1978, 174, 177.
76 Szameit 1995/96, 306; Wolfram 1995, 133.
72 Wolfram 1995, 303. 77 Wolfram 1995, 86-93.
73 Classen 1978, 174. 78 Classen 1978, 178.
74 Wolfram 1995, 304. 79 Wolfram 1979, 82.
— 19 —
hoheit über das bairische Herzogtum. 794 ließ er Tassi 2.2.2.6. Die Zeit nach den Awarenkriegen
lo noch einmal offiziell auf seinen Herzogstitel verzichten, Noch während die Offensive gegen die Awaren im Gange
um seine eigene Herrschaft zu legitimieren80. Damit ende war, ließ sich Karl der Große am 25. Dezember des Jahres
te das selbstständige bairische Herzogtum, Baiern als Ver 800 in Rom von Papst Leo III. zum Kaiser krönen89. Durch
waltungseinheit blieb jedoch bestehen81. die Unterwerfung der Awaren 805 reichte das fränkische
Gebiet nun bis nach Pannonien, was Karl zu einer wei
2.2.2.5. Awarenkriege82 teren Umstrukturierung der Verwaltung veranlasste.
Noch im Jahr der Absetzung Tassilos 788 kam es an der Nach dem Tod des Ostpräfekten Gerold I. während der
bairischen und italischen Grenze des Frankenreichs zu Awarenkriege kam es zur Teilung Baierns. Der Traungau
militärischen Auseinandersetzungen zwischen Franken wurde zu einer eigenen Grafschaft, die sich um 830 bis zur
und Awaren. 791 stand das Heer Karls erneut an der Enns Raab hin erstreckte. Das übrige Baiern wurde zu einer
grenze zum Awarenreich83. Der fränkische Einfall in das Obergrafschaft zusammengefasst, während Karantanien
feindliche awarische Gebiet verlief allerdings ohne große auch weiterhin unter der Führung gentiler Fürsten stand90.
militärische Interventionen, da sich die Awaren bereits Graf Audulf, der spätestens seit 802 Präfekt in Baiern war,
bis hinter die Raab zurückgezogen hatten und das Gebiet verwaltete das Land gemeinsam mit Bischof Arn von Salz
westlich davon kampflos den Franken überlassen hatten84. burg, während die Ostlande, also der Traungau und die
Durch eine Pferdeseuche zum Umkehren gezwungen, un Gebiete östlich der Enns, dem Ostlandpräfekten Werner
terbrach Karl das Unternehmen und begann mit den Vor untergestellt waren. Das Amt des Baiern-Präfekten blieb
(c
bereitungen für einen erneuten Einmarsch in der Awaria. nach dem Tod Audulfs 818 unbesetzt91.
Begünstigt wurde das Vorhaben der Franken nun aber Um etwaige Streitereien nach seinem Tod zu verhindern,
auch durch den Bürgerkrieg, der unter den Awaren auf ordnete Karl 806 seine Nachfolge, die eine Aufteilung
flammte und zum Zerbrechen des Reichs führte85. Immer seines Reiches auf die drei Söhne aus der Ehe mit Hildegard
wieder unterwarfen sich awarische Eliten der fränkischen vorsah. Demnach sollte Pippin, der bereits Herrscher über
Oberhoheit und erleichterten so Karl den Krieg86. Italien war, noch Baiern und die südliche Alamannia, Lud
Nach der Plünderung des „Hring“, dem Herrschaftssitz wig neben Aquitanien auch Septimanien, die Provence
des Khagans, 795 unterwarf sich dieser ein Jahr später und einen Teil Burgunds, und der älteste Sohn, Karl, als
den Franken. Zwar kam es in den nächsten Jahren noch Haupterbe das fränkische Kernland zwischen Loire und
zur Auseinandersetzung mit dem sich ein letztes Mal Rhein bis hin zur Elbe erhalten. Pippin und Karl verstarb
aufbäumenden Awarenreich – die fränkischen Ostprä en jedoch 810 bzw. 811, wodurch Karls Plan nie zur Um
fekten Gerold I. und Erich von Friaul kamen während die setzung kam. Ludwig der Fromme wurde alleiniger Erbe
ser Auseinandersetzungen 799 um, und 802 mussten die des fränkischen Reichs, 813 zum Mitregenten seines Va
Franken eine Niederlage hinnehmen –, 805 war die Des ters ernannt und schließlich, nach dessen Ableben 814 zum
integration des Awarenreichs mit der Einsetzung eines Kaiser gekrönt92. Karls ältester Sohn, Pippin der Bucklige,
christlich getauften Kapkhan durch den inzwischen zum der aus einer früheren Verbindung seines Vaters stammte,
Kaiser gekrönten Karl aber endgültig87. Die letzte Nen wurde in der Erbfolge übergangen93.
nung des awarischen Tributärfürstentums datiert in die 819 kam es mit dem Aufstand des slawischen Fürsten
Jahre 826/27 im Zuge des Einfalls von Bulgaren im nun Luidewit, dessen Fürstentum sich im heutigen Kroatien
)
fränkischen Pannonien88. befand, unter Mitwirkung benachbarter Gruppen, ge
gen die fränkische Herrschaft zu Problemen in den öst
lichen Gebieten des Reichs. Der Aufstand wurde zwar
80 Wolfram 1995, 86-93. vom friaulischen Markgrafen Balderich niedergeschlagen,
81 Szameit 1996b, 446.
82 Karten zu den Awarenkriegen und der Zeit danach bei Distelberger
um jedoch in den slawischen Landesteilen für Frieden zu
1996, 290f.
83 Brunner 1996, 448; Szameit 1996b, 446.
84 Pohl 1996c, 429. 89 Erkens 1999, 2f.
85 Wolfram 1995, 237. 90 Wolfram 1995, 219, 304.
86 Wolfram 1979, 72. 91 Wolfram 1995, 158-160.
87 Wolfram 1995, 233-240; Pohl 1996c, 429f. 92 Schieffer 2000, 249.
88 Wolfram 1995, 240; Pohl 1996c, 432. 93 Wolfram 1995, 159.
— 20 —
sorgen, erließ Ludwig der Fromme um 828 die fränkische zen des Westens. Während für das fränkische Kernland
Grafschaftsverfassung, in deren Zuge der karantanische ein Fortbestand christlicher Kultur nach dem Zerfall des
Fürst Etgar vom bairischen Grafen Helmwinus ersetzt römischen Imperiums als gesichert gilt, stellt sich die Fra
wurde. Damit endete das gentile Fürstentum der Karan ge in den östlichen Einflussbereichen des Frankenreichs,
tanen, und die Franken übernahmen vollends die Verwal wie der Alamannia oder der Baiovaria, nicht so klar dar,
tung der Ostlande. obwohl auch hier vermehrt zumindest punktuelle Konti
Die Probleme im fränkischen Reich gingen jedoch wei nuitäten denkbar sind97.
ter. In der Ordinatio imperii von 817 sah Ludwig der From Für das hier diskutierte Interessensgebiet stellt sich die
me die Teilung seines Reiches auf seine drei Söhne Lothar Problematik durch das Einsickern slawischer Verbände in
(I.), Pippin und Ludwig (der Deutsche) vor. Durch die Ge den Ostalpenraum ab dem 6. Jahrhundert allerdings etwas
burt seines vierten Sohnes Karl (der Kahle) war jedoch ein anders dar als in den fränkisch beeinflussten Gebieten des
Problem entstanden, da nun ein weiterer Erbe vorhanden Westens. Wie bereits zuvor angesprochen, ist der Verfall
war. Es kam zu langwierigen Auseinandersetzungen zwi der spätantiken christlichen Strukturen im Ostalpenraum
schen Vater und Söhnen, die dazu führten, dass die von Gegenstand intensiver Forschung, und ein substantieller
Ludwig angestrebte Erhaltung des fränkischen Großreichs Verlust christlicher Strukturen am Übergang von Spätan
nicht zu Stande kam94. 843, drei Jahre nach Ludwigs Tod, tike zum Frühmittelalter steht außer Frage. Aus den
beschlossen die Söhne des Kaisers im Vertrag von Ver schriftlichen Quellen ist diesbezüglich wenig zu erfah
dun die Teilung des Reichs. Karl II. der Kahle erhielt das ren. Archäologisch lässt sich aber etwa anhand der früh
(c
westliche Frankenreich, Ludwig II. der Deutsche das öst mittelalterlichen Keramikentwicklung im karantanischen
liche und Lothar I. Lothringen und die Kaiserwürde. Pip Raum zumindest der Einfluss einer autochthonen, roma
pin war bereits 838 verstorben95. Mit diesem Akt war der nischen bzw. romanisierten Bevölkerung nachverfolgen98.
Grundstein für die spätere Entstehung Frankreichs und Auch etymologisch sind im karantanischen Gebiet einige
Deutschlands gelegt und das Ende des fränkischen Groß Beispiele zu finden, die auf Sprachkontinuität spätanti
reichs besiegelt. Baiern und die Ostlande wurden weiter ken Ursprungs schließen lassen99. Inwiefern jedoch eine
hin von Grafen verwaltet. Auf Drängen des Kaisersohns anzunehmende christliche einheimische Bevölkerung die
Karlmann wurde diesem 856 von Ludwig die Herrschaft Vorstellungen der slawischen Zuwanderer vor der syste
über die Ostlande übertragen. Jedoch strebte Karlmann matischen bairisch-fränkischen Missionierung des Ostal
zu Ungunsten seiner jüngeren Brüder auch die Macht in penraums beeinflusste, ist schwer zu bestimmen. Es kann
Baiern an. Erneut brachen Kämpfe, diesmal um das Erbe angenommen werden, dass die in die Ostalpen einwan
Ludwig des Deutschen, aus, welche dieser schließlich 865 dernden slawischen Verbände noch nicht den christlichen
durch eine verbindliche Reichsteilung nach seinem Tod zu Glauben angenommen hatten, wie auch die massiven Wi
regeln versuchte. So erhielt Karlmann die Herrschaft über derstände gegen die ersten Missionierungsversuche unter
Baiern östlich des Inns und die Ostlande, während sich die Cheitmar zeigen.
anderen Söhne den Rest des Reiches zu teilen hatten. Mit Von westlicher Seite waren jedenfalls ab der ersten Hälfte
dieser Spaltung wurde es bis zum Tod Ludwig des Deut des 7. Jahrhunderts Ambitionen vorhanden, den slawisch
schen ruhig um den bairischen und ostalpinen Raum. Bis geprägten Ostalpenraum zu christianisieren. Für das
876 finden sich keine Königsurkunden mehr, die sich auf frühe 7. Jahrhundert ist die Missionstätigkeit des irischen
)
das Gebiet beziehen96. Mönchs Columban für Bregenz belegt, der auch die Be
kehrung der benachbarten Slawen im Auge hatte, auf
2.2.2.7. Christianisierung grund der politischen Situation das Vorhaben allerdings
Die Frage nach der Kontinuität christlicher Traditionen nicht verwirklichen konnte sondern nach Italien (Bobbio)
zwischen Spätantike und Frühmittelalter ist ein wesent weiterzog100. In Baiern findet sich erst mit Herzog Theodo
licher Schwerpunkt der Frühmittelalterforschung für um die Wende zum 8. Jahrhundert ein tatkräftiger Unter
sämtliche Gebiete der ehemaligen römischen Provin
97 Goetz 2011; Heinrich-Tamàska – Krohn – Ristow 2012.
94 Wolfram 1995, 160f., 304. 98 Eichert 2010, 130-135.
95 Wolfram 1995, 162. 99 Eichert 2012, 493f.
96 Wolfram 1995, 162f. 100 Wolfram 1995, 102f.
— 21 —
stützer der christlichen Mission. Es ist jedoch belegt, dass Tributärfürstentum den Baiernherzog zur Heimkehr vom
bereits Garibald I. getauft war, und es kann angenommen fränkischen Kriegszug, um sich deren Schlichtung anzu
werden, dass im 6. Jahrhundert zumindest Teile der bai nehmen, sodass die Zwistigkeiten mit seinem Onkel Pip
rischen Bevölkerung bereits dem christlichen Glauben an pin nur zweitrangig erscheinen. Die Quellen schweigen
hingen101. Herzog Theodo ging nach Rom mit dem Ziel jedoch über das tatsächliche Motiv Tassilos, seinen Onkel
der Einrichtung einer bairischen Kirchenprovinz mit ihm am Schlachtfeld zurückzulassen107.
selbst an der Spitze102. Weiters holte er sich Unterstützung Bis zum Tode Cheitmars wurden nun kontinuierlich
aus der fränkischen Kirche. Bischof Emmeram von Poi Priester von Salzburg nach Karantanien geschickt, um die
tiers kam nach Regensburg, Bischof Rupert von Worms Mission aufrecht zu erhalten, mit mäßigem Erfolg. Nach
nach Salzburg und Bischof Corbinian nach Freising103. dem Ableben des Fürsten kam es erneut zu Aufständen,
Der Ausbau der bairischen Kirchenlandschaft wurde ent die zum dreijährigen Krieg zwischen Baiern und Karan
schieden vorangetrieben. Unter Bischof Rupert kam es tanien führten, welcher mit dem Sieg Tassilos 772 endete.
beispielsweise 711/12 zur Errichtung der Maximilianszelle Anschließend wurde die Mission unter dem vierten na
im Pongauer Bischofshofen und zur Gründung des Frau mentlich bezeugten Karantanenfürsten Waltunc durch
enklosters Nonnberg104. Ausgestattet mit einer päpstli Priester wiederbelebt, die in einem nahen Verhältnis zum
chen Missionsvollmacht kam Bonifatius 719 zum ersten Salzburger Bischof Vergil standen und sich zu einem be
Mal nach Baiern. Es folgten weitere Besuche 732–36 und achtlichen Teil aus Romanen zusammensetzten108. Ver
739, diesmal als Missionserzbischof mit einem Plan für mehrt wurden nun Klöster im karantanischen Gebiet
(c
die Bistumsorganisation105. Mit der Zustimmung Herzog gegründet, wie am Beispiel der Klosteranlage von Molz
Odilos richtete er vier Bistümer ein – Passau, Salzburg, Re bichl zu sehen ist. Das von Tassilo III. 769 gegründete
gensburg und Freising, „wobei die rigorose Vorgangsweise Kloster Innichen entstand vorwiegend zu Zwecken der
zweifelsohne auf heftigen Widerstand stieß“106. Mission, im Gegensatz zum Kloster Kremsmünster, wel
Bereits erwähnt wurden die Anfänge der Missionierung ches 777 zur Stärkung der politischen Macht der Baiern im
im karantanischen Raum, die in die Zeit der im christli östlichen Oberösterreich gegründet wurde109.
chen Westen erzogenen Karantanenfürsten Cacatius und Als Karl der Große 788 die Macht in Baiern übernahm,
Cheitmar fallen. Mit Cheitmar kam der Salzburger Pries ließen sich viele bairische Klöster die unter agilolfingischer
ter Maioranus als geistlicher Berater des Fürsten nach Hoheit ausgestellten Urkunden vom König erneut bestäti
Karantanien. Etwas später, zwischen 757 und 763, wurde gen, um so einer eventuellen Auflösung vorzubeugen und
als Vertreter des Salzburger Bischof Virgil Modestus als sich unter den Schutz des Souveräns zu stellen. So ist be
erster karantanischer Bischof in die Ostalpen entsandt. Im legt, dass Abt Fater von Kremsmünster Karl im Grenz
Zuge dieser ersten Missionsversuche in Karantanien wur gebiet zur Awaria aufsuchte und die Gründungsurkunde
den der Conversio Bagoariorum et Carantanorum zufolge bestätigen ließ, um sich bei eventuellen Übergriffen der
mehrere Kirchen geweiht, allerdings sind nur drei nament Kampfhandlungen im Zuge der bevorstehenden Awaren
lich genannt: die ecclesia s. Mariae ad Carantanam (Maria offensive des fränkischen Schutzes zu versichern.
Saal), eine Missionskirche in Luburnia civitate (ev. St. Pe 798 erging ein Missionsauftrag für den Ostalpenraum an
ter im Holz) und eine Kirche ad Undrimas (im Bereich Erzbischof Arn von Salzburg, der auch als politischer und
des Aichfeld). In Modestus’ Todesjahr 763 kam es zu Auf königlicher Vermittler auftrat. Er setzte als ersten Bischof
)
ständen in Karantanien, die vermutlich in Zusammen Karantaniens seit Modestus den Chorbischof Theode
hang mit seinem Ableben standen. Es wurde bereits des rich in das Amt ein, ihm folgten Otto und Osbald110. Den
Öfteren gemutmaßt, dass der karantanische Aufstand von schriftlichen Quellen dieser Zeit ist zu entnehmen, dass
763 der Auslöser für die „Fahnenflucht“ Tassilo III. war. Karantanien immer noch durch gentile Fürsten in Form
Möglicherweise zwangen die Probleme im karantanischen eines fränkischen Tributärreichs verwaltet wurde111. Doch
— 22 —
auch die Kirche von Aquilea sah sich für die Christianisie Material gestoßen. Aufgrund der Entdeckungen erhiel
rung des ostalpinen Raums zuständig, wodurch es zu Strei ten sogar ein sumpfiger Wiesenpfad und eine steinerne
tigkeiten kam. Hierauf entschied Karl, dass Salzburg für Bachüberquerung vor Ort die Namen „Römerweg“ und
den ostalpinen Bereich nördlich der Drau und Aquilea für „Römerbrücke“, da man annahm, auf antike Strukturen ge
den Süden zuständig sein sollte. Die sogenannten „Slawen stoßen zu sein. Bei den geborgenen Stücken dürfte es sich
bischöfe“ nördlich der Drau wurden fortan von Salzburg um menschliche Skelettreste und Grabbeigaben gehandelt
aus eingesetzt, und die Missionierung des Ostalpenraums haben, die jedoch nicht weiter beachtet oder den Behör
verlief ab diesem Zeitpunkt, abgesehen von diversen Rei den zur Verwahrung bzw. Erforschung übergeben wurden,
bereien der Kirche mit der Bevölkerung, im Vergleich zum sondern für kleinere Beträge Geld unters Volk kamen.
8. Jahrhundert konsequent durch und führte letztendlich So blieben die Grablegen für einige weitere Jahre unent
zur Christianisierung des gesamten Raums112. deckt, bis schließlich im Jahr 1905, beim Verkauf eines
bäuerlichen Grundstückes, dem Verkäufer Ignaz Schrems
3. FUNDSTELLE UND FORSCHUNGSGE- selbst ein kleines Stück Land in der Nähe des damaligen
SCHICHTE Promenadenwegs zwischen Kirchdorf und Micheldorf,
3.1. Fundstelle unweit der Krems, übrig blieb114. Aufgrund des geolo
Die Fundstelle des frühmittelalterlichen Gräberfelds von gischen Untergrundes, glazialer Schotter, entschloss sich
Micheldorf/Kremsdorf liegt nur einige Meter auf der der Eigentümer, der ein Baugeschäft unterhielt, im Früh
westlichen Seite vom Ufer der Krems entfernt, die die Ge jahr 1906 auf dem ihm verbleibenden Grundstück Schotter
(c
meinde von Süden her durchquert. Das lokale Terrain ist für sein Unternehmen abbauen zu lassen. Nach nur weni
sehr flach und ebenmäßig und liegt etwa 1 m über dem gen Arbeitstagen kamen während des Abbaus Knochen,
gewöhnlichen Wasserspiegel des Flusses. Östlich wird Münzen und Keramikfragmente zum Vorschein. Schrems
das Gräberfeldareal von der nach dem Fundkomplex be erkannte, dass es sich bei den Knochen um menschliche
nannten Gräberfeldstraße flankiert, die von Südsüdosten Überreste handeln könnte und verständigte das Museum
nach Nordnordwesten verläuft. Die Ausdehnung des Grä Francisco Carolinum in Linz (heute Oberösterreichisches
berfeldes östlich der Gräberfeldstraße ist bis heute noch Landesmuseum) mit der Bitte um Hilfe durch eine fach
nicht befriedigend geklärt. Bis dato wurden Gräber, oder kundige Person. Wie viele Gräber in der „Entdeckungspha
dem Gräberfeld zuzurechnende Befunde, auf den Parzel se“ zerstört wurden, kann nicht gesagt werden.
len 189/1, 189/2, 715/2, 727/2, 728, 729 und 730/2 lokalisiert Der damalige Direktor des Museums in Linz, H. Ubell,
(Abb. 3 und 4). Weiters wurden Suchschnitte auf den Par beauftragte daraufhin den Konservator Landesgerichts
zellen 719/2 und 707 gelegt, allerdings ohne Ergebnis. Teile rat Schmidel aus Steyr mit der Begutachtung der Fund
der archäologisch untersuchten Flächen wurden zu Be situation und der anschließenden Bergung. Aus durch die
ginn des 20. Jahrhunderts als Schotterabbaufläche genutzt, vorliegenden Berichte nicht ersichtlichen Gründen kam
heute handelt es sich teils um landwirtschaftlich genützte es jedoch nach der Meldung des Fundes durch Schrems
Grünfläche, teils um bebautes Siedlungsgebiet. bis zum Aktivwerden des Museums zu einer zeitlichen
Verzögerung, während der der damals noch an der Uni
3.2. Forschungsgeschichte113 versität Wien studierende Guido Baron von Kaschnitz-
3.2.1. 1906–1909 Gräberfeld A Weinberg, nach eigenen Angaben „durch eine Notiz des
)
Die erste Grabungskampagne im Gräberfeld Micheldorf/ Kremstalboten aufmerksam gemacht“115, die Fundstelle
Kremsdorf fand 1906 statt, doch schon bevor die Bergung besuchte und mit der Bergung der Gräber in der Schot
der Gräber systematisch begonnen wurde, dürfte der Ort
in der lokalen Bevölkerung als Fundstelle bekannt gewe 114 Die im Folgenden erläuterten Vorgänge, die zur Auffindung des
Gräberfeldes führten, sind Niederschriften der österreichischen
sen sein. Berichten zufolge war man bereits beim Bau der Schriftstellerin Erna Blaas, geb. Schrems, entnommen, die 1895 in
Kremstalbahn in den 1880er Jahren auf archäologisches Kirchdorf/Krems als Tochter von Ignaz Schrems, dem damaligen
Grundbesitzer der späteren Grabungsfläche, geboren wurde. Ihre
Erinnerungen an die damalige Entdeckung des Gräberfeldes und die
112 Wolfram 1979, 111-115; 995, 225. folgende Grabung, bzw. Erzählungen ihres Vaters, hat sie zu Papier
113 Die folgenden Erläuterungen zur Grabungsgeschichte basieren, falls gebracht. Das unveröffentlichte Manuskript liegt im Depot des Ober
nicht durch andere Literaturhinweise vermerkt, auf unveröffentlich- österreichischen Landesmuseums in Kopie auf.
ten Berichten, Briefen und Aufzeichnungen von Ä. Kloiber. 115 Abramic – Kaschnitz 1909, 214.
— 23 —
(c
)
Abb. 3: Katasterplan von Micheldorf/Kremsdorf mit den unterschiedlichen Grabungskampagnen im Bereich des frühmittel
alterlichen Gräberfelds (nach Plänen von M. Pertlwieser, C. Schwanzar/A. Weinzierl und H. Vetters).
— 24 —
(c
Abb. 4: Luftbild von Micheldorf/Kremsdorf (Land OÖ/Doris InterMAP). Die Fundstellen der Bestattungen sind rot markiert.
tergrube, die zu diesem Zeitpunkt bereits ein Ausmaß von zen sichergestellt hatten. Er erkannte aber schnell, dass es
80 × 40 m erreicht hatte, begann. Wie es möglich war, dass sich bei der Fundstelle um eine, später als Gräberfeld A
G. v. Kaschnitz mit der Grabung begann, die eigentlich (Abb. 5) titulierte Begräbnisstätte handelte.
durch den Konservator hätte geleitet werden sollen, und Im Zuge dieser ersten Grabung wurden laut den Proto
Schmidel letztendlich im Zusammenhang mit der Gra kollen von G. v. Kaschnitz acht Gräber (1/1906–8/1906)
bung keinerlei Erwähnung mehr findet, ist aus den Be geborgen, unter ihnen auch das Grab 1/1906 mit einer
richten nicht ersichtlich und wirft sicherlich einige Fragen bronzenen Gürtelgarnitur als Beigabe, welche die Bestat
)
bezüglich der Organisation dieser ersten Grabung auf, die tung im gesamten Gräberfeld besonders hervorhebt.
aufgrund fehlender Information aber unbeantwortet blei Im Sommer 1907 führte G. v. Kaschnitz erneut Grabungen
ben müssen. im Bereich der Schottergrube durch, wobei weitere acht
Zu Beginn der Grabung war man laut G. v. Kaschnitz Gräber (31/1907–38/1907) zum Vorschein kamen. In der
offenbar der Meinung, auf Überreste von Opfern eines Zeit zwischen den Grabungen dürften etwa 20 Gräber von
Kampfes gestoßen zu sein. Dass es sich um älteres Skelett Bauarbeitern der Schottergrube zerstört worden sein.
material und nicht um relativ junge Überreste, möglicher 1909 kam es wieder durch G. v. Kaschnitz zu einer von ihm
weise aus dem vorhergehenden Jahrhundert stammend, so genannten „Versuchsgrabung“, bei der weitere Skelett
handeln dürfte, dürfte G. v. Kaschnitz aber angenommen reste und einige Artefakte aufgefunden wurden. Proto
haben, da bereits die Schotterbauarbeiter römische Mün kolle oder detaillierte Beschreibungen zu dieser Grabung
— 25 —
fehlen aber gänzlich, d. h. es ist nicht bekannt in wel einer weiteren Schottergrube, die sich nördlich der Bahn
chem Bereich der Schottergrube, bzw. an welcher Seite der befunden haben soll und in der ebenfalls eine unbekannte
vorhergehenden Grabungen Untersuchungen stattgefun Zahl an Gräbern aufgefunden wurde. Aber auch hier feh
den haben, wie viele Gräber entdeckt wurden und welche len weitere Angaben.
Grabbeigaben zu Tage kamen. G. v. Kaschnitz erwähnt nur,
dass durch diese Grabung klar geworden sei, dass sich das 3.2.3. 1959–1960 Gräberfeld B
Gräberfeld sowohl nördlich als auch südlich fortsetze116. Im Auftrag der „Gesellschaft für die Österreichische For
Im „Jahrbuch für Altertumskunde der k. k. Zentral-Kom schung an Früh- und Hochmittelalterlichen Denkmälern“,
mission für Kunst und historische Denkmale“ veröffentli deren damaliger Präsident K. Holter war, begann im Som
chte G. v. Kaschnitz 1909 gemeinsam mit M. Abramic, mer 1959 eine weitere Grabung in der mittlerweile auf
einem Mitarbeiter des Österreichischen Archäologischen gelassenen Schottergrube, durch welche der Frage nach
Instituts, der die Fundanalyse vornahm, die Ergebnisse der weiteren Ausdehnung des Gräberfeldes und der eth
der Grabungen von 1906 und 1907, die „Versuchsgrabung“ nischen Zugehörigkeit der im Friedhof repräsentierten
von 1909 wird nur in einem kurzen Absatz erwähnt. In Bevölkerung nachgegangen werden sollte. Unter der Lei
der Publikation datieren G. v. Kaschnitz und M. Ab tung von Ä. Kloiber wurden Sondierungsgräben rund
ramic die vorgefundenen Bestattungen fälschlicher um die Schottergrube angelegt, um den Anschluss an die
weise in die Spätantike bzw. Völkerwanderungszeit. Kaschnitz-Grabungen bzw. weitere Bestattungen zu lo
Argumentiert wird die Zeitstellung vor allem durch die kalisieren119. Zusätzlich wurden drei Flächen innerhalb
(c
Gürtelgarnitur aus Grab 1/1906, die H. Ubell als „in cha dieser Suchgräben geöffnet.
rakteristischer spätrömischer Technik und in Keilschnitt- Im Süden der Altgrabungen konnten nur einige wenige
Ornamentik sowie in figuralem Relief (Hippokampen) zerstörte grubenartige Objekte (Fundplätze A, B, C, D und
reich verziert“ beschreibt, und einige Münz-Streufunde, E/1959) nachgewiesen werden. Ob es sich hierbei um, wie
die aus dem 3. und 4. Jahrhundert stammen117. Weiters von Ä. Kloiber vorgeschlagen, zerstörte Gräber handelt,
schreibt G. v. Kaschnitz: „Die Bestattungsweise ist die ist zu bezweifeln, da aus keinem der Objekte Skelettres
charakteristische der spätrömischen Zeit. Der bekleide te oder Leichenbrand geborgen wurde. Diese Fundplätze
te Leichnam wurde ohne weitere Umhüllung, höchstens sind nur schriftlich belegt, Fotos oder Markierungen auf
mit einem Brett als Unterlage, meist in der Richtung von den Plänen gibt es nicht.
