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LOKALES DARMSTADT


Donnerstag,
12.08.2021 - 02:00

3 min

Auftritt für Saxofon und Autohupe in Darmstadt


Die Ferienkurse für Neue Musik überraschen die Besucher der Darmstädter Innenstadt mit
theatralen Klanginszenierungen - und zeigen, wie man einen Putzschwamm zum Klingen
bringt.

Von Johannes Breckner


Leiter Kulturredaktion Darmstadt

Auftritt für zehn Räder, drei Akkordeons und mehrere Saxofone: Teilnehmer der
Ferienkurse für Neue Musik bei der Uraufführung der von Maja Bosnic komponierten
Performance „the Q and A piece“.
(Foto: Guido Schiek)
DARMSTADT - Ältere Darmstädter mögen sich an die Automobilschau in der
Wilhelminenstraße erinnert haben. Diagonal zueinander stehen die beiden
Karossen am oberen Ende des Buckels, ein stattlicher Toyota aus Posen in
Schwarz, ein silberner C-Klasse-Mercedes mit italienischem Nummernschild. Man
könnte das Treffen jugendlicher Auto-Poser vermuten, wären die Fahrzeuge nicht
erkennbar in die Jahre gekommen. Ist auch keine Angeberei, sondern die
Inszenierung des Stückes „the Q and A piece“ von Maja Bosnic, entstanden
während der Internationalen Ferienkurse für Neue Musik, die Komponisten und
Interpreten zur gemeinsamen Entwicklung von Open-Air-Stücken für den
öffentlichen Raum ermuntert haben.

Wilhelminen- und Büchnerplatz sind die Bühne für Inszenierungen, deren Spiel
mit dem Raum bisweilen stärker wirkt als die musikalische Logik, von der es
angetrieben wird. Maja Bosnic arrangiert eine überraschende Geräuschcollage, in
der brachiale und zarte Klänge aufeinandertreffen. Wer glaubt, dass zwei
Autohupen maximalen Krach machen können, muss sie erst einmal im Verein mit
Saxofonen und einem Akkordeon gehört haben. Dann wieder beherrscht das
Quietschen des Putzschwämmchens die Szene, wenn ein Mitspieler sein Fahrrad
wienert, und irgendwann flüchten die Instrumentalisten ins Innere der Fahrzeuge.
Gar nicht so einfach, sich mit vorgeschnalltem Akkordeon auf den Beifahrersitz zu
zwängen.

Ein Teil des Publikums folgt der Einladung zum Mitmachen, summt Lieder, ruft
Zahlen in die Luft, steuert Zischlaute bei. Aber weil man sich die Anweisungen per
Smartphone-Video holen muss, schauen die meisten lieber zu. Es gibt ja auch
genug zu sehen in zehn sehr unterhaltsamen Minuten, die in der Erinnerung noch
ein Weilchen nachklingen. Wenig später auf dem Büchnerplatz gibt es erst einmal
nichts zu hören. Marta Tiesenga (Saxofon), Manca Dornik (Akkordeon) und Gian
Marco Medda (Percussion) lauschen, bevor sie spielen. Das Saxofon setzt Töne
direkt aufs Pflaster, auf der Trommel tanzen Kronkorken, der Akkordeonbalg
schnauft und zittert, und auf wundersame Weise sind die Klangaktionen
aufeinander bezogen. „Ear Crumbs“ nennt die australische Komponistin Elizabeth
Jigalin ihre Sammlung von fast 400 postkartengroßen Grafik-Partituren, deren
Realisierung die Fantasie der Spieler herausfordert.

Für die Rasenfläche zwischen Alicen-Obelisk und Niebergall-Denkmal hat Samuel


Johnstone ein Stück Klang-Archäologie ersonnen, bei dem Interpreten Signale
senden und empfangen, als wollten sie dem Boden ein Geheimnis entlocken; der
Grundriss, den sie dabei aus Absperrband mit dem Ferienkurs-Logo markieren,
erinnert an den verlorenen Ernst-Ludwig-Pavillon.

Das ist in der Dramaturgie dieses Musik-Parcours nur ein Zwischenspiel, aber das
Finale hat Format: Vor dem Portal von St. Ludwig haben sich vier Schlagzeuger mit
kleinen Trommeln postiert, deren Fell mit Lautsprechern verbunden ist. Die
Interpreten reagieren auf Klänge und erzeugen neue, die litauische Komponistin
Justina Repeckaite steuert ihre Versuchsanordnung vom Laptop aus. Und obwohl
die Uraufführung von „Pulsatic Skin“ ohne aufwendige Inszenierung auskommt,
entfaltet sich eine schlüssige, mitreißende musikalische Dramaturgie: Unter den
Stücken von „Music in the City“ ist das letzte jenes, das man sofort noch einmal
hören möchte.

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