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22. Jan. 2014, 11:46


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Die Welt 18.01.14

Wir haben unser Haus auf Wasser gebaut


Dürre oder Flut? Der norwegische Geologe Terje Tvedt spekuliert über
die Katastrophen von morgen Von Ulrich Baron

Über die Probleme, die das Wasser künftig machen wird, über Kriege und drohende
Völkerwanderungen aus Dürre- und Überschwemmungsgebieten hat man in den letzten Jahren
viel gelesen, doch kaum jemand weiß auch nur annähernd so kompetent und anschaulich über
Vergangenheit und Zukunft des Wassers zu schreiben wie der norwegische Historiker und
Geologe Terje Tvedt.

Bevor er seine hydrologische Sightseeingtour zu Eiswüsten und Flussoasen, Wasserkriegen


und Wasserfesten beginnt, lenkt er den Blick in den Londoner Hyde Park. Dessen See wirke auf
die Besucher besonders anziehend, aber ursprünglich sei diese 11,34 Hektar große Serpentine
angelegt worden, "um den River Westbourne einzudämmen, einen Nebenfluss der Themse, der
nun jedoch durch unterirdische Rohre verläuft und circa 300 Meter oberhalb der Chelsea Bridge
in die Themse mündet".

Die Themse kennt jedes Kind, doch der River Westbourne steht für eine Vielzahl von
Gewässern, die von der Urbanisierung in den Untergrund und damit auch aus dem Bewusstsein
verdrängt worden sind. Seit aber in den Sechzigerjahren die Brauereien und die Papierindustrie
den Stadtkern verlassen hätten, sei der Grundwasserspiegel erheblich gestiegen, sodass ein
großer Teil der Londoner U-Bahn heute nicht nur im Untergrund läge, sondern auch unter
Wasser stünde, wenn dort nicht Pumpen rund um die Uhr arbeiteten.

"Alle Gesellschaften sind darauf angewiesen, das Wasser zu kontrollieren", folgert Tvedt. Das
gilt für die Niederlande, die zu weiten Teilen unter dem Meeresspiegel liegen, wie für Ägypten
(Link: http://w w w .w elt.de/themen/aegypten-reisen/) , das als Flussoase an der Nabelschnur des Nils hängt.

Das gilt für China (Link: http://w w w .w elt.de/themen/china-reisen/) und Indien, deren Bevölkerungen von den
großen Flüssen Asiens zugleich abhängen und mit Überschwemmungen bedroht werden. Das
gilt für Südafrika (Link: http://w w w .w elt.de/themen/suedafrika-reisen/) , das seinem kleinen Nachbarn
Lesotho das Wasser buchstäblich abpresse.

Auch ohne Disput über den Klimawandel werde um Wasser künftig härter gestritten werden.
"Erst nachdem der Fluss die Grenzen von neun Ländern passiert sowie drei Klimazonen und
über 5000 Kilometer hinter sich gebracht hat", fließe der Nil nach Ägypten hinein. Und das
wohlgemerkt "unter wolkenlosem Himmel", was nichts anderes heißt, als dass dieses
regenarme Land fast seine gesamte Wasserversorgung einem Strom verdankt, dessen
Quellen in anderen Ländern liegen. Im Jahre 1959 hätten Ägypten und der Sudan sich dieses
Wasser geteilt: "Ägypten standen jährlich 55,5 Milliarden Kubikmeter zu, während der Sudan
18,5 Milliarden Kubikmeter erhielt. Seitdem haben sich nicht nur die Einwohnerzahlen beider
Länder rasant erhöht. Am Oberlauf des Stroms sei auch das Interesse an einer lukrativen
Bewässerungswirtschaft gestiegen, wie sie Ägypten seit Jahrtausenden betreibt.

Während sich Tvedt solchem vielerorts drohenden Kampf ums Wasser im zweiten Abschnitt
seines Buches widmet, hat er dessen ersten Teil mit "Die neue Wasserunsicherheit"
überschrieben. Wenn in Grönland und dem Himalaja Gletscher schmelzen, hat das vielfältige
und scheinbar widersprüchliche Auswirkungen. Wenn die "Wassertürme" Asiens sich leerten,
drohten verheerende Dürren, aber auch große Überschwemmungen. "Zwar ist noch nicht
sicher, ob wir in einem Jahrhundert der Dürren oder der großen Überschwemmungen leben
werden", konstatiert Tvedt vorsichtig, doch sein Buch zeigt, dass die Wasserressourcen der
Welt künftig nicht nur politisch anders verteilt sein werden als gewohnt. Hatte man im 20.
Jahrhundert gigantomanische Pläne entwickelt, etwa die Flüsse Sibiriens umzuleiten, so war
dies bald einer Ernüchterung gewichen. Auch bei Tvedt fehlt deshalb nicht das Beispiel der
Flüsse Amurdaja und Syrdaja, deren Wasser zu Sowjetzeiten eine blühende Landwirtschaft
ermöglichen sollten, im Ergebnis jedoch verwandelten sich weite Teile des Aralsees in eine
Steppenlandschaft.

Ein Gegenbeispiel liefern ihm die pragmatischen Niederländer, die bei Bedarf mühsam
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trockengelegte Polderflächen wieder fluten, wenn sich steigende Flusspegel nicht mehr mit
höheren Deichen beherrschen lassen. Nicht nur angesichts der verheerenden Flutkatastrophen
des vergangenen Jahres in Mitteleuropa plädiert Tvedt so dafür, der Natur lieber ihren Lauf zu
lassen, als sie um jeden Preis beherrschen zu wollen. Es werde immer deutlicher, "dass das
Wasser die Gesellschaft umso stärker beherrscht, je mehr diese davon abhängt, es
kontrollieren zu müssen".

Terje Tvedt: Wasser.Eine Reise in die Zukunft.A. d. Norwegischen v. Andreas


Brunstermann.Ch. Links, Berlin (Link: http://w w w .w elt.de/themen/berlin-staedtereise/) . 256 S., 19,90 €.

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