West nach Ost, in eine einfache 1,5-2 m tiefe Grube gelegt Im östlichen Teil der Schottergrube konnten keine Be
und nur der Kopf durch einen Kranz von größeren Stei funde nachgewiesen werden. Im Norden des Areals stieß
nen geschützt“118. Der ebenfalls in Grab 1/1906 gefundene Ä. Kloiber allerdings auf mehrere, eng beieinander lie
Sax zeige aber, so G. v. Kaschnitz, eindeutig die germa gende Bestattungen – die Gräber 1/1959–14/1959 (Abb.
nischen Wurzeln der in Micheldorf bestatteten Personen 6). Hierbei handelte es sich, mit zwei Ausnahmen, um
auf. ungestörte Gräber, deren Beigabenmaterial Ä. Kloi
ber zu einer Datierung der Bestattungen „vom 7. bis ins
3.2.2. Raubgrabung 1926 9. Jahrhundert, wenn nicht ins 10. und 11. Jahrhundert“
In einem Begehungsbericht des Areals, anlässlich der im veranlasste, wobei er konstatierte, dass es sich keines
Jahr 1959 geplanten Grabung, erwähnt Ä. Kloiber, der falls um christliche Gräber handeln könnte, da Beigaben
)
später die Grabungskampagnen 1959 und 1960 leiten wird, und Armhaltung der Verstorbenen nicht passend seien.
dass 1926 eine unbekannte Zahl von Gräbern im Bereich Im Juli 1960 setzte Kloiber seine Grabungen fort um fest
der Schottergrube durch Laien gehoben wurde. Hierbei zustellen, ob sich das Gräberfeld auch östlich des Prome
habe es sich um Bestattungen mit römerzeitlichen Münzen nadenwegs fortsetzte und um eventuelle Siedlungsreste zu
und Resten von Terra Sigillata gehandelt, Aufzeichnungen lokalisieren sowie den Bereich nördlich der Vorjahresgra
seien in keinster Weise vorhanden, das Material befände bung weiter zu untersuchen und herauszufinden, ob sich im
sich „unter den Leuten“. Weiters berichtet Ä. Kloiber von Bereich der Fundplätze A–E/1959 weitere „Restgräber“ be
116 Abramic – Kaschnitz 1909, 214-216. 119 Wie bereits erwähnt handelte es sich bei den Lageplänen von G. v.
117 Ubell 1907, 35f. Kaschnitz nur um Skizzen, die keine genauen Positionsbestimmun-
118 Abramic – Kaschnitz 1909, 214. gen seiner Grabungen zulassen.
— 26 —
(c
)
Abb. 5: Detailplan Gräberfeld A/Grabung Kaschnitz 1906/07 (nach Gesamtplan von M. Pertlwieser).
— 27 —
fänden. 33 Gräber konnten geborgen werden, diese jedoch einer Notbergung von M. Pertlwieser und V. Tovornik ge
alle nördlich der 1959er Grabung (Abb. 7). Über die Arbei borgen, aber nicht mehr in situ dokumentiert werden. Die
ten südlich von Gräberfeld C ist in Ä. Kloibers Protokollen Bestattungen waren allesamt stark gestört und nur aus
nicht viel zu finden, es wird jedoch erwähnt, dass man in Grab 1/1978, der Bestattung einer Frau, war es möglich,
diesem Bereich auf antike Siedlungsreste gestoßen sei. Die die Grabbeigaben zu sichern. Von drei weiteren erwach
ser Befund führte zu einer weiteren Grabung 1962, diesmal senen Individuen und einem Kind konnten nur mehr die
geleitet durch H. Vetters, bei der jedoch keine weiteren Be Überreste geborgen werden, ohne jegliche Aussagen über
stattungen entdeckt wurden und deren Hauptaugenmerk Lage, Grabtiefe oder ähnliches treffen zu können.
auf den Siedlungsspuren lag. Am Südrand des Gräberfelds Der neue Befund entfachte jedoch die Diskussion über die
A konnten in diesem Rahmen Reste einer kleinen Siedlung Möglichkeit mehrerer voneinander unabhängiger Begräb
freigelegt werden, die im zweiten nachchristlichen Jahr nisstätten von neuem. Die Ergebnisse dieser Notbergung
hundert entstanden sein dürfte. Vetters (1976) meinte sowie eine Zusammenfassung des bis dahin geltenden For
hier eine Siedlung, die der römischen Poststation Tutatio schungstandes wurden von V. Tovornik in einem kurzen
zuzurechnen ist, entdeckt zu haben120. Beitrag in „Die Bayern und ihre Nachbarn“ präsentiert121.
Inwiefern Ä. Kloiber versuchte, östlich des Promenaden
wegs zu graben, geht aus seinen Aufzeichnungen nicht 3.2.6. 1987 Gräberfeld D
hervor. Den Plänen zufolge dürften seine Untersuchungen Die letzte Grabungskampagne in Kremsdorf fand 1987
aber nur im bereits erwähnten Bereich erfolgreich gewe unter Leitung von C. Schwanzar vom Oberösterrei
(c
sen sein. Im Anschluss an die Grabungen 1959 und 1960 chischen Landesmuseum statt. Bei der Notgrabung, die ca.
untersuchte Ä. Kloiber, der eigentlich Anthropologe war, auf halber Höhe zwischen den Grabungen von 1906/07
das Skelettmaterial und versuchte aufgrund seiner Ergeb (Gräberfeld A) und der Notbergung von 1978 (Gräberfeld
nisse Aussagen über Sozialstrukturen und ethnische Zu C) situiert war, konnten zehn Bestattungen geborgen wer
gehörigkeit zu treffen. den (Abb. 8), von denen die meisten von Nord-Westen
Die Protokolle Ä. Kloibers wurden allerdings bis zum nach Süd-Osten orientiert waren. Die Befunde wurden
jetzigen Zeitpunkt nie publiziert bzw. systematisch aufge in einem kurzen Beitrag von der Grabungsleiterin vor
arbeitet, sondern finden immer nur kurze Erwähnungen gestellt122. Vorläufig wurde im Rahmen der vorliegenden
in späteren Veröffentlichungen von Fachkollegen, die sich Arbeit für diese Grabungen die Bezeichnung Gräberfeld
mit der Archäologie Micheldorfs beschäftigten. Ä. Kloi D vergeben, um die Bezugnahme auf die einzelnen Gra
ber regte allerdings den Diskurs darüber an, dass es sich bungsareale zu erleichtern.
bei den Bestattungen der Kaschnitzgrabungen und sei
ner eigenen um zeitlich getrennte Gräberfelder handeln 3.3. Quellenkritik und Aufarbeitungs
könnte, eine Frage, die es noch zu klären gilt. problematik
Bevor sich diese Arbeit der Bearbeitung und Auswertung
3.2.5. 1978 Gräberfeld C der Kremsdorfer Grabfunde widmet, muss hier auf einige
Nach Ä. Kloibers Grabungen wurden die Bestattungen Probleme hingewiesen werden, die sich bei der Auseinan
von Micheldorf/Kremsdorf fast 20 Jahre ad acta gelegt dersetzung mit dem Material, den Grabungsberichten, der
und kaum beachtet, bis 1978 am Grundstück der Familie Dokumentation und der vorhandenen Literatur ergeben
)
Geiseder Kanalarbeiten durchgeführt wurden, bei denen haben. Alle in dieser Arbeit angeführten unveröffentlichten
erneut Knochen zum Vorschein kamen. Besagtes Grund Protokolle, Pläne, Berichte, etc. liegen, zumeist nur mehr in
stück liegt am südlichen Ende der heutigen Gräberfeld Kopie erhalten, im Depot des Oberösterreichischen Lan
straße, etwa 150 m vom Südrand der Kaschnitzgrabungen desmuseums in Leonding auf. Dokumentationsmaterial ist
entfernt, und wird somit von den Siedlungsgrabungen aus sechs Grabungskampagnen vorhanden, in seiner Aus
H. Vetters’ räumlich von den Gräberfeldern A und B sagekraft jedoch von sehr unterschiedlicher Qualität.
getrennt. G. v. Kaschnitz, der Leiter der ersten Grabungen 1906 und
Die angeschnittenen Gräber konnten jedoch nur mehr in
121 Tovornik 1985, 213-216.
120 Vetters 1976. 122 Schwanzar 1991, 37.
— 28 —
(c
)
Abb. 6: Detailplan Gräberfeld B/Grabung Kloiber 1959 (nach Originalplan von Ä. Kloiber).
— 29 —
(c
)
Abb. 7: Detailplan Gräberfeld B/Grabung Kloiber 1960 (nach Gesamtplan von M. Pertlwieser).
— 30 —
1907 in der damaligen Schottergrube Schrems, begann mit Grab 30 sein sollte, oder ob in seinem Protokoll das Grab
der Nummerierung der Gräber bei 1. 1906 öffnete G. v. 39 ausgelassen und das Grab 30 am Plan vergessen wurde,
Kaschnitz die Gräber 1–8, im Jahr 1907 die Gräber 31–38. ist nicht mehr festzustellen. Fotos oder Zeichnungen der
Zwischen den beiden Grabungskampagnen 1906 und 1907 Gräber sind nicht vorhanden.
entdeckten die Arbeiter der Schottergrube in Abwesen Die nächsten beiden Grabungskampagnen wurden 1959
heit von G. v. Kaschnitz weitere Gräber, etwa 20 an der und 1960 von Ä. Kloiber geleitet. Dieser begann sowohl
Zahl123. Interessant ist, dass in den Aufzeichnungen des 1959, wie auch 1960 mit der Nummerierung der Gräber je
Ausgräbers genau 38 Gräber protokolliert sind. Im 66. Jah weils mit 1, woraus sich die Grabnummern 1–14 für 1959
resbericht des Linzer Museums, der im Jahr 1908 erschien, und 1–33 für 1960 ergeben.
spricht Direktor Ubell von 40 Gräbern, hierbei handelt Von den 14 Gräbern aus 1959 gibt es eine Zeichnung mit
es sich vermutlich um ein Fehlzitat. Bei den Gräbern 1– Skelettlagen in den Gräbern, jedoch ohne präzise Maß
8 und 31–38 handelt es sich um die von G. v. Kaschnitz stabsangabe. Weiters fehlen in dem Plan die Fundplätze
gesicherten Gräber, zehn davon waren beigabenführend. A–E – grubenartige Objekte, teilweise mit Steinlagen, Ke
Von diesen Bestattungen sind Beschreibungen zur Ori ramik usw. –, die Ä. Kloiber zwar beschreibt aber kei
entierung der Grabschächte, der Lage der Bestatteten im ne Lageangaben verzeichnet. Über die Einhängung in den
Grab, Geschlechtsangaben und Inventarlisten der Grab Gesamtplan konnte über die Referenzierung der Grab
beigaben vorhanden. Genaue Angaben zu Form und Tiefe schachtlängen ein in etwa realistisches Maßstabsverhält
der Gräber fehlen jedoch. nis hergestellt werden. In diesem Rahmen hat sich aber
(c
Zu den Gräbern 9–30 sind keine näheren Angaben be herausgestellt, dass die Detailzeichnung (Abb. 6) in Orien
kannt. Es ist anzunehmen, dass es sich hierbei um einige tierung und Entfernung der einzelnen Gräber nicht gänz
der durch die Schottergrubenarbeiter zerstörten Gräber lich mit den im Gesamtplan von M. Pertlwieser (vgl.
handelt. Die Zerstörung dieser Gräber dürfte auch der die Grabungen zwischen 1906 bis 1978 in Abb. 3) überein
Grund sein, warum in diesem Gräberfeldbereich die An stimmt, sodass nicht klar ist, inwiefern der Gesamtplan als
zahl der Kinderbestattungen sowie die Funddichte im verlässliche Quelle für die Gesamtdarstellung der Befund
Verhältnis zu den späteren Grabungskampagnen sehr ge situation herangezogen werden kann.
ring erscheint124. Von der 1960er Grabung ist ebenfalls ein unveröffent
G. v. Kaschnitz nahm diese Gräber trotz allem in sein lichter Plan vorhanden, welcher allerdings einen falschen
Protokoll auf und zeichnete sie sogar in seiner Skizze des Maßstab enthält und ebenfalls mittels Einhängung in den
Gräberfeldes ein, dementsprechend ist dieser Plan mit Originalplan referenziert wurde. Detaillierte Grabzeich
größter Vorsicht zu genießen. Warum G. v. Kaschnitz nungen sind von dieser Grabung nicht vorhanden, Fotos
diese 22 Gräber protokollierte und in seinen Plan ein wurden jedoch gemacht, wie auch Fotos von der 1959er
zeichnete, ist nicht nachvollziehbar. Ihre Darstellung im Grabung vorhanden sind. Allerdings handelt es sich bei
Detailplan (Abb. 5) bzw. im Gesamtplan von M. Pertl den meisten dieser Aufnahmen nur um Überblickfotos
wieser (vgl. Grabung 1906/07 in Abb. 3) ist daher äußerst und nicht um Grabaufnahmen, sodass sie nur wenig Aus
skeptisch zu betrachten. Bei der Kartierung zu Fundver sagekraft besitzen. Besondere Aufschlüsse zur Befundsitu
teilung etc. im Gräberfeld wurden diese Gräber in der vor ation liefern sie nicht.
liegenden Arbeit daher nicht berücksichtigt bzw. bei der Bei der Notbergung von V. Tovornik und M. Pertlwieser
)
Kartierung extra gekennzeichnet. 1978 kam nur ein gesichertes Grab zu Tage, das wieder mit
Das nächste Problem das sich ergibt ist, dass in G. v. 1 nummeriert wurde. Es ist zwar bekannt, dass das Grab
Kaschnitz’ Veröffentlichung von 38 Gräbern die Rede sowie weitere Skelettreste aus einem für den Kanalbau an
ist, in seinem Gräberfeldplan (Abb. 5) jedoch die höchs gelegten Graben auf der Parzelle 189/1 stammen, die Lage
te Grabnummer 39 ist125. Das Grab mit der Nummer 30 dieses Kanals ist auch bekannt, jedoch gibt es von dieser
fehlt hingegen in diesem Plan. Ob es sich hier um einen Notbergung keine Fotos oder Pläne.
Beschriftungsfehler handelt und das Grab 39 eigentlich das 1987 fand unter C. Schwanzar die letzte Grabung in Krems
dorf statt und auch hier wurden die Gräber wieder von 1
123 Abramic – Kaschnitz 1909, 215.
124 Vgl. Pertlwieser 1980, 67f.
weg nummeriert (1-10 für 1987). Hier wurde jedoch ent
125 Abramic – Kaschnitz 1909, 215f.
— 31 —
(c
)
Abb. 8: Detailplan Gräberfeld D/Grabung Schwanzar 1987 (nach Originalplan von C. Schwanzar/A. Weinzierl).
— 32 —
sprechende Dokumentation in Form eines georeferenzier Trotz dieser sehr tristen Dokumentationslage fertigte M.
ten Plans (Abb. 8), Detailzeichnungen usw. angefertigt. Pertlwieser den bereits erwähnten Gesamtplan der
Das bedeutet, dass teilweise eine Nummer für fünf ver Kremsdorfer Gräber, die bis zum Jahr 1978 bekannt waren,
schiedene Gräber vergeben wurde, da man davon ausging, an (vgl. Abb. 3), auf dem er die Skizzen und Pläne aller bis
dass es sich in Kremsdorf um separate Bestattungsplätze dahin gelaufenen Grabungen verarbeitete und sie in einen
(Gräberfeld A–D) handelt. Ob diese Annahme grundsätz damals aktuellen Katasterplan übertrug. Optisch mag die
lich standhält, wird in dieser Arbeit noch weiter erörtert. ser Plan sehr ansprechend sein, doch im Hinblick auf die
Da aber zu Beginn der Untersuchungen noch nicht klar oben angeführten Kritikpunkte muss er mit äußerster Vor
war, ob wir es in Kremsdorf nun mit einem oder, wie es V. sicht betrachtet werden, denn er entspricht nicht den Stan
Tovornik vorschlägt, mehreren Bestattungsplätzen zu dards der Vermessungskunde. Besonders zu bezweifeln
tun haben, wurde davon abgesehen, die Nummerierung sind hierbei die Lage der Gräber 9/1906-30/1906 und das
komplett neu zu gestalten, sondern einfach den einzelnen Verhältnis aller Gräber zu den Parzellengrenzen und Häu
Grabnummern jeweils das Grabungsjahr hinzugefügt, um serstrukturen der lokalen Umgebung. Außerdem stimmt
bei der gemeinsamen Auswertung des Fundmaterials zu der Gräberfeldplan von M. Pertlwieser, der auch bei V. To
gewährleisten, dass Inventare allen vier Grabungsberei vornik veröffentlicht wurde126, zum Teil nicht mit den
chen klar zugeordnet werden können und keine Verwir Skizzen der Kloiber-Grabungen überein. Zwar geht die
rung entsteht. Weiters soll diese Art der Umbenennung Orientierung der Gräber mit den Originalskizzen und
den Vergleich mit den Originalprotokollen der Grabungen Zeichnungen konform. Die Lagebeziehungen der Grä
(c
auch künftig problemlos ermöglichen. Die Bezeichnungen ber untereinander sind jedoch nicht immer stimmig. Bei
lauten nun wie folgt: spielsweise liegt das Grab 12/1906 auf der Kloiber-Skizze
zwischen den Gräbern 10/1959 und 9/1959, auf dem ver
Grabnummern neu Grabungskampagne öffentlichten Plan von M. Pertlwieser ist das Grab jedoch
1/1906-8/1906 Gräberfeld A (Grabung G. v. nach Osten verrückt. Weiters stimmt die stratigraphische
Kaschnitz) 1906 Abfolge der Gräber 12/1960 und 20/1960, der Nummern
9/1906-30/1906 von Bauarbeitern zerstörte 7/1960, 22/1960 und 28/1960, weiters 15/1960 und 3/1960
Gräber 1906/07 im Bereich des sowie 24/1960, 26/1960 und 27/1960 am Plan von M. Pertl
Gräberfelds A wieser nicht mit der Skizze von Ä. Kloiber überein. Um je
31/1907-38/1907 Gräberfeld A (Grabung G. v. doch einen ungefähren Eindruck der Situation zu erhalten,
Kaschnitz) 1907 wurde für diese Arbeit der von M. Pertlwieser gezeichne
te Plan digitalisiert, georeferenziert und mit dem Plan der
1/1959-14/1959 Gräberfeld B (Grabung Ä.
1987er Grabung, der ebenfalls in den Katasterplan einge
Kloiber) 1959
passt wurde, verbunden. Ebenfalls markiert ist die Fund
Fundplätze A-E Grubenobjekte aus dem Jahr stelle der Notbergung 1978.
1959 im Bereich des Gräber Die Schlussfolgerungen zur Anlage des Gräberfeldes müs
felds B sen nun daher aus den ungenauen Plänen gezogen wer
1/1960-33/1960 Gräberfeld B (Grabung Ä. den, sind aber immer mit Vorbehalten zu betrachten. Die
Kloiber) 1960 (Nr. 19/1960 Gräber 9/1960-30/1906 werden jedoch bei der Analyse
)
ist kein Grab, sondern eine der Gräberorientierung bzw. der Gräberfeldanlegung oder
Gefäßdeponierung) ähnlichen Überlegungen nicht herangezogen, da ihre Lage
1/1979 Gräberfeld C (Notbergung reine Spekulation ist.
V. Tovornik/M. Pertlwieser) Von den Grabungen von G. v. Kaschnitz ist überhaupt kei
1978 ne schriftliche Dokumentation vorhanden. Hier kann nur
1/1987-10/1987 Gräberfeld D (Grabung C. auf den Artikel von G. v. Kaschnitz und M. Abramic
Schwanzar) 1987 im Jahrbuch für Altertumskunde zurückgegriffen wer
— 33 —
den127. Von den Grabungen Ä. Kloibers sind zahlreiche Problematisch sind Funde, die in der Grabungsdokumen
Kopien handschriftlicher und getippter Aufzeichnungen, tation aufscheinen, die aber verschollen sind ohne vorher
Grabungsberichte und ein reger Briefwechsel des Gra gezeichnet worden zu sein. Dies betrifft vor allem Streu
bungsleiters mit Kollegen erhalten, die wichtige Informati funde, aber auch Beigaben, wie eine Eisenfibel aus Grab
onen enthalten. Von der Notbergung 1978 ist nur eine Seite 32/1907, die nicht mehr vorhanden ist, von der aber auch
mit der Beschreibung des Grabes und den Gründen für die keine näheren Beschreibungen oder Abbildungen exis
Notbergung aus der Originaldokumentation vorhanden. tieren. Zusätzlich wird die Bearbeitung des Materials er
Von der Grabung unter C. Schwanzar 1987 ist zwar eine schwert, weil nicht alle vorhandenen Gegenstände einem
gute bildliche Dokumentation (Pläne, Grabzeichnungen) Grab zugewiesen werden können.
erhalten128, schriftlich gibt es jedoch nur eine Liste mit den Die geborgenen Grabbeigaben der Grabungen G. v.
geborgenen Fundstücken. Kaschnitz’ waren unmittelbar nach den Arbeiten in der
Die Tatsache, dass die Funde aus den Kremsdorfer Be Baukanzlei von Ignaz Schrems, dem Schottergruben
stattungen aus mehreren Grabungskampagnen stammen, inhaber, deponiert worden, wurden aber von diesem
von denen die erste bereits über hundert Jahre zurück kurze Zeit später dem Museum Francisco Carolinum ge
liegt, bringt mit sich, dass die geborgenen Objekte zu ver schenkt. Einige der Objekte sind verschollen, andere kei
schiedenen Zeiten von verschiedenen Personen verwal nem Grab genau zuordenbar. Über 20 Artefakte aus den
tet und gepflegt wurden. Dementsprechend befinden sich Gräbern 9/1906-30/1906 sind in den Protokollen von G.
nicht alle Funde in einem optimalen Zustand. Viele der v. Kaschnitz angeführt, stammen also aus den von Bauar
(c
Metallgegenstände wurden offensichtlich nicht fachge beitern zerstörten Gräbern. Diese Stücke können keinem
recht restauriert. Beispielsweise wurden fast alle Griffan spezifischen Grab zugewiesen bzw. tatsächlich als Grab
gelmesser mit undurchsichtigem Lack überzogen, welcher beigabe gewertet werden, weshalb diese Objekte anders ge
eine Begutachtung der Originaloberfläche nicht mehr zu wertet werden müssen als die gesicherten Grabbeigaben
lässt. Weiters sind viele der Metallobjekte im Laufe der aus den übrigen Bestattungen.
Zeit stark korrodiert. Besonders aus Buntmetall gefertigte Bei den übrigen Kampagnen sind nur wenige Objekte ver
Stücke sind sehr stark zerfallen. Aus diesem Grund wur schollen. Außerdem sind sie durchgehend beschriftet und
de davon abgesehen, alle Fundobjekte noch einmal von ohne Umstände einem Grab oder anderem Fundplatz
ein und demselben Zeichner abbilden zu lassen, um einen zuordenbar.
einheitlichen Tafelteil zu erhalten. Sofern es möglich war, Der Verbleib der menschlichen Überreste der G. v.
wurden alte Zeichnungen, beispielsweise von M. Pertlwie Kaschnitz-Grabungen 1906/07 ist unklar. Der Großteil
ser, die kurz nach der Auffindung der Objekte angefertigt der Skelette dürfte bereits bei den Ausgrabungen selbst
wurden, digital nachbearbeitet und in den Tafelteil einge durch groben Umgang zerstört oder massiv beschädigt
fügt, da auf ihnen die Details der Objekte am besten nach worden sein. Vom Knochenmaterial ist heute nichts mehr
zuvollziehen sind, bzw. von manchen Fundstücken nur vorhanden. Zwar finden sich in G. v. Kaschnitz’ Aufzeich
mehr Zeichnungen existieren, die Originale aber verschol nungen Angaben über das Geschlecht der Bestatteten
len sind. Weiters sind auf manchen Illustrationen Spuren aus den Gräbern 1/1906-8/1906 und 31/1907-38/1907. Da
von Holz oder organischem Material auf Eisenobjekten zu aber nicht klar ist, ob diese Bestimmungen auf anthropo
sehen, die aufgrund konservatorischer Maßnahmen oder logischen oder archäologischen Parametern erfolgten und
)
wegen des voranschreitenden Zerfalls der Objekte heute eine erneute Überprüfung nicht mehr möglich ist, sind
am Original nicht mehr zu erkennen sind. Hinzu kom diese Angaben nur mit Vorbehalten zu verwenden. Das
men Stücke, die heute zerbrochen, auf der Zeichnung aber Knochenmaterial der Grabungen von Ä. Kloiber (1959/60)
noch komplett sind. und C. Schwanzar (1987) liegt im Depot des Oberösterrei
Jene Funde, die noch nicht gezeichnet oder aber deren Ab chischen Landesmuseums und ist größtenteils noch gut
bildungen digital nicht mehr zu bearbeiten waren, wurden erhalten. Die Skelettteile der Notbergung 1978 sind unauf
von meinem Kollegen S. Swientek neu gezeichnet. findbar. Anthropologische Gutachten liegen zu all diesen
Skeletten vor. Ä. Kloiber bestimmte die von ihm gefunde
127 Abramic – Kaschnitz 1909.
nen Skelette selbst, die menschlichen Überreste der Not
128 Schwanzar 1991, 37. bergung wurden von M. Pertlwieser untersucht.
— 34 —
4. Anmerkungen zur Chronologie- halb bestimmter Fundtypen seien nicht vorgenommen
problematik und Zeitlücken zu anderen Chronologiesystemen nicht
Bei der Bearbeitung ostalpinen Fundstoffes ist man mit berücksichtigt worden. P. Gleirscher134 bemerkt jedoch
mehreren Chronologiemodellen konfrontiert. Hierbei den Verdienst J. Gieslers, der bereits erkannte, dass die
spielt die so genannte Köttlacher Kultur eine tragende sogenannte Köttlacher Kultur im eigentlichen Sinne nicht
Rolle. Benannt nach dem Gräberfeld Köttlach handelt es existiert, sondern es im Laufe der Zeit zur Verschmelzung
sich um eine heterogene Materialgruppe, welche durch verschiedener Traditionen kam. Im Gegensatz zu J. Gies
Verschmelzung überregionaler Kultureinflüsse im 7. und ler meint jedoch E. Szameit135, dass diese Mischkultur
8. Jahrhundert im Ostalpenraum entstand129 und die auch nicht durch die Verkettung lokaler Elemente entstand,
im Kremsdorfer Fundstoff vertreten ist. sondern durch überregionale Einflüsse der umliegenden
P. Korošec teilt dieses Material in eine ältere, Karanta Kulturen, wie der der Franken, Awaren und Byzanz ge
nische Gruppe, die vom Beginn des 7. Jahrhunderts bis ins prägt war. In seinem Modell kommt es zur Assimilierung
späte 8. Jahrhundert läuft und bestimmt wird durch Schei der romanisch-norischen autochthonen Restbevölkerung
benfibeln aus Dünnblech und Feindrahtprodukte, wie z. B. im Ostalpenraum, deren Anteil als markant einzuschätzen
Ohrringe mit Schleifen am Bogenrund, und eine jüngere, ist, und neuer slawischer Zuwanderer. P. Gleirscher136
Köttlacher Gruppe, die etwa ab der Mitte des 9. Jahrhun setzt einen neuen absolutchronologischen Rahmen für die
derts einsetzt und durch das Auftreten von gegossenem Horizonte Köttlach I (7. und 8. Jahrhundert) und Kött
Schmuck (z. B. Lunulaeohrgehänge) definiert wird. Zwi lach II (9. und 10. Jahrhundert) und bezieht sich hierbei
(c
schen den beiden Gruppen gibt es eine Übergangsphase, auf Vergleiche mit westlichen Chronologiesystemen. Ähn
die noch Elemente der Karantanischen Gruppe aufweist, liche Datierungsvorschläge kommen auch von E. Sza
allerdings abkommt von der Herstellung der Feindraht meit, der sich zwar prinzipiell für die Aufteilung von J.
produkte130. J. Giesler hingegen teilt das Material in Giesler ausspricht, allerdings für eine frühere Datierung
drei „Horizonte“ – Vor-Köttlach, Köttlach I und Köttlach der Horizonte eintritt, da er durch Vergleiche von Waf
II131. Hierbei stellt er den Beginn des Vor-Köttlacher Ho fen führenden Gräbern im Donautal und in den Ostal
rizontes an das Ende des 8. Jahrhunderts, Köttlach I ab der pen, wie z. B. dem Grab von Grabelsdorf oder Grab 1/1906
Mitte des 9. Jahrhunderts und Köttalch II ab dem 10. Jahr von Kremsdorf, mit dem westlichen Material eine Zeit
hundert bis in die erste Hälfte des 11. Jahrhunderts. Ver stellung im 8. Jahrhundert nachweisen konnte. Besonders
gleicht man P. Korošecs Chronologie mit der Köttlacher stützt er sich hier auf Parallelen zu Funden aus Adelsgrä
Chronologie nach J. Giesler, fällt sofort ins Auge, dass bern des 8. Jahrhunderts aus Deutschland137, die bereits
beispielsweise zwischen dem Beginn von Korošecs Kött 1967 von F. Stein138 vorgestellt und feinchronologisch be
lacher Gruppe und J. Gieslers Köttlach Horizont II132, arbeitet wurden.
der sich durch die selben Fundstücke definiert, ein Zeit Die Fundanalyse des Hügelgräberfeldes von Wimm, wel
loch von 100 [sic!] Jahren klafft. ches sowohl spätawarenzeitliches als auch frühkarolin
R. Pöllath133, der ein Chronologiesystem für das nord gerzeitliches Material aufweist und nach W. Breibert139
ostbairische Material erarbeitet hat, kritisiert, dass J. Gies spätestens ab der Mitte des 8. Jahrhunderts zu datieren ist,
lers Chronologie auf dem Vergleich von Funden mit unterstützt E. Szameits These ebenso wie das Auftre
münzdatierten Gräbern basiere und so die Möglichkeit ten westlicher Trachtbestandteile und Waffen des 8. Jahr
)
von Altfunden außer Acht lasse. Weiters habe sich Gies hunderts in den Gräberfeldern von Auhof und Gusen, die
ler nicht mit außeralpinen Regionen, wie etwa Baiern, V. Tovornik zur Korrektur der anfänglichen Datierung,
Böhmen oder Mähren beschäftigt, in denen Vergleichs welche die Bestattungsplätze ins 9. Jahrhundert stellte, ins
stücke z. B. für Traubenohrringe als Standardausstattung
vorliegen. Feinchronologische Differenzierungen inner
— 35 —
8. Jahrhundert veranlasste140. A. Pleterski141 befürwor konkreten Fall den Awarenkriegen, vernachlässigt146, und
tet diese Korrektur und untermauert sie durch verglei das, obwohl durch die Frühmittelalterforschung in Öster
chende Analysen der Mosaikaugenperlen (im Folgenden reich eindeutig Verbindungen zum fränkischen Westen
MAP) von Auhof, die ebenfalls für eine Datierung in das 8. des 8. Jahrhunderts nachgewiesen werden können147.
Jahrhundert sprechen. Auch die von S. Eichert142 durch
geführten Untersuchungen am Kärntner Fundmaterial 5. TYPOCHRONOLOGISCHE AUSWERTUNG
zeigen ähnliche Ergebnisse. Bis dato liegen aus den Kärnt DER FUNDE
ner Gräbern keine awarischen Bronzen vor, die später als 5.1. Kleidungszubehör
in das dritte Viertel des 8. Jahrhunderts datiert werden 5.1.1. Kopfschmuckringe
können, aber bereits gemeinsam mit frühkarolingischem Vorkommen:
Material auftreten. Besonders im weiblichen Kleidungs 11 Frauengräber: 3/1906, 7/1959, 13/1959, 4/1960, 5/1960,
zubehör des Ostalpenraums zeigen sich Parallelen zu west 15/1960, 21/1960, 23/1960, 27/1960, 1/1978, 7/1987
lichen Regionen, wo das Material mit Sicherheit früher 2 Männergräber: 5/1906, 26/1960
datiert als die ostalpinen Äquivalente bei J. Giesler. H. 6 Kindergräber: 2/1960, 7/1960, 8/1960, 11/1960, 25/1960,
Losert143 geht davon aus, dass sich im bairischen Bereich 30/1960
die Aufgabe der spätmerowingerzeitlichen Gräberfelder Zwei Exemplare nicht zuordenbar
mit dem Einsetzen der frühkarolingerzeitlichen Nekro
polen zeitlich überschneidet. Kopfschmuckringe finden sich in Kremsdorf in 20 Grä
(c
Diese Analysen zum frühmittelalterlichen Fundstoff bern. Zwei weitere Stücke können keinem Grab zuge
zwingen auch zu einer kritischen Betrachtung des Chro wiesen werden. Diese beiden Exemplare stammen aus
nologiesystems von B. M. Szőke für den frühkarolinger den von Bauarbeitern zerstörten Gräbern von 1906. In
zeitlichen Fundstoff in Ostösterreich und Westungarn. den Gräbern 2/1960, 4/1960, 8/1960, 11/1960 und 15/1960
Aufgrund der Annahme, die Awaren hätten sich bis zur konnten nur einzelne Ringe geborgen werden, in den elf
Zerstörung des Khaganats im Raum zwischen Enns und übrigen lagen sie paarweise vor. Aus Grab 1/1978 stam
Wienerwald eine unbesiedelte Pufferzone freigehalten, men Fragmente zweier Ohrgehänge, die aber nicht zuein
um sich besser gegen die Franken schützen zu können, ander gehören. Mehrheitlich lagen die Schmuckstücke in
geht B. M. Szőke144 davon aus, dass es erst nach den Awa der Schädelgegend, wo man sie in Hinblick auf die Trage
renkriegen zur Besiedelung dieser Bereiche kommt und weise auch vermuten würde. Bei Grab 2/1960 befand sich
folglich der hier vorliegende Fundstoff ab dem 9. Jahrhun der Ring allerdings unter der rechten Hand des Kindes,
dert datiert. Das Vorkommen spätawarenzeitlicher Ele bei Grab 8/1960 am Darmbein des Skeletts und im Grab
mente in Gräberfeldern wie Gusen erklärt er wiederum des Mannes 26/1960 an der Innenseite des linken Ober
mit dem Fortleben awarischer Kulturelemente in der neu schenkels. In diesem Fall lagen neben dem Ohrgehänge
en Bevölkerung. paar noch ein Feuerstahl, ein Eisenstichel, vier Feuersteine
Analysen von F. Daim145 haben jedoch gezeigt, dass nur und ein genieteter Eisenring. Wahrscheinlich handelt es
bedingt mit dem Weiterexistieren awarenzeitlichen Fund sich bei dem Eisenring um die Schließe eines Beutels, des
materials nach den Awarenkriegen gerechnet werden kann. sen Inhalt die anderen Objekte waren. In den Gräbern
Der Großteil der Gräberfelder und das Auftreten spät 4/1960 und 1/1978 ist die Lage nicht bekannt.
)
awarenzeitlicher Fundstücke brechen um 800 ab. Zudem
unternimmt B. M. Szőke ebenso wenig wie J. Giesler 5.1.1.1. Kopfschmuckring mit gegenseitig aufge-
den Versuch, seine Chronologie mit den westlichen Syste schobenen Metallringlein
men zu verbinden. Archäologische Beobachtungen wer Nur ein Exemplar dieses Ringtyps ist aus Kremsdorf be
den zu Gunsten historisch einschneidender Ereignisse, im kannt, aus dem Kindergrab 2/1960 (Tafel 15/6), in dem
zusätzlich ein Griffangelmesser, ein Eisenring, eine Ei
140 Tovornik 1993, 274; 1999, 4.
141 Pleterski 1990, 504.
sennadel mit herzförmigem Kopf und ein Schildchenfin
142 Eichert 2010.
143 Losert 1993, 236.
144 Szőke 1991, 16; 1992. 146 Breibert 2005, 426.
145 Daim 1987, 155f. 147 Szameit 1982; Eichert 2010.
— 36 —
gerring mit Punktbuckelzier lagen. Auf einem einfachen 5.1.1.2. Ohrgehänge mit Spiralende
Draht mit stumpfen, offenen Enden, die sich überlappen, Bei diesem Typ handelt es sich um einfache Ohrringe
sind gegenseitig zwei kleine Metallringlein aufgeschoben. aus Draht mit spiralig eingedrehtem Endstück, welches
Zusätzlicher Zierrat fehlt beim Kremsdorfer Objekt. konisch (nach unten hin verjüngt oder verbreitert) oder
Aus Gusen liegen ein ähnliches Einzelexemplar und ein zylindrisch sein kann. Aus vier der Kremsdorfer Gräber
Paar aus den Gräbern 85 und 156 vor148, aus Auhof jeweils liegen Spiralohrgehänge aus Buntmetall vor. Jeweils ein
ein Stück aus Grab 53B – bei diesem Exemplar ist zusätz Einzelstück aus den Frauengräbern 11/1960 (Tafel 18/5)
lich eine Metallhülse am Draht angebracht, die vermut und 15/1960 (Tafel 20/3) und je ein Paar aus den Kinder
lich zur Befestigung eines Anhängers diente – und Grab gräbern 25/1960 (Tafel 26/1a-b) und 30/1960 (Tafel 29/2a-
97149. Auch bei den Gräbern 39b und 40 aus Pottenbrunn b). Bis auf ein Stück aus dem Grab 30/1960 (Tafel 29/2a)
lässt sich eine Anhängerbefestigung nachweisen150. An sind alle Objekte nur fragmentarisch erhalten.
den Exemplaren aus Grab 74 von Pitten sind die Anhän Die Gehänge sind aus einem Stück Draht gefertigt. Beim
ger noch vorhanden151. Beim Kremsdorfer Exemplar sind Exemplar aus Grab 15/1960 geht der Draht vom eigent
Spuren einer solchen Vorrichtung nicht feststellbar. Das lichen Ohrring in die Spirale über und wird am Ende wieder
Objekt ist stark korrodiert. durch diese zurückgefädelt und zum Ring zurückgeführt.
Der Typus der Kopfschmuckringe mit gegenseitig aufge In Grab 30/1960 geht der Draht vom hakenförmigen Ring
schobenen Bronzeringlein kommt besonders häufig und in die Spirale über und endet dann. Das Stück aus Grab
in vielen Variationen der Metallringlein sowie mit An 11/1960 dürfte ebenso konstruiert gewesen sein, hier ist
(c
hängern in mährischen Gräberfeldern des 9. Jahrhunderts aber nur mehr die Spirale erhalten. Die Form der Spiralen
vor, z. B. Mišovice152, Pěnčin – hier mit noch vorhandenem ist entweder kegelförmig oder zylindrisch.
Anhänger in doppelkonischer Form153 – und Mikulčice – Vergesellschaftet waren die Ohrringe im Grab 11/1960 mit
ebenfalls mit Anhänger, hier mit traubenförmig zusammen einer Halskette bestehend aus 114 Perlen (111 blaue und
gelöteten Kügelchen154. V. Tovornik155 weist darauf hin, gelblich weiße Einfachperlen, zwei braune und eine weiße
dass die Objekte im österreichischen Gebiet bereits an der Hohlperle), einer Bronzefibel, einem Schildchenfingerring
Wende vom 8. zum 9. Jahrhundert auftreten, beispielswei mit Punktbuckelverzierung und einer silbernen Gewand
se in dem an den Beginn des 9. Jahrhunderts datierbaren nadel mit spatelförmigem Kopf, in Grab 15/1960 mit einem
Grab 24 aus Tulln156. E. Szameit157 setzt ihren Schwer Griffangelmesser, einem Beinkamm und einer Halskette
punkt wegen des häufigen Auftretens in spätawarenzeit aus 30 Perlen bestehend (1 Mosaikaugenperle, fünf große
lichen Kontexten in die zweite Hälfte des 8. Jahrhunderts. Hohlperlen und 25 blaue Schnittperlen). In den Kindergrä
Die aus dem Gräberfeld Sieghartskirchen vorliegenden bern stellen die Ohrringe die einzigen Funde dar.
Stücke datieren aufgrund der Beifunde um 800158. Ähnliche Ohrringe sind auch aus Gusen159 und Auhof 160
Es handelt sich hier jedoch um einen relativ langlebigen bekannt, weiters aus fast allen spätawarenzeitlichen
Typus, der ohne genauer datierbare Beifunde feinchronolo Nekropolen, beispielsweise Pottschach161, Zillingtal162,
gisch nicht besonders relevant ist. Da aus dem Kremsdorfer Mödling – Goldene Stiege163, wie auch im zeitgleichen
Grab 2/1960 neben dem Kopfschmuckring keine weiteren Gräberfeld von Pilismarót-Basaharc in Ungarn164. Im Grä
aussagekräftigen Fundtypen vorliegen, kann dieses Objekt berfeld von Pottenbrunn stellen Spiralohrgehänge den am
nur allgemein von der zweiten Hälfte des 8. bis in die erste häufigsten vorkommenden Ohrringtypus dar165. Auch aus
)
Hälfte des 9. Jahrhunderts datiert werden. dem mährischen Gebiet sind Funde bekannt, die aus Grä
berfeldern des 9./10. Jahrhunderts stammen, z. B. Kojátky,
148 Tovornik 1983a, 101, Taf. 8, 26, 60/6.
Moravičany, Brno-Komín, Borsic u Buchlovic166. Weiters
149 Tovornik 1983b, 77, Taf. 5, 15/1.
150 Friesinger 1972, 151, Taf. 4, 40.
151 Szőke 1992, Taf. 30. 159 Grab 157 B; Tovornik 1983a, 102f.
152 Dostál 1966, Taf. 30/5-7. 160 Grab 75, 81 und 114; Tovornik 1983b, 79f.
153 Dostál 1966, Taf. 32/12-13. 161 Grab 8; Caspart – Geyer 1931, 165, Taf. 3/5, 9.
154 Dostál 1966, Taf. 28/10-11. 162 Grab D76; Distelberger 2004, 23.
155 Tovornik 1983a, 101f. 163 Grab 422; Distelberger 2004, 23.
156 Vgl. Friesinger 1971, 226. 164 Fettich 1965, 70.
157 Szameit 1992b, 811. 165 Friesinger 1972, 147f.
158 Szameit 1992b, 811, 820, Taf. 1/4 und 5. 166 Dostál 1966, Taf. 3/6-8, 7/10, 59/12, 13.
— 37 —
liegen mehrere Exemplare aus Gräberfeldern der Ober troffen werden, womit er auch B. M. Szőkes Modell ent
pfalz vor, wie Kallmünz-Kinderheim, Grab 5, oder Burg kräftet. Mit ihrem Auftreten ist aber bereits am Ende der
lengenfeld – Gräberfelder, die im frühen 8. Jahrhundert Mittelawarenzeit zu rechnen, wie Funde z. B. aus Grab 376
beginnen167. von Mödling (Übergang Mittel- zu Spätawarisch) zeigen.
Typochronologisch kann man den Kremsdorfer Funden Die aus den Kremsdorfer Gräbern 11/1960 und 15/1960
den Typus 8, Variante A nach Z. Čilinská gegenüber stammenden Spiralohrgehänge waren mit Perlenketten
stellen168. Hierbei handelt es sich um sogenannte vorgroß vergesellschaftet, deren Kombination für eine Zeitstel
mährische Ohrringe, zu deren Herstellung keine besondere lung in der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts spricht.
Spezialisierung notwendig war. Sowohl konisch zum Ende Durch den Kamm aus Grab 15/1960 ist sogar eine Datie
hin verbreiterte oder verjüngte, als auch zylindrische Spi rung in die frühe Phase der zweiten Hälfte des 8. Jahrhun
ralen werden zu dieser Variante gezählt, deren Verwen derts möglich. Die aus den Kindergräbern vorliegenden
dungsbeginn im mährischen Gebiet von Z. Čilinská an Exemplare stellen jedoch die einzigen Beigaben im jewei
die Wende des 7. zum 8. Jahrhundert gesetzt wird. Noch ligen Grabkontext dar und können daher nur innerhalb
in Gräberfeldern des 10. Jahrhunderts sind solche Gehän der Laufzeit des Gräberfeldes von der zweiten Hälfte des
ge vereinzelt zu finden, was die chronologische Einord 8. bis zur Mitte des 9. Jahrhunderts datiert werden.
nung der Spiralohrgehänge schwer und notwendigerweise
stark vom Kontext des jeweiligen Fundortes und der dort 5.1.1.3. Kettchenohrgehänge
vorhandenen, besser datierbaren Fundstücke abhängig Paarweise liegen Kettchenohrgehänge nur aus dem Män
(c
macht169. nergrab 26/1960 (Tafel 27/2a-b) vor, wo sie mit einem
B. M. Szőke tritt für eine spezifischere Trennung der Griffangelmesser, einem Feuerstahl, einem Eisenstichel,
Ohrringe mit Spiralende ein und meint, dass Ohrringe mit vier Feuersteinen, einem flachen Eisenring und einer Gür
sich verjüngendem Spiralanhänger relativ älter einzustu telschnalle mit Tierköpfen vergesellschafte waren. Da sie
fen sind als solche mit zylindrischer oder sich nach unten gemeinsam mit mehreren der anderen Objekte gehäuft
verbreiternder Spirale, welche bis in die erste Hälfte des an der linken Innenseite des Oberschenkels aufgefunden
10. Jahrhunderts laufen sollen170. Als Untermauerung die wurden, ist anzunehmen, dass sie als Inhalt eines Beutels,
ser These führt Szőke jedoch als Beispiele für seine chro der mit dem Eisenring zu schließen war, in das Grab ge
nologisch jüngsten Vertreter Bestattungen wie Grab 114 legt wurden.
von Auhof oder Grab 37 von Kallmünz-Krachenhausen Im Frauengrab 23/1960 (Tafel 24/3) befand sich ein ein
an, die jedoch von R. Pöllath glaubhaft ins 8. Jahrhun zelnes Kettchenohrgehänge, hier an der Schädelbasis
dert datiert werden können171. liegend. Weiters lagen in dem Grab ein Griffangelmes
Auch P. Korošecs Ansatz, demzufolge die Drahtdicke ser, eine Halskette mit 38 Perlen und Verschlusspatent aus
als chronologisch relevantes Merkmal der Ohrgehänge Buntmetall (37 Mehrfachüberfangperlen, im Folgenden
mit Spiralende zu betrachten ist, wobei ein dünner Draht MÜP, und eine blaue Polyederperle), zwei Bandfinger
für eine Datierung an der Wende vom 8. zum 9. Jahrhun ringe sowie eine Gewandnadel aus Buntmetall mit einge
dert steht, Exemplare mit dickerem Draht aber eher später rolltem Kopf.
zu datieren sind172, kann nicht bestätigt werden, da durch Die Gehänge sind alle von selber Machart: Der Ohrring
Studien A. Distelbergers zur awarischen Frauenklei ist mit einem zweiten Draht, von dem aus mehrere Draht
)
dung nachgewiesen werden konnte173, dass Spiralohrge anhängsel abgehen, mehrfach umwickelt. Sie sind zur Va
hänge zur typischen Ausstattung der fortgeschrittenen riante der Kettchenohrringe mir Drahtumwickelung am
Spätawarenzeit zählen. Feinchronologisch kann jedoch unteren Ende zu zählen. Beim Anhänger aus Grab 23/1960
keine Unterscheidung aufgrund der Art der Spirale ge gehen vier Anhängsel vom Ring ab, bei den Exemplaren
aus Grab 26/1960 sechs, wobei ein Stück sehr stark frag
167 Stroh 1954, Taf. 5/33, 11/V 6-8. mentiert ist und nur mehr fünf Anhängsel vorhanden sind
168 Čilinská 1975, 76f.
169 Szameit 1992b, 811.
(Tafel 27/2b). Die Anhängsel selbst bestehen aus mehre
170 Szőke 1992, 852f. ren, zu Schlaufen gedrehten Gliedern (2 Glieder bei dem
171 Pöllath 2002, 75, 188.
172 Korošecs 1999, 138.
Stück aus Grab 23/1960, vier Glieder bei denen aus Grab
173 Distelberger 2004, 23.
— 38 —
26/1960), wobei das jeweils letzte Glied zu einer liegen Anhängsel befestigt werden183. Gehänge dieser Variante
den Doppelspirale – V. Tovornik beschreibt sie als Ome stammen beispielsweise aus Gusen, Grab 182 und 103184,
ga-förmig174 – eingedreht ist. An einem der Ohrringe aus aber auch aus nordostbairischen Gräberfeldern, wie Thur
Grab 26/1960 (Tafel 27/2b) ist ein Schlingenhakenver nau-Alladorf, Grab 17185, und Weismain, Grab 53186. Im
schluss erkennbar, bei den anderen beiden Stücken ist der awarischen Raum sind sie als Fremdstücke anzusehen,
Verschluss nicht mehr erhalten. wohingegen sie in Kroatien durchaus zu finden sind, z. B.
In den Gräbern 71, 75 und 114 von Auhof weisen die Kett in Grab 356 im Gräberfeld von Begovaca, welches am Be
chen dreifach geschlungene Enden in Kleeblattform auf 175, ginn des 8. Jahrhunderts einsetzt187. Auch in Nekropolen
in Pitten, Grab 115176, hängen an den Enden rautenförmige des karantanischen Bereichs trifft man diese Gehänge an,
Blechplättchen. Für den Ostalpenraum und das obere Do beispielsweise liegen Funde aus Bled-Pristava188, Krungl189
nautal als charakteristisch anzusprechen, kommt die Va und Grab 17 von Hohenberg190 vor. Ebenfalls zu dieser Va
riante der Kettchenohrringe mit Drahtumwickelung am riante zu rechnen sind Kettchenohrgehänge, bei denen die
unteren Ende im awarischen Raum sehr selten und hier Anhängsel an einem gewellten Ohrring befestigt sind, wie
auch nur in der Spätzeit, in den westlichen Gebieten vor, bei den Exemplaren aus Hohenberg, Grab 20191.
wie z. B. in den Gräbern 43 und 102/a von Zalakomár177. J. Giesler setzt beide Varianten in den Vor-Köttla
Im österreichischen Donauraum gibt es hingegen mehrere cher Horizont192. Hält man sich hierbei an die über
Fundorte, von denen hier nur einige exemplarisch erwähnt arbeitete Chronologie der Köttlacher Kultur nach P.
werden: neben Auhof liegen Stücke aus Wimm, Grabhü Gleirscher193, befänden wir uns mit dieser Datierung
(c
gel 13178, Krungl, Grab 92179, und Pottenbrunn, Grab 35/b also im 7. bis 8. Jahrhundert, was vereinbar ist mit der Zeit
und 42180 vor. Der am östlichsten gelegene Fundort eines stellung von Grab 23/1960. Diese Datierung lässt sich auch
Kettchenohrrings mit Drahtumwickelung befindet sich in durch die chronologische Einordnung karantanischer
Rumänien, wo in Grab 91 von Sultana als einzige Beigabe Funde durch S. Eichert194 stützen, der hier vergleichbare
ein fragmentiertes Exemplar geborgen wurde181. Stücke ab der 2. Hälfte des 8. Jahrhunderts datiert.
B. M. Szőke182 führt für die Kettchenohrringe mit Der Ursprung der Kettchenohrgehänge, sowohl mit
Drahtumwickelung einen Benützungszeitraum zwischen Drahtumwickelung als auch mit Schlaufen, ist im byzan
dem ersten Drittel und dem Ende des zweiten Drittels des tinisch-mediterranen Raum zu suchen195, wo es bereits
9. Jahrhunderts an, eine zeitliche Stellung, die für Krems aus dem 5. Jahrhundert entsprechende Funde gibt, bei
dorf im Fall von Grab 23/1960 keinesfalls übernommen spielsweise ein Exemplar, das bei der armenischen Devin-
werden kann, da die ebenfalls aus dem Grab stammende Kathedrale gefunden wurde196. Hierbei handelt es sich
Perlenkette mit MÜP und einer Polyederperle in die zwei um einen Ohrring mit Drahtumwickelung, der aus Kup
te Hälfte des 8. Jahrhunderts datiert, was auf das hier vor fer gefertigt ist und Glasanhängsel an den Kettchen auf
liegende Kettchenohrgehänge zu übertragen ist. Für das weist. Vergleichsstücke für die Variante 2 finden sich in
Paar aus Grab 26/1960 kann nur die allgemeine Datierung Italien, so in Grab 1 und 12 von Salemi, einer Nekropo
im Rahmen des Gräberfeldes angegeben werden, da hier le die in das 6. bis 7. Jahrhundert datiert. Allerdings han
aussagekräftige Beifunde fehlen. delt es sich bei den italischen Vorläufern um gegossene
Neben der in Kremsdorf vertretenen Variante der Kett Ohrgehänge197.
chenohrgehänge gibt es noch eine zweite, die so genann
)
183 Szőke 1992, 854f.
te Variante mit Schlaufen, bei welcher der Ring selbst zu 184 Tovornik 1983a, 103f., Taf. 33/2, 60/4.
mehreren Schlaufen gedreht ist, an denen wiederum die 185 Pöllath 2002, Taf. 38/8, 38/10.
186 Pöllath 2002, Taf. 71/6-99.
187 Jelovina – Vrsalovic 1981, 88, Taf. 24/356.
188 Korošec 1979, Taf. 3.
174 Tovornik 1983b, 80. 189 Korošec 1979, Taf. 14/7.
175 Tovornik 1983b, 80f., Taf. 9/2, 10/6, 19/1, 42/5. 190 Nowotny 2005, Taf. 8/2-3.
176 Friesinger 1977, 94, Taf. 50/2, 58/1. 191 Nowotny 2005, Taf. 9/1-2.
177 Friesinger 1977, 855, Taf.1, 2. 192 Giesler 1980, 86f.
178 Breibert 2002, 36, Taf. 29/6. 193 Gleirscher 2002, 102f.
179 Breibert 2015, Taf. 10/8. 194 Eichert 2010, Abb. 13.
180 Friesinger 1972, Taf. 4, 5. 195 Eichert 2010, 53.
181 Mitrea 1988, 117, Taf. 12. 196 Kalantarjan 1970, Taf. 18.
182 Szőke 1992, 854. 197 Riemer 2000, 72.
— 39 —
5.1.1.4. Bommelohrgehänge das Paar mit einem Bandfingerring aus Buntmetall und
Drei Arten von Bommelohrgehängen sind in Krems einem Griffangelmesser.
dorf vertreten, von denen zweien allgemein das Merk Von etwas anderer Gestalt sind die Ohrringe aus den Grä
mal „karantanisch“ zugesprochen wird, da sie besonders bern 5/1960 und 7/1987. Die Ringe sind hier eher länglich-
in diesem geographischen Raum verbreitet sind. Hierbei oval geformt. Allerdings ist nur mehr bei einem Exemplar
handelt es sich um Ohrringe mit Blech- bzw. Glasperlen aus Grab 7/1987 der Hakenverschluss erhalten. Hier sind
anhänger und Pendel, ein Paar Ohrringe mit aufgezogener die Blechperlen bikonisch, wobei die Nähte des Paares glatt
Blechperle sowie das Fragment einer Pressblechbommel. abschließen. Weiters stammt aus dem Grab ein Schild
Aus dem Grab 4/1960 (Tafel 16/2) stammt ein Buntme chenfingerring. Bei den Stücken aus Grab 5/1960, die
tallfragment von rundlicher Form, welches ursprünglich gemeinsam mit einem Griffangelmesser und einem Band
zu einer Bommel gehört haben dürfte. Das Stück ist jedoch fingerring aus Buntmetall gefunden wurden, liegen ovale
stark korrodiert und nur fragmentarisch erhalten, weshalb bis eiförmige Blechperlen vor, deren Nähte nach außen ge
eine nähere Bestimmung nicht möglich ist. bogen und gezackt sind, was einen kreissägeblatt-förmigen
Eindruck vermittelt. Bei beiden Paaren ist an den Schlau
Ohrringe mit Blech- bzw. Glasperlenanhänger und fen ein Pendel befestigt, das aus Draht besteht. Bei Grab
Pendel 7/1987 ist der Draht mehrfach eingedreht und endet in
Die Mehrzahl der in Kremsdorf vorliegenden Bommel zwei einfachen Schlaufen. Auch im Grab 5/1960 bestehen
ohrgehänge ist zu den Ohrringen mit Blech- bzw. Glasper die Anhängsel aus eingedrehten Drähten, allerdings sind
(c
lenanhänger und Pendel zu rechnen198. Hierzu zählen die sie hier etwas länger und die Enden der Drähte sind offen
Paare aus den Frauengräbern 3/1906 (Tafel 4/2a-b), 5/1960 und nach oben hin eingebogen.
(Tafel 16/3a-b), 7/1987 (Tafel 34/5a-b) sowie zwei Einzel Der Bommelform aus Grab 5/1960 ähnelt auch das zwei
stücke, die aus den zerstörten Gräbern von 1906 (Tafel te „Streufundexemplar“ von 1906, welches ebenfalls oval
6/9-10) stammen und keinem bestimmten Grab mehr zu ist, jedoch gerade, nach außen gebogene Nähte besitzt. In
zuweisen sind. diesem Fall ist nur mehr ein Rest der Drahtschlaufe des
Bei der als karantanische Variante der Bommelohrge Ringes vorhanden. Verschlussbereich oder Anhängsel feh
hänge bekannten Form wird aus dem Draht des Ohrrin len gänzlich.
ges ein Splint bzw. eine längliche Schlaufe gebildet, auf die Den Paaren aus Grab 5/1960 und 7/1987 sehr ähnlich sind
eine Blech- oder Glasperle aufgeschoben wird, sodass das Exemplare aus dem Grab 15 von Hohenberg201 sowie den
Ende der Schlaufe als Öse für Pendilien fungieren kann199. Gräbern 77 und 78 von Gusen202. Prinzipiell können Ge
Eines der nicht zuordenbaren Stücke aus 1906 besitzt hänge dieses Typs auch mit zwei oder drei aufgefädelten
einen Glasanhänger, wobei nur mehr die hellgrüne, an Perlen vorkommen203, wie z. B. im Grab 307 von Dolní
nähernd kugelförmige Perle und ein spärlicher Rest des Věstonice204. Die von V. Tovornik beschriebenen Grä
Buntmetallsplints vorhanden sind. Noch mit Anhängsel ber 77, 78 und 158 von Gusen205, die alle Ohrringe mit
versehen ist ein ähnlicher Ohrring, der aus dem Grab 158 Glas- oder Blechperle und Pendel aufweisen, werden von
aus Gusen stammt200. E. Szameit in die erste Hälfte des 9. Jahrhunderts, spä
Die anderen Kremsdorfer Exemplare verfügen über hoh testens Mitte 9. Jahrhundert datiert206. Hierbei bezieht
le Blechperlen, die aus zwei Schalen mit waagrechter Naht er sich auf J. Gieslers Köttlacher Chronologie, in der die
)
bestehen. besprochene Ohrringvariante typisch ist für den Kött
Der eigentliche Ring ist beim Paar aus Grab 3/1906 rund lach I Horizont, dessen Beginn J. Giesler an die Mitte
geformt und besitzt einen Hakenverschluss. Von den des 9. Jahrhunderts stellt207. Mit der Köttlacher Einteilung
Blechperlen ist nur mehr eine einzige Schale erhalten, die
halbkugelförmig ist und auf eine glatte Naht schließen lässt.
Eventuell einst vorhandene Anhängsel am Splint konnten 201 Nowotny 2005, Taf. 7/2-3.
202 Tovornik 1983a, Taf. 60/1, 60/3.
nicht mehr nachgewiesen werden. Vergesellschaftet war 203 Korošec 1979, 337.
204 Szőke 1992, Taf. 44.
198 Szőke 1992, 861. 205 Tovornik 1983a.
199 Korošec 1979, 337. 206 Szameit 1992a, 193.
200 Tovornik 1983a, Taf. 27/1. 207 Giesler 1980, 87.
— 40 —
nach P. Gleirscher ist hier jedoch eine Zeitstellung im Schlinghaken-Konstruktion gehandelt haben, worauf ein
8. Jahrhundert angebracht208. analoges Fundstück mit noch vorhandenem Verschluss
P. Korošec beschreibt die von ihr als Gruppe 2/a-Vari aus dem Grab 68 von Bled-Pristava schließen lässt218. Aus
ante angesprochenen Ohrringe mit Blech- oder Glasperle dem frühkarolingerzeitlichen Grabhügel 45 von Wimm
und Anhängsel als charakteristisch für das karantanische liegt ein sehr ähnliches Stück vor219. Vergesellschaftet war
Territorium, während das Auftreten dieses Typs im Mit das Kremsdorfer Exemplar mit einem Griffangelmesser,
teldonaugebiet eher selten ist209. Im karantanischen Ein zwei einfachen Bandfingerringen mit offenen Enden, zwei
zugsgebiet sind Exemplare unter anderem aus Bled-Burg210, Schildchenfingerringen mit vernieteten Enden und Punkt
Bled-Pristava211, Krungl212 und Hohenberg, Grab 15213, be buckeldekor, einer davon zusätzlich mit Tremolierstich
kannt. Aus dem Frauengrab der Gurina im Dellachtal liegt verzierung, sowie einer Halskette aus 14 Perlen (gelbe und
ein Ohrring mit Blechperle vor214, der von S. Eichert215 blaue Einfachperlen). Das Exemplar entspricht der Grup
im Grabkontext zwischen spätem 8. und der 2. Hälfte des pe 3 nach Korošec220, wobei die von ihr erwähnten, oft
9. Jahrhunderts gestellt wird. Ein gehäuftes Vorkommen die Perle begleitenden kleinen Ringe mit Konussen im Fall
der Ohrgehänge mit Blech- oder Glasperle und Pendel von Kremsdorf fehlen.
liegt besonders im Ostalpenraum sowie am südöstlichen Aus Črnomelj im südlichen Slowenien sind ebenfalls Ohr
Alpenrand vor. ringe mit einer aufgezogenen Perle bekannt221. Offenbar
P. Korošec zufolge entwickelten sich diese Ohrgehän haben die zu beschreibenden Ohrringe ihre Vorbilder in
ge unter Einfluss von pannonischen Schmuckstücken, die Exemplaren aus dem byzantinischen Einzugsbereich, gibt
(c
zwischen der Mitte des 6. und Mitte des 7. Jahrhunderts es doch Beispiele aus dem dalmatinischen Raum, wo sol
vorkommen. S. Eichert216 betont jedoch die typologische che Typen bereits im 7. Jahrhundert vorkommen222. Im
Ähnlichkeit der Kärntner Exemplare zu Bommelohrge karantanischen Bereich finden sich diese Ohrgehänge teil
hängen westlicher Provenienz. weise in Kombination mit Lunulaeohrgehängen, die kenn
Entsprechend des Datierungsvorschlags von S. Eichert217 zeichnend sind für die Köttlacher Gruppe, deren Beginn
für die mit Kremsdorf vergleichbaren Fundstücke aus P. Korošec in die Mitte des 9. Jahrhunderts datiert223,
Kärnten zwischen spätem 8. und der 2. Hälfte des 9. Jahr wie z. B. ein Bommelohrring und ein Lunulaeanhänger aus
hunderts können die hier vorgestellten Stücke aufgrund einer Füllschicht aus Bled-Burg224 und eine Kombination
fehlender, feinchronologisch besser datierbarer Beifunde im Grab 178 von Ptujski grad225.
im selben Grabkontext nur allgemein zwischen dem aus Von selber Machart sind ebenfalls Ohrringe der Grup
gehenden 8. Jahrhundert und dem Ende der Gräberfeldbe pe 4 nach P. Korošec226, die sich durch das Vorhanden
legung datiert werden. sein mehrerer Perlen unterscheiden. Häufig tritt diese Va
riante gemeinsam mit Elementen der Köttlacher Gruppe
Ohrringe mit aufgezogener Blechperle oder Elementen der Bela-Brdo Gruppe auf, beispielsweise
Aus dem Grab 21/1960 (Tafel 23/3) liegt ein Paar Ohrringe im Gräberfeld von Köttlach, wo ein Exemplar mit vier
mit aufgezogener Blechperle aus Buntmetall vor. Auf einem Blechperlen und Drahtumwickelung vorliegt227, sowie
annähernd rund geformten Draht, der im unteren Bereich aus Judenburg in der Steiermark228. In beiden Fällen wur
gerade gebogen wurde, ist eine zweischalige, abgeflacht-ku den die Ohrringe gemeinsam mit Lunulaeohrgehängen
gelige Blechperle, deren horizontale Nähte glatt abschlie gefunden.
)
ßen, waagrecht aufgezogen. Der Verschluss ist bei keinem
der beiden Exemplare erhalten. Es dürfte sich aber um eine
218 Korošec 1979, Taf. 12/5a.
208 Gleirscher 2002, 102f. 219 Breibert 2002, 34, Taf. 37/5.
209 Korošec 1979, 337. 220 Korošec 1979.
210 Korošec 1979, Taf. 6/3a-b. 221 Korošec 1979, Taf. 83.
211 Korošec 1979, Taf. 12/4a-b, 15/1a-b. 222 Korošec 1979, 337.
212 Korošec 1979, Taf. 22/5, 22/7, 22/11, 24/3. 223 Korošec 1979, 360f.
213 Nowotny 2005, Taf. 7/2-3. 224 Korošec 1979, Taf. 152/5-7.
214 Jablonka 2001, 43, Taf. 2/11-14. 225 Korošec 1979, Taf. 79/2.
215 Eichert 2010, 64. 226 Korošec 1979.
216 Eichert 2010, 64. 227 Pittioni 1943, Taf. 11/7.
217 Eichert 2010, 64. 228 Korošec 1979, Taf. 77/5.
— 41 —
B. M. Szőke stellt das Aufkommen der Ohrringe mit aufgezogener Bommel betrachtet. Dieses Grab datiert in
kugeligem Blechperlenanhänger, zu dessen Varianten er das 7. Jahrhundert240.
die Ohrringe mit aufgezogenen Perlen rechnet, ebenfalls Z. Čilinská, deren Typus V die zu analysierenden Ohr
an die Mitte des 9. Jahrhunderts229. Er bezieht sich bei ringe entsprechen, vermutet in den Ohrgehängen mit
dieser Datierung eher auf Funde aus dem Donauraum, wo aufgezogener Bommel eine lokale Erscheinung im Ge
der Typus beispielsweise in den Gräbern 46, 52, 64, 69 und biet um Keszthely und datiert deren Laufzeit zwischen
75 von Steinabrunn230, Grab 4 von Etzersdorf231 und Grab der Wende vom 6. zum 7. Jahrhundert bis in die zweite
15 von Pottenbrunn232 vorkommt. Hälfte des 7. Jahrhunderts241. Allerdings sieht sie Ähnlich
Auch H. Friesinger spricht sich für ein Auftreten be keiten dieser Form mit Körbchenohrgehängen, deren Ur
reits vor der Mitte des 9. Jahrhunderts aus, was er mit sprung in der byzantinischen Welt liegt, was wiederum
dem Vorkommen des Typs in Pitten gemeinsam mit mit P. Korošecs Überlegungen zu den Vorläufern dieser
Mosaikaugenperlen, in Steinabrunn, Grab 46, in Kombi Bommelohrgehänge konform geht242. Die eben genannte
nation mit filigranverzierten Ohrringen und Glasknöpfen Datierung bezieht sich auf Funde aus dem awarischen Ge
mit Eisenösen, sowie in Grab 17 von Mühling gemeinsam biet, beispielsweise Aradac und Želovce243, allerdings las
mit einem Schildchenfingerring argumentiert233. sen sowohl Z. Čilinská als auch A. Kiss, der das Ende
Gerade aber das Auftreten mit MAP kann als Hinweis der Ohrringe mit aufgezogener Bommel an das Ende des
für eine noch frühere Datierung interpretiert werden. In 8. Jahrhunderts stellt, Fundstücke wie die aus dem karan
Anlehnung an Dostál und Poulík verweist H. Friesinger tanischen Bereich außer Acht.
(c
auf den karantanischen Raum als Ursprungsgebiet die A. Kiss geht sehr genau auf die byzantinische Herkunft
ser Ohrringe, da sie dort in größerer Zahl vorkommen234. des Ohrringtyps ein244. Zwar plädiert er ebenfalls für
Ältere Vorbilder aus dem byzantinischen Bereich lässt er den oströmischen Einfluss, stellt allerdings fest, dass auf
außer Acht. byzantinischem Territorium kaum Stücke bekannt sind.
Auch im mährischen Bereich treten Ohrringe mit aufge Er nimmt jedoch an, dass aus Gold gefertigte Exemplare,
zogener Bommel auf, so im Grab 4 von Šardičky235, in den wie das aus dem Schatzfund von Zemianský Vrbovok,
Gräbern von Strážnice236 und in Staré Město, hier aller aufgrund der Technik im byzantinischen Reich gefertigt
dings mit Granulationstechnik verzierten Varianten, die wurden.
V. Hrubý auf einen byzantinischen Einfluss schließen las Im karolingerzeitlichen Gräberfeld von Adelsdorf, Lkr.
sen237. Jedoch stellt Hrubý die Ohrringe mit aufgezogener Erlangen-Höchstadt, Nordostbayern, liegen acht Ohr
Blechperle in das erste Viertel des 10. Jahrhunderts. ringe vor245, die stark an die zu besprechende Form er
Relativchronologisch sind die Stücke mit mehreren Bom innern. Hierbei handelt es sich um gegossene Stücke, die
meln jedenfalls als jünger anzusehen, als solche mit nur jeweils drei doppelkonische Verdickungen aufweisen, die
einer Perle238, was sich auch beim Betrachten der karan als Imitationen von Blechperlen zu verstehen sind. Aus
tanischen Funde zeigt, wo Stücke mit einer Bommel noch dem bairischen Bergheim liegt ein Exemplar ähnlich dem
sehr selten mit Köttlacher Elementen vergesellschaftet Kremsdorfer Stück vor, das von H. Bott vorgestellt wur
sind, Objekte mit mehreren Perlen jedoch häufig mit Lu de246. Bereits er erkannte Vorbilder in oströmischen Fun
nulaeohrgehängen vorkommen. Erwähnung findet bei B. den und ließ keinen Zweifel aufkommen, dass es sich hier
M. Szőke auch das Grab 510 von Nové Zámky239, wel um eine ursprünglich römische Form handelt. Weiters
)
ches er als eines der ältesten Vertreter für Ohrringe mit stammt aus Grab 387 der baiovarenzeitlichen Nekropole
von Aubing ein Stück mit einer aufgeschobenen Blech
229 Szőke 1992, 860.
perle247. Aus dem spätmerowingerzeitlichen Grab 61
230 Friesinger 1974, 99.
231 Friesinger 1974, Taf. 14/4.
232 Friesinger 1972, Taf. 11/15. 240 Čilinská 1975, 92.
233 Friesinger 1974, 99f. 241 Čilinská 1975, 74.
234 Friesinger 1974, 99. 242 Korošec 1979, 337.
235 Poulík 1948, Taf. 70/7-8. 243 Kiss 1983, Abb. 2/8-9, 2/12.
236 Dostál 1966, Taf. 52/1. 244 Kiss 1983, 110f.
237 Hrubý 1955, 229, 353f. 245 Pöllath 2002, Taf. 1/3-10.
238 Szőke 1992, 860. 246 Bott 1952, 132f., Taf. 12/1.
239 Kiss 1983, Abb. 2/15. 247 Dannheimer 1998, Taf. 101/7.
— 42 —
von Inversheim liegt ebenfalls ein Paar Ohrringe mit auf den zusammengesetzten Bommelohrringen mit zylind
gezogener Blechperle vor, wo es aufgrund der Vergesell rischem Mittelteil und bunter Glasaugenzier aufweist, die
schaftung mit einer gleicharmigen Bügelfibel an das Ende zur agilolfingischen Mode des späten 7. und frühen 8. Jahr
des 7. Jahrhunderts datiert wird. Hier ist allerdings die hunderts zu zählen sind252.
Blechperle auf einen tordierten Ringdraht mit S-förmigem Durch die Vergesellschaftung mit einer vierpassförmigen
Verschluss aufgezogen248. Pressblechfibel und einer Perlenkette mit MAP ist das
Die Chronologie der Ohrringe mit aufgezogener Bommel Kremsdorfer Fragment, wie auch der Rest des Grabin
ist sehr weit gefasst und lässt Spielraum für Diskussionen. ventars, um die Mitte des 8. Jahrhunderts oder möglicher
Aus dem Gräberfeldkontext heraus ist das Kremsdorfer weise noch früher anzusetzen. Auch die Exemplare aus
Paar sicherlich den karantanischen Funden nahe zu stel Auhof sind entsprechend der Datierungskorrektur von
len, weshalb allzu frühe Datierungsansätze, wie die von V. Tovornik früher zu datieren253 als von B. M. Szőke
Z. Čilinská, eher unwahrscheinlich sind. Eine Eingren vorgeschlagen.
zung der Zeitstellung ist für diese Fundkategorie aufgrund
der Beifunde allerdings nicht möglich, da auch hier kei 5.1.1.5. Körbchenohrgehänge
ne aussagekräftigen Typen für eine genauere Datierung Ebenfalls aus Grab 1/1978 (Tafel 32/6) stammt das Frag
vorliegen. ment eines aus Silberblech bestehenden, ursprünglich
sechseckigen Körbchens. Der Ring ist nicht vorhanden.
Bommelohrring mit Anhänger aus geformtem Blech Vergesellschaftet war das Exemplar mit einem goldenen
(c
Aus Grab 1/1978 (Tafel 32/5) wurde das Fragment einer Brakteaten, zwei Armreifen, einer vierpassförmigen
aus vergoldetem Buntmetallblech gepressten Bommel Pressblechfibel, dem Fragment der eben besprochenen
gefunden, die aus zwei Schalen besteht. Diese Schalen Pressblechbommel und einer Perlenkette (blaue Einfach
wurden, nachdem sie in Form gepresst waren, vertikal an perlen und Millefioriperlen).
einander gelötet. Beim vorliegenden Objekt ist nur der Der Ursprung der Körbchenohrgehänge liegt im mediter
untere Teil der Bommel erhalten, der von einem rauten ranen Raum. Ab dem 6. Jahrhundert tauchen körbchen
förmigen Schlussstück in Tropfenform übergeht und sich artige Ohrgehänge im Ostalpenraum auf. Nachahmungen
dann wieder verjüngt. Weiters befanden sich in dem Grab finden sich in der Gegend um den Plattensee gegen Ende
der Rest eines silbernen Körbchenohrgehänges, der Rah des 6. Jahrhunderts, die letztendlich zu den awarenzeit
men eines goldenen Brakteaten, zwei Stabarmreife, eine lichen Doppeltrichterkörbchen führen254. Blütenkelch
Vierpassfibel und eine Perlenkette (blaue Einfachperlen förmige Körbchen, die sich an spätantiken romanischen
und Millefioriperlen). Vorbildern orientieren, sind besonders im 7. Jahrhundert
Aus den Gräbern 75 und 81 von Auhof liegen sehr ähn in Baiern anzutreffen und können als typisch für das baio
liche Stücke in besserem Erhaltungszustand vor, allerdings varische Gebiet bezeichnet werden255. G. Fingerlin er
aus Kupfer- bzw. Silberblech gepresst249. Ein weiteres Paar wähnt in diesem Zusammenhang die Frauengräber 1 und
stammt aus Kronstorf250. Alle diese Stücke entsprechen 100 von Güttingen, in denen je ein Paar silberner Körb
der Gruppe der Bommelohrringe mit Anhänger aus ge chenohrgehänge gefunden wurden, die nahe Verwandt
formtem Blech, Variante mit bikonischen und ovalen An schaft mit byzantinischen Stücken und Funden aus den
hängern nach B. M. Szőke251. langobardenzeitlichen Gräberfeldern in Italien aufwei
)
Ob das Kremsdorfer Fragment ebenfalls dieser Variante sen256. Die byzantinischen Körbchen sind meist aus
angehört, ist nicht feststellbar. Szőke stellt die gesamte Filigrandrähten zusammen gelötet und wurden nördlich
Gruppe in das erste bis zweite Drittel des 9. Jahrhunderts der Alpen auch häufig imitiert. Zahlreiche Beispiele für
mit Hauptverbreitungsgebiet zwischen oberem Donau solche Kopien führt G. Fingerlin in seinem diese Pro
tal und Westungarn. Nach E. Szameit ist diese Fundgat blematik besprechenden Aufsatz an257.
tung jedoch früher zu datieren, da sie Ähnlichkeiten mit
252 Szameit 1992a, 192.
253 Tovornik 1993; 1999.
248 Neuffer-Müller 1972, 42, Taf. 11/61-2 und 3. 254 Bott 1952, 134f.
249 Tovornik 1983b, 86 f., Taf. 41/1-2, 12/3. 255 Codreanu-Windauer 1997, 72f.; Losert – Pleterski 2003, 58.
250 FÖ 22/1983, 320, Abb. 906. 256 Fingerlin 1972, 599f., Taf. 1/3, 44/4, 44/4a.
251 Szőke 1992, 859f. 257 Fingerlin 1974, Abb. 1-5.
— 43 —
Die stärkste Verbreitung von Körbchenohrgehängen findet Rand auf, jedoch sind nur mehr Reste der Emaileinlagen
sich im baiovarischen Gebiet, wo in den meisten Gräber zu erkennen. V. Tovornik meint in dem Motiv die stili
feldern Körbchenohrgehänge vorkommen. Im Frauengrab sierte Darstellung eines Panthers mit zurückgewendetem
10 von Lauterhofen wurde ein Paar des Typs Lauterhofen Kopf zu erkennen267. Diese Interpretation erscheint aber
aus Silber gefunden258. Ebenso liegen aus mehreren Grä höchst spekulativ. Der Ringbogen des Gehänges ist abge
bern der baiovarenzeitlichen Nekropolen von Altener brochen, sodass nur mehr die dreigehörnte Lunula erhal
ding259 und Aubing260 Körbchenohrgehänge vor. Weiters ten ist. Das Objekt trat in Kombination mit zwei einfachen
ist ein Fund aus Grab 133 von Rudelsdorf bei Linz be Drahtohrringen in einer Bestattung auf, deren Geschlecht
kannt261. Aus Grab 72 von Linz-Zizlau stammt ein frag nicht bestimmt werden konnte.
mentiertes Exemplar eines Körbchenohrgehänges262. P. Korošec unterteilt die Lunulaeanhänger, welche die
Die westliche Prägung des Kremsdorfer Körbchens Gruppe 5 ihrer Ohrringtypologie darstellen, in zwei Unter
steht nach Vergleichen außer Frage. Es ist anzunehmen, gruppen mit je zwei Varianten, die sich aufgrund der Fer
dass ursprünglich eine (Glas-)Einlage im Körbchen vor tigungstechnik – Treibarbeit oder Guss, Ritzverzierung,
handen war. Solche Einlagen sind zumeist mit einer fili Tremolierstich oder Emaileinlagen –, Form – Lunulae mit
granverzierten Deckplatte versehen. Eine solche ist beim zwei oder drei Hörnchen – und Bildprogramm – stilisier
vorliegenden Exemplar jedoch nicht mehr erhalten. Am te Pflanzen- und Tiermotive sowie geometrische Formen
wahrscheinlichsten ist die Einreihung des Stücks in den – unterscheiden268. Demnach wäre das vorliegende Stück
Typ Allach/Untermünzing. Ohrgehänge dieses Typs eine Kombination der Varianten 1 und 2 der zweiten Un
(c
datiert S. Codreanu-Windauer im Gräberfeld von tergruppe. Es ist jedoch anzunehmen, dass das Exemp
Pliening in die zweite Hälfte des 7. Jahrhunderts263, mit lar eher der Variante 1 zugesprochen werden kann, da die
Ausnahme des Funds aus Grab 174, der möglicherweise Anzahl der Hörnchen den markanten Unterschied der
vor die Jahrhundertmitte zu stellen ist. S. Arnold datiert beiden Varianten ausmacht, währenddessen die beschrie
die Körbchenohrgehänge aus Steinhöring zwischen Ende benen Motive auf beiden Varianten auch in der Technik
des ersten Viertels des 7. Jahrhunderts und dem dritten des Gruben- bzw. Zellenemails vorkommen.
Viertel264. Allgemein kann also das 7. Jahrhundert als Ver Besser anwendbar als P. Korošecs Unterteilung ist die
wendungszeit der Körbchenohrgehänge im baiovarischen Gliederung der Lunulaeohrgehänge von S. Eichert, wo
und alamannischen Raum genannt werden. nach das Kremsdorfer Exemplar eine Grundform mit
In Kremsdorf präsentiert dieser Fund gemeinsam mit mittelständigem Fortsatz der Lunula aufweist, soweit er
einer vierpassförmigen Pressblechfibel, die eine Datie sichtlich unprofilierte Sichelenden besitzt, eine geperlte
rung in die erste Hälfte bzw. um die Mitte des 8. Jahrhun untere Kante aufweist und mit Grubenmotivik verziert
derts nahe legt, den westlichen Einfluss im Kremsdorfer ist269.
Gräberfeld. Tatsächlich gibt es motivisch identische Stücke zum vor
liegenden Anhänger, so z. B. aus Köttlach270, Mengeš-
5.1.1.6. Lunulaeförmiges Ohrgehänge Kamnik271, der Pfarrkirche Kranj272, Bled-Burg273 und aus
Aus Grab 5/1906 (Tafel 4/5) stammt ein gegossenes, Grab 183 der Burg Ptuj274.
halbmondförmiges Ohrgehänge, das den für die Kött Ursprünglich kommt die Form der Halbmondanhän
lacher Gruppe nach P. Korošec265 bzw. Köttlach II nach ger aus dem mediterranen und byzantinischen Be
)
J. Giesler266 typischen Lunulaen entspricht. Das Stück reich. U. von Freeden erwähnt ein halbmondförmiges
ist aus Buntmetall gefertigt und weist auf einer Seite ein Exemplar aus dem italienischen Varna, welches in das
abstraktes Motiv aus Grubenemail sowie einen gerippten 5. Jahrhundert datiert275. Dem 6. und 7. Jahrhundert wer
— 44 —
den in Durchbruchstechnik gefertigte Stücke mit Floral- und den byzantinischen Schmuckstücken chronologisch
und Tierornamentik, aber auch religiösem Bildprogramm zu viel Abstand liegt286.
aus der byzantinischen Welt zugeschrieben276. Diese Vor Es erscheint plausibel, dass die Form des Halbmonds aus
läufer sickern langsam in den Westen ein und finden dem mediterranen Raum kommt, als Import in den awa
Vertreter beispielsweise in dem fischverzierten Lunulae rischen und bairischen Schmuck einsickert, wo sie dann
paar aus Gold aus Grab 83 des baiovarenzeitlichen Grä auch kopiert wird und dann, einerseits im Zuge der Aus
berfelds von Linz-Zizlau, welches um 700 datiert277. weitung des fränkischen Reichs nach Osten, andererseits
Als Zeichen einer Elite finden sich gegossene Lunulae durch die aquilaeische Mission an der Wende des 8. zum
ohrringe auch im Grab 26 von Moos-Burgstall, wo ein 9. Jahrhundert im karantanischen Gebiet, Einzug in die
aus Bronze gegossener Anhänger in Kombination mit ei Frauenmode des Ostalpenraums findet287 – hier zuerst als
ner Perlenkette vorliegt. Das Gräberfeld wird von U. von geschmiedete Variante, später als gegossene, die ihre Blü
Freeden zwischen 630 und 700 datiert278. In Töplitsch, tezeit im 10. Jahrhundert erlebt.
Kärnten, liegt ein besonders fein gearbeitetes goldenes Das Kremsdorfer Stück ist als karantanisches Element zu
Exemplar eines Kettchenohrgehänges mit Lunulaedraht werten und im Rahmen des Horizontes Köttlach II ab
konstruktion am Ring vor. K. Karpf meint, das Stück später erster Hälfte des 9. Jahrhunderts zu datieren, womit
sei byzantinisch-italischer Herkunft und datiere wohl es einer der jüngsten Fundtypen im Gräberfeld darstellt.
in das 8./9. Jahrhundert279. Ebenfalls aus karolingischer
Zeit stammen ähnliche Ohrgehänge aus dem Grab 53 von 5.1.1.7. Ohrring mit Glasperlenanhänger
(c
Weismain, Oberpfalz, wo allerdings eine sehr vereinfachte Im Grab 8/1960 (Tafel 17/4) befand sich als einzige Beigabe
Lunulaekonstruktion aus Draht vorliegt280. Aufwendiger ein einfacher Ohrring aus einem Draht mit angespitzten
gearbeitet ist ein silbernes Gehängepaar aus einem Doppel Enden und einer flachen, türkis-blauen Glasperle rund
grab in Hohenfels-Matzenhaus, ebenfalls Oberpfalz. Hier lich-flachgedrückter Form, die an einem Metallringlein
sind lunulaeförmige Blechstücke an den Ring gelötet281. Im als Anhänger befestigt war. Der Drahtring ist stark kor
karantanischen Bereich treten die emailverzierten Lunu rodiert und mehrfach gebrochen. Vermutlich war er rund
lae ab dem 9. Jahrhundert auf, etwa in Flaschberg282, den oder oval gebogen. Da es sich hier um eine sehr einfache
Gräbern 1943/4, 1943/8 und 1943/14 von Förk283 und Grab Art eines Ohrgehänges handelt, wäre es durchaus möglich,
1 von Friesch Galgenbichl284. Häufig sind sie mit Email dass hier ein lokal gefertigtes Produkt ohne fremde Ein
scheibenfibeln vergesellschaftet. flüsse vorliegt, bei dem einfach aus zur Verfügung stehen
P. Korošec ist der Ansicht, dass die Lunulaeanhänger des den Mitteln ein Schmuckstück gefertigt wurde.
karantanischen Gebietes formenmäßig zwar auf dem Ein Jedoch sollte darauf hingewiesen werden, dass in der Spät
fluss byzantinischer Schmuckstücke beruhen bzw. in dieser awarenzeit ähnliche Ohrringe mit Glasperlenanhänger
Hinsicht auch ein sekundärer Einfluss aus dem karolin auftreten. Dieser, von Z. Čilinská als Typus X definierte
gischen Bereich zu konstatieren ist285. Auch S. Eichert Schmuck, wird von ihr als dominant für das 8. Jahrhun
meint, dass die eigentlichen Vorläufer der karantanischen dert beschrieben288. Die häufigere Variante stellen hier
Objekte in frühmittelalterlichen Vorläufern westlicher bei Exemplare mit kegelförmigen Anhängern dar, wie sie
Provenienz zu suchen sind, da zwischen dem Auftreten im Gräberfeld von Zalakomár, Grab 240, 339 und 372 über
der ersten Lunulaeohrgehänge im karantanischen Bereich die gesamte Belegungszeit vorkommen289 – das Gräberfeld
)
reicht bis ins 9. Jahrhundert –, oder auch in Sieghartskir
chen290. B. M. Szőke weist allerdings darauf hin, dass der
Typus nach dem Ende der Awarenzeit im Ostalpenraum
276 Oreficeria 1999, 104-109. und im oberen Donauraum nicht mehr zu finden ist291. Im
277 Ladenbauer-Orel 1960, Taf. 44; Zeller 1988, 246, 248.
278 von Freeden 1992, 10, 13, Abb. 8.2.
awarischen Nachfolgegebiet läuft er hingegen weiter. Eine
279 Karpf 1998, 80-82, Abb. 13.
280 Pöllath 2002, Taf. 71/6-9. 286 Eichert 2010, 71f.
281 Menghin 1990, Taf. 64. 287 Eichert 2010, 73.
282 Eichert 2010, Taf. 15. 288 Čilinská 1975, 79f.
283 Eichert 2010, Taf. 15-16. 289 Szőke 1992, Taf. 5, 6.
284 Eichert 2010, Taf. 16. 290 Szameit 1992b, Taf.1/1-2.
285 Korošec 1979, 367f. 291 Szőke 1992, 864.
— 45 —
seltenere Variante stellen Ohrringe mit kugeligem Glas diertes, verbogenes Paar Drahtringe vor, wobei an jedem
perlenanhänger dar, die am Übergang von Mittelawarisch Endstück größere oder kleinere Teile abgebrochen sind.
II zu Spätawarisch I datieren292. Aufgrund des schlechten Zustands und dem teilweisen
Möglicherweise fungierten solche Ohrringe als Vorbilder Fehlen der Verschlussbereiche ist das Stück aus Mangel
für das Kremsdorfer Exemplar. Dies ist allerdings nur eine besserer Alternativen am ehesten den einfachen Drahtrin
Möglichkeit und kann nicht verifiziert werden. Techno gen mit Häkchen nach U. von Freeden296 oder der Form
logisch befindet sich das vorgelegte Exemplar auf einem H1, Kopfschmuckringe mit Haken- und Ösenverschluss,
sehr simplen Niveau und ist chronologisch nicht näher nach R. Pöllath297 zuzurechnen. Möglicherweise wa
einzuordnen, da es die einzige Beigabe im Grab 8/1960 ren an den Kremsdorfer Stücken einst Ösen vorhanden.
darstellt. Durch die Beschädigung in den Verschlussbereichen ist
aber nur mehr das Häkchen mit Sicherheit zu erkennen.
5.1.1.8. Einfache Drahtringe Als Beispiel für diese Form nennt U. von Freeden298 ein
Die nun folgende Kategorie wird bewusst nicht als Ohr Exemplar aus Nuspling, welches jedoch aus einem ritzver
ringe tituliert, sondern als Kopfschmuckringe, da es zierten Draht besteht.
denkbar ist, dass diese Typen eher als Haar oder Kopfbe Die Kremsdorfer Ringe sind sehr stark verbogen. Ur
deckungsschmuck dienten. Bereits U. von Freeden wies sprünglich waren sie vermutlich rund. Am Draht sind
darauf hin, dass bei einfachen Drahtringen, die im Kopf aufgrund des schlechten Zustandes keine Verzierungen
bereich aufgefunden werden, mit oder ohne Verschluss, nachweisbar.
(c
die Möglichkeit zu berücksichtigen sei, dass es sich nicht Für die alamannischen Gräberfelder gibt von Freeden
um Ohrringe, sondern um Besatzringe für Hauben oder für alle einfachen Drahtringe eine Datierung zwischen
Bänder handeln könnte293. Auch die Verwendung als der zweiten Hälfte des 7. Jahrhunderts und der Aufgabe
Zopfbinder ist möglich. der Beigabensitten an299. Weiters bemerkt sie, dass diese
einfachen Typen in jeder sozialen Schicht getragen wur
Drahtringe ohne Verschluss den und sich auch bei ökonomisch wohlhabenden Frauen
Aus Grab 13/1959 (Tafel 12/3) stammen zwei Buntmetall großer Beliebtheit erfreuten.
drähte, an deren Enden kein Hinweis auf einen Verschluss Allgemein haben diese einfachen Drahtringe eine sehr lan
zu finden ist. Beide Drähte wurden doppelt aufgewickelt ge Laufzeit, so findet sich im Grab 13 von Buxtehude-Ketzt
und sind stark korrodiert. Möglicherweise handelt es endorf ein durch einen Denar von Ludwig dem Frommen
sich hier um Zopfbinder, wie es auch V. Tovornik für in das 9. Jahrhundert datierbares Exemplar, weiters eines
die Stücke aus Grab 93 von Auhof294 und Grab 176 von im Schatzfund von Féchain, das gegen Ende des 9. Jahr
Gusen295 vorschlägt. Zwar ist anzunehmen, dass auch in hunderts vergraben wurde300. Auch im karantanischen
anderen Gebieten diese Art von „Haarschmuck“ getragen Einzugsgebiet ist dieser einfache Typ vertreten, z. B. in
wurde, allerdings kann man hier aufgrund der Einfachheit Bled-Pristava301 oder Žminj302. Korošec bezeichnet die
der Konstruktion sowie der nahe liegenden Verwendung se Ringe jedoch als Lockenringe, also Haartracht, die so
von einfachem Draht als Fixierung eine regional unabhän wohl in Karantanien wie auch Kroatien, Niederösterreich,
gige Benutzung annehmen. Chronologisch kommt diesen Südmähren und Bayern zu finden und entweder westli
Stücken keinerlei Bedeutung zu. Durch die Vergesellschaf cher Herkunft oder eigenständig entstanden seien303. Letz
)
tung mit chronologisch wenig aussagekräftigen Beigaben teres erscheint aufgrund der Einfachheit dieses Typs sehr
sind sie nur allgemein innerhalb der Laufzeit des Gräber wahrscheinlich.
feldes zu datieren. Typochronologisch wichtige Aussagen sind mit einfachen
— 46 —
Häkchendrahtringen sicherlich nicht zu treffen. Im Fall zum übrigen Ring ausgehämmert und ist etwa doppelt so
von Kremsdorf ist der im selben Grab gefundene Lunulae breit wie der restliche Draht.
ohrring ausschlaggebend für eine Datierung um die Mitte Auch vom nahe gelegenen Gräberfeld am Micheldorfer
des 9. Jahrhunderts. Georgenberg sind zwei Drahtringe mit S-Verschluss be
kannt (Grab 24 und 25). In Grab 25 befand sich zusätz-
Drahtringe mit Steck- oder Tüllenverschluss lich eine Hohlfibel aus Bronzeblech, was V. Tovornik zu
Ein Paar Drahtringe der Variante mit Steck- oder Tül einer Datierung ab der Mitte des 9. Jahrhunderts veran
lenverschluss304 wurde im Grab 27/1960 (Tafel 28/2a-b) lasste310. H. Friesinger311, der den Typus als Schläfen
gefunden. Nur bei einem Exemplar ist die Tülle noch vor ringe bezeichnet, nennt im niederösterreichischen Raum
handen (Tafel 28/2a), beim anderen ist diese abgebrochen. Beispiele aus Grab 7 von Pottenbrunn312 sowie Herzo
Beide Ringe waren ursprünglich oval gebogen. Das Stück genburg und Langenschönbichl313, wo er sie ab der zwei
mit noch vorhandener Tülle weist einen Knick auf. ten Hälfte des 9. Jahrhunderts datiert. Ihren Schwerpunkt
Vergleichsstücke liegen aus Kirchheim am Neckar305 und sieht er allerdings im 10. Jahrhundert.
Sindelfingen306 vor. Wie alle anderen einfachen Drahtring Schon ab dem 1. Jahrhundert kommen in Syrien und
typen datiert von Freeden auch diese beiden Stücke im Ägypten ähnliche Verschlussformen vor und treten ab
fränkischen bzw. alamannischen Bereich zwischen der dem 6. Jahrhundert im byzantinischen Schmuck auf, wo
zweiten Hälfte des 7. Jahrhunderts und der Aufgabe der sie sich bis ins 8. Jahrhundert halten314. Als byzantinischer
Beigabensitten307. Weiters weist sie darauf hin, dass zwi Import finden sich Drahtringe mit S-Schleife in dalmati
(c
schen dem zu besprechenden Typus und Drahtringen mit nischen Gräberfeldern des 8. Jahrhunderts, z. B. in Nin-
stabförmigem Ende eine Verbindung bestehen könnte. Ždrijac315 und Kašić-Maklinivi Brdo316. Ausgehämmerte
Als Beispiel nennt sie einen Fund aus Grab 49 von Güt S-Schleifen kommen hier aber erst ab dem 10. Jahrhun
tingen308. Bei dieser Variante ist ein Endstück stumpf, das dert vor317. Die Verbreitung des Typs nach Westen und
andere zugespitzt. U. von Freeden meint, es könnte Norden dürfte im 7. Jahrhundert begonnen haben, wo er
sich hierbei um Ringe mit Tüllenverschluss handeln, die in merowingerzeitlichen Gräberfeldern vorkommt318. Im
Tülle selbst sei jedoch abgebrochen und so nur mehr ein Raum um Erfurt ist aus dem 7. Jahrhundert ein Exemp
stumpfes Ende vorhanden. Tatsächlich sind Ringe dieser lar belegt319. In großen Mengen treten Drahtringe mit S-
Art jedoch sehr selten. Im ostalpinen Raum kann man sie förmiger Schleife in den oberpfälzischen Gräberfeldern
sogar als äußerst rar bezeichnen. E. Szameit meint, dass der Karolingerzeit auf, wie z. B. in den Gräbern 4, 12, 24,
Vergleichsstücke aufgrund der Verschlusstechnologie am 26 und 29 von Matzenhausen320, Grab 8 von Burglengen
ehesten in der byzantinischen Welt zu suchen sind.309 feld321, in Krondorf322, Merkendorf-Großbreitenbronn323
Das Kremsdorfer Paar ist mit einem Griffangelmesser und sowie Kasendorf-Zultenburg324.
einem Fingerring mit D-förmigem Querschnitt vergesell R. Pöllath hat sich in seiner Arbeit über die nordostbai
schaftet, weswegen eine genauere Datierung nicht mög rischen Gräberfelder der Karolingerzeit325 ausgiebig mit
lich ist. den Drahtringen mit S-förmigem Ende beschäftigt und sie
nach Durchmesser und Verschlussvarianten in verschie
Drahtringe mit S-förmiger Schleife
Aus dem Grab 7/1960 (Tafel 17/3) liegt ein Paar Drahtringe 310 Tovornik 1983b, 78.
)
311 Friesinger 1974, 103.
mit S-förmiger Schleife vor, in Kombination mit einem 312 Friesinger 1974, Taf. 17.
Bandfingerring und einer Buntmetallnadel. Beide Stücke 313 Friesinger 1974, Taf. 23.
314 Nowotny 2005, 61f.
sind stark korrodiert und verbogen. Bei einem Exemplar 315 Belošević 1980, Taf. 43.
ist die Schleife verdreht. Die Schleife wurde im Gegensatz 316 Belošević 1980, Taf. 78.
317 Tovornik 1983b, 79.
318 Nowotny 2005, 62.
319 Pöllath 2002, 102.
304 von Freeden 1979, 390. 320 Stroh 1954, Taf. 9.
305 von Freeden 1979, Taf. 82/9a-b. 321 Stroh 1954, Taf. 3/C.
306 von Freeden 1979, Taf. 83/2a-b. 322 Stroh 1954, Taf. 14/A.
307 von Freeden 1979, 405. 323 Pöllath 2002, Taf. 14-17.
308 von Freeden 1979, Taf. 82/8. 324 Pöllath 2002, Taf. 12.
309 Mündliche Auskunft von Univ. Prof. Dr. E. Szameit im August 2007. 325 Pöllath 2002.
— 47 —
dene Formen unterteilt. Das Kremsdorfer Paar entspricht Übergang in den Ring – die Spitzen des Schildchens kön
am ehesten seinen Formen S3, die sowohl in Nordostbay nen auch etwas verrundet sein – von rechteckig abgerun
ern, den angrenzenden Räumen als auch im Ostalpen deten Schildchen, die deutlich vom Ring abgesetzt sind, zu
raum vorkommen. Die Formen datieren in die von Pöllath unterscheiden sind.
definierten Stufen 2–3, also ins 7.–8. Jahrhundert326. Zur ersten Gruppe sind die Exemplare aus Grab 13/1959
S. Eichert hat durch Vergleiche mit Pöllath und weiteren (Tafel 12/4), Grab 1/1960 (Tafel 15/5), Grab 2/1960 (Tafel
Beispielen eine eigene Typologie für Drahtringe mit S-för 15/8), Grab 11/1960 (Tafel 18/3), Gab 18/1960 (Tafel 21/2)
migem Ende aus dem Ostalpenraum erarbeitet327. Hier und Grab 21/1960 (Tafel 23/7) zu nennen. Ein zweites
sind die Kremsdorfer Exemplare in die Gruppe der Kopf Stück aus Grab 21/1960 (Tafel 23/4) sowie der Ring aus
schmuckringe mit S-Schlaufe und funktionalem Haken Grab 7/1987 (Tafel 34/6) gehören der zweiten Gruppe an.
einzuordnen, ob Variante Sb oder Sc ist aufgrund des Er Die aus Buntmetallblech gefertigten Ringe weisen alle
haltungszustandes nicht mehr zu entscheiden. Eichert offene, teilweise überlappende Enden auf. Beim Exemp
datiert das Aufkommen dieser Schmuckform zwischen lar aus Grab 21/1960 (Tafel 23/4), welches der Gruppe der
dem späteren 8. und der Mitte des 9. Jahrhunderts. Außer rechteckigen Schildchenfingerringe angehört, sind diese
dem merkt er an, dass im Kärntner Material diese Ringe offenen Enden jedoch vernietet.
häufig aus Gräbern stammen, die einen christlichen Kon Als einziger Ring besitzt das Objekt aus Grab 18/1960 (Ta
text zu haben scheinen und starke Verbindungen in den fel 21/2) keine Punkt- oder Buckelverzierung. Hier wurde
Westen aufweisen328. die Außenseite sowohl des Schildchens als auch des Rings
(c
Die Kremsdorfer Stücke dürften auf karantanische Ein selbst mit vertikal und horizontal verlaufenden Ritzlinien
flüsse zurückzuführen sein, eine Datierung kann aber auf in verschiedenen Abständen versehen, die ein unregelmä
grund der chronologisch wenig aussagekräftigen Beifunde ßiges Gittermuster ergeben. Auch das Exemplar aus dem
nur allgemein im Rahmen des Gräberfeldes angegeben Grabhügel 11 von Wimm ist mit einem Gittermuster ver
werden. sehen329, hier allerdings im Vergleich zu Kremsdorf um 45
Grad gedreht.
5.1.2. Fingerringe Mit unsystematischen Punktpunzierungen sind die Schild
Vorkommen: chen der Ringe aus den Gräbern 2/1960 (Tafel 15/8) und
Frauengräber: 3/1906, 7/1959, 13/1959, 1/1960, 5/1960, 7/1987 (Tafel 34/6) verziert und ähneln damit dem Objekt
21/1960, 23/1960, 27/1960, 7/1987, 10/1987 aus Grab 117 von Auhof330. Weiters liegen in Auhof aus den
Kindergrab: 2/1959, 14/1959, 2/1960, 7/1960, 11/1960, Gräbern 46, 99, 114 und 116 Schildchenfingerringe vor331.
18/1960, 20/1960, 31/1960 Bei den Exemplaren aus Grab 11/1960 (Tafel 18/3) und
Sechs Exemplare nicht zuordenbar Grab 21/1960 (Tafel 23/4) sind die Punkte hingegen lini
enartig angebracht. Ersteres weist eine der Schildchenform
Neben den Kopfschmuckringen gehören Fingerringe zu folgende, rautenförmige Punktlinie auf, wobei die linke
den häufigsten Schmuckbeigaben bei Kindern und Frau und rechte Ecke nochmals mit einer waagrechten Punkt
en im Kremsdorfer Gräberfeld. Aus Männergräbern sind reihe verbunden sind. Aus den Gräbern 50 und 139 von
keine Ringe bekannt. Insgesamt liegen 29 Exemplare vor, Pottenbrunn332 und den Gräbern 10 und 34 von Tulln333
wobei zwischen Schildchenfingerringen, Bandfingerrin liegen Ringe mit demselben Muster vor, allerdings sind
)
gen und offenen Ringen mit D-förmigem Querschnitt un die Schildchen etwas schmäler. Beim zweiten Stück, Grab
terschieden werden muss. 21/1960, laufen drei annähernd parallele Punktreihen ho
rizontal über das Schildchen. Als Vergleichsstück sei hier
5.1.2.1. Schildchenfingerringe der Ring aus Grab 48 von Kaposvár angeführt334.
Alle Schildchenfingerringe aus den Kremsdorfer Bestat Der Ring aus Grab 1/1960 (Tafel 15/5) weist einen zen
tungen weisen Punkt-Buckel- oder ritzverzierte Schild
329 Breibert 2002, Taf. 28/10.
chen auf, wobei rautenförmige Schildchen mit fließendem 330 Tovornik 1983b, Taf. 20.
331 Tovornik 1983b, 74.
326 Pöllath 2002, 101, 178f., 193f. 332 Friesinger 1972, Taf. 7.
327 Eichert 2010, Abb. 8. 333 Friesinger 1971, Abb. 5/1, 18/1.
328 Eichert 2010, 39f. 334 Szőke 1992, Taf. 7.
— 48 —
tralen Buckel am Schildchen auf, um den herum, jeweils des 7. Jahrhunderts datiert. Im 8. Jahrhundert kommt der
um neunzig Grad versetzt, vier weitere Buckel angebracht Typus immer häufiger vor und erlebt seine Blütezeit „in
sind. Durch feine Punktreihen sind die fünf Buckel unter den nachfolgenden Jahrhunderten“345. Eine Laufzeit bis in
einander, sowie die Punktreihen selbst mit dem zentralen das 10. Jahrhundert ist also vorstellbar.
Buckel verbunden. Dieselbe Buckelanordnung findet sich Nach J. Giesler gehören Schildchenfingerringe in den
auf dem Schildchenfingerring aus Grab 135 von Potten Horizont Köttlach I346, was nach der Datierungskorrek
brunn335. Ebenfalls einen zentral gelegenen Buckel besitzt tur P. Gleirschers eine Zeitstellung im 7. und 8. Jahr
der Ring aus Grab 13/1959 (Tafel 12/4), hier ist dieser von hundert bedeuten würde347. Die Datierungsansätze gehen
Punktpunzierungen umrahmt und in ein rautenförmiges aber auch hier wieder sehr weit auseinander, weswegen die
Punktlinienmuster integriert. Das Schildchen des Rings zeitliche Einordnung über die Beifunde getroffen werden
aus Grab 21/1960 (Tafel 23/7) wird durch ein abstraktes muss.
Muster aus Tremolierstichlinien und Punktpunzierungen Durch die Analyse der mit den Kremsdorfer Schildchen
geziert. Der Ring selbst ist mit einer Punktreihe versehen. fingerringen vergesellschafteten Fundtypen ergibt sich
Schon in spätawarenzeitlichen Gräbern finden sich ers folgendes Bild: Die im Rahmen des Gräberfeldes genauer
te Formen von Schildchenfingerringen, die sich laut B. M. datierbaren Gräber, welche die zu besprechende Fund
Szőke aus breiten, punzierten Bandfingerringen des gattung enthalten (Grab 1/1960, 2/1960, 11/1960, 18/1960,
8. Jahrhunderts entwickelt haben dürften. Einen solchen 34/1987) datieren ab der fortgeschrittenen zweiten Hälfte
Übergangstyp zwischen Band- und Schildchenfingerring des 8. Jahrhunderts. Die übrigen Gräber sind nicht näher
(c
in der Spätawarenzeit stellt der punzierte Ring aus Grab einordenbar. Das heißt, Schildchenfingerringe sind in der
450 von Zalakomár dar336, der noch kein sehr ausgeprägtes frühesten Phase des Kremsdorfer Gräberfeldes noch nicht
Schildchen aufweist. Ein weiterer Schildchenfingerring aus anzutreffen, treten aber ab dem dritten Viertel des 8. Jahr
der Awaria stammt aus dem Grab 619 von Alattyán337. hunderts im Fundgut auf.
Mit seiner Theorie wendet sich B. M. Szőke338 gegen die
Annahmen von I. Kovrig339, die Schildchenfingerringe 5.1.2.2. Bandfingerringe
seien von Vorläufern aus Castel Trosino und Spiralfin Fünf Bandfingerringe, also Ringe aus breiten Blechstrei
gerringen mit Tremolierstichverzierung aus Westungarn, fen, liegen im Kremsdorfer Material vor. Zwei davon wei
welche in das 7. Jahrhundert datieren, herzuleiten. Die sen keine Verzierungen auf. Dies sind der Ring aus Grab
Funde des oberen Donautals stellt Szőke in die erste Hälf 14/1959 (Tafel 14/1), ein eher schmales Exemplar mit zu
te des 9. Jahrhunderts340, in der er auch die Hauptzeit der sammengenieteten Enden, vergesellschaftet mit einer
Schildchenfingerringe sieht. Nach Datierungskorrekturen hellgelben Scheibenperle aus Glas, einer eisernen Gürtel
mehrerer Gräberfelder beispielsweise von V. Tovor schnalle, einem Eisenring, einer Buntmetallzwinge und
nik341 oder A. Pleterski342 muss B. M. Szőkes Datie einem zusammengefalteten Blechband, und der Ring aus
rung jedoch revidiert und in das 8. Jahrhundert korrigiert Grab 10/1987 (Tafel 35/5), der ein relativ breites Band be
werden343. sitzt und offene Enden hat. Er wurde gemeinsam mit einem
Bei Z. Čilinská344 sind Schildchenfingerringe im Ty Griffangelmesser, einer schwarzen Perle, einer zerbro
pus III der Fingerringe zusammengefasst. Ihrer Ansicht chenen Buntmetallklammer und einem einfachen Kopf
nach entwickelten sich Schildchenfingerringe in vorgroß schmuckring gefunden. Die beiden Bandfingerringe aus
)
mährischer Zeit. Als Prototypen führt sie das Beispiel Grab 23/1960 (Tafel 25/4 und 5) sind zwar nur fragmenta
eines Ringes aus Cserkúti an, welcher in die erste Hälfte risch erhalten, sind jedoch kreisaugenverziert. Die Enden
beider Stücke sind zusammengenietet. Auch das Exemp
335 Die Funde aus Pottenbrunn sind bis dato nur teilweise publiziert. lar aus Grab 18/1960 (Tafel 21/3), welches durch vier längs
336 Szőke 1992, Taf. 6.
337 Kovrig 1963, Taf. 60.
laufende Punktreihen geschmückt wird, ist beschädigt.
338 Szőke 1992, 870. Ebenfalls mit Kreisaugenzier versehen sind der Bandfin-
339 Kovrig 1960, 116f.
340 Szőke 1992, 29.
341 Tovornik 1993, 274; 1999, 4.
342 Pleterski 1990, 500f. 345 Čilinská 1975, 90.
343 Breibert 2005, 424f. 346 Giesler 1980.
344 Čilinská 1975, 89f. 347 Gleirschers 2000, 107f.
— 49 —
gerring aus Grab 81 von Auhof348 und die Exemplare aus Hier dürften sie aus der autochthonen Schmucktradition
den Gräbern 30 und 260 von Krungl349. bzw. aus dem angrenzenden karantanischen Gebiet über
Bandfingerringe sind eigenständig kaum typochrono nommen worden sein361.
logisch verwertbar, da sich ihr Auftreten über einen zu Die verzierten Bandfingerringe aus dem Kremsdorfer
langen Zeitraum und einen sehr großen geographischen Gräberfeld sind aufgrund ihres Fundkontextes in die zwei
Raum zieht und es keine Verzierungsmerkmale gibt, die te Hälfte des 8. Jahrhunderts zu stellen, während das Stück
für eine Datierung maßgeblich wären. Ausschlaggebend aus Grab 14/1959 im Rahmen des gesamten Grabinven
sind hier also die Beifunde, um eine zeitliche Einordnung tars um die Mitte des 8. Jahrhunderts datiert. Der Ring aus
vorzunehmen. Erstmals treten Bandfingerringe im 7. Jahr Grab 10/1987 kann nur allgemein im Rahmen des Gräber
hundert im awarischen Bereich auf, z. B. im Grab 66 von feldes eingeordnet werden.
Nagyharsány350, hier ein unverziertes Exemplar, und im
Grab 147 von Andocs351. Die Hochblüte erreicht der Typ 5.1.2.3. Fingerringe mit D-förmigem Querschnitt
jedoch im 8. und frühen 9. Jahrhundert. In der Nekropole Die am häufigsten vertretene Gruppe von Fingerringen im
von Nové Zámky konnten in 26 Gräbern Bandfingerringe Kremsdorfer Gräberfeld stellen unverzierte Ringe mit D-
festgestellt werden, 15 Stück liegen aus dem Gräberfeld förmigem Querschnitt und offenen Enden dar. Die Enden
von Pilismarót-Basaharc vor. Diese beiden Begräbnisstät können einander überlappen oder gar nicht berühren, sie
ten werden in das 9. Jahrhundert gestellt352. Für die do sind jedoch nie vernietet oder verlötet.
nauländischen Funde beispielsweise aus Auhof und Gusen Insgesamt liegen 14 Exemplare vor, die in vier Varianten
(c
gibt B. M. Szőke eine Datierung in das fortgeschrittene zu unterscheiden sind:
9. Jahrhundert an353, welche jedoch aufgrund der bereits 1. Ringe mit einfachem, D-förmigem Querschnitt
so oft erwähnten Datierungskorrektur von V. Tovor 2. Ringe mit D-förmigem Querschnitt und Mittelrippe
nik revidiert und in das 8. Jahrhundert vorverlegt wer 3. Mischform zwischen 1 und 2
den muss354. Funde aus dem karantanischen Bereich 4. D-förmig bis ovaler Querschnitt
werden von S. Eichert355, je nach Fundumständen, zwi
schen dem späten 8. Jahrhundert – Ringe aus Baldrams Der ersten Variante sind die Ringe aus den Gräbern
dorf356, Längdorf357 und Villach Judendorf Süd358 – und 3/1906 (Tafel 4/3), 7/1959 (Tafel 11/8), 5/1960 (Tafel 16/4),
dem 10. Jahrhundert – Förk, Dreulach und Hermagor359 20/1960 (Tafel 22/4), 21/1960 (Tafel 23/5 und 6), 27/1960
– datiert, wobei der Schwerpunkt im 9. Jahrhundert zu (Tafel 28/3, sehr flacher, D-förmiger Querschnitt) und
sehen ist. Grab 31/1960 (Tafel 29/3) zuzurechnen. Der Variante 2
Die von J. Giesler vorgeschlagene Stellung der Bandfin entsprechen das Stück aus Grab 7/1960 (Tafel 17/2), hier
gerringe im Ostalpenraum in den Horizont Köttlach I eine sehr stark ausgeprägte Mittelrippe, und zwei Exemp
muss ebenfalls korrigiert werden, da im Gräberfeld von lare aus dem nicht zuordenbaren Material von 1906 (Tafel
Krungl auch Vergesellschaftungen mit Vor-Köttlach Ty 6/3 und 5). Weitere drei Ringe aus den nicht einorden
pen (beispielsweise halbmondförmige Pressblechfibeln) baren Funden können den Varianten 3 (Tafel 6/4 und 7)
vorkommen360. Möglicherweise noch vor der Mitte des und 4 (Tafel 6/6) zugeordnet werden.
10. Jahrhunderts treten in den arpadenzeitlichen Gräber Nach typochronologischen Gesichtspunkten ist diese
feldern im heutigen Ostösterreich Bandfingerringe auf. Gruppe der Fingerringe noch schwerer zu behandeln als
)
die Bandfingerringe, da sie separat betrachtet nicht wirk
348 Tovornik 1983b, Taf. 12. lich Aufschluss über die Zeitstellung gibt. Im Kärntner
349 Breibert 2015, Taf. 4/6, 30/6.
350 Papp 1963, Taf. 9/20.
Fundmaterial ist nur ein aus dem Fundkontext datierbares
351 Čilinská 1975, 89. Stück bekannt, nämlich ein gegossener und geschlossener
352 Szőke 1992, 871.
353 Szőke 1992.
Ring aus Villach Judendorf Süd, Grab 22, welcher um 1000
354 Tovornik 1993; 1999. anzusetzen ist362. Aus den Gräbern 158 und 179 von Gusen
355 Eichert 2010, 95.
356 Eichert 2010, Taf. 5.
357 Eichert 2010, Taf. 25.
358 Eichert 2010, Taf. 34.
359 Eichert 2007, Taf. 21. 361 Obenaus 2006, 283-286.
360 Szőke 1992, 872; Eichert 2010, 95. 362 Eichert 2007, 143.
— 50 —
sind ebenfalls Exemplare bekannt363. Weiters stammen geschmuck oder Kleidungszierde, Gürtelbesatz, Haar
Funde aus den Gräbern 37, 46 und 51 von Auhof364. schmuck u. ä. verwendet, wobei sie auf einen Unterstoff
J. Giesler stellt die offenen D-förmigen Fingerringe in aufgenäht waren367. In Kremsdorf lagen alle Perlenen
den Horizont Köttlach I365. In arpadenzeitlichen Gräber sembles im Halsbereich der Bestatteten.
feldern Ostösterreichs ist mit dem Auftreten des Typs je Zu unterscheiden sind grundsätzlich echte Perlen, also
doch bis ins 12. Jahrhundert zu rechnen366. Naturprodukte aus Muscheln, und künstlich hergestell
Die aus den Gräbern 5/1960 und 7/1960 stammenden te Perlen aus verschiedenen Materialen wie Glas, Mine
Ringe sind aufgrund des Fundkontexts in das späte 8. Jahr ralien, Bernstein, Metallen oder Massen (wie Ton). Im
hundert zu setzen, was im Rahmen des Köttlach I Hori Englischen und Spanischen beispielsweise werden die
zonts liegt. Die anderen Objekte können nur allgemein im se beiden Gruppen durch verschiedene Termini diffe
Rahmen des Gräberfeldes datiert werden. renziert: pearl bzw. perla bezeichnet das Naturprodukt
während eine künstliche Perle bead bzw. cuenta genannt
5.1.2.4. Einfache Drahtfingerringe wird. Im Deutschen fehlt diese sprachliche Unterschei
In Grab 2/1959 (Tafel 11/3) wurde neben dem linken Ober dung368. Die in Kremsdorf vorliegenden Perlen sind alle
schenkel ein zu einem Ring gebogener rundstabiger Bunt als künstlich hergestellte Objekte zu bezeichnen und be
metalldraht mit offenen Enden gefunden. Hier könnte stehen aus Glas oder Ton.
es sich um eine sehr einfache Art eines Fingerrings han Von der Forschung wurden Perlen lange außer Acht ge
deln, die jedoch typochronologisch irrelevant ist. Auch der lassen, da ihnen einerseits wenig typochronologische Re
(c
Drahtring aus Grab 7/1959 (Tafel 11/7) und ein Exemp levanz zugesprochen wurde, andererseits die genaue
lar des nicht zuordenbaren Materials von 1906 (Tafel 6/2) Auseinandersetzung mit diesem Material einen enormen
könnten als Fingerringe gedient haben. Ihre Lage im Grab Aufwand bedeutet369. Tatsächlich ist die einzelne Perle für
ist jedoch unbekannt. So ist eine Verwendung dieser rund Datierungsversuche eher ungeeignet, da manche Perlen
stabigen Drahtringe mit offenen Enden als Kopfschmuck typen in Hinblick auf deren Erscheinungsbild über sehr
ring (z. B. Zopfhalter) ebenfalls denkbar. lange Zeiträume vorkommen. Dennoch ist es wichtig jedes
Die Datierung des Rings aus Grab 7/1959 kann nur all Exemplar genau zu untersuchen und zu beschreiben, um
gemein im Rahmen des Gräberfelds gegeben werden, da anschließend über die Analyse der Perlenkombinationen
sich im Grabinventar nur zwei weitere Bronzedrahtringe in verschiedenen Gräbern chronologische Aussagen tref
in Kopfgegend und ein Fingerring mit D-förmigem Quer fen zu können370. In einem ersten Schritt wird in dieser
schnitt befanden. All diese Objekte sind jedoch von keiner Arbeit jeder Perlentyp separat beschrieben und anschlie
besonderen Relevanz für typochronologische Analysen. ßend auf die Perlenkombinationen eingegangen.
363 Tovornik 1983a, Taf. 27, 32. 367 Sasse – Theune 2003, 564; Siegmann 2002-2005, 851f.
364 Tovornik 1983b, Taf. 2, 4, 5. 368 Sasse – Theune 2003, 565.
365 Giesler 1980, 6. 369 Siegmann 2002–2005, 51f.
366 Obenaus 2006, 282. 370 Sasse – Theune 2003, 566; Callmer – Heck – Hoffmann 1997, 225.
— 51 —
kann nicht gesagt werden, ob es sich um gezogene oder dem Perlenensemble aus Grab 23/1960 (Tafel 25/2 und Ta
gewickelte Perlen handelt. Das Glas ist in diesem Fall zu fel 37/1). Es handelt sich um eine blaue Polyederperle mit
homogen und weist keine Bearbeitungsspuren auf. quaderartiger Grundform und insgesamt zwölf Flächen.
Alle gezogenen Perlen haben eine rundlich abgeflachte Ähnliche Exemplare stammen beispielsweise aus dem
Form und sind in etwa so hoch wie breit und kleiner als 1 Raum Sachsen379, Haithabu380, Groß Strömkendorf381 und
cm. Diese Perlengruppe ist sehr schwierig zu beurteilen, da der Oberpfalz382.
sie von der Völkerwanderungszeit über das Früh- bis ins Durch das Aufwickeln heißer Glasmasse wird ein Grund
Hochmittelalter läuft und für sich betrachtet von keiner korpus erzeugt, der dann im noch warmen Zustand durch
typochronologischen Relevanz ist371. Plätten in die gewünschte Form gebracht wird383.
In Mitteleuropa sind solche Typen schon ab dem 3. Jahr
5.1.3.2. Melonenperle hundert bekannt und treten besonders in provinzial
Aus Grab 10/1987 stammt eine Melonenperle (Tafel 35/1) römischen Gräbern während des 4. Jahrhunderts auf384.
aus dunkelblauem, schwach transluzidem bis opakem Glas Zwar kommen Polyederperlen nicht in großen Mengen,
und gewickeltem Korpus, die dem Typ U29 nach Pöche dafür aber kontinuierlich auf nordeuropäischen und ost
entspricht372. Diese Perlengruppe wird durch die typischen europäischen Frühmittelalterfundstellen vor385, wobei Per
Längsrippen des Perlenkörpers, die während des Erkaltens len blauer Farbe dominieren. Die in Ribe gefundenen
der Glasmasse in den Korpus eingedrückt werden und an Polyederperlen datieren zwischen 725 und 760 n. Chr.386.
Melonengewächse erinnern, definiert. Je später im Ab Auch J. Callmer387 gibt für den Typus die erste Hälfte
(c
kühlungsprozess die Formung der Rippen geschieht, desto des 8. Jahrhunderts als Zeithorizont an. Dieser Zeitansatz
seichter werden sie373. stimmt mit den Funden aus Haithabu überein, wo Poly
Seit der römischen Kaiserzeit sind Melonenperlen be ederperlen sowohl im 8. als auch im späten 9. und 10. Jahr
kannt, auch solche aus Fayence374. Diese wurden am hundert auftreten, jedoch an der Wende vom 8. zum
Ende der römischen Kaiserzeit häufig mit einfachen Glas 9. Jahrhundert fehlen388.
perlen kombiniert, bis im 6. Jahrhundert in Mitteleuro
pa die eigenständige Produktion des Typs einsetzte375. Im 5.1.3.4. Mehrfachüberfangperlen (MÜP)
fränkisch-alamannischen Gebiet, z. B. in Kirchheim am In drei der Kremsdorfer Gräber sind MÜP in den Ket
Neckar376, verbreiten sich die Perlen schnell während des tenensembles vertreten. Mindestens 29 Stück stammen
7. Jahrhunderts und treten ab dem 8. Jahrhundert in Ost aus der Bestattung einer spätmaturen Frau, Grab 23/1960
europa, etwa in Klausenburg377, und Skandinavien auf. In (Tafel 25/2 und Tafel 37/1), mindestens 14 aus dem Kin
Haithabu liegen gewickelte Melonenperlen aus dem 9. und dergrab 18/1960 (Tafel 21/1 und Tafel 38/1) und eine un
10. Jahrhundert vor, während gezogene Exemplare erst ab bestimmte Anzahl aus Grab 13/1959 (Tafel 12/7), hier
Ende des 9. Jahrhunderts anzutreffen sind378. allerdings sehr stark fragmentiert. Aus diesen drei Gräbern
Da die Kremsdorfer Melonenperle aus einem Grab mit sind neben den erhaltenen Perlen zahlreiche zerfaserte
generell aussageschwachen Beigaben – fragmentierte Fragmente vorhanden, wodurch eine genaue Aussage die
Bronzeklammer, Buntmetalldrahtring, unverzierter Band Stückzahl betreffend nicht möglich ist. Eindeutig konnten
fingerring und Griffangelmesser – stammt, kann sie nur zwei, drei- und viergliedrige Perlen nachgewiesen werden,
allgemein im Rahmen des Gräberfeldes datiert werden. die in den Farben blau, gelb, weiß, blaugrün sowie farblos
)
vorkommen.
5.1.3.3. Polyederperle Die Herstellung von MÜP – auch Reihenperlen, Über
Der einzige Vertreter dieser Perlengruppe stammt aus
379 Rempel 1966, Farbtaf. F/45.
380 Steppuhn 1998, 37f.
371 Eichert 2007, 152. 381 Pöche 2005, 50f.
372 Pöche 2005, 136, Taf.8/19. 382 Stroh 1954, Farbtafel/40.
373 Pöche 2005, 50. 383 Steppuhn 1998, 38.
374 Tempelmann-Mączyńska 1985, 39-45; Steppuhn 1998, 33. 384 Koch 1987, 321.
375 Neuffer-Müller 1983, 43. 385 Koch 1987, 37.
376 Neuffer-Müller 1983, Farbtaf. 2/159. 386 Pöche 2005, 51
377 Horedt 1986, 64, Abb. 28/19. 387 Callmer 1997, Taf. 15/B/3.
378 Steppuhn 1998, 33. 388 Pöche 2005, 51; Steppuhn 1998, 105.
— 52 —
fangperlen, folierte Segmentperlen, metal-foil beads, gold- R. Pöllath unterscheidet bei MÜP, die er als Perlen der
foil beads oder Stangenperlen genannt – erfordert ein Form F anspricht, zwischen drei Varianten – a: breitring
gewisses Können, ist aber sicher einfacher als die von förmig, kaum getrennte Segmente; b: tönnchenförmig; c:
MAP. MÜP sind mehrschichtig aufgebaut. Mehrere Glas kugelig394.
schichten werden übereinander gelegt und dann durch Er Nur wenige der Kremsdorfer MÜP sind jedoch eindeu
hitzen miteinander verbunden. Der Glaskern ist zumeist tig einer der drei Varianten zuordenbar, da die Segment
aus Faserglas gearbeitet, welches qualitativ nicht sehr formen oft auch Mischungen zwischen zwei Varianten
hochwertig ist389. In manchen Fällen wurde zwischen die darstellen. Ein Vergleich mit der Formenunterteilung
Glasschichten noch eine Folie (z. B. aus Gold) gelegt, um nach J. Callmer395 erscheint daher sinnvoller. MÜP sind
einen metallenen Effekt der Perlenoberfläche zu erzielen. bei ihm unter der Perlengruppe E a zusammengefasst und
Nicht zu verwechseln sind MÜP mit Mehrfachhohlper dann weiter unterteilt nach Farben und Form396. Hier sind
len. MÜP sind gezogenen Perlen und an sich nicht hohl, die Kremsdorfer Perlen den Varianten E 060 (T 7, 12, 19, 20,
wie etwa Pöllath meint390. Durch die schlechte Qualität 22, 29), 030 (T 09), E001 (T1),002 (T 1) und E 120 (O) zu
des Faserglaskernes, der häufig ausgebrochen ist, erschei zuweisen. E 060 und E 120 kommen in der Callmer’schen
nen fragmentierte Perlen jedoch als hohl, da nur mehr die Perlenchronologie vor allem in den Chronologiestufen
äußere Glasschicht erhalten ist. Nicht jede goldfarbene BP I (790–820 n. Chr.), BP II (820–845 n. Chr.) und BP III
MÜP muss aber unbedingt Goldfolie enthalten. Durch (845–860 n. Chr.) vor, wobei E 120, blaugrüne MÜP mit
das Überfangen eines weißen Glaskorpus mit gelbem Silberfolie, besonders häufig in der Anfangsperiode anzu
(c
Glas und untergelegter Silberfolie entsteht ebenfalls ein treffen ist, gestreut aber auch bis BP VIII (915–950 n. Chr.)
goldener Eindruck. Dieser kann aber auch durch das Ein vorkommt397. Die übrigen für Kremsdorf relevanten Vari
färben von Glas mit Eisen erzielt werden391. Die Klärung anten treten nach J. Callmer erst ab BP IV (830–855 n.
der Frage, wie viele der Kremsdorfer MÜP eine Folie be Chr.) auf398, also relativ spät.
sitzen, würde genaue mikroskopische Untersuchungen er Auch P. Steppuhn sieht das Aufkommen von MÜP um
fordern. Im Fall einer weißen, dreigliedrigen MÜP ist eine 800 n. Chr. und argumentiert dies v.a. durch das häufige
Metallfolie belegbar, bei den übrigen Stücken muss diese gemeinsame Auftreten von MÜP und MAP399. Die Lauf
Frage vorerst offen bleiben. Bei dem blauen Glasröhrchen zeit gibt er bis in das 11. Jahrhundert an. MÜP aus den
aus Grab 1960/2 dürfte es sich um einen noch unbehandel Gräbern 290 und 259 von Paderborn lassen jedoch eine
ten Rohling zur MÜP-Herstellung handeln. Datierung ab dem letzten Drittel des 8. Jahrhunderts zu400.
Der aus verschiedenen Schichten bestehende Glaskorpus Auch Z. Čilinská setzt MÜP, allerdings im awarischen
der MÜP wird im weiteren Herstellungsprozess in die Zusammenhang, in das fortgeschrittene 8. Jahrhundert401.
Länge gezogen, wodurch ein Stäbchen mit faseriger Längs Im sächsischen Gräberfeld von Liebenau können MÜP ab
struktur entsteht. Im noch weichen, heißen Zustand wird der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts nachgewiesen wer
der Korpus durch Einzwicken mit einer Zange segmen den, wobei in der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts eine
tiert. Durch Eintauchen des bereits erkalteten Stäbchens Häufung vorliegt402. Tendenziell besitzen ältere MÜP
in heiße Glasmasse und das gezielte Abtropfen selbiger einen kleineren Durchmesser als MÜP des 9. Jahrhun
kann ebenfalls eine Gliederung erzielt werden. Eine wei derts. Ab der Jahrhundertwende kann eine Zunahme des
tere Möglichkeit, das Stäbchen zu unterteilen, besteht dar Durchmessers erfasst werden.
)
in, es im noch weichen Zustand in einem Model zu rollen Da in Kremsdorf sowohl MÜP mit kleinem und groß
und so die gewünschten Segmente zu erhalten392. Entspre em Durchmesser im selben Ensemble vorkommen, die
chende Model sind aus Ägypten bekannt, allerdings deut Lebensdauer dieser Perlen als funktionsfähiges Zier
lich älter als der hier behandelte Zeitraum393. Die Form der
394 Pöllath 2002, Abb. 2.
Segmente kann unterschiedlich sein. 395 Callmer 1977.
396 Callmer 1977, 88f., Taf. 15-16.
397 Callmer 1977, 77, 88f., Taf. 16/26-31.
389 Steppuhn 1998, 40. 398 Callmer 1977, 89.
390 Pöllath 2002, 144. 399 Steppuhn 1998, 41.
391 Jönsson – Hunner 1995, 115. 400 Pöllath 2002, 145.
392 Jönsson – Hunner 1995, Fig. 2, 3. 401 Čilinská 1975, 87, Abb. 12.
393 Pöche 2005, 53. 402 Pöche 2005, 56.
— 53 —
element aufgrund des faserigen Glaskerns aber nicht mit eingedrücktem Fadenloch vor418. Diese Exemplare
allzu lange sein dürfte, kann für die Kremsdorfer MÜP weisen zwar nicht auf eine lokale Produktion hin, geben
eine Niederlegung um 800 bzw. in der zweiten Hälfte des aber Einblick in die Verhandlungsweise der MÜP. Ver
8. Jahrhunderts angenommen werden. mutlich wurden sie in großen Mengen in (außereuropä
Diese Datierung lässt sich auch gut mit denen von anderen ischen) Werkstätten hergestellt und in loser Form nach
MÜP im angrenzenden Gebiet vergleichen. Im awarischen Europa verfrachtet, wo sie erst vor Ort auf den Handels
Raum treten MÜP ab der Spätzeit auf, z. B. im Grab 82 B plätzen und Märkten von den Händlern zu Ketten zusam
von Leobersdorf403 oder in Zillingtal404. Die Funde von mengestellt wurden, wobei nicht nutzbare Fabrikate erst
Sieghartskirchen werden an das Ende des 8. Jahrhunderts auffielen und aussortiert wurden. Fehlfabrikate können
gesetzt405. Im Grab 20 von Hohenberg datieren die MÜP demzufolge auf erste Verkaufsstationen hinweisen. Das
in das dritte Viertel des 8. Jahrhunderts406, ähnlich wie die Vorkommen von Halb- und Fehlfabrikaten, z. B. in Haitha
donauländischen Funde aus Gusen, Grab 77 und 157B407 bu in Zusammenhang mit Glasabfällen und in der Nähe
sowie Auhof Grab 36, 58, 73, 75, 78, 81, 107 und 114408, die von Glashütten weist allerdings durchaus auf eine lokale
von V. Tovornik in das späte 8. Jahrhundert gestellt Produktion an diesen Fundstätten hin419.
werden409. Die Kärntner MÜP-Funde, beispielsweise aus Die Kremsdorfer MÜP können wohl als (sekundärer?)
Grab 3 aus Gödersdorf, Grab 1941/3 von Puppitsch Ober Import aus dem Westen bzw. dem fränkischen Bereich ge
mühlbach oder Grab 1 von Reipersdorf 2 datieren zwi deutet werden420.
schen dem späten 7. und dem frühen 9. Jahrhundert410.
(c
Grab 66 und 87 von Pottenbrunn bewegen sich zwischen 5.1.3.5. Hohlperlen
Anfang 8. und spätem 8. Jahrhundert. Hohlperlen zeichnen sich durch eine dünne Wand
Generell ist das Verbreitungsgebiet von MÜP sehr weit stärke und ein besonderes Herstellungsverfahren aus.
läufig. Sie kommen von Skandinavien, Norddeutschland, Horizontale Linien im Perlenkörper lassen vermuten, dass
z. B. Dunum411, über Mitteleuropa, z. B. Erfurt412 oder der erste Schritt bei der Produktion von Hohlperlen das
Thurnau-Alladorf413, bis nach Südeuropa und hinein in Ausziehen der zu verarbeitenden Glasmasse ist. Anschlie
den Osten vor414. In Europa werden MÜP als Importware ßend wird über das Einblasen von Luft in das Fadenloch
angesehen. P. Steppuhn geht aufgrund des häufigen Auf mittels einer Glasmacherpfeife ein Hohlraum erzeugt,
tretens gemeinsam mit MAP von der Herstellung im sy der die Oberfläche des Korpus stark vergrößert und zu
risch-ägyptischen Raum aus415, während J. Callmer das der dünnen Wandstärke führt, welche die Perlen jedoch
Zentrum in der byzantinischen Welt sieht und eine Pro sehr fragil macht, sodass sie oft nur fragmentarisch erhal
duktionskontinuität in diesem Gebiet von der römischen ten sind421.
Kaiserzeit bis ins Frühmittelalter in Erwägung zieht416. Bei den Kremsdorfer Hohlperlen sind jedoch einige der
Über eine Ost- und Westroute wurden die Perlen schließ Exemplare komplett erhalten geblieben. Insgesamt lie
lich nach Europa verhandelt417. gen zehn Hohlperlen im Fundmaterial vor, fünf davon aus
Im norddeutschen Groß Strömkendorf liegen, wie auch dem Frauengrab 15/1960 (Tafel 20/2 und Tafel 39/3), drei
in vielen anderen Fundplätzen, gebrauchsunfähige MÜP aus dem Kindergrab 11/1960 (Tafel 18/4 und Tafel 36/1)
und zwei aus Grab 18/1960 (Tafel 21/1 und 38/1), eben
falls die Bestattung eines Kindes. Alle zehn Perlen besit
)
403 Daim 1986, Taf. 87.
404 Pleyer 2005, 70, Taf. 5/130-131.
zen einen olivenförmigen Körper aus transluzidem Glas,
405 Szameit 1992b, 818 f. Taf. 4/2-3. gehören jedoch drei verschiedenen Varianten an – (1)
406 Nowotny 2005, 122, Taf. 10.
407 Tovornik 1983a, Taf. 5, 26.
einfache Hohlperlen; (2) einfache Hohlperlen mit Be
408 Tovornik 1983b, Taf. 5, 26, 36, 37/1-2, 38/1-2, 39, 40/1. schichtung an der Innenseite, die dem Typ D 57 nach A.
409 Tovornik 1993, 274; 199, 4.
410 Eichert 2010, Taf. 16, 27.
Pöche422 bzw. Typ D a nach J. Callmer423 bzw. Form
411 Theune 2008.
412 Rempel 1987, Taf. 38. 418 Pöche 2005, 54.
413 Pöllath 2002, Taf. 52. 419 Pöche 2005, 56; Steppuhn 1998, 41.
414 Pöllath 2002, 145. 420 Szameit 1992b, 818f.
415 Steppuhn 1998, 41. 421 Pöche 2005, 41, 56.
416 Callmer 1977, 98. 422 Pöche 2005, 142 f., Taf. 9/10.
417 Pöche 2005, 56. 423 Callmer 1977, 88.
— 54 —
D nach R. Pöllath424 entsprechen; und (3) mehrglied einzelnen Perlensegmente dürfte der von Mehrfachperlen
rige Hohlperlen. entsprechen.
Der ersten Variante gehören eine Perle gelblich brauner In Haithabu kommen Hohlperlen in großer Menge vor und
Färbung aus Grab 15/1960 und zwei aus Grab 11/1960 an, werden in Nordeuropa in die erste Hälfte des 9. Jahrhun
eine ebenfalls gelblich braun und eine aus farblosem Glas. derts gestellt, wobei Pöche ein Auftreten ab der zweiten
Die übrigen Perlen aus diesen beiden Gräbern sind der Hälfte des 8. Jahrhunderts für möglich hält430 und Stepp
Variante 2 zuzurechnen, mit Ausnahme eines farblosen uhn sie im Kontext mit dem Mosaikaugenperlenhori
Exemplars aus Grab 15/1960, welches der Variante 3 an zont sieht und von einer lokalen Produktion ausgeht431. Im
gehört und mindestens zweigliedrig war. Es ist jedoch nur restlichen Skandinavien sind Hohlperlen eher selten und
mehr ein Segment erhalten. wenn, dann eher durch blaue Exemplare vertreten432.
Die Variante 2-Perlen sind, bis auf eine farblose aus Grab Der Ursprung dieser Perlengruppe dürfte im Donauraum
15/1960, alle von gelblich brauner Färbung. Durch die An in der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts liegen433, wo sie
bringung von Farbe bzw. Metallfolie an der Innenseite der in mährischen Gräberfeldern des 8. Jahrhunderts bereits
Perlen, von der heute nur mehr Reste erhalten sind, ent auftauchen434. Callmer sieht das ursprüngliche Ent
stand bei den bräunlich gelben Perlen der Eindruck von wicklungszentrum jedoch, wie auch bei den MAP, im ori
goldener Farbe425. P. Steppuhn meint, dass nur farblose entalischen Raum435.
und blaue Perlen mit Silberfolie hinterlegt waren, bräun Auch die Hohlperle aus Grabhügel 11/b von Wimm kann
lich gelbe jedoch mit Goldfolie426. Pöche entgegnet aber, in die zweite Hälfte des 8. Jahrhunderts gestellt werden436,
(c
dass der Goldeffekt durch Silberfolie ebenso erzielt werden genauso wie die Exemplare aus den Gräbern 58 und 78
kann, womit die Verwendung von Goldfolie, die eher einen von Auhof437. Weiters kommen Hohlperlen in Uherske
gedämpften Farbeindruck erzeugt, eine Verschwendung Hradiste – Stare Mesto, Skalica, Pottenbrunn, Grab 38,
wertvollen Materials darstelle427. Es muss jedoch darauf 39, 46 und 47 und Wieselburg-Land-Mühling, Grab 26
hingewiesen werden, dass es sich bei den vermeintlichen vor438.
Farb- und Folienresten auch um lagerungsbedingte Kor
rosionserscheinungen handeln könnte.428 Klärung würde 5.1.3.6. Mosaikaugenperlen (MAP)
hier allerdings nur eine mikroskopische oder chemische Mosaikaugenperlen sind als Untergruppe der Millefiori
Analyse erbringen. perlen zu betrachten, einer Perlenart, deren Herstellung
Auf welche Art die Folie in das Perleninnere gebracht wur äußerst schwierig ist und spezielle Kenntnisse zu Rohglas,
de ist noch nicht eindeutig geklärt. Steppuhn geht vom Färbung, Schmelzvorgang und Verarbeitungstechnik er
Einblasen der Folie in das Perleninnere aus, ein Verfahren, fordert, jedoch viele Gestaltungsvarianten ermöglicht.
das großes Können voraussetzt429. R. Andraes über vierzig Jahre alte Arbeit zur Typologie
Bei den zwei Perlen aus Grab 18/1960 handelt es sich um der MAP stellt eine zum Teil immer noch gültige Basis für
Perlen der Variante 3. Beide Stücke sind jedoch nur frag die Arbeit mit dieser Fundkategorie dar439. Durch die Auf
mentarisch erhalten, wodurch die Anzahl der Perlen nahme eines Großteils der bis 1973 bekannten MAP in Eu
segmente offen bleiben muss. Beide Perlen verfügen über ropa erstellte Andrae einen numerischen Schlüssel, der
ein intaktes Glied und Reste eines zweiten. An beiden die Perlen nach formalen Gesichtspunkten beschreibt und
Exemplaren sind die durch das Ausziehen entstandenen nach Bedarf auch erweitert werden kann. Hierbei gliedert
)
Horizontallinien sehr gut sichtbar, wobei die eine Perle Andrae MAP in 16 Typen und 71 Varianten, die alle
gelblich braun, die andere farblos ist. Die Herstellung der die Augenzier gemeinsam haben, sich aber durch die Art
— 55 —
der Augen, Verzierungsanordnung, Farbenspektrum und und 57, Kallmünz, Sieghartskirchen, Stare Mesto, Grab
Form der Perlen unterscheiden440. 77/51, Saltowo, Katakombe VII und Groß Strömkendorf
Zu diesem Perlentyp gehörige Exemplare liegen in Krems und entspricht dem Typ M1 nach Pöche447.
dorf aus den Frauengräbern 15/1960 (Tafel 20/2 und Tafel Vertreter der Variante 0421 sind bei R. Andrae nicht
39/3) und 1/1978 (Tafel 32/7), in beiden Fällen als Bestand angeführt, die sehr ähnliche Variante 0420 ist jedoch
teil einer Perlenkette, vor. In Grab 15/1960 (Tafel 20/2) aus Allerdorf, Grab 3, Matzhausen, Grab 27, Stare Me
handelt es sich um eine MAP des Typs 07, Variante 0771441. sto, Grab 167/51, und Werchne Saltowo, Katakombe VII
Auf einer zylindrischen Perle aus blauem, opakem Glas bekannt448.
sind auf einem um die Mitte des Korpus laufenden wei Durch ihre speziellen Muster, die an Augen erinnern,
ßen Band mehrere Augen angebracht, deren Mittelpunkt heben sich die MAP – früher auch Sonnen- oder Strah
ein rotes Viereck ist, um das sich abwechselnd weiße und lenperlen genannt – von anderen Millefioritypen, wie den
grüne Vierecke gruppieren, sodass der Eindruck eines wei Blättchenmillefioriperlen oder Fischgrätmillefioriperlen,
ßen Kreuzes mit grünen Zwickeln entsteht. Dieses Mus deutlich ab.
ter ist wiederum auf einem gelben und einem roten Ring Die zwei dominanten Farben, aus denen der Perlenkorpus
angebracht und entspricht dem Augenmuster 07 bei An besteht, sind zumeist grün (MAP-Typen 01-06449) und
drae442. Rechts und links des Augenbandes verläuft ein blau (MAP-Typen 07-15450), weshalb die Perlen zuerst
Streifenmuster (weiß-rot-blau-rot-weiß), welches jedoch grob in diese beiden Farbgruppen unterteilt werden kön
nicht bei Andrae beschrieben ist. nen. Die Perle aus Grab 15/1960 ist demzufolge in die blaue
(c
Gleich sieben MAP sind aus Grab 1/1978 erhalten (Ta Gruppe, die MAP aus Grab 1/1978 in die grüne Gruppe
fel 32/7). Fünf davon gehören dem Typ 01, Variante 0121 einzuordnen. Relativchronologisch dürfte die Gruppe der
an443, die übrigen zwei sind dem Typ 04, Variante 0421 blauen MAP älter sein als die grüne Gruppe451.
zuzurechnen444. Alle Perlen haben einen dunkel- bis hell Prinzipiell werden bei der Herstellung von Millefioriglas
grün gestreiften, olivenförmigen Korpus gemeinsam, auf verschiedenfarbige Glasstäbe so zusammengelegt, dass der
dem je ein Augenpaar angebracht ist. R. Andrae defi Querschnitt ein Muster (z. B. Augen, Blüten, …) ergibt.
niert seine Form 21 als olivenförmig mit mehreren Augen Die Glasbündel werden miteinander verschmolzen, was
des gleichen Typs445. Die Beispieltafel in seinem Beitrag großes Können und Wissen voraussetzt, da die verschie
zeigt jedoch ein Schema einer olivenförmigen Perle mit denen Gläser ungefähr den gleichen Schmelzpunkt haben
vielen Augen, die direkt aneinander grenzen. Korrekter müssen, um sich optimal miteinander verbinden zu kön
Weise müssten die zu behandelnden MAP aufgrund der nen, ohne sich gegenseitig zu überfärben. Anschließend
schriftlichen Definition Andraes also zu Form 21 gehö werden von verschiedenen dieser „Musterstäbe“ Stück
ren, wobei er möglicherweise nur zwei, sich nicht berüh chen abgeschnitten und schließlich zu einer Perle zusam
rende Augen zur Form 20 rechnet. mengefügt oder auf einen Glaskorpus aufgeschmolzen452.
Bei der Variante 0121 ist das Auge kreisförmig aufgebaut Pöche meint jedoch, dass bei den gestreiften Korpus
(von innen nach außen: blau-weiß-rot-gelb), während bei konstruktionen, wie im Fall von Variante 0120, keine dun
der Variante 0421 um einen viereckigen, blauen Mittel kel- und hellgrünen Stäbchen aneinander geschmolzen
punkt rote und weiße Vierecke (Kreuz) angebracht sind, wurden, sondern dass in lichtes grünes Glas gelbe Stäb
die auf einem gelben Kreis aufliegen. chen eingebettet wurden, wodurch die Streifen entstan
)
MAP der Variante 0121 kommen u. a. in Birka, Grab 863, den453. Auffallend ist hierbei, dass besonders bei MAP die
Bezded, Grab 2B, Haithabu, Köpke, Grab 1, Tominkow Zusammensetzung der Stäbe relativ grob ist. Bei Blättchen
und Saltowo vor446. Die verwandte Form 0120 findet sich millefioriperlen ist eine Trennungslinie der unterschied
z. B. in Birka, Grab 967, Dmitrowsk, Katakombe 23, 45, 46 lichen Farben kaum zu sehen, was auf unterschiedliche
— 56 —
Techniken und Werkstätten hinweist. Die Spezialisierung portgut zu betrachten, welches über Zwischenhandel mit
dieser Technik und ihre Anwendung zur Erzeugung eines Byzanz bis Mittel- und Nordeuropa kam464.
bestimmten Musters stuft R. Andrae so hoch ein, dass er Die Möglichkeit einer einzigen Werkstätte mit MAP-Er
MAP als Produkte einer einzigen Werkstätte ansieht, de zeugung ist jedoch abzulehnen. Bedenkt man, dass nur ein
ren Herstellungszeit stark begrenzt sein dürfte. Durch die geringer Bruchteil der einst im Umlauf gewesenen MAP
Komplexität der Herstellung hält er Nachahmungen für bisher gefunden wurde, ist es unwahrscheinlich, dass die
unwahrscheinlich454. schätzungsweise sehr hohe Anzahl der MAP nur von ei
Das Verbreitungsgebiet der MAP ist jedoch sehr weit ner einzigen Werkstätte produziert wurde465. Weiters sind
läufig. Westlich wird das Gebiet durch eine irische Fund mittlerweile auch in Nordeuropa Glashütten bekannt,
stelle, Lagore Crannog, Dunshaughlin, County Meath455, in denen Millefioriproduktion belegt werden konnte, so
begrenzt, während im Osten auch am kaspischen Meer in z. B. in Århus, Dänemark, und Ribe, wo bislang die auf
Kamunta, Südrussland, MAP bekannt sind456. Die nörd wendigste Glasverarbeitung für Nordeuropa nachgewie
lichsten MAP stammen aus Norwegen (Longva, Haram, sen wurde und Millefioriproduktion fassbar ist466. Die
Möre), während sie südlich bis Oberägypten (Akhmin- dänischen Glashütten datieren etwa in die Mitte des
Panopolis) vorkommen457. 8. Jahrhunderts467.
Die Typen 01 und 07, die auch in Kremsdorf vorkom Bei der Datierung der MAP beruft sich R. Andrae
men, sind innerhalb des beschriebenen Gebiets sehr weit u. a. auf münzdatierende Fundkomplexe mit grün-blau
verbreitet. en MAP-Kombinationen, die eine Zeitstellung um 800
(c
MAP 0120 ist in allen Regionen des Verbreitungsgebietes nahe legen468, wie etwa Münzen des späten 8. Jahrhun
bekannt458, während MAP 0420 vorwiegend in Mittel derts aus dem Grab von Tuna, Schweden, oder dem Ka
europa anzutreffen ist459. MAP 0771 kommt, wie MAP takombengrab IV F von Werchne Saltowo, Russland, wo
0120, in der gesamten Fundlandschaft mit Ausnahme ein TPQ mit 785 n. Chr. gegeben ist. Diese Annahme wird
Mitteldeutschlands vor460. Auch im nahe dem Kremsdor von E. Szameit unterstützt469. Er merkt jedoch an, dass
fer Gräberfeld gelegenen Krungl liegt aus Grab 240 eine es sich bei den münzdatierten Gräbern nicht zwingend
MAP 0771 vor461, ebenso im Grab 110 von Anderten, Grab um das älteste Vorkommen von MAP handeln muss. Er
4 von Bojkovice und Grab 408 von Dunum. setzt die Datierung der MAP mit dem Beginn des Tas
Das Zentrum der MAP-Produktion sieht R. Andrae im silokelchstils, also um die Mitte des 8. Jahrhunderts, an.
ägyptisch-syrischen Raum462, welcher das Ursprungsge Da es sich bei den Funden aus Saltowo und Tuna um Per
biet der Millefioritechnik ist, d. h. das notwenige Wissen len mit blauen und grünen MAP handelt, die blaue Grup
zur Millefiorierzeugung war gegeben. Durch regen Han pe laut R. Andrae jedoch relativ älter ist und folglich die
del zwischen Europa und dem Osten im 8. Jahrhundert, münzdatierten Funde bereits aus einer fortgeschrittenen
der sowohl archäologisch als auch historisch nachgewie Periode der MAP-Benutzung stammen470, erscheint der
sen werden kann, wäre ein Import von MAP aus dem Vorschlag Szameits plausibel. Anzumerken ist jedoch,
Osten denkbar, vor allem weil MAP hier früher auftreten dass in jüngerer Vergangenheit R. Andraes Relativchro
als im europäischen Raum. Weiter argumentiert R. An nologie immer wieder kritisiert wurde. So ist laut Pöche
drae, dass das Vorkommen von Millefioriperlen in Eu aufgrund neuer MAP-Funde aus Norddeutschland471, so
ropa gleichzeitig mit dem Abflauen der politischen und wohl der blauen als auch der grünen Gruppe, die ältere
)
wirtschaftlichen Verbindungen zum Orient endet463. Die Stellung der blauen Gruppe nicht mehr unbedingt halt
ser These zufolge sind MAP also als orientalisches Im bar472. Als Ende der MAP-Zeit sieht R. Andrae spätes
464 Callmer 1995, Fig. 2; 1997, 199.
454 Andrae 1973, 105, 109f. 465 Mündliche Auskunft von Univ. Prof. Dr. Claudia Theune-Vogt,
455 Andrae 1973, 172. Institut für Ur- und Frühgeschichte der Universität Wien, am 23. 10.
456 Andrae 1973, 171. 2007.
457 Andrae 1973, 118, 66, 171f. 466 Steppuhn 1998, 108.
458 Andrae 1973, Karte 6. 467 Heck – Matthes – Theune 2004, 119f.
459 Andrae 1973, Karte 11. 468 Andrae 1973, 155.
460 Andrae 1973, Karte 17. 469 Szameit 1990a, 112.
461 Breibert 2015, Abb. 50. 470 Andrae 1973, 155.
462 Andrae 1973, 158. 471 Pöche 2005, 61, Abb. 30.
463 Andrae 1973, 158-165. 472 Ebenso Szameit 1990, 112.
— 57 —
tens das Ende des ersten Drittels des 9. Jahrhunderts. ihre Funktion beim Spinnen erfüllen zu können, sodass
Szőke ist hingegen der Ansicht, MAP seien erst nach den bei kleinen bzw. leichten wirtelartigen Exemplaren eine
fränkisch-awarischen Kriegen durch den verstärkten west praktische Funktion unwahrscheinlich ist. Die Differen
lichen Einfluss in den (Ost-)Alpenraum gekommen und zierung zwischen Perle und Wirtel auf Basis von Maßen
könnten demzufolge frühestens nach der Jahrhundertwen und Gewicht ist jedoch nicht immer einfach. B. Sasse und
de datiert werden473. Diese Annahme ist jedoch aufgrund C. Theune sehen u. a. die Größe als ausschlaggebendes
des Vorkommens von MAP beispielsweise in Auhof abzu Merkmal, überschreitet der Durchmesser 5 cm ist jeden
lehnen. Szameit geht von baierisch-awarischen Handels falls von einem Wirtel zu sprechen, ungeachtet der Funk
beziehungen aus und sieht in den MAP von Kremsdorf tion481. Größere Perlen mit symmetrischem Aufbau und
und Auhof Vertreter dieses Perlentyps, die in die zweite zentralem Loch können auch durchaus als Schwungge
Hälfte des 8. Jahrhunderts zu datieren sind474. wicht beim Spinnen verwendet worden sein482.
Aus Rohrbach liegt ein Objekt vor, welches der Krems
5.1.3.7. Wirtelperle – Spinnwirtel dorfer Perle sehr ähnlich ist: doppelkonisch, gerippt, Dm.
Aus dem Grab 13/1959 (Tafel 12/6) stammt ein aus Ton 2,4 cm, jedoch aus Speckstein gefertigt483. Allerdings fehlen
geformtes Objekt mit doppelkonischer Form und Rippung. hier nähere Angaben zu den Fundumständen.
Szőke475 und auch Tovornik476 beschreiben die Perle Die Funktion dieser Fundgruppe ist also nicht immer leicht
als Spinnwirtel und rechnen sie somit als Gebrauchsgegen zu bestimmen und wurde sicher öfters falsch definiert.
stand. Lage und Größe des Objekts lassen aber auch eine Die bikonischen Spinnwirtel bzw. Wirtelperlen tauchen
(c
Deutung als Schmuckgegenstand zu. Das Exemplar befand vornehmlich in awarischen Gräberfeldern ab der Mittel
sich direkt an der linken Mandibulaseite, nahe einigen in awarenzeit auf, haben ihren Schwerpunkt in Spätawa
Trageposition befindlichen Glasperlen. risch I und finden sich auch noch in Körpergräbern um
Im Gräberfeld von Auhof befanden sich die von Tovor 800484. Aus westlichen Fundverbänden sind sie eher sel
nik als Spinnwirtel angesprochenen Exemplare hingegen ten bekannt. Siegmann schreibt den als Perlen inter
im Bereich des Beinskeletts, wobei das Stück aus Grab 58 pretierten Wirteln Amulettcharakter zu, geht aber nicht
zwischen den Oberschenkeln lag477, d. h. auch hier even näher darauf ein485.
tuell eine Schmuckfunktion als Gehängeperle in Frage Jedenfalls scheint das Wirtelobjekt von Kremsdorf Ähn
kommt. In den sächsischen Gräberfeldern von Liebenau lichkeiten mit östlichen Vergleichsexemplaren zu haben.
und Dörverden weisen alle als Spinnwirtel identifizierten Die genaue Datierung muss über die übrigen Grabbei
Objekte aus Gräbern, mit einer Ausnahme, einen größe gaben erfolgen, eine Stellung im 8. Jahrhundert ist jedoch
ren Durchmesser auf als das Kremsdorfer Exemplar. Der wahrscheinlich.
Großteil der Wirtel besitzt hier eine Größe zwischen 3,2
und 4,1 cm, was deutlich über den Maßen des Kremsdor 5.1.3.8. Perlenkombinationen
fer Stücks liegt. Mit einem Durchmesser von nur 2,6 cm Um Perlen als datierungsrelevantes Material am besten
und der gegebenen Fundsituation wäre also die Anspra nützen zu können, ist vor allem die Auseinandersetzung
che als Perle in diesem Fall ebenso vertretbar wie die als mit der Typenkombination, also mit dem Perlenensemble
Spinnwirtel478. Ebenso von Szőke als Spinnwirtel an notwendig. Hierbei ist die Betrachtung der Kombina
gesprochen479 wurde die Tonperle aus Grab 21 von Ho tionsart von großer Bedeutung, da sie Aufschluss über
)
henberg, diese weist jedoch einen Durchmesser von nur die Verwendungsdauer einer Kette geben kann. Bei der
1,15 cm auf480. Zusammenstellung eines Perlenensembles direkt in der
Spinnwirtel benötigen ein ausreichendes Gewicht, um Produktionsstätte bzw. vom vertreibenden Händler und
deren Niederlegung im Grab ohne Veränderung an der
473 Szőke 1992, 877. originalen Reihenfolge der einzelnen Perlen, spricht man
474 Szameit 1990, 113.
475 Szőke 1992, 885. von einer Musterkombination. Zu beachten ist allerdings
476 Tovornik: unveröffentlichte Aufzeichnungen zu Kremsdorf im OÖ
Landesmuseum. 481 Sasse – Theune 2003, 565.
477 Tovornik 1983b, 66, Taf. 6. 482 Siegmann 2002-2005, 878.
478 Siegmann 2002-2005, Abb. 353. 483 Friesinger 1977, 6, Taf. 6/7.
479 Szőke 1992, 885. 484 Tovornik 1983a, 89; Distelberger 2004, 18, Abb. 22.
480 Nowotony 2005, 79, Taf. 11/1. 485 Siegmann 2002-2005, 877.
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der eventuelle Verlust einiger Perlen während der Trage Alle anderen Perlenketten des Gräberfelds zeichnen sich
zeit. In diesem Fall kann man von einer relativ kurzen Tra durch Einfachperlen und MÜP sehr ähnlicher Qualität
gezeit ausgehen, die den Datierungszeitraum einschränkt. aus (Kombinationsgruppe 2). Weiters kommen in den
Werden dieser Musterkombination einzelne Perlen hin Ensembles Hohlperlen, auch solche mit mehreren Seg
zugefügt, meist von der Trägerin respektive dem Träger menten, vor. Zwei Besonderheiten stellen die Kette aus
selbst, ohne jedoch die ursprüngliche Zusammensetzung Grab 15/1960 mit einer blauen MAP und die aus Grab
grundlegend zu verändern, so liegt eine ergänzte Muster 18/1960 mit MÜP und Hohlperlen dar. Die Ketten wei
kombination vor486. Perlen verschiedener Herkunft, die sen Perlentypen auf, die sich in der Kombinationsgruppe
ohne Musterzusammenhang zu einer Kette zusammen 2 von Dunum489 sowie in den Ensembles von Pitten, Grab
gefügt werden, also eine Eigenkreation der Trägerin bzw. 54490, Gusen491 und Auhof492 wiederfinden.
des Trägers anzunehmen ist, sind als Sammelkombinati Jedoch sind innerhalb der Kombinationsgruppe 2 von
on anzusprechen. Kremsdorf Abstufungen zu treffen. Die Kette aus Grab
Grundsätzlich liegen in Kremsdorf zwei Perlenkombi 23/1960 mit einer blauen Polyederperle, welche als er
nationen vor. Die Kette aus Grab 1/1978 ist als Muster gänzte Musterkombination angesprochen werden kann,
kombination anzusprechen und als einziges Ensemble der dürfte eher früh datiert werden, etwa in die beginnende
Kombinationsgruppe 1 zuzuweisen. Hier liegen sieben grü zweite Hälfte des 8. Jahrhunderts. Auch die Perlenkette
ne MAP mit mehreren blauen Einfachperlen in regelmä aus Grab 15/1960, die einzige dieser Kombinationsgrup
ßiger Anordnung vor. Der Kontrast zwischen den grünen pe mit einer MAP, ist aufgrund der Vergesellschaftung
(c
MAP und den blauen Einfachperlen dürfte in diesem Fall mit einem merowingerzeitlichen Beinkamm in diese Zeit
bewusst zusammengestellt worden sein, da durch die farb zu stellen. Ob es sich hier um eine Muster- oder Sammel
liche Gegensätzlichkeit die MAP besonders gut zur Gel kombination handelt, ist jedoch schwer zu sagen, da das
tung kommen. Da es sich um eine Kette handelt, deren Exemplar nach seiner Auffindung willkürlich aufgefädelt
Zusammenstellung vermutlich vom Produzenten bzw. wurde. Dies trifft ebenso für die Kette aus Grab 18/1960
Händler und nicht vom Träger respektive Trägerin vor zu. Sicherlich als Musterkombination kann das Ensemble
genommen wurde, kann davon ausgegangen werden, dass aus Grab 11/1960 angesprochen werden, da hier ein ausge
das Ensemble relativ kurz getragen wurde, bevor es in die wogenes Verhältnis der verschiedenfarbigen Einfachper
Bestattung gelangte. Maßgeblich unterscheidet sich diese len gegeben ist. Außer den Kombinationen mit MAP und
Kette von den anderen Kremsdorfer Ensembles durch Polyederperle sind die Ketten der Kombinationsgruppe 2
den unterschiedlichen Farbton bzw. die Struktur der klei allgemein in die zweite Hälfte des 8. Jahrhunderts zu datie
nen blauen Perlen. Sie weisen ein helleres Blau auf, sind ren, was sich vor allem mit den Vergleichsstücken aus Au
opak, und es ist an der Oberfläche keine Struktur zu er hof und Gusen deckt.
kennen, die Rückschlüsse zuließe, ob die Perlen gezogen
oder gewickelt sind. Weiters sind die grünen MAP nur in 5.1.4. Brakteat
dieser und sonst keiner der Kremsdorfer Ketten vertre Vorkommen:
ten. Durch die Vergesellschaftung des Ensembles mit ei 1 Frauengrab: 1/1978
ner vierpassförmigen Pressblechfibel, die eines der ältesten
Fundstücke im Gräberfeld darstellt, ist eine Datierung um Aus dem Frauengrab 1/1978 ist der goldene Rahmen eines
)
die Mitte des 8. Jahrhunderts durchaus denkbar, was sich Brakteaten (Tafel 32/4) erhalten. Von einer goldenen, vier
auch mit den im Grab befindlichen Stabarmreifen verbin fach gegliederten Öse geht der mit Ziernieten besetzte
den lässt, die ihren Schwerpunkt Spätawarisch II/III ha Rahmen ab, in dem sich einst eine Münze oder ein münz
ben. Mit dieser Datierung erhält auch Szameit487 bzw. förmiges Objekt befand.
Pöches488 These, wonach die relativ jüngere Zeitstellung Münzschmuck ist seit der römischen Kaiserzeit bekannt
der grünen MAP gegenüber den blauen MAP zu überden und kommt bis ins Mittelalter vor. Römische Münzen
ken bzw. nicht mehr haltbar ist, Unterstützung.
489 Theune 2008.
486 Andrae 1973, 103f. 490 Friesinger – Vacha 1987, 119.
487 Szameit 1990, 112. 491 Tovornik 1983a, Taf. 57.
488 Pöche 2005, 61. 492 Tovornik 1983b, Taf. 36-40.
— 59 —
oder ähnliches wurden in Rahmen gefasst und als Anhän dem Grab eine vierpassförmige Pressblechfibel, eine Hals
ger getragen und waren im gesamten Imperium verbreitet. kette (Einfachperlen und MAP), das Fragment eines Brak
Im Zuge der Völkerwanderungen wurde diese Schmuck teaten, ein silbernes Körbchen eines Kopfschmuckringes
form auch außerhalb der Reichsgrenzen übernommen493. sowie der Rest einer vergoldeten Pressblechbommel.
Zahlreiche Münzanhänger sind auch in merowingerzeit Ähnliche Stabarmreife stammen aus Grab 75 von
lichen Gräberfeldern der Baiovaria zu finden, wie z. B. in Krungl497, dem Grab 20 von Hohenberg498 und Bad Goi
München-Aubing494. Während der Karolingerzeit kom sern499. In allen drei Fällen sind die betreffenden Gräber
men besonders oft gerahmte Solidi aus der Zeit Ludwig in die zweite Hälfte bzw. das ausgehende 8. Jahrhundert
des Frommen vor, die sich in weiterer Folge zu Münzfibeln zu datieren500.
entwickelten495. Zwischen dem Auftreten der Brakteaten Stabarmreife sind charakteristisch für die Frauenmode
in merowingerzeitlichen Gräbern und der Zeit Ludwigs der Spätawarenzeit und kommen hauptsächlich in Frau
des Frommen ist diese Fundgruppe im Grabbeigabenma en- und Mädchengräbern vor, in seltenen Ausnahmen
terial allerdings kaum anzutreffen.496 auch in Männergräbern501. Aus einer Männerbestattung
Da beim Kremsdorfer Exemplar nur der Rahmen erhal in Sierninghofen, Grab 6, ist etwa ein Paar Stabarmreife
ten ist, kann der Brakteat nicht näher bestimmt werden. bekannt502, in diesem Fall mit einer Spatha vom Typ Alt
Das Grab 1/1978 stellt jedoch mit seiner vierpassförmigen jührden vergesellschaftet, was eine Stellung in der zwei
Pressblechfibel und der Kette mit grünen MAP und klei ten Hälfte des 8. Jahrhunderts nahelegt503. Beigegeben
nen blauen Einfachperlen eine der ältesten Bestattungen wurden die Schmuckreife sowohl paarweise, wie im Bei
(c
von Kremsdorf dar und ist spätestens um die Mitte des spiel von Pösting, Bezirk Urfahr-Umgebung, wo zwei Rei
8. Jahrhunderts zu datieren. fe erhalten sind504, als auch einzeln, so im Hügelgrab 15
von Wimm, aus dem weiters MÜP bekannt sind505. Dop
5.1.5. Armreife pelpaarige Reifbeigaben sind hingegen selten. Im Grab 42
Vorkommen: von Pottenbrunn liegen jedoch vier Exemplare vor, aller
1 Frauengrab: 1/1978 dings nur zwei davon mit viereckigem Querschnitt506. Die
1 Kindergrab: 14/1959 Verzierung der einzelnen Reife kann sehr unterschied
lich sein: Kreise (Kremsdorf, Pottenbrunn, Auhof), Drei
Je zwei Armreife stammen aus dem Kindergrab 14/1959 ecke (Kremsdorf, Zalakomár Grab 372, Hainbuch Grab
(Tafel 13/1-2) und der Frauenbestattung 1/1978 (Tafel 32/1- 1/1942), Zick-Zack-Linien (Pásztó) und Ähnliches507. Ob
2). Im Fall der Kinderbestattung ist die Lage der Armreife und inwieweit die verschiedenen Verzierungsarten chro
am rechten Unterarm nachgewiesen, währenddessen die nologisch relevant sind, ist noch nicht geklärt.
Position der Schmuckstücke im Frauengrab unbekannt Besonders häufig treten Stabarmreife dieser Art im Kar
ist. patenbecken während des 7. und 8. Jahrhunderts auf.
Z. Čilinská argumentiert diese Datierung mit dem
5.1.5.1. Stabarmreifen mit viereckigem Querschnitt gemeinsamen Auftreten des Armreiftyps mit ihrem
Die beiden Armreife aus Grab 1/1979 gehören der Gruppe Ohrringtypus X, welcher für die Zeitstellung im 7. und
der Stabarmreife an und besitzen beide einen viereckigen 8. Jahrhundert spricht508.
Querschnitt und offene Enden. Eines der Exemplare (Tafel Primär sind Stabarmreife als praktisches Kleidungs
)
32/1) ist an den nach außen weisenden Flächen mit einge zubehör zum Raffen der Gewandärmel und nicht als
schlagenen Kreisen verziert. Das zweite Stück (Tafel 32/2)
besitzt an drei Flächen geschlagene Doppellinien aus kurzen 497 Szameit 1990, 113.
498 Nowotny 2005, Taf. 9/3.
Dreiecken, die längs verlaufen. An den Enden sind quer 499 Beninger – Kloiber 1962, 153.
verlaufende Linien angebracht. Weiters befanden sich in 500 Szameit 1990, 111-113.
501 Szőke 1992, 866.
502 Tovornik 1990, 128, Abb. 4/4.
493 Wamers 1994, 106f. 503 Szameit 1990, 109.
494 Dannheimer 1987, Abb.7. 504 Beninger – Kloiber 1962, Abb. 10.
495 Wamers 1994, 107. 505 Breibert 2002, Taf. 29/10.
496 Mündliche Auskunft von ao. Univ.-Prof. Dr. Erik Szameit, Institut 506 Friesinger 1972, Taf. 6.
für Urgeschichte und Historische Archäologie der Universität Wien, 507 Szameit 1990; Szőke 1992.
Dezember 2007. 508 Čilinská 1975, 85, 92.
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Schmuck anzusehen, im Gegensatz zu Kolbenarmreifen, zu Z. Čilinská. Das Aufkommen von Stabarmreifen im
die hauptsächlich zur Zierde dienten509. Im Gegensatz zu Donauraum setzt Szőke überhaupt erst im 9. Jahrhundert
Čilinská, die auf das Vorkommen der Stabarmreifen in an und argumentiert dies mit dem Auftreten spätawaren
sowohl gut als auch gering ausgestatteten Gräbern hinweist zeitlicher Fundtypen wie Nadelbüchsen oder Gürtelgarni
und deshalb von einer Verwendung in verschiedenen Ge turen in den Gräberfeldern519. Hierbei entsteht allerdings
sellschaftsschichten ausgeht510, nimmt E. Szameit wegen ein Konflikt mit der Datierung von V. Tovornik für Au
des relativ hohen Materialaufwands sowie der aufwen hof, welche nicht in Szőkes Schema passt.
digen Herstellung den Gebrauch nur in einer gehobenen Aufgrund des Vorkommens des Armreiftyps im Kontext
sozialen Schicht an511. mit Funden der Mittelawarenzeit II in Zillingtal geht E.
Čilinská, die Stabarmreife mit viereckigem Quer Szameit vom Auftreten der Stabarmreife ab dem zwei
schnitt in ihrem Typus IV/b zusammenfasst512, sieht ten Drittel des 7. Jahrhunderts aus520. Ihren Schwerpunkt
ihre Entstehung in der ersten Hälfte des 7. Jahrhunderts, sieht er in den Phasen Spätawarisch II und III. Für das
wobei sie auf Armreifen aus dem Grab 295 von Želovce awarische Grenzgebiet, z. B. das obere Donautal, kommt
und dem Grab 463 von Holiare513 verweist. Durch Ände nach Szameit eine Datierung der Armreife in das 9. Jahr
rungen der Mode im Karpatenbecken verschwindet der hundert, wie Szőke sie vorschlägt, nicht in Frage, da sie in
Stabarmreif an der Wende vom 8. zum 9. Jahrhundert. diesem Gebiet in keinem Zusammenhang mit typischen
Möglicherweise änderte sich die Form der Ärmelmode, Funden des 9. Jahrhunderts stünden. Das Ende der Lauf
da im Gegensatz zu den Stabarmreifen andere Schmuck zeit sei „um 800“521 anzusetzen.
(c
formen weiter in das 9. Jahrhundert laufen514. Es muss Die These des Fortlebens awarenzeitlicher Formen im
jedoch Z. Čilinskás Aussage widersprochen werden, awarischen Grenzbereich nach dem Ende der Awarenherr
der zufolge der Armreiftyp „ausschließlich in den Ske schaft im Falle der Stabarmreife lehnt Szameit eindeutig
lettgräberfeldern des Karpatenbeckens aufscheint“515. ab. Für das Kremsdorfer Grab schlägt er vor, es „spätestens
Auch in den Nekropolen des österreichischen Donau in die Zeit um 800 zu stellen“522 und nimmt Bezug auf die
raums sind Stabarmreife häufig anzutreffen, so z. B. in Au Perlenkette, die eine Verbindung zum Grab 75 von Auhof
hof, Grab 75516. Aus dieser Bestattung stammen neben herstellt. Durch die ebenfalls im Grab vorhandene Press
silbernen Bommelohrringen mit Pressblechanhängern, blechfibel ist jedoch die Stellung spätestens um die Mitte
Kettchenohrgehängen, einem Kopfschmuckring mit Spi des 8. Jahrhunderts, also den Übergang von SPÄTAWA
ralende, einer Halskette mit Mehrfach-, Augen- und RISCH II zu III vertretbar.
Mohnperlen u. a. zwei Stabarmreife, die denen aus Krems
dorf sehr ähnlich sind: einer mit Kreiszier, der andere mit 5.1.5.2. Gegossene, profilierte Bandarmreife
Strichlinien versehen. Ursprünglich in das erste Viertel des Aus Grab 14/1959 (Tafel 13/1–2) stammt ein Paar gegos
9. Jahrhunderts datiert, ist das Grab 75 von Auhof nach sener, bandförmiger Armreife mit zwei längs laufenden
V. Tovorniks Datierungskorrektur in die zweite Hälfte Kanneluren, in einem Fall mit flach gehämmerten En
des 8. Jahrhunderts zu stellen517. Aufgrund der Vergesell den (Tafel 13/1). In ihrer Form ähneln sie Objekten aus
schaftung von Stabarmreifen mit Amphorenperlen, gelb dem awarischen Gebiet, wo es viele verschiedene Arten
gebänderten schwarzen Perlen, Mehrfachperlen und Spi von Bandarmreifen gibt. Als gegossene Form stellen sie je
ralfingerringen im Gräberfeld von Zalakomár spricht sich doch eine Ausnahme dar. Lediglich zwei Vergleichsstücke
)
B. M. Szőke für die Datierung des Typs im awarischen Be aus Ungarn sind bekannt. Beide stammen aus Mártély, das
reich bis in das 9. Jahrhundert hinein aus518 und verlängert eine Exemplar aus Grab 2a, das andere ist ein Streufund 523.
damit die Laufzeit der Stabarmreife deutlich im Gegensatz Bei dem aus einem Grabverband vorliegenden Exemplar
509 Čilinská 1975, 82-84.
handelt es sich jedoch um ein sehr reich verziertes Stück,
510 Čilinská 1975, 84f. bei dem die Rillen durch Zick-Zack-Muster gefüllt sind
511 Szameit 1990, 109.
512 Čilinská 1975, 85.
513 Točík 1968, Taf. 68/1.
514 Čilinská 1975, 86. 519 Szőke 1992, 868.
515 Čilinská 1975, 85. 520 Szameit 1990, 109.
516 Tovornik 1983b, 72f., Taf. 10/4-5. 521 Szameit 1990, 112.
517 Tovorniks 1993, 274; 1999, 4. 522 Szameit 1990, 111.
518 Szőke 1992, 867. 523 Hampel 1905, 411f., Taf. 84/1-2.
— 61 —
und an den Enden wie auch an der gegenüberliegenden 5.1.6.1. Herzspiralkopfnadel
Rundung ein perlengerahmtes Rechteck sitzt. Bei der eisernen Nadel aus Grab 1/1960 (Tafel 15/2), die
Stadler hat die Kremsdorfer Stücke und die Armreife aus mit einem Griffangelmesser, einem bandförmigen Eisen
Mártély unter seinem Armreiftyp 90 zusammengefasst524. ring und einem Schildchenfingerring mit Punktbuckel
Ähnlichkeiten finden sich auch mit profilierten Bandarm verzierung vergesellschaftet war, handelt es sich um ein
reifen aus Blech, ebenfalls aus dem awarischen Raum stam Exemplar mit Herzspiralkopf.
mend, beispielsweise aus Grab 71 von Jászapáti525, welches Erwähnenswert ist, dass R. Pöllath die Existenz der
zwischen dem letztem Drittel des 7. und den ersten Jahr Kremsdorfer Nadel bezweifelt528 und ihre Erwähnung
zehnten des 8. Jahrhunderts datiert. in der Literatur, beispielsweise bei Leinthaler529 und
Auch wenn die Kremsdorfer Armreife keine echten Äqui Tovornik530, auf ein Missverständnis schriftstelle
valente in der Awaria finden, sind gewisse Ähnlichkeiten rischen Ursprungs zurückführt. An dieser Stelle kann
doch erkennbar, weswegen eine östliche Provenienz an diese Spekulation Pöllaths negiert werden. Die Nadel
genommen werden kann. Durch die Ähnlichkeiten mit existiert und scheint bereits in Inventarlisten und Zeich
awarenzeitlichen Armreifen ist eine Stellung im 8. Jahr nungen der Originaldokumentation auf, sodass gesichert
hundert anzunehmen. von der Zugehörigkeit des Objekts zum Kremsdorfer
Fundmaterial ausgegangen werden kann.
5.1.6. Nadeln Das Stück besitzt einen Nadelschaft mit rundem Quer
Vorkommen: schnitt. Er verbreitert sich im Halsbereich, wo ein läng
(c
2 Frauengräber: 1/1960, 23/1960 lich-rechteckiger Querschnitt vorliegt. Hier teilt sich die
1 Kindergrab: 11/1960 Nadel in zwei Äste, die diagonal vom Hals nach oben zie
hen und dann in zwei zueinander gedrehten Ösen enden,
Drei Ziernadeln sind aus Kremsdorf bekannt. Im Grab was einen herzförmigen Eindruck erzeugt. Einer der bei
1/1960 (Tafel 15/2), die Bestattung einer jungen Frau, ist den Äste ist zum Teil abgebrochen, wurde jedoch bei der
die Lage des Fundstücks unbekannt. Das Exemplar aus Restaurierung ergänzt.
dem Kindergrab 11/1960 (Tafel 18/1) lag zwischen dem Bei Pöllath ist die vorliegende Nadel der Form NH3,
linken Schlüsselbein und dem Unterkiefer mit der Spit Herzspiralkopfnadel mit verbreiterter schildförmiger Ba
ze Richtung Schädel gedreht. Hier wird man sie wohl sis, zuzuordnen531. Diese Form unterscheidet sich von
als Gewandnadel ansprechen können. Im Fall von Grab den übrigen Varianten (NH1, 2 und 4) durch die bereits
23/1960 (Tafel 25/3), hier handelt es sich um eine Frau erwähnte Verbreiterung des Halses, währenddessen bei
spätmaturen Alters, lag die Nadel 10 cm seitlich des rech NH 1, 2 und 4 der Übergang von Schaft zum Kopf fließend
ten Oberschenkels, knapp außerhalb der Sargverfärbung und ohne Absatz verläuft532. Weiters liegt der Winkel der
in der Grabgrube. Äste bei etwa 90°, ebenso wie bei Form NH4. NH2 weist
Die Funktion von Nadeln kann sehr verschieden sein, hingegen einen seitlich verflachten Kopf auf.
weshalb ihre Lage im Grab nicht unbedeutend ist. Am Pöllath sieht in der Form NH3 eine rein im Gräberfeld von
häufigsten wurden sie als Gewandnadeln eingesetzt, wo Thurnau-Alladorf vorkommende Variante, die als lokale
für eine Position am Oberkörper spricht. Nahe dem Kopf Erscheinung zu betrachten ist. Hier liegen herzspiralkopf
können sie auch als Haarnadeln gedeutet werden. In nord förmige Nadeln mit verbreiterter Basis in den Gräbern
)
europäischen Gräbern gibt es Nachweise für die Verwen 12, 168 und 199 vor, sowie ein weiteres Exemplar aus einer
dung von Nadeln im Toilettebesteck, da sie gemeinsam älteren Grabungskampagne in den 1970er Jahren, dessen
mit anderen Toilettegegenständen gebündelt in den Grä Grabzugehörigkeit nicht bekannt ist533.
bern lagen526. Schwarz meint, Nadeln könnten auch Alle diese Stücke weisen an der verbreiterten Basis Kerb
zum Zusammenstecken von Totengewändern gebraucht linienverzierungen auf, ein Merkmal, das beim Krems
worden sein, was eine Bestattung „in Tracht ausschließen
würde“527. 528 Pöllath 2002, 137.
529 Leinthaler 1989, 44.
524 Stadler 2005, CD-ROM, Bildmaterial, Armreif00090. 530 Tovornik 1983b, 72.
525 Madaras 1994, 153, Taf. 9/71-4. 531 Pöllath 2002, 135f., Abb. 10.
526 Schwarz-Mackensen 1976, 67f. 532 Pöllath 2002, 136.
527 Schwarz 1975, 148. 533 Leinthaler 1990, 43, Taf. 3/2, 13/2.
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dorfer Exemplar aufgrund der starken Korrosion zwar nur S1, S4, S6, S8, Ringen mit Haken- und Ösenverschluss der
schwer ersichtlich, jedoch vorhanden ist. Beidseitig wird Form H2 sowie Nadeln der Formen NÖ1, NH1 und NH2
die Verbreiterung durch diagonal angebrachte Ritzlinien stellt Pöllath die Herzspiralkopfnadeln in seine Stu
geschmückt, die ein leicht asymmetrisches rautenförmiges fe 2541, die in das 7.–8. Jahrhundert datiert.
Muster ergeben. Eine Datierung in der späten zweiten Hälfte des 8. Jahr
Sowohl Leinthaler als auch Pöllath nennen als eines hunderts bis in das beginnende 9. Jahrhundert ist für das
der wenigen ähnlichen Vergleichsobjekte für die Form Kremsdorfer Exemplar anzunehmen.
NH3 die Nadel mit leierförmigem Kopf aus Grab 4 von
Kulmbach-Grafendobrach534. Dieses Grab datiert U. von 5.1.6.2. Spatelkopfnadel
Freeden aufgrund einer Mosaikaugenperle in das erste Im Kindergrab 11/1960 (Tafel 18/1) wurde eine Spatel
Drittel des 9. Jahrhunderts. kopfnadel aus Buntmetall gemeinsam mit einer 114 Perlen
Allgemein sieht Pöllath das Verbreitungsgebiet der umfassenden Halskette (Einfach- und Hohlperlen), einer
Nadeln mit Herzspiralkopf als sehr weitläufig an und er römischen, kräftig profilierten Fibel, einem Schildchen
wähnt in diesem Bezug Vergleichsfunde aus Frankreich fingerring und dem Fragment eines Spiralohrringes ge
(Lac du Bourget)535, jedoch stammen die westlich von funden. In diesem Fall kann aufgrund der Lage der Nadel
Nordostbayern getätigten Funde aus keinen Nekropolen. im oberen Brustkorbbereich eine Verwendung als Ge
Lediglich in dem von ihm behandelten Gebiet liegen sie als wandnadel angenommen werden. Der Schaft endet in
Grabbeigaben vor. einem würfelförmigen, strukturierten Hals, aus dem ein
(c
Tovornik536 und Leinthaler537 datierten die Nadel sich nach oben hin verbreiternder Spatel, der leicht gebo
aus Kremsdorf in das erste Viertel des 9. Jahrhunderts und gen ist, hervorgeht. Dieser ist ritzverziert mit V-förmig
berufen sich hierbei auf die Beifunde, wobei Tovornik zum Hals hinlaufenden Linien.
später das gesamte Gräberfeld von Auhof neu überdachte Ein ähnliches Exemplar ist aus Grab 73 in Auhof be
und seither eher für eine Datierung ins 8. Jahrhundert kannt, hier allerdings mit schrägen und gezackten Ritz
ist538. Bedauerlicherweise veröffentlichte Tovornik in linien542. Die Stücke aus Grab 53 von Burglengenfeld543
ihrem Aufsatz über Kremsdorf 1985 kein Bild der Nadel und dem Niedermünster in Regensburg544 weisen zwar
und erwähnte sie auch nicht dezidiert, sonst hätte Lein ähnliche Verzierungen auf, haben jedoch statt der wür
thaler die verbreiterte Basis ins Auge springen müs felartigen Halsverdickung eine Rillenzier. Weitere Hin
sen. Weiters wäre es auch nicht zum Missverständnis mit weise auf Funde aus dem bairischen Raum finden sich bei
P
öllath gekommen, der, wie bereits erwähnt, die Nadel Pöllath 545. Ein komplett unverziertes, jedoch von der
für nicht existent hält. S. Spiong beruft sich jedoch in sei Form her ähnliches Beispiel findet sich im Grab 137 von
ner Abhandlung über Gewandnadeln auf Tovorniks Pottenbrunn546.
ursprünglichen Ansatz und argumentiert die Stellung Auch in spätawarenzeitlichen Bestattungen treten die
der Herzkopfnadeln in der ersten Hälfte des 9. Jahrhun se Nadeln auf, so z. B. in den Gräbern 138 und 150 von
derts hauptsächlich mit Tovorniks altem Datierungs Romanya I547, den Gräbern 14, 15, 18 und 168 von Kékesd548
ansatz539. Jedoch spricht sich auch U. von Freeden bei und im Grab 54 von Nagypall 549.
herzspiralkopfförmigen Nadeln aufgrund von datierbaren Szőke datiert die westungarischen Funde an die Wende
Beifunden – in Grab 11 und 27 von Kleetzhöfe wurde die des 8. zum 9. Jahrhundert 550. Das Kremsdorfer Exemplar
)
ser Nadeltyp etwa gemeinsam mit grünen, olivenförmigen entspricht jedoch eher den westlichen Vergleichsstücken,
Perlen mit vier Längskerben gefunden – für eine Zeitstel die von Schwarz ins 9. Jahrhundert gestellt werden551.
lung im 9. Jahrhundert aus540. Aufgrund ihres Vorkom
541 Pöllath 2002, 178.
mens gemeinsam mit Kopfschmuckringen der Formen S0, 542 Tovornik 1983b, Taf. 9.
543 Stroh 1954, Taf. 3/K7.
544 Schwarz 1975, Abb. 15/1-3, 15/6-8.
534 von Freeden 1983, Abb. 20/5. 545 Pöllath 2002, 139f.
535 Pöllath 2002, 135. 546 Jungwirth – Windl 1973, 132.
536 Tovornik 1983b, 72. 547 Kiss 1977, Taf. 50/138, 51/150.
537 Leinthaler 1990, 44. 548 Kiss 1977, Taf. 13/14-15, 13/18, 20/168.
538 Tovornik 1993; 1999. 549 Kiss 1977, Taf. 30/54.
539 Spiong 2000, 92f. 550 Szőke 1992, 833f.
540 von Freeden 1983, 456. 551 Schwarz 1975, 148f.
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Auch Spiong stellt den Nadeltyp in das 9. Jahrhundert diertem Schaft kommen jedoch bis in die Urnenfelderzeit
und nimmt direkt Bezug auf das Kremsdorfer Exemplar552, vor559 und stammen beispielsweise aus Stařechovice und
dessen Zeitstellung im ersten Viertel des 9. Jahrhunderts Böheimkirchen560.
von ihm aufgrund der Beifunde als gesichert angesehen Für die Aufarbeitung der Kremsdorfer Nekropole ist
wird.553 Aus Grab 49 von Dittenheim liegt eine bronzene der Fund an sich nicht relevant, interessant jedoch im
Nadel mit spatelförmigem Kopf, polyederartiger, durch Zusammenhang mit Grab 2/1906, einer beigabenlosen
lochter Verdickung am Hals und Rillenzier vor. Hier wird Hockerbestattung, die aufgrund der Körperhaltung mög
die Nadel in das zweite Viertel des 7. Jahrhunderts gestellt licherweise ebenfalls in die Bronzezeit zu datieren ist.
und auf Vergleichsfunde aus dem alamannischen Gebiet
hingewiesen554. Pöllath geht nicht näher auf eine Da 5.1.6.4. Einfache Nadel
tierung ein. Aus dem Kindergrab 7/1960 (Tafel 17/1) wurde eine ein
Durch die Vergesellschaftung des Kremsdorfer Exemplars fache Buntmetallnadel mit gebogenem Schaft gemeinsam
mit einer Perlenkette, die der Kombination nach in die mit einem Paar Kopfschmuckringe mit S-förmigem Ende
zweite Hälfte des 8. Jahrhunderts zu stellen ist, kann für und einem Ring mit D-förmigem Querschnitt und Mittel
das gesamte Grab eine Datierung im späten 8. Jahrhundert rippe geborgen. Durch konservatorische Maßnahmen ist
angenommen werden. der Kopf der Nadel nicht mehr gut zu erkennen, weswe
gen nicht festgestellt werden kann, ob es sich hier um eine
5.1.6.3. Rollenkopfnadel einfache Nadel mit flachem Kopf, oder aber um die abge
(c
Eine Buntmetallnadel mit flach gehämmertem, eingeroll brochene Nadel einer Fibel handelt. Zur Datierung ist das
tem Kopf, tordiertem Hals und geradem Schaft stammt Exemplar ungeeignet. Durch die Vergesellschaftung mit
aus dem Frauengrab 23/1960 (Tafel 15/3). Weiters wurden den S-förmig endenden Kopfschmuckringen ist jedoch
bei der Bestattung ein Griffangelmesser, eine Perlenkette eine Zeitstellung im späten 8. Jahrhundert anzunehmen.
(MÜP, eine Polyederperle) und zwei verzierte Bandfinger
ringe gefunden. 5.1.7. Fibeln
Problematisch ist die typochronologische Einordnung Vorkommen:
der Nadel, denn es gibt im frühmittelalterlichen Rahmen 1 Frauengrab: 1/1978
keine Vergleichsstücke aus den bereits erwähnten Gebie 1 Kindergrab: 11/1960
ten, deren Einfluss in Kremsdorf spürbar ist. 5 Streufunde 1906
Die Lage des Stücks außerhalb der sichtbaren Sargverfär
bung lässt die Möglichkeit in Betracht kommen, dass die 5.1.7.1. Römische Fibeln
Nadel gar nicht zur Bestattung gehört, sondern als Streu Aus dem Grab 11/1960 (Taf. 18/2) stammt eine Fibel rö
fund eines anderen Zeithorizonts anzusehen ist und nicht mischer Herkunft. Es handelt sich um eine kräftig profilier
mit dem Gräberfeld in Zusammenhang gebracht werden te Fibel aus Buntmetall der Variante C nach W. Jobst561.
kann.555 Dieser Fibeltypus wurde von spätflavischer Zeit bis in das
Rollenkopfnadeln sind vorwiegend im Zusammen 2. Jahrhundert getragen. Aufgrund der Vergesellschaftung
hang mit frühbronzezeitlichen Gräbern bekannt556, wie der Fibel mit einer Spatelkopfnadel, einem Schildchenfin
z. B. aus dem Grab 1 von Spiez-Einigen in der Schweiz557 gerring, einem Spiralkopfschmuckring und einer Perlen
)
oder dem Grab 59 von St. Peter/Linz558. Solche mit tor kette (Einfachperlen, Hohlperlen) kann sie als Altstück
im Grabverband angesprochen werden. Möglicherweise
552 Spiong 2000, 93. handelt es sich um ein Erbstück.
553 Irrtümlicherweise bezeichnet Spiong die Kremsdorfer Nadel als Fund-
stück aus dem Grab 11 des nahegelegenen Gräberfelds Micheldorf-
Während der Grabung von G. v. Kaschnitz 1906 wur
Georgenberg. Es handelt sich hierbei jedoch um eine falsche Angabe. den weitere römische Fibeln, allerdings nicht im Grab
Es ist eindeutig das Exemplar aus dem Grab 11/1960 von Kremsdorf
gemeint.
verband, sondern als Streufunde geborgen. Es liegen drei
554 Haas-Gebhard 1998, 59, Taf. 77/4. weitere kräftig profilierte Fibeln (Tafel 9/2-4), eine no
555 Die Lageangabe stammt aus der Inventarliste Tovorniks zu den
Kremsdorfer Funden, Depot OÖ Landesmuseum.
556 Innerhofer 2000, 74. 559 Innerhofer 2000, 75.
557 Grütter 1980, 83, Abb. 3/3. 560 Říhovský 1979, 135 f., Taf. 45/1057-1058.
558 Adler 1964, 218, Abb. 12. 561 Jobst 1975, 33f.
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risch-pannonische Flügelfibel (Tafel 9/5) und eine Zwie gesetzte Fragmente erhalten geblieben sind (Tafel 32/8).
belknopffibel (Tafel 9/1) vor. Alle diese Fibeln datieren vor Es könnte sich bei diesen Resten genauso gut um abge
300 n. Chr. und sind eventuell der spätantiken Periode im brochene Teile der beschriebenen Fibel handeln, die an
Kremsdorfer Raum zuzurechnen. In unmittelbarer Nähe einer Seite entsprechend ergänzte Rundungen aufweist.
des Gräberfeldes wurden Reste einer römischen Siedlung Im Fundbericht der Notbergung schreiben M. Pertlwie
geborgen. Die Auffindung römischer Artefakte im Streu ser und V. Tovornik, dass die Beigaben aus Grab 1/1978
fundgut ist also nicht verwunderlich. vorwiegend „aus dem Aushubmaterial … aus diesem
Grab“562 stammen. Da die Lage der Fibel(n) im Grab also
5.1.7.2. Vierpassförmige Pressblechfibel nicht bekannt ist, kann über die Trageweise nicht viel ge
Die aus dem Frauengrab 1/1978 (Tafel 32/3) vorliegende sagt werden. Normalerweise wurden Pressblechfibeln je
Fibel nimmt eine Sonderstellung im Kremsdorfer Fund doch einzeln getragen, und zwar sowohl am Oberkörper,
gut ein, da lediglich zwei Vergleichsexemplare aus der als auch als Besatz am Rock563.
Westschweiz, dem Norden des fränkischen Teilreiches Erst im Jahr 2002 konnte bei der Bergung eines spätmero
Burgund, bekannt sind. Es handelt sich um eine vierpass wingerzeitlichen Kindergrabes nahe La Tour-de-Trême
förmige Pressblechfibel mit ca. 6 cm Durchmesser. Auf im Kanton Freiburg/Schweiz ein dem Kremsdorfer Stück
einem eisernen Korpus, an dessen Rückseite Reste von entsprechendes Exemplar gesichert werden564. Die Fibel
Textilien und der fragmentierten Nadel vorhanden sind, ist jedoch in einem besseren Zustand und weist zusätzlich
ist ein in Form gepresstes Buntmetallblech, welches Res zu den gerippten Fassungsverzierungen weitere Filigran
(c
te von Vergoldung aufweist, auf nicht ersichtliche Weise imitationselemente auf, die am Kremsdorfer Stück nicht
deckungsgleich am Korpus befestigt. Die Form der Fibel nachgewiesen werden konnten, was aber mit der schlech
entspricht einem Vierpass. Je vier große und kleine Run ten Erhaltung des Pressbleches zusammenhängen kann.
dungen liegen sich abwechselnd gegenüber und umrah Außerdem besitzt das Schweizer Exemplar kleine, zuge
men so das Zentrum der Fibel. Im Pressblech sind neun spitzte Vierpassecken und keine Rundungen. Weiters liegt
Fassungen für Einlagen ausgespart, wobei acht davon an eine Fibel aus Elisried, Grab 81, Kanton Bern, vor565, die dem
die Rundungen angepasst sind und eine große den Mit Stück aus La Tour-de-Trême beinahe vollkommen gleicht,
telpunkt der Fibel bildet. Laut Angaben der Ausgräber V. jedoch stärkere Schäden an der Oberfläche aufweist. Bei
Tovornik und M. Pertlwieser waren bei der Auffindung de Fibeln weisen einen eisernen Korpus mit Pressblech aus
auf der Fibel sechs Glaseinlagen in den Fassungen erhal Buntmetall mit Vergoldungsspuren auf, welches nicht mit
ten. Bei den heute auf der Fibel befindlichen Glasauflagen dem Korpus vernietet, sondern auf andere, noch unklare
in blauer und roter Farbe handelt es sich allerdings um Art und Weise verbunden ist. Cabochonförmige Glasein
modern angebrachte, zugeschnittene Glasscheibchen in lagen in bläulich-türkiser Farbe haben sich ebenfalls erhal
rundlicher bis ovaler Form, die wohl im Zuge präparato ten. Da diese beiden Fundstücke beinahe identisch sind,
rischer Maßnahmen aufgeklebt wurden. Ob ursprünglich nehmen die Bearbeiter von La Tour-de-Trême die Pro
tatsächlich Einlagen der Fibel erhalten waren, und wenn duktion in ein und derselben Werkstätte an566. Lediglich
ja, welche Farbe und Form sie hatten, kann nicht mehr eru zwei weitere vierpassförmige Fibeln ähnlicher Mach
iert werden, da keine Aufnahmen und Beschreibungen des art, die zeitlich eine ähnliche Stellung einnehmen wie die
Objekts vor der Restaurierun